BINLING LISTAUG 1 5 1923

AECHIY FÜR RELIGIONSWISSENSCHAFT

UNTER MITWIRKUNG VON

H. OLDENBERG C.BEZOLD . K.TH.PREUSS

IN VERBINDUNG MIT L. DEUBNER

HERAUSGEGEBEN VON

RICHARD WÜNSCH

SIEBZEHNTER BAND

MIT 1 ABBILDUNG IM TEXT

DRUCK UND VERLAG VON B. G.TEUBNER IN LEIPZIG 1914

r

Itttaltsverzeiclmis

I Abhandlungen

Seite

Über den ZusammenbaDg höherer Gottesideen mit primitiven Vor- stellungen von Nathan Söderblom in Leipzig 1

Magic and Religion in Early Hellenic Society by Lewis R. Farn eil,

Oxford 17

Volksreligion überhaupt und speziell bei den Hebräern von Eduard

König in Bonn 36

An Account of the Death Rites and Eschatology of the People of the Bougainville Strait (Western Solomon Islands) by Gerald Camden Wheeler, London (With Map) 64

Der Lamaismus und seine Bestrebungen zur Hebung seines intellek-

tufc'llen und moralischen Niveaus von P. Guries, Kasan . . 113

Über die litauischen Veles von R. v. d. Meulen in Leiden . . . 126

Legendenmotive in der rabbinischen Literatur von A. Marmor- stein in London 132

Der Ursprung des Karnevals von C. Giemen in Bonn 139

Eine apokryphe Heilige des späten Mittelalters von E. A. Stückel- berg in Basel 159

Das religiöse Problem' in China von 0. Franke in Hamburg . . 165

Die Sündentilgung durch Wasser von J. Scheftelowitz in Cöln a. Rh. 353

Die altisraelitische Vorstellung von unreinen Tieren von Karl

Wigand in Godesberg bei Bonn 413

Eine weibliche Inkarnation in Tibet von Albert Grünwedel in

Berlin 437

Zum Zerstückelungs- und Wiederbelebungswunder der indischen

Fakire von A. Jacoby in Luxemburg 455

Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche von W. Caland in

Utrecht 476

Zur Entstehung der Seelenwanderungslehre des Pythagoras von

Diedrich Fimmen in Athen 513

Hymnologica von Otto Weinreich in Halle a. S 524

n Berichte

1 Ägyptische Religion (1910—1913) von A. Wiedemann in Bonn 197

2 Iranische Religion 1900—1910 von Edv. Lehmann in Lund . . 226

3 Religion der Japaner 1909 1913 von Hans Haas in Jena . . 255

4 Neues Testament von Johannes Weiß in Heidelberg .... 296

5 Religionen der Naturvölker 1910—1913 von K. Th Preuß in Berlin 532

JY Inlialtsverzeicilnis

Seite

6 Religionen der Naturvölker Indonesiens von H. H. Juynboll in

Leiden 582

7 Der indische Buddhismns (1910—1913) von H. Oldenberg in

Göttingen 607

in Mitteilungen und Hinweise

Von Fr. Pfister (A. Milchhöfers Nachlaß zur antiken Religion) 331; G. A. Gerhard (Zur 'Mutter Erde') 333, (Zur Legende vom Kyniker Diogenes) 335; M. Höfler (Das Fischsymbol) 336; R. Eisler (Der Messias 'ben-Nun' im jüdischen Folklore) 336, (Die französische Ausgabe des Buches Sohar) 339; G. Schoppe (Sterbende werden auf die Erde gelegt) 341, (Kleideropfer) 342; E. Lorenz (Eine Spur sakraler Prostitution) 342; R. Ganschinietz (Eulamo) 343, (Zu Tosefta Aboda zara 2, 6) 344, (Ars magica) 345, (Zum Pergamenischen Zaubergerät) 346; K. Preisendanz (Zum großen Pariser Zauber- papyrus) 347; H. Böhlig (Damalis) 348; E.Meyer (P. Sayntyves) 349; 0. Waser (Altchristliches) 350; R. Eisler (Der Seelenbrunnen) 352; R. Wünsch (Zur 'Mutter Erde') 362.

0. Waser (Altchristliches) 660; R. Eisler (Der Fisch als Symbol Gottes) 665, (Berührungszauber) 666; H. Gieß mann (Zu Friedländers Buch über 'Die Chadhirlegende und den Alexanderroman*) 667 ; J. Loe wen- thal (Ein Bestattungsbrauch der Potawatomie und Ottawa) 671, (Ein Zauberglaube der Pawnee) 672; J. Scheftelowitz (Mystische Meineidszeremonien bei den Juden?) 673; G. A. Gerhard (Zur 'Mutter Erde') 676; L. Deubner (Hagiographisches) 675, (Slawisches) 677, (Modernes Bauopfer) 678; K. Latte (Aphrodite in Ephesos) 678; R. Wünsch (Neue Förderungen der religionsgeschichtlichen Arbeit) 679.

Register. Von Richard Kohl 680.

I Abhandlungen

über den Zusammenhang höherer Gottesideen mit primitiven Vorstellungen

Von Nathan Söderblom in Leipzig

I

Warum liegt der Mensch im Schlaf und im Tode so sonder- bar stille? Die Antwort des primitiven Menschen lautet: Weil ihn das Belebende zeitweilig oder dauernd verlassen hat. Wie kommt es, daß man im Traume weit herumstreifen kann? Die Antwort des primitiven Menschen ist: Die Seele wandert, wäh- rend der Körper ruht. Mit Recht werden derartige Erfahrungen im Schlaf und Wachen herangezogen, um den Ursprung des Seelenglaubens, des'Animismus, zu erklären. Aber in der neuesten Anthropologie tritt die Überzeugung immer mehr hervor, daß der Animismus nicht restlos aus den genannten Erscheinungen zu erklären ist; man nimmt an, daß Träume bei der Ent- stehung des sog. Animismus eine viel bescheidenere Rolle ge- spielt haben, als man gemeint hat.

Wedelt der Hund mit dem Schwänze? Oder wedelt der Schwanz mit dem Hund? Ob der Hund das weiß? Nach Marett, der das Beispiel gab^, bedeutet der Animismus die Vor- stellung von einer oder mehreren Seelen im Menschen , daß der Mensch es weiß. Er beginnt sich selbst als wollendes und handelndes Subjekt aufzufassen. Insofern dieses dämmernde Bewußtsein, Ursache absichtlicher Handlungen zu sein, das menschliche Individuum und was wir im höheren Sinne die

* In einer Vorlesung in The Summer Scliool of Theology in Oxford 1912.

Archiv f. ßeligionswissenachaft XVII 1

2 Nathan Söderblom

menschliche Persönlichkeit nennen, ausmacht, muß der Ani- mismus für das spezifisch menschliche Dasein damals als grund- legend angesehen werdend Ich brauche nicht darauf hinzu- weisen, was der Animismus in den man ungenauerweise so- wohl die Belebung toter Gegenstände (Animatismus) wie die Beseelung von Menschen, Tieren, Pflanzen, Dingen mit ein- schließt — für den Gottesglauben bedeutet. Vom Animismus wird auch die Gottheit als Willenseinheit aufgefaßt.

Aber kein Schlüssel öffnet alle Schlösser. Der Animismus allein vermag uns nicht die geistige Welt und die Riten der Primitiven zu erklären. Und zwar erklärt der Animismus weder das neuerdings vielbesprochene Mana, die unpersönliche ^Macht', noch die ^Urväter' oder die hohen, von mehreren Beobachtern und Forschern als urmonotheistische Gottesgestalten betrach- teten Wesen der primitiven Vorstellung. Wir müssen die bei- den letztgenannten Vorstellungen kurz angeben.

Ein Pferd muß sich mehr als das sonst seine Art ist, an- strengen, um die Last nach Hause zu ziehen. Irgend jemand, heißt es dann, hat das Pferd Verneidet'. Der schwedische Bauer hat dafür noch den Ausdruck des primitiven Menschen: dem Pferde oder auch einem Menschen wurde seine *Macht' gestohlen. Das Tier oder der Mensch ist 'maktstulen'. Hier spukt noch im Volksaberglauben eine Vorstellung, welche wohl die wichtigste ist, um die Welt der Primitiven uds zu eröffnen. Die alten Nordländer nannten es 'hamstoli': wem der Ham ge- stohlen ist. Die genaue Analyse, welche der englische Missionar Codrington 1891 über das Mana der Melanesier veröffentlichte hat in unserer Auffassung der primitiven Magie und Religion Epoche gemacht. Das Mana heißt die geheimnisvolle Kraft, die gefährlich sowohl als wertvoll gewissen Menschen, Tieren, Gegenständen und Seelen innewohnt. Seitdem haben wir von

^ W. Mc Doügall Body and Mind. A history and a defense of ani- mism, London 1911 S. Itf.

Zusammenhang höherer Gottesideen mit primitiven Vorstellungen 3

dem Orenda^ der Irokesensprache, dem Wakanda* der Sioux. Indianer und anderen analogen Worten viel gehört. Sie drücken vielmehr eine Eigenschaft als ein Wesen aus oder, genauer, einen Gegenstand oder ein Geschöpf in seiner Eigenschaft sonderbar, übermenschlich zu sein. Wakanda wird von Don- ner, Blitz, Sternen, Winden, von den Zederbäumen, von den Schamanen ausgesagt. Das Pferd ist der 'Wakandahund'. Ein tüchtiger Medizinmann hat viel Orenda usw. Vor allem findet sich nämlich dieses von den Primitiven gefürchtete und er- sehnte Mana in den Schamanen -Häuptlingen und im Zauber- spruch, in der kräftigen heiligen Formel. Früher wurden solche Worte mit Gott, Geist übersetzt, wie das Ma-ni-do der Algonkiner, ^der große Geist', den Longfellow in Hiawatha ver- ewigt hat. Aber näher besehen handelt es sich öfters um etwas Unpersönliches. Bisweilen ist der Zusammenhang mit einem konkret aufgefaßten göttlichen Wesen deutlich. Der schwedische Kongomissionar Laman schreibt mir vom Nzambi, dem bekannten Urheber bei den Kongostämmen: „Wenn der Eingeborene etwas 'Kianzambi, d. h. Nzambi's, nennt, bezeichnet er damit etwas dem Menschen Gefährliches, Unbrauchbares, Giftiges usw., oder was mit nötiger Vorsicht behandelt werden muß" Aber das ist nicht die Regel. Mit der Seele oder dem Geiste ist die Kraft auch eng verbunden. Manitu tritt als Geisteswesen, aber auch als zauberkräftige Sache, sonder- bares Tier u. a. auf. Und man kann bisweilen, wie bei den sog. Fetischen, Minkisi, des Kongogebietes im Zweifel sein, ob Geister in ihnen hausen oder ob sie kraftgeladene, *medi- zinische' Gegenstände sind. Aber mit der Seele ist die Macht doch nicht immer zu verwechseln. Schon Codrington machte die entscheidende Beobachtung: nicht alle Seelen besitzen Mana. Wenn der Animismus voll entwickelt ist, hat jedes

^ J. N. B. Hewitt Orenda, in American Anthrop. N. Ser. 4 (1902) S. 33 tf. * W. J. Mc Gee The Siouan Indians in XV Rep. Bureau of Ethno- Jogij S. 181 ff.

4 Nathan Söderblom

Ding und Wesen, jedes Einzelwesen und Gesamtwesen, seine Seele Ka, Frawaschi, Atua usw. Aber daraus folgt nicht, daß alles außerordentlicli oder übernatürlich ist. Weiter haben mehrere Sprachen ganz andere Worte, um die Seele und den Geist zu bezeichnen. Die Manaworte, zu denen auch das schon 1844 von Meinicke in seiner Tragweite erkannte po- lynesische Tabu 'das besonders Gemerkte' und nach Wilhelm Grönbechs feiner Analyse^ die Hamingjä '^das Glück', 'das Los' der alten Nordmänner gehören, bezeichnen eine Art von Kraftsubstanz, die man nur nicht anachronistisch als einen primitiven Pantheismus deuten darf. Die betreffenden Worte können verschiedene Bedeutungen haben: 'sehr stark, sehr groß, sehr alt, gefährlich, zauberkräftig, übernatürlich, göttlich', oder substantivisch: 'Glück, Macht, Gottheit'. Das Gemeinsame scheint die Bedeutung 'außerordentlich' zu sein. Mana, tabu usw. heißt das nicht leicht zu Nehmende. Der Ursprung scheint die individualpsychologische Reaktion gegen das Erstaunen- oder Furchterregende, Ungewöhnliche und Unheimliche zu sein. Bei den uns bekannten Primitiven hat schon die Gesamtpsychologie daraus eine Art von Gemeinvorstellung gemacht, die von der Gesellschaft in einer Menge fest geregelter Riten und Maß- regeln zu Schutz, Lebensbeförderung und Schädigung der Feinde verkörpert worden ist. Somit hat die Seele eigentlich eine an- dere Herkunft als das Mana. Die 'Macht' kann weder als eine Zusammenfassung der Seelen (Durkheim), noch als eine später in individuelle Seelen zerteilte Substanz erklärt werden. Mündet der Animismus in eine Überzeugung, daß die wahre Wirklich- keit nicht das den Sinnen Zugängliche, sondern etwas Fein- materielles, Unsichtbares oder in der späteren Entwicklung Geist ist, so liegt im Mana der Beginn der Idee vom Über- natürlichen. Nicht selten werden die betreffenden Worte mit 'übernatürlich' wiedergegeben. Jedoch der Gedanke an etwas über die Natur Erhabenes geht den Primitiven ab.

^ Midgaard og MennesMivet Kopenhagen 1912, S. 101 ff.

Zusammenhang höherer Gottesideen mit primitiven Vorstellnngen 5

Als dritte Hauptvorstellung der primitiven Magie und Reli- gion bezeichne ich die Urväter oder Allväter. Man hat versucht, sie auf christliche oder islamische Einflüsse zurückzuführen. Diese Erleichterung des Problems ist leider bei unserer gegen- wärtigen Kenntnis in mehreren Fällen ausgeschlossen. Über Bäjämi oder wie die südostaustralischen Urwesen alle heißen, ist in der letzten Zeit viel wissenschaftliche, auch viel un- wissenschaftliche Tinte geflossen. Oft werden erst in den My- sterien der wahre Name und das Wirken des großen halb oder ganz menschenähnlichen Wesens mitgeteilt, während Weiber und Kinder mit falschen Märchen abgespeist werden. Der Ur- vater wird als großer Medizinmann vorgestellt, der, in der Regel, aber nicht immer, einst Menschen, Bäume, Tiere, Gebirge machte, die heiligen Tänze und die Eheregeln einrichtete und die Gebote gab. Seitdem ist er fortgegangen.

Auch die Zentralstämme kennen Urväter der Totemklane, bald Tiere und Pflanzen, bald halb menschlich, aus deren Körpern Menschenkeime oder Seelen herauskamen oder welche aus unförmlichen Klumpen die Menschen zuschnitten. Schon hier treten die zwei Möglichkeiten hervor, welche die ärmliche menschliche Einbildung besitzt, sich eine göttliche Herkunft zu denken, nämlich Emanation und Schöpfung. Außerdem ver- fertigten die Urwesen auch Bergrücken, Sümpfe und alles, dessen Ursprung einer Erklärung bedarf, und während ihrer Wande- rungen führten sie zum ersten Male die heiligen Tänze und Riten auf.

Solche Verfertiger oder Allväter sind bekanntlich nicht auf Australien beschränkt, sondern finden sich in der Regel bei den Primitiven.

Ihre jetzige Berühmtheit verdanken diese Urwesen dem im Juli 1912 verstorbenen schottischen Schriftsteller und Poly- histor Andrew Lang, der hinter seiner spielenden Ironie das warme Herz eines Romantikers verbarg. Daß sein dogmen- feindlicher Intellekt sich gegen eine abgeblaßte Evolutions-

6 Nathan Söderblom

theorie sträubte, soll man ihm niclit verübeln. Aber er ideali- sierte beide übermäßig, sowohl die Primitiven wie ihre Ur- wesen, und sah in diesen den einen göttlichen Schöpfer und Richter. In der Tat haben wir es hier nicht mit einem Gotte oder mit Göttern zu tun, denn sie empfangen in der Regel keinen Kultus, ürmonotheismus ist eine um so mehr irre- leitende Bezeichnung, als diese Wesen bisweilen in der Mehr- zahl vorkommen. Ihre Hoheit kontrastiert gegen die geringe Bedeutung, welche sie neben den näheren und wirksameren Ahnen, Geistern und Naturgöttern im religiösen Leben der Primitiven haben. Gebetsrufe an sie kommen vor, aber als im- pulsive Äußerungen des Gemütes in Not und Gefahr, nicht als geordnete Riten. Auf den niedrigeren Stufen entwickelten sich Religion und Moral relativ unabhängig voneinander; aber hier besteht schon in der primitiven Religion ein gewisser Zusam- menhang, indem die Gebete, welche bei der Einweihung den Jünglingen eingeprägt werden, von den Urwesen herrühren.^

Die Naturerklärung ist ebenso unmöglich wie die Anleihe- theorie. Naturerscheinungen wie Himmel, Sonne, Donner, Regen können leicht mit den Urwesen verbunden werden. Aber diese Wesen bleiben unverständlich, solange man mit der Grund- bedeutung Himmel oder Sonne oder Donner usw. operiert. Aber gehen wir von der Vorstellung des Ursprungswesens aus, dann stimmt alles überein. Ist jemand dort im Himmelslande dann erkennt man leicht seine Stimme oder seine Zischgeräte (sein Schwirrholz) oder sein Korrobori, seinen heiligen Tanz, im Donner, seine Pfeile im Blitz, seine Weiber und Kinder oder seine Lagerfeuer in den Sternen; warum nicht ihn selbst in Sonne oder Mond?

Die sonderbare Mischung von Tier und Mensch in den Ursprungswesen bleibt unverständlich, solange man ihren Ur- sprung in einer Naturerscheinung sucht. Das Rätsel löst sich,

» Söderblom in Nordish Tidskrift 1906, S. 163 ff.; in Ymer 1906, S. 229 f.; in Beligion und Geisteskultur 1907 S. 315 f.

Zusammenhang höherer Gottesideen mit primitiven Vorstellungen 7

sobald man sieht, daß mehrere dieser Wesen den Ursprung von Menschen und Tieren erklären sollen, und zwar die Ver- wandtschaft zwischen dem Klan und seinem Totemtier.

Man hat auch versucht, die Urheber als Vorfahren oder Geister zu deuten. Doch von Geistern und Seelen kann keine Rede sein. Die Wesen vom Bäjämitypus unterscheiden sich deutlich von den bei denselben Stämmen bekannten Geistern. Sie sind überhaupt nicht tot, sondern wanderten fort, als sie mit ihrer Arbeit fertig waren. W. Wundt schreibt in seiner groß- zügigen Synthese der modernen Religionsforschung, in seiner Völkerpsychologie, von den Mura-muralegenden im südlichen Zentralaustralien^ : „Diese Mura-mura sind phantastische Wesen früherer Zeiten, die den jetzigen Generationen Zauberwerkzeuge zurückgelassen und die Vorfahren in den Zauberzeremonien unterrichtet, daneben auch nach einzelnen Sagen sich Totem- tiere geschaffen haben oder selbst sich in Totemtiere verwan- delten/* Diese genaue Wiedergabe der Tatsachen muß des Ver- fassers eigene Theorie von menschlichen und tierischen Vor- ahnen wohl ein wenig modifizieren. Denn Wesen, die 'ge- schaffen haben', sind keine Ahnen im eigentlichen Sinne. Einer der früheren Ansiedler in Südostaustralien erzählte, wenn man einen Kamilaroi fragte: „Wer hat dich gemacht?^', antwortete er: „Bäjämi, denke ich." Die Kongofrau erzählte dem Mis- sionar, „daß Niambe^ alles gemacht hat: die Bäume da, den Berg, diesen Fluß, die Ziegen und die Küchlein hier."

Wer ist imstande, etwas Merkwürdiges zu leisten? Ant- wort: Der Medizinmann, der Magier 'Schwarzdoktor' , der Priester, der Klan- oder Stammeshäuptling. Als solcher wird auch das Urwesen gern vorgestellt.

In den Zwangsinnungen unserer religionsgeschichtlichen Nomenklatur können diese Ursprungswesen nicht ohne Gewalt-

* Elemente der Völkerpsychologie^, Leipzig 1913 S. 229. Vgl. Völker- psyclwlogie II, Mythus und Beligion 2 S. 347 ff.

2 Vgl. R.H.Nassau Fetichism in West Äfrica, London 1904 S. 33ff.

8 Nathan Söderblom

samkeit untergebracht werden. Um ihre Eigenart zu bezeichnen, möchte ich den Ausdruck ^Urheber' vorschlagen.

Die drei genannten Vorstellungen der Primitiven: der Geist oder die Seele, die Macht, der Urheber, streiten in der gegen- wärtigen Forschung um die zeitliche und begriffliche Priorität.

Andrew Längs ritterliches Eintreten für die vernachlässigten Urheber wird von Pater W. Schmidt mit der schweren Artil- lerie seiner ethnographischen und linguistischen Gelehrsamkeit fortgesetzt.

Die Priorität des Animismus hat immer noch bedeutende Vertreter. Was den größten, W. Wundt, betrifft, muß doch in Betracht gezogen werden, daß er zwischen der Körperseele und der freieren Seele unterscheidet und somit die animistische Theorie modifiziert hat.

Mehrere Forscher, wie der berühmteste Primitivologe unserer Generation, J. G. Frazer, und der Pfadfinder in der mexikani- schen Religion, K. Th. Preuß, haben verschiedentlich gezeigt, daß viele magische und religiöse Riten bei den Primitiven vom Seelen- und Geistesglauben unabhängig sind. Das bedeutet für unsere Wissenschaft einen erheblichen Fortschritt, aber das be- weist nicht, daß es jemals eine voranimis tische Periode gab. Wir kennen wenige Stämme und keine Zeitperiode, wo nicht Urheber bekannt sind, keine Zeit oder Völkerschaft, wo nicht das ^Mana' verwertet und das Tabu gefürchtet wird, keine, wo man nicht Naturgegenstände als lebendige Wesen auffaßt, Geister kennt usw., wenngleich es vielleicht Stämme gibt, die keinen Seelenglauben in eigentlichem Sinne haben.^

II

An der Entstehung und Entwicklung des Gottesglaubens in eigentlichem Sinne und der höheren Gotteserkenntnis sind

* Ygl. K. T. Preuß Die Nayarit-Expedition I (über die CoraindiaDer), Leipzig 1912, S. LIII.

ZusammenhaDg höherer Gottesideen mit primitiven Vorstellungen 9

nicht nur die Belebung (Animatismus) und Beseelung (Ani- mismus), sondern alle drei kurz skizzierten Grundvorstellungen beteiligt gewesen. Ich werde das an zwei großen Beispielen zeigen. Nachdem ich die hier zu erwähnenden Beobachtungen und Grleichungen längst gemacht hatte, war ich überrascht, sehen zu müssen, wie charakteristische Unterschiede der ver- schiedenen Hauptkulturen der Weltgeschichte sich eben in der Fortbildung der einen oder der anderen der primitiven Vor- stellungen kundtun.

Von berufenster Seite ^ wird hervorgehoben, daß bis jetzt keine befriedigende Erklärung der Herkunft und des ursprüng- lichen Charakters des chinesischen Obergottes gewonnen ist. Seit unvordenklicheT ZTeitwird dem 'Herrscher', Ti, in ver- stärkter Form 'dem höchsten Herrscher' oder 'dem Herrn in der Höhe', Schang Ti, oder, wie er öfter genannt wird, 'dem Himmel', T'ien, offizielle Huldigung dargebracht. Man hat diesen, alle sonstigen Gottheiten des straff in bureaukrati- scher Ordnung geregelten Systems des Staatskultus über- ragenden Gott aus der Ahnenverehrung oder aus der Natur oder als einen Zusammenfluß von beiden erklären wollen.

Von der Bedeutung des Ahnendienstes in China wird die erste Erklärung nahegelegt. Aber zwischen dem Kultus des Himmels und der Erde einerseits und den Riten an die Vor- fahren andrerseits wird ein klarer Unterschied durchgeführt. Schang Ti oder T'ien ist keine Seele. Weiter ist Schang Ti derselbe geblieben trotz des Wechsels der Dynastien und ihrer Vorfahren. Und Schang Ti bezeichnet immer Gott, wenngleich Ti auch von den mythischen Kaisern und seit 22 1 v. Chr. vom regierenden Kaiser gebraucht wird.

Die Natur erklärung ist nicht glücklicher. Das älteste Zeichen für T'ien stellt eine menschliche Gestalt, keinen Naturgegen- stand dar. Ich wage selbst der ketzerischen Meinung Ausdruck zu geben, daß eine so wenig greifbare Vorstellung wie der

^ J. I. M. de Groot in Chantepie de la Saussaye Lehrbuch^ I, S, 61 f.

10 Nathan Söderblom

Himmel in der Regel nicht bei der Bildung von Gottheiten primär gewesen ist. In China bleibt auch bei der Naturerklä- rung der Name ^höchster Herrscher' rätselhaft.

Die UnWahrscheinlichkeit zweier ursprünglich gesonderter Gottheiten hat Grube dargelegt. Die Ausdrücke sind in den Quellen durchaus identisch. Aber der Gebrauch des persön- lichen Namens nimmt schon in den klassischen Urkunden all- mählich ab. T^ien wird immer mehr vorwiegend. Es scheint sich hieraus zu ergeben, daß die ursprüngliche, altehrwürdige persönliche Bezeichnung dem sekundäreu, aus Schang Tis Wohn- ort und Wirksamkeit hergeleiteten Namen ^Himmel' gewichen ist.

Den Tatbestand haben schon die Jesuitenmissionare vor mehr als drei Jahrhunderten im Prinzip richtig erkannt und gewürdigt, indem sie erklärten, daß die Chinesen von alters her den einen und wahren Gott gekannt hätten.^

Den Zusammenhang der Namen des höchsten Gottes in China macht die Urhebertheorie klar. Es ist schon bemerkens- wert, daß der Urheber auch in anderen Religionen den Namen ^Herr in der Höhe' trägt. Sachlich erinnert diese erhabene, ziemlich entfernte Gottheit auffallend an die Urheber der Primi- tiven. War der hohe Häuptling, der alles, Menschen, Natur und Gebote, gemacht und geregelt hatte, einmal in der Höhe lokalisiert, so konnten auch, wie wir bei den Primitiven sahen, der Himmel und seine Erscheinungen leicht auf ihn übertragen werden. Selbst der uralte Mythus von der Ehe des Himmels und der Erde wurde dann ermöglicht. Auch Schang Tis Supre- matie erklärt sich aus dem alten Urheber. Der dem Mono- theismus sich nähernde Charakter des Himmels weist auf keine Spur eines Wettstreites mit anderen Gottheiten zurück. Weder die auf Einheit gerichtete Spekulation, die in allen Göttern oder hinter der Vielheit den Alleinen wahrnimmt, noch der schöpferische Eifer eines Propheten für sein persönliches Gottes-

* Confucius Sinarum philosophus, Paris 1687 S. XCI, und in anderen Arbeiten.

Zusammenhang höherer Gottesideen mit primitiven Vorstellungen 1 1

eiiebnis liat Schang Ti erhöht. SchangTis Herrscherstellung ist eine ursprüngliche Tatsache, nicht eine erst gewordene, ganz wie die Urheber sich überall von den Geistern und Mächten ohne weiteres abheben. Hier und nur hier in der Reli- gionsgeschichte hat der irreleitend sogenannte ^ürmonotheismus' eine geradlinige Entwicklung in einer in ihrer Weise einzig- artigen Kultur gehabt.

Wenn wir zum zweiten der drei großen Kulturkreise der gesamten Menschheit übergehen, so wurde das Brahman das wichtigste Wort der indischen Religiousgeschichte und ist es noch. Brahman als Neutrum bedeutet im Rigveda in der Regel: das Lied, der Opferspruch, die kräftige Formel. Das verwandte Wort Brahman als Maskulinum bezeichnet den, der das Brah- man besitzt und darüber verfügt. Über die Wurzelbedeutung, die dem Brahman und verwandten indogermanischen Worten zugrunde liegt, bestehen verschiedene Vermutungen: *hoch, er- haben' (Windisch u. a.) oder Vachsend, gedeihend' (Hang) oder *fest geregelt, abgefaßt' (Osthoff). Was den ursprünglichen Sinn des Wortes Brahman selbst betrifft, so haben die Untersuchungen von Haug^, Oldenberg^, Osthoff ^, Hillebrandt* u. a. die geläu- fige, anachronistische Idealisierung zerstört. Ich zitiere Olden- berg und bemerke ausdrücklich, daß seine Auffassung ohne jeden Vergleich mit den Primitiven aus der bloßen Analyse der Texte gewonnen ist. „Das Brahman ist das Fluidum oder die Potenz geistig -zauberhafter Macht samt ihrer Verkörperung einerseits in heiligen Sprüchen, Zaubersprüchen und dergleichen Riten, andererseits in dem Stande der Brahmanen, welche jene Macht besitzen.^^ Besser kann das Mana und die analogen Vor- stellungen bei den Primitiven nicht definiert werden. Auch z. B. das Orenda der Irokesen bezeichnet ganz besonders die heiligen,

^ Sitzungsher. der hayer. AJcad. Philos.-phüol KL 1868 S. 80, 92. * In Streitbergs Anzeiger für indog. Sp'ach- u. Altertumskunde VIII (1897) S. 40. 8 BB XXIV S. Il7ff.

^ JEBE {Hastings Encydopaedia) Art. Brahman.

12 Nathan Söderblom

zauberkräftigen Gesänge. Man kann, wie Hillebrandt^ bemerkt, nicbt in jedem Falle im Veda unterscheiden, ob die magisch- religiöse Kraft (craft) oder die Formel, die sie enthält, gemeint ist. Ohne Zweifel gehört das Brahman dem Manatypus der primitiven Anschauung an. Nur daß in Indien, und auf dieser Stätte der Religionsgeschichte allein, die unpersönliche ^Macht' der primitiven Anschauung ihre ganzen Möglichkeiten hat ent- wickeln können. Drei Hauptperioden hat das Brahman erlebt. Zuerst in der vor unseren Texten liegenden Zeit, als die großen Götter noch nicht waren, bedeutete es die gefahrvolle und wertvolle Kraftsubstanz oder das Zaubermittel. Dann, nachdem die Vielgöt- terei in reicher kultischer und mythischer Entwicklung vorlag, hat doch das Brahman seine Macht behalten oder vielmehr in der Opfer- religion wiedergewonnen, indem die Fähigkeit, die Götter nicht nur herbeirufen zu können, sondern sie sogar gewissermaßen hervor- zurufen, dem Opfer und dem Opferspruch beigelegt wurde. Der zum Opferpriester gewordene Medizinmann, der Brahman, ver- fügte, als Kenner und Inhaber des Brahman, über alle Macht im Himmel und auf Erden. Aber höhere Geschicke waren dem Brahman vorbehalten, da tiefere Seelen unter Priestern und Laien viel früher als in irgendeinem anderen Kulturkreise die naive Weltbejahung einbüßten und hinter dem Wahn und Elend der Welt das alleinige Ewige suchten. Denn das unpersönliche eine Wesen in oder hinter den Erscheinungen wurde auch Brahman genannt. Es gibt in der Religionsgeschichte drei Bewegungen, die man mit einigem wissenschaftlichen Rechte Weltreligionen nennen kann, nämlich neben der biblischen Religionslinie, von der der Islam eine eigentümliche Abzweigung ausmacht, die zwei mystischen und akosmischen Heilsrichtungen im arischen Gebiet, die eine in Indien von den Brahmanas und Upanischaden an, die andere in Hellas aus orphischen und pythagoreischen Anfängen im Neuplatonismus vollendet und in der Mystik innerhalb des Christentums und des Islams fortge- M. c.

Zusammenhang höherer Gottesideen mit primitiven Vorstellungen ] 3

setzt. Kein Wort ist diesen weltgeschichtlichen Heilswegen der Weltflucht bedeutsamer gewesen und gebliehen als dasBrahman. In Indien, und nur auf dieser einzigen Stätte der Religions- geschichte, wurde das uralte Wort für die primitive Machtvor- stellung zum Ausdruck der Erfahrungen und Gedanken einer sublimen Mystik.

Das Abendland hat während der zwei letzten Jahrhunderte gewissermaßen erst die Urheberreligion und dann die Mana- Brahman-Religion erlebt.

Den blühenden Hoffnungen der Jesuiten in China berei- teten der Vatikan und die Verfolgungen in China ein klägliches Ende. Aber von Ricci ab hatten die gelehrten und geschickten Patres, Couplet, Intorcetta, Schall, Premare, Verbiest, Noel,^ Parennin u. a., durch die „Lettres edifiantes et curieuses" und durch Übersetzungen dem bewundernden Europa gezeigt, daß die Chinesen schon vor Abraham den wahren Gott kannten und daß sie vor Roms Gründung eine hohe Sittenlehre aus- gestaltet hatten.

Den gegen die Jesuiten gerichteten Kundgebungen des Va- tikans von 1710 an^, daß Schang Ti oder T^ien eine Naturgott- heit, d. h. eine heidnische Gottheit sei, deren Namen vom christ- lichen Gotte nicht gebraucht werden dürfte, haben nicht nur gelehrte protestantische Missionare wie Faber und Legge, son- dern auch eine Zahl der sonstigen maßgebenden Sinologen, vor allem v. der Gabelentz, weiter Ch. de Harles, Grube, Conrady u. a. eigentlich unrecht gegeben.^

Kein Wunder, daß unser 18. Jahrhundert in Chinas deisti- scher Urheberreligion und Weltweisheit einen Geistesverwandten erkannte. Es war kein bloßer Zufall, daß der Vernunftglauben

^ Vgl. J. Brücker, Art. Chinois (Rites) in Vacant und Mangenots Dic- tionnaire de Theologie catholique Paris 1903 ff. und Picot Memoires pour servir ä Vhistoire ecclesiastique pendant le XYIII« siede 2. ed. 1815—16 I, S. CCXXVIff.

' Vgl. Söderblom Giidstrons uppkomst, Stockholm 1913, Kap. VII.

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die Liebhaberei für das cbinesisclie Porzellan, Zopf und Rokoko an die europäiscben Höfe begleitete. Leibniz hatte mit Jesuiten über die Angelegenheiten in China korrespondiert. Vom re- präsentativen Philosophen der deutschen Aufklärung, Christian Wolff, wurde der chinesischen Weisheit das höchstmögliche Lob gespendet, als er in seiner Prorektoratsrede in Halle 1721 be- wies, daß sie mit seiner eigenen Philosophie übereinstimmte. Selbst in der alten Hochburg der Scholastik, la Sorbonne, war chinesische Chronologie nach zeitgenössischem Zeugnis das Mode- thema geworden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß China nicht nur mit lebhaftestem Interesse studiert wurde, sondern damals auch, wenigstens in der französischen Aufklärung, einen ge- wissen, wenn auch schnell vorübergehenden, Einfluß auf die abendländische Denkweise ausgeübt hat. Man fand in China das, was man im christlichen Europa schmerzlich vermißte, einen Gottesglauben und eine Moral ohne Offenbarung, Mystik und Wunder. Wie begeistert schrieb nicht Voltaire seinem könig- lichen Korrespondenten in Potsdam darüber. Es ist interessant zu bemerken, wie der große Friedrich trotz seiner Bewunderung für Voltaire, dessen Schöpfung er der Gottheit kaum zutrauen konnte, dessen (später doch ein wenig abgekühlter) Begeiste- rung für Chinas Moral und Religion mit höflicher und feiner Kritik entgegentrat. Einem jeden Leser von Voltaires schönem „Essai sur l'esprit et les mceurs des nations" ist es aufgefallen, welche Ehrenstelle Confuz und die chinesische Kultur dort einnehmen.

Auch protestantischen kirchlichen Kreisen gefiel Chinas Weis- heit sehr. „Seiner Hochwürdigsten Magnifizenz dem Herrn Prä- lat und Domherrn des Hochstifts Meißen Herrn D. Johann Friedrich Burscher, der Theologie erstem ordentlichem und der Philosophie außerordentlichem Professor in Leipzig" widmete Christian Schnitze 1794 ein Büchlein: „Aphorismen oder Sen- tenzen des Konfuz, enthaltend Lehren der Weisheit, Ermunte- rungen zur Tugend, und Trostgründe für Leidende . . ."

Zusammenhang höherer Gottesideen mit primitiven Vorstellungen 1 5

Kann man demgemäß mit einem gewissen Rechte sagen, daß das 18. Jahrhundert teilweise im Zeichen Chinas stand, so wandten sich die Sympathien des beginnenden 19. entschieden dem Gegensatz Chinas, Indien, zu. Hier öffneten sich der My- stik und der Spekulation ungeahnte Weiten und Tiefen. Man verglich mit Recht die neue Bewegung mit dem Einfluß, den die Antike während des Humanismus ausgeübt hatte. Die in- dische Renaissance in unserer abendländischen Kultur ist noch nicht zu Ende. Wir können ihre Aussichten nicht überblicken. Die abendländische Empfänglichkeit zeigt sich in verschiedenen Schichten der Kultur: bei Denkern und Forschern wie Schopen- hauer, Deussen, den beiden Rhys Davids u. a.; bei einem Houston Stewart Chamberlain nebst den sonstigen Vorboten der sog, „arischen" antisemitischen Zukunftsreligion, auch in der freilich in ihrer Weltfreudigkeit und positiven Moral sehr unindischen und bunten Theosophie. Ich werde nicht der Versuchung an- heimfallen, in eine Rassenpsychologie der Mongolen, der Arier und der Semiten zu münden. Denn ich glaube nicht an Blut und Rassen, sondern an die von unzähligen Faktoren bedingte Geschichte und Kultur. Unsere Kultur, die vorderorientaliscli- abendländische, ist noch bei weitem komplizierter als die anderen und trotzt noch mehr als sie dem Versuche, das Problem ihrer Psychologie durch Rassentheorien zu vereinfachen.

Von entscheidender Bedeutung für den Gottesglauben im Abendlande wurde die prophetische Erfahrung des Moses und seiner Nachfolger, nicht ihre semitische Art. Denn wie Zara- thushtras Schöpfung zeigt, ist Prophetismus und Offenbarungs- religion nicht etwas spezifisch Semitisches. Aber was war Jahve vor Moses? Kittel^ u. a. haben den Unterschied zwischen dem milden Gotte in der Genesis und der gewaltigen Gottheit des Exodus hervorgehoben. Ich kann hier nicht näher begründen, warum ich im vormosaischen Jahve keine irrtümlicherweise sog. Wmonotheistische' Gestalt, keinen hohen 'Herrn in

^ Geschichte des Volkes IsraeP I S. 557.

16 N. Söderblom Zusammenh. höh. Gottesideen m. primitiven Vorstell.

der Höhe' El Eljon, sondern eine typisch-animistische^ zudring- liclie Gottheit^ einen gewaltsamen ' Wehenden', Wotan, vermuten muß. Durch Moses und Jahve wurde der Mosaismus die Reli- gion der Ergriffenheit vielleicht noch mehr als die Religion der Erhabenheit, wie Hegel sie nannte.

Im großen und ganzen kann gesagt werden, daß die primi- tiven Anfänge der Gotteserkenntnis in den drei großen Zivili- sationen verschiedentlich weitergeführt wurden, nämlich in China die Ehrfurcht vor dem hohen Urheber, in Indien das Gefühl von der geheimnisvollen Machtsubstanz, im vorderorientalisch- abendländischen Gebiet die Erkenntnis der Gottheit als einer wollenden und waltenden.^)

^ Die hier kurz skizzierten Ansichten werden weiter ausgeführt und begründet in meinem bei Hugo Geber in Stockholm erscheinenden Buche Gudstrons uppicomst 1913.

Magic and ßeligion in Early Hellenic Society

by Lewis R. Farnell, Oxford

It is not the object of this paper to discuss the whole correlation of the two provinces of magic and religion in classical greek polytheism ; but the title may serve as well as any other as introduction to a few general remarks about the evolution of that religion; while my main object is to test some of the leading theses that have been proclaimed and championed in recent anthropologic works. It has been one of the advantages won by modern research in this field that the content of the term ^religion' has been enlarged and enriched by the inclusion under it of a far more varied set of cognate phenomena than hitherto it had included. But this wider outlook has the drawback that it becomes increasingly difficult to frame distinguishing definitions of religion . and magic that will satisfy every pro- gressive anthropologist; and it has been in this case a curious result of science that our concepts have become more and more misty. I am not going to attempt the impossible here ; but we may demand of any writer that he should teil us what he means by these terms in certain contexts; so that we may at least understand what facts he is talking about.

The Student of Hellenism need not concern himself with the perplexing problem, how to find a clear definition for magic and religion that would apply to a purely preanimistic period; for, assuming that there has been such a period of human society, he will be able to maiptain that at least the Hellenic race came into being subsequently to it, and also that the Society which preceded the Hellenic in the Mediterranean was indefinitely removed from that period; for the monuments of

Archiv f. Religionswissenschaft XVJI 2

13 Lewis K. Farnell

the higher Minoan and Mycenaean culture reveal an already developed theism, and some of the idols of the preceding so- called ^Cycladic' culture point to goddess- worship; while from the most backward parts of the Mediterranean such as Sar- dinia the neolithic remains yield proof of animism at the least.^ As for the tribes pushing down through the Balkans from the North, by whose blend with the old population of the Mediterranean culture the Hellenic race of history arose, it is probable that they had reached at least the animistic stage the equation of ®e6g and Lat. 'inferiae', if we admit it^ would be an indication and even the theistic; for we find the belief in personal deities at a very low stage of human society, we find in some of the modern Balkan peoples beneath the crust of Christianity traces of an earlier theism that seem to be immemoriaP; the recently discovered momentous inscription of Boghaz-Keui reveals a fairly advanced theism among the Vedic-Indians as early as the 15*^ Century^, and there is no reason to regard the ^Aryan' progenitors of the Hellene as less advanced than they.

Yet some recent writers have spoken with assurance, Miss Harrison even with enthusiasm, of a godless Hellenic period; thinking to derive a proof of it from the Observation that certain parts of Hellenic ritual may be explained as efficacious without reference to any God, just as the working of the bull-roarer (Qo^ßog) may be called 'godless'. In fact the watchword of some recent speculation on the early religious life of Hellas might be given Aristophanically as ^QÖ^ßog ßaötXsvsL zbv z/r i^sXr]XaK(og\ A little reflection might give us pause; a ritual may be godless in the sense that no God is needed to make it work, and in that case we may call it magical, but it

^ Vide Pettazzoni La Beligione primiUva in Sardegna. ^ Vide my Gults of the Greek States vol. 5 pp. 107—108, p. 181; Kazaroff in Klio 1906 p. 169.

3 E. Meyer Sitz. Ber. Preiiss. Ak. Wiss. 1908 S. U.

Magic and Religion in Early Hellenic Society 19

need not be godless in the sense that the people who at any given time practice it are otherwise godless, or that they have inherited it from a people who had no consciousness of Gods: thuS; much that we ourselves do dining or shaving for instance is godless in the one sense; bat the inference that we are therefore living in the pretheistic age or have inherited these functions from pretheistic ancestors would be hazardous. It is one of the faults, and not the least of Miss Harrison's recent work^, that she does not distinguish between the two meanings or implications of this adjective; and the effect of such confusion is dis astrous when it leads her to such a dogma as that the totemistic stage of thinking knew no God (p. 135). Therefore in considering the relations of magic and religion in the earliest as in the latest periods of Greek society we should consider it on the plane of animism and theism. And at this stage it is not difficult to devise some verbal or conventional differentiation of the magical and religious spheres that may help US to express the diiferent aspects of the various facts. We will call that part of a ritual-act nfagical which does not appear to bear any direct reference to a spirit or divinity. or secondly that which aims at compelling the spirit or deity to do or to refrain from doing do certain things, whether he will or no; on the other hand a Service or act of prayer, placation or appeal, implying a mood of deference and humility in deal- ing with the deity, will be called religious. The principle of magic is compulsion, the principle of religion is deferential appeal; in the one sphere the deity may be constrained, in the other he is a free and superior agent. Now this distinction seems easy to maintain^ and it is on the whole the most practical that has as yet been offered. But it is by no means easy to apply it to all the complex phenomena of ritual, so as to be able to refer each detail to its proper category. We

^ J. E. Harrison Themis. A study of the social Origins of Greek Religion. Cambridge 1912.

20 Lewis R. Farneil

may take as a test-example some of the details of the Service of the Kouretes as presented in the newly discovered hymn*, which is made the starting point for the long disquisition in Themis' on tribal Initiation -magic. The writer maintains that in the hymn of the Kouretes, though the God is there as Kouros, he is not worshipped (p. 45). And yet the words ötdvTEg tsbv ä^(pl ßcjjiöv stare us in the face. Now an altar, at least in the Mediterranean area, and, as far as I can find, universally, is part of the equipment of worship of Gods or spirits; the act of singing round the altar might be conceived and interpreted as a mesmeric-compulsory charm practised on the god, deö^Log (pQSvcoVj like the chant of the Erinyes in the play of Aeschylus. But, when we consider that the altar itself belongs to the higher plane of religion, and when we reflect on what we know of Greek hymns round altars, we may believe that the odds are great against this interpretation of the act and in favour of believing that it is inspired by such an emotion on the part of the worshipper towards the deity as we call religious, namely by the desire to please and placate. Again, the same writer averts that the purport of the hymn is magical because the deity is addressed in the imperative mood. A little reflection would have reminded her that the most deferential prayer and the most imperious magic equally employ the imperative mood: and when nothing is before us but the written formula @6qs we see the imperative mood, but we cannot be sure what was the mood of the worshipper, whether supplicatory or commanding. No doubt, if I as a Koures Jump, for the good of the year, that is magic, an ebuUition of mana through my legs which works my will on its own account; and this, not a ^Beten mit den Beinen', may have been the original meaning of the jumping of the Maenads or the Salii. But if I say to a God 'Jump', I may be praying him to jump or commanding him to jump, that is, I may be approaching 1 Ännual of the British School at Athens XV 1908/09, 308 ff.

Magic and Religion in Early Hellenic Society 21

him as a humble petitioner or as a powerful magician. The hymn gives us no material for deciding this important question concerning the attitude of the Kouretes towards Zeus; but as he is the leader of the ^daimones' and they greet him with the polite x^^Q^ /*ot, their tone is more probably defercntial than commanding.

What is really unique in the hymn has been missed by the above writer. The God is asked or commanded to Jump, and jumping is magic. Therefore the God is conceived as prac- tising magic for the good of the Community. This view of the deity confronts us frequently in Babylonian religion, even on its higher planes, but we find no other clear example of it save this in the Hellenic. The attribute of omnipotence in the character of the Hellenic high God is not developed with logical conviction and consistency; but so far as he has con- trol, he, like the God of Israel, works his will by a simple fiat: ^Let there be light', and there is light. Suppose we believe with Professor Murray that Zeus was originally a sky- projection of the human medicine-man*, yet we ought to ob- serve that he had wholly dropped his medicine when we come to know him and that he was able to work as a spiritual will- power without magical apparatus, though he may employ weapons such as the lightning and the mysterious aegis which is fraught with part of his mana. The Kouros-God of the Kouretes is unique in his magical jumping.^ And in the po- pulär imagination of the Bacchic revels, which are ethnicaUy akin, it may well be, to the ritual of the Kouretes, Bakchos bounds and rushes with his thiasos, the Maenads. But this ritual was aboriginally non- Hellenic, and though the populär mind of Hellas may have preserved the tradition that the

^ Ärdhropology and the Classics, Oxford 1908, 78 ff.

^ The fire -ritual with which Demeter tried to make the habe Demo- phoon immortal {Hom. H. 1. 259) is not a real parallel to the magic that the god Kouros is asked to perform.

22 Lewis R, Farnel

movements of the Maenads were magically good for the fields and for tlie State, yet the populär conception of the tumultuous God may have beert only inspired by tbe belief that be was sympathetic in temperament and habits witb bis worsbippers,

Leaving tbe bymn of tbe Kouretes, let us take one or two otber examples of Hellenic ritual wbere tbe pbenomena bave been or may be newly interpreted and wbere tbe doubt may arise. Tbe libation at tbe Boeotian and tbe Attic Pitboigia is interpreted in 'Tbemis' p. 276 277 as aboriginally a godless act. 'Food and drink and tbe desire magically to increase and safeguard food and drink are earlier tban tbe Gods. Plutarcb in bis account of tbe Pitboigia^ lets us watcb tbe transit from one to tbe otber'. Tbe Boetian sacrifice at tbe opening of tbe new wine to tbe Agatbos Daimon was "^no offering to an Olympian, it is simply tbe solemn pouring out of a little of tbe new wine so tbat tbe wbole may be released from tabu. Tbis sacrifice of tbe new wine is to begin witb made to notbing and to nobody, but bit by bit a daimon of tbe act emerges and be is tbe Agatbos Daimon'. Here are tbree separate and important assertions: a) tbat tbis libation was aboriginally godless, analogous to otber practices wbicb are intended magically to increase and safeguard food and drink; b)tbat we can discern in tbe Hellenic record tbe transit from tbe god- less to tbe tbeistic significance of tbe rite; c) tbat from tbe rite itself tbe deity Läyad-bg ^aC^wv was bimself projected or evolved. Tbe last dogma concerns tbe tbeory of tbe projection of tbe God wbicb will be considered later. Tbe first can only be establisbed by a general antbropological survey of tbe libation -rite in all tbe races tbat practice it. If we found tbat tbe spilling or tbe pouring out a little of tbe fermented liquor before drinking it was fairly general among primitive people and among tbem was prima faeie a godless rite, not necessarily in tbe sense tbat it was maintained or invented by

^ Quaest. com. III 7 p. 655Ej0P.

Magic and Religion in Early Hellenic Society 23

a people that liad no gods but merely that it was done with- out reference to gods, we should liave to explain it by refe- rence to ideas tbat belong to the domain of magic or to that special department of magic known as tabu. It does not seem natural to explain the act as a method for magically increasing the drink, similar to Australian totemistic rites for the magi- cal increase of the totem -plant or animal; for this would not explain why the act must be performed before the drinking began. The more natural explanation would be the desire to remove a tabu; the liquor is dangerous and therefore tabooed; one way of breaking a tabu safely is to walk boldly up to it and break it ceremoniously before breaking it casually. When divine machinery can be called in, food or drink that is under a temporary tabu can be safely dealt with by consecrating the first- fruits of it to the divinity and thus securing his permission or his blessing on the use of it.

Now it is a difficult question whether among the Hellenic people we need not immediately consider their aboriginal ancestors this' tabu on wine and this pouring out of the preliminary libation was ever godless. The evidence relative to the first of the three theses posited above, namely the universality or wide prevalence of such a rite, is not, I think, conclusive enough to allow us to decide the Hellenic question a priori^ and at least the second of Miss Harrison's theses, that the Hellenic record which she presents allows US to see the transition from the godless to the theistic use of the libation, cannot be admitted; for in the passage from Plutarch (p. 655 E) which she quotes, the libation at the Pithoigia is said to have been accompanied by prayer at Athens; and in Boeotia a sacrifice to the Agathos Daimon preceded the drinkiüg; while in 755 E, which she does not quote, he states that the vintager were afraid to taste the must, until it had been consecrated. Here we have a fear mentioned which might cause a tabu, and a God or spirit that relieves the

24 Lewis R. Farnell

fear. Plutarch's account is wholly theistic or animistic and does not show us the transition which she speaks of. It does not help US, for tlie question whether the libation was ever godless in Greece, to say that lood and drink are primeval and earlier than the emergence of Gods. Certainly wine was not primeval in Greece, and though it was there before the Coming of Dionysos we have no reason for believing that it was there in the pre- theistic period; on the contrary, the wineless ri- tual of some of the deities has been taken as a proof that they established before the introduction of wine. Yet as we all admit, certain parts of Greek as of other ritual dispensed with Gods. Was the Hellenic libation ever godless in this narrower sense? The fuller discussion would demand the consideration of the Homeric formula iTcagld^svoi dsjcccsööi} Homer's people certainly make direct libations of wine to definite Gods as an ordinary form of sacrifice; it is even a daily Service: the Phae- acians pour out a libation to Hermes before going to bed^; and later authorities mention various deities to whom the three cups that formed the usual allowance of the moderate drinker after the banquet were respectively dedicated.^ But the phrase above mentioned and the act denoted by it seem to stand apart from these facts; it is a stereotyped recurring phrase forming a prelude to the conventional description of every drinking-bout: and it never occurs in immediate conjunction with the name of any God or spirit. If then we could suppose that i:tdQXB6&ai dsjcdsööL could mean the pouring out of a little wine from the cups by way of a ceremonious preliminary to actual drinking, we might Interpret the act as non-religious, as performed merely for luck, just as primitives generally will throw away portions of food before eating.

» for ex. IL 1, 471.

' Od. 7, 136; K. Kircher Die sakrale Bedeutung des Weins im Alter- tum, ReL-gesch. Vers. Vorarb. IX 2, 19 ff. ' Kircher ib. 34 ff.

Magic and Religion in Early Hellenic Society 25

But a more careful examination of the passages rules out this explanation of the act and of its significance. The phrase lias been convincingly interpreted by Stengel^ as refering not to any pouring out or spilling of wine on the ground, but to the filling up the cups by the servants with a small prelimin- ary portion of the wine out of the 'crater', so that the guest who receives the cup may pour forth that portion as a libation. This is made clear by 11. 9, 176 177 va^irjöccv d' ocqu Ttäöiv STtaQ^d^svoi dsTtdsööiy avtaQ kjtel öjcslödv xs %Cov -O*' o6ov i]d-sXs d-v^iög, and again by Od. 3, 340 ijtaQ^cc^svoi daitasööi^ ylG)66ag d' hv tcvqI ßdkkov, dvLötdjxsvoL d' ineXsißov. And the libation in Homer is always made to a definite divinity ex- pressed or implied. We may say then that §7taQ^d^£voL deTtdsööt, like aQy^ata (Od. 14, 447) and iTtuQx^ i^i later Greek inscriptions belong to the phraseology of theistic rather than of magical or preanimistic ritual, and that, whatever may have been the aboriginal significance of throwing a little food or drink away before eating and drinking, there is no indication of a godless libation of wine in the Hellenic period. It is likely that Gods were powerful over the Hellenic imagination when first wine was discovered, and that this weird and dangerous drink and the taboos connected with it were immediately put under the charge of theEarth-deity orEarth-spirit: and tlmt finally the Institution and Intention of the Pithoigia was theistic from the beginning.

Another example in 'Themis', the exposition of the rite of the ^panspermia', that was associated with the tendance of the depart- ed spirits at the Anthesteria, illustrates the danger of theorising too easily concerning the evolution of^^gic~ffonv^ltfeligionJ On p. 292, the writer interprets the originaTmtömion of the panspermia as magical, not as sacrificial at all: the ^seeds' in the pot (%vtQa) were not intended at first as a gift to the dead, but were to be taken down to the lower world by the spirits, so as to be given a body there and sent up again ^ Hermes 1899 S. 478 {Opferbräuche der Griechen S. 55 ff.).

o

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in tlie form of fruit. This is then a kind of animistic magic. Now we have other evidence that the departed spirits were regarded as operative in the processes of Vegetation.^ But our records taken as they stand seem to rule out the magical interpretation: for they give us direct as vrell as indirect evidence that the cereals or cereal seeds inside the pots were cooked and were suitable for human food. But no one ever cooked or boiled seeds before sowing them even in a magical mimetic ceremony, for magic at least mimics reality; and an- other Greek legend speaks of a dearth falling on a country because the women maliciously cooked the seeds of corn be- fore sowing them.^ If we try to evade the evidence by saying that probably in the earliest Attic ceremony the seeds were not cooked, we are not explaining the facts but inventing new facts to provide the amusement of a new explanation; it is better that our starting-point here should be cooked seeds than cooked facts; an ojffering to the dead is quite primitive enough to be accepted as the aboriginal meaning of the Xvtqol] we may discern in the rite a transition from an animistic to a theistic service, but not from magic to religion.

No doubt a great part of theistic ritual admits of a magi- cal interpretation, but a strong bias in favour of the latter may lead US astray in particular cases. For instance, we may be aware that savage music is often employed to drive away evil spirits, and thus it has been suggested^ that the use of music in the Service of the Hellenic Gods was not originally dictated by a desire to please and placate them, but was intended as a daimonistic magic, subsidiary to the main Service, and em- ployed to scare away the demons. 1 cannot feel that this is a

quickening theory. Wild and discordant noise in the Corybantic

\,

^ Vide Hippokr. tcsqI ivvnvicüv (Littre VI p. 658). 2 Apollod. Bihl. 1, 9, 1.

2 E. g. Th. Wächter Beinheiisvorschrifien im griechischen Kult, Rel- gesch. Vers. Vorarb. IX 1 S. 12.

Magic and Religion in Early Hellenic Society 27

rites or those of the Kouretes might at oue time have had this intention; but neither in the usual apotropaic rites nor tlie other ritual-ceremonies of Greece can we recognise that music played this part; on the other hand we know that it was iised to evoke or awaken the God, as Dionysos was sum- moned out of his winter-sleep by a trumpet or a water-organ.^ We may call this religious mesmerism. A piece of evidence against the daimonistic interpretation is the law in the ritual of the Graces at Faros ^, which seems to be of great antiquity, forbidding all music at one of their festival; and we may find other cases of Greek sacrifices where music was tabooed. The most probable explanation is that these were Services of sorrow and gloom; and yet these are just the time when evil spirits might be supposed to be haunting around and when music would be useful for averting them. We may conclude then that in the early Greek view the music was brought into the Service as something pleasing or placating to the deity, but that it might be omitted at a sorrowful or gloomy rite, just as it is sometimes omitted in our Service on Good Friday. Yet the Greek was also aware that music could mesmerise, and in singing his Paean and playing his lyre to his deity he may have believed that he was exercising something of a gentle spell. There are a number of ritual phenomena presented by the records of Greece and of other polytheistic or monotheistic countries that seem to hover on the border -land between magic and religion. For instance in the complex act of sacrifice at the altar, the whole process and the whole atmosphere seem to be charged with a perilous sanctity which attached to the sacrificer, the victim, special parts of the victim and especially his blood and his skin, and above all to the altar itself, the chief focus whence this ^mana' radiates upon every person and every thing that comes in contact with it. Not

1 Farneil The Cidts of the OreeJc States V 185 ff. * Ib. V428f.

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only those who toucii the altar, but tliose who connect tliem- selves witli it by a cord, are consecrate, for the supernatural force can travel down a cord: the ox, previously it may be purely secular, becomes infused witb tbis spiritual quality if it voluntarily approacbes and toucbes tbe altar, or if its fore- head is toucbed witb barley-stalks taken from tbe altar; even after its sacrificial deatb, its skin could preserve tbis potency and could produce supernatural effects. A similar focus of sanctity migbt be a sacred tree, and I sbould be inclined to explain, tbe sacrificial scene on tbe late coins of Ilium dis- cussed in 'Tbemis' p. 165, not as if tbe ox were imparting its ^mana' to tbe tree to wbicb it is being lifted up and attacbed, but as if tbe tree were imparting its sacred potency to tbe ox; similar ly tbe sacrificial post in Vedic ritual is a most powerful storebouse of religious energy.^ Now in tbis category of pbenomena we must recognise some non-tbeistic facts: a tbunderstone migbt bave a *mana' of its own, not be explained on tbe lines of tbeism or animism. But our centre of interest in tbe Greek sacrifice is tbe altar. And in tbe Mediterranean at least we must call tbis an adjunct of tbeistic or animistic religion, and must believe tbat in tbe Mediterranean area, in tbe culture of tbe Mediterranean ancestors of tbe Hellene, tbe altar was invented for tbe Service of ©eoC. If we accept Artbur Evans' bypotbesis tbat it was evolved from tbe sacred pillar^, yet we discern by tbe irrefragable proof of one great Minoan monument tbat by tbe middle of tbe Minoan period tbe sacred pillar was no longer merely divine in its own rigbt but was used as a conductor for attracting down tbe god or goddess of tbe sky.^ As tben tbe sacred pillar became cbarged witb tbe personality of tbe deity, so was tbe altar

^ Hillebrandt Vedische Opfer und Zauber S. 121. 2 Hell Journ. 1901 p. 114.

^ Gold signet-ring from Knossos published by Evans ib. 1901 p. 170 Fior. 48.

Magic and Religion in Early Hellenic Society 29

charged from the beginning, and its supernatural force must be interpreted tbeistically.

But are we to call the exercise of tbis force eitber magical or a spontaneous act of tbe will of tbe deity? Eitber account is open to objection: one dement in a magic act is tbe ebull- ition or projection of will; so, if one accidentally walks up against an altar or an ark or into a sacred precinct and is blinded or blasted, it is wrong to call tbis discbarge of force magical, so far as tbe victim is concemed. On tbe otber band, it is not certain tbat tbe believer would be bound to interpret it as due to tbe volitional agency of tbe deity. Great personages, Gods bigb priests and cbiefs, spread a Spiri- tual contagion around, wbetber tbey will or no. It is not necessarily tbe will of tbe cbief tbat tbe common folk wbo dare to partake of any part of tbe food be bas touched sbould witber up and die; be cannot belp it: be exbales tbis force tbrougb tbe nature of bis tremendous personality. If Uzzab died because be toucbed tbe ark, if Aaron would die if be entered tbe boly ^of bolies at a wrong time^, tbis is not necess- arily because Jabwe was a cruel and vindictive God, reveng- ing bimself mercilessly for sligbt breacbes of religious eti- quette, tbougb it was so represented^; Jabwe could not belp bimself; bis tremendous personality sprear tbis dangerous con- tagion around, just as a corpse involuntarily spreads poUution to tbe mourners. Tbis discbarge of tbeistic force is tben neitber magical nor a spontaneous exercise of will; it may ratber be called religious contagion. It explains mucb of Greek ritual; it explains- tbe sanctity of tbe ox in tbe Boupbonia^, wbo is

^ Levit. 16, 2.

^ 2 Samuel 6, 6: an interesting parallel, but a more moral myth, in Greek legend is that recorded in Plutarch Parallela 17 (p. 309 F) quoting Derkyllos iv Ttgoatm ■ktlöecov : lies saves the Palladion in a temple- fire but is blinded by its inevitable discbarge of 'rnana' : but the Goddess mercifuUy heals him. Here the personal deity argends the brüte effect of a Spiritual force. ^ Paus. 1, 24, 4; Porph. de dbstin. 2, 29. 30.

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not clearly recognlsed as sacred until he lias approached and eaten from the altar; it explains the purificatory use of the skin of the Vam of God' in the Skirophoria^j it explains why the decaying remnants of the half- eaten pigs that were thrown down into the megara of the earth Goddess or earth-spirit at the attic Thesmophoria^ made such excellent mystic manure for the fields; for heing charged with peculiar virtne through their long contact with the sacred serpents that were in the hole they would work powerfully on Vegetation when strewn over the land.

We niay discern unadulterate magic in Greek ritual, as when the priests of Zeus Lykaios make rain hy stirring water with a stick ^5 we discern also much high religion of a pure type; and we may discover something that I have tried here to indicate as a tertium quid. Elsewhere I have tried to esti- mate the relative importance and the true relation of the two spheres in the history of Greek religion.^ I believe that there was no feit antagonism between them; and that Greek religion concerns civilisation because its magical Clements were transfused and interpenetrated by theism, which at a very early time became the dominant force and evolved a high conception of deities as agents of independent will, who had no need to work magic and to whom the Community prayed but did not attempt to dictate. In this respect the Hellenic is superior to the ßabylonian God; nor was the spell of the divine name of such magic force in Hellas as in Israel and Babylon; though a trace of the old magic of holy words survives in the import- ance attaching to the special names and titles by which the deity is invoked.

A theme that has been forced into prominence within the ränge of the present discussion are the puberty-initiation cere-

' Cults of the Gr. St. III 41. « Ib. III 327.

^ Martin P. Nilsson Griech. Feste S. 9.

^ Greece and Babylon p. 177 179, p. 297 300.

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monies of tlie early Hellene. These have been interpreted by Miss Harrison and by Mr. Cornford, following her with docility in his treatise Trom Religion to Philosophy', on the analogy of modern Australian and other primitive rites which are performed upon the youth of the tribe at puberty. Every cautious and trained anthropologist is aware of the precariousness of this method of rapid induction from communities on unlike planes of culture. But sometimes it may hit the mark. These writers then on the strength of certain savage analogies believe that the early Hellenes were in the totemistic stage; or at least, as Miss Harrison maintains, if their totemism cannot be proved, they were at least in the totemistic stage of thought.^ Let this pass: our clan may not worship the ox or call our- selves oxen, but we may be in a bovine stage of thought. The question of Greek totemism has been thrashed out by more critical scholars and anthropologists who have come to regard the evidence, in spite of the Ophiogeneis of Parion^ as entirely insufficient to establish the thesis, and have not been able to detect even any evidence of an exogamous classificatory System in any Greek Community. But whether the Greek tribe was ever totemistic or not, it doubtless had its puberty -Initiation rites; and Miss Harrison's Imagination conceives of these, on the lines of the Australian, as magically enacting the death and rebirth of the initiate, whereby the continuous life of the communal seif of the tribe was recruited and maintained. But the only evidence oflfered is drawn from the Bacchic mysteries or the rites of the Kouretes which are akin to these. Now the writer her- seif is aware that these mysteries are obviously not tribal puberty -intiations when we come to know them, bnt are entirely of the type of secret free societies. But she is con- vinced that they were once tribal, apparently by the force of the theory maintained by Webster in his treatise on ^Primitive Secret

t

^ Themis S. 128.

^ Krates in Plin. nat. hist. II 13.

32 Lewis R. Farnell

Societies'' that all secret magic-confraternities were once tribal. If this is universally true, it is still a large assumption that every rite and every detail of it performed by a secret society was once the communal rite of a totemistic tribe and that what is done to the initiate of the free society was once done to the tribal boy at puberty. I would remark in passing that the Cretan and the Bacchic rites do not show us the feigned death, by swallowing or rending, of the adult boy, but generally of the habe, the habe Zeus or the habe Dionysos; and babies are not generally initiated into tribal ceremonies.

But if we grant all these assumptions, the Hellenic evi- dence is still lacking; for neither the Rhea-Kybele mysteries of Crete and Phrygia nor the Thracian Bacchic tsXstaC that spread over Greece were Hellenic in origin. Looking carefuUy at the Hellenic mysteries proper, in the first place we shall find nothing of that mystic magic that Miss Harrison and Mr. Cornford regard as characteristic of all of them; and, secondly, none of them reveal any clear trace of a period when they were merely the tribal initiation-ceremonies of adults. The Eleusinian were no doubt limited in old times to the Community of Eleusis; that is all we know. We have also the right to conjecture that the mysteries of Dryops, the eponymous ancestor of the Dryop- ians at Asine^, were tribal and served as the initiation-rite of the young tribesmen who were thus made one with the tribal ancestor, but whether by any kind of magic we have no right to hazard a guess. It is more to the purpose to collect the scattered evidence that remains to us of the actual ceremonies in the Greek States, practised when the boys were admitted into the phratries and took their place among the ephebi. What is revealed to us of the Apatouria at Athens''^ and the oath taken by the Epheboi*, what we read in the inscription

' New York 1908. ^ p^^g jy 34^ q

^ Toepffer Äpaturia (Pauly-Wissowa I 2675 ff.). ' Pollux 8, 105, Plutarcb. Alk. 15.

Magic and Religion in Early Hellenic Society 33

of the Labyadai-phratry at Delphi^, reflect nothing of magic or mystery, no magic death or rebirth. There is evidence also from Crete, overlooked by Miss Harrison, of more value for the real puberty-ceremonies of the people there tban all the hymn of the Kouretes. In this Island the young of both sexes before puberty were called öxötiOL^, Hhose who lived in the darkness of the house', and at Phaistos Aphrodite was called ZTiorCuj surely by sympathy with the Uxöttoi whom she pro- tected; then, when they came out into the light of day, the boys into the dyeXa the man -pack of adults, a festival of ixdvöici ^the Coming forth' was consecrated to Leto^, and Leto Phytia or (poixCa was the patroness of the %ovqoi^, not Zeus üovQog or the ecstatic Bakchos: there is no trace of magic or mystery either in these records or in the general cult and mythos of Leto. Nor in any of the ritual of the puberty- initiations of Hellas, so far as the few records reveal them, can we find anything but theistic religious- Service; the aQxtsCa of the Brauronian bear-goddess^ was a theriomorphic Service, but not necessarily magical, unless all dancing is magic. We are left solely with the quaint legend of the dragon swallow- ing Jason ^, if he did swallow him; but Jason was not of the dragon s tribe, the Spartoi, and the dragon was taking a liberty unwarranted by the logic of the totemistic tribal Ini- tiation.

1 am not yet able to discern that the study of Greek magic and the magical or godless elements in Greek ritual reveals to US the evolution of Greek religion. I do not believe in the universal authority of the axiom upon which so much of 'Themis' and of works on the same lines is based ^le dieu

^ F. Solmsen Inscriptiones Graecae^ no. 39. Collitz Dialect-Inschr. 2561.

2 Schol. Eur. Alk. 989; Et. Mag.b^S.

^ Vide the excellent article by Höfer in Roschers Lexikon s. v.

* Anton. Liber. p. 93 Martini. ^ CuUs 11 437. ^ Höfer Jason in Roschers Myth. Lex. 11 83 ff.

Archiv f. Religionswigsenschaft XVII 3

34 Lewis R. Farneil Magic and Religion in Early Hellenic Society

est la personification de la chose sacree'; this may be true of Dharamoolan and the bull-roarer, it may explain tlie Vedic Agni as evolved from tlie fire of sacrifice. But I would rather explain. Jahwe even as a thunder cloud or the sun than as a mere projection of the circumcision-knife. I can discern na glimmering of sense in the paradox that Hippolytos was the projection of the rite of the dedication of maidens' locks.^ In, the ceremonies of Zeus Polieus I do not discern the aboriginal divinity of the ox; on the contrary I find that the earliest records do not allow of the displacement of Zeus Polieus and attest that the ox only becomes a sanctity after touching his altar. Anthropomorphism cannot be deduced in a straight line from phytomorphism and theriomorphism. Vague theriomorphism can coexist with a vague anthropomorphism, and there was probably never a period of pure theriomorphism, certainly there was never such a period in the history of the Hellenic people. Nor is it safe or reasonable to assume for them at least a period of pure ^godless' magic. And when we discover by analysis the^ two elements of magic and religion in the same complex ritual, we should be on our guard against assuming too easily that the former is the prior and aboriginal fact, the latter secondary and superimposed. Both elements, each in its turn,, may be prior and posterior; for theistic religion, in respect of such products as the altar and the idol, can generate a magic of its own. In Hellenic ritual, as in the Amphidromia^ and the rain-rites of Zeus Avxaiog^ we are often Struck with the peaceful coexistence of harmless magic and religion. What is characteristic of Hellenism is its comparative indifference to magic, and its bias towards the Imagination of gods and spirits, which often so transforms old deposits of magic, that the? magical Interpretation becomes at times anachronistic.

1 Themis p. 337.

' L. Deubner Birth in Hastings Enc of religion.

Volksreligion überhaupt und speziell bei den Hebräern

Von Eduard König in Bonn

Der Ausdruck ,,Volksreligion" besitzt in der neueren Religions- wissenschaft mehr als einen Sinn. Denn das eine Mal bezeich- net er den Gegensatz von „Weltreligion"*, meint also eine re- ligiöse Anschauung, deren Anhängerschaft auf eine einzelne Nation eingeschränkt ist. Ein anderes Mal wird „Volksreligion" in dem Sinne aufgefaßt, daß damit die vom Volks ganzen gehegte Gottesanschauung und geübte Gottesverehrung bezeichnet sein soll. So geschieht es einmal bei Wildeboer^, indem er dem natio- nalen Kultus den „Individualismus" entgegensetzt und diesen dabei übrigens nach einer bisher weithin herrschenden Meinung „am Ende des siebenten Jahrhunderts, in der Zeit des Deutero- nomiums, Jeremia und Hesekiel aufkommen'^ läßt.^ Aber diese beiden Arten der Verwendung des Ausdrucks „Volksreligion" und hauptsächlich die zweite sind nicht die, welche jetzt am meisten vorkommen. Gewöhnlich gebraucht man das Wort „Volksreligion" jetzt in dem dritten Sinne, wonach es die religiösen Vorstellungen und Übungen bezeichnen soll, die

^ So z.B. in A. Kuenens Buch Volksreligion und „Weltreligion" (1883) und so auch in den geistvollen Ausführungen über „Mythologie" von Herrn. Usener in diesem Archiv VII (1904) S. 6 If., vgl. S. 8: „Die BegriflFe von Göttern und Heroen haben mit nichten schon in der Zeit der Völker- einheit ihre besondere Prägung empfangen, sondern pflegen Sonderbesitz der einzelnen Volksstämme und Völker zu sein" S. 22,

^ G. Wildeboer Jahvedienst und Volksreligion in Israel (1899) S. 37.

* Aber schon z. B. in dem Satze des Dekalogs: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren" zeigt sich ein Appell an jedes einzelne Glied der Nation. Vgl. die eingehende Diskussion jener neueren Meinung in meiner Geschichte der alUestamentlichen Religion kritisch dargestellt (1912) S. 383 f

3*

36 Eduard König

vom Volksverständnis und Volksinstinkt gebildet und von der Volksseele gehegt werden. Bei der darin liegenden synek- dochischen Verwendung des Ausdruckes „Volk^^ will und darf dieser aber nicht die unteren Schichten oder Stände einer Nation meinen, wie neuerdings öfter gesagt worden ist (meine S. 35 Anm. 3 zitierte Geschichte, S. 21 f.). Vielmehr soll er die Nation ohne Rück- sicht auf die Tiefe oder Höhe der Stände und der äußeren Lebens- stellung von Volksteilen bedeuten. „Volksreligion" in diesem dritten und wichtigsten Sinne will den Gegensatz zur religiösen Anschauung einzelner Geister bilden, die in religiöser Hinsicht über die Hauptmasse der Nation oder das Volk im allgemeinen emporragen.

Über „Volksreligion" in diesem dritten Sinne des Ausdrucks, und zwar hauptsächlich mit Bezug auf die israelitische Nation, zu handeln, dürfte schon aus dem Grunde zeitgemäß sein, daß mit den kürzlich herausgegebenen Urkunden von Elephantine eine sehr interessante Art von Volksreligion in das Licht der Geschichte getreten ist.^

L Existenz von „Volksreligion" in der Menschheit überhaupt.

]. Wann der Begriff und Ausdruck „Volksreligion'' in jenem seinem dritten und wichtigsten Sinn innerhalb der religions- wissenschaftlichen Literatur überhaupt zuerst aufgekommen ist, wird wohl noch nicht festgestellt sein. Indem ich auch selbst früher nicht auf diesen Punkt bei meinen Sammlungen achtete, kann ich nur folgende wenige Angaben darüber vorlegen. Max Müller spricht von dem, was die Menge glaubt^, aber gebraucht dafür nicht das Wort „Volksreligion". Sodann hebt Justi^ hervor, daß „mit

^ Die Texte hat man bequem und gut bei A. Ungnad Aramäische Papyrus aus Elephantine (Leipzig bei Hinrichs, Dez. 1911). Eine kom- mentierte Übersetzung aller auf jüdische Dinge bezüglichen Papyri von Elephantine hat W. Staerk (Jena) in Alte und neue aramäische Papyri 1912 veröffentlicht.

^ F. Max Müller Ursprung und Entwicklung der Beligion mit beson- derer Rüchsicht auf die Beligionen des alten Indiens (1880) S. 8.

' Ferd. Justi Geschichte des alten Persiens {in Onckens Weltgescbichte in Einzeldarstellungen) 1879S.69f

Volksreligion überhaupt und speziell bei den Hebräern 37

der Einführung der zoroastrischenReligion keineswegs der Glaube der Perser und überhaupt der Bewohner der westlichen Länder durchaus zoroastrisch geworden war", und redet mehrmals von der „iranischen Naturreligion^^. Er hat also das im Auge, was man jetzt als „Yolksreligion" zu bezeichnen pflegt, gebraucht aber nicht dieses Wort. Auch noch in der so lichtvollen Darlegung von Edv. Lehmann „Über die Anfänge der Religion" usw.^ ist zwar einmal von „Volksglaube" doch nicht von „Volksreligion" gesprochen, wie dieser Ausdruck auch nicht im Sachregister des zitierten Bandes begegnet.^ Indes auf dem Gebiete der griechi- schen Religionsforschung ist der Begriff „die Volksreligion" min- destens so lange bekannt, als die Schrift von Herm. Gilow „Über das Verhältnis der griechischen Philosophie und der Vorsokra- tiker zur griechischen Volksreligion" erschienen ist, die mir lei- der auf der hiesigen Universitätsbibliothek nicht zur Verfügung stand. Aber in dem Buche, wo ich jene Schrift zuerst zitiert fand^, ist über die Existenz und Schicksale der griechischen Volks- religion weitläufiger gehandelt. Von größter Bedeutung jedoch sind die Darlegungen, die in den Bahnen Herm. Useners weiter- schreitend Albrecht Dieterich in diesem Archiv VIII (1905), S. Iff. verööentlicht hat. Denn seine Abhandlung über „Mutter Erde" war als Anfang einer Reihe von Untersuchungen gemeint, „die zusammen den Titel führen werden: Volks- religion, Versuche über die Grundformen religiösen Denkens". Er hatte bei dem Worte „Volksreligion" auch fast ganz richtig den oben festgestellten dritten Begriff dieses Wortes im Auge, wenn er sagte: „Der, welcher die Grundformen religiösen Denkens erkennen will, muß mit der Untersuchung des Brauches des * Volkes' beginnen, d. h. um es so kurz als möglich zu bezeichnen, der ^Unterschicht' der Nationen, die nicht durch

^ In Die Kultur der Gegemvart I, III, 1 (1906) S. 21. ^ Ebensowenig in dem von Chantepie de la Saussaye Lehrbuch der Beligionsgeschichte 3. Aufl., Bd. II (1905).

' Job. Fritz Aus antiker Weltanschauung (1886) S. 196.

38 Eduard König

eine bestimmte Kultur geistig umgestaltet und bis zu einem stär- keren oder geringeren Grade religiös umgeformt und durcb die Einwirkung gescbicbtlicber Persönlichkeiten über den alten Glau- ben hinausgeführt ist." Nur die Betonung der ,, Unterschicht" der Nationen war dabei nicht richtig, wie oben nachgewiesen ist. Aber völlig wahr ist es, wenn Dieterich dann dieYolksreligion den „all- gemein ethnischen Untergrund" des Religiösen nennt.

2. Von der ,,yolksreligion" ist überall zu sprechen, wo, wie ge- sagt, eine vom gewöhnlichen Weltverständnis geborene Religions- anschauung einer solchen gegenübersteht, die von einem einzel- •nen Geiste oder einer Reihe solcher ausgegangen ist.

Diesen Gegensatz haben wir in Indien nicht gegenüber dem Brahmanismus. Denn auch die Brahmanen, jene „Kreise von Opferern, Poeten,Wundermännern", denen „das Brahma^ als inne- wohnend galt, die mystische Kraft, durch die man fähig war, die Gefahren des Verkehrs mit Göttern und Geistern zu bestehen und wirksamen Zauber aller Art auszuüben"^ auch sie vertraten die Vedareligion. Wenn innerhalb dieser Gesamtgröße einerseits jene ,^den Stempel der Unkultur tragenden Vorstellungen und Gebräuche, wie Seelenglaube usw." und anderseits „Schichten von Vorstellungen, die aus der indoeuropäischen Vorzeit stammen" unterschieden werden können, so haben wir doch nicht den Gegen- satz zwischen „Volksreligion" gegenüber einer höheren, philo- sophisch oder prophetisch vermittelten Religion.

Anders ist es schon bei den Iraniern. Denn da beherrschte die alte Naturreligion der medischen Magier noch weithin die Volksschichten^ als schon die Lehre Zarathushtras von den bei- den großen Prinzipien des Lichts und der Finsternis sowie ihrem Kampfe begründet war und siegreich vom östlichen Iran nach dem Westen, nach Persien zog. Das Avesta „wendet sich häu-

^ Im Sanskrit ist h kein Dehnungsbuchstabe (Stenzler Sanshn'f Grammatik § 51).

* Herrn. Oldenberg Die indische Beligion (in „Die Kultur der Gegen- wart'' I, III, 1 S. 52).

Volksreligion überhaupt und speziell bei den Hebräern 39

fig mit großem Nachdruck gegen die Zauberei als ein ahrima- nisches Übel".^ Zur Volksreligion gehörte auch „Mithra, der uralte Sonnengott" (Oldenberg, S. 83). Er wurde ja schon in der Periode angerufen, als die Vorfahren der Perser noch mit denen der Hindus vereint waren. Die Hymnen der Veden feiern seinen Namen, wie die des Avesta. In beiden „heiligen Büchern des Ostens" erblickt man in ihm eine Lichtgottheit, die zugleich mit dem Himmel angerufen wird : „der ursprüngliche Genius des himmlischen Lichtes, der vor Sonnenaufgang auf den felsigen Gipfeln der Berge erscheint".^ Ja, nach den zu Boghaz-köi in Kappadozien neuerdings gefundenen Keilschrifttexten der Hethi- ter haben auch diese den Mithra, wie den Varüna (Himmel) und den Indra verehrt^, so daß die in neuerer Zeit mehrfach* vertretene Meinung, daß Mithra, Varuna und die fünf Aditjas die von den Babyloniern entlehnten sieben Gestirn gottheiten Sonne, Mond und die fünf Planeten seien, hinfällig geworden ist. Als Element der alten Volksreligion trat neben Mithra ferner die Anahita, „nach dem Avesta die Gottheit der Wasser", dann die Personifikation des empfangenden Naturlebens (Justi, S.94), und diese Göttergestalten traten in der weiteren Entwicklung des Mazdaismus immer stärker neben Ahuramazda, wie im Mazdais- mus auch der Bilderdienst zunahm (nachgewiesen in meiner Ge- schichte, S. 455).

Noch klarer tritt die Macht der Volksreligion in der Geistes- entwicklung der Hellenen zutage. Denn diese Macht war so sieghaft, daß sie auch große literarische Fähigkeiten in ihren Dienst zu nehmen und die Kunst als die liebenswürdige Herol- din ihrer Schönheit vor ihrem Siegeswagen herzusenden wußte. Ja, die Volksreligion gewann bei den Griechen solche poetische Darsteller, wie Homer und Hesiod, als ihre Bildner, so daß Hero- dot (II, 53) mit Recht sagte, diese beiden hätten den Griechen

^ Justi Gesch. des alten Persiens S. 70; meine Geschichte S. 439—455.

* Cumont Die Mysterien des Mithra, 2. Aufl. (1911) S. 3.

' Nach H. Winckler bei F. Bohl Kanaanäer und Hebräer (1911) S.16.

* z. B. von Ed. Meyer Geschichte des Altertums P, § 581.

40 Eduard König

die Theogonie gemacht, den Gottheiten die Benennungen gegeben und denselben ihre Ehren und Künste oder Fertigkeiten zuerteilt sowie ihre Gestalten gedeutet. Groß war aber auch der Tribut der Dankbarkeit, den die von der Volksreligion begeisterte Kunst der Plastik und Malerei zur Quelle ihrer Begeisterung zurück- brachte. Charakterisiert doch 0. Gruppe die zweite große Periode der griechischen Religionsgeschichte mit den Worten: In ihr „wird unter dem Einfluß der Kunst die Religion mit Idealgestalten erfüllt".^ Trotzdem ging dieser Volksreligion doch auch bald ein Teil ihrer Herrschaft über die Geister verloren. Denn schon früh- zeitig zeigt sich vielfach eine Abwendung von der „Sagenreichen, das Herz wenig befriedigenden Volksreligion" hin zu den My- sterien (Fritz a. a. 0., S. 242 ff.). Später aber setzte die geistes- mächtige Bewegung ein, durch welche die Philosophie in ihren hervorragendsten Vertretern sich über den Polytheismus der Volksreligion erhob. „Xenophanes war, soviel wir wissen, der erste, der sich des Gegensatzes seines Gottesbegriffs zu den über- lieferten Göttersagen voll bewußt geworden ist." Ihm sind dann nicht nur Philosophen, wie Plato und viele spätere, gefolgt, son- dern auch bei den Dichtern, z.B. bei Pindar, bei Euripides j,fin- den wir Zweifel gegen die Göttersage damit begründet, daß sie dem sittlichen Gottesideal nicht entspreche". ^ Aber „Volksglaube von der Mutter Erde liegt in einer Leichenrede bei Plato (im Me- nexenos, p. 237a ff.) vor" und „wer vermöchte zu sagen, wieviel von attischer Volksreligion durch Plato wirksam geworden ist für die Religion einer Welt".^

^ Otto Gruppe Griechische Mythologie und Religionsgeschichte (in Iwan Müllers Handbuch V, 2), § 259 unterscheidet in der griechischen Re- ligionsgeschichte drei große Perioden: die erste, die Blütezeit der kreti- schen und euboiisch - boiotischen Kultur umfassend, zeigt einen rohen, dem Fetischismus nahestehenden Dämonenglauben; in der zweiten, die bis zur Diadochenzeit reicht, wird unter dem Einfluß der Kunst die Götter- welt mit Idealgestalten erfüllt; in der dritten geht die erreichte Höhe langsam wieder verloren.

2 So nach Gruppe a. a. 0., § 289; Bd. II S. 1053.

^ Albr. Dieterich in diesem Archiv VIII S. 44 f. 50.

Volksreligion überhaupt und speziell bei den Hebräern 41

Das teilweise Außerachtlassen der religionsgeschichtlichen Größe, die nach dem Obigen in der jetzigen wissenschaftlichen Terminologie „die Volksreligion" genannt wird, ist nicht bloß aus formalem, sondern auch aus sachlichem Gesichtspunkt zu be- dauern. Denn schon die Einheitlichkeit der Ausdrucksweise ist im Betriebe der Forschung wichtig. Aber die gleichmäßige Be- achtung einer bestimmten Größe muß auch folgenden Gewinn bringen. Wenn sie in jedem Gebiete der Religionsgeschichte nach ihren speziellen Merkmalen und Schicksalen erforscht wird, dann kann durch die Zusammenfassung der speziellen Ergebnisse ein vollständiges und gesichertes Charakterbild dieser Größe entstehen.

IL Anstatt es nun zu wagen, auf mir ferner liegenden Ge- bieten der Religionsentwicklung noch weitere Momente zur Her- stellung einer abschließenden Charakteristik „der Volksreligion^^ zu sammeln, will ich einen Beitrag dazu lieber auf meinem eigensten Arbeitsfelde, dem Gebiete der israelitischen Religionsgeschichte, zu geben versuchen, zumal auf diesem die Yolksreligion gewiß die markanteste Rolle spielt und, wie schon angedeutet, neuestens durch das Bekanntwerden der aramäischen Urkunden von der südägyptischen Nilinsel Elephantine sehr in den Vordergrund des religionswissenschaftlichen Interesses getreten ist.

1. Auch in der wissenschaftlichen Behandlung der Religions- geschichte Israels ist der oben im Eingang besprochene dritte Begriff des Ausdrucks „Volksreligion" erst in den letzten Jahr- zehnten aufgetaucht, obgleich von Kultus „des Volkes" schon in 2. Kön. 18, 4 gesprochen wird.^ Denn die „Alttestamentlichen Theologien" von Dehler, Riehm, Ferd. Hitzig, Herm. Schultz kennen diesen Begriff nicht und sprechen überhaupt nicht von Volksre- ligion. Auch noch bei Kautzsch, in dessen Vorlesungen über Biblische Theologie des Alten Testaments, die schon 1904 in England ^ veröffentlicht worden sind, erscheint der Ausdruck

^ Vgl, auch über den blinden und tauben Knecht Jahves (Je8.42, 19; 43, 8. 24b), der nach 41, 8 doch das Volk Israel ist.

' In Hastings' Bible Dictionary, Vol. V, p. 612 734; in Deutschland 1911 erschienen.

42 Eduard König

„Volksreligion" nur als Gegensatz von „Weltreligion" (S. 229, 298). Und doch war Duhm in seiner Theologie der Propheten (1875) dem dritten Sinn von „Volksreligion" hart auf der Spur. Denn er spricht von der „Religion des gemeinen Volkes, für die das Material keineswegs fehlen würde" (S. 3). Er begeht also noch den Fehler, daß er die „Volksreligion" nur in den niederen Schichten der Nation sucht, wie es freilich auch noch neuestens Kittel getan hat.^ Außerdem behauptete Duhm, für die Supramitu- ralisten habe die Volksreligion keine selbständige Bedeutung und deshalb nur ein negatives Interesse (S. 6). Auch dies ist falsch, denn die religiösen Sonderneigungen von Kreisen desVolkes Israel hatten auch für die Gelehrten, welche nicht die evolutionistisch- natürliche Entstehung der wahren Religion Israels annahmen, eine selbständige Bedeutung und wurden auch von ihnen nach ihren Anlässen und Zusammenhängen erforscht. Auch ein Joh. Heinr. Kurtz spricht in seiner Geschichte des Alten Bundes (Bd. II, S.313) sehr gut vom „Hervorbrechen des Naturgrundes" von Israel, wo- nach dieses z. B. zur Idololatrie neigte. Den von Duhm betre- tenen Weg richtiger fortsetzend, haben dann nicht wenige neuere Darsteller der Religionsgeschichte Israels die „Volksreligion" dieser Nation behandelt, wie hauptsächlich Wildeboer in seiner schon genannten Schrift „Jahvedienst und Volksreligion" (1899), ferner auch Stade in seiner Biblischen Theologie des Alten Testa- ments, Bd. 1(1905), Marti in seiner „Geschichte der israelitischen Religion" (1907), hauptsächlich aber wieder jetzt vor kurzem Ed. Meyer in „Der Papyrusfund von Elephantine" (1912), S. 40 bis 52.

2. Was nun war die Volksreligion in der israelitischen Religionsgeschichte? Dies dürfte gewiß die erste wichtige Frage sein, die zu beantworten ist. Welches konkrete Bild von der israelitischen Volksreligion kann also dem Leser vor die Augen gestellt werden? Nun, ein solches läßt sich auf negativem und auf positivem Wege erschauen. Denn negativ ist zu sagen, daß

* Vgl. die Erörterung dieser Frage in meiner Geschichte (1912) S.21f.

Volksreligion überhaupt und speziell bei den Hebräern 43

die Volksreligion bei den Hebräern alle die religiösen Mo- mente umfaßt, gegen die in deren gesamter Literatur protestiert wird. Und wie ist dieses so umgrenzte Bild durch positives Nacliforschen mit einzelnen Gruppen von Gestalten aus- zufüllen? Ich meine, die folgenden gefunden zu haben und am richtigsten in dieser Reihenfolge vorzuführen.

a) Was die Quellen religiöser Erkenntnis anlangt, so schöpfte die Volksreligion hauptsächlich aus derjenigen Art von Divi- natio, die nach Cicero^ auf der Anwendung einer ars, also einer Theorie oder gewisser Regeln beruhte, welche, wie Cicero weiter andeutet^, die Vorfahren durch die Beobachtung eines angeblichen ZusammentrefiPens gewisser Erscheinungen mit den und den Wendungen des zukünftigen Geschichtsverlaufs ge- lernt haben wollten. Diese Art des Gottsuchens kann kurz die Wahrsagerei genannt werden, und von ihr sind im hebräischen Schrifttum viele Arten verboten, wie z.B. die Rhabdomantie mit den Worten „Mein Volk befragt sein Holz (= hölzernes Götzen- bild), und sein Stab soll ihm weissagen" (Hos. 4, 12),^ Weit inter- essanter ist, daß die israelitischeVolksreligion auch die zweite von den beiden bei Cicero unterschiedenen Arten der divinatio pflegte. Diese Art wird kurz am besten als Prophetismus bezeichnet, und dieser tritt als Organ der Volksreligion seit dem neunten Jahr- hundert in das Licht der Geschichte. Denn nicht schon der Aus- länder Bileam kann ein Vertreter der israelitischen Volksreligion genannt werden, wenn er auch nach einer Partie der über ihn gegebenen Berichte die Israeliten zum Götzendienst (4. Mos. 31, 16) verführte. Aber in der Regierungszeit des Königs Ahab vom

^ Cicero JDe divinatione 1,18: Duo gener a divinationum esse dixerunt: "unum, quod particeps esset artis; alterum, quod arte careret.

^ Est enim ars in iis, qui novas res coniectura consequuntur ; veteres ohservatione didicerunt.

' Vgl. Herod. IV, 67 von den Skythen: y,avT6vovTai> QäßdoLöL . . . d'iv- xsg %aftat, diE^sXlööovöi uvrovg xtX. Ausführlicb wird diese Art, mit Hilfe hingeworfener Stäbchen zu wahrsagen, von Tacitus Germania^ cap. 10 beschrieben. Über die andern Arten der im hebräischen Schrifttum verpön- ten Wahrsagerei kann man meine Geschichte S. 36 f. vergleichen.

44 Eduard König

Nordreich Israel (ca. 876 854) zeigt sicli uns das Schauspiel^ daß sich bei dessen Beratung über die Opportunität eines Kriegs- zugs vierhundert Propheten um ihn scharten, die alle ihm einen günstigen Ausgang des Feldzugs in Aussicht stellten (l.Kön. 22, 6). Indes ein Mann wagte es, das Unisono ihrer siegverheißenden Weissagung zu stören. Dies war der Prophet Micha, der Sohn des Jimla, also ein anderer als der, von dem das Buch Micha stammt. Er mußte dem Könige Niederlage und Tod verkünden und ließ sich lieber in den Kerker werfen, als daß er die ihm ge- wordene Gewißheit verleugnet hätte. Diese Prophetenrivalen waren es dann, von denen sich Amos trennte (7, 14), die von Jesaja fünfmal verurteilt und von ihm z. B. als Lehrer von Trug (9, 14) oder als Teilnehmer an üppigen Gelagen (28, 7) und als solche Personen bezeichnet werden, die das Volk „seine Weisen" nannte (29, 14 etc.; alle Stellen gibt meine Geschichte, S. 309 f.).

Die Motive aber, von denen diese Männer geleitet wurden, waren in der Hauptsache folgende drei: teils der Glanz der Hof- gunst und der sanfte Hauch der Popularität sowie auch Streben nach materiellem Gewinn (Mich. 3, 11), teils ein schwächlicher Begriff von Gott, als sei bei ihm nicht die Gerechtigkeit das Grundgesetz der Weltgeschichte, und teils eine Verkennung der kulturgeschichtlichen Aufgabe Israels, als solle dessen Gemein- wesen mit den andern Staaten in bezug auf politische Machtent- wicklung konkurrieren (vgl. weiter in meiner Geschichte, S. 3 10 f.).

Eine Gesamtcharakteristik ihres Wesens umfaßt aber folgende Hauptzüge: a) Sie gäben zwar vor, im Namen Jahves auf- treten zu können (Jr. 23, 25), seien aber nicht von ihm ge- sandt (14, 14 etc.). Ihr innerster Beweggrund sei selbstsüchtige Überhebung, denn sie seien gleichsam überkochende d. h. über- mütige Menschen, die aus eigener Initiative eine religionsgeschicht- liche Mission sich zu geben wagen (Jr. 23, 32a etc.), oder sie seien Leute, die ihrem eigenen Geiste nachfolgen (Hes. 13, 3ha), d. h. sich von ihren persönlichen Meinungen und Bestrebungen leiten lassen, ß) Die Quellen des Inhalts ihrer Reden aber seien

Volksreligion überhaupt und speziell bei den Hebräern 45

so beschaffen : Sie verlassen sich auf eingebildete Visionen, indem ,,sie dem folgen, was sie nicht gesehen haben" (Hes. 13, 3b/3), und sie verlassen sich auf Nachtgesichte oder Träume, indem sie sprechen: „Wir haben geträumt, wir haben geträumt" (Jr. 23, 25). Kurz, sie holten den Inhalt ihrer Reden aus ihrer eigenen Denkwerkstätte, denn „Betrug ihres Herzens" weissagen sie (Jr. 14, 14b), „Schauungen ihres Herzens" d. h. ihre subjektiven Phantasien sprechen sie (23, 16), also „sie sind Propheten aus ihrem Herzen."^ Welche wichtige Charakteristik! Wie be- deutungsvoll ist sie hauptsächlich deshalb, weil sie vor dem Fo- rum der Zeitgenossenschaft entworfen wurde, welche be ide Reihen von Sprechern Jahves kannte!^

b) Daß neben Wahrsagerei und Pseudoprophetentum oder Mantik sich als Element der Yolksreligion in Israel auch Zau- berei oder Magie geltend machte, ist leicht zu denken. Aus ihrem Bereich gilt nur die vielleicht sich als praktisch nützlich erweisende Schlangenbeschwörung für ein neutrales Moment (Jr. 8, 17 etc.), aber im übrigen gehört sie zu den durchaus verpönten Praktiken: schon im alten elohistischen Bundesbuch wird die Beschwörerin mit dem Tode bedroht (2. Mos. 22, 17; vgl. weiter 5. Mos. 18, IIa etc. in meiner Geschichte, S. 38).^

c) Das dritte Gebiet, worin sich die Volksreligion zeigte, war begreiflicherweise die Gottes ans chauung. Wie sie da in Polytheismus, im Kulte fremder Götter je nach dem Wechsel der politischen Berührungen Israels, und in der Idololatrie leben-

^ Prophetae e corde suo (Hes. 13, 2 etc.).

^ Die Bewußtseinsgrundlage der Prophetenreihe aber, von deren Glie- dern diese Charakteristik ausging, ist in meiner Geschichte etc. 111—117 entfaltet worden.

^ Sehr richtig sagt üsener in diesem Archiv YIII S. 20: „Wer Zauberei von Religion trennt, verschließt sich selbst das Verständnis für Religion." „Wenn die Religionsgeschichte den gottesdienstlichen Ordnungen eine hervorragende Bedeutung beimessen muß, so hat sie den größten Nachdruck auf die grundlegende niedrigste Stufe zu legen und wird sich hüten, die Erscheinungen der sogenannten Zauberei bei Seite zu schieben."

46 Eduard König

dig war, ist teils bekannt (vgl. meine Geschiclite, S. 38 41) und wird teils weiter unten zur Sprache kommen, wenn einzelne Stadien aus der geschieh tlichen Entfaltung der Yolksreligion zu charakterisieren sind. Übrigens, daß auch von den sogenannten Volkspropheten im Charakter der Gottheit auf deren Nachsicht und Langmut ein falscher Akzent gelegt wurde, so daß sie „Friede, Friede!" riefen, wo „kein .Friede war" (Jr. 6, 14 etc.) ist schon oben unter a) berührt worden. Wegen dieser ihrer An- schauung läßt Kuenen (a. a. 0., S. 144) die Prophetenrivalen durch „die innige Verschmelzung von Patriotismus und Religion gekennzeichnet^' sein. Aber es gibt keine glühenderen Patrioten, als Jesaja, Jeremia und ihre Reihe (alle Belege in meiner Ge- schichte, S. 319f.).

d) Und wie stellte sich die Volksreligion zum Gesetz? Dies ist schon deshalb eine besondere Frage, weil in der prophetischen Religion Israels die Beziehung zwischen Jahve und seinem Volk die Gestalt eines Bundes angenommen hatte und die bei dessen Abschluß aufgestellten Bundesbedingungen ihrem ersten Teile nach Forderungen waren. Wie also stellten sich dazu die An- hänger der Volksreligion? Nun sie opponierten nicht einfach dem ganzen Moralgesetz. Aber sie neigten begreiflicherweise z. B. den Handlungen zu, welche der Sinnlichkeit schmeichelten, wie wir es bei dem Benehmen des Prinzen Amnon gegenüber seiner Schwester Thamar beobachten. Da vergaß er den stolzen Satz, den wir als den klassischen Ausdruck des sittlichen Bewußtseins des besseren Teiles von Israel bei dieser Gelegenheit vernehmen: „So tut man nicht in Israel" (2. Sam. 13, 12). Aus demselben Motiv bevorzugten die Anhänger der Volksreligion auf dem Ge- biete des Kultusgesetzes vielfach die Hierodulie, die im Gegen- satz zum Hammurapigesetz 178 ff.)^ mit energischem Protest in 5. Mos. 23, 18 etc. zurückgewiesen wurde. Ja, sie griffen so-

^ Vgl. auch bei Herod. I, 199: „Dies (die Forderung der einmaHgen Hingabe jedes Mädchens im Dienste der MyHtta) ist das schändlichste Ge- setz der Babylonier."

Volksreligion überhaupt und speziell bei den Hebräern 47

gar in die Theorie der Gesetzgebung eia. Dies ist zwar eine dunklere Frage, aber liegt eine Antwort darauf nicht docb in der berühmten Stelle Jr. 8, 8? Wenn es dort heißt: „Zur Lüge (d. h. zu einem unechten Produkte) hat es (das Gesetz) gemacht mancher Lügengriffel von Schriftstellern", so ist an solche Ge- setzesformulierungen zu denken, die aus dem priesterlich -prophe- tischen Kreise von Anhängern der Volksreligion hervorgegangen sind. Von ihnen ließen manche die moralische Grundnorm Jah- ves durch Satzungen überwuchern, welche die Grundnorm ihres sittigenden Einflusses auf die Volksseele berauben mußten.

e) Volksreligion und Zukunfts er Wartung. Es ist be- greiflich, daß die Freunde der Volksreligion von ihrem Gotte für die Zukunft eine Realisierung ihrer natürlichen höchsten Ideale, der nationalen Unabhängigkeit und der politischen Machtstel- lung gegenüber den Nachbarvölkern, aber kein Strafgericht für sich selbst erwarteten. Deshalb blickten diese Teile des Volkes mit Ruhe, ja mit Verlangen auf „den Tag Jahves'^ hin, jenen Zeitpunkt, wo die Gottheit das in ihrem speziellen Volke ange- fangene Werk glänzend hinausführen werde (Am. 5, 18 a). Dem- entsprechend malten die „Volkspropheten" den Horizont der Zu- kunft gern mit rosigen Farben des Glückes, indem sie riefen: „Ihr werdet nicht sehen ein Schwert" (Mich. 3, 5 etc.). Ein selbst- verständliches Korrelat von jener nationalen Richtung der volks- tümlichen Zukunftsschau war die partikularistische Enge ihres Gesichtsfeldes. Diese tritt aber eklatant in den Büchern Jona und Esther zutage. In jener Lehrdarstellung ^ ist die partikula- ristische Ausschließung Assyriens vom Heilsplane der Gottheit als eine Meinung von Volkspropheten veranschaulicht, gegen die vom Verfasser opponiert wird. Aber in dem Geschichtsbuche Esther wird die partikularistisch-nationale Gesinnung vom Erzähler selbst vertreten. Welch ein Abstand der Judenschaft des Esther- buches von dem Israel, das als Knecht, d.h. Organ der Gottheit der Lichtquell der Nationen sein soll (Jes. 42, 6)!

^ Ygl. meine Einleitung in das Alte Testament, § 77.

48 Eduard König

3. Hält man diese Umrisse eines Bildes vom Wesensbestand der Volksreligion in Israel im Auge, so taucht natürlicherweise zunächst die Frage nach den Quellpunkten dieser religiösen Richtung auf. Dies bedarf aber keiner langen Erörterung. Denn zu einem Teile war sie selbstverständlicherweise aus demVölkerzusammen- hang Israels ererbt, zu einem anderen Teile infolge der wechselnden Berührung mit neuen Nachbarn oder fremden Bedrückern an- geeignet, zu einem dritten Teile aber erzeugte sie sich immer von neuem in Israel selbst aus beschränktem Weltverständnis (Wahr- sagerei, Zauberei, Vielgötterei), aus Vorliebe zur konkreten Greif- barkeit (Bilderdienst) oder aus Hingabe an Schlaffheit und Sinn- lichkeit (siehe oben 2, d) und an Egoismus (siehe oben 2, e). Zu diesen allgemeinen Ausgangspunkten der Volksreligion trat in Israel auch noch mancher spezielle hinzu. Oder wurde nicht mancher Volksprophet von Ehrgeiz getrieben? War es nicht politisches Interesse für den Bestand seines Königreichs, was nach der Reichsspaltung den ersten König des Nordreichs Israel be- wog, zwei Stierfiguren nahe an der Südgrenze und nahe an der Nordgrenze seines Königreichs als Symbole Jahves aufzustellen? Wurde ferner nicht Ahab durch einen recht individuellen Anlaß, nämlich die phönizische Herkunft seiner Gemahlin Jzebel, dazu angeleitet, den Kult des phönizischen Ba^al wieder von neuem zu begünstigen?

4. Damit ist der Blick aber auch schon auf die Stadien der Geschichte der Volksreligion in Israel gelenkt. Die hauptsäch- lichste Frage, die sich in bezug darauf erhebt^ ist aber die, ob die neuerdings herrschende Meinung gültig ist, daß die Volksre- ligion erst nach der Einwanderung Israels in Kanaan entstanden ist.^ Dem stelle ich die These gegenüber, daß die Volksreligion immer in Israel neben der prophetischen Religion bestanden hat.

a) Spuren ihres Lebens fehlen zunächst schon nicht neben der Patriarchenreligion, die als erstes Stadium der wahren Religion Israels wieder in meiner Geschichte, S. 119 141 erwiesen

* So Marti a. a. 0., § 21; Bohl Kanaanäer und Hebräer (1911) S. 105.

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worden sein dürfte. Allerdings ja läßt sich über Volksreligion in der Patriarchenzeit nicht das begründen, was Hommel be- hauptet^ daß Mondkult die noch in die Patriarchenzeit hineinragende Religion der Hebräer gewesen sei. Darauf wiesen, wie er sagt, die ältesten Personennamen. Einen Beweis aus den Namen zu geben, versucht er aber nicht. Er beruft sich dann noch darauf, daß Abraham aus Ur in Chaldäa stamme und von dort nach einem andern Mondheiligtum, nach Charran (im west- lichen Mesopotamien) gezogen sei. Indes hat Hommel nicht be- rücksichtigt, daß Abraham nur im Gefolge seines Vaters Tharah nach Charran gewandert ist (1. Mos. 11, 31), also nicht aus eige- nem religiösem Interesse für den Mondkult diese Wanderung unternahm. Im Gegenteil ist er aber gerade der Religion wegen dann von Charran und seinen Verwandten weggezogen (12, 1; Jos. 24, 2). Mondkult der israelitischen Volksmasse soll sich nach Hommel ferner in der Verehrung des goldenen Jungstieres (oder „Kalbes^') zeigen. Nämlich der Stier hänge mit den süd- arabischen Stierköpfen zusammen, die wegen der Ähnlichkeit der Hörner mit den' Sichelspitzen des Neumondes als Symbol des Mondes gelten.^ Aber auch nicht einmal das, was da über die Volksreligion der ältesten Zeit Israels gesagt ist, läßt sich billigen. Denn der goldene Stier sollte ein Sinnbild des von Mose verkündeten Gottes sein, wie in 2. Mos. 32, 4 f. ausdrück- lich gesagt ist. Jenes Stierbildnis war am wahrscheinlichsten, eine Nachahmung des weißen Stieres Mnevis.^ Jedenfalls tritt uns da, wo wirklich Götzendienst des durch die Wüste ziehen- den Israel erwähnt wird (3. Mos. 17, 7), kein Mondkult oder Stierkult, sondern Opferdarbringung für bocksgestaltige Unholde entgegen, also für Dämonengestalten, mit denen die Volksphan- tasie die Wüsteneien zu bevölkern pflegt. In derPatriarchen-

^ F. Hommel Grundriß der Geschichte und Geographie des alten Orients (in Iwan Müllers Handbuch 1904) S. 90.

* S. Landersdorfer Die Bibel und die südarabische Altertumsforschung (1910) S. 64.

^ Vgl. die Diskussion der Frage in meiner Geschichte S. 40.

Archiv f. Keligionswissenschaft XVII 4

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zeit will ferner J.Boehmer ^ einen „Glücksgott" Jamin erwähnt finden. Aber Bin-jamin (l.Mos. 35, 18) bedeutete ganz natür- licherweise „Angehöriger der rechten, d. h. glückverheißenden Seite", d. h. Glückskind.^ Was wirklich von den Quellen an Volksreligion der Patriarchenzeit zugeschrieben wird, ist dies. Sie sprechen von Penaten (hebräisch : Teraphim) ^, die von An- gehörigen der Familie Jakobs aus Mesopotamien mit fortgenom- men worden waren. Diese, sowie die als Amulette dienenden Ohrringe vergrub aber Jakob bei der Heimkehr nach Palästina (1. Mos. 35, 1 4 aus dem Elohisten, also aus alter Quelle).

b) Auch nicht erst seit Mose (Wildeboer, S. 23) beobachten wir eine beschränkte Herrschaft der Yolksreligion über die Geister Israels. Von Abneigung des in Ägypten weilenden Israel gegenüber der mit Abraham beginnenden höheren Richtung von Religion wird ja ausdrücklich mehrmals in den Quellen gespro- chen (Jos. 24, 14. 23). Von da aber kann die Linie der Volksreligion leider durch alle nächsten Perioden der Geistesgeschichte Israels verfolgt werden, wie in meinem zitierten Buche ausführlich und mit Erwähnung der einzelnen Nuancen und Grade von Volks- religion gezeigt worden ist. Ein neues, dort noch nicht geschrie- benes Kapitel dieser Entwicklung der israelitischen Volksreligion ist aber seit dem Herbste des Jahres 1911 in den Urkunden von Elephantine enthüllt worden.

Die dortige israelitische Gemeinde, die nach meiner Ansicht wesentlich von Hilfstruppen herstammte, die von Judäa dem Pharao Psammetich II. (594 589) für dessen Kriegszug gegen die Äthiopier geschickt wurden*, hat die von deutschen Forschern unternommenen Ausgrabungsarbeiten mit der Auffindung von Texten belohnt, die von 494 bis zum 5. Jahre des Amyrtäus

1 In diesem Archiv (1909) S. 318.

' Vgl. Odyssee 16, 159: „Da flog rechtsher ihm ein Adler", und dieser war nach V. 173 glückverheißend. Ebenso ist es nach V. 524 und 20, 242.

' Vgl. darüber mein Hebräisch-aramäisches Wörterbuch (1910) S. 558.

* Herod. II, 161; Aristeas- Brief, § 13.

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datiert sind, der 404 durch eine Rebellion Ägypten vom per- sischen Joche befreite. Diese Texte geben reichlichen Aufschluß über die militärische Organisation, den Handel, die Rechts- geschäfte, die Stellung der Frau, aber hauptsächlich den Kultus der Gemeinde von Elephantine. Diese verehrte allerdings in erster Linie Jahve, oder vielmehr, wie sie mit einer volkstüm- lich verkürzten Form sprach Jähu (nicht: Jaho). Dies zeigt sich an ihren Eigennamen, die zum vierten Teil mit dieser Gottes- benennung zusammengesetzt sind. Aber daneben werden Kultus- objekte dieser Gemeinde noch mit folgenden Bezeichnungen er- wähnt: die ^Anäth-Jahu, der 'Aschim-Bethel, die 'Anäth-Bethel, der Oberem - Bethel.

Also erstens hat diese Gemeinde von der Monolatrie und dem daraus seit dem siebenten Jahrhundert entstehenden Mono- theismus sich zum Polytheismus gewendet, wie auch wirk- lich die Redensart „Die Götter insgesamt mögen dich grüßen!" von Gliedern dieser Gemeinde angewendet wurde. Zweitens hat man mit Jähu, dem ewigen Gotte der prophetischen Reli- gion Israels, dort in^^Anäth-Jähu die kanaanitische Göttin als seine Genossin zusammengestellt. Man hat also sich nicht vor sexueller Differenzierung in der Sphäre des Göttlichen ge- scheut, während dieselbe der prophetischen Religion Israels so fern lag, daß die hebräische Sprache nicht einmal ein Wort für „Göttin" besitzt. Die weitere Bereicherung des Pantheons die- ser israelitischen Gemeinde ist weniger wichtig, aber es sei dar- über doch kurz dieses hinzugefügt: der Ausdruck Bethel, der in jenen zusammengesetzten Gottesbezeichnungen auftritt, scheint mir auf einer metonymischen Setzung von „Gotteshaus" statt des Rauminhaltes oder Raumbewohners, d. h. Gott, zu beruhen, wie man später auch „Himmel" für Gott sagte (vgl. meine Ge- schichte, S. 88).^ Nicht aber wird Bethel in jenen Zusammen- setzungen den fetischistischen Sinn von „Gottesstein" (Ed. Meyer,

^ Ebenso urteilt Strack in seiner Besprechung von Sachaus Ausgabe der Papyri von Elephantine (in der ZDMG 1911 S. 827).

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S. 62) besitzen, denn diese Meinung ist bei Israeliten im sechsten Jahrhundert nicht vorauszusetzen. Sodann ^Aschim ist nach meiner Ansicht die männliche Form der 'Aschima, die in 2. Kön. 17, 30 als Göttin eines von Hamäth (am Orontes im nördlichen Syrien) herbeigeführten Zuges von Kolonisten im mittleren Pa- lästina genannt wird. Der Ausdruck schim (hebräisch: scJiem) „Name" ist nicht in jener Gottesbezeichnung zu suchen.^ Denn das Vorkommen einer Form dieses Wortes schim mit Aleph prostheticum wird von Grimme sonst nicht belegt und ist auch mir im Aramäischen oder Hebräischen nicht bekannt. Endlich Cherem bezeichnet in jenen Gottesbezeichnungen den „Bann" und daher metonymisch dessen Urheber, so daß da- durch die Furchtbarkeit des betreffenden Gotteswesens aus- geprägt wird.^

Dieses sehr auffallende Bild von israelitischer Volksreligion, das in der Gemeinde zu Elephantine aufgetaucht ist, erklärt sich übrigens am leichtesten, wenn man annimmt, daß die vom ju- däischen Staate zwischen 594 und 589 gesendeten Hilfstruppen doch nicht in Juda selbst, sondern im mittleren Palästina, wo die aus Syrien und andern Ländern angesiedelten Kolonisten wohn-

^ Gegen Hub. Grimme Die jüdische Kolonie von Elephantine in neuer Beleuchtung (in der Monatsschrift Theologie und Kirche 1911) S. 795.

' Dies ist das Ergebnis aller neuesten Untersuchungen über das Pan- theon der jüdischen Gemeinde von Elephantine. Eine Weiterführung dieser Untersuchungen kann man ja zunächst in Staerks kommentierter Über- setzung des hierher gehörigen Teiles der Papyri von Elephantine (s. o.S.36, Anm. 1) S. 12 f. finden. Aber die da von ihm geäußerte Behauptung, daß die neben Jahu erwähnten Bezeichnungen 'Aschim-Bethel etc. nur als „Teil-Offenbarungen des Himmelsgottes Jahu" verstanden seien^ besitzt einerseits keinen sicheren Grund darin, daß nach der Überschrift der Tempelsteuerliste „das Geld für den Gott Jahu" gegeben wurde, denn damit kann die Hauptgoltheit gemeint sein. Andererseits gibt auch jener Begriff „Teil- Offenbarungen" an sich keinen klaren Sinn, und die oben angeführte Formel „die Götter insgesamt" etc., worin das 'eUhajjd nicht mit Epstein (ZATVV 1912, 139 ff'.) als Singular verstanden werden kann, wie auch Smend in der Theol. Lit.-Ztg. 1912, 387 f. mit Recht urteilt, spricht ausdrücklich dagegen.

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ten, angeworben waren, und wenn man bedenkt, daß die israe- litische Gemeinde von Elephantine lange Zeit weit weg vom Zentrum der Jahveverehrung und der sie kontrollierenden Priester- scliaft bestanden hat.

c) Die letzte Hauptfrage in bezug auf den geschichtlichen Bestand der israelitischen Volksreligion ist die Frage, ob sie nicht in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrech- nung erstorben war.

Gewiß nun tritt zur Zeit Esras ein großer Unterschied im Verhältnis Israels zur Volksreligion hervor: früher oft eine so weite Kluft zwischen der Nation und der prophetischen Religion, daß nur noch „sieben Tausend" ihre Knie nicht dem Ba'al ge- beugt hatten (1. Kön. 19, 18), aber zu Esras Zeit Identität zwi- schen dem Volke und der zu Recht bestehenden Religion! Doch auch in diesen späteren Zeiten der Geschichte Israels ist diese Harmonie zwischen legitimer Religion und jüdischer Nation keine völlig ungestörte geblieben. Auch in diesen Zeiten fristete die Neigung zu Mantik und Magie ihr Dasein in den Winkeln der Volksseele. Auch da drohte ferner die Gefahr, das Prinzip des Monotheismus durch die Annahme von sogenannten Mittel- wesen, wie z. B. Memrä (das Wort) oder dem Logos, zu ver- letzen, die echte Moralität durch Pedanterie, Vergröberung, ütilitarismus etc. zu entseelen und das religiös -sittliche Ziel der wahren Zukunftshoffnung über politisch - materiellen Inter- essen aus den Augen zu verlieren (meine Geschichte, S. 4 76 ff.). Eine von den tiefliegenden und fast unausrottbar scheinenden Wurzeln der Volksreligion zeigt sich auch darin, wenn in die- ; sen letzten Jahrhunderten aus partikularistisch- nationaler Eigen- 1 liebe die Meinung emporwuchs, daß die Welt von Zion aus ge- schaffen worden sei, wie es im babylonischen Talmud, Traktat Joma 54^, gesagt ist.

5. Endlich bleibt nur noch die letzte, aber auch wich- tigste Frage betreffs der israelitischen Volksreligion zu beant- worten: das Problem der richtigen Würdigung dieser Volks-

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religion. Denn damit zugleicli wird die Hauptseite an der mo- dernen Beurteilung dieser Volksreligion und der Yolksreligion überhaupt ihre abschließende Betrachtung finden.

a) Nach der obigen Darlegung kann es sich zwar nicht um die Frage handeln, welche von beiden Anschauungsweisen, die Volksreligion und die prophetische Religion, die frühere Er- scheinung bei den Hebräern gewesen ist. IJnfraglich war die Volksreligion das zeitliche Prius, aber welches war ihr Kausali- tätsverhältnis zur prophetischen Religion in Israel? Nun, die Volksreligion war nicht der Mutterboden der höheren Re- ligion Israels. Betrachten wir dies im einzelnen!

Die Volksreligion war zunächst deshalb nicht der Ausgangs- punkt für die prophetische Religion, weil ein Gegensatz zwi- schen beiden bestand. Dieser Gegensatz war allerdings im achten Jahrhunderfc nicht so tief, daß „die Propheten dieses Jahrhun- derts sich im Grunde geweigert hätten, den Gottesdienst ihrer Zeitgenossen als Jahveverehrung anzuerkennen '^^ Daß die Volks- religion kein Jahvekult mehr gewesen sei, dies war, abgesehen von der ausdrücklichen Verehrung der kanaanitischen Götter Ba*al und Astarte usw., nur wahrscheinlich bei Manasse und Zeitgenossen von ihm der Fall. Denn der Umstand, daß er seinem Sohne Josia einen Jahve - haltigen Namen gab^, ist erstens an sich von unsicherem Gewicht, weil Namen doch wohl auch aus Gewohnheit verwendet wurden, und zweitens kann dieser beiläufig erwähnte Umstand nicht die Tatsache aufwiegen, daß als Gegenstand seiner religiösen Verehrung ausdrücklich das ganze Heer des Himmels, aber nicht Jahve erwähnt ist (etc. in meiner Geschichte, S. 354). Aber wenn auch der Gegensatz zwischen Volksreligion und prophetischer Religion in Israel nicht immer so tief war, daß sie verschiedene Kultusobjekte besaßen, so bestand dieser Gegensatz doch stets. Er prägt sich in den

^ Wildeboer Jahvedienst und Volksreligion in Israel S. 9, und auch er hält dann diese Ansicht nicht fest.

* Worauf Ed. Meyer a.a.O. S. 60 die gegenteilige Ansicht stutzen will.

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Quellen nach allen ihren Schichten und Zeitaltem aus.^ Aber bei diesem Gegensatze war die Volksreligion nicht insofern der negative Ausgangspunkt der prophetischen Religion, als ,,die großen Propheten Feinde der Kultur" (Wildeboer, S. 31) gewesen wären. Diese neuerdings oftmals vorgetragene Behaup- tung vom „Beduinenideal" als dem Vater der prophetischen Religion Israels besitzt in den Quellen keinen positiven An- halt^, und negativ wird diese Behauptung schon z. B. dadurch widerlegt, daß kein Prophet die wirklichen Beduinenprinzipien der Rechabiter, weder Häuser zu bauen noch Acker zu bestellen oder Weinberge anzulegen (Jr. 35, 7), vertreten hat. Also zwar Gegensatz bestand zwischen Volksreligion und Prophetismus in Israel, aberkein Kausalzusammenhang, und ganz richtig war, was sehr bemerkenswerterweise auch ein Mann wie Kuenen ge- sagt hat: Die Religion der Propheten kann „keineswegs natio- nal heißen: sie ist viel mehr als das, nicht aus Israel, sondern aus Gott".3

Aber vielleicht war die Volksreligion, wenn auch nicht der absolute Ausgangspunkt für die prophetische Religion, so doch ein relativer Quellpunkt. Auch dieser Frage seien einige Worte gewidmet, da sie, wie man sehen wird, keineswegs eines großen und allgemeineren Interesses entbehrt.

Relativ aber wäre die höhere religiöse Anschauungsweise Israels von der Volksreligion ausgegangen, wenn man mit Recht sagen dürfte: „Der Jahvismus hat der Volksreligion auch aller- lei entlehnt" (Wildeboer, S. 33). Aber das Opfern, das an der zitierten Stelle als solches entlehntes Gut zuerst aufgeführt wird, könnte nur mit einem Schein des Rechts als ein Moment

* Auch nach Kuenen a. a. 0. S. 73 wurde die Volksreligion schon von den Propheten „hier und da streng gemißbilligt", und von Wildeboer a. a. 0. S. 22 wird richtig auch schon Mose in Gegensatz zur Volksreligion gebracht; vgl. die historische Untersuchung in meiner Geschichte S. 154 ff.

^ Eine vollständige Diskussion dieses Punktes gibt meine Geschichte S. 104 f.

' A. Kuenen Volksreligion und Weltreligion S. 92.

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der „Yolksreligion'' bezeichnet werden. Das Opfer war der un- willkürliche Ausdruck des von Dankbarkeit oder Versöhnungs- bedürfnis bewegten Menschenherzens ^, und dieses Element der allgemein menschlichen Religiosität wurde von der biblischen Religion weiter verwendet. Ebenso steht es mit dem Gebet^ diesem spontanen Mittel des Verkehrs zwischen Menschenseele und göttlicher Sphäre, mit dem Altar usw. (meine Geschichte, S.92). Auch wenn die Naturfeste zum Dank für den Beginn und das Ende der Ernte von der legitimen Religion Israels immerdar (erwiesen in meiner Geschichte, S. 244) gefeiert wurden, so kann darin nicht mit Wildeboer, S. 35, eine Anleihe aus der „Volks- religion" gesehen werden. Oder ist die Volksreligion so zum relativen Quellpunkt der prophetischen Religion geworden, daE diese später im Exil ein Kompromiß mit jener geschlossen hat? Man hat nämlich gesagt, die prophetische Religion habe damals gesiegt, aber sie sei „nicht unversehrt aus dem Ring- kampfe hervorgegangen, sie habe etwas von ihrem Idealismus eingebüßt und ihre geistigen Gedanken in eine sinnliche Form einkleiden müssen".^ Aber dies ist doch nur eine äußerliche Auffassung des geschichtlichen Weiters chreitens, welches aller- dings bei der Vergleichung einer Geisterreihe wie Jeremia, Hesekiel, Deuterojesaja bis Maleachi, vorliegt. In jenem Urteil wird die Rücksichtnahme auf die religions- und sittengeschicht- lich notwendig gewordene Fixierung und Detaillierung des Pflichtenkreises der Jahvebekenner vermißt.^ Übrigens ist auch nicht begründet, daß die prophetische Religion bei jenem Kom- promiß insofern minderwertig geworden sei, als sie den Patrio- tismus geschwächt habe (Kuenen, S. 170). Man meint nämlich sagen zu dürfen, daß erst in dieser späteren Zeit jemand „ein von Herzen religiöser Mensch und doch ein schlechter Patriot"

* Eine Kritik aller neueren Theorien über Ursprung und Begriff des Opfers gibt meine Geschichte S. 138 f.

* Kuenen Volksreligion etc. S. 165; ähnlich auch Wildeboer S. 32.. ' Eingehend erörtert in meiner Geschichte S. 389 398.

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habe sein kÖDnen. Doch war dies auch im alten Israel mög- lich. Oder wurde etwa dem Stamme Rüben die Zugehörigkeit zur Jahvegemeinde bestritten, indem ihm Saumseligkeit in Er- füllung nationaler Pflichten vorgeworfen wurde? So geschieht es aber in dem anerkannt alten Deboraliede (Rieht. 5, 14 f.).

b) Neuestens aber ist es geschehen, daß die Volksreligion Israels nicht bloß als Ausgangspunkt aller Religion Israels, sondern noch höher eingeschätzt worden isi^ Man kennt da keine Patriarchenreligion als erstes Stadium der besonderen Religion Israels und auch keine mosaisch -altprophetische Religion, son- dern nennt „Volksreligion" die vom „Priester" Mose durch Priester abgeleitete Religion (S. 41). Da wird „die Volksreligion" als die einzige Religion des älteren Israel angesehen. Aber wenn diese Aufstellung auch ganz ruhig beurteilt werden soll, so ist doch das Mindeste, was gesagt werden muß, dies: sie bildet einen kompletten Widerspruch zum geschichtlichen Be- wußtsein Israels. Abgesehen von der Religion Abrahams als der Anfangsstufe der nicht aus dem Volksgeiste Israels stam- menden Religion dieser Nation, gilt dem einheitlichen Bewußt- sein Israels Mose als „Prophet" und er hat die altprophetische Religion Israels gestiftet (1. Mos. 20, 7; Hos. 12, 14; Jr. 7, 25 etc.). Auch der jahvistische Pentateucherzähler, der in dem zi- tierten Buche (S. 41) als Darsteller der „Volksreligion" Altisraels bezeichnet wird, wollte dies keineswegs sein. Denn auch für diesen Erzähler beruhte die mosaische Religion auf einer pro- phetischen Erfahrung Moses (2. Mos. 3, 2 f. 7 f.). Übrigens spricht Ed. Meyer a. a. 0., S. 49, unrichtig dem Jahvisten die Vorstellung von Jahve als dem Schöpfer der Welt und dem Lenker der Menschheitsgeschichte, der im Himmel wohnt, ab (vgl. 1. Mos. 2, 4b ff.; 6, 5 8; 11, 1—9; 24, 3 etc.).* Wie von dieser alt-

^ Bei Ed. Meyer Der Papyrusfund von JElephantine (1912) S. 40 ff.

' Richtig urteilt darüber z. B. auch Wildeboer S. 12. Übrigens auch Kuenen erkennt ausdrücklich an, daß „auch schon im alten Israel" „(dem Bilderdienst etc.) etwas anderes und Höheres gegenüberstand" (S.76).

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prophetischen Religion Israels der Volksglaube abwich, ist oben in Nr. 4, a, b) durch Angaben der Geschichtsbücher belegt. Die Nichtunterscheidung dieser in den Quellen auseinander gehalte- nen Linien der religiösen Entwicklung Israels ist ein Grundfehler vieler neueren Arbeiten über die Religion dieses Volkes.

Der angeblich einheitlichen Religion oder „Volksreligion'' des älteren Israel gegenüber läßt man in dem angeführten Werke ^ „neue sittliche, kultische und religiöse Forderungen von den Propheten seit dem neunten Jahrhundert aufgestellt und ver- fochten werden". Daran läßt man dann eine „Reformpartei" sich anschließen und stellt auch das Eintreten des Königs Josia (im Jahre 621) zugunsten der Alleinverehrung Jahves als eine „Neuerung" hin (S. 52). Dies ist aber eine extreme Geltend- machung eines Standpunktes, der in der Beurteilung der Re- ligionsgeschichte Israels neuerdings öfters geltend gemacht worden ist, indem man den Propheten des achten Jahrhunderts eine neuschöpferische Stellung zuschrieb. Aber nach ihrem eige- nen Zeugnis wollten diese Männer in erster Linie zu einer alten Position zurückführen. Sie forderten vor allem zur Er- neuerung der Treue gegen die in der Jugendzeit des Volkes (Hos. 11, l etc.) begründete Religion Israels auf Sie wollten im Grunde Reformatoren sein, aber keine „Reformer". Allerdings hatten sie auch in bezug auf das Gesetz und die Zukunftsper- spektive eine ergänzende und vergeistigende Tätigkeit zu ent- falten (dargestellt in meiner Geschichte, S. 306 349). Aber darin lag nur ein sekundäres Moment ihrer religionsgeschicht- lichen Aufgabe, und nicht deren wesentlicher Teil. Bezeichnet man sie demnach als „Reformpartei" (Ed. Meyer, S. 48 und 50), so trifft dieser Ausdruck nicht die Erscheinung, welche in der Geschichte vorliegt. Den Kampf gegen den Polytheismus, der im siebenten Jahrhundert unter Manasse wieder offiziell be- günstigt wurde, aber eine „Neuerung" zu nennen, ist ein ge- schichtswidriges Verfahren, denn wenn ein Prinzip in der alt-

* Ed. Meyer Der Papyrusfund etc. S. 48.

I

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prophetischen Religion Israels herrschte, so war es der Grund- satz der Monolatrie Jahves. Dies klingt mächtig schon z. B. aus dem anerkannt alten poetischen Stück, welches Deboralied heißt (Rieht. 5), heraus. Denn schon da wird nur Jahve „der ewige und getreue Gott" verherrlicht, und darnach (V. 11) pflegte man schon in den Zeiten dieses Liedes „zwischen den Tränk- rinnen", also bei der täglichen Beschäftigung eines Hirten- und und Bauernvolkes, „zu singen von den Gerechtigkeitserweisungen Jahves".

Aber die „Yolksreligion" des älteren Israel wird bei dem zitierten neuesten Darsteller der israelitischen Religionsgeschichte nicht nur für die einzige gehalten, sondern sie wird von ihm auch sehr hoch gewertet. Dies klingt aus vielen einzelnen Äußerungen des zitierten Buches heraus: z. B. bei der Erzäh- lung von König Josias Kampf gegen Manasses religiöse Maß- nahmen wird hervorgehoben, daß Josia „als Knabe auf den Thron kam" (S. 50), als wenn dieser Umstand es erklärlich machen solle, daß König Josia in seinem 18. Regierungsjahre sich den Bestrebungeji der „Reformpartei" anschloß. Ferner wird die vollere Entfaltung der Einzigkeit Jahves bei jenem Dar- steller darauf zurückgeführt, daß „mit dem Satze von Jahves Eifersucht, der keinen andern Gott in seinem Bereich duldete, voller Ernst gemacht wurde" (S. 51). Das ist aber kein Produkt historischer Forschung. Wenn das Zeugnis von Israels Ge- samtliteratur über einen Punkt nicht mehr geachtet werden soll, dann hört die Geschichtsschreibung auf. Über kein Moment aus der Kulturgeschichte Israels sind aber alle Schichten und Zeit- alter der althebräischen Literatur so einig wie über dieses, daß mit Abraham und Mose eine spezielle, von der ererbten Volks- religion unterschiedene Linie der religiösen Entfaltung be- gonnen hat, und daß ein Hauptpunkt in dieser Linie das Prin- zip von der Alleinverehrung des „Ewigen" gewesen ist. Dieses Prinzip aus der „Eifersucht" oder Unduldsamkeit Jahves her- leiten, wie es in dem zitierten Buche mehrmals geschieht

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(S 41 und 51), ist ebenfalls ein unhistorisches Verfahren. Denn in den Quellen ist das Eifern des Ewigen nur als sein ener- gisches Schützen der Gerechtigkeit gegenüber dem Frevel (2. Mos. 20, 5 etc.) und als seine unentwegte Treue in bezug auf die Hin- ausführung des von ihm in Israel angefangenen Werkes (Jes. 9, 6 b etc.) erwähnt. Der Grundsatz der Alleinverehrung Jahves ist in den Quellen aber aus dem Eingreifen der göttlichen Macht in die Geschichte Israels hergeleitet, durch das er ein von sei- nen Drängern geängstigtes Volk aus Not und Tod errettet hat. Daraus quoll im Triumphgesange Israels die Frage: „Wer ist dir gleich, o Jahve, unter den Göttern?'^ (2. Mos. 15,11), und dar- aus ist im Eingange des Dekalogs das Grundgebot der Mono- latrie des ewigen und getreuen Gottes geschöpft (20, 2f.).

Die Taxation der „Volksreligion" Israels, wie sie in dem zi- tierten Buche zum Ausdruck gekommen ist, steht aber nicht nur auch noch mit weiteren Momenten des geschichtlichen Gesamt- bewußtseins Israels im Widerspruch, sondern hat auch die kul- turgeschichtliche Analogie gegen sich.

Denn nach dem historischen Bewußtsein Israels, wie es sich in seiner gesamten Literatur ausprägt und wie es darnach dem Bewußtsein der von ihm anerkannten führenden Geister entsprach, war der Gottesglaube, den dieses Volk bei der Errettung aus der ägyptischen Knechtschaft neu und voll gewonnen hatte, auch der Glaube, der seine nationale Existenz in Kanaan rettete, und es läßt sich auch aus allgemeineren Gesichtspunkten begreifen, daß Israel ohne diese spezielle Religion im Strome der vorder- asiatischen Kulturentwicklung ebenso wie andere Völkerschaften (Edomiter, Moabiter usw.) untergetaucht wäre. Nach dem ge- schichtlichen Tatbestand hat Israel überhaupt seine Sonder- stellung in der Geistesgeschichte der Menschheit nur durch die- jenige Religion erlangt, die von den in der althebräischen Lite- ratur anerkannten Rednern (= Propheten) vertreten wurde. So- lange also diese religionsgeschichtliche Sonderstellung als eine hohe Stufe, als ein Sieg der Menschheit über Vielgötterei und

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Bilderdienst^ sexuelle Differenzierung der Gottheit usw. angesehen wird, so lange ist auch zuzugestehen, daß die von Israel in seiner Literatur anerkannten geistigen Führer oder religiösen Herolde die richtigen waren. Das zeitweilige und teilweiseWider- streben der Nation gegen die Anschauungen und Forderungen dieser Sprecher kann ja nicht das Gegenteil erweisen, sondern ist vielmehr ein Tatbeweis dafür, daß die religiös-sittlichen Ur- teile dieser Männer nicht eine Frucht des israelitischen National- geistes waren. Demnach muß es dabei bleiben, daß der Gottes- glaube, der von diesen Führern Israels vertreten wurde, die zu Recht bestehende oder legitime Religion dieses Volkes gewesen ist. Infolgedessen war es auch fehlerhaft, wenn kleinere oder größere Teile des Volkes Israel von dieser Religion wegstrebten und abirrten. Die Minderwertigkeit der religiösen Richtung, der sie zustrebten, und dies war eben die „Volksreligion^', wird ja auch schon dadurch erwiesen, daß sie oftmals zugleich einem orgiastisch gearteten Kultus, ja der Tempelprostitution zuneigten. Daher wurden diese Teile Israels von den anerkannten Sprechern Jahves mit Recht nicht nur wegen Untreue gegen die einst von Israel als rettende Macht anerkannte Gottheit, sondern auch wegen Verleugnung der höheren sittlichen Normen getadelt.

Wenn man für die von der prophetischen Religion Israels abfallenden Teile dieses Volkes Partei nimmt, so ist das ferner auch unter dem Gesichtspunkt des allgemein menschlichen Kultur- fortschritts nicht richtig. Denn es ist zwar erklärlich, daß in der Zeit der politischen Hegemonie der mesopotamischen Weltmächte über Palästina die Könige Ahas und Manasse sich dem assy- risch-babylonischen Kult der Gestirne hingaben (vgl. meine Ge- schichte, S. 352 f.) ; aber es war trotzdem nicht richtig. Sagt man zugunsten Manasses, daß er es „nur für unbedenklich und heilsam hielt, neben dem nationalen Gott auch andere Götter zu verehren, die sich als mächtig und sei es als hilfreich, sei es als gefährlich erwiesen" (Ed. Meyer, S. 50), so heißt dies erstens die Pflicht der Treue verkennen, die ein Volk gegen seinen

62 Eduard König

alten Rettergott und gegen das darauf gegründete Prinzip der Allein Verehrung dieses Gottes besitzt, und zweitens heißt es aucli, den geistesgeschichtliclien Fortschritt der Menschheit ver- gessen, der im Siege des Monotheismus über die Vielgötterei liegt.

Das religiöse Verhalten von Fürsten, wie Manasse, ist also von den Herolden der mosaisch-prophetischen Religion mit Recht beklagt und als Untreue getadelt worden, und wenn Geschichts- schreiber Israels dies als Greuel und Sünde bezeichneten, so soll man solche Worte teils als Momente ihres Stils und teils als Symptome ihres religiös-sittlichen Ernstes ansehen, aber nicht als Mittel verwerten ^, um ihre Urteilsweise überhaupt und ihren religions geschichtlichen Standpunkt zu diskreditieren. Oder hat nicht auch Zarathushtra einen Fortschritt gegenüber der mit Magie verbundenen Naturreligion des älteren Iran vertreten? Gewiß urteilt man mit Recht über den Zarathushtrismus, daß in ihm eine „gereiftere Auffassung von Welt und Leben die Ge- danken der altiranischen Mythologie geklärt, zu allumfassendem Zusammenhang erweitert, vor allem sie ethisch verinnerlicht und vertieft hat".^ Folglich wird man auch Zarathushtra recht geben, wenn er in den alten Gatha- Liedern z. B. sagt: „Nicht richte zum zweitenmal der Irrlehrer die Welt zugrunde, der Böse, der schlechten Glauben mit seiner Zunge bekannt hat^' (a. a. 0., S. 80). Wird man ferner nicht vielleicht noch sicherer aner- kennen, daß Sokrates gegenüber der griechischen Volksreligion, die z. B. auch den Dionysoskult übte, den geistig-sittlichen Fort- schritt des Menschengeschlechts vertreten hat? Nun so möge auch den Führern Israels, die von ihrer Nation schließlich als ihre Elite anerkannt worden sind, zugestanden werden, daß sie ihr Volk auf der Freitreppe des Geistes emporzuleiten strebten!

c) Nach allem Vorstehenden kann es jedenfalls nicht zweifel- haft sein, daß der Begriff „Volksreligion" in der gegenwärtigen Religionsforschung eine sehr wichtige Rolle spielt, und daran

* Wie es bei Kuenen Volksreligion etc. S. 76 der Fall ist.

* Oldenberg in Die Kultur der Gegemvart I, III, 1 (1906) S. 81.

VolksreligioD überhaupt und speziell bei den Hebräern 63

ist, wie ich beobachtet zu haben meine, ihre Benennung mit schuld oder nicht ganz unbeteiligt. Zwar sollte die Be- ziehung zwischen einer geschichtlichen Erscheinung und ihrer Benennung nur nach einer Seite hin gehen, aber es ist erklärlich und, wie mir scheint, tatsächlich, daß auch vom Namen einer geschichtlichen Größe, nachdem er einmal ge- prägt ist, eine Wirkung auf die Abgrenzung und Schätzung der von ihm bezeichneten Sache ausgeübt wird. Dies dürfte auch bei dem als „Volksreligion"benannten Phänomen nicht ganz ausgeblie- ben sein. Leicht wird es geschehen, daß diese geschichtliche Er- scheinung ihres Namens wegen einen zu weiten Daseinskreis und eine zu allgemeine Autorität zugeschrieben bekommt. Fortgesetzte Untersuchung und allseitige Diskussion des in der „Volksreligion" liegenden Problems wird aber zu verhüten wissen, daß daraus eine Verdunklung der geschichtlichen Wirklichkeit erwachse.

Au Account of the Death Rites and Eschatology

of the People of the BougainYille Strait

(Western Solomon Islands)

Bj Gerald Camden Wheeler, London [With Map]

Tlie foUowing account^ deals with the Mono people, who now inhabit the Islands of Mono, Alu, and Fauru in the Bou- gainville Strait; they spread from Mono about 60 years ago, driving out the earlier inhabitants from Alu (the Old Alu) and Fauru.

The Old Alu culture was evidently very like that of Mono, and the two languages differed but little. In the following account mention will be made of some Old Alu customs.

I. Death Rites

There are three ways of disposing of a dead body:

A. by b Urning;

B. by burial in the ground; or

C. by Casting into the sea.

Of these the first is the most honourable; the body of a la-

laafa (chief) or a mamaifa (woman of chief's rank) is always

burned. We shall deal with these three methods in the above

Order.

A. Disposal of the Body by Burniug

1. The ceremony of the burning of a dead body of a wa- maifa (woman of chief's rank) called Deko was observed. She died at the village of Aleang (on the south coast of Alu), the

^ Cp. also this Archiv XV, pp. 24 etc., 321 etc. (This Archiv will be referred to as AB) A more detailed account will appear later.

Death Rites of the Western Solomon Islands 65

Chief of which was 'Johnny' Gorai, her father; she was married to Pili 'Moses', a commoner (soi) and had lived at Aleang.

Deko was latu talasagi] Johnny Gorai, latu haumana] Pili 'Moses', latu laumana}

A messenger came into Faleta (where the writer was stay- ing) bearing news of her death; the Faleta men went oJff to Aleang, and the writer foUowed later.

Deko's body was lying on a sape (wooden bed) in a small house near her father's; and round it many women and a few men were wailing and sobbing. Her hair had been ulo (arti- ficially blackened and reddened), and she was adorned with arm- rings and shell-money, etc. The wailing women wore narrow strips of leao (the rind of a banana-like tree). The wailing went on about an hour after I arrived; then stopped, and started again later.

Presently the two trade-boxes^ belonging to the dead woman were brought and fiUed with many of her possessions (calico, knives, and other European goods); most of the things kept back were given to her children.

Meanwhile a rectangular pile of logs was being built up : outside for the pyre.

I Next morning on again going over to Aleang I found the wai- ling (taofo) still going on; the women had been wailing all the ( night. First the Aleang went in and wailed in a party; then they i came out, and the Faleta men went in; the Faleta women went in likewise in a party to wail.

One action noticed was that some of the women stood over the body and held out both hands, then drew back and clapped as if calling back the dead woman.

The parties which went in to wail left presents (beads and other European goods) for the dead woman.

1 See AR XV 25.

' A European box is now one of the most prized and necessary articles belonging to a native.

Archiv f. Eeligionswissenschaft XVII 6

I

66 Gerald Camden Wheeler

Presently some women began dancing by the body, jumping in unison heavily onto one foot and clapping hands. Then several came fortb and went about tbrice round the pyre, dancing in tbe same way, then went inside the house again where the body was.

Later a party of men from Maliai, another village, went into the house and wailed; and then a party of men from the village of Gaumai. Later on a party of Maliai men, including the Chief Buare, came in and wailed. I went back to Faleta about 4 p. m.

Next morning, when we reached Aleang, the body had been burning on the pyre about half-an-hour. Some men were still standing round, wailing. The women were Walking slowly in Single file round the fire, with bended heads; presently they sat down in a group by the fire; then again walked slowly round it, wailing softly.

Later on, some of them began dancing (sagini), leaping heavily onto one foot, and going up in pairs to the fire and waving at it with their mats. Then they again paced slowly round in single file.

About one and a quarter hours after my arrival the whole pile had burned down to the ground, but some of the body was still unburned. At this point the widower took the baby- child of the dead woman and walked once round the pyre,. carrying the child; he was said to fataganini^ which term is also applied to the action of waving an offering to a nitu (ghost) round objects or round the head of a person.^

It was Said that the widower had remarked, enaroroi natuna enagafulu (When she has seen the child she will burn all away').

Presently a basket of stringed beads belongiug to the dead woman's father was brought, and the men, each taking a few strings, walked round the fire wailing, then threw them in a heap near the old man Baoi, apparently ofi'ering them to him.

1 Cp. AB XV 37, 51.

Death Rites of the Western Solomon Islands 67

Then the women again danced as before {sagini). An old woman took a spear and went round darting it towards the ashes and elsewhere.

Next the huU of an old outrigger-canoe was brought fiUed with water, and the ashes were put out. Then a bowl (in this case a European soup-tureen) lined with calico was brought and in it were put a few leafy plants, of the kind used for personal decoration. A woman sat on the ground by the ashes holding the bowl on a pandanus-mat on her knees; and the bone fragments were picked out of the ashes with split bamboos and put in it. More leaves were then laid on them, and they were wrapped up in calico, and tied round with a string of shell-money and a bead Ornament.

Meanwhile all the women went off to the sea to bathe. The bones were held on her knees by a woman who sat on the sape (woodenbed) in the house where the dead body had lain. Next the ashes from the fire were raked into a heap and put in a sack; and the remains of her goods which had not got quite burnt up (the two trade-boxes above referred to were put to burn with the body) were put in another; these two sacks were taken out to sea and thrown in.

The women now came back from bathing. A small fire

had been made just by where the body had been burned; and

they formed a ring facing inwards around it, and did sagini

as before. The bones were brought into the ring by a woman,

she went round doing the sagini, as did two others darting

i spears. These actions were performed at intervals. The women

who carried the bones belonged to the totem-clan (latu) of the

1 father of Deko^ the dead woman, or were wives of men belong-

fing to her latu\ the spear-bearers belonged to this latter class.

The women carrying the bones represented Deko's father, who

could not come among women. ^

^ Here we have evidently a modification in the ceremony due to the dead person being a woman.

68 Gerald Camden Wheeler

The women of otber latu would afterwards carry the bones and the spears, it was said; and this would go on for four days, the women of all the villages taking part.

On this last-mentioned fire a ripe coconut was broken up and put by an old man: this was a sisifala^, and called tipu- tipulu. He also spoke to the foUowing effect:

Mono sisifala ena tiputipulu. sanaka onahamaliluana. maang nitu peu talu emiahamaliluana ta- poina sanaka. soa enareko. iana malei fanua tapoina talaiva dreaaang. enarereko sana.

English This is a sisifala, the tipu- tipulu. Do thou grant us food- seekers plenty of (non-vege- table) food, Ye nitu (dead) of old, do ye grant plenty of food; yea it will be good. Men and women will eat fish and Opos- sum; it will be ever good. After this the women appeared with their faces painted with white earth, and having laid aside the leao (see above).

Next, about four in the afternoon, fish having been caught and cooked by the men in a fire near where the tiputipulu fire was, they sat down in two rows facing one another and ate fish and roasted bananas; this is called sofafealo (sofa Ho await', feälo *the sun'). The women were given a share in the house where the corpse had lain.

The men did not sit in any order of latu\ the food was spread along banana leaves.

Suddenly, before much food had been eaten, the men caught it up in the leaves and threw it into the small river near the village, and the women did the same with theirs, and the mecal was over.

At the beginning of the eating a man made a sisifala of fish and banana on the fire on which tiputipulu had been made; the dead woman was asked to grant success to fishers and

» See AR XV 39.

Death Rites of the Western Solomon Islands 69

hunters of opossum. Thus ended what was directly observed by the writer.

In the night after the body's burning fish is caught, and a sisifala is made (called sofa) before sunrise. At the following lafilafi^ a sisifala (called famalei ^bringing opossum'J of opos- sum is made. Next day a sisifala (called faifaiiana 'bringing fish') of fish and taro is made early in the morning. Next day a sisifala of opossum is made in the afternoon, called otosabu or famalei. Next day again a sisifala of fish is made called funiapasa ('hiding the remains').

On this day, that is the fourth day after the burning of the body, the bones are buried before the sisifala. Next day a sisifala of opossum (called faifaio *the laying') is made in the afternoon.

This ends the series of sisifala with special names; at each of them the men and women also eat (except at the tiputipulu).^

2. Two cakes of pisu (pounded taro in coconut-oil) were put under each arm of Deko's body and bumed with it: this was a tamari (food taken on a journey). The tamari is thus divided by the dead person: two cakes are given to the ghosts of the earlier dead; two are eaten by the person just dead.

With a dead body are burned both property belonging to the dead person, and gifts from the living.

The dead person takes the nunu (soul) of the goods with him. Some of them the dead person will use to pay the fee to Uauamai, the warden of the road (see below).

3. The Disposal of the Bones of a Burned Body. While awaiting burial Deko's bones were to be kept in the

small house^ where the body had lain; by day they would lie on a sape, and at night the mother would sleep with them

^ lafilafi 'the afternoon\

2 There were discrepancies in the accounts of the time of day when these death-meals are held.

' This house was not made for the pnrpose.

70 Gerald Camden Wheeler

close beside her. The women would sagini during this period, as above described.

It would seem that the bones may be buried either on the second or on the fourth day after the burning; but the name funiapasa (see above) seems to point to the latter being more usual.

At the faifaiOj the last of the main series of death-meals, the foUowing will be said:

Mono sisifala ga ena. dreaeeva saiga ga talaiva. drealeva ko- kong.

English Here is a sisifala, The women will work at the gardens; they will plant taro.

This sisifala in Deko's case was made by her father.

Deko's bones were buried at a place along the shore called Matimati.

The bone - fragments of many Alu chiefs (lalaafa) and women of chiefs rank (mamaifa) are buried at a place called Koakai, which is also the abode of the Alu dead (see below). But in many cases they are buried in other places: there seems to be such a bone-burial ground for each village.

The hill called Soia^ and the place called Gaumakai^ seem to have been such places for the Old Alu people.

Over a place where bones are thus buried is put a hata- hatalina (mark)^, which is a bright-leaved plant.

It would seem that the bones of a burned body may also be thrown into the sea. In Mono to-day such bones are gene- rally put in the sea at Patu Tegese, a rock along the shore East of Blanche Harbour. Here men do not fish, for they fear the vengeance (maraha) of the nitu (dead). The fish apparently are held to eat the bones.

The throwing of the bones into the sea brings us to an older custom which has now died out.

* See AB XV 326, 53. » hataling 'to recognize', 'know'.

i

Death Rites of the Western Solomon Islands

71

4. On the South coast of Alu is a tree of the kind called siing which is still olatu (taboo, holy) for the foUowing reason :

When a man or woman of Chiefs rank died, the bones after burning would be thrown into a part of the sea near (called Sigesige), and the basket in which they had been would be hung up on this tree.

We evidently have here a reference to a general custom of old among both the Old Alu and the Mono people, to which reference was made in speaking of the Totemism^, namely the custom whereby a latu had several particular places called keno in the sea into which the bones of their dead were thrown after the body had been burned.

The foUowing statement refers to the Old Alu, but a like custom prevailed in Mono:

Mono tiong batafa tauii latu bau- mana enamate dreahali. drea'n- koti ga sumana dreagalo Sa- niavai. niga ea ule dreagalo. lau dreasokula elea tiong ena'n- koti ga elea niga (and split it open, saying:) *Pege ga ena. iana emiahamatatema emiata- venahama. ati emialuti äü. lama fanatele äü ga apasana.' enaua tiong (of latu haumand), ena- gaganama ga iana drealele ga potoana dreataupong iana oli- naang.

English

If a man, woman, or child

of latu haumana dies, they burn

the body; they take the bones

and beär them to Saniavai.

They take a bunch of betel-

nuts. When they have come

there, a man takes a betel (and

splits it open, saying:) *Here

is a betel-offering ; do ye make

the fish to come up; do ye

grant it me ; do not refuse :

then I will give the bones', says

the man (of latu haumana).

The fish comes; they undo the

fastening, and tip them (the

bones) into the fish's mouth.

The fish in the above is the maguili, a very big kind, and

a man-eater. Saniavai is therefore a special place for throw-

' See AR XV 26.

72 Gerald Camden Wheeler

ing the bones of members of latu bäumana] it is a stretcb of a river in Alu. As has been said, there were analogous rites for all latu at various places. It will be noticed tbat when tbe offeriDg is made personages are addressed in the plural (see below).

The Mono people had the same rite, and further details were received. The betel was thrown into the sea or water by one man; another threw the bones; all was done from a canoe. After this they came ashore, and the man who had made the betel-offering took another betel and said: Mono JEkglish

pege ga ena. haitelea*nta. Here is a betel: I have given

emiamamatani äü. it to you; do ye keep a look-

out (= watch over the dead person?).

The beings addressed were said to be the dead fafanua (fellow-clansmen) of the dead man.

The man then gave it to him who had thrown the bones away, who now chewed it. Then all the men and women pick of the bunch of betel and chew; and then go back to their village. Here were set cookin g-pots in a row with fish or vegetable- food inside; then

*When* the people see the canoe (they say:) "Come take the food out of the pots, the people are Coming. Let the food be taken out; let the women line the baskets with leaves in the houses; let the men do so outside. When they have taken the food out of the höre, let them give it to the women in the houses"; etc.

Each of the men and women Coming from the ceremony of giving the bones to the fish brought a piece of a certain creeper between their fingers, and all put these pieces in one pot; they were then thrown out and the fish was shared. With some of it a sisifala was made, and the following was said: * Translation of native text.

Death Rites of the Western Solomon Islands

73

Mono sisifala ga ena. amihaioma- ata sumana. haiteleamaata nita talu. soa emiamamatani äü.

JSnglish Here is a sisifala. We have put his bones there: I have given them to the Dead of old; yea, do ye look out (look after him?).

Then all ate the food; and the ceremony (called funiapasa) was over.

In this last prayer what is said is that the bones are given to those who have died before, that is, we must conclude, to the dead fafanua (see above) ; and these are evidently the nitu who are addressed.

The same ceremony was carried out for all latu (totem- clans).

At the funiapasa, as now carried out on the fourth day after the body has been burned (see above), a leaho (magic) is likewise put in the köre by all; this being a piece of a creeper called tdbölasdle, which is put in one of the pots (köre) of fish by all.

The following describes what used to happen in Mono: K Bones ^ used to be thrown to be eaten by maguili at the rock called Patu Tegese (see above). If one was not seen, what happened was as follows:

Mono

'iafaua ga abu oigaganama?'

dreasaling ga maguili. 'onaga-

ganama amateleo ga fabiung'

I dreaiing. enagaganama enasoku

j enamama dreataupong ga suma.

i enatogomi enalefe enagagana

keno olovanaang. fanua drea-

. lehe.

English 'Why dost thou not come?* they say to the maguili. *If thou comest we will give thee thj fahiu% they say to it. When it comes and reaches them, and opens its mouth, they tip the bones in; it swallows them and goes away below the sea; and the people go back.

Presumably of certain latu only.

74

Gerald Camden Wheeler

Here the dead person is called tlie fdbiu of tlie maguili'^ fabiu in tlie kinship System is tlie correlative (^descendanf) of tua and tete^y these latter being also the terms for the totems of a latu.

Another such place where burned bones were thrown in was a rock called Kugala in Blanche Harbour, Mono; here they were given to the maguili.

Of Siareka, another place in Mono, it was said:

Mono Siareka aabau simea aabau hauafu aabau baumana saria, suma dreagalo ^Koe maguili enamatatema' dreaua. dreafa- sagi patua. enamatatema ga maguili tiga keno eriataupong ga suma tiga patu. enagalo maguili. erialefema.

English Siareka belongs to some si- mea ^ some hauafu j some hau- mana} They take the bones and say, ^Ho! let a maguili come up.' They make an offer- ing on the rock. When a ma- guili comes up from the sea, they tip in the bones from the rock; the maguili bears them away; and they go home. Niako is another rock in Mono, used by latu talapuini for the same purpose. A pig used to be put alive on the rock to squeal (koile\ and so attract maguili, to whom the bones were given.

We come finally to a being called Marimari, who seems to play the same part as do the maguili in the foregoing cases. The following statement was made: .^

Mono

boitalu latu baumana drea- mate sumana dreagalo Mari- mari, boo atuaiina dreagalo kiniua. enakoile ga boo ena-

English

Formerly when those of latu

baumana died, they would take

their bones to Marimari. They

took a small pig in the canoe.

1 See ^i? XV 25.

2 Simea, hauafu, baumana in the above are, of course, names of latU] that is, of totem-clans.

Death Rites of the Western Solomon Islands 75

nonoma ga Marimari enamata- tema. dreataupong ga suma. drealefe. suma eriagalo Mari- mari.

Wlieii the pig squealed Mari- mari would hear it, and come up to the surface. They would cast in the bones; they would go away. They took the bones to Marimari.

Marimari is heampeu Jcanegana durimo^ hiluau ga dorona. abu iana (nor a snake). fero elea heampeu. olatu: 'A great thing like a hand-net to look at; not a fish (nor snake), something eise; and taboo.'

When it dives down again the sea is troubled, and a canoe risks being capsized.

If a bit of the Marimari's body gets broken off and drifts ashore, and one of the latu haumana looks on it, he will die. The term Jwrausi was used of such an action by one of this latu-, this term denotes the looking by one of the living on a nitu (that is, on any supernatural being, such as the Dead) ; so that Marimari is of the same nature as a nitu.

The Marimari is the tete of latu haumana. Teteria suma angan sana sumaria haumana-. It is their tete, which eats the bones, the bones of latu haumana."* Tete is the name for a less important kind of totem of the latu (see ^i2 XV 24); in the list of the tete given before we find the hahuhusu (or the hampa) given as tete for latu haumana. So that in the Mari- mari we have a something which yet is different from an ordinary totem.

Now, when the bones are given to the maguili, we saw that the dead person is spoken of as its fahiu, which term is the correlative of tete-, and a pig is used to attract both the Marimari and the maguili.

The maguili and the Marimari seem thus to be of one and the same nature. As the bones are said to be given to dead fafanua (fellow-clansmen) of the dead person in the case where ^ durimo, a hand-net for carrying about betel-nut, etc.

76 Gerald Camden Wheeler

they are given to the maguili, we must presume this is also the case when they are given to Marimari, which like the former eats the bones.

The name Marimari is also applied to a rock in Blanche Harbour^ where the hmo (special bone-disposal place in the sea) is for some of latu simea, and mdlatigeno, besides hau- mana; so that the rock is evidently identical with the living creature.^

At a place Siareka in Mono if a säbau (lizard) is seen, the person seeing is said to die, and the sahau seen there is evi- dently olatu (taboo, holy). Siareka is a Iceno for latu iabooti, whose tua (leading totem) the sahau is'''; so that if we take it that it is for latu iäbooti only that the sahau is here olatu (like the Marimari for latu haumand), this creature seems to be of the same nature as Marimari, with the difference that it is the tua of the latu.

So that, finally, the maguili, Marimari, and this sdbau^ all seem to have a bond of likeness.

At certain heno in rivers the bones of the dead were eaten by the eels (toloo); in a few cases these special keno for totem- clans were represented by earth-burial. Owing to the undoubted resemblances in culture between Buim (South Bougainville) and the islands here dealt with, we may hope to find there further material to throw light on the ideas here given in a somewhat fragmentary shape.

We may observe that a text was obtained which belongs to South -East Bougainville, in which an eel (toloo) swallows two men and lets them go on learning they are bis fafaniia (cp. just above): while another text was obtained where a man

^ Whether Marimari 'is also tete of the other two latu was not ascertained.

^ The sahau is a lizard. In the list of tete the umau is tete of ta- hooti. But as Siareka is Jceno for haumana and simea, for each of which a species of lizard was given as tete^ we may have here a confusion; it may be tete of these two latu which are olatu.

Death Rites of the Western Solomon Islands 77

is swallowed by a magiiili and cuts bis way out, tbis text belonging to Mono.

Tbese tales probably bave their meaning in connection witb tbe foregoing.

5. Tbe part of tbe sea or river into wbicb, under tbis earlier custom, bones of tbe dead used to be tbrown tbat is a keno was olatu soma ('bigbly taboo'); people did not look on it, nor go to it, unless wben bearing tbe bones of tbe dead.

Tbe small maguili could be eaten, but tbe big ones tbey were afraid to eat because of tbeir baving eaten tbe bones of tbe dead.

Of Siareka, one sucb heno, it was said:

Mono I English

saria atele latu aabau simea (Siareka) is tbe river ofsome

aabau bauafu aabau baumana. of tbe latu simea, hauafu, and atele sinsisileang aabau latu baumana. Tbe river is tbe ansaria atele nunuria. batbing - place for tbe nunu

(souls) of some latu to wbom tbe river belongs.

Here, tben, we bave tbe furtber idea tbat tbe dead come to batbe in tbeir particular Jceno.

Tbe taboo {olatu) on tbe heno of tbe latu is one aspect of tbe general taboo on all tbat belongs to tbe dead, wbicb will be met again wben we deal witb tbe Abodes of tbe Dead.

Tbis institution of lieno for tbe latu must bave died out at least fifty years ago, probably as a result of a general break- down in social life due to tbe figbting and loss of life wbicb came about in Mono, and also to tbe Splitting up of tbe Mono people at tbe migration into Alu and Fauru, after tbe earlier peoples in tbese islands bad been driven out.

6. Tbe dead body of a man or woman of cbief 's rank, tbat is of a lalaafa or of a mamaifa, is probably always disposed of by burning; tbis is tbe most bonorific form, and evidently tbat wbicb bas tbe most developed ritual. Most probably tbe

78 Gerald Camden Wheeler

body of a commoner (soi) of importance miglit be disposed of in the same way.

It is to be assumed tbat up to about fifty years ago tbe bone-fragments of a burned body were disposed of in a parti- cular heno, in sea or river, belonging to tbe dead person; each latu would have several sucb Jceno for its members. Any sucb Jceno would generally belong to certain members of more tban one latu. In a few cases tbe lieno were represented by eartb- burial of tbe bones at a certain place.

Now-a-days in Alu tbe bone-fragments are generally buried at certain places witbout any regard to latii; in Mono perbaps tbey are more generally tbrown into tbe sea at Patu Pegese (but notbing definite can be said on the relative frequency of tbe two metbods).

On tbe otber band tbe bill Soia in Alu^ (and probably Gaumakai ^) was, as we bave seen, an Old Alu place for bury- ing tbe bones of tbe dead (of cbief's rank), so tbat it would seem tbat besides tbe Jceno tbere were also among tbe Old Alu general bone-burial places; and tbe same seems to be true of Mono. So tbat tbe present custom is tbe continuance of one wbicb coexisted witb tbe System of heno. Tbe institution of Jceno seems to exist to-day in Buim, and we may expect furtber ligbt from tbere.

7. Tbe place wbere a body bas been burned is called tbe mome'^ over tbe mome is planted a JiataJiatalina (see above), generally of brigbt-leaved plants.

Sometimes oiferings are made to a dead person at bis mome, but tbere is no taboo attacbed to it. Some of bis pro- perty is often left on it. In some cases tbe bone-fragments are buried close by.

B, Burial

8. A less bonoriiic metbod of disposing of tbe dead body is eartb- burial.

' See AB XV 326. « g^ß j^j^ XY 53.

Death Rites of the Western Solomon Islands 79

The writer witnessed tbe burial of Kaika (latu fanapara), a wife (not the head-wife) of 'Johnny' Gorai, already mentioned above. Some of us went over to Aleang from Faleta. We found the women wailing round the body, which was lying on a sape in J. Gorai's house.

The words of the wailing seemed to be: oiisanafaü momo- oani sagu oiisanafaü ('Thou hast left me: I keep on weeping; thou hast left me') repeated over and over again.

Kaika being a chief's wife, the men could not come into the house to wail; if they had wished to do so, the body would have been taken out to another house.

The wailing over, Kaika's body was tied up in a pandanus- mat. Out of her trade-box some of the goods were left in the house; and the box with the remaining contents was taken with the body, and carried by a man.

Then we went in a procession along the shore; first the body carried on a wooden stage by four men, then J. Gorai, an elderly man (Sefi), J. Gorai's head-wife, and other women, followed by an elderly man; then after an interval came several men. So we walked some distance to a place called Matimati. Here the ground was cleared of weeds, and a grave was dug with sticks and hands, about three feet deep: some short lengths of the midrib of coconut leaves were laid at the bottom, and on these some of the pieces of the stage on which the body had been carried.

On these the body was now laid, and the grave filled in, after the dead woman's trade-box had been put in beside the body; a pandanus-mat had been laid over all, and the rest of the stage thrown in.

When the grave had been filled up, cuttings of a bright- leaved plant called diri were planted on it.

Then Sefi cut down a coconut tree which was growing just by the grave: this action is called pisöko (or pikoso), It was said: ena pisoko Kaika. nituaang Jiamata enagalo: It is Kaika's pi-

30 Gerald Camden Wheeler

s6ko\ slie will take it to the Abo de of the nitu.^ And Sefi iaro ipisokong magota angimate: 'Sefi cut it down; he made a pisoJco for the woman that had died.'

Afterwards we all formed in single file and so walked back to Aleang, going in the same Order in which we had come, at any rate after the men and women had bathed; the women all went in the sea at one place together, and the men did so further on.

Wailing was going on in J. Gorai's house when we got back to Aleang; but was over before I left Aleang.

While the body was being laid in the grave and after, a man kept brushing and waving over the grave with a bunch of leaves : an action called sapulu (sapusapulu).

This was done to prevent the nunu (souls) of those present being covered up as the grave was filled in, or they would die. It was Said:

Mono nunuria fanua bau reanafui petaang. bau eriamate. sapu- sapulu samang.

English We do the sapulu that they may not bury the people's souls in the ground; that they may not die.

After the return to Aleang (I learnt after) food was eaten by the men in the JcalofOf and some of it sent up to J. Gorai's house for the women. Before this he made a sisifäla in his house to the dead woman, by throwing fish and taro on a small fire and saying:

Mono sisifäla ga ena. iana ona- hamaliluana.

English Here is a sisifäla. Do thou grant plenty of fish.

9. There would seem to be a nafunafuang (burial-ground) for each village, where those not of chief's rank are buried; for Aleang there was such a place (called Kovakova) along the shore. Presumably Kaika was an exception, as being a chief's wife.

Death Rites of the Western Solomon Islands 31

€. Disposal of the Body in the Sea

10. The third and last way of disposing of the dead is bj throwing into the sea (faütupi). The dead body is taken out in a canoe, and two stones are tied to it. From Faleta they would go some distance out into the open sea.

In Mono a reef called Oilo near Blanche Harbour seems to be the most general place. Perhaps in the old days each village would have its special place (faufautupang) for thus throwing away the bodies.

The throwing into the sea is the least honorific of the three methods.

I>. MoumiDg

11. Of the personal signs of mourning some mention was made in speaking of the burning of Deko's body. The ilopa (whitening) on the face is worn tili the singsing ceremony (see below); and during this time shell or grass arm-rings are not worn. The signs of mourning are borne mainly by totem- clansfolk (fafanua) of the dead person.

12. One of the mourning-rites is that there is a taboo laid on certain persons as regards their food. Such persons are tabooed taro; this taboo is called ono {onoo); the ceremony of freeing a person from the taboo is called singsing.

If a man or woman dies, all the men and women of the

laki are ono to taro, as are certain kinsfolk outside the latu.

When a chief dies all the people in all the villages are

öwo; if a chief 's child dies, apparently all the people of his

village are ono,

I When a person in a state of ono may not eat taro {hoTcong), j if he wishes to eat the so highly-esteemed dish called pisu, or any other food into which taro enters, he can do so by using a Sub- stitute for the taro; such a Substitute is a long root called Äara/ai The State of ono is put an end to by the carrying out of a ceremony called sing sing}

^ siing 'to eat fish', singsing is a Substantive formed by reduplication.

Archiv f. Keligionavviasensclialt XVII g

82 Gerald Camden Wheeler

At a feast given on a certain occasion tlie singsing was per- formed on one Kililimum and his wife.^, Before the sharing out of the food Kaika (latu haumana) took two (or three) cakes (hohoho) of pisu on a leaf, which was laid on a bead- ornament called a Jcia] he put this on the palm of his hand and passed it round Kililimum's head, and then round that of the latter's wife : each of them then ate a hohoJco. The leaf was thrown away; and the Jcia put back in the house of the man to whom it belonged. This is the ceremony called singsing, Kililimum then ate pisu before the other food.

Another time the singsing was seen carried out over two women; one being ono after the death of her son (of chief's rank); the other, after the death of her husband; the ceremony was carried out by an old man, father to one of the women. The first of the two had been ono for seven moons, the second for about one and a half.

The waving thus of the Ma and taro round the head seems to denote the offering of the objects to the dead person, and to have essentially the same purport as the waving of objects round a sick person's head when a nitu is invoked to ward off sickness.^

For a dead chief the ono is for three moons ; then the sing- sing is done with pig and pisu by an old man over each man and woman. The singsing may be looked on as ending the death rites; though possibly in the case of a chief there were two further feasts, at the latter of which there was music and dancing.

tahutabu may also be used to denote ono] as was seen before^ tahu or tahutabu is used to denote the totem of a latu forbidden as food.

* Kililimum was a Buim man married to a Mono woman, and lived in Faleta. He was ono as being of the same latu as the dead child of Kipau, chief of Gaumai; the child was of a Buim woman and its latu is not represented in Alu, so that Kililimum was the only ono persoD, together with his wife.

»See AR XV 60. » See AR XV 26.

Death Bites of the Western Solomon Islands

88

13. There are other food taboos in mourning.

After Deko's death (see above) her father told me that for one day he was going to tahutahu (not eat) a certain food called ottj because he and she ate of the same piece while she was alive.

So Baoi, after the death of his daughter's son, Mukolo, did not drink coconut-water, apparently because it was the dead child's drink, or perhaps for the same reason as in the last case.

Another kind of food taboo is the foUowing:

When I was in Mono the Mono woman Kinlesia, a ma- maifa and widow (she had married again) of Gorai, a chief was still ono (note the term) to rice and sardines (trading goods, of course), and was going to und ergo singsing. The reason was as foUows:

Mono Sardine raisi aan sana imate ga sana kanega. oaua ga iono sardines raisi.

English While he ate sardines and rice, her husband died. That is why she is ono to sardines and rice. The foUowing generalized statement was made:

Mono elea tiong enaaofo sana lale enamate enaaäng beampeu da- rami enafagafulu darami ena- mate Sana fanua sana batafa enatabutabu beampeu.

English If a man is sick, and when he dies he eats something which is food, and when he has finished the food he dies, a totem -clansman of his, or his wife, will refrain from eating this said thing (that is, the kind of food he ate while sick).

All his fellow-clansmen dreotdbutdbu Icolcong (will refrain Vom taro).

14. On the death of a person all his or her fafanua (totem- lansmen) take new names; so too do certain kinsfolk outside he lata.

6*

g4 Gerald Camden Wheeler

15. There are certain rites less directly connected with a death. A feast may be given to one man by anotber for help- ing in tbe deatb rites of a kinsman of tbis latter's.

Tbe writer witnessed a feast and dance given at Maleai in Alu by Buare, tbe cbief, to Baoi, an old man of Faleta (of wbicb be was practically tbe cbief), because after tbe deatb of Buare's two cbildren^ Baoi bad given bim pigs and otber food, and Jcekeve (beads). Buare bad done sisifala (witb tbe pig) to each of tbese cbildren, and tbe pigs etc. were eaten by tbe people of Maleai. So Buare now was to give pigs, and otber food, and kekeve to Baoi, and bold tbe dance; Baoi would give away tbe pigs etc. to tbe men of Faleta and Aleang (tbe ] village beyond Faleta).

At tbe feast tbere were over 30 bundles, eacb of 100 one- fatbom strings of beads, and some Ma (bead-badges), all bung along poles. Buare made a little speecb, wbicb was sbouted out loud by anotber man, wbicb I was told described tbe reasons for tbe gift.

Tbe Faleta men went away next day. Baoi before leaving made a gift of two or tbree pigs to Buare, wbicb would be eaten by tbe Maleai people after Baoi left.

II, Eschatology A. Death

1. Tbe following is tbe account of tbe origin of Deatb:

Mono boitalu batafa igagana au aana au sana imagota. ipaite ulina. igagana atelea. ifogali ulilina. iisang atelea. ilefe ba- mata(ang). ifulau faviuna. *Koe. oiafaua oifulauuta? e mafa fai- magota ga. baifogali gau uli-

English Once upon a time a woman went: as time went on and on sbe bad got old, ber body bad got sickly: sbe went to a river: sbe took off ber skin, and tbrew it away into tbe river. Sbe came back to tbe village.

* One at least died about twenty years ago.

Death Rites of the Western Solomon Islands

85

ligu.' ifulau. itai. ilaui male, ifarakapi ulilina. ilefe *u. ue' iua. imagota. imate. isoma ga fanua. mamate saraata.

Her grandchild was afraid: ^Ohl why art thou afraid? I got old, so i took off my skin.' He was afraid and wepi She went away, and put on her skin again. She came hack: *u, ue' she hummed. She became old: she died: men came to an end; we go on dying.

The old woman's name is Foifoiti. The river into which she threw her skin is in Mono and is called Meokoia; it runs into the Palusua river, which comes into the sea east of Blanche Harbour.

It was Said:

Mono ape efulau fabiuna ape taka- 1 nega tapoporofaulu sara. ifulau fabiuna ga kakakanega sara.

JEnglish If her grandchild had not been afraid, we should not get old, we should be ever young. Her grandchild was frightened, so we get old.

The motive of throwing away one's skin was also found

j in another text, where one man takes on the comeliness of

another by the latter giving him his skin; the condition of

the skin is an important factor in the Mono idea of personal

beauty.

Another conception as to Death is that when a man is going to die his nunu (soul: see below) is caught hold of and taken bv Fetunu-, Fetunu is the name for a shooting-star and is a nitu, that is supematural being. Then Fetunu falls {aga), and the man dies, it may be several days later.

mate *to die'; there is also a less common word, loloa, Many of the ideas on death are to be gathered from what is Said of the soul (nunu) and its journey after death (see below).

36 Gerald Camden "Wheeler

The conceptions held ab out the nunu go to show that there is not the clear line drawn between Life and Death with which Europeans are familiär.^

In the case where Kalola feil from the tree and had his nunu taken by the Ome^ he was in one account mourned for as dead {imate)\ but Baoi said that he did not die. isahy the contradictory of matCj was used to describe his return to con- sciousness.

The want of definition between life and death is seen too in the contradiction found in the conception of the nunu (soul); at one time it is looked on as the necessary vital principle; at another, as a something which can leave the body, causing only injury and not death.

There seems to be an idea of a kind of intermediate state. This is seen also in the belief that the nunu of a sick man may wander from his body a certain distance along the path of the dead without death resulting provided it is sent back to the body: Uauamai, the warden of the Path of the Dead, recognizes such a nunu when it reaches him (see below).

In sleep the nunu is not held to leave the body: elea tiong enasuele nununa enasuele abu enaferogagana: ^When a man sleeps his nunu sleeps, it does not go off elsewhere.'

mate therefore denotes both ^death' and ^unconsciousness'

(other than sleep).

B. The Soul

2. Every person has a nunu,

nunu is 1) the lasting principle or essence of a human being; ^soul' may be used as the equivalent in English; 2) the shadow; 3) the reflection in water.

nunu is used always with possessive Suffixes {nunugii ^my nunu% etc., like parts of the body).

^ I must acknowledge the suggestions on points in Eschatologj which I have found in Dr. W. H. R. Rivers's article {The Primitive Conception of Death) in Vol. X No. 2 of the 'Hibbert Journal'.

« See AR XV 356.

Death Rites of the WeBtern Solomon Islands

87

The following was a statement made:

Mono maha fanamate nunugu ena- nitu. maha fanamate nunugu lau enationg nitua nitu saria hamataang. uligu enasolo ena- laina enaue enasoma. oa nu- nugu (pointing to reflection in a glass) enationg nitu saria ha- mataang.

English When 1 die my nunu will become a nitu^] when I die my nunu then will become a man in the place of the nitu (dead). My body will rot, will stink, will disappear, come to an end. That nunu of mine (pointing to reflection in a glass) will become a man in the abode of the Dead.

Death is the definitive Separation of the personal nunu from the body. This is seen in the following statement:

Mono

tiong enaaofo sana enaua ga

nitu *ape enamate. mona aofo

sana' enaua ga nitu. enanono

Iga tiong (dondoro). *0. tiong

tape enamate. mona aofo sana.

enasale' enaua ga dondoro.

lenasale ga tiong. lau tiong

elea enaaofo sana enagagana

iga dondoro sana nitu. lau eri-

aroroi. enaua ga nitu 'tiong

inununa apeai ga. enamate ga'

lenaua ga nitu. enamate tiong

jnununa lau enationg. enanitu.

English If a man is sick, and the nitu (see below) says 'he will not die: his being sick is nothing' (says the nitu\ the dondoro will hear. 'Yes, the man will not die: this illness of his is nothing; he will liye' says the dondoro. The man will live. If a man is sick the dondord's nitu will go. Then they (the nitu and his dondoro) will see him. If the nitu says 'The man's nunu is not there, he will die' (says the nitu), he will die. The man's nunu will then become a man: it will become a nitu.

"■ See ^i?XV33.

38 Gerald Camden Wheeler

And nununa enagogana sana nituaang Jiamata ('His nunu will go to the Abode of the Dead').

In tlie foregoing the nitu first referred to is the particular nitu speciallj associated witli a Seer, that is a (tiong) dondoro} Here we seem also to have the idea that the nunu leaves before actual death (enamate).

A seer (dondoro) has the power also of seeing the nunu of a man that has died, apparently before he is known really to be dead, and when it is on its way already to the Abode of the Dead.

It was seen in the treatment of the Religion (AB XV 35ä 357) that two kinds of nitu (supernatural beiugs) called Sakusaku and Ome have the attribute of carrying off the nunu of human beings.

The Sakusaku may take off the nunu of a baby to their cave; a tiong dondoro is then called in and sends off his own special nitu, who brings it back; its departure does not involve the child's death.

The Ome, it was also seen, can carry off the nunu of unborn children. The case was also given of one Kalola, now a grown man, who as a child feil from a tree and had his nunu taken away by the Ome, who it would seem still kept it, he as a result being half-witted. But in this case we have contradictory views, for Kalola's nunu is also spoken of as now in his body. We seem indeed to see a two-fold conception of the nunu: in one aspect it is a vital principle whose absence means Death; in the other it is a something whose absence from the body means injury to the mind, but not death

The former view is seen in the purpose assigned for the sapusapulu rite at Kaika's burial (see above, p. 80).

What happened to Kalola seems to be only a special case of what may happen anywhere to a man falliug from a tree*

The Statement was made: If a man falls from a tree, an(

' See AR XV 43.

Death Rites of the Western Solomon Islands

89

English he does not die, we call to him. We light a fire in a broken clay-pot {korejj we put the broken Jcore up on sticks. We light the fire; then we hail the man who has fallen; we go on hailing (said three or four times). We look at the fire. If the nitu comes and says V and the fire is not scattered, it is another nun. Then we go on hailing, and hailing, and hailing. If he says ^hu'j and the fire is scattered, we say, The nunu of the man who feil has come back here; he will not die.' We stop call- ing out to him. The man is alive; he will live; he will not die', we say. If we keep on calling to him tili we are weary, and he does not shout an ans wer, and does not scatter the fire, we say The man will die'. The man will die who has fallen from the tree. This is done at lafilafi (afternoon), not at Idlena (morning): fealo enasoso (The sun will be setting'). When the man's mmii arrives the fire scatters and the pot falls off the tripod.

The feropeu nitu who answers V is a man who was murdered (lapii) before, or killed in war; one that has not died a natural death. ^

^ Probably the underlying meaning is that he has not had the death rites carried out over his body. See further below.

Mono abu enamate amaiole. feli amahatori bararaang. au ama- haiosai barara. amahatori. ala amahokui tiong angenasololo. amahohoku samang (said three or four times). feli amaroroia samang. *u' enauama nitu feli abu enatalule feropeu nitu. lau amahohoku samang. lau ama- hohoku samang. lau amahohoku samang. *hu' enaua lama ena- bembebe feli ^tiong angisololo nununa sokumaata. abu ena- mate' amaua. amasoma foku. 'tiong salena, enasaleeta. ape enamata' amaua. araamekoiole ape enatave feli ga ape enarule Hiong enamateeta' anlaua, ena- mate ga tiong angenasololo.

90 Gerald Camden Wheeler

I

aor

In the above, note that the separated nunu can utter sounds, and has material substance; and the use of future prefixes (Vill die'). We seem here (and in Kalola's case given under the Ome^) to see a kind of intermediate state neither life nor death, the nunu lingering somewhere near the body.

3. The nunu of Things.

It has been seen^ that an offering made to a nitu has a nw In any sisifala^ it was stated: feli (felia?) onafaio onasisi-

fala nununa darami enaang nitu (*If you lay it on the fire and make a sisifala, the nitu eats the nunu of the food'), and mani abu amaroroiri ga nitu. darami nununa ga dreaaang. (*We do not see the nitw^ they eat the nunu of the food'.) A dead person takes with him the nunu of the goods destroyed along with his body.

4. Certain other Psychological Conceptions. kare ^strength', 'power', 'force', as a verb 'to have these

qualities'.

It was on one occasion used of the supernatural power Coming from a nitu of foreign origin, and having physical effects; but this use, practically equivalent to the Polynesian mana, there is reason to hold, is foreign to Mono-Alu.

In a village a post was once set up to drive away evil nitu^ from a sick woman. She died, and the post was taken away. Of it was Said: ipaite ('it was no good'), and abu ikare ('it was not strong, powerful').

karCy therefore, approaches the idea of mana,

uli ^body', and takes possessive Suffixes; in a statement above (p. 87) it is contrasted as perishable with the lasting nunu.

Sometimes uli is equivalent to a pronoun: in a song we find ulira tivora 'we were alone', lit. 'our bodies were alone'; and in a text occurs faipeko roro uling 'I want to see thee' (lit. 'thy body').

» See AR^Y 356. * See AB XV 41, 331. » Cp. AB XV ö2.

Death Rites of the Western Solomon Islands 91

Also we find a man addressing himself with the words: üligu ahu egu areai *0 my body, it is not speech of me'.

tia *belly', and is used with possessive suffixes.

This Word is used as a verbal infix to denote the seat of the emotions: tiamdko Ho be pleased': tiapaite *to be sad, angry, vexed, grieved'.

C. The Life after Death

5. The Journey of the Dead.

After a person's death his nunu goes away and lives as a nitu in an Abode of the Dead. On the more general view the nunu first goes to Bareka in Bougainville, and then comes back to the island to which it belonged in its lifetime. We first describe the journey of the nunu after death to its abiding place.

The foUowing statement gives the general doctrine:

Mono tiong fafungmate enagagana Bareka ga nununa. /nau ena- rekorekoma ga ulina. ala ena- lehema. lama dreaäü saria hama- taang Koakai.

English When a man first dies, his nunu goes to Bareka. There his body gets all right. Then it comes back here. Then they (that is, the Dead) will stay in their abode, Koakai. This is what happens for Alu people: the Mono dead go to Bareka, and come back after wards to Ofale or Falamai, which are in Mono, as Koakai is in Alu. The Fauru dead come back to Fauru.

The accounts of the itinerary of the Dead were not whoUy in agreement as to details; this may be set down at least in part to a certain confusion arising from the present Alu people being settlers from Mono within living memory. By combining the Statements we arrive at the foUowing probable account. A person dying in Mono first of all (that is, his nunu) dives (aga) from a high rock called Fetunu into the sea to

92 Gerald Camden Wheeler

bathe and comes up again. Fetunu is on the south side of Stirling Island, which is close to Mono on the south side, making with it the so-called ^Blanche Harbour'. Thence the nunu goes to Ilina, an island rising to a great height^ and lying between Fauru and Bougainville; here it dives into the sea and bathes; then goes to Papau in Bougainville.

When a man dies in Alu^ he first of all dives (aga) into the sea and bathes at Bambagiai, a place in south-east Alu just by the present government-station; there used here to be a coconut tree which was nitu saria agaagang (Hhe diving- place of the dead'). From Bambagiai the Alu dead go to Ilina, thence to Papau, taking the same road as the Mono dead. The Fauru dead after (presumably) diving into the sea and bathing at some place in Fauru, go to Ilina and Papau like the Mono and Alu dead.

Thus probably in the case of all three islands the ways of the dead all meet at Ilina; thence they go to Papau and the other places now to be mentioned in Bougainville.

Papau is a rock on the shore in Buim. From Papau the dead go to a rock on the shore in Kieta called Baripoa; here is the nitu Uauamai, and what happens will be described below.

After Baripoa the soul (unless it does not give the fee to Uauamai) goes to Dandaronauang (see below); thence to Siropa, a rock by the sea; here there is a tree overhanging the sea, up which the nitu (dead person) climbs and then dives and bathes. Then he goes to a river called Turiono in Kieta (coming out into the sea at a stretch of land called Mapili or Mapiri); here he bathes, and walks about (men see the footprints on the sea shore). From here he goes to Bareka which ends his journey away from bis island.

' See British Admiralty 'Sailing Directions*.

^ This may have been true of the Old Alu people; and only par- tially assimilated as a belief in their own case by the Mono settlers who came after.

Death Rites of the Western Solomoh Islands

93

All the dead go througli the same journey (unless they leave Uauamai unpaid at Siropa; see below).

From Bareka the Mono nitu (dead) are taken when their bodies are well, by fafanua (fellow-clansmen) to Besara or Falamai in Mono, places of the dead.

Alu nitu come back to Koakai in Alu. The Fauru nitu come back to Sigoai in Fauru. These are the final Abodes for the Dead of these islands respectively. Such is the general itinerary of the Dead: certain points arising from it will now be developed.

6. Some statements by the old man Baoi may be given: Mono

tiong enamate enaali felia

enatutulu nununa. enagagana.

lau enasoku Baripoa. (At Ba-

ripoa) äü sana Uauamai. enaua

ga Uauamai ^maito fina ona-

bilu? onateleafa beampeu soa

onabilu' enaua Uauamai. ena'-

nkoti ga peu (kekeve, perasale

momolu) nununa enatele ga

Uauamai. ^Soa. bilu tia. toka

ga poa ea' enaua ga Uauamai.

ala enabilu. enabilu Siropa.

i lau kenoa enaabala ala ena-

I gagana Bareka. lau enasoku

\ nituaang famata.

English When a man dies and is burnt in the fire, bis nunu will rise up. It will go. Then it will come to Baripoa (a rock at the sea's edge). (At Baripoa) is Uauamai. Uauamai will say ^Thou, whither art thou going? If thou givest me something, thou shalt go on thy way', U. says. It (the nunu) will take something (one fathom of beads, or shell-mo- ney); the nunu will give it (or the nunu of it) to Uauamai. 'Right. Go thy way; take that path', Uauamai will say. Then it will go its way; it will go on to Siropa. Then it will dive down into the sea. Then it will go to Bareka; then it will reach the abode of the nitu (plur).

94 Gerald Camden Wheeler

The dead person smears the rock Siropa witli earth; the marks are seen by living men who say: tiong imate. alauuta iilopa. ('A man is dead; he has just made a mark'). A yovinger man or a woman smears loto (that is probably red earth); a fuU-grown man smears fioi (a white earth).

It will have been noted that at various places the dead dive (aga) into the sea; from a remark made in another con- nection this would seem to be to cool the body after the burning of it.

In this connection it may be remarked that aga is the term used to deoote the falling of a shooting-star, which is called fetunu. Fetunu is the name of the first diving-place in Mono (see above). Further Fetunu, the shooting-star, is a nitUy and its falling foretells the death of someone (see above). So that there seems to be a definite connection of thought between the falling of a star and the diving into the sea of the dead; to both of which actions aga is the term applied.

In Baoi's account the nitu Uauamai occurred: this brings US to an important set of ideas.

7. Uauamai, the Warden of the Road.

The soul on its way to Bareka meets Uauamai at Baripoa. In the account before given the nunu gives a gift to this nitu^ and is shown the way, so Coming to Bareka. Said Baoi:

Mono tiong abu enatele Uauamai Uauamai enalutim ^sang be- ampeu fina ga maitonana? ale enateleo?' enang ^Aisa ea ga toka poa eang' enaua ga Uaua- mai. boo auau saria poa ga enatoka. enasoso. abaang ena- gagana.

English If a man does not give to Uauamai, if he refuses Uaua- mai; if he says to him ^Where is the thing for thee, thee indeed? Who will give itthee?' Uauamai will say, 'Come! follow this, this way.' He will foUow the path of the pigs and dogs. He will lose his way; he will go into the bush.

Death Rites of the Western Solomon Islands

95

If the man gives the gift to üauamai,

Mono rekona poa enatoka. lau Si- ropa enaabala. enasisiu. ala enabilu Bareka.

English he will take the right path. Then he will dive down at Siropa; he will bathe; then he will go on to Bareka.

AU the Dead have to give this gift to Uauamai. If the dead person gives the gift, before Coming to Siropa he comes to Dandaronäüang, where he finds out why he has died (see below); so that apparently Siropa and Turiono are not in the itinerary of those dead who do not fee Uauamai,

Baripoa is a great rock on the shore in Kieta; it is also called Tanipunu (which may be the Buim name).

According to Baoi the dead man who does not give to

Uauamai sleeps some nights in the bush and finally reaches

Bareka, merely later than the man who has given. But Bitis^i

j gave the following account: . :•

Mono tiong enamate abu enaga- jgana äbua. enagagana Buim. 'enasoku poaang. enasoku sana jhamataang Uauamai. ^maito 'nto beampeu' enaua ga Uau- amai. enatele poa rekona ga enatoka. lau tiong paitena lenaua ga Uauamai ^nto beam- peu' enaua ga Uauamai abu jenatele auau sana poa boo sana poa ga enatoka. tiong rekona enatele beampeu ga iCFauamai enatoka ga poa re- kona. enagagana enasisile ate-

English When a man dies he does not go to the sky; he goes to Buim. He arriyes along the road; he comes to Uauamai's place. ^Thou, give me some- thing', says Uauamai. If he gives it he goes along the right road. If an evil man, when Uauamai says ^Give me something' (says U.), does not give it, he will follow the dogs' path, the pigs' path. When the good man gives something to Uauamai, he will

96

Gerald Camden Wheeler

lea Turiono. eiiasae. enasoku take the right path, he will Bareka. enaäü. enaua. enasoma. go and bathe in the river

Turiono He will go up inland, and will reach Bareka. He will stay there. So he will do. He will linish (bis walkiüg about).

The path (poa) of the pigs and dogs must be taken to mean bush-paths made by these beasts: so that the dead person wanders in the bush.

The view held by Bitiai that the Dead abide definitively at Bareka will be again referred to. A further statement by Bitiai was:

Mono tiong paitena abu enatele beampeu auauaang poa boo saria poa ga enatoka. eriagolu auau eriagolu boo. abu ena- lefema. enaua. enasoma.

English If a bad man does not give something he will foUow the dogs' and the pigs' path. The dogs will eat him; the pigs will eat him. He will not come back. So he will do. That will be the end of him.

Uauamai is ever looking out along the road of the Dead.

A further statement was: the tiong paitena (bad man), not giving the gift to Uauamai, enasoso. auau saria poa hoo saria poa enagagana (Vill lose his way; will go the path of the dogs' and the pigs'); ahu enasoku Bareka. enaue^ (^He will not reach Bareka; he will disappear').

In these Statements we have the view that the failure to fee Uauamai means annihilation, or another death; whereas in the other view it was seen to mean only a delay in reachinsr Bareka.

* On one occasion Bitiai seemed to give Eberia as the name of the place where such persons go.

Death Rites of the WeBtem Solomon Islands 97

8. The Nature of the Gift to Uauamai

The dead man Coming to Uauamai, the nitu at Baripoa, must give him a gift if he wishes to reach Bareka by the right path, or, according to another account, if he wishes to reach Bareka at all. The gift is not a big one shell-money or a shell-armring, or in late times European goods such as beads. The dead man only gives something of the goods he bears with him (that is the nunu of the things of this life), not all of them; the rest he takes on to Bareka, and then to the final abode of the Dead in Mono, Alu, or Fauru.

The ability to give this gift is not dependent on any ethical valuation. A man who has been bad in this life, in that he has sigdla (done adultery), mölemöle heampeu (stolen or injured something), been a poapoau (killed bis fellow-clansman) can give the gift, and so get to Bareka: the good man too must give it.

It was Said by one man of Talakana, the great warrior- chief, that he refused it, and yet got straight to Bareka; he was a poapoau paitena ('bad man-killer').

Whether a dead man gives the gift to Uauamai depends only on whether he takes the wherewithal with him. What a man has is what has been burned, buried, or put in the sea with his body.

But if a man is killed in war and his fafanua (fellow- clansmen) do not bury his body with something, then he has nothing to give Uauamai, and goes the dogs' road (or, on the other view, is delayed); the same is true of a man dying any violent death. In the description above (p. 89) of the calling back of the nunu of a man who has fallen from a tree, it was Seen that a feropeu nitu, that is the ghost of a man who has died a violent death, may answer the call. This would jevidently be one that took no gift from the living; and we 'seem to have the belief that his ghost haunts the bush near the living.

Archiv f. Eeligionswissenschaft XVII 7

98

Gerald Caraden Wheeler

In Bitiai's account above the terms rekona (good), paitena (bad) were used for the man who gives or wlio does not give the gift to Uauamai (p. 95); these cannot be held here to have an ethical force, but merelj to denote the temper, or the generosity or otherwise, of the dead man.

The gift to Uauamai indeed may be viewed as somewhat analogous to the one made to Soi when the writer visited Soia.i

9. Dandaronäüang

The foUowing statement was made by Baoi: If the dead man makes the gift to Uauamai, he then goes to a place called Dandaronäüang. Here the foUowing is what happens:

Mono enatutulu. enaua *Koe. afau- aang haimatema?' enaua tiong nitu angenamate. enaua elea nitu *eauaang oimatema beam- peu ga angoimolemole. gau imatemaata' enaua tiong elea nitu nitu talu. ^0 alaata hai- ataieng ga angfaimateiai' enaua tiong angenamate. ala enabilu Siropa. lau enaabala euaga- gana. enabilu atele Turiono. lau enasoku enasisiu Turiono. ala enasae Bareka. alau enaau hamataang.

English He will rise up. He will say, 'Hullo! Why is it I have died and comehere?' says the man, a niiu who has died. A nitu will say: ^It is for this that thou art dead and hprc that thou hast done wrong; therefore art thou dead and here' a nitUy a nitu talu, will teil the man. ^Yea: now I know why I died', the man who ha.s died will say. Then he will go on to Siropa. When he has dived down, he will go; he will go on to the river Turiono. When he comes there he will bathe in the Turiono. Then he will go up to Bareka Then he will stay in the place (Bareka). "

AB XV 325.

Deatb Rites of the Western Solomon Islands

99

Here his body will get well, and he will then come back to the island he belongs to.

The nitu talu in the above who teils him why he died is evidently one of the earlier dead; he is told that he has done some wrong (heampeu molemole) man-killing, adultery, stealing, etc. This must be taken to denote the man's action which led to his being killed, not to refer to any supernaturally scnt death.

Bitiai observed: fanua tiga 'nai dreamate dbu dreaonogu When people from here (that is, this life) die they do not know'; that is, do not know why, or how, they died.

If a man who is sick is not really dead, when he gets to Uauamai he will not be asked for a gift. Uauamai will say:

Mono ^apeeta haiataieno. gagana 'nau Dandaronäüang onaatai- enama uling' enaua Uauamai. enagagana ga tiong. lau Dan- daronäüang enasoku ^^haiafaua ga haimatemaata?' enaua. ^a— ' ^maito uling

enaua nitu talu

salena. onalehe. ape matena

gau' enaua nitu talu. enalehema

i tiong nununa. lama enasale.

English ^I do not know thee. Go there to Dandaronäüang, and thou wilt know thy body there', Uauamai will say. The man will go. When he comes to Dandaronäüang, he will ask,

^ Wherefore am I dead and here?' ■^Ah', says a nitu talu, Hhy body indeed is alive. Go back. Thou art not dead', ^e nitu talu says. eaua. The man's nunu goes back;

then he lives. Thus it is.

The nunu, it was said, will be told by the dead man's

\fafanua that his body has been left behind in his house, as

he is not dead: they will teil him to go back. If he really

were dead his body would go too to the Abode of the Dead.

i We have here the Suggestion that the nunu cannot go to

Bareka without the body, that is unless the death rites are

Icarried out; which is to be compared with what was said above

I about a man that has been killed having no fee to give Uauamai.

100 Gerald Camden Wheeler

If a man is only apparently dead (through sickness), be will carry no property, and Uauamai will send him on to Dandaronauang, as just related. Dandaronauang is a point very near Toborai.

10. Tbe dead person is taken to Bareka by tbe gbosts of earlier dead (probably bis fafanud). On anotber view evil nitUj tbat is lalele, tbe sickness demons^, take bim to Bareka; bere be will be welcomed by dead Kieta folk (bis fafanud), and cared for by tbem-, tben bis dead fafanua from tbe Abodes of tbe Dead in Mono, Alu, or Fauru will come to take bim back to tbe island to wbicb be belongs.

Tbe Dead tberefore go tbrougb a definite journey tbrougb tbe land of tbe living to certain places after deatb; tbis way, road, or patb of tbe Dead (nituaang poa) is found in tbree of tbe tales wbicb were coUected; in two of tbese living people meet tbe gbost of one just dead wbo is on bis way along tbis patb, and be gives tbem bis tamari (see above, p. 96).

C. The Life after Death

11. In tbe above it bas been seen tbat after deatb tbe nunu first goes to Bareka in Bougainville, and afterward s comes back to an Abode of tbe Dead in tbe island to wbicb tbe living man belonged.

We bave two aspects of tbe nunu\ it is a sometbing wbicb leaves tbe body (permanently after deatb); and it is also tbat form of tbe body {uli) itself wbicb on tbe Deatb Rites being carried out goes on to tbe world of tbe Dead and carries on a counterpart of tbe life in tbis world.

Tbe dead man (tiong) is also a tiong in tbe next life; a nitu (gbost) is also tiong in tbe sense tbat in form and way of life it is a true continuation of tbe man as be lived bere

Tbe nunu, said Baoi, is nitiigu: tbis brings us to a grs matical usage wbicb sbows tbe real meauing of nitu.

» See AR XV 49.

Death Rites of the Western Solomon Islands 101

Sagu nitu ('my nitu') denotes: the particular nüu fghost) which Stands in close relation to me as a tiong dondoro, or as a kinsman.^

nitugu ('my nitu') denotes: myself after death; what of me is carried forward beyond death, and kept in existence by the nimu] the ghost of me.

In the second usage the idea of identity, or of a part of the person, is shown by the use of the suffix to denote pos- session.

12. Bareka

According to Baoi (whose view we take to represent that generally held) tiong fafungmate enagagana Bareka ga nununa *When first a man dies his nimu goes to Bareka' (see above).

An account (by Baoi?) was given as follows: The dead man will be welcomed at Bareka by nitu relwna, that is good nitu, dead Kieta folk (his fafanua). They will ask, ale gau? Who art thou?'

Soa maha ga 'Yes: it's me' (he answers).

leang porau ^Give' thy name', they say.

enaporau ga Icana ^He will give his name'.

Soa. sang latu aJiana? ^Well, which is thy latti?' they ask. And he teils them it, and his fafanua acknowledge him.

Mono ala enafalolofi sana numaang. ala enasisile. enatele darami. enanonomoki ulina. ala enakare tiong. enarekoreko ga ulina; ^alaata hairekorekoota' enaua ga tiong. ala erialaui nitu.

English Then he (one nitu) will bring him into his house and he will bathe; he will give him food, and ruh his body. Then the man will get strong; his body will get well. 'Now I am well', the man will say. Then nitu (ghosts) will come to him from Koakai and take him back there.

' See AB XV 40, 44.

102

Gerald Camden Wheeler

The nitu who come to fetch him to Koakai are liis fafa- nua] a Mono man would be fetched to Ofale or Falamai.

The rabbing of the bodj is to remedj the wounds of battle, or the ills done by lalele, the sickness-demons ; or the härm from the fire when the body was burned, or by sharks when it was thrown into the sea.

We see in this how the body itself (that is, its nunu) is thought of as Coming to Bareka.

Baoi's Statement that the Alu dead conae back to Koakai in Alu has been already seen (p. 91)

Of Mono men he stated:

Mono j

Mono tiong enamate enaga- gana Bareka niinuna. enareko- rekoma ga ulina. ala enalehema. erialaui sana fafanua. ala eria- meraiama ala enaeva batafa enapula numa. ala enaäü

I

Englisli When a man dies in Mono, his nunu goes to Bareka. Then it stops at Bareka; his body gets well there. Then he comes back here. His fafanua go to him; then they bring him ha^HI here. Then he comes to Mono. I Then he weds a wife and builc

a house. Then he stays at Ofale or Falamai, as he wishes it.

Fauru men after staying at Bareka come back to SigoäT in Fauru.

In Bareka the body recovers (^nau enarekorekoma ga ulina) from the effects of the fire, etc.

The Mono-Alu-Fauru dead do not stop at Bareka; but as to the Kieta, Telei, Molafe that is, Buim dead, their place is Bareka (saria hamata ga Bareka)^ and they stay there for good.

Bareka was called the relwrekoang, that is, Vepairing-place', *recovering-place', for Mono, Alu, Fauru. They work at Bare and leave when they feel well again.

Bareka is an ölo hanegana (great hill); it is a volcano

I

Death Rites of the Western Solomon Islands 103

The fire is Bagana (nitu) sana feli The nitu Bagana's fire'.^

The nitu (Daad) at Bareka work their gardens and sing and dance at night, and can be heard but not seen: if you see them you die. Living men do not cross the Turiono river, by the abode of the nitu] otherwise they die.

No Chief of all the nitu at Bareka seems to be known to the Mono-Alu people.

It will be noted that the bulk of the nitu there are the Blüm dead; the Mono - Alu - Fauru dead are only temporary dwellers. The view that they come back to abide definitively iu their own islands must be taken to be the general one. There is also another view which must be here mentioned. Bitiai stated:

Mono fanua peu Mono fanua peu Alu fanua peu Fauru fanua peu Buim dreamate famata Bareka Bareka opu.

English If people of Mono, or of Alu, or of Buim die, their abode is Bareka, and only Bareka.

The nitu at Bareka may return to Mono, Alu, or Fauru to see their fanfanuä but go back to Bareka.

How far or whether this view, which must be looked on as exceptional, is due to Christian or Buim influences cannot be determined. It was held by Bitiai in conjunction with the idea that those who do not fee Uauamai do not get to Bareka, but perish on the way (see above).

We have, then, two differing Mono beliefs as to the final Abode of the Dead: we may apply to them Dr. Rivers's Sugges- tion in the case of Simbo, another Island about 40 miles away, that we have the meeting of two cultures: what we may call ; Bitiai's doctrine may represent a Buim element. i We shall now deal with Abodes of the Dead in Mono, Alu, and 1 Fauru, taking the view that they are the final and definitive ones.

I ^ 'Bagana' is said to be the only now active volcano in Bougain-

[ ville. (See Brit. Admiralty 'Sailing Directions'.)

104 Gerald Camden Wheeler

13. Alu. In Alu as Abodes of the Dead tliere are Koakai and Soia. Alu men who die to-day go finally to Koakai. Koakai lias been already mentioned^ as the abode of the nitu Tiong Tanutanu: it is a piece of land on the south shore of the smaller island of Magu^aiai, which is separat ed by a narrow Channel from Alu.

Koakai is the place where go all the dead of the Mono settlers in Alu, that is of the present Alu people. Close to it is the place where abide all the Old Alu Dead who died in the fighting when the Old Alu people were driven out of Alu by the Mono. The three Old Alu chiefs of Magusaiai, the village, resolved when dead to stop at their old place, and there went all those who died at this time.

This probably explains, too, the origin of Koakai as such an Abode. Before the Old Alu nitu went to Magusaiai, Soia (see below) was the Old Alu Abode of the Dead.

Koakai is also now a burial ground for the bones of dead inen and women of chiefs rank after the bodies have been i burned (see above, p. 70).

Tiong Tanutanu is the lalaafa (chief) of all the Dead at Koakai: this nitu died as a child in Mono (where bis bone- fragments were buried) before the settlement of Alu.

In Alu there is another Abode of the Dead. This is Soia, already mentioned in connection with the nitu Soi.^ This place was a burial- ground for the bones of the burned bodies of the Old Alu dead, probably only those of chiefs rank. Since the Mono settlement only very few of the dead of the Mono people in Alu have had these bone-fragments buried there. Soi is their lalaafa. The Old Alu dead at Magusaiai are only a few. The Mono chief Terguson' who died a few years ago abides too at Soia, where bis bone-fragments were buried.^

Gaumakai, already mentioned^ is to a certain extent still looked on as a Place of the Dead, though it has lost all taboo.

' AR XV 47. 2 ^22 XV 322 etc. ^ Cp. AR 326. ^ AR XV 53.

Death Rites of the Western Solomon Islands 105

The Dead liere are evidently Old Alu; their chief is Dudueri. It looks as though Gaumakai had been superseded as a Place of the Dead by Sola before the Mono conquest; but probably it kept some of its taboo as long as there was an Old Alu village near. Its holiness or taboo would have lost much of its strength when it was no longer the place to which the contemporary Dead went.

Mono. In Mono are two main-places of the Dead, Ofale (Besara) and Falamai. At the present day Ofale (Besara) is the place where the Dead in general go.

The writer visited Besara or Ofale. Besara is a stretch of iand in north -west Mono. Here is the site where was the village called Besara, belonging to Bagara, the conqueror of Alu about 60 years ago. This site, together with that of Bagara's quarter (that is, the chiefs quarter in the village) spread over a good deal of ground, about a quarter of a mile frora the sea. Through them runs a river called Konggo, said to be füll of crocodiles; all is now covered with bush. Ofale is the name of a narrow strip of Iand down by the sea, where the Konggo river comes out. There is a rock at the mouth on the edge of the water, called Kusihororo; it is nitu saria pausape (the rock of the \nitu, the dead).

I Of the party with me was the old Mono man Konggo; this jwas the first time he had been on Besara as far as the sea; jhe did not come down to Ofale, though a native did with me l^his Bon, I think). One of the men declared he heard the nitu Ivinui (see below) tapping a tree to show his anger. From Besara the Dead go down to Ofale to bathe in the sea. People passing in canoes do not look for fear of seeing them, and u) dyiüg.

I Ofale is the place where the dead keep their canoes (Ofale litu saria matalai).

Besara has become the Place of the Dead within late times ts origin as such was as foUows:

i06 Gerald Camden Wheeler

llala, a Mono chief at the village of Besara, liad the chief Ivinui, brother to Bagara, killed, while Bagara and two broth- ers were away in Alu. Bagara and bis brothers tben moved f rom Besara to Maloaiini (North Mono) ; Ilala went to a place in Mono called Baripoa. Affcerwards Bagara aüd bis two brothers on the one side, and Ilala on the other, had a fight at Besara on the Konggo river, when there was great slaughter the bodies were thrown into the river.

It was from this time that Besara seems to have become a Place of the Dead. The chiefs Ivinui, Bagara, and the other Chiefs seem specially identified with the place; probably Ivinui as having died there is the raost specially identified with it. hoitalii Besara Ofale sinsisileang hoitalu atele (Ofale) reliona *Formerly Ofale was the bathing -place for Besara; formerly the river (Ofalej was right'.^ Imateiai Ivinui , oaua gq irisoa simea Besara ^Ivinui died there; therefore the simea clan took Bfsara for themselves.'

Here we see the particular identification of Iviniii with the place. The fighting at Besara seems to have been ratber in the natura of a fight between latu haumana and latu simea, which would account for the latter assertion. But Besara is now the place to which the Dead in general go.

There is another place in Mono, a stretch of land called Falamai (on Blanche Harbour), which was an Abode of the Dead, but has now almost lost its character as such, and with it alinost lost its taboo (olatu). It has evidently been superseded by Besara^ from the time of the fighting there. Falamai was perhaps once a bone burial-ground like Koakai in Alu is now. Just as there is a tendency especially to connect latu simea with Besara, so is there one to connect latu haumana with Falamai; perhaps this is because of the association of their former enemies

rekona here 'right for the living' opposed to olatu, taboo. Cp. Sola and Gaumakai in Alu

Death ßites of the Western Solomon Islands 107

tbe si7nea with. Besara; or because of the nearness to Falamai of Marimari (see above, p. 76).

Another Place or Abode of the Dead in Mono is Utupang, a Stretch of land on the Stirliiig Island shore of Blanche Harbour. Here there used to be a village of the same name^ the chief of which, 'Mackenzie', died some thirty years ago. ütupang is now the place of this nitu 'Mackenzie': isoa ütu- pang (^He has taken U. for himself ') ; here are also the ghosts of his people that have died.

No one goes to ütupang, except an old man (now dead) who onee was his tiong (that is, bought slave); a Bougainville man; dondoro of an infant m"^t(, likewise called Mackenzie.^ Bitiai observed in this connection: lalaafa enamate enaau angenama- teiai 'When a chief dies he abides where he has died'.

Another place which is a nitu (ghosts') abode is Sipale^ a hill near a cove called Kugala^ on the Mono shore of Blanche Harbour: it is nitu saria hamata (Jan Abode of the Dead'), but belongs to latu haumana and fanapara only; the chief of the place is probably Omakau^ of latu fanapara. Near the cove there is a small hoUow under a rock; this too is their I place. If living men do not give these Dead food they get iangry, and wild pigs eat the gardeos of the living. The Dead have a snake which is their pig {hoo).

At Asunu on the Mono shore of Blanche Harbour is a famata (place) of the Ome.^ Here dwells also a once-living man Soropo, and he is their chief.

14. The Nature of these Abodes of the Dead

From the foregoing it is seen that the final Abodes of the Dead in Mono and Alu^ are more than one. They have not

^ See ^22 XV 44.

^ Hereabouts is a keno (bone - disposal place) for latu haumana and 'anapara.

^ He was a brother of the celebrated 'Big' Gorai.

* See AR XV 354 etc.

^ Those in Fauru, of course, would be of the same kind.

108 Gerald Camden Wheeler

a permanent existence; their beginning can in most cases be traced; and tbey are seen to go tbrough a process of decaj, and lose it may be their character as sucli altogetber (cp. Gau- makai in Alu, and Falamai in Mono).

A place evidently only keeps its importance as an Abode of the Dead as long as it is still the place to wbicb tbose who die now go: of tbis importance tbe degree of olatu (taboo) is an index.

Soia, altbough no longer a place to wbicb tbe Dead go, keeps its importance probably because of tbat attacbing to Soi; and perbaps also from tbe importance it beld for tbe Old Alu people.

In Alu probably Koakai is now more taboo tban Soia, since tbose wbo now die go to Koakai. Gaumakai, wbicb once seems to bave been an Abode of tbe general Dead, bas now lost all or nearly all its taboo, baving been superseded in Old Alu times by Soia; tbe importance of Dudueri bas not been great enougb to maintain a taboo on tbe place.

In Mono to-day Besara, tbe place to wbicb tbe Dead in] general go, bas tbe bigbest degree of taboo; Falamai, whichi was superseded by it almost in living memory, bas lost nearly all taboo.

Otber places tbere are in Mono, but only for certain of the Dead; of tbese only Utupang bas a strong taboo, evi- dently because of its association witb a somewbat lately-dead cbief.

Tbere is notbing fixed or permanent tben about tbe Abodes of tbe Dead; but probably at any time some one place in an island is looked upon as tbe General Abode; Koakai is such a place in Alu, Besara in Mono.

Tbere is no close correlation between a place being a bone burial - ground and its being an Abode of tbe Dead. Besara, for instance, does not seem to be associated witb bone-burial (at least, no mention was made of it); Koakai, it is true, is a

Death Rites of the Western Solomon Islands 109

bone burial-ground, but in Alu there are other sucb burial- grounds.

At the same time a place wbere the bones are disposed of is definitely associated with the Dead; this can be seen in the olatu (taboo) on the former heno of the latu (p. 77).

Again^ at Soipa, near Faleta, the bones are buried of Mu- kolo, the child of the late chief 'Ferguson'; the nitu Mukolo was taken by the nitu Ferguson to Soia, where the latter has his abode, and where his bones are> Terguson' spoke by rocking {aiai) a canoe^ saying:

Mono Maha natugu ape enaäü Soipa. hanamera sagu hama- taang Soia.

English My son shall not stay at Soipa. I will take him to my place Soia.

This sliows that otherwise Mukolo would have abided at Soipa. In fact at Soipa we seem to see the beginning of a ;special place of the Dead for Faleta, associated with bone- iburial. It is probable that a village would have its special bone burial-ground, which might become a General Abode of ikhe Dead if there were further circumstances : Soia, and perhaps Uaumakai, are examples of this in Old Alu times. 1 On the other band Besara and Koakai of to-day owe their jjharacter to the remarkable events which happened there great slaughter and the death of chiefs.

A bone burial-ground evidently derives its special character [rom the fact that the bones in all, or nearly all, cases will ')e of persons of chiefs rank.

The case of Sipale in Mono (see above) shows a place |)elonging to the dead of certain latu.

The fact that a nitu may be worshipped at his mome iburning- place of the body) shows that this too may be a

' AR XV 326. ^ AB XV 43.

110 Gerald Camden Wheeler

resort of the gliost. The sape^ and the lopo^ are evidently too occasional resorts for a gliost.

15. The Life of the Dead

It may be concluded that 1) in each island there are more than one Places of the Dead; 2) they arise in more ways than one; 3) they go through a history of growth and decay; 4) fort hose which are to be found in existence at any time there is an indefinite number of others which have lost the attribute.

In their final abode the Dead are the counterpart of living men; the life is a continuation of the physical life^ and not different from it. Death brings only a modification in a con- tinuous existence whose earlier part is the Life of this world. The nitu (Dead) work in the gardens, dance, marry, and have children. They may go about visiting the Abodes of the Dead in the other Islands, and may marry and settle there.

They are sometimes said to live Underground. They are active at night. The Dead acquire special skill after death; for instance, Terguson', who died a grown man", was said to be leaming how to kill turtle from the Infant nitu Düng, who died before him.

It was not known whether the nitu die again; but tbe Statement will be remembered that a dead person not giving the gift to Uauamai disappears or is annihilated (p. 96).

Each Abode of the Dead in Mono and Alu has its chief; and he is one that was of chief's rank in this life. The origiii and existence of a place as an Abode of the Dead is bound up with the association with it of some chief; either an Iden- tified Ghost, that is one whose lifetime falls within living memory (as Tiong Tanutanu at Koakai, Ivinui at Besara); or one unidentified (as Soi at Soia).

AR XV 40 etc. ^ j_j^ XY 47 etc.

Death Rites of the Western Solomon Islands Hl

The rest of the nitu are the tala of this lalaafa: tdla among the living denoting the people of a chief (lalaafa). At Soia we See the lately-dead nitu ^Ferguson' taking on some of the importance of Soi, the earlier and proper lalaafa.

The first origin of almost all the Abodes of the Dead may be explained by the view that a chief stays on where he died; whether such a place becomes an abode of the Dead in general would depend on other factors; the importance of the chief would be one of these, another being the occurrence of some striking event in connection with his death (cp. Koakai, Besara).

This staying of a chief and his tala where he died gives a further link of continuity between this life and the life after death.

The only word for the Vorld of the living' seems to be peta C^land', ^ground'); maita sara (^ours') was once used of what belongs to the living.

16. Folklore. Two tales were heard of visits to the world of the Dead.

In one (from Mono) a man marries a woman-ghost. She gets with child and they go to the Abode of the Dead, which is Underground, taking the Path of the Dead (nituaam poa). When they get there the woman's father and mother entertain fjthem; then the man and wife come back again to the land of ithe living, and the woman brings forth a child. She bids her liusband not to eat bread-fruit as it is forbidden to nitu\ but ]]'' does so and she goes back to the Dead.

In the other text (from Buim) a man and his wife are in V: canoe; he drops his axe overboard into the sea, and dives after it; he breaks through into the Abode of the Dead, where he stays two days, then comes back. If he had looked on the Dead he would have died; but one nitu looks after him.

17. Sketch-Map of the Bougainville Strait (after British Admiralty Chart). The 1. c. Positions are only approximate.

112 G! erald Camden Wheeler Deatli Rites of the Western Solomon Island

B AG ANA BAREKA

OVAÜ

BOÜQAINVILLE STRAIT,

ILLE J^^JZINA/J^

CUOISEUL

cpMÄGüSAIAI

/^MONO ^^STIRLING r^

5 10

SEAMILEa

Moaila is 52' South; 155« 40' East (Greenwich).

1. Sola.

2. Koakai, Magusaiai.

3. Gaumakai.

4. Bambagiai.

5. Fetunu.

6. Papau.

7. Palusua (Foifoiti).

8. Baripoa, Dandaronauang.

9. Siropa.

10. Atele Turiono.

11. Besara, Ofale.

12. Falamai.

13. Oilo.

14. Sipale, Asunu.

15. Blanche Harbour (lies be- tween Mono and Stirling Id).

Der Lamaismus und seine Bestrebungen znr Hebung seines intellektuellen und moralischen Niveaus

Von P. Guries, Professor an der geistl. Akademie zu Kasan

Aus dem Russischen übersetzt von A. Unkrig, Kleriker am orth. Johanneum in Shitomir

Die lamaistisclien Kalmüken gingen aus der Dsungarei nach Europa in einer Epoche über, als sich der Lamaismus besonders kräftig entwickelt hatte. Bald nach ihrer Auswanderung an die Ufer der Wolga im 17. Jahrhundert verbreitete unter ihnen eifrig den Lamaismus Zaya Pandita, bekannt durch seine Gelehrsamkeit und seinen religiösen Eifer, durch zwei Reisen aus der Dsun- garei. Außer Bereisung der kalmükischen Nomadensiedlungen mit der Predigt der lamaistischen Lehre arbeitete Zaya Pandita emsig an der Befestigung des Lamaismus durch Übersetzung der heiligen Schriften des lamaistischen Glaubens aus dem Tibe- tischen in die kalmükische Sprache, zu welchem Zweck durch ihn das mongolische Alphabet reorganisiert und der Darstellung der lebendigen Laute des Volksdialekts angepaßt wurde. Diese Übersetzungstätigkeit, von Zaya Pandita eifrig vorwärtsgebracht, wurde auch später fortgesetzt, so daß sie mehr denn 200 Hand- schriften verschiedenartigsten Inhalts, religiösen, moralischen, philosophischen, historischen und medizinischen, füllten. Aber dessenungeachtet konnte der Lamaismus bei den Kalmüken des Wolgagebiets, die da von der Mongolei und Tibet, den Zentren der lamaistischen Glaubenslehre, losgerissen sind, keine besonderen Fortschritte in seiner inneren Entwicklung machen, um so mehr jals die Kalmüken in beständigen äußeren und Stammeskriegen i leben mußten. Zwar trafen einige kalmükische Chane, als sie das I Sinken des Lamaismus im Volke und die Verkümmerung reli-

Arcliiv f. Keligionswissenschaft XVII 8

114 P. Guries

giöser Bildung unter der Geistliclikeit bemerkten, Anstalten zu seiner Hebung, wie beispielsweise Dunduk-Dasbi, aber auch diese Maßnahmen konnten nicht ernsthafte Bedeutung haben, weil sol- cher Chane wenige waren und weil die Ereignisse des Jahres 1771 alles unterbrachen.

Seit 1771, als ein großer Teil der Kalmüken mit dem Chan Ubashi nomadisierend nach der Heimat zurückzog, verschlech- terten sich die Bedingungen für die innere Entwicklung des Lamaismus in den kalmükischen Steppen bedeutend. Mehr unc mehr verarmte der geistliche Stand an religiös gebildeten Leuten beständig nahm die Zahl derer ab, die Kalmükisch zu lesen unc' zuschreiben verstanden und, wenn auch nur zum Teil, die religiöse Übersetzunsjsliteratur verstehen konnten. Die fortschreitende Ver armung religiöser Bildung ging im gegenwärtigen Jahrhund er so weit, daß die Mehrzahl der Geistlichkeit fast verlernte, ihn Bücher zu verstehen, und nicht selten suchte der eine oder dei andere Churul (Kloster)^ nach dem Tode seines Bakschi (Abtl einen Nachfolger in fremdem Stamme, ihn aus den mehr gebil' deten Chumariken^ auswählend, da sie selbst solche bei sich ver mißten. Und in unserer Zeit können, ohne hier schon vom Ver ständnis religiöser lamaistischer Bücher zu reden, bei weiten nicht alle Geistlichen Kalmükisch lesen und schreiben.

In den letzten Jahren jedoch wurden gleichzeitig mit den Erwachen nationaler Bestrebungen bei den fremden Völkern aucl innerhalb der kalmükischen Geistlichkeit Versuche zur Hebung ihres intellektuellen und sittlichen Niveaus, das bis dahin nich gerade hoch steht, bemerkbar. Dies fand seinen Ausdruck in de Eröffnung höherer lamaistischer Schulen in den kalmükischei Steppen und in Zusammenkünften der lamaistischen Geistlichkeit die Maßregeln und Statuten zur Hebung des intellektuellen mv moralischen Niveaus des Churul ausarbeiteten.

^ Mong. geschr. Chural die Versammlung, die Geistlichkeit eines Klosters ^ Vulgär für Mong. Chubarak „der Geistliche", Tibetisch dGe'duD Sanskrit Sangha.

Der Laraaismus und seine Bestrebungen 115

Um die Leser mit dieser Bewegung in den kalmükischen Steppen, die die Eröffnung zweier höherer lamaistischer Schulen, stolz „Akademien" genannt, hervorrief, will ich hier einen Artikel ,,Gegenwärtige Strömungen im Lamaismus" vorlegen, der alle Nachrichten über die höheren Schulen und über die Tätigkeit der Kongresse der lamaistischen Geistlichkeit gibt, soweit solche nur zu erhalten waren.

Vom 12. Oktober 1906 ging in das kalmükische Volksanit (in Astrachan) aus dem „Departement der geistlichen Angelegen- heiten ausländischer Konfessionen" ein Dokument folgenden In- halts ein:

„Der tibetische Alteste Tsanit Hambo Lharambo Agvan Dor- djiev^ legt unter Hinweis auf die Tatsache, daß es bei den Kal- müken keine höheren Schulen zur Erziehung von Lamas gäbe, die Bitte um die Erlaubnis zur Errichtung einer Schule im ülus Maloderbet ein, nach dem Beispiel derjenigen, die bei den Burjaten im hinteren BaikalgebietebeimGänsesee-Datzan (Kloster)^ besteht."

„Die Errichtung einer solchen Schule als äußerst wünschens- wert anerkennend erbittet das Departement das Urteil des Gou- verneurs von Astrachan/'

Als man von Seiten des kalmükischen Volksamtes begann, Auskünfte über die projektierte Schule einzuziehen, da zeigte Isich, daß Versuche zur Gründung einer ähnlichen Schule bei den [Kalmfiken schon in den 90 er Jahren des vorigen Jahrhunderts ^^orlagen, und daß einige Zeit eine solche Schule sogar, wenn auch n unvollkommenem und kleinem Maßstabe, bis zum Tode ihres

^ Über diesen merkwürdigen Mann, der sich auf seinen Visitenkarten jUne Tsanit Cambo Agvan Dorgiev nennt, vgl. Sir Francis Younghusband \ndia and Tibet, Lond. 1910, S. 67 tf. Er war unter dem Namen Nag- ilban rdo-rje rams-pa der sNags-pa des Kloster 'Brasspuns (Brepung), ;gl. Graham Sandberg Tibet and ihe Tibetans, Lond. 1908, S. 111.

^ Genauer Ta-ts'ah special schools or „chairs" established within he larger monasteries, for the teaching of particular doctrines and ienerally endowed with property, land etc., Graham Sandberg Tibet, ■rammar, Calc. 1895, S. 192.

8*

llß P. Guries

Gründers und Leiters, des Gelong Bäz Bakshä, im Ulus Malo- derbet bestanden hatte. Als sich im Jahre 1905 der Dalai-Lama auf der Flucht aus Tibet vor der sich dorthin bewegenden eng- lischen Expedition eine Zeitlang nahe der russischen Grenze im Zentrum der mongolisch-lam aistischen Welt, dem bekannten Urga, aufhielt; da segnete er die Repräsentanten der Astrachaner Kal- müken und der Geistlichkeit zur Fortführung des „Coiri"^, der höheren buddhistischen Schule, als einer für die buddhistische Geistlichkeit unumgänglich notwendigen Lehranstalt. Und so kam im Frühjahr 1906 im Ulus Maloderbet der seinerzeit dem Dalai- Lama nahestehende tibetische Gelehrte AgvanDordjiev (ein Mon- gole) zur Wiederherstellung der sich neu eröffnenden Schule an.

Er bereiste den nördlichen und südlichen Teil des Ulus Ma- loderbet, sammelte bedeutende Spenden und begann unter Mit- wirkung des Nojon Tundutov den Bau der Schule und der sich ihr anschließenden Gebäude für die Studierenden, sieben Werst; (ein Werst ist etwas mehr als 1 km) von der Grenzscheide von Amt Burgusta im nördlichen Teil des Ulus Maloderbet.

Bei Gelegenheit einer Sommerreise in den kalmükischen Steppen glückte es uns, ein genaues Programm dieser (damals^ neueröffneten und gegenwärtig bereits von der russischen Regierung legalisierten höheren buddhistischen Schule, der Coiri- Tsanit, zu bekommen. Das Programm der Schule zeigt deutlich welch einen gewaltigen Einfluß die in dieser Anstalt gebildete!] Zöglinge auf die Hebung des Lamaismus haben werden und aui welch eine starke Gegenmacht hier unsere Missionssache^ trifft

Unter der Tsanit-Öoiri ist eine höhere geistliche Lehranstalt in ihrer Art geistliche Akademie zu verstehen, deren Ziel es ist ihren Schülern die Gebote und den Willen des Burchan Bakshi d. i. Buddhas, zu erklären, ihnen zu zeigen, wie das Übel zu besserr sei, wie man sich fernzuhalten habe vom Bösen, wie man rechi

^ Tibetisch : Chosrig.

^ Die orthodoxe Kirche unterhält hier eine Mission. Anm. des Ü ber

Betzeis.

Der Lamaismus und seine Bestrebungen 117

im Leben zu verfahren und durch Erkenntnis des wahren Sinnes der Päramitä zum Nirväna zu streben habe.

Zu diesem Zweck werden folgende vier Disziplinen der buddhistischen theologischen Wissenschaft durchgenommen: a) 23 Bilik-Paramita der buddhistischen Lehre, ausgelegt in zwei Büchern^die auf Tibetisch Yum^ und Parcin^ heißen, b) 13 Bände des Dulva (Yinaya) ,,Disciplin" in einem Bande ausgelegt, c) ein kurzes Lehrbuch der Erklärungen (Hermeneutik) unter der Be- nennung Zod^ (Abidharma) und d) ein Kurs Dialektik des in- dischen Gelehrten Dharmakirti unter der Benennung Namral. In den ersten vier Klassen der kalmükischen Tsanit-Coiri wird in den Werken der buddhistischen Theologen (oder wie sie sie nennen Panditas) unterrichtet, und zwar in der Auslegung des Pandita Dharmakirti. Vom 5. bis zum 9. Kurs einschließlich Yum (Dogmatik). Im 10. und 11. die Werke Candrakirtis und des Tsong-kha-pa, im 12. Abhidharma (Tib. mDsod für mNon-pa mDsod) und im 13. Vinaya (Dulva). Zu diesen 13 Lehrjahren kommen noch 5 Jahre der Repetition hinzu. Und s,o haben wir es in Summa mit einem 18 jährigen Lehrgang zu tun. Freilich sind für uns diese Titel heiliger buddhistischer Schriften, die in der Coiri-Tsanit studiert werden, bis dahin leerer Schall, und gewiß vergeht wohl nicht wenig Zeit, bis wir die Möglichkeit i genauer Kenntnis darüber erhalten, was und wie man in den i tibetischen Schulen lernt, dann, wenn sich bei uns die Zahl der j Kenner tibetischer Sprache vermehrt, die sich die Lehrbücher j der lamaistischen Schulen verschaffen und mit ihrem Inhalt die i Interessenten genau bekannt machen. Trotzdem versuchen wir, I soweit das möglich, klar zu machen, welchen Charakter der Lehr- (kurs in der Coiri-Tsanit seinem Inhalt nach trägt. Tsanit ist I ein tibetisches Wort. Tsan = Weisheit, nid = Grund eigens chaft,

^ Tibetisch: Yum, Sanskrit: Mätrikä, die ausführliche Version der 'Abhidharma enthaltenden Abteilung des hl. Kanons.

^ Tibetisch : P'ar p'yin, abgekürzt für P'a-rol-tu p'yin-pa, das Sütra voa den füut transzendenten Tugenden.

Tibetisch: mDsod für mNon-mdsod Abhidharma-kosa.

l\Q P. Guries

Wesen; Tsanit = Wesen der Weisheit.^ Diese das Wesen dei Weisheit auslegende Lehre ist Doktrin der höheren Dogmatil des Buddhismus. Die Erlernung dieser Traktate beginnt großen teils mit Erforschung der äußeren Natur der Dinge; sie handeh zuerst von der äußeren Form der Gegenstände, ihrer Farbf und anderem. Dann geht sie über zum Traktat vom Sein dei Gegenstände und vom Nichtsein; hier werden die Fragen übei den Ursprung der Dinge untersucht, ob sie ewig oder nichl ewig sind, sind sie der Zerstörung unterworfen oder nicht existiert irgend etwas ewig, können die Elemente der Luft der Geist, die göttliche Weisheit ewig genannt werden oder nicht: Sodann wird der Traktat von den Ursachen und Wirkungen aus gelegt. Hierher gehören Fragen darüber, ob es in der Natui ursachlose Dinge gibt, usw. In der folgenden Abteilung werdei die Eigenschaften des menschlichen Geistes (des Gedankens, dei Kenntnisse und seiner anderen Erscheinungsformen) betrachtet Was den Verfasser dieses Lehrbuchs, nach welchem der Unter rieht der erwähnten Wissensdisziplinen gehandhabt wird, der buddhistischen Gelehrten Dharmakirti anbetrifft, so stellt Scer batskoj, Professor des Sanskrit und der tibetischen Sprache ai der Universität St. Petersburg, der unter dem Titel „Erkenntnis theorie und Logik nach der Lehre der späteren Buddhisten'' nacl dem Lehrbuch dieses Autors (in russischer Sprache) eine Unter suchung geschrieben hat, in Anbetracht der Tiefe seiner philo- sophischen Gedanken ihn auf eine Stufe mit Kant, wobei er ihm in gleicher Weise mit den anderen Philosophen Indiens wissen- chaftliche Bearbeitung der Ideen des Mahäyäna zuschreibt. Derarl ist das eine Gebiet der in der Coiri dozierten Disziplinen.

Parcin, der in der Coiri-Tsanit studiert wird, legt den Weg zur Erzielung der Heiligkeit Buddhas, die Werke der Bodhisattvas und die Geschichte des Säkya-Muni aus. In der Klasse, weicht

^ Diese Erklärung ist falsch. Es gibt kein tibetisches Wort tsai in der angegebenen Bedeutung; die richtige Form ist mtshan-nyid, was Charakteristik, Normalisierung, Definition, Quintessenz bedeutet.

Der Lamaismus und seine Bestrebungen 119

das Yum behandelt, ist vor allem vom Skeptizismus in den Wissensgebieten die Rede, dann werden die wahren Eigenschaften der Nichtigkeit erläutert und Wege der Erlösung angegeben. Zu den Lehrbüchern des Tsanit gehört ferner auch das (vom Verfasser in russischer Sprache zum Teil analysierte) buddhisti- sche Werk Irumta namshag mit seiner philosophischen Aus- legung buddhistischer Theorien. Somit sehen wir, daß die sich öffnende Coiri-Tsanit als eine Schule des philosophierenden Bud- dhismus erscheint, als eine Schule, die den Buddhismus in allen Details seiner höheren Dogmatik erforscht, bis zur Idee der Nichtigkeit und des Nichtseins einschließlich. Doch nicht I genug, die Bewohner der kalmükischen Steppen begnügten sich 1 nicht bloß mit Eröffnung einer höheren geistlichen Schule. Coiri- Tsanit übte und übt auf die Kalmüken einen starken Eindruck aus. Dazu trägt außer der Höhe der in der Coiri gelehrten Wissen- schaften die Organisation des Schullebens und des Lehrsystems bei. Ein strenges Regiment ist in der Schule eingeführt und scharf wird darauf geachtet, daß die Lernenden alle ihre Zeit nach Möglichkeit auf das Studium verwenden. Aufgenommen werden nur besonders veranlagte junge Leute nach vorbereiten- der Auswahl und Examen in den Churulen. Beim Morgengrauen aufstehend beten die Schüler in ihren Zellen. Vor Sonnenaufgang versammeln sie sich auf Ruf der Muschel oder Trommelschlag, gemäß der Forderung des Vinaya, im Gebäude der Akademie zu gemeinschaftlichem Gebet, nach dessen Verlesung sie in i dialektischer Methode die aufgegebenen Lektionen wiederholen. 1 Darauf begeben sie sich in die Häuser der Lehrer und nehmen I neue Stunden. Zum Mittag versammeln sie sich wiederum auf 1 den Ruf der Muschel im Akademiegebäude und beantworten ! nach Rezitierung eines Gebets die Lektionen. Darauf nehmen sie aufs neue in den Häusern der Lehrer Unterricht, worauf sie, um ' zu lernen, in ihre Zellen auseinandergehen. Abends findet in der I Akademie gemeinschaftliches Gebet statt und darauf Abendbrot in den Zellen. Im Sommer sollen sie um 11 Uhr abends schlafen

120 ^- Gr^J^ies

iW

gehen, um 5 Ulir morgens aufstehen; im Winter um 12 üw nachts zu Bett gehen und sich um 7 Uhr morgens erheben. Die von den Schülern der Coiri eingenommene Speise soll in der Art von Tee und Kumyß flüssig sein. Feste Speisen, wie z.B. Fleisch, zu genießen ist gemäß den Vorschriften des Vinaya verboten, da sie die Urteilsfähigkeit trüben und Schlafsucht her- beiführen. Untersagt ist es den Schülern, sich gegenseitig ohne bestimmte Veranlassung zu besuchen und sich Aufwand in der Zelle, in der Kleidung und im Hausgerät zu gestatten.

Nicht erlaubt ist es, Jahrmärkte und Basare zu bereisen, Spirituosen zu trinken, Tabak zu rauchen und Karten zu spielen. Denen, die mit Glanz den Kurs der Coiri absolviert haben, wer- den die gelehrten Grade Do-rambo^, Gabjo und Gabshi verliehen.

Was ist dabei also wunderbar, wenn eine solche Schule mit breitem gelehrtem Programm und strenger tätiger Lebensordnung eine bedeutende geistliche Bewegung zugunsten des Lamaismus hervorrief!

Jetzt, im ganzen etwa vier, fünf Jahre seit Eröffnung, ist sie schon das geistliche Zentrum des ganzen Ulus Maloderbet, seines nördlichen und südlichen Teils ; sie ist der Stolz der ganzen kal- mükischen Steppe. Hier finden die Zusammenkünfte der kal- mükischen Churulenvorsteher und der Geistlichen statt. Ich selbst war Zeuge einer solchen Versammlung, die es früher in den kal- mükischen Steppen nie gab. Natürlich ist es, wenn die eröffnete Schule den nachhaltigen Wunsch wachrief, auch an anderen Orten der ausgedehnten Steppen ähnliche Schulen zu haben.

Im Jahre 1907 begann man im Ulus Ikizochur auf der Grenz- scheide Szansyr sogar ohne vorbereitende obrigkeitliche Ent- scheidung — mit dem Bau einer neuen höheren Schule von philo- sophisch-medizinischem Typus, und als man schon Schüler ge- sammelt und mit ihrem Unterricht begonnen hatte, da fing man erst an, sich um die Legalisierung der Schule zu kümmern.

^ Vielleicht Tibet. Druü-rams-pa, die tibetische Orthographie der anderen Namen ist mir unbekannt.

Der Lamaismus und seine Bestrebungen 121

Mit Hinsicht darauf, daß die Eröffnung ähnlicher Lehr- anstalten sich als eine gerade nicht billige Sache erwies, ja über- dies als eine mühsame, infolge der ewigen Hindernisse seitens der russischen Obrigkeit (Aufschub der eigenmächtigen Errichtung der Gebäude, Forderung obligatorischer Erlernung der russischen Sprache usw.), fanden die raaloderbetischen Churule, wie über- haupt die Churule des in bezug auf das intellektuelle Niveau tonangebenden Ulus andere Wege zur Programmerweiterung ihrer Bildung. Nicht früher als im Jahre 1908 arbeitete eine Konferenz der Bakshis von Maloderbet ausschließlich aus eigener Initiative ohne irgendwelchen Druck äußerer Gewalt oder der staatlichen Obrigkeit eine Ordnung für die Churule ihres Ulus nach dem Programm der Coiri-Tsanit und im Einklang mit den Geboten des buddhistischen Glaubens aus. Mit diesem Reglement wird eine strengere Lebensführung der Churulgeistlichkeit projektiert, ähnlich der der Coirizöglinge, und, was die Hauptsache ist, ein elfjähriger Lehrgang in Analogie des Kursus der Tsanit-Coiri in etwas verkürzter Form. Dergestalt begegnen wir hier der Tendenz, aus allen Churulen von Maloderbet kleine Coiris zu machen mit einem wenn auch etwas niedrigeren Lehrgang, aber doch mit einem Programm, das viele Disziplinen der Tsanit- Coiri, wie z. B. Yum, Parcin und Zod, in sich faßt.

Gegenwärtig suchen die Maloderbeter die Legalisation des aus- gearbeiteten Reglements und seine allgemeine Einführung in den Gebrauch für alle Churulen nach. So gestaltet sich auf die Kal- müken der Einfluß der bei ihnen von Agvan Dordjiev gegrün- deten höheren buddhistischen Schule.

Dem Vernehmen nach gedenken auch die Burjaten den Kal-

müken nicht nachzustehen. Auch hier laufen Gerüchte von der

Gründung höherer geistlicher Schulen bei den Klöstern und von

! der beabsichtigten Hebung des intellektuellen Niveaus der lama-

; istischen Geistlichkeit. Parallel hiermit geht eine nationale Be-

\ wegung in den burjatischen Steppen, ein angestrengtes Streben,

eine nationale Literatur in der Muttersprache zu schaffen, die

222 ^- Gruries

Verbreitung des neuen, von Agvan Dordjiev geschaffenen mongo- lischen Alphabets, das, wie es scheint, den Zweck hat, alle Mongolen durch die Schriftsprache zu einen, daneben noch die Anstrengun- gen der Japaner, die in mongolischer Sprache verschiedene Werke, z. B. Lehrbücher, drucken, und Ähnliches.

Nicht verwunderlich ist es also, wenn unter solchen Um- ständen ein verstärkter intellektueller Aufschwung auch der bur- jatischen nationalen Geistlichkeit vor sich gehen kann, was sich auch schon zu verwirklichen beginnt.

Somit stehet! wir vor einer beginnenden intellektuellen Er- hebung der lamaistischeu Geistlichkeit, stehen vor ihrem Streben, das intellektuelle und moralische Niveau ihres Lebens zu erhöhen. Wollen wir noch mehr reale, sozusagen greifbare Resultate dieses StrebensV Wir können hinweisen auf die in letzter Zeit be- gonnene Herausgabe der hl. Bücher des Buddhismus in kal- mükischer und mongolischer Sprache, um das einfache Volk mit der buddhistischen Lehre bekannt zu machen, die von der lamaisti- scheu Geistlichkeit unternommen und auf lithographischem und typographischem Wege in Petersburg ins Werk gesetzt worden ist.

Uns sind schon einige solche vor nicht langer Zeit in kal- mükischer Sprache herausgegebene Bücher bekannt (gegenwärtig mehr als zwölf neue Bücher) Als hauptsächlicher Imitator er- scheint der Bakschi des Dongebiets. In mongolischer Sprache sind der buddhistische Katechismus für den Schulgebrauch und einige andere Bücher, z. B. Dhammapada usw. herausgegeben, in ein, zwei Jahren etwa 15 Werke: eine vollkommen neue Erscheinung.

Nach offiziellen statistischen Angaben beträgt gegenwärtig die Zahl der großen Churule 24, der kleinen 40, im ganzen also 64. Die Zahl der Geistlichen bei ihnen ergibt sich für die letzten fünf Jahre in folgenden Ziffern:

im Jahre Gelonge Getsule 1905: 539 304

1906: 511 295

1907: 470 292

Der Lamaismus und seine Bestrebungen 123

im Jahre Gelonge Getsule Mandjiken in Summa 1908: 419 280 349 1048

1909: 601 390 377 1374

Wie aus dieser Tabelle sichtbar, ist die Zahl der buddhisti- schen Geistlichen in der letzten Zeit, der Zeit der Freiheit (Glau- benstoleranzgesetz in Rußland 1905) bedeutend gewachsen. Ein erstes Anwachsen ist im Jahre 1907 bemerkbar, wo der Etat der Mandjiken mit einem Male sich um 264 Personen vergrößert, aber 1909 erhöht sich die Zahl der Gelonge um 182, die der Getsule) um 116, im ganzen um 298 Personen, d.i. fast völlig im Verhältnis zum Anwachsen der Zahl der Mandjiken im Jahre 1907. Außerdem kamen auch so 1909 noch 28 Mandjiken hinzu (nach statistischer Angabe des kalmükischen Volksamts in Astrachan, Dok. Nr. 2670).

Dann darf auch nicht vergessen werden, daß, wenn die offi- ziellen Berichte von einer so progressiven Erhöhung der Geist- lichkeit unter den Kalmüken bekannt sind, ihre nichtoffizielle Menge bedeutend größer ist, wie die beglaubigten statistischen Angaben des Missionars der Station Noin Shirin über die Churule seines Missionsbezirks mitteilen. Nach offiziellen Angaben be- standen 1909 im Ulus Manytsch 2 große und 4 kleine Churule, und bei ihnen w^aren 11 Bakshi, 57 Gelonge, 37 Getsule und 39 Mandjiken, im ganzen 141.

In Wirklichkeit ist nach dem Zeugnis des Missionars der

Personalbestand der Geistlichkeit und die Zahl der Churule größer,

! ersterer nm fünf Mal, letztere um vier Churule. (Die vom Mis-

i sionar der Station Noin- Shirin über den Ulus Manysch mitge-

I teilten Angaben sind vom Interims Verwalter des Ulus bestätigt.)

Auch in der Eparchie Stawropol macht sich eine Zahlerhöhung

1 der lamaistischen Geistlichkeit bemerkbar. So erhöhte sich 1907

; die Zahl der Gelonge auf 10 000 Kalmüken um 1 2, die der

1 Getsulen um 10 und die der Mandjiken um 7 (statistische Angaben

ides Hauptaufsehers der nomadisierenden Völker des Gouverne-

! iments Stawropol, Nr. 3733).

I

124 ^- Guries Der Lamaismus und seine Bestrebungen

Eine gewaltige Stütze seiner Entwicklung findet der Lamais- mus unter den Kalraüken in der Person des bekannten Agvan Dordjiev, der alljährlicli die kalmüki sehen Steppen bereist, den Stand der 'Geistlichkeit unterhält und unbedingt auf ihre Ver- mehrung einwirkt, die dann auch in den Orten stattfindet, wo Agvan Dordjiev weilt, d. i. vorzugsweise im nördlichen und süd- lichen Teile des Ulus Maloderbet (nach Materialen einer Missions- konferenz).

Außer Agvan Dordjiev besuchen die Kalmüken auch Emi- granten aus der Mongolei und Tibet. Was Angaben über die Zahl der Fälle betrifft, in denen Auswanderer der Mongolei und Tibets die kalmükische Steppe besuchten, und was ihren Einfluß auf die lamaitischen Kalmüken anbelangt, so bestätigt das kalmükische Yolksamt, daß solche Fälle nicht selten sind. Häufiger als andere erscheinen in der Steppe Emigranten aus den hinterbaikalischen Burjaten, der Mehrzahl nach einfache Leute, die sich für geist- liche Personen, ja als „Heilige" ausgeben. In Wirklichkeit ist Ziel ihres Besuches die gröbste Exploitierung der leichtgläubigen, unaufgeklärten Kalmüken, die mit buddhistischen Kultgegen- ständen aus Baumrinde, Medikamenten u. dgl. mehr beglückt werden. Nach Entdeckung der Ankunft solcher Personen, die von den Kalmüken sorgfältig geborgen werden, in der Steppe verfügt das Kalmükenamt sofortige Verschickung aus den Gou- vernementsgrenzen und Abnahme der Kollekte.

Der schädliche Einfluß dieser Emigranten, wer sie auch immer sein mögen, auf die Kalmüken kann nicht unterschätzt werden, besonders wenn man bedenkt, daß damit in der ungebildeten Masse der Glaube an die Macht und die Heiligkeit des lamaistischen Idolkultus aufrechterhalten werden soll. Zum Glück wird die Mehrzahl dieser Emigranten rechtzeitig fortgeschickt oder ist infolge ihrer Vorbildung nicht geeignet, auf die Kalmüken einen ernsthaften moralischen Einfluß auszuüben.

über die litauischen Yeles

Von R. V. d. Meulen in Leiden^

Veles sind bei den Litauern die geisterhaften Gestalten der Verstorbenen. Das Wort Vele ist mittels des Suffixes -le ge- bildet von der fast allen indogermanisclien Sprachen gemein- samen Wurzel ve-, die bekanntlich „blasen, wehen" bedeutet^ und somit dem Begriffe nach zu vergleichen mit der Parallele gr. avs^og ,^Wind" lat. animus, anima „Wind, Seele, Geist". Oft werden die Veles in den Raudos, den Totenklagen, erwähnt und dann und wann ist auch in den Pasakos, den Volkserzäh- lungen und Märchen, von ihnen die Rede. Aber bis vor unge- fähr zehn Jahren wußte man dennoch nicht, was das litauische Volk eigentlich unter diesem Namen, der schon seit dem sech- zehnten Jahrhundert bekannt ist, verstehe und welchen Bedeu- tungsinhalt es ihm beimesse. Es ist das Verdienst zweier Litauer, die ihr Volk und ihre Sprache sehr lieben, daß wir jetzt im- stande sind, uns eine ziemlich genaue Vorstellung von dem Leben und Treiben der Menschenseelen nach dem Tode nach dem al- ten Glauben der so lange heidnisch gebliebenen Litauer, obzwar mit christlichen Zusätzen vermischt, zu bilden. In den neunziger i Jahren des vorigen Jahrhunderts hat nämlich ein gewisser Vilius j Kalvaitis in seiner Heimat, dem preußischen Litauen, besonders ! in den Bezirken Tilsit, Ragnit und Memel, eine ganze Menge j kurzer Erzählungen gesammelt, aus denen wir die Veles kennen ! lernen^ insoweit dies möglich ist bei einem Gegenstand, der aus I dem Volksbewußtsein im Verschwinden begriffen ist. Die Samm- I lung ist gesichtet und geordnet von J. Basanaviczius, der sie ! außerdem vermehrt hat mit einigen Erzählungen aus dem russi-

i scheu Litauen, besonders aus dem Gouvernement Suwalki, so

i

j ^ Vortrag am 10. Septbr. 1912 gehalten auf dem 4. Internationalen 'Kongreß für Religionsgeschichte zu Leiden.

126

R. V. d. Meulen

daß das Ganze, von ihm herausgegeben unter dem Titel: gl venimo Veliu bei Velniu (Aus dem Leben der Veles und TeufelL , Chicago 1 903, einen wichtigen Beitrag zu unseren dürftigen Keni^l nissen der Religionsanschauungen der baltischen Völker bildet

Ich möchte danach hier etwas mitteilen über den Eindruck, den die Veles auf die sterblichen Menschen machen und über die Fähigkeit, welche einige Tiere und Menschen besitzen, die Nähe der Veles zu empfinden.

In den meisten Fällen, wo von ihnen die Rede ist, zeigen sie sich in ihrer früheren menschlichen Gestalt; ihr Äußeres ist wie während ihres Lebens auf Erden. Der Mann erscheint als Mann, das Weib als Weib, das Kind als Kind, sogar der Herr und der Prediger erscheinen als solche. Leibesfehler wie z. B. Lahmheit haben sie behalten. Besonders das Antlitz und die Haare sind deutlich wieder zu erkennen. Weiß ist ihre Farbe; weiß sind ihre Kleider. Es sind dies meistens dieselben Kleider, in welchen man sie bestattet hat. Reiten sie ein Pferd, so ist es immer ein Weißschimmel. Wer in diesem Leben Fischer war, erscheint auch als Vele mit einem Fischnetz; wer liebte mit einem Stock zu gehen, hat diesen auch im Jenseits mit sich. Daneben gibt es aber auch einige Erzählungen, in denen die Gestalt der Geister nicht so scharf umrissen und genau dem menschlichen Auge erscheint, in denen sie nur bis an die Mitte deutlich sicht- bar sind, nach unten hin eine unbestimmte Form und Ausdehnung haben. Nicht selten zeigen sie sich auch als ein bloßer Schatten.

Es steht dies damit in Einklang, daß sie fast ohne Substanz sind. Bloß in zwei eigentümlichen Aufzeichnungen wird erzählt, sie fühlen sich bei der Berührung an wie ein Bündel Baumwolle. Von ihrer Substanzlosigkeit legen übrigens die verschiedenen Arten, aufweiche sie vor dem menschlichen Auge verschwinden, wenn miin sie zu berühren versucht oder lange nach ihnen hinschaut, ein klares Zeugnis ab. Alsdann verschwinden sie wie ein Dunst, ein Wasser- nebel, wie Staub in die Luft, wie ein Licht, das ausgeht, oder aber sie werden zuerst durchsichtig wie ein Spinnengewebe oder ziehen

über die litauischen Veles 127

sich ganz lang hin. In einem bekannten von Schleicher in seinem litauischen Lesebuch mitgeteilten Märchen tritt die Braut dem zu ihr als Vele wiedergekehrten verstorbenen Bräutigam auf die Stiefel und bemerkt zu ihrem großen Schrecken, daß diese ganz leer sind.

In Gegensatz zu dieser Substanzlosigkeit oder jedenfalls ganz leichten Materie steht der Umstand, daß die Veles eine große Kraft ausüben können und den Menschen grausam quälen und peinigen. Manchmal werfen sie ihn zu Boden, rollen ibn hin und her, ringen mit ihm oder reißen ihn mit sich fort, und dem von ihnen ins Antlitz Geschlagenen bleiben die schwarzblauen Fingereindrücke auf dem Gesicht stehen. Sind sie, was sich oft ereignet, in einer großen Anzahl gegenwärtig, so macht ihre Schwere ein Boot im Wasser untersinken. Auf dem Wege lassen sie die Menschen fallen oder stolpern, indem sie ihnen fortwährend unter den Füßen sind; ja, auf ihren nächtlichen Zügen reißen sie sogar alles nieder, was ihnen in dem Weg steht, wie Dächer, Scheunen und Häuser. Es geschieht dies immer bei wildem, stür- mischem Wetter, bei heftigem Sturmwind. Ganz ähnlich heißt es im Norden Rußlands, wenn der Sturm das Dach vom Hause ab- reißt, daß die unzufrie'denen und erzürnten Verstorbenen es tun.

Aber auch ohnedem bewegen sich die litauischen Veles oft- mals wie vom Winde fortgetrieben, drehen sich wie im Wirbel- , winde. Auf dem Wasser gleiten sie an der Oberfläche wie auf I glattem Eise. Manchmal berühren sie die Erde gar nicht und {fliegen nahe der Erde durch die Luft. Sie können aber auch i wie die sterblichen Menschen auf ihren Füßen gehen. Von einem 'so wandernden Haufen Veles heißt es in einer Erzählung, daß jer näher komme wie ein schwarzes Tannenwäldchen.

Nach dem soeben Gesagten verstehen wir es, wenn der Li- tauer die Geister hört wie das Sausen eines plötzlichen Windes ; Vergleichen ja auch die nördlichen Russen den heulenden Wind imit den schreienden Verstorbenen, identifizieren ihn mit ihren jGeistern, indem sie sich in ihren Totenklagen zu den Winden, iden stürmischen Winden wenden mit der Bitte, sie mögen den

12S ^- '^' ^- beulen

Toten auferwecken und wieder ins Leben zurückrufen. Dem Eindruck, den die Veles auf das menschliche Ohr ausüben, wird aber von den Litauern auch in anderer Weise Äußerung gegebe^ Von einem plötzlich erscheinenden Geiste wird gesagt, daß er hört wurde wie der Laut, den der Hahn macht, wenn er mit d< Flügeln schlägt, bevor er zu krähen anfängt, und von einer ganz^ Schar heißt es, sie sausen und brausen und machen einen Läri als ob Holzflößer auf ihren Flößen nach Rußland zurückkehre

Die Nähe der Yeles kann aber nicht jedermann mit seil Sinnen gewahr werden. Insbesondere offenbaren sie sich einigen Tieren, namentlich Hähnen, Pferden und Hunden. Der Litauer sagt; Wenn der Hahn tüchtig kräht, sieht er einen Habicht^ wenn er leise und langsam kräht, eine Yele. Je näher der F^ic^^| hof, desto früher fangen die Hähne an zu krähen; man sagt, die ' Veles wecken sie. Wenn ein Pferd scheu wird und prustet und es gibt in der Nähe nichts besonderes zu sehen, so sieht es einen ' Geist. Gewöhnlich ereignet sich dies am Abend und in der Nacht in der Umgebung von Friedhöfen oder Häusern, wo ein Mensch gestorben ist. Drei Tage vor dem Tode besuchen die Geister seiner schon vorher gestorbenen Verwandten den auf dem Sterbe- lager liegenden Kranken. Es fangen alsdann die Hunde an heftig zu bellen, zu heulen und zu winseln. Wer einen solchen Hund ins Haus treibt, dem sind die Veles sehr dankbar, wer ihn aber gegen sie hetzt, dem schicken sie eine schwere Krankheit.

Wenn die Sinne es ihm gestatten, kann jeder Todkranke auf seinem Sterbebette die ihn besuchenden und für das Leben nach dem Tode den Weg bereitenden Veles sehen und hören. Aber es gibt auch Menschen, welche in gesunden Zeiten während des Lebens diese Fähigkeit besitzen. Solche Geisterseher nennt der Litauer, wenn es ein Mann: Dvasregis, wenn es eine Frau : Dvasrege. Im allgemeinen zeigen sich die Veles Frauen öfter als Männern. Die Fähigkeit, sie zu sehen, ist entweder angeboren oder man hat sie später erworben. Wer an einem Donnerstag, besonders am grünen Donnerstag, geboren und am Sonntag getauft oder

über die litauischen Velea 129

umgekehrt, wer am Sonntag geboren und am Donnerstag getauft, ißt Dvasregis bzw. D vasrege. In einer Erzählung macht eine schwangere Frau den Versuch, Geister zu erblicken, auf eine Weise, die ich sofort erwähnen werde; sie erreicht ihr Ziel nicht, aber ihr nachher geborener Sohn wird für sein Leben Dvasregis. Während des Lebens kann man Geisterseher werden nach einer schweren gefährlichen Krankheit, die einen dem Tod nahebringt; es haben die Veles einen dann schon besucht und nach der Ge- nesung behält der frühere Kranke die Fähigkeit, sie zu erkennen. Ferner durch einen plötzlichen, heftigen Schrecken oder auch durch übermäßiges Trinken. Es geschieht das alles ohne, ja so- gar wider den Willen des Menschen, denn, wie wir bald sehen werden, es ist keine beneidenswerte Sache Dvasregis oder Dvas- i rege zu sein. Aus Neugier oder aus Übermut versucht man den- 1 noch bisweilen jener Eigenschaft teilhaft zu werden und das wird auf verschiedene Weise für möglich gehalten. Wir sahen, daß Hunde und Pferde für die Veles besonders empfindlich sind. Erstere bellen, heulen und winseln, letztere prusten, schnauben jund schnarchen, wenn sich die Veles in der Nähe aufhalten. Nimmt man nun einen solchen heulenden Hund, der, wie man vermutet, gegen die Geister bellt, oder ein solches prustendes Pferd bei den Ohren und schaut durch den Raum zwischen den Ohren hindurch, so erblickt man die Veles und kann diese Fähig- keit nie wieder los werden. Aus mehreren Aufzeichnungen er- ;hellt ganz genau, wie man diese Handlung bei einem Hund zu |voUziehen hat. Ihm auf den Schwanz tretend, faßt man das ;Tier mit den beiden Händen an den beiden Ohren, legt diese jkreuzweise übereinander, indem man einen kleinen Raum übrig jläßt zwischen dem Kopf und dem Kreuzpunkt der Ohren. Nieder- [kauernd schaut man nun über den Kopf und unter die Ohren und wird die Veles erblicken. Doch gibt es, um dieses Ziel zu erreichen, noch andere Wege. Alles, was mit einem Verstorbenen joder mit den Toten überhaupt in Beziehung steht, ist von der jGeisterwelt umringt. Es gehört sozusagen zu ihrem Gebiet.

Archiv f. ReligionswisBenachaft XVII 9

J30 R. V. d. Meulen

Wer dieses Gebiet betreten und die Geister in ihrem Treiben betrachten will, muß seine Zuflucht zu Gegenständen nehmen, welche zu diesem Kreise gehören. Und so schaute die oben er- wähnte schwangere Frau durch das nach dem Herausfallen eines Splitters in einem Grabkreuz entstandene Loch. Ganz ähnlich schaute eine andere Frau in ihrer Jugend durch das ebenso in einem Stück Brett eines Sarges entstandene Loch und wurde von dem Augenblick an auf immer Dvasrege. Gleicherweise wer beim Totenmahl durch die Quasten eines daselbst benützten Hand- tuchs nach dem Ehrenwinkel hinblickt, wo vom Sohne der Geist des verstorbenen Vaters sich verabschiedet und ihn zum letzten Male mit kalter Hand über die Wange streichelt, wird die er- sehnte Fähigkeit erlangen. Es kann diese auch von dem einen Menschen auf den anderen übergehen. Eine Frau, die ihrem Halbbruder, während er Geister sah, über die linke Schulter blickte, wurde selbst Geisterseherin, während sie ihn davon befreite. Denn die Dvasregiai und Dvasreges fühlen ihre Lage als ein großes Unglück. In allen Dingen müssen sie den Veles dienen und helfen. Bei einer Begegnung müssen sie ihnen aus dem Wege gehen und einen großen Umweg machen, sonst würden sie auf peinliche Weise gequält werden. Die gewöhnlichen Men- schen aber, welche in dieser Hinsicht nicht begabt sind, können ihren Weg ruhig verfolgen, denn die Geister müssen ihnen aus- weichen. Die Geisterseher meiden dann auch immer das Gebiet der Geisterweit-, Sterbezimmer, Sterbehäuser, Totenwachen, Toten- mahle, Begräbnisse und Friedhöfe scheuen sie. Manchmal sind sie gezwungen, die Geister in großer Anzahl auf ihren Schultern zu tragen. Dvasregiai, die in solcher Weise von den Geistern gequält werden, nennt das Volk Dvasnesziai, Geisterträger. Diese haben sich der sehr ermüdenden und abmattenden Plage immer zu unterwerfen bei der Begegnung von kleinen Veles, Kinder- veies. Denn nach der geläufigen Vorstellung sind die kleinen Kinder im Jenseits nicht imstande auf ihren Füßlein zu gehen, sondern sie müssen sich auf der Erde wälzen, um weiter zu kom-

über die litauischen Veles 131

men. Die litauisclien Mütter werden denn aucli gewarnt, ihre verstorbenen Kleinen nicht mit zusammengewindelten Füßlein in den Sarg zu legen, sonst haben diese sich immer zu wälzen. Besonders findet das Geistertragen statt am grünen Donnerstag- abend, von den Litauern Veliu Velykos, d. h. der Veles Ostern, ge- nannt. Es gehen dann alle Veles, junge und alte, kleine und große, in die Kirche und, um dorthin zu gelangen, hängen sich die Klei- nen ohne Gnade auf die Schultern der ihnen in den Weg kommen- den Dvasnesziai in so großer Anzahl, als der Raum nur gestattet. War bisher die Rede von den Veles in einer mehr oder we- niger dem Menschen ähnlichen Gestalt, so steht neben dieser Anthropomorphose auch eine Theriomorphose der menschlichen Seele. Im Traume verläßt diese den Körper durch den Mund in der Gestalt einer weißen oder rotbraunen Maus. Auch den I Veles, welche den sterbenden Menschen während dreier Tage vor dem Tode besuchen, begegnen wir als Tieren. Von einem Sterbe- I falle aus dem Jahre 1872 heißt es: „Den dritten Tag vor dem I Tode kamen am Mittag zwei sehr schöne weiße Vögelein, Tauben I ähnlich, geflogen; nachdem sie sich in das Fenster des Kranken- I Zimmers von außen eingehakt und schön gezwitschert, flogen sie I hinweg, und dasselbe wiederholten sie auch den zweiten und den 1 letzten Tag um dieselbe Zeit/' Weiße Tauben werden in dieser ! Hinsicht oftmals erwähnt, aber auch weiße Gänse und ein weißes Hündchen findet man anderswo in litauischen Erzählungen. Man ' vergleiche die Theriomorphose der Seele in den russischen Toten- i klagen, wo sie erscheint als kleines Vögelein, womit der Schmetter- iling gemeint ist, als Taube, Ente, Dohle, als Hase und Hermelin. j Ich habe hier nur einiges aus der Fülle des Materials heraus- Igegriffen, aber, wie ich hoffe, genug, um zu zeigen, wie in ent- ilegenen und der modernen Kultur wenig zugänglichen Orten die ehemals im großen und ganzen wohl allen indogermanischen Völkern gemeinsamen Anschauungen noch nicht gänzlich ver- schwunden sind, so daß hier noch eine Quelle sprudelt, aus der iwir die letzteren besser kennen zu lernen vermögen.

«__ 9*

LegendenmotiYe in der rabbinischen Literatur

Von A. Marmorstein in London 6 Sprechende Bäume^

Der singende oder sprechende Baum kommt in der Agada sehr häufig vor. Günter^ gibt ein Beispiel dieser Art. Wir wollen hier einmal auf andere Literaturkreise hinweisen, in denen dieses Motiv heimisch ist, andererseits aber für die Verbreitung dieses Motivs in der rabbinischen Literatur einige weitere Be- lege liefern.

Bereits in der dem zweiten nach ehr. Jahrhundert angehörenden, das Testament Abrahams betitelten Apokalypse finden wir einen mit menschlicher Stimme (dvd^QcoTtCvrj (pcovfi) sprechenden Cy- pressenbaum.^ Der verdienstvolle Herausgeber derselben, Montague Rhodes James, hat in einem besonderen Abschnitt the legend of speahing tree die verwandte Literatur herangezogen.* Aus der reichen und verwandten rabbinischen Literatur wird jedoch nur eine einzige Stelle gebracht.^ Es wird daher nicht überflüssig sein, dieses Motiv in der rabbinischen Literatur genauer zu behandeln.

* Abschnitt 1 5 s. in diesem Archiv XVI 160 ff.

^ Die Christi. Legende des Abendlandes, Heidelberg 1910, S. 94; vgl. noch S. 64 und 69. Ct Hagiga 14b.

^ The Testament of Abraham, the greek text now first edited with an introduction and notes, in Texts and Studies contributions to biblical and patristic literature, Cambridge 1892, Nr. 2 S. 79 und 107.

^ So die Passio of St. Perpetua c. 61, die Baarlam- und Josaphat- legende ed. Boissonade S. 280, Bendel Harris Best of the words of Baruch c. 9 S. 62. Belege aus der klassischen Literatur Orpheus, Argonautica 1160; Ps. Callisthenes III, 17 ed. Müller. Über die arabische Literatur b. Wolff Muhamedanische Eschatologie S. 197; Weil Biblische Legenden der Muselmänner 18 i2 S. 8. Äthiopisch im Buch der Mysterien des Himmels und der Erde, von Abba Bahalya Michael, s. Zotenberg Cat. Mss. Aethiop. Paris p. 138. ^ Abot des B. Natan c. 1.

Legendenmotive in der rabbinischen Literatur 133

An erster Stelle sei erwähnt, daß von R. Jochanan ben Zakkai gesagt wird, er habe von seinem Lehrer Hillel sogar die Sprache der Bäume, der Pflanzen erlernt.^ Tatsächlich dachten die Rabbinen, daß die Pflanzen und Bäume sprechen könnten. So heißt es zu Gen. 2, 5 von allen Gewächse des Feldes: Warum wird das Wort erwähnt? die Bäume sprechen mit- einander und mit den Menschen.^ Wir finden ferner in den Pflanzenfabeln mehrere Gespräche. So das Gespräch zwischen den Wald- und Fruchtbäumen ^, in der Fabel von den Bäumen und dem Eisen.* Das Gespräch zwischen Stoppeln, Spreu, Stroh und Weizen.^ Die Rabbinen scheinen eine ganze Gattung dieser Gespräche besessen zu haben, die sie ^Gespräche der Palmen' (d'^bp^ rnntiü) genannt haben. Wie wir wissen, gab es bereits in der Bibliothek des assyrischen Königs in Ninive eine Sammlung von Pflanzenfabeln.^ Das Volk dachte, daß selbst Pflanzen und Bäume die Kraft der Sprache besitzen und ein Dichter des Mittelalters legte allen Pflanzen, Früchten und Bäumen einen Vers in den Mund.^

Von besonderem Interesse ist das Zwiegespräch Gottes mit

dem Feigenbaum, Granatapfelbaum, Walnuß-, Citronen-, Oliven-,

i Apfelbaum und Ceder am Libanon, die sich alle bereit finden,

j dem Haman einen Galgen zu liefern.^ Hier kommt die Legenden-

I Stimmung besonders stark zum Ausdruck.

^ SuJcka 28a, Bdba Batra 134a, Tractat Soferim 16, 9 ; vgl. Aruch s. v. HO

^ Genesis raiba c. 13.

"'' Gen. rdbla c. 16.

^ Gen. rahha c. 5. Midras Konen. \ ^ Gen. rahha c. 83, Cant r. s. v. llnöM "i:*N T^^\ü, Midras Psalmen c. 2, js. meine Beligionsgesch. Studien 1. Heft S. 14tf.

^ Haupt Das Gilgameschepos S. 90, frgmt. c. 9717. 18 21; ferner A Wünsche Die Pflanzen fahel in der Weltliteratur, Leipzig 1905.

^ ^T^'^^ "^pnr oft gedruckt, s. Benjacob Ozar Hasefarim p. 498, Nr. 1201, ein.

i ^ S. Ägadot Eszter ed. Buber S. 60—61 besonders Anm. 8, wo alle jParallelstellen verzeichnet sind, ferner M. Gaster The Chronicles of Jeracli' \meel S. 248 260.

J34 ^- Marmorstein

7 Das Erkennen der Schuld oder Unschuld durch das Stirnblech In der für die Legendengeschichte so wichtigen apokryphen Schrift 'Das Protoevangelium des Jakobus '^ findet sich die Stelle: „Am folgenden Tage aber brachte er seine Gaben dar, indem er bei sich sprach: wenn Gott der Herr mir gnädig ist, so wird mir's das Stirnband des Priesters offenbar machen. Und so brachte Joachim seine Gaben dar und achtete auf das Stirnband des Priesters, als er zum Altar des Herrn hinauf- stieg, und sah keine Sünde an ihm."^ Dem Verfasser schwebt die Vorstellung vor, daß man an dem Stirnband 'die Sünden erkennen kann'.^ Diese Vorstellung, daß man die Schuld oder Unschuld eines Menschen an geweihten Gegenständen sehen kann, ist in der rabbinischen Literatur recht häufig. Als Josua den Achan durch das Los bestrafen wollte, da sagte diese? (Achan): „Wie kannst du dich auf das Los verlassen, wirf Lose zwischen zwei Unschuldigen, so wird das Los auf einen fallen!^' Da war Josua sehr betrübt. Er blickte in die zwölf Steine an der Brust des Hohenpriesters. Es war die Überlieferung ver- breitet, daß wenn ein Stamm gesündigt hatte, der Stein dieses Stammes farblos war, sonst aber glänzend. Hier verdunkelte sich die Farbe des Stammes Jehuda. Da erkannte Josua, daß der Sünder aus dem Stamme Jehuda sei und zwar Achan.* Dasselbe ereignete sich, als Saul denjenigen ausfinden wollte, der gegen seinen Schwur gehandelt hatte, nämlich seinen Sohn Jonatan.^ Übrigens finden wir in der rabbinischen Literatur eine Legende, die die Bekanntschaft mit der an erster Stelle erwähnten Vorstellung deutlich bezeugt. Zu Nr. 31, 18 „und alle Kinder

^ S. NeutestamenÜiche Apokryphen, herausgegeben von Edgar Hennecke 1904 S. 56. « K. 5, 1 2. ^ Bandbuch zu den Ntl. ÄpoJcr. S. 112.

* Die Stelle findet sicli Ph'Jce des B. Eliezer Kap. 38 korrekter als in den verschiedenen Ausgaben im Jalkut Teil 2, Nr. 18 und in dem Midrasch Hachafez (handschriftlich Cod. British Museum Or. 2351) S. 72 b; vgl. noch Gaster Das Buch Josua in hebräisch - samaritanischer Rezension, ZDMG. LXII S. 247. " ebenda.

Legendenmotive in der rabbinischen Literatur 135

weiblichen Geschleclites, denen noch kein Mann beigelegen hat, laßt für euch am Leben''. Woher konnten sie das wissen? R. Hanna bar Bizna im Namen des R. Simon des Frommen erklärt: man hatte sie vor das Stirnband gestellt, wurde das Gesicht des Mädchens gelb, so erkannte man, daß es die Jung- frauschaft bereits verloren hatte, blieb das Gesicht unverändert, so hatte es die Jungfrau schaft noch nicht verloren.^ In diesem Sinne wird man sich auch Joachims Vorgehen erklären müssen.^

8 Geld im Stecken Die Verwandtschaft zwischen Konon und der talmudischen Legende über das Geld im Stecken, die Günter gezeigt hat, ist besonders lehrreich.^ B. Heller verweist in seiner Be- sprechung des Günterschen Werkes noch auf die Parallelstellen in der talmudischen Literatur und auf die in diese Kategorie gehörende Bar-Talmionlegende* Es sei erlaubt, auf eine Reihe ähnlicher Legenden, resp. Anspielungen auf dieses Motiv in der rabbinischen Literatur hinzuweisen. Das Schwören war erlaubt, jedoch frühzeitig entstand eine Opposition dagegen. Spuren dieser Opposition finden sich bei den Essäern^ und im Neuen Testament,^ Aber auch die Rabbinen sind dagegen. „Ihr sollt nicht meinen, daß es erlaubt ist, in meinem Namen etwas zu beeiden, selbst wenn es wahr ist."^ Hierfür werden folgende Erzählungen angeführt: „Ein Mann hat einst, in Jahren der

* b. Jehamot 60 b.

' Eine andere Art der beliebten Gottesnrteile ist Tanhuma^ ed. Buber Heft lY S. 148 erwähnt: von jedem, der bei der Sünde des Baal- Peor scbuldtragend war, ist die Wolke gewichen und die Sonne schien auf ihn, da erkannte man, daß die betreffende Person schuldig sei und man bestrafte sie.

^ Die chrisü. Legende des Abendlandes S. 71.

* Eevue des Etudes Juives Tom. 62 S. 312, und meine Bemerkungen der Egyetemes Philologiai Közlöny 1913 S. 196 9.

^ Josepbus Bellum Judaicum II, 8, 6.

^ Ev. Math. 23, 15; s. meine Meligionsgeschichtlichen Studien Heft 2 S. 69. ^ lelamdenu in Jalkut S. 79 a; s. Weinstein Beiträge zur Geschichte der Essäer, Wien 1892, S. 75.

■^^Q A. Marmorstein

Hungersnot, einer Witwe ein Goldstück zum Aufheben gegeben. Sie legte es in den Brotkorb, in welchem sie Brot zu backen pflegte. Sie gab das Brot einem armen Mann. Nach Verlauf von mehreren Tagen kam der erste Mann und forderte sein Geld. Die Witwe schwor: so sollen meine Kinder sterben, wenn ich von deinem Gelde irgendwelchen Genuß gehabt habe. Nach wenigen Tagen starb das Kind."^ Gleichlautend ist die zweite Erzählung. Eine Frau ging zu ihrer Freundin den Teig kneten, sie hatte in ihrer Schürze zwei Denare, die in den Teig fielen. Zu Hause suchte sie das Geld, fand es jedoch nicht. Sie ging zu ihrer Freundin, forderte das Geld, welches sie im Hause der Freundin verloren hatte, diese sagte: so soll mein Kind sterben, wenn ich etwas von der ganzen Sache weiß! Tatsächlich starb ihr Kind. Als sie vom Leichenbegängnisse heimkehrten, bemerkte eine Frau zur anderen: „Das Kind ist gestorben, weil die Mutter falsch geschworen hat." Die Frau hörte das und sagte: „So soll noch ein anderes Kind sterben, wenn ich von dem Gelde irgendwelche Kenntnis habe.'^ Es starb. Die Leute gingen die Frau trösten und schnitten (nach der Trauersitte) ein Brot auf und fanden darin die zwei Denare.^ Obzwar wir hier wahre Begebenheiten vor uns haben, so sind die Erzählungen doch wichtig, weil wir dieses Motiv des Geldes im Brot oder in der Pastete auch in Benfeys Pan^atantra aus Anor-i-Suhaili^undin den Gesta Eomanorum* wiederfinden, wie M. Gast er in seinen Beiträgen zur vergleichenden Sagen- und Märchenkunde ^ gezeigt hat. Eine Anspielung auf dieses Motiv scheint uns in einer Parabel vorzuliegen. Ein König ließ seinen Sohn eine Reise machen. Da sagte der Sohn: „Vater, ich fürchte mich vor Räubern und Piraten, die mich überfallen könnten.'^ Was tat der Vater? Er nahm einen Stab, höhlte ihn aus

2 b. Gitin. 35 a. » 1. S. 603. * c. 109.

* Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 1880 S. 316.

Legendenmotive in der rabbinischen Literatur 137

und gab ein Amulett hinein. Dann sagte er zu seinem Sohn: „Nimm diesen Stab, halte ihn fest in deiner Hand und du brauchst dich nicht zu fürchten^'/^

9 Stillstand der Natur In dem bereits erwähnten Protoevangelium Jakobi kommt noch ein anderes Motiv vor, das für die religiösen Vorstellungen wichtig ist. Es heißt dort: ,,Ich aber Joseph ging umher und ging nicht umher und ich blickte auf an das Himmelsgewölbe und sah es stillstehen und blickte auf in die Luft und sah sie erstarrt, und ich sah die Vögel des Himmels unbeweglich und ich sah auf die Erde und sah eine Schüssel dastehen und Arbeiter darum gelagert und ihre Hände in der Schüssel und die Kauenden kauten nicht, und die am Aufheben waren, brachten nichts in die Höhe, und die zum Munde führen wollten, brachten nichts zum Munde, sondern aller Angesichter waren nach oben gerichtet, und siehe, Schafe wurden getrieben und blieben stehen, und es hob der Hirte seine Hand auf, sie zu schlagen, und seine Hand blieb oben stehen, und ich sah auf den Wasserlauf des Flusses und sah die Mäuler der Böcke darauf gehalten, und sie tranken nicht."^ Diese Stelle ist eine der reizendsten Schilderungen in der Legendenliteratur. Eine ganz ähnliche Schilderung besitzen wir in der rabbinischen Literatur, wo die Offenbarung mit verwandten Zügen gezeichnet wird. R. Abbahu im Namen R. Jochanans sagt: „Als Gott den Israeliten die Tora offenbarte, kein Vogel flog, kein Hahn krähte, kein Tier brüllte die Ofanim standen still, die Serafim sagten kein Gebet, die Wellen des Meeres bewegten sich nicht, sondern die ganze Kreatur stand still ohne die geringste Bewegung."^ Mit diesem Motiv dürfte die Sambatjonlegende verwandt sein."^ Die Gewässer des Sambatjonflusses fließen die ganze Woche, jedoch am Sabbat

^ Lev. rabha c. 25.

^ S. Hennecke Neutestamentliche Apokryphen S. 61.

^ Exodus rabha c. 29.

* Vgl. Genesis rahba c. 11, Pesikta rahhiti c. 23, b. Sanhed. 65b.

138 ^- Marmorstein Legendenmotive in der rabbinischen Literatur

steht das Wasser still. Diese Agada war bereits R. Akiba, wie auch lateinischen und griechischen Schriftstellern bekannt.^

Der Glaube war allgemein verbreitet, daß in großartigen Momenten, wie bei der Offenbarung, beim Tode oder der Geburt eines großen Mannes, besondere Vorzeichen notwendig sind. So geschah es auch beim Tode Jesu: „Der Vorhang des Tempels zerriß in zwei von oben bis unten."^ Wir wollen einige Bei- spiele für dieses Motiv anführen: Als R. Acha starb, sah man den Abend stern am Mittag.^ Als R. Hanau starb, stürzten alle Statuen und Götterbilder zusammen.* Als R. Jochanan starb, geschah dasselbe.^ Als R. Hosaja starb, spaltete sich der Ti- beriassee.*^ Als R. Isak ben Aljasab starb, stürzten Häuser ein.' Andere Zeichen ähnlicher Art sind: die Säulen Cäsareas weinten beim Tode B. Abahus^ oder die Cedern Palästinas wurden entwurzelt beim Tode R. Samuel bar Isaks.^ In der Todes- stunde einiger Lehrer aus Babylonien berührten einander die Ufer des Euphrat oder des Tigris. ^^ Hier hat wieder Günter so klar gezeigt, daß es die gleichen Zeichen sind, die immer und wieder vorkommen und düstere, aber auch fröhliche Er- eignisse ankündigen oder begleiten.^^

Verwandt mit diesen Zeichen ist ferner die Angabe vieler Legenden vom hl. Nikolaus, der sterbend Wasser verlangt, das sich in süßen Wein verwandelt.*^

* Plinius 31, 18; Josephus Bellum VII 5, 1; Zacher Ps. Callisthenes S. 185; Nöldeke Beiträge zur Geschichte des Alexanderromans S. 48; Revue des Etudes Juives 22, 285.

' Ev, Marci 15, 88.

^ j Äboda Zara 42 c. 8 ; vgl. b. Moed Katon S. 25 b beim Tode R.Jakobs.

^ j Ahoda Zara 42 c. 9; vgl. b. Moed Katon S. 25b. Dasselbe, als R. Menacliem ben Jose starb.

^ j Ahoda Zara 42 c. 10; vgl. b. Moed Katon S. 25 b; R. Tanhum b. Hijja.

® j Ahoda Zara 42 c. 10. ^ ebenda.

^j Ahoda Zara 42 c. 22 b. Moed Katon S.25a; s. bei Eusebius in der Geschichte der pal. Märtyrer c. 9. ^ j Ahoda Zara 42.

b. Moed Katon S. 25b ^^ a. a. 0. S. 112 ff. ^^ ^_ a. 0. S. 22.

Der Ursprung des Karneyals

Von C. Clemen in Bonn

Der Karneval, wie wir ihn jetzt in den größern Städten des Rheinlandes kennen und wie er seinen Mittelpunkt im Rosen- montagszug hat, ist erst 90 Jahre alt. Bis zum Jahre 1823 erschienen zu Fastnacht, und vorher schon, nur Einzelne oder kleinere Gesellschaften verkleidet und maskiert auf den Straßen, in den Häusern, Wirtschaften und Tanzlokalen soweit nicht auch das unterblieh. So war es in Köln von 1796 bis 1800 der Fall, und bereits in den vier Jahrhunderten vorher war wiederholt alles „Vermummen" verboten worden freilich, wie eben diese immer wiederholten Verbote zeigen, ohne großen Erfolg. Schon etwas früher, im vierzehnten Jahrhundert, finden wir ähnliche Gebräuche in verschiedenen Städten Süddeutsch- lands (in Augsburg, "Nürnberg, Frankfurt), etwas später auch in Frankreich, Italien (wo der Karneval in Rom, Florenz und Venedig am bekanntesten geworden ist), sowie in Spanien und Portugal. Dagegen noch weiter können wir ihn in dieser Form meines Wissens nirgend zurückverfolgen. ^

So ließe sich bereits daraus ein Bedenken gegen diejenige Er- klärung entnehmen, die seit dem siebzehnten Jahrhundert immer wieder gegeben worden ist und jetzt als die herrschende gelten kann, die Meinung, daß der Karneval zum Teil wenigstens aus den

^ Vgl. Ennen Der Kölner Karneval, Zeitschr. f. deutsche Kulturge- schiclite 1873, 241 f. und Kemp Zur Geschichte der Kölner Fastnacht, Zeitschr. f. rliein. u. westf. Volkskunde 1906, 241 ff. (aucli separat), wo- durch ältere Darstellungen, wie die von Fahne Der Carneval, 1854, 155 ff. und noch Walter Der Carneval in Köln, 1873, 9 ff. modifiziert werden. Doch gibt das Buch von Fahne über die andern oben erwähnten Ge- bräuche immer noch die ausführlichste Auskunft. Speziell für Italien vgl. Burckhardt Die Kultur den Renaissance in Italien^, 1885, II, 150 ff.

^^Q C. Giemen

römischen „Bacchanalien", Hilarien, Luperkalien und Saturnalien herstamme.^ An dieser Erklärung ist richtig, daß der Karne- val allerdings nicht erst in der christlichen Kirche ganz neu entstanden sein kann, denn dazu ist er zu eigenartig; aber jene fremdländischen Feste sind doch, auch wenn man auf sie einen solchen volkstümlichen Gebrauch zurückführen will, natürlich nicht annähernd bis ins vierzehnte Jahrhundert gefeiert worden, in dem wir den Karneval zuerst finden. Indes, er könnte ja umgekehrt viel älter sein, als wir bisher nachzuweisen imstande sind ohne daß er freilich auch dann zum Teil aus jener Quelle abzuleiten wäre.

Denn erstens: außerhalb Roms und dort müßte doch wohl wenigstens hier und da jene hypothetische ältere Form des Karne- vals enstanden sein sind zunächst die Luperkalien überhaupt niemals gefeiert worden. Auch der Kult des Liber, an den bei den sog. Bacchanalien wohl zu denken wäre, läßt sich in Spanien, Gallien und Germanien nur vereinzelt nachweisen.^ So blieben als mögliches Vorbild des Karnevals nur die Hilarien, die wie der ganze Kybelekult im Abendlande mehr Verbreitung gefunden

^ Vgl. Nicolai De ritu antiquo et hodiertw BacchanaUorum, 1679 (Gronow Thes. graec. antiquit VIT, 1735, 171 ff.); Schmidt Fastel-Äbends- Sammlungen oder Geschichtmäßige Untersuchung der Fastel -Abends -Ge- bräuche in Teutschland (1742), 48 f; Blume Über den Ursprung und das Eigentümliche der Faschingslustbarheiten (1825), 6 ff.; Fahne a.a.O. 62 ff.; Heuser Feste, Kirchenlexikon ^ IV, 1886, 1409; Karneval, Brockhaus' Konv.-Lex. X, 1902, 176; Rademacher Carnival, Encycl. of Religion and Ethics in, 1910, 225 ff.; Zscharnack Fastnacht, Die Rel. in Gesch. u. Gegenw. II, 1910, 839. Doch werden an den drei letztgenannten Stellen auch noch andere Erklärungen gegeben. Goethe sagt in seinem römischen Karneval : „In diesen Tagen freuet sich der Römer noch zu unsern Zeiten, daß die Geburt Christi das Fest der Saturnalien und seine Privilegien wohl um einige Wochen verschieben, aber nicht aufheben konnte", ohne daß das so, wie Blume a. a. 0. 11 will, zu verstehen wäre. Und auch wenn die damaligen Römer selbst so geurteilt hätten, würde das natürlich nichts beweisen.

^ Vgl. Toutain Les cultes paiens dans l'empire Bomain I 1, 1906, 360, auch Wissowa Liber, Lex. d. Mythol. II, 1890—97, 2027.

Der Ursprung des Karnevals 141

hatten als irgendeine andere orientalisclie Religion^, und die Saturnalien übrig, die im ganzen römischen Reiche wohl das populärste und beliebteste Fest des alten Kalenders waren ^, aber sie kommen auch nicht in Betracht.

Denn zweitens wurden die Hilarien am 25. März, die Saturnalien vom 17. bis 23. Dezember gefeiert^, während der Karneval je nach dem Osterfest zu verschiedener Zeit, aber jedenfalls früher als die Hilarien (der späteste Termin für Ostern ist ja der 25. April und Fastnacht fällt vierzig Tage früher) und später als die Saturnalien stattfindet. Nun könnte man freilich diesem Bedenken gegenüber darauf hinweisen, daß der Karneval doch nicht in der Fastenzeit gehalten werden konnte und manchmal auch in älterer Zeit schon früher begonnen habe, zu Weihnachten oder wenigstens am Fest der heiligen drei Könige. Indes einmal waren das Ausnahmen und zweitens erreichte doch auch dann der Karneval seinen Höhepunkt am Ende ohne daß sich das wohl allein daraus erklären ließe, daß man unmittelbar vor Beginn der Fastenzeit erst noch einmal besonders lustig sein wollte. Yor allem aber haben die Saturnalien in anderer Weise viel deutlicher auf die christliche Bevölkerung eingewirkt. Wir wissen zunächst aus den Klagen der Kirchen- väter und späterer christlicher Schriftsteller, daß das heidnische Fest auch von den Christen mit- oder weitergefeiert wurde ^, und finden dann bis zum sechzehnten Jahrhundert, ja hie und da noch später, in der Kirche selbst das Narrenfest, das wohl sicher auf die Saturnalien zurückging. Denn einmal wurde es

, ^ Vgl. Cumont The Oriental Beligions in Roman Paganism, 1911,58 j(ich zitiere diese englische Ausgabe, weil sie die neuesten Nachträge jdes Yerf. enthält). Daneben sind freilich die einschränkenden Bemerkungen TOn Toutain a. a. 0. I 2, 1911, 268 zu beachten.

^ Vgl. Wissowa Religion und Kultus der Römer'^^ 1912, 207.

^ Daß die Saturnalien ursprünglich und auch später noch im Februar jgefeiert worden seien, scheint mir Frazer TJie Golden Bough^ III, 1900, jl44:ff. nicht bewiesen zu haben. : * Vgl Böhmer Narrenfest, prot. Realencycl.^ XllI, 1903, 651.

142 C. Giemen

ungefähr zur selben Zeit wie diese gefeiert (nur natürlicli erst nacli Weihnachten) und zweitens erinnerte es an die Saturnalieu nicht nur durch seinen allgemeinen Charakter, der sich ja schon in dem Namen Narrenfest ausdrückt, sondern namentlich dadurch, daß an ihm ebenfalls die Rollen zwischen Vorgesetzten und Unter- gebenen vertauscht wurden; ein niederer Geistlicher wurde zum Bischof oder Papst gewählt und parodierte nun dessen Obliegen- heiten.^ Und wollte man endlich meinen, da sich das Narrenfest vor allem in Frankreich, England und Spanien fand, hätten die Saturnalien anderwärts vielleicht doch zu einer andern, spätem Zeit des Jahres ein ähnliches Fest hervorrufen können, so ist das Narrenfest doch auch am Rhein und in Köln bis ins sieb- zehnte, in Mainz bis ins achtzehnte Jahrhundert gefeiert worden, also zu einer Zeit, in der dort der Karneval längst daneben bestand. Und auch anderwärts läßt er sich, selbst wenn man über die Verschiedenheit des Termins hinwegsehen wollte, aus den Saturnalien, wie aus den Hilarien, nicht befriedigend er- klären.

Drittens nämlich hat zunächst der Saturnalienkönig im ältesten Karneval, soweit ich sehe, keine Parallele^; der Prinz oder, wie er ursprünglich hieß, der Held Karneval ist wieder erst eine Erfindung der letzten neunzig Jahre. Und sollte er in anderer Form doch älter sein, so würde das noch keine Ab- hängigkeit von den Saturnalien beweisen, denn einen König hat sich auch sonst manchmal eine lustige Gesellschaft gewählt.

^ Vgl. ebd. 650 ff., wo zugleich die ältere Literatur angeführt wird. Hinzuzufügen wäre etwa noch Fahne a. a. 0. 48 ff. und Dreves Zur Ge- schichte der feie des fous^ Stimmen aus Maria Laach 1894, 571 ff.; neuestens ist Zscharnack Narrenfeste ^ Die Religion in Gesch. u. Gegenw. lY, 1913, 672 f. hinzugekommen. Die Deutung, die Preuß Der Ursprung der Be- ligion und Kunst, Globus 1904, 357 f diesem Feste gibt und die Schmidt Der Ursprung der Gottesidee 1912, 453, 2 mit Entrüstung zurückweist, ist in der Tat wohl unbegründet.

* Auch gegen Kauffmann Balder, 1902, 282. Die den Saturnalien- könig betreffenden Ausführungen von Frazer a. a. 0.^ III, 139 ff. scheinen mir wieder unbegründet zu sein.

Der Ursprung des Karnevals 143

Ferner kommen Yerkleidungen, wie sie allerdings (wenngleich wohl erst später) bei den Saturnalien und ebenso bei den Hilarien^ üblich waren, auch in manchen andern im römischen Reiche herrschenden Kulten, wie dem der Isis, vor, ja sie erklären sich aus dem Sinn, den jene beiden Feste hatten, überhaupt nicht. Die Saturnalien waren ein allgemeines Freudenfest, entstanden aus einem Fest nach Beendigung der Wintersaat, bei dem sich da- her vor allem die Feldarbeiter freuen durften^; die Hilarien wurden zur Erinnerung an die Wiederbelebung des Attis gefeiert warum sollte man sich da eigentlich verkleiden? Das hat über- all, wo wir die Sitte (auch in andern Religionen) finden, und namentlich bei den Primitiven, wo ja auch Masken gebraucht werden, ursprünglich den Sinn, daß man sich dadurch, daß man sich in einen andern verkleidet, irgendwie in ihn ver- wandelt; aber was für Wesen müßten das ursprünglich bei den Saturnalien oder Hilarien gewesen sein? So wird die Meinung, der Karneval stamme, wenn auch nur zum Teil, in letzter Linie aus diesen Festen her, endgültig aufzugeben sein; wie aber ist er dann entstanden?

Diese Frage wird uns durch dasjenige, was wir über die Feier des Karnevals vor dem vierzehnten Jahrhundert ausdrück- lich hören, allerdings noch nicht beantwortet. Wie später und noch heute, so hat man auch vor jenem Termin schon zu Fastnacht mehr als sonst und mehr als nötig und gut gegessen und ge- trunken: Cäsarius von Heisterbach (um 1180 bis 1240) erzählt {dial. mir. X, 53) von einem solchen Fall aus Koblenz.^ Aber

^ Dabei ist Voraussetzung, daß sich Herodian vita Tiist. I, 10, 6 auf

j sie und nicht etwa auf die zwei Tage später gefeierte und oben nachher

.noch zu besprechende lavatio bezieht, wie das auch Wissowa Beligion

'322,4 für möglich hält, während Hepding Attis, 1903, 168f. nach

Mommsen und Cumont für die Hilarien ist.

* Vgl. Fowler The ReUgious Experience of the Eoman People, 1911, 101. 107.

•' Was unter den sporcalia in Februario im indiculus superstitionum Nr. 3 zu verstehen ist, wage ich nicht zu entscheiden; vgl. darüber zu- jletzt Saupe Der inddc. sup., Progr. d. städt. Realgymn. zu Leipzig 1891, 7 ff.

I

144 C. Giemen

das ist natürlich' nocli niclits besonders Charakteristisclies, wor- aus man den Ursprung des Karnevals erkennen könnte. Wir müssen also nach deutlichem Fastnachtsgebräuchen fragen, be- schränken uns indes hier auf diejenigen, die am Rhein noch vorkommen oder wenigstens nachwirken.

1. Auch in Bonn wird, wie anderwärts, am Aschermittwoch ein sog. Fastnachtsmann, d. h. eine Strohpuppe, auf dem Markte verbrannt; ähnlich „wird in Marsberg (Westfalen) die Fastnacht als Strohpuppe auf der Dängerstätte, in der Eifel die Kirmes, ein Strohmann nebst Flasche und Glas, in einer Grube vor dem Dorfe eingescharrt, wogegen in Balwe (Westfalen) die betreffende, die Fastnacht darstellende Strohpuppe in den Fluß, die Hönne, geworfen wird".^ Anderwärts wird dieser Gebrauch, der dann allerdings meist zu einer etwas spätem Zeit beobachtet wird, als den Tod forttragen bezeichnet, aber auch damit ist wohl noch nicht sein ursprünglichster Sinn aufgezeigt. Ihn lernen wir kennen, wenn wir uns erinnern, daß unmittelbar nach dem „Forttragen des Todes" vielfach ein Baum eingeholt wird, der hier und sonst (namentlich in der Form des Maibaumes) Leben und Fruchtbarkeit bedeuten (oder ursprünglich bringen) soll. Oder es wird das Forttragen des Todes selbst zugleich als ein Einholen des neuen Jahres, des Frühlings, des Sommers, des Lebens bezeichnet, ja manchmal steht der Bursche, der den Tod darstellt, alsbald wieder auf^ Darauf deutet auch hin, wenn in manchen Gegenden der Lau- sitz das Hemd, das „der Tod" getragen hat, dann dem Baum, den man ins Dorf einholt, angezogen oder wenn in Braller in

^ Vgl. Mannhardt Wald- und FeldkuUe I, ^ 1904, 411 und überhaupt 333 ff., wo auch andere Beispiele beigebracht werden, mehr noch und zu- gleich aus außerdeutschen Ländern bei Frazer a. a. 0.^ III, 1911, '220ff. und Kauffmann a. a. 0. 281 ff., dessen Deutung ich aber im allgemeinen für unrichtig halte. Die griechischen Gebräuche stellt am vollständigsten Nilsson Der Ursprung der Tragödie, Neue Jahrb. f. d. klass. Altert. 1911, I, 677 f. zusammen.

^ Ebenso der „wilde Mann", der in Sachsen und Thüringen zu Pfingsten aus dem Holze geholt wird, während in Wurmlingen in dem Zug wenig- stens ein Dr. Eisenbart erscheint.

Der Ursprung des Karnevals 145

Siebenbürgen und in den deutschen Dörfern in Mähren in den Staat, den zuerst „der Tod" getragen hat, dann ein junges Mädchen gekleidet wird. „Der Tod*' ist also ursprünglich viel- mehr der Vegetationsgeist, wie ja auch daraus hervorgeh t^ daß er oft durch einen Strohmann oder eine aus Laub hergestellte Puppe repräsentiert wird ; ja bei den Esthen heißt diese Metziko, d. h. Waldgeist. Verbrannt, vergraben oder ins Wasser geworfen aber wird er wohl, damit er nicht an Altersschwäche eingeht, sondern vorher durch einen lebenskräftigen Nachfolger ersetzt werden kann.^ So erklärt sich das Töten von Königen und Priestern, so kann also auch das des Vegetationsgeists aufgefaßt werden, das übrigens nicht nur beilndogermanen. sondern auch den Mexikanern üblich gewesen sein könnte.'^ Daß es die Fruchtbarkeit erhöhen soll, wird ja vielfach bezeugt: deshalb wurde die Strohpuppe in Leipzig den verheirateten jungen Frauen gezeigt, deshalb pflanzt man die einzelnen Halme auf das Feld oder legt sie in die Krippe oder in das Nest der Hühner und schlägt, nachdem man den Tod fort- getragen und vielleicht mit Stöcken geschlagen hat, damit dann (las Vieh.^ Der Karneval war also insofern von Haus aus ein Brauch zur Beförderung der Fruchtbarkeit.

2. Am Mittelrhein, in Heidelberg und in der Pfalz wurde bis vor kurzem oder wird noch jetzt am Sonntag Lätare der Kampf des Sommers mit dem Winter aufgeführt. Anderwärts (so in der Schweiz) liefern sich am Hirsmontag, d. h. dem Tag nach Invokavit, zwei Gemeinden ein Scheingefecht*, oder finden wenigstens kriegerische Spiele statt. Der eben erwähnte Sonntag selbst wurde schon im 14. Jahrhundert auch von der Landbevölkerung mit ; Turnieren begangen, die wohl ursprünglich ebenfalls jenen Sinn jhatten. Oder genauer: durch Nachahmung des Kampfes zwischen

1 Vgl. Frazer a. a. 0.^ III, 9 ff.

' Vgl. Reuterskiöld Till fragan om uppkomstm af säkrammtdla maltlder, 1908, 112ff. = Z)te Entstehung der SpeisesaJcramente, 1912, 95 f.

» Vgl. Frazer a. a. O.'III, 236. 250 f 252.

* Vgl. Dieterich Sommertag in diesem Archiv VIII, 1905, Beiheft S. 83 (= Kleine Schriften 326).

ArchiT f. ReligionswiBBenschaft XVII 10

;[46 ^- Clemen

Winter und Sommer sollte der Sieg dieses bewirkt werden, d. h. es handelte sich um einen sog. Analogiezauber. In Indien, das wir wohl bei aller sonst in dieser Beziehung gebotenen Vorsicht hier zum Vergleiche heranziehen können, hat sich ja auch noch eine Erinnerung an jene Auffassung erhalten, sofern man in Nepal von dem Ausgang jenes Scheingefechts auf die Fruchtbarkeit des kommendes Jahres schließt. Ebenso meinen die Eskimos, wenn bei dem Tauziehen, das sie nun allerdings im Herbst ver- anstalten, die im Sommer Geborenen die im Winter Geborenen besiegen, daß dann auch im Winter die Sonne scheinen und gutes Wetter sein wird, ursprünglich aber wohl, daß jene jedesmal durch ihren Sieg über die im Winter Geborenen diesen selbst besiegen können und müssend So könnte also wohl der Scheinkampf, der, wie früher und jetzt noch in andern Ländern^, so bei uns zu Fastnacht aufgeführt wird, dieses sich gegenseitig mit der Pritsche Schlagen, mit Konfetti und Papierschlangen Bewerfen, schließlich auch die ganze Karnevalsneckerei ursprünglich jenen selben Sinn haben. Doch liegt für die erste Sitte eine andere Er- klärung vielleicht noch näher.^

1 Vgl.Mannhardt a. a. 0. 548 flf., Frazer a. a. 0.^ V 2, 1912, 254 ff., auch Reiclihardt Dz'e deutschen Feste in Sitte und Brauch^ ^ 1911, 84 f., Kristensen Over de godsdienstige beteekenis van erikele oude wedstrijden en speien, Theol. Tijdschr. 1910, Iff., Nilsson a. a. 0. 678 f.

2 Vgl. für Indien: Simpson Puhjahs in the Sutlej Valley, Himalayas, Journ. of the R. Asiat. Soc. 1884, 21 f, für Ägypten : Herod. II, 63 und dazu Wiedemann Herodots zweites Buch, 1890, 265 f. Da die hier geschilderte Prügelszene im Kult des Osiris, also eines Fruchtbarkeitsgottes vorkommt, kann sie ursprünglich auch den oben angegebenen Sinn gehabt haben. Vielleicht ist es auch ähnlich zu verstehen, wenn Diodor Biblioth. I, 14, 2 von den Ägyptern erzählt: ■ncctärov d'SQi6iiov tovs TCQmtovs ccfnqd'ivrai 6xd%vs d'Evtag rovg ccvd'gmTtovg KontBöd'ai ■TcXrjölov rov dgay^atog nal tr}v 'Iglv ccvauccXstöd-ai. Dagegen sind die von Frazer Pausanias' Description of: Greece III, 1898, 267 f. angeführten Beispiele z. T. wenigstens anderer Art.

^ Nur vereinzelt kommt es wohl vor, daß, wenn „der Tod" übei die Grenze der einen Gemeinde hinausgetragen wird, die andre sich da- gegen wehrt (vgl. Frazer The Golden Bough^ lll, 247); diese Erklärung des Kampfes kann also unberücksichtigt bleiben.

Der Ursprung des Karnevals 147

3. In Niedersachsen schlägt man zu Fastnacht die Frauen und Mädchen mit frischen Birkenruten oder Zweigen der immergrünen Stecheiche, wie der dafür jetzt noch übliche Ausdruck fuen (früher fuden, fudeln oder futteln) andeutet, ursprünglich wohl auf die Genitalien und das kam zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in Italien noch tatsächlich vor , später manchmal auf den Hintern, jetzt zumeist auf Füße und Hände. Man wollte damit wie bei dem römischen Luperkalienfest durch den Schlag mit dem bock- ledernen Riemen die Fruchtbarkeit dieses Tieres die der be- treffenden Bäume mitteilen, wie ja wohl auch daraus hervorgeht, daß statt der grünen Zweige manchmal zarte, aus Silberdraht ge- wundene Ruten gebraucht wurden, an die Wickelkinder, schnäbelnde Täubchen und dergleichen gebunden waren. Auch wird hier und j da, wenngleich zum Teil zu anderer Zeit, das Vieh, und werden I sogar Obstbäume mit Ruten (manchmal allerdings nur noch mit I Stöcken oder Peitschen) geschlagen, damit sie Frucht tragen; wenn I auch noch andere Wirkungen davon erwartet werden, so beweist I das nur, daß man den ursprünglichen Sinn nicht mehr versteht. Und so erklärt es sich nun auch, daß in den ersterwähnten Gegen- den zu Fastnacht nicht nur die Frauen und Mädchen geschlagen werden, sondern daß sie am zweiten Tage umgekehrt die Männer schlagen dürfen wenn diese sich nicht loskaufen.^ Dann aber kann man wohl auch das sich gegenseitig mit der Pritsche Schlagen ursprünglich aus jener Sitte ableiten; es handelt sich dabei wieder um einen Zauber, den ich im Unterschiede von dem vorhin bespro- chenen Analogiezauber einen Berührungszauber nennen möchte. 4. In unseren Rosenmontagszügen werden jetzt in der Regel auch Wagen, oft in der Gestalt von Schiffen, mit aufgeführt. Man könnte das, zumal wenn von der letzterwähnten Eigentümlich- keit abgesehen wird, nicht weiter auffällig finden, aber nachdem sich schon andere Fastnachtsgebräuche als uralt erwiesen haben, darf man wohl auch hier nach einem besonderen Grund dieser Sitte fragen. In der Tat finden wir Wagen im Fastnachtszug, wenn ^ Vgl. Mannhardt a. a. 0. 253 flF., auch Reichhardt a. a. 0. 90t.

10*

L.

j^48 ^- Giemen

auch nicht am Rhein ^, so doch in Italien, Süddeutschland, Frank- reich schon vom vierzehnten Jahrhundert an, indes auch das ist, wenn man einmal einen Festzug veranstaltet (oder bildet auch er schon ein Problem?), vielleicht nicht allzu verwunderlich Aber merkwürdig ist nun doch wohl sicher, daß die Wagen vielfach (bei uns, in Süddeutschland und Flandern) die Gestalt von Schiffen haben und, wie Sebastian Brants Narrenschiff zeigt, schon im fünfzehnten Jahrhundert hatten. Ja man hat sogar den Namen Karneval von diesem Schiffswagen oder carrus navalis ableiten wollen; aber das ist wohl ebenso unrichtig^ wie die Ableitung Fastnacht von Faseln^ jedenfalls für die Frage nach dem Ursprung der verschiedenen Fastnachtsgebräuche, die uns hier beschäftigt, ohne große Bedeutung. Um so wichtiger ist dagegen, was der Mönch Rudolf in seiner Chronik von St. Trond* aus dem Jahre 11 33 erzählt. Danach baute im ersten Frühjahr im Walde bei luden oder Kornelimünster ein Bauer ein auf Rädern gehendes Schiff, das dann von Webern über Aachen, Maastricht, Tongern, Looz, St. Trond nach Leau gefahren wurde, überall von der ganzen Be- völkerung festlich begrüßt und des Abends unter Musik und Ge-

^ Der von Burckhardt a. a. 0. S. 146 erwähnte Fall ist anderer Art.

^ Vgl. darüber neuestens Merlo Die romanischen Bezeichnungen des Faschings, Wörter und Sachen, 1912, 92: „Daß . . . carnevale von carne levare stamme, wird gesichert durch . . . mlat. . . . carne levamen, carne levaris, carne levarium^'' und dazu Meyer -Lübke ebd. Anm, 3: „Verf. gibt keine Einwände gegen carne vale, das begrifflich durchaus paßt, mor- phologisch viel einfacher ist als die von ihm bevorzugte Deutung und als Witz der Klostersprache völlig verständlich ist." Vgl. übrigens auch Merlo ebd. 93: „Ein vulglat. carnevale hätte sich . . . nicht anders ent- wickelt."

^ Vgl. auch dazu Merlo ebd. 89, 1 : „Ich verberge mir die Schwierig- keit nicht, die in mhd. vasenaJit liegen, aber ich möchte doch die Auf- merksamkeit . . . auf die romanischen Formen lenken, die in dem vor- liegenden Artikel behandelt werden , und auf die anderer christlicher und indogermanischer Völker, die dieselbe Anschauung zeigen: kjmr.ynyd, ir inid initium, griech. 7} ccTtoyiQeoas von &7to und xps'ag (= carnis priviwn). Auch 17 &7i!0}CQB(06LUf aÄOxpswöt/xog E0QT7], ueugriech. öjjyiaöig „Aufgabe des Fleisches" (s. arixoto = alga) usw."

* Vgl. Mon. Germ. hist. Script. X, 1852, 309 ff.

Der Ursprung des Karnevals 149

schrei umtanzt. Da das Schiff nur von den (aus welchem Grund auch immer) als Priestern fungierenden Webern berührt werden durfte, muß es irgendwie als heilig gegolten haben; da die Geist- lichkeit darin etwas Heidnisches sah, wird es sich um eine alte Sitte gehandelt haben. Doch ist bei einem solchen volkstümlichen Brauch ein Bauer hatte ja den Wagen gebaut wohl nicht an eine Nachahmung des Isidis navigium, der Weihe eines Schiffes an die Isis, die am 5. März stattfand, zu denken; wenn die wohl germanische Göttin Nehalennia (der das in der Chronik von St. Trond geschilderte Fest gegolten haben könnte^) auf Dar- stellungen, die sich auf der Insel Walcheren gefunden haben, wie Isis abgebildet wird, und wenn eine vielleicht davon ver- schiedene Gottheit, die nach Tacitus (Germ. c. 9) von einem Teil der Sueben^ unter dem Bilde eines Schiffes verehrt wurde, von dem Geschichtschreiber mit Isis gleichgesetzt wird, so be- weist das nicht den Ursprung dieser Gottheiten aus der ägyp- tischen. Außerdem berichtet Tacitus (c. 40), daß Nerthus von sieben germanischen Stämmen gemeinsam in der Weise verehrt wurde, daß, wenn di^e Göttin im AUerheiligsten ihres Insel- heiligtums erschien, im Lande (nicht etwa nur auf der Insel) ein mit einem Teppich bedeckter und von Kühen gezogener Wagen also wohl auch ein Schiffswagen umhergefahren wurde, überall mit Freuden empfangen.^ Auch bei andern Völ-

^ Wenn es Helm Ältgerm. Bdigionsgeschichte I, 1913, 889 vielmehr mit den Karnevalsgebräuchen römischer Herkunft zusammenbringt, so wissen wir von solchen in diesem Sinne wohl nichts.

2 Helm a. a. 0. 309. 311. 386, 14 7 will freilich Sueborum streichen.

^ Ygl. Grimm Deutsche Mythologie^, 1854, 237 ff,, Simrock Handbuch der deutschen Mythologie^, 1887, 370 ff., 543 ff., Mannhardt a. a. 0. 592 ff.. Ihm, Nerthus, Lex. d. Mythol. HI, 1897—1909, 274ff. und die Literatur- angaben bei Kahle Zum NerthuskuU in diesem Archiv 1911, 310, 1. 2, sowie Helm a. a. 0. 311 ff. Wenn Simrock a. a. 0. 546 f. auch das Gecken- berntchen oder -bähnchen, das jetzt dem Fastnachtszug vorangeht, auf Godan (Wodan) und die heiligen Mädchen und Knechte, die dann folgen, auf die Walküren deutet, so hat das Kemp a. a. 0. 28 ff. mit Recht zurück- gewiesen.

]^50 ^- Giemen

kern finden wir solclie Prozessionen auf Schiffs- oder nur auf andern Wagen ^, ursprünglicli aber handelt es sich immer darum, der betreffenden Gegend durch den Besuch der Gottheit deren Segen zuzuwenden, also wieder um eine Art von Berührungs- zauber. Da jener Umzug im Jahre 1133 aber im ersten Frühling stattfand und auch das Erscheinen der Nerthus, der Göttin der Erde und Fruchtbarkeit, vielleicht aus dem Sprossen des ersten Grüns erschlossen wurde, wird man genauer an einen Fruchtbar- keitszauber denken, wie wir ihn schon andern Fastnachtsbräuchen zugrunde liegend fanden.^

5. Ja auch noch eine andere Sitte dürfte sich so erklären. Tacitus berichtet von jener Umfahrt der Nerthus noch weiter: schließ- lich sei der Wagen, die Tücher und, wenn man es glauben wolle, die Gottheit selbst (die also doch vielleicht irgendwie dargestellt wurde) in einem geheimen See abgewaschen worden, in dem die Sklaven, die dabei halfen, sofort ertränkt worden seien. Das hat man früher als Regenzauber gedeutet; aber dazu paßt doch nicht das Getötetwerden der Sklaven. Ferner setzt Tacitus Nerthus mit Terra mater gleich und wird darunter Kybele verstanden haben, deren Bild ja auch am 27. März in Rom auf einem von Rindern gezogenen Wagen nach dem Almo gefahren und dort gebadet wurde. Da zwei Tage vor dieser lavatio die Wiedervereinigung

* Vgl. für Babylonien : Jastrow The Religion of Bdbylonia and Assyria, 1898, 654ff., 679f.; für Ägypten: Herodot a. a. 0. und dazu wieder Wiede- mann a. a. 0. 265, sowie Erman Bie ägypt. Beligion^^ 1909, 63; für Griechenland: Frickenhaus Der Schiffskarren des Dionysos in Athen, Jahrb. d. k. d. areh. Instituts 1912, 72 ff.; für Gallien: Sulp. Sev. vita St. MartinilX. Die von Mannhardt a.a.O. 593 f. angeführten indischen Parallelen sind andrer Art; doch gibt es im übrigen dort bekanntlich auch Götterwagen.

2 Daß man auch dem Umzug der Kybele solche Wirkungen zuschrieb, geht aus den unanständigen Liedern hervor, die nach Augustin de civ. Dei II, 4 dabei gesungen wurden, sowie der Bestreuung der Zugtiere mit Frühlingsblumen, von der Ovid fast. IV, 341 und Lucrez de rerum nat. II, 540 berichten. Von dem Umzug der „Berecynthia" in der Gegend von Autun sagt Gregor von Tours de gloria confessor. 55 ausdrücklich, er geschehe pro salvatione agrorum et vineanim.

Der Ursprung dea Karnevals 151

der Göttin mit Attis gefeiert wurde, wird das Bad ein Reinigungs- bad gewesen sein, wie es nach vollzogenem Beilager genommen wurde, und an das gleiche darf man daher wohl auch bei dem Bad der Nerthus denken. Nicht als ob der IsQog yd^og in diesem Fall von einem Sklaven vollzogen worden wäre; Tacitus spricht ja nur von Sklaven in der Mehrzahl und sagt von ihnen (was auch kaum passen würde), daß sie dann ertränkt worden seien; aber er erwähnt daneben noch einen Priester, und daß er als Gemahl der Göttin galt, also in der Tat ein solcher angenommen wurde, dürfte aus den allerdings späten Angaben folgen, die über die Verehrung des mit Nerthus engverwandten Frey gemacht werden.^ Danach zog dieser, d. h. sein Bild mit einem jungen Weib, das als seine Frau galt, im Lande umher, um den Leuten «in fruchtbares Jahr zu bringen, und als das Weib von Gunnar Helmingr, der sich für Frey ausgab, schwanger wurde, erschien das als ein gutes Zeichen. Auch die Verbindungen von Göttern und menschlichen Frauen, wie sie, ebenfalls im Frühling, bei andern Völkern (z. B. den Griechen) stattfanden, sollten diese Wirkung habendi der' Primitive macht eben, wie sich ja auch schon aus dem oben besprochenen Brauch des sogenannten Schlages mit der Lebensrute ergibt, zwischen vegetativer und animalischer Fruchtbarkeit keinen Unterschied und glaubt daher jene auch sonst durch diese (bzw. die sie bewirkenden Vorgänge) befördern zu können. So erklären sich manche andere Gebräuche, die wir ibei Natur- und bei Kulturvölkern finden: zahlreiche primitive Stämme vollziehen unmittelbar vor oder bei der Aussaat, bzw. i dem Pfropfen der Bäume den Coitus, in Indien wird namentlich das Holi im Frühling mit unsittlichen Bräuchen gefeiert^, und in rder Ukraine, in Deutschland, Holland und England wälzen sich

1 Vgl. Flateyjarbok I, 337 ff.

2 Vgl. Frazer a. a. 0.»I, 1911, 2, 130. 136 ff. -

' Vgl. neuestens Hopkins Festivals and Fasts {Hindu)^ Encycl. of !ßel. and Ethics V, 1912, 869 f. Auch von den westsemitischen Früh- llingsfesten behauptet Paton Äshtart (Äshtoret), Ästarte ebd. II, 1909, 117: These occasions were marked hy great sexual licence.

-«52 . C. Giemen

wenigstens im Frühling oder auch im Herbst Männer und Frauen auf den Feldern.^ So erklärt es sich, daß noch jetzt in manchen Gegenden am Sonntag vor den Fasten: die meisten Ehen ge- schlossen werden; so wohl auch die Versteigerung der Mädchen am 1. Mai oder am letzten Februar, am ersten Fastensonntag oder am St. Valentinstag, d. h. am 14. Februar, denn daß dem allen ursprünglich noch etwas anderes zugrunde lag, ersieht man ja schon aus den Worten Ophelias im Hamlet (iV, 5):

Auf morgen ist St. Valentins Tag

Wohl an der Zeit noch früh,

Und ich, ne Maid, am Fensterschlag

Will sein euer Valentin.

Er war bereit, tat an sein Kleid,

Tat auf die Kammertür,

Ließ ein die Maid, die als ne Maid

Ging nimmermehr herfür.

Sind wir damit schon wieder auf die Fastnachtszeit geführt worden, so lesen wir nun auch in jener Schilderung des k^^chifis- umzugs im Frühling des Jahres 1133, daß sich Scharen von Frauen, die einen halbnackt^, die andern nur mit einem Hemd bekleidet,

^ Vgl. Mannhardt a. a. 0. 480ff.; Frazer a. a. O.M 2, 97ff.; Albr. Dieterich Mutter Erde"" 1913, 94 ff. 134 f., aber auch Crawley Dctv, Encjcl. of Rel. and Ethics IV, 1911, 699: Jt is, however, inohahJe (hat some of ihe agricidtural custows included in the general practice by U'hich individuals or couples 'roll' over the fields are not survivals of a ritual of sympathetic intercourse, but simply express the Intention of rnb- hing the fertilizing deio into the ground. In Bussia, for insiance, the Spiritual person of the priest is rolled over the sproutirg crop. In Holland ihere is still practised a custom of ^fertilizing' the crops by actual sexual in- tercourse. It taJces place at Whitsuntide and is signifcantly called dauic- iroppen, 'dew- treading'. Here there is perhaps a combination, natural enough, of the tuo methods. Eolling in the dew inay be practised for varions reusons. Dafür sind i^n weiteren Sinn auch die von Frazer a.a.O.' 12, 102 f. 1, 140 ff. und selbst V 2, 66 f. erwähnten Gebräuche zu vergleichen.

' Vgl. dazu Heckenbach De nuditate sacro, 191], bes. 7. 17, auch Mac CuUoch The Religion of the Ancient Celts, 1911, 276: By unveiling the body, and especially the sexual organs, icotnen more effectually represen-

Der UrspruDg des Karnevals 153

unter die Feiernden gemischt, und als der Reigen zu Ende ge- wesen, etwas getrieben hätten, worüber der Berichterstatter nur schweigen und weinen zu können erklärt. Auch später wird immer wieder über die ünsittlichkeit des Karnevals geklagt, und noch jetzt ist sie bekanntlich größer als die irgendeines andern Volksfestes. Man muß also für all das noch einen andern Grund suchen, als er für die nur ähnlichen Ausschreitungen bei sonstigen Gelegenheiten maßgebend ist, und wird ihn darin finden dürfen, daß dadurch die Fruchtbarkeit befördert werden sollte, daß der Karneval also, um das Bisherige zusammenzufassen, von Haus aus ein Fruchtbarkeitszauber war.

Selbstverständlich war und ist dieser ursprüngliche Sinn des Karnevals später und heutzutage so gut wie niemand mehr be- wußt; man denkt sich ganz etwas Anderes dabei oder macht diese Gebräuche nur mit, weil es so herkömmlich ist. Aber von sich aus würde man eben jetzt nicht auf sie verfallen; es steht mit ihnen anders als mit sonstigen Sitten, die sich mit dem Karneval verbunden haben und immer wieder verbinden würden. So ist es namentlich ein psybhologisches Gesetz, daß eine so schon er- I regte Menge sich immer mehr in Erregung bringt, daß einer den andern zu überschreien sucht, und wenn die eigene Stimme da- j zu nicht mehr ausreicht, allerlei Lärminstrumente zu Hilfe nimmt. I Wenn das amerikanische Volk einen Wahlsieg feiert, so geht \ es auf den Straßen ebenso geräuschvoll zu wie bei uns am Kame- j val. Wir können außerdem kein Fest feiern, ohne in reicher m äMaße als sonst Alkohol zu uns zu nehmen, und das hat wieder seine besonderen Wirkungen. Aber die oben erwähnten Gebräuche: das Begraben oder Ertränken der Fastnacht, das Sich Schlagen,

ited the goddess of fertility^ and more effectually as her representatives , or through their own powers, magically conveyed fertility to the fields. Er- klärt sich 80 auch der von Herod. II, 60 berichtete Zug, daß bei dem jFest in Bubastis manche Franen ccvaavQOvtai ccviördiisvai'? Daß es sich jdabei nicht um ein Frühlingsfest handelt, brauchte ja nichts aus- Izumachen. Über die Entblößung bei dem mekkanischen Hagg vgl. Wellhausen Reste arab. Heidentums, 1887, 106 f.

254 ^- Giemen

das Herumführen von (Schiffs-) Wagen, die außergewöhnliclie Un- sittlichkeit erklären sich auf diese Weise noch nicht ^, sie be- wirken nur umgekehrt, daß am Karneval auch sonst alles als er- laubt und jeder Unsinn, dessen Zweck man ebensowenig wie den jener Gebräuche einsieht, als geboten gilt. Ursprünglich muß das, ist es schon Tollheit, doch Methode gehabt haben, und welcher Art diese war, glaube ich im Vorstehenden gezeigt zu haben.

Ja vielleicht dürfen wir nun jetzt noch weiter gehen. Eine Reihe von andern Fastnachtsgebräuchen läßt sich gewiß ebenfalls mehr oder minder leicht ohne Rücksicht auf primitive Anschauungen oder Gebräuche erklären, aber nachdem einmal der Karneval im allgemeinen als ursprünglicher Fruchtbarkeitszauber erwiesen ist, dürfen wir wohl auch, wenngleich mit aller Vorsicht, noch einige besondere Gebräuche von da aus zu verstehen suchen.

1. Der Tanz spielt bei den verschiedensten Zauber- und Kult- gebräuchen des Primitiven eine Rolle; wenn ein sog. Wilder sich zum Christentum bekehrt, sagt man von ihm manchmal gerade- zu: er tanzt nicht mehr. Aber eine besondere Bedeutung hat der Tanz nun doch an Frühlingsfesten und namentlich zu Fastnacht oder schon zu Lichtmeß. In vielen Gegenden Deutschlands und Österreichs muß man da auf dem Felde, daheim und im Wirts- haus tanzen, damit das Getreide, namentlich Flachs und Hanf, gut wächst; so hoch man dabei springt; so hoch wird die Saat.^ Auch hier handelt es sich also um einen Analogiezauber, wie es deren zur Beförderung des Wachstums der Saat noch viele gibt, wieder teils bei Natur-, teils auch bei Kulturvölkern. Auf Sumatra lassen die Frauen, wenn sie Reis säen, ihr Haar hängen: dann wächst er ebenso üppig und treibt lange Halme. Ebenso verfuhr man in Mexiko bei der Maissaat; auf Madagaskar darf umgekehrt

^ Die letztere scheint bei andern Festen von Naturvölkern Durkheim Les formes eUmentaires de la vie religieuse, 1912, 307 ff. nur aus dem Ein- fluß der Masse auf den einzelnen zu erklären, übersieht aber dabei, daß jene Feste schon ihre bestimmten Gründe und Zwecke haben.^

2 Vgl. Frazer a. a. O.-'^I 1, 137ff.

Der Ursprung des Karnevals 155

niemand an ilir teilnehmen, der Zahnlücken hat, denn sonst wächst auch der Mais lückenhaft. Die Malaien säen Reis und Mais auch mit vollem Magen, damit er dicke Ähren ansetzt; doch muß man ersteren mit entblößtem Oberkörper einernten, sonst bekommt er zu dicke Hülsen. Um umgekehrt recht dicke Krauthäupter zu erzielen, winden sich die Bäuerinnen in den russischen Ost- seeprovinzen und den Karpathen Tücher um den Kopf, backen Pfannkuchen oder stellen einen in weiße Leinwand gewickelten Stein ins Krautfeld. In Thüringen muß der Mann, der Flachs ßäet, den Sack damit hin und her schwingen lassen, damit sich auch der Flachs so im Winde bewegt, und in Bayern der Mann, der Getreide säet, einen goldenen Ring tragen, damit das Korn schön gelb wird.^ Wenn aber andere Karnevalssitten ebenfalls als Fruchtbarkeitszauber zu erklären waren, so ist es wohl nicht zu kühn, auch unsere Fastnachtstänze zum Teil auf jene Wurzel zurückzuführen.

2. Bei zahlreichen Fruchtbarkeitszaubern sind, je nach ihrem Sinn, Männer oder Frauen nötig und müssen also, wenn die Be- treffenden aus irgendeinem Grunde nicht zur Verfügung stehen, die andern deren Kleider anziehen. Verkleidung bewirkt ja nach primitiver Vorstellung* Verwandlung in den, dessen Kleider man trägt.^ Erklärt es sich daraus, daß auch bei andern Festlichkeiten, die ursprünglich jenen Sinn haben, und darunter beim Karneval, die Geschlechter ihre Kleider tauschen? Daß sie dabei im übrigen seit alter Zeit Grün, Rot und Gelb bevorzugen, könnte den Grund haben, daß diese Farben besonders grell und lustig sind; viel- leicht sind es (und namentlich Grün) aber ursprünglich auch die Farben des Frühlings, den die Betreffenden darstellen.^

1 Vgl. ebd.«I 1, 135 ff.

2 Vgl. Mannhardt a. a. 0. 410 ff. 421, auch Baudissin Ästarte und .Aschera, prot. Realencycl. 'II, 1897, 157.

I ' Natürlich hat die Freude am Sich -Verkleiden dann, wie z. B. jauch im Isiskult (vgl. Apul. met XI, 8), noch zu andern Kostümen geführt, aber die ursprünglichsten könnten die oben angeführten gewesen sein.

■[P)Q ' C. Giemen

3. Auffälliger ist jedenfalls, daß die Fastnachtsnarren schon im fünfzelinten Jahrhundert Schellen und Glöckchen trugen; es er- klärt sich auch das wohl kaum daraus, daß diese damals und bereits früher in Deutschland zur vornehmen Tracht gehörten, die sich bei den Narren gehalten hätte. Vielmehr wird damit das Problem wohl nur zurückgeschoben und jedenfalls finden sich Schellen und Glöckchen auch dort, wo an einen Einfluß jener Tracht sicher nicht zu denken ist. So trägt z. B. in Uganda der Vater von Zwillingen, wenn er von Garten zu Garten geht, um dort seine Fruchtbarkeit auszuteilen also ein ähnlicher Ge- brauch wie die oben erwähnten an den Knöcheln kleine Glöck- chen.^ Besonders aber spielen diese wieder bei Frühlingsgebräuchen eine Rolle. In Süddeutschland, Osterreich und Skandinavien zieht man am Dreikönigsabend (5. Januar), zu Petri Stuhlfeier (22. Fe- bruar), am 1 . März, 24. April oder auch zu Fastnacht mit Schellen und Glocken herum, um den Frühling oder das Gras und den Flachs aufzuwecken. Manchmal sollen die Schellen und Glöck- chen vielleicht auch die Stimme des Vegetationsgeistes wieder- geben, der bei diesen Gelegenheiten von einem Menschen repräsen- tiert wird^; denn wenn auch die meisten der bisher geschilderten Gebräuche wohl in die präanimistische Zeit zurückgehen, in der zwischen Körper und Geist noch nirgend unterschieden wurde, später geschah das doch. Dagegen hat die hier in Rede stehende Sitte mit der Vertreibung feindlicher Geister durch Glockenläuten ursprünglich wohl nichts zu tun.

4. Bei dem rheinischen Karneval wird auch die sogenannte Streckschere verwandt, mit der man einem Entfernten etwas zu- reichen oder ihm auch nur ins Gesicht fahren kann. Sie spielt ebenso bei dem sogenannten Perchtenlaufen eine Rolle, das in den deutschen Alpen im Winter zu dem Zweck, ein gutes Erntejahr zu erzielen, stattfindet. Allerdings ist die Streckschere da das Werkzeug des im Festzug miterscheinenden Schneiders ge-

^ Vgl. Frazer a. a. 0. ^ I, 2, 102.

2 Vgl. Mannhardt a.a.O. 326 f. 539 ff.

Der Ursprung des Karnevals 157

worden, mit dem er den Dabeistehenden unversehens die Kopf- bedeckung raubt; aber das ist kaum ihr ursprünglicher Sinn. Denn der Schneider ist da wohl ebensowenig ursprünglich ; tritt er doch schon an einer andern Stelle des Zuges unter den Vertretern der sonstigen Berufe auf. Den ursprünglichen Sinn der Streckschere finden wir vielmehr wohl bei den Tusayan- Indianern in Arizona, die ich hier heranziehen zu dürfen glaube, ohne damit sagen zu wollen, daß wir uns nach ihnen oder einem beliebigen andern primitiven Stamm ohne weiteres unsere Vorfahren vorstellen dürften. Bei dem Sommerfest dieser Indianer erscheint ihr Stammgott Pü'ükong nämlich mit einer großen hölzernen Streckschere, und da jenes Fest Fruchtbarkeit bewirken soll, stellt die Streckschere wahrscheinlich den Blitz dar, der den be- fruchtenden Gewitterregen herbeiführt.^ Wenn aber, wie das Perchtenlaufen, so der Karneval ursprünglich ein Fruchtbarkeits- zauber war, könnte die Streckschere auch bei ihnen denselben Sinn gehabt haben,

5. Auch die Schnarre, Knarre, Ratsche, Klapper oder wie man sie nennen mag,» die bei unserm Karneval als bloßes Lärm- instrument gebraucht wird, kommt bei verschiedenen primitiven Stämmen namentlich Amerikas als Abbild des Donners vor. ür- ' ßprünglich mag sie, ebenso wie das Schwirrholz, die Wasser- I flöte und Maultrommel, der Brummkreisel als solche, wegen I des von ihr hervorgebrachten Tons, als etwas Übernatürliches j oder wenigstens Außergewöhnliches aufgefaßt worden sein, daher ! sie der Angekok der Eskimos zu Heilzwecken benutzt.^ Dann j aber wurde ihr Ton als Stimme des Donnergottes aufgefaßt (so ! bei den Tupi in Südamerika^), und von da aus erklärt es sich, daß die Rassel auch als Symbol der mexikanischen Fruchtbar-

^ Vgl. Hein Der Schneider im Pongauer Perchtenlaufen, Corre- spondenzblatt der deutschen Gesellsch. f. Anthropol. 1899, 137 f.

^ Vgl. Weule Leitfaden der VölkerJcunde, 1912, 36.

' Vgl. Ehrenreich America, South, Encycl. of Rel. and Ethics I, 1908, 383.

I^g C. Giemen Der Ursprung des Karnevals

keitsdämonen erscliien und beim FrüMingsfest gebraucht wurde, das danach geradezu mit der Rassel säen hieß^: der Donner sollte eben auch hier Regen und damit Fruchtbarkeit herbeibringen. Freilich daß mit diesem Gebrauch der Rassel zum Fruchtbarkeits- zauber ihre Verwendung bei unserm Karneval zusammenhängt, das könnte man mit einiger Sicherheit wohl erst annehmen, wenn die Fastnachtsschnarre auch früher schon nachzuweisen ist^; und auch dann bliebe es natürlich denkbar, daß das Instrument wie die Streckschere andern Ursprungs wäre und von vornherein nur zum Lärmmachen gedient hätte.

In diesen Fällen enthalte ich mich also wenigstens zunächst des Urteils; was den Karneval im übrigen angeht, so glaube ich dagegen in der Tat nachgewiesen zu haben, daß er zum guten Teil in uralten, primitiven Anschauungen und Gebräuchen wurzelt. Was man sich auch später bei ihm gedacht haben und jetzt denken mag, ursprünglich war er in erster Linie ein aus verschiedenen Gebräuchen bestehender Fruchtbarkeitszauber.

^ Ygl. Preuß a. a. 0. 1905, 334. 336.

^ Der kirchliche Gebrauch, den Andrea JRatschen, Klappern und das Verstummen der Karfreitagsglocken ^ Zeitschr. des Vereins f. Volkskunde 1910, 250 ff., behandelt und bis ins siebente Jahrhundert zurückverfolgt, bedarf wohl selbst erst noch der Erklärung aus älteren Sitten.

Eine apokryphe Heilige des späten Mittelalters

Von E. A. Stückeiberg in Basel

In dem himmlischen Senat der römisch-katholischen Kirche thronen so viele Tausende von authentischen Heiligen, deren Person und Lebenszeit für den Historiker fest umrissen ist, daß kein Verständiger daran Anstoß nimmt, wenn die eine oder andere Gestalt, die durch menschlichen Irrtum zur Schar der Heiligen gezählt worden ist, als legendäre Erscheinung ausgesondert bzw. als apokryph bezeichnet wird. Hippolyte Delehaye^ formuliert unsern Gedanken dahin, daß die Erkennt- nis des historisch Minderwertigen nicht das Leugnen des Aus- gezeichneten bedeutet und daß es heißt, die Ernte retten, wenn man das Unkraut ausliest.

Yon diesem Standpunkt aus hat der Verfasser gewagt, den kölnischen Heiligen näher zu treten und an einem charakte- ristischen Beispiel 'S. Euphrosyna von BaseP das üppige Ranken der Legende von den sog. 11000 Jungfrauen zu ver- folgen; von diesem Gesichtspunkt aus suchte er die Katakomben- heiligen von den historischen Heiligen zu sondern.^ Dasselbe iZiel verfolgte er auch bei der Untersuchung der oberitalienischen 1 Heiligen; unter den in der Lombardei verehrten Märtyrerinnen jfand sich nun eine Jungfrau, deren Legende zu einer genaueren 'Erforschung reizte. Sie trägt den Namen S. Eurosia und wird als Schutzpatronin der Feldfrüchte angerufen.

Am Südfuß der Pyrenäen, am Flusse Arragon, der dem Lande, der heutigen Provinz, den Namen gegeben hat, liegt jJaca. Diese Stadt ist seit 1571 Sitz eines Bischofs.

* Die hagiographischen Legenden, Kempten u. München S.Y.

* Basler Zeitschr. für Geschichte und Altertumskunde 1904 S. 37 46. ^ Die Katakombenheiligen der Schweiz, Kempten u. München 1907.

IQQ E. A. Stückelberg

Hier hat im Jahr 1435 eine Revelation und eine Invention stattgefunden; ein Hirt fand den wohlerhaltenen Leichnam eines Mädchens in einer Höhle. Man transferierte ihn in die Kathedrale; seither wurde der Schrein mit den kostbaren Reliquien häufig in Prozessionen einhergetragen.^

Es bildete sich eine Legende^, welche die damals geläufigen hagiographischen Züge^ auf das Haupt der Heiligen sammelte. Danach war sie fürstlichen Geblütes, floh vor einem fürstlichen Bewerber, wurde in schrecklicher Weise verstümmelt und ge- tötet — man schlug ihr Füße, Hände und Haupt ah , ihr Leib strömte Wohlgeruch aus und die Glocken läuteten von selbst bei ihrer Translation. Wenn ihre Reliquien herausge- tragen werden, hört das Ungewitter stets innerhalb dreier Tage auf. Die Höhle, in die sie geflüchtet und ein Quell, der ihr geweiht ist, werden gezeigt. Als der Bischof eine Partikel von ihrem Leib nehmen wollte, floß Blut.

Ihr Kult nahm dadurch einen Aufschwung, daß ein böhmischer Mönch sie 1493 als böhmische Königstochter bezeichnete. Auf Betreiben der Habsburger, welche die spanische mit der böhmischen Krone vereinigten, sei in Rom der Versuch gemacht worden, Eu- rosia zu kanonisieren, melden die Rolland isten in ihrem hand- schriftlichen Bericht von 1568 über die Heilige; ihr Leben wurde 1583 in lateinischer, 1596 in spanischer Sprache gedruckt*.

Am 1. Mai 1902 erfolgte eine Kultapprobation in Rom. (A. ecc. X 243.)

Durch die Verbindungen Spaniens mit der Lombardei, welche infolge des Einzugs Mailands als Reichslehen unter Karl V. und Philipp IL eintraten, verbreitete sich der Kult der h. Eurosia nach Oberitalien. Als Vermittler derselben dürften Soldaten gelten, daneben auch die Somasken, deren Hauptsitz im Bis-

^ Garns Series Episcoporum p. 37.

* AA. SS. Juni V S. 88—91; neue Ausg. 1867 Juni VII S. 76 79. ' Vgl. Günter Die christliche Legende des Abendlandes, 1910. Der

Legendenbestand S. 13 15.

* Ferner Analecta Boll. XV p. 322,

Eine apokryphe Heilige des späten Mittelalters 161

tum Como lag. Die Verehrung der Heiligen delmte sich über mehrere Bistümer, die zwischen dem Apennin und den Alpen liegen; aus. Wir fanden Heiligtümer Kapellen, Altäre, Bilder und Reliquien der h. Eurosia in den Diözesen Mai- land, Como, Cremona, Pavia und Novara. Überall wird die Heilige am 25. Juni verehrt; überall gilt sie als Beschützerin der Feldfrüchte (protettrice dei campi^). Die ältesten gefundenen Zeugnisse reichen ins 16. Jahrhundert zurück, die jüngsten in die heutige Zeit. Noch 1908 ist der Heiligen in Trarego (Diözese Novara) an ihrem Festtag eine Statue errichtet worden, 1912 verlangte die Pfarrei Loco Verlegung des Eurosiafestes.^

Hier eine Übersicht über die bis jetzt gefundenen kultischen Spuren der h. Eurosia:

Affori (Mailand^). Bigorio (Lugano), Ölgemälde des 18. Jahrh. Besäte (Mailand). Cannero (Novara*) Canonica Lambro (Mailand). Caravaggio (Cremona^), Kapelle von Montissolo. Cesano Maderno (Mailand), Kapelle von Cascina Gaeta. Cocquio (Mailand), bei Sesto Calende. Comano (Lugano), Wandgemälde von 1661. Como^, Loreto- kirche. Comarina (Mailand), bei Castano Prime. Cressa ; (Novara). Fara d'Adda (Mailand). Lesmo (Mailand), Kapelle ivon Masciocco. Loco (Lugano). Medeglia (Lugano), Wand- ! gem. des 16. Jahrh. Menzago (Mailand). Monza, S. Biagio (Mai- land).— Pavia. Puria (Como) Kapelle, Altar, Gem.des 16. Jahrh.'

^ Älmanacco Sacro Pavese 1910 p. 65.

* Gütige Mitteilung von Herrn Prof. Dr. Maspoli, bischöfl. Kanzler ' jin Lugano.

I ^ Die mailändischen Orte verzeiclinet im Guida Ufficiale del Clero (1910.

* Die Orte im Bistum Novara verzeichnet bei Brusa Novara Sacra 1909.

^ Stato del Clero . . . di Cremona 1910.

^ Martyrölog. Novocomense 1676.

' Nach Pellegrini La Valsolda, Milano 1909 p. 64 dem Procaccino zugeschrieben; in Dasio (dicht bei Puria) erinnerte ein Bild der N. S. lel Pilar an die Beziehungen der Talschaft zu Saragossa.

Archiv f. Eeligionswissenschaft XVII 1 1

IQ2 E. A. Stückelberg

Sigirino (Lugano) Reliquie. Tajno (Mailand). Trarego (Novara). Vighizzolo (Mailand), Kapelle in S. Agata.

In den übrigen vom Verfasser bereisten oberitalienischen Bis- tümern fand sich Eurosia bis jetzt nicht; auch die Durchsicht der bezüglichen Publikationen von Bergamo, Brescia, Vercelli er- «^ab nichts. Doch ist anzunehmen, daß da und dort noch ein Bild zu finden sein mag.

Wir haben es mit einem typischen Yolkskult zu tun: die Heilige wird auf dem Land, nur ausnahmsweise in der Stadt, ver- ehrt. Als Beschützerin der Felder und Früchte, bringt sie den nöti- gen Regen^ und schirmt vor Blitz. Sie ist also eine Wetterheilige, wie S. Uguzo (von San Lucio) ^, S. Mirus (von Sorico), S. Eu- tychius (von Nursia) und viele andere italienische Schutzpatrone, auf welche die Landwirtschaft rechnete und heute noch zählt.

Lassen wir noch einige ikonische Zeugnisse^ sprechen.

In Puria im Yalsolda befindet sich in der Eurosiakapelle der Pfarrkirche ein sehr schönes Ölgemälde des 16. Jahr- hunderts, das dem Mailänder Maler Ercole Procaccini (1520 bis 1591) zugeschrieben wird. Es zeigt eine h. Jungfrau in reichem Kleid, mit weiten gerafften Ärmeln, kniend nach links ge- wendet. Sie streckt die gefesselten Hände, die ihr abgehauen werden sollen, vor. Hinten Schergen, oben schwebende Engel mit Bandrolle Künstlerisch, wie es scheint, das bedeutendste Bild der Heiligen Es ist auch das älteste dem Verfasser in Italien vor Augen gekommene Bild der h. Eurosia; es dürfte Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden sein.

Das älteste Gemälde der Heiligen auf Schweizerboden, in der Diözese Lugano, befindet sich an der Außenseite einer Pfarr-

* Über dieses ständige Motiv der mittelalterlichen Heiligenlegende vgl, Toldo bei H. Günter Die chrüüiche Legende des Abendlandes 1910 S. U, 78—79.

* Vgl. des Verf. San Lucio. Lugano 1912, Grassi.

' Besichtigt und bescbrieben vom Verfasser 1909 und 1910; die Attribute beschrieben und kommentiert bei Cahier Caracteristiques des Saints S. 478.

Eine apokryphe Heilige des späten Mittelalters 163

kirche des Isonetals (Bezirk Bellinzona). Es ist S. Bartholo- mäus zu Medeglia. Ein großes Fresko zeigt die Enthauptung einer fürstlichen Jungfrau. Sie kniet auf dem Rasen und vor ihr liegen ihre abgehauenen Hände und Füße, hinter ihr Krone and Zepter. Ein schwebender Engel bringt rote und weiße Blumen^ oder Früchte. Auch dieses Bild scheint dem XVI. Sae- culum anzugehören und ist wohlerhalten; bei den Einwohnern aber ist seine Bedeutung nicht mehr bekannt, niemand wußte den Namen der Heiligen.

Ein Freskogemälde zu Comano im selben Bistum findet sich in der Pfarrkirche der Reinigung Maria an der Innen- seite der Südmauer. Hier sieht man die stehende Gestalt der h. Jungfrau und Märtyrerin. Sie trägt den Palmenzweig in der Linken und zu ihren Füßen liegt eine Krone. Die Unterschrift lautet: S. EYROSIA Y M 1661.

Die Bilder halten sich an die Legende, indem sie das fürstliche Geblüt durch die Krone andeuten und außerdem das Martyrium mit seinen Einzelheiten schildern.

Fassen wir die Ergebnisse der literarischen, urkundlichen, kultischen und ikonischen Überlieferung zusammen, so ergibt sich folgendes. Eurosia ist keine historische Gestalt; sie tritt erst in die Geschichte ein durch und mit ihrer Findung ^ und kirchlichen Anerkennung zu Jaca. Sie ist eine getaufte Heilige, indem es sich um einen anonymen Leichnam handelt, dem bei der Findung ein Name beigelegt wurde. Dieser wurde nach Analogie der zahlreichen auf Eu-^ anlautenden Heiligen-

^ Rosen mit Bezug auf den Namen Eurosia auch zu Bigorio.

' Der Vorgang erinnert an die Findung des Römergrabes zu Com- postella, dessen Inhalt man taufte und zwar auf den Namen eines historischen Heiligen, des Apostels Jacobus Major; dieser Vorgang fällt ins iJahr830, also sechs Jahrhunderte vor der Invention der h. Eurosia.

' Schon das Martyrologium Hieronymianum verzeichnet viele Dutzende von Heiligennamen, die mit Eu- zusammengesetzt sind; die Form Eu- jcosius.-a, kommt indes nirgends vor. Am nächsten steht ihr der unter iem 5. November kommemorierte Eurasius,

11*

164 E. A. Stückelberg Eine apokryphe Heilige des späten Mittelalters

namen und mit Kenntnis des in Spanien geläufigen Namens Orosius, -a, gewählt. Die im 15. Jahrhundert beliebten Legendenmotive werden der neuen Heiligen beigelegt. So aus- gerüstet findet Eurosia als populäre Gestalt Eingang in außer- spanische Kreise. In Oberitalien wird sie zu einer von der Landbevölkerung sehr geschätzten Schutzherrin der Felder, die sie vor Dürre verschont.

S, Eurosia ist eine der wenigen spanischen Heiligen, deren Verehrung in Oberitalien Eingang gefunden hat.^

* Eine andere Märtyrerin aus Spanien, Alodia, findet sich, soviel ich sehe, nur in S. Alo verehrt; Dr. Diego Sant Ambrogio teilt mir über sie mit: Sant Alodia, martire in Spagna, nel secolo IX, in unione alla swello Nunilona. Furono decapitate sotto il re Moro Äbderamo II per non avet voluto repudiare il culto cattolico. La feste si celebre il 29 Octobre dellt chiesa, e i corpi delle due martire si conservano a San Salvatoi'e di Lejo in Navarra.

Das religiöse Problem in China

Von O. Franke in Hamburg

Wer bei einer Betrachtung der vor zwei Jahren in China vollzogenen Umformung der staatlichen Verfassung sich das Wesen des bis dahin bestehenden chinesischen Staates vor Augen hält, der wird beim ersten Blick erkennen, daß es sich hier nicht bloß um einen politischen oder staatsrechtlichen Vor- gang handelt, sondern um unendlich viel mehr: diese Umfor- mung bedeutet ein Wegrücken der gesamten Kultur von ihren bisherigen Grundlagen, sie bedeutet insbesondere eine Zertrüm- merung der stärksten dieser Grundlagen, der Religion. Der chinesische Staat war bis zum Jahre 1911 weniger Staat als vielmehr Kirche, ja noch mehr, er war das versinnlichte Dogma, die verkörperte Religion. Diese Religion war zusammengefügt aus Ahnendienst und' Naturdienst, sie war vom Altertum her überkommen, von Tschou kung, dem Gründer des kirchlichen üniversalstaates im 12. Jahrh. v. Chr., und von Konfuzius, sei- nem Erneuerer im 5. Jahrh. v. Chr. zum Staatsrecht entwickelt und zur Staatsverfassung organisiert.^ Sie fand ihren Ausdruck in dem Staatskultus und in der politischen Ethik des konfu- zianischen Systems. Der Kaiser war Stellvertreter Gottes auf Erden und daher ein ^Heiliger', der Lehrer und Führer der Menschheit und daher auch ihr Vertreter vor Gott. Aber er durfte auch Himmel und Erde als sein hohes Elternpaar be- zeichnen, und wie der rechtmäßige älteste Sohn, und er allein,

^ In einem engliscli geschriebenen Confucius and New China be- titelten Buclae (S. 23 ff.) hat ein junger Chinese, WangChing-Dao, kürzlich darzulegen versucht, daß Konfuzius niemals den Universal-Staat im Auge gehabt habe. Es gehört viel Mut oder wenig Wissen dazu, eine solche Aufgabe zu unternehmen. Der Verfasser sollte einmal Tung Tschung Schu's Tsch'un-tciu fan lu (2. Jahrh. v. Chr.) durchlesen.

166 ' 0. Franke

den verstorbenen Ahnen opfert und dient, so opferte und diente allein der 'Sohn des Himmels' seinen göttlichen Ahnen. Wie ferner dem opfernden ältesten Sohne seine eigenen jüngeren Brüder, Kinder und Enkel nach dem Grundgesetze der Pietät Untertan sind, so war das Volk dem das höchste Ahnenopfer vollziehenden Altesten, dem Kaiser, Untertan. Denn der Staat war nur die große Familie, die Familie war der kleine Staat. Der Kaiser war Familienvater des Volkes, und wie jeder Vater in seiner kleinen Familie, so er in seiner großen der opfer- berechtigte Priester. Jeder Beamte aber im Staate übte seine Befugnisse aus kraft der ihm vom Kaiser zeitweilig über- tragenen göttlichen Teilgewalt, und dementsprechend vollzog er in seinem Amtsbezirke die staatlichen Opferriten. Also auch er war ebensowohl Priester wie Beamter im Kirchenstaate.^

Diese Anschauungen sind es, die den Kern des konfuziani- schen Systems bilden, d. h. jener politischen Religion, deren Bestandteile aus vorkonfuzianischer Zeit stammen, von Konfu- zius gesammelt, von seinen Anhängern Jahrhunderte hindurch zu einem immer fester werdenden Ganzen zusammengeschlossen sind. Die erleuchtetsten Geister Chinas haben ihm die klas- sische Form gegeben, Generationen von Gelehrten haben es ausgebaut und verbreitet, für jeden Staatsmann jeder Dynastie war es ein unverrückbares Dogma, bis es schließlich zum Fun- dament des staatlichen und sozialen Gefüges wurde, zum gra- nitnen Felsen, auf dem sich das Gebäude der Kultur erhob.

Allerdings hat es das konfuzianische System nicht verhin- dern können, daß sich neben ihm andere, meist fremde Reli-

^ Wilhelm Martens Die Beziehungen der Überordnung, Nebenordnmig und Unterordnung zwischen Kirche und Staat (1877) S. 7 will statt „Kirchenstaat" lieber den Namen „Glaubensstaat" angewendet sehen, weil die erstere Bezeichnung „speziell üblich geworden sei für das italienische Territorium, welches bis zum Jahre 1870 der weltlichen Souverainetät der Päpste unterstand". Ich kann diesen Grund nicht als ausreichend ansehen; die Bezeichnung „Glaubensstaat" paßt auch im Hin- blick auf das Wesen des Konfuzianismus nicht auf den chinesischen Staat.

Das religiöse Problem in China 167

gionssysteme in China zeitweilig entwickelt haben, aber keins von ihnen ist vom Konfuzianismus unbeeinflußt geblieben, und keins hat es mit Aussicht auf Erfolg wagen können, an die Grundlehren des Konfuzianismus zu rühren. Einheimische Taoisten, indische Buddhisten, babylonische Manichäer, syrische Nestorianer, persische Mazdäer, arabische und türkische Muha- medaner und schließlich abendländische Christen, sie haben alle auf chinesischem Boden ihre Lehren verkünden können und auch zahlreiche Anhänger bis in die höchsten Schichten hinauf gefunden, aber ihre Erfolge standen immer im Verhält- nis zu dem Maße, wie sie willens und imstande waren, Teile ilirer Eigenart den konfuzianischen Anschauungen zu opfern. I Das Konfuzianertum hat diese heterodoxen Systeme für ge- I wohnlich, wenn auch unwillig, geduldet, aber weit mehr aus hochmütiger Gleichgültigkeit als aus weitherziger Toleranz. Es I sah in ihnen entweder Äußerungen niederer Kulturen, die keine Beachtung verdienten, oder vielleicht geschichtlich interessante, aber sonst wertlose Absonderlichkeiten. Je sorgsamer im Laufe der Jahrhunderte das 'konfuzianische System formuliert wurde, und je mehr sich die Staatsgewalt mit ihm identifizierte, um jso fester ergriff der Glaube an seine unfehlbare Ausschließlich- ikeit von dem gesamten chinesischen Denken Besitz. So oft Idaher eine der fremden Religionen es unternahm, die Grund- lagen des Konfuzianismus anzutasten, namentlich den Ahnen- idienst, die Familienordnung und die Stellung des Kaisers, fuhr die Paust des konfuzianischen Kirchenstaates zerschmetternd jauf die ^Rebellen' wider das göttliche Gebot hernieder. Dyna- stien sind gekommen und wieder verschwunden, einheimische and landfremde Kaiser haben den Thron innegehabt, die Ein- teilung des Reiches und die Einrichtungen seiner Verwaltung ?ind oft und durchgreifend geändert, aber das konfuzianische System und mit ihm das Wesen des Staates haben alles über- dauert, ja sie sind mit jedem Jahrhundert ausgesprochener, ielbstsicherer geworden.

Ißg 0. Franke

Den Höhepunkt hat diese religiös - politische Entwicklung unter der letzten Mandschu-Dynastie erreicht. Vom 30. Oktober 1644 an, wo Schun-tschi, der erste Kaiser der Dynastie, am Altar von Himmel und Erde seinem höchsten Ahnen, dem Himmel, anzeigte, daß er seinen Auftrag, das Reich zu be- herrschen, jetzt ausführe, zugleich den Schutz des hohen Eltern- paares herabflehend, bis zum 12. Februar 1912, wo der letzte Kaiser, Süan-t^ung, der Welt verkündete, daß er das Erbe seiner Väter abgebe, weil er im Einklang bleiben wolle mit dem Worte des Konfuzius, daß 'der Tugendhafteste und Fähigste zum Herrscher gewählt werden solle' ^, er selbst aber dies nicht sei: während dieser ganzen Zeit ist die Kulturpolitik der Mandschu- Kaiser bestrebt gewesen, den konfuzianischen Kirchenstaat von fremden Elementen zu säubern, alle staatlichen Einrichtungen und staatlichen Funktionen mit konfuzianischem Geiste zu er- füllen, ja das ganze Denken ihres Volkes in konfuzianische Formen zu zwingen. Es war K'ang-hi, der größte der Mandschu- Kaiser, der das berühmte 'Heilige Edikt' erließ, eine religiös- politisch-soziale Predigt an das Volk, aus 16 Artikeln bestehend, in der mit ernsten Worten gemahnt wird, die Gesetze der kon- fuzianischen Ethik überall zu befolgen, 'davon abweichende Ideen von sich zu weisen, um so der rechten Lehre allein die Ehre zu geben' (Art. 7). K'ang-hi's Verkündung hatte als Vor- bild offenbar ein ähnliches Kulturedikt, mit dem sich drei Jahr- hunderte früher der erste Kaiser der Ming-Dynastie, Hung-wu, eingeführt hatte, aber sie geht in der starken Betonung der ausschließlichen Rechtmäßigkeit des konfuzianischen Systems weit über jenen Vorgänger hinaus. Von K'ang-hi's Nachfolgern hat keiner den Standpunkt seines Vorfahren verlassen, wohl aber hat ihn mancher verschärft. Kaiser Yung-tscheng, der im Jahre 1724 seine klassisch gewordene Paraphrase zu den 16 Artikeln seines Vaters verkündete, gehörte zu den letzteren. Für ihn waren die Taoisten, Buddhisten und 'die Lehre des

^ Siehe näheres hierüber unten S. 187 Anm 1.

Das religiöse Problem in China 169

Westmeeres vom Herrn des Himmels', d. h. die Christen, ^nagende Insekten am Besitztum des Volkes'^ (Paraphr. zu Art. 7). E9 entspracli nur diesen Anschauungen; wenn während der Mandschu- Zeit Buddhismus und Taoismus auf staatliche Förderung nicht zu rechnen hatten. Gewaltsam bekämpft sind sie nur in Einzel- föllen, namentlich wo sie sich zu geheimen Verbänden zu- sammenschlössen, aber infolge der Verachtung, die sie von den herrschenden Klassen des konfuzianischen Literatentums er- fuhren, blieben sie auf die breiten Schichten des Volkes an- gewiesen und verfielen in zunehmendem Maße dem Paganismus. Der Staat als solcher wollte lediglich der organisierte Konfu- zianismus sein.

Nun muß allerdings ein Staat, der den Anspruch erhebt, eine theokratische Universalmonarchie zu sein, bei seinen aus- wärtigen Beziehungen sehr rasch zu der Erkenntnis kommen, daß er sein Dogma nur durchsetzen kann entweder durch dessen innere Überzeugungskraft oder durch überlegene reale Macht- mittel. Beide Möglichkeiten hat der mandschurische Staat be- nutzt, je nachdem seiner Staatskunst die eine oder die andere oder ein Zusammenwirken beider das Gegebene schien. Das Dogma von der göttlichen Priesterstellung des Kaisers hat unter den Völkern Ost- und Mittelasiens eine starke Werbe- kraft gehabt, und die großen Kaiser des 17. und 18. Jahr- jhunderts verfügten auch über die Macht, ihren universalen An- sprüchen die Geltung zu erzwingen. Aber es liegt im Charakter des Chinesentums und vor allem in dem der chinesischen jStaatskunst, einen theoretischen Gegensatz in der Wirklichkeit |nie auf die Spitze zu treiben und Schwierigkeiten durch Zu- geständnisse zu begegnen. Solche Zugeständnisse haben die mandschurischen Kaiser den religiösen Faktoren Innerasiens sowie des Abendlandes wiederholt gemacht, den letzteren aller- jdings nur unter dem Druck überwältigender Kräfte. Der tibe- itische und mongolische Lamaismus hat seitens der kaiserlichen

^ Weiteres über den Ausdruck vgl. unten S. 181 Anm. 1.

170 O.Franke

Regierung eine wesentlicli andere Behandlung erfahren als der heimische Buddhismus. Der Dalai Lama und die gesamte lama- istische Hierarchie mit ihrem weitgehenden politischen Einfluß, an sich unmögliche Fremdkörper im konfuzianischen Organis- mus, sind von den mandschurischen Kaisern geduldet und ge- schützt worden, weil man aus politischen Rücksichten ihrer Dienste bedurfte. Aber auch dieses Verhältnis hatte immer die Anerkennung des kaiserlichen Staats dogmas zur Voraussetzung. Sobald sie unerfüllt blieb, der politische Zweck also gefährdet war, fiel die Rücksicht, und der konfuzianische Staat setzte sich mit Gewalt durch soweit es ihm möglich war.

Ganz besonders war die Stellung dem Christentum gegen- über. Die klugen Jesuiten im 17. und 18. Jahrhundert haben un- zweifelhaft durch ihre Gelehrsamkeit und ihr würdevolles Auf- treten auch dem Konfuzianertum eine gewisse Achtung vor der * Lehre des Westmeeres' abgenötigt und sich zeitweilig der Gunst des Hofes in hohem Maße zu erfreuen gehabt, ebenso wie es bei den ersten Buddhisten, den ersten Nestorianern und vielleicht den ersten Manichäern der Fall war. Die Legende freilich, daß Kaiser K*ang-hi selbst nahe daran gewesen wäre, ein katholischer Christ zu werden, bedarf heute kaum noch der Widerlegung^: man halte sich nach allem, was bisher gesagt ist, den Gedanken vor Augen, daß der Herrscher des konfu- zianischen Weltstaates, der Vermittler zwischen Gott und der Menschheit, den Entschluß faßt, daneben noch ein geistiger Untertan des Papstes zu werden! Das Schicksal des Christen- tums auf chinesischem Boden hat sich zunächst nicht anders gestaltet als das der sonstigen fremden Religionen. Die ersten Vertreter, weltgewandte, gelehrte Männer, wurden mit freund- licher Neugier aufgenommen, mau bewunderte ihre fremdartigen Künste, hörte auch ihre Lehren mit Teilnahme an und behan-

^ Vgl. Wieger Textes Historiques S. 2072: II ne pensa jamais serieu- sement ä embrasser le christianisme, affirment les P. P. Laureati et Bouvet, qui le connurent hien.

Das religiöse Problem in China 171

delte sie als seltsame, aber ungefährliclie Ausländer. Sobald eich jedoch ihre Lehre organisierte und nun, was sie bei aller Vorsicht und allen Zugeständnissen nicht vermeiden konnte, in das religiöse und soziale Gewebe des Konfuzianismus ein- griff, war ihr Schicksal besiegelt. Die Stellung, die das Christen- tum der Ahnenverehrung und somit auch dem Grundgesetz der Pietät gegenüber einnahm und seinem Wesen nach einnehmen mußte, machte es in dem konfuzianischen Kirchenstaate un- möglich. Im Jahre 1717 erließ K^ang-hi auf die Vorstellungen von mehreren Pro vinzialbehörden und den hauptstädtischen Ministerien hin ein Edikt, in dem die Errichtung christlicher Kirchen fernerhin verboten wurde. Die Begründung dieser Vorstellungen war bezeichnend für die chinesische Auffassung von Wesen und Zweck der fremden Religion. Man wies darauf hin, daß die Europäer das Christentum zunächst nach Manila und von dort nach Japan gebracht hätten. Mit großem Eifer sei es hier verbreitet worden, damit *die Herzen des Volkes dadurch ge- wandelt' und gefügig für den fremden Einfluß gemacht würden. Als die Fremden glaubten, dieses nächste Ziel in genügendem I Maße erreicht zu haben, seien sie zum Angriff mit Waffengewalt ! übergegangen, um so das Land ihrer Herrschaft zu unter- j werfen. Dieser Angriff sei zwar diesmal mißlungen, er solle I aber bald mit besserem Erfolge erneuert werden.^ Die fremde \ *Lehre' galt also als der erste Vorbote der fremden und für I den Konfuzianer unrechtmäßigen Staatsgewalt. Ob K^ang-hi sich diesen Zusammenhang völlig zu eigen gemacht hat, wird j schwer zu entscheiden sein, jedenfalls war er bei allem persön- ; liehen Wohlwollen für die Missionare nicht imstande, dem I Drucke der konfuzianischen Hierarchie und ihres Dogmas, wie jer es selbst in seinem ^Heiligen Edikt' verkündet, dauernd I Widerstand zu leisten.

Unter K^ang-hi's Nachfolgern hat sich die Abneigung, wenn nicht gegen das Christentum an sich, so gegen seine Ausbrei- ^ Wieger a. a. 0. S. 2069 ff.

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tung in China mit Rücksiclit auf seine Unvereinbarkeit mit dem konfuzianisclien System erheblicli verscliärft, und die Staatsgewalt hat dieser Abneigung mit den für sie üblichen Mitteln gewaltsamer Unterdrückung Ausdruck gegeben. Hätte sich der Gang der chinesischen Geschichte weiterhin in der- selben Bahn und denselben Formen vollzogen wie seither, so würde das Christentum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in China vernichtet oder in ähnliche Daseinsformen hinein- gezwungen worden sein wie Buddhismus und Taoismus. Aber im Jahre 1834 begann der neue große Abschnitt im Leben des chinesischen Staates: die erste europäische Großmacht trat der universalen Zäsaropapie mit dem Anspruch auf Gleich- berechtigung gegenüber. Die englische Regierung hatte sich an die Stelle der „Ostindischen Kompagnie'^ gesetzt und ver- langte völkerrechtliche Beziehungen zu China. Eine derartige Zumutung an den konfuzianischen Weltstaat, die bald von an- deren abendländischen Mächten wiederholt wurde, mußte mit Notwendigkeit zu gewaltsamen Zusammenstößen führen: die verschiedenen Kriege und was weit wichtiger war ^- die ersten Staatsverträge auf der Grundlage völkerrechtlicher Gleich- ordnung waren die Folge. Das konfuzianische System mit der Einheit des Menschengeschlechts im Weltkirchenstaate und dem Universalherrscher im Mittelpunkt, zwar von jeher nur eine Theorie, aber eine Theorie von gewaltiger praktischer Wirkung, hatte den ersten verhängnisvollen Stoß erhalten Durch den englischen Vertrag von 1858 wurde die freie Ausübung der christlichen Religion in China erzwungenermaßen gewähr- leistet. Diese Bestimmung, deren Bedeutung in jener Zeit vom Abendlande kaum voll erkannt worden ist, hat dem Christen- tum in China eine völlig andere Stellung gegeben, als sie jemals eine Religion vordem gehabt hat. Unzweifelhaft hat sie zu seiner Ausbreitung wesentlich beigetragen, aber ebenso unzweifelhaft ist sie die Hauptquelle der Irrtümer, des Miß- trauens, der Verachtung und des Hasses geworden, die während

Das religiöse Problem in China 173

der folgenden Jahrzehnte die Beziehungen Chinas zum Ahend- lande vergiftet haben. Sie hat dem christlichen Missionar aller- dings eine größere Sicherheit für seine Person (wenn auch durchaus keine unbedingte) gegeben, aber sie hat ihn dafür auf lange hinaus seines Einflusses auf die gebildeten Klassen beraubt und in die untersten, einflußlosen Schichten des Volkes verwiesen; sie hat ihn zum Gegenstand des Widerwillens und der Verachtung bei allen denen gemacht, die er, wie einst die Jesuiten, durch überlegenes Wissen und kluges Auftreten zu- erst hätte gewinnen müssen; sie ist auf diese Weise zu einem schweren Hindernis für die aufkeimende Erkenntnis geworden und hat dem Christentum einen Makel angeheftet, unter dem es heute noch leidet. Die Ursachen hierfür sind nach dem vorhin Gesagten nicht schwer zu erkennen. Seit langen Zeit- räumen, jedenfalls seit der orthodoxen Dogmatisierung des Konfuzianismus vom 13. Jahrhundert ab, waren für das chine- sische Denken die Begriffe Religion und Staatsorganisation zu einer untrennbaren Einheit zusammengewachsen, und zwar je später, um so fester. Der vorhin mitgeteilte Gedankengang i der Regierungsbehörden, der später in der politischen Literatur unendlich oft wiederholt worden ist, zeigt dies auf das deut- lichste. Nun trat hier die fremde ^ Lehre' nicht bloß in Be- gleitung mit anderen, und zwar gewalttätigen, unrechtmäßigen Äußerungen einer fremden Staatsgewalt auf, sondern sie wurde von dieser sogar dem konfuzianischen Kirchenstaate aufge- zwungen. Nichts hätte die Chinesen in ihrer Auffassung mehr ; bestärken können als dieser Vorgang: das Christentum hatte \ die Aufgabe, das Volk an seinen sittlichen Normen irre zu i machen, das konfuzianische System und somit den konfuziani- schen Staat zu zerstören, die Herrschaft einer barbarischen Macht aufzurichten und, zeitweilig wenigstens, den Umsturz der göttlichen Weltordnung herbeizuführen. Man muß sich 'diesen Gedankengang vor Augen halten, wenn man die dem abendländischen Denken zunächst sinnlos erscheinende chine-

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sisclie Auslandspolitik bis in das letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts hinein gerecht beurteilen will.

Langsam nur und bruchstückweise kam dem Konfuzianer- tum im Laufe der Zeit die Erkenntnis von der Eigenart des abendländischen Kulturlebens. Und diese Erkenntnis blieb zu- nächst, den rein synthetischen Denkmethoden des chinesischen Geistes entsprechend, an äußeren Einzelerscheinungen haften, auf deduktivem Wege eine Einsicht in das System der treiben- den Kräfte zu gewinnen, blieb dem Chinesentum noch lange versagt und ist ihm auch heute erst zu einem kleinen Teile gelungen. So kam ihm auch das Verständnis für die umfas- sendsten Kulturformen des Abendlandes, denen es sich doch am unmittelbarsten gegenübergestellt sah, für Staat und Reli- gion, nur zögernd, unvollkommen, von Irrtümern getrübt. Die Anschauung, daß Staat mit Kirche, Staatslehre mit Religion eins sei, in ihrem innersten Wesen uraltes Erbgut der asiati- schen Kulturmenschheit darstellend, hatte ihre Herrschaft zu lange und zu fest eingegraben, als daß es möglich gewesen wäre, sich rasch und völlig davon freizumachen. Der erste Schritt dazu erfolgte durch die konfuzianischen Reformatoren der K'ang You Wei'schen Schule am Ende des vorigen Jahr- hunderts. Sie waren es, die zuerst den Begriff des geschlossenen Nationalstaates gegenüber dem unbegrenzten Universalstaate erkannten und in der Öffentlichkeit klarstellten, allerdings, wie leicht verständlich, unter dem leidenschaftlichen Widerspruche der Orthodoxie. Man hätte meinen sollen, daß es von hier nicht mehr allzu weit gewesen wäre bis zur Herausschälung des Begriffes Religion aus der Verschmelzung mit Staat und Staatsrecht, oder konkret: bis zur Umwandlung des Kirchen- staates in einen Staat mit Kirche. Aber die Entfernung hat sich für das chinesische Denken doch als zu groß erwiesen, als so groß, daß nur einzelne Persönlichkeiten sie bis heute haben zurücklegen können. Eine Zwischenstufe wurde aller- dings noch während der letzten Jahre der beseitigten Dynastie

Das religiöse Problem in China 175

erreicht. Die Erkenntnis, daß der Universalstaat ein Gebilde sei, das von den harten geschichtlichen Tatsachen zusammen- gedrückt würde, und daß die geschlossenen nationalen gleich- geordneten Staaten ihre Berechtigung in der göttlichen Welt- ordnung eben durch ihr kraftvolles Dasein bewiesen, mußte mit Notwendigkeit die andere Erkenntnis nach sich ziehen, daß die Lehre des Konfuzius entweder einen Fehler enthalte oder falsch verstanden sei. Die Reform konfuzianer gaben das letztere ausdrücklich zu, die Orthodoxie gestand es nicht ein, handelte aber nach der verschwiegenen Erkenntnis.

Wie China nicht der Weltstaat oder die Weltkirche sei, wofür man es seither angesehen, so lehrte K'ang You Wei, sondern nur ein Staat unter anderen, ebenso sei auch das kon- fuzianische System nicht oder noch nicht die Weltreligion, sondern nur eine Religion unter anderen. Allerdings, so beeilte man sich hinzuzufügen, sei der Konfuzianismus die höchste Ausdrucksform der Religion an sich. In seinem sittlichen Gesetz den Systemen des Christentums und des Buddbismus verwandt, setze er sich nicht, 'wie diese beiden, in einen Gegensatz zu den Erkenntnismöglichkeiten, er wende sich an die natürliche Vernunft und bedürfe keiner transzendenten Glaubenstheorien. I Ihm sei es daher beschieden, einst die Menschheit zu durch- ! dringen, sie ihrer Einheit bewußt zu machen und so die Reli- ; gion der Welt zu werden oder wenigstens als solche zu wirken. iDas sei der eigentliche üniversalismus der konfuzianischen I Lehre, den man in China seit zwei Jahrtausenden viel zu ein- jseitig politisch aufgefaßt habe.^ Man sieht, wie völlig die .chinesische Erkenntnis infolge der seit sieben Jahrhunderten fest geschlossenen Denkgewohnheiten im Rationalismus stecken

'■ Des Chinesiscben nicht kundige Leser finden diese Gedankengänge dargelegt in dem englisch geschriebenen Werke The Economic Principles 'f Confucius and His School von Chen Huan-Chang, einem eifrigen An- iänger der K'ang Yoa Wei'schen Schule. Vgl. auch mein Buch Ost- \isiatische Neubildungen S. 41 u. 51 f

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geblieben und für die metapliysiscben Bedürfnisse des mensch- lichen Empfindens blind geworden ist.

Wie hoch zum wenigsten der ethische, zugleich damit aber auch der religiöse Wert des ältesten, d. h. noch nicht als poli- tisches System gefaßten Konfuzianismus im AbendJande ge- wertet wurde, als man ihn zuerst kennen lernte, das zeigt seine Beurteilung durch die Jesuiten, die seine Kenntnis dem Westen vermittelten. Die Patres Intorcetta, Herdtrich, Rouge- mont und Couplet bemühen sich in ihrem 1687 erschienenen Buche Confucius Sinarum Fhilosophus sive Scientia Sinensis darzutun, daß die ältesten Chinesen eine ihnen unmittelbar offenbarte * Kenntnis des wahrhaftigen Gottes' besessen haben müßten und daß diese von Konfuzius den folgenden Geschlech- tern übermittelt sei.^ Leibniz sah diese Nachrichten der Jesuiten kritischer an, geriet aber auch in das höchste Er- staunen über die neu entdeckte Kirchenlehre, deren Wesen er viel richtiger erkannte als seine Gewährsmänner. Nachdem er einen Vergleich gezogen hat zwischen dem Stande der 'prak- tischen Philosophie' im Abendlande und in China, kommt er )j zu dem Urteil: Gerte talis nostrarum rerum mihi videtur esse ' conditio j gliscentihus in immensum corrupteliSj ut propemodimi necessarium videatur Missionarios Sinensium ad nos mitti, qui Theologiae naturalis usum praxinque nos doceant, quemadmodum nos Ulis mittimus qui Theölogiam eos doceant revelatam. Itaque credo, si quis sapiens non formae dearum, sed excellentiae popu- lorum judex lectus esset, pomum aureum Sinensihus daturum esse, nisi una maxime sed supra-humana re eos vinceremus, divino scilicet munere Christianae religionis}

Die konfuzianische Orthodoxie und mit ihr die Regierung machten sich diese Auffassung der Reformatoren nicht zu eigen oder stellten sich wenigstens so, und Tschang Tschi Tung,

^ Vgl. Proemialis Beclaratio S. 82fiF.

* Novissima Sinica historiam nostri temporis illustratura, Vorwort Benevolo Lectori.

Das religiöse Problem in China 177

der als der Sprecher von beiden gelten konnte, erklärte die Behauptung einer Verwandtschaft zwischen Konfuzianismus und Christi Lehre für geeignet, 'Verwirrung und Zweifel, Zügel- losigkeit und Oberflächlichkeit hervorzurufen, so daß man Schaden nähme an dem, was man besitzt'.* Aber wie mit sehr vielen von K'ang You Wei's neuen Ideen, so ging es auch mit dieser: man bekämpfte sie und handelte dann stillschweigend danach.

Die starke Stellung, die das Christentum, weit weniger durch seine religiöse Werbekraft als durch seine Verbindung mit den Machtmitteln der fremden Staaten, innerhalb des kon- fuzianischen Kirchenstaates einnahm, und gegen die das schwache China vp^ehrlos war, dann aber auch die in Japan entstandene und von ihm geförderte Bewegung zur Neubildung des Bud- dhismus, der, mit konfuzianischen und christlichen Momenten verquickt, die moderne Religion Ostasiens werden sollte, diese herandrängenden fremden Kultsysteme schienen der kaiserlichen Regierung eine ernste Gefahr für den staatlichen Organismus zu werden. Sie empfand die Notwendigkeit, hiergegen eine Schutzmauer zu errichten, wie sie den veränderten Zeitverhält- nissen angemessen war, und zu diesem Zwecke mußte der Kon- fuzianismus zu einer wirklichen 'Religion' im abendländischen Sinne gemacht werden, d. h. der Kirchenstaat sollte bleiben, aber in individualer Form, ohne Anspruch auf Wirksamkeit außerhalb seiner nationalen Grenzen, also eine Zwischenstufe zwischen universalem Kirchenstaat und konfessionslosem Rechts- ! Staat. Was dem Konfuzianismus an der Bewertung als wirk- liche Religion fehlte, hatte man aus dem Verkehr mit dem Abendlande gelernt: es war das metaphysische Element, die Verbindung mit dem Überirdischen, das, was Leibniz die Theo- logia revelata nannte, also eben das, was Konfuzius selbst auch nur zu erörtern sich geweigert hatte. Dieser Mangel ließ sich durch bloße Verwaltungsmaßnahmen, wie starke Betonung der

^ K'üan hüe p'ien, Wai p'ien fol. 47 r.

Archiv f. Keligionswisseuscliaft XVII 12

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orthodoxen konfuzianisclien Ethik in den Schulen, Zwang zur Innehaltung der konfuzianischen Riten, Feste und Ehrenbezeu- gungen, Abdrängung der Buddhisten und Christen von allen staatlichen Einrichtungen u. ä., nicht ausgleichen, sondern hierzu waren andere Mittel nötig. Die Art, wie die Regierung die innere Umwandlung vollzog, läßt das christliche Vorbild deut- lich erkennen. Am 30. Dezember 1906 erschien ein kaiserliches Edikt, in dem bestimmt wurde, daß Konfuzius, da seine sitt- liche Größe die Menschheit aller Zeiten überrage und 'Himmel und Erde gleichkomme', in Zukunft auch *des gleichen Opfer- rituals teilhaftig werden sollte wie Himmel und Erde, wenn ihnen der Kaiser opfere'. Wenn man sich das Verhältnis zwischen dem hohen Elternpaare, Himmel und Erde, und dem Himmelssohne, dem Kaiser, vergegenwärtigt, wie es oben (S. 165£) dargelegt war, so wird sofort klar, daß ein Hineinziehen der Person des Konfuzius hier völlig systemwidrig ist und nur aus Zweckmäßigkeitsrücksichten unter fremdem Einflüsse erfolgt sein kann. Die Erklärung ist nach dem Gesagten nicht schwer. Wie man im christlichen Dogma Jesus, den Sohn Gottes, Gott selbst gleichgestellt hat und ihn wie Gott selbst verehrt, wie man ihn dann als Religionsgründer zum Mittelpunkt der durch ihn 'offenbarten' Religion selbst gemacht hat und in ihm die körperliche Vermittlung zwischen Irdischem und Himmlischem sieht, ebenso machte man Konfuzius zum Gott, zum Ausdruck der 'Offenbarung'^, zum Mittelpunkt der Religion. Wenn hier-

^ Schon im Jahre 1897 hatte K'ang You We'i in seinen Unter- suchungen zum Wesen des Konfuzianismus, anknüpfend an ein W( rt des 'Yang tse': 'Der Weise ist des Himmels Mund', erklärt: 'Die von Konfuzius aufgestellten Gesetze und Lehren sind alle aus den Gedanken des Himmels entsprungen. Der Himmel kann nicht mit Worten reden, daher befahl er Konfuzius, statt seiner Kunde zu geben. Deshalb sind Konfazius' Worte nicht Konfuzius' Worte, sondern des Himmels Worte, Konfuzius" Gesetze und Lehren nicht des Konfuzius, sondern des Himmele Gesetze und Lehren." Tung schi hüo Kap, 5 fol. 2v°. Wen K'ang mit dem Yang tse meint, weiß ich nicht. Bei Yang Tschu (4. Jahrh. v. Chr. findet sich der angeführte Satz nicht, ebensowenig bei dem ähnlich ge

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über noch ein Zweifel möglich wäre, so würde er durch die Kommentare der chinesischen Zeitungen beseitigt worden sein. Die Thmg wen hu pao vom 14. April 1907 schloß eine sehr ausführliche Abhandlung, die das Edikt auch geschichtlich be- leuchtete, mit den Worten: 'Diese Anwendung des höchsten Opferkultus auf Konfuzius bedeutet eine Ehrung des Meisters, ein Bekenntnis zu seiner Lehre, sie ist weit verschieden von dem üblichen Aberglauben mit Göttern und Geistern, von den Kultushandlungen, bei denen man um Glück und Beistand betet, sie ist etwas, was man in allen zivilisierten Staaten be- obachtet, sie entspricht der Ehrung und dem Bekenntnis von Jesus Christus'.

Somit war die 'Religion' des Konfuzius geschaffen, und sie wurde bewußt als die Religion Chinas der Religion Jesu Christi als der Religion anderer Staaten gegenübergestellt. Aber Klar- heit darüber, daß das Verhältnis dieser erneuerten alten Reli- gion zum chinesischen Staate nicht dasselbe war wie das des Christentums zu den Staaten des Abendlandes, bestand noch durchaus nicht. Man' wußte noch immer nicht, daß man sich in einem Kirchenstaate befand, während die abendländischen Staaten, von Rußland abgesehen, Rechtsstaaten sind, d.h. Staaten, in denen alle Religionen gleichberechtigt sind, deren 'inneres Wesen eben in der Trennung von jeder spezifisch kirchlichen oder allgemein religiösen Ordnung besteht'*, eine Auffassung, die allerdings auch im Abendlande von den Vertretern des ultramontanen Kultursystems, das dem konfuzianischen üni-

ischriebenen Yang Hiung (um Christi Geburt), und zwar weder im Fa

' yen noch im T'ai Tiüan hing, wohl aber liest man im Ts'ien fu lun von Wang Fu, einem Werke über die konfuzianische Staatsmoral aus dem 2. Jahrh. n. Chr., Kap. 2 fol. 3v" folgendes: 'Der Heilige ist des Himmels Mund, der Weise ist des Heiligen Erklärer. Daher enthalten die Worte des Heiligen den Willen des Himmels , und was der Weise spricht, ist

Ider Gedanke des Heiligen/ K'ang You Wei dürfte sich in seinem Ge-

idächtnis geirrt haben.

! ^ Wilhelm Märten s Die Beziehungen der Überordnung, Nebenordnung und Unterordnung zicischen Kirche und Staat S 350.

12*

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versalismus wesensverwandt ist; grundsätzlich bekämpft wird.^ Zuweilen scheint es zwar, als sei von den Reformatoren am Ende des vorigen Jahrhunderts der Unterschied klar erkannt worden, wenn man z. B. in einer ihrer politischen Abhandlungen den Satz liest: ^In China regiert man das Reich durch die Religion, in Europa durch das Recht' ^, aber gerade die Refor- matoren waren es auch, die das konfuzianische System im Staate am entschiedensten verfochten. Und wie völlig verworren gerade im konfuzianischen Literatentum noch in den letzten Jahren der Dynastie die Anschauungen über Staat und Kirche waren, das zeigt ein Aufsatz über die Trennung beider in Frankreich, der in der angesehenen Zeitung Sin wen pao vom 26. Juli 1906 veröffentlicht wurde. ^Keinen Staat gibt es auf der Erde', so führt der Verfasser aus, Mer nicht eine Regie- jj rung, und keinen, der nicht eine Religion hätte. Die Regie- rung sorgt um das Verhalten der Bürger und weist sie an, nichts Unrechtes zu tun. Die Religion sorgt um den geistigen Zustand der Bürger und hält sie dazu an, daß sie es nicht über sich gewinnen sollen, etwas Unrechtes zu tun. Wenn also die Regierung die Lücken in der Wirksamkeit der Religion ausfüllt, so hilft die Religion den Mängeln der Regierung ab. Beide ergänzen somit einander und können nun und nimmer von- einander getrennt werden.' Hier ist also die Religion ein we- sentlicher Teil der Staatsgewalt, der so wenig von ihr losgelöst werden kann wie die Gesetzgebung. Unzulässig erscheint dem Verfasser natürlich bei seinem Standpunkte die Organisation einer besonderen Kirche innerhalb dieses Staates, wie dem Konfuzianer die Organisation der buddhistischen und der tao- istischen Kirche innerhalb des chinesischen Staates stets als ungesetzlich erschienen und von ihm bekämpft worden ist. Die

* Vgl. L. K. Goetz Der Ultramontanismus als Weltanschauung auf Grund des Syllahus (1905) S. 175 ff. Katholische Weltkirche und kon- j! fuziauischer Universalstaat gehen beide von gleichen Voraussetzungen aus.

' Huang tsch'ao hing seid wen sin pien Kap. Ib fol. 2Zx^.

Das religiöse Problem in China 181

von diesen Kirchen vertretenen Religionen sind für ihn Aber- glauben, der sich nur deshalb so lange zu halten vermag, weil die Bildung des Volkes durch den Kirchenstaat zu langsam fortschreitet. So hält der Verfasser auch natürlich die katho- lische Kirche im französischen Staate für etwas an sich Un- zulässiges, aber für etwas, das von selbst verschwinden muß und wird. 'Die katholischen Priester', meint er, 'sind für die Staaten Europas nagende Insekten, ebenso wie für China die buddhistischen Priester nagende Insekten sind. Eine Beseitigung des Einflusses der katholischen Priester ist also dasselbe, wie wenn in China unter einem an Buddhas Lehre nicht glauben- den Herrscher plötzlich eine Austreibung der buddhistischen Priester erfolgte.'^ 'Aber', so heißt es schließlich, 'bei allge- meiner Aufklärung des Volkes und fortschreitender Bildung werden die abergläubischen Vorstellungen von selbst ver- schwinden. Der natürliche Lauf der Entwicklung wird dies mit sich bringen, durch irgendwelchen künstlichen Zwang kann man nichts erreichen.' Hier tritt uns also wieder die völlige Verständnislosigkeit für die Begriffe Religion, Kirche und Staat entgegen, die dem orthodoxen Konfuzianertum namentlich seit der Dogmatisierung im 12. und 13. Jahrhundert eigen gewesen ist. Wenn man in diesem Lichte das vorhin besprochene Edikt des gleichen Jahres (1906) betrachtet, so wird man in der Über- zeugung bestärkt, daß die Kultuspolitik der Regierung weit mehr durch Rücksichten auf die politische Zweckmäßigkeit bestimmt worden ist als durch religiöse Überzeugung.

Welcher Art nun aber auch die treibende Veranlassung gewesen sein mag, es kann kaum einem Zweifel unterliegen,

* Die chinesisclie Geschichte kennt mehrere solcher Austreibungen der Buddhisten, die schlimmste fand im Jahre 845 unter dem Kaiser Wu Tsung von der T'ang-Dynastie statt. Der Ausdruck 'nagende In- sekten' für Priester entstammt dem kaiserlichen Edikt von 845, das die Austreibung anordnete. Siehe den Text bei Havret La Stele Chretienne de Si-ngan-fou II 379. Von da hat er seinen Weg auch in Yung-tscheng's Paraphrase zum 'Heiligen Edikt' gefunden. Siehe oben S. 168 f.

182 ^- Franke

daß China, wenn die mandscliurische Dynastie ihr Reformwerk hätte fortsetzen können, für absehbare Zeit ein Staat mit streng- theokratischem oder hierokratischem^ Charakter geblieben, und der Konfuzianismus mit seinen politischen Dogmen mehr und mehr zu einer Religion in unserem Sinne ausgebaut worden wäre. Das Vorbild hierfür war in dem heutigen Japan gegeben. Auch Japan ist trotz seiner modernen Verfassung in weit höherem Maße eine Hierokratie konfuzianischer Herkunft, als im Abendlande ange- nommen wird. Man braucht zum Beweise dessen nur einen Blick auf die japanische Verfassungsurkunde von 1889 zu werfen. Gleich im Eingange heißt es: *Japan wird seit undenk- lichen Zeiten in ununterbrochener Erbfolge von dem vom Himmel stammenden Kaiser regiert.' Und in der Proklamation, mit der die Verfassung verkündigt wird, vollzieht der Kaiser diese Ver- kündigung ^ kraft der Würdigkeit und göttlichen Macht, die Wir von Unseren Kaiserlichen Vorfahren ererbt haben'.- Wir haben also auch hier durchaus den chinesischen ^Himmelssohn' und Stellvertreter Gottes, allerdings im geschlossenen Staate. China würde vermutlich im Staatskultus noch das Priestertum des Kaisers stärker betont haben als Ausdruck seines im Ahnen- dienst ruhenden Verhältnisses zu Gott.

Der Sturz der Dynastie im Jahre 1912 und die weitere politische Entwicklung in China haben nun aber der religiösen Frage in einem einzigen Augenblicke ein gänzlich anderes Aus- sehen gegeben. Der Mittelpunkt des konfuzianischen Systems in religiösem Sinne war, wie oben dargelegt, der Kaiser als Mittler zwischen Gott und der Menschheit. Diese Stellung haftete

* Martens a. a. 0. S. 7 will für ,,theokrati8ch" lieber „hierokratiscli'- sagen, weil es richtiger sei, ,,den Ausdruck Theokratie auf die eigen- tümliche Regierungsform zu beschränken, welche im alten Bunde für das Volk Israel galt". Auch diese Begründung scheint mir nicht stichhaltig, indessen paßt der Ausdruck „hierokratisch" vielleicht noch besser anf die chinesische Staatsform als „theokratisch".

' Paul Brunn Über die staatsrechtliche Stellung des japanischen Kaiser Zeitschrift „Ostasien", X. Jahrgang, S. 421 u. 464.

Das religiöse Problem in China 183

nicht an der einzelnen Persönlichkeit, auch nicht an der ein- zelnen Dynastie, sondern an der monarchischen Idee. Die Dy- nastien als Träger des göttlichen Auftrags konnten wechseln, aber die Idee dieses Auftrags war unwandelbar. Mit der Er- richtung einer Republik hatte man die Trägerschaft nicht ver- wandelt, sondern beseitigt, das konfuzianische System war sei- nes leitenden Gedankens beraubt, der Religion fehlte das Mittel- stück. Man sollte meinen, daß den Gründern der neuen Staats- form diese Gedanken mit ihrer ganzen Folgenschwere hätten zuerst kommen müssen, vielleicht ist es auch hier und dort der Fall gewesen, aber vergeblich späht man nach einem Versuche, sich ernsthaft mit ihnen auseinanderzusetzen. Selbstverständ- lich mußte sich allmählich denen, die überhaupt noch ein Ver- ständnis für das Wesen der Kultur des eigenen Landes bewahrt hatten, gebieterisch die Frage aufdrängen: Wie soll dasVer- liältnis der Republik zu der ^kaiserliohen' Religion vverden? Ist sie in dem neuen Staate zu halten? und wenn nicht, soll eine andere an ihre Stelle treten? und Avelches ist diese 'andere? Das ist das religiöse Problem, das den denkenden Geistern in China während der letzten Zeit Yor die Augen getreten ist. Vereinzelt zunächst, leise und als theoretische Frage. Aber je fester man die Augen daraufrichtete,

I um so gewaltiger wuchsen seine Größenverhältnisse, um so un-

: heimlicher wurde sein ganzes Aussehen.

Wer mit geschichtlichem Urteil und mit abendländischer Folgerichtigkeit an das Problem herantritt, für den scheint zu-

i nächst nur eine Lösung denkbar: der Konfuzianismus mit sei-

j nem zäsaropapistischen Grundgedanken, mag man ihn nun als politische Religion oder als ethisch-philosophisches System an-

; sehen, hat in dem republikanischen Staatswesen keinen Raum mehr, er muß ausgeschieden, und der mit ihm zusammengefügte Staatskultus muß beseitigt werden. Aber religiöse Entwick- lungen gehen oft seltsam widerspruchsvolle Wege. Sie bejahen später, was sie früher verneinten, und verneinen, was sie sonst

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bejahten. So mag aucli der Konfuzianismus weiter als Reli- gion umgebaut und ausgebaut werden, und zwar in der Weise, daß er auch der Republik als kulturelle Grundlage verbleibt. Fällt der Konfuzianismus, so würde er nur eine wissenscbaft- lich-gescliiclitliclie Bedeutung behalten, etwa wie Piatos Lehre vom Staat. Die Republik würde, wenn sie diesen kulturellen Zusammenbruch überdauern sollte, reiner Rechtsstaat und reli- gionslos werden; alle Religionen würden freien Zutritt haben und ihre Ausübung, soweit sie nicht wider das gemeine Recht ist, den neutralen Schutz der Staatsgewalt genießen. Im an- deren Falle aber würde man die Kultuspolitik der mandschu- rischen Dynastie fortsetzen und weiter darauf denken müssen, im Konfuzianismus das metaphysische Element zu schaffen und zu stärken, das ihm für die Bewertung als Religion fehlt. Dann würde aber die Republik, wenn außer dem Namen über- haupt noch etwas vom Konfuzianismus übrigbleiben soll, einen durchaus theokratischen Charakter haben, also ein wunderliches Gemisch aus antiken und modernen Staatsformen darstellen,, dessen Lebensfähigkeit in hohem Maße zweifelhaft wäre. Oder sollte noch eine dritte Lösung möglich sein? Sollte die kon- fuzianische Ethik, wenn sie doch schon ihre ganze Überliefe- rung verleugnet, ihre Zuflucht in einer anderen Religion suchen und, mit dieser organisch vereint, ein neues, unpolitisches Re- ligionssystem bilden, das im chinesischen Empfindungsleben seinen Nährboden findet? Folgen wir dem Gang der Ereignisse. Es war noch während der Entstehungskämpfe der Republik, unmittelbar vor der Abdankung der Dynastie, als das religiöse Problem zum erstenmal sich erhob, oder vielmehr mit der ganzen Leichtfertigkeit des jungen China heraufbeschworen wurde. Unter den Politikern, die sich Ende Dezember 1911 in Nanking als vorläufige republikanische Regierung konstitu- ierten, befand sich ein junger konfuzianischer Literat namens Ts'ai Yuan P'ei, der den Minister des Unterrichtswesens dar- stellte. Er hatte in Leipzig seine Studien betrieben und war

Das religiöse Problem in China 185

offenbar über die moderne Lehre vom Verhältnis zwischen Staat und Kirche besser unterrichtet als über das, was auf dem Wege praktischer Politik in China erreichbar war. Zweifellos hatte sich ihm die Erkenntnis aufgedrängt, daß das konfuzianische System mit einem republikanischen Staatswesen weder als Staats- lehre noch als Staatskult zu vereinigen sei, und entsprechend dieser an sich durchaus richtigen Erkenntnis wählte er die erste der erwähnten Lösungen des Problems. Im Januar 1912 erließ er eine amtliche Verordnung, in der er bestimmte, daß aus dem Lehrplane für die unteren und mittleren Schulen, für die technischen und Fachschulen sowie für die Lehrerbildungs- anstalten aller Grade der Unterricht im konfuzianischen Kanon zu entfernen und lediglich den geschichtlich-literarischen Ab- I teilungen der Hochschulen vorzubehalten sei. Mit der ganzen Naivität des politischen Doktrinärs glaubte Ts'ai, auf diese Weise durch einen Federstrich den Staatsorganismus von sei- nen religiösen Bestandteilen befreit und den rein weltlichen Rechtsstaat geschaffen zu haben. ^

Bei den radikalen Elementen der republikanischen Regie- rung in Peking schienen diese Gedanken in der Tat auf frucht- baren Boden zu fallen. Ohne langes Besinnen machte man sich an die religiöse Säuberung und begann damit bei den am

^ Ts'ai Yuan P'ei* hat in einem Schreiben an den „Ostasiatischen ; Lloyd" die Ziele auseinandergesetzt, die ihm für den Unterricht in I China vor Augen stehen. 'Die Pflicht des Volkserziehers ist es, tun i bildlich zu sprechen", so führt er aus, 'den Schleier fortzureißen, der den Blick der Menschen dieser Erde trübt. Seine Aufgabe ist, zu zei- ; gen, daß diese Welt nur eine Brücke ist, die zur zukünftigen führt. Die I beiden Welten gehören zusammen und sind Eins, unzertrennlich und j ohne Gegensatz, Das erreicht er durch den Unterricht in der sogenannten Weltanschauung. Darunter ist die Erziehung zu verstehen, die den Geist anleitet, die Dinge vom Standpunkte des Weltganzen im Gegen- satz zu einem besonderen Standpunkt anzusehen; die ihn anleitet, die ; Dinge großzügig zu betrachten, ohne ihn einem Vorurteil für irgend- jclne besondere Philosophie oder Religion zu unterwerfen. Der Geist 'wird dadurch aller Banden frei und von vorgefaßten Meinungen nicht 'getrübt' {Ostasiat. Lloyd vom 23. August 1912, S. 162).

II

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meisten in die Augen fallenden Zubehörstücken des ^überwun- denen' monarchischen Staatskultus, nämlich den großen Heilig- tümern in Peking, den Tempeln des Himmels, der Erde und des Ackerbaues. Im Juli 1912 wurde die Welt mit der Nach- richt überrascht, daß der neue Ackerbauminister beschlossen habe, diese drei heiligen Stätten mit ihren ausgedehnten Län- dereien für ^praktische' Zwecke nutzbar zu machen und in ein landwirtschaftliches Mustergut, eine forstwirtschaftliche Versuchs- anstalt und eine Gestütsfarm umzuwandeln. Aber so leicht wie die politischen Formen der Monarchie waren die kulturellen nicht über den Haufen zu rennen, und die südchinesischen Bilderstürmer sowohl wie der Volkserzieher T^sai Yuan PVi erfuhren bald, daß das Verständnis für ihre ^praktische' Weis- heit noch in recht enge Kreise eingeschlossen war. Die Pläne des Ackerbauministers wurden selbst im Süden als Roheit und Tempelschändung gebrandmarkt, und so laut wurde die Ent- rüstung, daß das Ministerium im August 1912 in einer längeren Darlegung die Öffentlichkeit zu beschwichtigen unternahm, seine Absichten als mißverstanden hinstellte und über den Kultus und seine Bauten nichts zu verfügen versprach.^ Seitdem ruht die Angelegenheit.

Nicht viel anders erging es den Verordnungen Ts^ai Yuan P'efs. Auch ihm wurde sein Irrtum in der Bewertung der Lebenskraft eines so alten und festgefügten Kultursystems rasch vor Augen geführt. In der Provinz Kuangtung, dem eigent- lichen Sitze des politischen Umsturzes, setzte ein heftiger und nicht zu überwindender Widerstand gegen die Durchführung der Verordnung ein, in Mittel- und Nordchina aber erhob sich ein Sturm der Entrüstung über diesen Frevel wider das Hei- ligste und Beste in der chinesischen Kultur, und der Kampf

^ Das Schriftstück ist mitgeteilt, allerdings nacli einer anscheinend ganz unzulänglichen englischen Übersetzung, von Missionar Otto Lohß in einem Aufsatze Die neue Ära und der Himmelsaltar in Peking im Evangelischen Missions-Magazin, 57. Jahrgang, 3. Heft 1913, S. 116if.

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Das religiöse Problem in China 137

würde wahrscheinlich noch sehr viel heftiger und nachhaltiger gewesen sein, wenn nicht die allgemeine Aufmerksamkeit durch die kriegerischen und politischen Ereignisse in Anspruch ge- nommen gewesen wäre. An die Spitze der Gegnerschaft Ts^ai's stellte sich Tschen Huan Tschang (Chen Huan-Chang), ein Schüler und Freund K^ang You Wei's und Zögling der Columbia- Universität in New York, von dem bereits oben (S. 175 Anm.) die Rede war. Schon in seinem 1911 erschienenen, englisch geschriebenen Werke The Economic Principles of Confiicius and His School hatte er es unternommen, nicht nur den Nachweis dafür zu erbringen, daß der Konfuzianismus die beste Religion aller Zeiten und Völker sei, sondern auch aus den kanonischen Schriften die erstaunliche Tatsache herzuleiten, daß das letzte Ziel dieser Religion in der Zukunft die soziale Republik mit dem Individuum als ^unabhängiger Einheit' sei. Tschen ist, um dieses Ergebnis zuwege zu bringen, auch vor den gröbsten Textfälschungen nicht zurückgeschreckt, und aus Konfuzius, der den Idealzustand der Menschheit in die Vergangenheit ver- legte, der den Wert der Gegenwart immer nur mit dem Maß- stabe des Altertums beurteilte, für den der von Gott berufene ! Universalherrscher und das rechte Verhältnis des Untertanen zum Fürsten einen Ausgangspunkt seiner ganzen Lehre bil- deten, diesen größten laudator temporis acti aller Zeiten macht er zum ahnungsvollen Seher, der das Heil der Menschheit in der Republik der Zukunft erblickt!^ Nachdem Tschen erklärt

i ^ Tschen legt nach dem Vorbilde K'ang You Wei's dieser Herleitung jdie Stelle aus Li Jci VII 1 (Couvreur Li Ki I 497 ff.) zugrunde, wo Kon- ifuzius vom Altertum spricht und ihm nachrühmt, daß damals die Herr- jschaft im Staate nicht erblich war, wie später, sondern 'dem Tugend- haftesten und Fähigsten' übertragen wurde, wie dies die alten Kaiser Jauch getan haben sollen. 'Jetzt', so fährt er fort, 'ist dieses große Gesetz iverloren gegangen.' Tschen verlegt diese Schilderung des Altertums l^urzerhand in die Zukunft und macht aus dem Wahlkaisertum eine 'Republik. Unter chinesischen wie europäischen Kommentatoren ist nie [3in Zweifel über die Bedeutung dieser Stelle gewesen {Li ki im Schi >an. hing tschu schu, Kap. 21 fol. 21r°ff.), wohl aber haben beide mit

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hat, daß *der Konfuzianismus eine demokratisclie Religion sei und keine monarchisclie Idee enthalte', daß *die Konfuzianer niemals politische Vorrechte genossen' und Maß sie niemals irgendwelche politische Macht vom Staate genommen hätten', überrascht er uns einige Zeilen weiter mit den folgenden, in schärfstem Gegensatz hierzu stehenden Angaben: 'Das Christen- tum ist eine einfache (simple) Religion und hat mit Staats- regierung nichts zu tun, daher kann es auch vom Staate ge- trennt werden. Der Konfuzianismus aber ist eine mannigfach geartete (complex) Religion und hat mit der Staatsregierung sehr viel zu tun, daher kann er niemals vom Staate getrennt werden . . . Mit einem Worte: China kann den Konfuzianismus niemals vom Staate trennen, oder es würde seine ganze Zivili- sation zerstören. Eine solche Trennung ist nicht bloß töricht und unuötig, sondern auch unmöglich' (S. 86 f.)^. Nach diesen Proben geschichtlicher Unbefangenheit und unerschrockener Dia- gutem Grunde Bedenken erhoben, ob sie überhaupt dem Konfuzius zu- geschrieben werden darf; jedenfalls sieht sie bedenklich nach taoisti- schem Einfluß aus (vgl. Legge Sacred Books of ihe East XXVII 367 Anm. 1 und Couvreur a. a. 0. S. 500 Anm.). Ehrlicher ist Wang Ching-Dao in seinem bereits erwähnten Buche Confucius and New China (1912) S. 36: Er führt die Stelle zwar ebenfalls als „echt'' auf, versteht sie aber wenigstens richtig, wie er denn auch die Monarchie als der Lehre des Konfuzius wesentlich ansieht (S. 31 ff). Diese höchst fragwürdige Li- ki-Stelle, der man auch noch eine gewaltsame Wendung nach der fal- schen Richtung gegeben hat, ist die Grundlage für die ganze Argumen- tation der Reformkonfuzianer der Republik geworden. Man hat sogar die kaiserliche Familie gezwungen, sie in ihr Abdankungsedikt aufzu- nehmen (s. oben S. 168), und die heutige Regierung hat kein Bedenken getragen, sie sich zu eigen zu machen (s. unten S. 194).

^ Diese Behauptungen Tschen's über die politische Stellung der Konfuzianer sind ungeheuerlich. Sie setzen entweder eine Unkenntnis von den Tatsachen der chinesischen Geschichte voraus, wie man sie bei einem konfuzianischen Literaten unmöglich annehmen kann, oder aber, und das ist das Wahrscheinlichere, die völlige Unfähigkeit, der geschicht- lichen Wahrheit gerecht zu werden, eine Eigentümlichkeit, die bei den meisten der modernen chinesischen Schriftsteller zutage tritt. Hier ver- bindet sich die ungenügende Schulung der neuen 'Literaten^ mit der Selbst- überschätzung der alten.

Das religiöse Problem in China 189

lektik wird man leicht den Wert der Argumente ermessen können, deren sich Tschen Huan Tschang in seinem Kampfe mit Ts^ai Yuan P^ei bediente. Tschen und seine zahlreichen Anhänger vertraten mit Leidenschaft die oben erwähnte zweite Lösung des religiösen Problems, von dessen Größe sie durch die Erörterungen mehr und mehr erfaßt wurden: der Konfu- zianismus sollte die Staatsreligion der Republik sein und bleiben, und zu diesem Zwecke sollte er als wirkliche vollwertige Re- ligion organisiert und ausgebaut werden (eine Umwandlung seiner Lehren war bei der Art von Exegese, wie wir sie kennen gelernt haben, nicht nötig). Tschen arbeitete einen bis ins einzelne gehenden Plan hierfür aus und entwickelte ihn in einem umfangreichen Vortrage, den er am 7. Oktober 1912 bei der Feier von Konfuzius' Geburtstag in Schanghai hielt.-^ In I dem ersten Teile wird zunächst nachgewiesen, daß der Konfu- I zianismus, auch an den Wertbegriffen Europas gemessen, un- zweifelhaft als eine Religion anzusehen sei, und zwar als eine ReligioD, die Konfuzius gegründet habe. Dieser Nachweis knüpft sich sowohl an das Wesen der Lehre selbst, wie an die äußeren [Merkmale, die Zubehörstücke, die zu einer geschlossenen Reli- I gionsgemeinschaft gehören. Es wird also dargelegt, daß die Schüler und Anhänger des Konfuzius immer eine Gemeinschaft mit bestimmtem Namen und besonderer Kleidung gewesen seien, daß ein schriftlicher Kanon, eine von Gott inspirierte Bibel (Tschen spricht schon in seinem englischen Werke von der 'konfuzianischen Bibel'), ein aus 70 Artikeln bestehender (Katechismus und eine Kultusordnung vorhanden seien, daß der 'Konfuzianismus seine eigenen Gotteshäuser und auch seine '' heilige Stätte' (das Grab des Konfuzius in K'ü-fu hien in Schantung) habe, und daß er mit großem Erfolge durch die . i70 Jünger des Konfuzius verbreitet worden sei (Missionstätig-

* Der Text ist veröflFentlicht in der Zeitschrift Hie ho pao, Jahr- ,gang III, Nr. 2—8 (Oktober und November 1912). Er verdiente eine vollst'ändisre Übersetzuaer.

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keit).^ Audi das für eine Religion wesentliclie metaphysische Element sei vorhanden. Die Lehre des Konfuzius enthalte so- wohl den Glauben an Gott, wie an die Unsterblichkeit der Seele und an die göttliche Heimsuchung der Sünden. Die Argumentation, auf die ohne sinologische Untersuchungen sprach- licher und geschichtlicher Art nicht näher eingegangen werden kann, ist hinsichtlich dieser Punkte natürlich besonders mühe- voll und eigenartig. Im zweiten Teile wird die Pflicht Chinas behandelt, sich heute mit besonderem Eifer zum Konfuzianis- mus zu bekennen. Hier wird die von Ts^ai Yuan P^e'i und manchen anderen vertretene Meinung bekämpft, daß der Kon- fuzianismus mit der republikanischen Staatsform nicht zu ver- einigen sei. Ganz im Stile K'ang You Wei's, aber über diesen hinausgehend, bemüht sich Tschen, die Ewigkeitswerte in Kon- fuzius' Lehre darzutun, die ihn für alle Zeiten und für jede Staatsform geeignet machen, ja er wiederholt die von den Reformatoren gemachte Voraussage, daß er einst die Religion des ganzen Erdballs sein, daß er alle Rassenunterschiede ver- wischen und das Reich der allgemeinen Menschenverbrüderung und des ewigen Friedens heraufführen wird (vgl. oben S. 175). Zum Schluß entwickelt Tschen einen Organisationsplan für die modernisierte Staatsreligion. Es müssen danach kirchliche Ge- meinden mit Personenstandsregistern gegründet werden, die Zeitrechnung soll mit dem Jahre von Konfuzius' Geburt an- fangen (schon die Reformatoren hatten diesen Brauch einge- führt), Konfuzius' Persönlichkeit soll Gott ^zugesellt' werden (s. unten S. 192)^ in den Schulen Konfuzius göttliche Verehrung genießen, seine Religion muß an bestimmten Tagen den Massen gepredigt, sein Geburtstag als hoher Festtag gefeiert werden^ bei freudigen und traurigen Anlässen haben die Gemeindever- treter Gottesdienst zu halten, und endlich soll die konfuzianische Kirche eine tatkräftige Mission nach außen treiben.

^ Gemeint sind damit offenbar die 'Weisen der Vorzeit', deren Tafeln im Tempel des Konfuzius aufgestellt sind. Es sind ihrer jetzt 79.

Das religiöse Problem in China 191

Man sieht auf den ersten Blick, daß es sich hier um ein ganz unter abendländisch -christlichem Einflüsse entstandenes papiernes Gebilde handelt, um einen mit jener souveränen Ver- achtung der wirklichen Verhältnisse entworfenen Plan, wie sie immer ein Merkmal des konfuzianischen Literatentums gewesen ist. Daß Tschen Huan Tschang die kanonischen Texte mit einer unerhörten Kühnheit handhabt, um eine Religion herauszudestil- lieren, wie er sie für seine Zwecke braucht, kann nach dem, was oben (S. 187 fl.) über ihn gesagt war, nicht überraschen. An die große Frage nach dem Verhältnis der Staatsgewalt, für die doch die kirchliche Organisation dieser neuen Religion wie bisher einen Teil ihres Wesens ausmacht, zu den übrigen Religionssystemen, deren freie Ausübung im Staate verfassungsmäßig gewährleistet ist^, an diese Frage rührt Tschen mit keinem Worte; sie scheint tatsächlich gar nicht in sein Bewußtsein getreten zu sein.

Indessen ohne Wirkung ist die von Tschen und einer be- trächtlichen Anzahl Gesinnungsgenossen ihre Zahl wuchs rasch entfachte und geleitete Agitation nicht geblieben. Von Schanghai aus wurden in mehreren Provinzialhauptstädten ^Vereine zur B'örderung der konfuzianischen Religion' gegründet; im April 1913 auch in Peking, wo die Eröffnung in Gegen- wart eines Vertreters des Präsidenten feierlich vollzogen wurde. Für den Herbst hofft man die Vorbereitungen so weit gefördert zu haben, daß am Geburtstage des Konfuzius die Eröffnung des über alle Provinzen verbreiteten einheitlichen Reichsver- bandes erfolgen kann. Inzwischen hat sich die Bewegung aber bereits eines der wichtigsten Punkte in dem Programm Tschen Huan Tschang's bemächtigt, nämlich der Frage der weiteren christusähnlichen Vergöttlichung des Konfuzius, und sie hat in der Tat die Regierung gezwungen, hierzu Stellung zu nehmen. Im Anfang dieses Jahres (1913) wurde von führenden Per-

^ Nach Art. 6 Nr. 7 der Vorläufigen Verfassung vom März 1912. S. Fritz Jäger Die Vorverfassung der chinesischen Republik vom März 1912 im Jahrbuch des öffentlichen Rechts 711 497.

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sönliclikeiten beim Präsidenten der formelle Antrag gestellt, den Himmelstempel in ein öffentliclies Gotteshaus umzuwandeln und Konfuzius dem Himmel, d. h. Gott, ^zuzugesellen'. Um diesen Gedanken ricMig zu würdigen, wird man sicli seine in sehr frühe Zeit zurückreichende Geschichte vergegenwärtigen müssen. Im 12. Jahrh. v. Chr., so berichtet das Schi M, brachte der Herzog von Tschou das Große Opfer dar und gesellte sei- nen Urahn dem Himmel zu.^ Seitdem ist dieses ^Zugesellen' irdischer Personen zu bestimmten Gottheiten beim Genuß der Opfergaben ein wichtiger Begriff in der konfuzianischen Kultus- scholastik geblieben, und wenn jetzt, bei der Schaffung der neuen Religion, auf diese uralten Vorstellungen zurückgegriffen wird, so beweist dies, daß auch das allerneueste China von seinem alten Kulturboden nicht loskommt, und wenn es sich noch so radikal und modern gebärdet. Es wäre gut, wenn es in diesem Zusammenhange die Quelle seiner Kraft erkennen und danach seine Reformen einrichten würde. In unsere Sprache über- setzt bedeutet dieses 'Zugesellen' nichts anderes als die Vergött- lichung einer irdischen Persönlichkeit, und der Antrag an den Prä- sidenten verlangt im Grunde dasselbe, was durch das kaiserliche Edikt von 1906 (S. 178) bereits verfügt war, d.h. die Erklärung des 'Religionsgründers' Konfuzius zum Gott oder zu Gottes Sohn, ebenso wie der Religionsgründer Christus zum Gott erklärt war. Noch ehe die Regierung sich zu dem bedeutungsvollen An- trage hatte äußern können, unternahm es die konfuzianische Religionsgesellschaft, sich in einer Denkschrift an das Staats- oberhaupt mit Ts'ai Yuan P'ei und den ihm Gleichgesinnten vor allem über die grundlegende Frage auseinanderzusetzen, ob die Lehre des Konfuzius überhaupt mit der republikanischen Staatsform vereinbar sei. Wer der geschichtlichen Wahrheit die Ehre gibt und das tat Ts'ai , der kann diese Frage

^ S. Chavannes Les Memoires Historiques de Se-ma Ts'ien III 419. Weiteres über diese Theorie des 'ZugeselleDs' in meinem Ackerbau und Seidengewinnung in China S. 12 f.

Das religiöse Problem in China 193

nur mit einem bedingungslosen Nein beantworten, und es bedarf der groben Textfälschung, wie Tschen Huan Tschang und das republikanische Konfuzianertum sie begehen, wenn man ein Ja darauf erzwingen will. Es ist wieder die schon oben (S. 187 Anm.) erwähnte Stelle aus dem Li Jci, auf die die Verfasser ihre phantastische Argumentation stützen. Nur als einen Not- behelf habe Konfuzius die fürstliche Macht angesehen, um die Ordnung einer sittlich tief stehenden Welt aufrechtzuerhalten, und er habe diese Periode daher als das 'Zeitalter des kleinen Friedens' bezeichnet im Gegensatz zum 'Zeitalter der großen Einheit' in der Zukunft, wo das Reich eine freie Republik sein werde. Dieses Zeitalter sei jetzt angebrochen, die Weissagung des Konfuzius also erfüllt. Die Antragsteller bitten dann, die Verbreitung der 'heiligen Religion' durch Predigten, religiöse Zeitschriften und Gründung von Gemeinden staatlich zu orga- nisieren und eine entsprechende Vorlage beim Parlament ein- zubringen.^ Das Ministerium des Innern, dem der Antrag über- wiesen war, äußerte sich in seinem Bescheide sehr kühl: zu- nächst ersetzte es den Ausdruck 'heilige Religion' durch 'Lehre des Konfuzius' und dann erklärte es, daß die Anträge vorerst von dem zuständigen Ministerium des Kultus und Unterrichts zu begutachten seien, im übrigen aber die ganzQ Religionsfrage der Entscheidung des Parlaments vorbehalten bleiben müsse. Einen Präsidialerlaß darüber zu veröffentlichen, sei nicht an-

! gängig.^ Diese Haltung der Zentralregierung sah im günstigsten Falle wie strenge Neutralität gegenüber den beiden entgegen-

j gesetzten Strömungen aus, und den gleichen Eindruck machte ^ In einem Aufsatze des Missionars 0. Lohss im „Evangelischen Missions-Magazin" 57. Jahrgang, Der Konfuzianismus in China, einst und jetzt S. 368 wird ein Bericht des Missionars A. Nagel angeführt, wonach bereits 1910 in Kanton eine „konfuzianische Kirche" und ein ,, konfuzianisches Kirchenblatt" gegründet worden seien.

^ Der Wortlaut der Denkschrift ist, soweit mir bekannt, nicht ver- öffentlicht worden. Dagegen findet sich ein sehr umfangreicher Auszug

j daraus in dem Bescheide des Ministeriums, der im Eegierungsauzeiger {Tscheng fu kung pao) vom 6. März 1913 veröjffentlicht ist.

Archiv f. Keligionswissenschaft XVII 13

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die unter dem 19. März ergangene Entscheidung über den An- trag auf Umwandlung des Himmelstempels und Vergöttlichung des Konfuzius. Der Ministerpräsident erklärt, daß nach den Gutachten der Ministerien des Innern und des Kultus diese Frage eine so weitreichende Bedeutung habe, daß sie den sämt- lichen Provinzialregierungen vorgelegt werden müsse, die dann ihrerseits die öffentliche Meinung darüber festzustellen haben würden.^ Die bis jetzt aus den Provinzen eingegangenen Ant- worten, soweit sie hier vorliegen, sind geteilt. Unbedingt dafür scheinen nur wenige zu sein (z. B. Hupei und Schansi), einige behalten sich die Entscheidung vor (z, B. Hunan und Turkistan), warnen aber vor einer Profanierung des Himmelstempels, die meisten scheinen unsicher. Inzwischen muß aber der Druck der neuen Bewegung stärker geworden sein, denn am 22. Juni erschien der anfänglich verweigerte Präsidialerlaß, zwar nicht ganz so positiv wie die Denkschrift im Anfang des Jahres verlangt hatte, immerhin weit ausgesprochener als die bisherigen Bescheide der Ministerien. Auch der Präsident macht sich die neue Lehre vom * Zeitalter des kleinen Friedens' und dem *der großen Einheit' zu eigen und nimmt damit den Beweis dafür, daß die Republik die Erfüllung des Konfuzianismus sei, als erbracht an. Diejenigen, •die die Meinung verbreiten, man müsse die Verehrung des Kon- fuzius beseitigen, weil seine Lehre die Monarchie betone und den Universalismus hochhalte', läßt er hart an und nennt sie *eine in Seichtheit verirrte Klasse von Menschen'. Zum Schluß kündigt er an, daß, sobald die Gutachten aus den Provinzen eingegangen seien, die neue Ordnung des konfuzianischen Gottesdienstes im ein- zelnen bestimmt werden solle.^ Ob dieser Erlaß, dessen tatsäch^ lieber Wert von hier aus schwer einzuschätzen ist, das entschei- dende Wort in der Frage bedeutet, kann erst die Zukunft lehren. Aber mag das der Fall sein oder nicht, das religiöse Pro- blem ist damit noch längst nicht gelöst. Eine Religion, die.

^ Tscheng fu Tcung pao vom 20. März 1913. * Pe-king ji pao vom 23. Juni 1913.

Das religiöse Problem in China 195

nichts anderes ist als ein Kunstprodukt patriotisclier Geschichts- fälschung, wird schwerlich hinreichende Lebenskraft in sich tragen, um sich eines Gegners zu erwehren, der zwar die ganze Macht der Überlieferung gegen sich, aber die geschichtliche Wahrheit und die logische Folgerichtigkeit für sich hat. Und dazu kommt noch etwas, was die Doktrinäre in beiden Lagern übersehen, nämlich das Verhältnis zu den breiten Schichten des Volkes und die Bestrebungen der anderen Religionssysteme, namentlich des Buddhismus. Beide Fragen haben hier nicht berührt werden können, das bedeutet aber keineswegs, daß sie für belanglos gehalten werden. Um die innersten religiösen Bedürfnisse des Volkes metaphysischer Art hat sich das Kon- fuzianertum niemals gekümmert, und das Volk hat seit dem Altertum deren Befriedigung auf eigenen Wegen gesucht. Pietät und Ahnendienst des Konfuzianismus sind ihm zwar immer die Grundelemente seines Empfindungslebens gewesen, aber der Staatskultus mit seinem von Konfuzius so hoch bewerteten Ritual war ihm eine verschlossene Welt, es hatte keinen Teil daran, und die Träger der Staatsgewalt hüteten ihn als ihr höchstes Vorrecht. Jetzt soll plötzlich dieser Staatskultus Ge- meingut der Massen werden, die nie danach verlangt haben und seine demokratische Ausprägung nicht verstehen. Es ist zu fürchten, daß das breite Volk den Offenbarungen dieser neu geschaffenen Religion gegenüber in derselben mißtrauischen Ablehnung verharrt, die es der ganzen republikanischen Tragi- komödie bezeigt. Die eigentliche Volksreligion hat ihre Kraft weit mehr dem landfremden Buddhismus entnommen (s. oben "5. 169), der seinerseits sich wieder konfuzianische Ethik einver- eibt hat und dadurch völlig chinesisch umgeschaffen worden st. In diesem jetzt verwahrlosten Buddhismus aber regt es iich neuerdings unter japanischer Einwirkung, und die von der eichen Hongwanji-Kirche ausgehenden Bestrebungen, die die ebenfalls nach christlichem Vorbilde umgeformte und modemi- ierte Lehre Säkyamuni's zur Religion Ostasiens machen wollen,

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196 0. Franke Das religiöse Problem in China

finden jetzt in China wesentlich günstigere Lebensbedingungen als unter der streng konfuzianischen Mandschu-Dynastie : die Republik gewährleistet in ihrer Verfassung den Bürgern die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, und der Buddhismus er- hebt auf Grund dieser Freiheit seine Ansprüche. Vielleicht wird er bei dem eigenwilligen Volke mehr Verständnis dafür finden als der neue Konfuzianismus für die seinigen. ^

Sicherlich nicht unbeteiligt an der Lösung des religiösen Problems will das Christentum bleiben. Wenn aber seine be- rufsmäßigen Verbreiter in China meinen, das Feld liege nun freier vor ihnen als früher, und es sei nur noch ihre Aufgabe, es von den verfallenen Trümmern der einheimischen Religionen zu säubern, die ihre Rolle ausgespielt hätten, so ehrt dies gewiß die fröhliche Zuversicht ihres Glaubens, spricht aber nicht für ein großes Maß sachlicher Erkenntnis. Schwankend und halt- los wie die Formen der einheimischen Religionen augenblick- lich sein mögen, sie bergen Lebenskraft genug für die Bildung eines neuen Organismus; feindlich und eifersüchtig wie diese Religionen auch einander gegenüberstehen, sie werden immer einig sein zur Bekämpfung des fremd gearteten Christentums aJs ihres gemeinsamen Gegners. Ob dieses aber, wenn seine politische Ausnahmestellung schwindet und die anderen Reli gionen gleiche Lebensbedingungen erhalten, lediglich durch seine innere Überzeugungskraft imstande sein wird, die Widersacher, das 'Heidentum' und den 'Götzendienst', zu verdrängen, die Frag€ wird der Unbeteiligte schwerlich bejahen. Alle begeisterter Schilderungen der Missionare dürfen über die wirklichen Ver- hältnisse nicht hinwegtäuschen Wie die neue Religion Ostasiens sich im 20. Jahrhundert gestalten mag, wird kaum jemand vorbei künden wollen; eines aber scheint mir sicher: das Christentun: des abendländischen Dogmas wird diese Religion nicht sein.

* Näheres über die Propaganda des japanischen Buddhismus s. Ost asiatische Neubildungen S. 158 ff. und Ein huddhistischer Beformversucl in China in T'oung Pao Ser. II, Bd. X S. 667 ff.

II Berichte

1 igyptisclie Religion (1910—1913)'

Von A. "Wiedemann in Bonn

Allgemeines. Die Hochflut von Gesamtdarstellungen der ägyptischen Religion, welche die letzten Jahre gebracht haben, beginnt allmählich abzuebben.^ Zu nennen ist ein Überblick von Virey^, der, aus Vorträgen an dem Katholischen Institut zu Paris erwachsen, eine Reihe von religiösen Vorstellungen unter besonderer Betonung der Unsterblichkeitslehren und des Gottes- begriffes für weitere Kreise schildert. Eine ansprechend ge- schriebene Übersicht über die ägyptische Religion gab C apart*, eine solche über die ägyptische Götterwelt und eine Reihe ihrer Bearbeitungen Röder^, eine weitere über die Religion in ihrer Beziehung zur Kulturgeschichte Bissing.^ In dem Ge-

1 Ygl. in diesem Archiv VII S. 471 86, IX S. 481 99, XIII 344— 72, und für möglichst vollständige Verzeichnisse der ägyptologischen Literatur iübeihaupt die jährlich erscheinenden Berichte von A. Wiedemann in 'Jahresberichte der Geschichtswissenschaft 1908 11 (mit Ausschluß des- i Sprach liehen) und F. LI. Grif&th. Ärchaeological Beports für 1908 12 (Egypt Exploration Fund). Kürzer ist G. Röder in Zeitschr. der Deutsch. Morgl. Ges. LXV S. 157 ff., LXVI S. 346 ff., LXVII S. 391 ff.

* Das Werk von Erman erschien in italienischer (Erman La Beligione Egizia, Bergamo 1908), das von Naville in illustrierter englischer Über- setzung (Naville The old Egyptian Faith, London 1910), die Schilderung ier ägyptischen Religion durch Erman in der Kultur der Gegenwart, 'L.eipzig , Teubner 1913 in 2. Auflage. Die populäre Schrift von Erman 'Die Hieroglyphen (Sammlung Göschen), Berlin, Göschen 1912, berührt die Religion nur mit vs^enigen Worten.

^ Ph. Virey La Beligion de Vancienne Egypte (Etudes sur VHistoire les Religions 4), Paris, Beauchesne 1910.

* La Religion Egyptienne in Bev. Clerge Frangais LXIV p. 257 ff, ^ Bas ägyptische Pantheon in diesem Archiv XV S. 59ff.

® Bie Kultur des alten Ägyptens (Wissenschaft und Bildung 121), jeipzig, Quelle u. Meyer 1913.

198 A.WiedemanD

Schichtswerke von Eduard Meyer ^ wird die ägyptische Religion eingehender berührt und dabei der lokale Charakter der Volks- götter hervorgehoben, deren jeder im Kreise seiner Anhänger universell wirkte, von denen aber nur einige im übrigen Lande Macht zu gewinnen wußten. Auch Kultus, Zauberspruch - Samm- lungen, die Bedeutung des Sonnenkultes, die Gräber mit ihrer Ausstattung fanden Besprechung.

Im allgemeinen hat sich die Tätigkeit der Forscher stärker als früher der Entwicklung der ägyptischen Religion und ihren verschiedenen Perioden zugewendet. Hierzu bewog vor allem das ZugäD glich werden der Pyramidentexte, in denen man eine Fülle von Andeutungen über den Glauben des Alten Reiches gewann, während bis dahin die Grabinschriften dieser Zeit nur spärliche Bemerkungen ergeben hatten. Es lag nahe, dieses neue Material mit den umfangreichen Angaben späterer Zeiten und den kurzen Notizen der Nagada- Zeit und des beginnenden Alten Reiches zu vergleichen, um auf diese Weise den Verlauf der Religionsentwicklung festzustellen. Dabei stand man freilich zwei großen Schwierigkeiten gegenüber. Zunächst erhob sich die Frage, welche absolute Zahlen für die Datierung der Denk- mäler zu verwerten seien. Trotz einer äußerst umfangreichen Literatur ist es bisher nicht gelungen, für die Zeit vor dem Be- ginne des Neuen Reiches (um 1650 v. Chr.) über allen Zweifel erhabene Daten zu gewinnen. Die umfassende Studie über Chronologie von Eduard Meyer liegt jetzt in französischer Übersetzung^ vor, welche die verschiedenen, von Meyer selbst gegebenen Nachträge einarbeitete und infolgedessen in manchem bequemer benutzbar ist als die deutschen Originalarbeiten. Hier wird das vorhandene Material zusammengestellt und ge- sucht, die ägyptische Zeitfolge von der Thronbesteigung des an- geblichen Reichsgründers Menes um 3315 v. Chr. an und die

* Geschichte des Altertums, 2. Aufl. I 2, Stuttgart, J. G. Cotta 1909. ' Chronologie Egyptienne, traduit par A. Moret (Ann. Musee Guiin < Bibl. d'Etudes 24 Heft 2) Paris 1912.

Ägyptische Religion (1910 1913) 199

auf den 19. Juli 4241 gesetzte Einführung des Kalenders fest- zulegen. Während eine Reihe von Forschern den Datierungen Meyers folgt, haben andere mehr oder weniger weitgehenden Widerspruch erhoben und an anderen, um Jahrhunderte ab- weichenden Systemen festgehalten. Mir selbst erscheint der An- satz des Beginnes der 12. Dynastie um 2000 t. Chr. um etwa 500 Jahre zu niedrig gegriffen, und ich möchte glauben, daß man sicherer geht, wenn man sich einstweilen für das Alte und Mittlere Reich mit einer relativen Chronologie begnügt«

Die zweite Schwierigkeit liegt darin, daß das vorliegende Material wesentlich aus magischen Formeln besteht, welche zum Teil in ihrem Kerne Jahrtausende lang im Gebrauche blieben. Man stellte einzelne Teile derselben um, modernisierte gelegent- lich die Sprache, brachte Zusätze und Streichungen an. Meist ist es aber im Einzelfalle nicht möglich zu entscheiden, welche Sätze jeweils auf neuer Basis beruhen, welche auf uralte Be- standteile zurückgehen. Man kann daher zwar feststellen, wann eine Formelfassung zuerst in den uns zugänglichen Texten sich findet, nicht aber, oB sie damals erst entstanden oder nur neu

1 hergestellt oder aus verschiedenartigen älteren Bestandteilen zu- sammengestellt wurde. Manche Lehre, welche auf Grund ihres späten Ai^tretens jetzt jung erscheint, wird sich vermutlich durch neue Funde als altes religiöses Gut erweisen. Eine

; historische Darstellung der ägyptischen Religion kann demnach nur suchen, unser augenblickliches Wissen in sich folgende Perioden einzugliedern, in vielen Fällen wird aber, wie dies die

; Erfahrung bereits mehrfach gelehrt hat, die Zukunft jetzt

! sicher erscheinende Schlüsse über die Zeitfolge der Lehren als verfehlt erweisen. Dazu kommen tief einschneidende Lücken in dem vorliegenden Materiale, auf die bereits in einem früheren Berichte^ zu verweisen war, und die man nur durch Vermutungen überbrücken kann.

Eine endgültige Lösung des entwicklungsgeschichtlichen ^ Archiv XIII S. 347.

200 A.Wiedemann

Problems ist angesiclits dieser Sachlage für jetzt nocli nicht möglich. Unter den hierher gehörigen Fragen gewidmeten und sie der Lösung näher führenden Studien ist zunächst die neue Ausgabe eines Buches von Foucart^ zu nennen. Dieselbe er- örtert den Wert der ethnologischen Forschung und der ver- gleichenden Religionswissenschaft für die ägyptische Religion, und umgekehrt, den Wert der ägyptischen Religion als Ver- gleichsobjekt für andere Religionen und eine Reihe von Glaubens- lehren im Niltale, wie Tierkult, Opfer, Magie, die Toten, Moral, vor allem um an solchen Beispielen entwicklungsgeschichtliche Momente zu verfolgen.

Auf ein engeres Gebiet beschränkt sich zunächst J.Baillet^, wenn er in einem umfangreichen und auf ein sehr reichhaltiges Material gestützten Werke die ägyptische MoraP und ihre all- mähliche Ausbildung darzustellen sucht. Er erörtert vor allem den Zusammenhang der Entwicklung der moralischen Ideen mit derjenigen der pharaonischen Verwaltung, wie sie in dem Ver- hältnisse zwischen König und Untertanen ihren Ausdruck fand. Die Rechte und Pflichten des Herrschers und der verschiedenen Klassen von Untergebenen wurden in das Auge gefaßt und be- sonders auf ihre dauernde Verbindung mit den religiösen Lehren und Entwicklungen hingewiesen. Auf populäre Voiiräge geht ein von den Pyramidentexten ausgehendes und dann die Zeit bis zum Ende der thebanischen Blüte behandelndes Buch von Breasted* zurück.

' Histoire des Religions et Methode comparative^ Paris 1912. Die erste Ausgabe {La Methode comparative dans Vhistoire des Religions, Paris 1904) wurde Archiv XIII S. 346flF. besprochen.

' Introduction ä V Etüde des Idees morales dans VEgypte antique, Blois 1912 (Paris, Geuthner), 213 S.; Le Regime pharaonique dans ses Rapports avec V Evolution de la Mordle en Egypte, Blois 1913 (Paris, Geuthner) 803 S.

' Eine sehr sorgsame Übersicht über die ägyptischen Morallehren gab A. H. Gardiner Ethics and Morality (Egyptian) in Hastings Encyclo- paedia of Religion Y p. 475 ff.

* Development of Religion and Thought in ancient Egypt, London, Hodder and Stoughton 1912.

Ägyptische Religion (1910—1913) 201

Den ägyptisclieii Gottesbegriff untersucht Wiedemann.^ Das Ideogramm für das Wort Gott ist ein Beil und scheint auf einen auch sonst gelegentlich erwähnten Waffenkult hinzuweisen. Unter den Gottesauffassungen findet sich der Henotheismus, den exklusiveren Monotheismus kennt auch die vielbehandelte* Religionsreform Amenophis' IV. nicht. Göttersysteme erstrecken sich nur auf kleine Göttergruppen ^, nicht auf die Gesamtheit des Pantheons. Die Gottheiten werden, auch wenn man sie sich als Tiere, Pflanzen oder Steine denkt, völlig anthropomorph auf- gefaßt, so daß man sog^r den Obelisken als Opfer Kuchen und Bier darbrachte. Die Notwendigkeit der Befriedigung mensch- licher Bedürfnisse machte die Götter von den Gaben ihrer An- hänger abhängig. Noch mehr wurden sie dies dadurch, daß sie I der Magie unterworfen waren und Formeln sie zwingen konnten, je nach dem Willen des Zauberers, zu helfen oder zu schaden. Abweichend von dieser Vorstellung scheinen auf den ersten Blick die Gedankengänge auf einer Reihe von Stelen zu sein, welche ! Maspero und neuerdings vermehrt Erman* besprochen hat. In I diesen ist nicht die Rede von einem Zwingen der Gottheit, man ! naht ihr vielmehr preisend und bittend, um von ihrer Gnade I Gaben zu erflehen. Die Ausnahme erweist sich hier bei näherer Prüfung als eine nur scheinbare. Die fraglichen Denkmäler gehen von Leuten niederen Ranges aus, welche auf magische Kenntnisse und Kraft keinen Anspruch erheben konnten. Auf j Erden waren sie gewohnt zu bitten, nicht zu befehlen. Dieses

^ God (Egyptian) in Hastings Encyclopaedia of Religion Vi p. 274 iF.

' Die Geschichte und Bedeutung des Königs schilderte neuerdings

j A. E. P. Weigall The Life and Times of Akhnaton, Pharaoh of Egypt^

(London, Blackwood 1910.

! ' Über die Ogdoas von Hermopolis, in der er das älteste uns erhaltene ägyptische theologische System sieht, und ihr Verhältnis zur Enneade von Heliopolis handelte J. Capart Lettre ä M. Maspero sur V Enneade Helio- poUtaine in Reo. Trav. (d. i. Recueil de Travaux relatifs ä Ja Philologie

\Egyptienne) XXXIII p. 64ff.

i * Denksteine aus der thehanischen Gräberstadt in Sitz.-Ber. Akad. Berlin 1911 S. 1086ff.

202 A.Wiedemann

irdisclie Verhältnis übertrugen sie auf ihre Beziehungen zu der Gottheit und richteten sich dabei mit ihren Wünschen mit Vor- liebe an die Volksgötter, die heiligen Tiere und Sondergestalten, von denen sie mehr Herz und Zeit für Niedriggestellte erwarten konnten als von den großen Göttern der höheren Kreise. Wenn gelegentlich vornehme Leute die Gottheit anflehen undpreisen, so wollen sie schmeichelnd betonen, für wie mächtig sie den Gott halten und wie sie daher auch erwarten können, daß er von seiner Macht zu ihren Gunsten entsprechenden Gebrauch macht. Der Glaube an die Allmacht der Magie wfcrd durch solche Bestre- bungen, durch Güte etwas zu erreichen, ehe man zum Zwange schreitet, nicht erschüttert.

Eine Publikation besonders wichtiger religiöser Texte von Budge^ enthält in schönen Faksimiletafeln, teilweise in hiero- glyphischer Umschrift, Übersetzung und Besprechung, eine neue Fassung der durch den Papyrus Prisse bekannten Lebensregeln des Ptah-hetep, Hymnen an Rä-Harmachis und an den Mond, den bereits bekannten magischen Papyrus Harris, die von Wilkinson herrührende Abschrift der Totenbuchkapitel vom Sarge einer Königin der 1 1 . Dynastie, einen Kalender der Dies fasti et nefasti, und vor allem den bisher von Budge nur in Umschrift und Übersetzung zugänglich gemachten, aus dem Jahre 311 v. Chr. stammenden Papyrus des Nes-Min. Letzterer^ setzt sich zu- sammen aus einer von den „Lamentationen der Isis und Nephthys" abweichenden Fassung dieser Grabgesänge, aus Litaneien des Sokaris und aus den Büchern vom Niederwerfen der Apepi- Schlange. In diesen findet sich in zwei Exemplaren ein Welt- schöpfungsmythus, demzufolge der Sonnengott seine Tätigkeit hierbei damit eröffnete, daß er durch Masturbation Schu und

* E. A. Wallis Budge Facsimües of Egyptian Hieratic Papyri in the British Miiseum with Descriptions , Translations etc., London, British Museum 1910.

^ Die Datierung und Einleitung dieses Textes behandelte Spiegelberg Das Kolophon des liturgischen Papyrus aus der Zeit des Alexander IV. in Rec.Trav. XXXV p. 35 ff.

Ägyptische Religion (1910— 1913) 203

Tefnut erzeugte^, also ohne Zuhilfenahme eines weiblichen Wesens schuf. Als man es in späterer Zeit für erforderlich hielt, daß jeder männlichen Gottheit eine weibliche Ergänzung zur Seite stehe, wurde auf Grund dieses Mythus für Rä-Tum eine Göttin Ter-f ^ Seine Hand' gebildet^. Das Tagesverzeichnis unterscheidet sich von dem bekannten Papyrus Sallier IV, den unter Hinzuziehung ähnlicher Texte neuerdings Wreszinski^ behandelt hat, dadurch, daß es nur den Charakter des Tages anführt, denselben aber nicht mythologisch zu begründen sucht. Man wird im Zweifel sein können, ob hier eine ältere Stufe dieser Tagesverzeichnisse vorliegt, oder ein Auszug aus einem vollständigeren Texte. Letzteres erscheint mir hier ebenso wie bei einem Kahuner Papyrus, welcher für die Monatstage Pro- gnosen enthält, die für alle Monate die gleichen sind (auch die Schutzgottheiten der Monatstage sind in Ägypten für alle Monate dieselben Gestalten), wahrscheinlicher.

Einen hieratischen Papyrus zu Petersburg, welcher unglück- liche Zeiten Ägyptens in Gegensatz zu dem glücklichen Zu- stande unter dem Könige Ameni stellt, veröffentlichte in vor- züglicher Weise Golenischeff.* Der Text gehört einer in Ägypten weitverbreiteten Literaturgattung^ an, in welcher man Vorläufer der prophetischen und messianischen Literatur Israels I hat sehen wollen, ohne daß diese Auffassung bisher hätte sicher-

; gestellt werden können.®

I

1 ^ Vgl. Wiedemann Mn altägypUscher Weltschöpfungsmythus in Der

i Urquell II S. 57 fF., wo auch die sonstigen zahlreichen Anspielungen auf j diesen Mythus aufgeführt werden.

! ' E. Chassinat La Deesse Djeritef in Bull. Inst. Frang. Arch. Orient.

\ X p. 159f.

' Tagewählerei im alten Ägypten in diesem Archiv XVI S. 86 ff.

* Les Papyrus hieratiques Nr. 1115, 1116^ et 1116B de VErmitage Imperial, St. Petersburg 1913, pl. 23 5.

* Vgl. R. Weill Les derniers Siecles du Moyen Empire Egyptien I. i Les HyJcsos, Paris, Imprimerie Nationale 1911 (aus Journ. asiat. XVI S. 247 ff.,

507 ff., XVII S. 5 ff.). Fortsetzung in Journ. asiat. XI Ser. I S. 535 ff. ^ Vgl. Archiv XIII S. 349 ff.

204 ■^- Wiedemann

Die Angaben Herodots über die ägyptische Religion wurden ausfübrlicb von Sourdille^ erörtert. Über Plutarcbs Schilderung der ägyptischen Religion gab Scott-Moncrieff^ eine Reihe von Bemerkungen, welche hervorhoben, daß sie in alexandrinischem Sinne gefärbt und von Piatonismus beeinflußt sei. Das reiche Material, welches die christlichen Kirchenschriftsteller für die ägyptische Religion enthielten, hat Zimmermann^, soweit es auf selbständigen Quellenwert Anspruch erheben kann, zusammen- gestellt und mit den Bemerkungen der Denkmäler über die gleichen Punkte verglichen. Es ergab sich hierbei, daß diese Schrift- steller im wesentlichen nur das hervorheben, was für ihre Polemik gegen das Heidentum ihnen von Wert schien, daß aber ihre Be- hauptungen zuverlässig und vor allem für die ägyptischen Volks- kulte, Tiergottheiten, Sondergötter und Religionsauffassungen der Spätzeit von großer Bedeutung sind. Sie füllen zahlreiche Lücken der den Kulten der höheren Klassen gewidmeten In- schriften der Tempel und reicheren Gräber aus.

Eine weitreichende Förderung der Religionsforschung ergab die Fortsetzung der Sammlung der grundlegenden Studien Masperos*, welche auf diese Weise bequem und übersichtlich zugänglich wurden. Moret^ sammelte eine Reihe seiner po- pulären Aufsätze in einer illustrierten Ausgabe, wobei unter anderem Amenophis IV., der Tod des Osiris, die Unsterblichkeits- lehre, der römische Isiskult Besprechung fanden.

Beziehungen zu anderen Religionen. Für die be- sonders in späterer Zeit herrschenden Bestrebungen, Osiris mit

^ Herodote et la Religion de VEgypte, Paris, Leroux 1910.

^ De Iside et Osiride in Journ. Hell. Studies XXIX p. 78ff.

' Die ägyptische Meligion nach der Darstellung der Kirchenschriftsteller und die ägyptischen Denkmäler (Studien zur Greschichte des Altertums heransgeg. von Drerup V 5 6), Paderborn 1912; ausführlich besprochen von Wiedemann Die Bedeutung der alten Kirchenschriftsteller für die Kenntnis der ägyptischen Religion in Anthropos VIII S. 427 ff.

* Etudes de Mythologie V YI {Bibliotheque Egyptologique XXVII bis XXVIIl), Paris, Leroux 1911 12.

^ Rois et Dieux d'Egypte, Paris, Armand Collin 1911.

Ägyptische Religion (1910—1913) 205

dem Adonis von Byblos gleichzustellen und anschließende Erörte- rungen ist das grundlegende Werk von Baudissin^ von großer Be- deutung. Die viel umstrittene Frage, inwieweit ägyptische reli- giöse Vorstellungen und Sitten auf die Bildung des Israelitentums einwirkten, wurde von Volt er in Fortsetzung seiner früheren Studien behandelt. Auf Grund eines sehr reichhaltigen, meist der Spätzeit entstammenden Materials suchte er eine sehr weitgehende Abhängigkeit festzustellen, welche sich bei Festen^ und vor allem darin zeige, daß die israelitischen Patriarchen, Moses und Sim- son, wesentlich auf ägyptische Göttergestalten zurückgingen.' Über die Einführung des Sarapis-Dienstes und sein Verhältnis zum Osiris-Apis erschienen zahlreiche eingehende Arbeiten*, ohne daß man zu einer Einigung über diese Punkte gelangt wäre. Späte ägyptische religiöse Vorstellungen, das Verhältnis des Sarapis zu Helios und seine Sonnennatur, die Vergöttlichung des Antinous und seine Beziehungen zu Hermes, die im späten Osiriskulte auftauchenden sogenannten Kanopen behandelte Weber.^ Auf die ägyptischen Kulte in Karthago und Nordwest- Afrika ging Gsell* ein, während ein nachgelassenes Werk von »

^ Adonis und Esmun, Leipzig, J. C. Hinrichs 1911.

* Völter Passah und Mazzoth und ihr ägyptisches Urbild^ Leiden, Brill 1912.

' Völter Die Patriarchen Israels und die ägyptische Mythologie, Leiden, Brill 1912; Mose und die ägyptische Mythologie, Leiden, Brill 1912. Wer war Mose? Leiden, Brill 1913.

* E. Petersen Die Serapislegende in diesem Archiv XIII S. 47 ff.; C. F. Lehmann -Haupt und H. Ph. Weitz Sarapis in Roschers Lex. der Myth. IV Sp. 338 ff.; J. Levy 8arapis in Rev. Hist. Bei. LX S. 285 ff., LXI S. 162 ff., LXIII S. 125 ff.; Ernst Schmidt Die Einführung des Sarapis in Alexandria, Heidelberger Diss. 1909; S. de Ricci Sarapis et Sinope in Rev. Arch.XVl p. 96 ff.; U. Wilcken Zur Geschichte Pelusiums in Klio IX S. 131 ff.; H. Ph. Weitz Zu Sarapis in KHo X S. 120 ff.; C.F. Lehmann- Haupt Zu Sarapis in Klio XS.394f.; K.Sethe Sarapis und die sogenannten ytdtoxov des Sarapis in Abh. Akad. Göttingen Phil.-Hist. Kl. XIV Nr. 5.

^ Drei Untersuchungen zur ägyptisch- griechischen Religion, Heidelberg, Hörning 1911.

® Les cultes igyptiens dans le nord-ouest de VAfrique sous V Empire Romain in Eev. Hist. Rel. I LX p. 150 ff.

206 ^- Wiedemann

Scott-Moncrieff^ die wenig tiefgreifenden Zusammenliänge zwischen ägyptisclien und christliclien Vorstellungskreisen und künstlerischen Darstellungen behandelte.

Einzelne Gottheiten. In übersichtlicher Weise stellte Röder^ das Material zusammen für Satis, Schu, Sechmet (Sechet), Selket (Serkt), Seschat (Safech), Sobk (Sebak), Sokar, Sothis, Sphinx, und besonders eingehend^ für Set und den Sonnengott. Die ägyptischen Götterlegenden sammelte Budge.* Ein interessantes Beispiel, wie ägyptische Gottheiten in Sonder- formen mit beschränkter Wirksamkeit zerlegt wurden, brachte Daressy.^ Um die eine Thueris und die eine Meschenit zu ent- lasten, bildete man 12 Thueris, welche den 12 Monaten, und 5 Meschenit, welche den 5 Epagomenentagen vorzustehen hatten.

Für den Hauptgott der Blütezeit des Neuen Reiches Amon-Rä war ein Text aus der Zeit des RamseslI.® sehr interessant, welcher alle seine Verehruugsorte nennt und darlegt, daß alles Existierende ihm gehöre und ihm zukomme, da er alles geschaffen habe. Durch ein Dekret^ verlieh der Gott dem Oberpriester Pi-net'em göttliche Stellung und Rechte. Eine bisher unbekannte Sonder- form „Amon-Ap, der Bekämpfer des Übels" traf in einem Graffito auf* Den Sitz des Amon- Orakels, die Oase Siwah, und den Weg hierhin schilderte anschaulich Falls^, der als Be- gleiter des Khedive in der Lage war, die Ruinenstätten und den

^ PaganismandChnstianityinEgypt, Cambridge, üniversity Press 1913.

2 In Roscber Lex. der Myth.lY Sp.413ff., 565 ff., 581ff., 651ff., 713ff., 1093ff., 1119ff., 1273ff., 1297ff.

8 1. c. Sp. 725ff., 1155 ff.

^ Egyptian Literature 1. Legends of the Gods, London 1912.

^ Thoueris et Meskhenit in Bec. Tra?;. XXXIY p. 189 ff.

^ Publiziert und behandelt von Daressy Litanies d'Amon du Temple de Louxor in Bec. Trav.XXXll p. 62 ff.

' G. Daressy Le Beeret d'Ämon en faveur du grand pretre Pinozem in Bec. Trav. XXXII p. 175 ff.

^ Wiedemann Notes on some Egyptian Monuments § 3 in Proc. Soc. Bihl. Ärch. XXXIII p. 166.

^ Siwah, Die Oase des Sonnengottes in der libyschen Wüste, Mainz, Kirchheim 1910.

Ägyptische Religion (1910—1913) 207

angeblichen Sonnenquell unter günstigen Verhältnissen zu be- suchen und gute photographische Aufnahmen von einer Reihe interessanter Punkte zu machen.

Eine ausführliche monographische Behandlung wurde dem Gotte Ptah gewidmet^, für den auch einige neue Texte, ein Hymnus an ihn und Sechet^, und ein solcher an ihn und die Lokalgöttin der thebanischen Nekropole Merseker^ zugänglich gemacht wurden. In Memphis fanden sich zahlreiche Votiv- stelen für die Sonderform ,,Ptah, der Erhörer der Bitte", welche die Bilder von häufig zahlreichen Ohren '^ trugen. Sie sollten den Gott befähigen, die von den verschiedensten Seiten auf ihn einstürmenden Bitten gleichzeitig zu vernehmen und zu erhören. Ein zur Zeit des Sabako aus älteren Urkunden zusammen- gestellter, zuletzt von Erman^ behandelter Text gewährt einen Einblick in Bestrebungen, die religiöse Bedeutung von Memphis und seinem Gotte Ptah in möglichst hellem Lichte zu zeigen.

Ein in der Spätzeit verbreiteter Sagenkreis ^ schilderte, wie die verderbliche Löwengöttin Tefnut nach Ägypten kam und besänftigt wurde. Er bildet damit einen eigenartigen Versuch, den Widerspruch auszugleichen, der auch bei anderen löwen- köpfigen Göttinnen in die Erscheinung tritt, daß sie bald mild, bald schädigend sind. An anderen Stellen hat man das gleiche

^ M. Stolk Ptah, Leipziger Diss., Berlin, Bernhard Paul 1911.

* Miss Mogeusen A stela of the XVIII f'^ or XlX^f* dynasty with a \hymn to Ptah and SeJchmet in Proc. Soc. Bibl. Ärch. XXXY S. 37 ff. und

besser Platt Notes on the Stele of SeTchmet-mer, 1. c. p, 129ff, I . ' Maspero Notes de Voyage § 13 in Ann. Serv. Ant. X p. 143 f.

* W. M. Flinders Petrie Memphis I, London, Quaritch 1909.

^ Mn DenJcmal memphitischer TJieologie in Sitz.-Ber. Akad. Berlin ,1911 S. 915ff.

I ^ H. Junker Der Auszug der Hathor- Tefnut aus Nuhien in Abh. Akad, Berlin 1911. Anhang. K. Sethe Zur altägyptischen Sage vom Sonnenauge, das in der Fremde war (Untersuchungen zur Geschichte und Altertums- ikunde Ägyptens herausgeg. von Sethe V 3), Leipzig, J. C. Hinrichs 1912, Iversuchte, diese und analoge Berichte in ihre einzelnen Bestandteile zu zerlegen.

208 ^' Wiedemann

io bequemerer Weise erreicht, indem man die Gottheit als mild in Gestalt der (Katze) Bast und verderblich in der der (Löwin) Sechet darstellte. Anrufungen der Kronen und der Uräus- schlange des Gottes Sebak wurden veröffentlicht.^ Das Bild des widderköpfigen Chnum, der den König auf der Töpferscheibe bildet, diente unter Ramses IL als Hieroglyphenzeichen^. Eine Stele ergab Gebete an Hathor und Thoth als Gottheiten der Sinai - Halbinsel.^ Den großen Hymnus auf den Nil gab M a s p e r o in hieroglyphischer Umschrift und mit eingehender Einleitung heraus.* Über die Dämonen, welche den einzelnen Teilen des Jahres vorstanden^, über einen Bier- Dämon ^, über die Anbetung des großen Fliegenwedels des Horus neben dem Gotte Horus^, über die Windgötter ^ und die Beziehungen zwischen Amon und den Winden^ wurde gehandelt. Dem Gotte Bes und den mit ihm in Verbindung stehenden Zwerggottheiten widmete Ballod^^ eine sorgsame Untersuchung.

Die Kulte Unter -Nubiens entsprachen zunächst denen Ägyp- tens, von wo aus, besonders unter der 12. Dynastie und unter Ramses IL, das Land mit Tempeln besetzt worden war. All- mählich drangen einzelne einheimische Vorstellungen und Gott- heiten auch in diese Tempel ein. über diese Verhältnisse er- gibt die von zahlreichen Tafeln begleitete Gesamtpublikation

* Erman Hymnen an das Diadem der Pharaonen in Abh. Akad. Berlin 1911.

' A.E.P. Weigall Miscellaneom Notes § 9 in Ämi. Serv. Änt. XI p. 172 f. ^ B. Tnrajeff J>«e naophore Statue Nr. 97 im Vatikan in Ägypt. Zeitschr. XL VI S. 74 ff.

* Hymne au Nil (Inst. Frang. Ärch. Orient. BiN. d' Etudes), Kairo 1912. ^ Daressy La Semaine des Egyptiens II in Ann. Serv. Ant. X p. 180 ff. « Wiedemann Varia § 6 in Sphinx XV S. 130 ff.

' Maspero Notes de Voyage § 15 in Ann. Serv. Ant. XI p. 152 f.

^ W. L. Nash Notes on some Egyptian Antiquities § 42 in Proc. See. Bibl. Arch. XXXII p. 193 f.

® Spiegelberg Amon als Gott der Luft oder des Windes (Ttvsvficc) lu Ägypt. Zeitschr. IL S. 127 f.

Prolegomena zur Geschichte der zwerghaften Götter in Ägypten^ Münchener Diss., Moskau 1913.

Ägyptische Religion (1910—1913) 209

der Tempel in dem von dem Stausee oberhalb Assuan bedrohten nördlichen Teile des Landes^ wertvolle Andeutungen. Besonders sind unter den nubischen Göttern zu nennen Arsenupbis, den man dem Osiris anzugleichen trachtete ^^ und Mandulis, an den poetisch abgefaßte griechische Weiheinschriften erhalten blieben.^ Ein als Neger dargestellter Gott, den eine Stele zu Brüssel vorführt*, steht einstweilen ganz vereinzelt da.

Durch einen Formstein des beginnenden Neuen Reiches in Berlin^ war ein vom Wagen aus einen Löwen bekämpfender Gott Sched bekannt geworden, dessen Namen Erman^ als ^Er- retter' (ägypt. sched) deutete und den er als eine Form des Onuris (Anher) ansah. Die Benutzung des von Pferden ge- zogenen Wagens, der bei ägyptischen Göttern erst in spät saitischer Zeit vorkommt'^, spricht nicht für ägyptischen Ursprung der Gestalt. Aus dem benachbarten Asien kamen dagegen bereits früh reitende und fahrende Gottheiten nach dem Niltale. Der Name wird daher eher mit dem semitischen, im Alten Testament nur im Plural für ^Dämonen' verwendeten ^6 zusammenhängen. Ein neu gefundenes DönkmaP aus dem ersten Teile der 18. Dynastie

^ Les Temples immer ges de la Nubie: R. Gauthier Le Temple de Ka- Idbchah (noch unvollendet), Kairo 1911; G. Roeder und F. Zucker Bebod lis Kdlahsche, 3 Bde. Kairo 1911—1912; Blackman The Temple of Dendur, Kairo 1911; H. Gauthier Le Temple de Ouadi es-Seboua, 2 Bde. Kairo 1912; Maspero ei Bsbieanii Eapports , Kairo 1909 1910; Maspero Bocuments, Kairo 1912 (bisher eine Lieferung).

2 Blackman The Nubian God Ärsenuphis as Osiris in Proc. Soc. Bihl. Arch. XXXII S. 33 ff.

' Gauthier Cinq Inscriptions Grecques de Kalahchah (Nubie) in Ann. Serv. Ant. X S. 66 ff.

* Capart Sieles egyptiennes in Bull. Musees Royaux Bruxelles XII S . 6 1 ff. , wo auf anderen Stelen eine Statue Amenophis' III. und eine solche Ram- «es' II. göttlich verehrt werden.

^•Publiziert von Schreiber Alexandrinische Toreutik in Abb. Ges. der Wiss. Leipzig XIY S. 279, im Umriß Erman Ägypt. Bei. 2. Aufl. Fig. 96.

•^ Ägypt. Religion S. 91, 180.

"' Wiedemann Notes et Remarques § 5 in Rec. Trav. XX S. 137 ff.

^ Davies The god Shed in the eighteenth Bynasty in Agypt, Zeitschr. IL S. 125 f.

Archiv f. Religionswissenschaft XVII 14

210 A. Wiedemann

zeigt, daß ScHed ein jugendliclier, mit dem Bumerang bewaff- neter, also kriegerisclier Gott war.

Die Texte, welche in Luxor in ausführlicher Weise die gött- liche Zeugung und Geburt des Königs Amenophis III. berichten und welche auch für Hätschepsut und, wenigstens in einem Bruchstück, für Ramses IL vorliegen, wurden zusammen mit den Berichten über seine Krönung und Vergöttlichung nach photographischen Aufnahmen veröffentlicht und besprochen.^ Die Verehrung Amenophis L in der thebanischen Nekropole^ und der Kult Ptolemäus I. zu Ptolemais in Oberägypten ^ wurden erörtert. Griffith* stellte Angaben zusammen, welche dafür sprechen, daß Ertrunkene in Ägypten eine gewisse Göttlichkeit gewannen und dann als hesi 'Gepriesener' bezeichnet wurden. Da letzterer Ausdruck aber ein auch sonst vorkommender Ehren- titel ist, so ist es, falls keine anderweitigen Anzeichen vorliegea, im einzelnen Falle nicht möglich, aus ihm allein zu erschließen, daß sein Träger als Ertrunkener anzusehen sei.

Über heilige Bäume äußerte sich Sethe^, doch wird die Auffassung von äsch als Zeder von anderen Agyptologen stark bezweifelt. Der Kult des Granatbaumes ^ und die den Bewohnern von Pelusium zugeschriebene Verehrung von Zwiebel, Knoblauch und Blähungen '^ wurden besprochen.

Tierkult. Über den Tierkult handelte im Zusammenhange

* Collin Campbell The miraculous hirth of hing Amonhotep III., Edin- burgh, Oliver and Boyd 1912.

* Erman Zwei Aktenstücke aus der thebanischen Graberstadt in Sitz.- Ber. Akad. Berlin 1910 S. 330 fiF.

' Planmann Der Stadtkult von Ptolemais in Hermes XL VI S. 296 ff.; vgl. Plaumann Ptolemais in Oberägypten, Leipzig, Quelle u. Meyer 1910.

* Herodotus II 90. Apotheosis by drowning in Ägypt. Zeitschr. XL VI S. 132ff. ; vgl. V. Bissing Apotheosis by drowning in Rec. Trav. XXXIV S. 37 f.

^ Osiris und die Zeder von Byblos in Ägypt. Zeitschr. XL VII S. 71 ff.

^ Newberry The Tree of the Heracleopolite Nome in Ägypt. Zeitschr. L S. 78f.

' A. Jacoby Beiträge zur Geschichte der spätägyptischen Religion in Bec. Trav. XXXIV S. 9 ff.

Ägyptische Religion (3 910—1913) 2 1 1

Wiedemann.^ Von der Bezeichnung Totemismus sieht man in Ägypten besser ab, bis eine scharfe und allseitig angenommene De- finition dieses Begriffes festgestellt ist. Der Ägypter kennt weder eine Abstammung von seinen heiligen Tieren noch ein sexuelles Tabu oder Speisevorschriften, die mit dem Kulte in Verbindung standen. Der Tierkult bildete eine in der Nagada -Zeit im Kreise der ürbewohner des Landes verbreitete Religionsform, welche am Ende dieser Periode in meist wenig geschickter Weise mit der Verehrung der geistiger gedachten späteren großen Götter des Landes in Verbindung gebracht worden ist. Der reine Tier- dienst bestand dann, besonders im Kreise des niederen Volkes, dauernd fort, fand aber auch Eingang in die großen Tempel. In einer Reihe derselben wurde als Verkörperung des Tempel- gottes ein heiliges Tier verehrt und im Naos in Gefangenschaft , gehalten. Für diese von den griechischen Autoren geschilderte ' Sitte brachte ein einheimischer Bericht aus Philae wichtige An- gaben.^ Er führte die Zeremonien bei der Inthronisation eines heiligen, aus Nubien bezogenen Falken auf, deren bereits Strabo ^ gedachte. Das Tier galt als die Seele (ha) des , wie auch andere heilige Tiere als die Seele des jeweilig in ihnen verkörperten großen Gottes auftreten. Aus Äthiopien oder, wie die Texte sagen, aus Punt bezog man das heilige Tier, da man dort im Süden das Ursprungsland der Sonne suchte. Politische Gründe oder der ' Gedanke, daß in Äthiopien das wahre Gottesreich fortbestehe,

* Der TierJcult der alten Ägypter (Der alte Orient XIV 1) Leipzig, J. C. Hinrichs 1912. Vgl. Archiv IX S. 482ff., XIII S. 358ff., XIV S. 640f. und ^ die sehr sorgsame Arbeit von Zimmermann Der ägyptische Tierkult nach der Darstellung der Kirchenschriftsteller und die ägyptischen DenTcmäler, Bonner Diss. Kirchhain N. L. 1912 (Abdruck aus des Verfassers Die ägyp- tische Religion usw., Paderborn 1912). Zahlreiche Notizen über die ägyp- tischen heiligen Tiere finden sich in dem reichhaltigen Werke von 0. Keller Die antike Tienoelt, 2 Bde. Leipzig, W. Engelmann 1909 1913.

^ H. Junker Der Bericht Stratos über den heiligen Falken von Philae im Lichte der ägyptischen Quellen in Wiener Zeitschr. f. d. Kunde des Morgenlandes XXVI S. 42 ff.

» XVII p. 818.

14*

212 A. Wiedemann

den griechiBclie Berichte von dem Ideallande Äthiopien nahe- legen könnten, haben dabei kaum mitgesprochen.

Die Bedeutung des Tierkultes wuchs in der Spätzeit als eine Art Reaktion gegen die in das Land eindringenden fremden Kulte. Außerdem hoffte man an diesen altnationalen Göttern eine Stütze zu finden, nachdem die großen Götter im Kampfe Ägyptens mit dem Auslande versagt hatten. Diese Entwicklung erklärt die große Zahl der aus der Spätzeit stammenden Mumien und Statuetten von Tieren und die vielfache Erwähnung des Kultes bei den Griechen. Die Zahl der in Einzelvertretern oder in ihrer Gesamtheit verehrten Tierarten war sehr groß, sie blieb aber für die meisten Arten auf kleine Bezirke beschränkt. Dabei achtete man bei den als unmittelbare göttliche Inkorporation geltenden Geschöpfen auf bestimmte Kennzeichen , verehrte also eine bestimmte Art. Bei den nur hochgeachteten Tieren spielten : genaue zoologische Unterschiede keine Rolle, wie dies vor allem die Mischung ähnlicher Arten in den Tiemekropolen beweist. So fielen die verschiedenen Sperber- und Falkenarten zusammen, Schakal, Hund und der kleine ägyptische Wolf wurden nicht geschieden, usf. Reiche Aufschlüsse in dieser Beziehung brachte vor allem die Fortführung der Forschungen von L ortet und Gaillard^, welche in systematischer Weise die Tiermumien und, soweit dies angesichts der häufig stark schematisierten Darstellungen möglich war, die Abbildungen zoologisch be- stimmten.

Bilder einer Reihe heiliger Tiere fanden sich auf Skarabäen

^ La Faune momifiee de Vancienne Egypte Ser. 5 in Arch. Mus. Hist Nat., Lyon, Georg 1909; Gaillard Les Oies de Meidoum in Bev. Egypt. XII S. 2 12 ff. Vgl. Archiv XIII S. 358. Eine Reihe 7on Vogelarten in den Reliefs behandelte Boussac in Bec. Trav. XXXI S. 138 f., 180 f; XXXII S.ÖOff., 56ff.; XXXIII S. 56ff.; XXXIV S. 163 ff.; XXXV S. 56ff.; Weigall in Ann. Serv. Ant. XI S. 172 f. Wiedemann Notes on some Egyptian Mo- numents § 5 in Proc. Soe. EM. Arch. XXXIII S. 166f. machte anf üschebtis und Herzenskarabäen aufmerksam, welche heiligen Tieren mitgegeben worden waren.

Ägyptische Religion (1910—1913) 213

und anderen Amuletten.^ Stiftungen für den lebenden und den toten Apis durcli den König Nectanebus I. untersuchten Dar essy^ und Spiegelber g.^ Das Anubistier wurde im wesentlichen für einen Hund erklärt."^ Amon-Rä erschien auf einer Stele als Widder dargestellt.^ Widder und Bock besprach Lefebure^, Stellen, an denen als heiliges Tier von Mendes ausnahmsweise der Bock, nicht der Widder abgebildet wird, Wiedemann^, Nilpferdstatuen, besonders der ältesten Zeit, v. Bissing^ und Wiedemann^, den Falken als Tier des Gottes Horus auf Grund einer schönen Statue im Louvre Benedite^^, die Schwalbe New- berry^^, den Phönix Türk^^ und Zimmer mann.^^ Über die Be- i stattung von heiligen Sperbern und Ibissen handelten Ostraka I aus Kom Ombo.^* Für die Verehrung des Krokodils war eine

j * A. Grenfell Les Divinites et les animaux figures sur les Scaräbees

\ in Rendiconti Acad. Lincei XVII S. 135 ff.

^ Construction d'un Temple d'Apis par Nectanebo I«r in Ann. Serv. Ant.lX S. 154 ff.

3 Bei J. E, Quibell ExcavaUons at Saqqara (1907/08), Kairo 1909 S. 89 ff.

* V. BisBing Zu den Hundegöttern in Rec. Trav. XXXIII S. 17f. ^ Ahmed Bey Xamal Rapport sur les FouilJes faites dans la Montagne de Sheikh Smd in Ann. Serv. Ant. X S. 145 ff.

® LeBouc des Lupereales in Bev.Hist.Rel. LIX S. 73 ff.; vgl.Burchardt, Ein saitischer Statuensockel in Ägypt. Zeitschr. XLVII S. 111 ff. ' Varia § 12 in Sphinx XVI S. 15 ff.

® Altägyptische Nilpferdstatuetten in Münchner Jahrb. für Bildende Kunst 1909 S. 127 ff.

® Notes an some Egyptian Monuments § 9 in Froc. Soc. Bibl. Arch. XXXIII S. 197f.

Faucon ou Epervier , ä propos d'une recente acquisition du Musee tien du Louvre in Mem. Acad. Inscr. Beiles Lettres. Fondation Piot XVII Nr. 1.

" In Ann. Arch. Univ. Liverpool II S. 49ff.

*^ Phönix in Röscher Lex. der Myth. III Sp. 3450 ff. (Das klassische ^Material.)

'' Die Phönixsage in Theologie und Glaube IV S. 202 ff. Vgl. für den ägyptischen Namen Spiegelberg Zu dem Namen des Phönix in Ägypt. Zeitschr. XL VI S, 142.

^* Mitteilung in Orient. Lit. Zeit. XVI Sp. 325.

214 A. Wiedemann

von Spiegelberg* edierte Inschrift von Interesse, die Fütterung des heiligen Krokodils stellte ein römisches Mosaik dar.^ Weitere Besprechungen fanden der Fisch ^, die Kröte* und das auf einem saitischen Sarge dargestellte Seepferd. '^

Als echter Volksglaube hat der Tierkult den Fall der ägyp- tischen Religion überdauert. Für sein Fortleben im heutigen Niltale geben zahlreiche Volkserzählungen von der dämonischen Natur und der Unverletzlichkeit bestimmter Tierarten Belege.*^ Vor allem die Katzen und neben ihnen die Eidechsen treten in ihnen auf. Letztere sind besonders bemerkenswert, da zwar zahlreiche kleine Bronzesärge das Bild einer Waran- Eidechse tragen, das Tier aber in den Texten keine größere Rolle spielt. Nur gelegentlich wird es als böses Geschöpf dargestellt' und scheint als dem Krokodile nahestehend angesehen worden zu sein.^

Kultus. Eine neu erschlossene Kapelle zu Abusimbel ent- hielt im wesentlichen noch ihr altes Inventar an Altar, Obelisken und Statuen und gestattete auf diese Weise Rückschlüsse auf die Art des hier dargebrachten Kultes.^ Die dem Königskulte

^ Eine demotische Inschriftvon Gebel el - Tarif in Ann. Serv. Ant. X S. 31 ff.

' Wiedemann Notes on some Egyptian Monuments § 14 in Proc. See. Bihl Arch. XXXIV S. 300, pl. 35.

■' Wiedemann Der Fisch Änt und seine Bedeutung in Sphinx XIV S. 231 ff., XVI S. 14 f.; vgl. Mahler Das Fischsymbol auf ägyptischen Denk- mälern in Zeitschr. Deutsch. Morgenl. Ges. LXVII S. 37 ff.

* Nash Notes on some Fgyptian Antiquities § 41 in Proc. Soc. BiU. ^rc/i. XXXII S. 125.

^ Murray An Egyptian Hippocampus in British SchoolArchaeol.Egypt, Hist Studies S. 39f.

° Literatur bei Wiedemann in Anthropos VIII S. 428. Den Bericht von Legrain, auf den Archiv XIII S. 360 hingewiesen wurde, hat Wreszinski Theriomorphe Vorstellungen im heutigen Ägypten in diesem Archiv XVI S. 628 ff. in Übersetzung wiedergegeben.

^ Boussac Sauriens figures sur les Cippes d'Horu^s in Rec. Trav. XXXI S. 58 ff.

^ Vgl. für derartige Vorstellungen Keller Die antike Tierweltll S. 275 f

^ Maspero La Ghapelle nouvelle d'lbsamboul in Ägypt. Zeitschr. XLVIII S. 91 ff.; Jdquier Destination de l'autel d'lbsamboul in Sphinx XVI S. 109ff.

Ägyptische Religion (1910—1913) 215

in den thebanischen Tempeln der Westseite gewidmeten Räume besprach Maspero.^ Die früher vielfach als Altäre aufgefaßten Steinwürfel in den ägyptischen Tempeln deutete Je quier^ ebenso wie früher Schäfer^ als Postamente. Kyle hatte gesucht für Ägypten das Brandopfer als nicht vorhanden zu erweisen*, dem- gegenüber verwies Jequier^ auf Darstellungen der 18. Dynastie, welche die Opferverbrennung deutlich vorführen. Auch Junker^, der gleichzeitig das Menschen- und Schlachtopfer besprach, hob das Vorkommen des Verbrennens von Opfergaben hervor. Einer der Zwecke der Libationen im Grab- und Tempelkulte war, dem Körper die verlorene Feuchtigkeit zurückzugeben. Wenn •eine ähnliche Wirkung vereinzelt der Räucherung zugeschrieben zu werden scheint', so ist deren Hauptzweck doch die rituelle Reinigung und Vertreibung der Dämonen. Die Räuchergefäße der Ägypter besprach Wigand^ in Verbindung mit den son- stigen entsprechenden Gefäßen des Altertums, eine besondere Art des Gerätes erörterte Blackman.^ Über die Verwendung von Blumensträußen im Kulte äußerte sich Röder.^^

Die große Inschrift von Abydos, in welcher Ramses IL seine

^ Notes de Voyage § 14 in Ann. Serv. Änt XI S, 145 ff.

- Äutels ou piedestaux in Sphinx XVI S. 114 ff.

" Ein Tempelgerät in Ägypten in Ägypt. Zeitschr. XXXV S. 98f.

'^ E. Meyer Gesch. des Altertums, 2. Aufl. 12 S. 93 erklärte, daß Brand- opfer in Ägypten in der Spätzeit vorkämen, dagegen niemals in den Darstellungen der Denkmäler.

^ La Corribustion des Offrandes funer air es in Reo. Trav, XXXII S. 166 ff. Vgl. Märchen vom Schiffbrüchigen Z. 5 5 f.; BituaTbuch der Mut (Pap. Berlin 3053) pl. 16 Z. 3 in Hieratische Papyrus aus Berlin I pl. 49.

® Die Schlacht- und Brandopfer umd ihre Symbolik im Tempelkulte der Spätzeit in Ägypt. Zeitschr. XL VIII S. 69ff.

■^ Blackman The Significance of Incense and Libations in Funerary and Tempel Ritual in Ägypt. Zeitschr. L S. 69ff.

^ Thymiateria in Bonner Jahrbücher CXXII S. 1 ff.

^ RemarJcs on an Incense- Brazier depicted in Thuthotep's Tomb at El-Bersheh in Ägypt. Zeitschr. L S. 66ff. (Die gleiche Auffassung des Geräts bereits Wiedemann und Pörtner Ägyptische Grabreliefs zu Karlsruhe, Straßburg i. E. 1906 S. 13 f.)

^^ Die Blumen der Isis von Philae in Ägypt. Zeitschr. XLVUI S. 115 ff.

2lQ A. Wiedemann

Verdienste um die dortigen Tempel schildert, wurde von Ga uthier übersetzt^ und neu herausgegeben.^ Das Bruchstück einer Stele, welche einst ein Verzeichnis der Stiftungen Ramses' IL für den Tempel des Amon-Rä zu Karnak enthielt, wurde veröffentlicht.* In Koptos fanden sich eine Reihe von Königsdekreten des Alten Reiches, welche den Tempelbesitz und seine Angehörigen gegen die Beamtenschaft und gegen den Pharao selbst schützen sollten.* Eine Inschrift der 19. Dynastie berichtete von der Wallfahrt, die ein Priester nach Bubastis unternommen hatte.^ Eine in den Tempelreliefs häufig sich findende Darstellung zeigt den König, wie er in springenden Schritten der Gottheit sich naht. Er trägt dabei verschiedenartige Zeichen, einen Vogel und ein Bündel Stäbe, oder zwei hohe Vasen, oder ein Ruder, oder eine Geißel und ein zweites Herrschaftsymbol. Kees^ zeigte, daß hierdurch kein bestimmtes Fest, wie etwa das sehr verschieden gedeutete Sed-Fest gekennzeichnet wurde, sondern daß man nur die Eile des Herrschers betonen wollte.

Eine sehr wichtige Frage bei der Organisation des ägyptischen Kultes ist die nach dem Verhältnis zwischen den eigentlichen Priestern und den im Tempel tätigen Laien. Die Zahl der Be- ^ rufspriester an den einzelnen Heiligtümern war trotz der großen || Zahl der zu vollziehenden Zeremonien gering. Es mußten ihnen daher zahlreiche Laien zur Aushilfe zur Seite treten. Für die Zeit der 12. Dynastie geben die Papyri von Kahun

^ La grande Inscription dedicatoire d^Äbydos in Ägypt. Zeitschr. XL VIII S. 52 ff.

' La grande Inscription dedicatoire d'Äbydos (Inst. Frang. Archeol. Orient., Bill. d'Etudes), Kairo 1912.

^ Ahmed Bey Kamal Bapport sur les Fouilles faites dans la Montagne de Sheikh Said § 2 in Ann. Serv. Ant. X S. 153 f.

* R. Weill Les Decrets royaux de V Anden Empire., Paris P. Geuthner 1911; Moret Chartes dHmmunite dans V Anden Empire in Journ. Asiat. XX S. 73ff.

^ Madsen ün pelerinage ä Bouba^te in Sphinx XIII S 263 f.

'^ H. Kees Der Opfertanz des ägyptischen Königs^ Leipzig, J. C.Hin- richs 1912.

Ägyptische Religion (1910—1913) 217

über diese Leute Notizen und zeigen, daß sie genossenschaftlich organisiert waren. Neben diesen Tempelgenossenschaften gab es vermutlich andere, welche unabhängig von den Tempeln ihre Sondergottheiten, heilige Tiere usw. verehrten. Auf solche Vereinigungen weisen die griechischen Papyri hin, wenn sie von Kultvereinen in der hellenistischen Zeit^ sprechen, welche ägyp- tische Gottheiten, Isis, Pramarres, Hathor, Suchos, Thermuthis, u. a. m. verehrten und jedenfalls in Traditionen aus dem pharao- nischen Ägypten wurzelten, in dem solche Kulte mehrfach er- wähnt werden.^ Eine demotische Inschrift berichtete von der Wiederherstellung des Vorhofes der Isis im Tempel von Dendera in der Zeit des Augustus durch eine Kultgenossenschaft.^ Die Beschneidung der Priester in Ägypten, besonders in späterer Zeit, wurde eingehend besprochen.*

Osirislehre. In populärer Form schilderte Reisner ägyp- tische Begräbnisgebräuche und Unsterblichkeitslehren. ^ C u m o n t ^ wies auf die Wichtigkeit des Osirisglaubens für die Unsterblich- keitsvorstellungen der römischen Kaiserzeit hin. Die Darstellung der Jenseits -Vorstellungen von Wiedemann^ erschien in neuer Auflage. Ein Loblied auf das Reich des Todes veröffentlichte Gardiner.^ In Texten über die Unsterblichkeitslehre glaubte

^ Mariauo San Nicolb Ägyptisches Vereinswesen zur Zeit der Ptole- mäer und Römer, München, C. H. Beck 1913. * Vgl. ArcTiiü XIII S. 360 f.

^ Spiegelberg Denkstein einer Kultgenossenschaft in Dendera aus der Zeit des Augustus in Ägypt. Zeitschr. L S. 36ff.

* P. Foucart Rescrit d' Antonin relatif ä la circoncision et son appli- eation en Egypte in Journal des Savants 1911 S. Iff.

^ The Egyptian Conception of Immortality (The Ingersoll Lecture 1911), London Constable und Co. 1912. Flüchtig gemalte Szenen aas den j Begräbniszeremonien zeigte ein in Theben gefundener Sarg (G. Möller in Amtl.Ber.Berl. Kunstsammlungen XXXIII Sp. 195 ff.).

^ Les Idees du Paganisme Romain sur la Vie future in Ann. Mus. Guimet, Bihl. de Vulgarisation XXXIV.

' Die Toten und ihre Reiche im Glauben der alten Ägypter y 3. Aufl. (Der alte Orient II 2), Leipzig, J. C. Hinrichs 1910.

^ In Fraise of Death: A Song from a Theban Tomb in Proc. Soc. Bibl.Arch.XXX.Y S. 165 ff.

218 A. Wiedemann

Moret^ AndeutuDgen wirkliclier Mysterien zu finden, docli be- handeln die Texte niclit diese Lehre selbst als Geheimnis, sondern nur Zauberformeln und vereinzelt Volkskulte , denen der Schein des Geheimnisvollen eine höhere Weihe geben sollte. Wichtig war ein Werk von Budge^, vrelches die verschiedenen Anschau- ungen, die sich an Osiris knüpfen, seine Feste, seine Unsterb- lichkeitslehren zusammenstellte, durch übersetzte ägyptische Texte belegte und dabei eine Fülle ethnographischer Parallelen, besonders aus afrikanischen Gebieten, verzeichnete. Für die Totenfeiern für Osiris wichtig waren Inschriften der Ptolemäer- zeit, welche die Dämonen aufführten, denen während der zwölf Tages- und der zwölf Nachtstunden der Schutz des auferstehenden Gottes oblag, und die Formeln verzeichneten, welche die Toten- priester jeweils zu sprechen hatten, um der Klage der Hinter- bliebenen Ausdruck zu geben und dem Gotte Gaben und Schutz zu versprechen, um so seine Auferstehung zu fördern.^ Weitere Ptolemäertexte ergaben in zwei Rezensionen ein interessantes auf den Gott Thoth zurückgeführtes Dekret, welches die am Osirisgrabe im Abaton auf Bige zu vollziehenden Feiern, die dort geltenden Verbote und Gebote regelte und die klassischen Angaben über die Insel ergänzte und klarer stellte*

Der Isis- und Osiristempel zu Behbet und seine Inschriften wurden behandelt^, auf einen bereits in älterer Zeit auftretenden Zusammenhang zwischen Isis und dem Monde hingewiesen", eine Darstellung des Anubis als römischer Krieger veröffent-

* My Steves Egyptiens in Ann. Mus. Guimet, Bibl. de Vulgarisation XXXVII.

* Osiris and the Egyptian Resurrection, 2 Bde. London, Lee Warner 1911.

' H. Junker Die Stmidenwachen in den Osirismysterien nach den In- schriften zu Bendera, Edfu und Philä in DenkBchriften der Wiener Akademie Philos.-Hist. KI. LIV Nr. 1.

* H. Junker Das Götterdekret über das Abaton in Denkschriften der Wiener Akademie. Philos.-Hist. Kl. LVI Nr. 4.

^ Röder Der Isistempel von Behbet in Ägypt. Zeitschr. XLVI S. 62 fF. Edgar und Röder Der Isistempel von Behbet in Bec. Trav. XXXV S. 89ff. « Wiedemann Varia § 7 in Sphinx XV S. 132 ff.

Ägyptische Religion (1910—1913) 219

licht ^, Inschriften eines von Ptolemäus Euergetes IL errichteten kleinen Thoth- Tempels gesammelt^, Thoth selbst und sein heiliges Tier, der Hundskopfaffe, besprochen.^ Für die Deutung des heiligen Tieres des Gottes Set wurden neue Vorschläge gemacht. Borchardt wies auf Stellen hin, an denen der Schwanz des Tieres als ge- fiederter Pfeil erscheint*, doch ist diese Vorführung jedenfalls erst in einer Zeit entstanden, in welcher man den Gott Set als schädliches Wesen ansah und sein Bildnis durch diese Ver- letzung bei etwaiger Belebung unschädlich machen wollte. In dem Tiere selbst wollten Jensen^ und Bis sing'' eine Giraffe, Schweinfurth^ einen Ameisenbär erkennen, welche Geschöpfe die Ägypter sonst aber anders wie das Settier abzubilden pflegen. Newberry^ dachte an das kaum in Betracht kommende Pinsel- schwein (Potamochoerus porcus), Röder^ wie die älteren Agypto- logen mehrfach an ein Fabeltier, wofür es aber kaum phan- tastisch genug für den ägyptischen Geschmack auftritt. Unter diesen Umständen erscheint mir die von mir ausgesprochene Deutung als Okapi immer noch am wahrscheinlichsten. Gerade das frühe Vertreiben dieses Geschöpfes durch die menschliche Kultur erklärt es, wenn es so schnell schematisiert und ver-

' R. Paribeni Divinitä straniere in abito milüare JRomano in Bull. Soc. Arch. Alexandrie III S. 177 ff.

^ D. Hallet Le Kasr el-Agoüz in Mem. Inst. Frang. Archeol. Orient, du Caire XI 1909.

' Benedite Scribe et Babouin in Mem. Acad. Inscr. Beiles- Lettres. Fondation Piot XIX S. 5 ff. Eine ähnliche Gruppe wie die hier ver- öffentlichten, ist in Berlin (besprochen von Erman in Amtl. Ber. Berl. Kunstsammlungen XXXIII Sp. 12 ff.).

"* Das Sethiier mit dem Pfeil in Ägypt. Zeitschr. XL VI S. 90 f.

^ OJcapien og Guden Set in Maaneds Magasin 1909 S. 825 ff.

« Zum Sethtier in Reo. Trav. XXXIII S. 18 f.

^ Das Problem des dem Gotte Set geheiligten Tiers in Berliner Tage- blatt 17. Aug. 1913. Für den Ameisenbär vgl. Lortet et Gaillard La Faune momißee II p. 179 ff.; Reisner Amulets (Cat. Kairo) pl. 20, wo das Tier im Texte irrig als Sau gedeutet wird.

^ Archaeological Notes in Athenäum 11. Dez. 1909.

' Der Name und das Tier des Gottes Set in Ägypt. Zeitschr. L S.84ff.

220 A- Wiedemann

schiedenen anderen Tieren, in der Spätzeit bekanntlich öfters dem EseP, angeglichen wurde. Einzelbemerkungen zu dem Namen und den Mythen des Gottes Set gaben Bissing^ und Wiedemann.^ Über die besonders in ältester Zeit übliche Zerstückelung und Wiederzusammenfügung der Leichen wurde gehandelt* ebenso wie über die spätere Behandlung von Herz und Nieren bei der Einbalsamierung und die religiöse Bedeutung dieser Organe.^ Von den ägyptischen Seelenteilen wurde der Ka von verschiedenen Seiten^, vor allem von Maspero' besprochen. Die Ba- Seele des gewöhnlichen Menschen gilt als ein Vogel mit Menschenkopf^, jl während die Seele des zum Himmel auffliegenden Königs die Gestalt eines Sperbers besitzt.'' Die Bedeutung des Namens in Ägypten besprach Ballerini. ^^ In den Kreis der auch in Ägypten

^ Mit Eselkopf erscheint er als böses Geschöpf neben Schildkröte, Schlangen und Krokodil auf einem Talisman aus Edfu, publiziert von Daressy Fierre- Talisman d'Edfou in Ann. Serv. Ant. XII S. 143 f.

2 Lesefrüchte § 40 Zum Gott Seih in Bec. Trav. XXXIV S. 23 ff.

' Notes on some Egyptian Monuments § 4 in Proc. Soc. Bibl. Arch. XXXIII S. 166.

* G. Wainwright The Mite of Dismemlerment in Ancient Egypt in Petrie The Labyrinth^ London 1912. Daß die Sitte noch in der Spätzeit auftrat, zeigten die Mumien der Perserzeit bei M. A. Ruffer und A. Rietti Notes on tioo Egyptian Mummies in Bull. Soc. Arch. Alexandrie III S. 240 ff.

* EUiot Smith Heart and Beins in Mummification in Journ. Manchester Orient. Soc. 1911 S. 41ff. ; Gardiner Notes on Egyptological Questions I. c. S. 47, 78, 85.

® V. Bissing Versuch einer neuen Erklärung des Ka'i der alten Ägypter in Sitz.-Ber. Akad. München Philol. Kl. 1911 Nr. 6; Steindorff Der Ka und die Grabstatu^n in Ägypt. Zeitschr. XL VIII S. 152 ff.; Spiegelberg Zu Ka gleich Schutzgeist in Ägypt. Zeitschr. IL S. 126 f.; Weigall Miscellaneous Notes § 11 in Ann. Serv. Ant. XI S. 173 (vgl. hierzu Totenbuchvignette zu Kap. 105) ; E. Guimet Les Arnes Egyptiennes in Rev. Hist Bei. LXVIII S. Iff.

' Le ka des Egyptiens est-il un genie ou un double? in Memnon VI S. 126 ff.

^ Vgl. Waser Über die äußere Erscheinung der Seele in diesem Archiv XVI S. 836 ff.

^ Beispiele für diese Vorstellung sammelte Gardiner bei Cumont A propos de l'aigle funeraire in Bev. Hist. Bei. LXIII S. 208 ff.

*^ II nome e la sua importanza nelV Egitto antico in Bessarione V fasc. 103—7 S. 40 ff., 127 ff.

Ägyptische Religion (1910—1913) 221

verbreiteten Vorstellung, daß man seine Seele in einem außer- halb des Körpers befindlichen Gegenstande lokalisieren könne^, gehört die Herzensepisode des Papyrus d'Orbiney, bei der es sich um ein religiöses Motiv, nicht um ein * Märchen'^ handelt. Von der Publikation der Pyramiden texte durch Sethe ge- langte der zweite Band zum Abschlüsse.^ Einzelne Stellen dieser Texte wurden von Rusch* und in einer von anderen Agyptologen öfters stark abweichenden Weise von Amelineau^ behandelt. Die besonders in ihnen mehrfach erwähnte Befürchtung, im Jenseits von Kot und Harn leben zu müssen, erörterte Grapow.^ Über die Totenbuchtexte des Mittleren Reiches, die sogenannten 'Ältesten Texte', handelte Röder.^ Wichtige Totenbücher aus der 21. Dynastie, deren Textfassung mit der der 18. Dynastie übereinstimmt, veröffentlichten Naville^ und Budge.^ Zahl-

^ Vgl. Capart Les Palettes en Schiste de VEgypte primitive in Bev. Quest. Scientif. Avril 1908.

* Dies nahm Burchardt Das Herz des Bata in Ägypt. Zeitschr. L S. 118 f. an. Auf die von diesem erwähnte skandinavische Parallele hat bereits Mannhardt ' Zeitschrift für Deutsche Mythologie IV (1859) S. 250 f. hingewiesen. Vgl. auch Renouf Proc. Soc. BiU. Arch. XI S. 177 ff.

^ K. Sethe Die altägyptischen Pyramidentexte Bd. 2, Lief. 5 6, Leipzig, J. C. Hinriclis 1910.

* Zum Bau der Pyramidentexte in Ägypt. Zeitschr. XLVIII S. 123 ff. ^ Un chapitre difßcile du Livre des Pyramides in Journ. asiat. XI

Ser. I Ö. 1 ff.

® Eine alte Version von Totenbuch Kapitel 51/3 in Ägypt. Zeitschr. XLVII S. 100 ff

' Die ägyptischen' Sargtexte' und das Totenbuch in diesem Archiv XVI S. 66 ff. Anzufügen sind seiner Liste publizierter Exemplare die Särge aus Siut bei Chassinat und Palanque üne Campagne de Fouilles dans la Necropole d'Assiout {Mem. Inst. Frang. Arch. Orient. XKIY), Kairo 1911 und die oben S. 202 erwähnte Publikation von Budge aus London. Gegen die Bezeichnung 'Sargtexte' spricht, daß auch die späteren Totenbuchtexte häufig auf Särgen stehen, und ein Teil der Hör -hotep- Texte (publiziert von Maspero Trois Annees de Fouilles in Mem. Miss. Frang. au Caire I 2 ; Cat. Kairo : Lacau Sarcophages ant&rieurs au Nouvel Empire I p. 42) an den Grabkammerwänden sich findet.

^ Papyrus funeraires de la XXP dynastie^ Paris, Leroux 1912.

® The Grenfell Papyrus, London 1912.

222 ^' Wiedemann

reiche Abschriften von Einzelkapiteln des Werkes und verwandter Kompositionen ergaben Särge des Kairener Museums.^ Bebandelt wurden eingebend das 17. Kapitel von Grapow^ und in viel- fach wenig überzeugender Weise von Amelineau.^ Die theba- nischen Kapitel IB, 48, 125 besprach Grapow.* Eine im Jahre* 63 n. Chr. niedergeschriebene demotische Übersetzung des 125. Ka- pitels des Totenbuches, welche interessante Varianten ergab und auf den Ersatz einiger Sondergötter durch große Götter hinwies, veröffentlichte Lexa.^ Grapow*^ machte auf Stellen aufmerksam, an denen sich der Wortlaut des Totenbuches- (Kap. 117—49, 144—47, 179) mit dem des im Mittleren Reiche verbreiteten Zweiwegebuches deckte. Stücke aus dem eine von der Osirianischen Lehre abweichende Jenseits -Vorstellung vor- aussetzenden Buche von den Toren fanden sich in dem Grabe des Königs Hör- em -heb.'

Totenbeigaben. Die wichtigsten unter den Grabbeigaben sind die Stelen, welche abgesehen von dem Namen des Ver- storbenen zahlreiche Angaben über das private und öffentliche Leben, Tracht, Geräte, Speisen und Getränke, Beamtentum, die verschiedenen Ausgestaltungen des Totenkultes* und die Toten-

* Cat. Kairo: Daressy Cercueüs des Cachettes Royales, Kairo 1909; Moret Sarcophages de Vepoque Bubastiste ä Vepoque Saite, Fase. 1, Kairo 1912 und in dieser Beziehung besonders ergiebig Gauthier CercueiU anthropoides des Pretres de Montou, 2 Bde. Kairo 1912. Ferner Cledat Un Couvercle de Sarcophage anthropoide de Teil el-MasTchoutah in Ann, Serv. Ant. IX S. 211 f. (Kap. 72).

' Das 17. Kapitel des ägyptischen Totenhuches und seine religionS' geschichtliche Bedeutung, Diss. Berlin, B. Paul 1912.

' Etudes sur le chapitre XVII du Livre des Morts dans Vancienne Egypte in Journ. Asiat. XV S. 395 ff., XVI S. Iff.

* Beiträge zur Erklärung des Totenbuches in Ägypt. Zeitschr. IL S. 42 ff. ^ Das Demotische Totenbuch der Pariser Nationalbibliothek (Demotische

Studien herausgeg. von Spiegelberg Heft 4), Leipzig, J. C. Hinrichs 1910.

* Zweiwegebuch und Totenbuch in Ägypt. Zeitschr. XLVI S. 77 ff.

^ Sehr schöne Publikation von Th. M.Davis, Maspero, Daressy und Crane The Tomhs of Harmhabi and Toutdnkhamanou , London, Constable und Co. 1912.

Ägyptische Religion (1910—1913) 223

götter ergeben. Die Bearbeitung dieses Materials durch Pörtner^ war für Kultur- wie für Religionsgeschichte sehr ergebnisreich. Über die Opferformel des Alten Reiches gab Sottas^ einige Bemerkungen, über das Dekret zugunsten des Grabtempels des Amenophis, des Sohnes des Hapu, zu Der el Medinet handelte Möller^, über die Aufstellung von Obeliskenpaaren vor Gräbern^ und einen kleinen Holzobelisken, in welchem eine wie eine aus- getrocknete Mumie aussehende Ebenholzfigur lag, Bissing.^

In den TJschebti- Statuetten sind zwei ursprünglich gesonderte Grabbeigaben zusammengeflossen: die Statuen des Verstorbenen selbst und die seiner Diener in ihren Berufsstellungen. In späterer Zeit wird letztere Bestimmung weit stärker hervorgehoben und bezeichnet man die Statuetten geradezu als Diener des Ver- storbenen.® Eine weitere Grundlage der Uschebti bildeten Dämonen, welche für den Toten zu sorgen und seiner vor Osiris zu gedenken hatten und die zu den Unterweltgöttern und zu dem Sonnengotte in Beziehung standen. "^ Ein eigenartiges Mittel, um Uschebti - Statuetten gegen die Usurpierung zu schützen, war

^ Die ägyptischen Totenstelen als Zeugen des sozialen und religiösen Lehens ihrer Zeit (Studien zur Greschichte des Altertums herausgeg. von Drerup IV Heft 5), Paderborn 1911.

^ Quelques Variantes du 'Proscyneme' sous Vancien Empire in Rec. Trav. XXXIV S. 25 ff.

^ Bas Dekret des Amenophis, des Sohnes des Hapu in Sitz.-Ber. Akad. Berlin 1910 S. 932 ff.

^ V. Bissing Lesefrüchte § 38 Obeliskenpaare vor Gräbern in Rec. Trav. XXXIV S. 21f.

^ Die älteste Darstellung eines Skeletts in Ägypt. Zeitschr. L S. 63 ff.

L ® Spiegelberg Zu der Bedeutung der Totenstatuetten in Ägypt. Zeitschr.

|IL S. 127.; Diesen Charakter der Statuetten als 'Ernährer' betonen Mahler

Notes on the funeral statuettes of the ancient Egyptians commonly called

Ushdbti figures in Proc. Soc. Bibl. Ärch. XXXIV S. 14 6 ff., 179 und Pierret

The Ushabti Figures 1. c. p. 247.

^ Wiedemann Die Uschebti- Formel Amenophis' LIL in Sphinx XVI S. 33 ff. Wachsfiguren der vier Totengenien, die hierbei vor allem in Betracht kommen, kommen mehrfach vor: vgl. z. B. solche des Amset und Hapi bei Nash Notes on some Egyptian Antiquities § 73 in Proc. Soc. Bibl. Arch. XXXV S. 197.

224 -A-, Wiedemann

es, den Namen des Besitzers unter der Glasur anzubringen.^ Der Name war dann für irdische Augen unerkennbar, kennzeichnete aber für Jenseitszwecke die Statuette in genügender Weise.

Neue Formeln von Canopen etwa der 26. Dynastie veröffent- lichte Daressy.^ Von sonstigen Grabbeigaben wurden zahl- reiche Opferplatten mit häufig schönen Bildern der Opfergaben ^ und eine lange Reihe von Bootsmodellen* herausgegeben. Letztere sollte der Tote in wirkliche Boote verwandeln, um Schiffahrten veranstalten und besonders dem Gotte Osiris in Abydos seine Aufwartung machen zu können.

Magie und Amulette. Auf die schöpferische Kraft des Wortes in Ägypten ging Moret^ ein. Formeln, durch welche die Götter bedroht wurden, um dem Verstorbenen zu Willen zu sein, stellt Grapow^ zusammen. Auch in der ägyptischen Medizin war die Zauberformel sehr wichtig, da es sich hier in erster Reihe darum handelte, den die Krankheit erregenden Dämon zu vertreiben. So enthält denn auch der große medizinische Papyrus zu Berlin' wesentlich Formeln gegen Dämonen. Spezial- formeln für Mutter und Kind^ und 2:ur Beförderung der Men- struation'-^ ergaben andere Texte.

Über die ägyptischen Amulette handelte Wiedemann^^ und

^ Maspero Sur une variete de figurines funeraires inconnue jusqu'ä present in Ann. Serv. Ant. IX p. 285 f.

^ Canopes ä formules nouvelles in Ann. Serv. Ant IX p. 152 f.

' Cat. Kairo : Ahmed Bey Kamal Tables d'offrandes 2 Bde., Kairo 1906—9.

* Cat. Kairo: Gr. A. Reisner Models of Ships and Boats, Kairo 1913.

'^ Verhe createur et revelateur en Egypte in Rev. Hist. Bei. LIX p. 279 ff.

^ Bedrohungen der Götter durch den Verstorbenen in Ägypt. Zeitschr. IL S. 48 ff.

' W. Wreszinski Der große Medizinische Papyrus des Berliner Museums (Pap. Berlin 3038), Leipzig, J. C. Hinrichs 1909.

^ Hieratische Papyrus aus den Kgl. Museen zu Berlin^ III. Heft 2, Leipzig, J. C. Hinrichs 1911. Vgl. Erman Zaubersprüche für Mutter und Kind in Abh. Akad. Berlin 1901.

^ Spiegelberg .4ms der Straßburger Sammlung demotischer Ostraka in Ägypt. Zeitschr. IL S. 34 ff.

^^ Die Amulette der alten Ägypter (Der alte Orient XII 1), Leipzig, J. C. Hinrichs 1910.

Ägyptische Religion (1910-1913) 225

hob hervor, daß bei ihrer Beurteilung diejenigen Gestaltungen auszuscheiden seien, welche nur als Grundlagen für die Er- schaffung von Gebrauchsgegenständen, nicht als Zaubermittel dienen sollten. Yon Einzelamuletten wurden veröffentlicht und erörtert ein Lotussäulchen mit dem Kapitel 159 des Toten- buches ^, zahlreiche Skarabäen mit heiligen Zeichen^, die Kopf- stütze, die aus einer Vorlage für einen Gebrauchsgegenstand all- mählich ein Amulett wurde ^, und mehrere Hypocephale.^ Das Zeichen des Lebens stellt eine zusammengebundene Schleife, allem Anscheine nach das ägyptische Gürtelband, dar und ge- hört in die lange Reihe der Knotenamulette. In ihm sah Wünsch ^ mit Recht die Grundlage des Antoniterkreuzes und damit des Wappens der Universität Gießen. Ein Zaubermittel, um einen Dieb zu entdecken, bei dem ein Bild des Ut'a-Auges eine Rolle spielt, schilderte Jacoby.^ Einen Torso aus Bubastis mit magi- schen Texten und Bildern, ähnlich denen der Metternich- Stele, ver- öffentlichte Dare«sy^, zwei demotische Horoskope Thompson.^

^ Weigall Miscellaneous Notes § 8 in Ann. Serv. Änt. XI p. 172.

' A. Grenfell The rare Scardbs, etc. of the New Kingdom in Rec. Trav. XXXII p. 113 ff.

' Naville Les amulettes du chevet et de la tete in Ägypt. Zeitschr. ' XLVIII p. 107 ff. ; vgl. Wiedemann Amulette S. 27 ff. Die auf manchen I Stücken erscheinende Darstellung der einen Dämon mit Pfeilen erschießen- den Neith machte Daressy Ann. Serv. Ant. X p. 177 ff. zugänglich. j * Nash Notes on some Egyptian Antiquities § 53 54 in Proc. Soc.

\ Bibl Arch. XXXIII p. 106 ff.

° Das Antoniterkreuz in Hessische Blätter für Volkskunde XI S. 49 ff.

^ Ein hellenistisches Ordal in diesem Archiv XVI S. 122 ff. i "^ Quelques inscriptions provenant de Bubastis § 2 in Ann. Serv. Ant.

'XI p. 187 ff.

^ Demotic Horoscopes in Proc. Soc. Bibl. Arch. XXXIV p. 227 ff.

Archiv f. Eeligionswissenscliaft XVII 15

2 Iramsche Eeligioa 1900-1910

Von Edv. Lehmann in Lund

Das Archiv liat bis jetzt keinen Literaturbericlit zur irani- scTien Religionsgeschiclite gebracht; vielleicht ist es nicht zu spät, dieses für die Periode 1900 1910 nachzuholen. Im vor- aus sei gesagt, daß diese Periode nur wenige größere Werke geschaffen hat. Seit James Darmesteters Tod, seitdem E. W. West seine Pehleviübersetzungen für die Sacred Books of the East beendigte und K. Geldner sich wesentlich der Indologie zugewandt hat, ist kein eigentlicher Führer der Studien auf- getreten; auch war mit Geigers und Kuhns Grundriß der iranischen Philologie, der vor 1900 wesentlich beendigt war^ ein relativer Abschluß der Forschungsperiode erreicht.

An Interesse für das Iranische fehlt es jedoch nicht, und gerade die Religionshistoriker wenden sich den iranischen Reli- gionsbildungen eifriger zu als früher; die weltgeschichtliche Bedeutung der persischen Kultur und Religion ist mit dem Fortschreiten der historischen Erkenntnis immer einleuchten- der geworden. Besonders deutlich tritt diese durch die Er- gebnisse der deutschen Turfanexpedition ans Licht; die Herr- schaft des Manichäismus, der Einfluß des Parsismus auf Juden- tum, Hellenismus und Christentum sind Probleme, die sich, immer mehr in den Vordergrund drängen.

Hoffentlich werden diese großen Aufgaben jetzt jüngere Ge- lehrte auf den Gedanken bringen, sich direkt als Iranisten zu be- tätigen, so wie es früher Darmesteter, Spiegel und Justi waren und heute noch Mills und Jackson und in der deutschen Wissenschaft

Iranische Religion 1900—1910 227

Andreas und Marquart sind. Sonst war es ja immer der Fluch der Iranologie, daß sie als NebenfacH von Sanskritisten (wie Roth^ Hang, Geldner) oder von Arabisten (wie Nöldeke und Goldziher) getrieben wurde. Der Fluch ist aber inso- fern ein unabwendbarer, als das iranische Gebiet immer nur von dem als Indologen und Semitisten Geschulten mit Erfolg betreten werden kann. Solange das Iranische aber auch offiziell als Nebenfach betrachtet wird, kann man nicht gut verlangen, daß junge Menschen es zum Hauptfach wählen und sich bereit erklären, die ungeheuren Schwierigkeiten überwinden zu wollen, die der eigentlichen Forschung im Wege stehen. Noch gibt es aber in Deutschland keine ordentliche Professur für das Iranische (in Oxford besteht seit Jahren eine); keine Zeitschrift, kein Ar- chiv, kein Museum hat sich in Europa iranische Wissenschaft und Kultur zur alleinigen Aufgabe gemacht. Ich bin so hoff- nungsfreudig, zu erwarten, daß dieses in absehbarer Zeit geschehen wird, einfach weil es der Sachlage nach geschehen muß.

Glücklicherweise sind indessen die ^' achkommen der alten Zarathustrischen Kirche, die Parsigemeinde in Bombay, für ihre Religion und ihre Vorzeit genügend interessiert, um aus der Sache vollen Ernst zu machen. Sie haben z. B. The So- ciety for the Promotion of Researches into the Zoroastrian Reli- gion gegründet, und, da die Parsis gewöhnlich sehr wohlhabend sind, der iranischen Wissenschaft bedeutende Geldmittel zur Verfügung stellen können (so z.B. The Parsee Punchayet Fund); sie haben eine selbständige wissenschaftliche Zeitschrift ^Zartoshti' (seit 1904) gegründet und stiften für eigene und europäische I Gelehrte, die sich der Erforschung ihrer Religion gewidmet haben, kostbare Festschriften. So erschien im Jahre 1908 ein Spiegel Memorial Volume Papers on Iranian subjects written by various scholars in honour of the Late Dr. Frederic Spiegel. Ed. by J. J. Modi, Bombay, Brit. India Press LXX, 307. Diese Denkschrift für Spiegel enthält nebst Einleitung mit Biographie von Spiegel und Verzeichnis seiner Schriften

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37 kürzere Abhandlungen, meist von Parsi-Gelehrten, gemisch- ten, doch wesentlich religionsgeschichtlichen Inhalts. Als be- sonders wertvoll sind hervorzuheben: Nr 8. P. B. Desai Ira- nian mythology, ein genaues Verzeichnis über indo- iranische Namen und Mythen. 9. E. S. D. Bharucha On the accurate pronounciations of the Avesta (die traditionelle Aussprache der Parsis). 10. E. Wilhelm Analogies in Iranian and Armenian Folklore. 14. R. F. Gorvala The Immortal Soul (die Psychologie der Pehlevischriften). 23. L. H. Gray Mäonha gaocithra ^Über den Samen des Stiers im Monde', über das Prinzip der Fruchtbarkeit, das einerseits als Tau erklärt, andrerseits mit Haoma (Soma) identifiziert wird. 26. G. C. 0. Haas An Avesta Fragment on the Resurrection. (Fr. W. 4.) 29. E. M. R. Un- vala A Few Parsee Festivals. 30. R. E. Sanjana What is the first principle of things according to Zarathustrain doctrine? (Charakteristisch für den Rationalismus der modernen Parsis: von ihrer Religion wird hier behauptet, daß sie ganz genau mit der okzidentalischen Wissenschaft stimmt.) 32, A. W. Jack- son A historical Sketch of Ragha. Endlich eine sehr will- kommene etymologische Untersuchung von ahurischen und ahrimanischen Wörtern von L, Frachtenberg (Nr, 36).

Auch dem größten der Parsi- Gelehrten, dem im Jahre 1898 verstorbenen Hohenpriester der Bombay- Gemeinde Behrämji Sanjäna zu Ehren wurde eine Festschrift nach seinem Tode von der Gemeinde gestiftet, nämlich: Avesta, Pahlavi and an- cient Parsee (?) Studies in honour of the late Shams-ül-Ülama Dastar Peshotanji Bahramji Sanjana (Lpz. 1904). E.W.West hat in einer kurzen Einleitung sein Lebenswerk und seine Ver- dienste ins schönste Licht gestellt: ^In most cases he has been the most advanced pioneer in his translations, well in advance of grammars and glossaries; it is doubtful whether any one could have done better at the same period'. Sein Hauptwerk, die Ausgabe und Übersetzung der Pehlevischrift Dinkard, wird nach seinem Tode von seinem Nachfolger Dastur Darebji fort-

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gesetzt Die Festschrift enthält neben Übersetzungen von Geldners ^Avesta-Litterature' im 'Grundriß' und von Justis Zarathustra in den Preuß. Jahrb. 88 eine Reihe Originalarbeiten von europäischen Iranisten. Zunächst Textausgaben und Versionen: 'The Pahlavi Jamasp Nämak' teils in Pehlevitext nach einer Handschrift des Behramji Sanjana, teils in korri- gierten Päszend nach Haugs MS. Nr. 7 alles von West selbst besorgt. Derselbe bringt eine Transkription und Über- setzung von Pehlevi Jasna 32 und (im Appendix II) die erste Serie vom Pehlevi-Text des Zäd-sparam. Casartelli gibt ein Dinkart- Fragment (III 9) im Anschluß an seinen Beitrag zu den Melanges Charles de Harlez (Leiden, Brill 1896, 41 43), wo er eine Übersetzung des ersten Teils des Dinkart gebracht hatte; Geld n er eine Übersetzung von Vendidad XYIII samt einer Deutung von Jasna 10, 14, wo er nunmehr värema liest und als Herz (hrdj 'Inneres' übersetzt; die früheren Über- setzungen, auch Geldners eigene, waren unbefriedigend. Ebenso bringt Jackson eine neue Deutung von Js. 50, 7. Paul Hörn brachte Inschriften aus Sasanidischen Gemmen und eine Deutung der Behistun -Inschrift; die letztere wird im Appendix I von einem 'Admirer' gedeutet. Mills weist durch eine Über- setzungsprobe die Ähnlichkeit der Gätha- und Sanskritsprache nach. Geiger gibt eine kurze Beschreibung der iranischen Hindukush- Dialekte Munjäni und Yüdgha. Kuhns Nachweis, daß die in Yäskas Nirukta 2, 2 erwähnten Kambodja Iranier waren, und zwar Zoroastrier, die schädliche Tiere {Mrafstra) töteten, ist für die Yerbreitungsgeschichte des Parsismus inter- essant. E. Wilhelm gibt eine übersichtliche Beschreibung der Parther und Gray Beiträge zum Avestischen Kalender, wesentlich Übersetzungen von Chrysosokkes und anderen einschlägigen Tex- ten, die alle das persische Jahr auf 365(12x30-1-5) Tage setzen und ferner von Schaltmonaten und Schaltjahren sprechen.

Wir gruppieren die weitere Literatur nach dem Inhalt ohne Rücksicht auf die Zeitfolge.

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Unter den enzyklopädischen Arbeiten sei auf einzelne Artikel in Hastings' Encyclopaedia of Religion and Ethics (seit 1908, bis jetzt 5 Bände bis Art. Fichte) aufmerksam gemacht. Die meisten Iranisten geben diesem Werke Beiträge: In Bd. I z. B. Cumont Anähitä; Edwards Altar; E. Lehmann Ancestor worship; Söderblom Ages of the world; Jackson Ahriman, Amesha Spentas; Mills Ahuna Yairya; Grray, Abandonment and exposure; Achaemenians. In Bd. II: Söder- blom Ascetism; Jackson Avesta; Gray Calendar; Mills Barsom; Modi Birth; Casartelli Celibacy; Söderblom Communion with the Deity; Lehmann Commuiuon with the dead; Gray und Modi Childern; Casartelli Charms and amulets. Eine Übersicht über die Verfasser der Artikel findet sich vorn in jedem Band. In ^Die Religion in Geschichte und Gegenwart' (seit 1909) schreibt Geldner die Artikel über Zarathustrisches; Hauptartikel ^Avesta' und ^^erser, Parsismus' (mit Hinweisen auf die anderen Artikel).

Von allgemeinen Geschichtswerken, die den Parsismus behandeln, berührt Ed. Meyers Geschichte des Altertums 11,2 (2. Aufl., 1909, Stuttgart, Cotta) nur punktuell die zoroastrische Religion; er geht hier überall von der Voraussetzung aus, daß Zarathustra als historische Person und zwar als Gründer der Avestatheologie zu betrachten ist. Dagegen enthält Bd. III (1901, Das Perserreich und die Griechen) eine sehr treffende Skizze der religiösen Verhältnisse unter den Achämeniden, be- sonders der Entwickelung des Polytheismus und der gegen fremde Kulte (z. B. den jüdischen) erwiesenen Liberalität. Über den Zeitpunkt des Auftretens der Zarathustrischen Religion siehe unten S. 247. J. 0. Präsek widmet in seiner Geschichte der Meder und Perser (I, IL Gotha, Perthes, 1906 10) der Frage nach Dareios' Verhältnis zur Zoroastrischen Religion ein Kapitel (Bd. II, Kap. XI, § 33), in dem er, nach CasarteUis Vorgang, die Religion des ersten Achämeniden aus den In- schriften herauszulesen versucht. Er schildert das * arische

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Gesetz' des Dareios als ein Rückgreifen auf den altarischen Naturkultus, das als eine Reaktion gegen das rein Formelle des medischen Magismus auftrat. Auch der Magismus wird (S. 116 117) als ein Naturkult (Feuerkult, chthonischer und Schlangenkult) beschrieben. Mit der Avestareligion haben diese Konstruktionen, die das Material sehr frei verwerten, nichts zu tun; der Verfasser scheint auch geneigt, die Avestatheologie in eine spätere Periode zu verlegen, jedenfalls will er die Zoro- asterlegende auf das Ende des 5*®^ vorchr. Jahrh. datieren und überhaupt die Gestalt des Zarathustra aus der Geschichte ver- weisen (cf. 123 124); er argumentiert bei diesen Behauptungen aus dem Schweigen der Inschriften und der altgriechischen Geschichtsschreiber und läßt das Avesta selbst als angeblich späteres Erzeugnis außer Betracht. (S. die Rezensionen von Jackson Am. bist. Rev. 16, p. 102 4; Sanda Wochenschr. f. klass. Phil. 27, Sp. 1361— 63; Houtsma Museum Leiden 17, S. 338 40; Hommel Berl. phil. Wochenschr. 29, 756—59; Hoffmann-Kutschke Rec. d. trav. 32, 1895; Glotz Rev. hist. 101, p. 134; vgl. ferner Ed. Meyers Replik gegen Präsek, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. 42, 22: „den ursprünglichen Aus- gangspunkt der arischen Bewegung im heutigen Armenien zu suchen was eine für den Verfasser eines Spezialwerkes über die ältere iranische Geschichte geradezu erstaunliche Unkennt- nis der Tatsachen zeigt".)

Zu A. Hoffmann-Kutschkes vielumstrittener Schrift ^ Die Wahrheit über Kyros, Därajawausch und Zarathuschtra', Stuttgart, Kohlhammer, 1910, vergleiche die ausführliche scharfe Kritik von F. H. Weißbach, ZDMG 63, 830 46 (dagegen E. Herzfeld, ebenda 64, S. 63 f. und F. Bork 64, 569—80; vgl. wiederum Weißbach, ebenda 67, 271 ff.). Sie ist von tem- peramentvoller Polemik so stark durchsetzt und bespricht so vielerlei auf einmal, daß es kaum möglich ist, den Faden der Darstellung festzuhalten. Wo die Wahrheit auf einem Titel- blatt prangt, hat sie sich häufig auch dadurch erschöpft und

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ist im Buche selbst spärlicher vertreten. Als Probe der Re- sultate sei S. 16 hingestellt: „Mit der Tatsache, daß Wistäspa der jüngeren Linie der Achämenidenkönige angehört, wie das Avesta es bezeugt und die Keilinschriften, ist aber auch ge- geben, daß der Wistäspa, Vater des Sfentadata (neupers. Isfendiar), der Wischtaspa der Keilinschriften, der Vater des Därajawausch ist und daß Sfendata Name des Därajawausch ist und sein muß." Als Beispiel seiner Methode diene S. 29: „Da Indien vom Aus- gangspunkte der Indogermanen (Europa) weiter entfernt ist als Iran, so muß auch aus diesem Grunde sowohl Religion wie Sprache schon des alten Indiens weniger ursprünglich sein als Religion und Sprache Altirans, abgesehen davon, daß das Alter der Veden^ selbst des Rigveda ein [sehr geringes." ist über die ^arische Bewegung im Iranismus' schreibt G. sing Die iranische Überlieferung und das arische System (Mythol. Bibl. II, 2. Heft, Leipzig, Hinrichs 1909; rezensiert von H off- mann-Kutschke, Rec. d. trav. 32, 187 89 und E. Siecke Or. L. Z. 1910, 165 167). Hüsing, der die alt- indogerma- nischen Mythen für Mondmythen hält, beschreibt in diesem Geiste die vorzarathustrische Religion der iranischen Arier. Nach zwei einleitenden Abschnitten über das arische System untersucht er philologisch die iranische Überlieferung, um sich in einem 4. Hauptabschnitt dem Keresaspa- (Krsaaspa-) Mythus vom Schlangentöter zu widmen. Er führt alle iranischen Schlangentöter auf diesen einen zurück, dessen Mythus er als Mondmythus deutet. Dieses sei der eigentliche Körper der iranischen Religion, Zarathustras viel spätere Lehre wird als lauter Abstraktionen bezeichnet, die zum iranischen Volkstum keine Beziehung habe. Zarathustras Name deutet Hüsing (Der Name Zarathustra, 0. L. Z. 8, Nr. 3) als Trankopfer = Staude = Haoma, jedenfalls ein sehr ironischer Name für einen Mann, der von diesem Gewächs und Getränk nichts wissen will. Seine Mond-Theorie hat Hüsing in Kürze im A.R.W. IV, 349 357 * Iranischer Mondkultus' dargelegt.

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J. P. Kapadia History of the rise and fall of the Parsi Em- pire from the remotest times up to its Subversion by the Arabs vol. 1, Bombay 1906, ist von R. P. Karkaria in As. qu. Rev. 24, 195 98 rezensiert. J. Marquarts grundgelehrte Unter- suchungen zur Geschichte von Eran, deren zweiter Teil im Supplemeiitband X des „Philologus" 1905 erschien. , beschäftigen sich durchweg mit profan-historischen und geographischen Fragen. Das Kapitel „Die Namen der Magier" bringt nur späten legen- darischen Stoff über die heiligen drei Könige; im Stück 0 „Die Chronologie des Kambyses und der Lügenkönige und der altpersische Kalender" kommt der Verfasser auf die religiösen Motive des Magiermordes und der Tat des Dareios zu sprechen „Er fühlte sich ohne Zweifel als ein neuer Fredün, welcher dem in Gaumätä wiedererstandenen Drachen Dahäka, der Ver körperung aller Ungesetzlichkeit und Gewalttat, den Kopf zer- schmetterte. Freilich erschien Gaumätä seinen Standesgenossen, den Magiern, in ganz anderem Lichte. Ihnen war er der Vor- kämpfer für die reine Mazdalehre, wie sie die Magier Mediens weiter ausgebildet hatten, und im Kampfe für diesen Glauben war er als Märtyrer gefallen (S. 136). Seiner Vorstellung von der Bedeutung der Tat entsprechend wählte Dareios mit Be- dacht den altpersischen Neujahrstag zur Ermordung des Usur- pators, nämlich den Tag, an dem das Ungeheuer erschlagen worden war." Das Mihragänfest als ehemaliges Neujahrsfest wird S. 132 36 im einzelnen besprochen und beschrieben. Bei der näheren Besprechung des altpersischen Kalenders tritt Alarquart für dessen volle Abhängigkeit vom babylonischen ein. „In der Tat entsprechen den altpersischen Monatstagen der Behistaninschrift an den wenigen Stellen des babylonischen Textes, an denen die Datumsangaben erhalten sind, stets die gleichen Tage des dem altpersischen substituierten babylonischen Monats. Da nun das babylonische Jahr gleich dem altgriechi- schen ein gebundenes Mondjahr mit abwechselnd 29 und 30 Tagen war" (das von Herodot 1, 32 erwähnte persische Jahr

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von 12 mal 30 Tagen hat es in Wahrheit nie gegeben, vgl. ': S. 203 204), „das alle paar Jahre durch Einschiebuag eines f ganzen Monats mit dem Sonnenjahre ausgeglichen wurde, so daß sein Beginn immer wieder auf das Frühlingsäquinoktium zurückwich, so war eine solche Übereinstimmung der persischen mit den babylonischen Monaten selbstverständlich nur möglich, wenn die Perser auch das ganze Schaltsjstem der Babylonier übernommen hätten. Dieses kann aber keinesfalls einfach und allgemeinverständlich gewesen sein, da es bis heute nicht ge- lungen ist, die für dasselbe gültigen Regeln aus den Texten}: abzuleiten. Es war also uu zweifelhaft schwierig zu handhabeu, ' und daraus würde von selbst folgen, daß die Perser für die Regelung ihres Kalenders fortdauernd von den sternkundigen Babyloniern abhängig blieben" (S. 192).

Von weiteren Arbeiten zur allgemeinen persischen Geschichte sind zu bemerken: F. C. Andreas Über einige Fragen der ältesten persischen Geschichte (Verh. 13. Orient. Kongreß S. 93 bis 99), besonders über die Nationalität des Kyros. J. Wells The persian friends of Herodotus, Journ. of Hellenic Studies 27 p. 37 47. Arthur Chris tensen Det mediske Dynasti hos Herodot og Ktesias (Nordisk tidsskrift f. filologi, 3 Räkke 19, 89 101). Ders. L'empire des Sasanides; le peuple, Tetat, la cour (Det kgl. danske Vidskbs. Selskabs Skr. 7 Räkke hist. filos. afd., Köbenhavn 1907, 120 p.), das in gefälliger Darstel- lung, auf Grund selbständiger Forschungen, ein gutes Bild der sasanidischen Kultur gibt. E. S ach au Von den rechtlichen Verhältnissen der Christen im Sasanidenreiche (Mitt. d. Seminars f. Orient. Sprachen in Berlin X 2 S. 69 95) bringt höchst interessante Aufschlüsse über die Toleranz vor und im Islam; über sasanidische Toleranz besonders S. 72 73: „Das Christen-; tum ist zu allen Zeiten der Sasanidenherrschaft toleriert wor- den, selbst in den Zeiten der heftigsten Verfolgung. . . Unter den Augen der Regierung hat sich das orientalische Christen- tum in der Reichshauptstadt in den Synoden von 410 und 420

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seine Verfassung gegeben. . . Aphraates verfaßte seine Homi- lien zur Zeit der ärgsten Christenverfolgung unter Sapor IL, läßt aber durch nichts erkennen, daß nicht der christliche Gottes- dienst zu seiner Zeit ungestört und in gewohnter Weise aus- geübt worden sei. . . Es ergibt sich als wahrscheinlich, daß die Sasanidenkönige nach dem fehlgeschlagenen Versuche Sapors II. von der Ausrottung oder Bekehrung der Christen zum Magismus als von einem aussichtslosen Beginnen Abstand genommen haben." Allg. Literaturgeschichte. Neben den literaturgeschicht- liehen Abschnitten im Grundriß der iranischen Philologie von Geldner, West, Nöldeke und Hörn, die schon früher er- schienen waren, steht P. Horns Geschichte der persischen Litera- tur (Leipzig, Amelang 1900), die in einer für den Nichtfach- mann berechneten Kürze und in gefälliger Darstellung der Avestaliteratur eine geschmackvolle Auswahl übersetzter Text- fltücke bietet. Das Hauptwerk auf dem Gebiete der späteren persischen Literatur ist E. G. Browne A literary history of Persia, London 1902: in der Tat eine persische Geschichte, die über alle Hauptbegebenheiten der geistigen Entwickelung ein festes und klares Wort spricht. Bezüglich des Awesta verhält Verfasser sich wesentlich referierend; von der sasani- dischen Periode tritt Browne als selbständiger Kenner auf und gibt meisterhafte Skizzen von der Kultur der Sasanidenzeit, dem Manichäismus, Mazda und dem Sufismus.

Reisewerke, Ausgrabungen, Archäologisches. Eine erfreuliche Reisebeschreibung ist die von A. V. Will. Jackson Persia past and present, N. J. Macmillan 1906, 471p.). Wenn sin so allseitiger Iranist Persien bereist, wird er vieles bemerken Lind erzählen können, was anderen Reisenden entgeht. Seinem Tage- 3uche folgend, ergeht er sich in gelehrte Digressionen bald über al- lere, bald über neuere religiöse Verhältnisse (z. B. über den Babis- nus). Ein ganzes Kap. (VII.) widmet er dem „Zoroaster and the \vesta". Jackson verläßt sich bekanntlich sehr auf die antike und )ersische Tradition über Zarathustras Leben, und er hatte seinen

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Reiseplan sozusagen nach diesem Standpunkt zurechtgelegt ('I used my own volume on the Prophets life as a sort of hand- book for my journey' S. 69). Deswegen hat er sich mit Vorliebe auf dem angeblichen Geburtsort Zarathustras, Urumiah aufge- halten und hier Ausgrabungen unternommen; in Kanzavar hat er einen Anahitatempel untersucht. Dem zarathustrischen Gottesdienst in Shiraz und Yezd hatte Jackson Gelegenheit beizuwohnen; er beschreibt auch Hochzeits- und Bestattungs- gebräuche aus diesen Gegenden, überall hat der Beobachter sein literarisches Wissen zur Hand und belebt und erklärt das Gesehene durch das Gelesene. Beigegeben sind viele gute Illu- strationen nach photographischen Aufnahmen. Ferner hat Jackson aus seiner Reise in Indien in Journ. Amer. or. Soc. 21, 321 über eine Yasna- und eine Navjot-Zeremonie berichtet, die er dort erlebte; dabei beschreibt er gleichzeitig Sanjan, die erste Heimat der Parsis in Indien.

Ella C. Sykes Persia and its people, London, MethuB 1910, bietet wenig Stoff von antiquarischem Interesse. Merk- würdig ist die Beschreibung der persischen Frauen und ihres elenden Loses, weil die Perser sich sonst immer durch Ehrung der Frauen auszeichneten und weil bei mehreren von persischer Kultur berührten Stämmen (z. B. im Kaukasus) noch immer Spuren von diesem Vorzug nachzuweisen sind. Hugo Grothes ^Wan- derungen in Persien; Erlebtes und Erschautes' ist von M. Hartmann in Orient. Archiv 1 p. 223 ff. besprochen. Nicht zu- gänglich waren mir J. Adams Persia by a Persian: Personal experiences of manners and customs and social life in Persia, London, Stock 1906, 536 pp. und Nweeya S. Kasha Persia, the land of the magi or the home of the wise men; a de- scription of Persia from the earliest ages to the present time. 3*** ed. 1907, Harrasowitz. Die archäologischen Arbeiten im persischen Boden waren wesentlich von der großen Morgan - Expedition absorbiert, deren Arbeiten teils in den offiziellen Berichten (Delegation en Perse, Memoires publiees sous ]a

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direction de J. de Morgan), teils in Einzeldarstellungen wie J. de Morgan Les travaux de la delegation scientifique en Perse und desselben L'histoire de l'Elam d'apres les materiaux fournis par les fouilles en Perse (Rev. arch. 40, p. 149 71); C. Fossay Les fouilles de la delegation Fran9aise en Perse, Journ. des Savants 1904-, A. Huart Les resultats linguistiques de la mission de Morgan en Perse (Yerh. 13. Orient. Kongr. S. 117f.); F. V. Andrian Die französischen Ausgrabungen in Elam 1897 bis 1902 (Corresp. Bl. d. Gesellsch. f. Antbropol. 33 S. 100-105) veröffentlicht sind. j Inschriften und Verwandtes. L. Mills The stone sculp- i tured texts and the manuscripts of old Persia; their harmony j and authority (As quart. Rev. 28); F. Sarre und E. Herz fei d I Iranische Feldreliefs, Aufnahme und Untersuchuncr von Denk- I m'älern aus alter und mittelpersischer Zeit, Berlin, Wasmuth 1910; j F. H. Weißbach Über die Inschriften des Darius Hystaspes 1 von Naks -i- Rustam, Leipzig, Teubner 1910; F. H. Weiß- (bach und W. Bang Die altpersischen Keilinschriften in Um- ! Schreibung und Übersetzung, Leipzig, Hinrichs 1908; Ho ff mann - Kutschke Die altpersischen Keilinschriften des Großkönigs Därajawaush bei Behistün, Stuttgart, Kohlhammer 1909, rez. von Präsek, Glob. 96 S. 81; L. Mills Behistün (Hasting's Eucyclop. Relig. Ethics II 450 54). Die Deutung der wenigen .und leichtverständlichen altpersischen Keilinschriften steht ja im lallgemeinen fest; der Akribie der Herren Weißbach und Bang ver- danken wir jetzt eine abschließende Bearbeitung, die die früheren lAusgaben und Übersetzungen von Spiegel und Oppert ablöst. jFür eine Erweiterung des inschriftlichen Materials haben Sarre fund Herzfeld gesorgt. Zum Schluß sei auf die numismatische jArbeit des inzwischen verstorbenen Theodor Bloch Die Zoro- astrischen Gottheiten auf den Münzen der Küsana-Könige (ZDMG j64, 739 - 44) aufmerksam gemacht.

Textausgaben: Awesta, Pehlevi, Päzend etc. Sanskrit. A.n den Texten ist in unserem Dezennium sehr fleißig gearbeitet

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worden. Auf neue Awes tat exte ist ja leider kaum mehr zu hoffen ; die Arbeit muß sich hier auf neue Ausgaben und Emendationen der Texte beschränken^ die indessen durch das immer stärkere Heranziehen der Pehlevitexte neue Folie erhalten. Eine um- fassende Arbeit von dieser Art ist L. Mills The Yasna of the Avesta, a study of Yasna I with the Avesta Text in reconstructed edition, the Pahlavi Text edited with all the variants in its original character and in transliteration, the lather re-edited from ZDMG 1903, also with the Sanscrit and Persian texts in transliteration, with translations of the Pahlavi text into English as here first offered, the Avesta text having been translated into English in S. B. E. 1887, Leipzig, Brockhaus 1910. Zwei Vendldäd-Ausgahen verdanken wir gelehrten Parsis: The Vendidäd, a new edition prep. by E. E. K. Antia, Bombay 1901 III, und Vendidäd Avesta Text and Pahlavi translat., commentary and glossary index by H. Jamasp und M. M. Gan- devia I IT, Bombay 1907. H. Goodwin Smith bringt im A.R.W. VI eine scharfe Prüfung der das Bekenntnis Honover überliefernden Texte. N. N. Dhalla The Nyaishes or Zoroastrian litanies; Avestan text with the Pahlavi, Sanscrit, Persian and Güjaräti versions, Columbia Univ. Indo-Iran Series VI 1908. Zahlreicher sind die Leistungen auf dem Gebiete der Pehlevi- texte. Nur die wichtigsten seien hier erwähnt. Die grund- legende Ausgabe von DinJcard von Peshotan Dastur Behramje Sanjana erreichte den Band XI im Jahre 1910; die Bände 8 9 (1897 1900) wurden mit gebührender Anerkennung besprochen von E.W. West im Journ. of Am. or. Soc 1901 p. I54ff. i In den Pahlavi Text Series (vol. III) erschien die Faksimileausgabe BündahisJm, von Anklesaria besorgt (Bombay Brit. Ind. Press . 1908). Persian texts relat. to Zoroastrianism Saddar Nasr -^ and Saddar BundehesJi ed. by E. B. N. Dhabar (Bombay Bri- India Press 1909). Palend texts collected and collated by | E. E. K, Antiä, Bombay 1909. A. Freimann Pandnamah i Zaratust (WZKM 20). Dazu kommt eine Reihe von

Iranische Religion 1900—1910 239

Pelilevi-Übersetzungen und Kommentaren. Den Pehlevi Yasna hat Mills allmälilich ediert in ZDMG, nämlich X XIII in Bd. 56, XIV— XIX Bd. 57, LV— LVI und LVIII— LXII Bd. 60; LXX (Sp. LXIX) Bd. 64; ferner Yasna I in Museon Bd. 7 und LVII-LXI in J.R.A.S. 1906. M. B. Davar The Pahlavi Version of Yasna IX ed. with the collation of mss. a literal translation into English, London 1904. Kanga The Pahlavi Vendidäd with English notes, Bombay 1901. Sanskritversionen: Collected Sanscrit writings of the Parsees ed. E.S D. Bharücha I. Khorda- Avesta (Parsee Panchayet Funds, Bombay 1904).

Lexikalisches und Grammatisches. Auf lexikalischem Gebiete ist zunächst das Erscheinen von F. Bartholomaes Altiranischem Wörterbuch, Straßburg 1904, als eine erfreuliche Begebenheit zu notieren, um so viel mehr, als man sich bis jetzt mit Justis gänzlich veraltetem Handbuch der Zendsprache (1864) behelfen mußte. Bartholomae verfügt über den gesamten Sprachschatz des großen iranischen Gebietes und stellt die Awestasprache auf ihren eigenen Boden, behandelt sie nicht, wie es noch immer besonders bei den deutschen Philologen vorzugsweise geschah, durch das Medium des Sanskrit. Dadurch hat er eine Mannigfaltigkeit von Wortbedeutungen erschlossen, die zum Verständnis des Awesta beigetragen haben. Dieses gilt vor allem dem Sachlichen oder Dinglichen, was besonders dem Vendidäd zugute kommt und die Texte über den schein- baren Unsinn früherer Deutungen zu einem wirklichen Sinn geführt hat. Wo König Yima noch nach Darmesteters Über- setzung Vend. 2, 10 die Erde „mit einem Ring preßte und einem Dolche bohrte", um sie auszudehnen, sieht man ihn jetzt sie mit einem Pfeil und einem Pferdestachel, ganz nach Art des seine Herde treibenden Nomaden zum Fortgang anspornen u. a. m. Man wird an allen derartigen Stellen durch Wulffs Übersetzung (s. u.) am besten von der großen Veränderung einen Eindruck bekommen. Weniger bedeutet das Wörterbuch für die

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theoretischen Teile des Awesta, besonders für das Verständnis der Gäthas. Die Theologie des Awesta versteht man durch bloße Wort- und Formenkenntnis so wenig, wie ein bloßer Philolog das Neue Testament verstehen würde. Bartholomae ist kein Awestatheologe, und seine Gäthaübersetzung (s. u.) hat uns die alten Hymnen und Lehrgedichte des Awesta nicht wesentlich klarer gemacht. Sehr hat Bartholomae den Gebrauch seines Buches erschwert durch die viel zu detaillierte Transkription der Awestaworte und noch mehr durch die unergründliche lexi- kalische Ordnung der Wörter; schon seine Grammatik im Grund- riß der iranischen Philologie erliegt ihrer Unüberschaulichkeit, noch erdrückender ist dieser Nachteil in einem Lexikon, dessen erste Pflicht doch sein muß, übersichtlich zu sein. L. H. Mills 1902 erschienener Dictionary of the Gäthic Language of the Zend Avesta, Leipzig Brockhaus, rez. von H. Hübsch mann L.Z. 1904, 165 a f., A. Meillefc Revue crit. 1904 H, 390, ist weniger ein eigentliches Wörterbuch als eine lexikalisch ge- ordnete Kommentation der Gäthas, ist aber ein Thesaurus von Beobachtungen, der durch die tiefe Vertrautheit des Verfassers mit den Pehlevikommentaren um so wertvoller wird. K. E. Kangas An English Avesta Dictionary, Bombay 1909 ist mir unbekannt; A. Meillet hat es rezensiert Journ. Asiat. Ser. X T. 15 p. 373 f.; H. C. Tolman Ancient Persia Lexicon and the texts of the Achaemenidian inscriptions ist rezensiert von Weiß- bach ZDMG 63, 828—30. Die Awestischen Lesebücher von H. Reichelt Awestisches Elementarbuch Heidelberg, Winter 1909 (rez. V. A. Meillet Journ. Asiat. 1909 p. 536— 56) und E. Sh. D. Bharucha (Lessons in Avesta I II, Bombay 1907 1908, (Harrasowitz) wie des letzteren Lessons in Pahlavi Päzend I (Bombay, Leipzig 1908) seien hier nur nebenbei erwähnt Reich elts Buch ist als praktisches Hilfsmittel sehr zu empfehlen, enthält nur etwas zuviel für den elementaren Gebrauch. Zur Transkription und Phonetik hat Bartholomae in seinem ^Zum Lautwert der awestischen Vokalzeichen' (WZKM 24)

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beigetragen; viel wichtiger sind aber auf diesem Gebiete die letzten Arbeiten von F. C. Andreas, vor allem sein *Die dritte Gäthä des Zaratustro (Josno 30), Versuch einer Herstellung der älteren Textformen nebst Übersetzung' 1 (G. G. N. phil.- hist. Klasse 1909 S. 42 49). Andreas unterwirft die bisherige Lesung der Awestaschrift einer tief einschneidenden Kritik und mißt mehreren Schriftzeichen einen ganz neuen Lautwert bei; er sucht überhaupt den Rückweg vom überlieferten Awestatext zu dem in aramäischer Schrift geschriebenen Text der Arsacidenzeit zurück. Daß ein so kritisch vorsichtiger Philologe wie J. Wackernagel sich diesem kühnen Unter- nehmen angeschlossen hat (siehe Andreas, und Wackernagel in Nachr. der Gott. Ges. der Wiss. 1911 S. If., wo die Prinzipien erörtert werden), spricht für dessen Bedeutung sehr; in der Tat ist auch durch das Zusammenarbeiten dieser Männer viel Einleuchtendes zutage gebracht, das jeder Awestaforscher mit Dank aufnehmen wird, z. B. daß der bis jetzt Äpaosa ge- nannte Dämon der Dürre Äpavrtra zu lesen ist, eine Lesung, die uns auch andersWo über das schwierige s in angenehmer i Weise hinausbringt. Hoffentlich wird bald eine Reihe von j Texten in der neuen Umschreibung den ungeduldig wartenden j Iranisten gebracht werden.

Zur Pehlevi- Grammatik hat E. Blochet wertvolle Beiträge gegeben, Etudes de grammaire pehlevi (Rev. de linguistique jvol. 36, 37). J. Scheftelowitz bringt in seinen Altiranischen •Studien (ZD^]G 57) Beiträge zur Syntax des Awesta, alt- jiranische Etymologien und semitische Lehnwörter {magu als lassyr. Lehnwort gibt dem Verfasser Anlaß zu einer interessanten iDigression über den babylonischen Charakter des altmedi sehen \Iagismus, S. 168—169).

Von Übersetzungen des Awesta sind zunächst da die schon charakterisierten Arbeiten von Chr. Bartholomae (Die Gathas ;les Avesta, Zarathustras Verspredigten, übersetzt Straßburg '905) und Fritz Wolff (Avesta, die heiligen Bücher der Perser,

Archiv f. Religionswissenschaft XVII

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übersetzt auf der Grundlage von Chr. Bartholomaes altiranischem Wörterbuch, Straßburg 1910). Letztere, die schon dem Titel nach auf keine Originalität Anspruch erhebt, hat eben dadurch, als Festlegung des durch Bartholomaes Arbeiten erreichten Status Interesse. Geldner, von dessen Hand man immer noch eine vollständige Awestaübersetzung erwartet, hat durch eine Reihe von Einzelübersetzungen einen Teil der Schuld ab- getragen. Seine Übersetzung ^Die neunte Gätha des Zara- thustra u. d. Honover', Sehr. d. Kgl. Ak. d. Wiss. Berlin Bd. 38, bezeichnet Geldner selbst als 'Probe einer vollständigen Über- setzung der Zarathustrischen Reden'. Auch ^Das 18*® Kai des Yendidäd, übersetzt von K. Geldner' (Sitz.-Ber. Ak. d. Wis« Berlin 1903) ist in streng wissenschaftlicher Form gehalten. Für ein populäres Prachtwerk 'Marksteine aus der Weltliteratui herausgegeben von J. Baensch, Drugulin 1902, hat Geldnc 'Das Zoroastrische Glaubensbekenntnis' besorgt. Der keinet wegs knappen Auswahl aus dem Awesta, die Geldner für Bertholets 'Religionsgeschichtliches Lesebuch' (Tübingen Mohr 1911)^ besorgt hat, dürfte bei derselben Gelegenheit er- wähnt werden. Geldner ist hier bestrebt, die Texte systematisch zurechtzulegen, was leider zu einer Zerstückelung mancher Hymnen geführt hat. Daneben werden jedoch Proben ganzer Awestatexte geboten. Geldners Übersetzungen zeichnen sich immer durch Schärfe und Klarheit aus; er sucht immer die Begriffe und die Realitäten, von denen die Rede ist, ins helle Licht treten zu lassen, und speist nicht seinen Leser ab mit einer cognitio circa rem, wie die meisten älteren Übersetzer und selbst in vielen Fällen Darmesteter. Vor allem respektiert er die bestimmte Terminologie der awestischen Theologie, in deren Grundgedanken er so weit eingedrungen ist, wie der Awestatext an sich wohl erlaubt. Dadurch bezeichnet Geldners Arbeit einen relativen Abschluß der Awestaforschung; die weitere Arbeit, die offenbar noch sehr groß sein wird, wird im Eindringen in die ' S. in diesem Archiv XVI 1913, 293 f.

»Iranische Religion 1900—1910 243

Fehle vikommentare und in die selbständige Theologie der Pehlevi- schriften bestehen. J. Scheftelowitz' Altiranische Studien (ZDMG 57, 107 172) enthalten eine sorgfältige, kommentierte und textkritisch vorbereitete Übersetzung von Vendidäd V— VIIT. In einem größeren Parallelwerk zu Bertholets Lesebuch, Nathan Söderbloms schwedischen ^Främmande Religions- urkunder' (Stockholm, H. Geber 1908),^ hat der Herausgeber selbst (in Band II 2 S. 690 783) Awesta- und Pehlevitexte übersetzt. Seine Auswahl, die überall das Wesentliche betont, meidet die Zerstückelung der Texte; dieses geschieht natürlich auf Kosten der Vollständigkeit der Auswahl, die zu wenig über die Yazatas (z. B. über Mithra) und zu viel über die Fravashis i bringt. In lobenswerter Weise läßt Söderblom die Reinheits- gesetze und sittengeschichtliche Abschnitte aus dem Vendidäd hervortreten.

Englische Übersetzungen sind: L. Mills The hymns of Zoroaster, for family use, London 1903. The first Gätha of the Avesta by L. C. Casartelli, Dubl. Rev. 133, 1903 (metrische Übersetzung von Yasna 28). Von demselben: Leaves from my Eastern Garden, Market Weighton 1908 (metrische Übersetzung aus Tast 19; 8; Vend. 19 und Yast 22), Nasar- vanji M. Cooper The imitation of Zoroaster, London 1910, Blumenlese aus Awesta- und Pehlevi- Schriften. N. M. Kanga The Vendidäd transl. into Engl, from Pahlavi, Bombay 1899 1900. The day Khordäd of the month Farvardin eommonly called Khordädsäl. Transl. from the original Pahlavi- text by Dastoor Kaikhosroes Jämäsp Asänä. Carya Mem 1901. Allgemeines über Zarathtistrische Religion. A. W. Jacksons ^Die iranische Religion', im Grundriß der iranischen Philologie herausgegeben von W. Geiger und E. Kuhn, bietet gerade, was man in einem derartigen Handbuch sucht, die festen Data der Religion in übersichtlicher Form mit präzisen Details und sorgfältigem Literaturapparat. Es kommt hier * S. in diesem Archiv XVI 1913, 294 ff.

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dem Verfasser mehr auf die gedrungene Fassung des Sacli- gehaltes als auf Entfaltung der Grundgedanken oder Anschau- lichkeit der Darstellung an. Ein Buch über Zarathustra^ das Oldenbergs Buddha entsprechen könnte, fehlt noch immer. H. Oldenbergs eigene Darstellung ^Die iranische Religion' in 'Die Kultur der Gegenwart' (Teil I, Abt. III) ist zu kurz, um hier in Betracht zu kommen, aber in ihrer Kürze treffend und in der Stellung der Hauptprobleme anregend. Anziehender Form erfreut sich auch V. Henry Le Parsisme (in der Samm- lung *Les Religions des peuples civilises'), Paris, Dujarrie et C^" 1905, 302 p. Henry, der sonst als Sanskritist arbeitet und über vedische Religion und indische Magie geschrieben hat, gibt hier einen raschen Überblick über das Nachbargebiet der iranischen Religion, die er von ihrem Ursprünge bis an den modernen Parsismus verfolgt. An einer Vertiefung in das System oder den Geist des Zarathustrismus liegt es dem Verfasser offenbar nicht; dagegen versteht er die äußeren Phasen der ganzen iranischen Religionswelt sehr geschickt zu geben: die Mannig- faltigkeit der Götter und Dämonen, der Zeremonien und Bräuche, die Bestrebungen der Wissenschaft, die Entwickelung der Helden- sage. J. H. Moulton (Early Religious Poetry of Persia, Cambridge Univ. Press 1911) ist es gelungen, in kürzester Form ein sehr treffendes Bild der Zarathustrischen Religion zu geben, oder vielmehr eine Reihe von kleinen Bildern, von einschlägigen Textproben belebt, die sich zu einem leicht übersichtlichen Ganzen zusammenfügen. Ebenfalls will der Parsi R. H. Mistri mit seinem ^Zoroaster and Zoroastrianism' (Bombay 1906) nur eine Skizze seiner Religion geben, die dem Leser als praktische Anleitung dienen könnte. Das Buch ist übersichtlicher und objektiver als populäre Veröffentlichungen aus der Parsigemeinde sonst. Interessant ist, daß der Verfasser in der Frage von Zarathustras Alter die persische Tradition ablehnt und auf Grund eigener Berechnungen (S. 25) zu dem Geburtsjahr 1236 V. Chr. kommt. Bei der Besprechung der heiligen Schriften

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Iranische Religion 1900—1910 245

der Parsis beschreibt er ausfübrlicher die Pehleviscbriften, deren Inhalt er als ein Mann, der diese Schriften wirklich lesen kann, charakterisiert; die besondere Moral der Fehle vischriften, die sonst leicht übersehen wird, erhält dadurch ihren gebührenden Platz. Das etwas größere Buch ^Zarathustra and Zarathustrianism in the Avesta' von Rastamji Edulji Dastoor Peshotan San Jana (Leipzig, Harrasowitz 1906) hat die Form der wissenschaftlichen Untersuchung und behandelt die einzelnen Punkte (Zarathustra, Mazda usw.) als Probleme; die Darstellung ist aber viel mehr von des Verfassers Standpunkt als zara- thustrischem Bekenner beherrscht und viel weniger von euro- •päischer Wissenschaft beeinflußt als Mistris. Was die Datierung des Propheten betrifft, so hat er sich allerdings von der par- sistischen Tradition befreit und verlegt sie ins 10. Jahrhundert, kommt aber zu dieser Annahme durch nicht ganz plausible Berechnungen der geographischen Verbreitung der Religion von Ost -Iran nach Medien. Die Darstellung der Zarathustralehre ist eine modern- rationalisierende Verschönerung (oder Aus- glättung) der Awestatheologie. Mazdah (dessen Namen er fälschlich aus mas (groß) und da (erkennen) ableitet und als 'AUwisseud' übersetzt) ist ihm der Gott des rein geistigen Monotheismus, für den der Parsipriester mit persönlicher Wärme und Überzeugung plädiert. ^His supreme Authority as this great Creator and the most glorious Ruler exacts our admi- I ration. . . The sense of this Benevolence and of this Holiness ! arouses our love. His Truthfullness and Fidelity fills us with limplicit faith and trust in Him' etc. (S. 133), was alles, ebenso !wie die moralischen Ideale Ho possess wisdom, piety, chastity, Ifidelity and sincere love in order to draw near, attract or win ithe hearts of each other and live united together in ease and felicity' (S. 212) als quellenmäßige Zeugnisse von der Religiosität 'der modernen Parsis interessiert. Der Inhalt, der in die Awesta- jformen hineingelegt wird, scheint eine Art rationalistisch - 'mystisches Christentum, im Stile des besseren Unitarianismus,

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zu sein. Immerhin ist das Bucli des biederen Parsipriesters viel ergiebiger als eine Ausgeburt der europäischen Wissenschaft wie J. Reiner Zarathustra (B. L. H. Seemann Nf.; 4. Stereo- tjpauflage ohne Jahreszahl, aber 1907 erschienen), die auf Grund von Kenntnissen zweiter, dritter Hand ein ganz undeut- liches; zum Teil verzeichnetes Bild der Sache bietet. Zarathustra (dessen Name auf einen ursprünglichen persischen Sterndienst, den Tiele und Justi auch anerkannt haben sollen, deutet) wird unter den Händen des Verfassers ein gescheiter Privatdozent, der „die bereits im eigenen oder die in einem anderen Lande herrschenden Religionen und sittlichen Anschauungen kritisch zusammengefaßt, ergänzt und kodifiziert hat". Mit derartigen Publikationen vor Augen bereue ich, daß ich noch nicht meine Pflicht und Schuldigkeit gegen die deutsche Lesewelt getan habe, mein dänisches Buch Zarathustra (I, H, Kopenhagen 1900 1902, vgl. die Rezension von F. Justi, A.R.W. VI, 249 259 und Söderblom, R.H.R.47, 372—381), das immerhin auf Quellen- studien beruht, zu übersetzen. Das Buch bemüht sich, die ver- schiedenen Perioden der persischen Religion, das voriranische Heidentum, die prophetische Zeit, die klassische Zeit der Achä- meniden, die Renaissancezeit der Sasaniden, die Scholastik der Pehlevischriften usw. zeitlich auseinander zu halten, wobei aller- dings die Religion der Achämeniden zu unmittelbar in den Entwickelungsgang der Awestareligion eingereiht wird. Auf drei Hauptpunkte konzentriert sich mein Interesse: auf eine möglichst erschöpfende Darstellung der Theologie der Gäthas, auf einen Nachweis des ritterlich-epischen Charakters des jüngeren Awesta (des Yashts) und eine Darlegung der selbständigen Moral der Pehlevischriften; das zweite Thema wurde im A. R. W. V 1902, 202 ff. ^Zur Charakteristik des jüngeren Awesta' ver- öffentlicht, das dritte in einem Vortrag des Orientalistenkongresses in Kopenhagen besprochen (Actes du XV. Cong. Internat, des Orient. 1908). Im Stile eines Lehrbuches ist der Hauptinhalt des dänischen Werkes in ^Die Perser' in Chantepie de la

Iranische Religion 1900—1910 247

Saussayes Lehrbuch der Religionsgescb. II wiedergegeben, 2. Aufl. 1905, S. 162 ff. Die noch zu einer älteren Forschungs- periode gehörende Behandlung der zarathustrischen Religion in C. P. Tieles Geschiednis van den Godsdienst in de oudheid tot up Alex. d. Groote IL 1, 1901 (deutsch von Gehrich, Gotha 1903, engl, von Nariman, Ind. Antiqu. vol. 34) bleibt dank der kritischen Objektivität und klaren Darstellungsweise des großen Religionshistorikers immer zuverlässig und instruktiv.

Einzelfragen zur zarathustrischen Theologie. Einen ganz wesentlichen Beitrag zur Chronologie der zarathustrischen Religion, der auch vielfach Zustimmung gefunden, bietet Ed. Meyer ^Die ältesten Zeugnisse der iranischen Sprache und der zoroastrischen Religion' (Z. f. vgl. Sprachf. 42, 1 27). In der Namenliste des Tonprismas Sargons (George Smith Assyrian Discoveries p. 288 f.), die wahrscheinlich von c. 713 herrührt, weist Ed. Meyer eine Reihe iranische Namen nach, die auf ein tiefes Eindringen der Assyrer in Medien deuten, uns aber auch dafür Sicherheit gewähren, daß die Meder, welche Sargon unterworfen und seine Nachfolger bis an den Fuß des Eiburs und die iranische Wüste hin beherrscht haben, ein großes, in zahlreiche Gaue und Stammfürstentümer zerfallendes iranisches Volk gewesen sind. Wenn nun unter diesen Namen ein Ma-as-da-Jcu und Ma-as-ta-Jcu (gleich Mazddku) vorkommt, schließt Meyer aus diesem Umstand, daß der zarathustrische Mazdaglaube schon damals in Medien eingebürgert war. „Das beweist unwiderleg- lich der Eigenname Mazdaka, der das Bekenntnis seines Trägers zur zarathustrischen Religion enthielt. Denn die Ansicht, daß es vor Zoroaster einen Gott Mazdao gegeben habe, halte ich allerdings für gänzlich undiskutabel. Dieser Name ^Die große Weisheit' oder nach Bartholomae 'Der Weise' ist ja ein Ab- straktum wie alle vom Propheten geschaffene Gestalten und {trägt, wenn irgendeiner, das Gepräge seiner Individualität." („Diese Tatsache", sagt Meyer ferner, „ist von sehr weittragender iBedeutunty. Denn wenn im Jahre 715 v. Chr. in Medien die zoro-

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astrisclie Lehre weit verbreitet oder vielmehr herrschend war, so folgt daraus ohne weiteres, daß Zoroaster in eine sehr viel frühere Zeit gehört. Denn daß der Prophet nicht in Medien aufgetreten ist, steht außer durch viele andere Indizien vor allem dadurch fest, daß die Religionsbiicher den Magiernamen nicht kennen, während in Medien der Stamm der Magier (Herodot I 106) die Rolle der Teueranbeter' übernommen hat und dann für ganz West- iran und die Propaganda nach Westen der Priesterstand geworden ist. Ich halte die Versuche, Zoroaster ins 7. oder gar 6. Jahrh. hinab- zudrücken, auch sonst für so unüberlegt und unhaltbar wie möglich ; vor dem Zeugnis unserer Inschrift stürzen sie definitiv zusammen. Man wird seine Zeit mindestens um rund 1000 v. Chr. ansetze! müssen; es ist aber sehr wohl möglich, daß er noch ein paar Jahi hunderte früher gelebt hat/^ A. CarnoyLe nom des Mages (Mu*1 seon N. S. 9, 121 158) schildert die Magier als eine der indischen Priesterkasten; vgl. Scheftelowitz Altiran. Studien (s. o. S. 241). L. H. Gray Additional Classical Passages mentioning Zoro- asters Name (Museon N. S. 9, 311 318) ergänzt die in Jacksons ^Zoroaster, The Prophet of Ancient Iran' mitgeteilte Liste der Aus- sagen der klassischen Autoren über Zoroaster. L. H. Mills The Archangels of the Avesta (Open Court 20, ^616 f.) ist ein populärer Aufsatz, in dem der Verfasser auf den Zusammenhang zwischen per- sischer und jüdischer Angelogie (bes. im Buche Tobias) aufmerksam macht. Der begriffliche und ethische Charakter der persischen Erzengel bringt die Reinheit und Erhabenheit der Zarathustrischen Religion zum Ausdruck ^and this at a time when Jupiter was beating his annoying wife and Indra hiccoughing from too much Soma'. L. H. Gray, der sich früher über die vorzarathustri- sehen Kulte in Iran geäußert hat, z. B. The Indo-Iranian Deity Apäm Napät (A. R.W. III 18 51), wo er diesen Genius als einen die Frauen befruchtenden Wassergott erklärt, behandelt (The double nature of the Iranian Archangels A. R.W. VII 345 ff.) die Frage von der doppelten Natur der Amesha Spentas im Einklang mit diesen Untersuchungen, Die Naturseite dieser Erzengel (Feuer,.

Iranische Eeligion 1900—1910 249

Erde, Wasser usw.) hält er für ein heidnisclies Überbleibsel, das neben der abstrakten Fassung weiterlebte und sich späterhin auf Kosten dieser letzteren entwickelt hat. P. A.Wadia The Philosophy of the Gäthas (East and West 3, 708—721) will den Gegensatz zwischen Zarathustrianismus und Neuplatonismus und dementsprechend die Geistesverwandtschaft des Parsismus und des Christentums nachweisen. ^Matter as such is not evil as withPlotinus; consequently, unlike Neo-Platonism, the Zoroastrian religion admits the possibility of a reconciliation or union of Finite with the Infinite mediated through the conception of God'. A. Meillet Le dieu Indo-arien Mitra (J. A. 10, 143 159) be- stätigt die bekannte Deutung von Mitra als Bundesgott. N. Söderblom La vie future d'apres le Mazdeisme ä la lumiere des croyances paralleles dans les autres religions, Etüde d'escha- tologie comparative (Ann. Mus. Guimet T. 9), Paris, Leroux 1901, ist, wie der Titel angibt, in der Tat eine komparative Eschatologie, die alle Momente dieser Glaubenssphäre in allen Religionen ver- folgt. Behandelt sind: 1. Der Glaube an eine Fortsetzung des Lebens. 2. Die Lehre 'von einer Vergeltung. 3. Physisches Welt- ende und Welterneuerung. 4. Weltende und Lebenserneuerung unter religiös -moralischen Gesichtspunkten. 5. Ewiges Leben mittelst Vereinigung mit Gott auf Erden. Schwerpunkt bleibt doch immer das Awestische, in dem der Verfasser die genann- ten Formationen in den verschiedenen Schichten des Parsismus vertreten findet. Das Buch, das als grundlegend überall aner- kannt worden ist, ist vielfach rezensiert worden, ausführlich von Bousset, Theol. LZ. 26 Nr. 19. L. H. Mills Avesta Eschato- logy compared with the books of Daniel and Revelation, Chicago - London 1908 (auch in The mount 17, 321—46; 583—609) be- I schreibt die Hauptpunkte der awestischen Eschatologie nebst { I Angelogie, Dämonologie und Kalender, indem er den Vergleich jjmit den entsprechenden Phänomenen im Spätjudentum vollzieht Vi und die persische Beeinflussung der Lehre von der Auferstehung hund vom jüngsten Gericht festhält.

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Wissenscliaft. L. H. Gray Calendar, Persian in Hastings Enzyklopädie. A. Fouclier Zur Quellenkunde der persischen Medizin, Leipzig, Barth 1910 (rez. von Pagel. Janus 15, 484).

Sitten und Bräuche sind in Hastings Enzyklopädie in er- freulicher Weise berücksichtigt (z. B. Modi Birth; Casartelli Ij Celibacy; Söderblom Ascetism; Gray Childern (Iranian) ; Modi i Childern(Parsi); Casartelli Charms and Amulets; ausführlichere Darstellungen außer in den Reisewerken und der Literatur j über den modernen Parsismus auch bei N. M. Cooper The Zoroastrian Code of Gentlehood (Transactions 3 th internat. Congr. ij f. Hist. of Relig. 2, 100—104); Ella C. Sykes Persian Folk- 1 Lore (Folk-Lore 12, 261 68) bringt besonders gute Beiträge i zur persischen Dämonologie. J. J. Modi Marriage customs ( among tbe Parsees, their comparison with the similar customs | of the other nations, Leipzig, Hassaro witz 1900 (Journ. Anthr. | Soc. vol. 5). Ders. Some Parsee marriage customs. How far they are borrowed from the Hindus (ibid. vol. VIH 425 30). Th. W. Kingsmill The marriage and burial ceremonies of the old Persians, translated from the Wei - Shu, a Chinese» Work of the 6th Cent., Ath. 1902. D. Menant Les rites fune- raires des Zoroastriens de l'Lide, Annales du Musee Guimet Bibl. d. vulg. 35 p. 141—198. J. J. Modi The funeral cere- * monies of the Parsees, Bombay 1905. N. N. Dhalla The use of ordeals among the ancient Iranians (Museon 11, 121 133). J. J. Modi The gurz (mace) as symbol among the Zoro- astrians, Journ. Anthr. Soc. vol. VII 478 96; Ders. Tbe kiss of Peace (Journ. Anthr. Soc, Bombay 8, 84 95); Ders. Tbe Kashas of the Iranian Berashmun and the boundary lines of | the Roman lustrum (ib. 520 30); Ders. Two Iranian incan- ji tations for burying hair and nails (ib. 537—72). L. H. Gray '^ The Parsi-Persian Burj-nämah or book of the omens of the moon, Jour. Am. or. Soc. 30, 336-342.

Späterer Parsismus. D. Menant Chez les Parsis deBombay et du Guzerate (Tour du monde N. Ser. 14 p. 157—216 ill.). Die

Iranische Religion 1900—1910 251

fleißige Geschichtsschreiberin der Parsis besuchte ihre Freunde in Bombay und Guzerati und hat nach dieser ihrer letzten Reise eine ausführliche und lebhafte Beschreibung des täglichen Lebens und der Zeremonien der Parsis sowohl in der Stadt als auf dem Lande gegeben. Eigentlich neues Material scheint der Bericht nicht zu bieten, aber jede genaue Beschreibung des Zustandes dieser Gemeinden ist ja willkommen, besonders weil Frl. Menant auch die kleineren und ärmeren Gemeinden in der Diaspora besucht hat. Auch für die vielen photo- graphischen Aufnahmen, die u. a. von dem Reichtum und der Eleganz der Parsifamilien einen Eindruck geben, ist man dankbar. Dieselbe hat in The great Religions of the World V (vgL North. Am er. Review Jan. 1901) eine populäre Skizze 'Zoro- astrianism and the Parsis' gegeben. W. Th. Fee The Parsees and the towers of silence Bombay India (Nat. geogr. Mag. 16, 529 54) gibt eine von Illustrationen unterstützte Beschreibung der jetzigen Leichentürme der Parsis.

Das Verhältnis des Parsismus zu anderen Reli- gionen, besonders sefn Einfluß auf Judentum und Christentum, wird jetzt sehr eifrig diskutiert. E. Staves früheres Buch 'Parsismus und Judentum' (1898) veranlaßte N. Söderblom zu einer ausführlichen Kritik (R. H. R. 48) ; er stellte sich hier reserviert gegenüber der Annahme Staves eines übrigens nicht weitgehenden parsistischen Einflusses auf die israelitische Religion. Während diese Debatte überwiegend die allgemeinen IMöglichkeiten einer Beeinflussung erwägt, hat Ernst Böklen j(Die Verwandtschaft der jüdisch-christlichen mit der persischen Eschatologie, Gott. 1902) in dankenswerter Kürze auf die kon- kreten Punkte in der jüdischen Religion, die auf eine Ent- lehnung deuten könnten, den Blick gelenkt; er hat diese in ziemlicher Vollständigkeit verzeichnet, und man tut immer gut, zur Erörterung dieser Frage Böklens kleines Buch zu benutzen Ä.uch gegen Böklen richtete S ö de rblom eine Kritik (in R.H.R.48, 372f. Notes sur les relations du Judaisme avec le Parsisme ä

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propos des travaux recents) und meint, erstens daß viele der besprochenen Ähnliclikeiten sicli auch bei anderen Völkern wieder- finden, zweitens daß sieb äußere Ähnlichkeiten über prin- zipielle Verschiedenheiten decken, z. B. daß die Auferstehung bei Daniel und Henoch nicht eine allgemeine, wie im Parsismus, ist. Gleichzeitig bespricht Söderblom die Behandlung, die das Problem gelegentlich in der theologischen Literatur erfahren hat, nämlich bei Johannes Weiß 'Die Predigt vom Reiche Gottes' (2. Aufl. Gott. 1902), wo ßaöiXsCa tcov ^ ovQuv&v etwas kühn von dem persischen Khshatra vairya ab- geleitet wird, und Boussets *Die Religion des Judentums im neutestamentlichen Zeitalter', Berlin 1903, das besonders den Dualismus und die Eschatologie des Judentums durch starke i Beeinflussung von parsistischer Seite erklären will.

James Moffat Zoroastrianism and primitive Christianity (Hibbert Journal 1902 03 p. 763—80) nimmt, obgleich seine Haltung reserviert ist, immer eine parsistische Beeinflussung des ursprünglichen Christentums an; andererseits warnt er vor übereilten Schlüssen, besonders aus der Pehleviliteratur heraus, die er für christlich beeinflußt hält. P. M. J. Lagrange in La religion des Perses, la reforme de Zoroastre et le Juda'isme j (Revue bibl. 1904 p. 27 55; 188 212) betrachtet mit Darmesteter die Gäthas als späte Erscheinung im Awesta, was auch seine Lösung der Frage nach dem persischen Einfluß auf das Judentum bestimmt; nur für das spätere Judentum sei der Parsismus von Bedeutung gewesen. Mit derselben Frage be- schäftigen sich P. Gar US The Zoroastrian Religion and the Bible (Open Court 20) und G. Hol 1 mann Das Spätjudentura und der Parsismus, Z. f. Missionskunde u. Religionswissen- schaft 21; Fr. Mari Mazdeismo Judaismo (Riv. di Stud. Relig. 7, 671 709); J. L. Koch Parsismens Indflyd elese paa Jödedom og Kristendom (Theol. Tidsskr., 3^^« Räkke 1, 97 f.; dänisch). L. H. Whitney Life and teachings of Zoroaster, Chicago 1905, verrät deutlich die Tendenz in dem Untertitel Mncluding fi

Iranische Religion 1900—1910 253

I comparison cf tlie Persian and Hebrew religions, showing that I the Word of the Lord came to the Hebrews by the way of ' Persia. Part VI offers the proof that the Jews copied heavily 1 from the Hindu Bible'.

Das Verhältnis zum Islam ist prinzipiell erörtert von 1. Goldziher in seinem maßgebenden Artikel Islamisme et I Parsisme (R. H. R. 43) und von L. H. Gray mit besonderer i| Rücksicht auf die Eschatologie (Zoroastrian elements in Muha- medan Eschatology, La Museon N. S. VII). Die Vergleichspunkte^ die er findet, sind besonders folgende: erstens der dreitägige Aufenthalt der Seele am Sterbebett; zweitens die Begegnung der Seele mit ihrem Genius (der Daena); drittens die Wage und das Buch des Lebens am Gericht; viertens der Paradies- garten und die Hölle; fünftens der jüngste Tag und die körper- liche Auferstehung. Gray übersieht dabei die Bedeutung des christlichen Einflusses auf den Islam. In einer Reihe von Schriften hat L. IL Mills die weiteren Einflüsse auf Spätjuden- tum, Philo und Hellenismus behandelt, Zarathustra and the Logos (Am. J. of philol. 22); Philos dvvd^aig and the Amesha Spenta (J. R. A. S. 1901); Zoroaster, Philo and Israel, being a treatise upon the antiquity of the Avesta, Part 1 Zoroaster and the Greeks, Leipzig 1903 04; Zarathustra and Herakleitos (J. R. A. S. 1902, 897 907). Ferner ^Exilic Jewish Eschatology in how far was it Zoroastrian?' (Imp. As. Quart. Rev. 18); Our own religion an ancient Persia; Zoroaster and the Bible (Open Court 23, 385 ff., 675 ff.). Schließlich 'Identity in creeds without historical connexion', Expos. Times 21, 134 36. Vgl. seine Avestan Eschatology (s. o. S, 249). Seine Ansichten (und mehrere der obigen Abhandlungen) hat Mills in einem großen Buch gesammelt: Zarathustra, Philo, the Achaemenids and Israel being a treatise up the Antiquity and Influence of the Avesta I VI. Leipzig, Brockhaus 1905 06. Er eifert gegen mDarmesteters Hypothese vom späteren Ursprung der Gäthas, lindem er die Hauptstütze Darmesteters, den Brief von Tansar,

254 Edv. Lehmann Iranische Religion 1900—1910

für ein Falsum hält (S. 65 66). Die Ähnlichkeiten zwischen der Ideenlehre des Awesta und der der älteren Griechen erklärt er als parallele Gebilde. Die Logoslehre Philos beruhe auf iranischen Einflüssen. Das exilische Judentum hält Mills für stark beeinflußt vom Parsismus, besonders was den ünsterb- lichkeitsglauben betrifft. Daß eine parallele Entwickelung dieser Ideen bei den Juden stattgefunden habe, wird nicht geleugnet; der persische Einfluß soll aber nicht nur diesen Keimen zur Entfaltung geholfen, sondern auch die ursprünglichen Neigungen der Juden gerettet haben. Die okzidentalischen Einflüsse verfolgt ebenfalls K. D. Ruttonshaw The migration of a form of Iranian Ideas to ancient Rome and other countries (Journ. Anthr. Soc. 8, 578 95).

3 ReHgion der Japaner 1909-1913

Von Hans Haas in Jena^

Allgemeines. Selbst wenn man zugebe, sagt Windelband in seiner Geschichte der Philosophie (S. 18), daß die erst der neueren Kenntnis sich erschließenden Ansätze zu wirklicher Wissenschaft bei den Völkern des Orients sich über das Morali- sieren oder über gelegentliche Reflexionen zu wissenschaftlicher Begriffsbildung erheben, so blieben dieselben doch dem in sich einheitlichen und geschlossenen Verlaufe der europäischen Philo- sophie so fern, daß ein Lehrbuch wie das seine keine Ver- anlassung habe, darauf einzugehen. So wenig hiegegen sich etwas wird einwenden lassen, so richtig wird man es doch auch wieder finden, daß Paul Deusseu in seiner Allgemeinen Ge- schichte der Philosophie meinte, auch die von unseren Philosophie- historikern gemeinhin ganz vernachlässigte, von der westasiatisch- europäischen so wesentlich verschiedene orientalische, vor allem die indische Gedankenwelt in eingehender Weise nach ihrem ge- schichtlichen Zusammenhange zur Darstellung bringen zu müssen. In einer „Allgemeinen Geschichte der Philosophie" aber, wenn sie diesen Namen mit Recht beanspruchen wolle, so bemerkt I er im Vorwort zur Schlußabteilung seiner Darstellung der indischen 1 Philosophie, dürfe als Anhang zu ihr und als Abschluß der j ganzen ostasiatischen Philosophie auch eine Übersicht der philo- i sophischen Anschauungen der Chinesen und Japaner nicht fehlen. Und so enthält denn auch dieser TeiP S. 673 715 einen An-

I

^ Vgl. in diesem Archiv XIII S. 373 397.

* Paul Deussen Allgemeine Geschichte der Philosophie mit "besonderer Berücksichtigung der Religionen 1 3. Die nachvedische Philosophie der Inder. Nebst einem Anhang über die Philosophie der Chinesen und Japaner. Leipzig, F. A. Brockhaus 1908.

256 Hans Haas

hang mit der Übersclirift „Einiges über die Philosophie der Chinesen und Japaner". Freilich bekundet dieser Abschnitt, ' besonders soweit er sich die Würdigung der chinesischen Geistes- Tvelt angelegen sein läßt, leider allzusehr, daß diese auch dem Terehrten Autor selbst ein „fernes Gebiet des menschlichen ! Wissens" ist. Auf Japan, das für dieses Referat allein in Be- , tracht kommt, entfallen nur wenige Seiten des Anhangs (1. Vor- bemerkungen; 2. Das alte Japan und die Schinto- Religion; 3. Der ; Buddhismus in Japan; 4. Neukonfuzianismus und Gegenströ- mungen; 5. Beschluß). Als Quelle wird Florenz' Geschichte der japanischen Literatur (1906) genannt, neben der auch ältere Über- setzungen und Darstellungen sich von großem Nutzen erwiesen ; hätten. Hervorgehoben seien, weil sie eine gute Allgemein- orientierung geben, die folgenden Sätze S. 710f.: „Wie die Ger- j manen erst unter dem Einflüsse des Christentums und der ! griechisch-römischen Bildung zu höherem geistigen Leben er- wacht sind und dadurch der Wohltat verlustig gingen, die in . ihnen liegenden Bildungskeime ungestört durch fremde Einflüsse : zu entwickeln, ebenso und ungefähr gleichzeitig mit dem Ein- ; dringen des Christentums in Deutschland wurde Japan im 6. Jahr- , hundert p. C. durch die Einführung des Buddhismus aus Korea ; und China und der ihm nachströmenden chinesischen Kultur der Zögling einer ausländischen Weisheit, welche die in der ; Schinto -Religion liegenden Keime einer rein nationalen Ent- ' Wicklung teils erstickte, teils wenigstens zurückdrängte. Und als nach den Zeiten des Verfalls, in denen auch der Buddhis- mus viel von seiner Triebkraft eingebüßt hatte, seit 1600 p. C. unter der kräftigen und weisen Herrschaft der Schogune eine Wiedergeburt des nationalen Lebens erfolgte, da war es wiederum der Neukonfuzianismus, welcher auf die besseren Kreise der Nation eine stärkere Anziehungskraft ausübte als der alters- j schwache Buddhismus und als die Versuche, dem einheimischen ! Schintoismus neues Leben einzuhauchen. Immerhin trugen diese Versuche dazu bei, die große Umwälzung herbeizuführen, welche i

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1868 die Macht der Schogune brach, um dem mit der Schinto- lehre eng verwachsenen Kaisertum die so viele Jahrhunderte lang entbehrte Machtstellung wiederzugeben. Aber eben diese Umwälzung war es, welche der europäischen Bildung die Pforten des Mikadoreiches in liberalster Weise öffnete und zum dritten Male Japan unter einen ausländischen Einfluß stellte, dem es noch bis auf die Gegenwart hin unterliegt."

Wird mit dem diese Skizze dann weiterhin erläuternden Blick auf die geistige Geschichte Japans schwerlich einem Leser viel geholfen sein, so zeigt der Beitrag über das japanische Religions- wesen, den Hackmann zu Schieies noch im Erscheinen be- griffenen Handwörterbuch beigesteuert hat^, daß man nur die vorhandene neuere, wirklich zuverlässige Literatur zu kennen und zu nützen braucht und dann dermalen sehr wohl imstande ist, die geistige Geschichte Japans ganz anders zu skizzieren. Der sehr zweckdienliche Artikel ist wohl längere Zeit vor Druck- legung zur Ablieferung gelangt und scheint durch die Presse gebracht zu sein, während der Verfasser sich auf seiner letzten Forschungsreise befand. Das wird es erklären, daß man bei den Literaturangaben einiges Neuere vermißt, das nachzutra- gen gewesen wäre, und daß auch einige Druckfehler stehen geblieben sind. Für Lloyel (Sp. 265) lies Lloyd. Mißlicher ist in einem Artikel eines Nachschlagewerkes, daß Sp. 262 aus einer Remmonkyö- Sekte im Drucke eine Kommonkyo ge- worden ist.

Ziemlich viel Kritik hatte ich an der kurzen Darstellung der japanischen Religion zu üben, die C. von Orelli in seiner 1899 erschienenen Allgemeinen Religionsgeschichte gegeben (s. meine Besprechung in Mitteil, der deutschen GeseUsch. für Natur- 11. Völkerk. Ostasiens Bd. IX, Tl. HI, S. 367—389). Ihre volle

^ Die Beligion in Geschichte und Gegenwart Handwörterbuch in gemein- verständlicher Darstellung, unter Mitwirkung von Hermann Gunkel und bto Scheel herausgegeben von Friedrich Michael Schiele und Leopold pseharnack, Tübingen, Mohr (Paul Siebeck) 1912 III Sp. 258 265.

Archiv f. E eli gions-wissenschaft XVII X 7

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Bereclitigung hat der Verfasser unumwunden zugegeben, Sie hat ihn, als er ein Jahr vor seinem Ableben die Genugtuung hatte^ eine Neuauflage seines vom offenbarungsgläubigen Standpunkte aus abgefaßten theologischen Handbuchs^ besorgen zu müssen^ bestimmt, das betreffende Kapitel nicht nur wie viele andere einer gründlichen Überarbeitung zu unterziehen, sondern ganz neu zu schreiben. Aus 4Y2 Seiten der ersten Auflage sind nun in der zweiten deren 17 geworden. War der Abschnitt, wie der verewigte, um die allgemeine Religionsgeschichte hervorragend ver- diente Forscher im Vorwort der 2. Auflage selber zugibt, in seiner früheren Fassung „höchst unzureichend", so kann er sieh in seiner jetzigen Gestalt, alles Wesentliche richtig bietend, neben jedem anderen des Buches 'sehen lassen. Als den Hauptvorzug der Orellischen Gesamtdarstellung der Religionsgeschichte gegen- über anderen ähnlichen Werken, die wir haben, erachte ich neben der sie auszeichnenden methodischen Einheitlichkeit, die naturgemäß verloren gehen muß, wo eine größere Zahl von Autoren sich in die Arbeit teilen, die schon von P.W. Schmidt, S.V. D., rühmend hervorgehobene zutreffende Darstellung der ethnologischen Gesamtverhältnisse der einzelnen Völker. So geht auch hier der Charakterisierung der in Betracht kommenden Religionen (Schinto, S. 106 113; Kongtse in Japan, S. 113 114^ der Buddhismus in Japan, S. 114 119; die Religion im heutigen Japan, S. 119 121) eine Einleitung (S. 104 106) voraus, die dem Leser das Wichtigste über Abstammung, körperliche Eigen- schaften, geistige Eigenart, Sprache und Kultur der Bewohner von Dai Nippon mitteilt. Bei Beschreibung der Religionen selbst zeigt sich wie auch sonst des Verfassers Bestreben, diese selbst sprechen zu lassen und ihrem religiösen Gehalt gerecht zu werden, ohne sie zu idealisieren. Das in Lieferungen erscheinende Werk ist noch im Erscheinen begriffen. So kann ich kleine Corrigenda dem Herrn Herausgeber direkt als Beitrag für die doch wohl

^ Allgemeine BeJigionsgeschichte, Bd. 1 u. 2. Bonn, A. Marcus 11. E Weber^ , 1911 ff. ''

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vorgesehene Erratatabelle zur Verfügung stellen und darf davon absehen, sie hier zu vermerken.

Mehr geschieh tsphilosophische Reflexionen, die beim Leser schon Vertrautheit mit der japanischen Religionsgeschichte voraus- setzen, als eine eigentliche Darstellung des japanischen Religions- wesens in seiner Ganzheit bietet eine hier noch zu nennende Publikation, die zum Verfasser einen längst auch bei uns rühm- lichst bekannten japanischen Religionshistoriker hat: Anesaki Masaharus Le sentiment religieux che0 les Japonais} Die interessante, bereits in der Bevue du Mois veröffentlichte Studie, die vor allem geeignet ist, eine Vorstellung davon zu geben, wie Japan es verstanden hat, durch die von auswärts im Lande eingedrungenen Religionsformen sein religiöses Eigengut be- fruchten zu lassen, gibt sich als Conference faite au Gerde ^Äutour du Monde' d Boulogne-siir- Seine, dans Fevrier 1908. Bemerkens- wert ist besonders, was Anesaki, selber freisinniger Buddhist, über die gegenseitige Beeinflussung von Christentum und Bud- dhismus im Japan der Gegenwart sagt: „Das Erlösungsdogma unter anderem findet 'sich im Denken der japanischen Christen aller Sühnevorstellung entkleidet. Der exklusive und strenge Monotheismus des Alten Testaments sänftigt sich in der christ- lichen Religion ab zu einer Religion kindlicher Liebe zu dem Vater im Himmel, eine 'Christianisierung', sozusagen, des Christentums, die ebenso wie dessen rapides Vorwärtsdringen mm Teile in dem Einflüsse der auf Herstellung einer geistigen Gremeinschaft gerichteten idealistischen Bestrebungen, die einen 1er wertvollsten Bestandteile des japanischen Seelenlebens au^- uachen, ihren Grund hat. Wenn die ^jungen Buddhisten' sich )eflissen zeigen, sich wieder zum Glauben an die Person des 3uddha zurückzuwenden und ihre Religion von dem ihr anhaftenden ^acerdotalismus zu reinigen, so darf man das, zu einem gewissen »laße wenigstens, auf die vom Pietismus des Protestantismus

^ Erscliienen im First Beport of the Association Concor dia of Japan ^ okyo 1913, S. 94—114.

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ausgehenden Einwirkungen zurückführen. Und so auch sind es nicht nur die praktischen Methoden der christlichen Propaganda, die die Buddhisten dazu führen, sich entsprechender Praktiken zu bedienen, auch der Geist und die Methoden historischer Kritik können noch einmal für den Buddhismus nutzbar gemacht werden und eine Renaissance bei den Buddhisten hervorrufen, indem sie diese, zurzeit in eine Unzahl von Sekten zersplittert, zam Bewußtsein der faktischen Einheit ihrer Religion bringen." Als Beispiele dahinweisender Tendenzen führt eine Fußnote auf die Gründung von buddhistischen Jünglingsvereinen, die Ver- öffentlichung buddhistischer Schriften in moderner Gestalt, die Diskussionen über die Bedeutung der Persönlichkeit Buddhas im Buddhismus. Hervorhebung verdient von Einzelheiten noch die von Anesaki hier gegebene Definition des japanischen Aware, ein Wort, für das sich in keiner unserer europäischen Sprachen ein wirkliches, alle Bedeutungsnuancen des schillernden Ausdrucks wiedergebendes Äquivalent finden läßt, sowie seine Erklärung des zur Bezeichnung Buddhas gebrauchten Terminus Nyorai (Sanskr. Tathägata): Celui qui a atteint la Lumiere en suivant la Verite und zugleich Cdui qtä est venu de la Verite.

Das Heft, in dem Anesaki seinen Vortrag hat neu drucken! lassen, ist ein Bericht über die vor allem auf Betreiben Naruses, des Gründers der „Frauenuniversität" in Tokyo, neuerlich zu- standegekommene, auch von Führern des Geisteslebens in Deutsch-^ land wie Eucken, Häckel, Harnack, Kind, Kerschensteiner, Lamp- recht, Matthias, Ostwald, Rein, Weinel, Wundt in Stammbuch- blattstilisierungen begrüßte Gründung einer japanischen Gesell- schaft Ki-itsu Kyökwai (Verein Concordia), die sich die Aufgabt vorgesetzt hat, Ost und West geistig einander zu verbrüdern.- Ich fürchte, es geht wie schon so oft mit solchen Gründungen ^ die mit viel Getön ins Werk gesetzt wurden: man wird in de ' Folge nicht eben viel mehr von ihnen zu hören bekommen. Vo]

* Siehe Hans Haas West-östliche Concordia in Internat. Monatsschril 8. Jahrg. (1913) Nr. 3, Sp. 363—372.

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den auf ihr Programm gesetzten Problemen, deren Erörterung man sich angelegen sein zu lassen vorerst den guten Vorsatz hat, seien aber doch wenigstens die auf die Religion bezüglichen hier mitgeteilt: 1. Das Wesen des religiösen Glaubens, mit be- sonderer Berücksichtigung der fundamentalen Einheit der ver- schiedenen Religionen; 2. Die Shinto- Sekten, ihre Eigenart und die von ihnen ausgeübten Einflüsse; 3. Die buddhistischen Sek- ten . . . .; 4. Die christlichen Kirchen . . . .; 5. Die konfuzianische Ethik, ihre Eigenart und ihr wirklicher Einfluß auf das dermalige Leben Japans; 6. Die gegenseitige Beziehung und Beeinflussung unter den in Japan existierenden Religionen, mit besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen Buddhismus und Christentum; 7. Der Platz, den der religiöse Glaube im sozialen Leben der Gegenwart einnimmt; 8. Allgemeine Gedanken- und Glaubenstendenzen innerhalb der heutigen Zivilisation.

Shintö. Eine trotz geringen Umfanges inhalt- und lehr- reiche quellenmäßige Untersuchung über Shintö nennt 0. Nacho d in seinem mir eben noch rechtzeitig zugehenden elften Japan- 1 referat in den Jahresberichten der Geschichtswissenschaft XXX IV ein mir selber noch nicht bekanntes Heft von M. W. de Visser^, (las erste einer neuen Reihe holländischer, kurz gefaßter Ab- handlungen, dazu bestimmt, Kenntnisse über die religiösen Ge- danken und Begriffe der verschiedenen Völker aller Zeiten zu verbreiten. Es stützt sich nach ihm nicht nur auf die nicht ohne selbständige Kritik verarbeiteten wertvollen abendländischen j größeren Werke auf diesem Gebiete, sondern auch auf einheimi- Isches Material Japans wie Chinas. „Der 1. Abschnitt behandelt idie Gottheiten unter stetem Vergleich mit China und besonders mit Hinweis auf Zusammenhänge mit ^Yang' und *Yin', dem sog positiven und negativen Prinzip, das dort alles Denken und auch das Alltagsleben so wirksam beherrscht. Im 2. Abschnitt

^ Shintö, de Godsdienst van Japan {Groote Godsdiensten^ 1. Ser. Nr. 1\ Baarn 1910,

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(die Mythen) entwirft der Verfasser ein möglichst übersichtliches Bild, so gut es sich aus den oft so zusammenhangslosen Sagen über die Götterzeit im *Kojiki' und ^Nihongi' herausschälen läßt. Hierauf folgt ein Abschnitt über den Kultus^ in dem Priesterschaft^ die Kultstätten, das Grebet, die Opfergaben, die Feste, rituelle Vorschriften, Inspiration, Weissagung und Zauberei behandelt werden. Ein geschichtlicher Überblick würdigt kurz die Einwirkung des Buddhismus, die Verschmelzung beider Religionen (Ryöbu-Shintö) und die Neubelebung im Zusammen- hang mit den politischen Ereignissen des 18. und 19. Jahrh." Zu den eingehenderen monographischen Darstellungen der japanischen Volksreligion, die im vorigen Referate zu besprechen waren, ist im Berichtszeiträume außer einer englisch geschriebenen, die mir nicht zugänglich geworden^, eine neue deutsche, und das eine recht brauchbare, von Emil Schiller^ hinzugekommen, eine Darstellung, die geeignet sein dürfte, den meisten, die sich für den Gegenstand interessieren, die sonst vorhandene einschlägige Literatur wohl gar zu ersetzen. Das Buch, mit seinen 91 Seiten nicht umfangreich und doch alles Wesentliche bringend, ist geradezu fesselnd geschrieben. Sein Verfasser, seit 18 Jahren in Japan missionarisch tätig, erklärt, bei Abfassung des kleinen Werkes vor allem an die gedacht zu haben, denen der religiöse Fortschritt des japanischen Volkes am Herzen liegt. Indem er

^ M. Terry The Shinto cult, a Christian study of the ancient religion of Japan (98 S.). H. Huntley Kami-no-michi. Ihe icay of the gods in Japan^ London, Huntley, XI, 339 S., ein Buch, dessen Titel zu der Annahme verleiten mnß, daß man es mit einer Monographie über Shintö zu tun habe, entpuppte sich, nachdem ich es mir durch den Buchhandel beschafft, als ein Roman aus dem Japan unserer Tage mit synkretistischer Tendenz, dessen Verfasserin, unverkennbar eine Avatara von Lafcadio Hearn, zugleich gelehrige Schülerin Arthur Lloyds, daheim wohl im okkultistischen Lager zu suchen ist. Das phantastische Dichtwerk, das bei allen sprach- lichen Schnitzern und sachlichen Unmöglichkeiten und Entgleisungen immerhin große Vertrautheit mit der japanischen Welt bekundet, vertritt doch auch recht vernünftige Anschauungen über Religion und Religionen.

^ Shintö, die Volksreligion Japans^ Berlin -Schöneberg 1911, Protest. Schriftenvertrieb.

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das Kuriosum der Religionsgeschichte zutage treten läßt, daß in Shintö eine primitive durchaus superstitiöse Religionsform bei einem in anderen Stücken so hocli entwickelten und welt- geschichtlicli wichtigen Kulturvolke sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat, möchte er erweisen, daß auch in Japan christ- liche Missionstätigkeit durchaus nicht überflüssig sei. Dabei aber verkennt er keineswegs die vielen gewinnenden Züge, die der Shintöreligion eignen, noch kostet es ihm, dem Missionar, Überwindung, diese hervorzuheben. Die Mythologie, die als Unterlage des Shintö in dessen Darstellungen sonst mit Recht einen breiten Raum einnimmt, wird von Schiller kurz abgetan. Auf die Geschichte der Religion, ihre Ursprünge und ihre Ent- wicklung wird, wenn es natürlich auch an gelegentlichen Hin- weisen darauf nicht fehlt, wenig eingegangen. Geflissentlich ist es dem Verfasser nur darum zu tun gewesen, Shintö darzustellen, so wie er heute im japanischen Volke existiert und sich auslebt, als eine Religion, die immer noch einen gewaltigen Einfluß auf Denken und Fühlen der Massen des japanischen Volkes ausübt, diesem einerseits eine geschlossene nationale Kraft verleihend, aber andererseits auch seinen Kulturfortschritt hemmend. Insofern tritt Schillers Arbeit, wie ich schon an anderem Orte (Theol. Literaturzeitung 1911, Nr. 18 und Zeitschr. f. Missionsk. und Religionsw. 1911, S. 123) konstatiert habe, den früheren von Aston, Florenz, Revon, die auf den alten literarischen Quellen fußen, ergänzend zur Seite. In etwas ein Ahnliches lag, wenigstens in deutscher Sprache, bis jetzt nur vor in der Skizze Langes in der dritten Auflage des Lehrbuchs der Religionsgeschichte von Chan- tepie de la Saussaye. Die 13 Kapitel, in die sich der Stoff des Werk- chens zerlegt, tragen die Überschriften: 1. Einleitung; 2. Shintö als Naturreligion; 3. Shintö als Mikadoverehrung; 4. Shintö als Ahnenverehrung; 5. Shintö als Heldenverehrung: 6. Shintö als Polytheismus; 7. Die heiligen Orte; 8. Die Priester und der Kultus ; 9. Das Gebet; 10. Heiligkeit; 11. Die Festfeiern; 12. Urteil über die Shintöreligion; 13. Die Zukunft der Shintöreligion.

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Wer sicli von Schiller in den Gegenstand hat einführen lassen^ wird wohl vorbereitet sein, selbst Stellung zu nehmen zu der von Hackmann in seinem letzten Buche ^ aufgeworfenen Frage, ob denn Shintö überhaupt als eine Religion anzusehen sei. Die Reflexionen, die Hackmann in dem „Das Land der Sonnen- göttin" überschriebenen nachdenklichen Kapitel anstellt, laufen darauf hinaus, daß ShintÖ allerdings ohne Zweifel einmal wirk- lich eine solche gewesen sei, damals, als der Japaner noch ein primitives Naturkind heißen durfte, daß man aber Bedenken tragen müsse, das, was heute noch, nachdem ihm eine andere religiöse Macht, der Buddhismus, gleichsam die Seele heraus- gezogen und nur die überlebten Formen habe stehen lassen, als Shintö auftritt, Religion zu nennen.

„Eine Religion im modernen Sinne ist Schinto keineswegs, sondern eine Art von Verehrung der Majestät der Nation und des Kaisers. Das religiöse Bedürfnis wird davon nicht befriedigt" war auch in der dritten deutschen Auflage von Tieles be- kanntem Kompendium der Religionsgeschichte (S. 61) zu lesen. In der 1912 erschienenen vierten Auflage dieses Werkchens* gehört auch der die Shintöreligion behandelnde 31. Paragraph zu den 74 von dem Bearbeiter D. Söderblom gänzlich neu geschriebenen Abschnitten. Zu den auf S. 56 für diesen Teil gegebenen Literaturangaben sei im Vorübergehen berichtigend bemerkt, daß an den in Vol. VII und IX der Transactions of the Asiatic Society of Japan veröffentlichten Übersetzungen der alten japanischen Rituale Florenz keinen Anteil hat , daß dieser deutsche Japanologe aber in Vol. XXVII der Transactions p. 1 bis 112 die von dem Engländer Ernest Satow begonnene Ar- beit fortgesetzt hat.^

^ Welt des Ostens, Berlin, Karl Curtius 1912, S. 284 318.

* Tieles Kompendium der ReligionsgeschicJite. Vierte, völlig um- gearbeitete Auflage von D. Nathan Söderblom. Berlin, Theophil Biller 1912.

^ Von dem ebenda mitverzeichneten bekannten Vademecum Chamber- lains Things Japanese liegt, wie angemerkt sei, jetzt auch eine deutsche Ausgabe vor: BasilHall Chamberlain Allerlei Japanisches (Things Japanese).

Religion der Japaner 1909—1913 265

Florenz' Abhandlung über Shintö in Hinnebergs großem enzyklopädischen Werke wäre dem von Söderblom gegebenen Verzeichnis der wichtigsten Arbeiten noch einzureihen. Mittler- weile ist übrigens der Band, dem sie als Teil angehört, in zweiter Auflage erschienen. Die wertvolle Skizze ^, die im vorigen Referat ausführlich besprochen wurde, ist darin ganz unverändert wieder abgedruckt. Gegen die von M. Revon begründete An- schauung, daß die gewöhnlich als Ritualgebete bezeichneten, zum Teil uralten Norito nicht wirklich Gebete, sondern magische Formeln seien ^, werden nach 0. Nach od (Jahresberichte der Ge- schichtswissenschaft 32, in, 390) von einem anderen Erforscher des Shintö und des alten Japans überhaupt, von dem inzwischen (22. November 1911) verstorbenen Aston, ernste und über- zeugende Einwände erhoben, ebenso gegen einige andere Aus- führungen in der Revonschen Abhandlung.^ Aus einem vor hundert Jahren von dem Shintögelehrten Hirata verfaßten Werke Tama-dasuki, dessen Inhalt schon Satows alte Abhandlung The reviväl of pure Shin-tau skizziert hat, hat R. J. Kirby einen Abschnitt in extenso übersetzt, Hiratas Kommentar zu dem an die Göttin der Nahrung zu richtenden Gebet.* (Vgl. Satow

j a. a. 0. S. 75f.)

I Neues Licht über eine Seite des Shintökults, der, wie schon

I Übersetzt von Bernhard Kellermann. Berlin, Bondy 1912. Nach einer i Besprechung in der Ostasiatischen Zeitschrift II Heft 2 S. 235 hat die j außerordentliche Leichtfertigkeit des Übersetzers dem Buche, das im Original

seinerzeit ein sehr verdienstliches Werk gewesen, allen Wert genommen. ^ Florenz Der Shintoismus in Die Religionen des Orients und die

altgermanische Religion (Die Kultur der Gegenwart, herausgeg. von Paul I Hinneberg. Teil I Abt. III 1), 2. Aufl., Leipzig und Berlin, Teubner 1913. ! ^ Les anciens rituels du Shintö consideris comme formules magiques, \ Transact. ofthe 3 d Internat. Congr. for the Bist. ofReligions 1 b). 165—181. \ Le rituel du feu dans fanden Shintö, T'oung-Pao Serie II Yol. IX l|S. 214—235.

j ^ W. G. Aston Are the Norito magical formulae? T'oung-Pao Serie II iVol. X S. 559 566. I * Ukemochi no kami, the Shintö goddess of food, Transact. ofthe Asiat.

8oc. of Japan vol. XXXVIII part II 39 56.

266 Hans Haas

die Dürftigkeit der diesbezügliclien Literatur zeigt, bisher nur wenig BeacMung geschenkt worden war, verbreitet in ihrem ersten, mit den shintoistischen Formen sich befassenden Teile eine Studie von E. Ohrt über die Totengebräuche in Japan ^^ eine der wertvoHsten Darbietungen, die uns die letzten Jahre gebracht haben. Außer zwei Abhandlungen von A. v. Knobloch^ und A. Hyde Lay^ und einem Artikel in einem nicht eben so leicht zugänglichen neuen enzyklopädischen Werke ^ der dem Verfasser entgangen zu sein scheint, lag bis jetzt an Arbeiten über den Gegenstand in einer europäischen Sprache auch m.W. sonst nichts vor. Eine nicht unbeträchtliche einschlägige Lite- ratur ist dagegen in Japan selbst vorhanden, und diese hat außer Informationen, die auf mündlichem Wege von unter- richteten Japanern gewonnen wurden, Ohrt für seine sehr dankens- werte Schilderung der Vorgänge bei einer Totenbestattung und der später stattfindenden Totenfeiern sich zunutze gemacht. Haupt- sächlich ist es ein vor etwa vierzig Jahren von zwei shintoisti- schen Autoritäten Konoye Tadafusa und Senge Takatomi ver- faßter Leitfaden mit dem Titel Sösai Byahi sliihi (Abgekürztes Zeremoniell für Beerdigungen), das ihm den Stoff für seine Ab- handlung geboten. Auf Grund des Glaubens, daß die Seelen der Verstorbenen, nach dem Tode an der Stätte, wo sie gelebt haben, weiter lebend, die Fähigkeit und die Aufgabe haben, das Land und insbesondere die Hinterbliebenen zu schützen, sind diese darauf bedacht, sich das Wohlwollen der Seelen der Abgeschiedenen durch Darbringung von Opfern und durch Ver-

^ Mitteil, der Deutschen Gesellsch. f. Natur- u. Völkerk. Ostas. Bd. XIII Teil 2 S. 81—121.

* Die Begräbnisgebräuche der Shintoisten^ Mitteil, der Deutschen Ge- sellsch. f. Natur- u. Völkerk. Ostas. Bd. 1 Heft 6, S. 39 ff.

^ Japanese Funeral Rites, Transact. of the Asiat. 8oc. of Japan vol. XIX part III 507—544.

^ Death and Disposal ofthe Dead (Japanese), Encyclopaedia of Religion and Ethics vol. IV 485 497. Die Arheit Ohrts iit von Lloyd bereits mitverwertet.

Religion der Japaner 1909—1913 267

ehrung der Toten zu sichern. Die für diesen Kult vorgeschriebenen Formen, natürlich schon lokal gesondert, sind auch in den einzelnen Sekten man unterscheidet deren dreizehn im Shintö nicht ganz einheitlich, und man wird im Sinne zu behalten haben, daß das in der vorliegenden Arbeit geschilderte Zeremoniell zu- nächst nur das einer einzelnen dieser Korporationen, der Ver- fasser sagt nicht welcher, darstellt. Als allgemein shintoistisch wird man aber wohl die mitgeteilten agendarischen Gebete^ an- sehen dürfen, die bei den verschiedenen Akten (1. Hinüberlei- tung der Seele des Verstorbenen in die Ahnentafel oder das tamoshiro, in der Regel ein Metallspiegel, ein Edelstein oder etwas Ahnliches; 2. feierliche Entfernung des Sarges aus dem Sterbehause; 3. Hauptfeier für das gesamte Trauergefolge; 4. eigent- liche Beerdigung) gesprochen werden. Sie sind durchweg an die Seele der als Gottheiten angeredeten Abgeschiedenen ge- richtet. Sofort nach beendeter Beerdigung beginnen die Feiern zum Gedächtnis des Toten, indem während der ersten fünfzig Tage nach dem Tode täglich (an jedem zehnten Tage in reich- licherer Menge) neue Opfer vor demtamashiro dargebracht werden. Am fünfzigsten Tage wird letzteres aus dem provisorischen Käst- chen, in dem es bis dahin Aufstellung gefunden hatte, in den Ahnenschrein {mitamaya) des Hauses gesetzt, wo die im tamashiro

\ verkörpert gedachte Seele nunmehr ihr dauerndes Domizil hat. Bei dieser Überführung werden die bereits darin behausten Ahnen- seelen gebeten, einzuwilligen, daß der neue Gast fortab gemein-

j sam mit ihnen sich an den dargebrachten Opfern labe. Vor diesem Ahnenschrein werden nun weiterhin am hundertsten Tage und alljährlich am Jahrestage des Todes, besonders großartige am 1., 3., 5., 10., 20., 30., 40., 50. und 100. Jahrestage, ab- gehalten. Außerdem veranstaltet man alljährlich im Frühling und Herbst an einem beliebig gewählten Tage im mittleren Monat dieser Jahreszeiten eine generelle Totenfeier für alle

^ Von mir wiedergegeben in dem von Edv. Lehmann herausgegebenen Textbuch zur Beligionsgeschiclite ^ Leipzig, Deichert 1912, S. 32 34.

26g Hans Haas

Ahnen der Familie. Das Frühlings- und Herbstahnenfest für die Ahnen des Kaiserhauses am 21. März und am 23. September sind japanische Nationalfeiertage. Näheres über die Speiseopfer, die neben den Gebeten den Kern der Kulthandlung bilden^ findet sich in einer zweiten Abhandlung, die Ohrt am gleichen Orte veröffentlicht hat, der genauen Beschreibung des Staats- begräbnisses des am 2Q. Oktober 1909 in Harbin einem Koreaner- attentate zum Opfer gefallenen Fürsten Itö.* Staatsbegräbnisse, von den Japanern erst in der Meiji-Ara mit so vielem anderen von der westländischen Kultur übernommen und bisher seit 1883 erst neun Staatsmännern als höchste Ehrung zuteil geworden, erfolgen immer nach shintoistischem Ritus, gleichgültig zu welchem Glauben sich der so Geehrte im Leben bekannte. Hierin kommt die enge Verbindung, die noch immer zwischen Staat und Shintö aufrechterhalten wird, zum Ausdruck. Zur Zeit des Shogunats waren shintoistische Begräbnisse fast gänz- lich auf den Kaiserlichen Hof beschränkt. Erst durch die Restauration wurden sie wieder neubelebt. Aber auch jetzt noch sind sie den buddhistischen Beerdigungen gegenüber bei weitem in der Minderzahl. Dem Vorbilde des Hofes folgend, zieht der Adel sowie der Offiziers- und Beamtenstand das shintoistische Begräbnis dem buddhistischen vor.

Unter den großen Führern der seit ca. 1700 einsetzenden nationalen Reaktion, die auf eine Wiederbelebung des japanischen Altertums unter Ausscheidung aller eingedrungenen buddhistischen und konfuzianischen Fremdelemente ging und die Wiederher- stellung der Kaiserlichen Macht anbahnte, war der eigentliche Shintö-Theologe Hirata Atsutane (1776 1843), dessen ganz auf den Ahnenkult und das Dogma der göttlichen Abstammung des Mikado basiertes System, nach der politischen Restauration vom Jahre 1868 von der neuen Regierung sanktioniert, als eigentliche Staatsreligion galt, bis es die durch die Verfassung

^ Das Staatshegrähnis des Fürsten Itö^ Mitteil, der Deutschen Gesellsch. f. Natnr- u. Völkerk. Ostas. Bd. XHI Teil 2 S. 123 155.

Religion der Japaner 1909—1913 269

vom Jahre 1889 proklamierte Religionsfreiheit dieses Vorrangs wieder verlustig gehen ließ. Aus alten Vorträgen dieses Archäo- logen gibt R. J. Kirby in englischer Übersetzung Auszüge \ die einen guten Einblick in das Wesen des Shintö -Manismus ge- währen. So gleich das von Hirata seinen Schülern zum täglichen Gebrauch empfohlene Gebet: To the honouraUe smds offar off honourahle ancestorSj to the gener ations of ancestorSj to all the honouraUe souls of relations and to all the souls worshipped at this soul-shrine. I reverence and adore hefore you honourable souls j and pray you let there he no härm happen to my house or hody. Guard me night and day. Hear this my prayer and guard me. Increasingly prosper my great grand children^s de- scendantSy give them long life and success to ahundantly worship the souls of you their ancestors. I pray you to peacefully hear my prayer and to guard me with good fortune. In fear and tremUing I pray and worship you! Die Unsterblichkeit der Seele ist dem Shintö-Theologen unanfechtbares Dogma. Den Hinterbliebenen sollen die Geister der Abgeschiedenen ihres Hauses Realitäten sein; nie sollen sie ihr Haus verlassen, ohne sich zuvor von den Seelen im Ahnenschrein zu verabschieden mit Worten wie diesen: „Ich gehe jetzt aus. Ich fürchte, da werdet Ihr Euch einsam fühlen, aber, bitte, gebt mich ein Weil- chen frei, und, bitte, bewahret mich auf meinem Ausgang vor jedem Unfall und, bitte, seht zu, daß dem Hause nichts passiert'/* Nach der Rückkehr verpassen sie nie, zuerst wieder vor die Seelentafeln zu treten und zu sprechen: „Da bin ich wieder uod Dank Eurem Schutze ist mir nichts zugestoßen. Ich fürchte, Ihr habt Euch einsam gefühlt." Und all das, wird noch aus- drücklich gesagt, darf nicht etwa bloß eine Formsache sein. Ob- gleich die Seelen im Hause wohnen und da tägliche Verehrung ge- nießen, sollen die Hinterbliebenen darum doch nicht meinen, an den Gedenktagen des Todes den Gang zur Begräbnisstätte

^ Äncesträl worship in Japan, Transact. of the Asiat. Soc. of Japan vol, XXXVIII part lY 232 267.

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sicli schenken zu können. Wenn ein Mensch stirbt, so wird er eine Gottheit, deren Seele sich vielfach teilt, wie ein Feuerbrand in Flammen züngelt, also daß sie nicht nur im Ahnenschrein der Häuser eines jeden seiner Kinder, ob er deren gleich zehn hinterlassen hätte, und auf dem Friedhof, sondern allüberall weilt, wo man sie verehrt. Große Sorgfalt ist auf dieZubereituüg der Speiseopfer zu verwenden. Man soll es damit nicht leicht nehmen und sich dabei nach dem Geschmack der Verstorbenen richten. It goes without saying as regards father and mother^ hut in fad in mdking offerings to any one, we ought to offer what they liked wJien alive, or sJiould we at any Urne he eating any tasty thing tJiey would fancy, then ought we to offer it. In spedking of my own wishes I intend of course to ask my cMldren that after my death they will give me plenty of fish and vege- tahle offerings of all Mnds. Daß das Quantum der vor den Seelen- tafeln aufgestellten Speisen sich nicht vermindert, sei ganz und gar kein Beweis dafür, daß die Geister diese unberührt ließen. Sie saugen nur ein wenig in sich ein von seinem Dufte. If there is any one who douhts this, let him compare the flavour of the offerings after they have heen taken down from the shelves with some food which has simply heen put in one side, and he will he ahle to distinguish a slight difference. A person with a Jceen taste will notice this at once.

Am Schlüsse seines 1905, veröffentlichten Werkes über Shintö kurz auf die modernen Sektenschößlinge der japanischen Volks- religion, Tenrikyö und Remmonkyö, zu sprechen kommend, meinte Aston damals, es sei nicht wahrscheinlich, daß beide in der Religionsgeschichte irgendwelche Rolle spielen würden. Die Gründer beider Sekten, bemerkte er, waren ungebildete Frauen aus dem Volke, und ihre Lehren sind nichts als ein Mischmasch konträrer Ideen, die, von verschiedenen Quellen entlehnt, durch keinen großen Zentralgedanken beherrscht werden. Auch <^^H| Kongregationalistenmissionar D. Green e, einer der besten Kenne" Japans und der Japaner, der sich 1895 in einer sehr dankens-

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werten Abhandlung in den Transactions of the Asiatic Society of Japan mit der Tenrikyö beschäftigte^, glaubte derselben trotz des Anschwellens ihrer Gläubigenzahl die baldige Auflösung prophezeien zu dürfen. Die schon damals zutage tretende Neigung der Führer der Sekte, durch Abstreifung des anfänglich starken supranaturalen Elements dem wachsenden Einfluß rationalistischer Anschauungen in Japan Rechnung zu tragen und das Schwer- gewicht mehr auf die Moral zu legen, dies schon erschien dem missionarischen Beurteiler als Eingeständnis der Schwäche und als ein Zeichen des Verfalls, der damit bereits eingesetzt habe. Trotz solcher Prophezeiungen und trotz der Verachtung, die sie lange Zeit erfahren hatte, hat die Tenrikyö sich stetig aus- gebreitet, und zwar dermaßen, daß das Ministerium Katsura, dem Erfolg sich beugend, 1908 die seit 1888 von der Regierung als eine eigene Shintö- Sekte anerkannte neue Gemeinschaft als eine besondere, unabhängige Religion neben Shintö, Buddhis- mus und Christentum anerkannte. Während das Christentum in Japan oft mit viel Geräusch seine geistigen Erobererpfade ging, I bis es bei seiner großen Heerschau anläßlich der Feier des Halb- 1 Jahrhundertjubiläums japanischer Missionsarbeit im Oktober 1909 I konstatieren konnte, daß die Zahl der von ihm gesammelten liebenden Anhänger sich auf zirka 170000 belaufe, hat in der 1 gleichen Zeit in aller Stille die Kirche der „Lehre der himm- lischen Wahrheit (oder Vernunft)" eine Anhängerschaft von etlichen Millionen gesammelt. Das Wichtigste über ihre Ent- 1 stehung, Dogmatik, Ethik, Kultpraxis und Literatur bieten ! Abhandlungen und Übersetzungen von L. Bai et (französisch)^ 'und H. Haas.^ Einen andern modernen Schößling des Shintö,

* Ein ausfübrliches Referat über diese Arbeit findet sich in der ZeitscJir. f. Missionsk. u. Religionstviss. Jahrg. 22 S. 196 ff.

I ' Le Tenrikyö, Religion de la Raison Celeste, Melanges Japonais VI

iS. 291-323 und 439 466.

j ^ Tenrikyö. Ein neues synkretistisches Religionsgebilde im Japan unserer Tage^ Zeitschrift f. Missionsk, u. Religionswiss. Jahrg. 25 S. 129—145. Die Tanzpsalmen der Tenrikyö -kwai^ ebenda S. 162— 173 und 193 205.

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die Konkökyö, die, von einem erst 1883 gestorbenen unge- bildeten Japaner begründet und seit 1900 als autonome Shintö- Korporation anerkannt, zusehends wächst, hat J. B. Duthu^ be- schrieben. La secte Konkö a quelque chose de particulier parmi toutes les sedes shintoistes. Ce qui lui est special et lui vaut sa vogue actuelle n'est autre chose que ceci: le fondateur Konk'Oj tont en niant le faste et le nefaste en quelque direction et dans quel- que domaine que ce füt, rehdbilita Konjin, le dieu metal. S'il n'alla peut-ctre pas jusqu'd nier categoriquement et dbsolument toute distinction de faste et de nefaste, du moins il proclama que Konjin etait un dieu archifaste, un dieu qui rend toutes cJioses fastes pour ses proteges et qui neutralise toutes les influences m- fastes quand on s^est mis sous sa protection. KonM rCa donc pas precisement supprime une superstition, il s'est plutöt contente de la deplacer au pro fit de son dieu Konjin. Le dieu metal, au Heu d'etre le dien malfaisant de Vancien temps, est devenu une divi- nite bienfaisante. Et comme le nombre de ceux qui cherchent a attirer le precieux metal dans leur hourse n!a pas diminue par ces temps de civilisation materielle, rien d^etonnant quHls aient tröUve dans Konjin, dieu metal, le dieu digne de leur culte; en le servant, c^est toujours Vantique veau d'or qu'ils servent sans le savoir (p. 19 f.).

Wie wenig die alte Volksreligion Japans ist oder doch jeden- falls sich selber fühlt, als was europäische Beurteiler sie hinzu- stellen sich für berechtigt halten, ein entseelter Kult, das mag zum Schlüsse noch der Hinweis auf ein vor kurzem in Japanisch erschienenes Buch über den ursprünglichen Shintö dartun, das Kakehi Katsuhiko, einen Professor der Kaiserlichen Uni- versität Tokyo, zum Verfasser hat, einen Gelehrten, der auch die allgemeine Religionsgeschichte kennt und sich mit religions- philosophischen Studien befaßt hat. Auf ca. 400 Seiten müht er sich in allem Ernste, die Superiorität des Shintö über jed- wede andere Glaubensform zu erweisen und zu zeigen, daß er

/ La secte Konkö, Melanges Japonais VI S. 1—22.

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wohl tauge, die eine, universale, absolute Religion abzugeben. So können Urteile auseinandergehen!

Buddhismus. Auf dem Internationalen Kongreß für Keligions- geschichte zu Paris hat um die Jahrhundertwende ein Vertreter der japanischen Buddhisten, J. Tchicadzumi, der Hoffnung Aus- druck gegeben, das 20. Jahrhundert werde die Epoche einer Wiedergeburt des japanischen Buddhismus sein, eine Epoche, in der sich derselbe auch nicht mehr darauf beschränken werde, nur in Japan seine Rolle weiter zu spielen, sondern auf der internationalen Schaubühne der Welt als Aktor figurieren müsse. Der Redner schloß daran die Mahnung: N^etudiez pas notre Boud- dhisme comme ime ancienne religion et dans le seul hut de satis- faire votre curiosite; mais etudiez-le comme une religion vivante^ wmme une religion d'aujourd'hui memel^ Die Religionsgemeinde, :als deren Vertreter Tchicadzumi im Jahre 1900 in Paris ge- sprochen, hat das von ihm kundgegebene Ziel all die Zeit fest im Auge behalten und in aller Stille auch verfolgt. Sie hat ihre Missionare nach Formosa, nach Korea, nach China, nach Singapore, nach San Francisco, auch nach England und Deutschland ge- sandt. Über die Gründung einer Ch^i-huan tsing-she d. h. Je- tavana-Schule in China, hinter welcher der japanische Buddhismus «teht, berichtet 0. Franke^, von den chinesischen Statuten des Unternehmens und von einem Aufrufe zu Beiträgen für dasselbe eine wortgetreue Übersetzung gebend. Eine neu entstandene politische Atmosphäre sich zunutze machend, geht man auf nichts Geringeres aus, als das literarisch gebildete China wieder für den Buddhismus zu interessieren, Achtung vor seiner Gelehrsamkeit,

^ Coup cVoeil sur Vhistoire du Bouddhisme au Japon in der Bevue 'de Vhistoire des religions Bd. XLIII S. 160.

* Ein buddhistischer Beformversuch in China. Toung-Pao^ Serie II |To1. X Nr. 5 S. 567—602. Siehe auch O.Franke, Ostasiatische Neubildungen. Beiträge zum Verständnis der politischen und kulturellen Entwicklungs- iTorgänge im fernen Osten (1910), S. 158 165: Die Propaganda des japa- nischen Buddhismus in China.

Archiv f. Eeligionswissenschaft XVII 13

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Verständnis für seinen sittlichen Gehalt in ihm zu erwecken und so eine Wiedergeburt der Religion Buddhas in China, wo diese hauptsächlich durch ihre IQosterinsassen in verdienten Mißkredit gekommen ist, herbeizuführen. Und das ist jedenfalls ein Ver- such, der, da er sich von vornherein, statt auf den verkommenen Klerus, auf das gebildete buddhistische Laien -Element stützt, keineswegs als ganz aussichtslos anzusehen ist. Während so mancherlei die stolze HojBFnung gerechtfertigt erscheinen lassen kann, daß der japanische Buddhismus für das künftige Geistes- leben zum wenigsten Ostasiens noch eine bedeutende Rolle zu spielen berufen ist, hat man sich bei uns allzulange gar nicht darum gemüht, sich erkenntnismäßig genauer mit ihm vertraut zu machen. Ein besonderes Studium aber heischt diese Spielart des Buddhismus, das Mahäyäna- System der Sukhävati- Schulen, denen die überwiegende Mehrzahl der Buddhisten Japans zu- zuzählen ist, und die, während die anderen Sekten mehr oder weniger in Lethargie versunken, eigentlich nur mehr historisches, antiquarisches Interesse beanspruchen können, eben in der Gegen- wart durch propagandistische Rührigkeit ihre ungeschwächte Lebenskraft bekunden. Mit Befriedigung kann nun gesagt werden, daß gerade in den Jahren, die dieser Bericht zu umspannen hat, eine Reihe von Arbeiten in englischer und in deutscher Sprache erschienen sind, die dem Rechnung trugen. Am diensamsten zu: einer ersten allgemeinen Orientierung mag vielleicht der unten i angeführte Aufsatz des Referenten^ sich erweisen. Aus einer Serie von Vorträgen, die A.Lloyd im Winter 1909/10 in Tokyo über die Lehre der von Shinran (1173—1262) begründeten Jödoshin-| shü gehalten, ist ein Buch von 180 Seiten mit etwas inadäquatem] Titel erwachsen^, dessen wissenschaftlichen Charakter freilich

^ H. Haas Die japanische JJmgestaltimg des Buddhismus durch Honen 8h(jnin(1133—1212) und Shinran Shönin(117 3—1262), Zeitschr. f. Missionsk. u. Religionswiss. 27. Jahrg. (1919) S. 129-145.

^ A. Lloyd Shinran and his work, comparative studies in Shinshü] theology, Tokyo, Kyöbunkwan 1910.

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nicht wenig das Bestreben verkümmert, dem Leser zu erweisen, was dem Verfasser selbst von vornherein feststeht: daß der Shinshü- Gläubige, wenn er sein Namu Amida Butsu spricht, dieselbe göttliche Person anredet, auf die sich des Christgläubigen Anbetung richtet, daß beider Religion den gleichen Ursprung hat. Die von ihm beliebte Argumentationsweise, so erklärt Lloyd selbst in der Einleitung, erspare ihm eine Menge anti- quarischer Nachforschungen und historischer Untersuchungen, Untersuchungen, die ja schließlich doch nur von geringem Werte seien, wo es sich um praktische Lebensinteressen handle (S. 6). Wo er solche doch bringt, in den Fußnoten und in den zwei Appendices {Römyöji^ und Manichaean influences in the Shinshu), stößt man auf sehr zweifelhafte Aufstellungen und an- fechtbare Deduktionen. Auch die eingereihte erstmalige Über- setzung eines chinesischen Hymnus auf die Lehre, der Shinran zum Verfasser hat, des Shöshinge, ist mehr eine freie, in vielen Einzelheitenden Ideen Lloyds angepaßte und dogmatischer Termini der christlichen Theologie sich bedienende Paraphrase als eine wirkliche philologische Übertragung des Textes. S. 93 101 findet man, einem japanischen Werke mit dem Titel Shinshü Seikun entnommen, eine Blütenlese von Äußerungen meist mittel- alterlicher Priester über die Kraft des Glaubens, bei deren Aus- wahl ihr Anklingen an neutestamentliche Worte bestimmend war. S. 134 140 wird die Beschreibung des Shinshü -Zeremoniells, wie es bei der Bestattung Köshos, des 21. Abtes des östlichen Hongwanji in Kyoto (gest. 15. 1. 1894), beobachtet wurde, mit- geteilt. Den Hauptinhalt des Lloydschen Buches die an- eführten Stücke sind als bloße Zugaben anzusehen bildet iie gekürzte, gelegentlich glossierte Wiedergabe eines vor nicht langer Zeit japanisch geschriebenen kleinen Buches von R. Nishi- noto, eines Katechismus mit hundert Fragen und zum Teil

^ Dieser Anhang, der die Bedeutung zeigen soll, die der Patriarch iCndö in der Geschichte des Jödo-Mahäyäna gehabt, ist wiederabgedruckt dem weiter unten zu nennenden Buche The creed of half Japan.

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sehr ausführlichen Antworten.^ Den ganzen Text eben dieses Originals bis auf eine längere Auslassung bei Frage 24 die Geschichte der Untersekten der Shinshü betreffend hat A. K. Rei schau er übersetzt^, so daß damit die Hauptpartien des Lloydschen Buches eigentlich überflüssig geworden sind. Die Abschnitte 1 17 zeigen die Sonderstellung, die die Shinshü im Gesamtsystem des japanischen Buddhismus einnimmt; Abschn. 18 28 folgt die Biographie des Begründers und die äußere Ge- schichte der Sekte; der Rest ist der Darstellung ihrer Dogmatik gewidmet. Auch was man da zu lesen bekommt von einer Er- lösung für alle, einzig durch den Glauben an die gnädige Ver- heißung Amidas, eine Erlösung, die einem jeden, auch dem ärgsten Sünder, offen stehen soll, wofern er nur, der eigenen Vernunft und Kraft mißtrauend, sein Hoffen auf die Huld des AUerbarmers setzt, der ihm daraufhin sicherlich einhelfen werde zur Seligkeit in seinem himmlischen Reiche, dem herrlichen Para- dies im Westen, das alles klingt so durchaus unbuddhistisch, daß sich darüber jedem, der die Lehre Buddhas kennt, tatsäch- lich die Frage aufdrängen muß, welche Garantie man denn habe, daß Nishimoto, der Verfasser des Shinshü Hyakuwa, wirklich Shinrans Theologie wiedergibt und nicht einen christlich tin- gierten modernen Shinshü -Buddhismus. So bemerkt z. B. einl französischer Kritiker des Lloydschen Buches^, man könne heil dessen Lektüre nicht umhin zu bedauern, daß so wenig Zitate aus den Werken der großen Lehrer des Amidaismus , des Honen und Shinran und ihrer unmittelbaren Schüler, angeführt würden, die allein, wo sie in gleichem Sinne lauteten wie ISTishimotos Auß-i| führungen, den Argwohn benehmen könnten, den man sonst nicht leicht los werde: daß diese der christlichen Doktrin so frappant: ähnelnden Lehren bloße Umbiegungen der genuinen Shinshü-

^ Shinshü HyaJcmva. Tokyo, Moriya,

^ A catechism of the Shin sect (Buddhism), Transact. of the Asiat, r of Japan vol. XXXVIIl part V 331—395. ^ Melanges Japonais VII 436 447.

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Gedanken in geflissentlicher oder unbewußter Annäherung an die von einem heutigen Buddhisten natürlich gekannte christliche Theologie seien. Was hier gewünscht wird, eben das will mein Buch *Amida Buddha unsere Zuflucht'^ bieten: eine wirk- liche TJrkundensammlung. Sie gibt wohl zur Genüge authen- tisches Material an die Hand, durch das jedermann in den Stand gesetzt ist, sich mit der eigentümlichen Entwicklungsform bekaimt zu machen, in der sich die Religion indisch- müder Weltabkehr einem tatkräftigen Volke mit Welteroberungsinstinkten annehm- bar gemacht. Geflissentlich habe ich der naheliegenden Ver- suchung widerstanden, die hier erstmalig erschlossenen Schriften zu glossieren, uüd nur auf ein paar gelegentliche Fingerzeige mich beschränkt, gewiß , daß der achtsame und denkende Leser dieser simplen Urkunden einer schlichten Religion der Erlösung, die anstatt des sonst im Buddhismus vorwaltenden Intellektualismus die seligmachende Kraft des Glaubens an das Erbarmen einer beinahe monotheistisch gefaßten Heilandsgottheit predigt, einer Anleitung zur Anstellung der rechten Reflexionen nicht bedürfen wird. Was aber zum' Verständnis des Sinnes der dargebotenen Texte selbst nötig sein mag, das ist in der den Urkunden voraus- geschickten Einleitung und in Fußnoten, mit denen nicht gekargt wurde, wohl genugsam dargeboten. Eine aus Raumrück'sichten fortgelassene Homilie des Priesters Köa Shönin (1269 —1330) das Fushi sögö (siehe 'Amida Buddha unsere Zuflucht' S. 25), habe ich an anderem Orte mitgeteilt.^

Nicht bloß christliche Klänge, sondern geradezu christliche "1 Bücher findet Timothy Richard, Missionar der englischen. Baptistenmission in China, in zwei Texten des chinesischen und japanischen Tripitaka, die er deshalb ins Englische übersetzt

* Urkunden zum Verständnis des japanischen Sukhävatl- Buddhismus (Quellen der Religionsgeschiclite, heraus^-, im Auftrage der Religions- geschichtl. Kommission bei der Königl. Gesellsch. der Wissenschaften in Göttingen) 1910.

^ Christliche Klänge im japanischen Buddhismus, Zeitschr. f. Mission sk. u Religionswiss. 27. Jahrg. S. 1 13 n. 34 46.

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hat^, dem Maliäyänasraddhotpäda und einem Saddharmapundarika- Extrakt. Besonders der ersten^ dieser beiden Schriften mißt er als einem ,, religiösen Eirenicon zwischen dem Osten und dem Westen" eine geradezu unberechenbare Bedeutung bei. Die Grund- und Kernidee des Buches findet er in dem Begriffe Chen ju (jap. Shinnjo). Teitaro Suzuki, der dasselbe bereits im Jahre 1900 einmal ins Englische übersetzt hat, hat diese Be- zeichnung für das absolute Sein als das chinesische Äquivalent für Sanskrit Bhütatathatä genommen und mit Suchness wieder- gegeben, eine Übersetzung, der Paul Carus seine Approbation erteilte.^ Richard ist der Ansicht, daß dieses Suchness den Sinn des ganzen Buches verdunkele, und versteht seinerseits unter Chen ju 'Triie Model, True Form, Archetype, d.i. Gott' (S. 3 u. 46). Wenn er dann weiterhin sich für berechtigt hält, Julai (jap. Nyorai = Tathägata) mit Messias oder Gott im Fleisch (the

^ The New Testament of Higher Buddhism. Edinburgh, T. & T. Clark 1910.

^ Schon drei Jahre früher einmal von ihm veröflfentlicht : The awa- kening of faith in the Mahayana doctrine the Neiv Buddhism. By the Patriarch Ashvagosha, who died about A. D. 100. Translated into Chinese by Faramartha (Chen Ti), ivho lived in the Liang dynasty (A. I). 502 555). Translated into English in 1894 by Rev. Timothy Richard, Litt. D., assisted hy Mr. Yang Wen Hivui. Shanghai, Christian Literature Society 1907. Dieser Ausgabe ist der chinesische Text beigegeben.

' Der Begriff Suchness ist nach Carus pure form, or the purely formal aspect of things, determining their nature according to mathematical and mechanical latus. Suchness, according to Agvaghosha, is the cosmic order or Gesetzmässigkeit of the icorld; it is the sum total of all thosefactors ichich shape the universe and determine the destinies of its creatures. It is the norm of existence and is compared to a womb in which all things take shajje and from which they are born. It is Plato's realm of ideas and Goethes Mothers' of the second pari of Faust. (T. Suzuki Agvaghosha' s Discourse on the aivakening of faith, S. 4 f.) Mir selbst schrieb der genannte Ge- lehrte : I know as little a terse Gei-mün translation for "suchness' as you do. Of course the meaning of the icord is 'quality' , but the value of the word in its context consists in bringing out the original meaning of 'quality' and its connection with 'qualis'. The same difficuUy would obtain in trans- lating Hhisness', the scholastic Hocceity. Perhaps ' Bas- hei f and 'So-heif lüould corresxwnd to Hhisness' and 'suchness'. (Privatbrief vom 27. Dez. 1905)

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trm Model become Incarnate, the incarnate God) wiederzugeben, und der Meinung ist, damit den wahren buddhistischen Schlüssel zum Verständnis der Schrift zu besitzen, so ist es schließlich nicht zu verwundern, wenn seine ganze englische Übersetzung christlichen Anstrich bekommt. Hackmann hat gemeint, ihr nachrühmen zu dürfen, sie sei vielfach genauer als die ihr vorauf- gegangene Übertragung Suzukis, der freilich seinerseits die Terminologie des Buddhismus geschickter handhabe.^ Er hat dabei übersehen, daß Suzuki und Richard nach zwei verschiedenen chinesischen Versionen des Textes übersetzt haben, die selbst hinwiederum nicht auf ein und dasselbe Sanskritoriginal, das bis jetzt nicht aufgefunden ist, zurückgehen mögen. Suzuki entschied sich für die Version ^ikshänandas (gest. 710 n. Chr.), während der Richardschen Übertragung die ältere chinesische Übersetzung von Paramärtha (gest. 569 n. Chr.^) zugrunde liegt, die in China wie in Japan mehr gelesen ist als jene. Eine arge Übertreibung ist es, wenn Richard, der nicht ansteht, die Schrift als eines der bedeutendsten Bücher der gesamten Weltliteratur zu bezeichnen (S. 37), sagt: If we estimate the value of looks hy the number of adherents to their doctrines, then, after the Bible, the Koran y the Confucian Classics, and the VedaSj this volume, ahout the sise of the Gospel of Marc, ranJcs next, or fifth, among the sacred hoolcs of the world (S. 38). Im Japan von heute jeden- falls, und so erst recht in China, werden die Priester zu zählen sein, die das Buch je gelesen haben, und noch seltener sind natürlich die Laien, die sich an einen so schwierigen philoso- phischen Text machen. Richard hält es für ausgemacht, daß sein Verfasser Asvaghosha ist, „der Apostel Paulus des Buddhis- mus, der nur fünzig Jahre nach Paulus lebte" (S. 21 und 9). Demgegenüber sei darauf hingewiesen, daß die Datierung der Lebenszeit Asvaghoshas und des Königs Kanishka, als dessen Zeitgenosse er bezeichnet wird, bis heute noch eine sehr strittige

^ Jahresbericht der Geschichtswissenschaft XXX, III S. 348. 2 Richards Daten S. 51 sind falsch.

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ist^ und daß ganz neuerdings M. Winternitz^, wie übrigens auch eine japanische Autorität, Takakusu, die Abfassung de» Sraddhotpäda durch ihn für ausgeschlossen hält. Wie dieses^ philosophische Werk, so ist dem Verfasser auch das Saddharma- pundarika-sütra, in dem er dieselben wundervollen Wahrheiten von Licht, Liebe, Leben finden will, wie sie das Johannes- evangelium bietet, eine Schrift er nennt sie ein fünftes Evan- gelium — , die eine Brücke schlage über die Kluft, durch welche die Religion des Ostens bisher von der des Westens geschieden gewesen sei. Nicht freilich das ganze Sutra, wie es uns bereits in Kerns und Burnoufs Übersetzungen vorliegt. Hier sei das Manna des Neuen (Mahäyäua) Buddhismus, von dem seit andert- halbtausend Jahren so viele Millionen gezehrt hätten, zu sehr überdeckt von indischen Fabeleien und altbuddhistischen Mytho- logemen. Was es ihm angetan hat und was er in Übersetzung- darbietet, ist ein Auszug des Wesentlichsten aus dieser bei den Mahayanisten in so hohem Ansehen stehenden Schrift, ein chine- sisches Exzerpt aus Kumarajivas Übersetzung, das er einer von K. S. Fukagawa besorgten und von der Nichiren-shü veröffent- lichten japanischen Ausgabe in Gestalt von Kopfnoten beigegeben gefunden hat. Noch enthusiasmierter urteilt er über das To Sin King (jap. Shinkyö == Mahäprajnäpäramitährdaya-sütra), the Creed of half Äsia^ wie er es nennt, das es verdiene, den er- habensten literarischen Hervorbringungen des menschlichen Geistes von Hiob bis Kant sowie denen der besten Dichter Indiens und Chinas beigezählt zu werden. S. 268 f. gibt er auch hiervon eine englische Übersetzung. Sie scheint gefertigt zu

^ Auch die neueste, mir selber noch nicht zugänglich gewordene Untersuchung von F. W. Thomas im letzten Jahrg. des Journal of the Royal Asiatic Society (1913) The Date of KanisTika sowie die an dieselbe sich anschließenden Erörterungen anderer (in der Oktobernummer) werden wohl schwerlich die Unsicherheit behoben haben.

' Geschichte der indischen Literatur, 2. Band I.Hälfte: Die buddhisti- sche Literatur S. 2 10 f., und desselben Gelehrten Beiträge zur buddhistischen Sanskritliteratur in der Wiener Ztschr. f d. K. d. M. Band 27 (1913) S. 34 L

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sein ohne jede Zuhilfenahme buddhistischer Kommentare, eine Verwegenheit, die sich gerächt hat.* Aber auch wie Richard den kurzen Text verstanden hat, rechtfertigt er in keiner Weise den ihm vom Übersetzer gewidmeten verzückten Lobpreis, wie es vermutlich auch keinem seiner Leser gelingen wird, in dem Saddharmapundarika- Exzerpt eine Religion zu finden, so mar- vellously like Christianity in its central teaching thät it migJit well he called Pre-Nestorian Christianity (S. 12), oder, wie man an einer anderen Stelle liest, eine Theologie, Christian in every- ihing almost hut its nomenclature (S. 27). Und dies trotz der Unmasse der in den Fußnoten aufgewiesenen neutestam entlichen Parallelen, unter ihnen solche wie: Be fearless (S. 179): vgl. Joh. 14, 27; Fear not (S. 179): vgl. Matth. 10, 2S. Ein selt- sames Buch, auf dessen Autor A. Lloyds Mantel gefallen ist, könnte man versucht sein zu sagen. Aber in gleichem Sinne hat Rev. Richard schon vor langen Jahren sich hören lassen, und Lloyd war um ein Vieles vorsichtiger. Was er als bloße Hypothese vorgebracht, das trägt sein Genosse in China kein Bedenken bereits als Tatsache zu nehmen und zu Folgerungen zu verwerten (vgl. S. 11). Aber auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Sei denn nur noch gesagt, daß Richard nicht dafür hält, daß die seinem Neu -Buddhismus, d. h. dem Mahäyäna, und dem Christentum gemeinsamen Lehren {voneinander entlehnt seien. Sie kamen nach ihm beide von i einer gemeinsamen Quelle, von Babylon, wo jüdische Propheten lihre Gesichte von dem Reiche Gottes, das da kommen sollte, i aufgezeichnet. Von dieser Zentrale der damaligen Welt aus I seien die großen Lebenswahrheiten, wie Samenkörner vom Winde, sowohl nach dem Osten wie nach dem Westen getragen worden, wo sie unter dem Einflüsse verschiedener Bedingungen modi- fiziert worden seien (S. 49).

Ein Verdienst Richards bleibt es trotz allem, daß er erneut

i ^ Vgl. mit Richards Übersetzung die von mir selbst mitgeteilte bei Edv. Lehmann Textbuch zur Beligionsgeschichie S, 21 f

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die Aufmerksamkeit auf die beiden von ihm über Gebühr ge- würdigten Werke gelenkt hat. Unsere Beachtung verdienen sie jedenfalls vor vielen anderen des chinesischen und japanischen Kanons, Die über 6000 Bände, die diesen ausmachen, sind von sehr verschiedenem Werte, und Luther hätte in diesem Bücherhauf wohl mehr als eine ^stroherne Epistel' gefunden. Die alte Sanron- schule zwar hielt dafür, daß alle Schriften gleich heilig und schätzbar seien, da eben der Buddha, auf den sie zurückgeführt werden, als ein weiser Arzt nicht aUen Kranken eine und die- selbe Medizin dargereicht habe, sondern in seiner Riesenapotheke so viel verschiedene Mittel bereitstelle, als es bei den lebenden Wesen verschiedene Krankheiten gebe. Die anderen Schulen alle aber, mit einziger Ausnahme der Zen-shü, die über alle Schriftweisheit die Innenschau und das Lehren ohne Worte, von Geist zu Geist, stellt, haben aus der Masse dieses Schrifttums einzelne wenige Schriften, eine jede von ihnen andere, heraus- gehoben, auf die sie sich gründen und die für sie die eigentliche Glaubens- und Lehrnorm bilden. Es ist von vornherein an- zunehmen, daß diese ausgewählten Schriften wirklich die gehalt- vollsten des Kanons sind. Sehr erquickliche Lektüre freilich bieten auch sie nicht durchaus. In solcher Erkenntnis geht man neuerdings in Japan daran, besonders für die buddhistische Laienwelt die schönsten und tiefsten Sätze aus diesen Schriften auszuheben und zu Anthologien zu vereinigen. Eine solche systematisch geordnete Sammlung von Goldkörnern hat A. K. Reischauer ins Englische übertragen.^ Wann und wo seine japanische Vor- lage erschien, von wem sie zusammengestellt wurde und wie sie betitelt ist, wird vom LFbersetzer nicht angegeben. Die in drei Abteilungen (1. Lehre, 2. Glaube, 3. Praktische Ermahnungen) verteilten Sprüche sind fast ausschließlich der Sutraliteratur entnommen. Der Name der Quelle ist den einzelnen Stellen beigefügt, unbegreiflicherweise leider nur in chinesischen Cha- rakteren, mit denen dem westländischen Leser nicht gedient ist. ^ Buddhist goldnuggets, Transact. ofthe Asiat. Soc. of Japan vol.XLl— 44.

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Schade übrigens, daß Reischauers Wahl nicht auf ein anderes japanisches Werk dieser Art gefallen, ich meine das 1905 von Nanjio und Mayeda kompilierte viel bessere Bukkyö Seiten, ein Buch, das einen ganz außerordentlichen buchhändlerischen Erfolg gehabt, nicht, wie sein Titel „Die heiligen Schriften des Buddhismus" annehmen lassen muß, eine Auswahl in extenso dargebotener Schriften des Kanons, die den Herausgebern die geeignetsten zum Zwecke der Erbauung und populären Unter- weisung erschienen, sondern auch eine solche Blütenlese wichtiger Stellen, die dem Leser systematisch geordnet mitgeteilt werden, so etwas ungefähr wie unsere nach den Hauptstücken des christ- lichen Glaubens angeordneten Spruchbücher.

Von einer außerkanonischen japanischen Schrift gibt, ohne ihren Verfasser zu nennen, ein Japaner, J. Sawai, eine deutsche Übersetzung.^ Es ist dies derselbe Text, von dem schon die Transactions of the Third International Congress for tJie Histöry of Beligions vol. I, löOff. einen Auszug in Englisch brachten.^ Dort belehrt eine wohl von dem englischen Herausgeber her- rührende Fußnote (S. 150), man habe es mit einem vor kurzem (recently) von der Sötö- Schule für ihre Anhänger kompilierten Werke zu tun. Das ist ein Irrtum, den ich hier berichtigen möchte. Womit man es zu tun hat, ist ein bei der Sötö-shü seit über 650 Jahren in höchstem Ansehen stehender ethischer Traktat, dessen Verfasser kein Geringerer als der Begründer des japanischen Sötö-Zweigs des Zen- oder Dhyäna- Buddhismus, der berühmte Priester Dogen oder, wie er seit 1880 heißt, ShöyöDaishi (1200 1253) ist. Im Japanischen hat die Schrift den Namen Sötö kyökwai shüshögi.^ Weniger brauchbar als ihre Über-

^ Grundsätze der Erleuchtung und deren Ausübung im Sinne der Sötö- Sekte. Mitteil, der Deutschen Gesellsch. f. Natur- u. Völkerk. Ostas. Bd. XIII Teil 3 S. 187—197.

\ * Principles of practice and enUgJitenment of the Soto Zen shu. By

I Zenkai Omori.

j * Ygl. des Ref. Übersetzung in der Zeitschr. f. MissionsTc. u. Beligions-

' wiss., Jahrg. 27 S. 200 209.

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Setzung ist die am gleiclien Orte von Sawai für einen anderen wichtigen Text gelieferte ^, dessen Autor seltsamerweise ebenfalls nictt von ihm genannt wird. Es ist derselbe Shöyö Daishi, und der Titel dieser Schrift, die eine sehr ins einzelne gehende Anweisung für die in derZen-shü gepflegte Kontemplationspraxis gibt, ist im Japanischen Fukwan Zazengi.

Die Erstübersetzung einer Schrift, die einen anderen Begründer einer der Hauptsekten des japanischen Buddhismus zum Ver- fasser hat, enthält auch A. Lloyds letztes Buch^ in seinem 25. Kapitel: Nichirens *Risshö Ankokuron', ein Text in Dialog- form, in dem der zornmütige Fanatiker besonders gegen den zu seiner Zeit alles Volk an sich ziehenden Amitäbha-Buddhismus, aber auch noch gegen vieles andere, das in seinen Augen Ver- derbtheit war, eifert und dem Volke, wenn es nicht, von aller falschen Lehre sich abkehrend, das von ihm als köstlichstes Sutra empfohlene Hokekyö (Saddharmapundarika) annehme, Unheil aller Art prophezeit. Die ersten sechzehn Kapitel Lloyds, die Seiten 1 167 seines Werks umfassend, die einen Überblick über die Geschichte des Buddhismus in Indien und China von den Tagen seines Stifters an bis zum Jahre 552 n. Chr., wo er sein äußerstes östliches Thule erreichen sollte, geben, kommen für uns hier nicht eigentlich in Betracht. Vom Buddhismus in Japan wird erst vom 17. Kapitel ab gehandelt, unter folgenden Überschriften: 17. Der Buddhismus erreicht Japan. 18. Der Kronprinz Shötoku Taishi. 19. Der Buddhismus während der Nara- Periode. 20. Der Heian- Buddhismus. 21. ^Namudaishi'. 22. Der Buddhismus der Gempei- Periode. 23. Der Buddhismus von Kamakura, 24. Nichiren und die älteren Sekten. 25. Risshö Ankoku Ron. 26. Die Mongolen. 27. Der Buddhismus der

^ Die Lehre über das direkt von Buddha inspirierte Dhyäna. Mitteil, der Deutschen Gesellßch. f. Natur- u. Yölkerk. Ostas. Bd. XHI Teil S. 181—185.

^ The creed of half Japan, historical sJcetches of Japanese Buddhism, London, Smith, Eider and Co. 1911.

Religion der Japaner 1909 1913 285

Muromachi-Ära. 28. Die Periode der katholischen Missionen. 29. Der Buddlüsmus der Tokugawaperiode. 30. Rekapitulation. Eingehend besprochen habe ich das Buch, das als eine zweite, vollständig neugeschriebene Auflage von Lloyds erster, grund- legender Studie, den 17 Jahre früher in Vol. XXII der Trans- actions of tlie Äsiatic Society of Japan veröffentlichten Developments of Japanese BuddhisMy bezeichnet werden kann, in der Ost- asiatischen Zeitschrift (Jahrg. I S. 238 245). Die dort ge- machten Ausstellungen will ich hier nicht wiederholen. Sie ließen sich noch vermehren. Aber Dank darf man dem un- ermüdlichen ersten Bahnbrecher auf diesem Gebiete, der so reiche Anregungen gegeben, doch auch für diese seine letzte Gabe wissen. Die Überschrift des 21. Kapitels seines Buchs, ^Namudaishi', bedeutet „Ehre sei dem großen Lehrer!" und ist der Titel einer religiösen Ballade auf Kükai oder Köbö Daishi (774 835), die Lloyd für Übersetzenswert gehalten, weil sie einen guten Abriß ^es Lebens dieses großen Priesters und Pioniers der japanischen Kulturentwicklung gibt, so wie dieses dem gewöhnlichen Gläu- bigen in Japan erscheint. Über ihr Alter bemerkt der Über- setzer nichts; es ist aber anzunehmen, daß man es mit keiner Schrift neueren Datums zu tun hat. Ganz eine solche ist dagegen ^ie von E. Schiller in Übersetzung gebrachte, im Japanischen Gogaku no kumo, „Wolke von Gogaku", betitelte Köbö- Biographie.^ Gogaku ist der Name eines Berges, von welchem Köbö sich herabstürzte, um sein Schicksal zu prüfen (vgl. die Versuchungsgeschichte Jesu); eine Wolke aber trug ihn, so daß ■er keinen Schaden nahm. Dieses preisgekrönte Schriftchen, zur Verteilung unter den Besuchern des Haupttempels der von Köbö begründeten Shingonsekte an dessen Geburtstagsfeier (15. Juni)^

'^ Gogaku no Tcumo. Eine populäre Biographie Köbö Daishis, Mitteil, ^er Deutschen Gesellsch. f. Natur- u. Völkerk. Ostas. Bd. XI Teil 4 S. 405 bis 439, auch Zeüschr. f. Missionsk. u. Beligionswiss., 24. Jahrg. S. 179 bis 185, 193 215.

* Erst seit dem Jahre 1898 eingeführt, in Nachahmung christlichen Brauchs. Bis dahin feierte die Shingonsekte nur den Todestag ihres Stifters.

286 Hans Haas

im Jalire 1901 bestimmt, unterscheidet sich von dem 'Namudaishi' hauptsächlich darin, daß es, und das ist charakteristisch für den Rationalismus der heutigen Generation, die Wunder im Leben des Helden ausmerzt.

Einen späteren, weniger bedeutenden Priester des japanischen Buddhismus, den Mönch Kenkö-höshi (1283 1350), lernen wir in seinem von den Japanern von jeher ho chge werteten Haupt- werke, dem Tsure-zure-gusa, durch eine englische Übersetzung kennen, die G. B. Sansom gefertigt hat.^ In den 243 kürzeren oder längeren, in keinerlei innerem Zusammenhange miteinander stehenden Abschnitten dieses Skizzenbuchs „Aus Stunden der Muße und Langeweile'^, aus dem schon Florenz in seiner Ge- schichte der japanischen Literatur eine Anzahl größerer Auszüge in deutscher Übersetzung mitgeteilt hat, gibt sein Verfasser sich zwar als ein Eklektiker zu erkennen, der bald taoistische, bald konfuzianische, bald shintoistische Ideen vertritt, im großen und ganzen aber hat doch die buddhistische Weltanschauung das Übergewicht, und zwar ist es der Buddhismus der Tendai-Sekte, dem er anhängt. Als Appendix ist der Übersetzung ein Beitrag von Professor M. Anesaki, der Sansom auch bei der Wieder- gabe buddhistischer Termini seinen sachkundigen Beistand lieh, über die religiösen Zustände in Japan im 14. Jahrhundert bei- gegeben. Die am gleichen Orte veröffentlichte Abhandlung M. Anesakis über die buddhistische Ethik ^ ist ein durch Bei- fügung chinesischer Ausdrücke ergänzter Wiederabdruck des von diesem Gelehrten .für den Band V von Hastings' Encyclo- paedia of Beligion and Ethics gelieferten Artikels. Die ver- schiedenen Kapitel tragen die folgenden Überschriften: 1. General Characteristics ; 2. Basis and Aim of Morality, MetapJiysics of the Good; 3. Virtiies and Rules of Conductj Practical Ethics:

^ The Tsuredzure gusa of Yoskida no Kaneyoshi. Being the Medi- tations of a Recluse in the 14 ^^ Century. Translated, with Notes. Trans- actions of the Asiat. Soc. of Japan vol. XXXIX.

* Buddhist Ethics and Morality, Tratisact. of the Asiat. Soc. of Jai vol. XL S. 115—152.

»

Religion der Japaner 1909 1913 287

4. Efficacy of Moral Praäice, Ecdesiastical Siele of Ethics;

5. Mental Training and Spiritual Ättainments. Was die Ab- handlung gibt, ist melir eine allgemeine Charakterisierung der buddhistischen Ethik überhaupt. Sie schließt mit dem Satze: To trace the various development and complications of Buddhist morality helongs to the domain of a special history of morals in all the countries converted to Buddhism. Schade, daß in der ge- nannten Enzyklopädie Anesaki nicht auch den Artikel über die Ethik in Japan geliefert hat. Ihn hat S. Tachibana bei- gesteuert^, und er ist, besonders für die Ethik des Buddhismus, etwas sehr dürftig ausgefallen. Ausführlicheres bieten über diese drei von mir gehaltene und nachher gedruckte Vorträge.^ Was ich über die buddhistische Ethik in meiner Skizze des japanischen Buddhismus in dem Sammelbande 'Die orientalischen Religionen' in Hinnebergs Enzyklopädie gesagt, habe ich, da ich nun auf diese Aufsätze verweisen konnte, in der 2. Auflage des Bandes gestrichen, wie ich auch sonst Kürzungen an dieser Darstellung^ vorgenommen habe. Im übrigen ist die Abhandlung, von einigen Zusätzen abgesehen, unverändert geblieben. In dem schon oben unter Shintö genannten neuen holländischen Sammelwerke Groote Godsdiensten hat M. W. de Visser, Konservator am Ethnogra- phischen Reichsmuseum in Leiden, auch, eine knapp gefaßte Darstellung des Buddhismus in Japan gegeben^: 21 Seiten sind der Geschichte der Religion von ihrer Einführung im Jahre 552 bis zur Gregenwart gewidmet; in der Hauptsache nach Fu- jishimas bekanntem Buch wird auf den folgenden 9 Seiten das

i Wichtigste über die einzelnen Sekten gesagt: eigene im Lande

^ Ethics and Morality (Japanese), Hastings' Encycl. ofRel and Ethics V 498 501.

* Das Moralsystem des japanischen Buddhismus, Zeitschr. f. Missionsk. u. Religionswiss. Jahrg. 1912 S. 193 209, 227 241, 257 269.

' Der Buddhismus der Japaner (Die Religionen des Orients und die altgermanische Religion, 2. Aufl. S. 217 242).

* Het Buddhisme in Japan (Groote Godsdiensten^ 1. Serie Nr. 8), Baarn 1911.

288 Hans Haas

gemachte Beobachtungen des Verfassers finden sich im dritten Abschnitt, der die Kultpraxis beschreibt (S. 30 48). Wohl aus Langes Darstellung in Chantepie de la Saussayes Lehrbuch der Religionsgeschichte ist die Angabe S. 47 entnommen, daß das in Tibet eine so große Rolle spielende Gebetsrad in Japan sich nur bei der Tendai- und der Shingon- Sekte finde. Daß dies nicht zutrifft, habe ich bereits vor einem Jahrzehnt bemerkt, und eine neuere Untersuchung von K. Steiner hat es bestätigt.^ Von de Visser ist auch noch eine gelehrte Monographie über den nächst Kwannon bedeutendsten Bodhisattva des Buddhismus von China und Japan, Ti-tsang (Jizö), hier anzuführen, von der freilich bei Ablieferung dieses Referats nur erst das erste Stück vorliegt^, das auf den Kult dieses Heiligen oder dieser Grottheit, des indischen Kshitigarbha, in Japan noch nicht zu sprechen kommt, sondern nach Betrachtung der auf ihn sich beziehenden -Sutraaussagen nur von seinem Kult in Indien, Tibet und Turkestan handelt. Soviel ergibt sich bereits aus den bis jetzt veröffentlichten Darlegungen de Vissers, daß die japanischen Vorstellungen von Jizö durchweg vom Kontinent her über- nommen sind.

Noch einmal muß genannt werden die schon oben erwähnte Abhandlung von E. Ohrt über Totengebräuche in Japan, da sie in ihrem zweiten Teile mit den buddhistischen Formen sich befaßt. Bemerkenswert ist des Verfassers Hervorhebung (S. 83), daß, während die Shintoisten sich offenbar durch die Tatsache, daß ein Fremder sich für ihre Riten interessiere, geschmeichelt fühlten und alles taten, seine Neugierde zu befriedigen, bud- dhistische Priester ihm eine merkliche Abneigung gezeigt hätten, über religiöse Gebräuche, die angeblich nur mündlich überliefert

' Das buddhistische Gebetsrad in Japan, Zeitschr. f. Missionsk. u. Religionswiss. Jahrg. 1910 S. 34 44. Hans Haas Das Gebetsrad im japanischen Buddhismus. Ebenda S. 65—67. Replik von Steiner, ebenda S. 304—307.

* The Bodhisattva Ti-tsang (Jizö) in China and Japari, Ostasiat. Zeitscbr. 2. Jabrg. Heft 2 S. 179-198.

Religion der Japaner 1009—1913 289

würden und ein Geheimnis ihres Tempels seien, Auskunft zu geben. Dem entspreche es, daß auch keine Bücher über die buddhi- stischen Beerdigungsformen veröffentlicht sind. Auch innerhalb der buddhistischen Totengebräuche herrscht eine große Ver- schiedenheit. Die Ohrtsche Arbeit will nur einen allgemeinen Überblick geben. Auf den religiösen Teil der Totenfeiern wird nicht tiefer eingegangen. Die Schilderung der im Tempel vor sich gehenden Zeremonien richtet sich nur nach den in der Jödo- Sekte üblichen Formen. Um so dankbarer muß man für einen ausführlichen Artikel von Lloyd sein, der, hauptsächlich auf Informationen des oben genannten S. Tachibana, eines bud- dhistischen Priesters der Zen- Sekte, beruhend, das religiöse Be- gräbnisritual beschreibt, wie es bei der Zen-, der Shingon-, der Tendai-, der Jödo-, der Shin- und der Nichiren- Sekte ist.^ Hand- schriftliche Agenden gibt es also, wie man sieht, doch auch bei allen Sekten des japanischen Buddhismus. Und daß diese Litur- gien auch gedruckt werden, sieht man daraus, daß eine der Beschreibungen Lloyds, die für die Shin-shü gegebene, einer gedruckten Vorlage entstammt. Es ist der in der Februar- nummer 1894 der Zeitschrift Füzokugwahö erschienene Bericht -über die bei der Bestattung des in eben diesem Jahre verstorbenen 9A. Abtes des östlichen Hongwanji vollzogenen Obsequien.

Zuletzt ist hier noch ein neues Hilfsmittel zu erwähnen, das sich für die Benützung des chinesischen Tripitaka sehr dien- sam erweist. Zu dessen Erschließung hat bekanntlich bis heute das Beste ein japanischer Gelehrter, der Hongwanji- Priester Bunyiu Nanjio, getan. 1883 veröffentlichte er, damals bei i Max Müller in Oxford Sanskritstudien betreibend, seinen hochver- dienstlichen Katalog, nachdem bereits 1876 Samuel Beal die gleiche Arbeit verrichtet hatte, so gut er es vermochte. Kaum bekannt scheint dagegen bei uns zu sein, daß uns seit vier Jahren eine

^ Death and Disposdl of the Dead (Japanese), Hastings' Encycl. of Rel. and Ethics IV 485 497. Vgl. Ders. Das Begräbnisritual der japanischen Mantra- Sekte, Zeitschr. f. Mission sk. u. Religionswiss. Jahrg. 1910 S. 13 15; und Ders. Shinran and his Work S. 134 ff.

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sehr schätzenswerte Ergänzung zu Nanjios wissenschaftlichem Verzeichnis beschert ist. Ein Mangel seines Katalogs, den viele Benutzer immer wieder werden empfunden haben, ist das Fehlen eines alphabetischen Index der chinesischen Titel. Eben diesen hat nun E. Denison Roß hergestellt und als eine Ver- öffentlichung des Archaeölogical Department of India drucken lassen.* Seine Nützlichkeit noch zu erhöhen, hat der Kompilator durchweg auch auf die 1903 1905 in Kyoto mit beweglichen Lettern gedruckte Neuausgabe des Kanons verweisen zu sollen ge- meint. Schade ist es, daß ihm in Calcutta statt ihrer oder neben ihr nicht die 1881 1885 in Tokyo hergestellte Ausgabe, nach der wenigstens die japanischen Gelehrten jetzt in wissenschaftlichen Publikationen zu zitieren pflegen, zur Verfügung gestanden. Statt der von Nanjio beliebten, nicht eben einfachen Transkription zu folgen, hat er auch das wird vielen lieb sein alle chinesischen Titel nach dem bekannten Wadeschen System transkribiert.

Konfuzianismus. In einem vor drei Jahren für die Special Japan numher of the Times (London) geschriebenen Artikel Religion in Japan brachte A. Lloyd einleitend in Erinnerung, daß kurz nach dem Kriege zwischen Japan und China von ernsten Gelehrten, die mittlerweile freilich längst eines Besseren sich hätten belehren lassen, allen Ernstes der VorscWag gemacht worden sei, die Äsiatic Society of Japan in Tokyo aufzulösen on the ground that Japan was an exhausted mine, from tvJiich it would he impossihle in the future to extract any more of the precious ore of useful information. Zu dieser Zeit sei, um nur von solchem zu reden, was das japanische Religionswesen an- gehe, einiges getan gewesen, die Shintöreligion aufzuhellen die monumentalen Arbeiten von Satow, Aston, Chamberlain] lagen ja damals bereits vor und besondere Perioden der ja

* Alphabetical List of the Titles of Works in the Chinese Buddhist TripitaJca, being an hidex to Bunyiu Nayjio's Catalogue and to the 1905 Kioto Reprint of the Buddhist Canon , Calcutta, Superintendent Govern

ment Printing, India 1910.

ßeligion der Japaner 1909—1913 291

panischen Religionsgeschichte seien in ziemlicher Ausführlich- Keit und in kritischer Weise behandelt gewesen. Aber das geradezu unermeßliche Gebiet des japanischen Buddhismus sei nur eben ganz oberflächlich erst augerührt und die gleicher- maßen wichtigen Schriften der japanischen Konfuzianer seien nur in sehr bruchstückhafter Weise, in ein paar auf einzelne Autoren und eine bestimmte Periode sich beschränkenden Monographien, bekannt gemacht gewesen. Von dem, was man fancy religions von Japan nennen könne, sei damals in der westländischen Li- teratur erst recht überhaupt noch nicht die Rede gewesen. Was den japanischen Konfuzianismus anlangt, hat sich an dieser Sachlage auch in der Folge nicht eben viel geändert, und so wenig diesbezüglich das die Jahre 1905 1908 umfassende Sammelreferat zu vermelden hatte, so wenig hat das gegenwärtige von Arbeiten zu berichten, die auf diesem Gebiete unser Wissen vertieft und erweitert haben. Die knappe Skizze 'Die japanische Philosophie', die der Philosophieprofessor der Kaiserlichen Uni- versität Tokyo, Inouye Tetsujiro, für die Hinnebergsche Enzy- klopädie geliefert hat, ist in der nach fünf Jahren nötig ge- wordenen zweiten Auflage des betrefi'enden Bandes ^ unverändert wiederabgedruckt worden. Ihre Durchsicht für den Neudruck war vom Herrn Herausgeber mir anvertraut. So konnte ich selbst die bessernde Hand an die Literaturzusammenstelluug legen, die für die erste Auflage in wenig befriedigender Weise ein in Berlin studierender Landsmann des Verfassers gegeben hatte. So aber ist nun auch in diesem Sammelbande bereits W. Denings Resume von Inouyes drei großenjapanischverfaßten Werken über die kon- fuzianische Philosophie in Japan ^ verzeichnet. Nach neun einleiten- den Seiten, auf denen Dening nähere Mitteilungen über die vor drei Jahrzehnten begründete Japanische philosophische Gesell-

^ Allgemeine Geschichte der Philosophie (Die Kultur der Gegenwart, |Teil I Abt. Y) 2. Aufl. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner.

^ Confucian philosophy in Japan. Beviews of Br. Inoue Tetsujiro's \three volumes on this philosophy, Tramact. of the Asiat. Soc. of Japan vol. [XXXVI S. 101-152.

19*

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Schaft (Nihon Tetsugakkwai) macht, in der die Anhänger von vier verschiedenen Schulen, der buddhistischen, konfuzianischen, christ- lichen und evolutionistischen oder agnostischen, in uns seltsam anmutender Toleranz vreniger darauf ausgehen, philosophische Probleme zu lösen, als vielmehr nur Informationsmaterial über philosophische Fragen zu sammeln, bespricht er in einem ersten Kapitel zunächst Inouyes Mhon Yomei gakuha no tetsugaku, d. i. sein Werk über die idealistische Philosophie der chinesischen Wang Yang- ming- Schule, die, in Japan erfolgreich zuerst von Nakae Töju, dem „Weisen von Omi", einem Zeitgenossen Spinozas^, ver- treten, hier der bis dahin alleinherrschenden Philosophie der Chu Hi- Schule sich entgegenzusetzen strebte. 16 Seiten widmet das folgende Kapitel dem zweiten Werke Inouyes, Nihon Kogakuha no tetsugaku, in dem die japanischen Protestanten des Kon- fuzianismus behandelt werden, die, ebenfalls der herrschenden Chu Hi- Philosophie sich widersetzend, den Ruf erhoben: Zu- rück zu den Quellen, d. i. zu Konfuzius und Mengtsze! Die Ge- schichte dieser Schule ist wesentlich die Geschichte dreier großer Führer: Yamaga Sokö (1622—1685), Itö Jinsai (1627—1705) und Butsu Sorai (1666 1728). Das letzte Kapitel des Referats resümiert kurz den Inhalt des 1905 erschienenen Schlußbandes von Inouye, betitelt Chutsze gakuha no tetsugaku, der den auf Chu Hi zurückgehenden Konfuzianismus behandelt, die sogenannte Shushi- Philosophie^, die während der Herrschaft der Tokugawa- Dynastie in Japan als die einzig orthodoxe in Geltung war. To ihe question which has so offen heen asked during the past few yearSj whence comes tJie Japanese fine ethical Standard, Dr. Inoue replies, it undoubtedly originated with the teaching of Chutsz as explained, modified and carried into praetice in this country. The moral philosophy of the Chutsz school in Japan compared with

* Das von Dening S. 118 für Nakae Töjus Tod gegebene Jahr 167b ist in 1648 zu korrigieren.

' Ausführlich hat über den Inhalt dieses Bandes schon früher referiert A. Lloyd Historical development of the Shushi- philosophy in Japan in den Transact. of the Asiat. Soc. of Japan vol. XXX IV part IV 1—80.

Religion der Japaner 1909—1913 293

that of tJie otJier tivo schools was moderate in tone, free from eccentricities , and practical to a rare degree. In the enormous importance it attached to self-cuUtire and ivhat is hnown in modern terminölogy as self-realization (jiga-jitsugen), the teaching of the Ghutsz school of moralists in this country differed in no material respeds from the doctrines of the new Kantists in England, Muirhead, Green and others (p. 135). Indem Dening diese Würdigung des Shushi-Konfuzianismus wiedergibt, scheint ihm nicht gegenwärtig zu sein, daß er selbst im ersten Abschnitt seines Referats (S. 117) geschrieben, Inouyes Darstellung der Wang Yangming- Philosophie sei certainly the best answer that we have met with to the question, whence comes that high moral Standard of everyday life with which those foreigners who are able to speah the language and who have heen accustomed to asso- ciate with Japanese gentlemen are so familiär. Das Richtigere wird es natürlich sein, die gesellschaftliche Moralität mit Inouye von derjenigen konfuzianischen Schule herzuleiten, die als die einzig staatlich anerkannte während der letzten drei Jahrhunderte allein recht in der Lage war, den japanischen Charakter zu formen.

J. B. Duthu, der in der letzten Nummer, die von der nach siebenjährigem Bestehen leider wieder eingegangenen Zeitschrift Melanges Japonais erschienen ist, den japanischen Konfuzianismus behandelt*, bietet in diesem Aufsatze nichts Neues. Hingegen 1 sind dankenswert desselben Verfassers am gleichen Orte gegebene Lebensbilder zweier bedeutsamer japanischer Konfuzianer.^

Den Typus eines echten, rechten in die Gegenwart herein- ragenden Vollblutkonfuzianers lernt man kennen, indem man jsich in die Auszüge vertieft, die N. Asaji und Rev. J. C. Pringle ganz vor kurzem erst aus einer japanisch im Jahre 1900 er- schienenen Sammlung des Barons Motoda Toya in englischer

^ Le confucianisme Japonais, notes et essais, Melanges Japonais YII S. 451—480.

2 Hayashi Razan, un Confucianiste du XVII« siede, Melanges Japonais VI S. 324 343 und 487 510. Ders. Kumazawa Banzan, 1619 1691, , ib. VII S. 1—18 und 145—164.

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Übersetzung dargeboten.^ Die Vorlesungen sind an den ver- storbenen Kaiser Mutsuhito (Meiji-tennö) gerichtet, der alsbald nach Antritt seiner Regierung den damals bereits in den Fünfzig stehenden Kumamoto- Samurai sozusagen als konfuzianischen Hofprediger in den Kaiserlichen Haushalt berief. Als solcher genoß er bis zu seinem 1891 erfolgten Tode in ungewöhnlichem Maße das Vertrauen des Herrschers, unter dessen Regierung Japans Volk sich entschlossen von den alten Wegen ab-, der westlichen Kultur zuwandte. Wie auf den jugendlichen Regenten, dem die Mission zufiel, seine Untertanen in die neue Ordnung der Dinge hinüberzuführen, doch auch die historische Vergangen- heit mit Macht ihre Rechte geltend machte, bringt einem viel- leicht nichts besser zum Bewußtsein als die Vorträge, die er sich von seinem konfuzianischen Mentor halten ließ oder mußte halten lassen. Nur ein paar Proben: I, miserable wretch, apostrophiert der Prediger in der ersten Vorlesung seinen Kaiserlichen Zögling, am tut a tyro in Japanese and Chinese learning, a complete ignoramus in western, and iotally unqualified to discuss these questions in your Majesty's presence. Nevertheless I helieve the government of the empire is an impossibüity without a creed in which shall he found hlended the principles of our early emperors and the teaching of Confucius (S. 88 f.). The national hody of doctrine which we call Shintö is chiefly concerned with paying the honour due to the Emperor, the worship diie to the gods, and maintaining our original institutions and their ceremonies: btit when its reproduction of the sublime way of life of our ancient emperors is really adequate, then it is found to differ in no way from that religious life of ours which depends upon Confucianism (S. 67). No doubt you can find plenty of detail in the western sciences of ethics, law, politics, and economics, but Confucius is the one veritable teacher ofthe world, ancient or modern (S. 68).

* Lectures delivered in the presence of His Imperial Majesty the Emperor of Japan. By the late Baron Motoda. Extracts from a translation bj N. Asaji and J. C. Pringle, Transact. of the Asiat. Soc. of Japan vol. Xt S. 46 113.

I

Religion der Japaner 1909—1913 295

A System of education suitable to Japan can he found in Con- fucius, nowhere eise {ß. 90). The main ohject of educatimi everywhere is to train tJie future menibers of the Community. In Japan a System of education which was not mainly directed towards the development of the Japanese spirit would he worse than useless. The Crown Frince TJmaya Do (d. i. Shotoku Taishi, 572 621 n. Chr.) was a very intelligent man, hut he was a heliever in Buddhism . . . For my pari I fail to see how students ofto-day, educated on European or American lines, can hecome anything hut Imitators of TJmaya Do (S. lOOf.). Buddhists, Christians, and Professors of ivestern science sie alle sind mere Wanderers on trifling side-tracJcs leading away from the great highway of irue Confucianism (S. Q>^y Von uns Westländern im besonderen liest man: Their hearts are corrupt, their manners and customs degraded. Their lives are spent in the pursuit of gain and the Mruggle for power: one round of iniquity. The greater the development of their arts and sciences the more complete is the depravity of their people, and the whole evil is due to their mis- directed studies (S. 68). The condition of these countries is a warning to us of the vital importance of ordering our studies uright. First and foremost, the Emperor^s studies, on which the well heing of the whole empire depends, must he exclusively the worhs of Confucius (S. 69). So ist, was man liest, durchweg im Grunde nichts weiter als eine eintönige Verherrlichung des Con- fucius. Dazu in steter Wiederholung das intolerante Extra ec- desiam nulla salus. Den ersten elf Vorlesungen der japanischen 1 Sammlung, von denen die Übersetzer uns die erste und die ! sechste mitteilen, liegen Lunyü -Aussprüche zugrunde; die zwölfte I und dreizehnte haben Stellen aus dem Shuking zum Text; die j vierzehnte, hier mitübersetzte, und die fünfzehnte lassen sich I gar über Stücke aus dem Yihking aus. In der Ära Meiji, d, i. I der erleuchteten Regierung, sucht im Palast von Tokyo der \ Herrscher Erbauung und Erleuchtung, der Auslegung der uralt- ! chinesischen Hexagramme lauschend!

4 Neues Testament

Von Johannes "Weiß in Heidelberg

Am 4. August 1910 starb der bisherige Berichterstatter über das Neue Testament, H. J. Holtzmann; seinen letzten Beitrag bat das Archiv im XV. Jahrg. (1912) S. 513—29 veröffentlicht; er schließt mit einer kurzen Besprechung meiner Schrift „Jesus von Nazareth Mythus oder Geschichte? Eine Auseinander- setzung mit Kalthoff, Drews, Jensen" und bricht unvollendet ab. Die seitdem erschienene wichtigere Literatur über die Frage der Geschichtlichkeit Jesu sei hier kurz registriert^, nachdem Holtz-

* Drews Die Christusmythe \ 2. Teil: Die Zeugnisse für die Geschicht- liclikeit Jesu. Jena 1911. W.B.Smith Ecce Deus, Die urchristliche Lehre des reingöttlichen Jesus. Jena 1911. Zimmern Zum Streit um die „Christusmythe''. Das babylonische Material in seinen Haupt- punkten dargestellt. Berlin 1910. J. M. Robertson Die Evangelien- mythen. Jena 1910. Steudel Zum Kampf um die Christusmythe. Jena 1910. Lublinski Der urchristliche Erdkreis und sein Mythos; I.Band: Die Entstehung des Christentums aus der antiken Kultur; II. Band: Das werdende Dogma vom Leben Jesu. Jena 1910. Jensen Hat der Jesus der Evangelien wirklich gelebt? Frankfurt 1910. Gegenschriften: Be- richt von H. Windisch. Theol. Bundschau 1910—1913. Carl Clemen Der geschichtliche Jesus. Gießen 1911. D. Chwolson Über die Frage , oh Jesus gelebt hat. Leipzig 1910. K. A. Dietze Kritische Bemerkungen zur neuesten Auflage von A. Drews' Ghristusmythe. Bremen 1910. J. Frey Die Glaub- würdigkeit der Überlieferung über Jesus. Reval 1911. Gottlieb Klein (Rabbiner in Stockholm) Ist Jesus eine historische Persönlichkeit? Tübingen 1910. A. Jeremias Hat Jesus Christus gelebt? Leipzig 1911. Dunk- mann Der Kampf um die Christusmythe. Berlin o. J. F. Meffert Die geschichtliche Existenz Christi. M.- Gladbach 1910. Erich Klostermann Die neuesten Angriffe auf die Geschichtlichkeit Jesu. Tübingen 1912. Dr. H. Türck Hat Christus gelebt und lebt er noch heute? Schwerin 1912 und vieles andere; vgl. das Verzeichnis bei A.Schweitzer S. 498f. P. Bat- tiffol Orpheus et Vevangile (Paris 1910), Gegenschrift gegen Sal. Reinach Orpheus. Paris 1909. Case The historicity of Jesus. Chikago 1912,

Neues Testament 297

mann im Archiv XII S. 398 f. die vorhergehende besprochen hatte. Ein näheres Eingehen auf sie glaube ich mir ersparen zu dürfen, nachdem ich meine prinzipielle Stellung zu den Ver- suchen, die Entstehung des Christenturas aus dem Mythus des sterbenden und auferstandenen Gottes zu erklären, im letzten Heft dieser Zeitschrift soeben (Archiv XVI 1913, S. 423 ff.) aus- gesprochen habe. Außerdem kann ich auf den vorzüglichen Be- richt^ in der 2. Aufl. der Schrift von Albert Schweitzer' ver- weisen, die durch drei inhaltsreiche Kapitel über „die neueste Bestreitung der Geschichtlichkeit Jesu", „die Diskussion über die Geschichtlichkeit Jesu" und die neueste Literatur über das Leben Jesu von 1907 12 in sehr zweckdienlicher Weise erwei- tert ist. Eine Hauptrolle spielt hier bekanntlich die Umdeutung der Evangelienberichte in mythischer, astrologischer oder sym- bolischer Weise. Hier ist zunächst zu nennen J. M. Robertsons Christianity and Mythology (London 1910), dessen dritter Teil deutsch unter dem Titel „Die Evangelienmythen" (Jena 1910, 240 S.) erschienen ist. Der Bericht der Evangelien ist aufzu- fassen als Niederschlag von szenischen Darstellungen gewisser Mythen im Kultus; „neben den ^Mysterienspielen' der Geburt und Passion kommen noch die der Verklärung und des Leidens in Gethsemane und die Rituale der Bestattung und der Auferstehung, die dem Attis- und dem Dionysoskultus entlehnt waren, in Be-

^ Vgl. auch den Bericht von Windisch Theol. Bundschau 1910 1913. ' Die 1. Aufl. unter dem Titel Von Reimarus zu Wrede 1906; die 2. unter dem Titel Geschichte der Lehen- Jesu- Forschung 1913 Ich benutze

j die Gelegenheit, weitere Kreise nachdrücklichst auf das schriftstellerisch wie sachlich höchst bedeutende Werk hinzuweisen. Obwohl das einseitige Ergebnis des Verfassers m. E. abzulehnen ist, wird auch der anders Ur- teilende diese plastische und geistvolle Darstellung mit größter Anteilnahme und mit Belehrung lesen. Wir haben nicht viele so gutgeschriebene und von so tiefer geistiger Durchbildung zeugende Bücher in unserer Literatur. Der Verfasser ist bekanntlich, nachdem er sich den medizinischen Doktor-

i hut erworben , in die Missionsarbeit am Kongo übergegangen und wird auch dort seine hohe Begabung sicherlich nicht nur im Interesse der Mis- sion, sondern auch der Wissenschaft verwerten.

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tracht"; die Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel geht zu- rück auf die in der assyrischen und babylonischen Religion vor- kommende Darstellung eines Ruten tragenden Gottes, Simon von Kyrene auf die Darstellung des Herakles, wie er die beiden Säulen unter den Armen trägt, daß sie gerade ein Kreuz bilden. Nach Fuhrmann „Der Astralmythus van Christus" (1912) sind alle Geschehnisse des Lebens Jesu auf Vorgänge am Himmels- gewölbe zurückzuführen. Die symbolische Auffassung wird von B.W. Smith in seinem zweiten Werke JEcce Dens, das „den Manen des Origenes" gewidmet ist (Jena 1911), vertreten, einst- weilen nur in „flüchtiger Skizze": Die Dämonenaustreibungen Jesu sind zu verstehen von der Bannung des Götzendienstes durch die Predigt von Jesus; der reiche Jüngling ist das Judentum, dem Jesus zumutet, auf seine geistigen Privilegien und seine Prärogative zu verzichten; die zehn Aussätzigen die zerstreuten zehn Stämme (anders s. Arch. XVI S. 487. 500). Markus erzählt also nicht die Geschichte eines Menschen, sondern schildert das Wesen eines Gottes; seine Darstellung wurde dann fortgesetzt immer mehr vermenschlicht bei Matthäus, Lukas, Johannes. Über A. Drews' 2. Band (Die Christusmythe. Zweiter Teil, Jena 1911), in dem er sich mit mir, Weinel und anderen Gegnern auseinandersetzt, enthalte ich mich jedes Wortes. Der Ton dieser Schrift über- hebt mich der Notwendigkeit, mich mit ihr zu beschäftigen. Aus dem Bericht Schweitzers ist zu ersehen, daß er seine For- schung durch das astrologische Motiv bereichert hat, und daß er nunmehr auch mit der Ungeschichtlichkeit der paulinischen Briefe rechnet. Außerordentlich ernst und lehrreich ist Schweitzers Versuch, das Problem aus der Sphäre des Tagesstreites und aus der Vereinzelung der Fragen auf ein höheres Niveau zu heben. In seiner Komplexität besteht das Problem aus vier Haupt fragen : einer religionsphilosophischen (die Bedeutung der in den Evangelien geschilderten Persönlichkeit Jesu für die christ- liche Religion), einer religionsgeschichtlichen (ob aus der im Synkretismus etwa vorhandenen Idee eines sterbenden und auf-

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erstehenden Erlösergottes die Annahme eines historischen Jeßus zu erklären ist), einer dogmengeschichtlichen (ob jene religione- geschichtliche Hypothese mit den feststehenden Tatsachen der Weiterentwicklung des Christentums in Einklang gebracht werden kann), einer literarhistorischen (ob die Evangelien Überlieferungen von einer historischen Persönlichkeit oder zu Geschichte erstarrte Mythen oder symbolische Erzählungen sind). Unter diesen er- scheint ihm die religionsphilosophische Frage als die bei weitem wichtigste. Und auch Drews ist nur als Religionsphilosoph ernst zu nehmen, wenn er über das „ewige Problem der unlöslichen Wechsel- beziehungen zwischen unmittelbarem religiösen Denken und ge- schichtlicher Religion spekulierte^ „Wahr ist, und dies Verdienst muß ihm jeder Unbefangene zuerkennen, daß Drews mehr als die anderen auf die religionsphilosophische Bedeutung der even- tuellen Ungeschichtlichkeit Jesu hingewiesen hat. Dieser Vor- zug wird aber in der Christusmythe dadurch wieder in Frage gestellt, daß er die prinzipielle Frage unlöslich mit seiner ge- schichtlichen Hypothese verknüpft/^ >>Der Historiker führt das Wort und der Philosoph macht die entsprechenden Gesten, Die Stimme ist Jakobs Stimme, aber die Hände sind Esaus Hände." Demgegenüber fehlt es der Theologie seit liitschl an wirklichem Zusammenhang mit der Philosophie und Religionsphilosophie. Die Gegner Drews' „gingen vor allem auf die historische Refu- tation aus . . . die religionsphilosophische Frage aufzurollen unter- ließen sie, nicht nur weil sie außerhalb ihres Gesichtskreises lag, sondern auch weil sie nur das Unhaltbare ihrer Situation ans Licht bringen konnte. Wie sollten sie sich zu dem hypothetisch ange- nommenen Fall eines Verzichts auf die Geschichtlichkeit Jesu äußern, wo die moderne Dogmatik ein Menschenalter hindurch die Fiktion durchzuführen versucht hatte, daß alle Anschauungen des modernen Christentums auf ihn zurückgingen und durch ihn gewährleistet wurden! So verlegte man sich einseitig auf das historische Widerlegen." Dies alles ist zuzugeben; ich bin durchaus mit dem Verfasser der Meinung und habe dies auch ausgesprochen

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(„Jesus von Nazareth" S. 4ff.), daß nicht erst Drews, sondern die gesamte wahrhaft kritische Erforschung des Lebens Jesu, durch welches dieses in die historische Relativität hineingestellt und in großen und kleinenDingen unsicher gemacht wird, der Religions- philosophie oder der Dogmatik die Aufgabe stellt, das „Wesen des Christentums" in einer von der Historie unabhängigen Weise so zu bestimmen, daß es leben kann trotz aller Kritik. Aber es war nicht meines Amtes, diese Fragen zu bearbeiten; für mich und meine Kampfesgenossen steht doch zunächst nur das historische Problem in Frage, inwiefern die Geschichtlichkeit Jesu und seine in den Evangelien hervortretende Eigenart die notwendige Voraussetzung für die Entstehung und Entwicklung des Urchristentums bildet. Dieser Frage bin ich in dem obigen Artikel ( Arch.XVI S. 423 ff.) nachgegangen. Die prinzipielle Frage ist behandelt von Troeltsch^ und Bousset^; über ihre ihn keineswegs befriedigenden Ergebnisse lese man die höchst ein- drucksvollen Seiten 522 26 bei Schweitzer. Sehr energisch äußert er sich auch über die religionsgeschichtliche Methode in ihrer Anwendung auf diese Fragen, insbesondere über die Populari- sierung der Ergebnisse; „man ist erstaunt, wieviel Verallgemei- nerungen, Kombinationen und Hypothesen denjenigen, die aus zweiter Hand kaufen, hinzugewogen werden. An den großartigen Fortschritten der Religionsgeschichte sind die neuen Funde mit dreißig Prozent beteiligt, der Rest kommt zum größten Teile auf das Konto phantasiereicher Darstellung und eflPektvoller Auf- machung." So bekämpft er den Sprachgebrauch „Gnosis lange vor dem Christentum"; den Namen Gnosis will er lediglich der reli- giös-spekulativen Natur- und Geschichtsphilosophie vorbehalten

^ E. Troeltsch Die Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu für denGlauben. Tübingen 1911.

^ W. Bonsset Die Bedeutung der Person Jesu für den Glauben. Historische und rationale Grundlagen des Glaubens. Scböneberg 1910. Vgl, auch Peisker Die Geschichtlichkeit J. Chr. und der christl. Glaube. Tübingen 1913, und K. NoU Der Kampf um die Geschichtlichkeit Jesu. Gütersloh 1913.

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wissen, die das Schicksal des Einzelnen im Zusammenhang mit dem großen Weltendrama erfaßt. Davon zu unterscheiden ist der Synkretismus, d.h. Zusammenschau und Ausgleich von Religionen und Kulten mit mehr oder weniger griechisch -religiöser Färbung; er ist primitiv und weniger spekulativ. In diesem Zusammen- hang macht er ausgezeichnete Bemerkungen über den christlichen Gnostizismus, der erst aus seinem Gegensatze zur eschatologisch- urchristlichen Weltanschauung verständlich sei: „Auch bei der letzteren wird die Erlösung des Einzelnen aus einer Welterlösung, die auf ein historisches Faktum mit kosmologischer Bedeutung zurückgeht, begreiflich gemacht. Der Gnostizismus tut nichts anderes, als daß er die materialistischen Voraussetzungen dieser Er- klärung durch die griechische Annahme des Gegensatzes von Materie und Geist ersetzt/^ (S. 529 Anm.) Ferner polemisiert Schweitzer gegen die Annahm«, als ob die synkretistischen Ele- mente aus dem Parsismus, der assyrisch-babylonischen Religion und die Kulte der Vegetationsgottheiten sich gegenseitig zu einer Art Universalreligion durchdrungen hätten. „Dem ist aber nicht so." „Der Synkretismus war gar nicht so allumfassend. Wo er- scheinen denn die assyrisch -babylonischen Vorstellungen mit der auf Vegetationskulten gegründeten Mysterienreligion gemischt? Wo haben sich die letzteren von den spekulativen Gedanken des Parsismus durchdringen lassen?*^ „Man mute uns also nicht zu, das Vorhandensein einer allgemeinen synkretistisch-gnosti- schen Erlösungsreligion anzunehmen, wo wir über Umfang und Durcheinander der Vorstellungen so wenig wissen." „Wer die Dinge nüchtern ansieht, kann nicht in die pathetischen Dekla- mationen über die 'synkretis tische Gnosis' mit einstimmen. Von wirklicher Tiefe läßt sich in den Mysterienreligionen nicht viel entdecken. Auch von lebendigen ethischen Werten ist wenig zu verspüren. Von großzügigem spekulativen Denken ist nicht ein- mal eine Spur vorhanden. Das einzig Religiöse ist die lebens- müde und zugleich auch merkwürdig oberflächliche griechische Erlösungssehnsucht, die, weil sie den Zusammenhang mit leben-

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digem Denken und Wollen und einer zielbewußten Weltanscliau- ung verloren hat und sich durch magische Instinkte leiten läßt^ an allen möglichen alten Kulten Halt sucht und für diese auto- ritative Stütze soundsoviel an Geistlosigkeit und nicht selten auch an Gemeinheit mit in Kauf nimmt/^ Daß das Christentum nicht aus dem Gnostizismus entstanden ist, ergibt sich dogmen- geschichtlich daraus, daß es mit dem Gnostizismus sofort in Kon- flikt gekommen ist, anstatt in ihm Geist von seinem Geist zu erkennen. Es handelt sich hier um einen Gegensatz in den all- gemeinsten Voraussetzungen der Weltanschauung. Eine ihrem Ursprung nach als gnostisch ausgegebene Religion erweist sich plötzlich als total ungnostisch, sowie sie mit einer wirklichen gnostischen Bewegung in Parallele tritt. Den schwächsten Punkt in der Lage der Verneiner der Geschichtlichkeit Jesu findet Schweitzer in ihrer Stellung zu Paulus, dessen Geschichtlichkeit sie meist nicht anzutasten wagen und dessen Briefe sie nur mit Zaudern preisgeben. Schweitzer hat uns mit einem glänzen- den Parallelwerke zur Geschichte der Leben- Jesu -Forschung be- schenkt: „Geschichte der paulinischen Forschung" (Tübingen 1911)^, in dem hier vor allem die Polemik gegen die religions- geschichtliche Erklärung des Paulus aus der hellenistischen Gnosis und Mystik interessiert. Statt dessen will er die Mystik des Paulus aus der jüdisch- apokalyptischen Eschatologie erklären. Das verheißene Werk über dies Thema steht leider noch aus. Aber die Grundrisse seiner Anschauung sind doch schon erkenn- bar.^ Seine Äußerungen haben ßeitzenstein, gegen dessen Buch

^ Ein Gegenstück dazu der Bericht des Holländers Van den Bergh van Eysinga Die holländische radikale Kritik des N. T. Jena 1912.

^ Ich bedauere, bei Schweitzer ein so mattes Argument lesen zu müssen, daß bei Paulus der Ausdruck „Wiedergeburt", der für die Mysterien- religion charakteristisch ist, nicht vorkomme. Gewiß kommt er nicht vor^ aber doch nur, weil Paulus, durch die konkrete Tatsache von Tod und Au erstehung Christi veranlaßt, die Vorstellung in das ,, Mitsterben und Ai erstehen" umformt. Der Struktur nach ist aber der Gedanke völlig identisc mit dem der Wiederoreburt.

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„Die hellenistische Mysterien religion" er sich hauptsächlich ge- wandt hatte, Anlaß gegeben^ sich in einem sehr wichtigen Ar- tikel (Zeitschr. f. neut. Wissenschaft XIII 1912, S. 1 28) über j,Religionsgeschichte und Eschatologie" auszusprechen, dabei zu- gleich auch über allgemeine und prinzipielle Fragen der religions- geschichtlichen Methode (vgl. in diesem Archiv XVI S. 432). Er benutzt die Gelegenheit, zu erklären, daß es nicht seine Absicht gewesen sei, ein Gesamtbild des Paulus zu zeichnen, sondern nur eine Seite im Wesen des Apostels zu beleuchten, und er habe sie nicht einmal als die wichtigste hingestellt. Damit ist auch von seiner Seite jeder Anlaß zu der optischen Täuschung beseitigt, als ob für ihn Paulus nur Mystiker im Sinne und unter dem Einfluß hellenistischer Mysterienreligion sei.^ Nun- mehr werden auch diejenigen, die seinen Arbeiten bisher skep- tisch gegenüberstanden, die Freudigkeit haben, den reichen Schatz von Belehrung, der aus ihnen für die Paulus -Forschung zu ge- winnen ist, zu heben. Ich habe damit für mich lange angefangen und davon in meinem Kommentar zum 1. Korintherbrief (Göt- tingen 1910) Proben gegeben, aber ich erkenne immer wieder, wie vieles mir (auch im „Poimandres") noch entgangen ist, und wie notwendig, freilich auch wie schwierig es ist, die von Reitzen- stein beigebrachten Parallelen für die Erklärung zu verwerten. Es ist ganz in meinem Sinne, daß hierbei auch die sprachliche Seite des Problems besonders stark berücksichtigt wird. Gerade die festen Begriffe, mit denen Paulus operiert, erweisen sich als übernommen; nun kommt es auf die Nuance an, mit der er sie verwendet. Die hellenistischen Einflüsse auf Paulus hat Hans hl ig etwas näher zu präzisieren versucht, indem er „die Geisteskultur von Tarsus im augusteischen Zeitalter" (Göttingen 1913) aus den Zeugnissen der Schriftsteller (wobei DioChrysostomus

; * Damit entsteht nun die Frage nach dem Verhältnis der paulinischen

j Mystik zum Ganzen seiner übrigen Anschauungen, ein sehr schwieriges I Thema, auf das ich in nächster Zeit eingehen zu können hoffe (vgl. meine Schrift Die Mystik des Paulus 1914).

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eine Hauptrolle spielt) veranschauliclit. So unvorteilhaft solche lokale Konfrontierung^ die doch immer etwas Zufälliges hat, sein mag; so sind doch seine Zusammenstellungen dankenswert. In einem Aufsatze desselben Verfassers im „Memnon" (V S. 188 bis 205) „Zum Weltbilde des Paulus" will er insbesondere die Anschauung vom dreigeteilten Himmel (2. Kor. 13, 2 4) auf Poseidonios zurückführen, der durch Athenodorus von Tarsus auf Paulus gewirkt habe. Einen Beweis für direkte Beeinflussung zwar wagt er hierin nicht zu sehen; immerhin aber bleibt es eine gute Vermutung, der weiter nachgegangen werden möge Ich benutze die Gelegenheit, um im Namen der theologischen Forscher die dringende Bitte an die Philologie zu richten, uns baldmöglichst eine bequeme Übersicht über alle Poseidonios-Frag- mente und alle Stücke zu geben, in denen Poseidonios sicher oder wahrscheinlich benutzt ist. Das braucht ja nichts Abschließendes zu sein. Aber für unsereinen ist es wirklich nicht leicht, sich von dem wirklichen oder hypothetisch enPoseidonios ein Bild zu machen. Und wie wichtig wäre das! Auf alle Fälle ist es ein verlorener Posten, den Bonhöffer vertritt, wenn er den Einfluß der Stoa auf Paulus leugnet (Epiktet und das N. T., RGW Bd. X 1911). Nachdem er die Behauptung der Abhängigkeit Epiktets vom N. T. (Zahn; Kuiper) aufs neue widerlegt hat, erörtert er die Frage der Abhängigkeit des N. T. von der Stoa, die für die Evangelien ganz geleugnet, für die späteren Bücher mit Einschränkungen zugestanden, für Paulus auf ein Minimum reduziert wird. Den Schluß bildet eine Vergleichung Epiktets mit dem N. T. Ich kann in diesem in Einzelheiten nützlichen Buche keine Förde- rung des Problems sehen, wenigstens nicht, was den Paulus betrifft. Bonhöffer bekämpft eine Meinung, die niemand ver- tritt. Daß es sich immer nur um einen stoischen Einschlag handeln kann, daß auch da, wo Stoisches übernommen ist, die Gedanken und die Worte in dem neuen Zusammenhang eine veränderte Bedeutung gewinnen, daß Paulus weder stoische Werke studiert noch stoische Predigten mit angehört hat, das ist so

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selbstverständlich, daß es darüber keiner Belehrung mehr be- durft hätte. Daß er aber in vielen, namentlich den dia- lektischen Partien seiner Briefe von der dialogischen Form der Diatribe beeinflußt ist, daß er m. a, W. diese Diktionsweise in seiner Jugend gelernt hat, meinetwegen bei einem jüdischen Lehrer, der durch stoische Bildung hindurchgegangen ist, oder daß er sich an Schulmustern gebildet hat, das ist doch nicht zu bestreiten. Wenn Bonhöfier die Schrift von R. Bultmann ,,Der Stil der paulinischen Predigt und die kynisch- stoische Diatribe", Göttingen 1910 (Forschungen f. Rel. u. Lit. d. A. u. N. T. Heft 13) nicht erst während des Druckes kennen gelernt hätte, sondern früher, würde er vielleicht anders darüber urteilen. Richtig ist ja, daß wir Epiktet nur faute de mieux heranziehen müssen, weil wir die älteren Muster, denen auch er folgt, ab- gesehen von Teles und Musonius, nicht mehr besitzen; und es ist bedauerlich, daß Bultmann die kynisch -stoischen Diatriben- Elemente bei Philo nicht stärker benutzt hat. Wir kennen daher die unmittelbaren Vorlagen, denen Paulus folgte, noch nicht. Über das ganze Problem würde Bonhöffer vielleicht auch anders urteilen und namentlich meine Position besser verstehen, wenn «r schon meinen Kommentar zum l.Korintherbrief gekannt hätte; er würde auch meine frühere Schrift über die Freiheit^ rich- tiger beurteilen nach dem, was ich zu 1. Kor. 7, 22 bemerkt habe. Für die ich kann nicht anders sagen als: verständnislose Art, mit der Bonhöffer die ganze Frage anfaßt, ist bezeichnend, daß er Stellen wie 1. Kor. 3, 21 und 4, 8 so gut wie gar keiner Er- lörterung würdigt, obwohl gerade hier das Verhältnis zur Stoa Be- jrührung und Unterschied in vollem Lichte erscheint.^ Auch durch E.Nordens großartiges Buch „Agnostos Theos" (Leipzig 1913;

^ Die christliche Freiheit nach der Verkündigung des Apostels JPaulits. Göttingen 1902.

' Vgl. hierzu die Besprechung von Bousset Altes Christentum und iriech. Philosophie, Theol. Rundschau 1913 über Caird Die Entivicklung ^er Theologie in der griech. Philosophie, Halle 1909; M. Pohlenz Vom ^orne Gottes, Göttingen 1909 und Bonhöffer.

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siehe darüber auch die Artikel von Reitzenstein in den N. Jahrb. f. d. Klass, Altertum 1913, 146 u. 393 ff. und die inhaltsreichen Rezensionen von Bousset in der Theol. Lit.-Ztg. 1913; Walther Bauer in der Theol. Rundschau 1913; Jäger in den Gott. Gel. Anzeigen 1913, S. 39 ff. sowie Weinreich inder DLZ) ist die Frage vom Verhältnis des Paulus zur Stoa neu beleuchtet; ich nenne hier nur den Abschnitt über die stoische Allmachtsformel in Rom. 11, 35; Kol. 1, I5f. Aus dem überreichen Inhalt ist für das N. T. besonders wichtig der einschneidende Aufsatz über das Logion Matth. 11, 25 27, in dem Norden einen Typus helle- nistischer Prophetenrede nachweisen zu können glaubt; ein ein- gehend begründetes, nicht unbedingt zustimmendes Urteil dar- über gedenke ich demnächst zu veröffentlichen. Mit Entzücken und Dankbarkeit verfolgte ich die Studien zur Stilgeschichte der Prädikationsformeln, die zur Unterscheidung hellenischer und orientalischer Herkunft religiöser Stücke einen wichtigen Schlüs- sel bieten, über hellenischen und semitischen Satzparallelismus u.a.m. Für uns Theologen ist es außerordentlich heilsam, wie hier die Form als das eigentliche Kriterion zum Entscheide der Abhängigkeitsfragen angerufen wird. Wenn er die Formeln €v st, iyd) siiiv, ovtog iötiv wohl mit Recht als unhellenisch emp- findet, und wenn er insbesondere das häufige iyd) sI^l des Jo- hannes- Evangeliums als typische Bekenntnisformel ekstatischer Propheten deutet, so müssen wir ihm unbedingt zustimmen. Die Anwendung, die er davon auf das Bekenntnis Jesu vor dem Hohenpriester macht, und sein kritischer Ausscheidungsversuch würde bedeutend gewonnen haben, wenn er die Lukasparallele herangezogen hätte, in der das iy6 si^i fehlt oder doch von Jesus den Fragern in den Mund gelegt wird (vgl. meine Erklärung der Stelle in den Sehr. N. T.). Als klassisch nicht hellenische Prädi- kation empfindet Norden das Partizipium mit Artikel; durcli diese Betrachtung wird namentlich die Stelle 2. Kor. 1, 3 f. wunder- voll erleuchtet; vgl. das jüdische Sch'ma. Von hier aus wird auch der Stil des Kolosser- und vor allem des Epheserbriefes Licht

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gewinnen. Das aktuelle Interesse von Nordens Buch hängt an seinen Beiträgen zur Apostelgeschichte. Zum Prooemium er- neuert Norden die Hypothese von Sorof-Gercke, daß der erste Satz der Acta, der die Rekapitulation des 1. Buches euthält, vom Redaktor um seine Fortsetzung, die den Plan des 2. Buches angah, verstümmelt worden sei. Niemand kann verkennen, daß der erste Satz unvollständig ist. Aber Bedenken habe ich gegen die Annahme, daß er der Anfang der Wir- Quelle sei, in die vom Redaktor der Gesamtinhalt des ersten Teiles eingeschoben sei. Danach wäre das 2. Buch des Lukas halb so lang gewesen wie das Evangelium; ferner ist es unmöglich, das Lukas -Evangelium in die Zeit des Paulus zu setzen. Es müßte also erwiesen werden, daß auch dieses ähnlich wie die Apg.eine stark erweiternde Bearbei- tung erfahren hätte, und zwar vom Redaktor der Apg. dies aber scheint wenigstens in weitem Felde zu liegen. Nein, Act. 1, 1 gehört dem Redaktor, ebenso wie Luk. 1, Iff. Freilich ist dann der Abbruch des Satzes ein Problem. Dies aber hängt mit der Himmelfahrtsgeschichte zusammen, die im Vergleich zum Schlüsse des Evangeliums eine Anomalie bedeutet. Nordens Ausführungen über die Areopagrede, die zu bekannt sind, als daß ich darauf ein- zugehen brauchte (vgl. meine Anzeige in der „Frankfurter Zeitung^' vom 7. Mai 1913), haben sofort eine Entgegnung durch A. Harnack gefunden („Texte und Untersuchungen" XXXIX, 1), die aufs neue zeigt, daß der große Forscher sich leider auf seine unhalt- bare Position allzusehr festgelegt hat^; er ist nun natürlich nicht imstande, das Ergebnis von Norden zu akzeptieren. Sein Versuch, die Areopagrede als ein Werk desselben Lukas zu erweisen, dem auch der Reisebericht angehört, ist scharf kriti- siert worden von Reitzenstein (Neue Jahrb. 1913, S. 393 bis [422), der insbesondere die mechanische Methode seines sprach- lichen Beweises mit Recht beanstandet. Die beiden neuesten

^ Den älteren kritischen Standpunkt vertritt Harnack gegenüber mit (Glück P.W. Schmidt Die Apostelgeschichte hei De Wette -OverhecJc und bei Ad. Harnack. Basel 1910.

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Kommentare zur Apostelgeschiclite von H.H. Wen dt, Meyers Kommentar 9. Aufl. (1913) und E. Preuschen im Handbuch . zum N. T. (1912), beide in ihrer Art unentbehrliche Hilfsmittel zum Verständnis, haben Nordens Werk nur noch in den Vor- worten erwähnen können, beide mit Zustimmung, wie denn über- haupt beide im Prinzip auf dem Standpunkte Nordens stehen. Das Urteil Wendlands in seinen „Urchristlichen Literatur- formen'' (Handbuch zum N. T. I, 3. 1912) knüpft vielfach an Wellhausens und E. Schwartz' ^ Hypothesen an. Wellhausen hat u. a. die Demetriusgeschichte und den Seefahrtsbericht für fremde literarische Berichte erklärt, die erst vom Redaktor auf Paulus zugepaßt seien; E. Schwartz hat sehr viele äußerst feine und scharfsinnige Beiträge beigesteuert; seine Folgerungen für die Chronologie bedürfen dagegen der Nachprüfung. Insbesondere geht es nicht an, den Apostelkonvent vor die Ermordung des Jakobus durch Agrippa zu setzen; denn das Fehlen des Zebe- daiden Jakobus Gal. 2 beweist, daß er nicht mehr am Leben war. Dies Datum entscheidet auch gegen den gleichzeitigen Tod der beiden Zebedaiden. Für das Martyrium des Johannes bleibt übrig die Zeit der Ermordung des Herrenbruders Jakobus durch Ananos vor dem Amtsantritt des Albinus 63; aus diesem Nebeneinander eines Jakobus und Johannes ist sowohl die bekannte Papiasnotiz wie die Doppelfeier im syrischen Martyrologium zu erklären. Die Zebedaiden -Weissagung Marc. 10 würde doppelt wirkungsvoll sein, wenn die volle Erfüllung des Herren Wortes erst ganz vor kurzem eingetreten wäre. Zu den belehrendsten Ab- , schnitten bei Wendland rechne ich vor allem die literarhistorische Beurteilung: „Nicht mit der Komposition hellenischer Geschichts- i werke treten die Akta in Konkurrenz . . sie finden ihre eigentliche . Fortsetzung wesentlich in den Geschichten der Märtyrer und Heili- ! gen . . am meisten vergleichbar den novellistischen oder panegyri- schen Darstellungen großer geschichtlicher Persönlichkeiten und

^ Wellhausen Noten zur Apostelgeschichte \ E. Schwartz Zur Chrono- logie des Paulus, beide in den Nachr. d. Göttinger Ges. d.Wiss. 1907.

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religiöser Wundermänner . . die noch nicht Literatur im hohen und strengen Sinne waren . ." Das Motiv der Doppelvision in Kap. 9. 10 erinnert an Ähnliches in hellenistischen Novellen (Wendland De fahellis S. 27, 28), die häufigen Weissagungen auf Paulus' Tod an die Häufung der Vorzeichen vor Cäsars Tod bei Nicolaus und Plutarch, der Tod des Herodes am Würmer- fraß und das Ende des Judas an Strafwunder für Gottlosigkeit (seit Herodot IV 205 häufig bei Aelian und Plutarch). In der Gesamtbeurteilung der Apg. steht Wendland auf dem Standpunkte der kritischen Schule (mit Ausnahme Harnacks); leider äußert er sich nicht zur Frage der Josephus -Benutzung; der Nachweis des höchst deuteropaulinischen, geradezu katholischen Charakters des Werkes hätte eindringender geführt werden können. Sehr lehrreich ist die Konfrontierung mit den apokryphen Apostel- geschichten, die hier zum ersten Male eine wirklich literar- historische Würdigung erfahren (nach dem Vorgange von Reitzen- steins hellenistischen Wundererzählungen) ; es zeigt sich hier doch recht der wenn auch nicht prinzipielle, so doch sachlich sehr starke Unterschied der kanonischen Apg. Überhaupt ist Wendlands Buch für die theologische Forschung ein Fortschritt, insofern als die literaturhistorische Betrachtung, die Beachtung der literarischen Form, die über den „Einleitungsfragen" so gut wie völlig ver- nachlässigt war, nunmehr nicht wieder aufgegeben werden kann. Eine von Wendland unabhängige, fast gleichzeitig mit seinem Buche erschienene Skizze der Literaturgeschichte des N. T. in Schieies „Religion in Geschichte und Gegenwart" (Bd. III) hat der Referent geschrieben, die sich in vielem mit Wendland berührt, so in der Beurteilung der Paulusbriefe, wo Wendland sagt: „Deißmann geht zu weit, wenn er den paulinischen Briefen jeden literarischen Charakter abspricht, und er überschätzt den Wert der aus den Papyri bekannt gewordenen Alltagsbriefe für k das Verständnis des Wesens der Paulusbriefe." „Deißmann legt, >| indem er Paulus den unteren Schichten, aus denen jene Papyrüs- ij briefe stammen, möglichst nahe rückt, den klassizistischen Maß-

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stab des Literarischen an; Paulus hat aber weder nach seiner sozialen Stellung, da sein Yater schon das römische Bürgerrecht besaß, noch nach seiner Bildung den unteren Schichten angehört. Nicht nur die Originalität des Genius, sondern auch seine jüdische Bildung und seine Theologie schafft einen Abstand zwischen ihm und den meisten seiner Gemeindeglieder, auf dem seine Überlegen- heit und seine Wirkung beruht." Daß Wendland auch den zweiten Thessalonicherbrief und den Kolosserbrief unter die pseudopaulini- schen Briefe rechnet, zeigt ihn von einer kritischen Stimmung abhängig, die im Schwinden begriffen ist (man lese den muster- haften, gelehrten und eindringenden, die Echtheitsfrage vorsichtig abwägenden Kommentar von v. Dobschütz [Meyers Kommentar, 7. Aufl. Göttingen 1909], sowie den nach der religionsgeschicht- lichen Seite hin reichen von Dibelius [Handb. zum N. T. 1911]). Im übrigen verstehe ich nicht ganz die Verwahrung Wendlands gegen eine angebliche Scheu, im N. T. Pseudonyme anzuerkennen. Ist es denn nicht genug, wenn Eph., die Pastor albrief e , Jak. 1. u. 2., Petr., Judas von den meisten Forschern als pseudonym be- handelt werden? Wo ist hier von Scheu oder Befangenheit die Rede? Wichtiger als solche allgemeine Betrachtungen wäre es, wenn ein Philologe auf breitester Grundlage Geschichte und Wesen pseudonymer Schriftstellerei, sowie das dabei mitwirkende Be- wußtsein der Skriptoren uns verdeutlichte. Wie weit ist hier Naivi- tät oder Täuschung im Spiel, wie weit wirkt hier ein künst- lerischer Trieb mit, wie weit ist diese Schriftstellerei nur eine konventionelle Form, durch die niemand mehr sich täuschen läßt? Wußte z.B. die Umgebung des Verfassers, daß er der Verfasser war? Dies alles sind Fragen, die nur von höchster Warte aus beantwortet werden können, wobei auch die altt. Pseudonyma bzw. durch große Namen wie Jesajas angezogenen Stücke zu berücksichtigen wären. Solange wir hier nicht klarer sehen, wird immer wieder eine gewisse Abneigung vorhanden sein, „Fälschungen" zuzugeben. Beim Kolosserbrief hätte Wendland der Hypothese Holtzmanns etwas mehr Aufmerksamkeit schenken

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können, wie überhaupt die Frage einer Redaktion der Briefe bei Gelegenheit der Sammlung nicht eindringend genug behandelt ist. Auch gegen Dibelius' Kolosserkommentar (im Handbuch zum N.T. 1912) möchte ich diesen Vorwurf erheben. Ich ver- stehe ebensowenig, daß man den Brief für unecht halten kann, wie daß man ihn in allen Stücken für paulinisch halten mag. Eine Überarbeitungshypothese im Sinne Holtzmanns drängt sich immer wieder auf, und der Exeget sollte das gerade bei ein- dringender Exegese empfinden. Diese tritt ja nun überhaupt im Handbuch etwas zurück hinter der religionsgeschichtlichen Be- leuchtung durch Parallelen usw. In dieser Beziehung ist Dibelius' Kommentar verdienstlich; ihn befähigen zum Verständnis seine aus- gezeichneten Studien über „die Geisterwelt im Glauben des Paulus" (Göttingen 1909). Zu den örot^sta roi> 7tö6^ov ist zu erwähnen der Beitrag von F. Pfister im Phüol. 69 Heft 3, S.411ff., der eine Stelle aus dem Alexander-Roman beibringt, wo es von Necta- nebos heißt: yaQ xoö^ixä 6toi%sla Xöyo) Ttdvta avta Vjtstdööero^ das sind nach einer Version ol äyysXov aal ^aog Atßvi^g '^i^^cov, nach einer anderen ol d'sol x&v hncodcbv Tial äsQicc Ttvsv^ccra aal ol %axa%^6vioi daC^ovsg. Was den Epheserbrief betrifft, so ist die Abhängigkeit vom Kolosserbrief oder wenigstens von einem ihm sehr ähnlichen Schriftstück von Wendland, Dibelius an- erkannt, ebenso die aus sachlichen und stilistischen Gründen ge- gebene Unechtheit; nicht beantwortet ist aber das eigentliche literarische Problem: wie verhält sich der Verfasser zur Samm- lung der Paulinen? und das religionsgeschichtliche: woher stammt die eigentümliche gnostisch-mystische Färbung seiner Ausdrucks- weise? Sollten nicht die Oden Salomos hier Licht geben können? Für die Pastoralbriefe verweise ich auf die tüchtige, wenn auch nicht erschöpfende philologische Arbeit von H. Mayer „Die Pastoralbriefe" (Göttingen 1913) eine neue, mit neuen Mitteln (die vorhanden sind) arbeitende Untersuchung des Problems ist erforderlich; sie hätte namentlich die Frage der Einheit oder Überarbeitung noch schärfer ins Auge zu fassen. Dazu jetzt

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der soeben erschienene Kommentar von Dibelius (Hand- buch z. N.T. 1913). Das literarische Problem des Hebräer- briefes wird durch die Annahme, daß der Schreiber des 13. Kap. die Fiktion wenn auch nicht durchführe, so doch versuche, daß der Brief von Paulus herrühre, nicht gelöst werden. (Vgl. auch die Abhandlungen von Burggaller und Perdelwitz in der Zeitschr. für neut. Wissenschaft 1908/10.) An der Abhandlung von Perdelwitz zu I.Petrus „Die Mysterien- religion und das Problem des l.Petrusbriefes^^ (RGW XI, 3, Gießen 1911) ist der Nachweis, daß der Verfasser in vielen Ausdrücken und Vorstellungen von der Mysterienreligion abhängig ist, so- wie die Vermutung, daß eine Taufrede an Neophyten zugrunde liegt, überzeugender, als die kritische Herausschälung der letz- teren, die nur von 1, 3— 4, 11 reichen soll. Der vortreffliche Kom- mentar von R. K n o p f zu den Briefen Petri und Judae (Meyers Kom- mentar, 7. Aufl. Göttingen 1912), den Perdelwitz noch nicht kennt, hat doch im 1. Petrusbrief schon sehr reichlich den Mysterien- Sprachgebrauch herangezogen. Im Handbuch zum N. T. hat Wind i seh die Erklärung der katholischen Briefe geliefert; er spricht sich über die Echtheitsfrage zu Jak. und 1 . l 'etr. schwankend aus, im letzteren Falle für die Silvanus - Hypothese (5, 12). Im übrigen ist dieser wie alle Teile des Handbuches, aber ebenso die neueren Bearbeitungen des Meyerschen Kommentars (v. Dob- schütz, Knopf, Wendt, Preuschen, J. Weiß) durchaus im Sinne religionsgeschichtlicher Methode und nach den Anforderungen heutiger Philologie geschrieben. Die Darstellung der Evangelien- literatur bei Wendland setzt mit einer glänzenden Charakteristik des M arku s ein ; zur Beleuchtung seiner Methode lese man folgende Sätze: „Der Mangel künstlerischer Komposition, die Gebundenheit des dem Stoffe sich unterordnenden Autors an eine ursprünglich mündliche Tradition, die mancherlei unwillkürliche Wandlungen und Umbildungen erfahren hatte, die öfter noch kenntliche Lage- rung mehrerer sich voneinander abhebender Schichten stellen den Exegeten vor besondere Aufgaben. Mit dem Grundsatze,

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daß die Interpretation einer Schrift wesentlich aus ihr selbst zu gewinnen und Feststellung des Sinnes und der Absicht des Schriftstellers die eigentliche Aufgabe sei, kommt man hier oft nicht aus. Wir haben es hier nicht mit einem literarischen Kunstwerk zu tun, das die Bedingungen seines Verständnisses in sich tragen soll, aus dem ein einheitlicher Plan und die kon- sequent durchgeführten Absichten sich abstrahieren lassen. Die Momente, von denen die Erklärung abhängt, liegen hier gar oft nicht in der Individualität des Autors, sondern in einem ihm vorausliegenden Entwicklungsprozeß der Traditionen. Ihn zu verstehen und in einzelnen Fällen zu rekonstruieren, ist nur möglich, wenn, wie in der Analyse homerischer Dichtungen oder des Pentateuchs, geschichtliche und philologische Arbeit Hand in Hand geht. Daß sie beständig ineinandergreifen und die eine die Ergebnisse der anderen bald voraussetzt, bald berichtigt, ist unumgänglich, wenn es auch wie ein Zirkel aussieht.^' Hiernach möchte man Klostermanns nach der sprachlichen Seite vor- trefflichen, an Parallelen aus Sprache und Religion der Umwelt reichen Kommentar zu Markus und Matthäus (Handbuch zum N. T. Tübingen 1907. 1909) erheblich vertieft wünschen. Die vor Markus liegende Überlieferung, einen aus zwei älteren Schriften (M ^ und M^) zusammengesetzten Ur- Markus sucht Wendling höchst scharfsinnig, wenn auch zum Teil anfechtbar zu rekonstruieren („Die Entstehung des Markus -Evangeliums", Tübingen 1908; vgL meine Besprechung in der Theolog. Rundschau 1913). Der Kommentar von Wohlenberg (Zahns Komm, zum N. T, Leipzig 1910) geht von der Annahme aus, daß Markus den aramäischen Matthäus benutzt habe, während der griechische Übersetzer des Matthäus wieder den Markus benutzt hat. Diese I Hypothese ä deux mains stammt von Th. Zahn, von dem sein j Schüler glücklicherweise auch noch besseres gelernt hat, näm- llich Textkritik und Exegese. Hierin erweist sich Th. Zahn als i Meister sofern nicht dogmatisch heikle Punkte ins Spiel kom- men — in dem soeben vollständig vorliegenden Lukaskommen-

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tar (Leipzig 1913)^, der ein unentbehrliches Hilfsmittel für jeden Mitarbeiter ist. Das Problem im Lukasevangelium liegt darin, daß der 3. Evangelist an sehr vielen Stellen neben unverkennbarer Ab- hängigkeit von Markus einen primitiveren, oft sogar hebraisti- scheren, judenchristlicheren und demnach besseren Bericht bietet als jener, so daß sich auch in den mit Markus parallelen Partien die Vermutung aufdrängt, er habe eine Nebenquelle herangezogen und teilweise vorgezogen. Diese Eindrücke haben F. Spitta zu seiner Annahme geführt, daß „die synoptische Grundschrift'' (so der Titel; Leipzig 1912) am reinsten, bei Lukas erhalten sei. Diese trotz ihrer handgreiflichen Schwächen und oft willkürlichen Begründung doch nicht unwichtige Hypo- these sollte wegen jenes granum salis doch nicht von den Mitarbeitern ignoriert werden (vgl. meine Besprechung in der Theol. Rundschau 1913). Die johanneische Frage ist neuer- dings wieder in Fluß gekommen durch eine Reihe von Arbeiten, die sich den Nachweis einer oder mehrerer Überarbeitungen zum Ziel setzen.^ Sie haben entschiedene Gegnerschaft gefunden, nicht nur aus dem Lager der konservativen, sondern auch der kritischen Theologie.^ Die Frage liegt noch in der Schwebe. Der Grund,

^ Selbst Zahn lehnt das unmögliche Datum für die Abfassung der Apostelgeschichte im Jahre 63, das nach Blass' Vorgange von Mauren- brecher, Harnack und H. Koch Die Abfassung des lukan. Geschichtswerkes, Leipzig 1911, vertreten wird, energisch ab. Hier nenne ich noch zwei katho- lische Untersuchungen: K, Six S. J. Das ÄposteldeJcret , Innsbruck 1912; K.Pieper Die Simon- Magus-Perikope^ München 1911.

2 Wellhausen Erweiterungen und Änderungen im 4. Ev. Berlin 1907. Das Evangelium Johannis. Berlin 1908. E. Schwartz Aporieen im 4. Ev. (Nachr. d. Gott. Ges. d. Wiss. 1907. 1908). Dazu ßoussets Be- sprechung in der Theol. Bundschau 1909 und A. Meyers Bericht Theol Rundschau 1910. F. Spitta Das Johannes- Evangelium als Quelle der Geschichte Jesu. Göttingen 1910. Wendt Die Schichten im 4. Ev. Göttingen 1911; vgl. den Bericht von A. Meyer Theol. Bundschau 1912.

^ Zahn Das Evangelium des Johannes unter den Händen seiner neuest Kritiker. Leipzig 1911. C. Giemen Die Entstehung des Johannes - Evai geliums. Halle 1912. B. Weiß Das Johannes- Evangelium als einhei^ liches Werk. Berlin 1912.

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warum so energische und scharfsinnige Kritiker wie Wellhausen und Schwartz mit ihren Ergebnissen nicht durchgedrungen sind, ist der sprunghafte und zufällige, oft stimmungsmäßige Charakter ihrer Beobachtungen, die ein überzeugendes Gesamtbild nicht ergeben; dagegen leidenSpittas und Wendts Bemühungen an dem entgegengesetzten Fehler, daß ein System durchgeführt werden soll, dem sich die Einzelkritik unterordnen muß. Die Aufgabe der zukünftigen Forschung ist eine feine und wirklich dem Ver- fasser gerechtwerdende, aus wirklicher Interpretation hervor- gehende Einzelkritik, die zu einem in sich übereinstimmenden und historischen Gesamtergebnis führt. Dazu gehört aber nicht nur Scharfsinn, sondern auch Geschmack und Gefühl und ein ganz klein wenig Liebe für den Autor; man darf ihm nicht allzu eifrig ins Wort fallen, sondern muß ihn einmal anhören und mit seinen Eigentümlichkeiten etwas Geduld haben. Daß damit nicht einer exegetischen Methode das Wort geredet werden soll, die alles zu verstehen und zu verdauen vermag und alles, was im Texte steht, herrlich findet, versteht sich von selbst. Und mir wenigstens scheint zweifellos, daß die Wahrheit mehr in der Richtung der Überarbeitungs- als in der Einheitshypothese liegt. Die „unsterbliche Form" der Gedanken dieses begrenzten, aber scharf umrissenen Typus der Frömmigkeit muß und wird doch noch einmal aus dem Schutt der Reflexion, mit dem sie überdeckt ist, sich erheben. Die neuesten Kommentare sind von Th. Zahn (Leipzig 1908) und W. Bauer (Handbuch zum N. T. 1912) und mögen in ihrer Verschiedenheit sich ergänzen. Letzterer hat die neuen Arbeiten auf dem Gebiete der hellenistischen Reli- gion verwertet und eingearbeitet, ersterer ist durch die Sorg- falt der sprachlichen Exegese und Textkritik musterhaft; auf eine Förderung des Einheitsproblems verzichten beide, Th. Zahn aus Grundsatz, W. Bauer aus Vorsicht oder aus einer gewissen Skepsis gegen die neueren Versuche. Wen dl and ist im allgemeinen von der Notwendigkeit überzeugt, eine Grundschrift und Be- arbeitung zu scheiden, will aber vielfach eigene Wege einschlagen.

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Leider hat er gerade den schwächsten Teil der Wellhau senschen Hypothese, daß das Hin- und Herreisen zwischen Galiläa und Jerusalem der Grund schrift noch nicht angehört habe, sich an- geeignet. Über die ganze bisherige Arbeit am Johannesevan- gelium hältOverbecks,aus seinem Nachlaß vonBernouilli heraus- gegebenes Werk („Das Johannesevangelium, Studien zur Kritik seiner Erforschung", Tübingen 1911) ein scharfes Gericht, ins- besondere über alle Yermittlungshypothesen. Die Sprache der Reden des 4. Ev. ist durch Reitzenstein und Norden aus der hellenistischen Mystik schlagend beleuchtet worden. Der an- ziehendste Teil des Abschnittes über die Evangelien bei Wend- land behandelt das Wachstum und die Variabilität der Über- lieferung (ähnlich hat der Referent geurteilt in seiner Einleitung zu den drei ältesten Evangelien in Sehr. N. T. I) ; mit Recht hat er hierbei den Übergang vom Ursprünglichen zur Legende, vom Kanonischen zum Apokryphen als einen durchaus fließenden behandelt; weder zwischen Synoptikern und Johannes, noch zwischen kanonischen und apokryphen Evangelien besteht in dieser Beziehung ein prinzipieller Unterschied. Dies erkennt man an der sehr dankenswerten Zusammenstellung von W. Bauer, „Das Leben Jesu im Zeitalter der neutestam entlichen Apo- kryphen" (Tübingen 1909), wobei nur noch die Linien etwas kräftiger auch nach rückwärts hätten gezogen werden sollen. Überall bieten sich hier verwandte Motive aus hellenistischen Wundergeschichten zum Vergleiche an. Der Einfluß des Weis- sagungsbeweises auf die Ausgestaltung besonders der Leidens- geschichte zeigen K. Peigel, „Der Einfluß des Weissagungs- beweises und anderer Motive auf die Leidensgeschichte" (Tübingen 1910) und K. Weidel in den „Theol. Studien und Kritiken*' (1910, S. 83— 109, 163—195). Wichtige Einzelfragen zur Geschichte Jesu behandeln M. Dibelius, „Die urchristlich8_ Überlieferung von Johannes dem Täufer" (Göttingen 1911] die einzige neuere Schrift, die sogar vor dem Oberzensor B( nouilli (im Anhang zu Overbecks Werk) Gnade gefunden h!

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wegen ihres in der Tat in hohem Grade vorhandenen „Willens zur Methode"; daneben nicht zu übersehen die tüchtige Marburger Dissertation von H. Peter, „Johannes der Täufer in der urchrist- lichen Überlieferung" (1911); H. Windisch, „Der messianische Krieg und das Urchristentum" (Tübingen 1909), gegen Kauts- kys Hypothese vom „Rebellen" Jesus ; M. Goguel Les sources du redt johannique delapassion (Paris 1910); J.Frey, „Der slavische Josephusbericht über die urchristliche Geschichte nebst seinen Parallelen kritisch untersucht" (Dorpat 1908). Heinr. G. Voigt, „Die Geschichte Jesu und die Astrologie. Eine religionsgeschicht- liche und chronologische Untersuchung zu der Erzählung von den Weisen aus dem Morgenlande" (Leipzig 1911) berichtet zu- nächst über Keplers, v. Oefeles u. a. Versuche, die Sternkon- stellation im Jahre 6 v. Chr. nachzuweisen, die dem Bericht zu- grunde liegen könnte, sucht dann aus den astrologischen Lehren der Zeit zu erweisen, daß in der Tat zuerst diese Konstellation die Magier nach Judäa gewiesen und auf die Geburt eines Welt- herrschers geführt haben könne. Auch die Romreise des Tiridates kann nur nach Voigt wieder durch eine im Jahre 66 nach- gewiesene besondere Konstellation veranlaßt sein. „Wenn aber die Jupiter -Mars -Konstellation des Jahres 66 n.Chr. auf Magier von solchem Eindruck sein konnte, wie er sich bei Tiridates I erkennen läßt, so ist mehr als wahrscheinlich, daß die astro- ' logisch noch viel bedeutenderen Konstellationen der Jahre 7 und 6 V. Chr. auf selten von Magiern nicht unbeachtet blieben. Es vermindert demnach die Tiridatesgeschichte nicht die Glaubwürdig- keit des zweiten Mt- Kapitels, sondern erhöht sie vielmehr", wie 1 denn Voigt auch in anderen Punkten die Geschichtlichkeit des ' Vorganges zu erweisen sucht. Der Wert des Buches liegt darin, daß es die Erzählung und die chronologischen Fragen überhaupt i in Zusammenhang mit der astrologischen Weltanschauung der j Zeit gebracht hat. Über die Einzelheiten kann ich nicht urteilen. 1 Auf den Halleyschen Kometen bezieht den Stern Jesu A. Stentzel „Jesus Christus und sein Stern" (Hamburg 1913); andere chrono-

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logische Berechnungen wieder bei Westberg, „Zur neutesta- mentlichen Chronologie und Golgathas Ortslage" (Leipzig 1911). Zur biblischenTheologie sind einegroße Anzahl vonMono- graphien zu verzeichnen^; eine nähere Besprechung würde über den Rahmen dieses Berichtes hinausgehen^; ich erwähne hier nur C. Giemen, „Der Einfluß der Mysterienreligionen auf das älteste Christentum" (RGW XIII, 1 ; Gießen 1913) wegen des prinzipiellen Charakters dieser Schrift. Der Verfasser, der in der Literatur über die Mysterienreligionen gut zuhause ist, lehnt eine Ein- wirkung dieser Religionen auf das vorpaulinische Christentum, insbesondere auf die Entstehung von Taufe und Abendmahl, gänz- lich ab, für Paulus gesteht er Berührungen mit dem Sprach-

^ P. Metzger Der Begriff des Reiches Gottes im N. T. Stuttgart 1910. Bowen The Resurr ection in the N. T. An Examination of the Earliest Re- ferences to theRising of Jesus and of Christians from the Dead. NewYork- London 1911. Bacon Jesus the son of God or primitive Christologij. New Haven 1911. Rostron The Christölogy of St. Paul. London 1912.

Olaf Moe Paulus und die evangelische Geschichte. Zugleich ein Bei- trag zur Vorgeschichte der Evangelien. Leipzig 1912. E. Weher JDas Problem der Heilsgeschichte nach Rom. 9 —11. Leipzig 1911. Wett-er Der Vergeltungsgedanke hei Paulus. Eine Studie zur Religion des Apostels. Göttingen 1912. Behm Ber Begriff Siccd-ijyiri im N. T. Leipzig 1912. Deißner Aufersiehungshoffnung und Pneumag edanlce iei Paulus. Leipzig 1912. Gschwind Die Niederfahrt Christi in die Unterwelt. München 1911. G. Loeschcke Zur Frage nach der Herkunft und Einsetzung der Eucharistie. Frankfurt a. M. 1912 (Sonderabdruck aus der Zeitschr. f. wies. Theol. 54, III). Schmitz Die Opferanschauungen des späteren Judentums und die Opferaussagen des N. T. Tübingen 1910. Dazu der Artikel von Fiebig Das kultische Opfer im N. T. (Zeitschr. f. v^iss. Theol. 53, III 1911).

Fr. Wieland Der vorirenäische Opferbegriff. München 1909. K. Wieland Die üeilstat Christi als Neuschöpfung und Wiedergeburt. Herausgeg. von Bruno Wieland, Selbstverlag Leipzig 1910 (Franz Wagner). P. Möhring Die Sittenlehre Jesu. Ihre leitenden Gesichtspunkte und religiösen Grund- lagen. Leipzig o. J. Wohlrab Das neutestamentliche Christentum auf psychologischer Grundlage dargestellt. Dresden 1910. Die neutestament- liche Glaubenslehre auf psychologischer Grundlage dargestellt. Dresden 193 B. Wehnert Jesu Diesseitsreligion. Groß-Salza 1911.

' Ich bemerke überhaupt, daß ich mich bei der ungeheuren Mas der aufgelaufenen Literatur diesmal kurz fassen mußte.

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gebrauch desselben, aber so gut wie keinen Einfluß auf die Gedankenbildung zu, nicbt einmal in dem Gedanken des Mit- sterbens und -auferstebens in der Taufe. Es wird sehr schwer sein, Art und Maß dieses eventuellen Einflusses richtig zu be- stimmen, und es ist gut, wenn den Übertreibungen in Bausch und Bogen, die vorgekommen sind, der Tatbestand so nüchtern vorgehalten wird. Aber darum wird man nicht herumkommen: der dem vorpaulinischen Christentum gegenüber neue Gedanke des Paulus, daß die Christen das Erlebnis Christi an sich selbst nacherleben müssen, ist ein Mysteriengedanke, und ebenso ist die Verkündigung des Todes Christi im Herrenmahl in Form des Brotbrechens ein Mysterienbrauch, insofern als beidemal die Vorgänge des 'Mythos' im Kultus wiederholt werden. Im übrigen scheint mir sicher, daß beide Gedanken bei Paulus zwar vorkommen, aber keine allbeherrschende Bedeutung haben; wie weit sie im Brauche und Empfinden der Gemeinde wirklich lebten, ist mir zweifelhaft.

Mehrere Gesamtdarstellungen der Biblischen Theologie des N. T. liegen vor von Schlatter (Calw u. Stuttgart 1909. 1910), P. Feine (2. Aufl. Leipzig 1911), H. Weinel (2. Aufl. Tübingen 1913), dazu die 2. Aufl. von H. J. Holtzmanns „Neutestam ent- licher Theologie", herausgegeben von A. Jülich er und W.Bauer (Tübingen 1911). Dieses auffallende gleichzeitige Auftreten zu- sammenfassender Darstellungen zeigt, daß in der Theologie nach Jahrzehnten unendlicher Kleinarbeit die Neigung zur Synthese wieder erwacht ist. Es kann hier nicht darauf ankommen, diese umfangreichen Werke ausführlich zu rezensieren. Ich verweise dafür auf die eingehenden Besprechungen von Wind i seh in der Zeitschr. für wissensch. Theol. 52 und 54, Knopf in den Theol. Studien und Kritiken 1913, Bousset in der Theol. Lit.- Zei- tung 1912.

Ich stelle hier nur die Frage, in welcher Weise sich die vier Verfasser zu dem religionsgeschichtlichen Problem stellen, |i das augenblicklich im Vordergrunde steht: das Verhältnis des

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entstehenden Christentums zu der umgebenden religiösen Welt des orientalisch - hellenistisclien Synkretismus. Am wenigsten merkt man von dieser Fragestellung bei Schlatter, der überhaupt als Schriftsteller und Theologe völlig sui generis ist. Weit mehr selbst als Feine steht er in ungebrochener innerer Übereinstimmung mit der Schrift; er denkt selber aus der Seele der neutestament- lichen Schriftsteller heraus, kann sich noch ganz mit ihnen identifizieren; er redet in einer Sprache, die zwar keineswegs mehr die Sprache der Bibel ist, aber auch nicht die des modernen Menschen und Schriftstellers, sondern die eines bestimmten reli- giösen Kreises. Die Kritik, sowohl die literarische wie die histo- rische, kann hierbei nicht genügend zu Worte kommen, noch viel weniger die Frage, inwieweit Jesus und Paulus und die anderen, inwieweit die ganze Religion, die hier entsteht, an dem Material der umgebenden Religionswelt sich genährt hat. Als die einzige wirkliche Voraussetzung gilt hier das A. T. und das Judentum. Eine gute Kenntnis der rabbinischen Theologie und jüdischen Geschichte setzt den Verfasser instand, Verwandt- schaft und Gegensatz zu zeichnen. In dieser Beziehung ist z. B. das Kapitel: ^jBer Kampf Jesu gegen den Pharisäismus " sehr lehrreich. „Weil der Kampf gegen den Pharisäismus die Ge- schichte Jesu und des Christentums von Anfang an bestimmt, ist jener an dieser wirksam mitbeteiligt, weil der Gegner, durch dessen Überwindung der eigene Besitz erworben und bewahrt wird, diesen mitbestimmt. Das weitverbreitete Sträuben gegen die Tatsache, daß das Christentum ohne die Herrschaft des Phari- säismus über die jüdische Gemeinde undenkbar ist und in der Anlehnung an ihn wie im Gegensatz gegen ihn seine Ge- schichte und Lehre erhalten hat, schädigt das Verständnis der neutestamentlichen Geschichte in allen ihren Vorgängen und erzeugt eine Menge von Phantasien, die nun Fremdartiges, heid- nische oder gnostische Gedanken mit den christlichen Über- zeugungen in Beziehung bringen. Sie sind aber nur durch die herkömmlichen Karikaturen des Pharisäismus gestützt, die für

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seinen religiösen Ernst blind bleiben/" Wenn ich diesen charak- teristischen Satz zutreffend deute, so will Schlatter sagen, daß der richtig verstandene Pharisäismus (wie man ihn z. B. aus den Salomonischen Psalmen oder dem 4. Esra-Buch kennen lernen kann) in Verwandtschaft und Gegensatz für die Ent- stehung des Christentums eine konstitutive Bedeutung hat, und daß dies von der modernen Religionsgeschichte verkannt zu werden püegt, weil sie zu einseitig auf den Hellenismus ein- gestellt ist. Wenn das die Meinung ist, so tann ich ihm darin nur beistimmen; die Zusammenarbeit von Theologie und Philo- logie wird solange einseitig bleiben, als nicht auch die eigent- lich jüdischen Quellen in sie hineinbezogen werden. An diesem Punkte liegt der Grund für eine Reihe noch bestehender Miß- verständnisse. Eine Berührung Jesu mit dem Hellenismus ge- steht Schlatter insofern zn, als er sich zwar von den gnostischen Strö- mungen des Judentums, wie dem Essenismus, und von dem sonst im damaligen Judentum vorhandenen hellenistischen Element aufs schärfste scheidet: dem Intellektualismus, der Aufklärung; andererseits ist der von Jesus schon vorausgesetzte individuelle ünsterblichkeitsgedanke und ein gewisses Maß von Heraus- arbeitung psychologischer Begriffe ein Ergebnis hellenistischer j Einwirkung, auf dem Jesus fußt. Bei Paulus, obwohl das I Grundwesen seiner Religion durchaus auf die Herkunft aus I und den Kampf mit dem Judentum zurückgeführt wird, wird doch anerkannt, daß er „in seiner Art zu denken und zu handeln ein starkes griechisches Element in sich trägt". Aber „Mischungen j des Wortes Jesu mit den griechischen Tendenzen sind durch I Paulus nicht entstanden", „griechische Denkformen" hat er nur . in geringem Maß verwertet, auch im Weltbild des Paulus wird kein griechischer Einfluß sichtbar; nur Begriffe wie vovg und övvsCdrjöig, die Bilder vom Wettkampf, die Verwendung des Ehrmotivs bei der Arbeit (q)LXori,^sl6d'aL) sind griechisch; „einen

^ Ich benutze die Gelegenheit, um auf das lehrreiche Buch von Herford Der Pharisäismus hinzuweisen.

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griecliisclien Ton hat auch die Forderung der Besonnenheit und Würdigkeit"; „da der Grieche in dieser Beziehung hoch entwickelt war, wurde es sofort für die Christenheit zu einer wichtigen Aufgabe, daß sie in diesem Verhalten alles vermied, was den Eindruck des Lächerlichen und Gemeinen machte". Diese Zu- geständnisse hellenistischen Einflusses sind natürlich zu gering^ immerhin erscheint mir der entgegengesetzte Fehler der Nichts Würdigung jüdischer Überlieferung bei Paulus fundamentaler, und in dieser Beziehung ist das Bild Schlatters reich und über- zeugend. Feine kommt trotz seines konservativen Stand- punktes in der Christologie den Forderungen und Anschauungen der religionsgeschichtlichen Forschung weit entgegen, so be- deutet sein Buch nicht nur eine sehr gründliche und instruk- tive, sondern auch relativ unparteiische Einführung in die neue- ren Probleme; man lese z. B. den Abschnitt: Zeitgeschichtliche Elemente in der paulinischen Theologie: „Für die wissenschaft- liche Forschung unterliegt es keinem Zweifel, daß auch Paulus sein Christusbild und seine gesamten lehrmäßigen Gedanken nur in den Formen der Bildung und Anschauung seiner Zeit dar- stellen konnte . . . Wir haben gelernt, das Christentum nicht zu isolieren, sondern es im Zusammenhang und in der Aus- einandersetzung mit den Geistes- und Kulturmächten zu be- trachten, in deren Mitte es eintrat." Im einzelnen geht Feine in der Anerkennung übernommener Elemente recht weit, nament- lich gibt er, richtiger als andere, ein gewisses Verhältnis des Paulus zur Stoa zu. Seine Verwahrungen gegen Extravaganzen der religionsgeschichtlichen Methode würden überzeugender sein, wenn sie bloß wissenschaftlicher Natur wären; es mischt sich aber hier sehr oft das religiöse oder dogmatische oder kirchliche Empfinden des Verfassers ein, wie er auch selber zugesteht j damit wird die Stoßkraft des wissenschaftlichen Arguments ge- schwächt, und auch der, der den Standpunkt des Verfassers teilen möchte, wird unsicher, weil die ganze Beweismethode sich im Grunde nicht genügend über das „Ja aber" erhebt. Es fehlt

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an einer wirklicli lebendigen genetisch- oTganischen Darstellung, in der das Nebeneinander alttestamentlich- jüdischer und helle- nistisch-synkretistischer Elemente als ein unvermeidliches oder notwendiges Ineinander aufgezeigt würde. Wenn man über diese Seite des Feineschen Buches hinwegsehen kann, wird man es als nützlich und in vielem lehrreich empfinden. Sein buch- händlerischer Erfolg ist nicht erstaunlich. Es fehlt ein Werk, das bei genügender Wissenschaftlichkeit die Grundpositionen der kirchlichen Frömmigkeit nicht preisgibt. Einen nicht minder großen Erfolg hat Weineis „Biblische Theologie'^ mit dem Unter- titel „Die Religion Jesu und das Urchristentum" im anderen Lager gehabt, weil es hier anderen und doch ähnlichen Wünschen und Bedürfnissen entgegenkommt. Gfegenüber der Kritik, welche die erste Auflage erfahren hat, verteidigt Weinel die Anlage und Urteilsweise seines Werkes in der Vorrede der zweiten als einen „Anfang, aus der krassen Empirie herauszukommen, die jetzt auf dem Gebiete der Religionsgeschichte herrscht". „Demgegen- über ruht meine Darstellung auf einer umfassenden Betrachtung der Religion in der Religionsgeschichte und sucht von der Fest- stellung der Struktur dieser geistigen und praktischen Erschei- nung aus den Religionen vergleichend gerecht zu werden." Insbesondere verteidigt er seinen Sprachgebrauch, wonach die anderen gleichzeitigen Erlösungsreligionen als „ästhetische" be- zeichnet werden; „der Begriff der ästhetischen Erlösungsreligion 1 ist sachlich deutlich genug gemacht als Inbegriff der Religionen, denen die Erlösung von Leid das Wesentliche ist. Das Wort ^ästhetisch' ist nicht gut, weil wir es gewöhnlich in einem > engeren Sinne nehmen; aber es ist schwer zu ersetzen. Schon Schleiermacher hat es verwenden müssen, um auch monotheistische Religionen vom Christentum abzuheben". Für das Verständnis der Anlage des Buches lese man den interessanten einleitenden § 1, 2, in idem der Verfasser ein Schema der „Morphologie der Religion" entwickelt, das alle wesentlichen Fragestellungen einer wirklichen Religionsgeschichte enthält. Bewunderungswürdig und auch dem

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gelehrtesten Religionshistoriker zu empfelilen ist die gedrängte Religionsgescliiclitliche Einleitung", in der die leitenden Ideen des Verfassers schon hervortreten; ich hebe hervor seine Be- tonung des vorchristlichen „Monotheismus der Andacht" 3 fin.), des ethischen Monotheismus bei Deuterojesaja 4, 1), die Be- urteilung der Mysterienreligionen (bes. § 5;2e) und die meister- haft knappe Schilderung der eschatologischen Erlösungsreligion (§5,5), wobei die hellenistischen Hoffnungen und die jüdischen als wurzelhafte Einheit betrachtet werden. Der erste Teil der eigentlichen Darstellung beginnt nun sofort mit der Fragestellung nach dem Grundcharakter der Religion Jesu, „ob Jesus in die ästhetische Erlösungsreligion hineingehört". Obwohl „Jesus die Zukunftshoffnungen der eschatologischen Erlösungsreligion . . geteilt hat", wird jene Frage verneint: „denn er teilt gerade die Züge nicht mit ihr, die ihr Wesen ausmachen": statt ihrer Phan- tastik seine Schlichtheit, statt des Rechnens mit Zahlen und Zeiten die schlichte Gewißheit der Nähe und der Ernst der Drohung und Mahnung: „das alles stellt Jesus in die Reihe der Propheten ein und nicht in die Reihe der Apokalyptiker". Namentlich in der Beurteilung der Güter und Gemeinschaften der Erde sind die Töne der ästhetischen Erlösungsreligion nur ganz leise und ver- schwindend zu vernehmen. Überall klingt in starken Worten die sittliche Forderung vor". „Ganz und gar nicht ist die Sittlich- keit als eine zeitweilige Askese gedacht, der ein Freudentaumel im Jenseits folgt . . die Enthaltung ist ein höchstes sittliches Opfer, das nur bestimmten Menschen und in bestimmten Lagen auf- erlegt ist durch dasselbe Ideal der Reinheit und Güte, das auch das schlichte Leben des einfachen Menschen bestimmen und reif machen soll für das Gottesreich.'' Sakramentales fehlt bei ihm völlig, ebenso die Mystik. So „stammt Jesus nicht aus der nur leise anklingenden und auf bestimmte Kreise beschränkten Seitenlinie seines Volkes her, sondern aus dem Hauptstrom der prophe tisch -sittlichen Gedanken". Der zweite Abschnitt schildert dem entsprechend. ,^die Vollendung der sittlichen Religion durch Jesus'^

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Überwindung der Gesetzlichkeit, Ausscheidung des Kultischen aus dem Willen Gottes , das neue sittliche Ideal, das Gemein- schaftsleben, die Überwindung des Eudämonismus. „Die großen Linien sittlicher Entwicklung, die in der Geschichte der Mensch- heit auf Bändigung des Trieblebens und auf Nächstenliebe hin- laufen, sind von ihm zu Ende geführt . . es ist ein Mensch- heits- und Persönlichkeitsideal, dem stoischen nahe verwandt, doch frei von einigen seltsamen Schlacken, die dieses zeigt, und auf das Affektleben ausgedehnt. Die Überwindung der eudä- monistischen Motive und die Durchbrechung des Lohngedankens weisen nun aber zurück auf einen neuen Gottesgedanken, auf die eigentliche Religion Jesu. „Man nennt sie am besten die sitt- liche Erlösungsreligion", weil sie den Menschen von einer als äußere Autorität gegebenen und darum ohnmächtigen sitt- lichen Forderung befreit und ihm die Kraft eines neuen Lebens schenkt. Darin liegt dann freilich auch eine Erlösung aus dem Leid: der neue Mensch schaut die Welt mit anderen Augen an. Aber diese Erlösung wird hier nur nebenbei erreicht, nicht als das Wesentliche gesucht. Der Darstellung dieser sittlichen Erlösungsreligion ist der dritte Abschnitt gewidmet: Der neue Gott. i Das Gebet. Das religiöse Erlebnis. Das neue Leben. Der vierte Ab- schnitt handelt von der Erlösungsreligion und der Erlöserpersön- lichkeit, d.h. vom messianischen Selbstbewußtsein Jesu. „Er hat ! sich für die entscheidende und abschließende Offenbarung Gottes ge- ! halten", für das Schicksal seines Volkes. „Wer sich ihn bescheidener wünscht und deshalb all diese Worte streicht, tut der Überlieferung ! Gewalt an, meist aber auch mit einem Maßstab, der zu klein ist." jWeinel kommt zu dem Ergebnis, daß ein Sohnes- und Messias- bewußtsein bei Jesus überwiegend wahrscheinlich sei trotz ider Einwendungen neuerer Forscher. Der zweite Teil behandelt ikurz die Religion des vorpaulinischen Urchristentums und dann ! nicht ganz in dem Umfang, der der Religion Jesu gegönnt iist Paulus. „P. hat nicht nur das pharisäische Erbe mitgebracht. Ebenso wesentlich, noch wesentlicher war für ihn und seine

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Auffassung des Evangeliums die hellemstische Religion , Tor allem die Erlösungsselineuclit des Hellenismus. Er hat dieses Erbe wahr- seheinlich nicht erst von den älteren christlichen Hellenisten über- kommen. Es liegt wenn man so sagen darf tiefer. Er stammt wirklich nach seiner Frömmigkeit aus der pessimistischen Linie der jüdischen Entwicklung. Neben Philo und den Ver- fasser des 4. Esrabuches muß man ihn stellen. Er ist die direkte Fortsetzung jener Sehnsucht nach Ewigkeit und heiligem Geist, in der wir das Letzte sahen, wozu jüdische Frömmigkeit von sich aus und unter dem Einfluß des Hellenismus kommen konnte." „Wir werden sehen, daß es sich doch nur um eine Form Verschiebung ins Hellenistische, um die dualistisch- pessimistische Gestalt der sittlichen Erlösungsreligion handelt, wobei dann freilich die ästhe- tische Erlösungsreligion viel stärker eingewirkt hat als bei Jesus." Weinel veranschaulicht das, indem er zuerst die „sittliche Erlösungs- religion" darstellt, dann die „beibehaltene oder wieder eingedrun- gene Frömmigkeit früherer Stufen", die Sakramentsreligion, die bei Paulus „geradezu eine besondere Religion neben der sittlichen Er- lösungsreligion" ist. „Man kann alle Aussagen über die Religion und ihr Verhältnis zur Sittlichkeit ebenso im Anschluß an die Sakramente machen wie im Anschluß an den Glauben und das neue Erleben des Geistes oder des Christus." „Für die sittliche Religion bedeutet dieses Zusammengehen mit der Sakramentsreli- gioö in sittlich wenig starken Menschen die Gefahr ihres Unter- ganges im Zauber des Sakraments." „Die Sakramente sind ein Fremdkörper in der Religion des Paulus", „Rest einer über- wundenen Stufe"; „es ist durchaus nicht wahrscheinlich, daß er seine Mystik aus den Sakramenten erst entwickelt hat. Viel- mehr ist deutlich, daß die Mystik bei ihm das ganze Leben durchdringt, das Sakrament aber nicht." Es folgt dann noch eine Darstellung der Ethik und der Weltanschauung und Geschichts- betrachtung des Paulus. Das S.Buch des zweiten Teils behan- delt das „Christentum dör werdenden Kirche" ein äußerst wertvoller Abschnitt, der in den älteren Werken über dem System

Neues Teatament ^27

der^Lehrbegriffe" und bei der Bescbränkung auf die kanonischen Bücher des N. T. sehr zu kurz gekommen war. Das charakter- volle und durchweg fesselnde Buch Weineis ist eine schriftstelleri- sche und Gedankenleistung, wie wir deren wenige zu verzeichnen haben. Über seinen wissenschaftlichen Wert als historische Arbeit urteilt Windisch folgendermaßen: „Es ist keine rein historische Darstellung, vielmehr ist die Ausführung von einem religions- philosophischen oder religionspsychologischen Begriffsschema be- herrscht, das dem Stoffe nicht ganz gerecht wird." Die Beurteilung und Einspannung in Kategorien, die aus der Dogmatik oder der modernen Religionsphilosophie stammen, ist niemandem zu ver- bieten, ist sogar für die Gewinnung einer eigenen religiösen Weltan- schauung unerläßlich, aber es ist ein Fehler, wenn das Geschäft mit 4er historischen Arbeit dermaßen verquickt wird, wie es Weinel tut. Es wird doch auch hier der historische Tatbestand einer nicht ganz adäquaten Religionsauffassung dienstbar gemacht . . es werden Wertungen vorgenommen, über die das Urchristentum jedenfalls keine prinzipielle Klarheit besessen hat.*' „Noch be- denklicher ist, daß bei solcher Methode die Empfindungen des modernen Forschers zu leicht auch dem Objekt der Forschung untergeschoben werden. Dieser Gefahr ist Weinel nicht entgan- gen. Ein Gelehrter wie Weinel zielt mehr oder weniger unbewußt 4iuf den Nachweis ab, daß die Predigt Jesu in ihren Hauptpunkten auf der Höhe religiöser, sittlicher und intellektueller Einsicht '«teht, die wir von einem Religionshelden verlangen, vor dem wir uns beugen, daß also in seiner Predigt dasselbe als Haupt- sache hervortritt, was für uns Moderne Hauptsache ist." Diese /etwas harten Urteile sind doch in der Hauptsache nicht un- zutreffend — bei aller Bewunderung für die Leistung Weineis wird man es verstehen können, wenn der moderne Forscher sich -in Holtzmanns Werke heimischer fühlt. Obwohl hier das Schema der Lehrbegriffe und die literarische Betrachtung in einer micht mehr zu billigenden Weise vorwaltet, hat man doch viel- rinehr die Empfindung eines Ringens um wirklich historisches

328 Johannes Weiß

Verständnis; die Probleme als Bolche treten viel schärfer hervor, und die geradezu rührende Berücksichtigung der Mitarbeit auch sehr verschiedenartiger Forscher gibt einen besseren Eindruck von der wirklichen Arbeitslage, als die glänzende, überzeugte und oft mitreißende Darstellung Weineis. Es ist eine schöne Fügung, daß durch die neue Auflage die wissenschaftliche Persönlichkeit Holtz- manns über seinen Tod hinaus noch für eine lange Zeit als Vor- bild und Helfer für unsere Arbeit lebendig erhalten worden ist. „Das Christentum in den ersten drei Jahrhunderten*^ (2 Bände, Leipzig 1912) von Hans Achelis bedeutet unter den bisherigen Darstellungen der alten Kirchengeschichte ein Novum, sowohl der Anlage und Disposition nach die übliche Einteilung in die Perioden: apostolisches, nachapostolisches, altkatholisches Zeit- alter ist aufgegeben wie dem Inhalt nach: war die bisherige Darstellungsweise ganz überwiegend auf dogmengeschichtliche Gesichtspunkte eingestellt, so tritt hier die Kirche als Gemein- schaft, das Gemeinschaftsleben ganz außerordentlich und fast einseitig in den Vordergrund. Die religionsgeschichtliche Frage, wie das Christentum aus der Religion der Antike entstanden ist, tritt deshalb hier sehr stark zurück; es wäre aber für unsere radikalen Heißsporne, die sich getrauen, das Christentum in einem synkretistischen Mythos aufzulösen, sehr nützlich, wenn sie diese Darstellung lesen wollten. Sie könnten lernen, daß diese Reli- gion von Anfang an sehr viel mehr und im Grunde etwas anderes gewesen ist als ein Mythos oder ein Kultus des sterbenden und auferstehenden Gottes, nämlich eine Gemeinschaft mit sehr charak- teristischen praktischen Zielen und Lebensformen. Auch die Skep- tiker, die da meinen, daß wir über das älteste Christentum nichts wissen können, die Hypothesenbauer, die ihre Gebäude ohne Fundament und Steine in die Luft bauen, mögen sich von dem Reichtum der Daten überzeugen, über die wir verfügen; viel- leicht werden sie dann dem Worte Achelis' zustimmen: „daß wir über die Geschichte des Christentums ungleich besser unterrichtet sind auch schon in seiner ältesten Zeit als über irgendeine

Neuea Testament 329

andere Religion, die mit der Kirche in historische Parallele gesetzt wird". Auf der Darstellung des Gemeindelebens ruht, wie gesagt, bei H. Achelis der Hauptnachdruck. Vorausgeschickt sind zwei Kapitel über „die Gemeinde in Jerusalem" und über „Paulus"; dann folgt eine breite Schilderung der heidenchristlichen Gemeinde-, der Abschnitt „Zusammenhang mit der Synagoge" ist sehr wichtig für die, welche das Christentum nur aus dem Hellenismus herleiten möchten; die Taufe wird hier ganz aus dem Judentum abgeleitet, wenn auch ein Nebenhereinwirken „antiker Überlieferungen" zu- gestanden wird hier erwartet man ein stärkeres Eingehen auf die heute brennende Frage; auch bei der Handauflegung scheint heid- nischer Ursprung ebenso wahrscheinlich wie jüdischer (I, S. 145). Im 5. Kapitel erhalten wir eine knappe Charakteristik der Gnosis; auch hier wird auf Darlegung der Systeme, d. h. auf den dogmengeschichtlichen Gesichtspunkt verzichtet, dagegen die großen praktischen, für die Kirche als Gemeinschaft wichtigen Züge stark hervorgehoben: „Tausendfache Elemente antiker Reli- gionen drängten sich an das Christentum heran. Sie hatten ihre Herkunft noch häufiger in orientalischen Überlieferungen als in den griechischen Kulten; im einzelnen widersprachen sie sich und hoben sich gegenseitig auf. Gemeinsam war ihnen nur das Bestreben, Einfluß auf die junge Kirche zu gewinnen und sie ihrer auf dem Boden des Judentums gewachsenen Tradi- tionen zu entkleiden. Die Kirche sollte sich ausgleichen mit den anderen Religionen, die im römischen Reich sich ausbreite- ten; sie sollte ihre starre Ausschließlichkeit aufgeben und sich auf einen Austausch ihrer religiösen Güter einlassen. Christus sollte eintreten in den weiten Göttersaal; man war bereit, ihm dort einen der ersten Plätze einzuräumen." „Hätte die Gnosis an Einfluß gewonnen, so würde das Christentum mit der Zeit das A. T. vergessen haben, die Schriften des N. T. wären um- i gestaltet worden, die Gemeinden hätten ihre eschatologische Er- wartung fallen lassen, die Sittenzucht wäre eingeschlafen, die iGlut der Liebesgemeinschaft erloschen, die ideale Einheit der

^30 Johannes Weiß Neues Testament

Kirche hätte sich in eine Anzahl von kleinen Schulen aufgelöst^ die von immer neuen Propheten geleitet und hin und her ge- zerrt worden wären/^ „Unter ihrem Einfluß hätte sich die Kirche dem Niveau der antiken Religiosität angenähert . . . wäre auf- gegangen in dem religiösen Synkretismus." Der Kampf gegen die Gnosis war also ein Akt der Selbstbehauptung des Christen- tums. Das Glanz- und Hauptstück des ganzen Werkes ist die Schilderung der Entstehung der katholischen Kirche (2. Band). Hier hat der Verfasser aus zahllosen Einzelzügen ein außer- ordentlich eindrucksvolles Bild geschaffen. Mit dem Kapitel: „Staat und Kirche" schließt die Darstellung, die durch konkrete Lebendigkeit und Anschaulichkeit, durch die Ruhe der Diktion, durch ein von Stubengelehrsamkeit freies menschliches Urteil eine außerordentlich fesselnde und lehrreiche Lektüre bildet Was ihr an „theologischem" Kolor fehlt, ersetzt sie reichlich und zum Vorteil der Sache durch die Wärme und Liebe, die eine Begleiterscheinung eindringender Stoffbeherrschung ist Das Zurücktreten der religionsgeschichtlichen Probleme im engeren Sinne wird freilich von manchem als ein Mangel empfunden werden. Es läßt sich aber durchaus nichts gegen die Methode einwenden, auch einmal die Dinge zu schildern, wie sie waren, und auf eine Erklärung zu verzichten, die nach Lage der Dinge vielfach nur einen hypothetischen Charakter tragen muß. Eher darf man dem Verfasser vorwerfen, daß er keine Schilderung des jüdi- schen und heidnischen Milieus gegeben hat, innerhalb dessen das Christentum aufgetreten ist. Aber an derartigen Darstellungen ist ja heute kein Mangel. Mit Freude und Dankbarkeit verzeichnen wir zum Schlüsse noch das Erscheinen einer zweiten Auflage von Wendlands Werk: „Die hellenistisch-römische Kultur "(Tübin- gen 1912). Die Schnelligkeit, mit der sie auf die erste gefolgt ist, beweist die große Teilnahme, die das ausgezeichnete Buch bei Theologen und anderen gefunden hat; die neue Darstellung ist überall vertieft und bereichert und wird auch in dieser Gestalt als Fundgrube und Hilfe für die theologische Arbeit sich bewähren.

III Mitteilungen und Hinweise

A. Milchliöfers Nachlaß zur antiken Religion

Dem Unterzeichneten wurden von Frau Prof. E. Milchhöfer zwei große Hefte und drei Mappen übergeben, die den wissenschaftlichen Nachlaß Arthur Milchhöfers enthalten. Eine Durchsicht zeigte, daß es sich um sehr reiche Materialsammlungen handelte , die für ein großes Werk aus dem Gebiet der griechischen Religionsgeschichte be- stimmt waren. Da nichts Druckfertiges oder auch nur näher Aus- geführtes sich darunter befindet, muß Unterzeichneter sich auf einige allgemeine Mitteilungen aus den Manuskripten beschränken. Er kann dies nicht tun, ohne sein tiefstes Bedauern ausgesprochen zu haben, daß es Milchhöfer nicht vergönnt war, dies große Werk der Wissen- schaft zu schenken. Per Nachlaß ist jetzt durch Vermittlung des Herrn Prof Sudhaus auf der Universitätsbibliothek in Kiel, an Milch- höfers Wirkungsstätte, aufbewahrt, wo er leicht zugänglich ist. Hof- fentlich findet er bald einen dankbaren Benutzer.

Das Werk sollte die älteste Geisteskultur Griechenlands mit be- sonderer Berücksichtigung der Kunst und Religion behandeln und vielleicht den Titel führen: „Neue Studien zur ältesten Kimst und Re- ligion Griechenlands." Als Problem der Probleme faßte M.: Wie die Griechen und ihre Kunst,, griechisch" wurden, und als Weg dazu sah «r den erneuerten Versuch der Nutzanwendung der bisherigen forma- listischen Studien. Demgemäß berücksichtigt die Materialsammlung lieben dem religionsgeschichtlichen vor allem das die ältere Zeit betref- fende archäologische Material (bes. Kreta, Mykenisches, Inselkultur usw.). Ein Faszikel, der für den allgemeinen kulturellen Hintergrund der allerältesten Zeit Material enthält, ist betitelt: Mykenisches und Religion in Kreta. Besonders die Inselsteine bieten ergiebiges Ma- terial. Auch allgemeine Bemerkungen über M.s „Anfänge der Kunst" finden sich hier (zum Teil gegen Heibig gerichtet). Zu dem archäo- logischen Material treten Notizen und Sammlungen über Homer. Die örtliche und zeitliche Ausdehnung der mykenischen Kultur ist durch feste Tatsachen gesichert. Dagegen strittig ist die Frage 1. nach der Nationalität ihrer Träger, 2. nach der Art des Besitzes (d. h. dem

332 Mitteilungen und Hinweise

Grad der Abhängigkeit). Die erste Frage darf nicht lediglich auf die Alternative „Griechen oder Nichtgriechen?" gestellt werden. Denn die Zeiten sind vorüber, in denen man die griechischen Volkselemente überhaupt vom Besitz oder wenigstens Mitbesitz der mykenischen Kultur hat ausschließen wollen. Einige einfache Erwägungen sind dabei an- zustellen: 1. über die Thraker, 2. über die dorische Wanderung, 3. über das Epos. Schon früh fanden Besiedelungen der Inseln und Klein- asiens statt; auch die Beziehungen zu Thessalien, Arkadien und Kreta sind zu beachten.

Von vier Kapiteln finden sich Überschriften: Kap. I. Die große Göttin und ihr Kreis. Große Materialsammlung unter dem Stich- wort Potnia. Wer glaubt, daß diese Gestalt glatt in Artemis auf- gehe, wird ihr nicht gerecht. Anpassungsfähigkeit an einen Gott, bzw. Heros: z. B. als Basile an Neleus (Kodros), Kronos, Zeus, Dio- nysos (als Artemis, Hera, Persephone, Aphrodite, Meter, Demeter). Überall finden sich stehengebliebene Reste ihres Kultes, der sonst (meist von den Mysterien göttinnen) aufgesogen ist. Es ist verkehrt, in den pelasgischen, ältesten Kulten Demeter und Köre vorauszusetzen. Köre ist nur eine der kovqccl, die nach Pindar die große Göttin (liknovrccL. Artemis hatte kein rechtes Personal, besonders kein männliches, da- her ist sie isoliert. Ferner ist Material vorhanden für kniende Gebärerinnen, die nackte Göttin (das Motiv hat zunächst nichts mit der Geschlechtsgöttin zu tun; vielmehr ist Nacktheit ein Früh- stadium a la geometrischer Kunst). Das Personal, das den hel- lenischen Göttinnen fast durchaus fehlt, verbindet die große Göttin mit den Gestalten Kleinasiens (Ephesia, Ma); s. deren Priester Schäften, Amazonen, Hierodulen, ganze Hierarchien.

Kap. II. Nymphen und Verwandtes. Vor allem über Pare- droi; Einzahl und Mehrzahl; Sondergötter. Die Sondergötterwissen- schaft führte bisher ins Zusammenhangslose, nie zum Ganzen; eine Deroute; Zerstückelung. Sie wird erst fruchtbar, wenn man sie von begrifflichen auf die lokalen Numina überträgt.

Kap. III. Tiergestalt und Tierattribut.

Kap. IV. Elementargeister und -dämonen. Heroen und Götter. Das Heroentum ist gehoben und konserviert nicht sowohl durch das Lied als durch den genealogisierenden heroisierenden Sinn, der durch Geschlechtergliederung, Familienkult, Ahnenkult festgesetzt wurde, also Parallelerscheinung zum Epos, bzw. gleiche Wurzel. Im allgemeinen ist M. gegen die Annahme von Hypostasen, abgestorbenen Göttern. Allerdings, die assimilierende Kraft des Heroentums hat vor den Göttern nicht Halt gemacht; seiner Vorarbeit verdanken wir die hohe Menschlichkeit der Götter, aber das Heroentum ist ein eigener, selbständiger Trieb,

Gegen die Annahme von Hypostasen: Sie haben allenfalls Sinn

Mitteilungen und Hinweise 333

in der Legende und im Mythos; auf diesem Umwege mußten dann neue Kulte entstehen; dies ist wenigstens denkbar.

Von dem übrigen Material ist ein großes Heft hervorzuheben, das eine lokale Ordnung der Kulte enthält.

Heidelberg Friedrich Pfister

Zur ^Mutter Erde'

Schon Albrecht Dieterich hatte es in seiner 'Mutter Erde' neben dem üblichen Niederlegen des geborenen Kindes auf die Erde beiläufig (S. 8, 1) als eine nordgermanische und persische Sitte erwähnt, daß die Geburt selbst auf der Erde bzw. auf dem Fußboden des Hauses erfolgte. Dieser Brauch ist dann von E. Samter im ersten Kapitel seines Buches über 'Geburt, Hochzeit und Tod' (1911) näher untersucht worden. Er hat ihn (S. 5 f.) bei den verschiedensten Völkern belegt und einleuchtend aus dem Wunsche erklärt, die Gebärende mit der Erde in Verbindung zu setzen und bei der Geburt aus der Erde die Seele des Kindes emporsteigen zu lassen (S. 20, vgl. 6; R. Wünsch in den Nachträgen zu Dieterichs 'Mutter Erde'^ S. 122). Erfüllt wird dieser Zweck sonst immer durch Niederlegen der Kreißenden auf die Erde, bzw. den Boden. Nur im klassischen Altertum fand Samter diese Form nicht (S. 6), sondern statt dessen die gleichbedeutenden Modi des Niederkniens (S. 6 ff.) und des Fassens der Erde mit den Händen (S. 16 ff.).

Nun ist aber in Wahrheit auch bei den Griechen jener einfachere Ritus des Niederlegens der Schwangeren auf die Erde zu treffen. Das ergibt sich mit aller nur wünschenswerten Klarheit aus einem lehr- reichen Zeugnis, das man bisher übersah, aus der Phaedrus-Fabell 18 {Mulier parturiens), die ich im Wortlaute hersetze :

Nemo libenter recoUt qui laesit locum. Instante partu muUer actis mensibus liumo iacehat flebiles gemitus ciens. Vir est hortatus, corpus lecto reciperet, 5 onus naturae melius quo deponeret. : Minime, inquit, illo posse confido loco

malum finiri, quo conceptumst initio.

Also die Gebärende liegt in ihren Wehen auf dem Boden. Der Gatte rät ihr, sich doch auf das bequemere Lager des Bettes zu legen. Sie -aber, lehnt das ab mit der die Pointe des Stückchens enthaltenden an- züglichen Begründung, daß sie zum Bett, auf dem sie in diesen schmerz- vollen Zustand gekommen, kein Zutrauen habe. Aus dieser ihrer Ant- wort zieht der Römer die billige Moral seines Promythiums (V. 1), die wir etwa mit dem Sprichwort wiedergeben können: ' Gebrannte Kinder scheuen das Feuer'.

334 Mitteilungen und Hinweise

Die sonderbare ^ Fabel', über die wohl mancher Leser den Kopf schütteln mochte, erhält durch die folkloristische Betrachtung über- haupt erst ihr rechtes Verständnis. Wir lernen sie als ein Beispiel des beliebten Typus der ätiologischen Erzählung erkennen. Zugrande liegt ihr als fest gegebene Voraussetzung der herrschende Volksbrauch, daß sich die Kreißende zur Geburt auf den Erdboden legt. Der Sinn der alten Übung wird nicht mehr begriffen. Man findet sie unpraktisch und hält sich darüber auf. Man möchte erklären, warum man ihr immer noch treu bleibt. Aus diesem Gedankengange heraus ist die witzige Wendung entstanden.

Phaedrus scheint zunächst nur fürs römische Leben zu zeugen. Nun wissen wir aber, daß der römische Freigelassene mindestens im ersten Buch seiner Fabeln, laut seiner eigenen Angabe (Iprol. If.), lediglich ein griechisches Prosa-Asop-Buch benutzt und in Verse gesetzt hat. Und in unserem Falle sind wir zudem in der glücklichen Lage, eine griechische Parallele zu besitzen, bei Plutarch {Coniugalia praecepta 39 p. 143 E), dessen mehrfache ähnliche Berührungen mit Phaedrus man mit Recht auf eine gemeinsame griechische Quelle zurückführt (vgl. Denis De Ja fable dans Vantiquite classique, Caen 1883 S. 49f.; Cru- sius, Rhein. Museum XXXIX 1884 S. 604 f.; Christoffersson Studia de fontibus fahularum Babrianarum^ Diss. Lund 1904 S. 75 ff.; Bieber Studien zur Geschichte der Fabel in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit, Diss. München 1906 S. 50). Plutarch freilich erzählt die Geschichte leider nicht so ausführlich, wie wir es uns wünschten. Da es ihm nur darauf ankommt, seinem Satz, daß die beim ehelichen Lager entstandenen Zerwürfnisse zwischen den Gatten schwer an an- derem Ort und zu anderer Zeit geschlichtet werden können, als rhe- torisches Pendant jenen Ausspruch der kreißenden Frau vorausschickend gegenüberzustellen, so erwähnt er nicht ausdrücklich die für uns wich- tige Grundsituation der Anekdote (das Liegen auf dem Boden), sondern begnügt sich mit den Worten: *jene Frau in ihren Geburtswehen und ihrem Unmut sagte, als man sie aufs Bett legen wollte: ^wie kann denn das Bett dieses Übel kurieren, in das ich auf dem Bette geriet?' i] ^sv yaQ oodlvovöa %ccl dvßcpOQOvOa TtQog xovq%axa%Xivovxcc(; avtr^v h'leys' '^Tt&g d' ccv 1] %UvY] tccvra d-eQüCTCsvasLEv olg iitl ti^g %XLvrjg 7t£QU7te6ov / Das aarccTiXLvovTccg glaube ich im Hinblick auf Phaedrus de conatu ver- stehen zu dürfen. Sollte es dagegen heißen, daß man die Frau einfach und wirklich aufs Bett legte, so würde das als bemerkenswerte Tat- sache für die Zeit wie für die Persönlichkeit des Plutarch eine völlige Preisgabe des alten Volksbrauchs mutmaßen lassen.

Czernowitz G. A. Gerhard

Mitteilungen und Hinweise 335

Zur Legende vom Kyniker Diogenes

Als der unter obigem Titel in diesem Archiv (XV 1912 S. 388 ff.) gedruckte Aufsatz erschien, war bereits ein neues interessantes Dokument für das Weiterleben des volkstümlichen Philosophen zutage getreten, auf das mich zuerst die Güte W. Spiegelbergs aufmerksam machte. Sir Herbert Thompson publiziert in den Froceedings of the Society of BiUical Archaeology XXXIV 1912 S. 197 mit Faksimüe (Flate XXn) ein in seinem Besitze befindliches griechisches Ostrakon aus dem ägyp- tischen Theben vom (3. oder) 4. Jahrh. nach Chr. mit folgenden zwei Diogenes-Chrien, die offenbar von der Hand eines Schulknaben stammen und damit einen weiteren Beleg für eine schon bekannte Schulpraxis liefern (vgl. P. Beudel Qua ratione Graeci liheros docuerint, papyriSj ostracis, tahulis in Äegypto inventis illustratur, Diss. Münster 1911 S. 16 f.): I. Jioyivrjg 6 KvviKog cpdoöocpog [iQcorrj'd'elg vrco rivog^ zu tilgen] idobv AhioTCcc (sie) %aQ^aqLOv eßd-ovxa eItüv' * i] vvh, xriv rjfieQccv tQcoyet und IL Jioyivrig 6 avvLKog cpLl6ßO(pog SQcorrid'slg vito nvog^ nov cct MovciaL naroLTiOvöLVy elitBv' ^ iv rcctg rcbv 7t€7t[^DCL]6sv(isvcov ipvicctg\

Thompson hält die unter sich recht ungleichartigen Aussprüche beide für neu. In Wahrheit lag der gehaltlose Witz Nr. I in besserer Gestalt ('Idcöv AlQ'Coita %a^ocqov XQcoyovrcc ' ' Idov^ r) vv^ xriv rjfiSQccv Ttviyei) bereits im Papyrus Bouriant (Stud. Pal. VI 1906 S. 158 Nr. 4) vor und wurde in meinem »Vortrag S. 407, 4 besprochen. Der Schreiber des Ostrakons hat im Eingang die zwei typischen Chrienformeln eqoiXTi^Blg vno XLvog und I8(av {xivcc) fälschlich kumuliert. Man kann sie nicht I mit dem Herausgeber durch die Änderung löovxog (quesiioned hy one ! who saw) miteinander vereinbaren, sondern muß die erste Wendung, I die nur im zweiten Diktum am Platze ist, streichen. Im Apophthegma selbst nimmt die Scherbe statt des gewählten itviyHv mit Zerstörung 1 des Bildes aus dem Anfang das XQcoyeiv herüber, das seinerseits dort 1 durch ead'iLv ersetzt wird. Kad-aQog (uQXog), das Weißbrot, das Crönert 1 (Stud. Pal. VI S. 185, darnach Beudel S. 17) mit Unrecht auf Ägypten beschränkte (vgl. meinen Aufsatz S. 401, 4), mußte der den Papyri geläufigen Form Kad'ccQLog weichen. Für die zweite, bisher unbekannte Chreia hat Thompson an das berühmte, schöne Epigramm des Piaton auf Aristophanes (Nr. 29 S. 310*, Bergk) erinnert: Al XccQLXsg xifievog TL XaßsLv OTtSQ ov^l TtsösixccL | ^rjxovöca ijjviriv evQOv l/iqiGxoipavovg. Indessen ist mit diesem tief und ernst empfundenen Gleichnis das Kynikerwort nur scheinbar verwandt. Bei Diogenes sind andere Tendenzen ent- scheidend, wie sie seinem historischen Charakter durchaus entsprechen: leinmal die aufklärerische Ablehnung der Götterwelt und die Verachtung unnützer mythologischer Weisheit (vgl. z. B. die 'Oövcaicog kcckcc bei D.L. VI 27), sodann die hohe Schätzung der 'Bildung' {naiöda}^ wie

336 Mitteilungen und Hinweise

er sie versteht (s. etwa D. L. VI 68 und loann. Damasc. XIII 92 bei Meineke, Stob. IV S. 201).

Czernowitz G-. A. Gerhard

Das Fischsymbol

Zu Archiv XVI S. 307

,jLebkucMge Fische", d. h. aus Lebkuchenteig hergestellte Fisch- iiguren sind wie die sogenannten Brotfische aus einfacherem Brot- teige früher ein sogenanntes Pflichtenbrot gewesen, das von beson- derer Güte und Größe der Kloster -Maier auf Weihnachten (Neujahr) statt des ursprünglichen lebenden Großfisches dem Kloster Muri (in der Schweiz) zu entrichten hatte (Argovia 1861, S. 32 35). Waren sie besonders schwammig, dann hießen sie „Schwummfische'^ Auch im Kloster St. Ursula (Villingen in Baden) gab es solche mit einer Fruchtfarce „gefüllte Fische". Solche Fischgebäcke sind nur der Er- satz für die lebendigen Fische; zum Beispiel bei Zinslieferungen an Kirchen oder Klöster, wie der Hahn, Korn, Hafer; daher auch der häufige oberbayerische Hausname „Fisch -Haber". Als solches Klostergebäck kam es unter das Landvolk. Im Elsaß und in der Schweiz sind die im Sturzmodell gebackenen Fische von der Gestalt einer fingerlangen Grundel eine früher sehr beliebte Fastenspeise aus Gugelhupfteig auf Weihnachten und Kirchweih. Fischmodelle aus Kupfer kann man heute noch in alten Bürgerhäusern sehen. Zum Weihnachtsgebäck, das an dem Weihnachtsbaume aufgehängt wird, kann der Lebkuchen- fisch (Klosterzinsfisch) erst sehr spät geworden sein, da der Weihnachts- baum selbst nicht so alt und in weiten oberdeutschen Volksschichten heute überhaupt noch nicht volkstümlich ist. Ein Zusammenhang dieses Fischgebäckes mit christlichen Symbolen besteht sicher nicht. Aus dem Flußfische, der auf Weihnachten gezinst wurde, ist das Weisat (wisat) des Brotfisches geworden, mit dem man sich in der Zeit von St. Nikolaus bis zum Neujahrstage in der Schweiz noch beschenkt (vgl. meine Weihnachtsgebäcke 1905, Supplement III zu Band XI der Zeitschr. f. österr. Volkskunde). Erst als solches Neujahrsgebäck kam der lebkuchene Fisch auch auf den modernen Weihnachtsbaum.

Tölz M. Höfler

Der Messias 'ben-Nun' im jüdischen Folklore

Zu Archiv XVI S. 304 f.

In jüdischen Volkssagen, Scherzen u. dgl., die heute noch im Um- lauf sind, ist nicht selten von Wundererscheinungen des Propheten Elias oder des präexistenten, derzeit noch Verborgenen' Messias die Rede: es erscheint z.B. „der im Kamelhaarmantel" (d.h. Elias) und beteiligt sich an einem Gespräch über eine schwierige Schriftauslegungs-

Mitteilungen und Hinweise 337

frage oder entscheidet einen verwickelten Rechtsfall in überraschender Weise; oder es erscheint „der Meleh" (König), manchmal der „meleh David" (d. h. König David redivivus, der Messiaskönig der Endzeit) oder „der auf dem weißen Esel" (Sach. 9a) u. dgl. und stellt einem Glücklichen drei Wünsche frei usw.

Im Licht dieser Parallelen scheint mir eine der zur Einleitung der vielen Dialoge über mystische Schriftauslegung im Buch Sohar (I fol. 5 f.) benützten Rahmenerzählungen Beachtung zu verdienen. Es heißt dort (franz. Ausgabe von de Pauly^ vol. I p. 28 ff.): R. Eleazar und R. Abba ritten einst, begleitet von einem Packträger, des Weges, um R. Simeon b. Lakunia, den Schwiegervater des Erstgenannten, zu besuchen. Der Sitte gemäß verkürzen sie sich die Zeit mit Ge- sprächen über Stellen der Schrift. Hinter ihnen zieht nun auf seinem Esel ein Mann daher, den sie für einen Kaufmann, d. h. einen un- gelehrten Laien, halten. Er mischt sich aber in das Gespräch der Lehrer, zuerst mit bescheidenen Fragen, endlich aber mit Auf klärungen von solcher Tiefe, daß Eleazar und Abba ihn umarmen und ausrufen (p. 31): Un komme verse dans la science commetoi, ne doit pas mar eher ä nötre suife, mais devant nous; dis nous^ qui tu es. Der Unbekannte weigert sich, seinen Namen zu nennen und setzt das Lehrgespräch fort zum Entzücken der beiden andern (p. 32): B. Eleazar et B. Äbha se mirent ä rire et ä pleurer puls dirent: ^Fa, monte ä cheval^ et nous irons ä dne derriere toi.' II leur repondit: ^Ne vous ai-je pas averti, que c'est un ordre du^Boi (d. h. Gottes), que fagisse ainsi jusqu'ä ce qu'arrive celui qui sera monte sur un dne\ Wieder fragen sie ihn um seinen Namen und Wohnort. Er antwortet: ^Mon Heu d'habitation est heau . . . c'est une tour (d. h. der Himmel; vgl. im Hirten des Hermas S. 235 ff. Hennecke den Turm des dritten Gesichtes), qui vole dans l'air, forte et imposante. Elle a pour häbitants le Saint ^ heni soit-il, et un pauvre (den ehiön., den Armen, d.i. den leidenden Messias ben Josef). Teile est ma residence; mais je Vai quittee et je vais ä dne.' B. Abba et B. Eleazar le considererent et ses paroles leur parurent douces comme la manne et le miel.^ Sie fragen nun aufs demütigste nach dem Namen des Vaters des Fremden , der darauf antwortet (p. 33): ^Mon pere demeure dans la grande mer; c'etait un grand poisson, qui embrassait la grande mer d'un hout ä Vautre. II est grand et ancien dejours^; aussi avale-t-il tous les autres poissons de la mer, puis il les rend vivants (bezieht sich auf Tod [Jona 2] und Auferstehung der Frommen)

^ S. in diesem Archiv XVII 339.

' Mit Manna und Honig speist der Messias die Frommen im Himmel- reich {Jew. Encydop. V 218).

' Es ist der durch den Fisch symbolisierte „Alte der Tage" (Gottes- bezeichnung nach Daniel).

Archiv f. Religionswissenschaft XYII 22

338 Mitteilungen und Hinweise

remplis de tous les Mens du monde. II parcouri Ja mer en un instant gräce ä sa puissance. II m'a fait sortir comme une f leche dans la main du heros (Ps. 37,4), le puissant, et m'a Cache dans Vendroit gue je vous ai dit (d. h. im Turm). Quant ä lui il est retour ne cliez lui et s'est cacJie dans la mer.'

Nach weiteren Proben seiner übernatürlichen Weisheit werfen sich Arba und Eleazar vor ihm nieder, aber im selben Augenblick wird er unsichtbar.

Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der „Eselreiter", der „Sohn des Fisches", der verborgen im „Turm" mit Gott, dem Hoch- gelobten und dem „Armen", zusammenwohnt und der seinen Mit- unterrednern plötzlich entschwindet, der präexistente Messias sein soll. Daß ihn die beiden Rabbinen nicht erkennen und zuerst für den Sohn des im Sohar so oft gefeierten R. Ham-nuna, dann für den „alten Ham-nuna" selber halten, der aus dem Jenseits wiedergekehrt ist, gehört mit zur Fabel, da der Messias, bevor er auf den Wolken des Himmels kommt und von Elias kundgetan wird, unerkannt bleiben muß. Zugleich soll natürlich jener Kabbaiist aus dessen pseudepi- graphen Schriften der Sohar u. a. die in Wirklichkeit von Ekphantos entdeckte Achsendrehung der Erde zitiert durch den Irrtum aufs höchste geehrt werden.

Im übrigen liegt der Verwechslung natürlich die von Scheftelowitz nach J. J. Kahan in diesem Archiv XIV 385 besprochene Deutung- des Namens Ham-nuna als „warmer Fisch" zugrunde, wenn andersj nicht der seltsame Ausdruck „du solltest nicht Ham-nuna heißei sondern Kar-nuna" vielleicht anders zu verstehen ist. Nach Anleitung der Namen Hamu-el „mein Geschlechtshaupt ist Gott", „Hamu-tal' „mein Geschlechtshaupt ist der Tau" (Enc. Bibl. s. vv.) kann Ham^ nuna einfach „mein Geschlechtshaupt^ ist der Fisch" heißen, was be- sonders gut in den Gedankenzusammenhang der Soharstelle paßi Kar-nuna aber kann einfach der mythische Kar -fisch (karo macyo] des Bundahesh (c. XVIII; cf. Farg. 19,42w; Bahr. Y. 29; Din. Y. 7; sein, von dem es heißt, seine Augen überschauen die ganze Welt. Als( (ironisch): „Du solltest nicht bloß „Geschlechtsgenosse des Fisches' sondern wegen Deiner Scharfsichtigkeit Kar -fisch heißen!"

Zum Schluß möchte ich noch auf eine Überlieferung aufmerksai machen, auf die ich erst gestoßen bin, nachdem Archiv XVI 3041 längst gedruckt war und die in schlagender Weise bestätigt, dal man den Messias als „Fisch" (^ben Nun') vor allem deshalb bt zeichnete, weil man ihn als Wiedergeburt eines vorzeitlichen Rettei beiden erwartete. Es heißt nämlich in der Mechiltha Shirah 9| im Sanhedrin 92 b und in den Pirke di R. Eliezer XL VIII (cfj

^ Wörtlich „Schwiegervater". Zur Bedeutung s. Enc. Bibl 1948 f.

Mitteilungen und Hinweise 339

Jew. Enc. I 627), daß die Söhne Ephraims schon vor dem mosa- ischen Auszug aus Ägypten den Versuch machten, aus dem Land der Knechtschaft zu entrinnen und zwar unter der Führung eines vornehmen Ephraimiten namens Nun (= Fisch). Dieser Mann in dem wir natürlich den im AT nicht weiter erwähnten Vater des ebenfalls als Ephraimiten bezeichneten Josuah zu erblicken haben sei jedoch anläßlich dieser mißlungenen Unternehmung von den Ägyptern gemartert und getötet worden. Der leidende Erlöser der Endzeit konnte also auch unmittelbar als Reinkarnation jenes vor- zeitlichen Märtyrers für die Befreiung seines Volkes ^ben Nun' ge- nannt werden.

Zu Archiv XVI 303 Theudas, der sich durch das Jordan- wunder als neuen Josuah erweisen will wäre noch auf jenen ägyptischen Juden zu verweisen, der sich nach Josephus Antiqq. XX 8, 6 (Mommsen, Rom. Gesch. V 528) offenbar in der gleichen Ab- sicht — den Messerhelden gegenüber anheischig machte, die Mauer- türme von Jerusalem durch Posaunenschall zum Einsturz zu bringen, so wie Josuah es einst mit denen von Jericho getan hatte. Zum Jordanfluß, der sich bei der Taufe Jesu des wieder- geborenen Josuah zum zweiten Male mauergleich aufstaut, hätte ich vor allem auf die im 7. Jahrh. in Alexandrien entstandene Weltchronik (Chronicon paschale, Bonner Ausg. p. 420 f.) verweisen sollen, wo es heißt: slTtev öe 6 KvQiog rro ^Icocivvr}' elitov ro5 ^Ioq- davri 6triQ-L . . . %al sv^scog eötrjaav xa vSaxa . . . xoxs %axaßccvxcov aixmv iitl x6 vÖcoq avsKoiXaaav xa vdaxcc cognsQ TiSKQccfi^evov ijöcoQ^

Feldafing Robert Eisler

Die französisclie Ausgabe des Buches Sohar

Dank den unermüdlichen vieljährigen Bemühungen des allzufrüh verstorbenen französischen Semitisten Jean de Pauly dessen 1888 erschienene Übersetzung des Schulchan Aruch damals von Gildemeister, Dillmann, P. de Lagarde, C. v. Orelli, T. Wright u. a. als eine Meister- leistung bezeichnet worden ist und dank der Opferwilligkeit und Hingabe seines Freundes und Mäcens, des Herrn Emile Lafuma-Giraud, der das monumentale Werk aus dem Nachlaß des Erstgenannten in der sorgsamsten und würdigsten Weise herausgegeben hat (bei Erneste Leroux, Paris, 1906 12), verfügt die religionsgeschichtliche For- Sjchung seit kurzem über eine vollständige, sehr getreue, mit einer Un- zahl von nützlichen Anmerkungen und Verweisen ausgestattete fran- zösische Übersetzung des Buches Sohar (yitr^ *^DD „Buch des Licht- glanzes") in sechs Bänden von zusammen über 3000 Seiten. Dieses berühmte, von den jüdischen Pietisten (Ohasidim) der Bibel selbst an Heiligkeit gleichgehaltene Werk ist das wichtigste Quellen werk für

22*

340 Mitteilungen und Hinw « ise

das Studium der unter dem Namen Kabbala ([geheime] Überlieferung) bekannten mystischen Schriftauslegung bei den Juden. „Wenn die Kab- bala noch fortlebt", heißt es im „Raja Mehemna" {Pastor ßdus), so ist es nur dank den Lichtstrahlen des Buches Sohar." An derselben Stelle wird das große Werk der^ Arche Noe verglichen , weil nur zwei aus einer Stadt oder sieben aus einem ganzen Königreiche Zutritt zu seinem Innern haben. In der Tat ist der Sohar zum Unterschied von andern mystischen Traktaten wie z. B. dem Sepher Jezirah (Liher formaiionis [fnundi])^ der in einem ärmlichen, leichtverständlichen Hebräisch abgefaßt ist in einem so schwierigen, mit den entlegensten Lehnworten und merkwürdigsten technischen Ausdrücken überladenen Aramäisch abgefaßt, daß das Verständnis vieler Partien selbst tüchti- gen Kennern anderer Gebiete der spätjüdischen Literatur fast ganz verschlossen bleiben mußte. Es gehört das Studium eines langen Menschenlebens dazu, um sich in den Originaltext einzuarbeiten, und man kann behaupten, daß de Pauly der einzige moderne Gelehrte war von den vielen chasidischen Adepten der Kabbala sehe ich dabei natürlich ab ,\,der den Sohar in extenso gelesen hat. Wer je einen der Riesenfolianten mit den alten Drucken des Textes die editio princeps ist in Mantua 1559 hergestellt zu wälzen versucht hat, wird sich nicht wundern zu hören, daß die wenigen gelegentlichen Zitate aus dem Sohar, denen man in religionsgeschichtlichen Werken begegnet, fast nie aus erster Hand geschöpft sind, ja daß nach de Pauly selbst J. Karppe, der Verfasser des meistzitierten Werkes über die Kabbala (der Doktordissertation Le ZoJiar, Paris 1901), den Text nicht selbständig zu meistern vermocht hat. Übersetzt ins Latei- nische waren bisher nur kleine Abschnitte (Sifra di Zeniuta, Idra Rabba und Idra Suta) in Knorr von Rosenroths Kahhala denudata^ Sulz- bach 1672, einem Buch, das u. a. auf Leibniz nicht ohne merklichen Einfluß geblieben ist und höchstwahrscheinlich auch Goethes Auf- merksamkeit auf sich gezogen hat.

Bisher hat man sich über die Unkenntnis dieses merkwürdigen Buches mit der nb. unbewiesenen und auch in dem neuesten Nach- schlageartikel über das Buch Sohar in der Jewish Encyclopaedia ab- gelehnten rabbinischen Behauptung getröstet, das Buch Sohar sei von einem spanischen Juden des 13. Jahrhunderts namens Mose de Leon ohne weitere Unterlagen gefälscht worden. Niemand, der das Buch jetzt als Ganzes auf sich wirken läßt, wird imstande sein, fernerhin an dieser Auffassung festzuhalten, da es auf den ersten Blick klar ist, daß das jeder wie immer gearteten festeren Disposition entbehrende Riesenwerk in der Hauptsache mündlichen Traditionsstoff gesammelt zur Darstellung bringt, für dessen Beurteilung im einzelnen es wenig verschlägt, ob die erste Aufzeichnung im 13. Jahrhundert in Spanien oder im 9. Jahrhundert in Persien erfolgt ist. Daß der Sohar von Mose

Mitteilungen und Hinweise 341

ben Shem Tob de Leon im 13. Jahrhundert „verfaßt" worden ist, wie noch 1908 Prof. Strack (Einleitung in den Talmud S. 93) sich aus- gedrückt hat, ist ebenso wahr oder so falsch, wie die Behauptung es Aväre, die deutschen Kinder- und Hausmärchen seien im 19. Jahrhun- dert von zwei Berliner Professoren und einer alten Märchenerzählerin „verfaßt" worden. Schon Karppe hatte auf eine ganze Reihe von auf- fallenden Berührungen zwischen der Bibel-Exegese des Buches Sohar und den Philonischen Schriften hingewiesen. Durch'^Lauterbachs aus- gezeichnete Untersuchung (Jew. Quart. Bev.l291S.) über die ganz wenigen im Talmud erhalten gebliebenen Fragmente der dorshe reshu- moth („Lehrer der Allegorien") sehen wir jetzt sehr klar, daß die alle- gorische Schriftauslegung keine Besonderheit der alexandrinischen Schule war, sondern in Palästina schon vor Philo geblüht hat, nur daß diese mündlich umlaufenden Lehren der von Horodezkj in diesem Archiv XV 110 ff. so glücklich charakterisierten Aggadisten von den Halachisten wegen ihrer Gefährlichkeit für den Bestand der starren Gesetzlichkeit heftig bekämpft und in dem Hauptzweig der Überlieferung in der Tat bis auf ganz wenige Ausnahmen ausgemerzt worden sind. Es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß eine Menge von diesem früh verschollenen Material in der besonders zu treuer Bewahrung hergebrachten Lehrgutes geeigneten mündlichen Überlieferung der Juden erhalten geblieben ist und später in solchen Werken wie dem Sohar seine Auferstehung erlebte. Mit de Pauly bin ich überzeugt, daß die Basale ha^idra' („Herren der Dreschtenne", d. h. die Lehrer, die in der Schrift den Weizen des esoterischen Sinnes von der Spreu des Wortsinnes sondern), nach deren Tätigkeit die Ab- schnitte Idra suta, Idra de mashkana etc im Sohar ihren Namen haben, mit den „dorshe reshumoth" oder „dorshe hamuroth" des Talmud wesens- ein s sind. Daß daher das Studium der neuen Soharausgabe der ßeli- gionsgeschichte reiche Früchte bringen wird, steht mit Sicherheit zu erwarten. Möchte doch zu der Ausgabe das versprochene Sachregister raschestens hergestellt oder doch einstweilen ein Verzeichnis der an- gezogenen Bibelstellen herausgegeben werden. Schon das wäre ein un- schätzbares Hilfsmittel weiterer Forschung.

Feldafing Robert Eisler

Sterbende werden anf die Erde gelegt

Theodor Zachariae in diesem Archiv IX, 538 f., Ernst Samter, Geburt, Hochzeit und Tod (1911) 4, und A. Dieterich, Mutter Erde ^ (1913) 26 f., haben zu diesem Brauche Belege gesammelt. Hübsch reiht sich diesen noch folgender an: * Hern acher aber, da sie vast alle Kräfften verlohren , fiengen die Frawen , welche zu ihrer Wacht vnd Abwart bestellet, vnder einander an zu reden, wie ein hart

342 Mitteilungen und Hinweise

vnd herbes End sie also im Bett wurde auszstehen müssen, greiflfen sie derhalben an, auff die Erden herunder zu lieben Sihe, da sagt sie mit klaren vernemblichen Worten: Lasz mich ligen: Wilt du dasz ich ehe sterben solle, ehe es Gott dem Herren gefellig?' Conradus Vetter, Von dem Jungfrawkloster S. Benedictordens in Riga (1614) 31. Breslau G-eorg Schoppe

Kleideropfer

E. Samter, Geburt, Hochzeit und Tod (1911), hat auf S.204f. eine Anzahl Belege für Kleideropfer zusammengestellt. Ich möchte noch auf folgende Stellen aufmerksam machen: ,üie höchste Höhe der Tauren ist das sogenannte Thörl, wo ein Herr -Gott steht, dem die vorübergehenden abergläubischen Älpler ein Kleidungsstück zu- werfen, damit ihn nicht friere!' Karl Julius Weber, Deutschland 11 (1827) 468.

*Um Mittag gelangten wir an einen großen Baum, welchen die Ein- geborenen Nima Taba nennen. Er war mit einer unzähligen Menge Lumpen und kleinen Zeugschnitzchen behängt, welche Reisende wahr- scheinlich deshalb an die Zweige geknüpft haben, um dem Wanderer anzuzeigen, daß Wasser in der Nähe zu finden sei. Dies ist aber durch die Länge der Zeit eine so heilige Gewohnheit geworden, daß es jetzt niemand wagt, vor dem Baume vorüberzugehen, ohne etwas daran zu hängen.' Mungo Park 1799, Reisen im Innern von Afrika 30 f.

Angeschlossen mag noch ein anderer Wegzauber werden, den der- selbe Reisende auf Seite 59 mitteilt: *Als wir einige Stunden ziemlich frohen Mutes geritten waren, ohne daß uns etwas merkwürdiges auf- stieß, kamen wir an einen Baum, nach welchem mein Dolmetscher Johnson oft gefragt hatte. Wir mußten Halt machen, und nun zog er ein weißes Huhn hervor, daß er zu diesem Zweck in Dschog ge- kauft hatte, band es mit den Füßen an einen Zweig, und sagte: nun könnten wir sicher fortreiten, es werde uns nichts übles begegnen.'

Breslau Georg Sohoppe

Eine Spur sakraler Prostitution

In der im Arader Komitat gelegenen Gemeinde Nagyhalmagj herrscht eine eigentümliche Sitte, den Frühling zu begrüßen. Am 15. März jedes Jahres wird in dieser Gemeinde ein Kußmarkt ab- gehalten. An diesem Tage ist es allen Frauen und Mädchen gestattet, nach freier Wahl fremde Männer zu küssen. Aus der Umgebung ver- sammeln sich an diesem Tage alle jungen Frauen, die seit den letzten Ostern geheiratet haben, und küssen dort die fremden Männer nach Herzenslust ab. So berichtet das „Neue Wiener Journal" vom 20. März 1913. Der Vergleich mit Herodots Bericht (I 199) über die ent-

Mitteilungen und Hinweise 3^3

sprechende babylonische Sitte ist sehr lehrreich: Ersetzung des Bei- schlafes durch den Kuß und eine dadurch ermöglichte Umwandlung <les Zwanges in freie Wahl.

Wien E. Lorenz

Enlamo

E. Wünsch (Sethianische Verfluchungstafeln S. 84) und im An- schluß an ihn Waser (Pauly-Wissowa s. Eulamos) konstatieren einen Dämon Eulamos, für dessen Namen Wünsch als eine mögliche Er- klärung die ümkehrung von a&^a Xvs erklärt, da diese Formel in Ver- iDindung mit jenem Namen erscheint. Da jedoch auch die Namens- form Eulamon vorkommt, könne an und für sich auch an eine Zu- sammensetzung mit dem Gottesnamen Ammon gedacht werden. Endlich erinnerte A. Dieterich bei Wünsch a. a. 0. an die für Unterweltsdämonen charakteristische Wurzel kccfi schlingen.

Der Tatbestand ist jedoch keiner dieser Annahmen günstig. Der Name erscheint in folgenden Formen (ich zitiere nach Audollent, De- fixionum tabellae):

in Syrien EvAajtiO) 15, 35.37 16 I 18; in Africa EvAa/io 304,9 252, 13-18 253, 22—27. 31. 68; in Rom EvXccii[co] nr 151 1 (so nach dem Bild bei Wünsch S. 13; Wünsch und Audollent lesen [wv]: es ist unsicher, ob ^in oder zwei Buchstaben fehlen) 187. EvXafimv 155 ff., im ganzen 32 mal. Acc. EvXa^ovav 155 B21 EXa(i[G)v] nr 148 (8); in Ägypten Pap. OXXIII, 8 (C. Wessely, Wiener Denk- schriften XLII 2 S. 61) EvXccfico oder EvXccficog^ die Worttrennung ist unsicher; Pap. Mimaut (Wessely ebenda XXXVI 141) 57 Ev- Xci(ico oder EvXa^icog. Bei diesen Zeugnissen ist zu beachten, daß hier nicht die Anzahl «der Belege, sondern die Verschiedenartigkeit der Dokumente ins Ge- wicht fällt. Ohne weiteres ergibt sich aus dieser Zusammenstellung, daß EvXcc^cog selten vorkommt, also davon für die Erklärung (acbficc Xvs) nicht ausgegangen werden darf. Sonst und in den ältesten Do- kumenten (nr 187 ist die älteste Verfluchungstafel) erscheint der Name "als Eulamo, in Rom jüngeren Datums als Eulamon. Hierzu stimmt •die andere Tatsache, daß Eulamo indeklinabel ist (15, 37), EvXdficov .aber dekliniert erscheint (zum Acc. EvXd(iovav vergleiche Mely- Ruelle, Lapid. Grecs p. 42 n. 19, Audollent D. T. 22, 10 d%vsv^(ovav^ 17 'AQLötcovav, 25,9 u. a. Zu demNom. (»v eines ursprüngl. Nomens auf CO vgl. den Acc. 'Icovcc, der doch wahrscheinlich mit 'Icc(o zusammen- hängt, Wünsch, Antike Fluchtafeln, Lietzmanns Kl. Texte 20, 2. Aufl. 1 o). Das Wort scheint demnach weder ein Anagramm noch überhaupt griechischen Ursprungs zu sein. Auch die Zusammenstellung mit hebr. ^ilam (welches in öefisöLXccfi so auch Pap. Berol. (Abh. Berl. Akad.

344 Mitteilungen und Hinweise

1865 S. 155) n 168, wo Parthey und nach ihm Wessely ösfieödaog lesen vorliegt, U. Kopp Palaeogr. crit. III p. 668 sq.) = alc6v, hat, wie Wünsch mit Recht hervorhebt, ihre Bedenken. Als Element in Personennamen erscheint EvXafico, worauf Wünsch mich brieflich verweist, in EvXdfiiog^ bei Suidas s. v. Ja^ccöKLog und IlQeaßeLg', es ist ein Phryger. Das führt uns aber auch nicht bis zum Ursprung dieses Gottesnamens zurück. Für diesen bietet sich als einzig mögliche Etymologie die Herleitung vom assyrischen ullamii (vgl. Fr. Delitzsch, Assyrische Lesestücke, Leipzig 1900, im Glossar p. 154 s. ullü)^ das „ewig" bedeutet. Die lautlichen Verhältnisse stehen dieser Etymologie nicht im Wege; denn die Wiedergabe von anlautendem assyr. ul- durch griech. eul- haben wir ebenso bei dem Flußnamen Evlaiog^ der assyr. Ulaa, hebr. Ulai lautet. Die Entsprechung assyr. u = griech, o im In- und Auslaut ist die regelmäßige, wie aus assyr. sussu = griech. 65)66og (Delitzsch a. a. 0. 187 s. v.) usw. erhellt.

In diesem Zusammenhange ist auch auf den aus der phoinikischen Kosmogonie des Mochos bei Damaskios (ed. Ruelle I 323) bekannten Ovlco^iog zu verweisen, der, wie Baudissin, Adonis und Esmun, Leipzig 1911, 488 f. des weiteren ausführt, dem griechischen Aimv entspricht und obigem Evkafico nicht nur begriffs-, sondern auch wortverwandt ist.

Münster i. W. R. Ganschinietz

Zu Tosefta Aboda zara 2,6

Es heißt dort a. a. 0, : „Wenn einer in Theater und Zirkus geht und ansieht die Beschwörer und Zauberer" etc. Die Erklärung dieser Stelle bereitet H. Blaufuß, der sie in seiner wertvollen Studie „Römische Texte und Feiertage nach den [Talmud-] Traktaten über fremden Dienst" Progr. Nürnberg 1909 S. 24 f. beibringt, einige Schwierigkeit, da er von der Tatsache ausgeht, daß es ausgeschlossen ist, „daß Theater oder Zirkus der Platz für Zauber- und Beschwörungsexperimente ge- wesen sei" (S. 26); er erklärt demnach: „Die Kunst der Schau- spieler, Wagenlenker und was mit ihnen gemeinsam in Tätigkeit tritt, soll als eine besondere Art von Zauberei betrachtet und demgemäß verurteilt werden." Es war diese Einschätzung, wie Blaufuß weiter richtig ausführt, möglich, da dieseVeranstaltungen unter den religiösen Gesichtspunkt sich stellten. Daran, daß Beschwörer und Zauberer im Zirkus nicht auftreten, sondern dort nur ihre Buden haben, erinnert R, Wünsch in diesem Archiv XIV 597. Doch scheint eine andereJ Erklärung näher zu liegen: daß jene „Zauberer und Beschwörer" -O-av-j ^axoitoiol sind. Von diesen wissen wir in der Tat, daß sie im Theater auftraten (Hermann -Blümner, Griech. Antiquitäten IV, S. 503), ol im Bunde mit den dionysischen Techniten, mit denen sie deshall Gasaubonus zu Unrecht (Animadv. in Athen, ed. Schweighäuser I p. 51j

MitteiluDgen und Hinweise 345

zu Theophrast Char. 6) identifizierte. Das Richtige hat 0. Lüders (Die Dionysischen Künstler S. 59) gesehen, da er schreibt: „Den Truppen schlössen sich bald Jongleurs, Zauberer und Wundertäter {d-av^atoitOLOi)^ Spieler jeglicher Art an und produzierten ihre Fertig- keiten mit gleichem Erfolg neben denen der dionysischen Künstler." Dies führt H. Reich, Der Miraus I, Berlin 1903, S. 227 eingehender aus. Wie nah sich aber die d'av^ccroitouKrj (Plato Soph. p. 224a) mit wirklichem Zauber in der äußern Erscheinung berührt, ist vor allem aus Hippolytos, Refut. haer. IV 28 42 zu sehen. Dort erfahren wir auch, daß hie und da tatsächlich zur Erhöhung des Eindrucks STtaoLÖaC die Handlungen begleiteten. Ich möchte deshalb die bei Blaufuß folgende Aufzählung der Personen der Atellana nicht als Epexegese zu „Beschwörer und Zauberer" fassen, sondern als eine weitergehende Aufzählung des verbotenen Theaterprogramms. Zu diesem Verbot mögen in der Tat die von Blaufuß geltend gemachten Gesichtspunkte geführt haben, wiewohl mir eher der frivole Charakter denn es sind nur Personen der Komödie genannt der Grund zum Verbot zu sein scheint.

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Ars magica

Unter den vielen Bemerkungen, die A. Abt, Apologie des Apuleius (RGW IV 2) bringt, findet sich S. 104 eine weniger zutreffende: „Bei Quintilian decl. X. wird der Magier definiert als Mensch cuius ars est ire contra naturam . . . ars mit einem entsprechenden Beiwort oder im Zusammenhange auch ohne dieses bezeichnet den Zauber, der ja zum mindesten in seiner weitern Ausgestaltung eine Technik hat, die von der Naturanlage allein nicht erreicht werden kann Im Griechischen entspräche xEyyT]. Das Wort findet sich aber, so viel ich sehe, in der magischen Literatur nicht" usw. Aber das Wort findet sich tatsächlich im Griechischen ebenso oft wie im Lateinischen, wofür einige Beispiele. Iren. 115 a.6xqoXoyL%riq efi7tet,QE kccI fiayinfig riivr]g, Lukian. Necyom. 6 Gvyyiyvo^aC xivi r&v XocköaLcov Coopip ccvdQL Kai d'EöTtEöLcp xr}v xiyvriv. Ebenfalls in der christlichen Legendenliteratur z. B. Mart. Petri et Pauli 17 (Acta Apost. Apocr. ed. R. Lipsius Bd. I 134, 13) 8 La xfiq fiayL%7]g 6ov xiyyrig xovg xov XqlCxov V7t8QVL%ri<jSLg ^ad'rjxag^ ibd. 32 (146,12) xrj ^ayLzrj avxov xi'/^vr} STtQa^sv, Iva %qlo($ ccTtoKScpalLöd-r}. Pseudo-Kallisthenes 4 6 avrjQ (Nektanebos) 6 sid'ia- ^svog xrj ttJ^ ^aydag xiyvri (s. a. J5. 34. 259). Hippolyt. Refut. haer. IV 34 avxol 8e ot xov ßlov Iv^s&veg ^dyoL ai6%vvd-rj6ovxaL rr} xiivrj iQco^evoL. IV 36 x6 xfjg xe%vr]g ^eysO-og xovxov i'fjc.i xov XQonov. IV 42 <hv (xa)V iidycov^ xr]v xiy^vriv KaxaTtXaysvxsg ot aLQEöLccQiaL ifiLfirjaavxo . . . 7} x&v ^dycov itavovQyog Kai aßvcxaxog xe%vri. Kyrillos Alex, in Isai. XIII 6 8 (Migne PG. 70 col. 353) Tt^laßeig öi, oI^kl^ (prjöl

346 Mitteilungen und Hinweise

rovg t&v elöcoXcov LSQOVQyovg, rovg rfj fiayo) TEyyri dLCiTtQSTceötäxovg. Const. Apost. IV 7 Zl^odv. . . rfj tsivrj ^dyog. Synesios Kyr. Calv. encom. (Migne PG 66 col. 1185) eyco yccQ anovco leyovroiv^ &)g av ävriQ AlyvTttiog rixvrjv iitl rovg d-EOvg &%u. de insomn. 2. 4 (1. c. col. 1285. 1289 B) hymn. VII 20 (1. c. 1612) ^ayog a 7toXv(pQ(ov xiyya . . . &oi}i- ßy^aev ccfii]%avog und öfter. Dazu Nikephor. Greg, in den Scholien (Migne PG 149 col. 558). Ol itEQt rovg d-eDyg rs^vtrai, heißen bei Xenophon (Kyrop. VJII 3,l) die persischen Magier. Daneben finden sich ficcytKri ifiTtSLQlcc (Const. Apost. VI 7) und eviqysia resp. dvva^ig (Pseudo-Kall. 1, 96); das Verhältnis der beiden zur riyyvi ist gut zu ersehen aus Const. Apost. V 5 rcag ovv (lav&dvcov riyvrjv nvd^ ßlsTtcov rov didcc- öKulov avrov, Slcc rfig ivSQyeiag %al 8(i7tEi,QLccg ccTtaQrC^ovrcc rrjv rByyriv avrov %cci avrbg ^tjXol ars.

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Zum Pergameuischen Zanbergerät

R. Wünsch hat in der Publikation des „Antiken Zaubergeräts aus Pergamon (Archäolog. Jahrb. Ergänz. -Heft VI, Berlin 1905)" auch über die Bedeutung des Nagels im Zauber gesprochen, und zwar zunächst in seiner Verbindung mit den übrigen Teilen gerade jenes Gerätes. Doch möchte ich hier noch auf eine zweite Bedeutung des Kagels hinweisen, die ihm eine selbständige Stellung in der Magie zuweist. Durch seine Verwendung in der Defixion die Figur der Defigierten wird oft von einem Nagel durchbohrt (vgl. auch J. H. Mar- shall Journ. Hell. Stud. XXIV [1904] 332 f.) hat er selbst auch ohne die Defixion jene Bedeutung und Kraft, die sonst den Defixionen eigen ist, erhalten. Im Mittelalter erzählte man sich mehrere Bei- spiele hiervon, von denen ich eines mitteilen will. Es steht bei Boissard, de divinatione, Oppenheim 1615 p. 50: hie addam quod gestum esse audivi a viro nobili ut furtum incognitum retegeret: famulum habuit stabularium juvenem, satis rusticum qui Domini cubiculum ingressus ut ab eo aliquid posceret, scyphum deauratum ex abaco sustulit absente Domino insciisque omnibus, furtumque fimo stabttli abscondit. cum paulo post instante cena diu quaesitus non inveniretur scyphus, neque furti auctor cognosceretur. Dominus jussit omnes famulos in unum locum se conferre, secedensque in conclave, murmuratis verbis quibusdam et ad- plicato clavo ferreo characteribus designatis tribus mallei ictibus ad- hibitis totidem vulnera capiti inflixit stabularii absentis. Jedenfalls liegt der Gedanke auch einer solchen Verwendung für den Nagel aus Pergamon nahe (über die Bedeutung des Nageleinschlagens bei den Römern ausführlich Trotz in der Note zu p. 302 sq. von H. Hugo, de prima scribendi origine Utrecht 1738; s. auch Archiv XVI 122 ff.).

Ein Zaubertisch, der ähnlich wie der pergamenische konstruiert ist, begegnet bei Kedrenos (Migne, Bd. 121, p. 613), der erwähnt,

Mitteilungen und Hinweise 347

ort iv Tc5 6xqaxr]yL(p (in praetorio Byzantino) Idxlv 6 xqlTCovq ^Eoidtrig (Ein pergamenischerMagierwird ebd. col. 864 erwähnt). Zauberscheiben gibt es mehrere. Bekannt ist die Zauberscheibe der Lappen, wie sie Olaus Magnus in die Literatur einführte. Ihr Gebrauch ähnelt dem der pergamenischen sehr. Boissard 1. c. 65: tjmpanum habent ingens aheneum, in cuius fronte superiore plana depicta sunt quadrupedia vel volabilia, quae in illis regionibus versantur. In medio tympani virga ferrea oblonga et teres infigitur cuius summitate rana ahenea suspensa est ad perpendiculum. Incurvati circumquaque incantatores verba quaedam ad numeros modulata obmurmurant et tympanum feriunt: ad cuius sonitum rana delabitur; et in cuiuscunque animalis figuram insidet, animal designatum disquirunt et offenso deo mactant.

Ganz ähnlich ist die Zauberscheibe, die P. Ath. Kircher, Oedipus II class. XI cap. 7 § 1 als rota Aegyptiorum beschreibt. Nach Schott, Magia Universalis, Würzb. 1658 Bd. I p. 51 „hanc rotam ita statue- bant, ut circa axem centro infixum verti posset in gyrum, apposita extra circumferentiam manu immobili digitum indicem extendente. Cum igitur divinare volebant quodnam Numen invocare deberent ad obtinendum id quod petere cupiebant, rotam praemissa adiuratione et invocatione Numinum quorum hieroglyphica symbola inscripta erant vertebant; et symbolum quod sub manu quiescebat, illud Numen esse credebant, quod ad obtinendam rem desideratam invocare deberent." Schott beschreibt in weiterem Verlaufe die rota divinatoria Hebrae- orum, die aus mehreren konzentrischen Pergamenscheiben bestand mit den Buchstaben des hebräischen Alphabets an der Peripherie. Ich kann aber nicht sagen, von welcher Güte diese Informationen Kirchers sind; doch verdienen seine Angaben jedenfalls geprüft zu werden.

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Zum großen Pariser Zauberpapyrus

In dem vielbehandelten Zauber nqbg öaL^ovLcc^o^ivovg JJißr]- %Emg^ V. 3007 ff., findet sich die Stelle: OQ^i^to <((?«)>, tov iv rrj Kccd'aQä ^legoöolvficOy ro t6 ccößecrov TtvQ ölcc itavrbg alwvog TtQOöTtaQccKEitccL (V. 3069 f.). Die Bearbeiter der Stelle haben an dem Ausdruck tvvq %qo<STtciqa%BixaL keinen Anstoß genommen; ich finde es dennoch min- destens sonderbar gesagt: einFeuerliegt vor- und daneben. Deißmann (Licht vom Osten ^194, 22) bemerkt zur Stelle: ^Gemeint ist das Feuer des Brandopferaltars in Jerusalem.' Als vorbildlich für sie führt er LXX 3. Mose 6, 9. 12. 13 an: xo Ttvq xov Q'vGiaßxriqiov Kccv^^rjaexai, in avxov, ov aßsad-rjaexai . . . öia itavxbg Kavd'rjösxai,. Also vom ^Liegen' des Feuers ist hier nicht die Rede, sondern, wie natürlich, vom Brennen. So auch in der bisher noch nicht notierten Parallelstelle zum obigen Zitat, die im Par. Pap V. 1217 f. steht: ^Eitvaalov^ai 6s xov iv r& %Qva& Ttsxdkcp^ (p 6 aößeöxog Xv^vog öirjveK&g TCccQdKccsxccL^ 6 {liyag

348 Mitteilungen und Hinweise

0£og, 6 cpavelg iv oXco tc5 %66(i(p^ xara ^IeQ0v6aXri(i ^aQfiaLQCOv ^ kvqls 'lacö, ETtdyad'og %vQL(ogy. Nach dieser Stelle wird man oben mit Sicher- heit TtQoaTtaQccTidsrcci herstellen dürfen. Als Beleg aus der LXX sei noch gegeben Ex. 27, 20 tW %ccritcci. (oiaLrjtaL cod. Alex., Ambr.) Xv^vog Slu Ttavtog ev rrj öKTjvy rov fiaQXVQLOv^ £%cod-£v xov yiccxa- 7t£xd6(iarog xov iicl X7]g ÖLad-rjKrjg. Kavaei avxo {avxov Alex.) 'Aaqav . . . ivccvxtov KVQLOv' vo^Lfiov ccicovLOv . . . Das illustriert zugleich die Präpositionen TtQog-itaQa. (Ähnlich übrigens auch Herodot von einem geweihten Licht II 130: vv%xcc ds SKaaxrjv itdvvviog Xv^vog Ttaqay.aiBxai )

Deißmann benutzt die Stelle V. 3069, um einen terminus ant& quem für den ganzen Zauber zu konstatieren: ^Da dieses Feuer im Jahre 70 n. Chr. für immer erlosch, ist jedenfalls dieser Teil des Papyrus vor der Zerstörung Jerusalems entstanden'. Ist das berechtigt, so gilt das gleiche auch für den Teil 1167 1226.

Heidelberg K. Preisendanz

Damalis

In meinem Buch „Die Geisteskultur von Tarsos im augusteischen Zeitalter" habe ich mich bei der Besprechung der antiken Götterwelt von Tarsos auch mit der Gestalt der Damalis beschäftigt. In Anbetracht des mangelhaften Quellenmaterials mußte ich wie auch Höfer in seinem Artikel Sandas in Roschers Mythologischem Lexikon mich mit Ver- mutungen abfinden. Meine auf S. 74 geäußerte Vermutung 8diiicclLg''= ßovg zu setzen scheint sich nun durch mir bisher nicht bekannte Münzen zu rechtfertigen. Herr Islay F. Burns, Tutor und Librarian des West- minster-Kollege zu Cambridge machte mich freundlichst auf verschiedene Münzen aufmerksam, die sich im Catalogue of GreeJc Coins in the Hunterian Collection Band III (Macdonald) finden. S. 272 findet sich dort Herakles auf der einen Seite der Münze und eine Kuh mit säugendem Kalb auf der Kehrseite. S. 273 zeigt eine andere Münze dieselbe Dar- stellung. Eine zweite Münze derselben Seite bringt den Perserkönig anstatt der Gestalt des Herakles, während die Rückseite wiederum die Kuh mit dem Kalb, nur in etwas anderer Stellung, darbietet. Die Münzen werden unter der Rubrik Uncertain ofPhoenicia gebracht und der persischen Epoche von 500 ab zugezählt. Eine überhaupt nicht näher bestimmte Münze auf S. 731 bringt auf der einen Seite eben- falls eine Kuh abgebildet, die ihren Kopf einem Kalb zuwendet, während die andere Seite nur einen Blütenschmuck aufweist. Es liegt nahe, auch diese Münze in den Zusammenhaug der obigen zu bringen , wenn auch hier die Gegengestalt des Heros fehlt. Nach Basilius (Vita S. The- clae 2, 15, Migne Ser. Graec. 85 S. 592) wird Sandan mit Damalis zu- sammengestellt und zwar auf kilikischem Boden. Ob Tarsos gerade ge- meint ist, bleibt zweifelhaft, es liegt näher, an einen Ort im Innern des

Mitteilangeu und Hinweise 34*)

rauhen Kilikiens zu denken. Sand an aber wird in den antiken Quellen mit Herakles gleichgesetzt oder doch wenigstens als sein Sohn be- zeichnet. Da nun ddfiaXi,g sowohl junge Kuh als auch junges Mädchen bezeichnen kann, so erhebt sich die Frage: Stehen obige Münzen nicht in engster Beziehung zu dem Sandan- Damalis -Kult, von dem Basilius redet? Vielleicht kommt man auf diesem Wege dem schwierigen Problem leichter bei als durch etymologische Ableitungen von MccXig oder MoXtg. Nun liegt es gewiß nahe, mit Beziehung auf Tobias 1, 5 und 1 . Könige 1 2, 28 f. in der Gestalt der kilikischen Damalis palästinensisch- ägyptischen Einfluß zu sehen. Damalis ist dann die Ba'alat, die wir in den verschiedensten Gestaltungen der phönizischen Astarte wieder- finden. Der Charakter der Muttergottheit (Damalis, Kuh und Kalb gleich Astarte , als nackte Gestalt mit dem Kind auf dem Arm) stimmt dazu. Doch die Tatsache, daß die Vorstellung der Muttergottheit in ganz Vorderasien seit der Steinzeit sich bereits findet, gestattet auch die Möglichkeit, in der kilikischen Damalis den Rest einer in dieser Gegend von jeher heimischen Göttervorstellung zu sehen. Vielleicht hilft der Hinweis auf die genannten Münzen einem Berufeneren dazu, das Dunkel über der Damalisgestalt zu lichten. Aus diesem Grunde glaube ich den Hinweis des Herrn Burns nicht vorenthalten zu dürfen. Berlin Hans Böhlig

Einen besonderen Hinweis verdient das neuerschienene Buch von P. Sayntyves, La 'Simulation du 3Ierveilleux (Paris, E. Flammarion, 1912). Es bringt aus alter und neuer Literatur eine Fülle von Stoff, auf Grund dessen zuerst die Vortäuschung von Krankheiten an sich, dann die von „übernatürlichen" Krankheiten, wie Besessenheit, ex- statischen Zuständen, himmlischer Stigmatisierung und ähnliches, be- sprochen wird. In einem dritten Teile gibt S. eine Kritik der Wunder- heilungen, wobei er ganz besonders für die Klarstellung der Wunder von Lourdes ein reiches Material beibringt. Dies scheint S.s' eigenstes Gebiet zu sein, und so ist auch die Analyse der Wunderheilung des P. de Rudder vor allem lehrreich. In welchem Umfange Vortäuschungen auf diesen verschiedenen Gebieten an der Tagesordnung sind, wie geradezu eine Industrie und Schule der Simulation sich herausgebildet hat, darüber wird auch der, dem der Gegenstand nicht fremd ist, bei der Lektüre von S.s' Buch geradezu verblüfft sein. Vorzüglich der dritte Teil und auch der zweite des S. sehen Buches enthalten viel Wichtiges für religionsgeschichtliche Studien. In seinen eigenen Be- merkungen faßt sich S. bei aller Entschiedenheit und anerkennens- wertem Freimut der Kritik meist sehr kurz, oft beinahe zu knapp, doch will er wohl absichtlich in erster Linie die Dokumente selbst reden lassen. Psychopathologisch vermißt man einen ernsteren Versuch, der Simulation psychologisch näher zu kommen, es bleibt nur bei

350 Mitteilungen und Hinweise

Anfängen in dieser Richtung. Auch ist es nicht ganz unbedenklich^ daß für den Nichtarzt die Eigenart der Simulation auf Grund psy- chischer Störung, so bei Hysterie, nicht scharf genug gegenüber dem Gemeinsamen, dem Bestreben der Vortäuschung hervorgehoben ist, ein Nachteil, auf den der Pariser Neurologe Janet, einer der besten Kenner des Wesens der Hysterie und verwandter Neurosen, in den ein- leitenden Worten zu S.s' Buch schon hinweist. Im ganzen erscheint jedoch Janets sonst warmes Lob wohl berechtigt.

Königsberg i. Pr. E. Meyer

Altchristliches

1. Die Magier aus Morgenland. In einer Studie mit dieser Überschrift sucht Ludwig von Sybel in den Römischen Mitteilungen XXVII 1912 S. 311 329 die eigenen knappen Berichte in seiner Christlichen Äntihe (I 249 ff., 11 135 ff.) zu ergänzen und zwar im Anschluß an drei neuere Beiträge zur Typogenese und Ikonographie der „Weisen aus dem Morgenland" von Hugo Kehrer {Die heiligen drei Könige in Literatur und Kunst, zwei Bände, Leipzig 1909)^, Peter Bienkowski (De prototypo quodam Romano adorationis Magorum^ in der Zeitschrift Eos XVII 1911, 45 ff., Taf.I— IV) und Francesco Fornari {Bella origine del tipo dei Magi nelVantica arte cristiana^ im Nuovo Bullettino di Ärcheologia cristiana XVII 1911, 69 76). Vornehmlich das typologische Moment, die Typogenese findet da Berücksichtigung, zumal auch wird gefahndet nach antiken Vor- bildern bzw. Analoga: „Die Bildwerke pflegen die Magier nicht in fußfälliger Adoration darzustellen, sondern sie lassen sie mehr oder minder eilfertig zu dem Kinde kommen, und zwar die Geschenke darbringend, in den Händen oder auf Schüsseln" (v. Sybel), und Fornari stellt das Bild zum Schema nicht des adorante, sondern des off'erente. Als vorbildlich hat man den „Aufwärtertyp" herangezogen (so V. Sybel, Christi. Antike II 136, vgl. z. B. ebd. 1 190 in Abbildung das Seligenmahl in der Gruft der Vibia, auch bei Ernst Maaß Orpheus die Taf. zwischen S. 222 u. 223. Joseph Wilpert Die Malereien d. Katali. Roms Taf. 132, l), ferner gewissermaßen ein heroisches Beispiel für den „Aufwärtertyp" den Odysseus, wie er dem Polyphem mit beiden Händen den Becher mit Wein reicht (so For- nari a.a.O., vgl. die Statuette Pamfili, S. Rein ach Rep. de la sta- iuaire I 502, 4, in welchem Sinne auch zu ergänzen ist die bekannte vatikanische Statuette im Museo Chiaramonti, wo Odysseus die Schale bloß mit der Linken darbietet, Walther Amelung Sculpt. d. Vat.

* Vom selben Verfasser ist bereits 1904 eine Monographie über den Gegenstand erschienen: Die „heiligen drei Könige" in der Legende und in der deutschen bildenden Kunst bis Albrecht Dürer, als Heft 63 der Studien zur Deutschen Kunstgesch., Straßburg, J. H. Ed. Heitz, 1904.

Mitteilungen und Hinweise 351

I 7 90 ff. Nr. 704 Taf. 85; Heibig Führer d. d. Sammlungen Mass. Altert, in Rom'-^ I 69 f., Nr. 117; Baumeister Denkm. d. Mass. Altert.

II 1038 Abb. 1251; Röscher MytJi. Lex. III 675 Abb. 14, vgl. auch Sp. 2705 Abb. 4; Fornari a. a. 0. S. 73 Fig. 7), ferner die Barbaren- darstellungen in Reliefs auf einer Basis in Villa Borghese, Cat. nr. CXC (so Bieiikowski a. a. 0., vgl. Heibig a. a. 0. II 246f. nr. 1555; Böm. Mitt. a. a. 0. S. 313 Fig. l), ferner, als späten Nachklang der ursprünglichen einheitlichen Komposition , den Sockelstreif der Elfen- beintafel Barberini im Loavre (so v. Sybel Böm. Mut. a. a. 0. S. 314 f. Fig. 2), usw. Meines Wissens aber noch nie hat man hingewiesen auf jene „Deputierten der Provinzen" im untersten Streifen der sog. Perservase, die, 1851 zu Canosa, dem alten Canusium in Apulien, gefunden, heute im Museo nazionale zu Neapel aufbewahrt wird, bekannt als eine der apulischen Prachtamphoren aus dem vorgerück- ten vierten Jahrhundert v. Chr., vgl. Heinr. Heydemann Ann. d. Inst. XLV 1873, 20ff. z. Monum. JX t. L/LI; Baumeister s. v. Dareios S. 408/10 z. Taf. VI Abb. 449; Sal. Reinach Rep, des vases 1 194 f.; A. Ruesch Guida illustrata del M. naz. di Napoli S. 473/75 Nr. 1959 Fig. 123; Baumgarten, Poland, Wagner Die hellen. Kultur^ S. 515 Abb. 468; Springer -Michaelis^ I S. 325 Abb. 584 usw. Zumal die Magier der Mosaikdarstellung in S. Apollinare Nuovo zu Ravenna am Ostende des Nordfrieses (vgl. z. B. die Tafel bei Franz Xaver Kraus Gesch. d. Christi. Kunst 1 Abb. 332) erinnern in ihrer ganzen Auffassung, in Tracht und Haltung, besonders in ihrer eiligen Vor- wärtsbewegung, in der Art, wie sie sich eilenden Laufes und scbon zum Knien geneigt der Gottesmutter nähern (Job. Rud. Rahn Ravenna [1869] S. 27) an jenen Provinzialen am meisten links (hinter dem am Tischchen sitzenden Schatzmeister), der rechts- hin „eilend und in demütiger Haltung" drei ineinanderge- setzte goldene Schalen herbeiträgt. Wenn aber diese Magier nach Jean Paul Richter „vom Scheitel bis zur Zehe Produkte eines mo- dernen Mosaicisten '^ sind, herrührend von einer neueren, 1830 ge- machten Restauration^, dann mag man zur Vergleichung mit dem Tributpflichtigen der „Perservase" beispielsweise heranziehen die Magierhuldigung auf einem Sarkophag in S. Giovanni Battista zu Ravenna, abgebildet z. B. bei Walter Goetz Ravenna (Berühmte Kunststätten Nr. 10) S. 83 Abb. 85: auch so ist doch gewiß die Parallele frappant genug! Oder es sei etwa noch neben Mosaik - und Sarkophagdarstellung aus dem Bereich der Katakombenmalerei angeführt jene Anbetung der Magier aus der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts im Coemeterium Domitillae, Orazio Marucchi Guida del Cimitero di Bomitilla (1902) S. 38 ; Fornari a. a. 0. S. 69 Fig. 4;

^ Vgl. J, P. Richter Die Mosaiken von Ravenna, Wien 1878, S. 65, vgl. auch Rahn a.a.O.; Kraus a.a.O. S.433; Kehrer Monogr. von 1904, S.41.

QrjO Mitteilungen und Hinweise

farbig bei Wilpert a.a.O. Taf. 116, wo auffallender und beachtens- werter Weise statt der üblichen drei ihrer vier Magier erscheinen, je zwei zu jeder Seite der Madonna: offenbar hat der Wunsch, symmetrisch zu gruppieren, die Forderung der literarischen Tradi- tion durchbrochen wie denn auch gelegentlich aus ebendiesem Grund die Reduktion auf zwei Magier dürfte eingetreten sein bei jener etwas früheren Darstellung im Coemeterium der Heiligen Petrus und Marcellinus (noch aus der ersten Hälfte des dritten Jahrhun- derts), Wilpert Taf. 60 (farbig), Springer -Neuwirth Handh. d. Kunst- gesch.^ S. 6 Fig. 6; Bruno Schrader Bie röm. Campagna (Berühmte Kunststätten Bd. 49, Lpz. 1910) S. 84 Abb. 28, wo zu beiden Seiten der Madonna in symmetrischer Anordnung nur je ein Magier wieder- gegeben ist.

Zürich Otto Waser

Der Seelenbrunnen

Zu Dieterich, 'Mutter Erde' 2. Aufl. S. 1 8ff. vgl. Söhar I fol. 235 a, de Pauly II 526: zum „Brunnenlied" Num. 21, 18 („dies ist der Brunnen") sagt R. Eleazar: C'est de que sortent les esprits et les dmes qui animent les enfants des hommes. Unter dem hl. Felsen im haram zu Jerusalem liegt die Höhle guhh el-arwah oder blr el-arwaJi, der „Seelenbrunnen", auch „magäret el-arwäh" „Seelenhöhle" ge- nannt (Dalman, Paläst. Forsch. IJ, Leipzig 1912 S. 129).

Feldafing Robert Eisler

Zur * Mutter Erde'

In den ^Sprüchen des Menander', aus dem Syrischen übersetzt von Fr. Schultheß, Ztschr. f. at. Wiss. 1912, 207 heißt es: 'Wer seine Mut- ter prügelt, was soll dem geschehen?' Spricht er zu ihnen: 'Die Erde soll ihn nicht aufnehmen, denn sie ist die Mutter aller Menschen '. Das Legen Sterbender auf die Erde bezeugt auch Caesarius von Heister- bach Lihri VIII miraculorum p. 101 Meister: in mada positus . . ex- piravit. Ebenda p. 183: cum iaceret super cilicium. S. auch George L. Hamilton The sources of tJie Symbolicdl Lag communion, Bomanic Re- view IV 1913, 224. In der 2. Auflage von A. Dieterichs 'Mutter Erde' muß es S. 126 Z. 8 statt 'Herzogsbrunnen' heißen 'Herrgotts- brunnen', S. Brandt verweist dafür brieflich auf: Ed. Haas, Jugend- erinnerungen aus der alten Saarbrücker Zeit, Saarbrücken, Gebr. Hofer 1912 S. 43. Zu den Schweizer Anschauungen über die Herkunft der Kinder vgl. jetzt E. Hoffmann-Krayer, Feste und Bräuche des Schwei- zer Volkes, Zürich 1913 S. 23f.

Münster i. W. R. Wünsch

(Abgeschlossen am 1. Januar 1914.)

.^■^

L Abliandluiigen

Die SündentilgTing durch Wasser

Von I. Scheftelowitz in Cöln a. Rh.

Inhalt

1. Die Sündenreinigung durch ein Tauchbad oder durch Besprengen mit Wasser.^

2. Mittelbare Übertragung der Sünden auf Wasser durch eine magische Handlungsweise.

3. Ursprung der Idee von der sündentilgenden Kraft des Wassers.

4. Übereinstimmung des Ritus der Dämonen Vertreibung mit dem der Sündentilgung: a) Apopompe, b) Sühnepuppen, c) die kath artische Wirkung des Wassers, d) die apotropäische Wirkung des Wassers.

1 Die Sündenreinigung durch ein Tauchbad oder durch Besprengen mit Wasser Auf primitiver Kulturstufe wird der wissentliche und un- wissentliche Verstoß gegen die kultische Ordnnng^ aber auch häufig ein Vergehen gegen die althergebrachte soziale Sitte, die unter der Obhut einer Gottheit steht, als eine religiöse Ver- fehlung, als Sünde angesehen, die den Zorn der Götter erweckt. Eine Folge der Sünde sind die physischen Übel und alles Unheil, das über einen Menschen hereinbricht.^ Im alten Peru mußten etwa folgende Sünden dem Priester gebeichtet werden: Mord, Ehebruch, Diebstahl, Vergiftungen, Nachlässigkeit in der Ver- ehrung der Götter, üble Nachreden und Ungehorsam gegen den Inka.^ Die Sünde wurde bei allen primitiven Religionen durch äußere rituelle Mittel beseitigt. Das Wort Sünde fehlte dem

^ Vgl. A. W. Whipple Beport upon the Indian tribes, Washington 1855, 35; Preuß Glolus Bd. 83, 253 ff., 268 ff.; Hodson in diesem Archiv XII 451; G Turner Nineteen years in Polynesia 1861, 345; M. Jastrow Meligion Assyr. und Bdbyl. II 95 ff.; Oldenberg Religion des Veda 290; Waitz-Ger- land Anthropologie Yl Bis f., 349 f.

* J. J. V. Tschudi Beiträge zur Kenntnis des alten Peru 1891, 66,

Archiv f. Eeligionswissenschaft XVII 23

354 ^- Scheftelowitz

Sprachscliatze der heidnisclien Grönländer und mußte aus dem Dänischen entlelint werden. Sünde war nach der Auffassung der Neubekehrten alles, was den europäischen Gemeinden zum Schaden gereichte.^

Im alten Indien galt als das wirksamste Mittel zur Tilgung der Sünden das Rezitieren von gewissen Veda-Liedern in Ver- bindung mit einem Bade im fließenden Wasser. So sagt Yäjna- yalkya III 326, daß man sich von den Sünden reinigen kann, indem man dreimal am Tage badet, die ^reinigenden Verse' hersagt und Opferkuchen mit einem Gäyatri-Vers weiht: Mryät trisavanasnäyl hrcchram cändräyanam tatM, paviträni japet pin- dän gäyatryä cabhimantrayet. Die 'reinigenden Verse' (päva- mäms), die besonders von Manu (V 86; XI 258) als sünden- tilgend bezeichnet werden, bestehen aus den ersten 67 Liedern des 9. Mandala des Rgveda nebst dem sich daran anschließen- den apokryphen (khila) Abschnitte, der in dem ältesten Rgveda- Ms. (Käsmir-Ms.) aus sechs Versen sich zusammensetzt.^

Diese sechs apokryphen Verse entstammen etwa derselben Zeit, in welcher die beiden letzten Verse von Rgv. IX 67 ent- standen sind, die ohne Zweifel später als das Lied selbst ver- faßt wurden, denn sie beziehen sich nicht auf den Hymnus IX 67 allein, sondern auf die ihnen vorangehenden 67 Lieder des 9. Mandala, welche diePävamäni- ('reinigenden') Verse bilden. Aus Rgvidhäna III 3, 2 geht deutlich hervor, daß diese beiden letzten Verse (IX 67, 31 32) zu den eigentlichen Pävamänis nicht mitgerechnet werden, denn die dort erwähnten Pävamänis satäni sat, 'die 600 Pävamäni -Verse', umfassen die ersten drei

1 Globus 19, 13.

^ Die Anhänger des "Väjasaneya Samhita gebrauchen statt der Päva- mäni-Verse des Rgv. den Abschnitt Väj. Samh. 16, vgl. Kaivdlya Upan. am Schluß: 'Wer das Satudriyam {Väj. S. 16) rezitiert, der wird durch Feuer gereinigt, durch Wind gereinigt, durch den Atman gereinigt, der w^ird gereinigt vom Branntweintrinken, gereinigt vom Brahmanenmord, gereinigt vom Diebstahl des Goldes, gereinigt vom Gebotenen und Ver- botenen,'

J

Die Sündentilgung durch Wasser 355

Anuväkäs des 9. Mandala, Sükta 1 67 Vers 30. Im Säma- veda 115, 2, 8 finden sich diese beiden Rk- Verse IX 67, 31—32 am Schlüsse von vielen aus dem 9. Mandala des Rgveda ent- nommenen Versen, und zwar sind dort diese beiden Verse ver- mehrt um vier weitere, welche mit den ersten drei Versen und mit dem 6. Vers des apokryphen (Jchila) Abschnitts überein- stimmen. Auch im Taitt. Brähm. 1, 4, 8 stehen die beiden letzten Rk.- Verse von IX 67, gefolgt von sechs weiteren Versen, von denen die ersten zwei Verse mit Vers 1 und 2 meiner Khila- Ausgabe^ sich decken, der dritte Vers von dem zweiten sich nur durch eine Lesart unterscheidet, und die drei folgenden Verse mit Vers 3 5 meiner Khila- Edition übereinstimmen. Demnach bildeten die sechs apokryphen Verse mit den letzten beiden Rgveda- Versen IX 67 schon im Veda-Zeitalter ein zu- sammengehöriges Ganze. Wenn also das Käsmir-Ms. nur sechs Verse überliefert, so haben wir hier eine sehr alte Form der Khila -Überlieferung, während die übrigen Rgveda- Mss. (wie India Office Nr. 1473; 2131; 1690 und 1691; Bodleiana Wil- son Nr. 429—432; 434; 435-438; British Mus. Add. Nr. 5351) neben diesen sechs noch vierzehn sekundäre Verse enthalten. Die ersten neun Verse des sekundären Teils dieses Khilas be- stehen aus Beichtformeln, die insofern sehr interessant sind, als sie die einzelnen Sünden aufzählen, deren Vergebung man durch Rezitation der Pävamäni- Verse und durch das Tauchbad erwirken will. Hieran sind dann am Schlüsse in ganz junger Zeit noch fünf Verse, die aus Brhaddevatä und Rgvidhäna ent- nommen sind, hinzugekommen.^ Ich will nun die Übersetzung dieser 20 ^sündentilgenden Verse' nach dem Texte meiner Khila- Ausgabe geben:

1. Die Pävamäni- (' reinigenden^) Verse sind glückbringend, denn gut nährend sind die von Ghrta träufelnden Verse. Von

^ Vgl. Scheftelowitz Apokryphen des Bgv. 1906, 95 ff.

* Daß die Zusätze sehr jung sind, geht aus ihrem Inhalte hervor und aus dem Ausdruck hutäsana in V 8 (für Agni), welches zuerst in Mah. Bhar. und Maitri Up. 6, 38 vorkommt.

95i*

356 ^- Scheftelowitz

den Rsis ist ihr Extrakt angesammelt, bei den Brahmanen ist dieses unsterbliclie Gut niedergelegt.

2. Die Pävamäni -Verse sollen uns diese und auch die zu- künftige Welt zeigen, sie sollen unsere Wünsche erfüllen, sie die Göttinnen, welche vereint sind mit den Göttern.

3. Durch welches Läuterungsmittel die Götter sich stets läutern, durch dieses, welches 1000 Ströme hindurchläßt, sollen mich die Pävamäni -Verse läutern.

4. Die von Prajäpati stammende Seihe ist mit 100 Strängen versehen, golden, mit dieser läutern wir, die wir das Brahman kennen, das klare Brahman.

5. Indra zugleich mit der Suniti soll mich läutern, Soma mit Svasti, Varuna mit Samici, Der König Yama mit den ver- nichtenden Göttinen sollen mich läutern, Jätavedas mit der kraftvollen Göttin soll mich läutern.

6. Diese Pävamäni -Verse sind glückbringend, durch welche man ins Paradies gelangt und geweihte Speisen genießt und die Unsterblichkeit erreicht.

7. Welche ungeheure Sünde ich, als ich noch im Mutter- schoß verweilte, und welche sonstige Sünde ich bei meiner Ge- burt, und welche Sünde ich, nachdem ich geboren war, beging, und welche ich während meines Heranwachsens beging, diese reinige ich durch die Pävamäni -Verse.

8. Welches Gebot der Mutter und des Vaters von mir nicht ausgeführt ist, welches festgesetzte Wort hinfällig gemacht wor- den ist^, dieses mir schauererregende Wort eines jeden reinige ich durch die Pävamäni -Verse.

9. Von Kauf und Verkauf, von geschlechtlichem Vergehen, von Trank und Speise, von Entgegennahme von Bachschis und auch davon, daß man keine Nahrung zu sich nimmt, reinige ich den Frevler mit diesen Pävamäni -Versen.

^ Auch der Babylonier fühlt sich schuldbewußt: 'hat er mit Herz und Mund versprochen, es aber nicht gehalten/ Vgl. A. Jeremias D. Alte Test, im Lichte d. alten Orients^ 1906, 209.

Die Sündentilgung durch Wasser 357

10. Von Rindermord ^, von Diebstahl, von Frauenmord und worin sonst die Sünde bestellt, von jenen Taten reinige ich auch den Bösewicht durch diese Pävamäni -Verse.

11. Von Brahmanenmord, Branntweingenuß ^, von Goldraub, von dem geschlechtlichen Verkehr mit einem Südra-Weib, von dem geschlechtlichen Verkehr mit der Frau seines Lehrers reinige ich durch diese Pävamäni -Verse.

12. Von Kindesmord, von Elternmord, von dem Umgang und geschlechtlichen Verkehr mit (einem Weibe aus) jeder be- liebigen Kaste ^, von Fehltritten und Bestechung'^ reinige ich jeglichen Übeltäter, sobald er sie von sich gestoßen hat {pra- harati loc. absol.), durch diese Pävamäni -Verse.

13. Und welche Speise auch immer ohne Opferspruch be- gleitet, dem Feuergott geopfert ist, und welche Sünde vor einem Jahr begangen ist, reinige ich durch diese Pävamäni- Verse.

14. Den Sündhaften, der fehlerhaft geopfert oder fehlerhaft auswendig rezitiert hat"*, wenn man es nicht unwissentlich voU-

^ Tötung einer Kuh ist nach Yäjnavalkya III 234 eine Sünde. ^ 'Wer einen Brahmanen getötet, wer Branntwein getrunken, ein Dieb und wer das Ehebett seines Lehrers befleckt, diese sind große Sünder,

k sowie auch wer mit ihnen verkehrt' {Yäjnavalkya III 227). ' Vgl. Yäjiiavalkya II 294: 'Einen Mann, der zu einer Frau geht, Bis der niedrigsten Kaste angehört, soll man mit schimpflichen iieichen brandmarken und verbannen. Ein Südra, der dieses tut, soll ein niedrigster werden. Einem Mann der niedrigsten Kaste, der zu einer höheren Frau geht, ist der Tod bestimmt." II 286: 'Bei Unzucht eines Mannes mit einer Frau derselben Kaste trifft ihn die höchste Geldstrafe, mit einer Frau niederer Kaste die mittlere Geldstrafe, mit einer Frau höherer Kaste der Tod/

* Auch in Babylonien galt es für eine Sünde, wenn jemand 'seines Nächsten Weib sich genaht' oder wenn jemand einem 'durch Bestechung zum Recht verhelfen hat' (A. Jeremias D. Alte Test, im Lichte d. alten Orients^ 1906, 208 f.).

^ Bei den alten Indern ist ein beim Opfern gesprochenes Lied, das nicht richtig gesprochen und betont wird, nicht nur unwirksam, sondern dem Opfernden sogar schädlich (vgl. Siksci 52). 'Wenn die Priester ihre Sache schlecht machtenr sei es, daß sie das Rituell schlecht verstanden.

358 I- Scheftelowitz

bracht hat, die Frauen, die nicht haben opfern lassen, oder mit denen man an einem Opfer nicht teilnehmen darf^, reinige ich durch diese Pävamäni -Verse.

15. Die Geburtsstätten der heiligen Ordnung, die Stätte der Unsterblichkeit, alle diese Gewässer, welche den Göttern an- genehm duften, diese unsere Gewässer sollen weg- führen die Sünde; gläubig komme ich in die Welt des Rechtschaffenen, durch diese Pävamäni -Verse reinige ich.

16. Wer an einen Pävamäni -Vers, an die Manen, an die Götter und an Sarasvati denken würde, dessen Milchspende, Opferschmalz, Honig und Wasser möchte zu den Manen gelangen.

17. Alle Rsis, die den Himmel zu erringen suchten, haben sich den Kasteiungen unterzogen, das Wertvollste von allen Kasteiungen sind die Pävamäni- Verse, diese flüstere man.

18. Wer den Pävamäna- Abschnitt, das vorzüglichste Brahman, andächtig rezitiert, der würde ein zum siebenten Male wieder- geborener Weiser sein, vedakundig und reich.

19. Die letzten zehn Verse und diese 600 Pävamäni- Verse, so leise hersagend, will ich eine Spende darbringen, auf diese Weise kann man die schreckliche Furcht vor dem Tode besiegen.

20. Der Pävamäna-Abschnitt, das vorzüglichste Brahman, das lautere Licht, das unvergängliche, würde dann zu den Rsis gelangen und zugleich dessen Milchspende, Opferschmalz, Honig und Wasser.

Die sündenreinigende Kraft des Wassers wird besonders im Rgveda geschildert. So heißt es Rgv. I 23, 22 (X 9, 8): ^0 Wasser, traget fort, was irgend Böses und Unrechtes ist in

sei es, daß sie absichtlich falsch opferten, so traf den Opfernden das Un- heir (A. Weber Ind. Stud. X 152). Auch bei den Juden wurde das Opfer, wenn es der Priester nicht mit der richtigen Andacht und Aufmerksam- keit oder vorschriftswidrig darbrachte, ungültig (Misnä Ze&aÄim Abschn. 2 ; Talm. Zehahim 1).

^ Über den Ausschluß von Frauen bei kultischen Handlungen in klassischer Zeit vgl. Th. Wächter Beinheitsvorschriften im griech. Kult (RGW JXl) 125ff,

Die Sündentilgung durch Wasser 359

mir, wenn ich ein Leid zugefügt oder wenn ich geflucht habe.' Nicht durch Lobsprüche allein danken die Gewässer dem Indra für ihre Befreiung von dem Wasserdämon Vrtra (vgl. Kgv. II 11, 2; VIII 76, 3), sondern sie wollen auch die Sünde des Indra, die er durch die Tötung des Vrtra begangen hat (vgl. Säyana zu IV 18, 7: asyendrasyävadyam hrahmahatyädirupam päpam didhisante), willig auf sich nehmen und sie weit forttragen, vgl. Säyana zu IV 18, 17: indrenotsrstä äpas tasya päpam jagrhur ityarthah ^Die von Indra befreiten Wasser haben des Indra Sünde auf sich genommen'. Der Vers Rgv. IV 1 8, 7, den die Mutter des Indra spricht, nachdem die Wasser ihr rühmend er- zählt haben, was ihr Sohn vollbracht, und daß sie die Sünde des Indra wegspülen werden, lautet demgemäß: ^Flüstern die Wasser ihm (dem Indra) etwa nur Lobsprüche zu? Sie wollen sogar des Indra Sünde auf sich nehmen. Mein Sohn nämlich hat diese Flüsse strömen lassen, nachdem er mit gewaltigem Schlage den Vrtra getötet hat.' Den Indra, der sich durch die Ermordung des Götterpriesters Trisiras eine große Sünde zu- gezogen hatte, befreit der Rsi Sindhudvipa dadurch von der Schuld, daß er ihn mit Wasser besprengt und dabei die Hymne Rgv. X 9 rezitiert.^ Der Sünder fleht: äpas sundhantu mainasah 'Die Wasser mögen mich von der Sünde reinigen'.^ 'Sieben göttliche Wasser sind geflossen, mögen sie uns vom Leid befreien.'" 'Was ich an Übeltat beging, von allem wasche mich das Wasser rein.'* Zu diesem Zwecke nimmt er ein Bad und spricht beim Verlassen desselben: 'Ich schreite über die Sünde, die eine Klippe ist, hinweg. Ich lasse den Sünden- schmutz am heiligen Orte (im Wasser) zurück. Ich steige empor zu dieser Welt der Rechtschafi"enen, zu der die Rechtschaffenen, nicht aber die Missetäter gelangen.'^ Ein Vedaschüler, der das

^ Brhaddevatä ed. Macdonell VI 150—153.

2 Väj. Samh. XX 20; S'at. Br. XII. 9, 2, 7. » Äth. Ved. XII 112, 1. ' Fränägnihotra Upan. 1.

^ Taitt. Brahm. III 7, 12, 2, vgl. Geldner in Bertholet Beligionsgesch. Lesebuch 1908, 121.

360 ^- Schefteiowitz

Keusclilieitsgelübde gebrochen hat, wird dadurcli entsühnt, daß ihm der Brahmane einen aus Gras geflochtenen Strick um den Hals schlingt und ihn dann mit geweihtem Wasser begießt. Hierauf bindet er ihm die Schlinge los, indem er den Vers Ath. Yeda YI 63, 1 rezitiert: 'Die Fessel, die unlösbare, die dir die Göttin Nirrti (* Vernichtung') ^um den Hals geknüpft, die löse ich dir.' Durch das Wasser wird hier also die über den Sünder geworfene Unheilschlinge der Nirrti unschädlich gemacht.^ Im heutigen Indien richtet der Brahmane frühmorgens ein Gebet an das Wasser, worin es heißt: '0 Wasser des Meeres der Flüsse, der Teiche, der Quellen höre gnädig auf meine Ge- bete und Gelübde. Ebenso wie ein Wanderer, ermüdet vor der Hitze, Ruhe und Behagen unter dem Schatten eines Baumes findet, so möge ich in dir Trost und Beistand in allem meinem Unglück finden und Verzeihung für alle meine Sünden . . . Reinige mich von meinen Sünden und alle übrigen Menschen von ihren Sünden.' Nach Beendigung dieses Ge- betes taucht er ein Grasbüschel ins Wasser und besprengt da- mit sein Haupt. Hierdurch hat er seine Sünden weggespült.^ Besonders haben die zahlreichen heiligen Flüsse und Seen eine sündentilgende Kraft, wenn man ein Bad darin nimmt.^ Bevor ein Brahmane in den Fluten des heiligen Ganges untertaucht,

^ Kaus. S. 46, 19 ff.; Caland Altind. Zauberritual 152; Scheftelowitz Schlingen- und Netzmotiv RGVVXII?, 7 ff. Eine ähnliche Zeremonie wird mit zwei Brüdern vorgenommen, von denen sich der jüngere dadurch ver- sündigt hat, daß er vor dem älteren geheiratet hat (Kaus. S. 46, 26 29, Caland a. a. 0. 153 f.).

2 J. A. Dubois Hindu Manners 2. Ed. Oxford 1899, 253 f.; W. Crook Natives of Northern India 1907, 227. Besonders gilt der Zusammenfluß zweier heiliger Ströme für sündentilgend und heilbringend gegen Krank- heiten (Crooke Populär Religion of Northern India^ I 38). Der König Trisanku, der drei Todsünden begangen hatte, indem er eine Kuh und einen Brahmanen tötete und seine Stiefmutter heiratete, wird von dem Rsi Visvamitra dadurch gesühnt, daß er Wasser von den verschiedensten hl. Strömen der Erde nahm und ihn damit abwusch (vgl. Crooke IPop. Relig.^ IZS),. -

8 J. A. Dubois a. a. 0. 198 f.

Die Sündentilgung durch Wasser 361

richtet er folgendes Gebet an den Fluß; 0 Ganges! who were hörn in BrdhmaJs pitcherj wJience yoii descended in streams on to Siva^s hair^ from Siva's hair to Vishnii's feet, and thence flowed on to the earth to wash out the sins of all men, to purify them and promote their happinessf You are the stay and Support of all living creatures here helow ! I thinh of you, and it is in my mind to hathe in your sacred waters. D eigne to hlot out my sins and deliver me from all evil} In Coorg (Indien) gilt ein Spritzbad an den Wasserfällen des Laksman- tirtha als besonders sündentilgend, weshalb Tausende zu die- sem Zwecke dahin pilgern.^

Nach der Auffassung der Eweer in Südtogo kann man die Sünden, womit man sein Inneres besudelt hat, durch ein Fluß- bad abwaschen, gleichzeitig wird alles ihm anhaftende Unheil

' Dubois a. a. 0. 244.

* L. Rice Mysore and Coorg III 1878, 266. Infolge solcher Anschau- ungen betrachtet der Dajak (Borneo), wenn er träumt, er habe ein Bad genommen, dieses für ein gutes Omen (Spenser St. John Life in the forests of the far East 18G3, I 200.) In Kombakonum (bei Madras) ist ein hl. Teich, der sich dadurch auszeichnet, daß in jedem zwölften Jahr sein Wasser eine so entsühnende Kraft gewinnt, daß ein Bad darin alle Sünden und körperlichen Leiden von dem Benutzer wegnimmt. Dazu ist es aber nötig, daß der Teich mit Gangeswasser vermischt wird. Denn der Ganges ist ja aus dem Haupte Sivas entsprungen und durchfließt Himmel, Erde und Unterwelt. Wer an seinen Ufern stirbt oder vor seinem Tode Wasser davon trinkt, ist des Paradieses sicher. Aus diesem Grunde trägt man Sterbende zu ihm und versendet sein Wasser weithin {Globus 71, 294 f.). Dieselbe Rolle wie das Gangeswasser spielt bei den Juden die Erde des gelobten Landes. 'R. Meier sagt: Wer sich im gelobten Lande ansiedelt, dessen Sünden sühnt die Erde des gelobten Landes' {Sifre P. Haazinä § 333; Jalqut zu 5. M. 32,43). Nach R. Eliezer und R. Josua sühnt die Erde des gelobten Landes nur die Sünden, die ein Gerechter begeht {Misle BahM X 3). 'R. Eliezer sagt: Wer im hl. Lande begraben wird, dem sühnt Gott seine Schuld' {Midras Tanhumä P. Wajehi (ed. Buber 1885) S. 108). 'R. 'Anan sagt: Wer im hl. Lande begraben wird, ist gleichsam unter dem Altar begraben, dessen Erde die Sünden sühnt' ',Talm. Ketuböt lila). Da die Erde Palästinas eine sühnende Wirkung ausübt, so wird jedem Toten etwas Erde vom gelobten Lande mitge- geben und haben viele alte Juden den sehnsüchtigen Wunsch, im hohen Alter nach Palästina zu gehen und dort zu sterben.

362 I- Scheftelowitz

mit fortgeschwemmt.^ Die Creekindianer glaubten nicht nur durch Brech- und Purgier mittel, sondern auch durch Baden und Waschen unter bestimmten Zeremonien alle Übeltaten des ver- flossenen Jahres außer Mord, tilgen zu können.^ Dieselbe An- schauung von der sündenreinigenden Kraft des Wassers herrschte auch im alten Mexiko. Bei dem zeremoniellen Bade, dem ein neugeborenes Kind unterworfen war, sprach die eingeborene Hebamme: ^Steige hinab in das Bad, in welchem dich der un- sichtbare Gott wasche von allem Mißgeschick, welches die Götter schon vor deiner Geburt über dich yerhängten, und von deinen Sünden und der Unreinigkeit, welche du von deinen Eltern mitnahmst.'^ Bei den Azteken wurde das neugeborene Kind mit folgenden Worten gewaschen: *Möge dieses Wasser reinigen und dein Herz läutern, möge es jegliches Übel hinwegspülen.'* In Polynesien konnten alle Sünden durch Abwaschung mit Wasser gesühnt werden.^

Bei den klassischen Völkern sind dieselben Vorstellungen nachweisbar. Die Griechen glaubten, daß selbst die schwerste Sünde, wie Mord, durch eine Reinigung in 14 Gewässern ge- sühnt werden könnte.^ Nach griechischer Auffassung haftete an dem Mörder auch das iiCae^a der ihn verfolgenden Seele des Getöteten und der ihr beistehenden Dämonen. Daher war selbst nach der gesetzlich erlaubten Tötung eine Reinigung er- forderlich. Diese Katharsis geschah durch Besprengen mit dem Blute eines womöglich jungen Schweines oder Lammes und durch Baden in einer Quelle, einem Flusse, oder im Meere.^

* J. Spieth Beligion der Eweer 1911, 19 u. 41.

* Ad&ii History of the American Indians 1775 p. 106 u, 120; School- craft History . . . of the Indian tribes 1851, V 266 f., 685.

« H. Floß Das Kind P 302; Globus 27, 316.

* L. R. Farneil Evolution of Beligion 1905, 157. ^ Waitz- Gerland Anthropologie 1872, Yl 361 f.

« E. Rohde Psyche* II 405.

' Th. Wächter Beinheitsvorschriften im griech. Kult (RGW IX 1.) 64, 65 ff., 74; vgl. aucli TertuUian bapt. 5: penes vetercs quisque se ho- micidio infecerat, purgatrices aquas explorabat. Schon Heraklit bekämpft

Die Sündentilgung durch Wasser 363

Ovid Fasti II 35 AQ wendet sich gegen den Aberglauben, daß jede Sünde, selbst der Mord, durch Wasser getilgt werden kann.^ Der römische Kaufmann schöpfte aus der Quelle am Capenischen Tore Wasser, tauchte darin einen Lorbeerzweig und besprengte damit sich und seine Waren, indem er Mercur anflehte, er möge seine früheren meineidigen Reden und täu- schenden Worte hinwegspülen: ahlue praeteriti periuria tem- poris, inquity dblue praeteritae perfid a verha die (Ovid Fasti V 673 681). Durch Waschen der Hände in einer Quelle und durch Springen über ein Feuer sühnten die Hirten am Feste der Pales ihre Freveltaten.^ Midas, der die Gunst des Bacchus mißbraucht hatte, fleht wehmütig den Bacchus an: 'Vater Le- näus, verzeihe mir, ich habe gesündigt!' Bacchus sagt ihm hierauf, daß er in der schäumenden Quelle des Flusses Pacto- lus, wo er am stärksten hervorsprudelt, das Haupt untertauchen solle, dann werde er zugleich mit dem Leibe die Schuld ab- waschen.^

diese Katharsis: 'Reinigung von Blutschuld suchen sie vergeblich, indem sie sich mit Blut Besudeln, wie wenn einer, der in Kot getreten, sich in Kot abwaschen wollte' (H. Diels HeraTdeitos von Ephesos 1909, 17 §5).

^ Über die Katharsis des Mörders in Rom vgl. M, Voigt Über die Leges regiae in Abhdl. Sachs, Ges. Wiss. VII 620, 624. Nach Catullus LXXXVIII hat der in Blutschande lebende Mann ein so schweres Ver- brechen begangen, daß es nicht durch den Ozean weggespült werden kann: Ecquid scis quantum suscipiat sceleris? Suscipit . . . quantum non ultima Tethys nee genitor Nympharum ahluit Oceanus.

^ Ovid Fasti IV 778 ff. Bei den Türkis in Turkestan existiert ein Frühlingsfest, an dem sie über ein Feuer springen, wodurch sie sich von begangenen Sünden befreien und vor den Angriffen der Dämonen schützen (A. Featherman Soc. Hist. of Baces of ManJcind IV, 287). Im heutigen Griechenland und in der Türkei zündet man zur Zeit der Sonnenwende ein Feuer an, durch welches die Frauen springen mit dem Rufe: *Ich lasse meine Sünden' (Preller Böm. MytJi. 1 41, Boul Les Turques en Europe II 500).

^ Ovid Met. XI 132 141. Das Wasser vermag nach antiker Auf- fassung vom menschlichen Körper alles, was irgend dem Tode verfallen ist, wegzuspülen und es ins Meer zu tragen, so daß nur noch der bessere, der unsterbliche Teil vom Menschen zurückbleibt (Ovid Jf et XIII 9ö0ff., XIV 601 ff.).

364 ^- Scheftelowitz

Die Verehrerinnen der Isis glaubten durch zahlreiches Baden im Flusse ihre ehemaligen Sünden zu sühnen und so ihre ur- sprüngliche Unschuld wiederzugewinnen; JuvenaP schildert^ wie sie sogar im Winter das Eis des Tibers aufschlagen, um im Flusse ein Bad zu nehmen. Die im Rufe großer Unzüchtigkeit stehenden Mysterien der thrakischen Göttin Kotys waren mit einem Bade der Eingeweihten verbunden, weshalb diese Mysten. Bdntai hießen.^

Während die heidnischen Völker sich nur aus Furcht vor dem Zorne der Götter vor der Sündenstrafe, die in Krankheit und Elend besteht, sich von den Sünden durch äußere rituelle Mittel zu reinigen suchen^, so erstreben die biblischen Pro- pheten die Besserung des inneren Menschen. Die Sünde ver- mag der Mensch nach biblischer Auffassung nicht durch Ver- ehrung, Opfer und Wasser, sondern vor allem durch Reue und einen reinen Lebenswandel zu sühnen.* ^Selbst wenn du dich mit Lauge waschen und dir reichlich Seife nehmen würdest, so würde deine Sünde kleben bleiben vor mir, spricht Gott, der Herr' (Jerem. 2, 22). So bleibt der jüdischen Religion das Verdienst, das Sittliche in seiner Reinheit und Voll-

^ Saiirae VI 524 ff. : Hibernum fractä glacie descendet in amnem Ter matutino Tiberi mergetur et ipsis Vorticihus timidum caput dbluet.

* Pauly-Wissowa Bealenzylcl. d. Jclass. Alt. II 2850. Auch im Altnor- dischen scheint Mordtat durch Baden im Ozean getilgt werden zu können. Nach der Edda entzieht sich Gudrun, welche ihren zweiten Gatten Atli und seine Kinder ermordet hatte, der furchtbaren Strafe der sie ver- folgenden Nornen dadurch, daß sie sich in die See stürzt, ans jenseitige Ufer schwimmt und dort im Lande des Jonakur ein neues Leben beginnt {Gudrunarhvöt 12 f.).

^ Selbst die altindische Philosophie der üpanisads vermochte sich nicht von diesen primitiven Vorstellungen frei zu machen, vgl. Nrsim- hapürvatäpaniya Up. 2, 1 : 'Wer sich vor dem Tode, vor den Sünden und vor der Seelenwanderung fürchtet, der ergreife seine Zuflucht zu der Nrsimha-Formel, so besiegt er Tod, überwindet die Sünde und die Seelen- wanderung/

* VgL Ps. 51, 8 u. 110, 12; Mika 6, 6ff. ; Hos. 6, 6; Am. 5, 21 25; Jes. 1, 11—17; Jes. 7, 21—23; Jes. 55, 6—7.

Die Sündentilgung durch Wasser 365

kommenheit zuerst erkannt zu haben. Daher ist die volkstüm- liche Idee von der Abwaschung der Sünde in dem Alten Te- stament zu einem poetischen Bilde erstarrt^, vgl. Jes. 1, 16: Waschet euch, reinigt euch, schaffet eure bösen Taten weg, höret auf zu freveln.' Ezech. 36, 25 f.: 'Ich werde über euch reines Wasser sprengen, daß ihr rein werdet; von all euren Unreinheiten und Lastern will ich euch läutern.' Ps. 51, 4: ^Wasche mich ganz rein von meiner Schuld, und von meiner Sünde reinige mich.' Ps. 73, 13: 'Nutzlos habe ich mein Herz reingehalten und meine Hände in Unschuld gewaschen.' Hiob 9,29 31: 'Ich soll schuldig sein? Wozu nun mich abmühen? Wenn ich mich auch im Schneewasser wüsche und meine Hände mit Seife reinigte, dann würdest du (Gott) mich in Schlamm tauchen, daß er meine Gewänder besudelte.'

Daneben hat sich aber im israelitischen Volksglauben noch die Vorstellung von der sündentilgenden Kraft des Wassers lebendig erhalten. So heißt es Zach. 13, 1: 'An jenem Tage wird sich eine Quelle öffnen dem Hause Davids und den Be- wohnern Jerusalems für die Sünde und die Unreinheit.' In Pesiqtä Rabbäti P. 20 heißt es: 'Das Sternbild des Eimers ist deshalb von Gott erschaffen, weil Gott auf die Menschen reines Wasser sprengen wird, um sie von ihren Sünden zu reinigen.' Nach Firqe de Mab Eli^ezer cap. 20 hatte Adam nach dem Sündenfall sich sieben Wochen lang in einem Flusse gebadet und dabei gefastet, wodurch er die göttliche Vergebung er- langte. Jesaja Horwitz, der um 1600 gelebt hat, erwähnt in seinem Werke Sene Luhöt Jidbberit den Volksbrauch, daß man am Vorabend des Versöhnungsfestes ein Tauchbad im Quell- wasser nehme; er sagt, man solle jedoch vor dem Bade voll

^ Wenn 4. M. 8, 7 das Lustrationswasser, womit die L^iviten, wenn sie unrein geworden waren, besprengt worden sind, niüH "*?: 'Entsün- digungswasser' heißt, so scheint ursprünglich dieses Wasser auch zurSünden- reinigung benutzt worden zu sein. Der hebräische Ausdruck nbD 'Sünden Tergeben' bedeutet eigentlich etymologisch 'besprengen" (assyr. salächu 'besprengen').

366 I. Scheftelowitz

Reue dreimal das Sündenbekenntnis hersagen, ^denn das Tauch- bad reinigt nur die Bußfertigen von allen Sünden'.^

Diese primitive Vorstellung von der sündentilgenden Kraft des Wassers spielt auch in der altcbristliclien Taufe eine große Rolle. Die Taufe gebt ursprünglich auf die altjüdische Vor- schrift zurück, daß ein Heide, wenn er zum Judentum über- trat, unmittelbar nach seiner Beschneidung ein Tauchbad in einem fließenden Wasser nehmen mußte.^ Nach dem Talmud war das Bad deshalb vorgeschrieben, um hierdurch die an den Heiden haftende Unreinheit des Götzendienstes zu beseitigen, denn sowohl Menschen, die die im Alten Testament vorgeschrie-

^ T^miiy h'Di2 i)Dii:3> i'n'üb nm^ön '^b:^sb nb-^nürr n*^?! ^^ Michel Ep-

Btein Qissur sene luhöt hdbberit, Fürth 5492 Bl. 77 b. Noch heute existiert dieser Brauch bei den slawischen Juden. Nach der älteren Auffassung diente das Tauchbad, das man vor Beginn des Köshassänä- Festes und des Jömkippur nehmen sollte, nur zur rituellen Reinheit, da man die an diesen heiligen Tagen im Tempel vorgeschriebenen Gebete nur in rituell reinem Zustande sprechen dürfe {KolBö % 64 und 68, Venetia 6327, 69 a und 75 a), vgl. auch Misnä Jömä III, 3 ; Josephus Arch. XVIII 5, 2 betont, daß die Essäer das Tauchbad nur zur Heiligung des Leibes, 'nicht aber zur Abbüße irgendwelcher Sünde' (fir/ iTti tlvcov ä^ccgtciScov TiaQuitriGSi) anwendeten. Der niedere Volksglaube scheint jedoch in dieser Zeremonie des Tauchbades eine Art Sündentilgung gesehen zu haben.

* Vgl. Schürer Gesch. d. Jüd. Volkes lll 181 f; Scheftelowitz in diesem Archiv XIV 17; H. Windisch Die Taufe und Sünde im älteren Christen- tum 1908; Fortheringham The doctrine of Baptism in Holy Scripture in Princeton Theological Review IlI 441 ff., 6 18 ff.; Drews in Herzogs RealenzyJcL f. prot. Theologie^ XIX 399; W. Brandt Die Baptismen und religiösen Waschungen im Judentum 1910, 58 ff.; G. Hoennicke Judenchristentum 1908, 271 ff. Die jüdische Vorschrift, daß diejenige Person, die ein solches Tauchbad nahm, jeden Ring ablegen und daß eine Frau ihre Haare lösen und die Haarnadeln entfernen mußten, damit das Wasser den Körper vollständig berühre (vgl. Josef Karo Jore de'ä § 198), herrschte auch in der altchristlichen Kirche (F. Dölger Exor- zismus im altchristlichen Taufritual 1909, 112). Nach R. Jaäqöb Ben Mose Hallewi, der im 14. Jahrhundert lebte, dient das Tauchbad des Proselyten zur Buße (üisTiibn). Aus demselben Grunde wäre es auch üblich, vor Be- ginn des Versöhnungsfestes ein Tauchbad zu nehmen. {Sefer Maharil P. Hilköt Jörn Kippur, Frankfurt a. M. 5448 Bl. 114 a.)

Die Sündentilgung durch Wasser 367

benen Reinheitsgesetze außer acht gelassen hatten, als auch Gegenstände, die von Heiden herrührten, galten für unrein.* Das für den Proselyten vorgeschriebene Tauchbad war also im Judentum nicht das Symbol der Sündenreinigung, sondern nur ein Mittel zur Erlangung der levitischen Reinheit. Diese jüdische Vorschrift des Tauchbades für den Neophyten hatte ursprüng- lich auch der Islam entlehnt. Dieses sollte den Neophyten von der rituellen Unreinheit befreien, die er vorher nicht beob- achtet hatte.^ Nach der jüdischen Auffassung werden dem Proselyten nicht durch das Tauchbad, sondern durch die An- nahme und Befolgung der Toravorschriften die früheren Sünden vergeben, weshalb ^er einem Neugeborenen gleicht'.^

Im Christentum ist nun diese Taufe mit der damals herr- schenden heidnischen Vorstellung von der sündentilgenden Kraft des Wassers verquickt worden. Die Taufe diente nach alt- christlicher Meinung zur Reinigung von den Sünden, vgl. Marc. 1, 4, Luc. 3, 3, Römer 6, 1 13, Augustinus Epistolae 185,43: non haptizas, ut aUuas a peccatis? Augustinus* nennt daher die Taufe auch sacramentum remissionis peccatorum. Clemens Alexandrinus^ hebt hervor, daß durch die Taufe Ver- gebung der bisherigen Sünden eintritt.

Auch in der mandäischen Religion, die sehr viele christ-

^ Jebämöt 46 ; Keritöt 9 a; Pesahim 92a; 1. Mos. 35, 2 ; 4. Mos. 31, 23 f. ; Jer. 2,23; 7,30. Ez. 20, 31; 22, 4; 23, 7; 36, 18. E. König in Herzogs JReälenzyJcl.^ XVI 579. Weil die Götzen für unrein galten, so hat Josia die Asche der verbrannten Götzen auf den unreinen Ort, nämlich auf den Leichenplatz, geworfen (II Reg. 23, 16).

^ J. Goldziher in diesem Archiv XIII 32.

' Jer. Röshassänäh 4, 8; Bab. Jebämöt 48b.

* De&opi.Vcap 21§29,vgl. auchDamasicarmmal01,5: ablue fönte sacro veteris contagia vitae; Hieronymus Comm. Zach. 3, 13: huius . . . sordes Christi abluentur baptismate; Cyprianus JEpist. 75, 17: per baptismi sacra- mentum sordes veteris homines abluere. Nach Origines In Luc. Evang. Hom. 15 werden die Sünden, mit denen das Kind geboren wird, durch die Taufe beseitigt. Bereits der jüdische Häretiker Elchasai empfahl das Tauchbad im fließenden Wasser als Mittel gegen sämtliche Sünden (W. Brandt Die jüd. Baptismen 99 ff.). ^ Stromata II 20, 116, 3.

368 ^' Scheftelowitz

liehe Elemente enthält, bewirkt die Taufe, die ein Tauchbad in fließendem Wasser ist, die Vergebung der Sünden.^ Der Mandäer, der durch eine Sünde unrein wird, reinigt sich hier- von durch Waschungen und Gebete. Alljährlich findet auch für die ganze Gemeinde ein fünftägiges Tauffest statt, wodurch man wieder Sündenreinheit erlangt.^

Die mandäische Auffassung, daß das neugeborene Kind durch die Taufe vor den Dämonen gerettet ist^, ist den primitiven Glaubensvorstellungen entlehnt. Das neugeborene Kind gilt nämlich bei vielen heidnischen Völkern Europas, Afrikas, Asiens, Amerikas und der Südsee als von Dämonen besessen oder bedrängt und muß daher durch eine Wasserzeremonie gegen Dämonen gefeit werden. Entweder wurde das Kind in einem Flusse unter- getaucht oder völlig gewaschen oder mit Wasser besprengt.^

^ Keßler in Herzogs Bealenzykl^ XII 174.

2 Keßler a. a. 0. XII 175, 174.

^ W. Brandt Die Mandäische Religion 1889, 67; Keßler in Herzogs RealenzyJcl.^ XII 174. Auch nach den pseudoclementinischen Schriften vertreibt die Taufe 'die zum Bösen verführenden Dämonen' (W. Brandt Die jüd. Baptismen 97).

* Zahlreiches Material hierfür hat H.Ploß Das Kind P 295 ff. ge- sammelt. Ich will hierzu noch mehrere Belege hinzufügen. Aristoteles Folit p. 1336 B. berichtet, daß manche barbarischen Völker die neu- geborenen Kinder in einem Flusse untertauchen. Im Flusse gebadet wurde das neugeborene Kind bei den Malaien (Skeat und Bladgen Malay Magic 1900, 334), in Java, Malakka {Glohus 84, 232), auf Celebes, Su- matra (Featherman Soc. Hist. of races of Mankind 1887, II 65, 327), bei den Dajaks {Globus 72, 272), den Santals in Indien (Featherman a. a. 0. 1891, IV 65), den Garos in Assam (Playfair Garos 1911, 99). Bei den Wotiäken wird das Kind zum Schutze gegen die Dämonen gleich nach der Geburt mit Asche abgerieben und dann in Salzwasser gebadet (Featherman a. a. 0. IV 532, Globus 40, 326). Auch in Westschottland wurde das Kind gleich nach der Geburt in Salzwasser gebadet und mußte dreimal davon schmecken, denn Salz galt für ein Apotropäum {Globus 36, 287). Die Neger in Afrika besprengten das Kind gleich nach der Geburt mit Wasser {Globus 90, 385; R. H. Nassau Fetichism in West-Africa 1904, 213; S. R. ^iQinvuQiz Rechtsverhältnisse von eingeborenen Völkern 1903, 308; A. B. EUis Yoruba - speaking peoples 1894, 153; A. F. Mockler-Ferryman British Nigeria p. 231). In Indien besprengt der Purohita gleich nach

Die Sündentilgung durch Wasser 369

Außer den biblischen Propheten, die den Begrijff der Sünde innerlich erfaßt haben, bekämpfen einzelne buddhistische und jainistische Schriften die Auffassung, daß die Sünde rein äußer- lich beseitigt werden kann. ^Nicht durch Wasser wird der Mensch rein, mag er auch noch soviel baden; in dem Wahrheit und Tugend wohnt, der ist rein, der ist ein Brahmane.'^ Ebenso bemerkt der Jainist Arvitagati: 'Einige behaupten, man könnte durch das Baden auch ohne früheres sittliches Leben sofort rein werden; das ist falsch; denn das Wasser kann kaum den äußeren Schmutz abwaschen, um wieviel weniger den inneren; nur die Tugend macht rein.'^ Ahnliche Gedanken haben auch einzelne griechische und römische Philosophen ausgesprochen So sagte Theophrastos in seiner Schrift il£(>i svösßsCag^: 'Man

der Geburt die Wöchnerin, das Kind, den Yater wie auch das ganze Haus mit Weihwasser, um die unreinen Dämonen zu bannen (J. A. Dubois Hindu Manners, Customs etc. Oxford 1899, 157). In Madagaskar, Neu- seeland und Samoa wird das neugeborene Kind in einem Flusse oder in der See gebadet (A. v. Gennep Tahou et Totemisme ä Madagascar 175ff.; R. Taylor New Zedland and its Inhabüants 1870, 185; J. S. Polack Manners and Customs of the New Zealanders 1840, I 48 ; J. B. Stair Old Samoa 1897, 177). Bei den Pueblo-Indianern wird der Kopf des Kindes 20 Tage nach der Geburt mit geweihtem Wasser gewaschen. Ebenso wird das Kind am dritten Tage nach seiner Geburt bei den Cherokees getauft (Whipple Beport upon the Indian Tribes^ Washington 1855, 36; F. Krause Pueblo Indianer^ Halle 1907, 89). Die Mexikaner badeten das Neugeborene in einer Quelle, wodurch jedes Unheil von ihm abgewendet wurde {Globus 27, 318). Bei den Tlinkit-Indianern wurde es mit kaltem Wasser gewaschen (A. Krause Tlinkit- Indianer 1885, 215). Der Blackfeet- Indianer badete das Neugeborene sofort in kaltem Wasser und färbte dann seinen ganzen Körper rot {Globus 70, 323 f.). Die Germanen be- netzten das neugeborene Kind mit Wasser, wodurch es gegen alle dämo- nischen Einflüsse geschützt ist, 'dann vermag einst den Mann sogar im Gemetzel der Schlacht kein Feind mit dem Schwert zu erschlagen' (Rigsmal 8; 18; 31; Havamal 161).

^ üdäna I 9, transl D. M. Streng, London 1902.

^ Vgl. N. Mironow Dharmapariksä des Amitagati (Straßburger Diss.) 1903, 37.

^ Vgl. J. Bernays Theophrastos' Schrift über Frömmigkeit S. 66 f.: ToLvvv y(,ad"riQaiiEvovg to rjd'og Uvcci d'vöovTccgj tot? d'sotg Q'eocpiXstg tag d'vöLccg TtQOödyovtccg ccXXcc fii} JtoXvtsXstg. vvv äh ied'iircc ^ikv XafiJCQccv tcsqI Archiv f. Eeligionswissenscliaft XVII 24

370 ^' Scheftelowitz

muß also die Gresinnung reinigen, etie man opfern geht und den Göttern gottgefällige Opfer darbringen, nicht kostbare. Jetzt aber glauben die Menschen allerdings, daß ein sauberes Gewand, um einen unreinen Leib angelegt, der zum Opfer er- forderlichen Reinheit nicht genüge; wenn hingegen Leute sauber zwar an ihrem Leibe wie in ihrer Kleidung, jedoch mit einer vom Bösen nicht gereinigten Seele zum Opfer gehen, so glau- ben sie, das mache nichts aus, als wenn die Gottheit nicht am meisten Gefallen haben müßte an dem reinen Zustande unseres göttlichsten Teiles, der ihr ja der verwandteste ist. Im Vorhofe zu Epidauros hatte man auch die Inschrift angebracht: »Nur wer rein ist, betrete die Schwelle des duftenden Tempels, nie- mand aber ist rein, außer wer Heiliges denkt«.' *Ein Flecken in der Gesinnung', sagt Cicero^, *kann weder durch die Länge der Zeit entschwinden, noch durch Ströme Wassers abgespült werden.'

2 Mittelbare Übertragung der Sünden auf Wasser durch eine magische Handlungsweise

Sündenschuld konnte nach primitivem Glauben durch Be- rührung mit der Hand und durch eine magische Handlung auf ein anderes Wesen oder einen Gegenstand übertragen werden, die dann zwecks endgültiger Beseitigung der Sünde gewöhn- lich ins Wasser geworfen wurden. Eine derartige Sündenüber-

6&ILCC iiT] Kccd'aQov cc^(pi,B6a^ivoig ovx &QXEiv vo^l^ovöl Ttgbg rb tmv d'vci&v ayvov, oxav dh to öm^ia fisrcc tfjs i6d"rir6g rivsg Xa^iCQVVouLBVOi iir} Kad'ccgav TtUK&v X7]v ipvxi]v ^ovre? l'coöt Tcgog rag Q-vGlccg^ ovShv SiacpigEiv vo^i^ovGiVy möTtSQ ov t& d'SLOTccTq} ys t&v iv ij^tv %atpofra ^idXiöTcc tbv d'sov Slccxsl- fiEvoj Kccd'aQ&gy ats övyysvst nsfpvKori. iv yovv 'E7tidccvQ(a 'nQosysyQanro'

äyvbv XQ'h vaolo %'vmdhog ivtbg lovra ^^^svat,' ayvsir] d' ^6ti cpqovBlv o6ia.

* De legibus II 10. Über weitere Belege dafür, daß in klassischer Zeit vielfach die äußere ritnelle Reinheit als Symbol der moralischen Reinheit aufgefaßt ist, siehe Plato leg. lY 716 E, ferner Th. Wächter JReinheüsvorschriften (RGW IX 1) S. 8flF.

Die Sündentilgung durch Wasser 371

tragung bezeichnete der alte Inder mit dem Verbum mrjati ^jemandem (Sünde) anwischen'.^

Im alten Peru hat der von Sünden niedergebeugte Mensch dem Priester an dem Rande eines fließenden Wassers gebeichtet. Der Priester riß dort eine Handvoll Grras aus und ließ den Beichtenden in dasselbe spucken und warf dann dieses Bündel Gras, auf welches durch den Speichel der Sündenstoff über- tragen ist, in das Wasser, indem er betete, daß das Wasser das Gras mit den Sünden in das Meer tragen möge, damit sie dort auf immer versenkt seien. Wenn der Inka sich seiner Sün- den entledigen wollte, ging er mit einem Büschel Gras in der Rechten an den Strom herab und erzählte dort dem Sonnen- gott seine Sünden und bat dann den Fluß, seine Sünden in das Meer zu tragen, spuckte in das Gras und warf es in das Wasser. Hierauf stieg er in das Wasser und sprach: 'Ich habe meine Sünden gebeichtet, du, o Fluß, empfange sie und trage sie zum Meere, damit sie nicht mehr erscheinen.'^ In Neusee- land übertrug ein ganzer Stamm seine Sünden mittels einer Beschwörung auf eine Einzelperson. An diese Person wurde dann ein Farnkrautstengel angebunden, mit welchem sie in einen Fluß sprang. Dort band sie sich den Stengel, auf den alle Sünden hinübergeleitet sind, vom Körper los. Der Stengel, der alsdann zum Meere hin fortschwamm, trug gleichzeitig alle Sünden des Stammes davon.^ Der Neuseeländer, der seine Sün-

^ Vgl. Ath. VedaYl 113, 1; Maitr. Samh. lY 1, 9. 'An (den göttlichen) Trita wischten die Götter diese Sünden ab; Trita hat sie an die Men- schen abgewischt. Wenn davon etwas an mich gekommen ist, so soll mich das Hausfeuer von dieser Sünde lossprechen' {Taitt. Brähm.lU. 7, 12, 5).

' J. J. V. Tschudi Beiträge zur Kenntnis des alten Peru, Wien 1891, 65 f.

' R. Taylor New Zealand and its Inhdbitants 1870, 101. Auch nach einem aramäischen, in Babylonien gefundenen Zaubertext kann man Sünde und Schuld (NnNün, N73'^1DÖ<) mittels eines Zaubers auf einen un- schuldigen Menschen übertragen (Schwab Froc. of the Soc. of Bibl. Arch, XII 299). In England und Irland glaubte man, daß die Sünden eines Toten auf einen Lebenden übertragen werden könnten, wenn jener Speisen, die man zuvor auf den Leichnam gelegt hatte, verzehrt. Zu

24*

372 ^- Scheftelowitz

den los werden wollte, warf einen Fisch in die See, der nach seiner Meinung seine Sünden hinwegträgt.^

Bei dem Gebet um Sündenreinheit warf der Babylonier die Sünde, in irgendeiner materiellen Form verkörpert, ins Wasser.^ Er flehte: 'Mein Drangsal möge der Fisch wegnehmen, der Strom fortführen.' 'In Not bin ich, mein Drangsal ist groß, die Erde empfange und trage mein Drangsal ins Meer.'^

In der Shintoreligion Japans wird man auf folgende Weise rituell und moralisch rein: man bittet den Priester um eine menschliche Papierfigur, die eine Stellvertretung für den Men- schen bezeichnet, schreibt darauf sein Geburtsdatum und Ge- schlecht und reibt diese Papierfigur über seinen Körper. Auf diese Weise wird die moralische Unreinheit auf die Figur hin- übergeleitet. Alsdann gibt man sie dem Priester zurück, damit er sie ins Meer versenke. Auf solche Papierfigürchen werden auch Krankheitsdämonen übertragen, weshalb viele Kinder die- selben stets in ihrem Amulettbeutelchen haben.* Die sündhaften Israeliten, welche ihre Sünden abbüßen wollten, versammelten sich in den Tagen Samuels zu Mizpa, 'dort schöpften sie Wasser und gössen es aus vor Gott; sie fasteten an jenem Tage und sprachen: Wir haben gesündigt gegen Gott'.^ Das Wasser soll hier gleichsam die Sünde wegspülen. Jesaja Horwitz erwähnt in seinem oben S. 365 zitierten Werke Sene lüJwt habherit, daß unter den Juden der Volksglaube herrsche, man könne am Neu- jahrstag, wenn man an einen Fluß gehe, dort seine Sünden ab-

diesem Zwecke wurde oft ein Mensch gemietet, daß er die Sünden des Verstorbenen auf sich nehme. Ein solcher wurde 'sin-eater' ge- nannt (Wood -Martin Traces of the eider faiths of Ireland 1902 I 295).

^ Polack Manners and Customs of New Zealanders 1840, I 264.

2 M. Jastrow Beligion der Assyrer und Babylonier II 96.

8 M. Jastrow a.a.O. S. 94 und 95. * E.Schiller ;S/imto, Berlin 1911, 69 f.

° 1. Sam. 7, 6. Bei den Graslandbewohnern Nordwestkameruns nimmt alljährlich der Häuptling eine Reinignngszeremonie vor, bei der er durch Ausgießen von Wasser auf der Schwelle seines Gehöfts das Gemeinwesen entsühnt (B. Ankermann Korrespondenzbl. d. deutsch. Ges. f. Anthrop., Ethn. u. ürg. 41, 82).

Die Sündentilgung durch Wasser 373

schütteln, indem man die Taschen seiner Kleider ausschüttele. Diese Anschauung hält er für eine Entweihung Gottes ; er sagt, nur deshalb pflege man am Neujahrstag zu einem Flusse, der Fische enthält, zu gehen, weil die Menschen mit lebenden Fischen zu vergleichen sind, welche plötzlich in ein Netz ge- fangen werdend Also die Rabbiner suchten diesen Brauch als ein ideales Symbol aufzufassen und ihm jede magische Wir- kung abzusprechen. Der Wert dieser äußeren Handlung besteht nur noch in dem subjektiven religiösen Gefühl, das an dieses Symbol geknüpft ist. Noch heutzutage schütteln die slavischen Juden am Neujahrstage ihre Taschen am Flusse aus und werfen Brotkrumen ins Wasser für die Fische, mit dem Wunsche, daß sie die Sünden wegtragen sollen, indem sie folgendes Gebet sprechen: 'Wer ist ein Gott wie du, der Schuld vergibt und Missetaten nachsieht dem Überreste seines Erbes. Nicht auf immer läßiT er anhalten seinen Zorn, denn Gefallen hat er an Gnade; wie- derum wird er sich unser erbarmen und unsere Schuld unter- drücken; du wirsjb alle ihre Sünden, in die Tiefen des Meeres senden.^ Alle Sünden deines Volkes, des Hauses Israel, wirst du an einen Ort senden, wo ihrer nicht gedacht und ihrer nicht erwähnt wird und wo sie nimmer in den Sinn kommen. Du wirst Treue erweisen Jakob, Huld dem Abraham, wie du geschworen unsern Yätern von den Tagen der Urzeit her.'* Die Eingeborenen von Sukla-Tirtha in Indien legen ihre

1 Vgl. Micliel Epstein Qismr sene luhöt habberit, Fürth 5492 Bl. 73 a; Selömö Lurja (Silo) Masseket Bös hassänäh, Abschnitt 'Ämöd haddin. Der im 14. Jahrhundert lebende Ja'aqöb Ben -Mose Hallewi, der diese Sitte kennt, bemerkt, daß man jedoch den Fischen keine Nahrung zu- werfen solle {Sefer Mdharü, Frankfurt a. M. S. 448 Bl. 97 b). R. Moses Isseries, der im 16. Jhdt. lebte, beachtete nicht diesen Brauch [Leqet jäser I 97 a). R. Jösef Karo erwähnt nicht diesen Brauch in seinem Sulhän Ärük. Scheftelowitz in diesem Archiv XIY 116 f.

* Nach dem Ausdruck 'du wirst senden' (hebr. taslik) hat dieser Brauch den Namen Taschlich erhalten.

* Dieses Gebet, das sich in allen Gebetbüchern findet, ist mit Aus- nahme eines Satzes aus Mika 7, 18 20 entnommen.

374 I- Scheftelowitz

sämtlicilen Sünden in einen Topf und werfen ihn in den Fluß.^ Die Biajas auf Borneo und die Brahmanen in Siam laden all- jährlicli alle Sünden und alles Unlieil auf ein kleines Boot und stoßen es ins Meer hinaus. Die Leute desjenigen Schiffes, das mit diesem 'Sündenhoot' zusammenstößt, werden von allen die- sen Sünden und allem Unheil befallen.^

Grenau dieselbe Idee von der Übertragung der Sünde liegt dem biblischen Sündenbock zugrunde, auf den alle im Laufe des Jahres unabsichtlich begangenen Sünden des Volkes am Ver- söhnungstage kraft der Handauflegung des Hohepriesters auf den Bock übertragen werden. Sowohl der Hohepriester, der den Sün- denbock berührt hatte, als auch der Bote, der den Bock in die Wüste führte, mußten ein Bad nehmen und sich die Kleider waschen, da sie durch die Berührung mit dem Sündenbock, an 'dem alle Sünden des Volkes hafteten, infiziert worden waren.^ Vielleicht gab es ein Analogon zum biblischen Sündenbock auch in Rom. Eine Ziege ^mit leuchtendem Gehörn' hatte sich in der Stadt gezeigt. Man entfernte dies Portentum, indem man es zu- gleich dazu verwendete, den Sündenstoff der ganzen Stadt mitzu- nehmen, als sie aus den Grenzen der Stadt hinausgeführt wurde. 'Daß dies durch die Porta Naevia geschieht, hat seinen guten Grund . . . Vor der Porta Naevia liegt der Schlupfwinkel der Verbrecher: das sündenbeladene Tier gehört zu den sünden- beladenen Menschen.'* Die Batagas in Südindien übertragen

^ Frazer Golden JBough ^ III 106.

* A.Bastian Der Mensch in der Geschichte II 93; E. Young Kingdom of the yellow rohe 1900, 361.

^ Vgl. III M. 16. In einem etwa aus dem 10. Jhdt. n. Chr. stammenden Gebete heißt es: „Befleckung mit bewußten und unbewußten Sünden reinigte der fortgeschickte Bock, er trug sie zu dem Felsen der Wüste {Selihöt lemussafseljöm Kippur^ beginnend mit den Worten: Ariel hihejöto).

* R. Wünsch in Siebs' Festschrift zur Jahrhundertf eier der Universität zu Breslau 1911, 17f. Im alten Peru warf der Oberpriester seine Sünden ins Feuer, indem er während seiner Sündenbeichte einen Strauß von Gras und wohlriechenden Blumen in der Hand hielt, dann darein spuckte und ihn ins Feuer schleuderte mit dem Wunsche, daß der Rauch seine Sünden weit wegtragen möge (J. J.v. Tschudi Beiträge zur Kenntnis des alten Peru 66).

Die Sündentilgung durch Wasser 375

beim Tode eines Mannes dessen Sünden mittels eines Zaubers auf ein Büffelkalb, das zu keinen Arbeiten verwendet werden darf und das, wie sie glauben, bald spurlos verschwinden wird> Juvenal VI 521 ff. berichtet uns, daß der sich sündig fühlende Verehrer der Magna Mater seine Kleider auszieht und sie dem Oberpriester (Archigallus) überreicht, um so auf diese Weise sich der Sünden des ganzen Jahres zu entledigen (ut, quidquid suhiti et magni dis criminis instat, in tunicas eat et totum semel expiet annum),

3 Ursprung der Idee von der sündentilgenden Kraft des Wassers Den primitiven Menschen beugt die Sünde nicht deshalb nieder, weil sie einen Bruch mit der sittlichen oder göttlichen Weltordnung bedeutet, sondern weil er sich vor den Unheil und Krankheit bringenden Dämonen fürchtet. Nach der primi- tiven Anschauung ist die Sünde ebenso wie jedes Unheil von Dämonen verursacht.^

^ Frazer Golden Bough^ III 16.

* Vgl. Polack Manners and Customs of New Zealanders 1840, I 236; Sp. St. John Life in the forests of the far JEast 1863, I 70. Auch den Römern und Papuas schienen Krankheiten und Leiden von bösen Gott- heiten herzurühren (Juvenal Satirae XIII 229 ff. ; Globus 78, 4). Das Unglück (päpman) ist im Altindischen als ein Dämon {äsura) aufgefaßt worden; vgl. A.Weber Ind. Stud. IX 149 ff. In der altpersischen Religion sucht Angromainyu den Zarathustra zu verführen, indem er ihm irdische Güter bietet, wenn er Ahuramazda untreu werden würde {Vendidäd 19). Buddha wird ebenfalls von dem Teufel (Mära) versucht, der ihn davon abzu- bringen sucht, ein Heiliger zu werden; er verspricht ihm dafür, daß er innerhalb sieben Tagen die Herrschaft über die ganze Welt erlangen werde {Nidänakathä p. 63). Auch Abraham und Isaak werden, als Abraham Gottes Gebot, seinen Sohn zu opfern, ausführen wollte, von dem Teufel in Versuchung gebracht {Talm. Sanhedrin 89 b; Beresit Bahbä P. 66 zu cap. 22, 7). Der Satan sucht in Gestalt eines schönen Weibes die Weisen Rabbi Akiba, Rabbi Meir und Rabbi Matia zur Sünde zu verleiten (Talm. Kiddusin 81a, Midras Jalqut I M. c. 49). Der Teufel wollte den hl. Antonius von der Askese abhalten, indem er ihn an seinen früheren Besitz, an die Sorge für seine Schwester, an seinen vornehmen Stand, an den Genuß er- innert. Als dieses vergebens war, suchte ihn der Teufel in Gestalt eines schö-

376 I- Scheftelowitz

Nach 1. Chron. 21, 1 verleitet Satan den David zu einer Sünde.^ Im Buche der Jubiläen und im Henochbuche suchen böse Geister den Menschen zur Sünde zu verleiten. In ur- christlicher Zeit kommen vom Satan, dem obersten Dämonen, nicht nur die Krankheiten und Leiden^, sondern auch alle Sün- den her.^

Im primitiven Glauben ist die Sünde als ein von Dämonen herrührender Stoff angesehen worden, der Unheil zur Folge hat, und sie ist nur wegen des damit verbundenen Unheils ge- fürchtet worden. Der Sündenstoff war also mit Unheil iden- tisch, da beides für etwas Dämonisches angesehen worden ist. Der Sünder ist mit dämonischem Stoff behaftet. So steht im Altindischen die Vorstellung von der Sünde auf einer Linie mit Behextheit, mit Unheil und bösen Träumen, die sämtlich das Wasser fortzutragen vermag.* Im griechischen Zauber werden Sünde und Meineid in derselben Weise wie Dämonen,

nen Weibes zur Wollust zu verführen (vgl. G. Eoskoff Gesch. d. Teufels 1869, 278). Über die Yersucliang Jesu durch den Satan (Matth. 4, Luc. 4) vgl. E. Windiscli Mära und Buddha 1895, 214fF. Die heidnische Vor- stellung von dem eigenmächtigen Walten der schädigenden Dämonen erfuhr im biblischen Monotheismus eine Umwandlung. Sie können nicht ohne Gottes Geheiß Schaden zufügen. Gott allein hat Gewalt über sie, er kann ihr Wirken hindern oder zulassen, so daß also in Wirklichkeit alles Übel von dem einzigen Gott selbst veranlaßt wird. Gott aber sucht deshalb die Menschen durch diese Dämonen heim, um sie zu versuchen, zu prüfen. So entwickelte sich aus dem Dämonenglauben die Gestalt des biblischen Satans, 'des Widersachers', der nur mit der Erlaubnis Gottes einen Menschen heimzusuchen vermag. Jedoch hat der Satan in späterer Zeit unter dem Einfluß der» persischen Religion auch manche Züge von dem persischen Angromainyu angenommen. So ist er nach dem Talmud nicht nur 'der böse Trieb', sondern auch 'der Todesengel' (Bäbä Baträ 16) und wird in der messianischen Zeit von Gott getötet werden (Sukkä 52).

^ Vgl. hierzu Ed. König Gesell; der alttestam. Religion 1912, 191 ff.

' Vgl. Matth. 12, 25ff.; Luc. 13, 16; Clemens Alex. Stromata 6, 268.

^ Joh. 13, 2 u. 27. So versucht der Satan Jesus (Luc. c. 4); vgl. Dölger Der Exorzismus im altchristUchen Taufritual.

^ Äth. Ved. V 30, 2—4, X 5, 24, vgl. Oldenberg Religion des Veda 288, Anm. 1.

Die Sündentilgung durch Wasser 377

böse Träume und Behexung durcli Exorzismus gebannt.^ Ebenso wird in der babylonischen Religion ein enger Zusammenhang von Sünde und Unheil angenommen, die als 'notverursachende Dä- monen' den Menschen bestürmen. So fleht der Sünder: *Du siehst gnädig auf den Sünder, und den Übeltäter weisest du täglich zu- recht . . . Ach verkünde Versöhnung meinem Gemüt, mit Tränen und Seufzern gesättigt . . . Vertreib die böse Hexerei aus meinem Leib . . . Wie lange noch, meine Göttin, soll der notverursachende Dämon mich bestürmen? Er hat mich anhaltend in Trauer ver- setzt . . . Krankheit, Siechtum, Verderben und Verwüstung haben mich befallen, Drangsal, Unmut, Unwillen und Zornesfülle . . . Löse meine Schuld, mein Vergehen, meine Missetat und Sünde.'* 'Mit brennendem Fieber belastet durch einen Dämon, mit böser Krankheit ist mein Körper geschwächt. Gegen einen bekannten oder unbekannten Gott habe ich schwer gesündigt.'^ Der ba- bylonische Priester fleht für den Sünder, der ein Opfer dar- gebracht hat: 'Erfasse seine Hände, befreie ihn von seiner Schuld, entferne E^rankheit und Elend von ihm! An der Mün- dung des Verderbens schmachtet dein Knecht; führe hinaus deine Strafe in den Fluß.'* Der Glaube, daß der Mensch durch einen Dämon, der in den Körper eindringt, zur Sünde verleitet wird, herrschte in Ägypten.^ Auch nach buddhisti- scher Anschauung dringt der Teufel (Mära) in den mensch- lichen Körper ein: 'In der Zeit aber war Mära der Böse dem ehrwürdigen Mahämogalläna in den Leib gefahren und saß in seinen Gedärmen', so berichtet ein buddhistisches Werk. Der Mära Düsin fährt in die brahmanischen Hausväter: 'Da nun schimpften, schalten, erzürnten, ärgerten diese von dem Mära Düsin besessenen brahmanischen Hausväter die tugendhaften,

* Ygl. Wessely JDenkschr. Wien. Ak. Wiss. X\^Yl^ 81: nvsvitaxa %%'6vLCCi aiiagriccL, övsigoi, oQycoL, ßaßuccvlccL.

^ M. Jastrow Beligion d. Assyrer u. Babylonier II 67flf. ' Jastrow a. a. 0. II 116.

* Jastrow a. a. 0. II 87.

^ Vgl. F. Zimmermann Die ägyptische Beligion 1912, 76.

378

I. Scheftelowitz

vortrefFliclien Mönclie.'^ Im Awesta wird der Sünder 'ein Ge- fäß der Dämonen' (daevanam xurribo) genannt.^ Diese An- schauung ist auch in den jüdisch - cliristliclien Quellen vor- handen. Den Sünder bewohnt, wie die Testamente der zwölf Patriarchen VIII 8 sich ausdrücken, der Teufel Vie sein eigenes Gefäß'. Der Verfasser des Barnabasbriefes nennt das von bösen Gedanken erfüllte Herz 'ein Haus der Dämonen'. Diese Be- zeichnung war durch das ganze 2. Jahrhundert bei den christ- lichen Schriftstellern geläufig.^ Die Anschauung, daß die Sünde durch einen bösen Geist hervorgerufen wird, der in den Men- schen einfährt, ist auch in den jüdischen Quellen des 3. Jahr- hunderts n. Chr. zu belegen. 'Der Mensch sündigt nur dann, wenn in ihn der Geist der Verblendung einfährt', sagt Rabbi Simeon Ben Lakis.* Im nachapostolischen Zeitalter glaubte man, daß ein jedes schwere Vergehen zur Folge hat, daß der Teufel in das Menschenherz eindringt. 'Gewiß ist' sagt Origenes 'daß zur Zeit der Sünde im Herzen eines jeden ein böser Geist ist.'^ Nach den klementinischen Schriften kehren mit den Sünden in die Seele Dämonen (ptvsv^ata) ein, welche aber durch die Taufe wieder ausgetrieben werden.^ Im 2. Jahrhundert herrschte die christliche Lehre, daß die Unge- tauften von bösen Geistern erfüllt wären, deren Austreibung die Taufe bewirkt. Die Taufe diente in den ersten Jahrhun- derten vor allem zur Abwehr dämonischer Einflüsse, sie hatte also einen exorzistischen Charakter.'^ In einem aus dem 3. Jahr-

^ Märatajjaniyasutta, vgl. E. Windisch Mära und Buddha., Leipzig 1895, 150, 152. 2 Yendidäd 8, 31 f.

^ F. Dölger Der Exorzismus im altchristlichen Taufritual 5 f., 26. Nach Matth. 12, 43 44 ist der Körper eines Kranken das 'Haus' eines Dämons.

* Talm. Sota 3 a. Die Sünde war nach dem damaligen jüdischen Volksglauben ein Dämon (Sanhedrin 64 a).

5 Dölger a. a. 0. 25 f., 35. *^ Dölger a.a. 0. 29 ff.

^ Dölger a. a. 0. 6 ff., 10 f.; 8, 160, 164. In dem Testament der zwölf Patriarchen wird Rüben vor folgenden sieben Geistern der Sünde (TtvEv- (iat(x tr]s 7fXdvr,g) gewarnt: TtOQvsia, yccctgi^agyia, iid^ri, yisvodo^icc, vtisq-

Die Sündentilgung durch Wasser 379

hundert stammenden christlichen Gebete, das man bei der Tauf- wasserweihe und bei der Eucharistie spricht, ist mit der Bitte um Vertreibung jedes bösen Dämons und um leibliche Ge- nesung auch gleichzeitig der Wunsch um Nachlaß der Sünden Yerknüpft: dies ist ^ein Beispiel dafür, wie sehr man gewohnt war, die Sünde einerseits als Grund der körperlichen Krank- heit, anderseits selbst als Krankheit zu fassen. Dadurch ist es auch nahegelegt worden, die Katechumenen genau wie die Kranken und Besessenen durch Darbietung von Exorzismus- brot und Exorzismuswasser von Sünde und Sündendämon zu befreien.'^ Sünde und Unheil stehen auch im Neuen Testament in engster Beziehung.^ Die Vorstellung, daß 'immaterieller Unsegen durch einen materiellen Reinigungsakt' entfernt wer- den kann^, beruht auf dem poly dämonischen Glauben, gemäß welchem jedes Unheil als eine dämonische Macht angesehen worden ist, die man durch gewisse kathartische Handlungen beseitigen kann. Von Dämonen bedroht hielt man den Kranken, die Wöchnerin, das neugeborene Kind, das weibliche Geschlecht während der Menses, das Brautpaar. Außerdem konnte ein Zauberer, da er Gewalt über die Dämonen hat, mittels eines Zaubers in jede beliebige Person einen Dämon hineinversetzen *

Ticpavlcc, ipEvdos, ädiyilcc. Nach Hermas sind die einzelnen Sünden gleich- falls als Dämonen zu denken (G. HoennickeJMfZencÄmieniwm 1908, 314 ff.). Origenes nimmt an, daß ein jedes größere Laster durch einen Haupt- dämon vertreten sei, dem wieder eine Menge der gleichen Gattung untergeordnet sind. 'Besiegt der Christ irgendein Laster durch die entgegengesetzte Tugend, so besiegt er dadurch auch einen Dämon' (F. Dölger a. a. 0. 34f.). Auf Grund solcher Anschauungen lehrte der jüdische Häretiker Elchasai, daß Tauchbäder in fließendem Wasser sowohl die Krankheiten als auch die Sünden beseitigen (W. Brandt Bie jüd. Baptismen 103). Nach altbiblischer Auffassung besitzt der Mensch die Willensfreiheit, vermöge deren er die sündhafte Regung zu unter- drücken vermag, vgl. V M. 30, 15 und 19; IM. 4, 7; Hieb 2, 10.

^ Dölger a.a. 0. 92. ^ Matth. 9, 2—6; vgL F. Dölger a. a. 0. 141 ff.

^ Vgl. L. Deubner in diesem Archiv XVI 133.

* Vgl. z. B. für das Ägyptische F. Zimmermann Die ägyptische Religion 1912, 75.

3gQ I. Scheftelowitz

Besonders erschien der Leiclinam als ein Haus der Dämonen, weslialb die Berührung mit ihm eine Lustrafcion erforderte. Die Mittel, die zur Yerscheuchung der Dämonen angewandt werden, wie Wasser, Feuer, Blut, Speichel, Amulette, dienen daher auch zur Beseitigung der Sünde, die ja eine dämonische Infektion ist. Für die Wegtilgung der Sünde durch Feuer habe ich bereits oben^ einige Beispiele angeführt. Der Myste des Kybelekultes glaubte, wenn sein ganzer Körper von dem warm herausspritzenden Blute des geschlachteten Opferstieres besprengt werden würde, ^durch diese Bluttaufe von seinen Sünden rein und der Gottheit gleich zu werden'. ^ Hat ein Eingeborener auf Borneo eine Sünde begangen, so opfert er ein Schwein und besprengt mit dessen Blut die Türen seines Hauses, wodurch die Sünde beseitigt ist.^ Nach dei^ römischen Volksglauben vermag derjenige, der darüber von Gewissens- bissen geplagt ist, weil er seinem Nebenmenschen eine schwere Körperverletzung beigebracht hat, seine Schuld dadurch zu be- seitigen, daß er in die Hand speit, mit der er die Wunde zu- gefügt hat. Hierdurch ist 'seine Schuld erleichtert' (levatur culpd).^ Im Altindischen diente jedes dämonenvertreibende Mittel, wie gewisse Kräuter, Amulette, Zaubersprüche, auch zur Vernichtung der Sündenschuld.^ So lautet das zu j^gveda

1 S. 363 Anm. 2 und S. 374 Anm. 4.

* F. Cumont Die oriental. Beligionen übers, v. Gehrich, 1910, 80.

3 Sp. St. John Life in ihe forests of the East 1863, I 164; H. Ling Roth Natives of Sarawak 1896, I 117. Der Dajak sühnt die Sünde der Blutschande dadurch, daß die ganze Ortschaft, in der ein einzelner diese begangen hat, durch das Blut eines Schweines oder Büfifels gereinigt wird (Grrabowski Globus 42, 28). Ähnliches geschieht bei der Sühnung einer Mordtat im alten Griechenland, vgl. oben S. 362.

* Plinius N. H. XXVIII 36.

^ Vgl. H. Oldenberg Religion des Veda 323, Wenn ein Jao in Britisch Zentralafrika seinen Bruder, sein Kind oder Sklaven erschlägt, so sühnt er dadurch seine Schuld, daß er dem Häuptling eine bestimmte Strafe zahlt, welcher ihm hierauf ein Amulett zum Schutze gegen den racheschnaubenden Totengeist gibt (A. Werner Natives of British Central Africa 1906, 67; 265). Auf die Vorstellung, daß Sünde in derselben

Die SündentilguBg durch Wasser 381

X 98 überlieferte Khila, das nur in dem von mir edierten Käsmir-Ms. und im Ms. des Britischen Museums Add, Nr. 5351 vorhanden ist:

yäc ca hrtdm ydd okrtam ydd enas cakrmä vayäm, ösadhayas tdsmät päntu duritad enasas pdri. ^Welche Tat, welche Untat und welche Sünde wir begangen haben, vor diesem Unglück der Sünde sollen die Kräuter ringsumher schützen.' Also das Unglück, das eine Folge der Sünde ist, wird zugleich mit der Sünde durch ein dämonen- abwehrendes Kraut beseitigt. Die enge Verwandtschaft von Sünde und Unheil geht auch aus folgendem Beispiel hervor: der Itälme, der glaubt, daß er wegen einer begangenen Sünde von Unheil befallen sei, macht sich eine Holzfigur, die sein Stellvertreter sein soll, und trägt sie in den Wald, wo er sie an einen Baum stellt.^ Will der Eweer seine gegen den Gott Seiisa begangenen Sünden tilgen, so bringt er dem Priester eine Ziege oder ein Huhn, ferner Kaurimuscheln, gegorenes Getränk und eine Erdfigur in Menschengestalt. Der Priester streicht mit diesen Gegenständen über den Körper des Sünders, dessen Schuld gesühnt werden soll und schlachtet sein Tier über den Gegen- ständen. Dann nimmt er die Kaurimuscheln, bestreicht damit den ganzen Menschen und wirft die Muscheln auf die Erdfigur. Hierauf stellt er den Kopf des Tieres auf den Kopf des Men- schen und sagt: ^Der Kopf des Tieres geht nicht, ehe der Kopf des Menschen auch geht.' Dann gießt er gegorenes Getränk auf den Tierkopf und stellt ihn auf den Weg für den Seiisa hin.^

Weise zu beseitigen sei wie Krankheit, geht das Bild des Psalmisten 61, 9 zurück: 'Entsündige mich mit Ysop, daß ich rein werde/ Hier ist 'die ursprüngliche sinnliche Form der Handlung ihrer sinnlichen Be- deutung entkleidet und in das Symbol eines innern geistigen Vorgangs übergeführt' worden. Der Ysop wurde bei der Reinigung eines Aussätzi- gen angewandt, vgl. IHM. 14, 14 ff.

' G. W. Stellers Beschreibung von Kamtschatka 1774, 276. Ein an- deres Beispiel dafür, daß man den Sündendämon auf eine stellvertretende Figur überträgt, findet sich in Japan, vgl. oben S. 372.

2 J. Spieth Beligion der Eweer 1911, 34.

3g2 ^- Scheftelowitz

Mittels der Muscheln ist hier die Sünde des Menschen auf die Figur übertragen worden, und durch das Tieropfer ist die böse Gottheit besänftigt worden. Diese Zeremonie nennt der Eweer 'Schuldentilgung'.

Weil die primitive Denkweise noch nicht zwischen äußerer und innerer Wirkung, zwischen Physischem und Psychischem zu scheiden vermag, wird die Sünde auf die gleiche Stufe wie jede sonstige dämonische Befleckung gestellt. So unterzieht sich nicht nur der Mörder, der eine Todsünde auf sich geladen hat, einer Lustration, sondern auch der Krieger nach einem Feldzuge und jeder, der sonst mit einer Leiche in Berührung gekommen ist. Den Mörder quälte nur die Furcht vor dem Groll der racheschnaubenden Seele und vor den Leichen- dämonen, von denen er durch die Berührung mit dem Toten infiziert worden ist. In dem Moment, wo er diese bösen Geister durch äußere Mittel von sich endgültig verscheucht hatte, fühlte er sich frei von der Sündenlast. Mit der Verscheuchung der Dämonen erschien ihm also gleichzeitig die Todsünde beseitigt.

Ursprünglich haben im israelitischen Volke die gleichen Vorstellungen geherrscht, jedoch haben die uralten Bräuche betreffs der Dämonenbeseitigung in der Bibel einen anderen Sinn erhalten. Wurde in der Nähe einer Ortschaft ein Er- schlagener gefunden und war der Mörder unbekannt, so mußten nach VM. 21, Iff. die Ältesten der nächstgelegenen Ortschaft, die sich an der Tat unschuldig fühlte, ein junges Kalb, das noch zu keiner Arbeit gebraucht war, töten, 'und sie sollen über dem Kalbe ihre Hände waschen und laut sprechen: Unsere Hände haben dieses Blut nicht vergossen und unsere Augen haben nichts gesehen; vergib, o Gott, deinem Volke Israel, das du erlöst, daß das unschuldige Blut deinem Volke Israel nicht zur Last falle. Es soll die Blutschuld dadurch gesühnt werden.' Die Sündenschuld lastete deshalb auf derjenigen Ortschaft, in deren Weichbild der Mord geschah, weil in ältester Zeit die Gemeinschaft verantwortlich für die Verbrechen des

Die Sündentilgung durch Wasser 383

einzelnen war.^ An Stelle der rachedurstigen Seele des Er- mordeten und der Leichendämonen, die durch ein Opfer ver- söhnt werden mußten^, ist im Monotheismus Gott allein ge- treten. Und das Wasser, womit man ursprünglich die bösen Geister verscheuchte, ist hier zum Symbol der Unschuld um- gewandelt,^ Die ursprüngliche Zeremonie der Verscheuchung der Dämonen ist in der Bibel versittlicht worden. Die Lustra- tion, die eigentlich zur Beseitigung der Dämonen vorgenommen wird, heißt in der Bibel ^entsündigen' (^^r^).* So mußten nach einer Schlacht die israelitischen Krieger durch geweihtes Spreng- wasser 'entsündigt' werden, und deren Geräte, die mit einem Leichnam in Berührung gekommen sind, außerdem noch über Feuer gehalten werden.^ Bei den Herero und den Bechuanen gilt der mit fremdem Blute besudelte Krieger für unrein, und er und seine Waffen müssen mit geweihtem Wasser besprengt

^ Dieses ist z. B. der Fall in China (vgl. J. Macgowan Sidelights on Chinese Life, London 1907, 28 \ bei den Negervölkern Afrikas (vgl. R. H. Nassau Fetichism in West Africa 1904, 4; S. R. Steinmetz BecMsverhält- nisse von eingeborenen Völkern 1903, 16, 29, 64, 205, 222, 329), ebenso auf Madagaskar, im Bismarckarchipel (vgl. Steinmetz a. a. 0. 366,401) und bei den Römern. Wenn z. B. eine Vestalin ihr Keuschheitsgelübde ver- letzt, so schickt die Gottheit eine Seuche der Gesamtheit, die erst dann wieder aufhört, wenn die Schuldige ihre Strafe erhalten hat (F. Cumont D. oriental. Religionen übers. Gehrich 1910, 44). Auch in altisraelitischer Zeit herrschte dieser Grundsatz, vgl. Jos. c. 7; 22, 20; II. Sam. c. 24. Je- doch nach dem biblischen Gesetz und dem Talmud durfte nur das Individuum, das sich vergangen hat, zur Verantwortung gezogen werden (vgl. Scheftelowitz Monatsschr. f. Gesch. und Wiss. d. Judent. 1912, 133 f.).

^ Vgl. A. Bertholet Deuter onomium 1899, 64. Findet der Dajak (in Borneo) im Gebüsch einen Erschlagenen, so opfert er dort dem Toten- geist ein Schwein (Sp. St. John Life in the forests of the far East 1863, I 198).

^ Vgl. Ps. 26, 6: 'Ich wasche meine Hände in Unschuld.' Ps. 73, 13: 'Ja umsonst habe ich mein Herz reingehalten und meine Hände in Un- schuld gewaschen"; ferner Ps. 18, 21 (= II Sam, 22, 21), Hieb 4, 30.

* Vgl. IV M. 19, 11 f. Von dämonischer Besessenheit muß man ent- sündigt werden (III M. 14, 52).

° IV M. 31, 19—23.

334 I- Scheftelowitz

werden.^ Die Lustration für die Krieger nacli der Rückkehr vom Kampfe ist bei vielen heidnischen Völkern üblich, so bei den Basutos^, Kaffern^, Puebloindianern^, Makedoniern.^ Bei den Mekeo (in Neu -Guinea) muß der heimkehrende Krieger, bevor er das Dorf betritt, sich einer Reinigungszeremonie mittels Wassers unterziehen. Vorher darf er keine Speisen mit der Hand berühren.^

Nur wer vollständig frei von dämonischem Stoffe war, durfte Heiliges berühren, ein Heiligtum betreten und sich den Göttern nahen, sonst lud er eine schwere Sünde auf sich.^ Da-

^ Brincker Mitteil. d. Seminars f. oriental. Sprachen III 76; G. Fritsch Die Eingeborenen Südafrikas 201.

2 Tylor Primitive Culture 11^ 433.

^ H. Spencer Bescriptive Soeiology IV 30, zitiert bei S'chwally Semit. Kriegsaltertümer 1901, I 67.

^ Voth Traditions of the Hopi in Field Columbian Museum Yol. YIII 1903, 67 f., 60 f.; Stevenson Zuni Indians in 23. Ann. Rep. of Bureau of Ethnol., Washington 1904, 578 f. ^ Nilsson in diesem Archiv XYI 314.

^ Seligman Melanesians of British New Guinea 1910, 333.

' Ein Heiligtum wird verunreinigt durch die Berührung mit einem Leichnam (II Reg. 23, 14, 16). Wer Gott aufsucht, soll sich absondern 'von der Unreinheit der heidnischen Völker' (Esra 6, 21) und soll sich zuvor waschen (I M. 35, 2). Nach der Meinung Saadjas {Emunöt we- de<^öt III) und des Maimonides {Möre hannehuhim III c. 35 u. 47) sind die rituellen Reinheitsgesetze nur erforderlich, wenn man den Tempel be- sucht. In Jerusalem mußte jeder Israelit alljährlich den 10. Teil seiner Bodenerzeugnisse in natura oder in Geldwert unter Beobachtung ritueller Reinheit verzehren (V M. 14, 22f). Verschiedene Gaben mußte er unter Beobachtung ritueller Reinheit zum Besten der Priester aussondern (iV M. 15, 19 f.). Als der Priester Ahimelech dem auf der Flucht befindlichen David erklärte^ daß er ihm kein gewöhnliches, sondern nur heiliges Brot reichen könnte, fand es David für nötig, ihn dahin zu beruhigen, daß er und seine Leute sich im Zustande vollkommenster ritueller Reinheit be- fänden (I Sam. 21, 5 f.). Die Leviten wurden für das Heiligtum geweiht, indem ihr Körper, nachdem er gänzlich von Haaren befreit worden war, mit 'Entsündigungswasser' besprengt wurde, und sie ihre Kleider waschen mußten (IV M. 4, 6). Über die biblischen Reinheitsgesetze vgl. auch W.Brandt Die jüdischen Baptismen 1910, 20ff. ; über die griechischen und römischen vgl. Th. Wächter a. a. 0. 11 fiF. Der bigotte Grieche näherte sich 'weder einem Grabmahle, noch einem Toten, noch einer Wöchnerin , um sich nicht zu verunreinigen (Theophrast Charaktere XVI),

i

Die Sündentilgung durch Wasser 385

her war Vorsorge getroffen, daß jeder einzelne Tempelbesucher am Eingange eines Tempels sich zuvor kultisch reinigte. So befand sich an den Eingängen der griecbischen Tempel ein großer Kessel mit geweihtem Wasser. Alle, die den Tempel betraten, besprengten sich mit diesem Wasser.^ Auf diese kultische Rei- nigung weist auch die Etymologie von lat. deluhrum ^Tempel' hin. Nach Cincius bei Serv. Aen. II 225 war Delubrum ursprünglich die Bezeichnung des am Tempeleingange befindlichen fließenden Wassers, an welchem man die vor der Opferhandlung erforder- liche Waschung vornahm.^ Kultische Reinheit war den Ägyptern, besonders den Priestern, vorgeschrieben. In den Tempeln stan- den Wasserbecken zur Reinigung. 'Wenn an dem Eingang der inneren Tempelräume geschrieben steht: „Ein jeder, der hier eintritt, sei rein", so ist das nicht als Phrase aufzufassen.' Der Priester wurde bei seiner Einführung in dem unmittelbar am Tempel gelegenen Teich gebadet. Bevor ein Priester eine heilige Handlung verrichtete, mußte er sich Kopf und Hände waschen. Daher hat das ägyptische Wort für Triester' eigentlich die Bedeutung 'der Reine'. Daß diese äußere Reinheit zugleich als Symbol der inneren und des Freiseins von Sünde betrachtet worden ist, ist textlich ebenfalls belegt.^ Ebenso befinden sich auf den Vorhöfen der shintoistischen Tempel Japans Wasserbecken für die Tempelbesucher, die sich beim Eintritt in denselben zu- nächst waschen müssen. Wer das Gebet besonders wirkungsvoll machen will, nimmt zuvor ein Bad.'' Kultische Reinheitszere- monien mittels Wassers sind auch üblich bei den Lappländern und sibirischen Schamanen.^ In gleicher Weise haben die Isra-

^ Vgl. F. Ast Theophrasti Char acter es, Lipsiae 1816, 143 f.

* Vgl. G. Wissowa Beligion und Kultus der Römer ^467, Pauly- Wissowa Realenzykl. IV 2703.

^ A. Eiman Die ägyptische Beligion^ 86 f., 202 Anm. ; v. Lemm Das Büualbuch des Ammondienstes 1882, 4; B. Poertner Die ägyptischen Toten- stelen 1911, 44. Auch das assyrische Wort ramku Triester' bedeutet eigentlich 'der Reine' (ramäku 'sich waschen').

^ Chantepie de la Saussaye Lehrh. d. Beligionsgeseh.^ 1905, 159 f.

^ Vgl. Westermarck Globus 93, 110 f.

Archiv f. Religionswissenschaft XVII 25

386 I. Scheftelowitz

eliten^ und die Syrer nacli der Berührung mit einem Toten sieben Tage lang warten müssen, bis sie wieder den Tempel betreten durften. Wer früher hineingebt, begeht eine Sünde. Erblickte der Syrer einen Toten, so durfte er an demselben Tage das Heilig- tum nicht betreten, sondern mußte sich am folgenden Tage zu- erst reinigen.^

Das Gebet, das man nur nach einer vorher vollzogenen Reinigung seines Körpers sprechen solF, darf gleichfalls nur an einem reinen Orte stattfinden*, denn auf Schmutz halten sich die Dämonen auf, sie selbst sind schmutzig^, und von ihnen geht auch Schmutz, materielle Verunreinigung aus ^ Die Dämonen gewinnen über denjenigen Macht, der ungewaschen ausgeht."^ Daher gebietet der Parsismus und der jüdische Volks-

* IV M. 19, 13. Wer unrein war, durfte den Tempel nicht betreten, vgl. Talm. SeWöt 7b; Bast zu IHM. 16, 16.

* Lucian De dea Syria c. 52 f. Auch bei den Griechen verunreinigte schon der Anblick eines Toten, wodurch man vom Tempelbesuch aus- geschlossen war (Th. Wächter a. a. 0. 57).

» Vgl. Buchholz Homerische Realien IIb § 118; III 2 S. 277 ff. Auch in Babylonien mußte man sich vor dem Gebete die Hände waschen (Zimmern Beitr. z. Kenntnis d. hdbyl. Bei. 1900, Surper III 44).

* Z.B. bei den Persern (vgl. Benjamin Persia, London 1887, 444; John G. Bourke Scatalogic Bites, Washington 1891, 152), bei den Indern (vgl. Chänd. Upan. 8, 15; Yäjhavalkya I 148—150), bei den Juden (vgl. Misnä Beraköt 3, 5).

^ Vgl. Firdüsi ed. Vullers P. I 30: div pelld 'schmutziger Dämon'. So halten sich nach dem Glauben der Inder und Slaven auf Aborten, Misthaufen und schmutzigen Plätzen die Dämonen auf (Crooke Populär Religion of Northern India^ 1 293; F. S. Krauss Slavische VoIJcs- forschungen 1908, 71).

® Vgl. im Awesta Vend. VII 56: 'Denn dieses ist die Freude der Dämonen, solange bis endlich dort ihr Gestank haften bleibt.' Wer in Indien oder in Deutschland mit den bösen Geistern in Verbindung treten will, der muß ein ganz schmutziges Äußere haben (Crooke Natives of Northern India 1907, 258; A. Wuttke Deutscher Volksabergl^ 264).

' Zingerle Sitten, Meinungen und Bräuche des Tiroler Volkes p. 58; vgl. auch A. Kuhn Westfälische Sagen II 30. Im alten Griechenland und im deutschen Mittelalter galt die Waschung der Hände mit Wasser als ein Schutzmittel gegen Behexung (S. Seligmann Der böse Blick II 234).

Die Sündentilgung durch Wasser 387

glaube, daß man schmutzige Hände stets abwaschen solle. ^ Rab Huna hatte aus diesem Grund einen Krug mit Wasser an die Tür seines Hauses gehängt, damit jeder, der sein Haus betrat, zunächst die Hände wasche, um nicht durch einen Dämon be- schädigt zu werden.^ Nach dem Parsismus und dem Judentum darf man Speisen nur mit gewaschenen Händen zu sich neh- men.^ Unter konsequenter Festhaltung solcher sinnlichen Vor- stellung wird bei den Akikuyu die Sünde durch gewisse Ab- führungsmittel, die der Priester gibt, beseitigt.^ Der innere dä- monische Schmutz der Sünde wird hierdurch aus dem Körper entfernt.

Wenn in vielen Sprachen der Ausdruck ^Schmutz' auch 'Sünde' heißt, so ist die sittliche Verschuldung in sinnlicher Weise als ein dem inneren Menschen anhaftender Makel aufgefaßt wor- den, z. B. altindisch halka (m ) 'Kot, Schmutz, Vergehen, Sünde' adj. 'böse, sündhaft'; JcalanJca (m.) und hdlmasa (n.) 'Schmutz, Fleck, Sünde'; dosa (m.) und tamas (n.) bedeuten 'Dunkelheit, Schlechtigkeit, SünJe'. Armenisch pitj 'schmutzig, unrein, süiid- haft'; met 'Sünde'; ai. mala (n.) 'Schmutz, Sünde', adj. 'gott- los'; lit. melas 'Lüge', altirisch mellaim 'betrüge', gr. ^slag 'schwarz', lett. melns 'schwarz', melums 'Schmutzflecken', poln. mul 'Schmutz, Schlamm'. Slovenisch skrunöba 'Unreinigkeit, Schandtat, Laster', skruniti 'verunreinigen, beflecken, verun- ehren, entweihen', sliTÜn 'unrein, befleckt, abscheulich, schänd- lich'. Altirisch sorh 'schmutzig, Laster', sorhaim 'sich beflecken'. Griech. [ivöos 'Verbrechen', ^vdagög 'unrein, abscheulich': ^vdog 'Fäulnis' (Prell witz Et. Wtb.). Assyrisch marsu 'befleckt, un-

^ Säyast Säyast VII 7, Nach Rab Abbaji soll man deshalb un- reine Hände abwaschen, weil der Dämon Sibbetä auf ihnen ruht {Talm. Jömä 77 b). ^ ^alm. Taanit 20 b.

^ Säyast Säyast 9, 8; Misnä Hagigä II 5; Beräköt 8, 2; Talmud Beräköt 43 a, Toseftä Beräköt IV 8. Im sibyll. Orak. III 590 ff. ist Rein- heit der Hände das Symbol der inneren Reinheit.

* Frazer Golden Bough* P. II, S. 214. Auch die Creekindianer rei- nigen sich von ihren Sünden durch Brechmittel, vgl. oben S. 362.

25*

388

I, Scheftelowitz

rein, böse, sündhaft'. Türk. Mtü ^dunkel, schlecht, sündhaft'. Ebenso bedeutet bei den Zulus, den Basutos und den mexika- nischen Eingeborenen das Wort 'Schmutz' auch 'Sünde'.^

4 Übereinstimmung des Ritus derDämonenvertreibung

mit dem der Sündentilgung

a) Die Apopompe

Infolge der Verwandtschaft von Sünde und Unheil, die beide von Dämonen herrühren, stimmt auch der Ritus der Dämonen- vertreibung mit dem der Sündentilgung gänzlich überein. Dä- monen, die in einem Menschen hausen, können auf stellver- tretende Wesen und Figuren oder auf entlegene Orte hinüber- geleitet werden.^ R. Wünsch nennt diese Art der Übertragung der Dämonen, da dieser Vorgang im griechischen Zauberritual durch das Verb aTCOTte^Tteiv bezeichnet wird, 'Apopompe', dessen Sinn sich auch mit dem hebr. Wort taslik (gewöhnlich bei den Juden ausgesprochen tascJilich), womit die Sündenübertragung auf das Wasser bezeichnet wird^, vollständig deckt.

Wütet in einem Dorfe Zentralindiens die Cholera, so schicken die Eingeborenen eine weiße Ziege unter Beschwörungsformeln ia die Wildnis, damit sie den Dämon dieser Plage mit sich fortführe.* Will ein Eingeborener auf Madagaskar sich von allem Übel befreien, so nimmt er ein Tier auf seine Schulter und wünscht auf dessen Haupt alles Übel herab und trägt dieses Tier nach einem einsamen Ort.^ Auch in Babylonien herrschte dieser Glaube, weshalb es in einem Hymnus heißt ^;

^ heslieAmong the Zulus p. 170; Casalis Les Bassoutos p. 269; Preuß Globus 83, 257 u. 269.

' Ygl. Frazer Gglden Bough^ II 13 ff., Wünsch in Siebs' Festschr. z. Jahr- hundertfeier d Üniv. Breslau 1911, 15 ff.; Scheftelowitz Schlingen- u. Netz- motiv RGVVXII 2, 34ff.; derselbe Das Huhnopfer RGW XIV 3, 37 ff., N. W. TJiomas The scapegoat in Europea'ft Folklore^ in Folklore XVII 258 ff. » Vgl. oben S. 372 Anm. 2.

^ J. Forsyth Highland of Central- India, London 1889, 186.

^ J. Sibree Madagascar 1870, 391.

^ King Bdbylonian Beligion S. 212; M. Jastiow Religion d. Ässyrer u. Babylonier II 95.

Die Sündentilgung durch Wasser 389

'Der Yogel möge das Unheil zum Himmel emportragen . . . möge das Getier des Feldes es von mir entfernen, möge das •Flußwasser mich reinwaschen.' Der Inder, der drohendes Un- heil beseitigen will, zieht sich ein schwarzes Kleid an, geht an einen Fluß, wo er dasselbe ablegt und in ein kleines, aus Schilf geflochtenes Boot tut, das alsdann durch den Strom fortge- schwemmt wird; oder er wirft das Kleid direkt ins Wasser.^ Auf diese Weise hat er das Unglück von sich abgeschüttelt. Die Eingeborenen von Leti, Moa und Lakor entsenden alljährlich alle Krankheiten aufs Meer, indem jeder einzelne etwas Reis, Früch- te, ein Huhn, zwei Eier und Insekten in ein Boot legt, das dann ins Meer hinausgestoßen wird.^ Der Zauberer unter den Malaien glaubt die schädigenden Geister, die eine Gegend heimsuchen, auf ge- weihte Boote zu bannen, die dann auf das Meer hinausgetrieben werden.^ Bei den Inlandstämmen Ostsumatras wird der Krank- heitsdämon mittels Beschwörungen auf ein kleines Schiff über- tragen, das dann auf den Fluß hinausbefördert wird.* Ein ähnlicher Brauch .existierte auch bei den Babyloniern.^ In Bolivia bindet man den Krankheitsdämon auf ein Lama und treibt dieses ins Gebirge.^ Herodot II 99 erwähnt, daß die Ägypter zwecks der Beseitigung eines Unheils einem Tiere den Kopf abschneiden, indem sie dabei beten, daß alles Böse auf ihn übergehen möge und ihn dann ins Wasser werfen. Im Talmud wird folgende Krankenbeschwörung überliefert: der Kranke gehe mit einem neuen Topf an einen Fluß und spreche : Tluß, Fluß leihe mir einen Topf Wasser für den Gast, der bei mir zufällig eingekehrt ist', schwinge diesen Topf sieben-

1 Kaus. S 18, 7—9; 17—18; Colsrnd Ältind. Zauberritual 1900, 43, 45.

* Frazer Golden Bough^ III 105.

"^ R. J. Wilkinson Malay Beliefs 1906, 67 u. 72.

* Moszkowski Globus 94, 313.

^ Globus 95, 239. Wenn Jesus die Krankheitsdämonen zweier Be- sessener in eine Schweineherde versetzt, die dann vom Abhänge sämt- lich, ins Meer stürzen und dort ertrinken (Matth. 8, 28 ff., Marc. 5, Iff.)» so liegt hier der Gedanke der Dämonenübertragung aufs Meer zugrunde.

« Globus 97, 226.

ggQ I. Scheftelowitz

mal über seinen Kopf, werfe ihn dann hinter sich mit den Worten: Tluß, Fluß! nimm zurück, was du mir gegeben hast, denn der Gast, den ich hatte, ist am Tage gekommen und am. selben Tage wieder verschwunden.'^ Ein südslavisches Wiegen- lied für ein beschrienes Kind lautet: ^Schlaf, Töchterlein, schlaf! Der Fluß trage dir die Beschreiungen davon, trage sie vorbei an deinem Wiegelein.'^ In Serbien setzt sich ein Fieberkranker auf einen Rohrstab und reitet auf demselben bis zu einem Fluß Das Rohr wird ins Wasser geworfen und der Kranke spricht: ^Mich ladet die Dämonin (Wila) zu ihrer Hochzeit ein, ich kann zu ihrer Hochzeit nicht kommen, sondern ich schicke ihr mein Roß (das Rohr) und das Fieber.' Ohne sich umzusehen, kehrt er dann nach Hause. Oder der Kranke steigt auf einen Baum und spricht dort dreimal seinen Namen aus. Dann steigt er vom Baum herab und verläßt den Garten, ohne sich umzusehen. Bei leichteren Kopfschmerzen spricht der Serbe folgende Be- schwörungsformel: ^Krankheit, geh ins Meer oder ziehe dich in die Erde hinein, damit dem Kranken so leicht wird wie eine Feder .'^ Die ungarischen Zigeuner glauben, daß der Krankheits- dämoD, der das kalte Fieber erzeugt, die Gestalt einer weißen Maus hat. Ist jemand von diesem Fieberdämon besessen, so wickelt man einen Zwirnfaden fest um den kleinen Finger seiner linken Hand. Dann gibt man ihm den Magen und die Lunge einer Maus, zu Pulver gestoßen, in Branntwein zu trinken. Hierauf muß er den enthäuteten Kadaver der Maus zu einem Bache tragen; den Kopf trennt er vom Leibe und wirft ihn in das fließende Wasser, wobei er sagt: ^Hier ist dein Kopf!' Alsdann wirft er den Leib ins Wasser und sagt: ^Hier ist dein Bauch!' Zuletzt wirft er die Füße in das Wasser

^ Talm. Sabbat 66 b.

^ Krauss Volksglaube und relig. Brauch der Südslaven 43.

' Globus 33, 350. Betreffs der Übertragung der Dämonen anf Bäume vgl. R. Wünscli in Siebs' Festschrift Z.Jahrhundertfeier d. Univ. Breslau 1911, 26 ff.; E Thurston Ethnogr. Notes in Southern India 1906, 305, 313; Scheftelowitz Schlingen- u. Netzmotiv (RGW XII2) 34.

Die Sündentilgung durch Wasser 391

und sagt: ^Und hier sind deine Füße, geh ins Wasser!'^ Ist jemand nach dem Glauhen der Zigeuner von der Krankheits- dämonin Lilyi heimgesucht, so wird die Figur dieser Dämonin auf ein Holztäf eichen eingebrannt, über deren Kopf ein Sarg- nagel oder ein sonstiger Nagel, der zuvor mit einem Leich- nam berührt worden ist, eingeschlagen wird. Diese Holzfigur hängt man an den Leib des Kranken. Nach neun Tagen wird sie in einen Bach geworfen mit den Worten: 'Ich gebe dir die Krankheit, friß sie.'^ In Nord- und Mitteldeutschland, Böhmen, Mähren, bei den Lausitzer und Elbslaven und den Polen war es üblich, alljährlich den Tod aus den Ortschaften zu bannen. Am Sonntage 'Lätare', in Böhmen am Sonntage 'Judica', der deshalb auch der Totensonntag genannt wird, versammelten sich in den Ortschaften die Erwachsenen and Kinder, machten aus Holz, Lumpen und Stroh das Bild der Todesgöttin, banden es an eine Stange und trugen es in den S.traßen umher. Zuletzt wurde diese Puppe ins Wasser geworfen oder verbrannt oder zuweilen über die Gemeindegrenze auf das Gebiet der Nachbar- gemeinde geworfen, worüber jene in große Aufregung geriet. Die Puppe heißt 'der Tod' und diese Feier 'den Tod austreiben'. Die Tschechen singen, wenn die Puppe ins Wasser geworfen wird: 'Der Tod schwimmt auf dem Wasser, das neue Jahr kommt zu uns;' und bei der Rückkehr ins Dorf singen sie: 'Den Tod haben wir aus dem Dorf getragen, das neue Jahr tragen wir ins Dorf.'^ Bei den Wotiäken versammeln sich am 7. Tage nach Weihnachten die Mädchen des Dorfes mit Knütteln, die am vorderen Ende neunfach gespalten sind, und schlagen in alle Ecken der Häuser und Höfe mit dem Rufe: 'Den Dämon treiben wir aus dem Dorfe.' Alsdann werden die Knüttel außerhalb des Dorfes in den Fluß geworfen, damit der Dämon zum näch- sten Dorf hinwegschwimme. ^

^ H. V. Wlislocki Aus dem innern Lehen der Zigeuner 1892, 17 f. 2 V. Wlislocki a. a. 0. S 10.

•'* Globus 30, 299 f. ; 38, 327 Dieses ist ein ursprünglich slavischer Brauch, denn im Slavischen ist der Tod feminin. * M. Buch Globus 40, 284.

392 ^* Scheftelowitz

b) Sühnepuppe

Genau in derselben Weise wie der Sündendämon auf eine stellvertretende Figur übertragen werden kann^, so werden die Krankbeitsdämonen auf Figuren, die das Ebenbild des Kranken darstellen sollen, binübergeleitet. Dem Bilde baftet ja nacli dem primitiven Seelenglauben Seelenstoff des Prototyps an. Im Gegensatz zu den ^Racbepuppen'^ möcbte icb solcbe Figuren Sübnepuppen nennen. In Assyrien wurde von einem Kranken ein Ebenbild bergestellt und der Krankbeitsdämon mittels einer Bescbwörungszeremonie auf diese Puppe übertragen. In einer derartigenBescbwörungsformel lautet es: 'Über ibm (dem Kranken) zerbricb es (das stellvertretende Bild) und es sei sein Stellver- treter.' Dadurcb, daß dieses Bild dem Dämon überantwortet wird, wird die Genesung des Kranken erzielt.^ Wurde ein Mann von einem Totengeist beimgesucbt, so wurde eine Lebmpuppe ge- macht, die diesen Mann darstellen sollte, und auf dieselbe sein Name geschrieben. Sodann legte man diese Figur in das Hörn einer Gazelle und begrub sie in dem Schatten eines Dorn-

* Vgl. die Beispiele in Japan, bei den Itälmen und Eweern oben S. 372 u. 381.

* Über Rachepuppen vgl. z.B. Frazer Golden Bough^ 1911, I 55 ff.; R. Wünsch in Philologus LXI 26 ff.; Skutsch Festschr. z. Jahrhundertfeier d. Univ. Breslau 1911, 529 ff.; C. Thompson Semitic Magic 150 ff.; in die- sem Archiv XV 313 ff.; Ad. Abt Apologie des Apuleius (RGW IV 2) 80 f., 211, 239; Ztschr. f. deutsche Myth. I 442; Ztschr. d. Ver. f. Volksk. VII 252; XII 10; XIII 440 ff.; J. W. Wolf Niederländische Sagen 1843, Nr. 294; Tallqvist Die assyrische Beschwörungsserie Maqlu p. 18; K. Ras- mussen Peoples of the Polar North ed. G. Herring 1908, 155 ff.; R. H. Nassau Fetichism in West-Africa 1904, 117; E. Pechuel-Loesche Volks- künde von Loango 1907, 339; Mackay und J. A. Macdonald From far Formosa 1896, 254; C. J. F. S. Forbes British Burma 1878, 232; E. Thurston Ethnogr. Notes 1906, 328; H. C. Robinson FascicuU Malayenses II 1904, 50.

^ 0. Weber Dämonenbeschwörung hei den Bahyloniern und Assyrern 1906, 23 26. Um einen Pestkranken zu heilen, wird das Ebenbild aus Lehm hergestellt und dann unter Beschwörungen der Krankheitsdämon auf diese Figur übertragen (L. W. King Ztschr. f. Assyr. XI 50).

Die Sündentilgung durcli Wasser 393

busches.^ In Malabar (Südindien) wird zur Beseitigung des Krankendämons eine mit Kupfermünzen besteckte stellvertre- tende Figur über dem Kranken hin und ber geschwenkt und dann auf einen Platz gebracht, wo sich drei Straßen schneiden.* Bei den Yerukalas (Südindien) führt der Medizinmann den Kranken außerhalb des Weichbildes des Dorfes und macht dort eine stellvertretende Puppe, um welche gekochter Reis uud an- dere Speisen gestellt werden. Der Kranke sitzt in der Nähe des Kopfes dieser liegenden Puppe. Ein Ziegenbock wird ge- opfert, dessen Kopf zu Füßen der Figur gelegt wird, Körner werden dann über die Figur gestreut und ein Glas voll Arrak darauf gestellt, um auf diese Weise den Krankheitsdämon aus dem Patienten auf die Puppe hinüberzulocken. Nachdem der Kranke bis zu den Füßen der Puppe gegangen ist, geht er, ohne sich umzuschauen, nach Hause.^ In Siam verfertigt der Zauberdoktor aus Ton das Ebenbild des Kranken. Nachdem er eine Beschwörungsformel ausgesprochen hat, mittels deren der Krankheitsdämon auf die Figur übertragen wird, vergräbt er sie im Gebüsch.* Bei den Annamiten bannt der Medizin- mann den Krankheitsdämon in eine kleine stellvertretende Puppe. Auf den Inseln Romang, Dama, Teun, Nila und

^ C. Thompson Semitic Magic 1908, 34. Hörn und Dornbusch, die hierzu verwendet werden, sind apotropäische Mittel; vgl. Scheftelowitz in diesem Archiv XV 474ff., Schlingen- u. Netzmotiv 1912, 50 Anm. 3.

^ E. Thurston Ethnographie Notes in Southern India 1906, 256. Wenn in Madras sich jemand ganz krank fühlt, so weiht er einer Gott- heit eine silberne Figur, die ihn darstellen soll. Sind nur einzelne Glieder an ihm krank, so weiht er einem Tempel die Figur des betref- fenden Gliedes, wie des Gesichts, der Hände, Füße, des Hinterteils, der Zunge, Nase, Ohren, Augen usw. (Thurston Ethnogr. Notes 353).

^ Thurston a. a. 0. 1906, 327. In Malabar wird zur Heilung des Kranken eine stellvertretende Figur aus gekochtem Reis geformt, neben deren Kopf der Kranke sitzt. Ein Hahn wird geschlachtet, mit dessen Blut die Figur besprengt wird, dann wird getrommelt und laut geblasen, wobei der Medizinmann tanzt und einen lebenden Hahn beißt, aus dessen Wunde er hastig Blut trinkt (Thurston a. a. 0. 334).

* E. Young Kingdom of the yelloio rohe 1900, 121.

394 ■'•• Scheftelowitz

Serua stellt man solche Sülinepuppe über den Kopf des Kranken. Davor setzt man als Lockmittel Pinang, etwas Reis, mit einer halben Eierschale, während man ein Stückchen von einem Ei auf die Stirn des Kranken legt. Der Dämon verläßt dann den Körper des Kranken, ißt dasjenige, was auf der Stirn des Kranken liegt, und begibt sich darauf in das Bild, um den dargebotenen Pinang und Reis zu genießen. Indessen betet und lärmt der Medizinmann, damit der Dämon endgültig den Kranken verlasse. Dann preßt er wütend das Bild und schlägt ihm den Kopf ab, damit der Dämon, der in dieser Puppe weilt, nicht mehr imstande sei, zurückzukehren.^ Auch in Borneo dient eine Puppe als Stellvertreter des Kranken.^ Der Kranken- beschwörer bei den Dajaks (auf Borneo) macht zwecks Besei- tigung des Krankheitsdämons eine menschliche Puppe, die den Kranken darstellen soll, setzt sie in ein Boot, das er in einen Fluß versenkt. Hierauf wird der Körper des Kranken mit Wasser gewaschen.^ Herrscht in einem Dorfe auf den Luang- und Sermatainseln eine Epidemie, so werden viele Holzpuppen, nachdem sie zunächst mit dem Kranken in Berührung ge- bracht worden sind, in ein Boot gelegt, das dann auf die See hin ausgetrieben wird. Dieser Glaube, daß die Dämonen auf solche hölzerne Ersatzmänner des Kranken übergehen, herrscht auch auf den Tanembar- und Timorlaoinseln, in Sumatra und Siam.* Bei den Kirgisen wird die Krankheit eines Menschen

1 M. Bartels Medizin der Naturvölker 1893, 195 f.

* Intern. Arch. f. JEthn. I 133. Das einem Kinde drohende Unheil bannen die Dajaks in eine männliche Figur aus Backwerk, die dann im Fluß zerrieben wird (Globus 72, 272).

^ H. Ling Roth Natives of Sarawak 1896, I 284.

* M. Bartels a. a. 0. 255 f Zwecks Austreibung des Krankheitsdämons fertigt der Malaie auch aus Teig die Figur eines Tieres (z. B. eines Huhnes, Büffels oder Fisches) an, das ein Stellvertreter des Kranken sein soll Diese Figur wird in eine Opferschüssel gelegt, wo brennende Kerzen stehen An eine dieser brennenden Kerzen ist eine teilweise ge- färbte Schnur gebunden, deren anderes Ende der Patient in der Hand hält. Nachdem er eine Beschwörungsformel hergesagt hat, die mit den Worten beginnt: 'Ich habe eine Stellvertretung für dich gemacht', wird

Die Sündentilgung durch Wasser 395

ebenfalls auf eine Puppe übertragen, die auf ein Pferd gelegt wird Von Hunden aus dem Dorfe gehetzt, trägt so das Pferd den Krankbeitsdämon weit weg ^ Auch bei den Giljaken heilt der Schamane einen Kranken dadurch, daß er den Dämon in eine Holzpuppe, die mit Fisch, Tabak und Wurzeln gefüllt ist, hineinzulocken sucht. Mit einer Trommel macht er großen Lärm, damit der Dämon nicht wieder in den Kranken zurück- kehre.^ Die Eingeborenen an der Südwestküste Madagaskars machen bei einem schweren Krankheitsfall eine stellvertretende Holzfigur, die je nach dem Geschlecht des Patienten als männ- lich oder weiblich geformt wird.^ Auf den Shortlands-Inseln macht sich der Krankenbeschwörer eine Puppe von dem be- treffenden Kranken, und unter gewissen Beschwörungen wird die- selbe entweder in der See ersäuft oder verbrannt.^ Auch bei den Ureinwohnern Australiens wird, wenn jemand schwer krank liegt, eine Puppe hergestellt, die in wollene Lappen eingehüllt ist. Indem nun diese Puppe an die Brust des Kranken gedrückt wird, geht die Krankheit auf dieselbe über.^ Nach dem Tiroler Aberglauben wird ein durch eine Hexe verwünschtes Kind folgendermaßen von der Verwünschung befreit: man macht aus Lumpen eine stellvertretende Puppe, setzt ihr die Haube des Kindes auf, trägt sie zum Bache und wirft sie mit abgewandtem Angesichte in das Wasser mit den Worten: ^Hexe, da hast dein Kind!'^

der Dämon veranlaßt, mittels der Schnur auf die Figur überzugehen. Hierauf löst der Medizinmann drei Schleifknoten und wirft diese auf- gelöste Schleife aus dem Hause heraus (Skeat und Bladgen Mdlay Magic 1900, 432f).

^ R. Karutz Unter Kirgisen 1911, 131.

* Ch. H. Hawes In the uttermost East 1903, 237. ' Karutz Glohus LXXX 30.

* C Ribbe Zwei Jahre unter den Kannibalen der Salomo -Inseln, Dresden 1903, 149

^ J. Dawson Australian Ahorigines 1881, 57 ff. Will in Neu-Ireland ein Totengeist einen Lebenden holen, so wird eine menschliche Figur aus Kalk gemacht, damit der Tote dieses Bild statt des Lebenden heimsuche (W. Powell Wanderings in a wild country 1884, 197).

* Ztschr. f. deutsche Mythol. 1853, 1 237.

39g I. Scheftelowitz

c) Die kathartische Wirkung des Wassers Die Sündentilgung bei den primitiven Völkern ist nichts anderes als ein Exorzismus. Infolge des Glaubens an eine wirkliebe Dämoneneinwobnung in den Sündern ist eine ge- nügende Grundlage für die Apopompe der Sünden gegeben. Der Sündenexorzismus bat desbalb seine Zeremonien vollständig vom Exorzismus der leiblicben Besessenbeit hergenommen, weil in beiden Fällen eine wirkliebe Dämonenbesessenbeit gesehen worden ist. Am wirksamsten wird aber das dem Mensehen an- haftende oder drohende Unheil durch Wasser fortgespült. Da die Zeremonie der Sündentilgung eine rein kathartische Hand- lung ist, die vorhandenes Unheil fortschafft, so will ich hier vor allen Dingen die kathartische Wirkung des Wassers be- handeln.

Der alte Inder wünscht, daß die Dämonen in den Strom eingehen sollen.^ TOe Wasser sind sehr heilvoll, die Wasser vertreiben die Krankheit', heißt es im Atharvaveda.^ Krank- heiten werden dadurch geheilt^ daß Flußwasser über den Patien- ten gegossen wird, wovon er gewöhnlich auch trinken muß. Die kranke Stelle eines Mannes, die durch Behexung entstanden ist, wird von dem Brahmanen mit Weihwasser besprengt.^ Zur Heilung einer beliebigen Krankheit begießt man den Patienten mit geweihtem Wasser, wischt ihn vom Haupte bis zur Sohle ab und läßt ihn auch von dem Wasser, womit man ihn begießt, trinken.* Die kinderlose Frau, an welcher die Zauberhandlung gegen die Unfruchtbarkeit vorgenommen werden sollte, mußte vorher baden.^ In Assyrien suchte man den Kranken dadurch vom Dämon zu befreien, daß man ihn wusch uüd über ihn Wasser

1 Atharvaveda lY 37, 3.

« III 7, 5; VI 91, 3; vgl. auch VI 24.

» Kaus. S. 25, 34; 28, 1, 19; 29, 8, 30; 30, 13; 31, 6; 31, 21; 39, 28; vgl. Caland Altind. Zauberritudl.

* Kaus. S. 27, 34; Caland Altind. Zauberritudl. 86. Die Krankheit wird hier ebenso weggewischt wie die Sünde bei den Indern, vgl. p. 359 f,

° Oldenberg Religion des Veda 423.

Die Sündentilgung durch Wasser 397

sprengte. So heißt es in einem Beschwörungstext: ^Dein Zauber, deine Hexerei, deine Vergiftung, deine bösen Zerstörungen, deine Kniffe . . . mögen mit dem Wasser meines Körpers und mit dem Reinigungswasser meiner Hände abgerissen werden.'^ Das Wasser schwemmt nach antiker Auffassung den bösen Zauber weg.- Glaubte jemand in Griechenland, daß ein Feind ihm eine böse Gottheit in seine Wohnung hineingebannt hätte, so nahm er eine Lustration an seinem ganzen Hause vor.^ Besonders wurde die reinigende Kraft des Meerwassers als kathartisches

^ 0. Weber Dämonenbeschwörung bei den Babyloniern und Assyrern 20; P. A. Schollmeyer Sumer-babylon. Hymnen 1912, 38 f.; Hommel Gesch. Babyl. u. Assyr. 255; A. Jirku Die Dämonen und ihre Abwehr im Alten ■Test. 1912, 64 Dieses benutzte Wasser, das den Krankheitsdämon ent- hielt, wurde dann auf die Seite der Landstraße ausgegossen (Lenormant Die Magie u. Wahrsagekunst d. Ghaldäer, deutsche Ausg. 72). Nach baby- lonischer Auffassung ist es unheilvoll, beim Gehen auf der Straße auf solchem weggeschütteten Wasser zu schreiten; 'ihm haften natürlich jetzt alle schädlichen dämonischen und krankhaften Eigenschaften an, die jedem, der damit in Berührung kommt, unheilvoll werden können' (C. Frank Zischr. f. Assyr. 24, 157 f.). Auch im jüdischen Volksglauben herrscht diese Ansicht. In Talmud Pesähim lila heißt es, daß sich derjenige den Tod zuzieht, 'der über weggeschüttetes Wasser schreitet, auch wenn es seine Frau hinweggeschüttet hat; dieses trifft nur zu, wenn man das hingeschüt- tete Wasser nicht mit Erde bestreut hat oder zuvor darauf gespuckt hat/ Der im 4. Jahrhundert lebende Abbaji sagt, man solle das zur Hände- ßäuberung benutzte Wasser unmittelbar auf die Erde gießen, damit es schnell in der Erde einziehen könne, weil sonst sich ein Dämon in solchem Wasser niederläßt (Talmud HuUin 106 b). Nach mittelalterlich- jüdischem Aberglauben soll man das Wasser, womit man seine Hände gewaschen hat, nicht an einem Orte ausgießen, wo Menschen vorbeigehen, denn Dämonen sind in solchem unreinen Wasser enthalten und können den Leuten Schaden zufügen. Man soll daher solches Wasser unterirdisch ableiten und ja darauf achten, daß dieses Wasser sich nicht eine Hexe aneignet, da sie damit einen wirksam behexen kann (Sebi Hirs Jerahmiel Sefer Nahelat Sebi II Amsterdam 5580 p. 5 a).

^ Rieß in Pauly-Wissowa B.-E. I 44. Auch nach den aramäischen Zaubertexten bannen Wasser und Feuer die Dämonen (J. A. Montgomery Aramaic Incantation texts from Nippur 1913, 235).

' Vgl. Theophrast Charactere c. XVI und die Anmerk. der Ausgabe ▼on F. Ast, Lipsiae 1816, 149.

398 ^' Scheftelowitz

Gegenmittel verwendet.^ Der Midras berichtet, daß es bei den Heiden üblicb sei, denjenigen Menscben, in den ein böser Geist gefahren sei, auszuräuchern und mit Wasser zu besprengen, worauf der böse Geist die Flucht ergreife.^ Nach Talmud Sanhedrin 67 b verschwindet der einem Dinge anhaftende Zauber, wenn man es mit Wasser in Berührung bringt. ^Jeder Zauber, den man ins Wasser taucht, verschwindet', heißt es in einem jüdischen kulturhistorischen Werke aus dem 12. Jahrhundert.^ Dieselbe Anschauung existiert auch bei den Zigeunern.^ Auch nach dem deutschen Volksglauben kann man Krankheiten in ein fließendes Wasser werfen und sie so wegschwemmen.^ Im Mittelalter herrschte der Glaube, daß man Dinge, die zu Zauberzwecken verwendet worden waren, erst nachdem man sie im fließenden Wasser ge-. reinigt hat, zum Guten gebrauchen kann.^ In Irland bricht das Wasser, das am Vorabend des 1. Mai aus einer Quelle geschöpft ist, jeden Zauber.'^ Palladius berichtet um 420, daß Makarius von Alexandrien einen besessenen Jüngling dadurch geheilt hätte, daß er ihn mit heiligem Öl salbte und dann ihn mit geweihtem Wasser begoß.^ Auch die Bojken (Ruthenen) vertreiben die Krankheit durch Weihwasser, mit welchem sich der Patient den Körper wäscht und das er außerdem trinkt^ Bei den Ewenegern wird der Kranke mit geweihtem Wasser gebadet.^® In Peru geht der kranke Indianer an den Zusam- menfluß zweier Ströme, wo der Medizinmann seinen Körper

^ Vgl. R. Wünsch Festschr. der Jährhundertfeier d. Univ. Breslau 1911, 16.

^ Bamidbär Bdbhä P. 19; Midr. Jelamdenu (Tanchumä) P. Huqqat, Pesiqtä de B. Kahana P. 4.

' Sefer hasidim, Sulzbach 5445 § 1144.

* Globus 51, 270.

ß A. Wuttke Deutscher Volksaberghube^ S. 335 flP.

G. Grupp Kulturgesch. d. Mittelalters^ 1912, 40.

^ Wood-Martin a. a. 0. I 281. Krankes Vieh wurde in Irland in gewisse Flüsse getrieben, die als heilbringend galten (Wood-Martin 1281 ff.). ^ F. Dölger Exorzismus im altchristl. Taufritual 85 f. » Globus 79, 15. ^<> J. Spieth Beligion der Eweer 1911, 45.

Die Sündentilgung durch Wasser 399

mit Wasser und weißem Maismehl wäscht, wodurch er bewirkt, daß die Krankheit in den Strom übergeht.^ Ehemals gab es in Peru ein Fest, an welchem eine Schar Krieger durch Waffen- geklirr alles Übel zu vertreiben glaubte, indem sie dabei schrie: ^Verschwindet alle bösen Geister!' Hierauf badete sich diese Schar im Flusse, während das Volk draußen vor den Haus- türen ihre Kleider ausschüttelte.^ In Polynesien vermag man sich von einem bösen Zauber dadurch zu befreien, daß man rasch in einem Strome badet, während der Priester dabei allerlei Gebete hermurmelt.^

Der Leichnam, in welchem nach der Anschauung der meisten Völker Dämonen hausen*, wird mittels Wassers von den Leichen- dämonen befreit. Daher ist der Brauch, die Leiche nach er- folgtem Tode zu waschen, sehr weit verbreitet.^ Aber auch

* C. R. Markham Narratives of the Bites of the Incas 1873, 64.

* Molina Fahles and Bites of the Incas (Hakluyt-Society) S. 22. ^ Waitz-Gerland Anthropologie VI 362.

* Ygl.Aicesta Vend^ V 27 f.; VII If.; Sartori Ztschr. d. Ver. f. Volksk. XVIII 353 f. ; J. G. Frazer On certain Burial customs in Journ. ofthe Änthrop. Inst. XV 1886, 79 f.

^ Vgl. Sartori a. a 0. 354 ff., ferner in Asien (Caland Die altind. Toten- u. Bestattungsgebräuche 1896, 14; W. Crooke Natives of Nor- thern India 1907, 217; J. A. Dubois Hindu Manners and Custotus, Oxford 1894, 490; E. Thurston Ethnographie Notes in Southern India 1906, 134; J. Anderson Beport on the Exped. to Western Junan^ Calcutta 1871, 129; J. Shakespear Lushei Kuki 1912, 84; S. Endle Kachäris 1911, 46; J.Butler Travels in the Province ofÄssam 1855, 86 f.; W.W. Hunter Ännals of Bural Bengal, 7. Ed., London 1897, 209; Ch. Lyall MiUrs, London 1908, 38; Playfair Garos, London 1909, 106; Feather- man Soc. Hist. of races of Mankind IV 142; E. Young Kingdom of the yelloiv rohe 1900,246; A.H. Savage Länder Gems of the East 1904, II 45; Skeat-Bladgen Malay Magic 1900, 399 f.; E. H. Gomes Seventeen Years among the Sea-Byaks, London 1911, 134; H. Ling Roth Natives of Sa- rawak 1896, I 138; Elbert Sunda Expedition 1911, 1 270; E. Schuyler Turkistan 1876, 1 150; F. v. Schwarz Turkestan 1900,306; W. Sieroszewski Korea 113 f.; Featherman Soc. Hist. of Baces IV 532, 540; S. Curtiß Ur- semitische Beligion 1903, 191), in Afrika (W. Hunzinger Sitten u. Becht der Bogos 1859, 39; Glohus 76, 338 (Nubier); Featherman Soc. Hist. of Baces ofMank. I (1885) 395, 471, 455, V 321; A. Wernei Natives of British Central

^QQ I. Scheftelowitz

diejenigen, die sich mit der Bestattung des Leiclinanis befaßt haben oder in die Nähe desselben gekommen sind, sind von Leichendämonen besessen und bedürfen der Lustration.-^ Sehr

Africa 1906, 157; H. Klose Togo 1899, 272; C. Veiten Sitten u. Gebräuche der Suaheli 1903, 258; A. Seidel Sitten u. Gebräuche des Bakwirivolkes in Ka- merun 1902, 13; H. Johnston Georg Grenfell and Congo 1908,11 643; R. E. Dennet Notes on the Folklore of the.Fjort 1898, 111; R. E. Dennet Ni- gerian Studies 1910, 30; A. B. EUis Yoruba-spealcing peoples 1894, 153; derselbe Tshi-spealcing peoples 1887, 237; Sibree Madagascar 270), bei den Indianern Amerikas (A. Featherman a. a. 0. III 375, Anthropos 1911, 707; C. Hill-Tout British North America I 1907, 199). Auch bei den Juden ist es seit ältester Zeit Brauch, den Leichnam zu waschen {Misna Sabbat 2S, 6; Tahn. Sabbat 152b); ebenso bei den Griechen (E. Rohde Psyche I* 219; Ilias XXIV 777 ff.), Römern (Marquardt Privatleben^ 347), bei den alten Germanen {Quida Brynhildar I 34), bei den Slaven {Globus 90, 140; 29, 125; 50, 139), Wotiäken {Globus 40, 248) und den Chewsuren {Globus 76, 210). In Rumänien besprengt der Pope den Leichnam mit einem Gemisch von öl und Wein {Globus 69, 197). Der Neuseeländer wäscht den Leichnam eines Häuptlings mit öl (J. S. Polack Manners and Customs of the New Zealanders 1840 I 65.)

^ Auch die Hütte, worin ein Leichnam liegt, und Gegenstände, die mit ihm in Berührung gebracht sind, gelten als 'unrein', als gefährlich für die Menschen. Dieses ist z. B. der Fall bei den Negern Afrikas (S. R. Steinmetz Bechtsverhältnisse von eingeborenen Völkern 1903, 320, 377; Alberti Kaffern 160; C. Gouldebury und Sheane Northern Bhodesia 1911, 184), den Dajaken {Globus 42, 44), Singhalesen {Globus 16, 237), Grön- ländern (19, 23), Tscheremissen {Arch. f. Ethnogr. X52), Israeliten (IV. M. 19, 15—18). Daher wird die Hütte entweder mit Wasser besprengt (so z. B. bei den Dajaken und Israeliten) oder ausgeräuchert (z. B. bei den Negern Rhodesias) oder um einige Meter versetzt. Zuweilen wird sie ganz und gar verlassen oder verbrannt. In Großrußland werden, nachdem die Leiche aus dem Dorfe herausgeschafft ist, die Dielen des Sterbehauses, ferner die zum Leichnam benutzten Lappen, Besen, das Stroh, auf dem die Leiche gelegen hatte, der Topf, aus welchem man ihn gewaschen hatte, der Kamm, mit dem man ihn gekämmt hatte, außerhalb des Weichbildes des Dorfes gebracht und am Scheideweg fortgeworfen {Globus 50, 141). Bei den Annamiten wird das Wasser, das zum Waschen der Leiche benutzt ist, vergraben, da es sonst verhängnisvoll wirkt (Sartori Ztschr. d. Ver.f. Volksk.XYlll 358). InSchwedenmuß es sofort ausgegossen werden, denn sonst kehrt der Tote wieder {Globus 83, 45). In Mecklen- burg wird es so ausgegossen, daß niemand darüber geht. Wer etwa darüber schreitet, dem widerfährt großes Leid. Derselbe Brauch herrscht auch in Böhmen und Schlesien (Sartori a a. 0. 359). Bei den Tschere-

Die Sündentilgung durch Wasser 401

anschaulich schildert das altiranische Religionswerk den Exor- zismus einer solchen dämonischen Besessenheit mittels Wassers: Personen, die einen menschlichen Leichnam oder einen toten Hund berührt haben, müssen, nachdem sie sich zunächst einer Reinigungszeremonie mit Kuhurin unterzogen haben, ihren Körper waschen. Durch die Besprengung der einzelnen Glieder mit Wasser werden die in ihm hausenden Leichendämonen {Nasus) aus dem Körper allmählich herausgedrängt, bis sie zuletzt aus den Zehen des linken Fußes, wenn diese am Schlüsse mit Wasser benetzt werden, hinausschlüpfen.^ Auf allen Erd- teilen läßt sich der Brauch nachweisen, daß die Teilnehmer einer Bestattung wegen ihrer dämonischen Verunreinigung sich mit Wasser reinigen.^

Die Berührung mit einem Toten verunreinigte bei den Baby- loniern. Neben Wasser wirkte Wein, Honig, Butter, Salz rei- nigend.^ Der heidnische Araber, der in die Nähe eines Leich-

missen müssen die durch die Leiche verunreinigten Gegenstände drei

Tage lang im Freien liegen {Arch. f. Ethn. X 52). Gemäß dem A. T.

sind die offenen Gefäße in der Sterbehütte unrein und müssen mit dem

'Entsündigungswasser' besprengt werden (IV M. 19, 15 ff.). Auch das

Wasser im Sterbehause gilt als unrein und wird daher gleich ausgegossen.

Diese Sitte herrscht bei den Eingeborenen von Loango (E. Pechuel-Loesche

Volkskunde v. Loango 1907, 307), in manchen Gegenden Frankreichs, in

Deutschland (Sartori Ztschr. d. Ver. /*. Volksk. XVIII 363 ; Wuttke Deutscher

Volksabergl.^ 459). Seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts kommt diese

I Sitte auch bei den Juden vor (Sefer Hasidim ed. Wistinetzki 1891,

'Nr. 562; Jösef Karo Sulhan 'Aruk II: Jöre deä § 439 nebst Komm. Tur

zähab\ Abraham Lewysohn Sefer Meqöre Minhägim^ Berlin 1846, 125.

1 Globus 80, 159; 91, 360; L. Herzfeld Predigten^, Leipzig 1863, 175). Nach

\ dem jüdischen Volksglauben hat nämlich der Todesengel in dem Wasser

jsein Schwert abgewaschen. Über diesen Brauch vgl. auch Frazer in

Journ. of the Änthrop. Inst. XV 89 f.

1 Vend. VIII 35-72; vgl. Scheftelowitz ZBMG LVII 150 ff. * Vgl. Sartori Ztschr. d. Ver. f. Volksk. XVIII 369 f. Bereits Wilken Vher das Haaropfer (Revue Coloniale Internationale 1886) und S. R. Stein- imetz Entwicklung der Strafe I 178 nehmen an, daß das Waschen eine .mechanische Befreiung von den bösen Geistern sei.

^ A. Jeremias Bas Alte Test, im Lichte d. alt. Orients^ 1906, 432 and 431.

Archiv f. Eeligionswissenschaft XVII 26

402 ^- Scheftelowitz

nams kam, mußte sich baden und seine Kleider waschen.^ War im alten Grieclienland ein Leichnam in einem Hause, so wurde an die Tür des Gemaches zur Reinigung der durch die Annäherung an den Leichnam Befleckten, wenn sie das Haus wieder verlassen, ein Wassergefäß voll reinen, aus fremdem Hause entlehnten Wassers gestellt.- Die Teilnehmer an der Leichenbestattung des Misenus wurden dadurch gereinigt, daß ein Genosse dreimal Wasser um sie herumträgt und sie damit besprengt.^ Die Römer, die an einer Leichenbestattung teil- genommen hatten, schritten über ein Feuer und besprengten sich mit Wasser.^ Wenn die Russen vom Begräbnisplatz zurück- kehren, waschen sie, bevor sie ihr Haus betreten, die Hände und nehmen dann mit einer Feuerzange eine glühende Kohle, die sie hinter sich werfen.^ Bei allen indischen Völkern ist es Brauch, daß sich die Teilnehmer eines Begräbnisses durch Wasser rei- nigen, indem sie gewöhnlich ein Vollbad in fließendem Wasser nehmen oder sich wenigstens die Hände waschen.^ Bei den Kakhyens (Indien) müssen die Verwandten eines Toten nach dem Begräbnis, bevor sie das Haus, in welchem der Todesfall vorkam, betreten, mit Wasser besprengt werden und über ein Bündel Gras treten, das zuvor mit dem Blute eines dem Toten

^ D. Nielsen Die altardb. Mondreligion 1904, 206 f. Ein ähnlicher Brauch herrscht bei den Mandäern, Herzogs Beal-EnzyJcl. f. Prot Theol. XII 175. 2 E. Rohde Psyche I 219.

^ Vgl. L. Deubner in diesem Archiv XVI 128

* Vgl. Paulus Festi 2 : Funus prosecuti redeuntes ignem supergradie- hantur, aqua asper si; quod purgationis genus vocabant sufßtionem

^ Globus 29, 123.

^ Caland Bie altind. Toten- u. Bestattungsgebr. 1896, 73, 76; Thurston Ethnograph. Notes in Southern India 1906, 185; W. Crooke Natives of Northern India 1907, 219; W. H. R. Rivers Todas 1906, 403; W. S. und K. Routledge Äkikuyu 1910, 169; A. Featherman Soc. Eist. 1891, IV 67, 100, 142; II 66. Der Jainist, der an einem Begräbnis teilgenommen hat, reibt seine Hände nach dem Begräbnis mit Erde und Wasser ab, um 'die Unreinheit des Todes' zu entfernen (Crooke Pop. Rel. of North India^ I 29). Die Mohammedaner (Crooke a. a. 0. 29) und Juden pflegen, wenn sie kein Wasser haben, Erde zur Reinigung der Hände zu nehmen.

I

Die Sündentilgung durch Wasser 403

geopferten Huhnes beträufelt ist.^ Die Tibetaner waschen sich nach der Leichenbestattung den Kopf, nachdem sie die Haare abgeschoren haben. ^ Im shintoistischen Japan müssen sich die vom Begräbnis Zurückkehrenden die Hände waschen, sich den Mund ausspülen, und es wird Salz über sie geworfen.^ Die Ver- wandten, die mit der Leiche in Berührung gekommen sind, dürfen während der hunderttägigen Trauerzeit keinen Tempel besuchen. Wer ein Totenhaus betritt, ist drei Tage lang un- rein. Hat man die Leiche aus dem Trauerhause herausgeschafft, so wird im Innern des Hauses und vor der Haustüre Salz ge- streut; außerdem wird vor der Haustür ein Feuer angezündet;.* Auch nach dem Glauben der Tscheremissen sind Menschen und Gegenstände durch eine Leiche verunreinigt. Daher waschen sich die Leidtragenden nach einem Begräbnis und wechseln ihre Kleider, während die verunreinigten Gegenstände drei Tage lang im Freien liegen müssen.^ Die Wotiäken reiben sich außerdem noch die Hände mit Asche ab.^ Bei den Chewsuren müssen diejeuigen, die die Leiche gewaschen haben, sechs Tage lang ein Bad nehmen. Während dieser Zeit betreten sie nicht ihr Haus.'^

In Afrika nehmen die Neger, die einen Toten berührt oder an einem Begräbnis teilgenommen haben, ein Bad im fließen- den Wasser, um sich von den Leichendämonen und vom Toten- geist zu befreien.'* Bei den Schanaka auf Madagaskar werden

^ J. Anderson Report an the Exped. to Western Yiinan, Calcutta 1871, 130. Die dajakische Witwe nimmt nach Beendigung der Trauer- zeit ein Bad {Globus 42, 45).

2 Ch. A. Sherring Western Tibet 1906, 131.

* Chantepie de la Saussaye Lehrb. d. Beligionsgesch. 1905, P 165 f.

^ E. Schiller Shinto 1911, 66 f. "> Int. Ärch f. Ethn. X 52.

° A. Featherman Soc. Hist. IV 532 ; M. Buch Globus 40, 249.

^ Globus 76, 210.

^ Featherman a a. 0. I 156; ß. H. Nassau Fetichism in West Africa 1904, 219; Globus 81, 190; H.Klose Togo 1899, 274; J. Shooter Kafirs of Natal 1857, 240; J. Spieth Beligion der Eweer 1911, 187; A. Werner Natives of British Central Africa 1906, 157, 162; A. B. Ellis Tshi-speaJc- ing Peoples 1887, 241; Derselbe Ewe-speaking Peoples 1890, 160;

404 ^- Scheftelowitz

nach einer Beerdigung sowohl die Wände des Sterbehauses als auch die zu diesem Zwecke versammelten Angehörigen des Verstorbenen mit eigens hierfür präpariertem Wasser besprengt.^

Auch die Indianer Amerikas sind durch die Berührung mit einem Toten oder nach einem Leichenbegängnis unrein und müssen sich durch Wasser reinigen^ um so den Totengeist von sich abzuschütteln.^ Bei den Hupaindianern müssen diejenigen, die sich an der Leichenbestattung beteiligt haben, ein Schwitz- bad nehmen, wobei ein Priester eine Reinigungsformel rezitiert.^

Ebenso sind in Ozeanien Waschungen nach einem Begräb- nis üblich.* In Samoa sind diejenigen, die eine Leiche berührt haben, unrein und dürfen daher keine Speisen anrühren, son- dern gleich kleinen Kindern steckt man ihnen die Speisen in den Mund. Erst am fünften Tage nach der Bestattung unter- ziehen sie sich der Reinigungszeremonie, indem sie sich in heißem Wasser baden. ^

Dieser in der ganzen Welt weitverbreitete Brauch hat sich

S. R. Steinmetz Eechtsverhältnisse von eingeborenen Völkern 1903, 234; Gouldsbury und Sheane Northern Bhodesia 191], 183. Die Ewe-Witwe badet sich erst am Ende einer sechsmonatlichen Trauerzeit, schneidet sich Haar und Fingernägel ab und zieht sich neue Gewänder an, während sie die alten Kleider samt den Haaren und Nägeln verbrennt (EUis Ewe-speahing Peoples 160).

^ Goldziher in diesem Archiv XIII 41.

2 E. B. Tylor Primitive Culture^ 11 433; C. Hill-Tout British North America I 1907, 202 f. Über die Grönländer vgl. K. Rasmussen People of the Polar North ed. Herring, London 1908, 143. Nach dem Tode ihres Gatten müssen die Witwen einige Zeit isoliert leben und dann ein Bad nehmen (Bancroft Native Baces I 289 Anm. 194).

^ Goddard Life and Culture of the Hupa, Berkeley 1903, 71.

* Klemm Ällgem. Kulturgesch. lY 325; Steinmetz Ethnol. Stud. zur ersten Entwicklung der Strafe I 217; Waitz-Gerland AnthropologieY 14:09; Globus 64, 361; Wollaston Pygmies and Papuans 1912, 138. Auf Neu- seeland gelten diejenigen, die mit einem Toten in Berührung gekommen sind, für 'tapu', sie dürfen in diesem Zustande keinen Menschen und keine Nahrung anrühren, sondern man steckt ihnen die Nahrung in den Mund (Polack Manners and Customs of the New Zedlanders 1840 I 65).

^ S. Turner Samoa 1884, 145; Derselbe Nineteen years in Polynesia 1861, 228.

Die Sündentilgung durch Wasser 405

auch im Alten Testament erhalten. Der durch einen Toten Ver- unreinigte wurde mit Wasser, worin sich Asche einer roten Kuh befand, besprengt, und außerdem mußte er am siebenten Tage nacb seiner Verunreinigung ein Vollbad in fließendem Wasser nehmen. Erst dann durfte er das Heiligtum wieder betreten.^ Bei den Juden herrscht die alte Sitte, daß man, wenn man eine Leiche berührt hat oder den Friedhof verläßt, sich außer- halb des Trauerhauses und des Friedhofes die Hände wäscht, um die bösen Geister, die einem folgen, zu verscheuchen. Außerdem war es Brauch, sich, bevor man ein Wohnhaus be- trat, unterwegs dreimal oder siebenmal niederzusetzen, weil bei jedesmaligem Sichsetzen die Geister fliehen.^

Da die heidnischen Völker glaubten, daß das neugeborene Kind, die Wöchnerin und das weibliche Geschlecht während der Menstruation mit Dämonen behaftet sind, so mußten sie sich einer kathartischen Zeremonie unterziehen^, zu der ge- wöhnlich Wasser genommen worden ist.

1 IV M. 19, 17; 19, ,13

^ R. Moses Isseries zu Sulhän "Äruk^ Jore de'a § 376, 4. Der Gaon Sar Sälöm Bar Böäs, der um 850 lebte, sagt in seinem Werke Sa'are sedeq III 4, 19. 20: 'Wenn die Weisen gesagt haben: Man setze sich bei der Rückkehr von einem Leichnam siebenmal hin, so war es nur für den Fall gemeint, daß man sich nach dem Friedhof begeben hat und von dort zurückkehrt und nur für Verwandte, auch nur für den ersten Tag und vor allem nur für diejenigen Orte, wo sich der Brauch einge- bürgert hat. Das siebenfache Wiederholen des Sichsetzens geschah mit Rücksicht auf die bösen Geister, die den Heimkehrenden begleiten und von denen jedesmal, wenn man sich hinsetzte, je einer verschwinden sollte.'

' Über das neugeborene Kind habe ich bereits oben S. 368 gehandelt. Der Glaube an die Unreinheit der Wöchnerin ist auf allen Erdteilen vorherrschend. Dieselbe wird vor allem durch Wasser beseitigt; vgl. H. Floß Das Weib'' II 403 f., 408 f.; E.B.Tylor Primitive Culture* II 432 f.; Th. Wächter a. a. 0. 38 f. Ferner ist ein Reinigungsbad im fließenden Wasser vorgeschrieben bei den Garos in Assam (Playfair Garos, London 1911 , 99) ; in Oberburma (H. J. Wehrli Beitr. z. Ethnol. d. Chingpmv von Oberburma, Leiden 1904, 60), bei den Malaien (Skeat und Bladgen MaJay Magic 1900, 334), auf den Sundainseln teils gleich nach der Niederkunft {Olobus 44, 349), teils am neunten Tage nach der Geburt (Elbert Sundaexped. 1911, 110), in

406

I. Scheftelowitz

d) Die apotropäische Wirkung des Wassers

Durch Wasser wird auch von außen her drohendes Unheil beseitigt. In Babylonien hat man Unglück und böse Omina durch Wasser abgewendet. Eine Beschwörung lautet: Mch habe meine Hände gewaschen, den Körper gereinigt mit hellem Quellwasser, welches in Eridu vorhanden ist Alles Böse, alles Nichtgute, das in meinem Körper ist, in meinem Fleische, in meinen Gliedern ist, böse Träume, Zeichen und unheilvolle Omina' mögen durch die Lustration schwinden.^ Der Inder, der seine Lebenskraft zu erhöhen wünscht, begießt sich mit Wasser, das unter Hersagung von fünf bestimmten Atharvavedaliedern ge- weiht worden ist. Wer Wohlfahrt erlangen will, gießt sich

Samoa (J. B. Stair Old Samoa 1897, 177), bei den Grönländern (K. Rasmussen People ofthe Polar North ed. Herring, London 1908, 120), den Musquakie- indianern (M. A. Owen Folk-lore ofthe Musquakie Indians, London 1904, 65). Bevor die Wöchnerin bei den Tlinkit-Indianern die isolierte Geburts- hütte verläßt, wäscht sie sich und ihr Kind und zieht sich neue Kleider an (A. Krause Tlinkit- Indianer 1885, 215). Bei den Zapoteku (Mexiko) werden Wöchnerin und Kind im Fluß gewaschen (Globus 27, 318). Mit Wasser besprengt oder gewaschen wird die Wöchnerin bei den Kachäris in Indien sechs Wochen nach der Geburt. Diese Reinigungszeremonie heißt mntilya (G. Endle Kachäris, London 1911, 42). Bei den Hindu in Indien wird sie gleich nach der Geburt mit Weihwasser besprengt, um die Dämonen zu bannen (J. A. Dubois Hindu manners etc. 1899, 157), und zwei oder drei Tage darauf nimmt sie ein Bad (Crooke Pop. Bei. of North. India^ 126, ders. Natives of North. India 196 f.) In Sumatra wird die Gebärende dreimal mit besonders bereitetem Wasser besprengt und ihr dreimal ein Schluck davon gegeben {Globus 84, 232). Bei den Ovaherero in Afrika wird die Wöchnerin nach einem Monat mit Wasser besprengt (S. R. Steinmetz Rechtsverhältnisse von eingeborenen Völkern 1903, 308; Globus 38, 364). Bei den Ondonganegern badet sie sich nach 14 Tagen außerhalb des Dorfes in einer mit Wasser gefüllten Grube. In demselben Wasser werden auch bei allerlei Krankheiten Kuren vorgenom- men (Steinmetz a. a. 0. 334). Reinigungszeremonien mittels Wassers finden ferner statt in Britisch Nigeria (A. F. Mockler-Ferryman British Nigeria 231), auf Neu-Caledonien (Featherman Soc. Hist of Baces of Mankind 1887, II 87). Über die Reinigungszeremonie einer Menstruierenden vgl. Floß Das Weib' I 426 ff.

^ M. Jastrow Beligion d. Babylon, u. Assyr. I 320.

Die Süadentilgung durch Wasser 407

Regenwasser aufs Haupte Der Nordinder, der gegen die An- griffe eines Tigers gefeit sein und selbst dessen Höhle ohne Gefahr betreten will, badet sich siebenmal an sieben Dienstagen.^ Im alten Indien und in Malabar hält man es für ein unglück- liches Zeichen, wenn eine Krähe auf eine Person oder deren Kleider ihre Exkremente fallen läßt. Dem bevorstehenden Unheil kann man nur dadurch entgehen, daß man entweder den Kot mit Wasser abwäscht, das mit dem Atharvavedaliede VII 64 geweiht ist, oder daß man mit seinen Kleidern angetan ein Bad nimmt.'* Theophrast (Charaktere XVI) bespöttelt den Abergläubischen, der sich zum Schutze gegen Dämonen die Hände reinwäscht, mit Weihwasser besprengt und ein Lorbeerblatt in den Mund nimmt. *Er ist wohl auch unter denen, die sich sorgfältig mit Meerwasser besprengen.'^ Im arabischen Volksglauben wird das Besprengen mit Wasser als Zaubermittel gegen dämonische Einflüsse an- gewandt.^ Begibt sich jemand in Anatolien auf Reisen und will man, daß er gesund zurückkehren soll, so gießt man hinter dem Wagen, auf dem er wegfährt, einen Krug Wasser aus.® Geweihtes Wasser hält bei den Ruthenen alles Böse fern. Wer davon trinkt und sich damit wäscht, wird von dem Teufel be- freit. Um vom Hause während des Jahres das Böse fernzuhalten, wird bei den Bojken (Ruthenen) am Vortage der heiligen drei Könige bei der Vesper Wasser geweiht, mit dem man das Haus, den Hof und alle Wirtschaftsgebäude besprengt. In manchen Gegenden pflegen Männer und Frauen mit ihren Kleidern in solches geweihtes Wasser zu springen, um hierdurch gegen

^ Kaus. S. 13, 10; 24, 41.

^ Crooke Natives of Northern India 256.

s Kaus. S. 46, 47; vgl. Caland AUind. Zauberrü. 155; E. Thurston Ethnographie Notes 1906, 277. Im alten Indien werden böse Omina, die einem durcli Unglücksvögel verkündet werden, auch durch Feuer abgewen- det {Ätharvaveda VII 64, 2).

^ Auch böse Träume verlangen in Griechenland und Indien Lustration, vgl. Theophrasts Charaktere^ Leipzig 1897, 129 zu XVI 11; J. v. Negelein Traumschlüssel des Jagaddeva (RGW XI 4) S. 35; vgl. auch oben S. 376.

^ I. Goldziher in diesem Archiv XIII 38. ^ Globus 91, 116.

408 ^- Scheftelowitz

das Böse gefeit zu sein.^ Die ganze serbisclie Dorfjugend badet sicli am Georgitage vor Sonnenaufgang im Flusse, oder wenn das Dorf keinen Fluß hat, so gebt jeder in seinen Garten, wo er sich wäscht, um das ganze Jahr hindurch gesund zu bleiben.^ Wer sich nach dem deutschen Volksglauben am Ostertage in fließendem Wasser badet, bleibt das ganze Jahr hindurch von aller Krankheit frei. In Ostpreußen wurden deshalb die Pferde in der Osternacht geschwemmt. In Bayern, im Erzgebirge, in Böhmen und Baden ist man, wenn man am Karfreitage im Flusse vor Sonnenaufgang ein Bad nimmt, vor Krankheit geschützt. In der Niederlausitz gilt das Wasser als heilbringend. Darum wurde der Hirt, der die Herde vom ersten Austreiben heimbrachte, und derjenige, der im Frühjahr von der ersten Ackerarbeit heimkehrte, mit Wasser begossen. Darum wird auch das Vieh, das gekauft ist, bevor es in den Stall kommt, mit Wasser besprengt, um es gesund zu erhalten. In Süddeutschland wird noch heute alles Böse vom Hause dadurch beseitigt, daß Haus und Stallung mit Weihwasser besprengt werden.^ Der Indianer in Mexiko be- sprengt alle und auch das Vieh mit einem in Wasser getauchten Schilfrohr. Von dieser Zeremonie erwartet er viel Segen: 'Daß wir darin das Leben haben', heißt es in dem Gebet, das bei dieser Besprengung geflüstert wird. In einem Gebet an eine Gottheit heißt es: 'Es möge kein Übel da sein, wirf es hinter dich in den Wind . . . Sprenge dorthin dein Lebenswasser und gib dort Leben den Göttern des Westens.'*

Der weitverbreitete Brauch, hinter der Leiche, unmittelbar nachdem sie aus dem Hause getragen ist, Wasser auszugießen^,

1 Gloius 73, 244; 79, 150 f. ^ qiqJ^us 30, 94.

8 A.Wnttke Deutscher VoJJcsahergl.^ 72 und 74, Globus 12, S62; Ztschr. d.Ver.f.VolksJc. 1913, 285. Über Anwendung von Wasser als Apotropäum vgl. auch L. Seligmann Der böse Blick II 235 ff.

* K. Th. Preuß Die Nayarit- Expedition 1 1912, 9, vgl. auch 46; 245.

'^ So im alten Griechenland (E. Samter Geburt, Hochzeit und Tod 1911, 88), im heutigen Griechenland, bei den Dajaken auf Borneo, bei den Arabern (Sartori Ztschr. d. Ver. f. VolJcsJc. XVIII 365, Goldziher in diesem Archiv XIII 40 f.), den Syrern (S.J. Curtiß Ursemit. Beligion IdO^,

Die Sündentilgung durch Wasser 409

beruht auf der Vorstellung, daß der Totengeist und die Leichen- dämonen hierdurch verscheucht werden sollen. Bei den Arabern werden selbst die später nach einem Leichenzuge vorbeiwan- dernden Leute mit Wasser besprengt^ da sich auf diesem Pfade, wo vorher eine Leiche weggeführt ist, Dämonen auf- halten.^ Der Römer, der die nächtlich wandelnden Toteii- geister verscheuchen will, nimmt schwärzliche Bohnen, wirft sie, ohne sich umzusehen, nach hinten mit den Worten: ^Ja die Meinigen und mich sühne ich mit diesem Geschenk.'

231 Anm. 2), in Deutschland, wo außerdem noch das Gefäß zerschlagen wird, damit durch dieses Geklirr die apotropäische Wirkung erhöht werde (vgl. Sartori Ztschr. d. Ver. f. VolksJc. XVIII 364; derselbe Sitte und Brauch 1 144; JBavaria II 1, 323; Ztschr, d. Ver. f. rhein. u. westf. Volksk. 1905, 197; A. Wuttke Deutscher Volksabergl.^ 465). Bereits der im 11. Jhdt. lebende Bischof Burchard von Worms erwähnt diesen Brauch, Wasser hinter der Leiche, die aus dem Hause geschafft wird, auszugießen: Fecisti illas vanitates aut consensisti, quas stultae mulieres facere solent, dum cadaver mortui hominis adhuc in domo iacet, currunt ad aquam et adducunt tacite vas cum aqua et cum sublevatur corpus mortui, eandem aquam fundunt subtus feretrum (Burchard aus Worms, Colonia 1548 p. 195). Ferner vgl. Hans Vintler Blumen der Tugend ed. Zingerle, Vers 7830 f.: 'So tragen etlich leute aus das wasser alles aus dem haus, wenn man einen toten trait für das haus, als man sait.' In Ar- menien wird ein Wassertopf, sobald der Tote hinausgetragen ist, außer- halb des Hauses zertrümmert mit den Worten: 'Geh' und komm' nicht zurück' (Sartori Ztschr. d. Ver. f. Volksk. XIII 365). Gegen diesen Brauch scheint sich der Talmud zu wenden: 'Wenn jemand Wasser auf die Straße gießt mit dem Rufe: 'Weg (ihr Dämonen}', so ist dieses ein heidnischer Brauch. Ruft er aber wegen der Vorübergehenden, so ist es erlaubt' {Toseftä Sabbat Yll § 11). Die Litauer halten nach einem Sterbefalle voni Tage des Todes bis zum Begräbnis Totenwache, wobei man die Leiche oft mit kaltem Wasser begießt, um die Leichendämonen zu verscheuchen {Globus 22, 239). In Zentral australien beschmieren sich bei einem Todes- falle die nächsten Verwandten mit Ocker und Fett, um hierdurch vor dem Totengeist geschützt zu sein {Globus 97, 57).

^ Goldziher in diesem Archiv XIII 41.

» Vgl. Awesta, Vend.VlIl 14-22; Scheftelowitz ZDMG LVII 146ff. Daher dürfen in Westafrika Frauen unmittelbar nach einem Leichen- begängnis nicht dieselbe Straße passieren, auf der eine Leiche befördert ist, damit ihre Kinder nicht krank werden (R. H. Nassau Fetichism in West-Africa 1907, 218).

410 ■'■• Scheftelowitz

Dieses sagt er neunmal, ohne sich umzublicken. Hierauf be- sprengt er sich mit Wasser und klirrt mit ehernen Geräten, indem er die Totengeister anfleht, sein Haus zu verlassen.^ Auch den bei den mohammedanischen Völkern vorherrschenden Brauch, Wasser auf das Grab zu gießen, erklären Sartori und Goldziher als Abwehr gegen Dämonen.^

Da nach dem primitiven Glauben das Brautpaar von Dä- monen bedrängt wird, so wird im Hochzeitsritual vieler Völker Wasser angewendet. So wurde die römische Braut mit Wasser besprengt. Nach Plutarch berührte sie Feuer und Wasser.^ Die Araber schützen das Brautpaar vor dämonischen Einflüssen durch Besprengung mit Wasser."* Im alten Indien badeten Braut und Bräutigam vor der Hochzeit, und am vierten Tage nach derselben, vor der ersten ehelichen Beiwohnung, wurden sie mit Wasser, in das die Überreste von Unheil vertreibenden Opferspenden getan waren, besprengt.^ In Coimbatore (Indien) badet sich das Brautpaar in Wasser, das mit Gelb wurzeln ge- mengt ist, damit es gegen den *bösen Blick' gefeit sei.*' Bei den Bodo-Kacharis (in Nepal und Assam) wird Wasser über das Brautpaar gesprengt."^ Die Karens in Burma gießen über die Braut Wasser, wenn sie in des Bräutigams Haus geführt wird.^ Bei der Hochzeitszeremonie der Siamesen wird das Braut-

1 Ovid FasH V 436 ff.

2 Ztschr. d. Ver. f. Volksk. XVIII 367; Archiv XIII 43 f. Mit Unrecht bestreitet W. v Baudissin Adonis und Esmun 1911, 437 Anm. diese Auffassnng.

8 Vgl. E. Samter Familienfeste der Griechen und Körner 15; derselbe Geburt, Hochzeit und Tod 88 f.; Wissowa jBe?«^ion und Kultus der Bömer 914 Anm. 6.

* I. Goldziher in diesem Archiv XIII 31 f.

^ H., Oldenberg Religion des Veda 423, 427; Winternitz Das altind. Hochzeitsrituell 1892, 43, 46 f.

^ E. Thurston Ethnographie Notes 73. Bei den Origa-Stammen bringen Mädchen, die noch nicht mannbar sind, von sieben verschiedenen Dörfern Wasser für das Brautpaar herbei, worin es ein Bad nimmt (Thurston a. a.O. 79). 7 Featherman Soc. Hist. IV 30.

« H. C. ThrumbuU The Blood covenant 1887, 193.

Die Sündentilgung durch Wasser 41 1

paar von dem Priester mit geweihtem Wasser begossen.' Das- selbe geschieht auch bei den Sasakern (auf den Sundainseln) mit den Worten: ^Das reinigende Wasser gieße ich über euch, das heiligende Wasser verbinde euch fürs Leben ... Es wird das über sie ausgesprengte Wasser sie läutern vor den Göttern, sie reinigen vor den Menschen. Mögen böse Geister ihnen nicht in den Weg treten.'^ Bei den Dajaks (Borneo) wird das Braut- paar sowohl mit Tierblut als auch mit Wasser besprengt.^ Auf Nias wird bei der Hochzeitszeremonie Wasser in ein Becken geschüttet und Gold im Werte von ungefähr einem Gulden für die Priesterin, die die Trauung vollzieht, hineingelegt. Von dem Wasser sprengt sie auf die Köpfe des Brautpaars.^ Bei den Zambalen (Luzon) begibt sich das Brautpaar am Vorabend der Hochzeit zum nächsten Fluß und nimmt ein Bad.^ Am letzten Tage vor der Hochzeit wird die kurdische Braut von den Frauen ihrer Verwandtschaft und der Bräutigam von den Seinen ins Bad geführt.^ Bei den Haussas wird nur die Braut am Hochzeitstage gebadet."^ Bei der Hochzeitszeremonie der Faebloindianer werden die Köpfe des Brautpaars mit Weihwasser gewaschen.^ Auch in Rumänien wird das Brautpaar mit Wasser besprengt.^ Nach einem Straßburger Ritual vom Jahre 1742 besprengte ein Priester das Brautpaar und das Ehegemach mit Weihwasser, indem er dabei sprach: Visita . . . Domine, hdbita- tionem isiam et omnes insidias ah ea longe repelle}^ Auch in Schweden wurde ehemals das Brautpaar mit Weihwasser be- sprengt.'^ Bei den Russen ist das Brautbad am Tage vor der Hochzeit üblich. Alsdann muß sich die Braut noch mit Weih- wasser waschen, wohl ^als Entsühnung' für das aus heidnischer

* E. Young Kingdom of the yellow rohe 1900, 95.

' i .Whei^, Sunda Expedition 1911, 106. » Thrumbull a. a. 0. 192.

* J.W. Thomas Brei Jahre in Südnias, Barmen 1892, 13.

^ Globus 49, 125. ^ Globus 69, 15. ' Globus 69, 375.

* F. Krause Puebloindianer 1907, 90.

* Ztschr. f. vergl. Rechtswiss. 1909, 96.

E. Fehrle in diesem Archiv XIII 158. ^^ Globus 89, 381.

412 I- Scheftelowitz Die Sündentilgung durch Wasser

Zeit stammende Brautbad, das vom christliclien Standpunkt als heidniscli und sündhaft empfunden wird.^

Da gerade die Wöclinerin vonDämonen heimgesucht wird, so hat man zur Femhaltung derselben ebenfalls Wasser benutzt. So heißt es Tosifta Ö abbat VI 4: ^Man darf ein Gefäß mit Wasser vor das Bett einer Wöchnerin stellen, ohne hierdurch sich einer abergläubischen Handlung schuldig zu machen.'^ In Karlsbad und Umgebung muß die Wöchnerin nebst Kind früh und abends mit Weihwasser besprengt werden, um gegen böse Einflüsse gefeit zu sein.^ Nach der arabischen Volksmedizin setzt man demjenigen, der an Schlaf- losigkeit leidet, ohne daß er es merkt, an das Kopfende des Bettes ein Gefäß voll Wasser.* Bei den Tenaindianern steht in jedem Zelt nachts ein wassergefülltes Gefäß, wodurch die Dämonen fern- gehalten werden sollen.^ In Schleswig-Holstein schützt ein Eimer Wasser unter dem Krankenbett vor dem ^Durchliegen'.^

Es würde zu weit führen, hier Feuer, Blut und Speichel, die, wie wir oben S. 380 gesehen haben, ebenfalls sündentilgende Mittel sind, in ihren Wirkungen zu behandeln."^ Die Unter- suchung hat gelehrt, daß gerade das Wasser im Exorzismus eine große Rolle spielt, und daß die Sünde, da sie im primi* tiven Glauben ein dämonischer Stoff ist, genau in derselbe! Weise wie jede andere dämonische Besessenheit beseitigt wordei ist. Diese Auffassung von der Sünde tritt besonders in denjenigei Religionen stark in den Vordergrund, in denen der Begriff dei Sünde sich bereits nach der ethischen Seite hin entfaltet hat, wej halb gerade dort das lebhafte Verlangen nach der Beseitigung dei Sünde durch Lustration oder durch Übertragung vorherrscW

* Globus 76, 316.

^ Noch heutzutage stellen die Juden in Bayern und Hessen einei Eimer oder ein Faß voll Wasser vor die Tür einer Wöchnerin.

» H. Floß Bas Kind^ 1109. * I. Goldziher in diesem Archiv XIII 35^

^ Änthropos 1911, 723. « Ztschr. d. Ver. f. Volksk. 1913, 282.

' Diese sollen für eine besondere Untersuchung aufgespart bleiben.] Über das Blut vgl. Scheftelowitz Bas Huhnopfer S. 41 ff. (RGW XIV 3).

Die altisraelitische Vorstellimg Yon unreinen Tieren^

Von Earl Wigand in Godesberg bei Bonn

Die Israeliten haben von jeher schon im Altertum nicht weniger als im Mittelalter und in der Neuzeit das besondere Interesse der übrigen Kulturvölker erregt. Der Grund hierfür waren in erster Linie ihre sonderbaren Gebräuehe, an denen dieses Volk mit großer Zähigkeit festgehalten hat und noch fest- hält. Von diesen ist wohl stets das Verschmähen des Schweine- fleisches den Andersgläubigen vor allem aufgefallen. Doch nicht das Schwein allein, sondern auch andere Tiere hielten und halten die Israeliten für unrein. Im folgenden soll nun untersucht wer- den, wie die altisraelitische Vorstellung von unreinen Tieren der vergleichenden Religionsbetrachtung erscheint, und wo die Quelle für diese eigenartigen Verbote zu suchen ist.

Unsere Kenntnis der altisraelitischen Vorstellung von un- reinen Tieren schöpfen wir aus zwei Kapiteln des Pentateuchs : Leviticus XI und Deuteronomium XIV. Nach der herrschenden Ansicht^ ist letztere im 8. 7. Jahrhundert entstanden, während die Aufzählung im Lev. XI der Quelle des esoterisch-priester-

* Vorliegende Arbeit ist von Herrn Geheimrat Eduard König in Bonn angeregt worden, dem ich hierfür, sowie für verschiedene Hinweise auch an dieser Stelle meinen herzlichen Dank ausspreche. Da ich von Beruf kein Alttestamentier und Orientalist bin, so kann das Thema von mir nicht abschließend behandelt werden. Vielmehr sollen nur die bis- herigen Auffassungen vom Ursprung dieser Anschauung (bes. in metho- discher Hinsicht) kritisiert werden. Dabei werden sich einige neue Ge- sichtspunkte und Probleme ergeben.

^ Vgl. z. B. Marti bei Kautzsch Die Heilige Schrift des Alten Testa- ments, 3. Aufl., Tübingen 1909/10, S. 261; Ed. König Eint, in das Alte Testament, Bonn 1893, S. 215—222; E. Seilin Einl. in das Alte Testament, \ Leipzig 1910, S. 17 und 39 ff.

414 Karl Wigand

liehen Pentateucherzählers angehört, der nach Ed. König^ alte Bestandteile enthält, in der uns vorliegenden Gestalt allerdings erst aus dem 6. vorchristlichen Jahrhundert stammt.^ Der Bericht des Deuteronomiums unterscheidet sich von dem jüngeren dadurch, daß in ihm eine ganze Rubrik der unreinen Tiere, das Gewürm, wie wir diese der Kürze halber bezeichnen wollen, fehlt; ist aber darin ausführlicher, daß er in Vers 4 und 5 eine Aufzählung von reinen Säugetieren gibt. Im übrigen ist die Übereinstimmung der beiden Quellen so groß, daß wir mit Marti ^ und Oettli* eine gemeinsame ältere schriftliche Vorlage annehmen müssen, die auch von Bertholet ^ für möglich ge- halten wird.

Im folgenden geben wir in Form einer Disposition eine Übersicht über die Deuteronomium XIV 3 20 gegebene Ein- teilung der Tierwelt.

A. Säugetiere

L Keine Tiere:

a) Angabe der einzelnen Tiere: V. 4 5.

b) Merkmale der reinen Säugetiere: V. 6. II. Unreine Tiere:

Nennung einzelner Tiere mit Angabe des Grundes ihrer Unreinheit: V. 7 8.

B. Wassertiere

I. Merkmale der reinen Wassertiere: V. 9. II. Merkmale der unreinen Wassertiere: V. 10.

C. Geflügelte Tiere

I. Erlaubnis, die reinen Vögel zu essen: V. 11. IL Aufzählung der unreinen Vögel: V. 12 18. IIL Verbot, die geflügelten Kriechtiere (Septuaginta:

SQTCstä t0v Ttstsivcjv) ZU essen: V. 19. IV. Erlaubnis, alle reinen geflügelten Tiere zu essen: V. 20.

* Gesch. d. alttestamentlichen Religion kritisch dargestellt^ Gütersloh 1912, S. 11.

2 König Einleitung S. 231.

^ Bei Kantzsch Heilige Schrift S. 264.

^ Bei Btrsick-Yölker Kurzgefaßter Kommentar {zu Deut. XIV) S. 61;

^ Bei Marti Kurzer Handkommentar (zu Deut. XIV) S. 44.

Die altisraelitische Vorstellung von unreinen Tieren 415

Es fragt sich noch, was mit dem V. 20 genannten näv TistSLvbv xa^uQÖv gemeint ist. Man könnte nach Martis Über- setzung^ bei Kautzsch a. a. 0. annehmen, daß nichts anderes gemeint sei als in V. 11. Doch erscheint eine einfache Wiederholung nicht wahrscheinlich. Vielmehr bezieht sich die Angabe von V. 11 speziell auf die oQvea (hebr. zippor), die Vögel, während V. 20 jcstsivd (hebr. oph\ also ein allgemeinerer Ausdruck gebraucht wird, der Tiere mit Flügeln schlechthin bezeichnet. Ich glaube, daß V. 20 eine Einschränkung von V. 19 gibt, ohne daß dies jedoch, was eigentlich zu erwarten wäre, ausdrücklich gesagt wird. Dies tut jedoch der Parallel- bericht Lev. XL 21 22, in dem bestimmte Arten der Heu- schrecken als rein bezeichnet werden, während der vorhergehende (V.20) und der folgende Vers (V.23) Deuteronomium XIV 19 entsprechen. Diese unterscheiden sich nur dadurch, daß die „geflügelten kleinen Tiere" in den Leviticusstellen noch näher bestimmt werden durch den Ausdruck „die auf vieren gehen", bez. „die vier Füße 'haben". Daß diese Bestimmung als Glosse irrig in den Text geraten sei, wie Kautzsch a. a. 0. S. 160, Anm. b, meint, scheint mir eine unnötige Annahme zu sein; vielmehr dürfte sie wohl hier an ihrem ursprünglichen Platze stehen. Fragen wir uns, welche Tiere, zoologisch betrachtet, damit gemeint sind, so bieten sich hier zwei Erklärungs- möglichkeiten:

1. Es gibt tatsächlich geflügelte kleine Tiere mit vier Beinen, die sog. geflügelten Drachen, die im Orient vorkommen.^

2. Wahrscheinlicher erscheint jedoch, daß unter den frag- lichen Tieren die Insekten zu verstehen sind, und daß die An- gabe von vier Beinen auf einer irrtümlichen Vorstellung beruht, die uns nicht so fern liegt, wie man denken möchte; denn in

^ „Alles reine Geflügel dürft ihr essen."

^ Vgl. über diese Tiere: Ph. L. Martin Illustrierte Naturgesch. der Tiere II 1, Abb. S. 6 und S. 88; Brehms Tierleben, Kleine Ausgabe, Leip- zig-Wien 1893, S. 17—18; Leunis Synopsis des Tierreichs S. 392.

^^Q Karl Wigand

der ältesten uns erhaltenen illustrierten Naturgeschichte aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, deren Verfasser Konrad von Meggenberg^ ist, erscheinen die Heuschrecken nicht der Wirk- lichkeit entsprechend mit sechs, sondern mit yier Beinen. Diese Vorstellung konnte sich sehr leicht bilden; denn tatsächlich nehmen die Insekten, wie ich es zur Zeit an den exotischen Stabheuschrecken beobachten kann, oft Stellungen ein, in denen der Beobachter nur vier Beine an ihnen sieht.

Wenden wir uns nun zu dem, worin Lev. XI ausführlicher ist als Deut. XIV, zu V. 24 ff., die Kautzsch a. a. 0. als Ein- schub bezeichnet. Zunächst scheint mir die Abteilung, wie sie in der Kautzschschen Bibelübersetzung vorliegt, nicht ganz richtig zu sein; denn V. 23 ist eine Wiederholung von V. 20 und dürfte so keinen Abschluß des Abschnittes bilden, paßt vielmehr besser, wenn wir ihn zum folgenden ziehen. Diese Auffassung zeigt auch die Septuaginta, in der das von Kautzsch durch „folgende^' übersetzte Wort mit tovtoig wieder- gegeben ist, was nur auf das Vorhergehende gehen kann, und dem widerspricht auch nicht das im Hebräischen gebrauchte Wort. Es wird so noch zu den unreinen geflügelten Kriech- tieren hinzugefügt, was ihr Aas für Unreinheiten mit sich bringt. Hieran werden einige weitere Gruppen von Tieren an- geschlossen, deren Genuß und deren Aas verunreinigt:

1. V. 27—28: Tappengeher.

2. V. 29 30: Kleine Vierfüßler (ra BQTtstä STtl Tfjg yfjg).

3. V. 31 38: Wirkungen und Verhaltungsmaßregeln betr. das Aas solcher unreiner Tiere.

4. V. 39 40: Wirkungen und Verhaltungsmaßregeln betr. das Aas reiner Tiere.

Nach dieser Abschweifung werden gegen Schluß von Lev. XI, V. 41 ff. weitere unreine Tiere aufgezählt, und zwar

' Vgl. die neueren großen Ausgaben von Meyers und Brockhaus' Konversationslexikon s. v. Meggenberg.

Die altisraelitische Vorstellung von unreinen Tieren 417

5. V. 41: „Kleine Tiere, die sich auf der Erde tummeln" Septuag.: SQTterbv o 6Q7C6l

y. 42:

6. Tiere, „die auf dem Bauche kriechen", d. h. Schlangen (vgl. Gen. III 14b),

7. Tiere, „die auf vieren gehen",

8. Tiere, die mehr als vier Füße haben.

9. V. 43 45: Besonderer Hinweis auf das Verbot der „kriechenden Tiere" unter Bezugnahme auf die Heiligkeit Gottes.

Wenn wir uns fragen, wie man dazu gekommen ist, diese Tiere für unrein zu halten, so wird es gut sein, erst bei anderen Völkern des Altertums nach ähnlichenVorschriften zu suchen, in denen vielleicht der Schlüssel zur Lösung der Frage liegen könnte.

I. In Ägypten, wo eine reiche Überlieferung vorliegt, fehlen wenigstens für die ältere Zeit zusammenhängende Vor- schriften dieser Art, wie mir von ägyptologischer Seite ^ mit- geteilt wird. Nur von wenigen Tieren ist hier der Genuß verboten: so untersagt die der Zeit um 750 v. Chr. angehörende Pianchi- Stele ^ das Essen von Fischen, die bei den Juden als rein galten. Dasselbe überliefern auch Herodot (II 37) und Porphyrius (de abstinentia IV 7). Unrein war den Ägyptern wie den Juden das Schwein, das jedoch nach Herodot (II 47) und Plutarch (de Iside et Osir. VIII) an einem bestimmten Vollmondstage geopfert und gegessen wurde. Die Vermutung, daß die Juden dieses Verbot von den Ägyptern übernommen hätten, dürfte wohl zurückzuweisen sein, da der Genuß von Schweinefleisch fast im ganzen Altertum ^ verboten war. Ferner

^ Diese Mitteilung sowie den Hinweis auf die Pianchi- Stele ver- danke ich. Herrn Prof. Wiedemann in Bonn.

^ Vgl. die Übersetzung der Pianchi- Stele von H. Bragsch-Bey in seiner Geschichte Ägyptens unter den Pharaonen^ Leipzig 1877, S. 682 ff., bes. S. 706, Nr. 150 151.

^ Theodor Wächter Beinheitsvorschriften im griech. Kult (Religions- geschichtliche Versuche u. Vorarbeiten IX 1, 1910) S. 82 ff. bringt Belege für die Skythen, Kappadokier, Syrer, Phönizier, Kreter, Cyprier und Libyer,

Archiv f. ReligionswisseiiBcliaft XVII 27

41^8 Karl Wigand

galten nacli Sommer^ den Ägyptern für unrein der Esel, die Maus, die öpv|^ dieses Tier im Gegensatz zu den jüdischen Gesetzen, wenn die Septuaginta Deuteron. XIV 5 die richtige Übersetzung gibt.

Über einige weitere Tiere, die wenigstens im 1. Jahrhundert der Kaiserzeit für unrein gehalten wurden, berichtet Plutarch in seiner Schrift De Iside et Osiride, Kap. lY V. Danach verschmähten die Ägypter die Wolle und das Fleisch der Schafe, und zwar nach Plutarch infolge ihres ausgesprochenen Reinlichkeitsgefühles. Es scheint, daß Plutarch hiermit das Richtige trifft. Machen doch seine Erörterungen den Eindruck, daß er gut mit ägyptischen Verhältnissen vertraut ist, was ja auch schon lange festgestellt ist.^ Jedenfalls galt den Ägyptern das Schaf nicht etwa deshalb für unrein, weil es in dem Widdergott von Mendes göttlich verehrt wurde; denn andere ebenfalls heilige Tiere durften gegessen werden.

Für den Fischgenuß haben sich, wie es scheint, die Vor- schriften in späterer Zeit spezialisiert; denn Plutarch (de Is. VII) berichtet, daß „nicht alle" sich des Genusses aller Meerfische enthielten, sondern nur einiger, so die Bewohner von Oxyrhynchos der mit dem Angelhaken gefangenen. Der Grund hierfür ist nach Plutarch religiöser Natur: die Bewohner dieser Stadt verehrten den Oxyrhynchos -Fisch göttlich und fürchteten daher, daß bei dem Fischfang ein nicht reiner Angelhaken ihren heiligen Fisch treffen könnte. In gleicher Weise mieden die Einwohner von Syene den Phagros (er wird von Aristoteles in Athenaeus^ Deipnosoph. VII 327 ausdrücklich als Raubfisch, als 6aQxoq)d'yog, bezeichnet), denn dieser erschien beim Steigen des Nils und wurde gern gesehen als Künder dieses für Ägypten

^ Bein und unrein (Biblische Abhandlungen 1848) S. 284.

^ Eine nicht näher bestimmbare Gazellenart.

' Die Literatur über Plutarchs Quellen gibt P. Wendland Die helle- nistisch-römische Kultur in ihren Beziehungen zu Judentum und Christen- tum'^ S. 118.

I

Die altisraelitische Vorstellung von unreinen Tieren 419

so wichtigen Naturereignisses. Die Priester, so berichtet aus- drücklich Plutarch, enthielten sich ganz des Fischgenusses.

Bei Porphyrius (de abstinentia JV 7)^ ist ein Passus er- halten, in dem eine Klassifizierung der unreinen Tiere Ägyptens gegeben ist. Die betreffende Stelle lautet in der Ausgabe von Nauck: tcjv dh Tcat avt^v Atyvictov ixd'vcov rs ccTteCxovxo Ttdvtmv xal tstguTCÖdcov o6a ^(bvv%a 7) 7toXv6%L8fi 7J fii) TiSQCcöcpÖQa Jttrjvcjv ÖS 06a GaQTiOfpdya' TtoXXol dh nad'dTtcc^ tcbv i^tjjvxcov. „Hiernach galt ihnen und den Hebräern genau dasselbe für rein; denn wenn die einhufigen und die mit viel- spaltigen Klauen versehenen Vierfüßler als unrein ausgeschieden werden, so blieben die Zweihufer oder Wiederkäuer übrig, und da von diesen ferner noch diejenigen Gattungen, bei welchen keine Hörner vorkommen, also die Kamele und was sonst aus $ mangelhafter Naturkenntnis zu den Wiederkäuern gerechnet sein mag, z. B. Hasen, Bergmäuse, abgetrennt werden, so ist hier die Anzahl der reinen gerade so beschränkt wie im mosaischen Gesetze.^' ' So die Worte Sommers a. a. 0. S. 287 zu der Stelle.

Diese Übereinstimmung der jüdischen und ägyptischen Speisegebote erregt unsere Verwunderung, da, wie erwähnt, ifür das Ägypten der älteren Zeit nichts von ihnen überliefert ist. Doch sind Zweifel an der Richtigkeit dieser Nachricht Snicht berechtigt; denn Porphyrius gibt Kap. IV 8 (am Schluß) tan, daß seine Nachrichten über die ägyptische Religion V7t* äv- dQoq (piXaX-qd'ovs 'Pf ^cal dxQißovs £v re tolg ötcoLKolg ngay iiarixcbtccta (piXo0o(p7]öavtog bezeugt (^s^ccQrvQrjiisva) seien. Es erhebt sich daher die Frage nach der Quelle dieser späten ägyptischen Scheidung der Tiere in reine und unreine. In der Zeit des Porphyrius, also im 3. nachchristlichen Jahrhundert, Jestand in Ägypten neben dem Christentum eine Mischreligion |}tärkster Art, wie durch die Literatur, besonders auch durch

^ Zitiert von Sommer a. a. 0., auch von Knobel - Dillmann Exod. tmd Umt. S. 482.

27*

420 ^^^^ Wigand

die neugefuudenen Papyri, feststellt. Daß diese auch von dem Judentum beeinflußt worden ist, zeigt z. B. aufs deutlicliste ein von Kenyon^ publizierter Papyrus in London, der vom Heraus- geber ins 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung gesetzt wird. Es dürfte daher wohl auch jene spätägyptische Scheidung der Tiere, wie sie uns Porphyrius überliefert hat, auf jüdischen Einfluß zurückzuführen sein. Waren doch von den acht Milli- onen Bewohnern Ägyptens in jener Zeit mindestens eine Million Juden.^ Und ist doch auch für andere orientalische Religionen der Kaiserzeit der Einfluß des Judentums festgestellt, so nach F. Cumont^ sicher für den Sabazioskult und wahrscheinlich auch für den Kybele- Dienst. Ein weiterer Beleg für den Ein- fluß des Judentums ist auch eine Notiz in Plinius' Naturalis Historia (XXX 11), nach der eine Richtung der Magie von Moses, Jannes, Jotapes und den Juden abhängig wäre. Zu vergleichen sind hier auch jene Worte des Philosophen Seneca,* daß die jüdische Sitte durch alle Länder verbreitet sei,- und daß die Juden, obwohl besiegt, den Siegern Gesetze gegeben hätten. Charakteristisch ist nun für diese spätägyptischen Speiseverbote, daß neben den in hellenistisch -römischer Zeit übernommenen jüdischen sich das für Ägypten ein Jahrtausend früher bezeugte Verbot der Fischnahrung gehalten hat, das den jüdischen eigentlich widerspricht.

* Greelc Papyri in ihe Brit. Museum 1893, Nr. CXXT, Col. 19 S. 104. ^ Über die Bedeutung der Juden im hellenistisch -römischen Ägypten

vgl. Mommsen JBöm. Geschichte V S. 489 und 586 ff.; Hermann Thiersch An den Bändern des römischen Beichs S. 9; zuletzt Wilcken- Mittels Chrestomathie der Papyruskunde I 1 S. 24 26, wo ältere Literatur, namentlich Schürer Geschichte d. jüd. Volkes im Zeitalter Jesu Christi III* 38 ff. zitiert wird.

' Die orientalischen Beligionen im römischen Heidentum (ins Deutsche übersetzt von G. Gehrich), Leipzig u. Berlin 1910, S. 78.

* Zitiert von Augustin De civitate Bei VI 10, abgedruckt bei Theodore Reinach Textes d'auteurs grecs et romains relatifs aujudaisme^ Paris 1895, Nr. 145 S. 263. Den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich Albrecht Die Geschichte des Volkes Israel von Mose bis auf die Gegemvart^ Berlin 1909/10, HI S. 19.

I

Die altisraelitische Vorstellung von unreinen Tieren 421

IL Stammlicli nahe mit den Juden verwandt sind die Be- wohner Arabiens, eines Landes, für das in älterer Zeit uns ausführlichere Nachrichten fast ganz fehlen. Erst aus der Zeit nach der Hedschra stehen uns umfangreichere Mitteilungen zu Gebote. Nach Sommer a. a. 0. S. 314 und nach Knobel- Dillmann a. a. 0. S. 482 ist in den späten sabäischen Speise- geboten alles zu essen verboten, was zugleich in beiden Kinn- laden Zähne hat. Hiermit ist, wie Sommer richtig hervor- gehoben hat, die größte Zahl der Säugetiere gemeint: denn die Tiere, bei denen die Zähne in der oberen Kinnlade schein- bar fehlen in Wirklichkeit nur in der Mitte des Ober- kiefers, nicht an den Seiten sind die Wiederkäuer.^ Genauer noch entspricht dem jüdischen Gesetze das Verbot, Vögel mit Krallen, also Raubvögel, zu essen. Da sich nun sicher in den Jahrhunderten nach der Zerstörung Jerusalems durch Titus, höchstwahrscheinlich auch schon viel früher, die Juden in Arabien so stark verbreiteten, daß es sogar im 6. Jahrhundert nacl\ dem Übertritt eines Königs der Land- schaft Jemen ein freilich kurzlebiges, jüdisch-arabisches Königtum* gab, so dürfte hier wohl nicht alte Parallelbildung oder mittel- bare Verwandtschaft, sondern unmittelbare späte Beeinflussung des arabischen Heidentums durch die jüdische Religion vorliegen.

III. Über die reinen und unreinen Tiere in Babylonien und Assyrien läßt sich zurzeit sehr wenig feststellen. Eine Scheidung der Tiere, wie wir sie bei den Juden finden, scheint nicht zu existieren. AVohl aber ist für bestimmte Tage der Genuß bestimmter Speisen verboten, so „Fisch für den 9. Ijjar, Schweinefleisch für den 30. Ab und Rindfleisch für den 27. Tischri", von denen ja Fisch und Rindfleisch^ den

^ Ygl. hierzu Otto Schmeil Lehrbuch der Zoologie, Stuttgart-Leipzig 1905 l^ S. 119-120 (mit Abbildung).

^ Alfred Jeremias Das Alte Testament im Licht des Alten Orients S.270\ S.432 2.

^ Dies bemerkt richtig Ed. König Gesch. d. alttestamentlichen Reli- gion kritisch dargestellt S. 280 f.

422 ^arl Wigand

Israeliten zu essen erlaubt waren. Nur auf Grund einer ge- nauen Kenntnis von babylonisclier Sprache und Religion könnte man eine Antwort auf die Frage geben, warum an diesen Tagen der Genuß der betreffenden Tiere verboten war. IV. Auch bei den Völkern der indogermanischen Rasse finden sieb den jüdischen ähnliche Vorschriften über reine und unreine Tiere, die ältesten wohl bei den Indern, die schon von Sommer^ zum Vergleich herangezogen sind. Charak- teristischerweise ist hier der erste Ansatz zu Speiseverboten erst zur Zeit der Yajurveden, also zwischen 1000 und 800 V. Chr., zu konstatieren. Zusammenhängende Vorschriften die- ser Art finden wir nach Leopold v. Schroeder" erst im indi- schen Mittelalter, das vom 6. vorchristlichen bis zum 1 6. nach- christlichen Jahrhundert gerechnet wird. Wichtig ist es, hier im Unterschied von dem jüdischen Gesetze festzustellen, daß im Prinzip jede Fleischnahrung verabscheut wird. Daher sind auch alle Tiere, die sich selbst vom Fleisch anderer Tiere nähren, d. h. in erster Linie alle Raubtiere, verboten. Diese sind in den indischen Gesetzen als „Tiere mit fünf Klauen" bezeichnet, eine umfangreiche Rubrik, von der jedoch einige bei v. Schroeder^ angeführte Tiere ausgenommen sind. Doch charakteristischerweise sind dies alles Tiere, die sich nicht von Fleisch nähren, darunter besonders die Wiederkäuer außer dem Kamel. Von den erlaubten Ausnahmen mögen zum Unterschied von den jüdischen Bestimmungen Hase, Stachelschwein und Eidechse erwähnt werden. Ausdrücklich verboten sind die Fische verzehrenden Taucher. Galten bei den Israeliten die Haustiere als rein, so ist bei den Indern das Gegenteil der Fall. Gerade Rinder, die auch für heilige Tiere galten, zu essen, ist streng verboten, untersagt ist auch

' a. a. 0. S. 309.

* Indiens Literatur und Kultur in historischer Entwicklung, Leipzig 1887, S. 406.

a. a. 0. S. 407 oben.

Die altisraelitische Vorstellung von unreinen Tieren 423

das Fleisch vom „zahmen" Schwein, ferner der Hahn sowie alle Vögel, die in Städten oder Dörfern nisten.

Die Entstehung der indischen Speisegesetze wird von V. Schroeder^ in Zusammenhang gebracht

1. „mit der allgemeinen ethischen Richtung, gemäß wel- cher die Schonung alles Lebendigen, Mitleid mit jedem Wesen, NichtVerletzung anbefohlen wurde",

2. mit dem „Einfluß des immer mächtiger wirkenden Glaubens an die Seelenwanderung".

V. Auch bei den Griechen und Römern gab es Tiere, die bei bestimmten Kulten oder von gewissen philosophischen Sekten nicht gegessen werden durften. Doch läßt sich hier von unreinen Tieren nicht in dem Sinne sprechen, wie wir dies in der altisraelitischen Religionsgeschichte zu tun pflegen, da diese Vorschriften nicht für das ganze Volk gelten. Das griechische Material ist gesammelt bei Theodor Wächter, Reinheitsvorschriften im griechischen Kult^, S. 76 102.

Wächter bezeichriLet in erster Linie diejenigen Tiere als unrein, die in bestimmten Kulten nicht geopfert werden durf- ten. Dieses „Unrein" ist nicht das gleiche wie das jüdische; denn im altisraelitischen Kultus durften, abgesehen von den unreinen Tieren, auch nur bestimmte von den reinen Tieren I geopfert werden. Etwas näher kommen der jüdischen Vor- ! Stellung von Rein und Unrein diese Begriffe bei religiösen I Sekten der Griechen, in erster Linie bei den Pythagoreern, 1 denen nur bestimmte Tiere zu essen erlaubt war. I Es leidet, wie mir scheint, Wächters Untersuchung an dem I allerdings in der modernen vergleichenden Religionswissen- ; Schaft weit verbreiteten Bestreben, überall religiöse Gründe zu suchen. Hierbei werden dann die aus dem Altertum über- lieferten Gründe für die Unreinheit der Tiere ignoriert, während

* Indiens Literatur und Kultur in historischer Entwicklung, Leipzig 1887, S. 406.

* S. oben S. 417 Anm. 3.

424 K^^l Wigand

doch, zu beachten ist, daß die Alten mit den Anschauungen enger verwachsen waren und dem Ursprung derartiger Verbote zeitlich wesentlich näher standen als wir.

Ein Beispiel illustriere die geübte Kritik. Es bestand in Attika ein uralter Brauch^, der von Älian (in den Variae Historiae V 14) überliefert ist und der nach Diogenes Laertius (YIII 20) in den pythagoreischen Vorschriften sich erhalten hat, daß ein im Dienste des Menschen stehender Stier, der, wie etwa Älian sagt, die Mühen des Ackerbaues mit den Menschen teilt, ^ nicht geopfert wurde, bezw. daß sein Fleisch von den Pythagoreern nicht genossen wurde. Den Grund hierfür sucht Wächter darin, daß das „Rind bei den Griechen in früherer Zeit als dämonisches oder heiliges Tier galt'^ Er ignoriert also die Überlieferung, diS ganz plausibel erscheint, nämlich daß der Stier wegen seiner treuen Dienste und vielleicht auch aus rein praktischen Gründen vom Menschen nicht geopfert wurde. Hierzu kommt noch, daß gerade mit diesem Verbot die Griechen nicht alleinstehen, sondern es mit anderen indo- germanischen Völkern teilen. So war nach Ovids Fasten (IV 413 ff.) aus demselben Grunde im Kulte der römischen Feldgöttin Ceres das Stieropfer verboten und das Schweine- opfer gefordert. Ganz ähnliche Vorschriften fanden wir bei den Indern, die den Genuß der dem Menschen im täglichen Leben nahestehenden Tiere meiden. Aus dieser kurzen komparativen Betrachtung dürfte die Richtigkeit der antiken Überlieferung hervorgehen, die freilich für die Quellen der altisraelitischen Speisegebote nichts ergibt.

Aus demselben Grunde wie die Stiere könnten auch Schafe, Ziege und Pferd in gewissen griechischen und römischen Kulten für unrein angesehen worden sein, obwohl die Überlieferung hierüber nichts direkt angibt. Jedenfalls weist schon die Ver- schiedenheit der Verbote, an verschiedenen Orten und bei ver-

^ Zitiert von Wächter a. a. 0. S. 89 f. * ävQ'Qoa'itois xaftaroov y.oivcovog.

Die altisraelitische Vorstellung von unreinen Tieren 425

schiedenen Kulten gewisse Tiere nicht zu opfern, darauf hin, daß wir mit einem Erklärungsprinzip nicht auskommen. Ich glaube, daß bei der Erklärung in erster Linie auch die mensch- lichen Gefühle, Aversion oder Sympathie für gewisse Tiere mit herangezogen werden müssen; denn daß diese bei den Menschen, und dann, wie so häufig, entsprechend auch beim Kult, eine Rolle gespielt haben, dürfte wohl klar sein. Dabei werden nicht bei allen Völkern und Stämmen im Altertum die gleichen Anschauungen geherrscht haben, die sich auch nur in den wenigsten Fällen mit unsern modernen decken werden So galt nach Plutarch, wie oben erwähnt, den Ägyptern das Schaf als ein besonders schmutziges Tier, während wir es für ein Symbol der Reinheit und Unschuld halten. Die Athener standen der Ziege wenig freundlich gegenüber, und zwar nach doppelter Tradition^ darum, weil die Ziegen gern die frischen Schößlinge des für Attika so wichtigen und von seinen Be- wohnern überaus geschätzten Ölbaums fraßen. Daher durfte keine Ziege die Akropolis betreten noch der Athena ge- opfert werden. Der Grund hierfür scheint auf den ersten Blick künstlich konstruiert zu sein, entspricht aber in Wirklichkeit der rein praktischen Denkweise der Athener, so daß religiöse Motive zur Begründung nicht herangezogen zu werden brauchen. In Sparta dagegen wurde nach Pausanias (III 15,9) gerade die Ziege der Hera geopfert. Als weitere mögliche Gründe für die antike Abneigung gegen die Ziege erwähnt Plutarch {Quaestiones i?ömawae Kap. 11 1) erstens die Geilheit, zweitens die Kränklichkeit, die tatsächlich für dieses Tier charakteristisch ist. Für die Unreinheit der Hunde wurden im Altertum ^ als Gründe angegeben der ungezügelte und offene Geschlechtsverkehr, ferner das streitsüchtige Wesen der Hunde, die das Asylrecht der Tempel hätten in Frage stellen können. Im übrigen galt der Hund als chthonisches Tier^ und wurde

^ Wächter a. a. 0. S. 87. ^ Plutarch a. a. 0.

3 Erwin Rohde Psyche » II S. 40G ff.

426

Karl Wigand

daher der Hekate geopfert, analog iv Tiad-aQöia) ^rjvC, im Reinigungsmonat, im Februar, an den römischen Luperkalien, während in Sparta junge Hunde dem Enyalios dargebracht wurden.

Es ergibt sich also hieraus, daß man wegen gewisser, dem Menschen verabscheuenswert erscheinenden Eigenschaften die Tiere für unrein und nicht zum Götteropfer geeignet erklärte. Dieser Gesichtspunkt, über den für das späte Ägypten die Hieroglyphika des HorapoUo Nilus ^ reichlich Aufschluß geben, muß auch bei der Frage, warum gerade dieses oder jenes Tier bei den Juden für unrein galt, berücksichtigt werden, was freilich eine besondere Untersuchung verlangt; denn hierzu müßte das Verhältnis der Juden zu den einzelnen Tieren und die jüdische Zoologie, wie sie uns im Alten Testament und auch später im Talmud vorliegt, herangezogen werden.

Ein weiterer Grund für die griechischen Speiseverbote be- rührt sich wiederum mit einem bei den Indern angeführten: es ist die seit dem G.Jahrhundert in Griechenland weit ver- breitete Lehre von der Seelenwanderung, nach der die Seele des Menschen auch auf Tierleiber übergehen kann.^ Diese Lehre hatte zur Folge, daß die Pythagoreer sich im Prinzip alles Fleischgenusses enthielten; in praxi machten sie eine Scheidung zwischen reinen und unreinen Tieren, indem als rein die den Olympiern zu opfernden Tiere angesehen ^ wurden, während sie den Genuß anderer Tiere als unrein mieden. Man braucht also keineswegs dämonische Kräfte als Erklärung der unreinen Tiere bei den Pythagoreern anzunehmen, wie dies Wächter tut.

Im folgenden zähle ich die Tiere auf, die nach Wächter bei den Griechen für unrein* galten: Schwein S. 82 ff., Ziege S. 87, Schafs. 89, Rind S. 90, Pferd S 91, Hirsch S. 92, Hund

^ Ed. Conr. Leemanns, Amsterdam 1835. 2 Rohde Psyche II 162 ff. » Ebenda II 164, Anm. 1.

* Die beigefügte Zahl gibt die Stelle an, wo Wächter über die be- treffenden Tiere spricht.

Die altisraelitiche Vorstellung von unreinen Tieren 427

S. 92, Fliege S. 93, Vögel S. 93, Fische S. 95. (Liste der ver- botenen Fische S. lOlf.)

Betrachten wir weiter nach dieser Übersicht die Ansichten der modernen Gelehrten über den Ursprung der alt- israelitischen Anschauung von reinen und unreinen Tieren. Am meisten verbreitet ist jetzt die wohl zuerst von W. Robertson Smith^ entwickelte Ansicht, daß die unreinen Tiere „Uberlebsel" aus jener Zeit der israelitischen Religion seien, in der diese Tiere als Sitz der Gottheit, als heilig oder dämonisch^, angesehen wurden. Diese Wesen galten daher als tabu, wurden also „mit religiöser Scheu betrachtet" und durften daher nicht getötet werden. Das Verbot, sie zu schlachten und zu essen, hätte sich auch noch in späteren Zeiten erhalten, als diese Religionsstufe längst überwunden war. Hiergegen ist zunächst mit M. J. Lagrange^ und Ed. König^ geltend zu machen, daß es sich bei dieser Ansicht von „Überbleibseln" in der israe- litischen Religionsgeschichte um eine völlig unbewiesene Be- hauptung handelt. Damit fällt natürlich auch die Beweiskraft der Parallelen aus der modernen Ethnologie, die für eine tote- mistische^ Herleitung der unreinen Tiere sprechen und beson- ders von Smith a.a.O. und von Stade^ herangezogen werden. Ferner spricht auch dagegen der Begriff der Unreinheit, der,

^ Smith. Lectures on the religion of the Semites, Edinburgh 1889, S. 143 u. ö. (ins Deutsche übersetzt von Stube).

^ Falsch ist es, wenn Stade in seiner Bibl. Theologie des Alten Testa- ments (B. I 1905) S. 141 die Begriffe „dämonisch", „unrein" und „als Totem betrachtet" ohne Begründung einander gleichsetzt, was auch schon Ed. König Gesch. d. alttestamentlichen Religion kritisch dargestellt S. 63 rügte; unrichtig bezeichnet Stade so S. 142 das Schwein als Totem.

^ Etudes sur les religions semitiques 1905 S. 113.

* Im Nachtrag zu seinem Artikel Beinigungen in der Protest. Realenzyklopädie (3. Auflage), den ich in der vom Verfasser freundlichst zur Verfügung gestellten Korrektur lesen durfte.

^ Über den immer noch nicht ganz klaren Begriff des Totemismus hat erst jüngst Edgar Reuterskiöld in diesem Archiv XV S. 1—23 ge- handelt.

« a. a. 0. S. 135.

428 ^^^^ Wigand

wie erwähnt, nur nacli Analogie aus der modernen Ethnologie, aher ohne zwingende Gründe mit Heiligkeit identifiziert worden ist. Richtiger hat ihn, wie mir scheint, Eduard Meyer^ definiert: „Sie sind unrein und verabscheut, nicht weil sie göttlich sind, sondern weil sie ganz und gar ungöttlich sind.^^ Das Ursprüng- liche war weiterhin, daß die. als tabu geltenden Tiere nicht ge- gessen und auch nicht geopfert werden durften. Daher wäre es doch wahrscheinlich, daß zu den unreinen Tieren auch alle nicht zu opfernden gehörten. Das ist aber keineswegs der Fall; denn nach den jüdischen Satzungen durften durchaus nicht alle reinen Tiere geopfert werden. Ferner spricht noch, wie ich glaube, folgende Erwägung gegen die „dämonistische" ^ Theorie: Dem ganzen Altertum, den Asiaten sowohl wie den Ägyptern, galt der Stier als heiliges Tier, ein Glaube, der bis in die ältesten Zeiten hinauf zu verfolgen ist, in Ägypten mit Sicher- heit bis in die ersten Dynastien^, in Babylonien bis zur Zeit Gudeas^ (um 2340). Auch den Israeliten lag diese Anschauung nicht fern, wie die Erzählung vom goldenen Kalb und die auf der Stufe der altprophetischen Religion zur Yeranschaulichung Jahwes verwandten Stierbilder ^ beweisen. Aber gerade das Kalb galt den Juden nicht als unreines Tier. Auch bei den Griechen wird das Rind sehr häufig als Opfertier gebraucht und ist nicht zu essen verboten, obwohl nach religionsgeschicht- lich begründeter Annahme die ßo&Ttig "Hqu ursprünglich als Kuh verehrt wurde. Es erheben sich also verschiedene Be- denken gegen die dämonistische Ableitung, und diese finden ihre Stütze darin, daß die Herkunft der heiligen Tiere aus dem mit der dämonistischen Theorie verwandten Totemismus,

* Geschichte des Altertums 1 2^ S. 79.

* Zu dieser Nomenklatur vgl. die Darlegung Ed. Königs Gesch. d. dlttestamentlichen JReligion S. 63.

^ Erm&n Ägijpt. Religion (Handb. der Berl. Kgl. Museen) 1909* S.2S

* Frank Studien zur habyl. Beligion 1911 S. 245. ^ Zuletzt besproclien von König Gesch. d. alttestamentlichen Religi

S. 40 u. 210.

Die altisraelitische VorstelluDg von unreinen Tieren 429

wenigstens für Ägypten, jetzt abgelehnt wird. So setzt Erman^ an Stelle der älteren Versuche eine neue Erklärung der ägyp- tischen heiligen Tiere.^

Ein weiteres Argument gegen die dämonistische Hypothese, das uns nicht gerade durchschlagend erscheint, aber doch be- rücksichtigt zu werden verdient, ist Orellis^ Frage, ob es wahr- scheinlich oder möglich sei, daß die Hebräer auf jener früheren Stufe zwar weder Stier noch Kuh, wohl aber Sumpfvögel, Insekten, Würmer u dergl. für göttlich gehalten haben.

Mit der dämonistischen Theorie hängt eng zusammen die weithin vertretene Ableitung der unreinen Tiere aus dem Tote- mismus. Freilich ist man hier z. T. von unbewiesenen Vor- aussetzungen ausgegangen, indem z. B. Stade * verlangt, daß man das „Vorkommen von Stammnamen als Tiernamen" zu- gleich mit dem „Vorkommen heiliger Tiere und der Gewohnheit, bestimmte Tiere nicht zu essen'* erklären müsse. Nach dieser Hypothese wurden in jenen alten Zeiten nicht alle Tiere vom ganzen Volk als heilig angesehen, sondern nur in jedem Stamm das dem betreffenden Clan heilige Tier. In späterer Zeit, als die verschiedenen Stämme sich zu einem einheitlichen Volk zusammengeschlossen hatten, hätte man alle diese heiligen Tiere im mosaischen Gesetz als unrein für das gesamte Volk zu- sammengefaßt. Diese Ansicht, die man hauptsächlich aus den einigen Stämmen beigelegten Tiernamen, die sich in Arabien besonders häufig finden, geschlossen hat, ist mit guten Gründen in der von E. König, Gesch. d. alttest. Rel. S. 62 kritisierten

1 a. a. 0. S. 9.

* Erman leitet ihre Heiligkeit ab aus Liedern, in denen das ägyp- tische Volk mit kühnen Bildern zu spielen liebte. Weil nun „die naive Phantasie den Mondgott einem Ibis und die Göttin Bastet einer Katze verglichen hatte, wurden diese Götter nun auch wirklich als Ibis und Katze gedacht und dargestellt. Das hinderte aber nicht, daß man ihnen gleichzeitig auch menschliche Gestalt zuschrieb.^'

^ Bei Herzog-Hauck Protest. BealenzyMopädie XVIII S. 605.

* a. a. 0. S. 39.

430 ^^^1 Wigand

Schrift Zapletals über den „Totemismus und die Religion Israels" abgelehnt worden und wird auch von Kautzsch ^ zurück- gewiesen. Weitere Gründe gegen den Totemismus sind neuer- dings von Ed. König ^ vorgebracht worden. Er weist hier darauf hin, daß wir keinen Anhalt für die Annahme haben, daß es den Juden überhaupt verboten gewesen wäre, die un- reinen Tiere zu töten, eine Vorschrift, die sich sonst bei Völkern mit totemistischer Religion findet. Als weiteren Grund führt König den Umstand an, daß das Verzehren der betrefi*enden Tiere bei den Juden für alle Zeiten verboten war, nicht bloß für die Zeit, in der das neue Totemtier heranwächst.

Weit verbreitet ist ferner die Ansicht, daß alle oder wenigstens einige Tiere deshalb für unrein galten, weil sie in den heidnischen Religionen der Nachbarvölker als heilig verehrt wurden. Diese Annahme wird scheinbar gestützt durch Levit. XX 22 K, wo in dem der Quelle des esoterisch -priester- lichen Pentateucherzählers angehörenden Heiligkeitsgesetz als Zweck der Scheidung der Tiere die Trennung Israels von den Nachbarstämmen angegeben wird. Aber es erscheint uns mehr als zweifelhaft, ob man mit König ^ sagen kann, „daß einige von den für unrein gehaltenen Tieren deshalb so angesehen worden sind, weil sie in einem der israelitischen Religion vor- ausgehenden und jedenfalls von ihr verschiedenen Kult als heilige Tiere galten"; denn da keine beweiskräftigen Gründe vorliegen, kann man mit demselben Recht die Übereinstimmung unreiner Tiere bei den Israeliten mit heiligen Tieren bei ihren Nachbarn für eine zufällige halten. Hierfür spricht entschieden die Tatsache, daß einige Tiere, die bei den Nachbarn der Juden seit uralten Zeiten als heilig galten, wie z.B. das Rind und die Fische*, bei den Juden nicht unrein, sondern zu essen er-

^ Heilige Schrift I S. 160. » S. oben S. 427 Anm. 2.

' Gesch. d. alttestamentlichen Religion S. 63.

* Wie die Ägypter sich zu den Fischen verhielten, sahen wir oben S. 418f. Daß Fische den Syrern als heih'g galten, berichten Cicero De

Die altisraelitische Vorstellung von unreinen Tieren 43 J

laubt waren. Außerdem verträgt sich diese Hypothese nicht mit dem erhabenen Standpunkt der offiziellen jüdischen Reli- gion, wie sie bei Josephus^ in folgendem, dem Osarsephos- Moses zugeschriebenem Gesetz zum Ausdruck kommt : „sie sollten weder Götter verehren, noch sich irgendeines der be- sonders in Ägypten verehrten heiligen Tiere enthalten, sondern vielmehr alles opfern und verwenden". Was nun die oben zitierte Leviticus-Stelle anbetrifft, so sagt sie durchaus nicht, daß der Zweck der Scheidung der Tiere in reine und unreine der Antagonismus gegen die heidnischen Kulte ^ gewesen sei, sondern nur eine in die Augen fallende Sitte, durch die sich Israel von seinen Nachbarn unterscheiden sollte, und dies war tatsächlich der Fall, wie unsere komparative Betrachtung dar- gelegt hat.

Einen anderen Grund für die Unreinheit der Tiere hat man in dem Festhalten an alten rituellen Gebräuchen erkennen wollen. So hat Pietschmann^ eine Erklärung dafür zu geben versucht, daß' gerade das Schwein im Altertum, speziell bei den Phöniziern, für unrein angesehen wurde. Er weist darauf hin, daß es „in den Ländern, in denen der phönizische Stamm vor seiner Übersiedelung nach Phönizien gehaust hat% keine Schweine gegeben habe. Obwohl nun in den späteren Wohnsitzen das Schwein verbreitet war, hätte man infolge des Festhaltens an alten rituellen Vorschriften keine Schweine geopfert, sondern sie vielmehr für unrein gehalten. Dagegen

natura deorum III § 39 und andere bei Smith Lectures S. 430 Anm. 1 aufgeführte Schriftsteller des Altertums.

^ Jos. contra Äpionem V 239 (26) Niese, zitiert in anderem Zusammen- hang von Ed. König Gesch. des Reiches Gottes bis auf Jes. Christus 1908 S. 84: 'O dh 7CQ&X0V ^hv avroTg voiiov ^d^sTo, iirjrs jtQOöyivvEtv d'sovg, {irits rä)v iidXLöta iv AlyvTCta) d'siiiöTsvo^ivcov Isq&v ^aoov änix^öd'aL ^ridsvoSt TtcLvra dh Q'vsiv xccl ccvaXovv.

' Eine Parallele hätte er in dem Verbot des Pferdefleischgenusses bei den christlichen Germanen im Kampf gegen die heidnisch- germa- nischen Religionen.

^ Geschichte der Phoenizier S. 218 219.

^ß2 ^^^^ Wigand

spriclit der praktische Grund, daß man für die Opfer diejenigen Tiere gebraucMe, von denen man eine genügende Menge besaß. Galt docli aucli in Ägypten, wo man das Schwein seit den ältesten Zeiten kannte^, dieses als unreines Tier. Man wird also den Grund für die Unreinheit des Schweines in einer anderen Richtung zu suchen haben.'

Der wirkliche Grund mag in der Natur dieses Tieres zu suchen sein, das in Brehms Tierleben^ folgendermaßen charak- terisiert wird: „Die Schweine sind Allesfresser in des Wortes vollster Bedeutung, .... wenige von ihnen ernähren sich aus- schließlich von Pflanzenstoffen, .... die übrigen verzehren nebenbei auch Kerbtiere und deren Larven, .... Lurche, Mäuse, ja selbst Fische, und mit Vorliebe Aas. Ihre Gefräßigkeit ist bekannt, daß darüber nichts gesagt zu werden braucht: in ihr gehen eigentlich alle übrigen Eigenschaften unter, mit alleiniger Ausnahme der beispiellosen Unreinlichkeit, welche ihnen die Mißachtung der Menschen eingetragen hsi." Infolge der ge- nannten Eigenschaften flößt dieses Tier Ekel ein, und dies gilt auch von den meisten anderen, den Juden zu essen verbotenen Tieren, besonders den Schlangen, den schlangenähnlichen Aalen und dem Gewürm, bei denen freilich Unreinlichkeit, wie beim Schwein, nicht wahrzunehmen ist. In dem Ekel, der gewiß wohl, wie Stade* hervorhebt, bisweilen erst durch Verbote anerzogen worden sein kann, aber durchaus nicht braucht, in dem natürlichen Abscheu vor gewissen Tieren haben wir eine der wichtigsten Quellen für Unreinheit zu erkennen. Können wir doch wohl auch beim Durchsehen der beiden Listen im Pentateuch feststellen, daß alle oder die meisten der hier ge-

* A Wiedemann Herodots 2. Buch S. 85, zitiert von Schrader JRedl- lexikon d. indogerm. Altertumskunde 1901 S. 746.

^ Pietschmann nimmt den angeführten Grand aucli für die anderen Völker des Altertums an, bei denen das Schwein für unrein galt, was natürlich erst für jedes einzelne Volk zu beweisen wäre.

' Kleine Ausgabe für Volk und Schule, Leipzig -Wien 1893, S. 654.

* a. a. 0. S. 142.

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Die altisraelitische Vorstellung von unreinen Tieren 433

nannten Tiere für uns ekelerregend sind. In bezug auf diese Quelle hat im Gegensatz zum Totemismus Orelli a. a. 0. mit Recht hervorgehoben, daß der Ekel bei weitem älter ist als Totemismus und Tabuismus. Da nun im Alten Testament die physische Reinlichkeit direkt zu den religiösen Pflichten ge- rechnet wird^, hat sicherlich bei der Auswahl der Tiere schon in älterer Zeit das Bedürfnis nach äußerer Reinlichkeit mit- gewirkt, das Kautzsch^ für die ältere Zeit ablehnt, für die Zeit der Zusammenstellung der Gesetze aber annimmt; ist doch auch „die anfänglich rein materiell aufgefaßte Reinheit" „den Semiten nicht ausschließlich eigen % aber sie haben „ihr einen einzigartigen Wert beigelegt".^

Weiter ist den meisten der im Alten Testament aufgeführten unreinen Tiere gemeinsam, daß sie sich fast durchweg von Fleisch ernähren, daß sie also bei ihrer Nahrung das Blut der betreffenden lebenden Wesen in sich aufnehmen. Da nun im Altertum und auch von den Juden das Blut für den Sitz der Seele ^ gehalten wurde, so schreckte man vor dem Genuß dieser Tiere zurück. Mit vollem Recht hat daher Ed. König ^ darauf j hingewiesen, daß der Abscheu vor Blut für die Israeliten ein I Grund war, solche Tiere als unrein zu meiden.

Ferner ist noch zu berücksichtigen und hierauf ist schon j verschiedentlich im Altertum, z. B. von Plutarch (Sympos. lY 5, ! Kap. 3) hingewiesen worden , daß man aus hygienischen i Gründen den Genuß mancher Tiere gemieden hat. Dieser

I Gesichtspunkt, der von Stade ^, freilich ohne triftige Gründe {abgelehnt worden ist, erscheint durchaus einleuchtend und ist lauch, wenigstens in bezug auf das syrische Verbot, Fische zu

essen, neuerdings von einem so trefflichen Kenner der orien- talischen Religionen wie F. Cumont^ wieder anerkannt worden.

II * Vgl. König an dem S. 427 Anm. 2 a. 0.

2 Heilige Schrift I S. 160. « Cumont Orient. Belig. S. 142.

^ Belege siehe bei Wächter a. a. 0. S. 81 Anm. 3.

^ Protest. Realenzyklopädie s. v. Reinigungen.

^ a. a. 0. S. 141. ^ a. a. 0. S. 284 Anm. 36.

Archiv f. Keligionswissenschaft XVII 28

434 ^^^1 Wigand

Um bei dem angeführten Beispiel, dem Schwein, zu bleiben, so sei nur an die Trichinen erinnert und darauf hingewiesen, daß man auch jetzt noch im heißen Klima des Orients kein Schweinefleisch ißt. Mäuse und Ratten verbreiten im Orient die Pest, und dies ist wohl auch bei einer Reihe anderer „unreiner Tiere" der Fall, wie mir von medizinisch- natur- wissenschaftlicher Seite mitgeteilt wird. Ob dieser Grund auf alle unreinen Tiere anzuwenden ist, mag dahingestellt bleiben. Vielleicht bringt uns die weitere naturwissenschaftliche Forschung in Zukunft mehr Klarheit. Mit dem zuletzt Angeführten berührt sich die im Altertum^ aufgestellte Ansicht, daß der Genuß des Fleisches gewisser Tiere der Psyche nicht zuträglich sei. Ob an diesem Grunde etwas Richtiges ist, vermag ich nicht zu entscheiden. ZapletaP hält die Richtigkeit nicht für aus- geschlossen.

Vielleicht hat noch ein anderer Faktor bei der Auswahl jener Tiere mitgewirkt: wir finden unter ihnen eine Reihe von Tieren, die nicht einer bestimmten Gattung anzugehören scheinen, sondern die der naive Mensch gleichsam als Mischgestalten auf- faßt. Hierzu sind die Wassertiere zu rechnen, die keine Flossen und Schuppen haben, so besonders der Aal, der scheinbar weder Fisch noch Schlange ist und dessen Genuß aus dem gleichen Grunde den alten Römern^ untersagt gewesen sein mag. Hier- her gehört auch das hebräische teo, in der Septuaginta und Vulgata xu^rjXoTtdQÖaXLg genannte Tier, wenn, was freilich sehr zweifelhaft erscheint, die Übersetzungen hier das Richtige wieder- geben; denn die Giraffe erschien, wie der antike Name zeigt, den Alten als Mischwesen aus Kamel und Panther. Eines dieser Tiere ist auch der Lev. XI16 genannte Strauß, dessen griechischer Name ötQOvd'Oxä[i7]Xog, eine Bezeichnung, die sich

* Vgl. z. B. Clemens Alexandr. Stromata Yll 6, § 33 und Plutarch De esu carnium I Kap. 6; auch II Kap. 1.

2 a. a. 0. S. 86.

» Plinius Nat Bist. XXXII 20 nach dem altrömischen Annalisten Cassius Hemina.

Die altisraelitische Vorstellung von unreinen Tieren 435

noch jetzt als Struthio camelus in der zoologischen Wissenschaft findet, ihn deutlich als Mischwesen kennzeichnet. Dazu kommt noch, daß dieses Tier, das seinem inneren Körperbau nach den Übergang von den Vögeln zu den Säugetieren bildet^, trotz seiner Flügel nicht fliegen kann, und daß es, wie das Schwein, alles frißt, was ihm in den Weg kommt.

Auf eine andere Möglichkeit, die altisraelitische Scheidung der Tiere in reine und unreine zu erklären, weisen die oben angeführten indischen Überlieferungen hin. Man hat hier den Eindruck, daß die indischen Speiseverbote in erster Linie den Zweck hatten, den im Prinzip verbotenen Fleischgenuß einzu- schränken. Da nun die vorsintflutlichen Menschen nach Gen. IX 3 Vegetarier waren und die Scheidung der Tiere in reine und unreine doch den Fleischgenuß voraussetzt, so kann diese vor der Sintflut nicht bestanden haben, wie Gen VI 19 [EP]; VII 2 8; VIII 20 [J] angibt. J und EP haben sich also hier eine Un- genauigkeit zuschulden kommen lassen, die sich leicht aus ihrer Zeit erklärt, in der die Scheidung der Tiere allgemein bekannt war. Es steht also nichts der Annahme entgegen, daß die alt- israelitische Scheidung der Tiere in reine und unreine ursprüng- lich denselben Zweck hatte wie die indische: nämlich, den neu entstandenen, im Orient aber besonders für die Gesundheit nicht gerade zuträglichen Fleischgenuß einzuschränken. Danach müßte sich die Scheidung der Tierwelt bald nach Noah entwickelt haben; der Irrtum des Jahwisten in der zeitlichen Ansetzung der reinen und unreinen Tiere wäre also kein großer. Eine In- korrektheit scheint J auch untergelaufen zu sein, wenn Gen. VII 2 I Jahwe Noah befiehlt, von allen reinen Tieren 7, von den unreinen 2 mit in die Arche zu nehmen, während nach Vers 8 nur je

! ^ Biblische Naturgeschichte, Calw -Stuttgart 1854^, S. 170. Hier sei Inoeh auf den Hasen hingewiesen, der angeblich mit offenen Augen schläft. Es dürfte daher nicht unwahrscheinlich sein, daß man infolge jdieser vermeintlichen Eigenschaft ein gewisses Grauen vor diesem flüchtigen :Tier empfand, und daß deshalb die Israeliten, wie auch die Bewohner iBritanniens (Caesar Bellum Gull. Y 12), sein Fleisch zu essen vermieden. * 28*

436 ^9-^1 Wigand Die altisraelitische Vorstellung von unreinen Tieren

2 Paare mit hineingingen. Die letzteren Zahlen stimmen mit der ersten Aufforderung Jahwes vor dem Bau der Arche (Gen. VI 19 20) üherein, die Kautzsch dem P zuweist. Danach könnte man daran denken, auch Gen. VII 8 9 dem P zuzuweisen. Fragen wir noch zuletzt, wie man zu der Einteilung ge- kommen ist, die in den beiden Kapiteln des Pentateuchs, Lev. XI und Deuteron. XIY vorliegt, so dürfte hier wohl die herrschende und schon von Sommer^ ausgesprochene Ansicht die richtige sein: die üblichen Haustiere, wie Rind, Schaf und Ziege, galten für zweifellos rein. Die gemeinsamen Eigenschaften dieser^Tiere, d.h. Wiederkäuen und gespaltene Hufe, wurden dann als Norm für die reinen Säugetiere hingestellt, die anderen galten als unrein. Die Vögel schied man nach der Art der Nahrung; denn die meisten unreinen gehören zu den Raubvögeln. Hinzu- genommen wurden noch einige, die sich durch Absonderlichkeit oder durch Unreinlichkeit auszeichneten. Das kleine Gewürm galt für unrein, wie sich dies ,.nach dem angeborenen Wider- willen gegen dergleichen Fleischspeise leicht erklären läßt".^ Wenn auch schon in früherer Zeit infolge natürlicher traditio- neller Anschauungen diese Tiere als unrein galten, so konnte ihre Einsetzung doch als göttliche überliefert werden, zumal da sie ein so gottbegnadeter Prophet wie Moses dem jüdischen Gesetze einverleibte.

* a. a. 0. S. 250. ^ Sommer a. a. 0. S. 258.

Eine weibliche Inkarnation in Tibet

Von Albert Grünwedel in Berlin

In dem hierarchisclieii System von wiedergebornen Heiligen, welches in Tibet und der Mongolei mit den beiden Groß-Lamas, dem Dalai Lama und dem Pan c'en an der Spitze die sicht- bare Kirche darstellt, vor der alle Laien sich tief in den Staub bücken, gibt es neben zahllosen männlichen Wieder- gebornen auch einen weiblichen Chubilghan von so hohem Range, daß die bezügliche Äbtissin bei ihrem gelegentlich statt- findenden feierlichen Besuch in Lha-sa vom Dalai Lama nur mit den höchsten Ehrenbezeigungen empfangen wird. Schon die ersten ausführlicheren Nachrichten über den Klerus Tibets, welche wir der Kapuziner mission des 18. Jahrhunderts ver- danken, sind hierfür, beachtenswert. A. A. Georgi (Alphabetum Tibetanum, Romae 1762) sagt S. 271 seines dickleibigen Quar- tanten: ^Inter Tibetanas Lhamissas celebris est Lhamö renata in regno Tzhang. Certum renatae signum est porci rostrum, quod ab ipso statim partu in cervice enatum Magna Dea spectandum porrexerit'; und S. 451 sagt er, wo er ihren Wohn- ort (* Palte: Lacus, alias Jamdrö aut Jang-sö^ nuncupatus')

I ^ Es handelt sich um das Kloster hSam Idin c^os sde auf einer der

drei Inseln des Pal-ti-See, benannt nach der Stadt dFdl di, nördlich da- Hvon; gewöhnlich heißt der See aber yans mts'o *der ausgedehnte See' \ \ oder g, yu mts'o, 'der Jade-See', d.h. 'grüne See' oder auch g, yan abrog, rdie glückliche Eremitage' (?) unter 28^57' 15" nördl. Breite, 90» 28' östl. Länge, 13 800 engl. Fuß üb. M., vgl. C. F. Koppen Die Beligion des Buddha^ Berlin 1859, 2, 354. Der tibetische Geograph Mintschul hutuktu nennt den See Yar abrog g,yu mts'o Feorpaoifl Tnöexa . . . B. BacflJibeBa C. lIcTepo. 1895, ^.20 = Journ. As. Soc. Bengal 1887 Nr. 1 S. 12 'den grünen See der hochliegenden Weiden'; .er nennt auch die drei Klöster: sDag lun pa, aBrug ra lun und Bo don's Kloetev = bSam Idin, wo die iukamierte VajravaräM Tib. rDo rje p'ag mo haust, um die Überschwem- mungsgefahr aus dem benachbarten 'Teufelssee' (bDud mts^o) zu beseitigeü.

438 Albert Grünwedel

nennt: ^Sedes est Magnae Renatae Lliamissae Turcepamö. Eam Indi quoque Nekpallenses tamquam ipsissimam Deam Bavani veneraütur et colunt. Tibetani vero Ciangciubium, hoc est Spiritum quendam sanctum, atque divinum in hac deformi foe- mina liaud aliter quam in Supremo Lhama renatum putant. Nee domo nee lacu egreditur, neque vero iter facit unquam in Urbem Lhassa, nisi pompa praeeat, totaque via thuribula duo semper incensa, atque fumantia praeferantur. Tum venit Dea sub umbella advecta throno: illius lateri adbaeret Asceta om- nium senior tamquam spiritualis vitae rector et institutor. Se- quitur postremo ordo reliquus religiosorum hominum ferme triginta, qui comitatum et aulam componunt. Ubi cohors Lbassam pervenerit, Divam adeunt veneraturi cum Trabae ipsi, tum Laici praesertim, qui ter bumi prostrati eam adorant, cumulantque muneribus. At illa nescio quod sigilli genus bonis adoratoribus osculandum praebet, eosque divinitatis suae participes facii'

Einen zweiten Beriebt über die inkarnierte Heilige ver- danken wir Mr. Bogle aus der Zeit der Sendung des Warren Hastings 1774 1775 nach Tibet.^ Damals wurde die sieben- undzwanzigjäbrige Vajravarähi von Dr. Hamilton, dem Arzt der Expedition, bebandelt.

Einen ausführlicben Beriebt über das Kloster verdanken wir Sarat Chandra Das, der im Jahre 1882 sieh dort aufhielt uad der dort während einer. Erkrankung leibliche und geistige Stärkung von der Äbtissin erhielt. Sein Bericht ist vielfach wieder reproduziert worden.^

^ Vgl. Clements R. Markbam Narratives of the Mission of G. Bogle of Tibet, London, Trübner 1876.

^ Rv. Graham Sandberg Calcutta Review, July 1890; The Englishman, Jani sott 1890; Ders. Tibet and the Tibetans, London 1906, S. 57, 117—20 Sarat Chandra Das Journey to Lhasa and Central Tibet, 2<i edit., Londor 1902, ed. by W. W. Rockhill, New edition 1904, S. 181 ff.; vgl. auch Journ As. Sog. Bengal, LXVII 1898 Pt. 1 S. 256 ff.; L.A. Waddell The Buddhisn of Tibet or Lamaism, London 1899, S. 245; A. 11 03 AHt,eB'fa CKa3«Hie ( xOiKAeHin bT) TaöeTCKyio Cxpany, C. üerepö. 1897, S 241 Note.

Eine weibliche Inkarnation in Tibet 439

Danach beherbergt das Kloster Mönche und Nonnen; die Disziplin der Inkarnation ist sehr streng; so darf sie z.B. nachts nicht liegend schlafen, sondern muß meditierend sitzen. Bei Tage mag sie in einem Stuhle sitzend ruhen. In einer be- sonderen Kapelle ihres Klosters sitzen die Mumien ihrer Vor- gängerinnen, welche sie einmal im Leben besuchen muß.

Die rDo rje p^ag mo soll am Nacken ein Mal in Form eines Schweinerüssels zeigen, da die Gottheit, die sich in ihr inkarniert, einst mit einem Schweinekopfe versehen einen Dämon überwunden haben soll.

Eine zweite Inkarnation dieser Göttin ist am Ufer des gNam mts^o p'yid mo (Tängri Nor), eine dritte in Markula (Lahul), eine vierte erwähnt Sven von Hedin.^

Die Englische Expedition im Jahre 1904, als deren Chief Medical Officer W. A. Waddell mit nach Lhasa zog, berührte auch hSam Idin Waddell gibt uns eine ausführliche Beschrei- bung des Klosters mit einer Abbildung desselben.^ Die inkar- nierte Heilige, damal's ein Kind von sechs Jahren, war mit ihren Nonnen usw. geflohen.

Graham Sandberg gibt in seinem Handbook den Namen rDo rje p^ag mo als gleichwertig mit rDo rje rnal abyor ma (Yajravarähi = Vajrayogini) an.^ Der Name, den Koppen einst drastisch mit 'Diamantsau' übersetzte, ist in der Tat unüber- setzbar. Yogini (rnal abyor ma) und ihr Synonym Varähi (p'ag mo) ist die Bezeichnung der weiblichen Gehilfin eines Yogin, eines Tantrikers, die Komposition mit Yajra 'Donner- keil, Diamant' gibt dem Betreffenden transzendente Kräfte, die Eigenschaft, über die Naturgesetze erhaben zu sein.

^ Transhimalaja Ul^ Leipzig 1912, S. 158 ff. Vgl. auch Graham Sand- berg Handbook of colloquial Tibetan, Kalkutta 1894, S. 199. Besonders hoch verehrt wird sie im Kloster bTsun t'an im nördlichen Sikhim, vgl. W.A. Waddell GazeUeer of Sikhim, Kalkutta 1894, S. 287.

^ Lhasa and its Mysteries, London 1905, S. 292 ff.

' Die Identität erhellt auch aus der Legende des Kälavirüpa, Kdhhab dun dan S. 12.

440 Albert Grünwedel

Die Legenden der Tantriker geben uns oft merkwürdige Proben der allegorischen Bedeutung der niedrigen Bescbäftiguog des Schweinebütens ^y und in diesen Zusammenbau g gebort die Legende, welcbe seit S. Cbandra Das so oft reproduziert wor- den ist, von der Täuschung des Sungariscben Eroberers im Jabre 1716. Er wollte das Kloster plündern, verlangte aber von der inkarnierten Äbtissin, sie solle herauskommen, damit er sehen könne, ob sie einen Schweinskopf habe. Auf die Antwort, er möge nicht versuchen, das Kloster zu sehen, zog der Mongole wütend heran und legte die äußeren Mauern nieder, da soll er eine wüste Stätte gefunden haben, auf der Schweine unter Obhut einer großen Sau weideten. Als die Gefahr vor- über war, verwandelten sie sich wieder in Nonnen mit ihrer Vor- steherin. Da soll der Mongole das Kloster reich beschenkt haben.

F. Grenard hat zuerst darauf hingewiesen, daß die Anschau- ung der Tibeter von einem Hausgotte in Schweinegestalt die Adaptierung dieser Tantragottheit erleichtert haben möge.^ Er

^ Vgl. besonders die Legende des Anangavajra und Saroruhavajra im KaTibdb dun dan des Täranätha ed. S. Chandra Das, Calcutta 1901, S. 18, Z. 22ff.

* Im Vaidürya dkar-po, dem großen astrologischen und historischen Kompendium des sDe-srid Sans-rgyas rgya-mts'o (vergl. über ihn A. Csoma de Koros Tibet. Grammar, Calcutta 1834, S. 181 und S. 191 Note, C. F. Koppen Beligion des Buddhall, Berlin 1859, S. 171 ff.) wird Fol. 458 B des schönen Berliner Holzdrucks der Sammlung W. A. Waddell der Hausgott des tibet. Volksglaubens abgebildet. Es heißt dort von ihm : rGya nag skad du ahrug rje zer bod du nan Iha zes pa ni mi lus pag gi mgo bo can etc., auf Chinesisch 'Edler Donner', auf Tibetisch 'der innere Gott'; er hat einen menschlichen Körper, aber den Kopf eines Schweines. W. A. Waddell hat diese Abbildung reproduziert im Ga- zetteer of Sikhim, Calcutta 1894, S. 368, vgl. auch Indian Antiquary 1894 S. 199 U8W. An beiden Stellen gibt Waddell den chinesischen Namen als Zug je wieder: offenbar ein Lesefehler, da das Aksara abru seines Exemplars undeutlich, ein azug aber unmöglich ist. Eine zweite A bildung des Gottes im Vaidürya dkarpo Fol. 459 A. „Das Schwein spiel eine große Rolle in der tibetischen Volksreligion; es ist ein mächtig Feind der bösen Geister; der Gott des Herdes wird mit einem Schweine köpf dargestellt." J. L. Dutreuil de Rhins Mission scientifique dans la haute Asie, 2 eme Partie; Fr. Grenard Le Turkesian et le Tibet, Pa:

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Eine weibliche Inkarnation in Tibet 441

ist es auch, der zuerst die Anschauung ausspricht, die indische Götterform möchte ursprünglich die Göttin der Morgenröte Märici gewesen sein.^ Allein Vajravarähi und Märici sind keines- wegs dieselben Wesen, sie lassen sich schlechterdings nicht vereinigen.

Die Legende, welche S. Chandra Das zuerst mitteilte, wie die schwgineköpfige Göttin mit dem pferdenackigen Hayagriva die beiden sind Manifestationen der Tärä und des Avalo- kitesvara den Dämon Matrankaru bändigen und ihn zwingen als Mahäkäla Buddhas Lehre zu schützen, genügt völlig zur Erklärung und bedarf der Heranziehung der Märici nicht.

Da das Kloster bSam Idin der roten Religion angehört und als rNih ma pa Kloster bezeichnet wird, so mögen wir in der Literatur des Begründers dieser Schule die Legende finden. Und in der Tat enthält das große Legendenbuch des Padma- sambhava die von S. Chandra Das skizzierte Geschichte, die in ihrem Puräna- artigen Stil an den Varäha-Avatära Visnus bei den Hindus erinnert. Man wird zugeben, daß die von Ge- org! schon bemerkte Ausgleichung der in der Vajravarähi er- scheinenden Form der Tärä mit der brahmanischen Göttin Bhaväni seitens der Nepalesen erträglich genannt werden kann.

Im Kapitel 6 der umfangreichen Lebensbeschreibung des

1898 S. 422. Es scheint diese Anschauung aber auch zu denen zu ge- hören, an welchen die Nachbarvölker partizipieren, und die Grenard selbst I.e. so geschickt geschildert hat. Ich erinnere mich, im Hause unseres türkischen Wirtes in Urumtsi (1902, Okt.) in einer Ecke des Gastzim- mers einen grotesken Bilderbogen aufgeklebt gesehen zu haben, der schwarze Schweine zwischen stilisierten Lilien darstellte. Die Frage nach dem Zweck der Darstellung, die in einem mohammedanischen Hause auffallen mußte, wurde nur mit Lachen beantwortet; der Umstand aber, daß ein solches Bild seit 1881 im Museum sich befindet (es stammt aus Samarkand), beweist, daß kein Zufall vorliegt.

* Noch mehr ausgeführt hat dies Charles Endes Bonin Les Boyau- mes des Neiges, Paris 1911 S. 173 188. Über die Verwechslung von Märici und Vajravarähi vgl. A. Foucher Etüde sur V Iconographie Boud- dhique, Paris 1900 S. 148 u. ders. 1905 S. 94.

442 Albert Grünwedel

Guru Padraasambhava, welche den Titel hat Ru aksa sakari^, kürzer, wie es scheint, in Kapitel 5 6 der Pekinger Ausgabe, welche Emil Schlagintweit zu seinen Exzerpten in den Ab- handl. d. k. bayer. Ak. d. Wiss .1 CI. XXI, II, 1899 S.419ff. be- nutzt hat, ist die Unterwerfung Rudras, der durch das Mantra Rudra mantra marudra Herr über alle Räksasas geworden ist,

erzählt. Da durch die erwähnte Notiz des Sarat Chandra

*

Das die Wiedergeburt des Vajravarähi mit dieser Legende in Verbindung steht, gebe ich im folgenden den Text dieses aben- teuerlichen, aber in mehr als einer Beziehung interessanten Kapitels mit einer versuchsweisen deutschen Übersetzung des keineswegs leichten Originals.

Nunmehr wird erzählt die Art, wie Rudra bekehrt wurde. Es machten eine Beratung: von dem Palaste Akanistha, der höch- sten S'uddhaväsa- Wohnung aus der Dharmakäya Samantabhadra^ mit den ihn umgebenden Scharen, aus dem mit Karunä be- gabten Ksetragebiete Ghanavyüha der Sambhogakäya Mahä- vajradhara und seine Umgebung, von dem höchstheiligen Wohn- ort Adakita aus der Nirmänakäya Vajrapäni und seine Um- gebung, aus der Unermeßlichkeit der selbst zauberhaft entstan- denen Schöpfung, alle drei Körper (Käyas) ohne Unterschied vertretend, Samantadhara mit den Scharen seiner Umgebung, aus dem im Osten liegenden Ksetrabereiche Allfreude der Buddha Vajrasattva und seine Umgebung, aus dem im Süden liegenden Ksetrabereiche des Segens Buddha Ratnasambhava und seine Umgebung, aus dem im Westen liegenden Ksetra- bereiche Sukhävati Buddha Amitäbha und seine Umgebung,

^ Vgl. über dieses merkwürdige Buch Bäßler- Archiv lll 1, 1912 S. 3fF. E. Schlagintweits Text hat immer Rütra statt Rudra, übrigens ist die Ligatur dra von tra in Holzdrucken häufig nicht zu unterscheiden. Bei Chandra Das (New edition 1904, S. 186) steht statt Rudra mantra marudra : Matrankaru. Wegen des Unterscheidungszeichens-|-(Donnerk eil) vgl. J5äyöZe^ Archiv 1. c. S. 4 Note.

^ Über diese Trinität, neben der hier noch alle die drei Form« umlassende Essenz des Samantadhara ('Allerhalter') als besondere Persc auftritt, vgl. Bäßler- Archiv III 1, 1912 S. 6.

Eine weibliche Inkarnation in Tibet 443

aus der Mitte, aus dem mit Bodhi geschmückten Ksetrabereiche, Buddha Yairocana und seine Umgebung, aus dem im Norden liegenden vollendet reinen Ksetrabereiche der Buddha Amogha- siddha und seine Umgebung und andere zahllose in Frieden hingegangene (sugata) nicht zu zählende, nicht zu beschreibende in Sambhogakäyas Vollendete und Vidyädharas also: „Wenn durch Buddhas Macht Rudra nicht bekehrt wird, so wird es schlecht ergehen und Buddhas Lehre nicht gedeihen ; diese Ver- körperung, geschaffen durch alle Verworfenheit, muß ein Rächer mit Waffen schlagen; wenn also die alten Verheißungen sich nicht erfüllen , wird der Jina, der die Wahrheit redet, zum Lügner werden, also geschehe seine Unterdrückung, damit er nicht mehr zu fürchten sei/'

So berieten sie und waren einmütig in ihren Worten. Als nun darauf bei dieser Gelegenheit alle Sugatas mit den Augen der Weisheit genau nachsahen, für wen es zutreffe und bei welcher Gelegenheit und von wem dann das Auftreten und die Voll- bringung der Bekehrung zu leisten sei, da erkannten sie, daß die Gelegenheit zu bekehren für zwei vorliege: für S'äkyaku- mära und Aryabhakti. Zu jener Zeit hatte Acärya S'äkyaku- mära bei Vajrasattva die Bodhi erlangt und Aryabhakti wohnte bei Vajrapäni; als diese sich mit großem Gefolge versammelt und uiedergesetzt hatten, da erhielten sie unter persönlicher Einwilligung der Jinas der zehn Weltgegenden und ihrer Söhne

Fol.22B4: de nas ru drai htul ts'ul hsad pa ni -f- gtsan mai gnas mc'og 'og min c'os Tcyi p'o hran nas c'os sku Jcun tu bzan po a¥or dan Icas pa rnams dan -^ t'ugs rje Man pa stug po bkod pai zin ¥ams nas Ions sku rdo rje ac'an c'en a¥or dan bcas pa rnams dan -§- Ican lo can gyi gnas mc'og dam pa nas sprul sTcu p'yag na dro rje a¥or dan bcas pa rnams dan -|- bkod pa Ihun gyis grub pai gzal yas nas sku gsum dbyer med kun tu ac'an c'en a¥or dan bcas pa rnams dan -§- sar p'yogs mnon par dga bai zin Farns nas sans rgyas rdo rje sems dpa q¥or dan bcas pa rnams dan ■%■ Iho dpal daii Idan pai zin ¥ams [24 B] nas Sans rgyas rin c'en abyun Idan alcor dan bcas pa rnams dan -f- nub bde ba can gyi zin ¥ams nas sans rgyas snan ba mfa yas a¥or dan bcas pa rnams dan -§- dbus byan c^ub kyis brgyan pai zin ¥ams nas sans rgyas rnam

444 Albert Grünwedel

Abhiseka und Konsekration. In folgenden Worten wurde ihnen ihr Auftrag erteilt: „Ihr habt getragen die Attribute des Ava- lokitesvara und der Tärä, jetzt ist es an der Zeit der als glück- lich verkündeten Prophezeiung, nehmt als Hülle eurer Häupter einen Pferde- und einen Schweinekopf!"

So lautete der Auftrag. Darauf verwandelten sie sich, dem Geheiß der Sugatas entsprechend, in den hochheiligen Haya- griva mit S'akti und in der Ausrüstung des Heruka, wechselten in den neun Tanzformen der großen Flammengarbe ihrer Ver- körperung und gelangten auf die Spitze des Berges Malaya, wo Rudra wohnte. An den vier Toren dort waren vier Hüter: Pferd und Schwein, Löwe und Hund. Da wandte der Hoch- heilige das Mittel der Leidenschaftslosigkeit an und segnete sie.

Sofort entstanden je vier Torhüterinnen, weiße mit Pferde- kopf, schwarze mit Schweinekopf, rote mit Löwenkopf, grüne mit Hundekopf. Und weiter, bei dieser Gelegenheit sich in Krämpfen krümmend, wurden sie zu je acht, die die Tore he- par snan mdsad ak'or dan bcas pa rnams dan ■%■ hyan rnam par dag pai zifi k'ams nas sans rgyas don yod grub pa ak'or dan bcas pa rnams dan -f- gmn yan bde bar gsegs pa dpag tu med ein grans med brjod du med pa ste -f- Ions spyod rdsogs pai sTcu dan rig adsin dan bcas pas bka bgros mdsad pa -|- sans rgyas mfu yis ru dra ma btul na -§- sans rgyas bstan pa mi ap'el nan agror Itun -|- kun tu log pa byas pai lus la ni ■%■ gsed mas mts'on c'a rnams kyis gdab par run -§- snan c'ad byas pa fams c'ad ma smin na -f- bden pa rab brjod rgyal ba brdsun par agyur -§- ajigs par gyur pa ma yin non par gyis -|- zes bka bgros te zal ac'am par gyur to -§• de nas dei ts'e bde bar gsegs pa rnams kyis gan gis adul bai adul bskal dan las ap'ro su la yod skabs su la bab -|- legs par ye ses kyi spyan gyis gzigs pas -§- fub ka gzon nu dan dad ap'ag gnis kyis gdul ba dus la bab par gzigs so -|- dei ts'e slob dpon fub'^ ka gzon nu rdo rje sems dpa ru sans rgyas ■%■ dad ap'ag [24 A 1] p'yag na rdo rjer gnas gyur nas de ak'or dan bcas pa adus te a¥od par gyur pa las -§- p'yogs bcui rgyal ba sras dan bcas pas zal mfun par dban bskur byin gyis brlabs rab tu gnas par mdsad de -f- bka bsgoi gsun adi skad ces bka stsal to -|- spyan ras gzigs^ dban sgrol ma mts'an rtags bzun -|- rta gdon p'ag gdon zal gyi gnon gyis -§- legs par gsun bai bka gros dus la bab -§- ces gsuns so -^ de dei ts'e bde bar gsegs pa rnams kyis bka bsgo ba bzin du |- dpal c'en rta mgrin yab yum du bsgyur nas he ru kai c'a lugs kyis -§- las

Eine weibliche Inkaroation in Tibet 445

hüteten, als Löwe, Tiger, Wolf, Schakal, Geier, Kranich, Rabe und Eule. Da wandte er wieder das Mittel der Leidenschafts- losigkeit an und segnete sie und dadurch wurden alle die acht mit den Tierköpfen (Löwe usw.) zu Hexen.

Sobald diese alle nun in der Folge in der Verkörperung der mit Sugataattribut auftretenden männlichen Form den Gott erkennende übernatürliche Weisheit erlangen, geben sie die Tierform wieder auf und erhalten je ihre Köpfe wieder, und von der Mischung dieser übernatürlichen Weisheit mit der Welt- zugehörigkeit heißen sie dem Namen nach Hexen.^

Als sie nun wieder Krämpfe bekamen, entstanden aus ihnen acht Wiesen: Märakanyä, Räksasi, Mädani, Bhairavi, Vimatä, (Jlosini, Sarakadhari, Kharparadhari, und sofort wandte er wieder das Mittel der Leidenschaftslosigkeit an, und es wurden die acht Mätrkäs des Machtbereichs der Keurima^ daraus. Begabt mit über- natürlichem Wissen, wodurch sie die Verkörperung der männ- lichen Form, welche das Aussehen eines Gottes hatte, erkannten,

abar ha c'en poi gar dgur hsgyur zin ru dra gnas pai ri ma la yai rtse mor p'yin pas -|- dei sgo hzi na sgo ha rta dan p'ag dan sen ge dan ¥yi dan hzis hsruns sin gnas pa las -§- dpal c'en pos ma c'ags fahs hyi shyor ha mdsad nas hyin gyis hrlahs pas -^ sgo ma rta gdon dJcar mo ■%■ j/ag gdoTi nag mo -§• sen ge gdon dmar mo -|- ¥yi gdon Ijan ¥u hzir byun no -f- yan dei ts'e nan rol du hyon pa dan sen ge dan stag dan ■%■ wa dan %■ spyan ¥u dan -f- hya rgod dan ■%■ Jcani ha dan -f- hya rog dan -§- 'ug pa ste brgyad kyis hsruns sin gnas pa las -§- yan ma c'ags fahs Jcyi shyor ha mdsad de hyin gyis hrlahs pas -§- sen gei mgo can la sogs p'ra men [24 B 1] ma hrgyad hyun no •§•

^ Das auffallendste Beispiel dieser Art ist die Legende des Mahä- siddha Kambala, der in Udyäna den Däkinis Schafköpfe verschaffte; unter dem Einfluß seiner Macht verschwanden diese wieder, vgl. A. Schief- ner Täranätha, Deutsche Übersetzung S. 3'.'4 ad S 182, 2; S 186, 2 der russischen Übersetzung und Kahhab dun dan ed. Chandra Das, Calcutta 1901 S. 24; vgl. meine demnächst in der Bihliotheca Buddhica erschei- nende deutsche Übersetzung.

^ So der Text, richtiger wäre Kauri-ma i. e. Gauri. Nach einem Traktat über Streuopfer usw. der Samml. Kozlov, St. Petersburg, Klon c'en snin gi tig-le heißen diese acht Hexen: Gauri, Cauri, Pramohä, Vaitäli, Pukkasi, Ghasmari, Smesani, Candäli, alle mit dem Zusatz Vajra- vor dem Namen.

I

446 Albert Grünwedel

nahmen sie unter Stimrunzeln furchtbare Form an, da sie dä- monische Mätrkäs waren. Als sie nun wieder in Krämpfe fielen, verwandelte sich der Hochheilige in die Gestalt Rudras, indem er die Methode befolgte, als ginge er, seine Speise zu suchen, die etwa in Menschenfleisch bestand, als stünde Rudra als Mensch vor ihm; dann übte er der Frau des Rudra gegen- über, es war die Räksasi Krodhesvari, Leidenschaftslosigkeit und gab ihr den Segen. Auf den Anruf *Heruka' erschien ein Sohn^, ein heiliger, in der Gestalt des zürnenden sechsarmigen, dreiköpfigen Vajraheruka.

Als nun darauf, was S'ri-Hayagriva und seine S'akti betrifft, das Pferd drei wiehernde Tonstöße, das Schwein fünf grun- zende hervorbrachte, da kam, bebend und angstvoll, Rudra heran und sprach also: „Du pferd- und schweineköpfiges Paar, was redest du da? Die Götter der Welt und die Asuras alle preisen meine Tugend und loben sie und stehen ergebenen Sinnes vor meinem Angesicht; ich bin nicht überwunden; du

de dag kyan yah bde bar gsegs pai c'a adsin pas lus hla la m¥yen pai ye ses dan Man pa yin la ■%■ ma byol son yin pas so soi mgo can du byun ste -f- ye ses dan ajig rten pa adres pas min yan p'ra men ma zes byao -|- de nas yan dei nan rol du byon pas -|- bdud dan srin poi bu mo myos byed ma dan -|- skrag byed ma dan -f- dri med ma dan skem pa ma dan -|- p'or fogs ma dan -§- gzon fogs ma dan brgyad qdug pa la yan ma c'ags fabs kyi sbyor ba mdsad pas -f- keu ri ma gnas kyi ma mo brgyad byun ste -§- yab hlai c'a adsin pas Ins mk'yen pai ye ses mna ba -f- ma srin mo yin pas kWo gner ajigs pai ts'ul du byun no -§- yan dei nan rol du byon pas rudra mi adug ste mi sa la sogs pai zas ts'ol du son bai sul du dpal c'en pos rudrai c'a lugs su bsgyur te -§- rudrai c'un ma srin mo kro dhe sva ri ma la ma c'ags fabs kyi sbyor ba mdsad nas byin gyis brlabs te ■%■ he ru ka zes brjod pas sras boom Idan adas va dsra he ru ka zal gsum p'yag drug pa ¥ro boi c'a lugs su byun no-%- de nas dpal rta mgrin yab yum gyis rta skad fens gsum ats'er zin p'ag skad fens Ina nur bas -f- ru dra bred ein dnans te mdun du byun nas adi skad ces zer ro -f- rta p'ag wgrin bu c'un k'yod ji skad zer %jig rten hla dan hla min la sogs pa kun gyis na yi [25 A 1] yon tan brjod ein

^ Diese Stelle wird verständlich durch die Darlegungen von Louis de la Vallee Poussin Bouddhisme, JEtudes et Materiaux, London IS 98 S. 153: 'pitari dvesam krtvä mätary anurägam ca.'

Eine weibliche Inkarnation in Tibet 447

selbst scheinst (darüber) glücklicli zu sein; wenn ich auch früher zur Seite nicht in Ehren gewesen, so bin ich doch nicht überwunden." So sprach er, erhob die Hand und beugte sie zum Kopfe. Darauf trat der heilige Hayagriva auf das Gesäß des Rudra Kälamoksa, streckte den Pferdekopf auf seinen Kopf- wirbel und legte ihn darauf, und als jener mit ausgestreckten Händen und Füßen lag, wurde der Pferdekopf von flüssigem Fett grün gefärbt und vom Blut, das die Mähne befleckte, rot und von der Galle, die das Gesäß befleckte, gelb, und das Ge- hirn spritzte auf die Stirne und geriet auf die Nüstern. Und so erhielt er ein Aussehen, das in entsetzlicher Weise seinen Körper verzierte, so daß seine furchtbar heldenhafte Gebarung nur Schrecken bringen konnte. Zur gleichen Zeit trat das Schwein von oben dem Weibe Rudras in das Geschlechtsglied und als der Schweinekopf, hin und her fahrend, ihr auf den Scheitel kam, wurde der Schweinekopf von Fett schwarz. Nun vereinigten Pferd und Schwein ihre Gesichter, ließen

bsnags ~- gus pai sems kyis na yi zal la Ita ■%- na non ma yin ¥yod ran hde bar qdug -f^ snon dus zur gos pas kyan na ma non -f- ces zer te lag pa sgren nas mgo la btud do -§- de nas dpal rta mgrin gyis ru dra far pa nag poi 'og sgor zugs te rta mgo spyi gtsug tu rgyan sie bton nas -f- ¥oi rJcan lag fama cad rab tu brgyans pas rta mgo tsHl ¥us ts'os nas Ijan ¥ur gyur -f- Frag rnog ma la gos pas dmar po -f- mJc'ris pa p^um la gos pas ser po —- Tdad pa dpral bar bo bas gzur du gyur to -|- sin tu dpa zin sgeg pa ajigs su run la ya na bat sJcu rgyan c'a lugs dan Man par gyur to ^ dei ts'e p^ag mos kyan ru drai c'un ma dei bha gai nan du yar zugs te p'ag mgo spyi boi gtsug tu yer byun bas ° p'ag mgo tsSl k'us ts'os nas nag por gyur to -|- de nas rta p'ag gnis po zal sbyor mdsad de sme ba brtsegs pa bskran par mdsad nas ^ rta skad fens drug ats'er zin p'ag skad fens Ina nur bai mod de nid la bde bar gsegs pai dmag dpun ni rol bya afibs pa bzin du nam m¥ai ¥ams yons su gan sie -f^ zi ha dan kWo bo dun zi ma k'ro la sogs pai dmag dpun bsam gyis mi ¥ydb pa sprin gyi p'un po Itar ak'rigs so -|- dei ts'e rudra far pa nag po brgyans pai na ts'as ma bzod nas c'o nes adebs [25 B 1] sin du abod c'^en po byas pa -— p'a ma hu ¥yu -|- 7'ta p'ag gnis kyis ru dra p^am ^ sans rgyas kyis ni bdud rnams p'am c'os ma yin rnams c'os kyis p'am -|- dge qdun gyis ni mu Stegs p'am -|- dban pos Iha min p'am par agyur -f- Iha min rnams kyis zla ba p'am -f- nam m¥a Idin gis rgya mts'o p'am |- me

448 Albert Grünwedel

die Blässen steil anschwellen, und das Pferd brachte sechs wiehernde Stöße hervor, das Schwein fünf grunzende Töne, und in demselben Augenblick wurde der ganze Himmelsraum aus- gefüllt, als ob eine zum Himmelsfrieden eingegangene Armee, zu magischen Zwecken sich ballend, herniederstiege, eine in der Vorstellung nicht zu fassende Heeresmasse von gütigen (sänta) und bösen (krodha^) männlichen und weiblichen Wesen ballte sich zu Haufen wie ein Wolkenwirbel.

Indessen konnte Rudra Kälamoksa die Schmerzen des Aus- gestrecktliegens nicht ertragen, er begann zu jammern und er- hob ein großes Geschrei: „Vater und Mutter, hu hu! Pferd und Schwein haben Rudra besiegt, die, welche außerhalb Buddhas Lehre stehen, sind von ihr überwunden, der Sangha hat die Tirthikas besiegt, Indra ist Überwinder der Asuras geworden, die Asuras haben den Mond überwunden, der Garuda hat das Meer überwunden, das Feuer hat alles Holz überwunden, das Wasser hat das Feuer bewältigt, der Wind hat die Wolken

yis sin rnams p'am par agyur -|- c'i(S ni me yan p'am par agyur -|- rlun •gis sprin rnams afor bar agyur -^ rdo rje yis ni rin c'^en p'ug —■ mdan gsuin rmi lam nan no hyas -f- gsod dam ci mdsad myur du mdsod ~ ces zer ha dan zag rdsas cig sor nas rgya mts'o c'en poi nan du Ihun bas ^ isan dan sprul gyi snin po dpag bsam gyi Ijon sin c'en por gyur te -f- de yan rtsa ba llui yul la zug pa ~ lo adab Iha min gyi yul du a¥rig pa ^ abras bu ni ITiai yul du smin par gyur te ^ min yan bdud rtsi amrta zes bya o ^ de nas rta p'ag gnis rgyu bde ba dan ■— lam bde ba dan |- abras bu bde zin bde ba c'en poi rol rtsed sna ts'ogs pa mdsad ein abar bai gar dgui bro a¥rab pa la sogs pai c'os ap'rul sna ts'ogs ston to --- de Uar dper na dmag brgyab te mi bsad nas °- go mts'on bsus nas ran gis gyon ein lus la btags -|- gnans ¥yer nor tob pai dpa bo g,yul las rgal ba bzin du ^ dpal e'en pos ru dra bsgral bai ru drai c'as [26 A 1] brgyad dan |- abar bai gar dgui gsog pa la sogs pa fams ead ye ses kyi e'as su byin gyis brlabs nas -f- rta p'ag gnis e'os kyi dbyins su gsegs so ~ de Itar rudrai c'as fams ead Ihai c'as su byin gyis brlabs nas -f- 1ha la dbu gsum yon ba dan ^ dur Urod kyi e'as brgyad dan | dpal gyi c'as brgyad dan -|- gsog pa yon bai rgyu mts'an ni de bzin no -|- de nas dei ts^e dpal p^yag na rdo rjes sprul pa yan sprul iiin sprul k'ro bo c'en po ajigs su run bai sku rnams su sprul pas -|- dei ts'e ru dras kyan sprul pa bkye ba g,di Ita bur sprul te -^ dbu dgii p'yag bco brgyad

Eine weibliche Inkarnation in Tibet 449

vertrieben, der Diamant (Yajra) hat den Edelstein zerspalten.^ Da ich in letzter Nacht einen schlechten Traum hatte und mir kaum etwas anderes bevorsteht als der Tod, so töte mich so schnell als möglich!" Als er so gerufen hatte, wirkte Zauber- kraft seines Jammers, er fiel ins Meer, da wurde er zu einem großen Paradies -Kalpavrka, einem zauberhaften Sandelbaum. Die Wurzeln reichten hinab in die Welt des Nägas, die Blätter bedeckten die Welt der Asuras, die Früchte reiften in der Welt der Götter, sie hießen mit Namen Amrta.

Darauf zeigten Pferd und Schwein viele Götterfreuden von höchstem Tugend verdienst, da Wandel, Weg und Früchte da- bei Tugendverdienst brachten; sie zeigten magische Bilder, mit den neun Tänzen in Flammengarben beginnend. So zum Bei- spiel einen Krieger niederzuschlagen, den Mann zu töten, Har- nisch und Waffen abzunehmen und sich selbst anzulegen, wie ein siegreicher Schlachtenkämpfer, welcher ihm überlassene und erraffte Beute erlangt hat. Es waren acht Manifestationen Rudras,

pai stobs c'en ajigs su run ha ri rdb tsam zig tu sprul par nus so -|- de Itar sdig pai ahras hu rnams smin pa la de Uar sprul mi nus so snam de Uar ma yin te ^ ¥o sa hrgyad non pai hyan c'uh sems dpa zig p'yir log pas -f- hde har gsegs pa rnams Jcyis hyan gdul dka bar gyur pa yin— IJia dan hcas pai ajig rten pa rnams Jcyis ni Ita smos Tcyan ci dgos ~ de nas dpal p'yag na rdo rjes de has Jcyan sprul pai rdsu ap'rul c'en po hkye ste -f- stobs c'en dpal c'en dgui ¥ro ho yan sprul nin sprul hsam gyis mi ¥yab pa sprul te nam mJc'ai ¥ams fams cad yons su gan har byas te -f- ru dra gdul hai fabs sna ts'ogs Tcyi sgo nas adul bar mdsad ein °- ru drai lus la [26 B 1] sans rgyas fams cad ma lus pai p'o bran btab nas bzugs pas -°- ru dras na ts^a ma bzod de c'on nes qdebs sin du abod hyas pas ■%- p'yogs hcur gnas pai a¥or rnams hrgyugs -f- fod mJc'ar sgo agram g,yas g,yon nas -f- bza sin ra bai nags ts'al gnas gnod sbyin srin po qbyun poi ts'ogs -f- hye ha ston pWag brgya mcHs pas -|- rem cig myur bar da Ita rem -f- q¥or gnas yul ni ni su rtsa hzi yi -f- ru drai c^a qdsin hye ha dun p'yur dmag -|- ci hgyi hJca nan p'o nar mnags pai qJc'or

* Vgl. die Parallelstelle in Ssanang Ssetsen Geschichte der Ost- mongolen S. 51: ,, Der Wind wirbelt die Erde umher, die Erde bedeckt das Wasser, das Wasser löscht das Feuer, der Vogel Garudi besiegt die Wasserdrachen, mit Diamant werden Edelsteine durchbohrt, die Tegri besiegen die Asuris, Buddha besiegt die Schimnus" usw.

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Albert Grünwedel

welche der Yon dem Heiligen auszuführenden Erlösung Rudras angehörten, nachdem sie endlich alle durch Segenspenden zu erkennenden Manifestationen gemacht waren, für alle Erkennt- nisse, welche mit den neun Tänzen in Flammenstrahlen be- ginnen, gelangte er auf die Basis der Lehre (dharmadhätu) von Pferd und Schwein. So wurden durch Segen alle Manifesta- tionen des Rudra zu göttlichen Manifestationen; es geschah dies ganz in der Reihe des Zusammenhanges der einzelnen Basen (nimitta), daß der Gott drei Häupter erhält, acht Mani- festationen auf Leichenäckern, acht Segensmanifestationen dies sind die Basen der Sühne. Darauf brachte bei dieser Ge- legenheit S'ri -Yajrapäni Gestalten nacheinander hervor, Zauber- gebilde der dritten Stufe, den Großzürner zu schrecken; gleich- zeitig brachte auch Rudra, so wie er konnte, ein Zauberwesen her- vor; denn er vermochte es, eine Schreckgestalt zu zaubern, so groß als der Berg Meru, schreckenbringend, von furchtbarer Macht mit achtzehn Händen und neun Köpfen. Da er sich aber vorstellte, da die Früchte seiner bösen Tat reiften, ver-

dpag tu med pa p'yogs mts'ams fams cad nas ~ bar snans gzi kun aWrigs bse sgra sgrogs °- om dg ru lu ru lui sgra sgrogs sig -- lag gis mts'on c'a Tcun gyis dus geig rgijoh ^ ces S77iras pas ^ geig kyan nan m¥an med ein ran gi ak'or du adur ma nan par -§■ dpal c'en po boom Man adas vadsra he ru kai ak'or du dban du bsdus pas -|- dei ts'e ru drai ak'or la bka grub pa dan -|- mk'a agro ma sum rtsu gnis dan ^ ma bdun srin bzi dan ~ qbar ma brgyad dan |- gyin brgyad dan -f- p'o na drug cu rtsa bzi la sogs pa fams cad he ru kai a¥or du agyur to ~ dei ts'e sras mc'og sme ba brtsegs pas Iha rnams kyi gsol bya ba mdsad ^ de nas hcom Idan adas rdo rje adsin pas sprul pai ¥ro bo bau la p'ur pa re btad nas -^ [27 AI] ru dra ak'or dan bcas pa sgröl cig ces mna gsol te bka bsgo o -|- dei ts'e yan dpal rta mgrin byon nas rta skad fens gsum bsgrags pas —■ ru drai dmag dpun fams cad ran dban med par adus nas ■-- de nas far pa nag po ak'or dan bcas pa fams cad nam fag ste |- dhan po rnams du la bar gyur nas ran nid gnas pai yul dan |- ran gi lus kyi rgyan dan -| ran ran gi srog gi snin po p'ul nas p'yag ats'al zin adi skad ces gsol to -°- sans rgyas spyod yul ¥yod la p'yag ats'al lo -§- rnam smin bskyed mdsad k'yod la p'yag ats'al lo -|- bdag gi las kyi bras bu yod gyur ein |- sna ma gan byas adi la smin te Itos -| p^yi ma gar agro da Itai las kyis spyod -| las

Eine weibliche Inkarnation in Tibet 451

möge er es nicht, so gelang es auch nicht. So an acht Stellen unterdrückt, kehrte er als Bodhisattva wieder, der wäre aber auch für Sugatas schwer zu bekehren gewesen, geschweige denn Göttern, die mit ihrem Gefolge noch der Welt angehören. Nun- mehr setzte S'ri Yajrapäni, indem er ein gewaltiges zauber- haftes Gaukelspiel begann, die Bekehrung auf Grund aller Kniffe, Rudra zu unterwerfen, ins Werk, indem er alle Regi- onen des Himmels erfüllte mit in Gedanken nicht zu fassen- den Massen von Zauberwesen dritter Stufe, Zürnern der neun Glückskräfte großer Macht. Auf Rudras Leib baute er einen Palast der Arüpabuddhas und betrat ihn; Rudra, der den Schmerz nicht mehr ertragen konnte, erhob ein großes Geschrei, Jammerlaute hervorbringend. Es eilten herbei die Scharen seiner Umgebung, welche in den zehn Weltgegenden wohnen, die Scharen von Bhütas, Räksasa's und Yaksas aus den Parks und Obstgärten, rechts und links auf dem Platz neben dem Tore des hohen Baues (?), hunderttausend Millionen erschienen. „Seid stark, rasch jetzt alle Kräfte heran!" Von vierund-

ni Jus dan grib ma hzin du agrogs -f- ran gi byas pa ran gi myon ba yin -|- yid c'ad agyod Jcyan las dban bcos su med -^ las Jcyis mnar bai skye bo bdag adra rnams -^ lus adi gdan du abul bas bzes su gsol -|- zes Ins bzugs gdan du p'ul bas Iha rnams Jcyi hzugs gdan du ru dra p'o mo yod pai rgya mts'an yan de Itar yin no -°- de nas rudrai a¥or abans dban p'yug rnams Jcyis gsol ba -f- dbus na mcH bai sJcal ba med -^ dJcyil q¥or mfa la ned rnams zog -|- jp'wcZ la ats'al bai skal ba med -|- Ihag ma zal c'ab bzes Ihag [27 B] zw ^ da nas abans yin no mi bzlog -|^ ci bgyi bJca nan ned kyis bsgrub ^ ma byams bu la aJc'ril ba Uar -|- dam la nes par ne bar bya ^ zes zer te mna dor ro -f- de na^ gsan bai bdag po dpal p'yag na rdo rje va dsra he ru Tca c^en pos p^yag mts'an ¥a tvan ga ru dra la bsnun te gan rJcyal du sgyel te bsgral -f- las dan non mons pai sdig sgrib fams cad dus geig la sbyans -|- dban bsJcur dam tsHg bsgrags te dam c'u blud ^ lus nag yid gsum byin gyis brlabs te gnas gsum du dam tsHg gi dor rje bzag nas -°- c^os shyon bai bsrun ma legs Man nag por dban bskur -^ sans rgyas bstan pa bsrun bar gner gtad -f- gsan mts'an ma lar btags te rdo rje feg pai gral la bzag go ^ de nas bkod pa Ihun grub tu sans rgyas fal bai dban po zes bya bar lun bstan to ^ de nas ru drai p'un po gan rkyal du bsgyel te mgo bo Iho nub -|- rkan pa byan sar du bstan te Iho p'yogs adsam bui glin du ap^ans pas sa gzir

29*

4,52 Albert Grünwedel

zwanzig Aufenthaltsorten in der Umgebung erschienen hunderi}| Millionen Kämpfer, welche das Aussehen Rudras hatten, voa; allen Weltgegenden her eine zahllose umgebende Masse als Boten gesandt, um auf den Befehl zu hören, was sie tun sollten, erhoben sie ein ermunterndes Geschrei, alle Himmelsräume durch- hallend: „Om! schreit den Ruf Ru-lu Ru-lu, schlagt zu glei- cher Zeit mit Waffen aller Art in den Händen!" So hieß es, da doch keiner da war, der eigentlich darauf zu hören gehabt hätte; auch konnte man nichts hören, da ihre eigenen Scharen dahertrabten. So sammelten sie sich alle unter dem Machtein- fluß des Mahäs'ri Bhagavän Vajraheruka unter seinen Scharen und so kamen bei dieser Gelegenheit alle, welche zu Rudras Scharen gehört und ihm Untertan gewesen waren, unter Heru- kas Macht, also : die zweiundzwanzig Däkinis, die sieben Mätrkäs, die vier Schwestern, die acht 'Bar-ma's, die acht Gyin und die vierundsechzig Dütas. Darauf brachte der beste Sohn Ucchusma die Gelübde der Götter in Gang. Bhagavän Vajradhara trieb für die zehn Zürner einen Nagel ein, formulierte den Auftrag und sprach ihn aus: „Befreit (erlöst) den Rudra mit seinen Scharen!" Da kam auch wiederum S'ri Hayagrlva herbei und gab drei wiehernde Töne von sich. Alle Heeresscharen des Rudra hatten sich ohne ihren Herrn versammelt, Kälamoksa und seine Scharen waren erschöpft, ihre Sinne schwanden, sie opferten auf den Ort, wo sie ihr Wesen gehabt hatten, die

gyur pa ni —■ de yan mgo lo sin ga lai yul -f- lag pa g,yas fo gar yul -|- g,yon U yul |- rTcan pa g,yas bal yul ~ g,yon ¥a c'ei yul -f- nan k'rol za hör yul -f- shin u rgyan yul -f- lin ga ma ga tai yul lo -|- yul c'en po hrgyad do -f- tsau, u ri ma la sogs pa gnas kyi ma mo hrgyan dan -|- po ta la sogs pa [28 A] ran hyun gi mc'od rten hrgyad dan mfon fos rnam pai qpWul drag la sogs pai yan tan hrgyad dan -^ srin mo ra ro mal nu ma la sogs pai bsrun ma hrgyad dan -f- gzan yan sin c'en po hrgyad dan -|- zin sJcyon c'en po hrgyad dan -|- mts'o c'en po hrgyad dan ~ Jclu c'en po hrgyad dan -§- sprin c'en po hrgyad dan ~ p'yogs shyon c'en po c'en hrgyad la sogs te dur ¥rod c'en po hrgyad du hyun har gyur to -f-

Eine weibliche Inkarnation in Tibet 453

Ausstattung ihrer Körperlichkeit, ja den Keim von all ihrem Leben, falteten die Hände und sprachen also:

„Yor dir falten wir die Hände, Ort, wo Buddha weilt, vor dir, der du die Reife unsres Karman schaffst, siehe da, wie hier gereift ist, was wir früher taten, da nun die Früchte unsres Karman eintreten sollen, wohin wir nachher kommen werden, das ergibt sich aus unserm jetzigen Karman; denn das Karman hängt an uns wie der Schatten am Körper, was wir uns selbst erwirkt haben, werden wir auch selbst ertragen müssen, die Wirkung des Karman kann es auch nicht wegschaffen, wenn wir auch gläubig Reue empfinden; nimm du uns nun an, so wie wir sind als Geschöpfe leidend durch unser Karman, nachdem du diese Verkörperung an ihren Sitz gebracht hast." Also ward ihre Körperlichkeit an den Ruheplatz gebracht und es geschah so wie das Mudrälaksana war für das Götterpaar Rudra mit S'akti am Orte, wo die Götter wohnen.

Darauf sprachen die Untertanen in der Umgebung Rudras, isvaras Leute, die »Bitte aus: „Da es nicht dein Anteil ist, in die Mitte zu kommen, ordnen wir uns am Rande des Kreises, da es nicht dein Anteil ist, zur Seite bittend zu stehen, so bitten wir, kommen zu dürfen, um dich zu bedienen; denn von jetzt ab ist uns die Möglichkeit nicht verwehrt, Diener zu sein, wir haben aufgehört, auf Befehle zu hören; wie eine liebende Mutter ihr Kind umfaßt, so müssen wir dem Gelübde anhängen/' So ward die Botmäßigkeit aufgegeben.

Darauf schlug Guhyapati, S'ri-Vajrapäni, der große Yajra- heruka, mit seiner Handwaffe, dem Khatvanga, den Rudra, warf ihn kopfüber zu Boden und erlöste ihn, reinigte ihn mit einem Male von allen bösen Flecken der mit seinem Karman verbun- denen Erbsünde, reichte ihm das Wasser des Gelöbnisses unter Aussprache der Gelöbnisformel des Abhiseka, segnete Leib, Mund und Geist, wirkte an diesen drei Stellen mit dem Vajra der Gelübdeformel bindend, weihte ihn zum Kälabhadra als Be- schützer der Bewahrung des Dharma, übertrug ihm die Sorge

454 Albert Grönwedel Eine weibliche Inkarnation in Tibet

des Schutzes der Religion Buddhas, gab ihm den Geheimnamen Mahäkäla und reihte ihn dem Vajrayäna an; auch gab er ihm die Verkündigung, er werde später im selbstentstandenen Him- mel Buddha Bhasmendra^ werden.

Da stürzte der Körper des Rudras kopfüber herab, er wandte den Kopf nach Südwesten, die Füße nach Nordosten, als er auf das im Süden liegende Jambudvipa herabfiel, kam er also auf den Boden: der Kopf nach Simhaladvipa, die rechte Hand nach dem Land Thogar, die linke nach Li, der rechte Fuß nach Nepal, der linke nach Käsmira, die Eingeweide nach Zahor, das Herz nach Udyäna, das Geschlechtsglied nach Magadha; das sind die acht großen Länder. Und es entstanden die acht Mätrkäs der Gruppe mit Cauri mätrkä^, die acht selbstentstan- denen Caityas mit Potala an der Spitze, die acht Gunas, be- ginnend mit dem Zauberschrecken des Sehens, Hörens und Er- strebens, die acht Wächter, beginnend mit der berauschenden Brust des Räksasi, ferner die acht großen Bäume, die acht großen Ksetrapälas, die acht großen Seen, die acht großen Nägas, die acht großen Wolken, die acht großen Dikpälas, diese acht Großen sind auf den acht großen Leichenstätten in Er- scheinung getreten.

^ In der Tibetischen Lehensgeschichte des Qakyamuni von A. Schief- ner, St. Petersburg 1849, S. 14 und Note 13 (S 84) ist die Bändigung S'ivas durch Vajraj)äni ähnlich erzählt. Der Buddha, als welcher S'iva wiedergeboren werden soll, heißt dort fäl hai dhyans, was Schiefuer mit Bhasmakrosa oder Bhasmaghosa 'Aschen stimme' übersetzt; unser Text bietet t'al ba dban, woraus leicht mißverständlicherweise t\ dbyans ent- standen sein kann; ich halte die hier vorliegende Form 'Aschenfürst', 'Aschenindra', da S'iva als Asket mit Asche beschmiert ist, für richtig.

* Vgl. oben die Note über Keurima.

Zum Zerstückelungs- und Wiederbelebungswunder der indischen Fakire

Von A. Jacoby in Luxemburg

Das Märchenland Indien hat vor anderen heute noch den Ruhm, Menschen zu beherbergen, denen auch das kritisch ge- stimmte Europa trotz seiner Überlegenheit ohne Zögern Un- glaubliches zutraut. Man braucht oft nur den Namen * Fakir' auszusprechen, und die den Trägem dieses Namens zugeschrie- bene Faszination teilt sich gleichsam mit dem Klang des Wortes den Gemütern weiter Kreise mit und zieht sie in ihren Bann. Wer hört nicht mit einem Staunen, dem sich geheimes Grrauen beimischt, die Erzählungen von den Männern, die Tage, ja Wochen hindurch im Grabe liegen, um dem Schoß der Erde dann wieder frisch und lebendig zu entsteigen? Die vor den Augen der bewundernden Zuschauer in wenigen Augenblicken aus dem eben gepflanzten Kern den hohen Mangobaum auf- wachsen lassen? Die noch viel Unbegreiflicheres vollbringen?

Vor einigen Jahren stellte sich Prof. R.Schmidt,jetzt in Münster, die Aufgabe^, das Wesen dieser ^menschlichen Narrheit' einem weiteren Leserkreis zugänglich und deutlich zu machen. An der Hand der Quellen wird allerlei über Lehre und Praxis der indischen Yogin mitgeteilt, die in einer eigentümlichen Methode der Autosuggestion besteht und dem Adepten Un- sterblichkeit, Erlösung und Wunderkraft verleiht. Das Buch ist reich illustriert durch 87 Abbildungen der Yogapraxis, Darstellungen zur Gherandasamhita, einem der Hauptwerke über die Yogins. Die von Professor Garbe zur Verfügung Schmidts gestellten Aquarelle sind aber nicht, wie dieser meint,

^ Fakire und Fdkirismus 1908.

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ein Unikum. Das chinesisclie Wan - schon -hsien-slm oder ^die Kunst, die Unsterbliclikeit zu erlangen', eine gleichartige chine- sische Anweisung, ist gleichfalls mit 87 Abbildungen geschmückt, von denen 38 in einer Publikation der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens wiedergegeben, 49 an- dere als im Original vorhanden außerdem erwähnt sind.^ Die 87 Illustrationen waren also wohl traditionell und kanonisch. Die Wunder' der sog. Fakire sind nun zum Teil gewiß nichts anderes als außerordentlich geschickte Taschenspielerkünste, die nach dem alten Satze 'Geschwindigkeit ist keine Hexerei' zu erklären sind. Zum Teil aber sind sie auch nach moderner Annahme, die in vielen Fällen wohl recht haben wird, da» Produkt und der Erfolg einer Suggestion oder Hypnotisierung. Es sind z. B. Kunststücke, die uns ähnlich aus hypnotischen Sitzungen Europas geläufig sind, wenn A. Bastian aus Birma erzählt, 'die Zuschauer des Zea (d. i. Zauberers) sehen eine wunderschöne Melone vor sich, so saftig und reif, daß ihnen das Wasser im Munde zwischen den Zähnen zusammenläuft. Wenn sie aber ein Stück in den Mund stecken wollen, beißen sie in ihren eigenen Finger, wie weiland die durch Albertus Magnus geneckten Höflinge im heiligen römischen Reich'.^ Solche Halluzinationen vergleiche man etwa mit den von Bern- heim in seiner Klinik in Nancy hervorgerufenen.^ Die Anabiose der Fakire ist öfters untersucht worden.^ Daneben finden sich aber auch 'Wunder', die einfacher und ungezwungener sich er- klären; sie sind wohl nur Sage.

^ Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens in Tokio VI 1893, 8 ff., in dem Aufsatz von v. d. Goltz Zau- berei und Hexenkünste etc. in China.

' Östliches Asien II 420.

* De la Suggestion 3. ed. 1891 im zweiten Kapitel p. 31ff.

* Combos Vanahiose des fakirs, Bullet, de la societe acad. indo- chinoise de France II 3, 642—543 ; Hellwald Die Magiker Indiens, Schrif- ten der Gresellschaft f. Experimental-Physiologie II. III; Stoll Suggestion und Hypnose in der Völkerpsychologie, 2. Aufl. 1904.

Zum Zerstückelungs- u.Wiederbelebungswnnder der indischen Fakire 457

So kehrt auch in Schmidts Buch eine Wundererzätlung wieder, deren Geschichte interessant genug ist, um eine zu- sammenhängende Untersucliung zu lohnen. Sie ist m. E. ein Beispiel dafür, daß man mit der Erklärung durch Hypnose und Suggestion nicht vorsichtig genug sein kann.

Schmidt berichtet nach Yairagyanandas Hinduhypnotismus^: 'Der Yogin hypnotisiert sein Publikum ohne dessen Einwilli- gung und Wissen. Das Publikum ist visionierend. Die phä- nomenale Echtheit der Fakirvorführungen wird dem Leser durch zahlreiche Protokolle bewiesen, welche die notariell beglaubigten Unterschriften zahlreicher Mitglieder der britischen Aristokratie, vieler Offiziere der Armee und anderer angesehener Personen tragen. So lesen wir in einem Bericht, wie ein Fakir ein Garnknäuel in die Luft warf. Es flog hoch, bis es vor den Augen des bestürzten Publikums verschwand. Während seines Fluges wickelte es sich auf. Ein Ende des Knäuels blieb am Erdboden, während das andere Ende anscheinend bis in die Wolken hinaufreichte. Nun gebot der Fakir einem Jungen hinaufzuklettern. Der Knabe gehorchte und kletterte anscheinend so schnell, daß man ihn bald nicht mehr sehen konnte. Sofort befahl ihm der Fakir, wieder umzukehren, ohne trotz mehrfacher Wiederholung des Befehls Gehorsam zu finden. Da ergriff er wütend ein Messer und kletterte dem Knaben nach. Nach einer kurzen Pause er- wartungsvollsten Stillschweigens hörte man in der Luft einen entsetzlichen Schrei und die blutigen Glieder, Kopf und Rumpf des Jungen kamen einzeln heruntergeflogen. Das Publikum nahm eine drohende und entrüstete Haltung an, so daß sich der zurückkehrende Fakir, anscheinend um sein Leben besorgt, bewogen fühlte, sein Verbrechen wieder gutzumachen. Er setzte die Glieder des Jungen zusammen, murmelte einige Mantrams und beschrieb mit dem Finger geometrische Figuren in der Luft. Sogleich fügte sich der zerstückelte Leichnam zusammen und

* Übersetzt von Harry Bondegger 22 ff. Bei Schmidt 167.

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der Knabe sprang frölilicli lachend wieder auf. Diese Vor- führung, welche von verschiedenen Yogins viele Male veranstaltet wurde, wurde in einem Protokoll bis in jede Einzelheit beschrieben und von den Zuschauern unter genauer Durchsicht unterzeichnet. Wie überrascht waren alle, als ihnen ein amerikanischer Journalist mehrere photographi- sche Aufnahmen derselben Vorstellung zeigte. Auf jedem Bilde konnte man den Fakir und Jungen behäbig schmun- zelnd auf einer Matte sitzen sehen. Von anderen Dingen war nichts zu entdecken. Der Fakir war während der ganzen Sitzung nicht von seiner Matte aufgestanden, hatte in Wirk- lichkeit die Vorgänge unter Konzentration seiner Aufmerksam- keit nur erzählt, und das faszinierte Publikum hatte alle Wun- der nur in der eigenen Phantasie leibhaftig geschaut. Auf die tote photographische Platte konnte sich der Einfluß des Magiers nicht erstrecken. Es gibt dafür nur eine Erklärung: der Hindu psychologisiert oder hypnotisiert seine Zuhörer. Er bringt deren Geist in einen derartigen Zustand, daß Vorstellung weiter nichts als Einbildung repräsentiert.'

Es mögen jetzt etwa zehn Jahre her sein, daß durch die Zeitungen ein ähnlicher Bericht ging, den ich damals in der 'Straßburger Post' las; leider ist er mir nicht mehr zur Hand. Immerhin entsinne ich mich noch genau der Tatsache, daß dort von einer doppelten Aufnahme der Vorführung die Rede war: während der eine Journalist das Kunststück mehrfach photographierte, zeichnete ein anderer die einzelnen Stadien mit dem Stifte nach. Die photographische Platte zeigte nichts als den die Zuschauer scharf anblickenden Fakir, die Zeichnungen dagegen gaben die verschiedenen Momente der eben erzählten wunderbaren Vorführung wieder, woraus daun gleichfalls der Schluß auf hypnotische Einwirkung gezogen wurde

Die Geschichte mit diesen amerikanischen Journalisten ist aber nichts anderes als eine kühne, wohlgelungene Irreführung des Publikums gewesen; die schlauen Zeitungsmänner hatten

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mit der Leichtgläubigkeit dem mystischen Humbug gegenüber gerechnet, und nicht ohne Erfolg. Als die Chicago Tribüne' im Jahre 1890 ihre auffallenden Mitteilungen brachte, da nahm sich die um die Erforschung der menschlichen Seelenkräfte so verdiente englische Society for psychological researches der Sache auj konnte aber in Indien nicht einen einwandfreien Zeugen des Wunders, viel weniger einen Fakir finden, der das Wunder selbst auszuführen vermochte. Eine nähere Untersuchung der Herkunft der Zeitungsberichte ergab denn auch, daß es sich um eine bewußte Täuschung der Leser handelte. Das Genauere über diese freilich etwas wenig wunderbare, überraschende Lö- sung der Frage ist in einem interessanten Buche des Direktors am psycho -physischen Laboratorium der Universität Kopen- hagen, Dr. A. Lehmann, zu lesen.^

Lehmann spricht dort auch davon, daß die gleiche Ge- schichte von der bekannten, aber nicht einwandfreien Theo- sophin Madame Blavatski mitgeteilt werde. Sie beruft sich an der Stelle^ auf einen älteren Zeugen, den marokkanischen Reisenden Ibn Batüta^, der im 14. Jahrhundert bis nach China gelangte. Nun war Ihn Batüta ein leichtgläubiger, supersti- tiöser Mann, dessen umfangreiches Reisewerk allerlei berichtet, was nur mit Vorsicht benutzt werden darf Er will, als er am Hofe des Emirs Korthai in Chansa, heute Hang-tscheu-fu, sich aufhielt, folgendes Erlebnis gehabt haben: ^Es präsentierte sich ein Gaukler, und der Emir sagte ihm: ,Laß uns eines deiner Wunder sehen'. Er nahm nun eine Holzkugel mit mehreren Löchern, durch welche lange Leinen liefen. Er warf sie in die Luft und sie stieg so hoch, daß wir sie nicht mehr sahen. Wir befanden uns in der Mitte der Zitadelle und es war zur Zeit der großen Hitze. Als ihm nur noch ein kleines Ende der

^ Aberglauben und Zauberei 1898, 304 f.

* Isis miveüed^ I 472 f.

' Collection d'ouvrages orientaux publice par la societe asiatique, 4 Bde., IV. Vgl. auch. Stoll Suggestion und Hypnotismus in der Völker- psychologie, 2. Aufl. 1904, S. 270.

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Leine in der Hand blieb, befahl der Gaukler einem Gehilfen, sich an die Leine zu hängen und daran in die Luft zu klettern, was er tat, bis wir ihn nicht mehr sahen. Der Gaukler rief ihn dreimal, ohne eine Antwort zu erhalten; dann ergriff er ein Messer, wie wenn er zornig wäre, hängte sich an das Seil und verschwand ebenfalls. Dann warf er eine Hand des Knaben herunter, dann einen Fuß, dann die andere Hand, den anderen Fuß, den Rumpf und den Kopf. Er kam dann keuchend und ganz außer Atem wieder herab, seine Kleider waren blutbefleckt; er küßte vor dem Emir die Erde und sagte zu ihm etwas auf Chinesisch. Als ihm der Emir etwas befohlen hatte, nahm der Gaukler die Glieder des Knaben, fügte sie Stück an Stück zu- sammen, gab ihm einen Fußtritt, und siehe da! der Knabe er- hob sich und stand ganz aufrecht. All das setzte mich in großes Staunen und ich bekam ein Herzklopfen, wie damals, als ich beim König von Indien Zeuge einer ähnlichen Begebenheit ge- wesen war. Man ließ mich eine Arznei einnehmen, welche mich von meiner Unpäßlichkeit befreite. Der Kadi Afchareddin saß neben mir und sagte zu mir: ,Bei Gott, es ist weder Auf- steigen, noch Herabkommen, noch Abschneiden von Gliedern, alles ist nur Gaukelei^'

StoU denkt bei dieser Erzählung an Suggestion, an einen hypnotischen Zustand des Marokkaners. Ob das tatsächlich eine begründete Annahme ist, kann natürlich nur der Fach- mann entscheiden. Bei einer beschränkten Zuschauerzahl, wie sie hier vorausgesetzt wird, hat diese Vermutung jedenfalls mehr Wahrscheinlichkeit für sich, als in jenen ersten Berichten, wo man eine richtige Massensuggestion annehmen müßte.

Einen anderen Zeugen für das nämliche Wunder bringt E. D. Hauber^ aus Meltons Morgenländischer Reisebeschreibung bei: 'Man findet unter den Chinesen viele Zauberer, Zeichen-

^ Bihliotheca, acta et scripta magica. Gründliche Nachrichten und Urtheile von solchen Büchern und Handlungen, welche die Macht des Teufels in leiblichen Dingen betreffen. XIV. Stück, 1740, 114 ff.

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deuter, Wahrsager, und künstliche Possenreißer oder Gaukeier, so von einem Ort nach dem andern reisen, um, wie es scheint, in Gefahr ihres Lebens, ein Stück Brodts zu verdienen. Ich sähe eine solche Gesellschaft im December (Anno 1676) zu Batavia solche Dinge thun, über welche man sich billig ver- wundern muß, davon ich dem Leser etwas mitteilen will. Erst- lich kröche einer von der Gesellschaft unter einen Korb, der so enge war, daß er kaum darunter sitzen kunte, gleich dar- auf stach sein Cammerad mit einem spitzen Degen so tapffer durch denselben Korb durch und durch, daß der darunter sitzende überlaut zu schreyen anfing, und das Blut allenthalben herfür drung. So bald er aber wieder hervor kommen, kunte man nicht das geringste an ihm erblicken. Wir stunden in hoher Verwunderung, daß er nicht von einem eintzigen dieser Stichen getroffen worden, da doch der Korb überaus enge, der Dege stets durch und durch gedrungen, und wir das Blut auch vielfältig gesehen hatten. (Nach diesem von den in Europa reisenden Fakiren oft vorgeführten Kunststück^ folgen bei Melton dann allerlei andere Akrobatenstückchen.) Aber jetzo wil ich etwas erzählen, welches allen Glauben übertrifft, und welches hier einzurücken ich mich nimmermehr unter- stehen würde, dafern es nicht über tausend Menschen neben mir mit ihren leiblichen Augen gesehen hätten. Einer von den Gauklern nahm ein aufgewickeltes Klauen von einem Strick, davon er das eine Ende in die Hand nahm, und das Klauen mit einer solchen Gewalt in die Luft hinein warf, daß es niemand mit seinem Gesicht erreichen kunte, hieselbst kletterte dieser Mensch mit solcher Geschwindigkeit an dem- selben Strick in die Luft, daß man ihn endlich nicht mehr sehen kunte. Ich stund damahlen in großer Verwunderung, nicht wissend, was daraus werden solte, bis ich inzwischen, und alle Zuschauer neben mir, sahen, daß ein Bein aus der Luft her-

^ Ygl. E. V. Hesse -Wartegg ZauberJcünste der indischen Fakire^ Da- heim 39. Jahrg. 1902/03 Nr. 5, 23 ff.

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unterfiel. Einer von diesen Gauklern rafte es augenblicklich auf, und warf es in den vorbeschriebenen Korb. Ein Augen- blick hernach fiel eine Hand herunter, und gleich darauf aber- mahl ein Bein, kurtz zu melden, alle Glieder des Leibes kamen solcher gestalt aus der Luft herunter gefallen, und wurden zu- sammen in den Korb geworffen. Das allerletzte Stücke, so wir herunter kommen sahen, war der Kopff, welcher, sobald er nur die Erde berühret, von dem, der die Glieder aufge- sammlet hatte, unterst zu oberst gekehret ward.^ Hierauf sahen wir vor unseren Augen, wie alle diese Glieder wieder zusammen krochen, und sich vereinigten, daß alsobald ein vollkommener Mensch daraus ward, der alsobald wieder stehen und gehen kunte, wie vorher, ohne einigen Schaden an ihm zu mercken. Ich habe mich niemahlen über etwas so sehr verwundert, als da ich dieses Werck sähe, und ich zweifele fast, ob alles, absonderlich das letzte Stück, ohne eines andern Hülffe hat zugehen können.' So weit Melton in seiner Reise- Beschr. part. 4, c. 18, pag. m. 498.^ Weil ich die Reise- Beschreibung des Meltons noch nicht habe zu sehen bekommen, auch von diesem Autore bey anderen Schreibern noch nichts antreffen können, so habe ich die vorgedachte Erzählung aus E. G. Happalii größten Denckwürdigkeiten der Welt, oder so genanten Belationibus curiosis entlehnt, in deren ersten Theil dieselbe p. 445. 446 gelesen wird/^

Den gleichen Meltonschen Bericht gibt auch P. Walbaum* nach einem Werke PauUinis.^ Hier heißt es aber vom Kopf des Fakirs: 'Das allerletzte war der Kopf, welcher gleichfalls

* Das ist wohl ein Irrtum, s. gleich den Bericht Walbaums.

' Edward Melton Zee- en Land Beizen door Egypten, Westindien, Perzien, TurJceyen, Oost-Indien etc. Amsterdam 1660. 1677. 1681. 1702.

' E. Guernerus Happel Größte Denkwürdigkeiten der Welt oder so- genannte Belationes Curiosae. Hamburg 1683. 5 vol.

* Histwie der ost-indischen Insel Groß-Java, Leipzig 1764, S. 170.

^ Ant. Paullini Curieuses Gdbinet ausländischer Merkwürdigkeiten 1717 1719 S. 246-249.

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in den Korb kam, worauf selbiger umgekelirt wurde.' Am Schluß ist deutlich gesagt Vas ohne des bösen Feindes Hülfe gewiß nicht zugehen konnte'.

Ihn Batüta und Melton erzählen beide von chinesischen Gauklern, nicht von indischen. Aber ganz merkwürdig ist von Melton die Zerstückelung berichtet: der Gaukler nimmt sie an sich selbst vor. Das ist eine so groteske Vorstellung, daß man nicht gerade viel Vertrauen zu ihr fassen wird.

Bei Hauber findet sich nun ferner eine Illustration^, die er Johann Neuhofs ^Gesandtschaft der Ost-Indischen Gesellschaft'*, der die Künste der chinesischen Gaukler selbst gesehen hat, entnahm. Neben den reinen Akrobaten- und Dressurkunst - Stückchen ist dort auch die Vorführung des im Korb einge- schlossenen und mit dem Degen durchbohrten Mannes darge- stellt, dabei auch ein Gaukler, der einen Knäuel Seil in die Luft wirft, was vielleicht auf das uns beschäftigende Kunst- stück zu deuten ist. Neuhof schildert diese Künste auch im Text^, aber während er jenes Stückchen mit dem Korb ver- zeichnet, fehlt bei ihm wie bei Ysbrands Ides* das von Melton berichtete, so daß Hauber der Vermutung Worte gibt^: ^Ich mache daraus den vernünftigen Schluß, daß dieses letztere Kunst- Stück denen Chinesischen Gaucklern würklich unbekant j sey, und Melton die Erzählung darvon erdichtet habe, aus I Scherz, wie ich meyne, und weil er dachte, kluge Leser wer- I den ohnedem wissen, was sie darvon zu urtheilen haben.' Daß

^ Sie geht dem 20. Stück der Magischen Bibliothek 1740, vgl. S. 576, voraus.

^ Vgl. a a. 0. 18. Stück 1740 S. 371 : Die Gesandtschaft der Ost- Indischen Gesellschaft in den vereinigten Nieder- Ländern , an den Tar- tarischen Chane, und nunmehr auch Sinischen Kayser: Durch Herrn Jöh. Neuhof. Amsterdam 1669.

» Neuhof 240—241, vgl. Hauber a. a. 0. 371 f.

* Dreijährige Reise nach China durch den Moscovitischen Abgesa ndten Herrn E. Ysbrands Ides. Aus dem Holländischen übersetzt. Frankfurt 1707, 167. 184—185. Hauber a. a. 0. 372.

^ a. a. 0. 376.

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freilich, die Erdichtung nicht von Melton selbst stammen kann, zeigt Ihn Batüta.

Der Ruhm der indischen und chinesischen Gaukler wird aber bedeutend eingeschränkt durch die Tatsache, daß auch Europas Künstler ähnliche Vorführungen, wir sagen nicht, voll- brachten, sondern getan haben sollen. Es war in der Zeit der Mesmer, Cagliostro und anderer Helden des Mystizismus am Ausgang des 18. Jahrhunderts, als sich in Göttingen der Zauberer Johann Philadelphia 1777 produzierte.^ Von ihm er- zählte man sich, sein Diener habe ihn in Stücke zerschneiden müssen und die Stücke in ein Faß gesteckt. Leider wurde das Faß zu früh geöffnet; man sah wohl einen Embryo, der aber, vorzeitig aufgedeckt, nun sterben mußte. Die Wiederbelebung des Zauberers war durch den Fehlgriff verhindert worden. Das ist aber nichts anderes, als was man im Mittelalter sich von dem Erzzauberer Virgil erzählte^, was man im Siebengebirge von Theophrastus Paracelsus berichtete und was auch von an- deren umlief.^ Die Lebensgeschichte des Philadelphia war offen- bar durch die Volkssage ausgeschmückt worden. Nun weiß die Sage* von ihm aber weiter, daß er gliederweise aus der Luft herabfiel und von seinem Diener zusammengesetzt wurde das Fakirwunder in europäischer Tradition in der aus Melton uns bekannten Form; aber niemand wird es für geschehen ansehen.

Daß es bereits früher bekannt war, dafür scheint mir eine Bemerkung Delrios iu seinen Disquisitiones magicae^ die 1599 zuerst erschienen, zu sprechen^: Huc referendae sunt ludifica-

^ Philadelphias gesammelte Sckriften über natürliche Magie hat V. Poppe in seinem Neuen Wunderschauplatz der Künste und inter- essantesten Erscheinungen im Gebiete der Magie etc., Stuttgart 1839, 6 Bde, herausgegeben.

' Sommer Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 178. Vgl. Mannhardt Germanische Mythen 64 ff.

' Müller Beiträge zur Geschichte des Hexenglaubens in Siebenbürgen 1854, 26. Vgl. Mannhardt a. a. 0.

* Ersch und Gruber Enzyklopädie UI 22, 262 ff.

" Ed. 1720, 134.

Zum Zerstückelungs- u.Wiederbelebungswunder der indischen Fakire 465

tiones Zedechiae Judaei, qui fuit tempore Ludovici Pii, et homi- nem in aera jactahat, et in memhra discerpehat, et ea recollecta adunahaty currum etiam onustum foeno cum equis et agitatore coram toto populo dbsorbebat etc., während J. Trithemius von Sponheim von dem gleichen sagt^: amputabat hominihus capita, manus vel crura: quae postquam visenda praestitit caeteris, ad locum unde videbantur desumpta, mox sine detrimento vel lae- sione reposuit}

Kehren wir noch einmal nach Indien zurück, so begegnet uns das Wunder bereits im Leben des Urbildes der Yogin, bei Buddha, und zwar in einem Zusammenhang, der für die Grlaüb- würdigkeit des Wunders kennzeichnend genug ist. Die aus dem Sanskrit ins Chinesische übertragene und bearbeitete Le- bensbeschreibung Buddhas, Buddha- carita-kavya, des A9vagosha aus dem fünften nachchristlichen Jahrhundert erzählt, wie Buddha seinen Vater und das Volk für seine Lehre durch allerlei Wunder gewann^:

Um ihm des Geistes Auge zu eröffnen, Und Mitleid fühlend für des Volkes Menge, Erhob er sich bis in des Luftraums Mitte, Und faßte mit den Händen Mond und Sonne. Darauf bewegt er hin und her im Räume Sich, die Gestalt in mannigfacher Weise Umwandelnd; seinen Leib in Stücke teilend, Vereint er diese dann zum Ganzen wieder. 1 Auf Wasser ging er wie auf festem Lande,

I Sank in die Erde ein wie in das Wasser,

Ging ungehindert durch Steinmauern, Feuer I Und Wasser strömten ihm aus beiden Seiten.

Da gab, erfüllt von Freude, den Gedanken Von Vater und Sohn gänzlich auf der König, Und frei im Raum, auf einem Lotus thronend, Erklärte Buddha das Gesetz dem Vater. ^ Chronicon Hirsaugense ed. 1690, I 34. 2 Vgl. Delrio 37.

' Vgl. die deutsche Übertragung von Th. Schultze Beelamsche Uni- versalhihliothek Nr. 3418—3420 S. 201, Vers 1551 ff.

Arcliiv f. Keligionswissenscliaft XVII 30

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Es würde zu weit führen, zu zeigen, wie die Mystik und Zauberkunst aller Zeiten und Völker gleiches und ähnliches ihren Helden zuschreibt. Jedenfalls wäre es nicht schwer, Parallelen in Fülle zu jedem Einzelzug in diesem Bilde bei- zubringen. Daß das Ganze heilige Legende ist, braucht nicht be- wiesen zu werden, auch nicht für den Zug von der Selbstzerstücke- lung und Wiedervereinigung der Stücke des Leibes Buddhas.

Merkwürdig ist, daß diese Kunst sich auch im alten Mexiko fand. In einer Abhandlung * Zauberei und Zauberer im alten Mexiko' hat Seier aus Sahagun folgenden interessanten Abschnitt übertragen^: ^Der sogenannte Selbstzerschneider machte seine Kunststücke ebenfalls auf dem Palasthofe. Sogleich zerschneidet er sich, an gesonderte Stellen legt er seine Hände, seine Füße, so viel Gelenke er hat, so viele löst er heraus. Nachdem er sich zerschnitten hat, bedeckt er es mit einer buntgestreiften , Schulterdecke, daß es von neuem wachse, sprieße, aufgehe, als ob er sich gar nicht zerschnitten hätte. Darin zeigt er sich, das ist ebenfalls ein Zauberspiel. Dafür wurde er beschenkt.' Stoll denkt bei dieser Schilderung an Hypnotismus; ob mit Recht? Das Ganze macht doch den Eindruck des Unmög- lichen, so gut wie die * Selbstzerstückelung' der indischen und chinesischen Gaukler.

In diesem Fakirwunder, dessen verschiedene Berichte oben auch in ihren Widersprüchen abgedruckt sind, treten uns nun zwei Züge entgegen: einmal das Entschwinden in der Luft an dem hochgeworfenen Faden oder Seil, dann das Herabfallen der einzelnen Glieder des zerstückelten Körpers und ihre Zu- sammenfügung und Wiederbelebung. Es läßt sich der Nach- weis leicht liefern, daß sie gesondert in der Zauberliteratur und Sage Europas weit verbreitet sind.

Lehmann weist in seinem Buche auf Kiesewetters Psychische Studien hin, in denen eine Erzählung aus dem Hauptwerk des

^ Verölfentlichungen aus dein Königl. Museum f. Völkerkunde^ Berlin, VI 1899, 2—4. Heft, S. 37.

Zum Zerstückelungs- u.Wiederbelebungs wunder der indischen Fakire 467

in der Geschiclite der Hexenprozesse und des Aberglaubens so rühmlich bekannten Arztes Weier enthalten sei, die zu dem Fakirwunder in Parallele stehe. Kiese wetters Buch war mir nicht zugänglich, aber es kann sich kaum um eine andere Er- zählung handeln, als die von dem Auftreten eines Gauklers in Magdeburg berichtende^, die z. B. auch Lercheimer erwähnt.^ Praestigiator quidam magicus Magdeburgi equulum in tJieatro frequenti per circidum transilientem ostentabat certa stipe: in fa- liäae exitu paucam se apud mortales collegisse pecuniam questus, se in coelum conscendere velle ait. Hinc in sublime eiecto fune, consequitur in altum equulo: praestigiator quasi cum cauda retenturus quoque ascendit: cuius uxor maritum appreJiendens assedatur^ ibidem ancillaj ut viderentur ascensu contiguo velut concatenati, simul aera petere. Haec dum populus ad stuporem spedaret, cuidam civi eo forte dedinanti, quaerentique qiiidnam rermn ibi ageretur? responsum est, circulatorem cum equulo in aera conscendere: hie se statim vidisse cum in vico ad diversorium abeuntem asseveravit. lllusos itaque se ubi animad- verterent discesserunt.

Noch näher kommen aber einige andere Geschichten. Leib- niz schickte seiner Ausgabe der Otia imperialia des Gervasius von Tilbury die folgende Erzählung aus dem Leben des Ger- vasius von Radulph voran^: Eine Hexe war zum Scheiterhaufen verdammt w^orden. Aber sie lachte ihrer Richter . . . concite glomum fili extraxit, et extra quandam magnam fene- \ strähn projecit, capite fili in manibus retento, cundisque \audientibus voce sonor a dixit: Becipe. Ad quod verbum mox a \terris elevata glomum agili volatii cunctis aspicientibus \extra fenestram subsecuta est, malignorum spirituum mi- \nisterio, ut credimus, subvecta; qui quondam Simonem Magum in

I ^ De praesügiis daemonum 1563, II 7, S. 159

^ Christliche Bedencken und Erinnerung von Zauberei 1585. ^ Scriptores rerum Brunsvicarum I 881 ff. Die Sage gehört dem 13. Jahrh an. Den Hinweis auf sie und einzelne der folgenden ver- danke ich Liebrechts Gervasius von Tilhury XI.

30*

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aera sustulerunt Quo autem illa malefica deveneritf vel ad quem locum transportata fuerit, ab aspicientihus omnino sciri nonpotuit. Ferner erzählt Simon Grünaus Chronik, die dem 16. Jahr- hundert angehört, nach v. Tettau und Temme^: TJnter dem Regimente des neunundzwanzigsten Hochmeisters Heinrich Reuß von Plauen befand sich in einem Städtlein Preußens ein Schul- meister, welcher der schwarzen Kunst kundig war. Durch diese hatte er bewirkt, daß ihm des Bürgermeisters Tochter, für die er entbrannt war, allnächtlich von den Geistern ge- bracht wurde, so daß er mit ihr der Liebe pflegen mochte. Eine Zeitlang schwieg die Jungfrau aus Scham, endlich aber entdeckte sie die Sache ihrem Vater, doch konnte sie nicht sagen, an welchen Ort sie gebracht wurde, außer daß er ihr nicht fern von der Kirche zu sein scheine. Die Eltern ließen hierauf die Tochter nachts zwischen sich liegen, dennoch wurde sie entführt, befand sich am Morgen aber wieder an der Stelle, wo sie sich abends hingelegt. Da hieß der Yater die Tochter ein Knäuel nehmen und dies bei ihrer Heimführung an dem Orte, wo sie die Nacht zugebracht, zurücklassen, das Ende des Fadens aber in der Hand behalten. Und also geschah es; da fand denn der Vater, als er frühmorgens um die Kirche herum- ging, das Zeichen. Als nun die Tochter in der nächsten Nacht wieder davongeführt war, ging er mit der Scharwache in das Schulhaus, und da fanden sie beide schlafend; die Tochter aber ließ er im Hemde, wie sie war, in sein Haus führen, den Schulmeister aber einkerkern. Als nun dieser durch den Flammen- tod seinen Frevel büßen sollte, da bat er die Jungfrau, daß sie ihm verzeihe, die Eltern aber, daß sie ihm jene zur Ehe geben und ihn von dem Scheiterhaufen befreien möchten. Die Jungfrau vergab ihm zwar sein Vergehen, der Vater woUte ihm aber die Strafe nicht erlassen. Als nun der Schwarz- künstler sah, daß er diesen durch Bitten nicht zu beugen ver-

^ Grünau tract. XVIII c. 1, vgl. v. Tettau und Temme Die Volkssagen Ostpreußens, Litthauens und Westpreußens Nr. 122 S. 127.

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möge, da forderte er von der Jungfrau irgendein Pfand der Vergebung, und als ihm diese, die gerade nichts anderes zur Hand hatte, aus ihrem Täschlein einen seidenen Faden gereicht, warf er solchen in die Luft und schwang sich, indem er die Jungfrau umfaßte, geheime Worte murmelnd, an diesem mit ihr auf und verschwand vor den Augen der Anwesenden in der Luft.'

Eine andere norddeutsche Sage ähnlicher Art erzählt K. Mül- lenhoff.^ 'Auf dem Husbyer Felde, an der Stelle, wo noch jetzt der Überrest eines Galgens steht, sollte einst eine Hexe verbrannt werden. Zu diesem Schauspiele hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Schon brannte der Scheiterhaufen in hellen Flammen und die Hexe sollte hineingeworfen werden, da gewahrte sie im Volkshaufen eine Frau, welche strickte. Sie bat sie um ihr Garnknäuel. Die Frau reichte es ihr. Da wickelte die Hexe, indem sie einige Worte hermurmelte, es um ihre Finger, und wie sie das gethan, flog sre vor aller Leute sichtlichen Augen in die Luft und man hat sie nachher nicht wieder ge- sehen.'

Noch ein Beispiel dieser alten Sage aus Böhmen!^ Ein i Pfarrer schoß eines Tages mit einer geweihten gläsernen Kugel jeine Hexe aus einer Gewitterwolke. 'Der Pfarrer übergab sie lals Hexe einer Gerichtssitzung und das Urteil lautete: Hin- richtung durch Feuertod. Als der Scheiterhaufen fertig ge- j stellt war und die Hexe darauf stand, erbat sie sich noch als Gnade einen Knäuel Zwirn. Man erfüllte ihr Begehren. Und als das Holz unter ihr zu brennen anfing, wickelte sie den losen Zwirnfaden um einen Finger der linken

Hand; mit der rechten warf sie den Knäuel mit einem

i \

^ Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Holstein v/nd Lauen- \burg Nr. 572 S. 564.

' ' Sammlung gemeinnütziger Vorträge, hrsg. vom Deutschen Verein zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse in Prag Nr. 230 (1897): Der Hexen- tvahn, von A. Hauffen, 16 Anm.

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Schrei aufwärts und fuhr blitzschnell sammt dem Knäuel in die Höhe.' Die Stelle wurde dem berichtenden Herrn G. Blau in Neuern noch gezeigt.

Etwas anderer Art ist endlich eine irische Erzählung.^ Der Caol E-iava, ein reisender Gaukler, vollbringt allerlei Künste. Tote Soldaten, die sich untereinander erschlagen haben, läßt er vom Türhüter durch ein Kraut wieder ins Leben rufen; einem Prahlhans geht der eigene Finger durch die Hand und ein Ohr bleibt ihm bei Berührung in der Hand, ähnlich wie Faust die Leute nach dem deutschen Volksbuch neckte. Am schönsten aber ist folgendes Stückchen: Der Gaukler holte aus seinem Sacke einen großen Ballen Zwirn, wickelte das Ende um seinen Finger und warf ihn schrägs hinaus in die Luft. In die Höhe flog er und wickelte sich immer weiter ab, während ihm alle hochverwundert nachschauten, bis er sich in den Wolken verlor. Dann holte er aus seinem Sacke einen schönen Hasen heraus, den er auf den Faden setzte, worauf zum wachsenden Erstaunen der Zuschauer das Tier auf ihm flink und sicher aufwärts lief, als ob's sein Lebtage nichts anderes als Seiltanzen getrieben hätte. Alsdann holte er ein Windspiel heraus, das er gleicher- weise auf den Faden setzte, worauf das Tier dem Hasen so eifrig und scharf nachsetzte, als ob heide auf der Kildaer Renn- wiese an einem Märzmorgen liefen. 'Nun', sagte der Caol Riava, 'hat einer Lust, dem Hund nach hinaufzulaufen und die Jagd mit anzusehen?' 'Ich will', sagte der Mann, der vor- hin zweimal gesprochen hatte. 'Ihr seid immer zur Hand', sagte der Gaukler, 'aber ich fürchte, Ihr seid faul, denn Ihr seid fast so breit als lang, und Ihr schlaft mir, furcht' ich, unterwegs ein und laßt den Hund den Hasen fressen.' 'Es gibt keinen rührigeren Mann auf Gottes Erdboden, als just den Mann, der eben mit Euch spricht', sagte der Dicke. 'Also hinauf mit Euch', sagte der Gaukler; 'aber das sag' ich Euch,

* Erin Eine Sammlung irischer Erzählungen VI 130 ff.

Zum Zerstückelungs- uWiederbelebungswunder der indischen Fakire 47 1

wenn Ihr mir meinen Hasen totbeißen laßt, so haue ich Euch den Kopf ab, wenn Ihr herunterkommt.' Der dicke Geselle lief den Faden hinauf und bald verschwanden alle drei. Nach- dem er eine lange Zeit hinaufgeschaut hatte, sagte der Caol Riava: ^Ich fürchte immer, der Hund frißt den Hasen und unser Dicker ist eingeschlafen.' Damit begann er den Zwirn aufzuwickeln und fand, daß es sich richtig so verhielt, wie er vermutet hatte; den Dicken fest eingeschlafen und den Hund mit dem letzten Bissen vom Hasen zwischen den Zähnen. Er zog sogleich sein Schwert und hieb dem jungen Mann auf einen Streich den Kopf ab. Darüber stand der Thady O'Kelly auf und sagte, dergleichen Thun wolle ihm nicht behagen und könne er nimmermehr gutheißen, daß ein junger Mann der- weise unter seinem Dache gemordet werde. ^Wenn's Euch Kummer macht', sagte der Caol Riava, ^so kommt's mir nicht darauf an, ihn wieder zu heilen wie zuvor; aber ein Denk- zeichen an seine Yorschnelligkeit muß er doch von uns haben.' So sprechend setzte er den Kopf wieder auf die Schultern und heilte ihn an, aber so, daß das Gesicht verkehrt schaute, wor- auf er diese Reime sagte:

^Wie ich's nahm, gab ich's wieder ohn' alle Beschwer, Ihm sitzt's auch weit besser gewiß als vorher; Sagt einer, ich hätt' ihm da Unrecht gethan, So lügt er, das saget von mir nur dem Mann; I Denn ein Prahlhans, ein frecher, schaut possiger drein.

Als ein Narr, mit dem Gesicht, wo der Schädel sollt sein.'

j Nach den Versen verschwindet der Gaukler mit seinem Be-

I gleiter. Es folgt nachher noch eine andere, in der Zauber- und

Hexenliteratur nicht unbekannte Geschichte: der Caol Riava

Iwird dreimal gehängt, aber in Wirklichkeit ist's dreimal ein

anderer, der am Galgen ist, während der Caol Riava seinen

: Henkern gesund und munter begegnet. In dieser Erzählung

! verbindet sich der Zug von dem in die Luft geworfenen Zwirn

mit der Tötung und Wiederbelebung des jungen Mannes, wenn

j letztere auch etwas abgewandelt erscheint.

472 ^- Js-coby

Als der oben erwälinte Zauberer Philadelphia in Göttingen auftrat, da sandte ihm G. Christoph Lichtenberg^ folgende Ver- spottung vorauf: ^Avertissement. Allen Liebhabern der über- natürlichen Physik wird hierdurch bekannt gemacht, daß vor ein Paar Tagen der weltberühmte Zauberer Philadelphus Phil- adelphia, dessen schon Cardanus in seinem Buche de natura supernaturäli Erwähnung thut, indem er ihn den von Himmel und Hölle Benedeiten nennt, allhier auf der ordinären Post angelangt ist, ob es ihm gleich ein Leichtes gewesen wäre, durch die Luft zu kommen. Er ist nämlich derselbe, der im Jahre 1482 zu Venedig auf öffentlichem Markt einen Knaul Bindfaden in die Wolken schmiß und daran in die Luft kletterte, bis man ihn nicht mehr gesehen' usw. In der Tat erzählte die Sage, daß er in Göt- tingen an dem Faden eines in die Luft geworfenen Knäuels Bindfaden so hoch in die Wolken hinaufgestiegen sei, bis er sich den Augen der gaffenden Menge entzogen hatte. ^

Damit hätten wir den einen Zug in genügenden Beispielen belegt, um ihn als altes europäisches Sagengut erkennen zu können. Dem seien nun noch einige Beispiele für den zweiten Zug beigefügt.

In Moldautein spukte es in einer Mühle.^ Ein durchziehen- der Komödiant mit Affen, Papageien usw. bat um Nachtquartier und versprach, das Gespenst zu vertreiben. So verweilte er denn in dem berüchtigten Zimmer. Da fielen um 11 Uhr durch die Decke zwei menschliche Füße auf den Boden. Das Geräusch weckte den Eingeschlafenen. Um ein Viertel auf zwölf Uhr fiel eine Hand, um halb die zweite, um drei Viertel der Leib herunter. Um zwölf Uhr blieben die Räder der Mühle stehen und nun fiel ein

1 Vermischte Schriften 1867 III. Band 185. ' Ersch und Gruber Enzyklopädie III 22, 262 ff. ^ Tb. Vernaleken Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich 1859, 180 Nr. 12.

Zum Zerstückelungs- u.Wiederbelebnngswunder der indischen Fakire 473

; Kopf mit langen grünen Haaren herunter und ver- einigte sich, mit den anderen Teilen zum Hastrmann, der anfing im Zimmer herumzuspringen. Zwischen ihm und dem Afi'en kam es zum Kampf, der mit des Gespenstes Flucht endete. Die Geschichte klingt aus in das bekannte Sagenmotiv vom Wasserbären, die Frage nach der Katze. ; Bedeutend älter ist eine andere Aufzeichnung, die bereits

j im 17. Jahrhundert fixiert wurde.^ Ein Edelmann mußte in I Flensburg, weil im Gasthaus kein anderer Raum mehr frei ! war, in einem Zimmer über Nacht bleiben, in dem es nicht geheuer war. 'Die Nacht war noch nicht halb herum, als es i anfing, im Zimmer hier und dort sich zu regen und zu rühren und bald ein Rascheln über das andere sich hören ließ. Er hatte anfangs Mut, sich wider den anschauernden Schrecken festzuhalten, bald aber, als das Geräusch immer wuchs, ward die Furcht Meister, so daß er zu zittern anfing, er mochte widerstreben wie er wollte. Nach diesem Vorspiel von Getöse und Getümmel kam' durch ein Kamin, welches im Zimmer war, das Bein eines Menschen herabgefallen, bald auch ein Arm, dann Leib, Brust und alle Glieder, zuletzt, wie nichts mehr fehlte, der Kopf. Alsbald setzten sich die Teile nach ihrer Ordnung zusammen, und ein ganz menschlicher Leib, einem Hofdiener ähnlich, hob sich auf. Jetzt fielen immer mehr und mehr Glieder herab, die sich schnell zu menschlicher Gestalt ver- einigten, bis endlich die Thür des Zimmers aufging und der helle Haufen eines völligen königlichen Hofstaats eintrat.'

Also auch der zweite Zug unseres Fakirwunders ist alter Gespenstersage Europas keineswegs fremd.

^ Erasmus Franciscus Höllischer Proteus 1690 S. 426. Joh. Jac. ßräuners Physicalisch und historisch erörterte Curiositäten oder entlarvter teufflischer Aberglaube von Wechselbälgen usw. 1737 S. 336 f. Grimm Deutsche Sagen "1816, I 257 Nr. 176. K. Müllenhoff Sagen^ Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig-Holstein und Lauenburg 218 Nr. 295.

474 ^' J^c<^^y

Der Schluß liegt nahe: da niemand zuverlässig das Fakir- wunder gesehen hat, vielmehr die Differenzen der Erzählungen dieses Wunders und die Erfahrungen mit dem Bericht der Journalisten für Erdichtung sprechen, so wird man es neben die europäischen Parallelen als Sage einreihen. Die letzteren sind dies sicher; von Hypnose ist da keine Rede. Wie denn auch die Annahme einer Massensuggestion auf große Schwierig- keiten stößt.

Auch von dem, was durch unverdächtige Zeugen über den Mangotrick erzählt wird ^ und sich offenbar leicht erklärt*, hat die alte Zauberkunde Europas gewußt. Delrio^ erzählt von Fürsten, die durch Zauberer allerlei Wunder vor sich darstellen ließen, darunter: trium horarum spatio arbusculam veram spi- tamae longitudine e mensa facere ut excrescat; ut arhores ibidem frondiferae et frmtiferae subito enascantur. Und was Louis Jacolliot, der bekannte, höchst unzuverlässige Schriftsteller über die Fakire, berichtet: d^un geste ou d'un seul acte de sa volonte, ü remuait des meubles situes au fond de la salle^, das wird eigentlich von europäischen Magiern übertroffen, denen Delrio^ nachrühmt: argenteas pateras et similia magni ponderis super mensa locata, sine funicidOy capillo vel alio instriimento ab um extremo ad aliud subsaltantia attrahere. Es ließe sich noch manches derart beibringen, doch mag es damit genug sein!

Es sei nur noch darauf hingewiesen, daß diese ^Wunder' zum Teil einfach mit technischen Kunstgriffen hervorgebracht wurden. Ein Mann, der es verstehen mußte, schrieb ihm doch

' Fr. Buchanan A Journay from Madras through the countries of Mysore, Canara and Malabar, London 1807, 1 25. Mantegazza India 4. Edit., Milano 1888, 309. Stoll a. a. 0. 94.

' Vgl. Hesse-Wartegg a. a. 0.

* Disquisüiones magicae, in der Ausgabe von 1720 S. 125.

* Voyage au pays des perles, nach A. d'Assier Essai sur Vhumanite posthume 209. Zu Jacolliot vgl. J. Vinson Revue de linguistique et de Philologie comparee XXI 1888, 76—79.

* a a. 0. 125.

Zum Zerstückelungs- u.Wiederbelebungswunder der indischen Fakire 475

die Zeitgeschichte tiefe Kenntnisse in der Magie und Zauberei zu, der Abt Joh. Trithemius^, sagt über den oben erwähnten jüdischen Arzt und Erzzauberer Sedechias in den Tagen des frommen Ludwig: inulta his operabatur similia, quae vel dae- nionum auxilio, vel alicuius suhtillissimae fictionis si- militudiney ut pictura vesicarum facta fuisse creduntur. Das letztere deutet doch wohl auf eine Laterna magica, deren Tätigkeit z. B. auch E. Bischoff^ die Wunder des Rabbi Low Ton Prag zuschreibt, nämlich die Erscheinung der Patriarchen und des Prager Hradschin in seinem Studierzimmer vor Kaiser Rudolf. Der Magier ließ auch mittelst eines Hohlspiegels Bil- der auf starken Rauch fallen und bewirkte so Geistererschei- nungen.^ Derartige Künste mögen auch zu den vorliegenden Sagen den Anstoß gegeben haben, die dann nachschaffende Volksphantasie erweiterte, vergrößerte und da und dort lokali- sierte.

Wenn de Jong in seinem Buche über ^das antike Mysterien- wesen'* unseren Fakirtrick einen interessanten, aber verwirren- I den Gegenstand nennt, so scheint er mir wohl ersteres zu sein. I Das Verwirrende wird nach unserer Untersuchung der klaren I Einsicht in die Dinge Platz machen müssen. Plus mirandi \ sunt tdlia admirantes quam facienteSj sagt Trithemius.^

I

* Chronicon Hirsaugense ed. Ann. 1690, St, Gallen, I 34. ' Die Kabhalah 1903, 100.

^ Allgemeine deutsche Eealencyclopädie^ Leipzig, Brockhaus, 5. Aufl. 1820, VI 34.

* S. 349. ^ a. a. 0. I 608.

Die Yorchristlichen baltischen ToteEgebräuche'

Von W, Caland in Utrecht

Die Totengebräuche der baltisclien Stämme, d. h. der Alten Preußen, der Litauer und der Letten, sind, soweit mir bekannt ist^, noch nirgends in ihrem Zusammenhang so beschrieben, daß auch ein größerer Kreis von nicht mit dem Litauischen Be- kannten sich damit vertraut machen kann. In diesen Zeilen habe ich versucht, diese Lücke auszufüllen, und zwar auf Grund folgender Quellen und in folgender Weise. Die Quellen sind dreierlei Art: 1. Erzählungen, wie sie noch heute unter den Litauern über ihre Vorfahren angetroffen werden. Diese finden wir in einem litauisch geschriebenen Büchlein: „Wie lebten die alten Litauer'' von Prof. Cappeller aus der Gegend von Stallu- pönen zusammengestellt.^ Was uns hier mitgeteilt wird, enthält über diesen Gegenstand wenig Wissenswertes; hier sind offen- bar alle Spuren von vorchristlichen Gebräuchen verschwunden. 2. Daukantas' Beschreibung in seinem Buche: „Sitten und Ge- bräuche aus dem Altertum der Ober- und Niederlitauer".* Dieses Buch ist ursprünglich in dem Dialekt abgefaßt, der in Telsz von Daukantas gesprochen wurde; weil aber dieser Dialekt von dem sogenannten Schrift -Litauischen ziemlich stark abweicht, wurde das Buch später von neuem in der mehr allgemein gebräuch-

* Dieser Aufsatz ist die deutsche Bearbeitung des größten Teiles eines Vortrags, welcher am S.Juni 1913 gehalten wurde zur Eröffnung der all- gemeinen Mitgliederversammlung der Provinciaal Utrechtsch Genootschap voor Künsten en Wetenschappen.

^ Die knappe Beschreibung Fridericis in der Ältpr. Monatschr. IX, 137 ff. bekam ich erst zu Gesicht, als die meinige abgeschlossen war. ' Kaip seneji Letunivinkai gyveno, Heidelberg 1904, S. 33 ff.

* Buda senowes Utuwiu halnienu ir zämajtiu iszrasze pagal senowes rasztü Jokyb's Laukys. Petropilie 1845.

Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche 477

liclieii Sprache herausgegeben.^ Selbst in dieser Gestalt ist das Buch des Daukantas aber nicht immer leicht zu verstehen, weil es reich an Wörtern und Ausdrücken ist, die anderswoher nicht bekannt sind und deren Sinn man oft erraten muß.^ Die Zuverlässigkeit des Daukantas ist von verschiedenen Seiten angezweifelt worden und sicher darf man nicht alles, was er sagt, ohne Vorbehalt annehmen. Wo es mir möglich war, hahe ich ihn kontrolliert, aher da er nicht immer seine Quellen an- gibt und einige dieser Quellen russische oder polnische Werke sind, hahe ich seine Berichte nicht immer prüfen können. Auch sind einige der von ihm zitierten Bücher äußerst schwer, ja gar nicht zu Gresicht zu bekommen. Was unsere anderen Quellen über die baltischen Stämme anbetrifft, so sind völlig zu- verlässig und von der allergrößten Bedeutung die Berichte, welche der bekannte von dem Deutschen Orden mit den zum Christen- tum bekehrten Preußen im Jahre 1249 abgeschlossene Vertrag enthält.^ Von großer Wichtigkeit ist ferner die kurze Beschrei- bung der Totengebräuche in dem bekannten Werkchen des La- sicius.* Der Teil, in welchem Lasicius diese Beschreibung gibt, ist wörtlich einem Briefe des Jan Malecki (Joh. Maeletius), des ersten Rektors der Universität zu Königsberg, entnommen: de sacrificiis et idiölatria veterum Borussorum Livonum dliarumgue vicinarum gentium] er datiert aus der zweiten Hälfte des 16. Jahr- hunderts. Etwas späterer Zeit gehört das Werk des Matthaeus Praetorius an, des Geistlichen zu Niebudzen, der in seinen etwa 100 Jahre später geschriebenen yfDeliciae prussicae oder preu-

^ Budas senoves Lietuvki kalnenu ir Zemaicziu parasze Simanas Dau- kantas^ antras spaudimas, Plymouth 1892.

^ Eine kurze Beschreibung gibt Daukantas auch in seiner Lietuvos Istorija I S. 87—90.

' Der lateinische Text u. a. bei Lucas David PrcMy8«scÄe Chronik IIL Bd. S.118flF.

* De diis samagitarum caeterorumque sarmatarum et falsorum christia- norum, von neuem herausgegeben mit Erläuterungen vieler Einzelheiten in dem Magazin, herausgeg. von der Lettischen Ges., XIV . Teil , S. 82 ff. (S. 57 und 58 der ursprünglichen Ausgabe).

478 ^^- Caland

ßische Schaubüline" viel Wissenswertes mitteilt. Daneben stehen die älteren Chronisten wie Peter von Dusburg aus dem 14., Lucas David aus dem 16. Jahrhundert. 3. An dritter Stelle sind unter unseren Quellen die jetzt noch im Volke herrschenden Überlieferungen und Gebräuche zu nennen. Von diesen besitzen wir seit 1903 eine äußerst wertvolle Sammlung in einem auf Litauisch geschriebenen Werke des Basanavicius: ,,Aus dem Leben der Geister und Teufel bei den Litauern".^ Der Hauptinhalt dieses Buches besteht aus Geschichten, Überlieferungen und Er- zählungen, von einem gewissen Vilius Kalvaitis aus Tilsit zu- sammengelesen; er nennt den Gewährsmann und die Herkunft jeder Geschichte und jeder Mitteilung. Hier haben wir also eine zuverlässige lebendige Quelle ersten Ranges. Basanavicius hat diese Sammlung mit einer ausführlichen (auf Litauisch verfaßten) Einleitung versehen, in welcher er die von Kalvaitis gesammelten Daten klassifiziert und mit demjenigen, was von anderen Seiten über die baltischen Völker bekannt ist, vergleicht.^

Im folgenden habe ich versucht, alle diese Data zu einem Ganzen zu verarbeiten. Meiner Beschreibung lege ich die Arbeit des Daukantas zugrunde, alles was nicht genau zur Sache ge- hört und was mir von geringerer Bedeutung schien, fortlassend. In diese, die heidnische Zeit betreffende Beschreibung füge ich die von Kalvaitis gesammelten Data von heutigem Volksglauben und Volksbrauch ein. Ich meine dies um so eher tun zu können, als man ja sicher sein kann, daß diese Volksüberlieferungen, diese Muster von unverfälschtem Aberglauben, nicht in der Gegen- wart entstanden sind, sondern von alters her überliefert sein müssen. Gleichwohl habe ich die älteren von den späteren Mitteilungen dadurch unterschieden, daß ich überall, wo Dau-

^ Isz gyvenimo UetuviszJcu veliu hei velniu, surinko Dr. J. Basana- vicius. Chicago 1903.

^ Eine vierte Art Data liefert die Archäologie. Da mir hierfür aber nur das zu Gebote stand, was Basanavicius in seiner Einleitung (im IX. Ab- schnitte) mitteilt, und ich seine Erörterungen nicht habe prüfen können, ist diese Art von Stoff in die obige Abhandlung nicht eingearbeitet worden.

Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche 479

kantas uod die älteren Autoren mir das Material lieferten, das Präteritum, wo Kalvaitis mein Gewährsmann war, das Präsens be- nutze. Die in dieser Weise entstandene Beschreibung beansprucht also keineswegs die Totengebräuche, so wie sie zu einer be- stimmten Zeit bei den Litauern oder x41ten Preußen üblich waren, darzustellen, sondern will nur eine zusammenhängende Skizze der älteren und neueren Gebräuche und Überlieferungen geben, wie sie einstmals angetrojffen wurden und teilweise noch jetzt angetroffen werden, nicht nur bei den Litauern, sondern im all- gemeinen bei den Völkern des baltischen Stammes. Als Nachtrag gedenke ich der Beschreibung des Totenrituals einige Bemerkun- gen beizugeben zur Erläuterung dieser öfters fremdartig und un- begreiflich erscheinenden Handlungen und Denkweisen.

Wenn ein Kranker glaubte sterben zu müssen, entbot er

einen Priester zu sich, der, zu den Göttern betend, ihn Tag und

Nacht bewachte. Die Bewachung währte so lange, bis es zum

zweiten Male Neumond geworden war.^ Darauf tat der Kranke,

um den Zorn der Götter zu sühnen, ein Gelübde. Hatte dies

alles keinen Erfolg, so begaben sich die Priester zum Hain der

heiligen Eiche und gaben, nachdem sie dort Asche von dem

heiligen Feuer zusammengeschürt hatten, diese dem Kranken

als letztes Heilmittel zu trinken. Vermochte auch dieses nicht

zu helfen, so kamen die Verwandten zusammen und hielten Rat;

wenn keine Genesung möglich war, so pflegte der Kranke, falls

er Kinder hatte, seinen jüngsten Sohn, wie es Landesbrauch war,

I zum Erben einzusetzen. Wenn der Kranke diese Bestimmungen

! getroffen und von Verwandten und Freunden Abschied genommen

I hatte, legten die Priester ein Kissen oder Polster auf seinen Kopf

j und erstickten ihn. Auch in der Zeit des Praetorius kam es vor,

! daß man den Todkranken durch Erstickung von seinem Leiden er-

^ So Daukantas; „wenn vier Monat verfloszen waren", Hartknoch Altes und neues Preußen (Frankfurt a. M. 1648) S. 131. Auch die Hindus i pflegten es so einzurichten, daß ein Kranker nicht in der dunklen Monats- hälfte starb, d.h. in der Periode zwischeu V'oli- und Neumond, vgl. Verf. Die altindischen Toten- und Bestattungsgebräuche § 2.

iL

480 ^- Caland

löste ^; in unserer Zeit nimmt man den Sterbenden aus seinem Bette und legt ihn auf den Boden, auf Stroh, auf ein Brett oder auf Sand.^ Während eines Sterbefalles darf niemand im Hause schlafen, deshalb nimmt man selbst die kleinen Kinder aus der Wiege.^ Den Spiegel soll man mit einem Tischtuche, Bettuche oder Taschentuche verhüllen.* Nach dem Tode wird in einigen Ortschaften ein Loch in die Mauer demBeite gegenüber gemacht^, an anderen Orten werden alle Fenster (und Türen) geöffnet.^ Aller Samen wird aus der Wohnung entfernt' und allen Haus- tieren wird der Todesfall feierlich angesagt.^ Unmittelbar nach dem Eintreten des Todes schließt man der Leiche die Augen.^ Dann wurde sie mit heißem Wasser gewaschen, in Weiß ge- kleidet und an eine kühle Stätte gelegt. Die Alten Preußen verstanden es durch Anwendung von Kälte den Leichnam so zu konservieren, daß er nicht nur Wochen, sondern einige Monate lang vor Verwesung bewahrt blieb.^° Das Gefäß mit dem Wasser und das zur Waschung benutzte Tuch verbirgt man im preu- ßischen Litauen bis zum Tage des Begräbnisses ; an diesem Tage zertrümmert man das Gefäß an einem der Räder des Wagens, auf welchem man den Leichnam fortschafft, oder man wirft es fort, so daß es durch die Räder zerbrochen wird.^^ Das Stroh, auf welchem der Tote während der Waschung gelegen hat, wird sofort verbrannt.^^ In den Sarg gab man dem Toten im Alter-

^ Praetorius JDeliciae prussicae ed. Pierson S. 19.

2 Basanavicius op.cit.l 10, 18, 19, 25.

8 Bas. 1 25. * Bas. IX 13 (18). '' Bas. I 14.

ß Bas. I 18, XIII 3, 4, vgl. Brand Beysen (Wesel 1702) S. 98: „lassen wohl offtermahlen , nach altem Brauch der Heyden, die Fenster des Nachts offen". ' Bas. I 14.

ö Bas.I 19, vgl. I 15 (S. 6); bei Cappeller {op. cit. S. 36) wird der Brauch als heidnisch erwähnt. ^ Bas. [ 14.

Nach dem Wulffstanschen Berichte (s. unten S.485 f ) behielt man bei den Aestii die Leiche vor der Verbreimung längere Zeit im Hause. Mit seinem Berichte über künstliche Kühlung stimmt Praetorius {Delpruss. S. 45) merkwürdig überein.

^^ Bas. l 19. 12 ßas. I 24.

Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche 481

tum, und an einigen Orten ist das jetzt noch ebenfalls Sitte, allerhand mit: einem Schmiede seinen Hammer, einem Schuster seine Ahle und seinen Pechdraht, einem Zimmermann sein Beil und seine Axt, einer Hausfrau ihren Flachs und ihre Spule, einem Soldaten seine Lanze und seinen Sähel.^ Wie schon von einem Schriftsteller des 17. Jahrhunderts erwähnt wird^, daß man dem Toten einen Krug speziell für die Begräbnisfeier ge- brautes Bier mitgab, so kam es noch 1881 vor^, daß die Gattin ihrem Manne eine gestopfte Pfeife, eine gefüllte Tabaks- dose, Kartoffeln, Kohl, Brot und Salz in den Sarg mitgab. Heut- zutage legt man dem Toten vielfach ein Gesangbuch unter das Kinn und begräbt mit ihm auch den für seine letzte Toilette benutzten Kamm.* Allgemein ist^ und war es Brauch, dem Töten einiges Geld mitzugeben, sei es in den Sarg, sei es in das Grab; zuweilen legte man dem Toten ein Geldstück unter die Zunge ^, und unter den Kopf legt man ein mit Spänen und Splittern ausgefülltes Kissen.' In Ostpreußen bindet man dem Leichnam ein Taschentuch über den Kopf unter das Kinn, welches man wieder fortnimmt, wenn die Leiche in den Sarg gebettet wird.^ Merkwürdig ist der von verschiedenen Gewährsmännern aus dem Dorfe Ozkabalys bezeugte Glaube, daß der Geist des Verstorbenen während der drei Tage, die der Leichnam in dem Hause weilt, traurig gestimmt am Kopfende stehe.^ Wenn man die Leiche in den Sarg bettet, oder schon unmittelbar nach dem Tode verläßt der Geist die Wohnung durch das Fenster oder die Tür, die deshalb, wie schon erwähnt, geöffnet sein sollen, und begibt sich während der Ausfahrt an den für ihn bestimmten Ort.^^ Andere glauben, daß sich die Geister noch immer unter den Menschen aufhalten bis zum grünen Donnerstag oder so lange, bis wiederum ein anderer in demselben Hause stirbt und

^ Bas. 1 11, 25a.E. ^ Praetorius op. cü. S. 102.

' Bezzenberger Litauische Forschungen S. 84 Anm. 2.

* Bas.I 10, 19. '^ Bas. I 10, 12. ^ ßas. I 12. "' Bas. I 14, 24.

« Bas. I 19. ^ Bas. XIII 4. Bas. IX 18 und sonst.

Archiv f. Religionswissenschaft XVII 31

482 ^' Caland

seinen Vorgänger von einer Art Wache ablöst, die er am Ein- gang des Kirchhofes hält.^

Noch während der letzten Augenblicke des Sterbenden hat man sich zur sogenannten ,Totenwache^ ^ vorbereitet, d. h. zur Feier am Vorabend der Ausfahrt, welche auch jetzt noch üblich ist.^ Für diese Feier wurde eine gute Quantität Bier gebraut. Man sandte berittene Boten zu den Verwandten des Verstorbenen, um ihnen mitzuteilen, daß Soundso aus dieser Welt hingeschieden war, damit sie zur ^Wache' zusammenkämen. Wenn die Ver- wandten und Bekannten sich im Hofe des Verstorbenen ver- sammelt hatten, wusch man den Leichnam zum zweiten Male, beschuhte ihn und kleidete ihn in das Leichengewand und setzte den Toten in sitzender Haltung auf einen Stuhl.^ Wenn alle der Reihe nach in demselben Gemach eine Schale Bier getrunken hatten, setzten sie sich auf die Bänke an der Wand. Dann weinten und jammerten die sogenannten Klageweiber^, zusammen mit den nächsten Verwandten rings um den Toten auf dem Boden stehend, indem die an der Wand Sitzenden sangen, dem Toten mit diesen Worten zuredend: „0 Wehe! 0 Wehe! Warum bist du gestorben! Hattest du denn nicht ein gutes Weib, ein flinkes Roß, tüchtige Waffen, fleißige Knechte, großen Reichtum, schnelle Falken, gute Jagdhunde! Warum bist du gestorben!" usw.^ In

* Bas. XIII 5— 7; vgl. Bezzenberger IM. Forsch. S. 84: „Wer begraben wird, muß auf dem Kirchhof so lange die Totenwache halten, bis ein folgender begraben wird"; Brand Observations on populär antiquities S. 480 sagt über die Bewohner gewisser Dörfer in Argyllshire: They lelieved that the spirit of the last interred Tcept watch around the churchyard until the arrival of another occupant, to whom üs custody was transmitted.

' hudyne nach Daukantas, budetuwes nach Bas. I 15 (S. 6 Z.3), 1 19 (S. 10 Z. 24); die Beteiligten heißen budetojei (Cappeller op.cit. S. 33).

' Bas. l. c. ; anderswo (Bas. 1 24, 26) scheint diese Feier szerminys zu heißen, womit für gewöhnlich das Totenmahl nach dem Begräbnisse bezeichnet wird.

* Lasicius op. dt. S. 57: defunctorum enini cadavera vestibus et calceis induuntur et erecta super sellam locantur; vgl. Praetorius Del.pruss. S. 101.

* raudes (Daukantas S. 145; S. 116 der späteren Bearbeitung).

* Derartige Klagen sind überliefert von Brand Beysen S. 99; Prae- torius Deliciae pruss. S. 102 und in Erleutertes Preußen (bei F. und

Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche 483

dieser Weise wurde alles, was dem Verstorbenen teuer gewesen war, in der Klage erwähnt. Solche Totenklagen kamen noch 1865 vor.* Offenbar sind diese Klagen die einfachste Form der bekannten raudos oder Klagelieder der Litauer, deren eine Menge auf uns gekommen ist und die, wenn auch unter dem Einfluß der Geistlichkeit langsam außer Gebrauch geratend, doch auch noch gegenwärtig, vor allem im polnischen Litauen, sei es im Hause beim Sarge, sei es am Grabe, gesungen werden.^ Während die an der Wand sitzenden 'Wächter' in dieser Weise sangen, weinten die Klageweiber zugleich mit den Ver- wandten, ihre Tränen in kleine irdene oder gläserne Gefäße sam- melnd, deren Inhalt später in das Tränenfläschchen übergegossen wurde, das dann in den Grabhügel bei der Asche des Toten hin- gelegt wurde; wollte oder konnte jemand nicht weinen, so mußte er ein fremdes Klageweib mieten, um es an seiner Stelle zu tun. Noch heutzutage lebt die Überlieferung unter dem Volke, daß man weibliche Klagende mietete, um den Toten zu beweinen; diese bekamen nachher etwas aus der Erbschaft als Belohnung.^ Wenn die Klage beendigt war, regten die Verwandten des Ver- storbenen die Wächter zum Biertrinken an. In dieser Weise hielt man 'die Wache' während einiger Tage und Nächte, nach dem Maße der Wohlhabenheit des Hingeschiedenen. Niemand i durfte da so essen, daß es gesehen werden konnte; hungerte leinen, so genoß er in aller Stille etwas in einem Hinterzimmer, und so macht man es auch heute noch in verschiedenen Ort- 1 Schäften im polnischen Litauen.* Wenn man in der beschrie-

H. Tetzner Dainos, Reclam- Ausg. Nr. 3694, S. 17); Schwabe Geistliche Wallfahrt (XZXLIV S. 360), vgl. auch Bas. I 14, 15 und Encydopaedia pf Religion and JEthics II. Band S. 20.

i ^ Bas. Einl. S. XL; Cappellers Gewährsmann (l. dt. S. 34) erwähnt den jOebrauch gleichfalls und bemerkt darüber: „einst geschah das auch so ibei uns, wie ich von Älteren vernommen habe, aber dieser Brauch ist schon längst verschwunden".

2 Dr. V. d. Meulen teilt in X^XLIV S. 363ff. zwei 1909 von ihm ge- iiörte raudos mit.

^ Bas. 1 16. ^ In Seredys, Gouv. Kowno; Bas. I 24 (S. 13 Z. 5 v. u ).

31*

484 ^' Caland ^

benen Weise wiederholt die Klage abgehalten hatte, trank schließ- lich jedermann der Reihe nach dem Toten zu, sich von ihm verabschiedend und die Hoffnung aussprechend, der Verstorbene möge seine Eltern, Verwandten und Bekannten im Jenseits grüßen und sich ebenso freundlich ihm gegenüber verhalten wie er ihm auf Erden gut gewesen sei. Wenn man darauf den Leichnam (oder den Sarg) aus der Wohnung getragen hatte, legte man ihn auf einen Wagen, der von den Weibern bis an die Grenze des Dorfes^, von den Männern bis an den Bestattungsort be- gleitet wurde. In einigen Gegenden gehen noch gegenwärtig^, wie es früher Brauch war, auch die Klageweiber mit, und in verschiedenen Gegenden fahren die nächsten weiblichen Ver- wandten auf demselben Wagen klagend und weinend mit, auf welchem der Tote fortgefahren wird^; so machen es auch heut- zutage die Letten im Kreis Dinaburg.* Von den Letten im all- gemeinen wird folgender merkwürdiger Brauch erwähnt^, daß man früher alle Kinder, die man zusammenbringen konnte, sick auf den Sarg setzen ließ und sie so nach dem Bestattungsorte fuhr. „Gegenwärtig erzählt man," fügt der Gewährsmann hin- zu, „daß dies deshalb geschieht, damit die Kinder eine gute Er- innerung daran behalten mögen: damit sie der Zeit des Ster- bens und des Ortes, wo der Tote bestattet worden ist, einge- denk sein mögen." „Vielleicht", so sagt er weiter, und man wird ihm hierin sicher beistimmen, „könnte diese Sitte auch einen anderen Grund haben."

In der heidnischen Zeit wurde der Tote von den männlichen Verwandten begleitet, die, zu Pferde sitzend, das entblößte Schwert schwangen, die bösen Geister forttreibend und schreiend: „Holla!

^ Audi bei Praetorius Del.pruss. S. 103; in dem Erleuterten Preußen (bei Tetzner, Dainos, S. 17) heißt es: „Wenn ein Mann stirbet, so gehet das Weib nicht mit zum Grabe, sie gehet nur bisz an die Hausthür- Schwelle". Während kiemas in einigen Dialekten 'Dorf bedeutet, be- zeichnet es in anderen Dialekten: 'Bauernhof; daher der Unterschied

2 Bag^ I 14 ^s 5 2. 16 V. u.). ' Bas. I 24 (S. 14 Mitte).

* Bas. I 26. « Bas. I 25 (S. 16 Mitte).

Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche 485

Gehet fort! Flüchtet hin, ihr bösen Geister !^^ ^ Dasselbe wird von Jucewicz noch für die Mitte des vorigen Jahrhunderts er- wähnt.^ Etwas sehr Merkwürdiges fand nach Lucas David, dem Verfasser der preußischen Chronik aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in diesem Moment statt. Er berichtet^ das Folgende: „Die Frauen begleiten den Leichnam bis auf die Grenze des Dorfes; da ist ein Pfall in die erden geschlagen, darauf eine breidte Muntze wie ein Schilling geleget. Alle die zu Rosz sind rennen nach dem Pfole. Der erste so dahin kompt nimbt die Muntze vom Pfole und zeiget die denen so mit Ime haben danach gerennet. So bald sie die Münze in seinen Händen sehen, kehren sie alle umb und rennen wieder zum todten. " In diesem interessanten, aber auf dem ersten Blick wenig begreiflichen Be- richt lebt ohne Zweifel ein Brauch fort, der uns aus viel früherer Zeit überliefert ist, und zwar für den die Aestii genannten Volks- stamm. In seinem auf Angelsächsisch zwischen 880 und 890 verfaßten Periplus berichtet uns nämlich Wulffstan das Folgende'* : „An demselben Tage,' wo sie ihn zum Scheiterhaufen tragen woUen, zerteilen sie seine Habe, die da nach dem Trinken und Spielen übrig ist, in fünf oder sechs, manchmal in mehrere (Teile), je nach der Größe der Habe. Sie legen es darauf hin, den größten Teil in einer Entfernung von mindestens einer Meile vom Hofe (wo der Leichnam sich befindet), dann den zweiten, dann den dritten, bis alles über diese eine Meile hingelegt worden list; der kleinste Teil muß sich am nächsten bei dem Ort, wo ider tote Mann liegt, befinden. Nun müssen sich alle Männer Isammeln, die im Lande die schnellsten Rosse besitzen, in (einer

' ^ Lasicius op.eit.S.b7 (nach Malecki): strictisque gladiis verberantes lauras vociferantes: geigeite hegaüe peJcelle, zu lesen mit Bas. S. XXXI: ei, \eikitef legMte pylcoliai, vgl. Stryikowski Kronika bei Bas, S. XL VI. I 2 Bas. I 14 a. E.

! ' Preußische Chronik J. Bd. S.141. Daukantas, der Wulffstan folgt, fügt pie Zerteilung der Habe nach der Verbrennung und vor der Heimkehr ein. * S. den angelsächsischen Text in den Scriptores rerum prussicarum voll S. 732.

436 W. Caland

Entfernung von) mindestens fünf oder sechs Meilen von der Habe. Dann rennen sie alle auf die Habe zu; dann kommt der Mann, der das schnellste Roß hat, zu dem ersten und größten Teile und so der eine nach dem anderen, bis alles genommen ist; und den kleinsten Teil erreicht derjenige, der am nächsten beim Hofe die Habe erreicht. Darauf reitet jedermann seines Weges mit dieser Habe und sie dürfen es alles behalten." Man sieht, daß der von Wulffstan beschriebene Brauch an einem anderen Momente im Ritual seinen Platz findet als der von Lucas David mitgeteilte. Zweifellos ist der Platz, den er bei Wulffstan einnimmt, der ursprüngliche und richtige.

Wenn man mit dem Leichnam an dem Bestattungsort an- gelangt war, ging man klagend und weinend dreimal um den Wagen, auf welchem er lag, herum ^, legte ihn auf ein Bett von Stroh und hob ihn in dieser Weise auf den Holzstoß; neben den Toten legte man sein Streitroß, seinen Kreuzbogen, seine Pfeile, seinen Speer, sein Schwert oder seinen Dolch, seinen am meisten geliebten Knecht, seine Jagdhunde und Falken und so wurde er den Flammen übergeben.* Als das Begraben mehr allgemein Sitte wurde, warf man Geldstücke ins Grab und legte Brot und eine Flasche Bier an das Kopfende des Toten.^ Wenn der Rauch des Scheiterhaufens emporzusteigen begann, stimmten die heid- nischen Priester einen Gesang an und rühmten alle Kriegstaten

^ Lucas David, I. Bd. S. 142; Hartknoch Altes und neues Preußen S. 182.

' Das älteste Zeugnis bei Wulflfstan: and forbaerned mid his vaepnum and hraegle. Ein unverdächtiges Zeugnis im Vertrage von 1249 (vgl. Anm. 10 auf S. 480) : et fideliter promiserunt quod ipsi vel heredes eorum in mortuis com- hurendis vel subterrandis cum equis sive hominibus vel cum armis seu vesti- bus vel quibuscumque aliis preciosis . . . ritus gentilium de cetero non servdbunt. Ein Zeugnis aus der Mitte des 13. Jahrh. gibt Ditlebs von Aln- peke (s. Bas. S. XXIX) ; vgl. auch Matthias a Michovia in de Sarmatia (Pol. bist, corpus, tom. I fol. 144): habebant {Samagitae) praeterea in silvis prae- fatis focos in familias et domos distinctos in quibus omnihus carorum et familiarium cadaveracum equis, seTlis,et vestimentis potioribus incendebant.

' Lasicius op. cit. S. 57; Praetorius Erl. Preußen (bei Tetzner, S. 17).

Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche 487

und Heldenstücke des Toten. Sobald die Flamme am Holzstoß sichtbar ward, riefen die Priester, den Blick zum Himmel ge- hoben, sie sähen den Toten durch das Himmelsgewölbe auf seinem Roß, in blitzendem Panzer und mit einem Falken auf der Hand inmitten eines großen Gefolges nach der jenseitigen Welt ziehen.^ Die Letten glaubten, daß der Geist glücklich sein werde, wenn bei der Verbrennung der Rauch des Scheiterhaufens gerade in die Höhe stieg; schlug dagegen der Rauch seitwärts nieder, so sei der Geist untergegangen.^ Verschiedenen Berichterstattern nach war es in der heidnischen Zeit üblich, Bären- oder Luchs- krallen in das Feuer zu werfen, damit der Geist mit deren Hilfe den hohen schlüpfrigen Berg des Jenseits besteigen könne.^ Etwas Ahnliches wird im Jahre 1890 erwähnt: „Zu alten Zeiten pflegten die Menschen die abgeschnittenen Nägel nicht auf den Boden zu werfen, sondern versteckten dieselben in ihrem Busen (d. h. in dem Bausch ihres Gewandes), weil sie glaubten, daß der

^ Die hierauf bezüglichen Worte des Vertrages des Deutschen Ordens lauten: promiserunt etiam quod inter se non haiebunt de cetero TuUssones vel Ligaschones homines videlicet mendacissimos histriones, qui quasi gen- tilium sacerdotes in exequiis defunctorum ne (der Text hat ve) tormentorum ! infernalium poena premerentur (der Text des L. David hat promerentur und läßt poena fort), dicentes malum ionum et laudantes moHuas de suis furtis et spoliis immunditiis et rapinis ac dliis vitiis et peccatis, quae dum viverent perpetrarunt, ac erectis in coelum luminihus (Voigt Gesch. Preußens übersetzt: 'und flammende Lichter emporhebend' und ihm folgend gleich- falls unrichtig Dank antas: deganczias Swakes augstyn keldami) exclamantes mendaciter asserunt se videre praesentem defunctum per medium coeli volan- tem in equo armis fulgentibus decoratum nisum in manu ferentem cum comi- täte magna in aliud secuJum procedentem. Ein Zeugnis aus etwas späterer jZeit (1326) ist das des P. von Dusburg {Script, rer.pruss. I 54): unde contin- I gehat quod cum noiilibiis mortuis arma equi servi et ancillae vestes canes venatici et aves rapaces et alia quae spectant ad militiam, urerentur. j ' Nach Guilbert de Lannoy, der 1413 1414 eine Reise durch Kur- jland machte, vgl. Script, rer. pruss vol. lll S. 446. Ein ähnlicher Glaube jauch bei den Hindus und den Dajaks, vgl. Verf. Dze altindischen Toten - und Bestattmigsgebräuche S. 59.

i ^ Dies wird berichtet für 1212 und 1382 von Stryikowski und P. von Dusburg (Bas. S. XLII XLIV), vgl. auch Daukantas Istorija I S. 126 mit Hartknoch Altes und neues Preußen S. 187.

488 W. Caland |^

Mensch, wenn er gestorben war, über eine gläserne Brücke auf einen gläsernen Berg klettern mußte ".^

Wenn nun der Leichnam verbrannt war, tat man die Asche in eine Urne und legte auch Spangen, Ohrringe, Fingerringe, Halsketten, alte Münzen und andere Wertsachen hinein. Schließ- lich setzte man die Urne in einem Grabhügel bei, der in folgender Weise angefertigt wurde. Auf den Boden legte man Steine in konzentrischen Kreisen und in der Mitte errichtete man aus vier glatten Steinen eine Art Gewölbe, in dessen Mitte man die Urne mit der Asche stellte. Von dieser Urne aus legte man wie die Strahlen eines Sternes oder die Speichen eines Rades nach allen Seiten hin Reihen Steine und häufte darüber hügelartig die Erde in der Form eines Ovales an, dessen Höhe von dem Ansehen des Toten abhiug. Eine Menge solcher Grabhügel findet man jetzt noch im preußischen und polnischen Litauen.^

Ehe man nach der Beisetzung das Grab verläßt, ist es bei den Letten üblich, auf dem Grabe selbst die Verwandten mit Bier, Brot und Käse oder mit Bohnen und Erbsen, Bier und Brannt- wein zu bewirten^. Einem Gewährsmann des Kalvaitis teilte man mit, daß in alter Zeit die Bewohner des Dörfleins Cranz, wo viele Litauer und Alte Preußen wohnen sollen, auf dem Friedhofe ein Rind zu schlachten pflegten und, nachdem sie an Ort und Stelle das Fleisch gesotten und gebraten, dort das Totenmahl feierten. Dies war, sozusagen, eine Festmahlzeit der Lebendigen in Ge- sellschaft mit den Geistern der Toten.* Darauf gehen die Teil- nehmer, und zwar die Letten von Dinaburg, fröhlich singend und schreiend^ nach dem Sterbehause zurück. Bei der Türe stand ein Eimer mit Wasser und einem Handtuch fertig und jeder- mann, er mochte den Toten oder die Erde berührt haben oder

1 Bas. II 6.

* Bas. Einl. Abschn. X (S. LlXff.)- ^^ seiner Geschichte Preußens gibt Voigt, dem Titel gegenüber, eine Abbildung.

3 Bas. I 25 (S. 16 Z. 10), I 26 (S. 17 Z. 10 v. u.).

* Bas. I 28 (S. 18 Z. 11 v. u.). ' Bas. I 26 (S. 17 Z. 8 v. u.).

Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche 489

nicht, mußte sich die Hände waschen.* Nun endlich wurde die eigentliche Toten mahlzeit gehalten. Wieder bei den Letten mußte jeder Gast seine eigene Mahlzeit mitbringen: ein Butterbrot mit Käse, und jedermann mußte dann, ehe er von dem Wirte zu Tisch geladen wurde, davon einen Bissen nehmen.^ Früher glaubte man und auch jetzt glaubt man, daß der Geist des Ver- storbenen persönlich zum Sterbehause zurückkehre; deshalb legt man in Ostpreußen während des Ganges nach dem Grabe an die Grenze des Dorfes wie an den Eingang des Friedhofes ein Büschel Stroh hin, damit die Seele sich dort auf dem Heimwege aus- ruhen könne ^, und deshalb stellt man in dem Gemach, wo der Mensch gestorben und wo die Verwandten später zum Mahle zusammenkommen, abends einen Schemel bei der Türe auf und daneben ein Glas Kaffee, damit der Geist trinken könne.^ Noch gegenwärtig glaubt man, daß der Geist des eben Verstorbenen, begleitet von allen schon verstorbenen Familienmitgliedern, nach Hause zurückkehre und während des Abendbrots sich unter die Lebendigen mischend; die Finger in alle Schüsseln steckend, von allen Speisen kostet Andere behaupten, der Geist verberge sich während des Leichenmahles hinter dem Handtuch, das an der Stubentür hängt; diejenigen, die den Mut hatten, durch ein Loch in diesem Tuche oder durch die Fransen zu gucken, erblickten den Geist.* Bei der eigentlichen Totenmahlzeit ^ saßen die Gäste,

* Praetorius Bei. pruss. S. 99, 103 ed. Pierson.

^ Bas. I 25 (S. 17 Z. 17 v. n.). Von den Letten wird ferner berichtet (Bas. I 26), daß die Verwandten an dem für das Begräbnis bestimmten Tage znm Totenmahl Fleisch, Gerstenkuchen, Branntwein und Bier mit- bringen. — „Es war ein alter Brauch," so erzählt Cappellers Gewährs- mann {op.cit. S. 23), „daß jeder Eingeladene ein Fäßchen Branntwein für den Veranstalter der Feier mitbrachte ; dann übergab man ihm alles, was jeder mitgebracht."

^ Bas. 119 (S. lOZ. 11 v.u.); ein derartiger Brauch noch im Sam- land, vgl. AUpr. Monatschr. 36 S. 106.

^ Bas. 119 (S. HZ. 7). "> Bas. VIII 5 (S. 74 Z. 14 v. u.), vgl. 0 37, IX 8.

« Bas.Vni2, 39, 1X17; für Samland Ygl AUpr. Monatschr. 36 S.106.

' Daukantas gibt eine ausführliche Beschreibung, die viele von ihm selbst herrührende Zutaten zu enthalten scheint, aber in den Hauptsachen

490 ^' Caland

ohne zu reden, wie stumm zu Tiscli; Messer benutzten sie nicht, und zwei Frauen warteten ihnen auf, die, ebenfalls ohne Messer zu benutzen, ihnen die Speisen auftrugen.^ Jedermann warf von jedem Gerichte einen kleinen Teil unter den Tisch und goß ein wenig von seinem Getränke auf den Boden aus, in dem Glauben, daß der Geist dies zu sich nehme. Wenn zufällig etwas auf den Boden fiel, so hob man es nicht auf, sondern ließ es liegen, damit die verlassenen Geister, die keine Verwandten oder Freunde hatten, um ihnen eine Mahlzeit zu bereiten, es genießen möchten. Nach der Mahlzeit erhob sich der Priester und, indem er mit Besen das Geraach kehrte, vertrieb er mit dem Staube die Geister der Toten, als wären es Flöhe, mit den Worten: „Ihr habet ge- gessen, Ihr habet getrunken, o Geister, geht jetzt fort, gehet fort!" Darauf fingen die Gäste zu reden an und um die Wette zu trinken; die Männer und Weiber tranken sich zu und küßten sich. Über jenes Auskehren der Geister haben wir auch einen sehr zuverlässigen, sich auf die Letten beziehenden Bericht aus dem Jahre 1606^; außerdem erfahren wir aus diesem Berichte die Eigentümlichkeit, daß man mit einem Beile in den vier Ecken des Hauses Löcher schlug, um die Geister gänzlich aus- zutreiben.

Diese Totenmahlzeit wird am dritten, sechsten, neunten und vierzigsten Tage nach der Bestattung wiederholt und zuweilen, wie es scheint, auf dem Grabe selbst. Aus seiner Zeit, also um

doch mit dem anderswoher Bekannten übereinstimmt. Ich habe denn auch nicht seine Beschreibung hier aufgenommen, sondern die des Lasi- cius {op.cit.S. 57 58), obschon dieser Autor die Mahlzeit beschreibt als geltend für die 3., 6., 9. und 40. Tage nach der Beisetzung; vgl. auch Praetorius op. dt. S. 103 und Lucas David I. Bd. S. 144.

^ Dasselbe bei Lucas David (l. c.) : Zwee Weiber dienen Inen zu Tisch und legen einem Iden für was er essen solle. Die Speise aber ist vorhin zurtheilet, dasz keiner alda ein Messer ziehen darf noch musz."

' Mitth. der Litt. Ut. Ges. III S. 384 fiF.; es ist der Bericht einer katho- lischen Mission nach Riga: Ultimo scopant hypocaustum et expelliont ani- mas ex hypocausto; alter arripit securim et parietes secat per quattuor an- gulos easdem expellens ne haereant in quodam loco.

Die vorchriBtlichen baltischen Totengebräuche 491

1680, berichtet uns Praetorius^ daß, als ein Litauer verstorben war, die nächsten Freunde vier Wochen nach dem Sterbefall zu- sammenkamen; sie hatten Bier gebraut und Essen zugerichtet und setzten sich, wenn das Essen aufgetragen war, alle zu Tische; die erste halbe Stunde saßen sie ganz stille und redeten kein Wort; dann knieten alle nieder und beteten, Gott wolle die Seele ruhen lassen; hernach setzten sie sich wieder zu Tisch und fingen an zu essen und zu trinken; von allem aber, sei es Fleisch, Brot oder Fisch, warfen sie zuerst ein wenig unter den Tisch und gössen die erste Schale Bier auf den Boden für die Seele. „Die Seele könne nicht ruhen," so versicherten die Litauer dem Praetorius, „wenn sie ihr nicht den Tisch deckten", und das nannten sie „der Seelen den Tisch decken". Nach Beendigung des Totenschmauses nimmt man in Ostpreußen heute die folgende Maßregel vor, um den Geist fernzuhalten: einige Männer nehmen die Tisch- decke, bringen dieselbe eine Strecke fort, stehen still und be- schwören den Toten, sich ruhig zu verhalten; darauf kehren sie zurück in der festen ^ Überzeugung, daß er sie in Ruhe lassen wird.^ Nach dem Gesagten wird man nicht verwundert sein zu erfahren, daß ein solcher Totenschmaus öfters in eine Zecherei ausartet, bei welcher Musik und sogar Tanz nicht fehlen.^ Auch wird es niemand wundern, daß eine solche Totenmahlzeit zu- weilen an die 3000 Mark kostet*

I Neben diesen Totenfeiern für einen einzelnen Verstorbenen ! kommen auch allgemeine vor. Besonders verdient eine Feier, jdie sogenannte Ilges, die mit unserem Allerheiligen oder Aller- lseelen zusammenfiel, die Aufmerksamkeit. Diese Feier schloß ! sich derjenigen Festlichkeit an, die Ende Oktober stattfand, wenn die Ernte der Feldfrüchte ganz eingeholt war; bei dieser Ge- legenheit wurden verschiedene Opfertiere geschlachtet. Ehe man

^ Erleutertes Preußen bei Tetzner, Dainos, S. 17. '; ^ Bas. I 19 a. E. Ursprünglich wurde wohl die noch an der Tischdecke ^haftend gedachte Seele abgeschüttelt.

= Bas. I 19 (S. 10 unten); I 26 (S. 27 Z. 6 v. u.).

* Zweck Litauen, eine Landes- und Volkskunde^ Stuttgart 1898 S.173,

492 ^^- Caland

selbst zu essen anfing, warfen alle Beteiligten ein klein wenig von jedem Gerichte in die Ecken des Gemaches, für die ^Erd- geister', womit ohne Zweifel die Geister der Verstorbenen ge- meint sind.^ Am dritten Tage nach diesem Feste wurde eine Feier zu Ehren des Waizgauthos, des Gottes des Flachses, be- gangen. An diesem Feste lud man die Toten aus ihren Gräbern in das Badezimmer und zur Mahlzeit ein; wieviele eingeladen waren, soviele Sessel und Stück Ober- und Untergewänder legte man in einer zu diesem Zwecke erbauten Hütte bereit. Wenn dann ein Tisch mit Essen und Trinken beladen war, kehrten sie zu ihren Hütten zurück und veranstalteten ein Trinkgelage, das drei Tage dauerte. Am Ende ließen sie alles, was für die Toten bestimmt war, auf den Gräbern zurück, nachdem sie diese mit Getränk begossen hatten. Schließlich verabschiedeten sie sich von den Geistern.^

Mit einer sinnvollen und rührenden Schilderung einer all- gemeinen Totenfeier, die wir dem Autor Krasinski^ (gest. 1859) verdanken und die sich also fast mit unserer Zeit berührt, möge diese Darstellung des Totenkults der baltischen Stämme schließen.

^ Lasicius spricht von einer Erdgottheit {Zemiennik), Daukantas von den zemelukes. Das in alle Ecken Werfen deutet jedenfalls auf eine Mehr- zahl von Geistern.

^ Lasicius op. dt. (nach Guagnini , der seinerseits Stryikowski folgt), S. 49, 50 ; vgl. die ausführliche Darstellung des Daukantas Budas S. 110 bis 112 und v. Brand Beysen S. 81 über die Kurländer (d. h. die Letten): „Dannenhero etliche unter ihnen gar heimlich, den 4. Jan. St. N. auf aller Seelen tag, einen langen Tisch mit ihren gewöhnlichen besten Speisen versehen, in einer verschlossenen stube anzurichten pflegen, sagend in ihrer sprach: mus si weczäke dwesely melämi, das ist: „Wir speisen der Voreltern Seelen." Gehen darauf hinausz, lassen die Speise die nacht über stehen. Morgens wird die thür wiedrumb geöffnet; finden sie nun obgemeldete speisen ohn verzehret (man erwartet gerade das Gegenteil, vgl. z. B. Bas. I 28), deuten sie es vor ein sonderbares glück und segen ihrer Früchten, viehs und dergleichen, wo nicht, befürchten sie heftig eines künftigen Unglücks, das ihr vieh, äcker und dergleiche befallen werde".

' Bei Bas. I 30, vgl. Lippert Die Relig. der europ. CuUurvölker S. 70.

Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche 493

„Nach Sonnenuntergang pflegten sich die Leute zu versammeln und sich in Gruppen zu teilen: die erste Gruppe bestand aus verheirateten Leuten beiderlei Geschlechtes, die zweite aus Witwern und Witwen, die dritte aus Jünglingen und Mädchen, die vierte aus Kindern. Diese Gruppen begaben sich, von den Ältesten geführt, singend nach dem Flußufer, wo ein hölzernes Gestell errichtet worden war. Ein nahe am Wasser stehendes Faß mit brennendem Pech erhellte die ganze Szene. Ein bejahrter Führer erklomm das Gestell, kniete und winkte mit dem Finger nach den vier Himmelsrichtungen ; dann betete er laut zu den Geistern der Vorfahren, damit sie gnadenreich auf ihre Nachkommen sehen und Gott bitten möchten, daß er ihnen ihre Fehler und Ver- irrungen vergeben möge, damit sie nach ihrem Tode die Himmels- pforte geöffnet finden und ihre Vorfahren erblicken möchten. Darauf erklommen je vier Knaben und Mädchen das Gestell; sie gössen aus Krügen Bier, Branntwein, Milch und Honig nach allen Himmelsgegenden aus und setzten Brot und allerlei andere Speisen zu Boden. Wenn sie dann einander bei der Hand ge- faßt hatten, fingen sie an rings um die Opfergabe zu tanzen und sangen dabei Trauerlieder. Nach dem Tanze warfen die Mädchen Kränze und Blumen in den Fluß. Dann wurde dieselbe Szene von dem Chore der Witwer und Witwen und von dem der ver- heirateten Leute wiederholt, von denen jedesmal vier das Gestell erklommen. Am Ende nahm der älteste der Männer einen Kranz, aus Friedhofsblumen geflochten, und warf denselben ins Wasser, die Augen geschlossen haltend, bis der Strom den Kranz aus dem Gesichtskreise weggeführt hatte. Dieser Kranz war der zuletzt verstorbenen Jungfrau gewidmet.^ Dann wurden die Bretter des Gestells auseinander gerissen und die Menschen riefen: „Genug, o Geister, habt ihr getrunken, genug habt ihr gegessen! Kehret zurück (nach dem Ort), wo ihr weilet!" Die Bretter häufte man

^ Dieses Detail erinnert lebhaft an die von Schrader beschriebene Totenhochzeit; vgl. auch Brand Observations on populär antiquities S. 481 besonders vgl. S. 487.

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zusammen und verbrannte sie, die Knaben und Mädchen tanzten traurig singend darum herum. Dann zerstreuten sie sieb dem Flußufer entlang und verspeisten das Mitgebrachte. Diese Mahl- zeit währte bis zum ersten Hahnengeschrei; dann verstummte jeder Laut und man entfernte sich eiligst von der Stelle, wo man die Erinnerung an die teuren Verstorbenen gefeiert hatte/*

Demjenigen, der sich mit den Sitten, Gebräuchen und An- sichten der kulturlosen Völker vertraut gemacht hat, wird vieles von dem hier über die Totengebräuche der Völker baltischen Stammes Mitgeteilten nicht neu sein; manchmal wird er sich gesagt haben: „Was da mitgeteilt worden ist, gilt ebenso für dieses oder jenes Volk." Da ich aber annehmen muß, daß eine Anzahl der Leser mit dem Gedankenkreise, dem die hier be- schriebenen Sitten entsprossen sind, weniger vertraut ist, so ist es vielleicht nicht überflüssig, einige Bemerkungen hinzu- zufügen, die zur Erläuterung des Mitgeteilten dienen können.

Um also das oben dargelegte Totenritual und die darin ent- haltene Anschauung über das Wesen der Seelen der Verstorbenen zu begreifen, muß man, wie man es wohl nennt, ^animistisch denken', d. h. man muß sich in die Denkweise der kulturlosen Völker hineindenken, welche meinen, daß nicht nur der Mensch, sondern alle Wesen, ebensogut wie der Mensch, eine Seele haben, und daß die psychische Existenz nicht an die physische gebunden ist: die Seele hängt mit dem Körper nur lose zusammen und kann z. B. während des Schlafes den Körper verlassen und allerlei erleben; ein Traum ist also nicht ein Phantasiegebilde, sondern eine Art Wirklichkeit. Die Seele gilt dem animistisch Denken- den keineswegs als etwas Unmaterielles, im Gegenteil, sie be- steht aus einer Substanz, aber diese Substanz ist äußerst subtil und kann von einigen gesehen und berührt werden. Wenn nach dem Tode der Körper leblos daliegt, bleibt die Seele in der Nähe, solange noch etwas vom Körper übrig ist, aber führt eine teilweise immaterielle Existenz. Es ist begreiflich, daß der

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Lebende überzeugt ist, daß die Seelen, die ja ein besonderes Leben haben, soviel wie möglich in den für sie bestimmten Ver- hältnissen, in der ihnen zukommenden Existenz zurückgehalten werden müssen. Die Art und Weise, die Toten zu behandeln, hat zum Zwecke, sie dort festzuhalten und die Maßregeln zu nehmen^ die die Lebendigen vor dem Toten schützen können. Sonst wäre die Gefahr groß, daß die Seelen der Toten zurückkommen würden, und, wenn nicht alles für sie getan wäre, worauf sie Anspruch hätten, so würden sie den Lebendigen schaden. In der ersten Zeit nach dem Tode kann sich die Seele noch nicht ganz von ihrer materiellen Hülle trennen; sie verbleibt noch in der Wohnung, und man soll alles tun, um ihr das Fortgehen bequem zu machen: darum öffnet man entweder Türen und Fenster oder macht ein Loch in die Wand. Die Geister, subtil von Substanz, wie sio sind, fürchten nichts so sehr als Wasser und Feuer; bei vielen kulturlosen "Völkern, und als Überrest älterer Denkweise auch bei Kulturvölkern, begießt man den Scheiterhaufen ringsum mit einem Wasserstrahle o(Jer bringt nach der Beisetzung einen künst- lichen Fluß an, in welchen die Überlebenden sich hinein be- geben. Das Ausgießen des zur letzten Waschung gebrauchten Wassers, wie es die Litauer vollziehen, bezweckt offenbar das gleiche: eine Barrikade zwischen sich und den Toten zu stellen. Der Volksglaube, der als Grundgedanken angibt: „Wenn man das Wasser nicht vor dem Begräbnisse ausgösse, so würde der Tote im Jenseits keine Ruhe haben" ^, ist ein wenig getrübt; der zu- 1 gründe liegende Gedanke muß gewesen sein: „Man muß das Wasser {nach dem Begräbnisse ausgießen, dann muß der Geist in jener |Welt bleiben". Daß der für die letzte Toilette gebrauchte Kamm lim Sarg mitgegeben, und daß das für die letzte Waschung be- inutzte Gefäß zertrümmert wird, ist vollkommen begreiflich: solche {Sachen sind tabu und dürfen von den Lebenden nicht mehr ge- lbraucht werden. So zerbrechen auch die Hindus den Krug, der Izum Begießen des Holzstoßes gedient hat. Ein anderes Mittel, ' Bas. I 19.

496 ^'^' Caland

um dem Geiste die Heimkehr zu erschweren, ist die Sitte der Letten^, die Dorfstraße und den Feldweg, den die Leichenprozession nehmen wird, mit Ästen vom Taxus, einem giftigen Nadelbaum^, zu bestreuen. So pflegen die Kongoneger, die barfuß gehen und sich naturgemäß den Geist ebenso denken, auf dem Wege vom Hause zum Grabe Dornen auszustreuen^. Ob das im Volks- glauben vom Schließen der Augen des Toten gegebene Motiv („sonst wird der Geist des Verstorbenen einen anderen anlocken^')* das richtige ist, scheint noch nicht so ganz sicher zu sein; nach Frazer^ gehört die Maßregel zu der Kategorie von Riten, durch die man den Toten verhindern wollte, den Weg zurückzufinden; man konnte sich ja schwerlich den Geist in einer von seiner sterblichen Hülle verschiedenen Gestalt denken (vgl. auch das eben über die Kongoneger Gesagte) und nahm daher allerhand Maßregeln vor, um dem Körper selbst die Heimkehr unmöglich zu machen. Nach meiner Ansicht gehört hierher auch der oben erwähnte Brauch, dem Leichnam ein Taschentuch über den Kopf unter das Kinn zu binden, denn die Tatsache, daß man das Tuch wegnimmt, nachdem die Leiche in den Sarg gelegt worden ist, läßt vermuten, daß dieser Brauch, ursprünglich wenigstens, zu jener Kategorie von Maßregeln gehört, die den Toten unschäd- lich zu machen beabsichtigen^; ein analoger Brauch ist dann das anderswo so vielfach anzutreffende Zusammenschnüren der Daumen und großen Zehen mit Schnüren, die nach Ankunft am Kremations- oder Begräbnisplatz wieder losgeknüpft werdend So

1 Bas.I 26.

* Der Taxus wird auch anderswo mit dem Tode in Verbindung ge- bracht, besonders in England, vgl. Brand Oiservations on populär anti- quities^ S. 451 ff. {the dismal or fatal ewe); in der alten Zeit (Z. c. S. 459) pflegten die Trauernden einen Taxusast bei der Prozession in der Hand zu halten und diesen ins Grab unter den Sarg zu legen.

" Encydopaedia of Religion and Ethics vol. IV S. 426 a. " Bas. I 14.

^ Im Journal of the Anthrop. Institute vol. XV S. 68.

^ Verf. in der Monatsschrift Museum (Groningen) Vol. X S. 35.

' Man könnte auch meinen, daß die hier erwähnte Maßregel einfach genommen wird, damit der Mund geschlossen bleibe, und daß das Tuch

Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche 497

wird von den Eingeborenen der Insel Nias berichtet, daß sie nicht nur die Finger und Zehen, sondern auch die Kiefer festschnüren und Pfropfen in die Nasenlöcher hineinstecken; auch die Mos- lims binden sowohl die Beine wie die Kiefer fest^ Meines Erachtens bezweckte auch das von den Litauern dreimal aus- geführte Herumgehen um den Wagen, auf welchem der Leich- nam lag, ursprünglich, sich vor dem Toten, vor dem Geiste zu schützen. Ich würde diesen früher schon eingehend behandelten^ Brauch hier nicht erörtern, wenn nicht vor kurzer Zeit von Prof. Eerdmans eine von der meinigen abweichende Erklärung vorgeschlagen worden wäre^ Eerdmans äußert sich über diesen Gebrauch folgendermaßen: „Das Tragen um die Kirche geschah ursprünglich nicht in so guter Ordnung {000 ordelijlc) wie gegen- wärtig. Es fand wiederholt statt, wohl auch in schnellem Tempo. Die Absicht war, so viele Male um die Kirche herumzugehen, daß man über die Anzahl der Umgänge nicht mehr vollkommen sicher war. In dieser Weise würde der Geist des Toten sich leicht irren können, wenn er den Versuch machen wollte, denselben Weg zurückzulegen." Nun ist es freilich möglich, daß das Herum- tragen um die Kirche zuweilen eine unbestimmte Anzahl Male stattfand, aber es ist Tatsache, daß alle bekannten Quellen der verschiedensten Völker indogermanischer Herkunft den Umgang als dreimalig erwähnen. Dreimal z. B. wird er nach Gallee* auch in der Provinz Friesland und in gewissen katholischen Gemeinden des platten Landes in anderen Provinzen, z.B. in Overijsel, ab- entfernt wird, nachdem die Rigidität eingetreten ist: anstandshalber also. Aber vgl. Gallee Sporen van Indogermaansch ritueel in Germaansche h'jJc- plechtigheden , Volkskunde Bd. XIII S. 4: daarna (d. h. nach dem Ein- treten des Todes) moest hij (de mond) echter gesloten, want, hleef h'y open, dan Jcon de ziel in 't lichaam terugTceeren en de overledene werd een^ revenanf .

1 Encycl. of Bei. and Ethics vol. IV S.433a und 500 a.

^ In Verslagen en Mededeelingen der Kon. Acad. van Wetensch. te \ Amsterdam, Afd. Letterkunde IV« Beeks, deel, pag. 275 ff. und Encycl. of ^ Meligion and Ethics vol. III S. 657, vol. IV S. 454 a.

^ In Driemaandelijksche Bladen XII. Jahrg. S. 51 ff.

* Loc. dt. S. 9.

Archiv f. Eeligionswissenacliaft XVII 32

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gehalten, wobei Gallee zweimal Augenzeuge war. Ursprünglich bezweckte der uralte Brauch des dreimaligen Herumgehens, daß man sich, wenn man dabei der Person oder der Sache die linke Seite zukehrte, sich vor dem bösen Einfluß schützte, der von der gedachten Person oder Sache ausgehen konnte, während das dreimalige Herumgehen mit Zukehrung der rechten Seite beabsichtigte, eine gewisse Person oder Sache vor bösem Ein- fluß zu sichern. Das letzte artete in eine Art von Ehrerbietung ab. Der animistisch Denkende meint auch imstande zu sein, die Geister zu verscheuchen; das taten denn auch die alten Litauer, wenn sie mit gezogenem Schwerte und laut schreiend die bösen Geister vertrieben. Ob diese Maßregel nicht ursprünglich die Absicht hatte, den Geist des Verstorbenen aus dem Dorfe zu verjagen, will ich dahingestellt sein lassen^; soviel jedoch ist sicher, daß das entblößte Schwert hier von Bedeutung ist. Eine von den Sachen, die die Geister fürchten, ist das Eisen, um wie viel mehr das scharfe Eisen ^! Daß dieser Volksglaube noch unter den jetzigen Litauern lebendig ist, geht deutlich aus der folgenden Geschichte hervor, die von Kalvaitis aus dem Munde eines gewissen Mauricius aus Pilkalnis aufgezeichnet wurde: „Als ich noch beim Militär war, begab sich einer von unseren Freunden zur Begräbnisfeier seines Vaters. Als er zurückgekehrt war, er- zählte er: am Abend der Leichenfeier gebot mir mein Oheim der Geister sehen kann, meinen Säbel abzuhaken und beiseite zu legen. Als ich nach dem Abendessen mich an den Tisch lehnte, hatte ich das Gefühl, als ob mir jemand mit einer kalten Hand über die Backen strich; darüber erschrak ich und ich er- zählte es meinem Oheim; dieser antwortete: ich hatte gesehen, daß der Geist deines Vaters, dich streichelnd, sich von dir ver- abschieden wollte, und gebot dir deshalb deinen Säbel beiseite zu legen, weil dieser eingesegnet ist. Daher schaute der Geist bis auf den Augenblick, da du ihn hinlegtest, bloß aus der Ferne

^ Vgl. Encycl. of Religion and Ethics vol. IV S. 440 b. ^ Vgl. im allgemeinen Frazer Golden Bough^ vol. I S. 351.

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zu dir hin."^ Das vom Oheim angeführte Motiv ist schwerlich richtig. Man erkennt jetzt auch, daß die alte Beschreibung des Meletius (Lasicius, oben S. 490), wo er erzählt, daß beim Toten- mahle keine Messer benutzt werden dürfen, einen Zug alten und unverfälschten Volksaberglaubens enthält. Femer wendet man sowohl gewalttätige Mittel wie Überredung an, um den Geist oder die Geister fernzuhalten. Ein gewalttätiges Mittel ist das Wegfegen nach Ablauf des Totenmahles; obschon etwas Der- artiges meines Wissens nirgendwo anders ausdrücklich überliefert ist, enthält doch ein gewisser Brauch im heutigen Griechenland einen analogen Grundgedanken, das Verbot nämlich, nach einem Sterbefall, d.h. also während der Tage, die der Geist, wie man meint, noch im Sterbehause verweilt, die Wohnung auszufegen, und das Gebot, nach dem Ausfegen den Besen zu verbrennen.^ Ein weniger gewaltsames Mittel ist erstens, daß man den Geist ermahnt, sich ruhig zu halten, d. h. nicht mehr zurückzukehren, nachdem er nun ein für allemal aus der Umgebung der Lebendigen entfernt worden ist,^ und zweitens, daß man nach der Beendigung des Totenfestes die Geister beschwört nach dem Orte hinzugehen, wohin sie gehören, mit den Worten: „Ihr habet gegessen, Ihr habet getrunken, o Geister, gehet fort jetzt". Dies erinnert leb- , haft sowohl an die Ermahnung der alten Griechen nach der ! Totenfeier am Schlüsse der Anthesterien: „Hinaus, Ihr Geister, I die Anthesterien sind nun vorüber!"*, als an die Beschwörung der Römer nach den Lemuria: Manes exite paterni^ und an die Worte der Hindus nach der allmonatlichen Totenspende: „Gehet j hin, Ihr freundlichen Väter, auf den tiefen uralten Pfaden und : begebet euch zu den gütigen Vätern, die zusammen mit Gott Yama schwelgen".

' Bas. IX 3.

2 Encycl. of Bei. and Ethics vol. IV S. 430 a.

^ Für Parallelen s. Encycl of Bei and Eth. vol. IV S. 426 a. E.

* Frazer Golden Bough' vol. 111 S. 88.

" Ovid Fasti V 443.

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Allgemein ist indessen der Glaube, daß die Seele eines eben Verstorbenen nicbt sofort weggebt, sondern nocb eine gewisse Zeit, entweder solange der Leicbnam unbeerdigt ist oder noch einige Zeit nach der Beerdigung, sieb im Sterbebause aufhält oder dortbin zurückkehrt. Der Glaube der Litauer, daß der Geist während der drei Tage, die der Leichnam noch im Hause weilt, in trauriger Stimmung am Kopfende stehe, hat eine merkwürdige Parallele in der bekannten Überlieferung der Pärsis, die eben- falls meinen, daß die Seele während der ersten drei Tage am Kopfende der Leiche niedersitzt. Diejenigen Litauer, die be- haupten, die Geister sehen zu können, wissen allerhand Merk- würdiges über das Betragen des Geistes unmittelbar nach dem Tode zu erzählen: er fordert die Überlebenden auf, schnell den Leichnam zu waschen, die Türe zu öffnen und ihm das Geleit zu geben; aus der Wohnung ausziehend, verabschiedet sich der Geist von den Seinigen; bei der Leiche steht nicht nur der Geist des Verstorbenen selbst, sondern auch andere Geister in einer Gruppe versammelt; wenn man das Totenkleid näht, schaut der Geist zu; geht man das Grab graben, so geht der Geist voran, um Ort und Stelle anzuweisen, und wenn die Grube fertig ist, so sieht er dieselbe nach ; während der Ausfahrt sitzt er trauernd auf dem Sarge und während der Beerdigung ist der Kirchhof voll von Geistern, die sich von der Leiche verabschieden^. Ge- wisse Litauer nämlich sind, entweder infolge besonderer Um- stände oder infolge bestimmter Handlungen, imstande, die für die gewöhnlichen Menschen unsichtbaren Geister zu schauen*; von Natur sollen diejenigen die Geister sehen können, die um Mitter- nacht zwischen Samstag und Sonntag geboren sind^; andere er-

^ Bas. Einl. S. XIX und Abschn. IX passim. The Huron ghost icalks in front of the funeral procession and remains in tJie cemetery until the feastofthe dead; hy night, however, it stalks through the village andeatsthe leavings ofthe food of the Uving: Encycl. of Bei. and Ethics vol. IV S. 434 a.

* These shadow beings can he obscrved hy seers and hy others under certain conditions heißt es von den Zunis {Bur. Amer. Ethn. 1904 S. 307).

» Bas. XVII 7 S. 124. S. in diesem Archiv XVII 125 ff.

Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche 501

werben dieses Vermögen dadurcli, daß sie durch die runde Öfl&iung im Holze eines Grabkreuzes ^ oder durch die mit der Hand zu- sammengefaßten Ohren eines heulenden Hundes* oder eines ohne sichtbare Ursache scheu gewordenen Pferdes^ hindurch gucken. Vom Hund, Pferd und Hahn heißt es ja, daß sie die Geister sehen können*. Aber, ein Vergnügen ist es nicht, die Geister erschauen zu müssen, und manchmal preisen Kalvaitis' Gewährs- leute die anderen Menschen glücklich, denen dieses Vermögen abgeht^; meistens auch vermeiden sie es, den Leichenfeiern bei- zuwohnend

Weil nun der Geist die ersten Tage sich noch im Sterbe- hause aufhält, ist vieles gefährlich. Alles was mit dem Tode in Berührung kommt, ist der Gefahr ausgesetzt, seine Wirkung, seine Fruchtbarkeit einzubüßen; daher der Brauch, aUen Samen aus der Wohnung zu entfernen, weil er, wie der Berichterstatter ganz richtig bemerkt, sonst nicht mehr keimen wird"^. Wahr- scheinlich ist derselbe Aberglaube aus den Berichten über andere Völker ebenfalls belegbar; bis jetzt habe ich ihn aber nicht an- getroffen; in gerade demselben Gedanken jedoch wurzelt der Brauch der Hindus, das Einsammeln der Gebeine der verbrannten I Leiche von weiblichen Personen verrichten zu lassen, bei welchen die Menses aufgehört haben; offenbar ist der zugrunde liegende Gedanke dieser, daß, wenn man diese Handlung von einer noch I Menstruierenden verrichten ließe, Unfruchtbarkeit die Folge sein I würde. Es ist bekannt, daß die Römer einen Verbrecher an einer infelix arbor, d. h. einem keine Frucht tragenden Baum aufzuhängen pflegten^; ein fruchtbarer Baum würde offenbar keine Frucht mehr tragen. Auf dem Glauben, daß der Geist noch in der Wohnung herumspukt, beruhen noch andere Ge- bräuche, nämlich daß niemand während des Sterbens schlafen darf; im Schlafe verläßt ja die Seele den Körper und die so

^ Bas. VIII 12. « Bas. VII 22, 24, 26. » Bas. VIII 18.

* Bas. VII passim. * Z. B. Bas. VIII 21. « Bas. VIII 25.

' Bas. I 14. « Liv. I 36.

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herumirrende Seele eines Lebendigen würde leicht vom Toten angelockt werden können, was einen neuen Todesfall herbeiführen könnte. Die Spiegel werden mit Tüchern verhüllt; der Gewährs- mann dieses Berichtes gibt als Grund an: „täte man es nicht, I so würde man den Geist des Verstorbenen darin zu erblicken be- kommen"^, und man weiß, wie man sich davor fürchtet. Ob dies aber der wirkliche Grund dieses so weit verbreiteten Yolksbrauches ist, scheint nicht ganz sicher zu sein. Die Gelehrten deuten ihn verschieden*. Sehr eigentümliche Vorschriften gelten für die Art der Speise, die man während der Tage, die der Geist noch im Hause weilt, genießt und für die Weise, wie die Hinterbliebenen speisen. Für die Litauer gilt, wie wir gesehen haben, die Vor- schrift, daß man nicht in demselben Gemach essen darf, wo der Leichnam aufgestellt ist, und für die Letten, daß sie für den Leichenschmaus selbst ihre Speise mitbringen. Das Ursprüng- liche ist jedenfalls die Verbindung dieser zwei Vorschriften: man speist nicht in dem Gemach, wo der Tote steht, und was man ißt, wird von anderswo herbeigeschaflpfc, d. h.,nicht im Ster hause selbst zugerichtet, gekocht^. Auch dieser Gebrauch wird sehr verschieden gedeutet; einige behaupten*, daß die Speise- restriktion aus Anlaß eines Sterbefalles nichts anderes ist als

* Bas. IX 13.

' Mit der Deutung des litauischen Gewährsmannes stimmt der vou Zachariae (Zeitscfir. d. Ver.f. YoRshmde 1905 S. 75) zitierte Bericht über- ein: „Sie (die Priester) zeigen ihnen (den Witwen bei den Hindus, die man auffordert, sich mit ihrem rerstorbenen Gatten verbrennen zu lassen) einen Spiegel, worin sie ihnen den Verstorbenen vorstellen, der sie ein- ladet , zu ihm zu kommen " ; übrigens hat bei den Hindus der Spiegel im allgemeiuen übel -abwehrende Wirkung, vgl. Zachariae Zoc. c/Y. S. 76. Frazers Deutung des Yerhüllens des Spiegels findet man Golden Bough^ vol.1 S 294; wieder anders Sidney Hartland in Encycl. of BeUgion and Ethics vol. IV S.41öb.

' Für die Hindus: „man ißt Speise kein Fleisch die man ge- kauft oder geschenkt bekommen hat und (zwar allein) am Tage" {Pär grhs. III 10,26); „in der Nacht koche man keine Speise; man genieße gekaufte oder schon vorhandene Speise" {Äsv. grhs. lY A, 11, Ib).

* S. u. a. Groenman Eet rasten by Israel S. 60.

Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche 503

die äußerste Konsequenz der vollständigen Übergabe von allem au die Seele des Verstorbenen. Kruijt^ erklärt sie aus dem Be- streben der Lebenden, sich ebenso wie die Toten zu gebaren, die ja auch nicht oder wenigstens in anderer Weise als die Leben- digen essen. Frazer^ und Oldenberg^ erklären sie als die Kon- sequenz der Erwägung, daß die im Sterbehause zubereitete Speise durch die Seelensubstanz des Toten affiziert sein könne. Die letzte Deutung kommt mir in vieler Hinsicht am besten be- gründet vor: ganz ebenso wie der Samen durch die Anwesen- heit der Seele unfruchtbar wird, könnte auch die Speise minder gewünschte Eigenschaften bekommen. Daß und warum man in einem Sterbehause und im allgemeinen nach einem Sterbe- falle nur mit gewisser Vorsicht ißt und trinkt, wird u. a. treffend illustriert durch die Mitteilung über die Eskimos an der Bering- straße: wenn ein Vater seinen Sohn durch den Tod verloren hat, soll er nicht aus einer unbedeckten Schale trinken, „denn wenn er dies tut, so ist er in Gefahr, eine gewisse Emanation der Seele, die anwes'end sein kann, zu verschlucken und der Tod wird die Folge sein"*. So wird über die Bengaler berichtet, daß sie ihren Trinknapf mit der durchbohrten Hälfte einer Kokos- nuß bedecken. Es wird nämlich erzählt, daß die Seele eines schlafenden Mannes einst den Körper verlassen hatte; sie machte einen Spaziergang und wurde durstig; um zu trinken, begab sich die Seele in einen Wassernapf, aber unerwarteterweise wurde der Napf durch den zuklappenden Deckel geschlossen; die Seele konnte nicht mehr hinauskommen, und folglich starb der Mann^. Der Geist eines soeben Verstorbenen hält sich 'nicht nnr solange in der Wohnung auf, als der Leichnam noch ;über der Erde steht, sondern besucht in der ersten Zeit noch seine einstmalige Wohnstätte; deshalb werden zuweilen auf dem

^ Het Animisme in d^n indischen Archipel S. 283. ' Journal of the Anthrop. Inst. yoI. XV 8. 92 ff.

* Religion des Veda S. 690.

* 18. Bep. Bur, Ethn. Wash. 1889 S. 422.

* Jou>rn. Anthrop. Soc. Bombay vol. I S. 355.

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Wege zwischen Begräbnisstätte und Wohnort Büschel Stroh hingelegt, damit der Geist sich ausruhen könne, und deshalb wird auf einem Schemel Trank für ihn bereitgestellt. So stellten auch die Hindus, als sie von der Kremation heimgekehrt waren, auf einen Stein an der Türe des Sterbehauses morgens und abends einen Reiskloß als Speise für die Seele ^, und so glauben die russischen Bauern, daß die Seele des Verstorbenen sechs Wochen lang jede Nacht ihre Hütte besucht und Wasser aus einer Schale trinkt, die zu diesem Zwecke gefüllt hingestellt wird^

Außer daß man den Geist im Jenseits zu halten sucht, in- dem man ihn mit allem versieht, was er dort zu seiner nur teilweise immateriellen Existenz an Speise und Trank braucht, pflegt man ihm alles das mitzugeben, worauf er bei seinem Leben ein Anrecht hatte. Wir haben gesehen, daß man dem Litauer einiges Geld mitgibt, als Reisegeld, wie es heißt,^ und daß ihm zuweilen ein Geldstück unter die Zunge gelegt wird, geradeso wie man dem Griechen einen Obolos in den Mund legte, damit er Charon für die Überfahrt über den Styx bezahlen könne, und wie man dem russischen Lappländer eine Börse mit Geld in die Hand legte, damit er sich den Zugang ins Paradies erkaufen könne,* Es ist klar, daß von diesem an so verschiedenen Punkten der Erde vorkommenden Brauche weder das Motiv, das die Litauer, noch dasjenige, welches die Griechen und die Lappländer zur Begründung anführen, das ursprüngliche gewesen sein kann. Es ist vielmehr in hohem Grade wahrscheinlich, daß man dem Toten ursprünglich seine ganze Habe mitgab und daß später für das ganze Vermögen das einzelne Geldstück oder die Börse mit Geld substituiert wurde. Auch dem eigentümlichen Volksbrauch, den Todesfall nicht bloß den Bienen, sondern allem

^ Baudh. pi. sü. III 4 (ed. Raabe, S. 30, 2); Gaut.pi.sü. I 4, 17 21; Verf. Die dltind. Toten- und Best.-Gebr. S. 82.

^ Encycl. of.Bel and Ethics vol. IV S. 24 a unten.

' Lasicius op. dt. S. 57: nummos projiciunt in sepulchrum futurum mortui viaiicum.

* Encycl. of Beligion and Ethics vol. IV S. 430 a.

Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche 505

Vieh feierlich anzusagen, liegt wohl derselbe Gedanke zugrunde. Deutlich wird dies von den Litauern ausgesprochen, welche sagen,^ daß, wenn man es versäumte, diese Maßregel zu nehmen, alles Vieh und alle Haustiere dem Toten, dessen Eigentum sie ja sind und bleiben, folgen würden^. So pflegte auch bei den Dajaks das Familienhaupt alle Kinder und anderen Verwandten bei ihrem Namen anzurufen, um den Toten zu verhindern, ihre Seelen hinwegzulocken, in welchem Falle sie sterben würden ^ Bei den Toradjas pflegen an einer Witwe allerhand Zeremonien vorgenommen zu werden, um ihre Seele in ihr zu befestigen, weil sie sonst ihrem Gatten (zu dessen Eigentum sie ja gehört) folgen müßte.* Einer der auffallendsten und fremdartigsten Ge- bräuche im Totenritual der baltischen Stämme ist ohne Zweifel der von Wulfi'stan beschriebene Wettlaufund die damit zusammen- hängende Verteilung der Habe des Hingeschiedenen. Ich stehe nicht an, auch diesen Brauch zu der Kategorie zu rechnen, von welcher hier die Rede ist: diese Handlung ist nichts anderes als eine Ausartung des 'ursprünglichen Brauches, dem Toten all das Seinige mitzugeben, nur ist die Verteilung unter Fremde an die Stelle der gänzlichen Vernichtung getreten. Merkwürdige Analogien werden bei den nordamerikanischen Stämmen an- getroffen. So wurde bei den Eingeborenen von Porto -Rico alles Eigentum des Dahingeschiedenen unter die Fremden, welche die Totenklage abgehalten hatten, verteilt^; bei einem anderen Stamme wurden die persönlichen Besitztümer des Toten ver- nichtet, und wenn sich darunter Vieh befand, so wurde dies

' ßas. I 19 (S. 9 Z. 7 V. u.).

^ Vgl. auch Zweck Litauen S. 173: „Ein Rind muß zum Begräbnis eines Wirtes schon deshalb geschlachtet werden, weil nach den aber- gläubischen Vorstellungen des Litauers sonst alles Vieh erkranken und sterben würde."

" Intern. Archiv f. Anthrop. II S. 182.

* Kruijt Over het Jcoppensnellen bij de Toradjas, in Verslagen en Meded. der Kon. Acad. van Wetensch. te Amst.^ Afd. Lett, IVe Becks, Deel S. 188. ^ 25. Rep. Bur. Ethn. W. S. 70.

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von beliebigen Personen geschlachtet und verspeist, aber den nächsten Verwandten war es untersagt, etwas davon zu essen ^; bei den Omahas werden nach dem anläßlich eines Sterbefalles gegebenen Feste Wett laufe gehalten, und einige von den Verwandten beigetragene Stücke Eigentums unter die Sieger verteilt^; bei den Sioux endlich kommt es vor, daß die Habe des Toten denjenigen gegeben wird, die sich an der Leichen- feier beteiligt haben, wenngleich die Familie dadurch in Ar- mut verfällt^. In dem Wulffstanschen Berichte finden wir also zwei Motive vereinigt: die Verteilung der nachgelassenen Habe und den Wettlauf, gerade wie bei den Omahas. Mit dem Wett- lauf könnte man die Leichenspiele nach Patroklos' Tode und die Decursio der Römer vergleichen, d. h. das im vollen Trabe um den Scheiterhaufen eines ansehnlichen Kriegsobersten ausgeführte Defilieren. Die von Lucas David übermittelte Beschreibung (man erinnert sich, daß auch nach diesem Autor ein Wettlauf statt- findet, wobei der Sieger ein Geldstück von dem Pfahle nimmt) enthält offenbar eine von der Wulffstanschen noch weiter aus- geartete Vorstellung, die ohne jene uns total unbegreiflich seia würde. Der Davidsche Bericht verhält sich, sozusagen, zu dem Wulffstanschen gerade so wie das Mitgeben des einzelnen Geldstückes zur Vernichtung der ganzen Habe. Der Bericht des Lucas David übrigens hat für uns um so größere Bedeutung, als dadurch erstens, wie mir scheint, die Echtheit beider Be- richte unumstößlich dargelegt wird, denn es ist in hohem Grade unwahrscheinlich, daß Lucas David den aus dem 9. Jahrhundert herrührenden angelsächsischen Bericht gekannt hat, und zweitens liegt die Folgerung auf der Hand, daß die von Wulffstan ge- meinten Aestii ohne den mindesten Zweifel ein baltischer Stamm gewesen sind.

Einzelne Punkte aus dem baltischen Totenritual erheischen noch eine Erörterung. Welcher Gedanke mag wohl z. B. dem

» 36. Bep. Bur. Ethn. W. S. 194. « 27. Bep. Bur. Eihn. TT. S.692. » 1. Bep. Bur. Ethn. W. S. 159, 164.

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lettischen Braucli zugrunde liegen, alle Kinder, die man nur zusammenbringen konnte, sich auf den Sarg setzen zu lassen? Diese Sitte ist um so mehr auffallend, als man sonst so eifrig be- müht ist, sich von dem Toten fernzuhalten und sich vor dem Geist zu schützen Es ist aber eine dem Ethnologen wohlbekannte Tatsache, daß heilende und schützende Wirkung zugeschrieben wird der Berührung sowohl mit dem Toten selbst als auch mit den von Toten herrührenden Gegenständen. So bei den Römern : „Halsanschwellungen, Geschwülste hinter dem Ohre und Kropf- anschwellungen werden geheilt, indem man dieselben mit der Hand eines vorzeitig Verstorbenen in Berührung bringt, nach einigen, eines beliebigen Verstorbenen, wenn nur der Tote gleichen Geschlechts mit dem Kranken sei und die Berührung mit der linken Hand stattfinde, deren Fläche nach unten gekehrt sei" und: „der Eckzahn, den man aus dem Munde einer noch nicht beerdigten Leiche nimmt und dann an den schmerzenden Zahn anbindet, macht die Schmerzen aufhören", und: „Geschwüre breiten sich nicht aus, wenn man vermittels eines Menschen- knochens einen Kreis um dieselben zieht", so berichtet uns Pli- nius^. Derartige Heilkuren sind heute noch auf Island in Ge- brauch, wo man sich vor Zahnweh zu schützen meint, wenn man den Zahn eines Toten im Munde trägt, und eine Warze los- werden zu können meint, wenn man dieselbe mit Erde, die einem Kirchhofe entnommen ist, einreibt^. Im Böhmerwald reibt man die Warze mit dem Knochen eines Toten ein, legt darauf den Knochen auf die Stelle, von der man ihn entnommen hat, und geht, ohne hinter sich zu blicken, zurück^. Wenn die Knochen der Verstorbenen von den Toradjas ausgegraben werden, klopft man siebenmal auf die Häupter der am Totenfest Beteiligten mit einem ausgegrabenen Totenkopfe*. Wenn von den alten Hindus die Vorschrift erwähnt wird, daß der Leichnam in ein neues Ge

' H. N. XXVni 11.

« Zeitschr. d. Ver. f. Volksic. VIII S. 287.

» Op.cü.l S.202, vgl. auch Wuttke Der deutsche VolksaI)ergl%% lSd,lS6.

* Kruyt Over het Icoppensnellen S. 199.

I

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wand gekleidet wird und daß der Sohn, der Bruder oder die Witwe oder der nächste Verwandte das bisher vom Toten ge- tragene Kleid nehmen und dasselbe tragen müssen, bis es alt geworden ist^, und wenn über die heutigen Näyars von Malabar berichtet wird, daß der älteste männliche Verwandte eines Ver- storbenen ein Stück von einem der neuen auf die Leiche ge- legten Kleider nimmt und dasselbe um seine Mitte schlingt^, so wird man, eingedenk der Anschauungen der kulturlosen Völker, in diesen Handlungen schwerlich eine Äußerung von Pietät sehen. Die Galelareer von Halmaheira tragen zu Bändern gedrehte Stücke von dem Leichengewand eines verstorbenen Verwandten um den Hals, die Handgelenke und die Fußknöchel^. Kruyt meint hierin einen Beweis für die These sehen zu dürfen, daß die Hinter- bliebenen sich, soviel ihnen möglich ist, wie Geister gebaren, damit die Toten sie ebenfalls für Geister halten und sie nicht quälen. Es scheint mir aber, daß sowohl dieser letzterwähnte Brauch als die anderen vorhin zitierten auch eine andere Deutung zulassen, und zwar die, daß alles, was mit dem Toten in Be- rührung gewesen ist, von einer gewissen mysteriösen Kraft, einer Art Seelensubstanz durchzogen ist, die man sich, um die eigene Seele zu stärken, durch Berührung zu eigen macht. In diesen Gedankenkreis nun paßt, wie mir scheint, der lettische Brauch, die Kinder auf dem Sarg Platz nehmen zu lassen, vollkommen. Ein ähnlicher Volksbrauch existiert auch in Ostpreußen, wo es als nützlich für die Gesundheit gilt, sich unmittelbar nachdem der Leichnam in den Sarg gelegt worden ist, auf das Brett oder worauf sonst der Leichnam gelegen hat, niederzusetzen*. Aus dem Ritual der Hindus läßt sich hiermit die Vorschrift vergleichen, daß der Vedaschüler drei Nächte in der unmittelbaren Nähe des Ortes zubringt, wo die Leiche seines Lehrers verbrannt worden

* Baudh. pi. sü, I 1: 5. 2; Rir. pi. sü. I 2: 34. 15, vgl. Verf. Die altind. Toten- und Best. -Gebr. §8 (S. 17).

2 Thurston Ethnogr. notes in Southern India S. 209. ^ Kruyt Änimisme S. 272. * Bas. I 19.

Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche 509

ist^, offenbar in dem Glauben, hierdurch seines Lehrers gute Eigen- schaften erwerben zu können.

Die Deutungen des Brauches, den Menschen nicht in seinem Bette, sondern auf Stroh am Boden enden zu lassen, sind zu zahlreich, um hier behandelt zu werdend Welche Erwägung die Litauer veranlaßt, das unter den Kopf des Toten zu legende Kissen mit Spänen und Splittern zu füllen, ist mir nicht recht deutlich, aber ein paar Worte mögen der Mitteilung des Dau- kantas gewidmet werden, daß die gemieteten Klageweiber ihre Tränen in Fläschchen tropfen ließen, die dann im Grabe der Urne beigegeben wurden. Auch Banavicius in seinem mehrfach zitierten Werke erwähnt^ diese Tränenfläschchen, und zwar auf Grund einer polnischen Arbeit über die archäologischen Funde in Grabhügeln in Litauen und Rußland*. Die Überlieferung über Tränenfläschchen hat lange Zeit auch für das klassische Alter- tum, namentlich für die Römer, gegolten. Roulez hat aber ge- zeigt^, daß die Stellen aus den klassischen Autoren und die In- schriften, die zugunsten dieses Brauches zitiert zu werden pflegen, keinen zwingenden Beweis liefern, und die archäologische Forschung® hat sichergestellt, daß die als Tränenfläschchen be- zeichneten Gefäße oft Überreste von wohlriechender Salbe ent- halten. Merkwürdig ist indessen ein Bericht in den Beilagen zur Münchener Allgemeinen Zeitung': „Obschon im allgemeinen bekannt ist, daß in Persien die Witwen ihre Tränen in Flaschen

^ Kausika Sütra 46; 15 mit Bern. 7 in der AUindischen Zauberei.

2 S. Encycl. of Beligion and Ethics vol. IV S. 414 ; in diesem Archiv Vol. IX S. 538, XI S. 152; Museum X S. 33; Verf. Die altind. Toten- und Best- Gebr. § 3.

^ Isz gyvenimo etc., Einl. S. LXXVI.

* K. Tyszkiewicz OkurhanachnaLetwieiRusizachnodniej, Berl. 1868, St. 39, 50.

^ Sur les vases vulg. app. Lacrimatoires im Bulletin de VAcademie royale des Sciences (Bruxelles), V. Band, 1838, S. 226 ff.

^ Kisa Bas Glas im Altertum, II. Band, S. 316. Diesen Nachweis verdanke ich meinem hiesigen Kollegen Prof. W. Vogelsang.

' 1903 Nr. 10.

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sammeln, um das Grab des verstorbenen Gatten damit zu be- sprengen, findet man doch die wirklich gebräuchlichen Tränen- flaschen, die aus wundervollem blauen Glas gemacht sind, sehr selten. Sie haben eine Höhe von ungefähr 30 cm und da, wo sie am weitesten sind, einen ebensolchen Umfang", Etwas Näheres über diesen Gebrauch unter den heutigen Persern zu ermitteln, ist mir nicht gelungen. Hätte man bloß das Zeugnis unserer litauischen Autoren, so könnte man vermuten, daß diese, unter dem Einfluß der mutmaßlich mißverstandenen klassischen Quellen Daukantas war mit den Klassikern gründlich bekannt ge- wissen in den Gräbern gefundenen Gefäßen dieselbe Bestimmung zuerkannt hätten, die ihnen von anderswo bekannt war. Jetzt aber, wo dieser Brauch in einem von den Berichten der Klassiker anscheinend ganz unberührten Gebiete auftritt, ist ein gewisser Zweifel berechtigt, zumal da auch die Stellen aus der klassischen Literatur sich nicht der Auffassung widersetzen, daß gewisse in den Gräbern gefundene Fläschchen den gemeinten Zweck gehabt haben können. Indessen ist Professor Bezzenberger so freundlich,, mir mitzuteilen: „Ich habe viele Hunderte von litauischen Gräbern aufgedeckt, aber nie ein ^Tränenfläschchen' gefunden." Was die gemieteten Klageweiber anbetrifft, so treten diese bei den ver- schiedensten Völkern auf; bei den Litauern sind es die raiides^ oder 7noteriszkes verkejos^j die man mietete, um den Toten in zierlicher Rede zu beklagen, und die zum Lohn ein Stück aus dem Nachlaß des Verstorbenen erhielten^; es heißt: „Wenn es in der Familie keine geschickte Klagefrau gab, lud man wenigstens eine fremde ein." Bekannt genug sind die praeficae der Römer: praeficae diamtiir mtilieres ad lamentandiim mortuum conductae} Ob diese Klage- weiber auch bei den alten Hindus auftraten, ist noch nicht sicher; im Verse: „Mögen die heulenden Weiber sich nicht bei

^ Daukantas Budas S. 116 (S. 145 der urspr. Ausgabe). 2 Bas. I 16. ' Bas. I 14 (S. 5 Z. 11).

* Becker-Göll Gdllus, III. Band S. 503; Festus p. 223 M. (250, 6 Lindsay).

Die vorchristliclien baltischen Totengebräuche 51 1

dir^ hinsetzen"^ brauchen nicht bestimmt gemietete Klagefrauen gemeint zu sein. Wohl aber wird der Brauch für den An- fang des vorigen Jahrhunderts von Dubois in seinem Hindu manners customs and ccremonies^ erwähnt. Gemietete Klage- weiber treten ferner auf bei den Maltesern,* den Chiriguanos von Südamerika,^ den Kopten,^ den Moslims' und aucli früher wenigstens in England, besonders in Irland.^ Noch merk- würdiger ist der Inhalt der Totenklage, die zuweilen, wie bei den Litauern, einen Vorwurf an den Toten enthält, daß er, ob- schon er es hier auf Erden doch so gut hatte, dennoch weg- gegangen sei. Von den Hindus erzählt Dubois, daß die Klage- frauen die Tugenden und Vorzüge des Verstorbenen loben und ihn dann anreden, ihm vorwerfend, daß er dieses irdische Leben so eilig verlassen habe und nichts Törichteres habe tun können. Aus einem Briefe eines Lord Chesterfield teilt Brand mit,^ daß die Irländer geringeren Standes, bevor sie den letzten Klageton hören lassen, dem Toten ernstlich vorwerfen, daß er gestorben ist, obschon er eine Vorzügliche Frau, eine Milchkuh, tüchtige Kinder und einen zureichenden Vorrat Kartoffeln sein eigen nannte.

Noch ein Punkt, obschon nicht unmittelbar mit den eigent- lichen Totengebräuchen zusammenhängend, möge schließlich er- örtert werden. Man erinnert sich, daß nach der Beschreibung des Daukantas ein Litauer, wenn er meinte, daß der Tod ihm bevorstand, nach Landesbrauch seinen jüngsten Sohn zum Erben einsetzte. Anfänglich kam mir dieser Bericht befremdend, ja so- gar etwas verdächtig vor. Eine nähere Betrachtung jedoch brachte das Folgende ans Licht. In demselben Buch, welchem Daukantas' Data über die Totengebräuche von mir entnommen sind, lesen

^ Wörtlich statt 'nicht bei dir': 'auf eine andere Stelle als bei dir*.

2 Baudh. grJis. I 6; Bhär. grhs. I 14; Hir. grhs. I 19. 7; Mantraj^ätha I 4. 9; Sämaveda mantrdbrahmana I 1. 13.

•' S. 355.

^ Encycl. of Beligion and Eihics vol. IV S. 416 b.

^ Ic. « op. cit vol. IV S. 455b. ' ib. S. 501a und 501b.

^ Brand Ohservations on populär ardiquities S. 461.

^ op. cit. S. 462.

512 ^' Caland Die vorchristlichen baltischen Totengebräuche

wir*: „Die Erbschaft der Eltern wurde von den Kindern in der folgenden Weise verteilt: die ältesten Söline waren nie Erben ihrer Eltern und erhielten nichts aus der Erbschaft als das Roß und die Feldfrüchte, ^ die sie selber bei ihrem Yater verdient hatten, und damit mußten sie auf dem Meere oder in der Fremde ihr Glück versuchen; . . . der jüngste Sohn blieb im Hause und erbte den väterlichen Nachlaß; er sorgte für die Aussteuer seiner Schwestern in der Weise, wie ihm sein Vater das auf seinem Sterbebette aufgetragen hatte". Meinem hiesigen Kollegen Prof. Dr. juris Naber verdanke ich die erwünschten Nachweise über diese eigentümliche Form des Erbrechts. Erstens wird sie auch in ge- wissen Ortschaften Englands angetroffen: „Es ist Sitte in ver- schiedenen alten Gemeinden (horoughsy'y so heißt es^, „und des- halb borough-english genannt, daß der jüngste Sohn, mit Aus- schließung seiner älteren Brüder, den Landbesitz mit Zubehör (tJie estate) ererbt ''. Aber auch in mehreren Gegenden Deutsch- lands hatte dies sogenannte Minorat noch vor kurzer Zeit Geltung: in Teilen von Thüringen, Hannover, Westfalen, Braunschweig, usw. Über Friesland liest man: Na landrecht gehöre it dem jüngsten sone dat vaderliche erve te hewanen^. Der litauische Brauch steht also keineswegs allein; er hat seinen Grund in dem Bestreben, den Besitz ungeteilt in einer Hand zu lassen.

Die hier behandelten Totengebräuche der baltischen Stämme sind also denen anderer Völker analog. Der früher von mir auf die altindischen Totengebräuche angewandte Winternitzsche Satz: Manhind is the same all over the globe and one laiv rules the human mindj^ bewährt sich auch hier.

* Budas S. 144 (S. 179 der urspr. Ausg.), vermutlich nach Kojalowicz Historia Lithuanica. ^ anglius {anglus).

' Blackstone Commentaries of the Law of England vol. I S. 58.

* Stobbe Handb. des Deutschen Privatrechts, 1885, Y. Band § 322 Anm. 42, vgl. § 283 Anm. 17.

^ Winternitz in The new World vom Sept. 1888 S. 20.

Zur Entstellung der Seelenwanderungslehre des Pythagoras

Von Diedrieh Fimmen in Athen Vor einiger Zeit ist an etwas entlegener Stelle^ ein be- achtcDswerter Aufsatz von A. B. Keith über Pythagoras und die Seelenwanderungslebre erschienen. Keith wendet sich mit aller Entschiedenheit gegen die von Schröder^ begründete, unter den deutschen Sanskritisten hauptsächlich von Garbe ^ betonte Herleitung pythagoreischer Lehren aus Indien. Es wäre kaum nötig gewesen, nachzuweisen, daß die vorbuddhistischen Lehren der Brahmanen (Buddha war jüngerer Zeitgenosse des Pythagoras) nicht so geartet sind, daß sie als Wurzeln der pythagoreischen Seelen Wanderungslehre in Anspruch genommen werden können, denn daß zur Zeit des Pythagoras keine Ver- bindung zwischen Griechenland und Indien bestand, die einen derartigen Gedankenaustausch ermöglichte, ist den Historikern eine ausgemachte Tatsache.* Keith sucht dann das Entstehen der Seelenwanderungslehre ohne fremden Einfluß in Griechen- land selbst nachzuweisen. Gewiß waren seit Rohdes Tsyche' zweifelt niemand daran Gedanken über Unsterblich- keit der Seele seit langem in den Schichten des griechischen Volks lebendig^, die sich vom homerischen Seelenglauben frei-

^ Journal of ihe Boy dl Asiatic Society 1909, 569 606.

* Leop. von Schröder Pythagoras und die Indier 1884. ' Garbe Sämkhya-Fhilosophie 1894 S. 85 ff.

* Erst seit Alexander ist Indien den Griechen erschlossen; in das 3. Jahrh. v. Chr. fällt auch die erste Erwähnung der Griechen in indischen Quellen; A. Weber Ber. Berl. Ak. 1890, 901 ff. Die beiden melischen Steine des 7. Jahrh. (Furtwängler Antike Gemmen III 75) können natürlich Jahrhunderte nach ihrer Entstehung nach Indien gelangt sein und sind kein Beweis für alte Handelsbeziehungen.

^ Daß die Anschauungen, die sich in der Nekyia der Odyssee aussprechen, im griechischen Altertum nicht ausstarben, beweisen die iunteritalischen Vasen mit Unterweltsdarstellungen des 3. Jahrh, v. Chr.; Dieterich Nekyia S. 128.

Archiv f. Eeligionswissenschaft XVJI 33

514 Diedrich Fimmen

gemacht hatten. Orphische Lehrer mögen diese Ideen thrakischer Herkunft schon vor der Zeit des Pythagoras verbreitet haben; es ist unmöglich, den Anfang ihrer Wirksamkeit zeitlich fest- zulegen. Pythagoras selbst mag ihre Lehren gekannt haben. Dennoch kann nicht zugegeben werden, daß der thrakische Unsterblichkeitsglaube einen Keim enthält, aus dem die Lehre von der Wanderung der Seele durch die verschiedensten Körper- formen entwickelt sein könnte. Ihre Entstehung ist einer An- regung von anderer Seite zu verdanken.

Ich gehe davon aus, daß Pythagoras im 6. Jh. als erster in Griechenland die Seelenwanderung lehrte. Das beweisen die einzigen gut beglaubigten Zeugnisse der Alten. Das bekannte Fragment des Xenophanes, in dem jemand die Seele eines Freundes in einem winselnden Hunde wiedererkennt, stammt noch aus dem 6. Jh.; Diogenes Laertius weiß aus dem Zu- sammenhang der Elegie, deren Anfang er auch zitiert, daß Xenophanes hier witzig übertreibend von Pythagoras spricht.^ Zur Bestätigung berichtet Aristoteles als pythagoreische Worte, daß beliebige Seelen in beliebige Körper eingehen.^ Pythagoras vertrat also sicher die Ansicht, die Menschenseele könne in andere Körper, auch in Tierkörper übergehen.

Der Lehrer des Pythagoras, der Theologe Pherekydes von Syros, ist natürlich nur deshalb in später Zeit zum Vertreter der Metempsychose gemacht worden^, damit sein Schüler Pytha- goras sie von ihm gelernt haben kann; ältere Quellen, die z.B. von Diogenes Laertius im Leben des Pherekydes und des Pytha- goras benutzt sind, wissen nichts davon.

Nun sind aber gelegentlich die orphischen Theologen selbst als die ersten Vertreter der Seelenwanderungslehre in Anspruch genommen worden.* Die diesen zugeschriebenen Aussprüche

^ Xenophanes fr. 7 (Diels) bei Diog. Laert. VIII 36. Vgl. Zeller Ber, Berl Ak. 1889 S. 985 f.

' Aristot. de anima I 3 Schluß, Suidas s. v. ^sQ£%vdriq.

* Zeller Fhilos. d. Griech. I 1 (5. Aufl. 1892) S. 57 ff. Auch Gruppe Orpheus bei Röscher III 1131 f. hält das für denkbar.

Zur Entstehung der Seelenwanderungslehre des Pythagoras 515

tragen kein Kennzeichen ihres Alters; aber auch angenommen, daß der einzige Ausspruch, auf den sich diese Beanspruchung der Orphiker stützt, älter als die Zeit des Pythagoras wäre, so enthält er doch nichts, was die eigentliche Seelenwanderungslehre irgendwie berührt. ^Der Körper sei das Grab der Seele', sollen nämlich nach Philolaos die alten Theologen und Wahrsager, nach Plato die Orphiker gesagt haben. ^ Wie dieser Satz die Orphiker zu Lehrern der Seelenwanderung stempeln soll, ist nicht einzusehen.

Überhaupt läßt sich aus den Zeugnissen der Alten, obgleich ihnen in der Regel alles Orphische für uralt galt, sehr wohl noch erkennen, wieviel die Orphiker erst von den Pythagoreern übernahmen, und wie sehr sich erst nach der Zeit des Pytha- goras ihre Wirksamkeit ausdehnte. Im 5. Jh. stehen Dichter und Dichterphilosophen, ein Pindar^ und ein Empedokles^, ganz augenscheinlich unter dem Einfluß der Orphiker, während im 6. Jh. etwa bei Solon sich noch nicht die geringste Spur irgend- welcher orphischer Beeinflussung findet. Und wenn Ion von Chios, oder wer sonst der Verfasser der Triagmoi war, berichtet, Pythagoras habe einiges, was er gemacht habe, auf Orpheus zurückübertragen*, so muß er erkannt haben, daß manches, was unter des Orpheus Namen lief, in Wirklichkeit pythagoreisch war. Pythagoreer wurden auch sonst mehrmals als die wahren Verfasser orphischer Schriften genannt.^ Herodot^ geht sogar so weit, zu sagen, daß die sogenannten Orphiker eigentlich, Ägypter und Pythagoreer wären, was doch nichts anderes heißen kann, als daß sie ihre Lehre größtenteils den Ägyptern

1 Clem. Alex. Strom. III 17 p. 203 Stählin. Plato Kratyl 400 BC.

2 Pindar Threnoi fr. 133 (Schröder) bei Plato Meno 81 B C; Olymp. II 75 flF.

» Empedokles fr. 117 (Diels) bei Diog. Laert. VIII 77. ^ Ion fr. 2 (Diels) bei Diog. Laert. YIII 8 und bei Clem. Alex. Strom. I 131 p. 81 Stählin.

^ Epigenes in der eben zitierten Clemensstelle. Cic. de nat. deor. 1 107. « Herod. 1181.

33*

516 Diedrich Fimmen

auf diese gehe ich gleich ein und den Pythagoreern verdankten. Und was sollen die Orphiker den Pythagoreern eher verdanken als die für Pythagoras schon so früh bezeugte Seelenwanderungslehre !

Läßt sich also keine Spur von vorpythagoreischen Seelen- wanderungslehren nachweisen, vielmehr die Entlehnung vieler orphischer Dogmen aus pythagoreischen wahrscheinlich machen, so stammt die strikte Behauptung des Diogenes Laertius (YIII 14j, daß Pythagoras als erster die Seelen Wanderung gelehrt habe, sicher aus guter Quelle und darf daher mit Recht zum Aus- gangspunkt genommen werden.

Bevor ich nun die Hauptfrage, wie Pythagoras zur Seelen- wanderungslehre gekommen ist, erörtere, muß ich ganz kurz die älteste nachweisbare Gestalt der Lehre des Pythagoras mit Abstrahierung vom orphischen Unsterblichkeitsglauben darlegen.^ Zwei Bestandteile sind zweifellos ursprünglich pythagoreisch: die Folge immer neuer Verkörperungen der abgeschiedenen Seele ucd die Abwägung des Lebenswandels verbunden mit einer Vergel- tung nach dem Tode.

Für das erste Dogma habe ich die Zeugnisse des Xeno- phanes und Aristoteles schon angeführt; wenn Empedokles (fr. 117) nicht eine erst orphische Ausgestaltung übermittelt, konnte die menschliche Seele nicht bloß in Tiere, auch in Pflanzen übergehen. Daß Pythagoras die wiederholte Ver- körperung der Seele nicht Metempsychose, sondern Palingenesie genannt haben solP, mag richtig sein; was dagegen in jungeu Berichten über die Erinnerung des Pythagoras an seine frühereu Existenzen gesagt wird^, gehört wohl ins Reich der Fabel.

Auch das zweite Dogma der Vergeltung eines guten Lebens

* Vgl. Bauer Der ältere Pythagoreismus 1897. Das Buch von Naber Das Theorem des Pythagoras (wiederhergestellt in seiner ursprünglichen Form und betrachtet als Grundlage der ganzen pythagoreischen Philo- sophie), 1908, war mir nicht zugänglich.

2 Servius Comm. in Verg. Äen. III 68.

» Die Stellen bei Rohde Psyche S 454 A. 1.

Zur Entstehung der Seelenwanderungslehre des Pythagoras 517

an der abgeschiedenen Seele wird für Pythagoras schon im 5. Jh. durch Ion von Chios bezeugt/ Eine z. T. asketische Lebensweise ist den Pythagoreern daher vorgeschrieben.^ Die Vergeltung nach dem Tode kann nur so verstanden werden, daß die Bedingungen des neuen Lebens von dem früheren ab- hängig sind. Allerdings wird auch von Strafen in der Unter- welt gesprochen ^, die dann nur als Ort der Buße zwischen zwei Verkörperungen der Seele angesehen werden kann. Auf die Läuterung der Seele kommt es an. Das letzte und höchste Ziel ist die Erlösung aus der Kette der immer neuen Geburten überhaupt, denn nur XL^cogCag xccqlv, weil sie noch nicht frei von Schuld ist, muß die Seele noch eine neue Verkörperung eingehen*; Selbstmord ist als eigenmächtiger Eingriff in den Willen der Gottheit streng verpönt.^ Eine allrichtende Gottheit ist die Voraussetzung dieser ganzen Vergeltungs- lehre.

Ich lasse hier beiseite, was in der späteren Überlieferung über das körperlose Fortleben der zur höchsten Höhe emporgeführten reinen Seele im Weltenraum und ihr Übergehen in die Gott- heit gesagt wird^, da nicht auszumachen ist, wie weit diese Gedanken schon dem älteren Pythagoreismus angehören, und da sie für die Frage, durch welche Elemente Pythagoras in der Bildung seiner Lehre beeinflußt ist, keine Bedeutung haben. Auch das den Pythagoreern zugeschriebene Dogma von der I Wiederkehr aller Dinge, und also auch jeder Seele, in jeder

* Bei Diog. Laert. I 120 in einer angeblich auf Pherekydes gehenden Grabschrift. Vgl. Zeller Ber. Berl. Ak. 1889 S. 990.

' Plato Staat X 600 B. Die Lebensregeln der Pythagoreer sucht Böhm De symboUs Pythagoreis, Diss. Berlin 1905, zu erklären.

" Aristot. Andlyt. post II 10. Vgl. Rohde Bhein. Mus. 26 S. 555 f. 1 {Kl. Schriften II 103 f.). 1 * Euxitheos bei Äthenaeus IV 157 c. t ^ Euxitheos 1. c; Plato Phaidon 62 B.

j ° Alexander Polyhistor bei Biog. Laert. VIII 31. Pseudo-Philolaos bei I; Claudianus Mamertus de statu animae II 7 p. 120 (Engelbrecht). Carmen aureum 70 f. (Nauck).

513 Diedrich Fimmen

Weltperiode ^ kann schon, weil es mit der Seelenwauderung in keinem unmittelbaren Zusammenhang steht, übergangen werden.

Dem von den Orphikern verbreiteten Unsterblichkeitsglauben konnte Pythagoras, wie anfangs betont, keine irgendwie wesent- lichen Elemente seiner Lehre entnehmen. Auch sonst fehlen im ältesten Griechenland Grundvorstellungen*, die ihm die Veranlassung zu seiner Lehre hätten bieten können: daß die Seele zur Existenz eine Verkörperung nicht entbehren könne, oder daß in besonders verehrten Tieren eine einst menschliche Seele stecke.^ Ohne irgendwelche äußere Anregung kann eine so wenig primitive Seelen wanderungslehre aber nicht entstanden sein.

Von Herodot wird Ägypten, das den Griechen der Zeit des Pythagoras durch viele Reisen und Handelsbeziehungen wohl- bekannt war, als Ursprungsland der Seelen wanderungslehre hin- gestellt.* Das hat man für richtig gehalten, bis durch die historische Durchforschung Ägyptens klar geworden war, daß von einer Seelenwanderungslehre der Ägypter nicht die Rede sein könne. Dann verwarf man das Zeugnis des Herodot.^ Man fiel aus einem Extrem in das andere, denn die Möglichkeit, daß die ausgebildete Seelenlehre der Ägypter einem griechischen Denker, der nach Ägypten kam, Anregung zu einer Seelen- wanderungslehre geben mußte, wurde nicht bedacht. Und doch

* Eudemus bei Simplicius in Fhys. IV 12 p. 732 (Berl. Ak.) ; Porphyr. VitPyth. 19. Vgl. Gomperz Griechische Denker I S. 113 ff.

2 R. Wünsch Das Frühlings fest der Insel Malta, 1902 S. 34 ff. hat die Ansicht ausgesprochen, daß die orphisch-pythagoreische Lehre von der Seelenwanderung aus Elementen auch des griechischen Volksglaubens besteht. Er hält nach brieflicher Mitteilung diese Meinung auch jetzt noch für richtig.

^ Tierverwandlung als mythologische Wurzel der Seelenwanderungs- lehre bei W. Wundt Völkerpsychologie II 3 S. 167 ff. Nirgends sei die Seelenwanderungsidee bei Naturvölkern und ohne philosophische Speku- lation möglich, betonter ebenda S. 591.

* Herodot II 123.

^ Ed. Meyer hält (Geschichte Ägyptens S. 377 f. u. Geschichte des Altertums I 1. Aufl. § 470) noch an ägyptischem Ursprung fest, Bd. II § 455 spricht er sich aber entschieden dagegen aus.

Zur Entstehung der Seelen wanderungslehre des Pythagoras 519

finden sich für alle Bestandteile der Lehre des Pythagoras die wesentlichsten Elemente gerade und allein in Ägypten.

Wie nahe den Ägyptern der Gedanke an die Möglichkeit des Überganges der Seele von einem Körperwesen zum anderen lag, geht schon aus der kleinen Geschichte von den Brüdern Anubis undBata im Papyrus d' Orbiney hervor, der aus einem Königsgrab der 19. Dynastie stammt.^ Die Seele des Bata nimmt, wie hier erzählt wird, nacheinander die Gestalt einer Beere und eines Stiers an, geht vermittels zweier Blutstropfen in zwei Perseabäume und endlich vermittels eines Holzsplitters in einen Prinzen ein. Vorstellungen von Seelenverwandlung und von Seelenwanderung gehen in diesem volkstümlichen Märchen durcheinander.

Aber auch der offizielle Glaube der Ägypter*, der, im Neuen Reich zum Abschluß gelangt, in allen wesentlichen Zügen in die saitische Zeit der 26. Dynastie, die des Pythagoras, hinüber- gegangen ist, läßt genug von den Schicksalen der Seele des i Verstorbenen erkennen. Sie hat nach dem Tode noch einen > langen Weg zurückzulegen, über den die Sprüche des Toten- j buches, die man dem Verstorbenen ins Grab mitzugeben pflegte, I oder mit denen man den Sarkophag beschrieb, Aufschluß geben. ^ I Unterwegs stellt man sie sich in Menschengestalt oder als Vogel

! ^ Übersetzt von Maspero Bev. arch. 1878 Bd. 36 S. 164 0". 'Eine ; Seelenwanderungsgeschichte märchenhafter Art' nennt sie Teichmüller , GöU, gel. Anz. 1880 II S. 1069, ein "Märchen' Burchardt Zeitschr. f. ägypt. \ Sprache 50, 1912, 118 f.; das religiöse Motiv hebt dagegen wieder Wiede- I mann in diesem Archiv XVII 1914, 221 hervor.

I * Maspero Etudes de mythologie et d'archeölogie Egyptiennes (Biblio- ' theque Egyptologique) 1893 I p. 35 ff. und 388 ff. II p. 463 ff., Histoire I ancienne des peupJes de l'orient classique I 1895 p. 108 ff. Wiedemann Die Religion der alten Ägypter 1890 S. 123 ff.. Die Toten und ihre Tteiche im Glauben der alten Ägypter (Der alte Orient II 2) 1901. Erman Ägyp- ten 1885 S. 413 ff. und besonders Die ägyptische Religion 2. Aufl. 1909 iS.lOlff.

I ' Für die Ausgaben des Totenbuchs und die Schwierigkeiten der 1 Deutung genügt es jetzt, auf das ausgezeichnete Referat von G. Roeder sin diesem Archiv XVI 66 ff. zu verweisen; neuste Literatur bei Wiede- mann Archiv XVII 221 f.

520 Diedrich Fimmen

mit Menschenkopf vor^; so ersclieiiit sie im Gericht vor Osiris (Kap. 125 des Totenbuclis), wo sie sich den 42 Totenrichtern gegenüber ganz ausführlich zu rechtfertigen hat, um sich frei zu erweisen von jeglicher Schuld; gleichzeitig wird von Horus und Anubis das Herz gewogen, das nicht für leichter befunden werden darf als die Wahrheit. Mit Recht hat man darauf hin- gewiesen, daß diese Reinigung und Rechtfertigung seit ältester Zeit nicht bloß zeremoniell aufzufassen ist, sondern bis zu gewissem Grade moralische Ziele verfolgt.^ Den verdammten Seelen drohen schreckliche Ungeheuer, und das Gefilde der Seligen ist ihnen verschlossen. Die für gerecht befundenen Seelen erhalten dagegen Freiheit und die Kraft, an beliebigem Ort in beliebige körperliche Gestalten einzugehen.

Über diese Annahmen verschiedener Gestalten handeln die Kapitel 76 88 des Totenbuchs ^, nach denen es oft geradezu ^das Buch vom Herausgehen am Tage' genannt wird; Bilder verdeutlichen die mannigfaltigen und in den erhaltenen Papyri und Sargtexten vielfach voneinander abweichenden neuen Wesen. Beliebt sind die Gestalten von Vögeln, des Reihers oder Kranichs, der Schwalbe, der Taube, des Falken, des Sperbers, auch des menschenköpfigen Sperbers und des Phönix, ferner von Insek- ten, der Biene oder des Schmetterlings, auch von Pflanzen, be- sonders der Lotosblume, dann wieder des Krokodils, des Wurmes, der Schlange und die von Herrschern und göttlichen Wesen. Alle diese Formen sollen die göttliche Macht der gerechten Seele bezeugen, die sich sogar mit den Göttern selbst identi- fizieren kann.

Niemals allerdings bedeutet die Verwandlung der Seele den Eingang zu einem neuen körperlichen Leben. Eine eigentliche

* Der Begriff des Toten und seiner Seele läßt sich in diesen Vor- stellungen nicht auseinanderhalten.

* Breasted Development of religion and thought in ancient Egypty 1912 p. 171.

' Über diese Kapitel speziell vgl. Brugsch Zeitschr. f. ägypt. Sprache 1867 S. 21 ff. mit einer Tafel.

Zur Entstehung der Seelenwanderungslehre des Pythagoras 521

Seelenwanderung ist den Ägyptern durchaus fremd. Aber sowohl die Rechtfertigung der Seele vor dem göttlichen Richter wie die Fähigkeit der Seele, beliebige Gestalten anzunehmen, scheinen mir wesentliche Elemente und Anregungspunkte für die aus- gebildete Seelenwanderungslehre des Pythagoras zu sein.

Vorbedingung ist natürlich, daß Pythagoras Gelegenheit gehabt hat, den Glauben der Ägypter kennen zu lernen, daß er eine ägyptische Reise gemacht hat. Diese ist durch zahlreiche antike Nachrichten bezeugt. Das älteste Zeugnis steht allerdings gerade in einer Prunkrede des Isokrates^, die an sich nicht als sicher historische Quelle benutzt werden darf. Warum aber hätte Isokrates als Beispiel eines Mannes, der Ägypten und seine Religion kennen gelernt hatte, gerade Pythagoras wählen sollen, wenn es für dessen Reise keinen Anhaltspunkt in älterer Über- lieferung gab? Später wird oft von der Reise des Pythagoras nach Ägypten und den von ihm dort erworbenen Kenntnissen gesprochen; Kallimachos hebt geometrische Lehren hervor^, ein leider nicht näher bekannter Antiphon die Erlernung der ägyptischen Sprache und den Zutritt zu den Heiligtümern.* j In römischer Zeit erwähnen außer vielen anderen Cicero, Pom- I pejus Trogus und Strabo diese Reise.* Man braucht aber auf I diese späten Quellen kein großes Gewicht zu legen, da man j als indirektes Zeugnis schon ein Wort des Heraklit geltend i machen kann, der nur einige Jahrzehnte jünger als Pythagoras 1 war. Die IötoqCcCj die Forschung, die nach diesem Philosophen i Pythagoras in höherem Maße als alle anderen Menschen betrieben j hat, kann sich nicht auf das Studium von Schriftwerken, son- ! dem nur auf Anschauung und Erkundung, also in erster Linie

1 Isokrates XI (Busiris) 28.

^ Kallimachos beiDiodor X 6,4^{Excerpta de sententüs nr. 77 Boissevain).

' Antiphon (nr. 16 bei Pauly-Wissowa) bei Diog. Laert. VIII 3 und , bei Porphyr. Vit. Pyth. 7.

^ Cicero de fin. V 87 ; Pompeius Trogus bei Justin XX 4, 3 ; Strabo XIV 1, 16. Weitere Nachrichten bei Wiedemann Herodots zweites Buch 1890 S. 339.

^22 Diedrich Fimmen

auf Reisen beziehen.^ Nun wurde gerade in der Zeit des Amasis, in der ja Pythagoras lebte, Ägypten auswärtigem Verkehr weiter geöffnet, und Samos, die Heimat des Pythagoras, trat unter Polykrates in ganz besonders nahe Beziehungen zu Ägypten.^ Im damaligen Weltverkehr lag jedem, der über die hellenischen Grenzen hinaus ging und das muß doch der größte Forscher der Zeit getan haben Ägypten am allernächsten. An einer Reise des Pythagoras nach Ägypten wird daher nicht gezweifelt werden können.^

Pythagoras konnte hier nun nicht lernen, was nach Herodot die griechischen Vertreter der Seelenwanderungslehre aus ägyp- tischer Quelle schöpften, daß die Menschenseele in einem Zeit- raum von 3000 Jahren alle Erd- und Seetiere und Vögel bis wieder zum Menschen durchlaufe*; so war weder der ägyptische Glaube, noch hat so Pythagoras seine Seelenwanderungslehre gefaßt. Ob diese herodoteische Auffassung überhaupt jemals irgendwo vertreten wurde, läßt sich nicht ausmachen; am wahr- scheinlichsten ist, daß sie sich ihm durch eine irrtümliche Verbindung der Lehre von der Seelenwanderung und der von der wiederkehrenden Weltperiode gebildet hat.

Aber Pythagoras hörte in Ägypten, daß die menschliche Seele Vergeltung für ihr körperliches Leben erfuhr, und daß die Seele des Verstorbenen in beliebige andere körperliche Wesen eingehen konnte. Nicht bei der Möglichkeit der Annahme neuer Körperformen wie in Ägypten, aber bei der Gewißheit dieser Tatsache konnte die Neuverkörperung selbst zu einer Vergeltung werden; nicht auf beliebige kurze Zeit, sondern das ganze Leben

» Heraklit bei Diog. Laert. VIII 6. Vgl. Gomperz Ber. Wien. AJc. 1886 S. 1001 f. u. S. 1031 ; Zeller Ber. Berl AJc. 1889 S. 986 flf.

'^ Daß die Ausgrabungen diese Beziehungen bestätigt haben, siebt man bei Prinz Funde aus Naukratis 1908 S. 39 f.

^ Gegenüber Zeller Philosophie S. 308 A. 1 hält auch Ed. Meyer Gesch. d. Altert. II § 502 A. einen Aufenthalt des Pythagoras in Ägypten für selbstverständlich.

* Herodot II 123 und Wiedemann Herodots zweites Buch S. 467 ff.

Zur Entstehung der Seelenwanderungslehre des Pythagoras 523

von der Geburt bis zum Tode mußte die Seele einen neuen Körper bewohnen. Diese Überlegungen führten den griechischen Forscher zu einem systematischen Ausbau der in Ägypten erhaltenen Anregungen und vor allem zu einer ethischen Ziel- setzung. Was anders konnte der Sinn und Zweck der neuen Verkörperungen der Seele sein, als sie durch diese zu läutern? Durch "diese Gedanken des Pythagoras erhielt die Lehre eine ganz neue Bedeutung; nicht als Belohnung der guten Seele, sondern als Strafe der noch nicht reinen Seele ist die neue Verkörperung aufzufassen, als Strafe, die zugleich eine Läuterung bedeutet, und die die schließliche Erlösung aus der Kette der Geburten vorbereitet. Nur ganz geläutert und rein kann die Seele zur Gottheit werden.

Herodot sagt, daß Griechen Namen will er hier nicht nennen in älterer und jüngerer Zeit die Seelenwanderung als ihre eigene Lehre ausgegeben haben; und das konnten sie aller- dings mit größerem Rechte tun, als Herodot ihnen völlige Ab- hängigkeit von Ägypten zuschreibt. Denn erst der schöpferische Geist des Griechen hat das Gedankengebäude aufgerichtet, zu dem sich ein paar Grundsteine in Ägypten fanden.

Es ist hier gegangen wie so oft in der Geschichte der grie-, chischen Kultur und Kunst, daß ägyptischer Formalismus durch ; lebendigen Griechengeist zu einem hohen Werte umgeschaffen I 1 worden ist. Wie schon in mykenischer Zeit die Achäer ein ägyptisches Bild nicht trocken kopierten, sondern frei um- I gestalteten, so entstand etwa in der Zeit des Pythagoras aus 1 ursprünglich ägyptischen Elementen die frei bewegte Palmetten- ranke, das schönste Gebilde der griechischen Ornamentik. Die Überlegenheit des griechischen Geistes zeigt sich eben in allen Gebieten. Durch ihn gewandelt und geläutert wirken alt- orientalische Formen und Anschauungen bis heute nach.

Hymnologica

Von Otto ■Weinreich in Halle a. S.

I *rjLir£xf/ nQoaayÖQBvöig

*Aucli ganz gelegentliclie Erwähnungen (von Hymnen), auf die einmal systematiscli zu achten wäre, geben einiges aus'; so sagt Wünsch in seinem ^Hymnus'- Artikel bei Pauly-Wissowa IX 159, 67 ff. Eine derartige Erwähnung, die m. W. noch nicht ausgenützt ist, bietet eine auch sonst sehr lehrreiche Inschrift aus Didyma. Die Bedeutung des in ihr erwähnten ^dvd'sos ütSQißoiiLö^ög hat mir Hepding dargelegt, vgl. Deutsche Literatur- zeitung 1913, 2958 f.; hier sei aus der Inschrift nur ausgezogen, was sich auf den Begrüßungshymnus der Artemis bezieht, der ihr bei der Einweihung eines neuen Altares gesungen werden soll. Die Inschrift stammt aus dem IL III. Jahrh. n. Chr. und ist an der Südostecke des Tempels gefunden (Th. Wiegand, Siebenter vor- läufiger Bericht über Ausgrabungen in Milet und Didyma, Abhandl. d. Berliner Akad. 1911 S. 64, 18 ff.): 'O nQog)rjtrjg 6ov zJa^iavbg igcatä hnl xqti^ikd 6a d^sCco' ijtstQsfag avtc5 iv xo Uq^ 6ov 7C£QLßa>^i6^(D lÖQvöccöd'aL ßcoiibv xfjg ccyLCOtdtrjg %a- xqCov avxov %'säg UcotCgag KÖQtjg Ttagä tbv rrjg ösßaö^icstdtrjg 7iccQ7CotQ6(pov Jij^rjtQog ßco^iöv' (Die Interpunktion ßco^iöv] ver- stehe ich nicht, denn die Erlaubnis, den Altar zu errichten, ist ja schon erteilt, vgl. Z. 16f.; Damianos setzt das noch ein- mal auseinander, weil es die Voraussetzung für die neue Bitte bildet, die er jetzt zu stellen hat.) öltai 6ov xal rfjg sv- cpijtiov xal viivLKrjg slg a'bx^v ^QOöayoQSvösog wbxov öh vo^od'sxrjv yBreöd-ccL. ®sbg sxQtj^sv

HihxLQav TiXri^o^sv vn* svcsqolöl ßoal6i liCXi^ov, dvxCa stvai [a]6l 6vv firjxsQi ^rjoL Also der Gott erlaubt dem Damianos nicht nur, den Hymnus zu übernehmen, sondern er wird auch der vo^o^hrjg dieser

Hymnologica 525

sijq)rjnog xal '{j^viTc^ TCQoöa'yÖQBvöLgj und zwar dadurch, daß er in seinen Orakel versen gewissermaßen das Thema formuliert und gleich die wesentlichsten Epitheta der Göttin, die in dem Hymnus aufzunehmen sind, namhaft macht. Wie der ausge- führte Hymnus lautete, wissen wir natürlich nicht, aber ver- muten dürfen wir einiges. Der antiken Theorie nach wäre der Hymnus unter die xXrjtiaoC einzureihen (Wünsch 182, 18), vgl. xZi^So3/i£v. Die Genealogie der angerufenen Göttin war in ihm angedeutet (oder ausführlicher behandelt), wie wir nach zahl- reichen Analogien erschließen müßten (Wünsch l47, 38 ff.), auch wenn die Mutter Leto nicht ausdrücklich genannt wäre; Apol- lon als Bruder wird nicht gefehlt haben. Von Namen und Epitheta der Göttin waren sicher enthalten 2^6tsiQa und ^sC- liXOSf und was man sich von ihr wünschte, ist auch deutlich: sie soll ävt^a slvai, natürlich im freundlichen Sinne, also stand im Hymnus wohl svoivtrjtog, das im orphischen Artemishymnus gleich zweimal begegnet, XXXVI 7 svccvtr^ts und 14 f. ild's^ d-sä 6G)X£iQa (also auch dies übereinstimmend) (pCXri [ivötriöiv a%a6iv^ svdvtrjtog. Von sonstigen Belegen aus hymnischer Li- teratur nenne ich nur noch den letzten Vers des Hymnus auf Antaia (XLI 10): iXd'siv svdvtritov h%^ svlsqcd 6bo fivötji, weil hier svCsQog, was wir ja auch in unserer Inschrift haben, gleich neben svccvtrjtog steht.^ Epigraphische Beispiele für eMvtrjtog

* Es verdient eine Anmerkung, da es in den orphischen Hymnen häufig, sonst recht selten ist. Das meines Wissens älteste Beispiel steht in einem Paian aus alexandrinischer Zeit, Oxyrh. Pap. IV 675, 14 svii- Qojv nsXdlvcav]. Dann, sehr wichtig, steht es in der Mysterieninschrift (Von Andania, also 92/91 v. Chr. {d-viiccta svisga xccd'aQU oXottlriQu^ Ditt. 'SylV 653, 70 = Ziehen LGrS 68 = IGY 1, 1390). In die erste Kaiser- zeit gehört ein Epigramm des Philippos auf Isis , dcci^ov, in svtigovg ß^d"!, Q'vnnoXiug {A.P. VI 231, 2; Baege De Macedonum sacris, Diss. Phil. Hai. XXII 1 S. 160), ins 2. oder 3. Jahrh. dann unsere Inschrift vti' IsviigoiüL ßoatai. Nicht zu datieren vermag ich ein Grabepigramm aus dem Gebiet von Amasia, in dem das Wort vorkommt: iv sviiga) ^dXcc itviißa, Th. Reinach Rev. Et Grecques VIII 1905, 81 Nr. 11; XV 1902, 322 Nr. 25. Daß nicht svBQyo) zu lesen ist, sondern sviigm, bestätigt die neue Copie von Munro, vgl. Cumont Studia Pontica III 177 Nr. 170. Ob

526 ö^^o Weinreicli

in der Kultsprache sind Athen. Mitt. XXXVII 1912 S. 41 A. 1 gesammelt, zwei weitere aus Kleinasien möchte ich hinzu- fügen: JlavsCvLOs IIccQcciiovog^E\x]dt[iß} svavtijtG) sv[xr]]v (Calder Klio X 1910 S. 241 Nr. 13). . . . ^ibg MByC6to[y 'OXv'jvTtCov Ivo)^ ^iovvöm [svDcvt]7Jt(p xtL (Calder, JHS. XXXI 1911 S. 196; Quandt De Baccho in Asia min. cuUOf Diss. Phil. Hai. XXI 2

auf einem thrakischen Dionysosrelief Jlovvöov £'6[lsqov']\[s]^xccq7cov zu ergänzen ist, bleibt unsicher; Seure Bev. arch. 1913 II 235 f., der dies in Erwägung zieht, entscheidet sich für sv[avd-fi']. sviigov Bdxxoio im Orph. Hymn. (s. unten) könnte für ersteres sprechen, aber es gibt gerade bei Dionysos allzuviel mit sv- anlautende Epitheta, als daß irgendeine Sicherheit zu erzielen wäre. Im Hestiahymnos des Aristonoos hatte Hiller von Gaertringen Z. 12 ßaiiovg . . s-ut ] [gj ^ovg vorgeschlagen , P. Maas die metrisch erforderliche Länge durch iQi\['^]Qovg erzielt {BpJiW. 1912, 1396), Colin gibt jetzt als Lesung igt \ tlhovs FouiUes de Belphes III, 2, 217. Die orphischen Hymnen verwenden es ähnlich wie Philippos a. a. 0., z. B. 11, 22 §ulv^ inl Xoißalg sviigoig, 79, 12 llXd'oig . . . sviigovg inl fivßro- TCoXovg riXstag, 75, 3 in' sviigoiai tsXst^öiv iXO-stv, 7, 12 U&sr in' svlsqov TsXETjie TCoXviöTOQug ccd-Xovg/n, 10 sviigov TsXsrfig, 66, 10 Jtgbg evUgovg iTtiXoißdg. Dann steht es 7, 2 bei cpcav^ (in unserer Inschrift bei ßoi]), 44, 9 bei tgans^a, 53, 10 bei Ttagnog, 57, 8 bei gdßdog. Bei Personen: 41, 10 in' svLEQG) eio n>v6tj}, bei Göttern: 71, 12 (Meilinoe) sv(iEvhg EvLigov (ivetciLg (paLVovtcc TtQoacoTtoVj 42, 3 äyv^v x evisqov tb MlariVf 24, 11 evleqov Bd-K%0L0. Außerhalb der orphischen Hymnen kann ich es nur noch be- legen aus dem Athena-Hymnos des Proklos (33: an' Eviigcov öio ^vd-av), in einem chaldäischen Orakel (21: svUqov nvg, vgl. Psellos Migne, Patrol Gr. 122, 1136 B; Kroll De orac. Ghald. 68) und bei Paulus Silentiarius in der 563 n. Chr. geschriebenen "ExcpQUGig tov vaov rfjg ayiag Eo(piag 175: EviEQOLg ßißXoiöLv (Friedländer Johannes von Gaza S. 262), ein Nachweis, den ich P. Maas verdanke. Hauck De hymn. orph. aetate 37 rechnet das Wort zu den 'hymnorum vocabulis saec. p. Chr. n. tribuendis', obwohl er den wichtigen Hinweis auf die ältere Mysterieninschrift von Andania bei Herwerden, den er zitiert, finden konnte. Evisgog ist natürlich ähnlich zu beurteilen wie Evävxrixog (vgl. A M. a. a. 0.) : es gehört der Kultsprache an. Sein Vorkommen bei älteren Dichtern und Inschriften (bei Nonnoe habe ich es bis jetzt noch nicht gefunden) gibt ein neues Indizium dafür ab, wie verfehlt Haucks Datierung der Hymnen (nachNonnos) ist,vgl.Wünsch 171, 43; Kern BphW. 1912, 1438 ff.

^ In ITSl glaubte Miss Ramsay eine Graecisierung von Jehova er- kennen zu dürfen, was Calder auch nicht aus Höflichkeit hätte erwähnen, geschweige denn billigen sollen. '"Ivog vox similem habet vim atque E^iog' so richtig Quandt a. a. 0. 233. *

Hymnologica 527

S. 232). An die orphischen Hymnen erinnerten schon die zwei Hexameter des Orakels; wäre die ganze v^vixij 7CQo6a'y6QSv0Lg aus Didyma erhalten, so würde das wohl noch deutlicher werden, und wir hätten damit ein neues Indizium für die kleinasiatische Herkunft wenn auch nicht aller, so doch mancher der orphischen Hymnen (vgl. Wünsch 171, 49ff.).

11 Knien beim Hymnos auf Dionysos

(Zu den Hymnen des Aelius Aristides) Otto Walter hat in den Österr. Jahresh. XIll 1910 Beiblatt S. 229 ff. die Darstellungen von knienden Adoranten auf atti- schen Reliefs gesammelt und dabei auch der literarischen Nach- richten über Knien beim Gebet gedacht. Unter den Gottheiten, für die es sich, sei es aus Denkmälern, sei es aus Texten, be- legen läßt, ist Dionysos nicht vertreten. Es ergibt sich auch für ihn aus einer bisher übersehenen Stelle des Aelius Ari- stides, die zugleich für die Hymnendichtung des Rhetors locus classicus ist und zu Wünschs Ausführungen (Artikel Hymnus, P.W. IX, 173, 27 ff.) hinzugefügt werden mag.

Aristides berichtet in der vierten heiligen Rede (II 435 §§ 38 ff. Keil), daß ihm Asklepios im Traum den Befehl gegeben habe, diaxQlßsiv iv aö^aeft, xal ^liXsSi^ otal drj xal Tiait^eiv ts Tcal TQStpeLv TCalöag. Die Lieder wurden von Knaben gesungen, und Aristides hatte oft genug Gelegenheit, die Heilkraft dieser geistlichen Musik am eigenen Leibe zu erfahren.^ Der Inhalt der (leXi] war der hymnische Preis verschiedener Götter: des

^ TDC ö' acybuxa 'fjdov ol Ttccidsg , xal otcote t) TtviyBöQ'ccv öv^ißalvoi^ tov tQccx'^^ov tcid'ivTOs i^ccLcpvrig j} xov öro^iäxov Karaßrccvrog stg cctco- giag, i] ng aXXri yivoito a-JtoQog TtgoößoX'^, nccgoav av ©sodorog 6 largog v,al ^isiivrnisvog x&v ivvnviojv iytiXsvs xovg italdccg adsiv x&v ^eX&v, aal lisxcc^v adovxav XdO'Qa xig iyiyvBxo qccöxmvr], ^exiv 8' oxs Kai JtavxsX&g ScTCißsi, Ttäv xb XvTcovv. y.ccl xovxo dri xoaovxov xBgdog fiv xccl xb xfjg xi^iyg ?Ti xovxov iist^ov svdoxl^si yaQ aal xa iiiXri naga x& &ea). Auch beim Diclaten der Hymnen selbst verspürt er befreiende Wirkung, 393 § 73 K.: XiTCoipvxovvxa yial navxsXcog ccjtoQOv^Bvov 7C0L7]6ai ^leXrif yd^ov x& KoQ(ov LSog xal yivsGiv xov %'sov (über die Genealogie des Gottes in

528 ^^^^ Weioreich

Asklepios selbst, des Pan, der Hekate und des Acheloos. Was Aristides dann über seine Hymnen auf Athena, Dionysos, Zeus und andere Götter erzählt, ist von großem Interesse, weil er nicht nur über die Veranlassung und Ausarbeitung zuweilen dichtet er im Reisewagen oder beim Spazierengehen berichtet, sondern auch Bruchstücke aus seinen Hymnen zitiert, die uns einige Epiklesen liefern und erkennen lassen, daß verschiedene Metra zur Anwendung gelangten. Da der Rhetor, obwohl er eine der wichtigsten Quellen für die Religionsgeschichte des 2. Jahrh. n. Chr, ist und namentlich für die synkretistischen Kulte Kleinasiens ausgezeichnetes Material enthält, sich heut- zutage bei den Philologen fast allgemeiner Unbeliebtheit er- freut, mag es erlaubt sein, die für die Geschichte des Hymnus wichtige Stelle im Wortlaut zu geben: '^xsv dh /,cd jcag' ^A^t]- vag (ivaQ vyivov e%ov tfjg d^sov xal uqx'^'^ xoidvds'

"Ikb6%^s IIsQydiiG) veoL^ xal etBQOv ix /Ilovvöov^ ov k7t(f86yLSvov ^v

Xalg' o) q.va möösv

l^iövvös].^

Hymnen vgl. oben S. 525), ycal Trjv 6TQ0(pr}v mg inl ^irj^LGtov unotBlvcci. y.ccl iTCOLTiöcc a6{Laxa icp ii6v%lag ohtaal -nal xar iiiavrbv ivd'v^irid'sis, y,al Ttdvxav ridri ^TJO-rj ^v rav dv6%SQa)v. Die Heilkraft der Musik war schon früh erkannt, Pythagoras soll davon Gebrauch gemacht haben, und Theophrast schrieb über sie in seinem Buch Ttigl 'Evd'ovöLccöfiov (frg. 87 W.). Aber besonders nahe mit der zuerst angeführten Aristides- stelle berühren sich Nachrichten aus Marinos Vita Prodi C. 17: El TtOTB tig x&v yv(0Qi(i03v vooqj Y,avsi%BtOy TCQcbtov fihv tohg ^sovg XiTcagm^ IxiTEVEv vTihQ ccvTOv ^Qyoig TS xccl vfivoLg, ^Tcsitcc Tai y,dybvovti TcaQfjv iTtiiisXsGtccTU^ Tcal rovg iccTQOvg avvrjysv^ iTtslycov ccTto xrig xi%vr\g &}isXX7jxl TtQOixxBiv. Kccl XI "Kccl avxog iv xovxoig tcsqlxxoxsqov sl6r}ystto, nal ■TtoXXovg ijdri ix x&v iisyloxav xLvävvoav ovToag igQvöaxo. In seiner eigenen letzten Krankheit läßt Proklos, um Erleichterung zu finden, seine Freunde orphische Hymnen beten, was ihm hilft, Cap. 20 : TtccQSxsXsvsro ovv ij^tv §acc6xoxE v^ivovg Xiysiv, aal Xeyo^ivcov x&v v^vcov, näöa elg'^vr, x&v Ttad'&v iyiyvsxo kccI ocxccqcc^lu . . . ccQXO^iivav . . ijii&v v^ivslVj indtvog ccvsTfXriQOv xovg v^vovg xccl x&v 'OgcpiK&v in&v xcc tcXeiöxcc. So versteht man, warum in seinen eigenen Hymnen die Bitte um Gesund- heit so oft wiederkehrt. ^ Getilgt von Wilamowitz.

Hymnologica 529

^So^dvov d' avtov Tcad"' vitvov nBQiigQBi &ta xal rjxri d'uvfiaötrj. aal sdsi rb y6vv ds^ibv xXCvavta (vgl. oben) IxstevsLv ta Tcal xaXslv Avöiov xov d'söv aal svsötv tavta iv tolg aöfiaöLv. aal etegov ^ksv ii, a'htov ^Jiög o Ti dh ^v tovtcsv tJ TCQcbtov r) vöxeqov ov^l iiBiivr^^ai aal

ixSQOV £K /llOVVäOV TtCcXiV ^ Ol) XoaÖ [IT^V^ (pQci^OV TCQOÖSiTCSlv

tbv d-söv. G)(pd-7] dh aal 6 'EQ^fjs trjv ts avvfiv extav aal xb adXXog d-av^aöxbg aal xr^v aCvrjöiv vzsQtpvijg (alles für Traum- erscheinungen typische Züge)' aal adov avxbv aal yavviiavog Sg Qc^diog xs aal 7rQoö7]aovxa sl^rjahg dcpvjtvi^ö^rjv . edo^a öh aal tcsqI x&v iv IJ^vqvj} ^s&v &aov6ai xov XQog)B(og, ot^ai, Sg ova OQd'Gig avxav kTtiXBXri^iiBVog xvy%dvonii' slabg yaQ alvai aal xavxaig v^ivov i7ti,nBX7]d"fjvaL jtXBiöxa dh slg !A7t6XX(o^

* Schon vorher 433 § 31 K. hatte Aristides erzählt, daß ihn Askle- pios zuerst in Rom Ttgog xt\v xmv fiBX&v Ttoirieiv angetrieben habe. Das ■erste war ein Paian auf ApoUon : t^IQ-b yccg fioi ivvnviov cpgci^ov xov xs rcaiävcc mg diov 7Coi,7]6ai x& d^sat nccl a^a xriv agxrjv avxovj ycal sI^bv ovxoa Ttag'

^OQiilyycov avccKxa Tlcci&va ^Xriiöo).

ijnÖQriGa iihv di} o xi %Qri6(0^ai diä xb ^riTCCi TCQoed'Bv i(i(xvxov tcbIquv i6%r\yiivaL tcbqX xavxcc, aXV id6v.ovv TtavxBl&g ^%biv ccSwccxcog' o^Kog d^ iv- BXBLQr]aa tcccI xfjg ccQxfjg olov inißdd'Qag ix6y>Bvog iTtsgavcc xb äöiia \iv dvoiv GxQocpcctv, Kai xgixriv, ol^oci^ xivä ^nriyccyov, riv na- \Xov6iv ol ygainiccxitiol fioL doKstv iTtadov. Kaum war das ac/i« i fertig, als er hörte, daß die Ludi Apollinares gefeiert würden. Als I Gotteslohn für diesen Paian betrachtet er dann die wunderbare Rettung I aus dem Sturm des Meeres bei der Überfahrt nach Delos (S. 434 f., das Wortspiel Tcaidv^ nuimv, itdvxa TcavBvv in § 37 sei hervorgehoben, es kann ;flehr wohl im Hymnos selbst gestanden haben, da seit den homerischen (Hymnen und Hesiod derartige etymologische Ausdeutungen des Götter- namens in sacraler Poesie beliebt sind). Ein anderes Fragment aus einem Hymnos des Aristides steht S. 414 § 4; er träumt, die Knaben in einem diSueyiaXBlov zu Alexandria sängen sehr schön folgende ^sttj: noXlovg d' ix Q-avdxoio igveaxo ÖBQKoyiBvoiOy döxQacphööL 7tvXr]6LV in* avxjjöLv ßEßccmxocg

\xuvxcc d' iexl x&v riiisxiQcov inrnv, a tcq&xcc exBdov imo^'^öaiiBv x& d'sä. 9'uviid^Eiv olv on(og ijSr] dLaTtscpoixri-iioxu stg xriv Alyvjtxov a/rj xal xuIqbiv inBQcpv&g, oxv di] xvyxdvoiyn y.axBi,Xr\(pcag ddo^Bva x&^avrov.

Archiv f. Keligionswissenschaft XVII 34

530 ^**^ Weinreich

TS xal 'AöxXrjTtLOV iTtoLr/d^rj xar« tag t&v dvsiQccrov iTtiTCvoCag, Tcal to'ötcov TtoXXä 0%s8hv aTcb iiv^fiTjg ovtG)6i^ ÖTtöts alco- Qot^rjv ijtl tov ^svyovg'^ rj xal ßaöC^OL^i. xal dri xal Maxe- öövi avÖQC.) svl xcbv 6vyLCpoixriXG)v^ '6vaQ yCyvsrai, cjg ccjtiqyyeXXiv i^ol <^6> 0s6dotog oi) yäQ wötbg bI%sv öwri^cog i^oC ävtixQvg (fSQOV elg i^is. idöxsi yaQ adsiv ifibv jcaiäva^ hv ra lavtriv triv TCQÖöQrjiSiv slvai' "Ji^ JTatav "HQa^Xsg HötcXt}- mi^ (vgl. S. 330 K.). xal ovxa 8ri tov jcaiäva dxedmxa ä^Kpo- TSQOig tolg d-eolg tcolvöv.

Wir sehen also, daß ähnlicli wie der Prophetes Damianos in Didyma die Orakelverse des Gottes zu einem Hymnos be- nutzte, so Aristides den gottgegebenen Träumen nicht nur die Veranlassung, sondern auch einzelne Worte und Verse zu sei- ner geistlichen Poesie entnahm.^

Zu dem ersten Dionysoshymnos des Aristides, den er kniend zu sprechen glaubte, noch ein Wort. Als Avöiog soll er den Gott anrufen; auf die gleiche Epiklese bezieht sich Aristides auch in dem X6yog auf Dionysos (331 § 7 K): ovdav &Qa ovxGig ßsßaCcjg dsÖTJöexai^ ov v66(pj ovx 6(>yg, ov xvxji ovde/ito, 0 ^ii olöv t' €6xaL Xv6ai x(p /diovv6(p. Die Verwandtschaft ist nicht verwunderlich, denn seine Götterreden muten Vie

* Vgl. 426 % i: 71 dh Ttogsia (zu den Heilquellen der Arteiüis Ther- maia am Aisepos) iyiyvETo vtco XaiindScav. ivravd'a di] TtccvtsX&g olovsl nad-LSQÖoiiTiv TS 'üccl Bix6[Lriv^ Ticci ^01 TCoXXä ^ihv sis ocbtbv xov Ecoz'nQci inoiT^d'r} iiiX'^f dtg ^xv%ov nad'rinivog inl xov t^vyovg^ noXXcc 8h äi'g xb xov AiCrinov -xal NviKpag xal xijv Osg^iaiav "Jqxs^iiv, t] xag nr\yäg xag d'EQ^iccg ^;^et, dovvccL Xv6iv UTcdvxcav fiS-q x&v dvö^sgübv xal y,(xxa6xf}Gai TtdXiv sig xb i^ dgx^g. Sowohl die Angabe des Ortes, wo die Göttin weilt, wie die Bitte um Xvcig (vgl. unten S. 531 Anm. 2) war wohl im Hymnus enthalten, man vergleiche etwa die Hymnen des Proklos oder Synesios, hymn. HI 553 ff. : 6v dk QvöLog sl . . . ScnoXvs xaxmv, a%6- Xvs vÖGoaVf ccTtoXvB TiiSccg. Über die Reise des Aristides s. Wiegand AM XXIX 1904 S. 281—284, über die Artemis Thermaia AM XXXVII 1912 S. 27 f.

2 Lehrreich Welcker Kl. Sehr. III 148—151; was ich RGW VIII 1 S. 4 ff. zusammenstellte, ließe sich leicht mehren.

Hymnologica 531

aufgelöste Hymnen' an.^ Dionysos Av6ios kennen wir aus Theben (Paus. IX 16, 6), und von da kam der Gott nach Ko- rinth (II 2, 6) und Sikyon, und ebenda bezeugt Pausanias ein- heimische Hymnen.^ Von diesen ist Aristides gewiß nicht be- einflußt, er dichtet jene Hymnen inPergamon, in Kleinasien, dessen weitausgebreiteten Dionysoskult ^ er, der geborene Mysier und weitgereiste Wanderer, natürlich gut kennt. Und dahin weist wieder der orphische Hymnos auf Dionysos Avöiog (hymn. 50 Av- elov ATqvaCoVy v. 2 Xv6i£ dal^ov, v. 8 Xv6iB\ vgl. auch 52, 2 Ni^öts, Xv6sv), Die Prosahymnen des Aristides, seine Nach- richten über Vershymnen^ die orphische und sonstige Hymnen- poesie des Synkretismus und kleinasiatische religiöse Inschriften, das ist ein Material, das eine gemeinsame Verarbeitung wohl verdienen würde.

* Wünsch 173, 28; ytQOoi(iLa nannte sie deshalb Apsines, vgl. Spengel Ehet. Gr. 1 343. Aristides selbst bezeichnet den Prosa-^dyos auf Sarapis als liymnos, 362 § 34 tov ts v^vov tovSs. Seine Athenapredigt ist ein Xoyog . . . /iixTog Bvxfjs trs ticcI vilvov 304 § 1.

2 II 7, 6: ein Fest iisrcc . . . v^vov i7iixaiQi(ov. Darüber und über die Bedeutung NonAvciog vgl. Nilsson Griechische Feste 300 ff.; auch Bruch- mann Epitheta deorum 88. Für Aristides ist Dionysos natürlich in erster Linie als Erlöser von Krankheit Avöiog, man vergleiche die Bitte an Artemis oben S. 530 Anm. 1 und den Traum 440 § 59. Als er schwer am Fieber darniederlag, sieht er den Rhetor Lysias als vsccvlöyiov ovti u%aQLv erscheinen. Der Name wirkt vorbedeutend: iXvQ'ri ro voari^cc. Wieviel mehr muß also im Namen des Dionysos Lysios das Lösen von Krankheiten empfunden werden. Über Dionysos als Heilgott s. EGVV Villi S 28. 'luTQOs Kai Xvßig xax&v, ^laöovg 6 XQi6{6rb)S', 6 inl nav- x(siv'®B{6g). Inschrift aus Syrien, Prentice Greelz and Latin inscriptions 1908 (Publ. of an Amer. Archaeol. Exped. to Syria, vol. III) S. 214 Nr. 251.

' Auf die sorgfältige Dissertation von Quandt De Baccho in Asia \ minore culto, Diss. Phil. Hai. XXI 2 möchte ich auch darum verweisen, weil sie die orphischen Hymnen S. 256 ff. zusammenstellt.

34*

II Berichte

5 Keligionen der Naturvölker 1910—1913

Allgemeines^

Von K. Th. Preuß in Berlin

I. Methode

Solange die Völkerkunde bestellt, hat das Sammeln des Materials aus den rasch dahinschwindenden primitiven Kulturen weitaus die meisten ethnologischen Forscher so in Anspruch genommen, daß ein Ausblick auf die Gesamtheit immer nur nebenbei erfolgte. Der methodische Fortschritt vollzog sich naturgemäß in der Richtung des tieferen Eindringens in die Verhältnisse des einzelnen Volkes und seiner kulturellen Be- ziehungen zu den Nachbarstämmen. Die wenigen Forscher aber, die sich mit dem Ganzen befaßten und dann gewöhnlich der einzelnen regionalen Völkerkunde fernstanden, begnügten sich, aus der Masse der neu gefundenen Tatsachen Nebenein- anderstellungen vorzunehmen und Entwicklungsreihen aufzu- stellen in der Annahme, daß an verschiedenen Stellen der Erde elementare Schöpfungen emporgesproßt seien und sich ent- sprechend der Umwelt, dem Charakter und den Schicksalen verschieden entwickelt hätten. Daß sich hierbei trotz aller Fortschritte befriedigende Methoden gebildet hätten, kann man angesichts der weltumspannenden kühnen Fragen, die an die Völkerkunde gestellt werden, gar nicht erwarten. Denn es ist der Vorzug, aber zugleich der Fluch der Ethnologie, daß sie von vornherein zu den weitgehendsten Fragen nach der allge- meinen Entwicklung der Menschheit führt, während der be- scheidenen regionalen Einzelforschung, die bei allen historisch-

' S. in diesem Archiv XIII 398 ff.

Religionen der Naturvölker 1910 1913 533

philologischen Wissenschaften die Hauptsache bildet und ohne die die ganze Völkerkunde ein bloßes Geschwätz bleiben würde, eine selbständige Bedeutung überhaupt nicht zuerkannt wird, sondern ihr nur die Rolle als Teil eines Ganzen zufällt.

Das ist nun noch weit mehr der Fall in der neuesten Rich- tung innerhalb der Ethnologie, der wir auch eine ^Methode' verdanken, freilich nicht als eine Zurückführung der schon be- stehenden Arbeitsweisen auf feste Grundlagen, sondern unter Verwerfung des Vorhandenen, da es wenig mehr denn ^Kurio- sitätensammeln' sei, als eine Rechtfertigung einiger extremer ethnologischer Arbeiten und als eine Aufforderung zur Forschung für die Zukunft.

Gemeint ist das Büchlein von F. Graebner, Methode der Ethnologie.^ Diese behandelt zunächst in sehr verständiger Weise die Kritik der unmittelbaren Zeugnisse (Sammlungs- objekte) und der Berichte, wie man sie für jede Richtung in der Ethnologie brauchen könnte. In dem zweiten Abschnitt über die 'Interpretation' der Erscheinungen, d. h. die Frage ihrer Bedeutung, tritt aber bereits die Tendenz der Schrift klar zu- tage, indem die 'Ferninterpretation', d. h. die Erklärung einer Erscheinung durch eine ähnliche an entfernter Stelle, nur dann von Wert sei, wenn beide Erscheinungen demselben Kultur- zusammenhang angehören. Infolgedessen seien die sämtlichen Untersuchungen, die bis jetzt auf dem Gebiet der vergleichenden Religions-, Rechts-, Kunstwissenschaft usw. gemacht worden sind, von sehr geringem Wert, da sie zu sehr der individuellen Willkür unterworfen und das Endziel nur Vermutungen seien. Durch bloßen Zufall seien sie allerdings nicht ganz nutzlos, da die Forscher öfters, bewußt oder unbewußt, das Haupt- gewicht der Vergleichung auf Gebiete gelegt hätten, für die ein enger kultureller Zusammenhang ohnehin wahrscheinlich ist.

Man sollte nun erwarten, daß der Verfasser die Folgerung aus

^ Heidelberg 1911. Kulturgeschichtl. Bibliothek, 1. Reihe: JEthnoL Bihl. I, XVIII und 192 Seiten.

534 ^- Th. Preuß

diesen durchaus richtigen Anschauungen ziehen und jede Ver- gleichung, abgesehen von solcher auf geographisch anstoßenden Gebieten, ohne weiteres ablehnen werde. Dann würde in der Tat das dringendste Bedürfnis in der Ethnologie gefördert werden, nämlich einmal das wissenschaftliche Schürfen auf kleinem Raum mit allen Mitteln der Textaufnahmen, der Beobachtung und der technischen Untersuchung und anderseits die Feststellung der kulturellen Durchdringung und Verbreitung an der Hand der geographischen Unterlagen. Und jeder, der dann noch nach alter Art entfernte Dinge vergleicht, müßte sich stets dessen bewußt bleiben, daß sein Beginnen nur ein Notbehelf sei, daß er damit keineswegs dauernd Befriedigendes geben könne, son- dern in subjektiver Verwertung des Materials den Fragen nach- gehe, die ihm nun einmal auf der Seele brennen und wohl nie, sicher aber nicht bei seinen Lebzeiten, auch nur einigermaßen gelöst werden können.

DerVerfasser ist aber nicht so grausam, solche weitschauenden Vergleiche von vornherein zu verbieten. Ihm ist es hauptsäch- lich darum zu tun, zunächst einmal die herrschende Idee einer selbständigen Entstehung paralleler Erscheinungen aus der psy- chischen Anlage zu zerstören und dann mit großem Optimis- mus an die Vergleichung heranzutreten, indem alles, was wirk- lich als gleich erwiesen wird, als Urverwandtschaft bzw. Kultur- übertragung wieder in den Kreis der Betrachtung hineingezogen wird. Das nennt er ein objektives Verfahren gegenüber dem subjektiven der bisherigen Vergleichung. Wie diese neue Me- thode einwandfrei durchzuführen ist, behandelt der dritte Ab- schnitt, die ^Kombination', d. h. die Herstellung der Kausal- zusammenhänge zwischen den Einzelerscheinungen, deren Ziel eine Entstehungsgeschichte dieser Erscheinungen und ihrer Komplexe sei, nämlich eine Gesamtgeschichte der menschlichen Kultur. Der Hauptgedanke darin ist die Herausarbeitung von Kulturkreisen, d.h. solchen Gebieten, die eine Reihe von Kultur- gütern gemeinschaftlich haben und daher verwandt sind. Ge-

Religionen der Naturvölker 1910—1913 535

hören nun zwei ähnliche Erscheinungen zu dem gleichen Kulfcur- kreis, so seien sie vergleichbar und für die Entwicklung der Erscheinung zu verwerten. Auf die Feststellung der zusammen- gehörigen Kulturkomplexe wird demnach das größte Gewicht gelegt. Der Verfasser beschränkt sich dabei aber nicht auf geo- graphisch nahe beieinander liegende Gebiete, sondern bringt auch kühn ganze Erdteile zu einem Kulturkomplex in Beziehung, wie aus seiner Arbeit ^Die Bogenkultur' ^ besonders deutlich hervorgeht, wo die Südsee sowohl zu Amerika als auch zu dem prähistorischen Europa in Beziehung gebracht wird. Es ist aber noch nicht genug, daß die Zugehörigkeit eines Objektes, sei es der geistigen oder materiellen Kultur, das man vergleichen will, zu einem Kulturkreis nachgewiesen wird, es muß auch festgestellt werden, ob nicht in jedem einzelnen Verbreitungsfalle eine bloße Entlehnung vorliegt und welche Komplexe von Ob- jekten jünger oder älter sind als andere.

Kurz, der Verfasser möchte die Flächenhaftigkeit der Tatsachen in der Völkerkunde in ein historisches Nacheinander verwandeln. So rückhaltlos man diesen Bestrebungen zustimmen möchte und so sehr es der Wahrheit entspricht, daß jede Vergleichung erst nach der Feststellung, ob ein Objekt urverwandt, entlehnt oder selbständig entstanden ist und in welcher historischen Be- ziehung es sich zu anderen Kulturgütern befindet, die rich- iige Lösung verspricht, so kann ein solches Unternehmen leider nur in der Theorie Bedeutung haben. Die Erfahrungen, die der Referent auf seinem Spezialgebiet mit solchen Unter- suchungen gemacht hat, z. B. in der Vergleichung der mexi- kanischen mit der Mayakultur oder mit der nordamerikanischen Pueblokultur oder mit der der Prärie- und Seenstämme, endeten j zwar immer in der Überzeugung, daß hier bis zu gewissem I Grade Verwandtschaft vorliege, aber diese im einzelnen fest- I zulegen oder die historische Schichtung aufzuzeigen, erschien hoffnungslos. Deshalb ist das vorgeschlagene Verfahren vor-

^ Anthropos IV.

536 ^- Th. Preuß

läufig selbst auf geographisch beschränkten Gebieten nur unter besonders günstigen Umständen möglich. Man ist heute in der Völkerkunde sowieso geneigt, Zusammenhänge auf räumlich nicht weit entfernt liegenden Gebieten anzunehmen, sobald Ähnlichkeiten vorhanden sind. Im einzelnen weiter führt uns das aber auch noch nicht, und wären wir überzeugt, daß alle Übereinstimmungen auf der ganzen Welt auf Urverwandtschaft und Wanderung zurückgehen, so könnten wir zwar in Theorien schwelgen, wie die Kulturwellen über die Erde dahingewogt sind: objektive Forschung wäre das aber nicht. Und will man gar nachweisen, wo der Totemismus oder der Animismus ent- standen ist und wie er sich verbreitet hat, so müßte man das bei wohlwollender Beurteilung als Utopie bezeichnen. Die Methode ist das Ergebnis des noch sehr geringen Materials in der Völker- kunde. Die einzelnen hervorstechenden Züge der Vergleichs- objekte fordern dazu heraus. Man muß daher zunächst über die bloßen Vergleichstabellen, in denen die Vergleichsobjekte durch ein bloßes Schlagwort, z. B. Spiralornamentik, Weberei, Bienenkorbhütte, bezeichnet werden, zu eingehender Unter- suchung jedes einzelnen Gegenstandes, der Psychologie seiner Entstehung, Veränderung usw. fortschreiten und muß vor allem die ganze Kultur, nicht nur das, was einem paßt, zu Hilfe nehmen, um die Schwierigkeit dieser kulturgeschichtlichen Me- thode voll zu erfassen. Nach Beseitigung dieser Kinderkrank- heiten wird man vielleicht auf engerem Gebiet dadurch manches Brauchbare auffinden können und das Schädliche vermeiden. Denn es liegt eine große Gefahr darin, daß zugunsten des systematischen Vergleichens die genaue Untersuchung des Boden- ständigen und die Auffindung immer neuen sicheren Materials vernachlässigt wird. Mag man auch öfters darin zu weit gehen, aus einer Fülle von Tatsachen auf kleinem Gebiet die Ent- wicklung — unter Zuhilfenahme allgemeiner ethnologischer Kenntnisse abzuleiten, so fördert ein solches Vorgehen doch immerhin die Durchdringung der Einzelheiten, während es für

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die bodenständige Forschung bedenklich ist, bei jeder Erschei- nung immer sofort die Blicke nach anderen Gebieten zu richten^ um eine Erklärung zu gewinnen.

In der Diskussion über diese Theorie der Urverwandtschaft und Entlehnung ist besonders ihre Stellung zur selbständigen EntstehungausgemeinsamerpsychischerAnlage behandelt worden. Weitergekommen ist man aber darin weder nach der einen noch nach der anderen Seite. Es steht vielmehr, wie natürlich, Be- hauptung gegen Behauptung, und jeder kann nach Geschmack beim einen wie beim anderen beharren. Es seien hier nur die entsprechenden Vorträge auf der 42. Versammlung der Deut- schen Anthropologischen Gesellschaft in Heilbronn erwähnt^, wo- B. Anker mann die Lehre von den Kulturkreisen in einem für Graebner günstigen Sinne beurteilt hat, während M. Haber-^ landt. Zur Kritik der Kulturkreislehre, und Fritz Krause,. Amerika und die Bogenkultur, dagegen sprachen. Im allgemeinen ist, wie gesagt, die Stimmung innerhalb der Völkerkunde über- haupt dagegen.

Noch vor Graebners ^Methode' sind die Gedanken an weit- gehende Kulturverwandtschaft und Übertragung im Gegensatz zum ^ Elementargedanken' mehrfach angewandt worden, und es wurde daher schon 1906 eine geographische Preisaufgabe von der Technischen Hochschule in München über die Berechtigung dieser Theorie gegenüber der Übertragungstheorie gestellt, was- an den neueren Untersuchungen über Mythologie und Zähl- und Rechenmethoden erörtert werden sollte. Dieser Auf- gabe hat sich Julius Eisenstädter in einer Erstlingsarbeit ^Elementargedanke und Übertragungstheorie in der Völkerkunde'^ unterzogen, die erst 1912 gedruckt ist, aber das nach 1906 Erschienene nicht mehr berücksichtigt. Da Mythen und Zähl- methoden infolge ihrer verzweigten Differenzierung sehr geeignet

1 Korrespondenzhlati d. JDtsch. Ges. f. A., E. u. U. XLII 1911 S.löö, bis 173.

2 Stuttgart 1912.

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für eine praktische Förderung dieser Streitfrage sind, so wäre es an sicli interessant, zu sehen, bis zu welcher Grenzlinie beide Parteien hierin gehen. Eisenstädter macht sich bezüglich der Mythen die Aufgabe insofern leicht, als er besonders die von Frobenius, Das Zeitalter des Sonnengottes, gesammelten Motive zur Grundlage der Diskussion macht: Jungfraumuttermjthus, Mädchenangelmythen, Sonnenfang in der Schlinge, Schwanen- jungfrau. Gewandverbrennen, Augen diebstahl und Heilung der blinden Frauen. Gegenüber den schrankenlosen Wanderungs- hypothesen von Frobenius macht der Verfasser meistens mit Ge- schick die selbständige Entstehung wahrscheinlich, indem er das geographische Gebiet der besonderen Ausführung jedes Motivs scharf umgrenzt und die Grundidee selbständiger Ent- stehung zuweist. Selbstverständlich ist damit das letzte Wort darüber nicht gesprochen. Denselben Standpunkt nimmt er gegenüber den Zähl- und Rechenmethoden ein.

Im anderen Sinne hat die Vereinigung der historischen und vergleichenden Methode Goblet d'Alviella in seinem auf dem IV. Internationalen Religionskongreß in Leiden gehaltenen Vor- trage Du concours qwe doivent se preter mutuellement dans la science des religions la methode historique et la methode compara- tive^ befürwortet. Die historische Methode bezieht sich für ihn auf das Gebiet der Kulturvölker, die vergleichende, flächenhafte auf das der Naturvölker, dem er besonders den Angriffen in F o Vi cart 8 Histoire des religions et methode comparative, 2^^ edition 1912^ gegenüber in vollem Maße die ihm gebührende Be- rücksichtigung zuweist.

Am besten betrachtet man auch das besonders für den Re- ligionsforscher wichtige Buch von L. Levy-Bruhl Les fonc- tions mentales dans les societes inferieures^ unter dem Gesichts- punkt eines Beitrags zur Methode, denn die Untersuchung der

^ Actes du congres 1913 S. 57—63. ' Vgl. Archiv XIII S. 399. 8 Paris 1910. 461 Seiten 8^

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Oeistesfunktionen in der primitiven Gesellscliaft führt zu einer allgemeinen psychisclien Beurteilungsweise der Erscheinungen, die von unserer gewöhnlichen, auf Grund unserer eigenen Denk- operationen vorgenommenen, erheblich abweicht und deshalb, ihre Richtigkeit vorausgesetzt, stets angewendet werden müßte. Wie zu erwarten ist, wird in dem Buche nicht vollkommen neues geboten, aber durch die Energie, mit der die ^prälogische', synthetische, kollektive Vorstellungsweise an Stelle unserer lo- gischen, analytischen, kontradiktorischen beleuchtet und nach allen Seiten an zahlreichen, gut ausgewählten Beispielen aus der Völkerkunde durchgeführt wird, dürfte es dazu beitragen, daß wir noch mehr als bisher dem Standpunkt der Primitiven gerecht werden. In der Hauptsache wandelt der Verfasser die Bahn, die durch die Vertreter des Präanimismus eingeleitet ist, indem er ausführt, daß die Naturvölker nicht eine Begründung für alles und jedes verlangen und durch assoziative Elemente zu logischen Schlußfolgerungen kommen, sondern ohne weiteres Zusammengehörigkeiten heterogener Dinge annehmen, die zu- gleich stets einen mystischen Inhalt haben. Er nennt diese prä- logischen Verbindungen zwischen den Dingen, vermöge deren sie für sich bestehen und zugleich in anderen Objekten wirken können, la loi de participation. Ich selbst habe früher in ähn- lichem Sinne von * Verwandlungen' gesprochen (Globus, Bd. 87 S. 380). Daher tritt Brühl auch mit besonderer Schärfe der nach unserer Denkart aufgebauten animistischen Theorie E. B. Tylors entgegen, indem er das Aufkommen der Idee einer Seele für verhältnismäßig spät erklärt. Der Begriff ^kollektive Vorstellung' bezieht sich bei ihm auf das soziale Denken der Naturvölker im Gegensatz zum Denken des Individuums bei uns, und dementsprechend wird dem Gedächtnis der Naturvölker «ine besondere Stellung zugewiesen. Der Vorzug des Werkes liegt darin, daß das Gesetz der Partizipation in alle Lebens- verhältnisse und Tätigkeiten hinein im einzelnen verfolgt und auch die Sprache und die Zählmethoden hineingezogen werden.

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Ein Nachteil ist es aber, daß bei allen Gruppen von Beispielen immer nur die Erklärung erfolgt, daß eine participation vor- liegt und daher dieses Wort schließlich nur noch wie ein Schlag- wort wirkt. Es geht daraus hervor, daß das Ergebnis mehr negativ ist in dem Sinne einer Art Warnung, mit welchen Ge- danken man nicht an die Naturvölker herantreten dürfe. Auch die teilweise künstliche Isolierung ihrer Geistesfunktionen gegen- über den unserigen, obwohl sie dem Verfasser bewußt ist, wirkt störend. Man kann doch nicht sagen, daß es da nur einen Gegensatz gibt, sondern man muß auch die Übereinstimmungen und die gemeinsame Grundlage heranziehen.

Es ist charakteristisch und erfreulich, daß das Streben nach psychologischer Vertiefung sich nicht mehr mit dem Beschreiben dessen begnügt, was dem Forschungsreisenden an Beobachtungs- ergebnissen aufstößt, sondern daß der Versuch gemacht wird, die geistische Beschaffenheit in dem Verlauf einer Tätigkeit möglichst klarzustellen und auch absichtliche Problemstellungen experimentell zu untersuchen. Als ein solches nachahmens- wertes Beispiel von allgemeinerer Bedeutung hebe ich heraus RichardThurnwald,Ethno-psychologische Studien an Südsee- völkern auf dem Bis marck -Archipel und den Salomo- Inseln.^ Die meisten Versuche haben zwar keine direkte Beziehung zur religiösen Forschung, wie z B. die Messung der Druckfähig- keit der rechten und linken Hand, wobei die Unterschiede sich nicht so groß erwiesen wie bei uns und Doppelhändigkeit das Gewöhnliche war; der Farbensinn und die Farbenbezeichnungen; die Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit; Suggestion; Fort- pflanzen von Berichten u. dgl. m. Man darf freilich nicht ver- gessen, daß Versuche, die die Intelligenz des Individuums be- treffen, zudem sehr von dem Interesse des Versuchsobjekts ab- hängen und auch insofern Fehlerquellen unterworfen sind, als die Methoden eher in das Milieu .weißer Versuchspersonen ge-

'■ Leipzig 1913 Beihefte z. Ztschr. f. angewandte Psychol. u. psychol. Sammelforschung 6, 163 Seiten S** u. 21 Taf

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hören, auf die man doch die gewonnenen Ergebnisse schließ- lich des Vergleichs wegen reduzieren muß. Dasselbe muß be- sonders auch von den Versuchen des Zeichnens gesagt werden. Diese sind um so wichtiger, je mehr die Versuche der land- läufigen Art der Darstellung und dem autochthonen Motiven- schatz entsprechen, während Bleistiftzeichnungen und neue Motive mehr eine bloße Prüfung der Auffassungs- und Charak- terisierungsfähigkeiten sind. Deshalb sind die psychologischen Betrachtungen, die der Verfasser an den tatsächlich einheimi- schen ortsüblichen Zeichnungen und den plastischen Figuren, Masken usw. angestellt hat, die wichtigsten. So gehen manche auf die Nachbildung der Leiche und des Schädels zurück. Ferner ist die Prüfung tatsächlicher Verhältnisse, z. B. des Ge- fühls der Verwandtschaft gegenüber dem einzelnen und der Gruppe, der Kenntnis der Metamorphosen der Tiere (die Ent- wicklung der Puppe aus der Raupe ist nicht bekannt), der magischen Identifizierung zwischen heterogenen Objekten, der Grenzen zwischen Zaubereigenschaft und gewöhnlicher Kausa- lität, des Zurückreichens historischer Tradition, des logischen I Denkens und vieles anderen, wie es der Verfasser in Betracht 'gezogen hat, sehr wohl eines weiteren erfolgreichen Ausbaues lin der Ethnologie fähig.

II. Gesamtdarstellungen I In den Gesamtdarstellungen der Religion haben wir einige 1 erfreuliche Erscheinungen zu verzeichnen, weil sie das Ergebnis leingehender Untersuchungen sind. Ich rechne in erster Linie jdazu P. W. Schmidt, Der Ursprung der Gottesidee, eine histo- risch-kritische und positive Studie, I. Historisch -kritischer fTeil^, der von einem Ethnologen geschrieben ist. Die Aus- führungen fanden sich bereits in französischer Sprache im An- •thropos III V, 1908 1910, und sind jetzt vervollständigt iworden. Der vorliegende Teil beschäftigt sich aber noch nicht

' Münster 1912. XXIV und 500 Seiten.

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mit der Heranbringung 'positiven' Materials, ausgenommen für die höclisten Götter Südostaustraliens, worüber bereits von W. Foy in diesem Archiv (XV S. 492 ff.) von facbmänniscbem Standpunkt geurteilt worden ist. Foy hat hier besonders be- tont, daß naturmythologische Züge zu den höchsten Göttern gehören, so daß von einer reinen alten Gottesidee, wie Schmidt sie aufstellt, keine Rede sein kann. Der sonstige Inhalt bringt eine sehr eingehende Kritik, und nicht nur das, sondern auch eine übersichtliche Darstellung sämtlicher religiöser Theorien über die Naturvölker bis zu den neuesten präanim istischen, so daß man sehr gut daraus einen Überblick über diese gewinnen kann. Allerdings darf man von dem Verfasser nicht das Menschen- unmögliche verlangen. Denn da er zugleich ein temperament- voller Vertreter einer eigenen Meinung ist, deren endgültige Gestaltung er freilich erst von eingehenden Einzeluntersuchungen abhängig sein lassen will, kann es nicht ausbleiben, daß trotz alles objektiven Bemühens und alles Eindringens in die Einzel- heiten die Sehnsucht durchscheint, überall Beweisgründe für die eigene Meinung zu sehen und andere Anschauungen trotz mancher Anerkennung im einzelnen bedenklich zu finden. Das dämpft bei diesem kritischen Bande die Freude, daß ein ge- wissenhafter Forscher das ganze, nicht wenig umfangreiche Material der Theorien durchgearbeitet hat, woran es bis jetzt durchaus fehlte. Was nun seine eigene Meinung anbetrifft, so tritt der die objektive Betrachtung erschwerende Umstand hinzu, daß das Hauptgewicht auf die Nachrichten über einen höchsten Gott auf primitivster menschlicher Stufe gelegt wird, dem Eigenschaften der Moral, Güte, Allmacht, Allwissenheit u. dgl. m. bei geringem oder gar keinem Kulte zugeschrieben wer- den, während die weit zahlreicheren Berichte über das gewöhn- liche magisch-religiöse Leben der Naturvölker als etwas Spä- teres, mit der Idee des höchsten Gottes zunächst nicht Zu- sammenhängendes behandelt werden. Die erstere hat dem Ver- fasser nach ihre eigene Psychologie, und diese Isolierung vom

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Übrigen Material ist ihr Grundfehler: Die Gottesidee sei eben die einfachste, ursprüngliche Idee von der persönlichen Ur- sache, bedürfe deshalb keiner weiteren Erklärung, man brauche sie keiner Uroffenbarung zuzuschreiben, aber auch die Ethno- logen dürften nichts dagegen einzuwenden haben, wenn außer der gewöhnlichen psychologischen Entstehung dieser Idee noch eine Uroffenbarung angenommen werde, denn man könne nicht unterscheiden, was dem einen oder anderen zugeschrieben wer- den muß. Diese Idee als etwas siii gmeris erklären, wie es Andrew Lang, ihr Entdecker oder Yerkündiger tat, oder sie einer Uroffenbarung zuschreiben, muß für den Ethnologen völlig dasselbe sein, und das ist auch bisher der sehr berech- tigte Grund gewesen, weshalb die monotheistischen Theorien Andrew Längs wenig Beachtung gefunden haben.

Wie sehr dem Verfasser die Theorie eines 'präanimistischen Monotheismus', dem wir noch später an einem Beispiel näher treten werden, am Herzen liegt, ergibt sich rein äußerlich dar- aus, daß er ihr fast zwei Drittel seines Buches widmet (S. 105 bis 411). Aber auch für die anderen Theorien hat er ent- sprechend seiner Stellung, wie sie seine Gottestheorie nach- träglich unterstützt hat, mehr oder weniger übrig. Dazu kommt noch, daß seiner Definition nach die Religion ^die Anerkennung eines oder mehrerer persönlicher, über die irdischen und zeit- lichen Verhältnisse hinausragender Wesen und das sich Ab- I hängigfühlen von denselben' ist. Deshalb hat für ihn der i Animismus eine große Bedeutung, denn durch den Animismus ' sei erst die Geistnatur des präanim istischen höchsten Gottes ! geschaffen. Doch bemüht er sich, auch der Zauberei, obwohl sie ihm etwas Unorganisches ist, Interesse zu beweisen und behandelt demgemäß auch die von ihm so genannten ^präani- ; mistischen Zaubertheorien', als deren ersten Vertreter er mit , Recht J. H. King Tlie Supernatural, its Origin, Natur e and Evo- lution, 2 Bde., 1892 rechnet, der von den Präanimisten selbst unbeachtet geblieben ist. Der Ausdruck 'präanimistische Zauber-

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theorie' hat nur insofernr Berechtigung, als die Zauberei in eine organische Verbindung mit der Religion gebracht ist, während daneben sowohl im Anfang als auch im Verlauf der Entwicklung ebenso andere Faktoren auftreten wie bei anderen religiösen Theorien. Es ist nun bezeichnend, daß der Gegen- satz zwischen dem Verfasser und dem Präanimismus sich eigent- lich nur auf die grundlegenden Momente beschränkt, die für seine Theorie notwendig sind, und selbst da kommen die Gegen- sätze zum Teil nur künstlich zur Geltung, indem sich P. Schmidt nicht an das Ganze der Auffassung eines Autors, sondern an die einzelne Schrift und darin wieder an den Wortlaut einzel- ner Sätze hält, was besonders deshalb mißlich ist, weil fast alle besprochenen präanimistischen Arbeiten gedrängte, nur Teilgebiete behandelnde Skizzen sind. Der Gegensatz ist wohl auch auf dem Wege zu erklären, daß die Literatur der letzten Jahre^ nicht mehr berücksichtigt ist. So bedingt die im Vor- dergrund der Schmidtschen Theorie stehende göttliche Persön- lichkeit den Einwurf, daß der Präanimismus den Begriff der Per- sönlichkeit und die persönliche wie natürliche Kausalität im An- fang nicht berücksichtige. Projizierung der eigenen Persönlichkeit in viele scheinbar belebte Naturobjekte, die der Verfasser (S. 96) allerdings mit Tylor als Anfang der Naturbeseelung auffassen möchte, ist dem Präanimismus keineswegs fremd. Vielmehr bildet diese Personifikation doch ohne den animistischen Geistgedanken auch für den Präanimisten mit die Grund- lage der Götterentwicklung. Deshalb ist ihm auch die Willens- kausalität nicht fremd und ebensowenig die natürliche Kausa- lität, denn wenn ich z. B. sage, daß im Anfang magische und rationelle Handlungen vollständig durcheinandergehen (Globus Bd. 87 S. 418), so steht eben von Anfang an die Magie im

^ Z. B. S. Hartland im Report of fhe British Ässoc. for the Ädcan- cement of Science, York 1906; s. Archiv XIII S. 425 f, meine Ausfüh- rungen ebenda S. 430. 433. Bedauerlich ist auch, daß das oben be- sprochene Werk von Levy-Bruhl nicht herangezogen ist.

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Kampf mit der natürlichen Kausalität, und letztere setzt sich naturgemäß für gewohnheitsmäßige Wirkungen durch, aller- dings ohne Gewähr für erneute Erfassung durch die magische Auffassung. Der Präanimismus will durchaus nicht die un- persönliche Kraft, das 'Sachliche', zur Alleinherrschaft in der Keligion bringen, sondern dieser Kraft nur die ihr neben den übrigen Faktoren gebührende Stelle zuweisen. Wenn nun noch Schmidt zugibt (S. 480), 'daß die Magie in mehreren ihrer Formen des Animismus nicht erst bedurfte, um ins Leben zu treten, und daß deshalb zum wenigsten die Vermutung sehr nahe liegt, daß sie nicht bloß ohne ihn, sondern vor ihm ent- standen seien', so ist dadurch die Grundlage für eine frucht- bare Diskussion zwischen scheinbar extremen Gegensätzen ge- funden. Neigt der Verfasser dazu, die Magie in der Religion als Anrufungen und Symbole aufzufassen, während die Prä- animisten sagen: 'Es ist Magie, aber zum Teil als Gottesdienst unter göttliches Gebot gestellt', so muß man eben durch ein- wandfreie Materialbeschaffung und Untersuchung im einzelnen weiterzukommen suchen. Man darf bei der Gewissenhaftigkeit des Verfassers hoffen, daß er sich ebensowenig wie die Ethno- logen überhaupt in eine allgemeine Theorie verbohren wird, die doch nur ein vorläufiges Gerüst sein kann, um die gefundenen Bausteine aneinanderzupassen.

In diesem Sinne ist auch die kleine Schrift aufzufassen, die der Referent infolge einer Aufforderung der Verlagsbuchhand- lung über das geistige Leben des geschichtslosen Men- schen für die Sammlung 'Aus Natur und Geisteswelt' ^ ge- schrieben hat. Es erübrigt sich infolgedessen, auf manche an- deren Ausstellungen von P. Schmidt gegen den Präanimismus hier einzugehen, da dort eine gewisse Abrundung meiner ersten Abhandlung 'Ursprung der Religion und Kunst' ^ geboten wird, indem einige nicht genügend belegbare Meinungen aufgegeben sind und mehr das Ganze, einschließlich der primitiven Idee

1 Leipzig 1912. * Globus Bd. 86/7, 1904/5

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eines höchsten Wesens, in seinen verschiedenen Seiten nach dem Stande der augenblicklichen Kenntnisse beleuchtet wird.

In dem Buche von P. Schmidt fällt es auf, mit welcher Sicherheit er seine Idee eines präanimistischen Monotheis- mus exakt zu beweisen hoflFt. Für solche frühen Zeiten der Menschheit, für die selbstverständlich nur Annäherungswerte zu erlangen sind, kann es zwar eine entschiedene Überzeugung von der Wahrheit der eigenen Meinung geben, wie sie der Ver- fasser besitzt, aber er muß sich dessen bewußt bleiben, daß das Material nicht ausreicht. Daß dies aber bei P. Schmidt nicht der Fall ist, zeigt sein Buch 'Die Stellung der Pjgmäen- völker in der Entwicklungsgeschichte des Menschen'^, das der Typus einer Beweisführung zugunsten des höchsten Wesens ist. Freilich der Unterschied zwischen Wollen und Können ist dem Verfasser nicht ganz unbewußt geblieben, da er nach einer Äußerung in der Vorrede des vorhin besprochenen Werkes die Untersuchung wiederholen will, sobald mehr neuere Literatur vorliegt. Die Pygmäenstämme Afrikas und Asiens, von denen er die Andamanesen, Semang, die Negritos der Philippinen, die zentralafrikanischen Pygmäen und die Buschmänner be- handelt, stellt er als die primitivste Urrasse hin, die älter sei als die Quartärmenschen Europas, obwohl eine Verwandtschaft der Stämme untereinander in keiner Weise nachgewiesen ist, und demgemäß betrachtet er seine Erörterung ihrer physischen Merkmale und ihrer Kultur, die das alles beweisen soll, als eine Studie nach exakt historischer Methode. Die Primitivität wird, wie gesagt, sowohl durch anthropologische Merkmale, be- sonders Brachycephalie und Kraushaarigkeit, als auch durch den ethnologischen Kulturbesitz, da er jünger sei als der austra- lische, 'bewiesen'.

Was das erstere betrifft, so ist bereits von einem anthro- pologischen Fachmann, J. Czekanowski^, nachgewiesen worden,

^ Stuttgart 1910. XI und 315 Seiten. « Zeitschr. f. Ethnol. 1910 S. 830 f.

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daß Kurzköpfigkeit und Kraushaarigkeit, die nur bei den Pyg- mäen vorkommen sollen, auch bei großwücbsigen Menschen, nämlich den östlichen Bantu, vorhanden sind. Ebenso kann ich den * Beweis' aus dem materiellen Kulturbesitz, z. B. daß die Pygmäen die Erfinder von Bogen und Pfeil sind, nur denen überlassen, für die die geringsten Anhaltspunkte zur exakten Lösung der schwersten Probleme genügen. Für uns haben nur soweit man bei diesen Prämissen noch von Interesse sprechen kann die Folgerungen des Verfassers für das religiöse Leben Interesse. Da die Pygmäen sich bei aller Einfachheit ihres Kulturbesitzes durch Intelligenz, hochstehende Sittlichkeit, Mono- gamie, Friedfertigkeit, Wahrheitsliebe, soziale Fürsorge und eine Reihe anderer Tugenden auszeichnen und ihre Religion in einem ethischen Monotheismus bestehe, so glaubt der Ver- fasser in diesem Buche über ein ungeheueres Leichenfeld der bisherigen Theorien zu schreiten so ähnlich drückt er sich aus , denn sie alle, die ja nicht historisch oder evolutioni- stisch, sondern ideologisch seien, müßten nun fallen. Schade nur, daß der Ethnologe, der an sehr vielen Naturvölkern ein sittliches, den Forscher herzlich berührendes Verhalten neben minder erfreulichen Zügen findet, an dem monotheistischen Rausche des Verfassers bei dem Mangel an Nachrichten über die Pygmäen und seinen gewaltsamen Versuchen, alles Störende fortzuinterpretieren, nicht teilhaben kann. Ein klassisches Bei- ; spiel bilden die Andamanesen, über die noch die meisten Nach- richten von drei Gewährsmännern vorliegen. Wie da nicht nur bewiesen wird, daß alle mythologischen Züge zu dem höchsten Wesen Puluga erst später hinzugekommen sind, und wie trotz der nur gedanklichen Beziehungen der Menschen zu ihm durch- aus auch Verehrung, ein Primi tialopfer an Früchten, Gebete, iLiebe und Dankbarkeit nachgewiesen werden, oder, wo die '[Quellen das Gegenteil bekunden, der Satz zu Hilfe genommen wird, daß die Quellen hier nicht ausreichen das mag man selbst nachlesen (S. 192 ff.). Daß er nicht geboren und un-

i 35*

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sterblich, Schöpfer, * scheinbar' allwissend und allmächtig, gütig, Lehrer des Volkes und Hüter der sittlichen Ordnung ist, dürfte so lange nicht merkwürdig erscheinen, als authentische Texte zeigen, daß damit Auffassungen verbunden sind, die über das gewöhnliche Vorkommen solcher Formulierungen bei beliebigen Gottheiten vieler anderer Kulturvölker hinausgehen. Auch was der Verfasser als Primitialopfer anspricht, das Nichtgenießen junger Früchte bis zu gewissem Zeitpunkt, ist doch etwas sehr Gewöhnliches, aber es dürfte schwer sein, immer den Ursprung anzugeben. Es wäre auch zu erwägen, ob die teilweise einen biblischen Anstrich verratende Erzählung von Puluga nicht gewandert ist. Die 'historische Methode' arbeitet ja auch sonst so sehr mit Übertragungen und Schichtungen. Als Entstehung des Gottes Puluga und ähnlicher höchster Wesen möchte ich dem Verfasser vorschlagen, große flächenhafte Gebilde, wie den Nacht- oder den Taghimmel, als Personifikationen anzunehmen. Solche Personifikationen sind früh möglich, wie ich schon in meiner Nayarit - Expedition S. LXIX und in dem vorhin er- wähnten Büchlein ausgeführt habe; die Gottheiten würden sich auf natürliche Weise in das übrige Pantheon einordnen, ihre Verbindung mit Elementen der Natur, Wind, Blitz, Feuer. Himmel, Gestirnen usw., würde sehr gut zu verstehen sein, und ebenso ihre Weltferne und Güte und das Schweben über dem Ganzen ohne praktisches religiöses Band. Freilich, "^exakt- historisch' wäre das nicht, aber nach den bisher vorliegender Proben muß man vor der 'exakten Historie' in der Ethno- logie, namentlich sobald sie sich über weite Gebiete ausdehnt Furcht haben. Hoffen wir daher, daß auch der zweite Banc des 'Ursprungs der Gottesidee' weniger 'historisch' ist, als de- Verfasser in Aussicht stellt, und wir die vom Verfasser beizu bringenden, jedenfalls sehr beachtenswerten Tatsachen als bloß' evolutionistische oder, wie er sagt, ideologische Schichtungei ohne Kopfschütteln über unhaltbare historische Prämissen ge nießen können.

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In dem Buche von H. Vis eher, Religion und soziales Leben bei den Naturvölkern^, lernen wir die Auffassung eines Theo- logen kennen, was sich aber nicht durch Konstruktionen, son- dern nur durch gelegentliche Bezugnahmen bemerkbar macht. Um jedoch vorurteilslos dem religiösen Leben nachgehen zu können, das sich bereits in den allerniedrigsten und primitivsten Formen der Zauberei offenbare, ist es für den Verfasser not- wendig, eine persönliche Perspektive zu gewinnen, indem er durch den Sündenfall, durch die autonome menschliche Selbst- bestimmung, die heilige Einheit des transzendenten und imma- nenten Wesens Gottes im Menschen zerstört sein läßt, wodurch das Tasten und Suchen nach der Gottheit begann. Diese An- sicht scheint auch in seiner Erklärung der höchsten weltfernen Gottheit mancher primitiven Stämme durch Degeneration etwas nachzuwirken. Er gibt nicht eine vollständige Entwicklung der Religion, da besonders die Entstehung der Götter aus rudimentären Anfängen und die Darstellung der einzelnen Typen fehlt, sondern begnügt sich mit den niedrigeren Formen der Zauberei, des Fetischismus, Totemismus, der Tabus und des Ahnen- kults und behandelt die Familienformen, die politische Organi- sation und die gesellschaftlichen Verbände: Geschlechtsgenossen- schaften, Altersklassen, Geheimbünde usw. In der Annahme der vollkommenen Durchdringung des sozialen Lebens durch die Religion, wie es auf primitiven Stufen der Fall sei, liegt die Berechtigung für das Buch. Doch ist der Verfasser nicht geneigt, Institutionen, die nicht ohnehin allgemein als religiös beeinflußt anerkannt werden, z. B. die Familienformen, Exo- gamie usw., in Abhängigkeit von der Religion zu behandeln, so daß die beiden Themata vielfach selbständig nebeneinander herlaufen. Besondere Ideen verbindet er mit der Entstehung des Ahnendienstes, dem er mehr soziale Bedeutung zuschreibt, als gemeinhin angenommen wird. Die Ahnen seien nämlich die Ursache des Beharrens in allen Sitten und Gebräuchen,

^ 2 Bde., VI und 286, Yll und 573 Seiten 8«, Bonn 1911.

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und wie der Yater im Leben die Stütze der Familie sei, so sei er das auch nach dem Tode. Eher möchte man umgekehrt eine Verehrung der Ahnen darauf begründen, daß infolge der Beharrung in alten Zeremonien und Sitten es allmählich zum Bewußtsein kommt, welchen Anteil die Vorfahren an der Ein- führung haben. Weiter wird die Bedeutung des geschlecht- lichen Elementes in der Religion, die Zauberkraft des Phallus und der Nacktheit u. dgl. m. mit dem Ahnendienst in Verbin- dung gebracht. Es bestehe an sich eine Art Wechselwirkung zwischen sexuellem und religiösem Leben, in denen beiden die höchsten Affekte verborgen liegen, weshalb z. B. auch ge- schlechtliche Begehungen vor heiligen Handlungen verboten seien. Anderseits trete die Lebenskraft der Natur und des eigenen Geschlechts in Parallele. Die schaffenden Naturmächte würden personifiziert, man komme zu ihnen in religiöse Be- ziehung und ebenso zu den Vorfahren. In beiden präge sich die Fruchtbarkeit verleihende Kraft aus. Daher seien z. B. auch die Ahnenbilder an der Nordküste von Neuguinea mit großen Geschlechtsteilen ausgestattet. Die Bedeutung der Vorfahren für die Fruchtbarkeit ist sicher in einzelnen Fällen richtig. Die Verallgemeinerung und die Folgerungen: zauberische Eigen- schaft des Phallus u. dgl. m. ist wohl kaum anzunehmen. Für obszöne Ackerbaukulte fehlt der Beweis des Zusammenhanges mit den Ahnen.

Im allgemeinen dürfte das Werk eine annehmbare Einfüh- rung in die Tatsachen sein, auch der Grundgedanke, die Durch- dringung des primitiven sozialen Lebens durch die Religion im weitesten Sinne, ist anzuerkennen. Nur fehlt in mancher Hin- sicht die psychologische Vertiefung, wie sie die Theorien der neueren Zeit gebracht haben. Zuweilen tritt auch an die Stelle einer Erklärung ein teleologischer Gesichtspunkt. So wird die Exogamie folgendermaßen erläutert: Es gehöre zur Natur des Menschen, daß er blutschänderische Ehen verabscheut. Diesen Abscheu habe er deshalb, weil bei solchen Ehen die Mensch-

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heit ihre Bestimmung nicht erreichen würde. Man habe gleich- sam intuitiv eine Ahnung gehabt, daß Unfruchtbarkeit und Degeneration die Folgen davon sein würden. Letzteres ist übrigens, wie bekannt, in keiner Weise bewiesen. Was seine Quellen anbetrifft, so hat er seine Belege in den meisten Fällen aus guten Originalberichten geschöpft, geht jedoch zuweilen •nur auf bearbeitetes Material zurück, das besser nicht benutzt worden wäre, z. B. J. G. Müller, Geschichte der amerikanischen ürreligionen 1855 und Z. Nuttall The Fundamental Principles of Old and New World Civilizations,

Martin P. Nilsson, Primitive Religion^, entwirft in ge- drängten Umrissen, indem für jedes Kapitel ein paar allge- meine Werke als Quelle angeführt werden, ein vielseitiges Bild der Religion der Naturvölker. Der Verfasser gliedert stofflich, nachdem er die psychologischen Grundlagen (Magie, Anima- tismus, Magie und Religion usw.) im Gegensatz zur historischen Methode behandelt hat: Tier- und Pflanzenkult, Entstehung des Polytheismus, Menschenkultus, Grab- und Seelenkultus, Opfer und Gebet, Zauberer und Priester usw. Es ist ihm we- niger um eine innere Entwicklung, als um eine Darstellung des Tatsächlichen zu tun, wobei er sich mit den ethnologischen Anschauungen im allgemeinen vertraut zeigt. Eine fortlaufende, jedoch sehr summarische Entwicklung gibt er nur für die Ent- stehung der Götter. Dabei geht er von Maretts Bezeichnung: Animatismus für alle scheinbar belebten Naturobjekte und die Numina aus, verwirft mit Recht Useners Idee des Augenblicks - gottes, unterscheidet individuelle und kollektive (Gattungs-) Numina, von denen erstere zeitlich voranstehen, läßt durch den Kult den persönlichen Gott entstehen und berührt schließ- lich die Übertragung des menschlichen Seelenbegriffs auf die Gottheit als etwas sehr Wichtiges, indem dadurch z. B. die Scheidung des Stofflichen und Geistigen vorgenommen wird

^ Beligionsgeschichtl. Volksbücher III. Reihe, 13./ 14. Heft, Tübingen 1911. 124 Seiten 8<».

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und das Numen so nicht mehr an den Stoff gebunden ist. Leider fehlen hier Beispiele, so daß man nicht weiß, was der Seelenglaube noch soll, nachdem die Entwicklung der Götter so weit gediehen ist. Viel zu sehr wird der Totemismus bei dem Tierkult vorgeschoben und zu sehr außer acht gelassen, daß er sich nur auf ein Tier bei einer Gruppe bezieht. Die Furcht bei der Entstehung der Numina wird etwas einseitig betont. Die frühen kultarmen monotheistischen Gottheiten Andrew Längs sind nach ihm bloße Erzeugnisse des Mythus, und darin liegt manches Wahre.

Eine streng stoffliche Gliederung weist der besonders viel Material aus der Völkerkunde verwendende Aufsatz von Ed- vard Lehmann, Erscheinungswelt der Religion^, auf. Jedoch ist nur eine sehr summarische Quellenübersicht gegeben. Das ganze, schier unbegrenzte Material wird unter den Überschriften Heilige Bräuche, Heilige Worte, Heilige Menschen zusammen- gefaßt. Die 'heiligen Bräuche' enthalten Magie und Kultus, die fast unmöglich zu trennen seien; die 'heiligen Worte' u. a. auch Mythen und Götterlehre; die 'heiligen Menschen' zugleich alle äußeren Mittel und Tätigkeiten, wodurch Menschen in einen besonderen Zustand versetzt werden: Pubertätsweihen, zeremonielle Vorbereitungen für Krieg, Jagd usw. Die Bedeu- tung liegt in der systematischen Anordnung. Aus der zweiten Auflage von Edvard Lehmann, Die Anfänge der Religion und die Religion der primitiven Völker* (vgl. Archiv XIII S. 424), erwähne ich die Auffassung des Totemismus als Eta- blierung einer Menschengattung durch feste Verbindung mit einer Naturordnung, hier also einer Tiergattung usw. Das ist ein Gedanke, den ich unabhängig vom Verfasser auch in meiner oben erwähnten Schrift in etwas anderer Weise verfolgt habe.

* In Gunkel und Scheel Die Beligion in Geschichte und Gegenwart II 1910 Sp. 497—578.

' Paul Hinneberg Die Kultur der Gegemvart, Berlin und Leipzig 1913, I 3 S. 1—32.

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Der jüngst verstorbene Lord Avebury hat in einem Buche Marriage^ Totemism and Religion, an Answer to Critics^ noch kurz vor seinem Tode Gelegenheit genommen, einige seiner Theorien, die er unter dem Namen JohnLubbock in den be- kannten Werken Prehistoric Times 1865 und The Origin of Civilization and the Primitive Condition of Man 1868 aufgestellt hat, gegen Einwürfe und seitdem aufgekommene andere Theo- rien zu verteidigen und aufrecht zu erhalten. Dadurch wird eine ganze Reihe von Meinungen über die betreffenden Themata während des verflossenen Zeitraums von fast 50 Jahren durch kurze Zitate vor unseren Blicken entrollt, so daß man sich daraus besonders über die Anschauungen von Ehe, Exogamie und Totemismus, wenn auch etwas einseitig, informieren kann. Die Theorien Lord Aveburys sind freilich trotz aller Be- mühungen dadurch nicht zu retten. Und auch die Beweis- führung, namentlich bezüglich der Annahme, daß eine wirk- liche Religion unter den niedrigst stehenden Völkern nicht vorhanden sei, steht' in der summarischen Anführung von Ur- teilen der Berichterstatter im Gegensatz zur heutigen genaueren Forschung. Der Verfasser setzt an den Anfang die Gemein- schaftsehe, aus der durch Weiberraub der persönliche Besitz eines Weibes und die Exogamie hervorgegangen sei. Der To- temismus sei durch entsprechende Tiemamen für den Anführer einer Gruppe entstanden, indem die Benennung auf die ganze Gruppe übertragen worden sei. Wenn er den niedrig stehenden Naturvölkern die Religion abspricht, so erklärt dies sich dar- aus, daß er die Magie, der er ein besonderes Kapitel widmet, die Seelen der Verstorbenen sowie Geister und Dämonen nicht dazu rechnet. Zum Gotte und zur Religion gehören seiner An- schauung nach Anbetung und Opfer. Deshalb polemisiert er auch besonders gegen A. Längs High-God-Theorie, deren 'Götter' eben keine seien; ihr Wesen erschöpfe sich vielmehr in dem Ausdruck 'mythische Persönlichkeiten'.

^ London 1911. VIII und 243 Seiten 8°.

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Das Büchlein von F. B. Je von s The Idea of God in Early Beligions^ gehört scheinbar nicht mehr in die religionswissen- schaftlichen Untersuchungen hinein, denen das Archiv dient, denn es hält sich in der Qrundauffassung nicht mehr objektiv an die religiösen Erscheinungen, sondern an die Erfahrungen des eigenen Ich, in denen die Idee von Gott und das wahre Sein Gottes vermittels des Glaubens nebeneinander wohnen, während die Idee von der Gottheit für sich allein nichts mehr als bloße Worte sei. Neue Religionsformen seien daher stets nur Wiedergeburten, die nicht auseinander entspringen, sondern aus der Seele des Menschen, in dem sich die Idee von der Gottheit findet. Doch spricht er daneben wenigstens noch von einer ausstrahlenden, zerstreuenden Bewegung der Ent- wicklung gegenüber der irrigen Annahme einer fortlaufenden Linie, und aus diesem Gesichtspunkt lassen sich seine Anschauungen sehr wohl verstehen. In der Religion sei alles in einer unbestimmten Art schon so vorhanden gewesen, wie wir selbst die Gottheit betrachten, und alles Abweichende seien Abirrungen. Es genügt daher, etwas von des Verfassers Anschauungen in der Reihen- folge seines Buches anzuführen, ohne unserseits Einwendungen dagegen oder Zustimmungen vorzubringen.^

Einen engen Zusammenhang zwischen Magie und Religion läßt er nicht gelten. Erstere sei mehr zugunsten des Indi- viduums da, letztere für das Wohl der Allgemeinheit. Wunder- tuende Propheten und Zauberer gingen aber beide auf eine gemeinsame Grundform zurück, und ebenso trete die Zauberei in der Religion unter die Obhut der Götter. Derselbe Unter- schied des individuellen und des Gesamtwohls bestehe zwischen Fetischen und Göttern, auch für diese beiden gebe es eine ge- meinsame Form in der Vergangenheit. Dämonen seien namen- los, Götter persönlich. Von Anfang an seien die Götter mora-

^ Cambridge 1910. X und 170 Seiten kl. 8^

^ Vgl. Archiv XIII S. 414, Besprechung von Jevons Introduction to the Study of Comparative HeUgion.

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lisch, entsp rechend der Moral der Gesamtheit, und von Anfang an sei die unbestimmte Idee einer persönlichen Gottheit vor- handen gewesen, die größer ist als der Mensch, und die Ent- wicklung dieser Idee zu klareren Vorstellungen sei die Ge- schichte der Religion. Es wird nun die Gottesidee im Mythus, im Kult und im Gebet gesondert behandelt. Der Polytheismus sei die Grundlage des Mythus, weshalb da, wo Mythen exi- stieren, vorher Götter bestanden haben müssen, und wenn z. B, die Australier Mythen von einer Gottheit haben, der keine Verehrung dargebracht wird, so sei das eben früher der Fall gewesen. Die Gabentheorie do ut des sei erst allmäh- lich als Abirrung von der wahren Religionsübung entstanden. Der Gläubige habe vielmehr etwas dargebracht, um seinen Wunsch, der Gottheit zu gefallen, dadurch zu symbolisieren: Dankopfer, Versöhnungsopfer, gemeinsames Mahl mit der Gott- heit. Wo das Opfer selbst, z. B. wie in Mexiko der Mais, gött- lich und Gott wurde, sei es wegen mangelnder Individualität der Gottheit geschehen. Überwiegt der Kult wie in australi- schen Riten, so sei eben früher eine Gottheit dabei vorhanden gewesen. Die Magie als Ursprung der Religion aufzufassen, sei jetzt von allen Gelehrten aufgegeben. Diese irrige Ansicht sei daher gekommen, daß die Religion auf niedrigen Stufen j öfters in Zauberei versinke. Zauberspruch und Gebet gingen I auf einen gemeinsamen Ursprung zurück; sie drückten beide I den Wunsch aus, und der Primitive sei nicht in der Lage ge- j wesen, beides klar zu unterscheiden. Anfangs sei auch das Gebet oder der Zauberspruch nicht vorhanden gewesen, und I bloße Symbole hätten genügt.

I Wilhelm Wundt, Elemente der Völkerpsychologie, Grund- 1 linien einer psychologischen Entwicklungsgeschichte der Mensch- heit^, fußt, soweit die Religion in Betracht kommt, auf seinem größeren Werke Völkerpsychologie II, 3 Teile, das bereits im vorigen Bericht (Archiv XIII S. 401 ff.) ausführlich gewürdigt ^ Leipzig 1912. XII und 523 Seiten 8^

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worden ist. Hier ist aber die gesamte Entwicklungsgeschichte der Menschheit in gedrängterer Kürze (leider ohne Quellen- angaben) gegeben, so daß eine straffere Gliederung notwendig wurde und eine Übersicht über die Meinung des Verfassers leichter zu gewinnen ist. Nach diesen beiden Richtungen hin sei daher auf das Buch noch einmal kurz eingegangen, zumal es dank den Vorzügen der Schreibweise und der Durcharbei- tung des Materials auch abgesehen von dem berühmten Namen des Verfassers eine weite Verbreitung erlangen wird. Meine Bedenken bezüglich der Seelentheorie Wundts und der Ablei- tung des Zaubers, des Totemismus, Fetischismus sowie der ge- samten Religion von ihm sind freilich ebenso stark wie in der oben erwähnten Besprechung des Hauptwerkes. Ich brauche daher nicht mehr darauf einzugehen. Als Ganzes genommen steht das Buch der Ethnologie sehr nahe, da auch diese des psycho- logischen Durchdenkens der Erscheinungen nicht entbehren kann. Ob in der Behandlung eine Domäne der Völkerpsycho- logie erblickt werden kann, möchte ich bezweifeln. Auf alle Fälle aber darf man sich freuen, daß Wundt sich dieser Arbeit unterzogen hat.

Durch die Konzentration und das Streben nach einer über- sichtlichen Entwicklung läuft die Darstellung Gefahr, schema- tisch zu werden, was schon an und für sich durch die Grund- lage der Seelentheorie gegeben ist. Wundt behandelt nämlich sein Thema nach vier aufeinanderfolgenden Perioden, von denen eigentlich nur zwei: das totemistische Zeitalter und das Zeitalter der Helden und Götter, übrig bleiben, da von den Erscheinungen, die Wundt und den Ethnologen am Herzen liegen, in das erste des primitiven Menschen und das letzte, das der Huma- nität, wenig hineingehört. Ja, wie wir sehen werden, reprä- sentiert auch das Zeitalter der Helden und Götter gar nicht mehr die Stufe der Naturvölker. Nun ist aber mit dem Unter- schied zwischen dem totemistischen Zeitalter und dem der Helden, wie ersichtlich, die Hineinpfropfung alles dessen, was

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sich in der Idee auf Tiere bezieht, in das eine, und was sich auf den Menschen bezieht, in das andere ohne weiteres ge- geben. Es läßt sich jedoch nur mit einiger Wahrscheinlich- keit sagen, daß aus anthropomorphen Auffassungen schwer die Tiergestalt wird, nicht aber, daß Mensch und Tier nicht von jeher gleichzeitig in der religiösen und künstlerischen Ideen- welt der Naturvölker bestanden haben. Auch erhält man von der wirklichen Bedeutung des Totemismus ein ganz falsches Bild, wenn man schlechterdings alles, was mit dem Tierkult zusammenhängt, darauf zurückführen will. Selbst alle Tabu- gesetze sollen von dort ihren Ursprung nehmen. Nimmt man nur die gewaltige Kluft zwischen Stammes- und Individual- totemismus, so kann die Einsetzung derselben Wurzel für so vieles andere nicht mehr befriedigen. Zudem ist der Totemis- mus an sich durchaus nicht überall verbreitet, und man darf auch nicht annehmen, daß er überall vorhanden gewesen ist. Es ist daher völlig unmöglich, von einem totemistischen Zeit- alter zu sprechen. Die Ausbildung der totemistischen Sippe sei in dieser Periode erfolgt, und mit ihr die Exogamie, die äußerst rationalistisch von einer Raub- und Tauschehe inner- halb des Stammes hergeleitet wird. Alle die wunderlichen strengen Verbote der Meidung naher Verwandten und der Hei- rat innerhalb des Clans seien erst eine Folge der Exogamie. Sehr lehrreich und klar ist im * Zeitalter ier Helden und Götter' die Entstehung der Gottesvorstellung. Wundt rechnet dazu den besonderen Wohnort, die Unvergänglichkeit und die übermenschliche und doch zugleich menschliche Persönlichkeit. Sehr wichtig sei dabei das Hinzutreten des Heldenhaften zu den Dämonen, den Personifikationen aller möglichen Natur- elemente. Dadurch erlangten die Götter die Individualität und Unabhängigkeit von der Naturgrundlage, den eigenen persön- lichen Willen, während neben ihnen dämonische Wesen fort- bestanden. Stellt man diese Forderungen an die Gottheit auf, so muß man aber sofort hinzufügen, daß die Naturvölker samt-

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lieh noch nicht zu dieser Höhe einer Gottheit fortgeschritten sind, ebensowenig Halbkulturvölker wie die Mexikaner. Die Götter sind vielmehr alle noch von den vertretenen Naturele- menten mehr oder weniger abhängig. Anderseits zieht dann Wundt die Grenze für die Dämonen viel zu enge, da sie meist irdische Wesen sein oder ihren Wohnsitz höchstens in den Wolken haben sollen. Tatsächlich haben die Dämonen dieser Art ebenso als Gestirne den Himmel inne. Wundt läßt also für die Schilderung der persönlichen Dämonen, die weder in das totemistische, noch in das Zeitalter der 'Helden und Götter' gehören, zu wenig Raum. Tatsächlich erwachsen sie noch in enger Verbindung mit den tierischen Dämonen, die dem tote- mistischen Zeitalter zugeschrieben werden. Ebenso finden die pantheistischen Ideen der Naturvölker, wie sie sich z. B. in dem Manitu der Algonkin offenbaren, und ihre Vorstufen in dem Buch keinen Raum. Ziehen wir alles das in Betracht, so möchte man doch weit mehr Gewicht auf das Gefühl der Ab- hängigkeit von höheren Mächten legen, wie es sich in den Kulthandlungen offenbart, als auf die idealistische menschliche Persönlichkeit der Gottheit, wenn wir überhaupt die Begriffe Religion und Gott begrenzen wollen. Tritt doch schon in jeder Zauberkraft des Menschen oder eines Objekts das Herr- schen der Idee, die Abwendung von der Wirklichkeit und die Sehnsucht nach« Höherem hervor. Wundts Definition hat also nur für unsere modernen Anschauungen, nicht aber für die Menschheit als Ganzes Berechtigung. Mag man aber im ein- zelnen genug Einwendungen erheben, so wird man doch durch die Großzügigkeit in dem dargebotenen Bilde der menschlichen Entwicklung und durch die Fülle der Gesichtspunkte in der entwicklungsgeschichtlichen Gruppierung der Tatsachen immer wieder fortgerissen. Namentlich geschieht das auch durch die eingehende Betrachtung, die der Verfasser den einen so ge- waltigen Raum im Leben der Naturvölker und der späteren Zeit einnehmenden mythischen Erzählungen widmet. Bemer-

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kenswert ist hier besonders die Frontstellung gegen die Mond- und anderen Himmelsmythologen wenigstens insofern, als der Nachweis irgendwelcher Himmelsmotive in einem Mythus durch- aus nicht die Identifikation des Helden, eines Ortes oder eines Vorgangs mit einem Himmelskörper oder seinen Bewegungen beweise, sondern lediglich das Vorhandensein assoziativer Ele- mente dartue Dadurch werde der irdische Vorgang eines Mythus oder eines Mythenmärchens, wie Wundt das ursprüng- liche Zaubermärchen nennt, ebensowenig geändert, wie eine Gottheit durch einen solchen Zug zu einem bestimmten Ge- stirn gestempelt wird. Es dürfte wohl lohnen, diesem Gedanken nachzugehen.

Eine allgemein gültige Darstellung des religiösen Lebens will auch das Werk von Emile Durkheim Les formes ele- mentaires de la vie religieuse, le Systeme totemiqiie en Australien bieten, obwohl es sich nur mit dem Totemismus der Australier beschäftigt. Der Totemismus sei nicht, wie man allgemein glaubt, eine Erscheinung, die der Erklärung aus der magisch- religiösen Sphäre bedürftig ist, sondern bilde selbst den Ursprung für Zauberei und Religion. Der Ausgangspunkt für diese These sind die sozialen Kräfte, die jeder einzelne bei zeremoniellen Handlungen der ganzen Gruppe vermittels der I allgemeinen Erregung in sich entfesselt fühle. Die religiöse i Kraft, die er Mana nennt, sei nichts anderes als die kollektive 1 anonyme Kraft des Clans, und diese sei nur unter der Gestalt ! des Totems vorstellbar. Man brauchte dafür einen Namen und j ein Emblem und fand es in einem Tier oder in einer Pflanze, die in der Nachbarschaft des Versammlungsortes der Gruppe am häufigsten war, und zwar sei das Tier als das für diese Jäger und Fischer wesentlichste Element der ökonomischen Umwelt zuerst maßgebend gewesen und dann als sekundäres Element die Pflanze hinzugekommen. Wesentlicher noch als der Name seien die Embleme gewesen, in denen sich die Kraft ^ Paris 1912. 647 Seiten 8^

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der Gesellschaft wie in einer Fahne symbolisierte, wi-e das Churinga, Nurtunja usw. Das soziale Mana sei in dem Totem- vorfahren verkörpert, jeder einzelne fühle einen Teil dieser un- persönlichen Kraft, des Wesens des Totems in sich, es indivi- dualisiere sich in jedem einzelnen und gelange bei der Geburt in das einzelne Individuum, indem es von dem Totemvorfahren in die Mutter eingehe. Wirkliche und ideelle Objekte gingen da durcheinander, und so entstehe aus dem Begriff der Seele der Gesamtheit der individuelle Seelenbegriff, der logisch, aber nicht zeitlich auf das soziale Mana gefolgt sei, vielmehr mit diesem gleichzeitig bestehe. Aus dem Bewußtsein der sozialen Kraft, die sich im Totem verkörpert, folge auch die Zauber- kraft der einzelnen, besonders auch des Blutes, das in den Zeremonien eine so große Rolle spielt, und des Haares. Die Geister und Götter entspringen dem Seelenbegriff. Sie seien die mythischen Vorfahren, wie z. B. die Alcheringa, die im Anfang der Zeiten auf Erden gelebt haben; andere entwickeln sich an den heiligen Plätzen, Quellen, Felsen, Bäumen usw., wo sie für den ganzen Clan Bedeutung gewinnen. Dazu kom- men die bestimmten Ahnen als persönliche Beschützer jedes einzelnen. Über den Clan hinaus haben die Ahnen Bedeutung, die Kulturgüter gebracht und Gebräuche eingeführt haben, über deren Einhaltung sie Wache halten, und diese wiederum bilden den Übergang zu den bekannten höchsten Göttern, den Schöpfern der Welt.

Die Betrachtungsweise Durkheims ist nur daraus zu ver- stehen, daß ein verstandesgemäßer Anfang des religiösen Lebens nicht einwandfrei festzustellen ist. Daß die gemeinschaftliche Erregung das grundlegende Bewußtsein der übernatürlichen Kraft und schließlich der Gottheit hervorbringt, verschiebt nur das Problem, indem der auch sonst heute vielfach verfolgte] Gedanke, daß die Gesellschaft besonders in den religiösen! Untersuchungen an die Stelle des einzelnen zu treten hat, auf die Spitze getrieben ist. Meines Erachtens ist überhaupt mit

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einer solclien Auffassung nur insoweit etwas gewonnen, als die Gruppe in bezug auf sich selbst, ihre Zusammengehörigkeit und Zusammenfassung zu einem einheitlichen Wesen bestimmte Anschauungen zeitigt, und auf dieser Grundlage kommt in erster Linie der Totemismus in Betracht. Der Fortschritt des Werkes beruht also darauf, daß der Totemismus nicht aus son- stigen religiösen Erscheinungen, sondern als sui generis erklärt wird. Daß er aber selbst zur Erklärung für alles übrige dienen ßoU, ist, wie gesagt, eine unverständliche Übertreibung der Ge- sellschaftsidee und schon aus dem Grunde nicht angängig, weil er durchaus nicht überall verbreitet ist. In Australien, das der Verfasser allein betrachtet, spielt er allerdings eine bedeutende Rolle. Weil nun aber der Verfasser die Verbindung des Totemismus mit den Anschauungen und Zeremonien der Australier im einzelnen verfolgt und eine geistvolle, genau durchdachte Darstellung der Entwicklung gibt, so wird man vieles daraus lernen können, auch wenn man mit der Idee des Ganzen nicht einverstanden ist. Und niemand wird sich dem Schwünge der Darstellung entziehen können, in der die Reli- gion als Grundlage aller geistigen Errungenschaften der Mensch- heit hingestellt wird. Doch ist es hier nicht angebracht, auf diese tief philosophischen Betrachtungen einzugehen. Ebenso ist leider die eindringende und teilweise sehr treffende Kritik anderer Anschauungen vom Ursprung der Religion nicht möglich zu erörtern. Nur die scharfe Ablehnung der Tylorschen Theorie sei erwähnt. Man muß das Buch lesen, eine dürre Inhaltsangabe, wie sie hier vorgenommen ist, kann ihm nicht gerecht werden.

Es sind nur noch einige programmatische Skizzen bzw. Kritiken der Auffassung über primitive Religion kurz zu er- wähnen. A. Titius hielt auf dem IV. Internationalen Religions- ; kongreß in Leiden einen mit vielem Beifall aufgenommenen Vortrag 'Der Ursprung des Gottesglaubens', dessen Leitsätze in den Akten des Kongresses vorliegen.^ Es müsse eine Stufe

^ Actes, Leiden 1913 p. 64 f.

Archiv f. Eeligionswiasenschaft XVII 3g

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der Prähistorie angenommen werden, wo der Gottesglaube noch nicht vorhanden war. Er sei nicht identisch mit der Annahme übermenschlicher Kräfte (Geister), sondern setze Handeln mit Beziehung auf das Subjekt und Verehrung durch dasselbe vor- aus, sei also von der Magie prinzipiell zu unterscheiden. Die Mannigfaltigkeit von Seelenkult und Götterkult weise auf eine ursprüngliche Divergenz hin. Trotz des Alters henotheistischer Tendenzen sei es unmöglich, sie zum religiösen Ausgangspunkt zu machen. Die aufgestellten methodologischen Grundsätze mit ihrer Verbindung historischer, psychologischer und prinzi- pieller Erwägungen nebst evolutionistischer, den Idealismus nicht ausschließender Auffassung sind auch für den Ethnologen recht annehmbar. Auch die Magie als ein Teil des Gottes- dienstes kam in dem Vortrag mehr zu ihrem Recht, als es die kurzen Leitsätze andeuten. Unklar bleibt nur die Stellung der Magie an sich, wo sie sich nicht mit der Religion vereinigt. Sehr beachtenswert ist auch die einige Kernpunkte scharf heraushebende Abhandlung von E. W. Mayer, Zur Frage vom Ursprung der Religion^, die ebenfalls wie die vorige die inter- essierte Meinung eines Theologen über den Wert der Religions- forschung auf dem Gebiet der Naturvölker enthält. Hierin ist besonders die Forderung fruchtbar, daß die Frage nach der ersten Religionsform und ihrer Entstehung zurückzustellen sei hinter der Frage nach den bleibenden Motiven der Religion überhaupt. Er ist daher in der Lage, den empirischen Er- scheinungsformen der Religion ohne jede Voreingenommenheit und Erregung gegenübertreten zu können, denn der christliche Standpunkt ist mit Recht gewahrt, sobald in jedem Menschen die natürliche Anlage zu Religion und Sittlichkeit vorausgesetzt werden darf. Auf diese Weise vermag er sogar mit einer ge- wissen Vorliebe bei dem Präanimismus oder, wie er lieber sagt, dem Dynamismus zu verweilen, indem selbst die Anerkennung einer noch unpersönlichen Macht, von der man sich abhängig ^ Theologische Mundschau XVI S. 1—12, 33—48.

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fühlt, bereits als etwas Religionsartiges aufzufassen sei. Und wenn er hierin Maretts Betrachtungsweise eine gesunde nennt, so erscheint ihm sogar in Übereinstimmung mit meinem Stand- punkt das reflektierende Bewußtsein gegenüber dem tierischen Triebleben als eine fundamentale Bedingung für das Aufkommen der Religion. Im übrigen bieten ihm aber auch die verschie- denen präanimistischen Anschauungen genug Anlaß zur Kritik, z. B. auch mit Recht das Zusammenwerfen von Manitu, Orenda, Mana, da sie sehr verschiedenartig seien. Infolge seines Stand- punktes der bleibenden religiösen Werte ist ihm die Tylorsche Theorie, die eine ihrer Hauptwurzeln in den Nachtgesichten schlecht verdauender Wilden habe, sehr fragwürdig. Das ist um so bemerkenswerter, als der Animismus in theologischen und philologischen Kreisen vielfach so eingewurzelt ist, daß er auch in seinen unberechtigten Auswüchsen unausrottbar erscheint. Der Henotheismus Andrew Längs und des P. W. Schmidt, so sehr der Verfasser sich für die zugrunde liegenden Tatsachen interessiert und eine Erklärung dafür wünscht, ist ihm als natürlicher Anfang der Religion durch bloßen Kausalitäts- und I Personifikationsdrang ebenfalls völlig unmöglich. Es weht in j seinen Ausführungen überall ein frischer Wind, so daß man I hier auf kurzem Raum in alle neueren Theorien der primitiven I Religionswissenschaft prägnant eingeführt wird und durch allen I Wirrwarr der Meinungen hindurch doch die einende Richtung erblickt.

Eine eingehende Darstellung und Kritik widmet Frederic Bouvier den hauptsächlichsten religiösen Theorien in der ! Ethnologie in zwei Schriften Änimismey preanimisme, religion und Beligion et magie^, doch hat er es vermieden, eigene An- schauungen über die Ziele kundzugeben. Z. B. spricht er gegen jden übertriebenen Geltungsbereich des Animismus in den Re- jligionen, indem er besonders die Anschauungen Goblet d'Al-

^ In den Becherches de science religieuse, Bulletin d'histoire comparee des religions Nr. 1, 1911 p. 62—104 und Bd. III p. 170—200.

36*

.^64 K.Th.Preuß ^

viellas seinen Betrachtungen zugrunde legt. Die rein verstan- desgemäße Aufeinanderfolge der Etappen des Animismus be- zeiclinet er als künstlich. Gegen Levy-Bruhl macht er geltend, daß die Verstandesoperationen der Wilden' doch die gleichen sein müssen wie die unseren, da sie zur Bildung göttlicher Persönlichkeiten gelangt sind. Besondere Sympathien hat er für den präanimistischen Monotheismus von Andrew Lang und P. W. Schmidt. Namentlich zollt er auch der ganzen Methode des letzteren viel Anerkennung.

Als Ergänzung unserer Berichte sei noch auf Louis Henry Jordan Comparative Beligion, a Survey of its Recent Literatur e, Second Section 1906 1909'^ hingewiesen, eine Besprechung von 25 Werken über vergleichende Religionswissenschaft, haupt- sächlich von englischen Verfassern, unter denen sich auch manche zum Teil ethnologischen Inhalts befinden, z. B. Marett The Threshold of Religion] Dufourcq Histoire comparee des reli- gions paiennes et de la reUgion juive^ Encyclopaedia of Religion and Ethics ed. by James Hastings usw. Zum Schluß wird auf die Fortschritte hingewiesen, die die vergleichende Religions- wissenschaft in der Zahl der Arbeiten und in der Anerkennung von Seiten der Universitäten und der theologischen Kreise ge- funden hat.

III. Einzelne Probleme

Gleich dem schon angeführten Buche von Durkheim be- schäftigt sich eine ganze Anzahl von Schriften mit dem Tote- mismus, aber dieser wird nicht wie in jenem Buche als Ur- grund aller Religion betrachtet, sondern als eine einzelne Er- scheinung. Gegenüber den Erörterungen über den Ursprung und die Beurteilung des Totemismus, die in den übrigen Schriften enthalten sind, nimmt J. G. Frazers Werk Totemism and Exo- gamy^ einen besonderen Platz ein, da der Verfasser sich vor-

^ Edinburgh 1910. 72 Seiten S^.

* A Treatise on Certain Early Forms of Superstition and Society, 4. vol , XX und 579, VII und 640, VII und 583, 379 Seiten 8^ London 1910.

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genommen hat, nichts Geringeres zu liefern als ^eine ausge- dehnte Sammlung und eine genaue Klassifizierung der Tat- sachen, um eine feste Grundlage für das induktive Studium des Primitiven zu liefern'. In der Tat wäre jede andere Be- trachtungsweise des Werkes nicht am Platze. Das Studium des Totemismus hat nun eigentlich zu beginnen, sowohl in bezug auf historische Zusammenhänge der geographisch grup- pierten Tatsachen als auch hinsichtlich der psychologischen Frage- stellung im einzelnen. Es ist bisher immer nur der Totemis- mus als Ganzes berücksichtigt worden, indem jeder sein Ver- ständnis aus den ihm gerade aufstoßenden Tatsachen schöpfte. Es zeigt daher das Streben Frazers nach Vertiefung im glän- zendsten Lichte, daß er sich selbstlos dieser ungeheuren Arbeit unterzogen hat, wobei in der Beurteilung zu berücksichtigen ist, daß natürlich unmöglich ist, alle mit dem Totemismus in Beziehung stehenden Tatsachen, Ursachen wie Folgeerschei- nungen, zu registrieren, aus dem einfachen Grunde, weil wir die Erscheinung nocli nicht recht verstehen und noch nicht wissen, was alles dazu gehört. Vollends darf man nicht mehr als Hinweise auf totemistische Embleme und Zeremonien ver- I langen. Auch ist es ausgeschlossen, daß nun jede einzelne ! Quelle in dem Buche ihren Platz gefunden hat. Der Verfasser j beschränkt sich nicht nur auf die besten Quellen, sondern wird i auch manche gute Angabe übersehen haben, denn das liegt in : der Zahl der Quellenschriften. Aber das, was an Material hier i wirklich vorhanden ist, wird jedem erlauben, einen tiefen j Einblick in die Tatsachen und einen Anhalt zu gewinnen, wo ser weiter nachlesen muß, sei es, daß er eine besondere Frage- stellung innerhalb des Totemismus verfolgen will, sei es, daß er bei Erforschung eines einzelnen Stammes Vergleichsreihen und I Winke braucht, worauf er sein Augenmerk zu richten hat. |Im Anfang des ersten Bandes ist zunächst die Abhandlung des Verfassers Totemism 1887 und zwei Aufsätze The Origin of Totemism 1899 und The Beginnings of Beligion and Totemism

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among the Äustralian Ahorigines 1905 noclimals abgedruckt, wozu in Band lY ebenso wie für das Folgende Berichtigungen und Ergänzungen geliefert sind. Band I bringt weiter das australische Material, Band II die Tatsachen aus Neuguinea, Melanesien, Polynesien, Indonesien, Indien und die Spuren im übrigen Asien, sowie den afrikanischen Totemismus, Band III den amerikanischen und Band IV die Erörterungen mancher bisheriger Theorien und der eigenen Anschauungen nebst einem sehr ausführlichen Index und den schon erwähnten umfang- reichen Notes and Corrections. Von den acht beigegebenen Karten enthält die eine eine Übersicht über die Verbreitung des Totemismus und sieben eine Darstellung der Verbreitung der einzelnen Stämme in den Hauptgegenden des Totemismus. Von einer Behandlung der Frage nach dem Totemismus im klassischen und orientalischen Altertum ist mit Recht abge- sehen. Jeder Erörterung des Totemismus der Hauptstämme, die in streng ethnographischer Anordnung folgen, geht eine kurze Darstellung der Natur der Umgebung und der sozialen Verhältnisse voraus. Die Exogamie ist im wesentlichen nur insoweit behandelt, als sie zusammen mit dem Totemismus vorkommt.

Da wir sozusagen noch im Anfang der Diskussion über Totemismus und Exogamie stehen, dürfen wir uns auch nicht wundern, daß entsprechend den verschiedenen Auffassungen über ihren Ursprung auch die Erklärungen Frazers, so sorg- fältig sie durchdacht sind, vielfachem Widerspruch begegnen werden. Der Nutzen seiner ausführlichen Erörterungen zum Verständnis des Ganzen liegt vielmehr darin, daß alle zur Be- urteilung zunächst in Betracht kommenden Momente über- sichtlich zu Schlußfolgerungen verwertet sind, so daß jeder Nachfolger in seinen Denkoperationen außerordentlich unter- stützt wird. Frazer geht auch bei seiner neuesten Erklärung wie in seinen beiden früheren, die er jetzt verwirft, von einer einzelnen positiven Tatsache aus, indem er sie verallgemeinert

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und daraus in strenger, das moderne Kausalitätsbedürfnis be- friedigender Weise den Totemismus entwickelt. Dieses Mal ist 68 der Glaube bei zentralaustraliscben Stämmen, daß in dem Augenblick, wo eine Frau sich schwanger fühlt, ein Geister- kind von den Vorfahren aus einem nahe befindlichen Natur- objekt in sie eingegangen ist, und da man weiß, an welchen Plätzen die bestimmten Totemvorfahren sich aufhalten, so wird dadurch jedesmal bestimmt, welchem Totem das Kind angehört. Geht nun, so folgert Frazer, bei noch primitiveren Zuständen, nicht der Totemvorfahr, sondern das Naturobjekt selbst in den Leib der Frau ein, so kann daraus unschwer der Totemismus entstehen. Einen solchen Vorgang hat nun Rivers auf den Banks-Inseln festgestellt. Zwar herrscht dort kein Totemismus, aber es besteht die Anschauung, daß Tier- oder Pflanzengeister in die Frau eingehen, und daß die nachher geborenen Kinder sich mit den betreffenden Objekten identisch fühlen. Diese Erklärung steht etwa auf derselben Stufe wie die Ableitung des Gruppentotemismus vom Individualtotemismus. In beiden Fällen besteht der Einwand, daß beim Gruppentotemismus stets, wenn wir von den genannten zentralaustralischen Stämmen absehen, das Totem vererbt wird. Ferner ist die unzulässige Verallgemeinerung sehr bedenklich, ganz abgesehen davon, daß die Methode, eine einzelne Tatsache in den Vordergrund zu schieben, heute nur ausnahmsweise gebilligt wird. Frazer glaubt zu seiner Theorie die gleichzeitige Annahme nötig zu haben, daß die Beihilfe des Vaters zur Konzeption nicht bekannt war, wie es zunächst irrtümlicherweise von zentralaustralischen Stäm- men berichtet wurde. Tatsächlich ist das aber nicht erforder- lich, da eine Beihilfe des Vaters sehr wohl neben dem gleich- zeitigen Eindringen des Kindes von außen bestehen kann. Was nun die Exogamie anbetrifft, die der Verfasser als in keiner Be- ziehung zum Totemismus stehend ansieht, so huldigt er der Ansicht, daß sie in bewußter Absicht eingeführt ist, um zu- nächst die Heirat zwischen Geschwistern und zwischen Mutter

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und Kindern unmöglich zu machen, während er anderseits zu- gesteht, daß ein Grund für die Vermeidung des Inzestes nicht festgestellt werden kann. Um die Einführung der Exogamie als Mittel gegen die Ehe zwischen den nächsten Verwandten verständlicher zu machen, nimmt der Verfasser vorhergehende Promiskuität an, wie er auch, namentlich wegen der klassifi- katorischen Verwandtschaftsbezeichnungen, der Gruppenehe das Wort redet, die zunächst infolge der Exogamie entstanden sei. Doch gibt er zu, daß sowohl auf Promiskuität wie auf Gruppen- ehe nur aus einigen Überlebseln geschlossen werden kann. Auch ich halte die Vermeidung von Ehen nächster Verwandten für eine Hauptursache der Exogamie, aber ohne daß gewissermaßen ein gesetzlicher Akt stattfand oder .Promiskuität vorherging und Gruppenehe folgte. Vielmehr trieb, wie in meinem Vor- trag auf dem Leidener Religionskongreß ^Die religiöse Grund- lage der Exogamie'^ ausgeführt wurde, der Glaube an die Ein- heit zwischen Geschwistern und zwischen Eltern und Kindern die beiden Geschlechter voneinander und veranlaßte nicht nur die Vermeidung des Beischlafs, sondern auch das vielfach nach- gewiesene völlige Femhalten, die Vermeidung der Namens- nennung usw., weil sonst bei der bestehenden engen magischen Verbindung der weibliche Einfluß jeden Erfolg des Mannes bei allen Unternehmungen unterbunden hätte.

Den schärfsten Ausdruck gewinnt die Opposition gegen die Deutung des Totemismus aus irgendeinem hervorstechenden Merkmal bei A. A. Goldenweiser Totemism, an Andlytical Study} Diese Arbeit geht überhaupt mit großem Skeptizismus an die Analyse des Komplexes von angeblich totemistischen Merk- malen, indem der Verfasser besonders die Verhältnisse auf den beiden Gebieten des ausgeprägtesten Totemismus, in Australien

* Actes p. 49 53. Ygl. die etwas näheren Ausführungen in meinem oben (S. 545) erwähnten Büchlein Das geistige Lehen des geschichtslosen Menschen.

' Journal of American Folklore XXIII 1911 p. 179—293.

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und an der nordwestamerikanischen Küste, genau miteinander ver gleicht und nun keinesfalls geneigt ist, einen Ausgleich der sehr großen Unterschiede durch psychologische Voraussetzungen und entsprechende Hinzufügungen eintreten zu lassen, sondern schonungslos nur die Tatsachen sprechen läßt. So kommt er zu dem Ergebnis, daß keine besonderen Züge als unveränderte Charakteristika des Totemismus angesehen werden können, noch irgendein Kern vorhanden ist, an den sich alles übrige ansetzt oder ansetzen kann. Nicht die Elemente sind das Ausschlag- gebende, aus denen sich der totemistische Komplex irgendeines Stammes zusammensetzt, sondern daß sich überhaupt Asso- ziationen zwischen sozialen Gruppen als Ganzes und zeremo- niellen, ästhetischen und sonstigen Elementen finden. Da» wichtigste Merkmal für diese Assoziation ist die Abstammung. Den Totemismus definiert er demnach, indem er den Ausdruck 'religiös' für die konstituierenden Elemente eliminiert und da- für emotional setzt, als die spezifische Sozialisierung emotio- naler Werte. Die Ähnlichkeiten, die man bei den totemisti- schen Komplexen findet, betrachtet er als Konvergenzerschei- nungen. Besondere Wichtigkeit auch für den Totemismus hat die Feststellung des historischen Zusammenhanges der sozialen Organisation, der Religion und der materiellen Kultur auf be- stimmten Gebieten, den es z. B. in der Entwicklung der Stämme in Britisch Kolumbien nachzuweisen geglückt ist, und er ver- mutet überhaupt, daß die Ähnlichkeit und teilweise völlige Identität der sozialen Gliederung auf weiten Gebieten nur durch Ausbreitung von wenigen Zentren aus zu erklären ist.

Diesen im ganzen negativen kritischen Ergebnissen darf man wohl zustimmen. Man darf getrost die Bankerotterklärung der totemistischen Forschung, soweit Einzelerscheinungen als Grundlage des Ganzen gesucht werden, als gegeben annehmen^ uüd muß nur zu verstehen suchen, weshalb die 'spezifische Sozialisierung emotionaler Werte' erfolgt ist. (Ob freilich diese Definitionsform, zu deren Verständnis viele Erläuterungen ge-

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hören, treJBfend gewählt und nicht zu allgemein ist, sei dahin- gestellt.) So fragen wir uns nach wie vor, weshalb sich Clans den Namen einer Tiergruppe usw. zugelegt haben, weshalb sie die einzelnen Tiere der Gruppe als Verwandte betrachten u. dgl. m., nur daß wir mehr eine allgemeine Gedankenrichtung statt einer speziellen Einzelheit als Grundlage annehmen möchten. Das tut auch der kurze Aufsatz von R. Thurnwald, Die Denk- art als Wurzel des Totemismus^, worin im übrigen der Stand- punkt Goldenweisers und seiner Vorgänger eingenommen wird. Der Verfasser nimmt besonders seine persönlichen Beobach- tungen bei den Salomo-Insulanern zur Grundlage seiner psycho- logischen Betrachtungen und hat die Tendenz, unsere eigene Psyche bzw. die von Kindern, Geistesgehemmten usw. zum Verständnis heranzuziehen. So treffend und feinsinnig nun auch seine Bemerkungen über die Geistesbeschaffenheit der Primitiven im allgemeinen sind, so erscheinen sie doch bei der Anwendung auf die springenden Punkte der Abhandlung nicht befriedigend. So wird die Namengebung nach Totemobjekten dadurch erklärt, daß für eine typisch betrachtete Eigenschaft vereinfachend das ganze, diese Eigenschaft tragende Objekt eingesetzt werde: daher die Wölfe, die Haifische, die Känguruhs. Die Tabus setzen eine gewisse Ausschaltung der von unserer Wissensstufe abhängigen Bedingtheitskomplexe in unserem Denken voraus, wie sie bei Ungebildeten, bei Kindern und in den Mätzchen und Zwangsvorstellungen Geisteskranker zutage treten. So entstanden die gesetzmäßigen, zwingenden Verbote und Gebote.

Für Goldenweisers Auffassung sind derartige positive Ideen für die Entstehung des Totemismus freilich schon zu w^eitgehend. In einem weiteren Aufsatz The Origin of Totemism^ erörtert er dementsprechend nicht, wie irgendeine totemistische

* Korrespondenz})!, d. Dtsch. Ges. f. Anthr., Ethn. u. Urg. XLII 1911 S. 173-179, 4«.

' American Anthropologist vol. XIV 1912 p. 600—607.

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Anschauung entstand, sondern nur, wie eins der totem istischen Elemente, ein Tiername, ein Ursprungsmythus usw., allmählich sozialisiert und dadurch totemistisch wurde, daß es bei vielen Clans Eingang fand. So gilt ihm die gewissermaßen mecha- nische Durchdringung des sozialen Organismus durch ein sol- ches Element alles, die Idee selbst wenig. Mit diesem 'Sozia- lisieren' wird aber recht wenig erklärt. Geht man darauf aus, den Totemismus als die Sozialisierung unscheinbarer Anfänge in ein Nichts aufzulösen, wie Goldenweiser es tut, so schiebt man die psychologischen Fragen nur weiter zurück.

Eine Diskussion der zahlreichen Meinungen über den To- temismus eröffnet auch Luis Maria Torres in der Arbeit El Totemismo, su origen, significado, efectos y superviv€ncias\ in der er sich besonders an Frazers Werk anschließt und nament- lich auch auf südamerikanische Verhältnisse und archäologische Funde im südlichen Südamerika eingeht.

Mit Befriedigung können wir begrüßen, daß nun auch eine deutsche Übersetzung des im vorigen Bericht (Archiv XIII, S. 444 ff.) angezeigten schwedisch geschriebenen Buches über den Totemismus von EdgarReuterskiöld, Die Entstehung der Speisesakramente^, erschienen ist.

Von wahrhaft unermüdlicher Schaffenskraft hat sich J. G. Frazer wiederum in einem neuen Werk The Belief in Im- mortality and ihe Worship of the Dead gezeigt, wovon Band I The Belief among the Ähorigines of Äustralia, the Torres Straits Island, New Guinea and Melanesia soeben erschienen ist.^ Es ist aus Vorlesungen erwachsen, die der Verfasser im Winter 1911 und 1912 an der Universität St. Andrews hielt, und ent- hält eine so systematische und gründliche Sammlung des Ma-

1 Anales del Museo Nacional de Buenos Aires ^ Tomo XX 1911 p. 485—553.

^ Übersetzt von Hans Sperber. ReligionswissenschaßUche Bibliothek^ herauBgeg. von W. Streitberg und R. Wünsch, Heidelberg 1912. VH und 141 Seiten.

' London 1913. XXI und 495 Seiten 8«.

572 ^' Th. Preuß

terials, wie wir sie von Frazer aucli sonst gewohnt sind Be- gräbnisgebräuche, Zeremonien, Anschauungen, Mythen alles ist hier mit steter Rücksicht auf Erklärungen und Entwick- lungen zusammengetragen, um den tiefen und weitreichenden Einfluß des Glaubens an Unsterblichkeit und der Verehrung der Toten auf das menschliche Leben klarzulegen, der nach des Verfassers Meinung wahrscheinlich größer ist als der Ein- fluß irgendeiner der vielen Formen natürlicher Religion. Es ist ein Quellenwerk ersten Ranges, das hier jedoch nur vor- läufig angekündigt werden kann, weil sich erst im weiteren Verlauf der Darstellung die volle Tragweite und die Gestaltung als Ganzes ergeben wird.

Die Promotionsarbeit von Jan Petrus Benjamin de Josselin de Jong De waardeeringsonderscheiding van 'levend' en Hevenloos^ in het Indogermaansch vergeleken met hetzelfde ver- schijnsel in enkele Älgonhin-tälen. Ethno-psychologische Studie^ beschäftigt sich mit dem wichtigen, bisher nie ernstlich in Angrijff genommenen Problem, was es mit der Unterscheidung der Wortklassen auf sich hat, die in manchen Sprachen be- stehen und gemeinhin mit 'lebend' und 'ohne Leben' oder auch mit 'beseelt' und 'unbeseelt' bezeichnet werden. Zugrunde gelegt werden die indogermanischen und drei Algonkin-Dialekte, das Ojibwe, Cree und Blackfoot. Da der Verfasser in beiden Sprachgruppen gut zuhause ist von den Ojibwe und Black- foot hat er selbst an Ort und Stelle in mustergültiger Weise Texte aufgenommen , so haben wir eine systematische und nach allen Richtungen gut durchgearbeitete Behandlung des Themas vor uns, und auch die erklärende Hypothese, auf die die Arbeit hinauskommt, dürfte alle Beachtung verdienen, so- weit eine Lösung zurzeit überhaupt möglich ist. Zunächst wird im Indogermanischen als Kennzeichen des Unterschiedes von 'lebend' und 'ohne Leben' das Zusammenfallen von tran- sitiv-aktiv und intransitiv-passiv mit der Unterscheidung des

1 Leiden 1913. 224 Seiten 8«.

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grammatisclierL Geschlechts bzw. des Geschlechtslosen als be- sonders wichtig festgestellt und dadurch ein wichtiger Hinweis auf die Entstehung gewonnen. Sodann folgt die Aufstellung der entsprechenden Wortgruppen, um sie mit den Gruppen aus den Algonkinsprachen vergleichen zu können, wo die gram- matische Teilung aller Substantiva in solche mit und ohne Leben viel offenkundiger ist. Der Verfasser hat sich auch redliche Mühe gegeben, sich für seine Erklärungszwecke in die mannigfachen Theorien über Seele, Persönlichkeit, Zauberkraft, Mana usw. zu vertiefen, und hat die verschiedenen Auffassungen recht objektiv dargestellt. Er vermag aber eine bestimmte Stellung zu ihnen nicht einzunehmen und hält sie als Grund- lage für ein Verständnis der Wortkategorien des Lebenden und Unbelebten für ungeeignet, da sich zu viel Widersprüche er- geben würden. Vielmehr glaubt er, die indogermanische Unter- scheidung des Transitiv-Aktiven und des Intransitiv-Passiven auch auf die genannten amerikanischen Sprachen ausdehnen zu können, weil trotz aller Verschiedenheiten der Wortgruppen einige darauf hinzielende Übereinstimmungen zu finden sind. So gehören fast alle Glieder der Menschen-Tiergruppe in Klasse I, ebenso die meisten Baum- und Pflanzennamen, während die Früchte in die Klasse II fallen. Baum gehört zu I, Holz zu II, rohe, unbearbeitete Haut zu I (wobei das Aktive in dem Ge- brauch zu Zeremonialtänzen, Medizinen usw. liegen soll), be- arbeitete zu II u. dgl. m., wobei der Verfasser sich in den ein- zelnen Fällen bemüht, seine Theorie verständlich zu machen. Von dem Buche Th. W. Danzels, Die Anfänge der Schrift^, sei nur das Kapitel über die magischen Symbole S. 90 erwähnt und der Grundgedanke für die Entstehung der Schrift. Danzel unterscheidet spielmäßiges Zeichnen und solches, das nicht aus bloßer Lust hervorgegangen ist, wozu auch das reli- giöse Zeichnen gehört. Das Bild erhält nach ihm durch asso-

^ Beiträge zur Kultur- und Universalgeschichte Heft 21 X und 219

Seiten S*» nebst 40 Tafeln.

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K. Th. Prenß

ziative Vorstellungen eine magische Bedeutung, indem ent- sprechend den Auffassungen Vierkandts im Globus, Bd. 92 (vgl. Archiv XIII. S. 433 ff.) erst Affektwirkungen, später Fern- wirkungen auftreten, während die Seelenvorstellungen erst später damit verknüpft werden. Die Bilderschrift entsteht nun auf dem Umweg über die religiösen Symbole, die allmählich einen festen Wert erhalten, als mnemotechnisches Hilfsmittel. Verworfen wird dagegen die Entstehung der Bilderschrift aus der beschreibenden Zeichnung, da diese einen zu großen Affekt- wert in sich besitze, um als zweckmäßiges Mittel zur Mittei- lung verwandt zu werden. Die Arbeit wird durch die sorg- fältige Gruppierung der zahlreichen Belege wichtig und ruht auf ethnologischer Grundlage. Man kann der Beweisführung die Berechtigung nicht absprechen und darf die Arbeit als Ausgang für weitere Forschungen empfehlen.

^Das gleichgeschlechtliche Leben der Naturvölker' behan- delt F. Karsch-Haack.* Es ist darin mit großer Sorgfalt möglichst alles Material über Neger, Australier, Melanesier, Polynesier, Mikronesier, die arktischen Völker und Indianer zusammengetragen, während die übrigen Völker der Erde, meist Halbkultur- und Kulturvölker, in vier weiteren Bänden behan- delt werden sollen. Bezüglich der Gliederung der Völker dieses Bandes ist zu bemerken, daß die Zusammenstellung der neger- artigen Völker: Austronesier, Melanesier (wozu auch z. B. die Singhalesen gerechnet sind) und der afrikanischen Neger sehr gewagt ist. Im wesentlichen hat der Verfasser nur im Auge, die Verbreitung über die Erde festzustellen, um daraus den Schluß zu ziehen, daß der Trieb zur gleichgeschlechtlichen Liebe ein natürliches Vorkommnis sei und sich ebensowenig erklären lasse als die anders geschlechtliche Liebe. Dagegen lagen ihm die einzelnen Probleme, nämlich in welcher Weise sich die besondere Ausbildung der Erscheinung an manchen Orten erklären lasse und inwieweit dabei die religiöse und

^ München 1911. XVI und 666 Seiten 8».

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zauberisclie Auffassung beteiligt ist, fern. Auch für die mora- lischen und sonstigen Folgen wäre die Ethnologie sehr inter- essiert. Aber daß -diese Dinge nicht verfolgt worden sind, ist dem Verfasser um so weniger zur Last zu legen, als das Ma- terial gerade nach dieser Richtung hin sehr lückenhaft und spröde ist. Es genügt daher zu betonen, daß dieses Werk, ebenso wie früher die Abhandlungen des Verfassers 'üranismus oder Päderastie und Tribadie bei den Naturvölkern' im III. Jahr- buch für sexuelle Zwischenstufen 1901, S. 72—201 und 'Daa gleichgeschlechtliche Leben der Kulturvölker' worin nur die Ostasiaten untersucht werden das einzige ist, in dem man über die wichtigen Fragen ausführliches Material nebst genauen Quellenangaben finden kann. Wir sind freilich nicht mehr so befangen, daß wir dieses Thema, weil es sich um ^Perversi- täten' handele, um jeden Preis meiden, aber doch muß man auch heute noch den Mut des Verfassers anerkennen und wir wünschen ihm sehr, daß er das ganze geplante Werk vollenden und die Genugtuung haben möge, andere Forscher die hier fehlende Durchdringung der mannigfachen Erscheinungen und Probleme der gleichgeschlechtlichen Liebe anbahnen zu sehen, was sowohl am Schreibtisch wie bei den Naturvölkern selbst geschehen muß.

Gleich den homosexuellen Erscheinungen gelangen auch die gewöhnlichen geschlechtlichen Vorgänge vielfach in Be- ziehung zum religiösen Leben, weshalb hier auch auf das Werk von Iwan Bloch, Die Prostitution, Band P aufmerksam gemacht sei, das diese Seite des Sexuallebens S. 67 fi^. schildert. Frei- lich liegt der Absicht des Buches, das den Ursprung der mo- dernen Prostitution von den ältesten Zeiten und von dem an- geblichen ungebundenen Geschlechtsverkehr der Naturvölker an schildern will, eine eingehende Darlegung der zeremoniellen und zauberischen Wurzeln der eiuzelnen Kulte fern, aber wir

^ Handbuch der gesamten Sexualwissenschaft in Einzeldarstellungen Berlin 1912, XXXVI und 870 Seiten 8".

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finden ein buntes Durcheinander von Beispielen namentlicli der religiösen Prostitution. Das Verständnis dafür wird dadurch beeinträchtigt, daß vieles, den Auffassungen älterer Forscher entsprechend, auf ursprüngliche Promiskuität und Gruppenehe zurückgeführt wird, während heute nur noch sehr wenige der- artige Verhältnisse in der Urzeit annehmen. Gerade die viel- gerühmte Natürlichkeit der Naturvölker in sexueller Beziehung ist seit den neueren Untersuchungen immer mehr der Über- zeugung von der Gebundenheit durch mannigfache Vorschriften meist auf Grund magischer Ideen gewichen, und so wäre es für ein tieferes Eindringen notwendig, das Verhältnis der Pro- stitution zu den Regeln der Ehe, z. B. der Exogamie, festzu- stellen. Während sich der Verfasser sonst bemüht, überall die Originalbelege beizubringen, sind für diesen Abschnitt als Quellen zu sehr sekundäre Arbeiten benutzt, unter denen be- sonders F. V. Reitzensteins populäre Büchlein unliebsam auf- fallen. Als Ganzes zeichnet sich das Werk durch sympathische Behandlung des heiklen Themas, eingehende Untersuchung der klassischen Zeit und des Mittelalters und durch großzügige Auffassung des Sexualproblems überhaupt aus, die der Verfasser für die sozialen Bedürfnisse der Gegenwart fruchtbar machen will. Seine sehr anfechtbare Theorie geht dahin, daß das Ausleben der Naturvölker in geschlechtlicher Beziehung durch Promis- kuität, Gruppenehe usw. bei den Kulturvölkern unterbunden wurde, daß der Wertbegriff der ehrbaren Frau in der klassi- schen Welt die Prostitution vollends ausbildete, und daß wir die Erben jener Auffassung der Frau sind, die deshalb für unsere Zeit eine Änderung erfahren muß.

Nachdem 1882 H. Ploß, Das Kind in Brauch und Sitte der Völker in zweiter Auflage erschienen war, hat nun end- lich eine Neubearbeitung dieses gerade auch für religions- wissenschaftliche Forschungen wichtigen Themas durch B. Renz^

* 2 Bde., IV und 608, bzw. 927 Seiten mit 230 bzw. 274 Abbil- dungen. Leipzig 1911.

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stattgefunden, in der das völkerkundliche Material entsprechend der regen ethnologischen Forschertätigkeit der letzten Jahr- zehnte ganz bedeutend vermehrt und die Gruppierung ent- sprechend erweitert und umgestaltet ist. Es tritt damit würdig an die Seite des alle paar Jahre in neuer Auflage erscheinen- den Ploß-Bartels, Das Weib, in dem allerdings auch schon das Mädchen von der Geburt an behandelt worden ist. Das Ganze ist in 60 Kapitel nach Stoffen gegliedert, von dem Wunsche nach Kindern, der Schwangerschaft usw. an bis zu den Puber- tätsfesten und der Verheiratung. Innerhalb der Kapitel ist meist die geographische Anordnung gewahrt, und ein Überblick über das Ganze schließt jedes einzelne Kapitel. Alle Angaben sind durch genaue Quellenbezeichnung belegt.

Mythologie Von den Büchern über allgemeine Mythologie ist besonders Paul Ehrenreich, Die allgemeine Mythologie und ihre ethno- logischen Grundlagen^, zu erwähnen, das eine besonnene Aus- sprache über alle mythenbildenden Elemente auf Grund einer sehr guten Kenntnis des Materials nicht nur aus dem engeren ethnologischen Gebiet, sondern auch aus dem der Kulturvölker bringt. Wir dürfen das Buch um so mehr dem Nachdenken j der philologischen Spezialisten empfehlen, als es in der Tat I ausgeschlossen erscheint, daß mythologische Studien auf engem 1 geographischen Gebiet ohne Befruchtung von Seiten der ver- I gleichenden Mythenforschung zu befriedigenden Ergebnissen führen. Freilich hat der Verfasser einen entschiedenen Stand- punkt, indem er in jedem Mythus oder Märchen den Natur- kern zu finden sucht und den himmlischen Erscheinungen, na- mentlich auch dem Monde, eine große Bedeutung darin bei- mißt; aber einmal betrachtet er die Aufgabe des Verstehens I nicht dadurch als erfüllt, daß in einer Erzählung eine zusammen- hanglose Reihe von Naturmotiven aneinandergereiht ist, und

1 VIII und 288 Seiten S*'. Leipzig 1910.

Archiv f. Eeligionswissenschaft XVII 37

578 K.Th.Preuß

anderseits verfolgt er auch die irdischen Erscheinungen sowie die individuellen und sozialen Verhältnisse, an die sich wunder- bare Erzeugnisse der Phantasie, namentlich auch magische Ge- dankengänge, anknüpfen können. Nur ist naturgemäß ent- sprechend der emsigen Arbeit der Mythenerklärer das erstere Gebiet viel reicher mit Belegen bedacht, während das andere nur summarisch behandelt wird. Wer also nicht gerade auf dem Standpunkt steht, daß es zum Verständnis der Mythen der Schicksale von himmlischen Naturerscheinungen nicht be- darf, und nicht alle Motive für Erfindungen der in Anlehnung an gewöhnliche menschliche Verhältnisse schaffenden Phantasie hält, der wird bei dem. Buche auf seine Rechnung kommen. Man darf es am besten als eine Art Nachschlagebuch betrachten, in dem man Anregungen zum Nachdenken erhält, an welche Naturerscheinungen sich die Phantasie bei bestimmten Motiven angelehnt hat. Es schadet nichts, wenn man hierin nicht immer mit dem Verfasser übereinstimmt. Ich glaube z. B. nicht, daß Tarnkappe, Zerstückelung und Wiedererstehung, Hautabziehen, Durchbrechen der mütterlichen Seite bei der Geburt und ähn- liches durchaus immer auf den Mond zurückzuführen ist. Wie mich ein Huicholindianer fragte, ob auch die mexikanischen Frauen menstruieren, und ein anderer mir erzählte, daß es noch vor kurzem in einem nahen Dorfe Menschen ohne Anus ge- geben habe, so gibt es für die Phantasie der Naturvölker kaum eine durch die Erfahrung gezogene feste Schranke. Daher kommt es für die Erklärung, was das Motiv bedeutet, ganz auf den Zusammenhang an, und man tut gut, sich nicht sche- matisch auf Motive festzulegen, zumal die psychologische Unter- suchung noch in den ersten Anfängen steckt. Um Mythen zu verstehen, ist meines Erachtens ganz besonders die Erforschung von Religion und Zauberei notwendig, und da man hierin noch nicht weit fortgeschritten ist, so kann auch die hier gebotene Unterlage: Personifikation der Naturerscheinungen, Seelenglaube, worauf die Zauberei beruhe, usw. nur unzureichend sein, na-

Eeligionen der Naturvölker 1910—1913 579

mentlich da der Verfasser tiefere psychologische Vorstellungen, wie den sog. Präanimismus , auf eine Stufe mit der Theorie des sprach- oder feuerlosen Menschen stellt. Wie man diese nicht beobachten könne, so müsse auch der Präanimismus aus der Betrachtung heraus. Daß der Animismus zwar bequem, aber unzureichend zur Erklärung der religiös - magischen Tat- sachen ist, daran zweifeln heute nur noch sehr wenige Ethno- logen, mag man ergänzende Theorien Präanimismus oder sonst- wie nennen.

Entsprechend seiner Auffassung, daß gerade die gleichen himmlischen Motive an verschiedenen Stellen entstehen können, steht der Verfasser im Gegensatz zu den Verfechtern jeder schrankenlosen historischen Ordnung, die Schichtungen und Kulturwellen feststellen will, wie es für die geschichtliche Zeit europäischer Kulturvölker möglich ist. Anderseits gehört er selbst zu denen, die jedem positiven Nachweis von Mythen- wanderung durch die Aufeinanderfolge gleicher Motive die Bahn freigeben. Das ist gegenwärtig der richtige Standpunkt, da eingehende Untersuchungen noch fehlen. Aber auch diesem Mangel wird nun dank dem Interesse an den Mythenstoffen abgeholfen, und zwar ist gleich der erste Versuch ein umfas- sendes, großzügiges Werk geworden, das ein gewaltiges Stoff- material, wenn auch natürlich durchaus nicht alles überhaupt vorhandene Material, in sehr ansprechender Weise meistert. Es ist das Werk von Oskar Dähnhardt, Natursagen, von dem jetzt in Band III und IV Die Tiersagen ^ herausgegeben worden sind, letzterer Band im Verein mit A. v. Löwis of Menar. Jeder Ethnologe wird es den Verfassern Dank wissen, daß man jetzt ohne Mühe etwaige Parallelen zur Hand hat und namentlich in die Lage versetzt wird, mit ziemlicher Sicherheit autochthones Gut von dem sehr bedeutenden Ma- terial zu sondern, das erst durch das Vordringen der Europäer über den Erdball verbreitet ist. So hat man neuerdings in

' XVI und 658 bzw. IX und 322 Seiten 8^ 1910 und 1912.

37*

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dem spanisdien Nord- und Mittelamerika eine Menge Tier- märclien in spanisclier Sprache aufgezeiclinet, die sicherlich durch die Spanier herübergebracht sind und die man ebenso in den Idiomen der Indianer sammeln kann. Ich werde dar- auf noch in dem amerikanischen Religionsbericht näher ein- gehen. Deshalb ist gerade Teil II der Tiersagen äußerst inter- essant, da dort die Verfasser bemüht sind, die Wanderungen griechischer, indischer und nord- sowie mitteleuropäischer Tier- erzählungen festzustellen. Für Teil I, der das Gros der Tier- sagen enthält, ist die Zurückhaltung Dähnhardts gegenüber Wanderungshypothesen, aber vielleicht noch mehr gegenüber der Feststellung bloßer unabhängiger Analogien bemerkenswert. Er hat durchaus recht, daß Wanderungen leichter zu beweisen sind als unabhängige Entstehung. Bei letzterer werden wir immer nur von einer Überzeugung und davon sprechen können, daß das Gegenteil nicht bewiesen ist. So verwerflich und leichtsinnig es demnach ist, mit Gewalt überall unbewiesene Wanderungen vorzubringen, so notwendig ist es, zunächst durch methodische Untersuchung der Wanderungsfrage nachzugehen und schließlich zu sehen, was übrig bleibt. Exakte übersicht- liche Sammlung des Mythenmaterials durch eine Vereinigung von vielen Forschern ist daher das nächstliegende und nicht zu umgehende Ziel der Mythenforschung, wenn man überhaupt weiterkommen will.

Es sei noch die kleine Mythensammlung von Georg Ger- land, Der Mythus von der Sintflut^, erwähnt, die, schon vor längerer Zeit zu Kollegzwecken entstanden, eine Vollständig- keit nicht erzielen will und die neueren Veröffentlichungen nicht mehr berücksichtigt. Wir freuen uns, den von alter Zeit her auf ethnologischem Gebiet hochgeschätzten Verfasser wie- der zu vernehmen. Seine Auffassung der Tatsachen als Himmels- mythus, und zwar mit dem Nachthimmel als Wasser und dem Monde als Fahrzeug, entspricht in der Tat vielen Darstellungen

* 124 Seiten 8<>, 1912.

Religionen der Naturvölker 1910—1913 581

des Stoffes, und er ist wohl im Rechte, den Ursprung der Mythen von bloßen Flutkatastrophen her ganz beiseite zu schieben. Nicht verständlich ist dagegen die Erklärung der Sündhaftigkeit der Menschen, die deshalb vernichtet werden müssen. Der Verfasser leitet sie von dem Tabubegriff ab, der in der Zwangsvorstellung des Himmels als übermächtiger, die Menschen bald segnender, bald strafender Einheit wurzele. Wenn der Verfasser mit seinen weiteren Ausführungen darüber im wesentlichen nur sagen will, daß alles Ungemach als eine persönliche Einwirkung von außen her aufgefaßt und daß schon das bloße Gefühl des Ungemachs demgemäß als Strafe ange- sehen wurde, so mag er recht haben. Doch fürchte ich, die Schattierung seiner kurzgefaßten Meinung nicht völlig ver- standen zu haben. Man hätte überhaupt ein näheres Eingehen auf die psychologische und religiöse Seite gewünscht, da seine Ausführungen, namentlich seine Auffassungen von großen Natur- einheiten als Persönlichkeiten, vielversprechend sind.

^

6 Eeligioneü der NatnrYölker Indonesiens

Von H. H. JuynboU in Leiden

Celebes. In der ausgezeichneten Monograpliie von Adriani und Kruyt, De Baree-sprekende Toradja's van Midden- Celebes (Band 1 und 2, Batavia 1912) wird natürlicli die Religion der Toradjas sehr ausführlich besprochen. Zumal im 10. Kapitel des ersten Bandes (S. 245 ff.) werden die geistlichen und reli- giösen Begriffe erörtert. Der Mensch ist von Kombengi, dessen Name von wengi (Nacht) abgeleitet ist, geschaffen. Der Mythus vom Paradiese und der Sintflut kommt auch hier vor. Die Toradjas unterscheiden die tanoana (Seele im lebenden Körper) von der angga (Seele nach dem Tode). Das Wort tanoana bedeutet eigentlich homunculus und dann weiter auch ^ Seelen- stoff', der sich in allen Körperteilen befindet. Ein anderes Wort zur Bezeichnung von Seelenstoff ist wajo oder limhajo (etymologisch "^Spiegelbild, Schatten', wie mal. hajang, jav. wa- jang). Wenn der Seelenstoff den Körper verläßt, geschieht dies meistens durch den Scheitel und durch die Gelenke, aber wenn man niest, kann der Seelenstoff auch durch die Nase hinaus- gehen. Außerhalb des Körpers nimmt der Seelenstoff die Ge- stalt eines Homunculus oder eine Tiergestalt (Schmetterling, Regenwurm, Schlange, Fliege oder Maus) an. Schreck und starkes Verlangen können die Trennung des Seelenstoffs vom Körper veranlassen. Man betrachtet Träume von fernen Orten als einen Beweis, daß der Seelenstoff den Körper verlassen kann. Derartige Träume kann man verursachen, indem man an einer von einem Geist bewohnten Stelle sich schlafen legt. Dies heißt im Baree moharatapa, von mal. hertapa (Wurzel tapas ^Askese' im Sanskrit) abgeleitet mit dem Präfix mo-.

Die Leute, deren Seelenstoff den Körper verläßt mit dem Zweck, sich von dem Seelenstoff anderer Menschen zu nähren,

Religionen der Naturvölker Indonesiens 583

werden tau mepongko genannt. Sie können dabei die Gestalt eines Hirsclies, eines Schweines, eines Krokodils^ eines Affen, eines Büffels oder einer Katze annehmen. Wie bei vielen an- deren Indonesiern herrscht auch bei den Toradjas der Glauben, daß es Hexen gibt, die ihren Kopf und ihre Eingeweide vom Körper trennen können, um des Nachts den Schlafenden das Blut auszusaugen. Diese tau mebutu (abgeleitet von hutu gleich mal. putus 'abgebrochen') entsprechen also den penanggalan (Vampyren) der Malayen.

Der Seelenstoff des Menschen kann sich in allerlei Tier- gestalten zeigen, z. B. von Affen, Büffeln, Krokodilen, Haus- eidechsen und Vögeln. Zu den Pflanzen, die Seelenstoff ent- halten, gehören der Reis, die Dracaena terminalis, die Pinang- nuß, die Zuckerpalme (Arenga saccharifera), die Kokos- und die Sagopalme (Metroxjlon).

Nach den Toradjas haben Vater Himmel {I Lai) und Mutter Erde (J Ndara) die Menschen aus Stein geschaffen. Pue di Songi (der Herr im kleinen Zimmer) teilt der Priesterin mit, wo der verlorene Seelenstoff geblieben ist. Ngkai mantande songka (der Großvater, der die Befehle empfängt) sitzt in einem Hause, wo die Seelen der Menschen an Schnüren hängen. Puu mPalaburu (Herr Kneter) setzt die Schöpfung von Lai und Ndara fort und ist als der Gott der Sonne und des Himmels zu betrachten. Regentropfen sind Tränen der Götter. Früher verkehrten die Menschen mit den Göttern an einer Liane ent- lang kletternd, die später zerhackt wurde. Zu den niedrigeren Göttern gehören die Wurake, die zwischen den Göttern und der Erde wohnen und die Schutzgeister der Menschen sind, wie die Sangiang bei den Dajak, ferner die Meergeister, die nur Fisch essen, die Berggeister, die Flußgeister (imhu), die Waldgeister {heia) und die Erdgeister. Den Göttern und Geistern wird sirih-pinang^ Kalk, Tabak, gelber Reis, Eier und Leber auf Opfertischen geopfert. Vögel betrachtet man als Abgesandte der Götter, zumal die Eule (poa), deren Geschrei Glück oder

584 H- ^' Jiiynboll

Unglück prophezeit. Die Verehrung der Seelen der Verstor- benen ist sehr populär; dagegen kommt Verehrung von Leichen wenig vor. Die Anitu [genannten Geister im Dorftempel sind die Seelen von Menschen, die im Kriege getötet sind. Diese Dorftempel (loho) werden ausführlich beschrieben und abgebildet (S. 285). Sie sind mit Krokodilen (Symbolen der Tapferkeit) und Genitalien (Symbolen der Fruchtbarkeit) verziert. Das Tempelfest (montjojo) hatte den Zweck, alle Bewohner des Dorfes zu Kopfjägern zu machen: Frauen und Kinder hacken mit Schwertern aus Bambus in ein Stück Menschenschädel. Später werden diese Schwerter in das Dach des Tempels ge- steckt (rasojowi), daher der Name des Festes montjojo (vom Stamm sojOy d. i. jav. serep ^einstecken').

Im 12. Kapitel (S. 361 ff.) werden die Priesterinnen und ihre Wirksamkeiten ausführlich besprochen. Bei dem mowuräke der Baree-Toradjas verläßt der Seelenstoff (tanoana) der Priesterin den Körper, um bei den Geistern Hilfe zu suchen; bei dem mdhalia der Parigier, Paluesen und Berg-Toradja's aber fährt ein Geist in den Körper der Priesterin. Nur selten treten Männer als Priesterinnen auf. Sie heißen hajasa (Betrüger) und ähneln den hasir der Olo Ngadju von Südborneo. Man wird Lehrling einer Priesterin, indem man sie stets bei ihrer Wirksamkeit begleitet. Der Lohn der Priesterinnen besteht meistens in einem Stück Kattun, einem Hackmesser, einem Stück Baumrinde (fuja) und dem Opfer für die helfenden Geister. Die Priesterinnen bitten den wurake (einen der Geister zwischen Erde und Himmel), sie nach dem Himmel zu führen. Das momparüanglca ('an die erhabene Stelle setzen') hat den Zweck, die Seelen aller Frauen und Mädchen nach dem Himmel zu senden. Bei diesem Fest sind sie in weiße Baumrinde gekleidet. Der Tanz (motaro) bei dieser Gelegenheit ist als ein Streit mit den Geistern aufzu- fassen. Während dreier Nächte müssen die Mädchen inner- halb des Vorhangs (langJca) bleiben. Am zweiten Tage des Festes geschieht das mdlonto ali (Springen über Matten). Das

Religionen der Naturvölker Indonesiens 585

Ausbreiten eines Kleides über die Mädchen und das Schlagen mit Dracaena terminalis - Blättern auf ihren Kopf (mowurake moöko lipa) hat den Zweck, die Mädchen zu den wurake -GeiBtern zu bringen, damit dieselben ihnen bei dem Aufbau ihrer Häuser helfen. In der zweiten Nacht des Festes stampfen die Mädchen mit Dracaena-Zweigen auf den Boden, angeblich um die Dörfer der Geister (dimalele) zu überfallen und Köpfe zu erbeuten. Am letzten Tage geschieht das Reinigen der Mädchen und das Zurückbringen des Seelenstoffs in ihren Körper. Eine kranke Frau soll zuerst die Wirksamkeit der Priesterinnen von den himmlischen Geistern gelernt haben. Die Priesterin wird ge- rufen, um den Seelenstoff der Menschen oder des Reises zurück- zuführen, und um die wuraJce-G eister anzurufen für Gewährung von Regen oder Trockenheit. Sie geht mit dem wurahe-Geist auf dem Regenbogen nach dem Hause von Pue di Songi, um den Seelenstoff des Kranken zurückzuerbitten. Indem sie mit Dracaenablättern auf den Kopf des Patienten schlägt, verur- sacht sie, daß der Seelenstoff in denselben zurückkehrt. Um den wuraJce- Geist zurückzubringen, wirft sie einen Büschel lebenskräftiger Pflanzen nach oben {mantende rare), oder sie beschließt die Zeremonie mit einer mowurake mpompalakana (Rezitation des Abschiednehmens) genannten Rezitation. Bei jedem Todesfall muß die Priesterin den Seelenstoff der noch Lebenden, den die Seele des Toten mitgenommen hat, aus dem Seelenland unter der Erde zurückholen. (Bisweilen ruft man auch bei einem Opfermahl den Baum- oder Höhlengeist [heia'] an, um den entführten Seelenstoff zurückzuerhalten. Dies heißt mompatirani.) In schlimmen Fällen verfertigt die Priesterin eine Puppe als Stellvertreterin des Kranken. Der Kranke wird an einen Opfertisch gestellt, während er eine Rotanschnur fest- hält, die später nach der Litanei durchgehauen wird. Die Puppe wird dem Baumgeist statt des Seelenstoffes des Kranken an- geboten. Dies heißt moiourake ri tana (auf dem Boden). Wenn man meint, daß der Obergott Puu mPalaburu den Baumgeist

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geschickt hat, um den Menschen krank zu machen, wird eine, mowase genannte, weitschweifige Zeremonie gefeiert. Hierbei fungieren verschiedene Priesterinnen, und es wird ein Geister- haus verfertigt. Die Zeremonie ist so genannt nach dem Blute (walte im Napuschen Dialekt) der Opfertiere, mit dem die Priesterin den Kranken und andere Anwesende bestreicht. Wenn man keine Opfertiere hat, wird ein Gelübde abgelegt (ratanga), bei dem man Puu mPalaburu verspricht, später das Opfer zu bringen. Wenn die Seelen der verstorbenen Helden (anitu) jemand krank gemacht haben, schwingt die Priesterin einen Schild und ein Schwert siebenmal über den Kranken, bevor sie ihre Litanei rezitiert. Wenn aber die Geister der Schmiede- kunst (majasa) die Ursache der Krankheit sind, wird ein die Schmiede darstellendes Miniaturhaus siebenmal über dem Kranken hin und her bewegt. Wenn die Geister im Reisfelde jemand krank gemacht haben, verfertigt die Priesterin eine Kette aus Perlen, die sie mit einem Hackmesser siebenmal über dem Kopf des Patienten hin und her bewegt. Wenn nach einer Kopfjagd die Seele einer Person nicht zurückgekehrt ist, bringt die Priesterin dieselbe zurück, indem sie mit einem Zweig von Dracaena- und anderen Blättern (aro) schlägt (moaro). Ist je- mand fast von einem Tier getötet worden, so verfertigt man eine geflochtene Schlange, der man Reis, pinang und Ei opfert. Dies heißt mantondo ulo. Wenn Leute längere Zeit krank ge- wesen sind, streicht die Priesterin mit einer Schnur über die Glieder, während sie mit Dracaena-Blättern auf diese Schnur schlägt. Diese Handlung, durch welche die Krankheit in die Schnur zieht, heißt tanadusi. Bei der Einweihung eines neuen Hauses kommt die Priesterin, um den Seelenstoff der Bewohner zu befestigen, indem sie Päckchen mit lebenskräftigen Kräutern über die Anwesenden hin und her bewegt und diese Päckchen dann im Dache aufbewahrt. Die Priesterin wird gerufen, um festzustellen, wo sich eine Reisegesellschaft befindet. Zu diesem Zweck sucht sie mit dem wurake-Geist diese Gesellschaft und

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teilt nachlier das Resultat ihres Suchens in einer Litanei mit. Wenn der Reis nicht gut wächst, geht die Priesterin, um den Seelenstoff von den Luftgeistern zurückzuerbitten, was mowurdke tanoana mpae heißt. Die Priesterinnen können Regen verur- sachen, indem sie Büffel in Wasser treten lassen, wodurch dieses übertritt. Diese Handlung heißt mdbuntasi lamha (*aus- stürzen [des Wassers durch die] Büffel'). Aus dem Obigen er- hellt, wie vielumfassend die Funktionen der Priesterinnen sind.

Im zweiten Bande (S. 109 146) wird über die Seele nach dem Tode ausführlich gehandelt. Wenn jemand gestorben ist, steigt seine Seele {angga) hinab in das Schattenreich unter der Erde (torate), das sie aber erst betreten darf, nachdem das Fleisch des Toten verzehrt ist. Die Seele nach dem Tode {angga) kann die Gestalt eines Tieres (Feuerfliege, Schlange, Maus oder Vogel) annehmen, zeigt sich aber gewöhnlich in menschlicher Gestalt. Der Weg nach dem im Westen gelegenen Seelenlande (torate) führt vorbei an einer Areka-Palme, einem riesigen Schwein, einer Schmiede, einem von einer Katze be- wachten Wasserbrunnen und einem Flusse (Sambira Dolo) mit halb rotem, halb blauem Wasser. Interessant ist es, daß auch auf Bali der Glauben an ein Schwein in der Hölle vorkommt, so daß dieser Glauben malayo-polynesisch zu sein scheint.

Einzelne Seelen gehen nicht nach dem Seelenland, u. a. die der im Kriege Getöteten und die, deren Kopf vom Körper ge- trennt ist. Wie fast überall im Archipel glaubt man auch hier, daß die Seelen der im Wochenbett gestorbenen Frauen sich in Vögel mit scharfen Klauen (puntiana) verwandeln. Um dies zu verhüten, legt man in die Achseln oder in die Handfläche der Leiche ein Ei. Die Seelen setzen im Totenreich ihr irdi- sches Leben fort: es ist dort aber sehr unheimlich und trüb- selig. Die auf dieselbe Weise Verstorbenen bewohnen dieselbe Abteilung des Himmels. Die Seelen von Männern sterben acht- mal, diejenigen von Frauen aber neunmal. Nachher verwandelt sich die Seele in Wasser, das vom Tropfstein in das Feuer

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herabtröpfelt und so ganz verschwindet. Wie viele andere Völker haben auch die Toradja's Erzählungen von Menschen, die lebendig das Totenreich besucht haben.

Das große Opferfest heißt mompemate und hat den Zweck, die Seelen feierlich nach dem Seelenland zu geleiten (S. 119). Für das Opferfest werden Hütten (hantaja) errichtet, denen man pinang und Reis opfert. Das Opfer wird den Göttern (lamoa) und dem gefräßigen Geist Lantjadoko gebracht. Man ladet Gäste ein, indem man ihnen eine Schnur mit Knoten, welche die Anzahl der Nächte bis zum Opfer darstellen, sendet. Diejenigen, welche die Knochen der Toten sammeln, heißen tonggöla und sind auf besondere Weise gekleidet. Am ersten Tage werden Päckchen in te?m-Blatt gewickelten Reises {windln) verfertigt, die am zweiten Tage gekocht und am dritten Tage ausgeteilt werden. Am ersten Tage werden auch die Knochen der Toten gesammelt. Hierbei hält man ein Spiegelgefecht zur Vertreibung der Geister. Mit einem Totenschädel heilt eine weibliche tonggöla (s. oben) jeden, der sich unwohl fühlt. Bisweilen werden nur Haare und Nägel statt Knochen der Toten als Medium gebraucht, um die Seelen nach dem Seelen- lande zu bringen. Die Priesterinnen geleiten die Seelen der Knochen nach dem Seelenlande, indem sie ihren Seelenstoff dorthin voraussenden (montölaJco). Am Abend nach der Mahl- zeit singt man zur Ehre der Verstorbenen (mohajöri). Den Schluß des Opferfestes bildet das Austeilen von Lohn (mearai) an die tonggöla und die Priesterinnen. Einige Tage später werden die Knochen in Kisten (sosoronga) begraben oder in einer Höhle beigesetzt. Neben diesem einfachen mompemate steht ein umständlicheres Totenfest {motenglie), das im Dorf- tempel gefeiert wird, und bei welchem hölzerne Masken (pernio) verwendet werden. Einen Monat vor diesem Feste schlägt man auf die Trommel (karatu). Die Seelen der Verstorbenen wer- den durch Trommelwirbel (momenomeno) aufgerufen. Am vierten Tage verfertigt man einen Katafalk für die Toten. Die Knochen-

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päckchen werden mit Masken verziert; diese werden dann nacli dem Feste in der Reisscheune aufgehängt. Die Knoclien- päckchen werden, nachdem Sklavinnen mit ihnen getanzt haben {moende poso), im Katafalk aufgestellt. Fünf Priesterinnen und zwei Priester laufen um einen Korb (taru) mit Asche und leiern dabei eine Litanei ab. In dieser Litanei werden die Toten gerufen, damit sie aus dem Totenland nach der Erde kommen. Wenn die Seelen aus der Unterwelt in dem Tempel angekommen sind, stimmen die Gäste den tenghe-Sung an. Am folgenden Tage gehen die fünf Priesterinnen und zwei Priester mit den Knochen wieder rings um den Katafalk, um die aus Knochen verfertigten Puppen endgültig nach dem Seelenlande zu bringen. Der siebente Tag ist der letzte und zugleich der Glanzpunkt des Festes (mata ntjusa). Bei den anderen Toradja- stämmen wird das Totenfest etwas abweichend gefeiert, z. B. bei den To Ondae verfertigt man nicht nur Masken, sondern vollständige, gleichfalls pemia genannte Puppen aus Holz. Bei den To Puu mBoto Verden zwar die Knochen eingepackt, aber keine Masken gebraucht. Bei den To Lalaeo werden die Knochen der Verstorbenen nicht mehr gesammelt. Die Seelen werden dort von den Priestern in sarungs aufgefangen. Bei den To Napu werden die Leichen bei dem großen Totenfest (tenghe) nicht mehr aufgegraben.

Prof. A. Grubauers Werk: Unter den Kopfjägern in Central- Celebes (Leipzig 1913) schließt sich einigermaßen an das oben besprochene Buch von Adriani und Kruyt an, obgleich das von ihm durchreiste Gebiet südlicher, um den Golf von Boni herum, liegt. Auch hat sein Buch die Form einer Reise- beschreibung, so daß die Nachrichten über die Religion sich hier überall zerstreut finden. Im Register fehlt sogar das Wort ^Religion'. Ich habe aber u. a. folgendes über die Religion gefunden.

Die religiösen Vorstellungen der Tobela am Matanua-See beruhen auf durchaus animistischen Ideen. Jedes irgendwie

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auffällige Ereignis schreiben sie guten oder bösen Geistern zu, deren Wohnsitze sie sich in Bäumen, auf Felsen, auf Berg- gipfeln, auf Grabstätten, im Meere usw denken. Alles erscheint ihnen beseelt: die Reispflanze, das Wasser, das Feuer, ein Stein. Man sacht die Gunst der bösen Geister durch Opfergaben zu erkaufen. Für die freundlich gesinnten haniu (das malayische Wort für 'Geist') hält man aber Opfergaben nicht für nötig. Die Seelen Verstorbener fliegen zum hohen VVawonnango-Berge im Mori-Gebirge bei Torea. Dort leben die Seelen aller guten Menschen gesellig beisammen, während die der schlechten Menschen ruhelos zwischen diesem Berge und dem ehemaligen Wohnsitze der Verstorbenen hin und her wandern. Dasselbe Schicksal ereilt die Seelen verunglückter oder eines gewaltsamen Todes gestorbener Menschen (S. 54 55). Bei den Tobela traf Gru- bauer drei Sando genannte Zauberer, die To Mori waren. Sie besuchten die Dörfer, um den Segen der Reisgeister auf die Neupflanzungen herabzuflehen. Zu diesem Zweck wurden Opfer- tische errichtet, vor denen sie endlose Litaneien herunter- leierten. Dabei warfen sie Reiskörner unter Beschwörungs- formeln, welche an die Geister der Wolken, des Regens und der Winde gerichtet waren, in die Höhe (S. 91 92 mit Abb. 70 und Taf. III).

Interessant ist die Beschreibung des Mäbugi-Festes (S. 242 bis 244), bei dem mit den Dewata gesprochen wird (von hugi 'sprechen' abgeleitet). Dies ist der Fall, wenn man z. B. eine gute Reisernte, Fruchtbarkeit der Büffel, das Aufhören einer Seuche, Verminderung der Kindersterblichkeit usw. wünscht. Bei der Debatte fühlt sich schließlich einer der Anwesenden inspiriert und glaubt, mit den Göttern zu sprechen. Dies ist also Schamanismus. Die Veranlassung zu der Feier, die der Ver- fasser beschreibt, war eine dysenterische Seuche. Um das Wieder- aufleben der Krankheit zu verhindern, wird gesungen und ge- tanzt (makelong), wobei die bösen Geister aufgefordert werden, nach ihren Wohnsitzen zurückzukehren.

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Bei dem Mdbogan- oder Regenfest (S. 350 355) erfleht man von den Göttern Regen, um mit dem Anpflanzen des Reises beginnen zu können. Dieses Fest bestellt hauptsächlich im Opfern von Büffeln, um welche die Männer und Weiber tanzen, wobei die Geister angerufen werden.

Die Geisterhäuser werden an mehreren Stellen dieses Buches abgebildet oder beschrieben (Abb. 187, S.368— 371 mit Abb. 199, S. 388-390 mit Abb. 207, S. 401—405 mit Abb. 213—215, S. 476—477 mit Abb. 246, S. 543 mit Abb. 298).

Im Dorfe Tagolu sah Grubauer zwei Bambusgestelle, die mit Fuja-Fähnchen geschmückt waren. Auf dem höheren be- fanden sich zwei holzgeschnitzte Figuren in halb liegender Stellung, die einen Mann und eine Frau darstellten. Davor lagen Zaubermedizinen, wie Wurzeln und Kräuter sowie ein Ei. Auf dem kleineren Tischgestell befanden sich ein Körb- chen mit Mais und Reiskörnern und viele alte Kupfermünzen. i Das Ganze stellte einen Abwehrzauber gegen Einschleppung I von Krankheit vor (S. 445—446 mit Abb. 238 und 239). Die j Kleidung einer Priester-Arztin der Kajeli wird S. 570 572 be- i schrieben und abgebildet. Der Name dieser Priesterinnen (walia) I ist derselbe wie derjenige der dajakischen Priesterinnen (halian),

Borneo. In dem großen, aus zwei Bänden bestehenden i Werke von Charles Hose und William McDougall The \pagan iribes of Borneo (London 1912) sind vier Kapitel (XIII i bis XVI) des zweiten Bandes der Religion der Dajak ge- ! widmet. Im 13. Kapitel werden der Geisterglauben und die darauf beruhenden religiösen Handlungen ausführlich besprochen. Die Kayan meinen, daß sie von Geistern umgeben sind, die bisweilen in menschlicher Gestalt und mit menschlichen Attri- buten dargestellt werden. Andere Geister sind als das Lebens- prinzip von Tieren oder Pflanzen zu betrachten. Von den Be- wohnern Borneos gilt es nicht ebenso wie von den Toradjas, daß sie jedem Gegenstand eine Seele zuschreiben. Mau kann

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die Geister in drei Gruppen teilen: 1. die anthropomorphen Geister, die als Götter verehrt werden, und die an weit ent- fernten Orten wohnen sollen. 2. die Geister lebender oder verstorbener Personen oder Tiere, die rorbedeutende Kraft haben wie Schweine, Hühner, Hunde, Krokodile. 3. die Geister, die nicht zu einer der beiden vorigen Gruppen gehören, die man fürchtet, und deren Gunst man sich erfleht.

Die Kayan kennen eine Anzahl Götter, u. a. den Kriegsgott, drei Lebensgötter, den Donner- und Sturmgott, den Feuergott, Erntegötter, einen Gott der Seen und Flüsse, den Gott des Irrsinns, den Gott der Furcht und die Begleiter der Seelen nach der Unterwelt, Über allen diesen Göttern steht Laki Tenangan. Einzelne Personen glauben, daß die Götter im Himmel, andere aber, daß sie auf der Erde wohnen. Einige Götter, z. B. der Kriegs-, Lebens-, Ernte- und Feuergott, wer- den als den Menschen freundlich, andere aber, wie die Götter des Irrsinns und der Furcht, als bösartig und schrecklich be- trachtet. Die Kayan wissen, daß ihr Laki Tenangan mit dem Pa Silong der Klemantan (Land-Dajak) und dem Bali Pony- long der Kenyah identisch ist. Die Gemahlin von Laki Tenangan heißt Doh Tenangan und wird zumal von Frauen angerufen. Es ist nicht deutlich, ob die Kayan den Laki Tenangan als den Schöpfer der Welt betrachten. Die in menschlicher Ge- stalt geschnitzten hölzernen Pfähle vor den Häusern sind mehr Altäre als Götzenbilder. Mit Caladiumblättern behängte Bambus- stangen deuten an, daß ein Ort Tabu ist. Die Kayan versuchen durch das Verhalten der vorbedeutenden Vögel und aus den Eingeweiden der geschlachteten Schweine und Hühner die Weise zu erraten, in der die Götter auf ihre Gebete erwidern werden. Die Gewohnheit, die Götter mittels solcher Vögel zu Rate zu ziehen, scheint zur Folge zu haben, daß die Götter selbst in den Hintergrund treten. Die Namen vieler niedrigeren Götter sind eigentlich gewöhnliche menschliche Eigennamen. Hieraus läßt sich schließen, daß diese Götter vergötterte Ahnen mäch-

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tiger Häuptlinge sind. Sogar vor kurzem verstorbene, einfluß- reiche Häuptlinge genießen bei den Klemantan (Land-Dajak) und den See-Dajak eine gewisse Verehrung. Alle Kayan rufen die Hilfe und Fürbitte von Oding Lahang bei Laki TenangaiL an. Auch die Kenyah rufen in ihren Gebeten verschiedene Geister an, die als verstorbene Mitglieder ihres Stammes zu betrachten sind, wie Tokong und Utong. Alle Kenyah und viele Klemantan behaupten, vom Kenyah -Donnergotte Balingo abzustammen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Kayan ihre Auffassung eines obersten Gottes (Laki Tenangan) den Mus- limen entlehnt haben. Auch die Kenyah kennen einen Haupt- gott (Bali Penylong) und neben ihm niedrigere Götter, wie Bali Atap, den Beschützer des Hauses. Die Kenyah wissen die Götzenbilder schöner auszuschnitzen als die Kayan. Bali Utong bringt dem Hause Glück, Bali ürip ist der Lebensgott, Balingo der Donnergott. Bali Sungei wird als eine Schlange oder ein Drache, der Überschwemmungen verursacht, dargestellt. Bali Penylongs Gem-ahlin Bungan wird nicht so ausschließlich von den Frauen verehrt wie Doh Tenangan unter den Kayan. Bali Flaki ist der wichtigste Omenvogel der Kenyah, der den Kriegsgott in den Hintergrund gedrängt hat. Zu den Altar- pfählen gehören die Dracaenapflanze und eine Anzahl kugel- förmiger Steine {hatu tuloi). Der Kriegsgott Toh Bulu der Kayan scheint ursprünglich der Buceros zu sein, dessen Federn ein Symbol der Tapferkeit im Kriege sind. 1 Die Geister niedrigeren Ranges heißen bei den Kayan im ! allgemeinen toh und werden als bösartig betrachtet. Die wich- 1 tigsten derselben sind diejenigen, die man sich mit den in I jedem Hause hängenden, getrockneten Menschenschädeln ver- bunden vorstellt, weshalb man diese mit Ehrfurcht behandelt. I Wenn man diese Schädel berührt, setzt man sich der Gefahr I aus, irrsinnig zu werden. Obgleich man sie fürchtet, glaubt ' man doch, daß sie gute Ernten verursachen. Tod, Krankheit usw. wird den toh zugeschrieben. Wenn man Bäume fällt, läßt man

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einzelne derselben für die tdh stehen, weil man meint, daß sie in denselben wobnen. Zumal kleine Kinder sind dem bösen Einfluß der toh ausgesetzt, weshalb man ihnen während der ersten zwei oder drei Jahre keinen Namen gibt. Mit Ruß macht man sich ein schwarzes Zeichen auf die Stirn, um sich für die toh unkenntlich zu machen. Je unzugänglicher die Berge sind, desto furchtbarer sind die darauf wohnenden toh. An einzelnen Orten glaubt man, daß die toh einen günstigen Einfluß haben. Auch die KSnyah und Klemantan nennen die Geister toh, die See-Dajak aber petara (ein hindu -javanischer Name) oder antu (das malayische Wort für toh).

Im 14. Kapitel werden die Vorstellungen von der Seele, die Bestattungsgebräuche, das Fangen der Seele und der Exorzis- mus besprochen. Einzelne Krankheiten, wie Wahnsinn, werden den toh, andere aber dem Umstände, daß die Seele den Körper verlassen hat, zugeschrieben. Bei den Kayan ist die Dayong (Priesterin) gewöhnlich eine Frau, die ihre Seele aussendet, um die Seele (hlud) des Patienten zurückzuholen. Sie spricht zuerst ein Gebet an Laki oder Doh Tenangan. Die Dayong bringt die entwischte Seele in Gestalt eines kleinen Tieres, eines Reiskorns oder eines Holzsplitters in den Kopf des Kranken zurück, indem sie den betreflenden Gegenstand auf dem Kopfe herumreibt. Danach wird ein mit Blut bestrichener Palmblatt- streif um den Puls des Patienten gebunden. Exorzismus des toh findet bei den Kayan selten statt. Wenn jemand gestorben ist, wird eine wertvolle Glasperle unter jedes Augenlid gelegt, wahrscheinlich als Reisegeld für den Geist bei dem Übersetzen über den Totenfluß. Für die Seele werden Päckchen gekochten Reises und Tabak hingestellt. Neben dem Sarge sitzt eine Dayong mit einem Schwert, das sie bisweilen schwingt, um die toh abzuwehren. Die Dayong unterrichtet die Seele des Toten, wie diese den Weg nach der anderen Welt finden kann. Die Kayan unterscheiden zwei Seelen, die hlua und die urip, die sich unterscheiden wie Seele und Geist, anima und animus,

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^vx^i und nvBv^ia. Bei der Bestattung soll die Leiche das Haus auf einem ungewöhnliclien Wege verlassen; man gibt den Toten Gegenstände mit, die bei den Kayan unbeschädigt, bei den Klemantan aber beschädigt sind. Die Trauer äußert man, indem man einen Teil des Kopfes, der sonst rasiert wird, nicht rasiert; allerdings fällt bei einzelnen Klemantanstämmen gerade das Gegenteil auf. Eigentlich soll eigens für das Totenfest ein Kopf erbeutet werden, dieser wird aber jetzt gewöhnlich geliehen. Der Geist des Toten wird mitunter nach der auf seinen Tod folgenden Ernte eingeladen, in einem Hause zu er- scheinen, wo Speisen und Getränke für ihn hingestellt sind.

Über das Leben nach dem Tode herrschen die folgenden Begriffe. Bei den Kayan gehen die wegen hohen Alters Ver- storbenen nach der Apo Leggan, diejenigen, die eines gewalt- tätigen Todes sterben, nach Long Julan, wo das Bawang Daha (Blutmeer) ist, diejenigen, die ertrinken, nach Ling Yang, die totgeborenen Kinder nach Tenyu Lalu, Selbstmörder nach Tan Tekkan, die Malayen und sonstige Fremde aber nach dem rechten Ufer des Flusses. Die Seelen sollen über den Long Malan setzen auf einem fortwährend von Maligang bewachten Holzblock {bitang sekopa). Die Punan glauben außerdem, daß eine Ungap genannte Frau die Brücke bewacht und den Seelen hilft, wenn sie ihr Glasperlen geben. Die Malanaus von Muka (Klemantan) glauben, daß ein zweiköpfiger, Maiwiang genannter Hund den Übergang bewacht und durch Glasperlen überredet werden muß, daß er die Seelen hindurchläßt. Dieser Glauben an einen Hund und eine Brücke in der Unterwelt findet sich auch bei den Toradja sowie auf der Insel Bali. Statt des I Tötens von Sklaven am Grabe eines Häuptlings hält man jetzt einen Hahnenkampf ab.

Die Kayan betrachten Wahnsinn als Besessenheit von einem bösen Geist, der ausgetrieben werden muß. Sie glauben an die Seelenwanderung, z. B. in Menschen (Enkel) oder Tiere. Die Klemantan begraben die Leichen in verzierten Särgen oder in

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Töpfen, die Murut meist in Töpfen. Die See-Dajak begraben ihre Toten in Matten gewickelt in der Erde. Die Land-Dajak von Oberserawak und einzelne Klemantanstämme in Südbomeo verbrennen die Leichen oder die Knochen.

Im 15. Kapitel werden die mit Tieren und Pflanzen ver- bundenen animistischen Anschauungen behandelt. Der wich- tigste Omenvogel der Kenyah ist der Haliaster intermedius, der als Bali Flaki angeredet wird. Er wird zu Rate gezogen, be- vor man in den Krieg zieht, und bevor man anfängt mit Säen. Wenn ein neues Haus gebaut ist, wird eine Holzfigur von Bali Flaki verfertigt, der man opfert. Der Habicht wird als ein Bote und Vermittler zwischen den Menschen und Bali Penya- long betrachtet. Andere Omenvögel sind drei Arten von Arachnothera, die man isit nennt, drei Arten von Harpactes, dem Specht (Lepocestes porphyromelas), den sie Jcieng nennen, und zwei Arten von Buceros, den sie Ivng nennen. Die Kenyah opfern dem Bali Penyalong Schweine. Die Zukunft wird aus der Leber eines Schweines geweissagt. Man opfert Hühner bei dem Aufhören einer Blutfehde, bei dem Zurückrufen der Seele eines Kranken und bei dem Trinken von Blutbruder- schaft. Auch Hühnereier werden an Stelle der Hühner ge- opfert. Die Kenyah nennen das Krokodil, wenn sie von ihm sprechen, 'alter Großvater'. Man darf es nur töten, wenn es zuerst einen Menschen getötet hat. Die Kenyah betrachten es nicht als Ahnen. Die Kenyah töten keine Hunde, weil sie meinen, dadurch wahnsinnig zu werden. Auch Hirsche und kleines Vieh töten sie nicht. Der Laut des Hirsches (Cervulus muntjak) und des plandoh (Tragulus napu) ist vorbedeutend. Auch das Fleisch der Tigerkatze (Felis nebulosa) wird nicht gegessen. Andere von den Kenyah mit abergläubischer Ehr- furcht betrachtete Tiere sind der Varanus, die Schlange und der Orang-Utan (majas). Wie bei den Kenyah gilt auch bei den Kayan der Habicht (Laki Neho) als Vermittler zwischen den Menschen und Laki Tenangan, und zwar verehren sie die

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Habichte auch im allgemeinen. Auch die Anschauungen über Krokodile, Schweine, Hühner, Tiger, Affen usw. stimmen bei den Kayan im wesentlichen mit denen der Kenyah über ein. Bei den Klemantan ist der Habicht (Bali Flaki) der Bote von Bali Utong (dem höchsten Wesen). Sie opfern Schweine und Hühner, wie die Kenyah und Kayan. Nur die Malanau opfern bei feierlichen Eiden Hunde. Die meisten Klemantan töten und essen Hirsche und Vieh. Einzelne zeigen Ehrfurcht vor ein- zelnen Hirscharten (Cervulus muntjak, plandok, Cervus equinus), Bärkatzen (Artictis) oder Paradoxurus. Zumal Krokodile ge- nießen bei den Klemantan eine große Verehrung.

Die Punan haben dieselben Omenvögel wie die Kenyah, aber sie essen alle anderen Tiere. Das Krokodil, das sie Bali Penyalong nennen, betrachten sie als einen Gott. Auch die Eidechse gilt als vorbedeutend. Die See-Dajak oder Iban kennen kein höchstes Wesen, aber viele P^tara, den Kulturheros Klieng und den Kriegsgott Singalang Burong, den ganz anthropomorph aufgefaßten Habicht. Das Zurateziehen von Vorzeichen, die durch Vögel oder andere Tiere gegeben werden, nennen sie hehurong. Auch der Buceros, der Reisgott oder Großvater {aM) des Reises {padi), Pulang Gana genannt, und das Krokodil genießen große Verehrung. Sie opfern ihnen Schweine und Hühner, aber sie essen ihr Fleisch wie Hirschfleisch.

Der Ngarong oder der geheime Helfer spielt bei den Iban eine große Rolle. Es ist gewöhnlich die Seele eines verstor- benen Blutsverwandten, die in ein Tier oder einen Gegenstand übergehen kann. Die Tierart, in welche der Ngarong einge- gangen ist, darf nicht getötet werden.

Vielleicht ist der Tierkult aus einem ursprünglichen Totem- ismus, der seit der Einführung des Reises (padi) aus Java (vor drei Jahrhunderten) und den Philippinen (vor 150 Jahren) in Verfall geraten ist, hervorgegangen. Es ist aber nicht wahr- scheinlich, daß der Totemismus je bei den Kenyah bestanden hat, denn bei den Punan, die in jeder Hinsicht mit ihnen über-

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einstimmen, findet sich keine Spur desselben. Tieropfer sind oft aus früheren Menschenopfern entstanden.

Der Totemismus ist vielleicht aus dem Ngarong der Iban hervorgegangen, der bisweilen ein Fetisch und bisweilen ein individuelles Totem ist. Wenn man von einem Tier träumt, wird dies der Fetisch. Einzelne meinen, daß sie von Kroko- dilen oder Afi^en abstammen. Außer dem Reis wird auch der silat-Yalme eine Seele zugeschrieben. Eine Caladiumart (long) wird gebraucht zur Andeutung, daß etwas tabu ist. Die oröbong- Pflanze wird bei Niederkünften verwendet. Die Dracaena wird bei weiten Reisen an ein Boot gebunden. Die Iban und einzelne Klemantan betrachten es als Entweihung, den tapang -^2i\im (Arbouria) zu fällen.

Kapitel 16 handelt über Magie und Amulette (S. 114). Die Magie spielt eine geringe Rolle bei den Kay an, Kenyah, Punan, Iban und den meisten Klemantan; bei den Küsten- stämmen der Klemantan aber (z. B. den Malanau und Kadayan) wird sie mehr geübt. Die Dayong der Kayan sind mehr Priesterinnen und Arztinnen als Zauberinnen. Einzelne tragen Masken. Die Medizinmänner der Iban heißen manang. Die manang häli tragen Frauenkleider und gebärden sich wie Frauen. Die tau tepang bei den Iban sind Zauberer oder Hexen. Schwarze Magie bezweckt den Tod eines persönlichen Feindes, u. a. bei den Sebop (Klemantan). Zu den therapeutischen Handlungen gehört das Ausziehen der angeblichen Ursache der Krankheit. Dies ist die Aufgabe der Dayong. Durch eine Röhre saugen sie die Ursache des Übels in Gestalt eines Stückchens Wachs aus dem Körper des Patienten. Die Küstenstämme lassen Krank- heiten in Gestalt hölzerner Puppen auf einem Floß nach dem Meere treiben. Man verbrennt die abgeschnittenen Haare aus Furcht, daß mit denselben gezaubert werden könnte. Magische Handlungen, um Feinden zu schaden, finden sich namentUch bei den Küsten-Klemantan, Kadayan und Malanau und sind den Malayen entlehnt.

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Amulette werden weniger von den Kayan als von den Kenyah gebraucht, bei denen sie siap aiöh heißen. Sie bestehen aus Zahnbüscheln, zumal von Krokodilen, Holzstückchen usw. Die Punan tragen derartige siap an ihren Pfeilköchern. Bei den Iban heißen die Amulette pengaroh oder empungau. Talismane, um Liebe zu erregen, finden sich weniger bei den Kayan und Kenyah als bei den Iban, die Halsketten aus starkriechendem Samen (huah halong) tragen, und bei den Klemantan, wo sie meist aus wohlriechendem Ol bestehen und sangJcü heißen. Ein Jagdamulett bei den Iban hat die Gestalt eines Stabes mit einer Menschenfigur am oberen Ende geschnitzt. Wenn ein Kenyah einen verbotenen Gegenstand berührt hat, reinigt er sich durch eine lemäwa genannte Zeremonie. Eine Zeremonie, um den Dämon des Wahnsinns zu vertreiben, findet sich bei den zu den Klemantan gehörenden Malanau und heißt hajoh.

Außer dieser großen Monographie erschien im Jahre 1913 auch eine kleine Abhandlung von P. te Wechel, Erinnerungen aus den Ost- und West-Dusunländern (Borneo), in besonderem Hinblick auf die animistische Lebensauffassung der Dajak (Internat. Archiv für Ethnogr, XXII S. 1—24). Hier wird (S. 11) über die Seele während und nach dem Leben gesprochen. Der Maänjan spricht von einer Seele (amiroe) des Menschen und des Reises, aber von einem roh (das arabische Wort ruh für Seele) des Holzes oder eines Steins. Die Seele des Reises wird also als der menschlichen verwandt betrachtet. Der Dajak sagt: amiroe ist djiwa (das Sanskritwort für 'Leben, Lebens- stoff'), d. h. Schattenbild oder Spiegelbild. Amiroe ist also der unpersönliche Seelenstoff, wie Kruyt sich ausdrückt; adiau aber ist die Seele nach dem Absterben des Körpers (die Hau der Olo Ngadju). Krdma nennt der Maänjan dasjenige, was beim Sterbenden den Körper verläßt und dann ganz ver- schwindet. Amiroe bewohnt zwar den ganzen Körper, aber vor- zugsweise Haare, Nägel, Speichel, Blut und Gehirn. Amiroe ist die Seele, die während des Lebens, z. B. bei Träumen, den

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Körper verläßt. Auch bei plötzlichem Schreck kann der amiroe den Körper verlassen, weshalb Kinder selten oder nie geschlagen werden.

Die oberste Gottheit der Dajakstämme von Buntok heißt AUatala oder Atala, was auf muhammedanischen Einfluß zurück- zuführen ist (Korrumpierung von Allah Ta'äla), auch Tohan (malayisch tuhan, Herr). Er wird weniger verehrt als die ala genannten Geister, die sehr gefürchtet werden. Zu ihnen ge- hören: die Seelen (adiau) verstorbener Menschen, für die noch kein Totenfest gefeiert worden ist, die Seelen (roh) der Tiere (z. B. des Tigers und des Krokodils) und der Pflanzen, die panganto (Krankheit verursachend) heißen, die äla von Men- schen, deren adiau die Seelenstadt niemals erreichten, und die Dämonen (malayisch hantu).

Eine gewisse Art ala leistet bei Krankheit Hilfe. Dies sind die seniang der Biadju. Unter den ala gibt es Luftgeister und Erdgeister. Die Pontianak heißt in Westdusun Kunkianak. Harimaung ist ein Waldgeist in Gestalt eines Tigers, der Tieren und Menschen das Blut aussaugt. Njaro ist der Donnergott, der als ein Hund dargestellt wird. Njanjo Kowawe ist ein Hirschgeist. Durch Opfer kann man jeden ala in einen Schutz- geist (Hiang Piombung) verwandeln. Gewöhnlich ist dieser Hiang Piombung ein Tier (Tiger, Hirsch oder Fisch). Meistens hat er sein besonderes Häuschen in der Wohnung des Anbeters.

Die pangantoho sind Fetische aus Stein, in denen ein Hiang Piombung haust. Bei den Dusun-Barito und Lawangan wird ein Schädel als pangantoho gewählt. Auch Tierschädel oder Holzstücke, die in der Gestalt einem Menschen oder Tier ähneln, werden als pangantoho betrachtet.

Die Zauberer (balian oder wadian) lassen sich einteilen in: 1. hälian rawoh (oder warah), die bei Totenfesten fungieren und, außer bei den Padju Empat, Männer sind ; 2. halian Mwoh, Medizinmänner, gleichfalls Männer, bei den Lawangan, oder halian Maänjan (dada) bei den Maänjan; diese letzteren sind

Religionen der Naturvölker Indonesiens 601

aber Frauen; 3. halian idbih (makan dla), die den Geistern Opfer darbieten. Der halian kann die Götter und Geister zwingen, zu erscheinen. Als Medizinmann leistet er bisweilen gute Dienste.

Die Dajak meinen, die Krankheit entstehe, indem ein Krank- heitsgeist in den Körper des Kranken fährt und dessen Seele (amiroe) entflieht. Die letztere muß also zurückgeholt und der erstere, bisweilen ein adiaii, ausgetrieben werden. Gewöhnliche Krankheiten sind z. B. sahit mangga, eine Art Asthma, und .saUt sahor, eine durch den Geist Sahor verursachte Abnahme der Körperkräfte sowie eine durch den Geist Rangung yerur- sachte Anschwellung der Beine. Die letztere ist speziell eine Strafe für Diebe.

Sumatra. Im zweiten Bande der großen Monographie von Alfred Maaß, Durch Zentral-Sumatra (Berlin 1912) wird über die Religion nur an einzelnen Stellen gesprochen, z. B. S. 48, wo erzählt wird, wie die Eingeborenen fürchten, daß man mit einer Haarlocke zugleich den darin befindlichen Seelenstoff er- hält und damit den Menschen selbst ganz in seine Macht be- kommt, so daß man ihm alles Böse antun kann. Wegen der- selben Ursache vermeiden es die Eingeborenen, ihren eigenen Namen zu nennen. Dies gilt nicht nur von den Malaien Su- matras, sondern auch von denen Malakas sowie von den Dajak I und den Papua.

! Betreffs des Wahnsinns glaubt man in Zentral-Sumatra (S. 38 1 ), I daß dieser dadurch verursacht wird, daß der Wahnsinnige von einem bösen Geist besessen wird, weshalb man die Irrsinnigen am Kopf und Körper mit dem Safte des Citrus papeda be- streicht, um dadurch den bösen Geist zu bannen. Eine Form i zeitweiligen Wahnsinns, die bei den Frauen bisweilen epidemisch ! auftritt, wird dem bösen Geist Si-mabau-bungä zugeschrieben. In einigen Gegenden der Padanger Hochländer glauben die Ein- geborenen, daß böse Geister die Seele {sumange') einer

602 H. H. Juynboll

Frau entführen können, wodurch sie einen Anfall von dieser Krankheit bekomme. Auch auf Bali und in Atjeh wird Wahn- sinn einem bösen Geiste zugeschrieben.

Namentlich im Kapitel über böse Geister (S. 413 448) werden diese als Verursacher von allerlei Krankheiten bezeichnet. Schon die Berührung eines Geistes genügt, um jemand krank zu machen. Auch das Aussaugen des Blutes oder das Werfen von Sand oder sonst einem Stoff als Krankheitsübertrager auf den Körper sind Mittel, die ein böser Geist anwendet, um Menschen krank zu machen.

In Taluk stellt man sich die Geister {hantu) als gewöhn- liche Menschen vor. Sie hausen besonders in Sümpfen und im Walde oder an bestimmten Stellen längs der Mußufer. Die Dämonen können auch bisweilen in die Wohnungen der Men- schen eindringen. Zur Abwehr verbrennt man starkriechende Kräuter oder man hängt dornige Sträucher über dem Eingang des Hauses auf. Auch trägt man Amulette zum Zweck, dem Angriff eines Geistes vorzubeugen. In Taluk glaubt man nicht, daß die Geister der Verstorbenen imstande sind, jemanden krank zu machen oder jemandes Seele zu rauben ; in Si- Djundjung aber glaubt man das letztere wohl. Auch bei den Minangkabauern besteht die Vorstellung, daß Krankheiten in- folge der Entführung der Seelen durch einen Geist verursacht werden. Nicht nur bei Krankheiten, sondern auch während des Schlafes und infolge eines Schreckens kann der Lebens- geist den Körper zeitweilig verlassen.

Nach dem Glauben der Bewohner von Taluk sitzt die Seele in allen Organen, vorzugsweise aber im Herzen und in der Leber. Auch im Blute, in den Haaren und Nägeln ist Seelen- stoff vorhanden. In der Plazenta und der Nabelschnur befindet sich nach den Talukern keine sumange% in Si-Djundjung aber glaubt man gerade das Gegenteil. In Taluk wird verneint, daß die Sekrete und Exkremente des Menschen Seelenstoff enthalten. In Zentral-Sumatra glaubt man, daß man durch allerlei Zauber-

Religionen der Naturvölker Indonesiens 603

mittel imstande ist; andere krank zu machen, z. B. indem man jemand einen bezauberten Faden um den Finger bindet. Es gibt in Zentral-Sumatra eine Kategorie von Menschen, die ge- fürchtet werden, weil sie imstande sein sollen, sich in irgend- ein Tier, namentlich in einen Tiger, zu verwandeln (Lykan- thropie). Der Schreiber dieses Kapitels über die bösen Geister, Dr. J. P. Kleiweg de Zwaan, schließt sich der Meinung von Prof. de Groot an, daß es sich hierbei nicht nur um eine einfache Seelenwanderung handelt, sondern daß auch der Körper allmählich eine tierische Gestalt annimmt.

Das Obige genügt, um zu zeigen, wie auch in diesen nomi- nell muhammedanischen Gegenden die verschiedenen Formen von Naturreligionen noch gar nicht erloschen sind.

Nias. In der Monographie von Dr. J. P. Kleiweg de Zwaan, Die Insel Nias bei Sumatra. Die Heilkunde der Niasser (Haag 1913) findet sich, zumal im ersten Kapitel (S. 1 82), vieles über die Religion der Bewohner von Nias. Die Heil- kunde der Niasser ist auf das innigste mit ihrer Religion ver- bunden. Besonders die bösen Geister sollen imstande sein, bei 1 den Menschen Krankheiten zu erregen, jedoch auch die ver- ! schiedenen Gottheiten, wie Lowalangi, die höchste Gottheit der j Niasser. Lature soll, nach einzelnen Niassern, den von den ! Menschen an den Himmel geworfenen Schatten aufessen, die . bösen Geister (heghu) aber den auf die Erde fallenden Schatten j der Menschen. Die unterirdische Gottheit Baluwa-dano schickt bisweilen einen bösen Geist auf die Erde, um die Menschen I durch Krankheiten zu strafen. Barasi-luluö oder Baliu ver- j leihen den Menschen die Seele.

i Nach den Nord-Niassern ist aller Seelenstoff im Besitz der I Sibarassia Nosso. Türe Luluwe wiegt die für den einzelnen 1 Menschen bestimmte Menge Seelenstoff ab, und Lowalangi be- stimmt, wie viel Seelenstoff einem jeden zuteil wird. Von den bösen Geistern (heghu) werden zumal Afocha und Nadaoja sehr

604 H. H. Juynboll

gefürchtet, weil man meint, daß sie die Schatten der Menschen aufessen.

In Süd-Nias (^Telok Dalam) glaubt man, daß Malaria gewöhn- lich durch Nadaoja verursacht wird. Dieser ist, wie Afocha, ein Baumgeist. Von den heghu hat Sibua es besonders auf schwangere Frauen abgesehen. Der leghu salawa macht die Menschen krank, indem er sie erschreckt. Der heghu lauweha soll im Meere oder nach anderen im Walde hausen. Der heghu nassi läßt die Bemannung der Fahrzeuge ertrinken. Zu den Waldgeistern gehören die heghu hedoja, welche die Menschen durch ihre Berührung krank machen, und huka huJcai. Der heghu di hunu macht, daß Menschen vom Fieber befallen wer- den, und der Erdgeist djumhala tanah verursacht Beriberi. In Nord-Nias (Lahewa) wird der Grottengeist heghu doya sehr ge- fürchtet. Sihelu dano dringt in die menschlichen Wohnungen ein und macht die Bewohner krank. In Süd-Nias ist der heghu saho, der in Gestalt einer weißen Katze in Bäumen sitzt, sehr gefürchtet. Die heghu lauru und gafore sind die Geister ' der Korn- und Schweinemaße. Auch die Geister der Verstor- benen trachten, die Hinterbliebenen kränk zu machen. Deshalb verfertigt man sofort nach dem Tode ein hölzernes Abbild des Verstorbenen. Man gibt dem Toten für das Jenseits verschie- dene Gegenstände mit. Die Seele (rnoko-möko) verläßt den Körper einige Zeit nach dem Tode in Gestalt einer Spinne, die zu dem hölzernen Abbild {adu) des Verstorbenen gebracht wird. Nach einem Todesfall werden meistens dem Verstorbenen Opfer gebracht. Um den Toten zu hindern, wieder aufzu- erstehen, bindet man seine Beine zusammen und verstopft seine Nasenlöcher. Auch das Nehmen eines Bades und verschiedene andere Vorschriften haben den Zweck, sich gegen die Rache des Verstorbenen zu schützen. Wenn trotzdem doch eine Krank- heit ausbricht, so muß für den Verstorbenen ein neuer adu gemacht werden, dem ein Opfer gebracht wird. Bei einem Todes- falle macht man Lärm, um den Geist des Verstorbenen zu ver-

Religionen der Naturvölker Indonesiens 605

jagen. Für verstorbene Stammeshäupter wird statt eines höl- zernen Bildes häufig ein großer Steinblock errichtet. Auch die Geister verstorbener Tiere sollen imstande sein, Menschen krank zu machen.

Die Kopfjagd scheint teilweise eine Äußerung des Ahnen- kultus zu sein. Früher hatten die Kopfjäger ihre eigene Gott- heit, die sie beschützte, und der sie ein Götzenbild errichteten. Nach Kruyt und Schröder ist der eigentliche Zweck des Kopf- abschlagens, sich in den Besitz des Seelenstoffes dieses Kopfes zu setzen. Nach Frieß ist das Köpfeschnellen eine Äußerung des Spiritismus.

Auch auf Nias fürchtet man die matianäk oder Geister im Wochenbett gestorbener Frauen. Bei der Bekämpfung von Krankheiten spielen die Priester und die dukun eine große Rolle. Die Niasser fürchten sich vor dem Regenbogen und vor Kometen. Regen mit Sonnenschein wird für gefährlich gehalten, weil dann die Krankheit verursachenden Geister umherschweifen. Auch andauernde Regengüsse und Erdbeben gelten als schlechtes Vorzeichen. Wenn jemand Priester werden will, versteckt er sich im Walde, damit seine Kamponggenossen dann glauben, daß ein böser Geist ihn entführt hat. Nachdem der Jüngling zurückgekehrt ist, wird er auf einen hohen Berg geführt, um die Berggeister kennen zu lernen.

Gewöhnlich wird eine Krankheit verursacht, indem ein böser Geist die Seele des Menschen fortnimmt. Wenn der böse Geist (heghu) den Schatten des Menschen aufgegessen hat, fleht der Priester einen heia genannten Geist an, den heghu zu zwingen, die Seele dem Kranken zurückzugeben. Man stellt sich also den Schatten des Menschen beseelt vor.

Böse Geister können die Menschen auch krank machen [durch Ausstreuen von Krankheitskeimen, z B. Pockenkeimen, [Asche, Steinchen usw. Auch in das Wasser streuen sie Krank- heitskeime. Daher die Furcht der Niasser, zu baden, und ihre Unreinlichkeit. Die heghu können die Menschen auch krank

6Q6 H. H. Juynboll Religionen der Naturvölker Indonesiens

machen, indem sie dieselben erschrecken oder auch berühren, oder indem sie in den Körper der Menschen eindringen. Man versucht, mittels Opfergaben die bösen Geister günstig für sich zu stimmen und wendet gegen die Krankheit erregenden heghu Amulette an.

Das Anfertigen der hölzernen Götzenbilder (adu) steht mit der Geisterverehrung und Geisterfurcht in Verbindung. Sie spielen eine bedeutende Rolle bei der Bekämpfung der Krank- heiten. Wahrscheinlich sind die adu Medien, durch welche man mit den wohlgesinnten heia in Kontakt kommen kann. Die heia sind Geister, die auf den Gipfeln der Bäume wohnen. Es gibt auch böse helaj die die Menschen krank machen und Frauen schwängern. Wo die adu mit großen Genitalien versehen sind, ist dies als ein Fruchtbarkeitssymbol zu betrachten.

Man trägt Armbänder von Metall gegen Zauberei. Viele Krankheiten werden auf Zauberei zurückgeführt. Auch in Liebes- angelegenheiten spielt die Zauberei eine große Rolle, indem man durch Zaubermittel Liebe einflößen kann. Viele Leute be- sitzen die Kraft, ihre Mitmenschen durch Verwünschungen krank zu machen. Die heghu nassi genannten Geister können durch ihre Blicke Krankheit verursachen. Pocken oder Wahnsinn werden als Strafe für ein begangenes Unrecht aufgefaßt. Zahn- leiden und Hautkrankheiten werden durch ein Tier verursacht. Lowalangi läßt die Menschen durch Ertrinken umkommen.

Das Obige wird genügen, um zu zeigen, wieviel in diesem Buche über 'Die Heilkunde der Niasser' auch über die Religion dieser interessanten Insulaner sich findet.^

* Die Besprechung des wertvollen, 1912 erschienenen Werkes von Eiber Die Sundaexpedition behalte ich mir für den nächsten Bericht vor.

7 Der indische Bnddhisnms (1910—1913)

Von H. Oldenberg in Göttingen

Unter „indischem" Buddhismus wolle man den vor derindi sehen (im Ganzen, Ceylon eingeschlossen) verstehen. Daß gelegentlich doch auch Hinterindisches ebenso Zentralasiatisches zu erwähnen war, das mit den der Berichterstattung direkt unter- liegenden Materialien und Problemen zusammengehört und auf diese Licht wirft, versteht sich von selbst. Eine vollkommen scharfe Grenzlinie zu ziehen, war natürlich unmöglich. Das I massenhafte Material, für das neben der Orientalischen Biblio- j graphie auch auf die vorzüglichen Zusammenstellungen Ballinis j in der Rivista degli Studi Orientali zu verweisen ist, durfte ich vollkommen zu erschöpfen aus äußeren wie inneren Gründen nicht versuchen.

Unter den Gesamtdarstellungen erwähne ich zuvörderst das kleine, höchst inhaltreiche Buch von Mrs. Rhys Davids^. Es legt die so oft dargestellten Einzelheiten des alten Buddhismus nicht von neuem vor, sondern gibt auf Grund der Päli- quellen dem, der dessen äußeres Bild in sich aufgenommen hat, ein Gesamtbild, ich möchte sagen, seiner inneren Struktur. An die Spitze stellt die Verfasserin die Vorstellung des „Dhamma" als einer unpersönlichen, ewigen Ordnung der Dinge, welche deren Bewegung und Leben beherrscht. Sie verfolgt den Dhamma in seinen Erscheinungsformen: in der Leugnung eines Ich, im Kausalitätsgesetz, der von der Vorstellung des Karman beherrschten Moral, dem Erlösungsstreben und seinem Ziel, dem Nirvana. Mit der ihr eignen Feinheit und Klarheit ist sie bestrebt, von den Fragen, welche die Alten bewegten, und ihren Antworten darauf alle Elemente abzulösen, die den Be-

* Mrs. Rhys Davids Buddhism, a study of the Buddhist norm (Home University Library). London, ohne Jahr (erschienen 1912).

gQ3 H. Oldenberg

trachter der Versuchung des thinking of something eise unter- liegen lassen. So hat sie es erreicht, die Hüllen des Unwesent- lichen abstreifend vom Wesentlichen der altbuddhistischen Ge- dankengänge ein nicht geringes Maß uns vor Augen zu stellen. Weiter ist von Gesamtdarstellungen des Buddhismus oder wenigstens des alten Buddhismus die im vorigen Bericht (Archiv XIII 582) besprochene Edv. Lehmanns jetzt erfreulicher- weise in deutscher Bearbeitung erschienen.^ In neuer Auflage erschien das Buch des gegenwärtigen Berichterstatters^ und dasjenige Pischels^, das letztere unter Absehen von tiefer greifenden Änderungen von Lüders herausgegeben, überall tritt in diesem Buch der außergewöhnliche Umfang von Pischels Wissen und Belesenheit hervor, und man wird dem Urteil des Herausgebers beipflichten, der es zu den besten der Arbeiten Pischels rechnet. Die auch in Pischels Forschungen über den Veda so energisch sich kundgebende Neigung, in der Auffassung alt indischer geistiger Schöpfungen späteren Tradi- tionen entscheidendes Gewicht einzuräumen, scheint mir hier und da ihn zu irrigen Ergebnissen geführt zu haben. Ich habe dies schon an anderm Ort hinsichtlich der Ansicht Pischels ausgeführt, die für die Auffassung der Entwicklung der Jätaka- literatur entscheidend sein und diese revolutionieren würde, daß die alte Zahl dieser Erzählungen 34 sei: offenbar wegen des allem Anschein nach erst in später Zeit dem Buddha beige- legten Epithetons „Kenner der 34 Jätakas" (s. dazu meine Ausführungen Nachr. Gott. Ges. Wiss. 1912, 183 ff.). Ich glaube, daß das Gewicht, das Pischel bestimmten Formulierungen der Sämkhyaphilosophie in der Deutung der buddhistischen Lehre zugesteht, ähnliche Bedenken herausfordert. Anderer Art sind Zweifel, die ich gegen Pischels Parallelisierung des bud-

^ Edv. Lehmaun Der Buddhismus als indische Sekte, als Weltreligion. Tübingen 1911.

^ H. Oldenberg Buddha, sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde. 6. Auflage, Stuttgart und Berlin 1914.

' R. Piscbel Leben und Lehre des Buddha. 2. Auflage, Leipzig 1910.

Der indische Buddhismus (1910—1913) 609

dhistischen Freundschaftsgefühls (maitri) mit der christlichen Liebe erhebe (s. meinen unten S. 617 A. 1 angeführten Aufsatz; vgl. auch dies Archiv XIII 586). Erfreulicherweise hat Pischel von den großartigen Entdeckungen in Zentralasien, um deren Erreichung er selbst sich so hervorragende Verdienste erworben hat, vieles noch für diese Arbeit nutzbar machen können. In neuer, wesentlich erweiterter Auflage ist auch das fein- sinnige und gedankenreiche, leider allzu stark von den Über- setzungen K. E. Neumanns abhängige Buch von de Lorenzo^ erschienen. La Yallee Poussin^ stellt den alten Buddhismus in seinem Hervorwachsen aus dem Brahmanentum und nach den Grundzügen seines eignen Wesens mit der dem Verfasser eignen Unabhängigkeit des Urteils in der Kürze dar. Die treffende Bemerkung Barths, daß die feindlichen Brüder, Brahmanen und Buddhisten, doch in Wahrheit Brüder sind, I kann als ein Leitmotiv seiner Ausführungen angesehen werden. Noiis n'essaierons pas de ramener leurs (der Buddhisten) opinions ä une doctrine coherente: ce serait perdre notre temps; mais nous sommes fixes, ou ä peu pres, sur leurs principales pensees habi- tuelles et par consequent dirigeantes: man wird diesem Grund- i Satz der Darstellung nur beistimmen können. Ebenso der I Lösung, zu welcher der Verfasser in dem vieldiskutierten I Nirvanaproblem sich bekennt: das Nirvana n^est pas le neanty I mais ce n'est aucune forme connue ou imaginable d'existence. I Über das Buch von Costa^, der auf theoretischem Gebiet die j buddhistische Ablehnung der Annahme absoluter Prinzipien I und die Lehre von der Unbeständigkeit, der Nichtsubstanzialität ! alles Daseins in Verbindung mit der Diskussion der Gedanken- gänge leitender abendländischer Systeme in den Vordergrund stellt, auf praktischem Gebiet die Idee des Mitleids, habe ich

I 1 G. de Lorenzo India e Buddhismo antico (Bibl. di Cultura moderna). J2. ediz., Bari 1911.

2 L. de la Yallee Poussin Bouddhisme et religions de VInde (Christus p. 220—298). Paris 1912.

^ Alessandro Costa Füosofia e Buddismo. Turin 1913.

Archiv f. Eeligionewissenachaft XVII 39

QIQ H. Oldenberg

an anderm Ort (Deutsche Lit. Zeit. 1913, 2715 ff.) berichtet und die Reserven, die ich hier machen möchte, bezeichnet. Ebenso über die Schrift von Mme Alexandra David^, die den Buddhismus wenn ich mich nicht täusche, ihn bemerkbar modernisierend als proche des conclusions de la science d'aujourd'hui et^ foserais dire, de la science de demain dem einzelnen als Führer, dem sozialen Leben als Leuchte darbietet (vgl. Deutsche Lit. Zeit. 1912, 220 f.). - Dahlke^ hat entdeckt, daß man den Buddhismus nicht versteht, wie in geradezu pein- licher Weise aus der Literatur über ihn hervorgehe. Seiner- seits historischem Denken fernstehend erläßt er es sich, um ein Verständnis des Buddhismus sich zu bemühen, wie er mit den ihm vorangehenden Phasen des Gedankens verknüpft an seiner Stelle innerhalb des altindischen Geisteslebens steht. Für Dahlke ist die Lehre des Buddha d. h. in Wahrheit eine Mischung von Buddha und Dahlke nicht allein großartig und tief wie die Heraklits, die des Vedänta es auch ist. Sie ist mehr als das: sie ist wirklich. Man stelle alle Eeli- gionen, alle philosophischen und wissenschaftlichen Systeme der Welt auf die eine Seite: auf die andre kommt allein der Buddhismus. Der Buddha steht wie der Erwachsene gegen- über Kindern da. Um für seine Lehre Platz zu machen während Kant „als einer der größten Schädlinge am Baume des geistigen Lebens der Menschheit'' entlarvt wird muß „die nichtwirkliche und die rückwirkliche Form der Weltan- schauung, wie sie als Glaube und Wissenschaft überall die freie Aussicht versperren, hinweggeräumt oder doch auf das ihnen zukommende Gebiet begrenzt werden". Ein folgender Band wird die Bedeutung des Buddhismus für Moral und Reli- gion den wenigen darlegen, für die Dahlke schreibt „das

^ Alexandra David Le Modernisme touddhiste et le Bouddhisme du Bouddha. Paris 1911.

2 P. Dahlke Buddhismus als Weltanschauung. Breslau 1912. Vgl. ancli denselben Die Bedeutung des Buddhismus für unsere Zeit. Breslau 1912.

Der indische Buddhismus (1910—1913) 611

sind die wenigen, die viel sind". B. Jayatilaka, ein ceylo- nesisclier Gelehrter, besckreibt in einem Vortrag, den er auf dem Weltkongreß für freies Christentum (Berlin 1910) hielte die buddhistische Lehre als ein „System von praktisch- ethischen Regeln, deren Ziel die Ausmerzung des Schlechten ist, die Entwicklung des Guten und die Reinigung des Herzens". Wenn ein Blatt, das diesen Vortrag veröffentlichte, von ihm rühmte, er gewähre Einblicke in das Wesen des Buddhismus, wie sie aus den in Europa bekannten Kommentaren dieser Lehre bisher kaum zu gewinnen seien, so schien es dem gegen- wärtigen Berichterstatter^ wichtig, auf das aus der Untersuchung der alten Quellen und allein aus dieser zu gewinnende echte Bild des ursprünglichen Buddhismus gegenüber der bequemen und freien modernen Umdeutung zurückzuweisen. Kurze, verschiedenen Zwecken angepaßte Darstellungen des Buddhismus hat der Verfasser des vorliegenden Berichts an den beiden unten verzeichneten Stellen^ gegeben. Hier darf auch ein gleichfalls kurzer, vor der Asiatic Society of Bengal gehaltener Vortrag desselben* erwähnt werden, der die Entwicklung der Arbeit an einigen leitenden Problemen der Buddhismusforschung in den letzten Jahrzehnten und die Stellung des Vortragenden dazu charakterisiert. Weiter sind einige der älteren Aufsätze L. von Schroeders^ in diesem Zusammenhang zu erwähnen, die

1 B. Jayatilaka Buddha. Berliner Tageblatt Nr. 409, 14. August 1910. \— Englisch unter dem Titel The Message of Buddhism, The Buddhist JReview, Okt. bis Dez. 1910 S. 307 ff.

I 2 H. Oldenberg Unechter und echter Buddhismus. Internat. Wochen- schrift für Wissenschaft, Kunst u. Technik, 5. Jahrg. Berlin 1911 S. 545 ff.

» H. Oldenberg in Kultur der Gegenwart, Teil I, Abt. III, 1. 2. Aufl. Leipzig u. Berlin 1913, S. 74ff. 83. Derselbe Buddha und der alte Bud- ihismus, Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts zu Frankfurt a. M. 1910. I ^ H. Oldenberg A Note on Buddhism, Journ. and Proceedings of the ksiatic Society of Bengal IX, 123 ff. Calcutta 1913.

^ L. von Schroeder Beden und Aufsätze vornehmlich über Indiens Literatur und Kultur. Leipzig 1913; Buddha S. 194 ff.; Buddha und msere Zeit S. 216 ff.

g22 H- Oldenberg

bei der Herausgabe von dessen gesammelten Reden und Auf- sätzen der Öffentlichkeit neu dargeboten sind. Formichi^ legt in einem formschönen, in Rom gehaltenen Vortrage, größtenteils im Anschluß an die Predigt Buddhas von Benares die historische Authentizität von deren Überlieferung, möchte ich glauben, überschätzend: doch darauf kommt wenig an; die größte innere Authentizität wohnt jener Rede sicher bei die Grunddogmen des Buddhismus und die das buddhistische Leben beseelenden Stimmungen dar. In der Yergleichung der buddhistischen Verkündigung mit der christlichen übersieht er die Unterschiede in Form und Ton keineswegs. Die den inneren Gehalt betreffenden würde ich doch in mancher Hinsicht für tiefergehend halten, als er tut. Wenn er, mit Pischel sich berührend, eine die Übungen der maitrl verherrlichende Stelle als canto delV amore betrachtet, möchte ich an die Bedenken erinnern, die ich dem gegenüber erhoben habe (s. oben S. 609). Döi?' e piü V egoismo? fragt er. Aber ist denn wirklich das alt- buddhistische Erlösungsstreben von einem Zug des Egoismus frei? Der Weg zur eignen Erlösung ging geradeaus, auch über Qualen andrer; ich erinnere an die Geschichte von Vessantara. Pizzagalli^ schließt Bemerkungen über die philosophische und ethische Struktur des Buddhismus an die Analyse einiger neuerer Arbeiten auf diesem Gebiet an (La Vallee Poussins Übersetzung von Öäntidevas Bodhicaryävatära; das oben er- wähnte Buch de Lorenzos u. a.). Formichi und Belloni- Filippi^ untersuchen das Verhältnis der religiösen Elemente im Buddhismus zu den philosophischen. Von Behandlungen des Buddhismus im Rahmen umfassenderer religionsgeschichtlicher

* Carlo Formichi La dottrina dt Gautama Buddha e i suoi valori umani (Conferenze e prolusioni, Anno VI Nr. 6). Roma 1913.

^ A. M Pizzagalli Buddha e i dogmi del Buddhismo (Nuova Antologia, 16. Luglio 1912), Roma 1912.

" C. Formichi E il Buddhismo una religione o una füosofia?; Ferd. Belloni-Filippi Ancora sul tema: E il Buddhismo una religione o una filosofia? (Rivista di Filosofia Ann. III 217 ff. 713 ff.) Genova 1911.

Der indische Buddhismus (1910—1913) 613

Darstellungen erwähne ich die von Farquhar^, Geden^, dem zu früh verstorbenen Speyer^ der, wenn ich mich nicht täusche, den philosophischen Gehalt des Buddhismus allzu wenig herausgearbeitet hat sowie diejenige in Söderbloms Neu- bearbeitung des Tieleschen Kompendiums.* Hier ist auch der auf den Buddhismus bezüglichen oder diesen berührenden, teil- weise höchst wichtigen Artikel in der Encyclopaedia of Religion and Ethics (von Rhys Davids, Mrs. Rhys Davids, de la Vallee Poussin u. a.) sowie einzelner in der „Religion in Geschichte und Gegenwart" zu gedenken.

Von Besprechungen einzelner buddhistischer Dogmen, Vor- stellungen, Prinzipien hebe ich die folgenden hervor.

Gjellerup^ beschäftigt sich, veranlaßt durch die Darstellung

des Buddhismus in Deussens Allg. Geschichte der Philosophie

(Bd. I Abteilung 3), mit der buddhistischen Erlösungslehre vor

allem unter Hervorhebung des „Anatta"gedankens (Leugnung

eines ätman [„Selbst"]) und der von ihm mit Walleser ich

bezweifle, ob mit Recht angenommenen Stellungnahme der

Nidänaformel zum erkenntnis- theoretischen Grundproblem der

Bewußtseinsimmanenz der empirischen Realität. In populärer

Sprache gibt Bhikkhu Siläcära^ ein lebendiges Bild vom Wesen

und der sittlichen Wirksamkeit der eben berührten Anatta-

; lehre. Es war ein glücklicher Gedanke von la Yallee Poussin',

j ' J. N. Farquhar The Crown of Hinduism (Oxford 1913) an mehreren

i Stellen (s. das Register).

I 2 Alfred S. Geden Studies in the BeUgions of the East (London 1913),

I 432 ff.

' ^ J. S. Speyer Bie indische Theosophie. Leipzig 1914, 136 ff.

* Tiele Kompendium der Religionsgeschichte. 4. völlig umgearb. Aufl. > ; von N. Söderblom. Berlin 1912, 274ff.

! ^ K. Grjellerup Die buddhistische Erlösungslehre und die Geschichte der Philosophie (Preuß. Jahrbücher Bd. 142 S. 21ff.). Berlin 1910.

^ Bhikkhu Siläcära Bas Ichprohlem im Buddhismus. Ein Vortrag. Übersetzt von Alfred Eichelberger. Breslau, ohne Jahr.

^ L. de la Vallee Poussin Bouddhisme, etudea et materiaux: Theorie des douze causes (Universitö de Gand, Recueil de travaux publies par la Faculte de Philosophie et Lettres). Gand 1913.

614 H. Oldenberg

älterere und jüngere, die neuerdings soviel behandelte Nidäna- (Kausalitäts-)forniel betreffende ganze Texte (wie das Sälistam- basütra) und zerstreute Materialien zu sammeln. Er bat das in großer Reicbbaltigkeit getan, wertvolle Erörterungen über den ursprünglichen Sinn und über spätere Deutungen jener Formel seinerseits hinzufügend, eine Arbeit, die sich würdig an die im vorigen Bericht (S. 583 ff) besprochene Oltramares anschließt. Ich kann nicht für zweifelhaft halten, daß die Verteilung der Glieder der Kausalitätsformel auf drei Existenzen der Seelenwanderung (wenn dieser Terminus hier gebraucht werden darf, wo ja die Vorstellung einer „Seele" durchaus fern zu halten ist), in der Weise, wie es S. 36 dargestellt ist, den wahren, ursprünglichen Sinn der Formel trifft: 1. Vie ante- rieure: avidyä et samskäras. 2. Vie actuelle: vijnäna . , . hhava. 3. Vie ä venir: jäti-jarämarana. Auf dieselbe fundamental wichtige Formel bezieht sich auch ein kürzerer Aufsatz, den wir Belloni-Filippi^ verdanken. Mit vollem Recht, meine ich^ lehnt er es ab, in dieser Formel ein adattamento di un antico mito cosmogonico (Kern) oder ww' amalgama d' idee eterogenee (Deussen) zu sehen. Wenn er ebenso auch die von ihm mir zugeschriebene Annahme einer fusione di due serie di principi abweist, möchte ich mich zu dieser Auffassung in der Tat nur in dem Sinn bekennen, wie das in der eben bei Gelegenheit von La Vallee Poussins Arbeit besprochenen, mir überzeugend scheinenden Verteilung der Glieder der Kausalitätsreihe auf verschiedene, einander ablösende Existenzen liegt. Mit dem Terminus satkäya bez. Päli saMäya beschäftigt sich Walleser*, welcher die Etymologie von Childers für saklcäya (sva-käja) an- nimmt, mit der Modifikation, daß er, um das doppelte Je zu erklären, als Urform vielmehr Hvat-lmya ansetzt (sva- behandelt in der Weise von mad, tvad): meines Erachtens allzu gewagt, satkäya wäre dann

^ Ferd. Belloni-Filippi II 'Paticcasamuppäda' (Rivista di Filosofia, Anno IV Fase. 3) Genova 1912.

2 M. Walleser Satkäya ZDMG LXIV 1910, 581 If. Vgl darüber in derselben Zeitschrift Bd. LXIII Lefmann (S. 438 f.) und Oldenberg (S 858 f.).

Der indische Buddhismus (1910—1913) 615

verfehlte Sanskritisierung; aus jüngeren Texten weist Walleser in der Tat die Form svakäya nach. Den Terminus Tathägata die Bezeichnung, die sich Buddha beigelegt zu haben scheint, wo er von sich selbst redete; ich pflege zu übersetzen „der Vollendete" untersucht Hopkins^ unter Herbeiziehung des epischen Sprachgebrauchs. Er denkt an die Möglichkeit der Ver- einigung zweier Vorstellungen: the One Who is Perfect und the One Who Died. Die Lehre des jüngeren Buddhismus von den drei Mtja des Buddha (dharmaMya, samhJiogaMya, nirmmahäya)^ mit der sich früher namentlich la Vallee Poussin beschäftigt hat, studiert jetzt Masson-OurseP. Le pröbleme des trois corps naquit d'un effort speculatif pour concilier les traits contradidoires de la personndlite du Bouddha: la valeur ahsolue de son enseigne- ment et les eontingences de sa vie humaine. La Solution con- siste ä poser dans Veternel un DharmaMya dbsolu, et ä projeter dans le temps, dans Vespace, dans le monde, une ombre de ce dieu, le NirmänaJcäya. Der Verfasser vermutet, daß die Indo- skythen Kaniskas als Vermittler zwischen dem iranisch-grie- chischen und dem indischen Denken zur Bildung dieser Lehre beigetragen haben, während er einen Einfluß der christlichen Trinität aus chronologischen Gründen ablehnt. Doch will er über die Annahme fremder Einwirkung den wesentlich indischen Ursprung der Lehre nicht verkennen: einerseits intrusion des philosophies ambiantes (SämMiya, Vedänta) au sein du houd- dhisme, andrerseits influence de Vhindouisme populaire. La Vallee Poussin^ untersucht das Ineinanderspielen des Auto-

^ E. W. Hopkins Buddha as Tathägata (Amer. Journ of Philology XXXII 205 ff.) Baltimore 1911. Vgl. auch den Exkurs Frankes in seinem JDighanikäya (siehe unten S. 624).

^ P. Masson-Oursel Les trois corps du Bouddha (Journ. as. 1913, I 581 ff.) Paris 1913.

^ L de la Vallee Poussin Faith and Reason in Buddhism. Transact. of the 3. Congr. of Rel. (Oxford 1908), V. Religions of India and Iran 32 ff. Man gestatte mir, diese und die folgende Nummer hier nach- träglich zu verzeichnen, obgleich vor dem zu behandelnden Zeitraum erschienen.

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ritätsglaubens und des Sichstützens auf die Kraft der eignen Vernunft im Buddhismus. Sehr gut bemerkt er: I doubt if there is a Buddhist, I mean an enlightened one, who is not something of a mystic, of a rationalist, and of a heliever. Mrs. Rhys Davids^ untersucht das Verhältnis der pannä (intuition or insight) zu dem System der fünf Tihandha, der Konstituenten des empirischen leiblich - geistigen Daseins. Beckh^ be- schäftigt sich mit den Berichten über visionäre Erlebnisse des Buddha, der mit himmlischen Wesen in Beziehung zu stehen glaubte (nur kurze Inhaltsangabe liegt vor). De Blonay^ gibt Ergänzungen zu seinen früher veröffentlichten Unter- suchungen über die Göttin Tärä (Materiaux pour servir ä Vhis- toire de la deesse huddhique Tärä 1895).

Unter Behandlungen von Problemen der Moral und des geist- lichen Lebens begegnen wir zunächst einer Arbeit von Anesaki*, welche dies ganze Gebiet in der Kürze umfaßt. Er findet einen fundamentalen Gegensatz der buddhistischen Moral zur brahma- nischen darin, daß jene sich nicht an die sozialen Institutionen und Traditionen anlehnt, sondern die Basis der Moral in den Grundwahrheiten der Weltanschauung aufsucht. Im Buddha, dem Verkünder dieser Weltanschauung, personal perfection is united with universal truths . . . The ideal of Buddhist morality consists in the imitation of the Buddha. Es wäre lockend, darf aber natürlich an dieser Stelle nicht unternommen werden, zu untersuchen, inwieweit der Buddhismus die Probleme, ich möchte sagen, die Antinomien, deren Keim in diesen Sätzen liegt, her- ausgearbeitet hat. Viele feine Bemerkungen Anesakis würden

^ C. A. F. Rhys Davids Knowledge and Intuition in BuddMsm. Ebendas. 43 f.

2 H. Beckh Über das Verhältnis Buddhas zu übersinnlichen Wesen- heiten (Devatäs) im Mdhäparinibbänasuttam und seine Begründung im yb^ra (Actes du XYI. Congr. Intern, des Orientalistes, Athene8l912, lOlf.).

^ G. de Blonay Note sur la deesse buddhique Tärä. Melanges S. Levi 35ff. Paris 1911.

* M. Anesaki Buddhist Ethics and Morality. Transactions of the Asiatic Society of Japan 1912 (auch in der Encycl. of Religion and Ethics).

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einem solclieii Unternehmen zu Hilfe kommen. Nur möchte man bedauern, daß die Perioden der Geschichte des Buddhis- mus vom Verfasser nicht strenger auseinander gehalten sind. Der Einblick in die Auffassungen des einzelnen Zeitalters ge- winnt so, scheint mir, nicht volles Leben. Und ebenso heben sich die großen Linien, in denen die Entwicklung sich vor- wärts bewegt hat, nicht in der Klarheit hervor, die bei einer anderen Anlage der Darstellung erreicht worden wäre. Mein schon im vorigen Bericht (S. 586) erwähnter Aufsatz über die buddhistische maitrl (vgL oben S. 609) ist neu gedruckt worden.^ Mit einigen auf das Mönchsleben bezüglichen Ausdrücken es handelt sich um Details des Almosenganges beschäftigt sich Hoernle.^ Über die Lebensführung des buddhistischen Laiengläubigen schreibt A. Fisher.^ Hier sei schließlich ein Vortrag erwähnt, der die Stellung des Buddhismus zum Alkohol- I genuß unter Heranziehung hygienischer und statistischer Materialien beleuchtet und zur Enthaltung mahnt.*

Wir wenden uns zur Literatur des Buddhismus. Voran- gestellt werde, was die Päli- und Sanskritliteratur (resp. die sonstigen mit der letzteren zusammen zu behandelnden aus dem Norden stammenden Texte) gemeinsam betrifft. Dann soll von der Päliliteratur, hierauf von der nördlichen gesprochen werden.

An vorderster Stelle ist hier der erste Versuch zu erwähnen, die gesamte Literatur des Buddhismus eingehend darzustellen. Dem Werke von Winternitz^ kommt die sehr ausgebreitete

; ^ H. Oldenberg Der Buddhismus und die christliche Liebe. Ana dem j alten Indien Iff. Berlin 1910.

2 A. F. Rud. Hoernle27ie Buddhist Monastic terms samatittiTca, sapadäna, and uttari-bhanga. JRAS 1912, 736 ff., vgl. auch 1913, 681 f. j ' Alex. Fisher The Daily Life of a Lay-follower of the Buddha '(The Buddh. Review vol. 11 280 ff.) London 1910.

* Bhikkhu Siläcära, Rangoon, Buddhismus und Alkohol. Übersetzt von A. Eichelberger. Breslau 1913.^

^ M. Winternitz Geschichte der indischen Literatur, 2. Bd., I.Hälfte: Die buddhistische Literatur (Die Literaturen des Ostens in Einzel- darstellungen, 9 Bd., 2. Abt., 1 Hälfte). Leipzig 1913.

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Belesenheit zugute, die dem Verfasser auf dem so weiten und in so disparate Regionen auseinanderfallenden Gebiet zur Ver- fügung steht. So stellt seine Arbeit ein überall nützliches Hilfsmittel dar. In bezug auf die Grundfrage, die hier alles beherrscht, das Verhältnis der Päliüberlieferung zu der in Sanskrit usw. vorliegenden, nimmt Winternitz den schon seit langem von mir vertretenen Standpunkt ein, daß „das Päli- exemplar (der kanonischen Texte), natürlich nicht von unfehl- barer Korrektheit, doch als hervorragend gut erhalten beurteilt werden muß". Im einzelnen scheint mir in der Feststellung der Tatsachen, in der Führung der Untersuchungen und der Charakteristik der literarischen Strömungen doch die Schärfe und Sicherheit, die dem Buch den vollen Wert geben würde, nicht immer erreicht. Ich exemplifiziere. „Ein wirklicher Kanon heiliger Texte^', sagt Winternitz (S. 6) „wurde wahrscheinlich erst auf dem dritten Konzil zusammengestellt, das nach dem mit Legenden ausgeschmückten, aber in der Hauptsache durchaus glaubwürdigen Bericht der Chronisten von Ceylon zur Zeit des berühmten Königs Asoka stattfand", indem nach der Über- lieferung „der gelehrte und hochangesehene Mönch Tissa Moggaliputta . . . 236 Jahre nach dem Tode des Buddha eine Versammlung von tausend Mönchen nach der Stadt Pätaliputra (dem heutigen Patna) einberief, um einen Kanon von Texten der wahren Religion zusammenzustellen". Betrachtet man die alte Überlieferung (Samantapäsädikä, Dipavamsa, Mahävamsa), so findet man als die Geschehnisse dieses Konzils die Proklamation des Textes Kathävatthu, welcher es mit der Widerlegung von Häresien zu tun hatte; dazu den Vortrag (samgäyimsu, samgäyanto sagt die Samantapäsädikä) von Dhamma und Vinaya, wie einst unter Mahäkassapa und Yasa geschehen. Vergleicht man die Traditionen über das Konzil von Vesäli, deren ältestes Exemplar bekanntlich in die kanonische Literatur (CuUavagga) zurückreicht, so erscheint in diesem Exemplar als Inhalt jenes Konzils allein der Streit über die allbekannten

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zehn Punkte, die von gewissen Mönclien der strengen Ordnung gegenüber zugelassenen Indulgenzen. Im Unterscliied hiervon läßt die jüngere „Überlieferung" auf die Verhandlung über die zehn Punkte eine Redaktion des Kanon folgen der ähnlich, die auf dem ersten Konzil vorgenommen sein soll. Drängt sich nicht die Wahrscheinlichkeit auf, daß auch in der Ver- sammlung von Pätaliputta oder in dem Bilde, das man sich von dieser machte der eigentliche alte Kern in der Proklamation des Kathävatthu zu suchen ist, und daß dann, genau wie für das zweite Konzil, die Geschichte von der Rezitation oder Redaktion des Kanon, dem geläufigen Schema entsprechend, hinzugefügt worden ist? Und selbst wenn eine samgiti von Dhamma und Vinaya bei dieser Gelegenheit in der Tat stattgefunden haben sollte, liegt es nicht nah, darin eben eine vielleicht gegen gewisse Ketzereien ihre Spitze kehrende Durcharbeitung des Kanon, wahrscheinlich im speziellen Interesse einer bestimmten Schule, zu vermuten? Daß ein „wirklicher Kanon" erst jetzt zusammengestellt sei: wie weit liegt diese Vorstellung vom Überlieferten ab ! Wie ganz, glaube ich hinzu- fügen zu dürfen, entbehrt sie der inneren Wahrscheinlichkeit! Vom Vinaya sprechend findet Winternitz (S. 5 f.) meines Erachtens mit Recht daß schon zur Zeit des zweiten Konzils ein Kanon von Vorschriften für das Leben der Mönche vor- handen gewesen sein muß „von der Art, wie er in unserm Vinayapitaka vorliegt". Wenn er dann aber einen „wirklichen Kanon" erst zu Pätaliputta festgestellt sein läßt, so drängt I sich die Frage auf, inwiefern jener frühere Kanon des Vinaya j unwirklich gewesen sein soll, weshalb er nicht mit dem Kanon ! der späteren Zeit identisch, oder vielleicht im wesentlichen

I identisch gewesen sein kann. Doch würde ich bedauern, wollte

i

\ man dem Widerspruch, zu dem ich mich hier und nicht selten

anderwärts durch die Aufstellungen von Winternitz heraus- gefordert fühle, entnehmen, daß die Vorzüge seiner mühevollen Arbeit von mir nicht voll gewürdigt werden.

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Zur Lösung der oben (S. 618) bezeichneten Grundfrage der buddhistischen Literaturgeschichte, der nach dem Verhältnis der Päliüberlieferung zu den andern Traditionsmassen, habe ich in Fortführung früher vorgelegter Untersuchungen (Buddhistische Studien, ZDMQ LII 1898, 6 13 ff.) in den zwei unten an- gegebenen Aufsätzen^ beizutragen versucht. Der erste untei nimmt es für das Mahävastu ein Verhältnis nachzuweisen, dessei allgemeinere Geltung der zweite dann an andern Textet (Divyävadäna, Avadänasataka) aufzeigt. Es tritt in Texten wij diesen eine starke üngleichmäßigkeit der Diktion hervor: voi Abschnitten modernen stilistischen Charakters (Stil A) heb< sich solche ab, die denselben archaischen oder hieratische Stil wie die kanonischen Pälitexte zeigen (Stil B). Dem Vei fasser oder Anordner des Mahävastu lag eine Sammlung i\ B-Stil verfaßter, offenbar dem Pälikanon sehr nahestehende Texte vor: der Kanon der Schule, welcher er selbst zugehöri Wo wir kompakte Textstücke dieser Schule mit den eni sprechenden Stücken des Pälikanon konfrontieren können, zeij sich, daß das Päliexemplar zwar dem nördlichen Parallelte] gegenüber nicht überall das Richtige zu haben braucht, da aber über den nördlichen Text eine Durcharbeitung wem nicht mehrere hingegangen ist, die an zahlreichen Stellen kleinere, an einigen größere Zufügungen im Geschmack jüngerer Zeit vorgenommen hat. Wenn in den glänzenden Unter- suchungen Sylvain Levis (s. den vorigen Bericht, S. 596 ff.) die kanonischen Texte z. B. der Vinaya der Schule der Mülasarvästivädin denen der Pälischule als gleichberechtigte Mit- bewerber um den Preis der Ursprünglichkeit an die Seite gestellt werden, scheint mir dem eben dies entgegenzuhalten, daß mit typischer Regelmäßigkeit in jenen nördlichen Texten zwei min-

1 Hermann Oldenberg Studien zum Mahävastu. NGGW 1912, 123 ff. Studien zur Geschichte des buddhistischen Kanon, ebendas. 165 ff. Hier mögen über die Stellung des Mahävastu zur Päliliteratur auch die Bemerkungen von A. J. Edmunds JBAS 1913, 385 ff. angeführt werden.

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destens zwei Schichten sich voneinander sondern. Unter einer Oberfläche, in der das Werk modernerer Bearbeiter zu erkennen ist, kommt eine tiefere Schicht zum Vorschein, das von jenen Bearbeitern Vorgefundene: dies aber erweist sich als gleich- artig, teilweise als identisch, mit dem Pälikanon. Neben den bisher genannten nördlichen Texten werden in der zweiten meiner hier in Rede stehenden Arbeiten auch sanskritische Kanonfragmente, die neuerdings in so großer Zahl aufgetaucht sind, und Specimina chinesischer Übertragungen mit der Päli- redaktion verglichen. Die gewonnenen Resultate werden verwandt, den Aufbau des alten Kanon und die Art, in welcher er später Erweiterungen und Ausschmückungen erfahren hat, zu charak- terisieren: auf diese Weisö wird versucht scharfe Unterscheidung von Altem, das in recht tiefe Vergangenheit zurückreicht, und von darüber gelagertem Neuem der Auffassung entgegenzustellen, die vor kurzem S. Levi in dem Satz ausgedrückt hat: La Constitution du Canon est un fait tardif qui s'est vraisemUaUement produit dans les diverses ecoles vers la meme periode, un peu avant Vere chretienne (Levi Les Saintes Ecritures du Bouddhisme 1909, S. 19). Von einem Abschnitt dieser meiner Untersuchungen, der sich speziell mit den Jätakas beschäftigt, wird weiter unten die Rede sein.

Ein inhaltreicher Aufsatz S. Levis ^ beschäftigt sich mit in- schriftlichen oder in den Wortschatz des Päli hineinversprengten Spuren eines andern Dialekts, die lautliche Abweichungen vom Päli und den Dialekten der Asokainschriften zeigen. Über Einzel- heiten wird sich streiten lassen; an vielen Stellen, glaube ich, wird man Levi in seinen Worterklärungen und wohl -auch in der Herleitung der Worte aus einem verlorenen Dialekt zu folgen

; haben. So, wenn er die Bezeichnung für die schwersten Ver- gehen des Mönchs päräjika von paränc ableitet (irre ich nicht,

' hat schon Leumann vorzeiten dieselbe Vermutung geäußert);

^ Sylv. Levi Observations sur wne langue precanonique du Bouddhisme. Journ. as. 1912 II, 495 ff.

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wohl aucli, wenn er den Namen der nächstschweren Vergehen samgMdisesa mit Kern (doch anders als dieser deutend) als samghätisesa erklärt. Zum Schluß aber bemerkt er: Les conse- quences qui s^en degagent sont d^une gravite inattendue. Les steriles debats sur Vauthenticite du canon pali ou du canon sanscrit sont elimines. Sanscrit et pali n^apparaissent plus que comme lesheritiers tardifs d'une tradition anterieure, recitee ou redigee dans un dialecte disparu, qui avait otteint dejä un stage avance d''usure phonetique . . . Si Äsoha, le patron de V Orthodoxie, a connu le canon pali, il ne Va point adoptCj et le credit du canon pali se trouve cruellement atteint. Ou hien Äsolca, les moines de Pätaliputra et les moines de Bharhut ne Vont pas connu , parce qu'il n'existait pas encore, et la date du canon pali s'ahaisse jusqu^au IB siede av. J.- C, si ce n'est plus tard encore. Doch ist das nicht längst, ganz unabhängig von der Beurteilung der von Levi untersuchten Worte und phonet sehen Erscheinungen, Gemeingut, ich darf nicht sagen aller, ab( doch der meisten Forscher, daß der Pälikanon so gut wie d( sanskritische Übersetzung aus einem dritten ist? Wer üb( die Authentizität der beiden erstgenannten streitet, denkt dab( doch nicht an das sprachliche Gewand, das sie tragen, sondei an die literarischen Kompositionen selbst, welche hier dieses, doi jenes Gewand angelegt haben. Entsprechend der altbuddhistischei Auffassung, daß es nur auf den Inhalt, nicht auf dies Gewanc ankommt (CuUavagga V 33), wird es in Indien, der Vielheit de Dialekte entsprechend, eine größere oder geringere Vielheit voi Exemplaren des Kanon gegeben haben. Warum sollte Asoka ode^ die Mönche von Bharhut sich gerade des Exemplars bediei haben, das durch sein Hingelangen nach Ceylon dazu prädestiniei war, uns erhalten zu bleiben? Oder wenn Asoka es gekannt hat aber um irgendwelcher Bedenken willen ne Va point adopte: sine die Gesichtspunkte, die wir dem alten gläubigen König zuzu<ä schreiben haben, nicht von denen der historischen, kritischen Forschung so verschieden, daß damit noch immer nicht die Autorität jenes Kanon für uns cruellement atteinte wäre?

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Gegenüberstellungen nördlicher und südliclier Materialien das Dharmapada betreffend, die wir S. Levi verdanken, sollen weiter unten (S. 635) erwähnt werden.

Die buddhistischen Predigten im allgemeinen charakterisiert, überwiegend mit Bezugnahme auf die Übersetzungen von K. E. Neumann, L. v. Schroeder in zwei Aufsätzen, die einige Jahre zurückliegen und jetzt neu gedruckt sind.^

Wenden wir uns nun speziell zum Pälikanon, so sei zu- vörderst eine Mitteilung Finots ^ über die älteste Spur von dessen Existenz in Birma erwähnt: eine Tontafel, die ein paar Zeilen des Vibhanga in Charakteren etwa des 6. Jahrhunderts enthält. Eine größere Masse von Texten des Pälikanon legt in Über- setzungen K. Seidenstücker vor, in einem Buch, über das ich schon an anderem Ort berichtet habe.^ Hier sei auch die kleine Sammlung gut ausgewählter kanonischer Pälitexte (dazu kurzer Abschnitte des Milindapanha und der Asokainschriften) erwähnt, 1 die P. Tuxen und Helmer Smith in Lehmanns „Textbuch'^ über- setzt haben.* Wenn dort ein Stück unter der Überschrift „Aus dem Vinaya Pitaka" erscheint, so hätte man lieber einen Text gesehen, der eigentlichen Vinayainhalt und eine Probe der für I den Vinaya charakteristischen Darstellungsweise gibt (ein Stück 1 Pätimokkha hätte meines Erachtens nicht fehlen dürfen), als einen Abschnitt dogmatischen Inhalts, der auch im Sutta Pitaka zu zahllosen Malen vorgetragen wird: die (an sich natürlich Mitteilung durchaus verdienende und beanspruchende) Kausalitäts- formel.

I ^ L. V. Schroeder Die Reden des Buddha. Nochmals die Reden des

[Buddha. (Reden und Aufsätze. Leipz. 1913 S. 245 flf. 264 ff.)

I ' Finot Le plus ancien temoignage sur Vexistence du canon päli en

\Birmanie. Journ. as. 1913 IT, 193 ff. Ich weise hier auch auf Finots

■Aufsatz J. a. 1912 U, 121 ff. hin, wichtig für die ältere Geschichte des

Buddhismus in Birma.

I ^ Karl Seidenstücker Päli-Buddhismus in Übersetzungen (Yeröff. der

Deutschen Päli-Gesellschaft). Breslau 1911. Vgl. dazu H, 0. Theolog Lite-

fatur Zeitung 1911 Sp. 353.

^ Edv. Lehmann Textbuch zur Religionsgeschichte. Leipz. 1912 S. 2 14 ff.

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Die im vorigen Bericht (S. 592) erwähnte höchst wichtige Arbeit einer Konkordanz der kanonischen Päliverse ist von Franke ^ rüstig weitergefördert worden. Im Interesse der Wirkung, die man dem großartig angelegten, entsagungsvoll durchgeführten Werk wünscht, ist zu bedauern, daß es vermutlich aus zwingenden äußeren Gründen verteilt auf eine Reihe ver- schiedener Zeitschriften erscheint, und so nicht nur der imposante äußere Eindruck, sondern was wichtiger ist die bequeme Benutzbarkeit, wie sie die vedische Konkordanz Bloomfields aus- zeichnet, ihm verloren geht. Ebenfalls mit äußeren vielleicht auch hier zwingenden Gründen hängt wohl das Arrangement, das Franke gewählt hat, zusammen: Anordnung nach den Texten, in denen die einzelnen Verse sich finden, nicht nach deren alpha- betischer Folge. Auch dies wirkt leider erschwerend für die Benutzung: man kann einen Vers, über den man informiert zu werden wünscht, nicht auffinden, bis man konstatiert hat, in welchem der kanonischen Texte und an welcher Stelle dieses Textes er steht. Die hier erwachsenden Hemmungen wird man um so mehr bedauern, je dankbarer man die ein- greifende Förderung empfindet, die dies Werk allen Arbeiten auf dem Gebiet des buddhistischen Kanon zu bringen im- stande ist: ich kann hier aus vielfältiger eigener Erfahrung sprechen.

Gehen wir zu den einzelnen Suttasammlungen über, so ist die Publikation des Digha Nikäya seitens der Pali Text Society, die gegenwärtig den Pälikanon annähernd bewältigt hat, zu er- freulichem Ende geführt worden.^ Derselbe Nikäya ist in IJber- setzungen vielfach behandelt. Über das Fortschreiten derjenigen

* R. O.Franke Die Suttanipäta- GätJiäs mit ihren Parallelen, ZDMG LXIV 1910 S. Iff. 760 ff.; LXVI 1912 S. 204 ff. 699 ff. Die Gäthäs des VinayapitaTca und ihre Parallelen, WZ KM XXIY 1910, Iff. 225 ff. Die Gäthäs des Dighanikäya mit ihren Parallelen^ Journ. Pali T. Soc. 1910, 3 11 ff. Konkordanz der Gäthäs des Majjhimanikäya, WZKM XXVI 1912, 171 ff.

^ The Dlgha Nikäya vol. III. Ed. by J. Estlin Carpenter. London 1911.

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von Neumann \ das einen baldigen Abschluß seines großen Unter- nehmens erhoffen läßt, habe ich schon anderweitig berichtet und dabei von neuem versucht, die persönliche, allzu persönliche, auch hier unverändert sich kundgebende Eigenart dieser Über- setzungen Neumanns zu charakterisieren: Hingabe an die weihe- volle Größe des Originals, an vielen Stellen geradezu hinreißende Schönheit der Sprache, aber oft Verfallen des Ausdrucks ins Manierierte; unsichere, oft wenig glückliche Hand in der Be- handlung der philologischen Probleme; endlich ein überaus störendies Sichgehenlassen in behaglich keifender und witzelnder Polemik. Hier sei auch die von Neumann gesondert heraus- gegebene, mit zahlreichen bildlichen Beigaben geschmückte Über- setzung des hochwichtigen Sutta von Buddhas Tode^ erwähnt. Dasselbe zweite Drittel des Digha Nikäya wie Neu mann haben auch die beiden Rhys Davids in bekannter, verdienstvoller Weise übersetzt: auch hier kann ich auf einen an anderem Ort von mir gegebenen Bericht verweisen^. Von besonderer Wichtigkeit ist die große Frankesche Übersetzung einer Auswahl aus dem Digha Nikäya*: man bedauert, daß nicht der ganze Nikäya ge- geben worden ist. Der Übersetzung Neumanns steht diese, man

* Karl Eugen Neumann Die Beden Gotamo Buddhos aus der längeren Sammlung Dighanikäyo des Päli-Kanons übersetzt, Bd. 2. München 1912. Vgl. H. 0. Theol Literaturzeitung 1913 Sp. 514 f.

* K. E. Neumann Die letzten Tage Gotamo Buddhos aus dem großen Verhör über die Erlöschung Mahäparinibbänasuttam des Päli-Kanons über-

[setzt. München 1911. Vgl. dazu H. Oldenberg Süddeutsche Monatshefte, Jahrg. IX S. 673 ff. (München 1912.)

^ T.W. and C. A. F. Rhys Davids Dialogues of the Buddha, translated from the Pali of the Digha Nikäya. Part II (The Sacred Books of the Buddhistsvol. III). London 1910. Vgl. H.O. Unechter und echter Buddhismus, Internat. Wochenschrift für Wissensch , Kunst u. Technik 1911 Sp. 661 ff.

* R.OtioFiSLnke Dighanikäya, das Buch der langen Texte des buddhisti- ächen Kanons, in Auswahl übersetzt (Quellen der ßeligions-Geschichte hrsg. im Auftrage der Religionsgesch. Kommission bei der Kgl. Ges. der Wiss. SU Göttingen; Gruppe 8, Bd. 4). Göttingen und Leipzig 1913. -— Vgl. dazu ienselben Die Verknüpfung der Dlghanikäya-Suttas untereinander, ZDMG LXVII 1913, 409 ff.

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kann sagen, in Antipodenferne gegenüber. Die Sprache ist schliclit. Wenn Franke Verse des Originals in Yersen wiedergibt, hat er das Yorgefühl, daß die seinigen „ja wobl kein Lob verdienen werden". Dafür waltet überall die peinlichste, die Materialien nach Möglichkeit erschöpfende, philologische Gewissenhaftigkeit, die es sich nicht erläßt, wie im Großen so im Kleinen und Kleinsten jeder Frage auf den Grund zu gehen. Als Anhänge beschäftigen sich eingehende UntersuchuDgen mit den Begriffen Tathägata (vgl. oben S. 615), Araham, Bhikkhu, Samana und schließlich mit dem besonders schwierigen Samkhära. Aus der umfänglichen Einleitung hebe ich die beiden Kapitel hervor: 1. Wie kam der Dighanikäya zustande? 2. Welche Gewähr haben wir für die Verläßlichkeit der buddhistischen Über- lieferung? Auch die Verdienstlichkeit der umfänglichen Register darf nicht übergangen werden. Die eben erwähnte Frage, wie der Digha Nikäya zustande gekommen, beantwortet Franke da- hin, daß derselbe „ein einheitliches Werk irgend eines Literaten, nicht aber eine Sammlung von Reden Buddhas aus ganz ver- schiedenen Jahren seines fünfzigjährigen Wirkens ist". Zu- sammengehalten werde das Werk durch einen einheitlichen Grundgedanken. Es handle sich um den zur Erlösung führenden Heilsweg, der gepredigt sei von einem Tathägata: ein solcher Tathägata nun sei Gotama Buddha, und die Absicht, ihn als solchen zu erweisen, beherrsche die Gesamtheit des Werks. Daß die eben bezeichneten Gedanken in der Tat zentrale in der ganzen altbuddhistischen Literatur sind, ist unzweifelhaft. Darum, meine ich, treten sie auch im Digha Nikäya fortwährend hervor und wäre eine andre Sachlage recht befremdend. Man erwäge noch, daß ein kürzerer Text naturgemäß leichter vom Hauptinhalt der buddhistischen Verkündigung abgehend zufällige Seiten- richtungen einschlagen kann als ein längerer: im Digha Nikäys aber sind eben die längsten Suttas vereinigt. Daß indessen übei das damit Gesagte hinausgehend einheitliche Konzeption und eir individueller Verfasser des Ganzen anzunehmen wäre, ist mii

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durch Frankes Ausführungen nicht überzeugend geworden. Meine Bedenken zu begründen, ist dies nicht der Ort. Nur das sei vor allem bemerkt, daß ich auf der andern Seite auch den Digha Nikäya keineswegs als Sammlung von Reden Buddhas aus ver- schiedenen Zeiten seines Wirkens auffassen möchte. Den Grad von Authentizität, der ihnen damit beigelegt wäre, besitzen diese Predigten nicht. Sie erscheinen mir als Kompositionen, in denen man die dogmatischen Gedanken des Dhamma und Ver- wandtes dem Buddha in den Mund gelegt hat, in stark stilisierter Form, vermutlich hier und da tatsächliche Erinnerungen an wirkliche Erlebnisse, an wirklich gehaltene Reden mit hinein- verarbeitend, im ganzen gewiß die Gedanken des Buddha richtig wiedergebend. Für den Verfasser dieser Reden halte ich nicht e in Individuum, sondern einen Bhikkhu (oder Kreis von Bhikkhus) hier, einen dort überallhin durch die weiten Regionen des alten Samgha. Was so produziert worden war, wurde gesammelt, die Differenzen ausgeglichen, einheitliche (oder annähernd einheit- liche) Ausdrucks weise überall durchgeführt. Es wird von Wichtig- keit sein, mit Untersuchungen über den Digha Nikäya ent- sprechende über den Majjhima Nikäya in Verbindung zu setzen. Sind das nicht zwei Teile derselben Sammlung, so daß man die längeren Suttas (vielleicht ohne daß die Grenzlinien des I längeren und kürzeren mit vollkommener Strenge gezogen waren) in den Digha Nikäya, die minder langen in den Majjhima Nikäya tat? Zeigen sich zwischen der Redigierweise der Digha- bhänaka und der Majjhimabhänaka irgendwelche Differenzen, ursprüngliche oder im Laufe der Weiterüberlieferung hinein- ' geratene? Durchaus zutreffend ist die Beobachtung Frankes (auch i ich hatte sie gemacht, ohne sie in der Vollständigkeit wie Franke I durchzuführen, und ohne sie zu veröffentlichen), daß zwischen j direkt benachbarten oder wenigstens nahe beieinander stehenden 1 Suttas vielfach Gemeinsamkeit von kürzeren oder längeren Text- partien obwaltet (s. namentlich den S. 624 A. 1 angeführten Auf- satz Frankes in der ZDMG). Von großem Interesse ist dabei

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(s. dort S. 4l5f.), daß, wie Franke zeigt, diese Gemeinsamkeit stark vermindert wird, wenn man die Suttas in der Reihenfolge des chinesisclien Dirghägama liest (vorläufig natürlich die Päli- Buttas, in Erwartung der Zeit, wo auch der Nichtsinolog von dem chinesischen Text eine genauere Vorstellung erhalten haben wird, als ihm jetzt erreichbar ist). Vielleicht deutet diese wert- volle Beobachtung auf höhere Ursprünglichkeit des Päliexemplars : welcher Schluß natürlich nur ganz vorläufig gezogen werden darf, bis, wie eben angedeutet, für eine eindringende Untersuchung des Verhältnisses beider Redaktionen die Zeit gekommen sein wird (ich beziehe mich hier auf meine Bemerkungen NGGW 1912, 182). Ich bemerke schließlich, daß Frauke im Abschnitt II seiner Einleitung („Welche Gewähr haben wir für die Verläßlichkeit der buddhistischen Überlieferung?") auf seine in meinem vorigen Bericht S. 613 f. erwähnte Skepsis, namentlich gegenüber der Chronik Dipavamsa, zurückkommt und seinen Standpunkt gegen- über Geiger verteidigt. Dem Kanon selbst sagt er ^Nicht- Authentizität' nach. Aber er schränkt dann dies Urteil doch ein: „Wir dürfen ja immerhin hofi'en, daß die Verfasser der Werke des Kanons, wenn sie auch das ihre hinzutaten, doch echtes Buddha -Wort hineinverarbeitet haben. Diese Schätze wollen wir allmählich herausgraben und festhalten, den Schutt aber ehrlich als Schutt bezeichnen und preisgeben." Welchen Sätzen ich nur dies hinzufügen möchte, daß auch, was nicht im vollen und strengen Sinn ^Buddha-Wort' ist, darum doch noch nicht 'Schutt' zu sein braucht. Die Gedankenwelt und die Lebensformen der buddhistischen Gemeinde verdienen, meine ich, erforscht zu werden, auch wo wir sie nicht auf den Meister selbst zurückverfolgen können, auch wo wir vielleicht ihr Zurückgehen auf den Meister für ausgeschlossen zu halten Grund finden. Das Satipatthänasutta übersetzt J. v. Ott \ Mit den älteren

* Jul. von Ott Das Satipatthäna-Sutfam, die Rede des Buddho Gotamo über die Grundlagen des Eingedenkseins (Majjh. Nik. Nr. 10), übersetzt und mit Anmerkungen versehen (Veröffentlichungen der Deutschen Päli- Gesell- schaft). Breslau 1913.

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und jüngeren Traditionen über jenen Ratthapäla, der im Mittel- punkt eines Sutta des Majjhima Nikäya (Nr. 82) steht, be- schäftigt sich M. Bode^: ich darf hier auf meine Bemerkungen NGGW 1912,168 A. 2; 187 A. 1 verweisen. Zum Anguttara Nikäya veröffentlicht die Pali Text Society einen geradezu un- schätzbaren Indexband.^

Viele Förderung hat die Literatur des Khuddaka Nikäya ge- funden. Texte moralischen Inhalts, die diesem Nikäya angehören, hat Pavolini^ übersetzt: zu seiner Übersetzung des Dhammapada (vgl. den vorigen Bericht 589) fügt er Ausgewähltes aus Sut- tanipäta und Itivuttaka. Vom Suttanipäta ist höchst erfreu- licherweise eine Neubearbeitung der FausböUschen Ausgabe auf erweiterter handschriftlicher Grundlage durch D. Andersen und H. Smith besorgt worden.* Mein Aufsatz über diesen Text (s. den vorigen Bericht 589 f.) ist neugedruckt, auch in englischer Übersetzung erschienen.^ Von der Ausgabe des Dhammapada-Kommentars (s. den vorigen Bericht 589) hat der schmerzlich beklagte Norman einen zweiten und dritten Band erscheinen lassen.® Der dritte schließt mit Vers 319; das Er- scheinen des vierten, letzten, steht bevor. Burlingame', dazu

* Mabel Bode The legend of Ratthapäla in the Päli Apadäna and Buddhaghosas Commentary. Mälanges Ldvi 183 ff. (Paria 1911.) Vgl. auch L. V. Schroedei Batthapälo (Reden und Aufsätze. Leipz. 1913 S. 270 ff.).

^ Anguttara -Nikäya vol. VI, Indexes by Mabel Hunt, rev. and ed. by C. A. F. Rhys Davids (Pali T. Soc; London 1910).

^ P. E. Pavolini Testi di Morale buddistica. 1. Dhammapada. 2. Sut- tanipäta. 3. Itivuttaka. Traduzione e Introduzione. (Cultura dell' Anima ) Lanciano 1912.

* The Sutta-Nipäta. New edition by Dines Andersen and Helmer Smith. (Pali T. Soc.) London 1913.

* H. Oldenberg Eine Sammlung althuddhistischer Dichtungen (Aus dem alten Indien, Berlin 1910, S. 23 ff.). The Sutta Nipäta, a Collection of Old Buddhist Poems. From the German. (The Buddhist Review, vol. II !p. 243 sqq. London 1910.)

! ® The Commentary on the Dhammapada., ed. by H. C. Norman. "Vol. II, III. (Pali T. Soc.) London 1911, 1912.

^ E. W. Burlingame Buddhaghosa's Dhammapada Commentary and the Titles of its three hundred and ten Stories, together with an Index

g30 H- Oldenberg

angeregt von Lanman, gibt ein Inhaltsverzeiclinis und alpha- betisches Register zu den Erzählungen des Dhammapada Kom- mentars sowie die Analyse eines Teiles dieser Erzählungen. Den. Khuddakapätha übersetzt, mit Anmerkungen, Seidenstücker> Derselbe^ gibt eine fleißig und sorgfältig gearbeitete Ein- leitung zum üdäna. Von deren reichhaltigem Inhalt seien her- vorgehoben die Untersuchungen über die Entstehung der ein- zelnen Suttas und über die Struktur der ganzen Sammlung, die Verzeichnung von Parallelen aus südlicher und nördlicher Lite- ratur, die Bemerkungen über die Zeit der Kompilation des Werks: das Udäna zum alten Stamm des Khuddaka Nikäya gehörig, spätestens um Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. zum Abschluß gelangt, vielleicht viel früher, etwa (was sich mir kaum zu empfehlen scheint, vgl. oben S. 6 18 f.) bei Gelegenheit des Konzils von Vesäli. Für die chronologische Frage möchte ich übrigens nicht mit Seidenstücker auf die Beobachtung Ge- wicht legen, daß wir hier „vergeblich nach jener minutiösen Terminologie suchen, die sich im Lauf der Zeit in der bud- dhistischen Literatur immer mehr herausgebildet hat . . .; hier weht noch deutlich spürbar der Geist des alten Samanentums". Jene Terminologie halte ich doch für wesentlich älter, als Seidenstücker zu tun scheint; tritt sie in diesem Text nicht hervor, kann das andere als chronologische Gründe haben. Auch der Glaube von Seidenstücker, daß die dem nördlichen Udäna- varga und dem Päli-Kanon, darunter dem Päli-Üdäna, gemein- samen Texte wirklich Reminiszenzen an die verha ipsissma magistri bieten, erscheint mir ohne daß ich für den einzelnen

thereto and an Analysis of Vaggas I IV. (Proc. of the Amer. Acad. of ArtB and Sciences, vol. XLV, Nr. 20. Boston 1910.)

* Khudddka-Pätho. Kurze Texte. Eine kanonische Schrift des Päli- Buddhisnms. Aus dem Päli übersetzt und erläutert von K. Seidenstücker (Veröff. der Deutschen Päli-Geselischaft). Breslau 1910. w\

2 Dr. phil. K. Seidenstücker Das Udäna, eine kanonische Schrift dd^* Päli-Buddhismus. Erster Teil: Allg. Einleitung. Leipzig 1913. Vgl. zum üdäna auch Mazumdar, JBA8 1911, 197 ff

Der indische Buddhismus (1910—1918) 631

Fall die Denkbarkeit hiervon bestreite als recbt gewagt. Sollte zwiscben diesem Glauben und der Skepsis Frankes die Wahr- heit nicht in der Mitte liegen? Ihrer Übersetzung der Therlgäthä (s. den vorigen Bericht 590) hat Mrs. Rhys Davids jetzt eine gleich formvollendete der Theragäthä^ folgen lassen. Die eingehende Einleitung handelt mit der dieser Forscherin eignen Feinheit von der literaturgeschichtlichen Stellung und den literarischen Qualitäten dieser Dichtungen, von den Kreisen ihrer Verfasser, deren Stand im weltlichen Dasein, von dem geistlichen Leben, das sich in ihren Poesien spiegelt, von dem Wert des zugehörigen Kommentars. Hier sei auch des auf den Thera- und Therigäthä beruhenden anziehenden Aufsatzes derselben Verfasserin über die buddhistische Liebe zur Natur gedacht.* Für die Jätakasammlung ist ein Registerband zur eng- lischen Übersetzung erschienen.^ Nariman* spricht von den Pälijätakas (insonderheit Nr. 56) als einem Dokument für la simplicite remarquaUe de Venseignement primitif du JBouddha. Meines Erachtens baut er auf einer allzu schmalen Grundlage Schlußfolgerungen auf, deren Gewicht jene nicht tragen kann. Insonderheit in der Benutzung der Prosapartien, die ja nicht kanonisch, sondern Eigentum des Kommentators sind, ist größere Vorsicht am Platz, als er geübt hat. In zwei Auf- sätzen habe ich mich mit Fragen betreffend die Jätakas be- schäftigt.^ Ich versuche die neuerdings in Zweifel gezogene (s. namentlich Keith JRAS 1911, 985; vgl. jetzt noch das.

^ Mrs. Rhys Davids Psalms of the early Buddhists. II Psalms of the Brethren. London 1913. (Pali Text Society, Translations Series.)

^ Dieselbe The Love of Nature in Buddhist Poems. (Quest E-eview, April 1910. London.)

' The Jätaha or Stories of the Buddhas former births. Transl. from the Pali by various hands under the editorship of E. B. Cowell. Index Volume. London 1913.

* G. K. Nariman Notes su/r le Jätdka Pali, Joum. asiatique 1912, II 115 sqq.

^ H. Oldenberg Zwei Aufsätze zu/r altindischen Chronologie und Lite- raturgeschichte. IL Der Typus der prosaisch-poetischen Erzählung und

um

3

632 H. Oldenberg

1912, 435 ff.) Auffassung der Jätakas als prosaisch -poetischer Akhyänas zu stützen, den ältesten erreichbaren Typus der Jätakas mit möglichster Bestimmtheit zu beschreiben und ihn dann durch seine Weiterentwicklung zu verfolgen. Foucher^ hat in einer besonders ergebnisreichen Untersuchung, unter Herbeiziehung der monumentalen Überlieferung, die Geschichte des Jätaka vom sechszähnigen Elefanten aufgehellt. Er zeigt u. a., daß die älteste Gestalt in den Versen der Päliredaktion vorliegt, während die zugehörige Prosa ein viel späteres Stadium der Entwicklung repräsentiert. Mit einzelnen Jätakas (d Bhisajätaka, vgl. dazu auch Geldner ZDMG LXV 1911, 3' Oldenberg NGGW 1911, 464, und dem Gandhärajätaka) schäftigt sich Charpentier.^ Levi knüpft an das Babylon erwähnende Bäverujätaka Erörterungen über die Verbreitung des Pfauen im Westen und Osten.^ Einige Textbesserungen zum Jätaka gibt Andersen.* Dem Forschungsgebiet der Jätakas nah steht die an Materialien außerordentlich reiche, in ihren Schlußfolgerungen mich nur teilweise überzeugende (vgl. meine Bemerkungen NGGW 1912, 184f.) Arbeit Char- pentiers über das Cariyäpitaka. ^

Auf dem Gebiet des Päli-Abhidhamma ist zuvörderst die Veröffentlichung des Yamaka* durch die Pali Text Society

die Jätakas, NGGW 1911, 441 ff. (englisch im Journ. Pali T. Soc. 1912). Studien zur Geschichte des buddh. Kanon, NGGW 1912, 183 ff., s. auch 214 ff.

^ A. Foucher Essai de classement chronologique des diverses versions du Saddanta-jätaka. M^langes Levi (Paris 1911), 231 ff.

2 J. Charpentier Studien über die indische Erzählungsliteratur. ZDMG LXIV 1910, 65ff; LXYI 1912, 38ff.

^ S. Levi Autour du Bäveru-jätaka (Annuaire de l'Ecole prat. des Hautes Etudes 1913—14). Paris 1913.

* D. Andersen Corrections to some Jätaka verses (Actes du XVL Congr. Intern, des Orientalistes, Äthanes 1912), 99.

* J. Charpentier Zur Geschichte des Cariyäpitaka. WZKM XXIV 1910, 351 ff.

* The Yamaka, being the sixth book of the Abhidhammapitaka, ed. by Car. Rhys Davids, assisted by Mary C. Foley and Mabel Hunt (bez.

Der indische Buddhismus (1910—1913) 633

hervorzuheben. Derselben Gesellschaft verdanken wir die Publikation einer Arbeit des birmanischen Gelehrten Shwe Zan Aung: der vortrefflichen Übersetzung und Erklärung eines jüngeren Leitfadens des Abhidhamma, des Abhidhammattha- Samgaha des Anuruddha (zwischen 8. und 12. Jahrhundert n. Chr.?)^, dessen Pälitext schon vor langer Zeit von Rhys Davids (Journ. Pali T. Soc. 1884, Iff.) veröffentlicht worden war. Von den überwiegend rein katalogartigen Aufzählungen psycho- logischer und sonstiger philosophischer Kategorien, von denen dieser Text voll ist, gewinnt ein nicht geringer Teil Leben durch die Ausführungen Aungs in seinem einleitenden Aufsatz. I Der Überblick über die Tatsachen des Bewußtseins (mit be- sonderer Betonung des übernormalen Bewußtseins), den dort der in westlichen Gedankenkreisen heimische Verfasser gibt, unterliegt bisweilen, wenn ich mich nicht täusche, der Ver- suchung, die alten Vorstellungen im Sinn dieser Gedankenkreise zu modernisieren: wo dann in die geläuterte Atmosphäre, in der sich der Leser zu befinden meint, Betrachtungen wie bei- spielsweise die über die Natur von Buddhas Lächeln oder vom j Lächeln des Moggalläna beim Anblick eines Peta (Gespenst) I fremdartig genug hineinblicken. Sehr dankenswert ist die im I Appendix gegebene Diskussion einer größeren Zahl philoso- ' phischer Termini. Hier sei noch der Hinweis auf eine i Arbeit angeschlossen, die Lanman seiner wohl bald zu er- i hoffenden Ausgabe von Buddhaghosas Visuddhimagga (be- I gönnen von Warren) als Vorläufer vorangeschickt hat: die

j assisted by Cec. Dibben, Mary C. Foley, Mabel Hunt and May Smith). Pali Text Soc, 2 Bde. London 1911 13. Hier erwähne ich auch die

I Yamakappakaranatthakathä, from the Pancappakaranatthakathä, ed. by C. A. F. Rhys Davids. Journal Pali T. Soc. 1910—12, 51 ff. (London 1912). ^ Compendium of Philosophy, being a translation new made for the first time from the original Pali of the Abhidhammattha-Sangaha, with Introductory Essay and Notes, by Shwe Zan Aung. Revised and edited by Mrs. Rhys Davids. London 1910 (Pali Text Society, Translations Series). Ich nenne auch die Arbeit desselben birmanischen Forschers Abhi- dhamma Literature in Burma, Journ. Pali T. Soc. 1910 12, 112ff.

ß34 H- Oldenberg

Analyse der beiden ersten, die Lehre vom slla (Moralität) und den dhutahga (den dreizehn asketischen Observanzen) um- fassenden Bücher jenes Werks. ^

Wir gehen zur nördlichen Literatur über. Hier ist vor allem der überaus wichtigen Erweiterungen unserer Kenntnisse zu ge- denken, welche uns durch die im Norden entdeckten größeren oder kürzeren Fragmente kanonischer, teilweise dem alten Kanon angehöriger Texte gebracht sind. Diese Fragmente sind bald in Sanskrit verfaßt, bald in den durch die zentralasiatischen Funde neu zutage geförderten Sprachen; zur Orientierung über diese sei unter der rasch anschwellenden Literatur etwa folgendes hervorgehoben: A. Meillet, Les nouvelles langues indo- europeennes trouvees en Asie centrale (Revue du mois, Aug. 1912. Paris); derselbe, Le Tokharien (Indog. Jahrbuch 1913, Iff.); H. Reichelt, Das 'Nordarische' (ebendas. 20 ff.). Weiter sei hier vorangeschickt, daß mit der literargeschichtlichen Stellung eines Teiles der hierher gehörigen Sanskritfragmente ich mich NGGrW 1912, 171 ff. (vgl. oben S. 629) beschäftigt habe.

Ich beginne mit der Vinayaliteratur und verzeichne die am eben angeführten Ort schon von mir näher besprochenen Sanskritfragmente, die Finot publiziert hat^; ein von Hoernle mitgeteiltes Stück eines Sanskritvinaya^ ; die überwiegend den Vinaya betreffenden Mitteilungen in einem Aufsatz la Vallee Poussins*; sodann ein tocharisches Prätim oksafragment^ und einen andern tocharischen Vinayaabschnitt.^

Von Sütras hebe ich hervor Sanskritfragmente aus dem

* Ch. R. Lanman Buddhaghosa's Treatise on Buddhism, entitled the way of salvation : Analysis of Part I, on Morality (Proc. of the American Academy of Arts and Sciences, vol. XLIX, no. 3, Boston 1913)

' L. Finot Fragments du Vinaya sanskrü, Journ. as. 1911, II 619 flF. » Hoernle JRAS 1912, 736 ff. (vgl. oben S. 617, Anm. 2).

* L, de la Vallee Poussin Nouveaux Fragments de la Collection Stein, JRAS 1913, 843 ff.

^ S. Levi Tökharian Prätimoksa Fragment, ebendaselbst 109 ff. ® S. Levi Un Fragment Tokharien du Vinaya des Sarvästivädins, .Tonm.,a8, 1912, I 101 ff.

Der indisclie Buddhismus (1910—1913) 635

Samyuktägama* und ein soghdisches Dirghanakhasütra.^ Ver- schiedene Sanscritica weiter^ darunter Fragmente eines Nagaro- pama und einer Raksä, eines Dasabalasütra, des Saddhar- mapundarika, vereinigen Mitteilungen von la Vallee Poussin^; ähnlich eine solche von S. Levi*: ich erwähne Stücke eines Nidänasütra, eines Dasabalasütra und des Dharmapada. Hiermit sind wir denn zu den reichhaltigen Materialien geführt, die das Dharmapada bez. den Udänavarga betreffen; mit Sonderung dieser beiden Benennungen beschäftige ich mich hier nicht. Ich verweise auf meine Bemerkungen im vorigen Bericht S. 607 f. über die von Pischel begonnene Bearbeitung der betreffenden Materialien, auf deren Fortsetzung durch Lüders wir hoffen dürfen, und verzeichne unten einige neue hier einschlagende Publikationen.^ Besondere Erwähnung verdient eine wenigstens teilweise auf den zentralasiatischen Funden beruhende ein- gehende Studie, die niemand als eben ihr Verfasser uns zu geben imstande gewesen wäre: die Arbeit S. Levis, die für den Apramädavarga des Dharmapada eine Gegenüberstellung der zahlreichen Redaktionen, einschließlich der tibetischen Über- setzung und der chinesischen, unternimmt.®

Sehr umfangreiche Partien einer soghdischen Übersetzung

^ L. de la Vallee Pousein Documents sanscrits de la seconde Collection Stein, JRAS 1913, 569 ff.

^ R. Gauthiot Le Sütra du religieux Ongles-Longs. Texte sogdien et traduction, Mem. Soc. Ling. XVII 357 ff. (Paris 1912).

' L. de la Vallee Poussin Documents sanscrits de la seconde Collection Stein, JRAS 1911, 759 ff. und 1063 ff.

* S. Levi Textes sanscrits de Touen-houang, Journ. as. 1910, II 433 ff,

^ S. Levi Etüde des documents toJchariens de la mission Pelliot. I.

Les Ulingues, Journ. as. 1911, I 431ff. (vgl. auch S. 138 ff.). L. de la

Vallee Poussin Documents sanscrits de la seconde Collection M. A. Stein:

; Fragments de V Udänavarga de Dharmaträta, JRAS 1912, 355 ff. Derselbe

! Essai d' Identification des Gäthäs et des Udänas en prose de V Udänavarga

\ de Dharmaträta, Journ. as. 1912, I 311 ff. Vgl. auch denselben, Gott.

Gel. Anz. 1912, 190 ff.

® S. Levi L'Apramäda-varga. Etüde sur les recensions des Dharma- padas, Journ. as. 1912, II 203 ff.

ß36 H- Oldenberg

des Yessantara Jätaka veröffentliclit und übersetzt Gauthiot.^ Der Jätakaliteratur gehört auch ein von Levi veröffent- lichtes Legendenfragment in tocharisclier Sprache an*, das es mit der Geburt des Bodhisattva als König Ambara zu tun hat (Levi gibt auch die sanskritischen Paralleltexte).

Es war im Vorangehenden nicht möglich, eine scharfe Scheidung älterer und jüngerer Texte vorzunehmen. Es folgen noch einige jüngere: Stücke der Vajracchedikä und des Aparimi- täyuhsütra^ sowie des Suvarnaprabhäsasütra^ in der Sprache, welche Leumann nordarisch nennt, Gauthiot und Pelliot ostira- nisch. Lüders u.a. sakisch. Mit den Fragmenten der Vajracchedikä und des Aparimitäyuhsütra sowie mit teils sanskritischen, teils „nordarischen" Stücken der Adhyardhasatikä Prajnäpäramitä beschäftigt sich Leumann.^ Über ein als apokryph erscheinendes Sütra des causes et des effets du hien et du mal berichtet Pelliot*: unter den Funden seiner Expedition erscheint es in soghdische Sprache; nunmehr ist es ihm gelungen, im Supplement de Tripitaka von Kyoto die chinesische Fassung, die zum Vei ständnis der andern führt, zu entdecken. Endlich erwähne i( ein in einer Turfanhandschrift vorliegendes Sütra in türkisch« Übersetzung^, uigurische Schrift mit Brähmiglossen: eine von' Buddha den im Anfang seiner Buddhaschaft ihm begegnenden

* R. Gauthiot Une version sogdiennc du Vessantara Jätaka, Jonrn. as. 1912, I 163 ff. und 429 ff.

2 S. Levi Une legende du Karunä-pundarlka en langue tokharienne, Festschrift für V. Thomsen, 155 ff. (Leipzig 1912).

' Hoernle The 'ünJcnown Languages' of Eastern Turkestan, JRAS 1910, 834 ff., 1283 ff. Vgl. auch das. 1911, 447 ff.

* P. Pelliot Un fragment du Suvarnaprahhäsasütra. Mem. Soc. Ling. XVIII 89 ff. (Paris 1913).

^ E. Leumann Zur nordarischen Sprache und Literatur (Schriften der Wiss. Gesellsch. in Straßburg, Heft 10. Straßburg 1912) S. 56 ff., 84 ff

* P. Pelliot Un hilingue sogdien-chinois, Melanges S. Levi 329 ff.

' Tisastvustik. Ein in türkischer Sprache bearbeitetes buddhistisches Sütra. Transscr. und Übers, von W. Radioff. Bemerkungen zu den Brähmiglossen des Tisastvustik-Manuskripts von Baron A. v. Stael-Holstein {Bibl Buddhica XII). St. Petersburg 1910.

Der indische Buddhismus (1910—1913) 637

Kaufleuten Trapusa und Bhallika (der Text verwandelt diese in Türken) mitgeteilte Sammlung mystischer Formeln (Dhärani) und Namen von Göttern und Dämonen zum Schutz der Reisenden, in erster Linie reisender Kaufleute.

Wir werden in besonderem Zusammenhang noch zu einem der im Norden gelungenen Funde in mancher Hinsicht dem wichtigsten von ihnen allen zurückzukehren haben. Für jetzt wenden wir uns zu den in anderweitiger Überlieferung vorliegenden Texten und den an sie anknüpfenden Unter- suchungen.

Von Forschungen, welche die Genesis und geschichtliche Stellung von Texten wie Mahävastu und Divyävadäna betreffen, war oben S. 620 die Rede. Bemerkungen zu verschiedenen Texten dieser Gruppe gibt Wintemitz^ (Sittengeschichtliches: Verschleierung der jungen Ehefrau im Lal. Vistara, dabei Allgemeines über diesen Text in seiner literaturgeschichtlichen und dogmatischen Stellung. Über Säntideva als angeblichen Verfasser eines Sütrasamuccaya.^ Einige Stellen des Divyäva- däna).

Besondere Aufmerksamkeit haben wir auf die bedeutende literarische Persönlichkeit des Asvaghosa zu richten. Diesem Vornehmsten unter den Kunstdichtern des Buddhismus ist auch jetzt wieder eifrige Arbeit zu gute gekommen, dazu ein Fund ersten Ranges, der unsern Besitz in erwünschtester Richtung erweitert.

Unter den Publikationen, die altbekannte Werke Asva- ghosas betreffen, stelle ich die von Formichi^ voran: eine sorg- fältige und elegante Übersetzung des Buddhacarita, welcher

* M. Winternitz Beiträge zur buddh. Sanskritliteratxir. WZ KM XXVI 1912, 237 ff.

2 Hier sei auch aufmerksam gemacht auf den das Leben und die literarische Tätigkeit dieses Autors behandelnden Aufsatz von Mahämaho- pädhyäya Haraprasäd Shästri Säntideva^ Ind. Antiq. 1913, 49 ff.

' Formichi Ägvaghosa poeta del buddhismo (Biblioteca di Cultura moderna). Bari 1912.

ß38 2- Oldenberg

eine umfängliche Einleitung (insonderheit Erzählung des In- halts) vorangeht, eingehende überwiegend textkritische An- merkungen angehängt sind. Die verdienstliche Arbeit läßt doch, scheint mir, manche Wünsche unerfüllt. Wenn die An- merkungen zeigen, daß Formichi auch die speziellen Interessen der Fachleute zu berücksichtigen gedachte, werden diese eine Reihe von Untersuchungen, für die sie dem Verfasser dankbar gewesen wären, vermissen. So im Großen vor allem die Prüfung der Stellung von Asvaghosa's Erzählung inmitten der übrigen Formen des Berichts vom Leben des Buddha. Im Kleineren und Einzelnen, Untersuchungen wie z. B. über die Bedeutung des Berichts von Aräda's Lehre für die Geschichte der indischen Philosophie: man wird bedauern, daß der Ver- fasser gefunden hat, daß ein Eingehen auf dieses nicht un- wichtige, mehrfach behandelte Problem ^ trascende i limiti e gVin- tenti äi questa nostra esposmone (was S. 392 f. hierüber ge- sagt wird, rührt in der Tat den Gegenstand nur an). Besonders hätte man in der Behandlung der Frage nach dem Grund- bestandteil des Werkes und den Ergänzungen größere Schärfe gewünscht. Für ganz unwahrscheinlich halte ich, daß das ursprüngliche Gedicht termina e deve terminare con la sconfitta di Mära (S. 107). Ein Buddhaepos, welches das entscheidende Ereignis, die Erlangung der Buddhaschaft, nicht erzählt, sondern unmittelbar davor, inmitten der Vorgänge, die zu jenem Höhe- punkt hinführen, plötzlich abbricht?

Von sehr viel geringerer Bedeutung als die Arbeit Formich i's ist die deutsche Bearbeitung des Buddhacarita, welche nach der chinesischen Übersetzung, mit vielen willkürlichen Kürzungen und mit der auf eigne Rechnung unternommenen Hervor- bringung eines „biblischen Gepräges" der Diktion von Held hergestellt worden ist.^

^ Zuletzt: O.Strauß Zur Geschichte des Sämkhya. WZKM XXVII 257 ff.

^ H. L. Held Buddha, sein Evangelium und seine Auslegung . 1-3 Aufl. München, Leipzig 1911/12. Vgl. dazu Oldenberg, Theol. Lit. Zeitung 1912, 643 f.

Der indische Buddhismus (1910—1913) 639

Eine neue in Indien erschienene Ausgabe und Übersetzung der ersten Kapitel des Buddhacarita^ bedaure ich nicht gesehen zu haben; nach einem Bericht Finot's wäre ihr Ertrag nicht eben hoch anzuschlagen. Einzelheiten zum Buddhacarita bieten la Vallee Poussin und Watanabe.^ Einschaltungsweise sei hier ein den Funden Stein's entstammendes Fragment eines andern Buddhacarita erwähnt.^

Unser Besitz an Werken des Asvaghosa ist nun aber in bedeutsamster Weise weiter vermehrt worden.

Zunächst ist es Haraprasäd Shästri gelungen, für das von ihm entdeckte Werk dieses Poeten Saundarananda Kävya (von der Bekehrung des Nanda handelnd) hinreichende Materialien zu- sammenzubringen, so daß eine Ausgabe möglich geworden ist.*

Vor allem aber ist hier des Fundes von Lüders zu gedenken, der unsrer Kenntnis der indischen, der buddhistischen Literatur ein Novum ersten Ranges dargeboten hat.^ Unter den Manu- skripten, die V. Le Coq mitgebracht hat, fanden sich Fragmente einer Palmblatthan^schrift, die in Indien geschrieben sein muß, und deren Schriftcharakter sie als die weitaus älteste bisher bekannte indische Handschrift, aus der Zeit der Kusanadynastie

' Ashvaghosha's Buddha-charita (cantos I-V) with a scJioUum by Dattatraya Shastri Nigudkar, a7id IntroducUon , Notes and Translation hy K.M. Joglekar. Bombay 1912. Vgl. dazu Finot J. as. 1913 I 685 f.

2 L. de la Valle'e Poussin Buddhacarita I 30, JRAS 1913, 417 ff.; K. Watanabe Two Notes on ihe Buddhacarita, Journ. Pali T. Soc. 1910-12, 108 ff.

' L. de la Yallee Poussin JBASjdll, 770 f.

* Saundaranandam Kävyam by Arya Bhadanta Asva Ghosa, ed. by Mahämahopädhyäya Harapraaäda Shästri. Calc. 1910 (Bibl. Indica). Vgl. dazu Baston Journ. as. 1912 I 79 ff. (Analyse; Übersetzung der beiden ersten Kapitel); Speyer Some Notes on the text of Saundarananda., Versl. en Mededeel. der K. Akad. vau Wetensch., Afd. Letterkunde, 4. Reeks, Deel XII. Amsterdam 1913; F. W. Thomas JRAS 1912, 1125 f.

^ H. Lüders BruchstücTce buddhistischer Dramen (Kgl. Preuß. Turf an- Expeditionen. Kleinere Sanskr.-Texte Heft 1), Berlin 1911. Ders. Bas SäriputrapraJcarana, ein Drama des Asvaghosa, Sitz. -Bericht der K. Pr. Akad. der Wiss. 1911, 388 ff. Ders. Buddh. Dramen aus vorklassischer Zeit, Internat. Wochenschrift 1911, 677 ff.

ß40 S- Oldenberg

erweist (nach der von mir für richtig gehaltenen Ansicht über diese Dynastie um das Ende des 1. bzw. im 2. Jahrh. n. Chr.). In dieser und in einer zweiten, einem Palimpsest^ haben sich Fragmente dreier Dramen gefunden, die um mehrere viel- leicht drei Jahrhunderte älter sind als die ältesten bisher bekannten. Die Prakritdialekte , deren sich die Frauen und Angehörigen der niederen Stände bedienen, sind wesentlich älter als die sonst bekannten Prakrits der Dramen. Alle drei Dramen sind als buddhistisch zu bezeichnen. Das eine ist allegorisch: Weisheit, Standhaftigkeit und Ruhm begeben sich zur höchsten Verkörperung aller Tugenden, dem Buddha. Das zweite hat, scheint es, lustigeren Charakter. Neben einem buddhistischen Mönch tritt eine Hetäre auf, dann der Vidüsaka, die lustige Person. Im dritten Stück endlich ist vom Eintritt der beiden Hauptjünger, des Säriputra und Maudgalyäyana, in den Jüngerkreis die Rede. In seiner ersten Mitteilung über den wundervollen Fund sprach Lüders die Ansicht aus, der Verfasser müsse dem Dichterkreise angehören, dessen ragender Mittelpunkt Asvaghosa war. Die Bestätigung ließ nicht lange auf sich warten. Für das letzterwähnte der drei Dramen fand sich die den Verfasser nennende Unterschrift: es war niemand anders als Asvaghosa selbst. Der Umkreis der buddhistischen Literatur erweitert sich durch diese mehr oder minder religiösen Dramen in einer vollkommen neuen Richtung. Für die Ge- schichte des Dramas aber wird man wenigstens große Wahr- scheinlichkeit der Schlußfolgerung zuerkennen, die Lüders zieht: die Hypothese, daß sich das indische Drama unter dem Ein- flüsse der griechischen Komödie entwickelt habe, kann jetzt nicht mehr aufrecht erhalten werden. Auf Lüders bedeutsame, durch seinen Fund veranlaßte Ausführungen zur Geschichte der Präkrtdialekte kann ich eben nur hinweisen.

Ich schließe diese auf Asvaghosa bezüglichen Darlegungen mit der Angabe, daß von dem berühmten, bisher allein in tibetischer und chinesischer Übersetzung vorliegenden Hymnus

Der indische Buddhismus (1910—1913) 641

des Mätrceta (identisch mit Asvagho^a?) auf Buddha Fragmente von Stein und Pelliot mitgebracht sind, welche jetzt veröffent- licht vorliegen.^

Wichtige Fortschritte hat die Durcharbeitung der Literatur der Mädhyamikaschule gemacht. Seine Ausgabe des funda- mentalen Textes dieser Schule, der Mülamadhyamakakärikäs mit dem Kommentar des Candrakirti (dieser aus dem Ende des 6. oder Anfang des 7. Jahrhunderts?) hat la Yallee Poussin nach langjähriger Arbeit glücklich zu Ende geführt.^ Den Kommentar Akutobhayä des Nägärjuna selbst hat aus der i im Tanjur erhaltenen tibetischen Version Walleser übersetzt; ebenso alsdann den chinesischen Text Gun-lun des Kumärajiva: sei es, daß dieser als freie Bearbeitung der Akutobhayä oder als die Übersetzung eines andern dieser nahestehenden indi- schen Originals aufzufassen ist.^ Zu seinem eben erwähnten Kommentar fügte Candrakirti das Werk Madhyamakävatära, eine Einleitung in dia Philosophie der Mädhyamikaschule. Eine Ausgabe auch dieses tibetisch im Tanjur vorliegenden Textes, dazu eine Übersetzung (gegenwärtig noch unvollendet), ver- danken wir wieder der ünermüdlichkeit la Yallee Poussins.* In die durch den Namen Nägärjuna bezeichnete Entwicklungs- linie gehört auch das Werk Abhisamayälamkära des Maitreya- nätha, über dessen Auffindung Haraprasäd Shästri berichtet.^

1 La Yallee Poussin JBAS 1911, 762 ff.; S. Le'vi Jowrn. as. 1910 II 450 ff

^ Mülamadhyamakakärikäs (Mädhyamikasütras) de Nägärjuna avec la Prasannapadä Commentaire de Candrakirti, publie par L. de la Vallee Poussin (Bibl. Buddhica), St. Petersburg 1903—13.

' M. Walleser Die Mittlere Lehre (Mädhyamika-sästra) des Nägärjuna, nach der tibet. Version übertragen, Heidelberg 1911. Ders. Die Mitt- lere Lehre des Nägärjuna, nach der chines. Version übertragen, Heidel- berg 1912.

* Madhyamakävatära par Candrakirti, Trad. tibetaine publice par L. de la Vallee Poussin (Bibl. Buddhica), St. Petersburg 1912. Museon 1907, 249 flF.; 1910, 272 ff.; 1911, 235 ff.

' Mahämahopädhyäya Haraprasäda Shsistri Discovery of Abhisamayä- lamkära hy Maitreyanätha, Journ. and Proc. As. Soc. Bengal 1910 (Calcutta 1911) 425 ff.

Archiv f. Keligionswissenschaft XVII 41

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Zum Gebiet der Yogäcäraschule hinüber führt uns die große Arbeit, zu deren Vollendung wir S. Levi beglückwünschen dür- fen. Im vorigen Bericht (S. 602) wurde über seine Ausgabe von Asangas Mahäyäna-Süträlamkära referiert. Als zweiten Band hat er jetzt, nebst einer Einleitung, die Übersetzung dieses hochwichtigen Werkes folgen lassen.^ Der von Asahga in- augurierten Richtung gehört auch der altjavanische Kate- chismus an, den J. Kats veröffentlicht hat (von mir nicht gesehen), und dessen einleitende, vielleicht indisches Erbgut darstellende Sanskritstrophen Anreden des Guru an den zu weihenden Jünger Speyer bespricht.^ Hier ist nachträglich noch des Überblicks über die buddhistische Logik in S. Ch. Vidya- bhusanas schon 1909 erschienener Geschichte der mittelalter- lichen Logik Indiens zu gedenken.^ Die literaturgeschichtlichen Daten treten darin gegenüber den Problemen der Gedanken- entwicklung in den Vordergi'und.

Von poetischen Werken ist hier zu erwähnen zunächst die von Watanabe herausgegebene kleine lyrische Komposition Bhadracari (mit Übersetzung von Leumann), von der wir aus dem vierten Jahrhundert hören, daß sie in buddhistischen Landen überall rezitiert worden sei: im Sinn des Mahäyäna Bekenntnis zu den geistlichen Pflichten, Ausdruck der Wünsche und der auf Amitäbha gerichteten Hoffnungen/ Sodann die Behandlung der Mahajjätakamälä, eines in Nepal erhaltenen, teilweise an die Jätakamälä des Aryasüra sich anlehnenden Werks, durch

* S. Levi Mdliäyäna-Sütralamkära, Expose de la doctrine du Grand Vehicule selon le Systeme Yogäcära, T. II: Traduction, Introduction, Index (Bibl. de r:6cole des Hautes Etudes), Paris 1911. .

2 J. Kats Sang hyang Kamahdyänikan (Kon. Inst, voor de Taal-, Land-, en Volkenkunde van Ned. Indie.). 1910. J. S. Speyer Ein alt- javanischer mahäyänistischer Katechismus, ZDMG LXVII (1913), 347 ff.

' Mahämahopädhyäyar Satis Chandra Vidyabhusana History of the Mediaeval School of Indian Logic (Calcutta 1909) S. 57 ff.

* K. Watanabe Die Bhadracari, eine Proie buddhistisch -religiöser Lyrik (Straßb. Diss.), Leipzig 1912.

Der indisclie Buddhismus (1910—1913) 643

E. Lang.^ Dieser Gelehrte bereitete eine Ausgabe des ganzen Textes vor. Der frühe, tragische Tod, den er wie einst Bergaigne im Gebirge fand, hat die Wissenschaft dieser und wohl mancher andern schönen Hoffnung beraubt. Der vorliegende Aufsatz gibt eine Analyse des ganzen Werks sowie Text und Über- setzung von zwei ausgewählten Erzählungen (der Töpfer Vrhaddyuti; der Sklave Kulmäsapindin). Hier darf endlich die reiche Gabe nicht unerwähnt bleiben, die Chavannes^ mit der Übersetzung seiner fünfhundert Erzählungen aller Art aus verschiedenen chinesischen Texten, überwiegend aus der Zeit vom 3. bis 5. Jahrhundert n. Chr., der Wissenschaft des Folk- lore und speziell auch der buddhistischen Forschung gemacht hat: denn es ist das buddhistische Indien, in welches diese Texte uns als in ihre wahre Heimat zurückführen.

Ich wende mich zu den Arbeiten, die Fragen der buddhistischen Kirchengeschichte betreffen.

Zu dem schon früher (s. den vorigen Bericht 611) von ihm behandelten Problem des Datums von Buddhas Tode und der entsprechenden Ära kehrt Fleet zurück.^ Speziell die birmanische Ära von Buddhas Tode ist mehrfach behandelt worden.*

Dasselbe gilt von der alten Mönchssekte der Ajivika.^

Legenden, den König Asoka betreffend, übersetzt Laksmana

* E. Lang La MahajjätaJcamälä , Journ. as. 1912, I 511 ff. Vgl. auch S. Levi Festschr. f. Vüh. Thomsen, 162 f.

^ Ed. Chavannes Cinc[ cents conies et apologues extraits du Tripitaka (^inois et traduits en frangais, Paris 1910 (3 Bde.). Vgl. dazu mein Referat Buddhistische Fabeln und Märchen, Deutsche Rundschau, Juni 1911.

8 Fleet The Date of the Death of Buddha, JRAS 1912, 239 ff. Hier ist auch auf Geigers Einleitung zu seiner Übersetzung des Mahä- vamsa zu verweisen (s. unten S. 644) sowie auf Ayrton JBÄS 1911, 1142 f.

* Blagden The Bevised Buddhist Era in Burma, JRAS 1910, 474. Vgl. dazu Fleet das. 476 ff., Blagden das. 850 ff., wiederum Fleet 857 ff., Blagden das. 1911, 209 ff., Taw Sein Ko das. 212 ff., Fleet das. 216 f.

^ K. B. Pathak The Äjivikas, a Sect of Buddhist BhiTckhus, Ind. Ant. 1912, 88 ff.; D. R. Bhandarkar Äjivikas, ebendas. 286 ff. Hier sei an Hoernles sehr wichtigen Artikel über die Äjivikas in der Encycl. of Rel. and Ethics erinnert.

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Sästri.^ Über das Land Mahisamandala, wohin eine der von Asoka ausgeschickten Missionen ging, sind eingehende Dis- kussionen geführt worden.^ Mit der angeblich (doch s. Greiger in seiner Übersetzung des Mahävamsa S. 86, Anm. 2 und Fleet JRAS 1910, 428) nach Birma gerichteten Missionsreise des Sona und Uttara, und im Anschluß daran mit dem Eindringen des Buddhismus auf den Sundainseln beschäftigt sich ein Aufsatz von MüUer-Heß, von dem Nariman eine englische Übersetzung vorlegt.^ Beziehungen des angeblich unter Asoka ent- standenen Textes Kathävatthu (dem Abhidhamma Pitaka zu- gehörig) zu nordbuddhistischen Traditionen untersucht la Vallee Poussin.*

Dem hohen Verdienst, das er sich durch seine Ausgabe der ceylonesischen Chronik Mahävamsa erworben (vgl. den vorigen Bericht 594), hat Geiger ein neues durch Veröffentlichung einei ausgezeichneten Übersetzung dieses Textes^ hinzugefügt. Di reichhaltige Einleitung beschäftigt sich mit den Quellenvei hältnissen und der Glaubwürdigkeit von Mahävamsa und Dipl vamsa (Auseinandersetzung mit der Skepsis Frankes), mit de Chronologie der ceylonesischen und indischen Könige so^ der buddhistischen Lehrer, von denen die Chronik sprich! endlich mit den Problemen, welche die Konzilien betreffen. Chronologische Fragen, die mit dem Mahävamsa zusammei

^ Laksmana Sästri Buddhist Legends of Asoka and Ms Times, trai lated from the Päli of the Rasavähini, with a Prefatory Note by H. C. Normi Jonrn. and Proc. of the As. Soc. of Bengal 1910, 57 ff.

2 Fleet JBAS 1910, 425 ff.; 1911, 816 ff.; 1912, 245 ff. Pargi das. 1910, 867 ff. Rice das. 1911, 809 ff.; 1912, 241 ff.

' E. Müller-Heß The Peregrinations of Indian Buddhists in Burma and in the Sunda Islands, transl. from the German by G. K. Nariman, Ind. Antiquary 1913, 38 ff.

* L. de la Vallee Poussin Buddhist Notes: The 'Five Points' of Ma deva and the Kathävatthu, JRAS 1910, 413 ff.

* The Mahävamsa or the Great Chronicle of Ceylon, transl. into English by Wilh. Geiger, assisted by Mabel H. Bode, London (Päli Text Society) 1912.

Der indische Buddhismus (1910—1913) ^5

hängen, werden behandelt von Ayrton^ (Besuch des Fa Hian in Ceylon und in Verbindung damit Datierung von Buddhas Nirväna im Mahävamsa) und von Hultzsch^ (Synchronismen zwischen den das Mittelalter betreffenden Partien des Mahävamsa und den Daten der südindischen Epigraphik).

Schrader^ fragt, was in den Ausdrücken Mahäyäna und Hinayäna yäna ursprünglich bedeutet. Er entscheidet sich gegen „Wagen", für „Schiff'^ Mna bedeutet ,,niedrig, inferior, gemein": was die alte Lehre als verächtlich erscheinen ließ, war die Abwesenheit des Bodhisattva-Ideals.

N. Peri* untersucht das bestrittene Datum des hochberühmten Vasubandhu. Auf Grund einer Prüfung der Texte der ersten Serie des Supplements des Tripitaka von Kyoto gelangt er zu dem Resultat, daß Vasubandhu im 4. Jahrhundert, genauer in dessen erster Hälfte gelebt hat.

In der sehr einleuchtenden Behauptung des Einflusses bud- dhistischer Spekulation auf die Vedäntalehre treffen la Vallee Poussin und Walleser zusammen.^

Die Geschichte des Buddhismus in Zentralasien zu verfolgen, liegt außerhalb der Grenzen dieses Berichts und meiner persön- lichen Kompetenz. Dagegen sei auf die im wesentlichen von Haraprasäd Shästri angeregten Bemühungen hingewiesen, den Bud- dhismus in Bengalen und Orissa bis in die Neuzeit zu verfolgen.®

^ E. R. Ayrton The Date of Buddhadäsa of Ceylon from a Chinese source, JRAS 1911, 1142 ff.

* EMnltzachContributionstoSinghaleseChronology, ebendas. 1913,517 ff. ' F. Otto Schrader Zur Bedeutung der Namen Mahäyäna und

Hinayäna, ZDMG LXIV 341 ff.

* Noel Peri Ä propos de la date de Vasubandhu, Bull, de l'fic. fr. d'Extr.-Orient XI 1911, 339 ff. Vgl. zu der Frage auch S. Lävi Mahä- yäna-SüträlarnJcära, vol. II p. *2.

^ L. de la Vallee Poussin Buddhist Notes: Vedänta and Buddhism, \ JRAS 1910, 129 ff. M. Walleser B er ältere Vedänta. Geschichte, Kritik ! und Lehre, Heidelb. 1910, insonderheit S. 25ff. Vgl. schon V.A. Sukh- tankar WZKM XXII 1908, 137 f.

^ Nagendranäth Vasu The Ärchaeological Survey of Mayürabhanja, vol. I. Publ. by the Mayürabhanja State 1911 (Einleitung). Vgl. Dinesh

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Der Aufführung von Arbeiten über Beziehungen zwischen Bud- dhismus und Christentum schicke ich den Hinweis auf eine Sammlung von Berührungen des ersteren mit dem Parsismus voran.^ Der Sammler, Nariman, nimmt, wenn ich ihn recht verstehe, bald Einfluß des Zarathustrismus auf den Buddhis- mus, bald die entgegengesetzte Richtung der Beeinflussung an.

Unter den Veröffentlichungen, die sich mit der neuerdings so reichlich diskutierten Frage des buddhistischen Einflusses auf die altchristliche Überlieferung beschäftigen (vgl. den vorigen Bericht G14 A. 4), stelle ich zwei wichtige Aufsätze von Garbe voran.^ In überzeugender Weise betont dieser die wesentliche Verschiedenheit der angeblich buddhistischen Elemente in den kanonischen Evangelien und der wirklich buddhistischen Elemente in den apokryphen Evangelien. „Die Erzählungen der kanonischen Evangelien, die an buddhistische Erzählung« anklingen, tragen nicht einen spezifisch buddhistischen od« überhaupt spezifisch indischen Charakter; ihre Entstehung ig auch ohne die Hypothese indischer Herkunft vollkommen vei ständlich. Wogegen die Geschichten der apokryphen Evt gehen, zu denen sich Parallelen in der buddhistischen Literati finden, die echten Züge der indischen Märchenwelt aufweisen.} (Etwas anders freilich derselbe in seinem Buch „Indien das Christentum '^ 1914, dessen Besprechung dem nächsten ß« rieht vorbehalten bleibt.) So läßt Garbe den buddhistischen Einfli

Chandra Sen History of Bengäl Language and Liter ature (Calc. 1911 S. 403.

^ Nariman Quelques paralleles entre le Bouddhisme et le Parsi Revue de l'hist. des religions, Bd. LXV 1912, 79 ff. (englisch in C. P. Tiel The Religion of the Iranian Peoples, Part I, transl. by G. K. Narims Bombay 1912 S. 148 ff.).

* Eich. Garbe Was ist im Christentum buddhistischer Herkunf Dentsche Rundschau Juli 1910. Buddhistisches in der christlichen gende, ebendas. Oktober 1911. Beide Aufsätze in englischer Be£ beitung: Contrihutions of Buddhism to Christianity, The Monist XXI 5091 (Chicago, Oct. 1911). ~ Vgl. auch Garbe in: Das Freie Wort Xi 6' (Frankf. a. M. Dez. 1911).

Der indische Baddhismus (1910—1913) 647

auf Christliches erst bei den Apokryphen anfangen. „Jedenfalls haben die verschiedenartigsten Kräfte bei der Entstehung des Christentums zusammengewirkt, aber der Buddhismus war das kann fast mit Bestimmtheit behauptet werden dabei nicht betei- ligt." In der späteren Entwicklung der christlichen Traditionen liegt die Sache bekanntlich fraglos anders: Garbe hebt die Heiligen- legenden des St. Eustachius (Eustathius) Placidus und des St.Chri- stophorus heraus, um für sie nach dem Vorgang von Gaster und Speyer Jätakavorbilder naebzuweisen. Hier sei aucb die Arbeit desselben Forsebers erwähnt, die in um- gekehrter Richtung die Frage der Beeinflussung des Buddhis- mus durch das Christentum zum Gegenstand hat.^ Garbe wendet sich insonderheit mit entscheidenden Gründen gegen die von J. Dahlmann ausgesprochene Ansicht, nach welcher in der Gandhärakunst und der Lehre des Mahäyäna christlicher Einfluß zu erkennen sei. Daß in späterer Zeit christlicher Einfluß im nördlichen Buddhismus Spuren zurückgelassen habe, ist Garbe dagegen geneigt, zu bejahen; insonderheit hält er für wahrscheinlich, daß die allbekannten Ähnlichkeiten gewisser Äußerlichkeiten des lamaistischen und des römisch-katholischen Kultus in diesem Sinn aufzufassen sind. Zum gleichen Er- gebnis wie Garbe gelangt Wecker in bezug auf die Zurück- weisung der erwähnten Dahlmannschen Theorie ; auch er denkt

; an die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit katholischer Ein- flüsse auf den Lamaismus, gegen dessen Bezeichnung als „bud- dhistischer Katholizismus" er übrigens protestiert.^ Skeptisch

I oder ablehnend wird die Frage nach buddhistisch-evangelischen

I Beziehungen auch von Lehmann in seinem „Buddhismus" (vgl.

\ oben S. 608), S. 7 8 ff., von Winternitz doch mit wesentlichen

^ R. Garbe Ist die Entwicklung des Buddhismus vom Christentum beeinflußt worden? Deutsche Rundschan April 1912. Englisch in The Monist XXII leijff. (Chicago, Apr. 1912).

^ 0. Wecker Christlicher Einfluß auf den Buddhismus? Theol. Quar- talschrift Tübingen XCII 1910, 417 ff. 538 ff. Derselbe Lamaismus und Katholizismus. Ein Vortrag, Rottenburg a. N. 1910.

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Einscliränkungen in seiner oben (S. 617) erwähnten „Buddh. Literatur" S. 277 fi., von la Vallee Poussin^ erörtert. Über Fabers den gleichen Gegenstand behandelnde Schrift habe ich schon an anderm Orte berichtet.^ Auch ein älterer, jetzt neu- gedruckter Aufsatz L. von Schroeders ist hier zu erwähnen.^ Die bekannte und vortreffliche Darstellung des entgegengesetzten Standpunkts von van den Bergh van Eysinga"^ ist in einer neuen, etwas erweiterten Auflage erschienen. Mit großem Nachdruck vertritt nach wie vor Edmunds^ die Annahme bud- dhistischer Einflüsse auf den Westen und insonderheit auf die christliche Überlieferung. Er hofft, daß Sir Aurel Stein die indische Regierung bestimmen wird, durch ihren Einfluß beim Emir von Afghanistan die Entdeckung eines Sütras in griechischer Sprache und des buddhistischen Originals der Yersuchungsge- schichte bei Lukas zu ermöglichen. Auch W. H. Schoff^ ist hier zu nennen. Von dem Hauptproblem dieses Gebiets ab- liegend möge hier, obwohl nicht Indisches, sondern Zentral- asiatisches dabei in Betracht kommt, ein Aufsatz von P. Carus erwähnt werden.^ Er beschäftigt sich mit vier Fresken, die Grünwedel in Qyzyl nahe bei Kutcha entdeckt hat. Ihr Gegen- stand ist die wunderbare Heilung des kranken Königs Ajätasatru durch den Anblick von Malereien, welche Hauptmomente aus

^ L. de la Vallee Poussin L'Histoire des Beligions de l'Inde et VÄpologetique. Revue des Sc. Philos. et The'ol. VI 1912, 490 ff. Auch separat, London 1912.

' Gr. Faber Buddhistische und neutestamenüiche Erzählungen. Das Problem ihrer gegenseit. Beeinflussung. (Untersuchungen z. Neuen Test. 4. Heft.) Leipzig 1913. Vgl. Theol Lit. Zeitung 1914 Sp. 4.

^ L. von Schroeder Buddhismus und Christentum. In: Reden und Aufsätze (Leipz. 1913) 85 ff.

* G. A. van den Bergh van Eysinga Indische Einflüsse auf Evan- gelische Erzählungen. 2. verbess. Aufl. Göttingen 1909.

"> The Open Court XXV (Chicago 1911), 257 ff.; XXVI 1912, 61 f. The Monist XXII 1912, 129 ff. 633 ff 636 f.

« The Monist XXII 1912, 138 ff. 637 f.

^ P. Carus A Buddhist Veronica, The Open Court XXV 650 ff. (Chicago 1911).

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dem Leben des Buddha darstellen. Carus vergleicht die Er- zählungen vom Tuch der Veronika, ohne doch hier geschicht- lichen Zusammenhang zwischen christlicher und buddhistischer Legende anzunehmen.

Von der denBuddhismus berührenden inschriftlichen Literatur, den Publikationen namentlich in der Epigraphia Lidica für die speziellen Verhältnisse von Ceylon ist die Epigraphia Zeyla- nica zu nennen , den epigraphischen Diskussionen namentlich im Journal of the Royal Asiatic Society (London) kann hier nur Wichtigeres hervorgehoben werden. Insonderheit das rein Sprachgeschichtliche wie die Forschungen Michelsons über die Dialekte der Asokainschriften muß ich beiseite lassen.

Zuvörderst ist hier der auch vom Standpunkt buddhistischer Forschungen besonders zu begrüßenden Fertigstellung der Lüdersschen Liste der älteren in Brähmischrift geschriebenen In- schriften (mit Ausschluß derer Asokas, in geographischer Ord- nung) zu gedenken.^ Sie ergänzt die Listen Kielhorns, welche die jüngeren Inschriften geben (Epigr. Indica Voll. V. VII), in erwünschtester Weise. Im Unterschied von jenen ist versucht worden, die Bibliographie jeder Inschrift vollständig zu geben.

Unter den Inschriften Asokas hat namentlich' die Gruppe derer von Sahasräm, Rüpnäth usw. das Interesse der Forschung auf sich gezogen: jene Äußerungen des Königs über sein Ver- hältnis zur buddhistischen Gemeinde, denen nach früher weit- verbreiteter Ansicht eine chronologische Angabe welche dann in der Tat die höchste Wichtigkeit besessen hätte über die Zahl der seit Buddhas Nirväna verflossenen Jahre beigefügt wäre. Mit evidentem Recht haben jetzt, voneinander unab- hängig, F. W. Thomas und Sylvain Levi an der hierfür ent- scheidenden Stelle das Wort läti (gleich skt. rätri) „Nacht" erkannt. Der König spricht nicht von 256 Jahren seit dem

^ H. Lüders Ä List of Brähml Inscriptions from the earliest times to about A. B. 400, with the exception of those of Asoka. Epigr. Ind. vol. X. Calc. 1912.

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Nirväna, sondern von 256 Nächten, die er auf Reisen zuge- bracht hat.^ Über das Rüpnätli-Edikt zusammen mit der» Säuleninschrift von Särnätli, sodann über das Säncbi-Ediktj spricht Hultzsch.^ Mit der Inschrift von Bhabra, vrelche be- kanntlich eine Anzahl von kanonischen Texten nennt, beschäftigt] sich Dharmananda Kosambi.^ D. R. Bhandarkar* will 4. Felsenedikt Asokas die dort erwähnten vimäna mit denen desj buddhistischen Textes Yimänavatthu verbinden und in dem! hatthi jener Inschrift den Weißen Elefanten d. h. Buddha sehen.|

Die Inschrift des Reliquiengefäßes von Piprävä behandeli K. E. Neumann'^; die des Reliquienbehälters von Bhattiproli Luders.^ Die Kharosthiinschrift des jetzt im British Museui befindlichen Gefäßes von Wardak (Afghanistan) erläutert Par- giter.'' Über eine Inschrift von Kasiä, welche den Ort voi Buddhas Tod bestimmen hilft, s. unten S. 654 Anm. 3.

Dem epigraphischen Gebiet darf die Fülle der Arbeiten zuge- rechnet werden, die auf die Chronologie des Königs KaniskaJ auf die Aera, nach welcher dieser und seine Nachfolger datierei Bezug haben. Bei der bedeutenden Stellung, die dieser Köni| in der Geschichte des Buddhismus einnimmt, insonderheit aucl bei der chronologischen Verbindung, die zwischen ihm undj Asvaghosa besteht, kann eine Berichterstattung über die buddhi- stische Forschung der letzten Jahre an den Erörterungen, di( hierüber stattgefunden haben, nicht vorübergehen.

Während früher die überwiegende Neigung der Forschei

1 F. W. Thomas Journ. as. 1910, I 507; JBÄ8 1912, 477 ff. S. L6\ Journ. as. 1911, I 119 ff. Hultzsch JBAS 1910, 142 ff., 1308 ff.; 1911J 1114 ff. Fleet ebendas. 1910, 146 ff. 1301 ff.; 1911, 1091 ff.; 1913, 656 ff. T. K. Laddu ebendas. 1911, 1117 ff. D, R. Bhandarkar Ind. Antiquar 1912, 170 ff. K. E. Neumann Die Beden Gotamo Buddhos aus d. längere Sammlung II 227 (vgl. auch denselben ZDMG 67, 346).

=* JBAS 1912, 1053 ff. 1911, 167 ff. « Ind. Antiquary 1912, 37

" Ebendas. 1913, 25 f. ^ a. a. 0. 250 f.

^ H. Lüders Epigraphische Beiträge, Sitz.-Ber. der Kgl. Pr. Akad. de^ WisB. 1912, 806 ff.

' F. E. Pargiter J72J.Ä 1912, 1060 ff.; Indian Antiquary XI 1912, 202

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dahin gegangen war, die Aera des Kaniska sei es mit der Saka- Aera (78 n. Chr.) zu identifizieren, sei es doch in deren un- gefähre Nähe zu rücken, hatten sich neuerdings Stimmen er- hoben, die vielmehr die Yikrama-Aera (57 v. Chr.) befürworte- ten. So urteilte vor allem Fleet, mit welchem von anderer Seite her der Sinolog 0. Franke (Zur Kenntnis der Türkvölker und Skythen Zentralasiens. Abh. Berl. Akad. 1904, 90 0".) zu- sammentraf. Eine Äußerung von Lüders (in seinem oben S. 639 verzeichneten Werk ^Bruchstücke buddhistischer Dramen' S. 11) bewegte sich in derselben Richtung. Mit der so versuchten Umlegung der Kaniska- Aera hing die Umstellung mehrerer Könige in der zeitlichen Umgebung des Kaniska gegenüber der bisher angenommenen Reihenfolge zusammen. Ohne diese Umstellung stieß die Kombination Kaniskas mit der Yikrama- Aera auf unüberwindliche Hindernisse.

Diese Lage, in welcher das Problem sich befand, gab mir^ Veranlassung, dasselbe erneuter Prüfung zu unterwerfen, die sich naturgemäß teils auf epigraphischem, numismatischem, paläo- graphischem Gebiet zu bewegen hatte, teils die auf die be- treffende Königsreihe bezüglichen Angaben der chinesischen Über- lieferung (Annalen der späteren Han-Dynastie, s. Franke a.a.O. 66; Chavannes, T'oung Pao 1907, 189 ff.) ins Auge fassen mußte. Mein Ergebnis war, daß die Vikrama-Aera für Kaniska ausge- schlossen, die Saka-Aera möglich ist: doch erschien es mir als glaublicher, daß die Aera Kaniskas in Wahrheit vielmehr etwas später als die letztere anzusetzen ist. Bezieht sich eine chinesische Angabe über einen 230 n. Chr. in Indien regieren- den König Po-t'iao auf den in Inschriften vielgenannten, der Kaniskareihe zugehörigen Yäsudeva, so würde die Aera Kanis- kas in die Zeit um 130 150 n.Chr. herabgerückt werden: etwas weiter nach unten, als man im übrigen wahrscheinlich finden wird.

^ H. Oldenberg Zwei Aufsätze zur altindischen Chronologie und Lite- raturgeschichte. 1. Zur Frage nach der Aera des Kaniska, NGGW 1911, 427 ff.

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Nicht lange nach dem Erscheinen dieser Arbeit versuchte, zunächst ohne von jener Kenntnis zu haben, J. Kennedy^ in einer ausführlichen Untersuchung seinerseits, im Einklang mit Fleet, zu begründen that Kanishka lived in 58 B.C.; that he must have lived then; and that he cannot have lived at any other time. Unter den Erwägungen, die er anstellt, hehe ich die handelsgeschichtlichen und währungsgeschichtlichen hervor: The ahundance of gold (welches Kaniska prägte) must be ascrih- ed to a sudden and great revölution in trade. Stich a revolution toök place at the commencement of the first Century B. C, when, for the first time in the annals of the world, the trade of China made its way to the West. TJie hisiory of the siTk trade is the hey to the coinage of Kaniska.

Die Untersuchungen Kennedys führten erneute, sehr viel- seitige und eingehende Diskussionen in einer Sitzung der ß. Asiatic Society herbei, die durch F. W. Thomas eingeleitet, von einer Reihe anderer Gelehrter weitergeführt wurden.^ Mir scheint im Lauf dieser Erörterungen das Problem insonderheit auf der einen Seite durch Rapson geklärt worden zu sein, welcher hervorragende Numismatiker in kurzen, aber höchst überzeugenden Bemerkungen jene Umstellung münzprägender Könige, die von den Anhängern der Vikramahypothese vorge- nommen wird, in genauer Übereinstimmung mit den Ergeb- nissen, zu denen ich gelangt war, als unmöglich zurückwies. Auf der andern Seite hebe ich die vielseitigen und sehr klaren Darlegungen von Thomas hervor, der alle für die Sache un- wesentlichen Verirrungen der Untersuchung in Seitenrichtungen

1 J.Kennedy The secret of Kanishka, JRAS 1912, 665 flF. 981 ff. Vgl. auch denselben, ebendas. 1913, 369 ff.

* F. W. Thomas The date of Kaniska, Journ. R. Ab. Soc. 1913, 627 ff. The date of Kaniska, Diseussion: Prof. Rapson, Dr. J. F. Fleet, J.Kennedy, Vinc. Smith, Dr. L. D. Barnett, Lieut.-Colonel Waddell, M. Longworth Dames, Dr. Hoey, Dr. Thomas. Ebendas S. 911 ff. Hier weise ich auch auf den Aufsatz von Fleet hin The Saka Era\ ebendas. 1910, 818 ff., sowie auf Th. W. Kingsmill The Vikramäditya Samvatsara and the Founding of the Kushan Kingdom, Journ. As. Soc. Bengal 1911, 721 ff.

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abschneidend zu dem Ergebnis gelangte, daß Kaniskas Aera auf 78 n. Chr. oder in some near proximity, say in A, D. 70 or 80 anzusetzen sei. In Wahrheit glaubt der genannte For- scher offenbar eben an das Jahr 78. Vielleicht wird man gegen diese Zuspitzung seines Resultats Bedenken behalten und auch die Grenzen der Möglichkeit etwas weiter ziehen, als er es in den eben angeführten Worten tut. Doch der Hauptsache nach kann ich in der Zurückweisung der Yikrama- Aera und der Fixierung der Zeit Kaniskas in der ungefähren chronologischen Region, auf die meine Untersuchung geführt

I hatte, mich der Übereinstimmung mit Thomas nur freuen.

I Weitere Bestätigung und Präzisierung darf vom Fortschritt der archäologischen Untersuchungen erhofft werden : in dieser Hin- sicht können schon die kurzen Bemerkungen von Thomas JRAS 1913, 1042 A. 1, die auf Mitteilungen des Director- General of Archaeologj für Indien, Mr. Marshall beruhen, einen Vorschmack des zu Erwartenden geben. Nicht überzeugt kann ich mich freilich bekennen, wenn Luders^ im Gegensatz zu seiner früheren Ansicht (s. oben S. 651) jetzt der Inschrift

' von Ära im Museum zu Labore die urkundliche Bestätigung dafür entnehmen zu können meint, daß die Kaniska-Königsreihe nicht in die vorchristliche Zeit gesetzt werden könne. Dort werde dem Kaniska oder besser einem Kaniska, der sich von dem großen König dieses Namens zu unterscheiden scheint; als Datum wird 41 offenbar der Kaniska- Aera angegeben der Titel Kaisara (Caesar) beigelegt. Ich habe den Stein selbst sorgfältig und in günstigster Beleuchtung untersucht; mir scheint die in Frage kommende Stelle allzu hoffnungslos zerstört, als daß wir zur Lesung Kaisara und den wichtigen damit zusammen- hängenden Schlußfolgerungen Zuversicht haben könnten.^

^ H. Lüders Epigraphische Beiträge II; Sitz.-Ber. d. K. Preuß. Akad. d. Wiss. 1912, 824 ff. (Berlin 1912).

' Ich führe hier zwei an den erwähnten Artikel von Lüders an- knüpfende Aufsätze an: Fleet The question of Kanishka, JRAS 1913, 95 ff.; Kennedy Kanishka's GreeJc, ebendas. 121 ff.

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Die Gewinnung neuen archäologischen Materials und die Verarbeitung des schon bekannten hat auch in diesen Jahren energische Fortschritte gemacht. Ich hebe hervor die glänzenden Reports des Archaeological Survey^ und die kürzeren, den Reports vorauseilenden Berichte, welche die Leiter des Survey im Journal of the R. Asiatic Society (London) erscheinen lassen.^ Unter den erreichten Erfolgen ist die Sicherung der bestrittenen Identifizierung von Saheth-Maheth mit Srävasti und dem Jetavana, dem Lieblingsaufenthalt des Buddha, hervorzu- heben; nicht minder die wohl definitive Feststellung der Lage von Buddhas Todesort (Kusinärä d. i. Kasiä im Gorakhpur District).^ Sodann der Fortschritt der Arbeiten in Särnäth (bei Benares) an der Stelle von Buddhas erster Predigt, in Basarh (Muzaffarpur District), der Stätte des alten Yesäli, und die so erfolgreichen Ausgrabungen in Shäh-ji-ki-Dheri : der eingehende Bericht Spooners (Annual Rep. 1908 09, 38 ff.) über den dort aufgedeckten Stüpa Kaniskas mit jenem Reliquiengefäß, das die Figur des Königs selbst trägt (vgl. meinen vorigen Bericht S. 604), liegt jetzt vor. Für die Zukunft wird man größte Hoffnungen auf die jetzt in Angriff genommenen, von demselben Forscher geleiteten Ausgrabungen an der Stelle des alten Pätali- putra setzen dürfen. Hier mögen auch die mehrfach das Gebiet buddhistischer Forschungen berührenden Untersuchungen im Staate Mayürabhanja (Orissa) erwähnt werden.^ Als außerhalb meiner Aufgabe liegend sehe ich es an, von den

^ Mir ißt bekannt geworden : Archaeological Survey of India, Annual Report 1907—08 (Calc. 1911), 1908—09 (Calc. 1912). Annual Report of the Arch. Survey of India, Eastern Circle, for 1911—12 (Calc. 1912). Annual Report of the Arch. Survey of India, Frontier Circle, for 1911— J 2 (Peshawar 1912).

* J. H. Marßhall Archaeological Exploration in India 1909 10 JRAS 1911, 127 ff. J. Ph. Vogel Archaeological Exploration in India 1910-^11, das. 1912, 113 ff.

^ Ygl. dazu noch besonders Pargiter A Copperplate discovered at Kasia, and Buddha' s Death-place, JRAS 1913, 151 ff.

^ Siehe die Anführung oben S. 645 A. 6.

Der indische Buddhismus (1910—1913) 655

glänzenden archäologischen Ergebnissen der zentralasiatischen Expeditionen zu sprechen, in denen die großen Nationen einen so erfolgreichen Wetteifer entwickeln; ebenso von den hinter- indischen Funden, über die namentlich von französischer Seite, im Bulletin de la Commission archeologique de l'Indochine, reichhaltigste Mitteilungen vorliegen.

Wenn nun weiter über die Durcharbeitung der archäolo- gischen Materialien zu berichten ist, sind zwei umfassende Werke voranzustellen. Zuvörderst die erste große Gesamtdarstellung der Geschichte der indischen bildenden Kunst, die wir V. Smith verdanken.^ Die hier vollzogene Vereinigung der ungeheuren zerstreuten Materialienmassen, auch die Fülle von Illustrationen, macht das Buch zu einem überaus nützlichen Hilfsmittel für die Beschäftigung mit der buddhistischen Kunst und daher mit dem Buddhismus überhaupt. Sodann ist mit Freude zu er- wähnen, daß das Werk Fergussons, welches unser Wissen von indischer Architektur begründet und durch eine Reihe von Jahr- zehnten die führende Stellung auf diesem Gebiet behauptet hat, in der notwendigen Neubearbeitung erschienen ist*: auch dies eine wichtige Förderung buddhistischer Studien. Hier ist sodann der wichtigen Arbeit Laufers zu gedenken, der sich mit einigen im Tanjur (Bd. 123 der Sütra) in tibetischer Über- setzung erhaltenen kunstwissenschaftlichen Texten beschäftigt; die Sanskrit- Originale scheinen verloren. Zwei dieser Werke geben sich schon durch ihren Titel als buddhistisch: ^Über das Wesen der plastischen Darstellung Buddhas' und 'Von dem Sambuddha verkündeter Kommentar über die Größen verhält- j nisse der (Buddha-)Statue'. Diese beiden und eine Theorie der

!

! * Yincent A. Smith A History of Fine Art in India and Ceylon front

j the earliest times to the present day, Oxford 1911. Vgl. meinen eingehenden

! Bericht Internat. Monatsschrift für Wissenschaft, Kmist und Technik

j 1912, 817 ff.

' J. Fergusson History of Indian and Eastern Architecture. Revised

; and edited with additions: Indian Arch, by J. Burgess, Eastern Arch. by

R. Phene Spiers, London 1910.

656 H- Oldenberg

Größenverhältnisse der Statuen' gedenkt Laufer später zu edieren und zu übersetzen. Für jetzt legt er Text und Übersetzung einer 'Theorie der Malerei' vor, die zwar keine Spuren von speziell Buddhistiscliem enthält, doch ihrer Provenienz wegen hier zu erwähnen ist.^

Foucher^ beschäftigt sich mit den Anfängen der buddhistischen Kunst, insonderheit mit dem in die Augen fallenden Phänomen, daß in der Zeit, welche den griechischen Einflüssen vorangeht, die Gestalt des Buddha selbst in den künstlerisch dargestellten Szenen durchweg fortgelassen, höchstens durch ein Symbol an- gedeutet ist. Foucher findet die naheliegende Erklärung un- befriedigend, daß die Künstler hier durch religiöse Scheu oder durch das Gefühl, einer in so grenzenlose Höhen hinauf- führenden Aufgabe nicht gewachsen zu sein, zurückgehalten worden seien. Die Künstler, sagt er seinerseits, taten eben nicht, was die Gewohnheit nicht zu tun gebot. Die Gewohnheit aber bildete sich im Zusammenhang der kultischen Gebräuche aus. Zu diesen gehörten Pilgerfahrten zu den heiligen Stätten des Glaubens. Wenn die Kunst sich bemühte, den Pilgern kleine Erinnerungszeichen an das, was sie dort gesehen, zu liefern, so boten sich die Bilder des heiligen Baumes, des Rades, des Stüpa von selbst dar. Indem diese als schematische Dar- stellungen der entscheidenden Ereignisse aus dem Leben des Buddha aufgefaßt wurden, war damit der Ausgangspunkt für die Praxis der alten Kunst de representer la vie du Bouddha sans le Bouddha gegeben. Den Zweifel, den mir hier die Darlegungen des Meisters auf diesem Forschungsgebiet lassen, den Glauben, daß die von ihm abgelehnten Motive jener künstlerischen Praxis doch in Wahrheit nicht unwirksam gewesen sind (schon er selbst hat auf Divyävadäna p. 547 verwiesen), kann ich hier nur andeuten.

^ Bertb Laufer Dokumente der indischen Kumt. 1. Heft Malerei. Das Citralaksbana nach dem tibet. Tanjur herausgegeben und übersetzt, Leipzig 1913.

* A. Foucher Les debuts de Vart houddhique, Journ. as. 1911, I 65 ff.

fc

Der indische Buddhismus (19 10-- 191 3) 657

Die Säulen Asokas und ihren Skulpturenschmuck bespricht Y. Smith.^ Foucher^ erläutert die Skulpturen des östlichen Tores von Sänchi. Hultzsch^ identifiziert Szenen aus einigen Jätakas (Nr. 528, 516, 539) auf den Skulpturen von Bharhut.

Wenden wir uns zur gräkoindischen Kunst, so ist zuvörderst zu bemerken, daß in den oben (S. 650 ff.) besprochenen Diskussionen über die Kaniskafrage auch die Chronologie jener Kunst mehr- fach berührt worden ist. Es scheint erfreulicherweise, daß von dem großen Werk Fouchers, welches auf diesem Gebiet die Grundlagen unserer Kenntnis legt (L'art greco-bouddhique), der zweite, abschließende Band nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Einstweilen hat Foucher einen Vorläufer voraus- geschickt in Gestalt eines Vortrags, in dem er den griechischen Ursprung des Buddhabildes in der ihm eigenen tiefdringenden und reizvollen Weise behandelt.* Eine andre Untersuchung desselben Forschers hat zwar keinen sehr wesentlichen Bezug auf den Buddhismus^, aber sie geht doch die mit diesem eng verbundene gräkoindische Kunst auf das erheblichste an und mag darum hier erwähnt werden.^ Foucher stellt gräkoindische Figuren des Schutzgottheitenpaares Päncika-Häriti ähnlichen Gruppen aus dem römischen Gallien gegenüber. Die sehr aus- gesprochene Ähnlichkeit erklärt sich: Vati du Gandhära a emprunte sa technique ä Vart hellenistique: il ne se peut donc pas qu'il rüait plus d'un trait commun avec Vart greco-romain et, par voie de consequence, avec Vart gallo -romain. Die Entwicklung der Häriti- Darstellungen, ihren Weg von der gräkoindischen Kunst durch

^ Yinc. A. Smith The MonoUihic Pillars or Columns of AsoJca^ ZDMG LXV 221 ff. (1911).

2 A. Foucher La Porte Orientale du Stüpa de Sdnchi (Bibl. de vul- garisation du Musee Guimet, t. XXXIV), Paris 1910.

2 E. Hultzsch Jätakas at Bharaut, JRAS 1912, 399 ff.

* A. Foucher L'origine grecque de Vimage du Bouddha (Bibl. de vulg. du Musee Guimet, t. XXXVIII), Chalon-sur-Saone 1913.

^ A. Foucher Le Couple Tutelaire dans la Gaule et dans Vlnde^ Rev. archeol. 1912, II 341 ff.

Aichiv f. Keligions Wissenschaft XVII 42

658 H.Oldenberg

das zentrale und östliche Asien hatte Foucher schon vorher in einer eignen Publikation mit schönen Tafeln verfolgt.^

Über die Versuche, den Buddhismus zu einer herrschenden Macht im Leben auch der westlichen Welt zu erheben (vgl. das schon oben S. 610 Gesagte), habe ich nicht vor eingehender zu berichten. Nur wenige Anführungen von Veröffentlichungen, die mir eben ungesucht zur Hand sind, seien hier gestattet. Partei für oder wider zu nehmen, sehe ich nicht als meine Aufgabe an.

Über den Buddhismus in Europa, die Bestrebungen der Buddhist Society of Great Britain and Ireland und die ver- wandten Erscheinungen in Deutschland so die Deutsche Päli- Gesellschaft in Breslau , in der Schweiz, Italien, Ungarn be- richtete der früh verstorbene Pfungst^; auch De Lorenzo (s. das S. 609 angeführte Werk, 452 ff.) sowie die Enzyklopädie 'Religion in Geschichte und Gegenwart' unter ^Neubuddhismus'; nament- lich über die Breslauer Bestrebungen Th. von Scheffer .^ Auf kürzestem Raum eine Anschauung vom Wesen dieser Bestrebungen gibt der Katechismus, den ich unten anführe.* Ich hebe als Probe die 23. Frage und Antwort heraus: „Welches ist das Ver- dienst des Buddho, und weshalb verehren wir ihn? Der Buddho ist der Erste und Einzige gewesen, der die wahren Gesetze über das Dasein aufgefunden und sie uns gelehrt hat. Seine Lehre bringt allen Wesen den Frieden und die Erlösung." Eine pole- misch gehaltene Schilderung des Neo-Buddhismus gibt das S. 613 angeführte Buch von Speyer S. 308 ff.; vom katholischen Stand-

* A. Foucher LaMadone bouddhique (Fondation E.Piot. Extr. des Monu- ments et Memoires publies par TAcad. des Inscr. et Beiles -Lettres, XVII), Paris 1910.

2 Dr. A. Pfungst Fortschritte des Buddhismus in Europa^ Das Freie Wort X 724 ff. (Frankf. a. M. 1910).

' Dr. Thassilo von Scheffer Neues vom Buddhismus, Xenien V 252 ff. (Leipzig 1912).

* W. Markgraf Kleiner Buddh. Katechismus. Zum Gebrauch für Eltern und Lehrer, Breslau 1912,

Der indische Buddhismus (1910—1913) . 659

punkt aus die unten verzeichnete Schrift.^ P. Carus* schildert, zum Teil mit den eignen Worten des Geschilderten, die merk- würdige und verehrungswerte Gestalt des greisen Dr. Mazzinia- nanda Svami, der in Ispahan geboren, einen Teil seines Lebens in Indien und Lhassa zugebracht, dann in Europa eine Reihe wissenschaftlicher Grade erworben hat und gegenwärtig in jugend- licher Frische an der Spitze der buddhistischen Mission in Sacramento steht.

^ P. Otto Maas, 0. F. M. Der Buddhismus in alten v/nd neuen Tagen, Hamm (Westf.) 1913.

' P. Carus A Buddhist Prelate of California, The Open Court XXVI 65 ff. (Chicago 1912).

42*

III Mitteilungen und Hinweise

Altchristliches ^

2. Der Flußgott Jordan. In meinem Artikel „Flußgötter" für die Neubearbeitung von Paulys Real -Enzyklopädie d. klass. Alter- tumswiss. durch Georg Wissowa habe ich (Pauly-Wissowa VI 2789, 2 6 ff.) auch der Darstellung des Flußgottes Jordan gedacht in den beiden Kuppelmosaiken von S. Giovanni in fönte, dem Battistero degli Ortodossi, und von S** Maria in Cosmedin, dem Taufhaus der Arianer, zu Ravenna, wo der Jordan beidemal als bärtiger Fluß- gott der Taufe Christi beiwohnt. Das eine Mal steht er, inschrift- lich bezeichnet als „Jordann", rechts, etwas im Hintergrund, im Wasser, mit halbem Leib aus dem Strom emporragend, mit Kranz im Haar, nicht „mit Schilfstaude in den Händen", sondern mit beiden Händen für den Täufling das Tuch zum Abtrocknen bereit- haltend, also mit der Aufgabe betraut, die vom sechsten Jahrhundert an (z.B. schon an der Cathedra Maximiani, s.u.) auf Engel über- tragen erscheint, dermaßen hilfbereit der heiligen Handlung zuschauend, vgl. z. B. Walter Goetz Ravenna (Berühmte Kunststätten Nr. 10) S. 29f. Abb. 20f. Das andere Mal (vgl. Goetz a. a. 0. S. 37 Abb. 26 [S. 47f.]) sitzt der Jordan zur Linken am Flußufer, eine mächtige Gestalt, kompositioneil dem Täufer rechts entsprechend, mit Krebsscheren als originellem Kopfschmuck, mit nacktem Oberkörper, um den Unter- leib einen grünlichen Mantel gehüllt; den rechten Unterarm an ein Gefäß lehnend schultert er mit der R. eine S chilf stände , die L, hat er erhoben mit teilnehmender Gebärde, wie erschreckt, dazu Kopf und Oberkörper etwas neigend nach seiner Linken hin. Josef Strzy- gowski {Taufe Christi S. 15) erklärt diese Bewegung und ganze Haltung des Jordan, die scheues Staunen ausdrücke, aus Ps. 77, 17 („Die Wasser sahen dich, o Gott, und ängstigten sich"), wozu Georg Stuhl- fauth {Die Engel in d. altchristl. Kunst in Joh. Fickers Arch. Stud. z. Christi. Altert. u. Mittelalter, 3. Heft, Freib. 1897, S. 191 . 192, 2)bei- fügt Ps. 114, 3. 5 und zumal als „durch jene Psalmworte unmittel- bar beeinflußt" die ungemein zutreffende Stelle Ephrems des Syrers {Hymni in festum epipJianiae XIV 31, ed Lamy t Icol 124), der den Täufer zu Christus sagen läßt über die sich ängstigenden Wasser: Aquae viderunt te et valde tremuerunt; viderunt te aquae et con- cussae sunt; spumat prae agitatione amnis et ego inßrmus quomodo

^ S. in diesem Archiv XVII 360.

Mitteilungen und Hinweise Qß\

tibi haptismum conferre audeam, vgl. dazu auch Herrn. Usener Die Sintflutsagen (Bonn 1899) S. 235f. Wenn dieser zweite Jordan, mit dem andern verglichen, etwas eingebüßt hat vom Charakter des antiken Gottes und an Unmittelbarkeit der Übernahme, so ist da- für im zweiten Mosaik Christus selber echter, d.h. ganz und gar noch ein antiker Knabe, vgl. Goetz S. 75 Abb. 68. Auch in der Relief- darstellung einer zu Konstantinopel gefundenen und daselbst im Tschi- nili- Kiosk des Kaiserl. ottomanischen Museums aufbewahrten marmor- nen Säulentrommel erkennt man noch die kleine Figur des Jordan aus den Resten zu Füßen der beiden Engel, die, dem auf der rechten Seite befindlichen Täufer entsprechend, links von Christus stehen: eine nackte, rechtshin sitzende Gestalt ist es, die neben sich einen Henkelkrug hat, dem das Wasser entströmt, vgl. Strzygowski JDie althymntin. Plastik d. Blütezeit ^ Byz. Zeitschr.I 1892, 578 ff. (583) z. Taf.IIl; Victor Schnitze Ärch. d. altchristl Kunst S. 331 Fig. 102; Stuhlfauth a. a. 0. S. 191. Das zu Anfang des fünften Jahrhunderts erbaute Baptisterium der Orthodoxen zu Ravenna erhielt seinen Mosaik- schmuck unter Erzbischof Neon (449 452)^5 gQg^T^ hundert Jahre später anzusetzen ist das Kuppelbild von S** Maria in Cosmedin u. gleichfalls erst ins sechste Jahrhundert (nicht schon „um 500", wie Strzygowski annehmen möchte a. a. 0. S. 584) das letztgenannte Kon- stantinopler Marmon*elief, vgl. Stuhlfauth S. 191 A. 1. 3. G. Deut- lich wiederum gibt sich die Personifikation des Jordan in Elfenbein- reliefs mit Taufe Christi, einmal an der „Cathedra Maximiani", dem berühmten Stuhl des heil. Erzbischofs Maximian von Ravenna (545 556)^, z.B. Goetz a a. 0. S. 102 Abb. 115, sodann roher u. unvollständig in dem meines Wissens noch nicht in die Diskussion

^ 449 als Jahr der Wahl und der 10. II. 452 als Todestag des hl. Erz- bischofs Neon sind zu entnehmen der Series episcoporum des P. Pius Boni- facius Garns (Regensburg 1873) S. 717, vgl. auch Wetzer und Weite's Kirchen- Zeaj.^X 1897, 825 (s. Ravenna); Ernst Ziegeler Aus Ravenna (Gymnasial- Bibl. 27. Heft, 1897) S. 68f.; Goetz a. a. 0. S. 28; Springer-Neuwirth Handh. d. Kunstgesch.^ S. 55; Baedeker 06enY.^' (1906) S. 365 usw.; dagegen findet man vielfach dem Erzbischof Neon die Amtszeit des hl. Exuperantins (425—430) zugeteilt, so bei Joh. Rud. Rahn Bavenna (1869) S. 4f. ; Jean Paul Richter D*e Mosaiken v. Ravenna (1878) S. 9 ; Stuhlfauth a. a. 0. S. 191, 1 ; ebenso geben V. Schultze a. a. 0. S. 205 und Carl Maria Kaufmann Handh. d. Christi. Arch.* (1913) S. 455 zu S. Giovanni in fönte die Jahrzahl 480 (statt 450?), und 425 bietet Ludwig v. Sybel Christl.Ant.il 331.

2 „Alle anderen Angaben sind falsch!" sagt Georg Stuhlfauth Die altchristl. Elf enleinplastik (in Joh.Fickers Arch. Stud. usw. 2. Heft, 1896) S. 87, 1. Die gewöhnliche Datierung ist 546 556, so in der Se^'ies epi" scoporum a. a. 0.; Wetzer u Weite's Kirchenlex.^ a. a. 0. Sp. 826 f. Kauf- mann a. a. 0. S. 193 (falsch S. 542, wo 546 553); v. Sybel a. a. 0. II 255 usw. ; ein Schwanken besteht zumal in der Ansetzung des Todesjahres, wofür bei J. P. Richter a. a. 0. S. 22. 108, 1; Baedeker a. a. 0. S 366 usw. das Jahr 552.

QQ2 Mitteilungen und Hinweise

einbezogenen Bruchstück, das Robert Forrer in Straßburg erworben und Hans Graeven pbotographisch wiedergegeben bat in seiner Zusammen- stellung FrühcJiristl. u. mittelalterl. ElfenheimverTce in photograph. Nach- bildung ^ Serie I: Aus Sammlungen in England (Rom 1898) Taf. 28. Für die Beschreibung halten wir uns zunächst an die feinere Arbeit und vollständige Darstellung von der Cathedra Maximiani. Wir sehen links den Täufer, an Gottvater selbst erinnernd mit seinem wallenden Haupthaar und Vollbart, im härenen Gewand; er legt die Rechte auf das Haupt seines jugendlichen Täuflings, der nackt im Wasser steht, durchaus knabenhaft gebildet, ein antiker Melle- phebe von edeln Formen (wie in S** Maria in Cosmedin); rechts im Hintergrund halten zwei geflügelte Engel Tücher bereit, in Demut ihre Köpfchen neigend; von oben senkt sich die Taube des Heiligen Geistes hernieder in der typischen Wiedergabe. Aber nun, was er- schaut man denn außer Jesus im Wasser des Jordan, rechts unten in den beiden Bildern? An der Cathedra ist es eine männliche, jugendlich unbärtige Gestalt, vom Rücken gesehen, den Kopf herum- drehend, sodaß er im Profil nach links erscheint, aufblickend zum Täufling. Das ist gewiß etwas Profanes, Heidnisches, das sich er- schreckt abwendet, beziehungsweise angstvoll Reißaus nimmt mit bezeichnender Gebärde der Rechten; es ist der Flußgott Jordan, doch möchten wir nicht sagen mit Rahn a. a. 0. S. 16 „nach anti- ker Weise auf eine Wasserurne sich stützend", sondern eher mit Strzygowski a.a.O. „wie er, sich mit der linken Hand auf eine Vase stützend, davon zu eilen scheint". Und die ängstliche Hand- bewegung wiederholt sich bei dem Jordan des Fragmentes , der in- des nahezu von vorn gegeben ist, im Vordergrund des Bildes vor dem Täufling, von diesem sich abwendend, also gelagert auf dem Grund des Flußbettes. Eine gewisse Entwicklung veranschaulichen diese verschiedenen Darstellungen: immer mehr erscheint der Jordan von einem antiken Flußgott degradiert zu einer daimonischen Ge- stalt. — Auch im Zusammenhang mit der Himmelfahrt des Prophe- ten Elias begegnet wiederholt die Personifikation des Jordan. Viel- leicht schon in der Katakombenmalerei, im Lünettenbild des rechten Arkosols der IV. Kammer im Coemeterium Domitillae, angehö- rend der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts, vgl. Joseph Wil- pert Die KatäkomhengemäJde u ihre alten Gopten (1891) S. 33 zi Taf. XVI 1 (wo die vom vierten Zeichner Ciacconios angefertij Kopie des Bildes); derselbe Die Malereien d.KataJc. Borns (1903] Taf. 230, 2. Auf der rechten Seite des Bildes ist ein unbärtiger Zu^ schauer angebracht in der gegürteten ärmellosen Tunika; was ex auf dem Kopf trägt, ist unsicher (vielleicht doch ein Schilfkranz) j die Rechte hat er erhoben, auf die Rosse weisend, am Vorgang Anteil nehmend, die Linke gesenkt; den (zerstörten) rechten Ful

Mitteilungen und Hinweise 663

hatte er aufgestützt auf einen Stein. Während Wilpert an erst- zitierter Stelle der Deutung dieser Figur auf Jordan unbedenklich zustimmte, meint er im großen Katakombenwerk S. 418, 6, als Jordan hätte der Künstler in herkömmlicher Weise einen bärtigen nackten Mann in halbliegender Stellung gemalt, entsprechend etwa jenem Flußgott, den man als Tigris bezeichnet, auf dem Fresko der Kata- kombe unter der Vigna Massimo (gleichfalls aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts), Taf. 212 bei Wilpert. Aber was soll denn die Figur anderes sein, wenn nicht der Jordan des Textes?^ Bloß „der Symmetrie wegen" sollte sie der Maler beigefügt haben? Jedenfalls ist Tatsache, daß auch sonst in Darstellungen der Himmel- fahrt des Elias, die analog gegeben wird wie der Raub der Perse- phone durch Hades, die Stelle der etwa beim Raub der Persephone unter dem Viergespann gelagerten Gaia der Jordan einnimmt, so auf einem altchristlichen Sarkophag von Arles, vgl.Edmond Le Blant Etüde sur les sarcopJiages chretiens antiques de la ville d'Arles (Paris 1878) S. 31 Nr. XXIV 1 zu pl.XVIII I5 Karl Michel Gelet u. Bild in frühchristl. Zeit (in Joh. Fickers Stud. über christl. Denk- mäler, n. F. d. Arch. Studien z. christl. Altert, u. Mittelalter 1 . Heft, 1 902) S. 102; vgl. auch Rahn Über d. Ursprung u. die Entwicklung d. christl. Central- u. Kuppelbaus (Lpz. J866) S. 6, 8, wo verwiesen wird auf Bellermann Die ältesien christl. Begräbnisstätten u. bes. die Katah. gu Neapel mit ihren Wandgemälden (Hamb. 1839) S. 35, und endlich auch V. Schnitze Arch. S. 37 6t, der dafür zitiert Raffaele Garrucci Storia delVarte cristiana t. 327, 3. 324, 2. 147, 1 (Handschrift des Kosmas Indikopleustes). Zweimal schließlich läßt sich der Jordan auch nachweisen auf der Josuarolle des Vatikan (deren Publikation ja schon Winckelmann ins Auge gefaßt hat), etwas jugendlicher in der Überführung der Bundeslade über den Jordan, in leichter Hal- tung bei der Steinigung Achans, vgl. Garrucci a. a. 0. 1. 158, 1. 163, 1. 3. S. ürbano alla Caffarella. Draußen vor Rom, vor Porta S. Sebastiano, also im Süden, Südosten der Stadt, wenn man einige hundert Schritte jenseits des denkwürdigen Kirchleins Domine quo vadis von der Via Appia einlenkt in den Feldweg mit der Bezeich- nung Vicolo della Caffarella, wandert man zehn Minuten zwischen Hecken und gelangt dann bald zum sog. Tempel des Dens Redi- culus und weiter im Tale des Almo^ zu dem als „Grotte der Egeria" populär gewordenen Njmphaeum und zum Kirchlein S. ürbano alla Caffarella. So wenig wie der als Tempio di Dio redicolo bekannte Ziegelbau geht das ehemalige Kirchlein S. ürbano auf eine antike Tempelanlage zurück, etwa einen Tempio di Bacco, auch wenn sich

^ So auch V. Sybel a. a. 0. 1 223.

* Vgl. Hülsen bei Pauly-Wissowa Real-Eneycl. d. class. Altertumswiss. I 1589, 34ff.; Heinr. Nissen Ital LandesJc. II 1902, 491. 547.

654 Mitteilungen und Hinweise

im Untergeschoß ein Bacchusaltar gefunden hat (der dann als Weih- wasserhecken henutzt ward), vielmehr sind die l3eiden Ziegelbauten ihrem Ursprung nach zwei typische Beispiele von Gräbern in Kapellenform, bzw. in der alten Form des Hauses als Wohnung auch des Toten, gelegen zwischen Via Appia und einstiger Via Latina. Im Innern nun von S, Urbano überraschen hochinteressante Fresken, die Szenen darstellen aus dem Leben Christi und aus dem Mar- tyrium der Heiligen Caecilia, ürbanus und Annulinus, Fresken aus dem elften Jahrhundert, genauer von 1011 und von der Hand eines sonst nicht bekannten Bonizzo, wie man der Inschrift entnimmt über der Tür, wo die Darstellung der Kreuzigung^: Bonizzo fr(a)t(er) xpi MXI, was als Künstlerinschrift aufzufassen ist: „Obwohl, wie die Malereien selbst, auch die Inschrift gelitten hat und übermalt ist, liegt keine Veranlassung vor, das Datum zu bezweifeln; viel- mehr sind gerade auch dieses Datums wegen die vielfach unter- schätzten Fresken in S. Urbano für die Geschichte der römischen Monumentalmalerei dieser Epoche von besonderem Wert"^ ja, fügen wir bei, diese Fresken mahnen direkt zum Aufsehen! Sie sind, so will uns bedünken, ein bedeutsames, in mancher Hinsicht vielleicht einzigartiges Zeugnis dafür, wie die Tradition der Kata- kombenmalerei, altchristlicher Kunst überhaupt und deren eigentüm- liche Formensprache weiterlebte neben der allgemein überhandneh- menden byzantinischen Richtung. Unmittelbar in Übereinstimmung mit der Katakombenmalerei steht beispielsweise die Ornamentierung der Pilaster und die Farbengebung, wie sie sich noch an Stellen erkennen läßt, wo die spätere Übermalung neuerdings wieder weg- gefallen ist. Auch hier ist Christus teilweise noch unbärtig. Zur Darstellung der Kreuzigung, in der „das Antlitz Christi im Todes- kampfe Heiterkeit bewahrt, die offenen Augen keinen Schmerz aus- drücken" (Crowe und Cavalcaselle Gesch. d. Italien. Malerei^ deutsche Orig.- Ausgabe, besorgt von Max Jordan I [1869] S. 53), mag man vergleichen jene frühe, vielleicht früheste im Codex Laurentianus zu Florenz, den 586 der Mönch Eabulas in einem syrischen Kloster angefertigt, vgl. z. B. Karl Woermann Gesch. d. Kunst aller Zeiten und Völker II (1905"» S. 49. Freilich ist offenbar diese Szene durch die guterhaltene Übermalung so stark entstellt, daß vom ursprüng- lichen Zustand eine genaue Vorstellung nicht mehr gewonnen werden kann; doch wohl dadurch hat sich Franz Xaver Kraus (Die Wand- gemälde der St. SylvesterTcapelle zu Goldlach am Bodensee, München 1902, S. 9) verleiten lassen zu einer Ansetzung dieses Bildes ins

1 Vgl. Adolfe Venturi Storia delVarte ital. II (1902) S. 223 Fig. 182 ; Bruno Schrader Bie röm. Campagna (Ber.Kunstst. Bd. 49, Lpz. 1910) S. 57 Abb. 15.

^ So Swarzenski bei Thieme-Becker Allg. Lex. d. bild. Künstler IV 303,. wo weitere Lit.

Mitteilungen und Hinweise 665

vierzehnte Jahrhundert, die uns wenig glaubwürdig erscheint (vgl. auch Venturi a. a. 0. S. 265). Dagegen wiederum ganz der Formel- sprache altchristlicher Kunst ist entnommen das vor Christus kauernde Weib in der Auferweckung des Lazarus, das ja geradezu ein Cha- rakteristikum ausmacht der so häufigen Wiedergabe dieses Wunders in altchristlicher Kunst, zumal in Sarkophagreliefs; es ist des Lazams Schwester Maria, die flehend zu den Füßen des Herrn kniet (vgl. z. B. Carl Maria Kaufmann Handh. d. christt. ArcJi} 1913, S. 356), wie dies z. B. deutlich hervorgeht aus einer Buchmalerei im Codex Egberti zu Trier, im sog. Egbert-Evangeliar, das um 980 von den Mönchen Kerald und Heribert von Reichen au für den Erzbischof Egbert von Trier ausgeführt wurde, vgl. Venturi a. a 0. S. 341 Fig. 248; hier sind beide Schwestern vor dem Herrn auf den Knien zu sehen, als Maria und Martha durch Beischrift genau bezeichnet. Kurz, diese Fresken in S. ürbano dürften direkt die Brücke schlagen von frühchristlicher Kunst zur großen Freskomalerei eines Giotto, somit das Band darstellen zwischen der altrömischen und der italienischen Kunst. Auch Jakob Burckhardt z.B. (Cicerone^ II 589 f.) spricht von einer verwilderten, alteinheimischen Kunstübung, die neben dem in Italien herrschend gewordenen Byzantinismus fortexistierte, die man im Gegensatz gegen die byzantinische etwa als eine altlongo- bardische (?) benenne;i mag, und gedenkt als eines namhaften Denk- mals dieser Art der „Wandmalereien neutestamentlichen und legen- darischen Inhaltes in dem vermeintlichen Bacchustempel S. Urbano alla Cafi"arella bei Rom"; allein es ist ihm entgangen der offen- kundige Zusammenhang mit der altchristlichen Kunst, und so, wie er, hat auch Franz Xaver Kraus, der doch in richtiger Erkenntnis den Freskenzyklus von S. Urbano, wenigstens „seinem größeren Teil nach", der „altchristlich-römischen Kunst" zuweist (vgl. a. a. 0. S. 9 u. 23), nicht wahrgenommen die unmittelbare Anknüpfung noch an die Malerei der benachbarten Katakomben. Freilich, vom neunten Jahrhundert ab gerieten ja die Katakomben mehr und mehr in Ver- fall und immer mehr auch in Vergessenheit; doch, wie zum min- desten noch die Katakomben von S. Sebastiano weiterhin bekannt und den Pilgern zugänglich blieben, wird auch die Kenntnis der übrigen Katakomben nicht so von einem Tag zum andern erloschen sein: in nächster Nähe aber von S. ürbano liegt z. B. das Coeme- terium S. Praetextati.

Zürich Otto Waser

I

Der Fisch als Symbol Gottes

Zu Archiv XIV S. 384 Scheftelowitz fühi-t a. a. 0. aus einem Kabbalisten des 16. Jahr- hunderts (R. Isaak Lurja) die Worte an: „Man soll Fische am Sabbat

QQQ Mitteilungen und Hinweise

genießen, weil sie keine Augenlider haben und dadurch die göttliche Vorsehung veranschaulichen".

Lurja schöpft hier aus dem Traktat Idra Rabba des Sohar (III 129 h; de Pauly V 339): dort heißt es, daß die Augen des „Weißen Kopfes" (d.h. des „Alten der Tage" aus Daniel, also „Gottes") keine Lider und Wimpern haben. Farce qu'il est ecrit (Ps. 121,4): ^celui qui garde Israel ne s'assoupit ni ne s'endort' . . . B. Simeon dit ä B. Ähha: ^Quelle est la creature, qui peut servir d'emhleme ä la Tete Blanche?' B. Äbha repondit: ^Le poisson de la mer qui n'a ni paupieres ni cils sur les yeux qui ne dort pas et qui n'a pas hesoin d^aucun preservatif pour Vceuil. A plus forte raison V Anden des Anciens n'a-t-il pas hesoin de preservatifs pour les yeux?' Auffallend ist hier der Parallelismus mit der von Pischel SBAW 1905, 529 nachgewiesenen buddhistischen Gottesbezeichnung animisa animisadrs animesa, d. h. „nicht Augen schließend".

Feldafing Robert Eisler

Berührungszauber

Zu Archiv XIV S. 314 Zu der von L. ßadermacher treffend erörterten Stelle aus dem pseudo- platonischen Dialog Theages (130 d), die den Glauben an eine Übertragbarkeit geistiger Güter zwischen Lehrer und Schüler durch körperliche Berührung bezeugt, finde ich eine lehrreiche jüdische Paral- lele im Buch Söhar (Idra Rabba fol. 127 h, de Pauly V 332), wo der große R. Simeon sich anschickt, besonders geheime Mysterien einem auserwählten Kreis von zehn Gelehrten zu enthüllen. Dort heißt es: B. Simeon se leva et fit sa priere. Ensuite il s'assit au milieu d'eux et dit: ^Que chacun de vous mette sa main sur mon genou.' Ils tendirent les mains et B. Simeon les saisit, II commenga ensuite ä parier ainsi. Die hier geschilderte Situation erinnert lebhaft an die in mediumistischen Seancen so beliebte Kettenbildung behufs Ge- dankenübertragung. Die Stelle bestärkt mich in der Vermutung, daß die bekannte Stelle Ev. Joh. 13, 23: tjv äva%H^Evog dg 1% t&v (iad"rixG>v ccvtov SV Tc5 KokTtG) xov ^Itjüov im Sinne solcher Analogien zu beurteilen ist. Kundigere werden vielleicht mitteilen können, ob es patristische Zeugnisse für diese Auffassung gibt. Die von Preuschen in seinem Lexikon s. v. KolTtog gesammelten Stellen des Neuen Testaments zeigen, daß der Ausdruck sich zunächst nur auf den Ehrenplatz neben dem Meister beim Symposion bezieht, ohne daß damit notwendig eine körper- liche Berührung vorausgesetzt wäre. Aber die Phrase hat unbedingt diesen Nebensinn, und ein aufmerksames Studium antiker Mahlszenen wird jeden überzeugen, daß man mit dem Gedanken unmittelbarer gegenseitiger Berührung der Tischnachbarn vertraut sein mußte. Es kann kein Zufall sein, daß man sich für das Evangelium, das den pneumatischen, anagogischen Sinn so mancher Aussprüche und Taten

I

Mitteilungen und Hinweise 667

des Herrn zu enthüllen unternahm, gerade auf das Zeugnis dieses Jüngers berief, der neben ihm zu Tische lag.

Seit Radermachers Notiz erschienen ist, bemühe ich mich vergebens, durch Nachschlagen und Nachfragen eine einzige jüdische Analogie zu dem nicht weniger auffallenden (la&riri^g, ov TjydTta 6 ^Irjaovg^ zu finden. Nirgends in den vielen rabbinischen Angaben über die Dia- dochien von Lehrern und Schülern in der rabbinischen Überlieferung heißt es von irgend jemandem, er sei der Lieblings- oder „geliebte" Schüler seines Meisters gewesen. Sollte ich mich täuschen, wenn ich in diesem Zug eine spezifisch hellenische, genauer platonisierende Färbung wahrzunehmen glaube?^

Feldafing Robert Eisler

Zn Friedländers Buch über 'Die Chadhirlegende und den Alexanderroman'^

Das lebhafteste Bedenken regt sich gegen den griechischen Ursprung der Chadhirvorstellung. Diese geht, so behauptet Friedländer in seinen Ergebnissen (S. 241), „auf eine griechische Legende zurück, die den Grundgedanken, daß die Unsterblichkeit für den sterblichen Menschen ein Fluch sei, zur Anschauung bringen will". Demgemäß beginnt seine Untersuchung mit der griechischen Sage vom Lebensquell, die uns bei Pseudo-Kallisthenes aufbewahrt ist (S. 2 fi".). Nun hat Fried- länder richtig betont, daß der Alexanderroman eine Kompilation aus verschiedenen Sagenstoö'en ist (S. 25 f.). Die Erzählung von der Auffindung der Lebensquelle ist ursprünglich selbständig umgelaufen und uns in syrischen und hebräischen Traditionen noch selbständig erhalten (S. 59). Mit ihrer Hilfe versucht Friedländer die „ursprüng- liche" Fassung der Sage zu rekonstruieren (S. 26 ff.). Diese Eekon- struktion ist zum Teil ausgezeichnet, doch scheint sie mir in einem wichtigen Punkte verfehlt zu sein, der für die folgende Darstellung von entscheidender Bedeutung ist. Der griechische Erzähler hat allein, im Gegensatz fast zu allen orientalischen Eezensionen, die Haupt- sache richtig bewahrt: Alexander, der die Lebensquelle suchen will, gelangt nach vielen Abenteuern durch das Land der Finsternis in eine quellenreiche Gegend, ohne zu wissen, daß sich auch die Lebens- quelle dort befindet. Zufällig wird er eines Tages hungrig, und

! ^ Die auf Lazarus bezügliche, übrigens auch nur bei Johannes (11,3)

'< zu findende Stelle Kvqls, l'ds ov cpiXstg ccöd-Evst fasse ich im herkömm-

I liehen Sinn ganz ohne prägnantere Nebenbedeutung auf. ' ^ Einer freundlichen Mitteilung von R. Wünsch entnehme ich, daß

I schon A. Dieterich vor Jahren eine ähnliche Meinung ausgesprochen

! hat und nur deshalb nichts diesbezügliches veröffentlicht hat, weil er

j die Sache für allgemein bekannt hielt. In der Tat scheint jedoch noch

i nie ausdrücklich darauf hingewiesen worden zu sein.

» Leipzig 1913. S.auch in diesem Archiv XIII (1910) S. 161 ff.

ßß3 Mitteilungen und Hinweise

befiehlt seinem Koch, das Essen zu bringen. Zufällig nimmt dieser einen gesalzenen Fisch, wie ihn die Keisenden mit sich zu führen pflegen, und wäscht ihn in der nächsten Quelle, um ihn zuzubereiten. Zufällig gerät er gerade an die Lebensquelle; der gesalzene Fisch wird, sobald er mit dem Wasser in Berührung kommt, lebendig und schwimmt davon. Ein Moment der höchsten Spannung: So hat nun Alexander das ewige Leben gewonnen? Nein, obwohl ihm so nahe, verscherzt er es für immer durch die Beschränktheit des Koches, der die Bedeutung des Vorganges nicht ahnt und aus Furcht vor Strafe nichts davon erzählt, bis es zu spät ist. Der Sinn dieser Erzählung ist von einer „Tendenz" kann man nicht reden , daß dem Menschen das ewige Leben verwehrt ist, und mag er auch wie Alexander bis ans Ende der Welt und darüber hinaus bis zur Lebensquelle vordringen. Denselben Sinn hat das babylonische Gilgamesch-Epos; eine literarische Abhängigkeit des Alexanderromans vom Gilgamesch-Epos ist ausgeschlossen. Wohl aber darf man behaupten, daß auf den Helden Alexander ein ver- wandter Stoff übertragen ist wie auf den Helden Gilgamesch (vgl. meine Erklärung des „Gilgamesch-Epos", Göttingen 1911, S. 152). Da dieser Stoff in Babylonien schon um 2000 v. Chr. bezeugt und da er auch später im vorderen Orient verbreitet ist, so darf man weiter mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten, daß er vom Orient aus zu den Griechen kam. Die zahlreichen und zum Teil stark ab- weichenden Varianten der Lebensquellsage, die bei den Syrern und bei den Arabern bis nach Persien und Indien hinein überliefert sind, lassen sich schwerlich erklären, wenn man wie Friedländer von dem Alexanderroman ausgeht und griechischen Ursprung vermutet.

Friedländer hat sich das richtige Verständnis versperrt, weil er die „Glaukosepisode" mit zu dem ältesten Bestandteil der Lebens- quellsage rechnet (S. 38), während sie in Wirklichkeit später als ein aufgesetztes Licht hinzugefügt worden ist. Sie fehlt noch in den meisten Fassungen der syrischen und arabischen Sage; Friedländer vermutet umgekehrt, sie sei später wegen ihres heidnischen Charakters abgestoßen worden (S. 60, 106). In seiner Rekonstruktion der „ursprünglichen" Sage lautet diese „Glaukosepisode" kurz so (S. 29 ff.): Der Koch Alexanders, Andreas genannt, springt dem lebendig ge- wordenen Fische nach, um ihn zu fangen, und wird auf diese Weise unsterblich, ohne es zu wissen. Als Alexander erfährt, daß er durch die Schuld des Dieners um das ewige Leben betrogen sei, versucht er vergeblich, ihn zu töten. Schließlich versenkt er ihn ins Meer, wo der Diener, in einen Seedämon verwandelt, seitdem ein freudloses Dasein fristen muß. Daraus erschließt Friedländer als „Tendenz" der Sage, daß die Unsterblichkeit für den Menschen nicht einmal be- gehrenswert sei. Gegen diese Rekonstruktion lassen sich folgende

Mitteilungen und Hinweise 669

Bedenken geltend machen: 1. Es entspricht schwerlich der Art einer urspünglichen Sage, daß der Diener die Unsterblichkeit gewinnt, während der Herr sie verliert; das Verhältnis des Herrn zum Diener läßt das Gegenteil erwarten. 2. Die alten Sagen fassen die Unsterblichkeit als das höchste Gut der Götter und als das erstrebenswerteste Ziel der Menschen auf; wo das ewige Leben als ein Fluch erscheint, wie bei Ahasver, wirkt spätere Reflexion ein, 3. Friedländer vermutet, daß hinter dem Koch Andreas der Meeresgott Glaukos steht. Wenn dies richtig ist, darf man aus der Ursage den notwendig dazu- gehörigen Zug nicht ausscheiden: Pseudo-Kallisthenes erzählt, daß der Koch nicht nur selbst unsterblich wurde, sondern auch etwas Lebenswasser in einem silbernen Gefäße mit sich nahm. Dies gab er später der Kaie, der Tochter Alexanders zu trinken, so daß auch sie die Unsterblichkeit erlangte. Sie wurde daraufhin von Alexander verstoßen und zur Nereide gemacht. Diese Nereide kann man von dem Seedämon nicht gut trennen, und Friedländer gibt auch zu, daß die Kaie-Episode „altertümlich aussieht" (S. 31, Anm. 1). Da gerade von Glaukos bekannt ist, daß er von den Nereiden geliebt wurde (vgl. Gädechens ^Glaukos' in ßoschers Lex. d. Myth. I Sp. 1681), so ist es wohl möglich, daß die Glaukossage auf die Alexandersage eingewirkt hat. Dann muß folglich das Glaukos - motiv später hinzugefügt worden sein. Nach den uns überlieferten Sagen von Glaukos soll dieser das Lebenskraut gefunden oder von der Lebensquelle getrunken haben und dann zu einem Meeresgott geworden sein. Dagegen wissen wir nichts von irgendwelchen Wanderungen bis ans Ende der Welt oder ins Jenseits, um die Lebensquelle zu suchen, was gerade für die Alexandersage charak- teristisch ist. Die Glaukos- und die Alexandersage sind einander nahe verwandt und haben sich eben deshalb angezogen, wie das bei verwandten Sagenstoffen oft geschehen ist. Aber man darf sich nicht vorstellen, als ob die Wanderung zur Lebensquelle ursprünglich von Glaukos erzählt und später auf Alexander über- tragen worden sei, wie Friedländer behauptet (S. 241). Gegen diese ganze Hypothese läßt sich freilich einwenden, daß der Koch nicht Glaukos heißt, wie man erwarten sollte, sondern Andreas. Es, ist daher fraglich, ob das „Glaukosmotiv" erst auf griechischem Boden hinzugefügt wurde. Da die Lebensquellsage ein orientalischer Stoff ist, der auf Alexander übertragen wurde, so war das „Glaukos- motiv" wahrscheinlich schon auf orientalischem Boden mit ihr verschmolzen. Für die orientalische Heimat spricht, daß sich nur eine einzige Variante zum „Glaukosmotiv" nachweisen läßt, die ursprünglich wohl aus dem ^Iräq stammt (S. 105 ff.): der Diener wird nicht in einen Seedämon verwandelt, sondern auf ein Schiff gesetzt, auf dem er wie der ewige Jude ruhelos bis zur Auferstehung

570 Mitteilungen und Hinweise

herumfährt Demnach wäre „Glaukos^' (oder „Andreas") nur der griechische Ersatz für eine orientalische Gestalt.

Der wundeste Punkt in der ganzen Beweisführung Friedländers liegt aber darin, daß Glaukos, der in der Lebensquellsage überhaupt niemals erwähnt wird, das Urbild Chadhirs gewesen sein soll. Um diese These plausibel zu machen, vermutet Friedländer eine syrische Variante der Alexandersage, in welcher der Diener nicht als Andreas, sondern „mit seinem ursprünglichen Epitheton als Glaukos" bezeichnet wurde (S. 242). Als die Sage dann von den Syrern zu den Arabern kam, wurde der griechische Name „Glaukos" oder richtiger das entsprechende syrische Äquivalent aufgegeben und dafür der arabische Name al-Chadhir (oder al-Chidhr) „der Grüne", ein- getauscht (S. 1 1 3 ff., 242). Gegen diese Auffassung erheben sich schwer- wiegende Bedenken: 1. Chadhir ist eine Schutzgottheit oder wie nach korrektem Islam gelehrt wird ein Heiliger der Landreisenden und vor allem der Seereisenden, der Fischer und Schiffer. Obwohl er oft mit Elias identifiziert wird, wird er ihm bisweilen auch entgegengesetzt als der „Seemännische" gegenüber dem „Festländischen", als der „Herr des Meeres" gegenüber dem „Herrn der Wüste". Seine Beziehung zum Meere ist von den syrischen Küsten bis Bengalen nachweisbar. Dieser göttliche Charakter Chadhirs wäre völlig unbegi'eiflich, wenn er nichts weiter wäre als der Abklatsch des Koches Alexanders, auch wenn dieser Glaukos geheißen haben sollte; das Umgekehrte wäre eher denkbar, da ein Schutzheiliger wohl zum Begleiter Alexanders werden konnte. 2. Es muß alsEegel gelten, daß Gottheiten und Heilige nicht auf Grund einer Sage oder gar einer fremdländischen Sage entstehen, sondern daß umgekehrt die Sagen als sekundäre Zutaten den bereits vorhandenen göttlichen Gestalten angehängt werden. Mit größerer Wahrscheinlichkeit darf man Chadhir daher als den muslimischen Ersatz einer im vorderen Orient weitverbreiteten Gottheit ausgeben (vgl. auch die Bemerkung Nöldekes S. 324 zu S. 117 oben). Nach der ältesten arabischen Tradition, die uns im Koran entgegentritt und die von Friedländer zu gering eingeschätzt wird, gilt Chadhir als der Weiseste, daher oft der „Wissende" genannt, der an der „Vereinigung der beiden Meere" wohnt, dort, wo sich die Lebensquelle befindet; Mose macht sich mit seinem Diener auf, ihn zu besuchen (S. 62). Nach einer anderen Vorstellung wohnt er auf einer Insel im Meere (S. 94 ff.). Schon diese Nachrichten dürften genügen, um in Chadhir den babylonischen Ea-Oannes zu vermuten. Was Friedländer (S. 302 ff.) über den dunklen Ausdruck des Korans „Vereinigung der beiden Meere" beibringt, befriedigt nicht. Dieser erklärt sich sehr einfach aus der babylonischen Redewendung von der „Mündung der beiden Ströme", von der nach den Zaubertexten das heilige Wasser oder das „Wasser des Lebens" geholt wird. Ea ist wie Chadhir Gott der

Mitteilungen und Hinweise 671

Weisheit, des Meeres, der Quellen und Fluren,.Bescliützer der Menschen, der Handwerker, der Landwirte, ausdrücklich aber auch als „Gott der Seefahrer" bezeugt. Mit den SchiiFern wird sein Kult überall an den Küsten verbreitet worden sein, aber auch zu Lande wanderte er mit den Handelsleuten, den babylonischen Juden nach Westen über Persien nach Arabien und Syrien und vielleicht darüber hinaus nach Griechenland. Es ist zwar absurd, wenn man die Juden für die Ur- heber der Chadhirlegende ausgegeben hat, wie Friedländer mit Recht behauptet (S. 48), aber auf der anderen Seite kann kein Zweifel sein, daß Mohammed die Sage von den Juden gehört hat, da sie im Koran nicht auf Alexander, sondern auf Mose übertragen ist. Derselbe Sagen- stofF ist in einer, freilich sehr viel späteren und schlechteren, Fassung auch im babylonischen Talmud überliefert, wo er bereits mit der Gestalt Alexanders verknüpft ist. War das Urbild Chadhirs in Ba- bylonien zu Hause, dann begreift sich auch am leichtesten, wie die Lebensquellsage, deren babylonischer Ursprung schwerlich geleugnet werden kann, gerade mit ihm kombiniert werden konnte. So erklärt es sich auch, daß Chadhir seine Gestalt als Meeresgott am deutlichsten im Osten bewahrt hat und daß die Chadhirsagen immer zahlreicher und lebendiger werden, je weiter wir uns dem *Iräq und dem Osten überhaupt nähern.

Nach Friedländer ist der Sagenstoff und die Sagengestalt Chadhirs aus dem Westen nach dem Osten gewandert; mich dünkt die umge- kehrte Wanderung aus dem Osten nach dem Westen wahrscheinlicher. Aber wenn auch die Hauptthese Friedländers zweifelhaft ist und sich vielleicht nicht halten läßt, so sei demgegenüber betont, daß der Wert seines Buches dadurch nicht geschmälert wird. Denn viel öfter als der Widerspruch regt sich die Zustimmung; und auch wo man i anderer Meinung ist, wird man dem Verfasser warmen Dank schulden j für seine nicht nur mühevolle, sondern auch ertragreiche Arbeit. Berlin- Westend Hugo Greßmann

Ein Bestattungsbrauch der Potawatomie und Ottawa

Die Potawatomie-Indianerundihre Verwandten, die Ottawa, übten in der voreuropäischen Zeit an ihren Toten Erdbestattung^ verbrannten jedoch die Leichen all' der Leute, die als Nachkommen des Heil- bringers galten. Sie waren des Glaubens, daß andernfalls, wenn sie auch die Leichen der Heilbringersprossen der Erde übergäben, der Heilbringer bewirken würde, daß der Winter andauere und der Frühling nicht einträte.

Wenn man darauf aufmerksam macht, daß zur Zeit, als die Mis- sionare den in Rede stehenden Brauch beobachteten (Winter 1666/67

^ Für die Einzelheiten der hier gegebenen Schilderung: The Jesuit Relaiions ed. Thwaites vol. 51 p. 32 ff., vol. 64 p. 152.

Q12 Mitteilungen und Hinweise

bei den Potawatomie , 1716 1726 bei den Ottawa), der Heilbringer von den Gläubigen als Schneehase (lepus americanus) gedacht wurde, dessen Haarkleid im Winter bekanntlich weiß und im Sommer braun ist, so hat man zur Erklärung noch nicht genug gesagt. Bedenkt man indessen, daß der Auffassung vom theriomorphen Heilbringer doch vielleicht eine altertümlichere vorangegangen ist, der zufolge der Heilbringer (pot. Nanäböcö mor^?iW5 ille, qui revertitur flammis ardenSj Ott. Nenäbösö, dasselbe, bzw. Micäbü(s) magnus ille, qui revertitury als die wiederherbeigeholte Sonnenwärme oder dergl. galt^, so ist eine Deutung nicht schwer: die Nachkommen des Heilbringers d.i. des Gottes der Sonnenwärme, werden als seine Repräsentanten (nach ihrem Tode) in s Feuer geopfert, damit die Sonnen wärme selbst zu Kräften kommen konnte, den Winter vertrieb und den Wiederbeginn des Frühlings gewährleistete. Berlin John Loewenthal

Ein Zauberglaube der Pawnee

In den von G. A. Dorsey gesammelten Traditions of the Skidi Pawnee^ wird Nr. 57 berichtet*, wie eine Ente von einem Manne gegen den Habicht beschützt ward; zum Danke für die Rettung, heißt es in dieser Geschichte, gab die Ente dem Manne Enten-Macht und zauberkräftige Dinge, nämlich einen magischen Schild und Entenfedern, welche Regen und Nebel bewirken und den Träger dadurch unsichtbar machen konnten.

In der Anmerkung^ zu dieser Geschichte verweist Dorsey auf Nr. 53 derselben Sammlung, wo berichtet wird, wie eine Eule jemandem die Augen so machte, thathe could see in the night as well as in the day.^ Ich glaube hierzu einige weitere Parallelen bringen zu können.

Zunächst aus dem Glauben der alten Mexikaner. In der Be- schreibung des Festes Etzalqualiztli (Mas Maiskörnerspeiseessen'), das zu Ehren des Regengottes Tlaloc (^er macht aufsprießen') gefeiert wurde, heißt es im Urtexte (Sahagun MS Buch II, Kap. 25), den ich der Freundlichkeit meines Lehrers, des Herrn Prof. Seier verdanke, von den Priestern des Regengottes, die im dazu bestimmten Teiche waren und im Wasser planschten, das Wasser mit den Händen und den Füßen schlugen': Tmtzitinemi icauacatinemi. quin-

"■ Ztschr. f. Ethnologie Bd. 45 (1913) S. 45.

2 ebenda S. 7 7 f.; vgl meine Schrift Die Religion der Ostalgonkin (Leipziger Dissert. 1913) S 62—69.

» Mem. of the Anier. Folk-Lore Soc. vol. VIII (1904).

*a. a. 0 S. 219. '^ a a, 0. S. 353. 6^^.0.8.207.

' vgl. ebenda : Äuh in oacito atenco in innealtiaya tlamacazque nauhcampa in moncain ayauhcalli niman ye ic neteteco netlalilo. tlatzitzilca tlauiuiyoca tlacuecuechca. netlautzitzilitzalo. iye yuqui niman ic tlatoa in ueue itoca chßlchiuquacuilli quitoa: ^couatl igomocayan. amoyotl icaucayan. atapalcatl inechiccauauayan. aztapilcucuetlacayau.' in oconito iniuan ye ic onne-

Mitteilungen und Hinweise 673

tlayeyecalhuia in ixquichtin totome ceijuin cauauh ilatoa tlacacauia cequintin quintlayeyecalhuia in pipitzÜi pipiMatoa cequintin quinüaye- yecalhuia yn aeacalome acacalotlatoa. Cequintin aztlatoua, cequintin axoquentlatoa cequintin tocuilcoyotlatoa. D.h. nach Seier: „Sie schreien, sie machen Lärm, sie ahmen "die Stimmen sämtlicher (Wasser-) Vögel nach, einige schreien wie Enten, sie schnattern, einige ahmen die kleinen Krickenten^ nach, sie schreien wie die Krickenten, einige ahmen die Sichler^ nach, sie schreien wie die Sichler, einige schreien wie die großen weißen Reiher^, einige schreien wie die Eisvögel*, einige schreien wie die Kraniche." ^

Es ist klar, daß die Regenpriester durch solches Tun den Eintritt des Regens erzwingen wollten, und daß im alten Mexiko die Wasservögel als mächtig über den Eintritt des Regens angesehen wurden.

Aber nicht bloß im alten Mexiko finden wir den Glauben an die besondere Zaubermacht der Vögel, er herrscht auch bei den so weit ab von Mexiko wohnenden Cherokee. Mooney berichtet darüber^: tTie eyes of a cJiild he hathed witJi water in which one of the long w'mg or tail feathers of an owV has heen soaJced, the child will he able to keep äwaJce all night. The feather must he found hy chance, and not procured intentiondlly for the purpose. On the other hand, an application of water in which the feather of a hlue jay^, procured in the same way, has heen soaTced will malte the child an early riser.

Es ist wohl ohne weiteres klar, daß hier dieselbe Anschauung vorausgesetzt wird wie bei den Pawnee und den alten Mexikanern.^ Berlin John Loewenthal

Mystische Meineidszeremonien bei den Juden?

H. Stocks erwähnt in diesem Archiv XIII 154 eine bei den oberschlesischen und posenschen Juden vorkommende Meineids-

iepeualo in atlan tlachachaquatztinemi in atlan. ilamauitecti nemi tlacxiui tectinemi atlaciuitectinemi. D.h. nach Seier : 'Und wenn sie (die Priester) am Ufer angelangt sind, an dem Badeplatze der Priester es befinden sich dort Nebelhäuschen an den vier Seiten so legen sie sich nieder, hocken sich nieder : sie klappern, sie zittern, sie beben, sie klappern mit den Zähnen. Indem dies so ist, spricht der Alte, der der Edelsteinpriester heißt. Er spricht: 'dies ist der Ort, da die Schlangen beißen, da die Mücken summen, da die Löffelenten {spatula clypeata) auffliegen, da die Binsen rauschen/ Nachdem er dies gesprochen, stürzen sie (die Priester) sich nach allen Seiten ins Wasser, planschen im Wasser umher, schlagen mit der Hand, mit den Füßen, schlagen das Wasser mit den Füßen.'

^ Nettion carolinense. * Plegadies guarauna. ' Herodias egretta.

* Ceryle dlcyon. ^ Grus mexicana.

^ 19 th Änn.Bep. of the Bur. of Amer. Ethnol. pt I p. 284.

"^ Buho virginianus saturatus, syruium nebulosum, megascops asio (so Mooney). ^ Cyanocitta cristata.

^ Vgl. Loewenthal Beligion der Ostalgonkin, 1913, S. 23.

Arcliiv f. Keligionswissenschaft XVH 43

074 Mitteilungen und Hinweise

Zeremonie, die ihm einige ungenannte, von dort stammende pro- testantische Predigerseminaristen berichtet hätten. Da ich mich ein- gehend mit den jüdischen Volksbräuchen befaßt habe und mir eine derartige Zeremonie völlig unbekannt ist, so erkläre ich auf Grund meiner genauen Nachforschungen in Oberschlesien und Posen jene Angaben für unrichtig. Nach altjüdischem Brauch hat der Jude beim Schwören die Thora in der Hand gehalten (Talmud Sebuöt 38b), und noch heutzutage gehen in Rußland zwei Juden, die einen Rechts- handel haben, zum Rabbiner, der mit Hinzuziehung von zwei Assi- stenten das Urteil fällt. Schiebt er jemandem einen Eid zu, so legt jener eine Hand auf die Thora und schwört. R. Jösef Karo in seinem Komm. Bet Jösef zu Tur Hosen Mispät § 87, 25 schreibt, daß es üblich sei, beim Schwur die ganze Hand auf die Thora zu legen. Maharil (um d. J. 1400) gebietet, daß man bei Schwüren, die man vor Gericht ablegen müsse, stets die Hand auf den Penta- teuch legen solle, weil „die Christen meinen, daß bei den Juden nur ein in dieser Weise abgelegter Eid Geltung habe" (vgl. M. Güde- mann, Gesch. d. Erziehungswesens und der Kultur der Juden III 153f ). Diesen Brauch erwähnt auch der Sachsenspiegel c. 259: „Sol din rehte haut in dem buoche (= Pentateuch) ligen, biz an daz riste (= Handgelenk)." Um 1680 schwur der norddeutsche Jude, indem er die Torarolle in dem Arm hielt (Denkwürdigkeiten der Glückel von Hameln, hrsg. v. A. Feilchenfeld 1913, 140). Nach dem Talmud (Öebuöt 36a+b) hat einer, der den Eid leisten soll, schon dadurch, daß er auf den Inhalt des Schwures, den man ihm vorher kund- tut, mit „Amen" (^es ist wahr') antwortet, den Schwur getan. In Posen und Oberschlesien wurde bis vor etwa 35 Jahren der vom Gericht auferlegte Schwur eines Juden in der Synagoge in Anwesen- heit eines Rabbiners abgelegt, wobei der Schwörende während der Eidleistung eine Hand auf die Thora legte. Die Thora gilt aber als unbrauchbar (''^^?), wenn darin Buchstaben völlig abgerieben oder verschrieben sind. Der bigotte Jude leistet überhaupt keinen Schwur, selbst wenn er hierdurch den Prozeß verlieren sollte. Herr Rabbiner Professor Dr. Ph. Bloch in Posen, der 73 Jahre alt ist und noch den alten Judeneid aus seiner Praxis kennt, schreibt mir auf meine Anfrage: „Es ist mir nicht bekannt und wenn es so wäre, wie jene Zöglinge des Predigerseminars es angeben, wäre es mir bekannt geworden , daß in Oberschlesien, wo ich geboren und erzogen bin, und ebensowenig in der Stadt Posen und deren Umgebung, in der ich seit 40 Jahren lebe und amtiere, derartige Praktiken im Schwange waren oder überhaupt als wirksam betrachtet wurden, um einen Schwur außer Kraft zu setzen. Übrigens war bei der Schwurabnahme stets ein Rabbiner zugegen, der sicherlich, wenn derartiges geübt worden, den Richter darauf aufmerksam gemacht hätte, auch den

Mitteilungen und Hinweise 675

Schwörenden regelmäßig darauf hinwies, daß er nicht in seinem Sinne, sondern im Sinne der Richter und Gottes den Eid leiste. Verdächtig erscheinen mir die Mitteilungen jener Predigerseminaristen schon darum, weil es, wenn ich nicht irre, länger als 30 Jahre her ist, daß bei derThora nicht geschworen wird, während jene Seminaristen doch sicherlich tief unter diesem Alter stehen. Ich kann nur be- tonen, daß ich von all diesem niemals etwas zu hören bekommen habe. Wohl aber weiß ich, daß die Juden eine vielleicht aber- gläubische — Scheu vor der Eidesleistung haben, und daß die Rabbinen selbst einen richtigen Eid perhorreszieren (vgl. Wajiqrä Rabbä, Par. 6; Gittin 35 a)." Natürlich wird es wohl zu allen Zeiten Juden gegeben haben, die auch einen Meineid leisteten, aber es gibt keinen jüdischen Brauch, der den Meineid begünstigt. R. Meir aus Rothenburg, der um 1250 lebte, gebietet, daß die Juden verpflichtet wären, einen Glaubens- genossen, der einem Andersgläubigen gegenüber falsch schwören wolle, auf jede mögliche Weise an seinem Vorhaben zu verhindern (vgl. M. Güdemann a. a. 0. I 149). Derjenige Jude, der also einen Meineid leistet, kann sich auf einen jüdischen Brauch nicht stützen. Cöln J. Scheftelowitz

Zur ^Mutter Erde'

Durch die Freundlichkeit von G. Thiele in Marburg werde ich nachträglich darauf aufmerksam, daß die oben S. 333f. gegebene Erklärung der Phaedrusfabel 118 schon in der folgenden, von mir übersehenen Notiz der Berliner Dissertation (1911) PÄae^inawa von A. Tacke (S. 45,4) kurz angedeutet vorlag: ad hanc fdbulam, quam ego aetiologicam esse puto (de hoc gener e disserit Thieleus a. 1908. in Nov. Annal. vol. 21, p. 380. 389s.) cf. initivm libri Georgii (sie) Samteri, qui inscrihitur Geburt, Hochzeit, Tod {a.l911.), maxime p.l5ss., ubi leges medicos graecos idem egisse ac virtmi fdbeüae.

Czernowitz G-. A. Gerhard

Hagiographisches

Die (lateinische) Vita S. Genovefae hat C. Künstle in der Bibliotheca Teubneriana (Leipzig 1910) neu herausgegeben. Die Einleitung bietet eine gegen Br. Krusch gerichtete Besprechung der verschiedenen Rezensionen der Legende; der Text ist nach der Re- zension 0 gegeben, die nach Künstle die relativ älteste ist (vgl. die Besprechung von Carl Weyman,Berl.philol.Wochenschr. 191 1,1026 ff.^ wo einer Überschätzung des Schriftstückes entgegengetreten wird). In dem Büchlein von W. Lüdtke imd Th. Nissen, Die Grab- schrift des Aberkios (Leipzig u. Berlin 1910) wird auf die Be- deutung der kirchenslawischen Überlieferung (vgl. A. Semenov, BerL philol. Wochenschr. 1911, 1534) der Aberkiosinschrift hingewiesen

43*

ß76 Mitteilungen und Hinweise

und der Text der Inschrift in den wichtigsten Parallelfassungen vorgelegt. Die Ausführungen Nissens bezwecken, eine 'Aufarbei- tung der gesamten indirekten Überlieferung der Aberkiosvita' zu veranlassen und 'zu verhüten, daß jemand in der nicht zur Ruhe kommenden Diskussion über die Grabschrift fürderhin urteile, ohne zu der handschriftlichen Überlieferung und ihren Problemen Stellung genommen zu haben' (S. 33f.). Eine verdienstvolle Leistung ist M.Hub er s Buch Die Wanderlegende vonden Siebenschläfern (Leipzig 1910), in dem auf Grund umfassender Ausnutzung des okzidentalischen und orientalischen Textmaterials, sowie sorgfältiger Untersuchung des gegenseitigen Verhältnisses der einzelnen Fassungen, die Geschichte der Legende gezeichnet und die Frage nach ihrer Entstehung beantwortet wird. Der Verfasser nimmt literarischen Ursprung der Legende an, indem er die alttestamentlich - apokryphe Abimelechlegende als Vorbild betrachtet und die Möglichkeit er- wägt, daß ein Reliquienfund die entscheidende Anregung zur Ab- fassung der Siebenschläferlegende gegeben habe. Von besonderem Interesse sind die behutsamen Ausführungen über die sprachliche Urform der Legende, in deren Verfolg die Priorität der syrischen Fassung zugunsten der okzidentalischen, speziell lateinischen, ab- gelehnt wird. Hier ist viel zu lernen. Hingewiesen sei auch auf die allgemein methodologischen Bemerkungen S. 35 6 ff., die gegen die Auffassung von einem Fortleben des Heidentums im Christen- tum Stellung nehmen, des öfteren mit Recht. Seltsam indessen liest sich eine Darlegung wie die auf S. 370: 'Wenn ein Weiblein gestern vor ihrem heidnischen Bild und heute nach seiner Taufe vor einem Heiligenbild eine Kerze anzündet, so erblickt es darin weder bewußt noch unbewußt eine Verquickung von heidnischen und christlichen Anschauungen; es will nur den neuen Fürsprecher mit denselben Mitteln sich geneigt und günstig machen, mit denen es sich bisher an den früheren gewandt.' Die Vertreter der Re- ligionswissenschaft, gegen die sich der Verfasser hier wendet, haben m. W. nicht von einer Verquickung gesprochen, sondern davon, daß in vielen Fällen der' christliche Kult in den Formen des heidnischen sich fortbewegte , weil die Menschen , wie Usener zu bemerken pflegte, nicht aus ihrer Haut heraus können. Eben dies aber sagt in dem Schlußsatz der ausgehobenen Stelle mit anderen Worten auch der Verfasser. Ein Gegenstück zu dem Werke Hubers ist das Buch Joh. B. Aufhausers, das mit straffer philologischer Methode das Drachenwunder des hl. Georg in der griechischen und latei- nischen Überlieferung untersucht (Leipzig 1911). Nachdem in der Einleitung sämtliche griechisch überlieferten Wunder des Heili- gen skizziert und die Quellen ihrer Überlieferung durchmustert sind, werden die gruppenweise geordneten griechischen Texte des Drachen-

Mitteilungen und Hinweise 077

Wunders in folgender Weise behandelt: von jeder Gruppe wird zu- nächst die Überlieferung vorgelegt, dann der Text ediert, dem sich sprachliche und sachliche Einzelbemerkungen anschließen, und zu- letzt eine Analyse gegeben, indem der Text nach dem Vorbilde von K. Krumbacher (s. Abb. bayr. Akad. phil. bist. Kl. XXV 3, 1911 S. XU) in seine Einzelmotive zerlegt und auf das Verhältnis der Rezen- sionen und Gruppen zueinander hingewiesen wird. In derselben Weise verarbeitet der Verfasser in dem zweiten Hauptteil die la- teinische Überlieferung, innerhalb deren die Fassung der Legenda aurea am weitesten verbreitet ist. Der Schluß faßt die Resultate zusammen, die sich für die Entstehung der Drachenlegende ergeben. Das Motiv des Drachenkampfes war in der hagiographischen Lite- ratur wohlbekannt, ehe es im 12. Jahrhundert von einem wahr- scheinlich griechischen Verfasser auf den hl. Georg übertragen wurde. Die ältesten Akten des Heiligen enthalten den Drachenkampf nicht. Ein Zusammenhang mit heidnischen Legendenmotiven ist höchstens indirekt vorhanden. Derselbe Aufhauser hat in der Bibliotheca Teubneriana 1913 herausgegeben: Miracula S. Georgii.

Maraunenhof L. Deubner

Slawisches

In den Anndles Academiae Scieniiarum Fennicae Bd. 1 (Hel- singf. 1909) Abb. 3 untersucht V. J. Mansikka russische Zauber- formeln, besonders diejenigen von epischem Charakter. Die wert- volle Arbeit weist nach, daß die russischen Formeln in großem Umfang gelehrte Produkte darstellen, deren Motive der christlichen Symbolik entstammen. Die aufgezeigte Entwicklung und Entartung der behandelten Formeln läßt daran keinen Zweifel, auch die literarische Verbreitung tritt klar hervor. Deutsche, lateinische, griechische Quellen werden konstatiert. Von den Russen wan- derten zahlreiche Formeln zu den finnischen Völkern, wie der An- hang 289 ff. ausführt. Die Neigung des Verfassers, die Bedeutung des mystisch-heidnischen Elementes in den Zauberformeln zu negieren oder zurückzudrängen, scheint mir an manchen Stellen zu weit zu gehen. Eine genauere Abgrenzung wird überhaupt erst möglich sein, wenn die einzelnen Motive eine schärfere Analyse erfahren haben. Belehrend sind die Ausführungen über Entstehung von Zaubersprüchen aus Riten (283 ff.). Eingeleitet wird die Abhand- lung durch eine interessante Übersicht über die Geschichte der Volkskunde in Rußland. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die auf S. 11 mitgeteilten sehr modernen Ansichten O.Millers (1865). A. von Löwis of Menar, Der Held im deutschen und russischen Märchen, Jena 1912, gibt eine eingehende Analyse der Märchen- Motive, die sich auf den ^Helden' beziehen, zunächst für das deut- sche, dann für das russische Gebiet. Alter, Name, Milieu, Ver-

678 Mitteilungen und Hinweise

wandtschafts Verhältnisse, Verlöbnis und Heirat, Charakter, Fähig- keiten, psychische Motive, Erlebnisse und Nebenfiguren des Helden w^erden behandelt. Ein Schlußabschnitt faßt die Ergebnisse zusam- men, die darin gipfeln, daß das russische Märchen altertümlicher, formelhafter, typischer, phantastischer, farbiger, detaillierter ist als das deutsche; dafür hat dieses vor dem russischen insbesondere eine stärkere Verinnerlichung voraus. Volkstümliche bulgarische Riten, ihre Umwandlung unter dem Einfluß fremdländischer Bräuche und des christlichen Kalenders behandelt M. Arnaudoff in seiner bulgarisch geschriebenen, mit französischem Resume versehenen Ab- handlung Eites et legendes Vulgares, Etüde comparee I {Extrait de la Bevue de VAcademie Bulgare des Sciences IV, Sofia 1912). Maraunenhof L. Deubner

Modernes Bauopfer

Herrn R. Heberdey verdankt das Archiv folgende freundliche Mitteilung über einen Ritus, der noch heute auf der Stätte des alten Ephesos bei Grundsteinlegungen ausgeübt wird. Wenn die Funda- mentgräben ausgehoben sind, gibt es ein kleines Fest. Der Uaitag erscheint und weiht das heilige Wasser (ayLa^a\ das in vier kleinen Gefäßen (%0V7CBg) in die vier Ecken 'ganz unten' vergraben wird. Dann schlachtet man ein Tier je nach den Verhältnissen des Bauherrn ein aqvL oder einen Hahn (netuvog) oder eine Henne {%6llu) dessen Blut in die Grundfesten rinnen muß. Zuweilen wird das geschlachtete Tier ringsum getragen, so daß sich das Blut in alle vier Gräben ergießt; doch scheint dies nicht unumgänglich nötig zu sein. Das Tier wird hinterher von den Bauarbeitern verzehrt. Im Jahre 1896 ist die Grundsteinlegung des österreichischen Expeditions- hauses in Ephesos durch das geschilderte Bauopfer gefeiert worden.

Maraunenhof L, Deubner

Aphrodite in Ephesos

Unter den ^KuvKlriGeLg der Aphrodite verzeichnen unsere Hand- bücher eine ^Eitidairla in Ephesos. Das beruht auf dem erweiterten Servius Aen. I 720 : Apud Epliesios Yener em Automaten {Automatem C) dixerunt vel Epidaetia (so C aus Epidecia korrigiert). Nachdem das Aition erzählt ist, fährt er fort: quod ergo sponte <^funes Thilo) fuissent soluti, Automatae Veneri nomen sacravit, quodque cum epulas pararet, virgo ei aquis fuisset advecta, Epidaeti (so C) sacra- vit. Thilo setzt Epidaetia^in) resp. Epidaeti<^aey ein ; indessen führt die Überlieferung an der zweiten Stelle auf Epidaeti(diy und an der ersten ist Epidaeti(ßya kaum schwerer als die Korrektur der Vul- gata. Das so gewonnene, formal einwandfreie EniöaLTig läßt sich leicht erklären. In Ephesos gab es einen Platz z/am^, zu dem die dsLTtvocpOQLanr] TtofiTtr} der Artemis ging (Et.M. 252,11; Heberdey, Ost. Jh. VII 1904, 210; BerLKlass. Texte V 2, 119). An ihm lag also

Mitteilnngen und Hinweise ß79

der Aphroditetempel, und die Göttin iitl JairCÖL wurde durch „Hypostase" zur 'EnCStmxLg. Avxo^dxn] als Beiname gerade der Aphro- dite ist verständlich; die Avxo^axia Timoleons (Plut.Tim. 36, 3) und Avxoiiaxov (oder Avxo^iaxog?) in Pergamon (Hepding, Ath, Mitt. XXXV 1910,458) bieten nur sehr entfernte Analogien. Königsberg i. Pr. K. Latte

Neue Förderungeu der religiousgeschichtlichen Arbeit

1 . Ad. Harnack hat der Königl. Preußischen Akademie der Wissen- schaften zu Berlin eine Stiftung überwiesen, deren Ertrag zur För- derung der kirchen- und religionsgeschichtlichen Studien im Rahmen der römischen Kaiserzeit (d. h. der Zeit vom I. bis VI, Jahrhundert n. Chr.) dienen soll. Von diesem Ertrag sollen auf dem bezeichneten Gebiete Preise für bestimmte, vorher gestellte Aufgaben verliehen, ausgezeichnete Werke zum Druck befördert oder prämiiert und deutsche Gelehrte in ihren Arbeiten und Studienreisen unterstützt werden. (Sitz.-Ber. Berl. Akad. 1913 S. 965.)

2. Bei der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen ist eine religionsgeschichtliche Kommission gebildet worden, die „Quellen der Religionsgeschichte" zu sammeln und in deutscher Sprache herauszugeben beabsichtigt. Der Zweck dieses Unternehmens ist, der religionsgeschichtlichen Forschung ein möglichst umfassendes und zuverlässiges Quellenmaterial zur Verfügung zu stellen. Es wird Wert darauf gelegt, möglichst für alle Religionen der Erde, vergangene wie lebendige, die wichtigsten Quellen in geordneten Gruppen herauszugeben. Wo es wünschenswert ist, sollen die Ori- ginaltexte in einer besonderen, zwanglosen Reihe, als „Texte zu den Quellen der Religionsgeschichte" in kritischen Ausgaben bei- gegeben werden. Dabei soll die philologische, geschichtliche und literar- geschichtliche Forschung, die allein die sichere Grundlage zu liefern imstande ist, hier nicht Selbstzweck sein, sondern der Religions- wissenschaft die Wege ebnen und sich in ihren Dienst stellen.

Obige Sätze sind mit einigen Kürzungen aus dem Programm der Kommission genommen, das ausführlich auch über die für die ein- zelnen Religionen geplanten Werke unterrichtet. Wer dies Programm genauer kennen lernen will, erhält es auf Wunsch kostenfrei zu- geschickt von Prof. D. Titius, Göttingen, Nikolausbergerweg 66. Münster i. W. R. Wünsch

[AbgoBchlosaen am 16. Mai 1914.]

Register

Von Richard Kohl

Aal 76; 432; 434 Aaron 29 Aas 401; 416 Abendmahl 318 Aberkios 675 f. Abraham 49 f.; 57; 59; 375,2 Acheloos 528 Ackerbauriten 145; 151f.;

154 f; 408; 550; 690; 596 Aditja 39 Adonis 205 Affe 583 f.; 596 f. Afrikanisches 3 f.; 154; 156;

218; 342; 361; 368; 372,5;

380,5; 381; 383 f.; 388; -395; 398; 399,5; 400,1;

401; 403; 405,3; 408,5;

409; 412; 496; 546 f.;

666; 574; s. auch Ägyp- tisches u. Arabisches Agathos Daimon 22 f. Agni 34; 355,2 Ägyptisches 146,2; 150,1;

153; 196ff.; 377; 379,4;

385; 389; 417 ff.; 428 f.;

515; 518 ff. Ahnenkult 9; 165 ff.; 195;

267 fiF.; 332; 491; 549 f.;

560; 584; 592f. ; 605 Ahnenschrein s. Geister- häuser Ahriman 39; 228 Aion 344 Alodia 164,1 Altar 20; 27 f.; 34; 66;

214 f.; 524; 592 f.; 664 Altchristliches 141; 251 ff.;

360 ff.; 366 ff.; 376; 378 f.;

660 ff.; s. auch Neutesta-

mentliches Altte8tamentliche8l5f.; 29;

34; 41ff.; 203; 205; 209;

248; 364f; 366 f.; 372;

374; 375,2; 376; 378,7;

382ff.; 884.7; 397,1; 400,1;

405; 413 ff. Amazonen 332. Amerikanisches 157; 363;

368; 371; 374,4; 389;

398 f.; 404; 500; 505 f.;

511; 535; 566; 569; 571;

572f.; 580; s. auch India- nisches u. Mexikanisches Amon-Rä 206 f.; 208; 211;

213; 216; 311; 343 Amphidromien 34 Amulett 50; 137; 212 f.;

224f.; 250; 372; 380; 699;

602; 606 Anabiose der Fakire 456 Anagramm 343 Anahita b9; 236 Analogiezauber 146 ff.;

152,1; 154f ; 672 f. Anäth-Jähu 51 Anattalehre 613 Animatismus 9; 561 Animismus Iff.; 8; 18; 26;

90; 201; 494 f.; 539; 543 ff.;

563 f.; 579; 589 ff.; 599 Antaia 525 Anthesterien 25; 499 Anthropomorphismus 6 f.;

21; 34; 126; 201; 429,2;

619; 548; 550; 557; 563;

582; 587; 591; 597; 602 Antoniterkreuz 225 Anubis 218; 519 f. Anubistier 213 Apaturien 32 Apepischlange 202 Aphrodite 33; 332; 678 Apis 213 Apollon 529

Apopompe 388 ff. ; 585; 598 Apostelkonvent 308 Arabisches 152,2; 401; 407;

408,5; 409 f.; 412; 421;

429; 668; 670 Areopagrede d. Paulus 306 Aristides 527 ff. ScQUTSLa 33

Armbänder als Amulett 606 ars magica 345 Artemis 332; 524f.; 530,1 Asche 67; 367,1; 368,4; 403;

405; 454,1; 479; 488; 589;

605

Aschermittwoch 144 Aschim 52 Asklepios 527 f.; 530 Asoka 618; 621 ff.; 643 f.;

649 f.; 657 Assyrisches 247; 298; 301;

345; 385,3; 387; 392;

396; 421 f. Astarte 54; 349 Astrologisches 39; 49; 202;

218; 232; 246; 298; 317 Asvagosha 279 f.; 465; 637ff.;

65') Athene 29,2; 425; 525,1;

528; 631,1 Attis 143; 151; 297 Augen d. Toten geschlossen^

496 Augenblicksgötter 551 Augendiebstahl 538 Ausfegen zur Dämonenver-|

treibung 490; 499 Australisches 5; 7; 23; 31;

368,4; 371; 375,2; 396;

399,5; 404,4; 405,3; 408,6;

542; 555; 561; 566 f.;

568 ; 570 f.; 574 ; s. auch

Polynesisches Avesta s. Iranisches.

Baal 48; 54 Babylonisches 21 ; 30; 46,1;

150,1; 167; 233; 241;

281; 298; 301; 343; 356,1;

357,4; 372; 377; 386,2;

388 f.; 397,1; 401; 406;

421 f.; 428; 632; 668;

670 f. Backwerk 336; 394,2, 4. Bad 67; 77; 80; 95ff.; 161;

353 ff.; 385; 396 ff.; 406 ff.;

480; 482; 585; 604 Bajami 5; 7

Bakchos 33; 140; 363; 664 Bakchosfeste 31 f.; 140 Baltisches s. Litauisches Basile 332 Bastet 208; 429,2 Bata 519

B'egiiter

681

Baum, heiliger 28; 71; 210; 342; 479; 598; 656; , sprechender oder singen- der 133 f ; , (Maibaum) 144 ; , u. Dämonen 390 ; 593 f.

Baumgeist 685; 590; 604; 606

Bauopter 393,5; 596; 678

Beichtformeln 355 ff.

Beil 201

Berggeister 583; 590; 605

Berührungszauber 29; 130; 147; 150; 152,1; 156; 507 ff.; 602; 604; 666

Bes 208

Beschneidung 217; 366

Beseelung s. Animismus

Bestattungsplätze 70 ff; 81 ; K'5; 110; 128; 198; 207; 367,1; 405; 488; 600

Betelnuß im Totenkult 71 f.

Bethel, Wortbedeutung 51

Bhütatathatä 278

Bienen 504; 520

Bierdämon 208

(Blaue Farbe 587 Blumen im Kult 160,2; 215; 374,4; 493 Blut 27; 362; 380; 393,2; 402; 411f.; 433; 619; 660; 583; 586; 594; 699 f.; 602; 678 Blutschande 360,2; 363,1; 380,8; 550 f.; s. Exogamie Bock 147; 213; 374 Böser Blick 410; 606 Bouphonia 29 Brahma 11; 38 Brahmanismus 11 f.; 88;

1360 f.; 369; 374; 377; 508; 609; 616; s. auch Indisches randopfer 215 rauronien 33 Brautleute, von Dämonen

bedroht 379; 410 Brotaufschneiden b. Trauer

136 Buceros 593; 696 f. Buddha 260; 282; 376,2; 465; 513; 608; 612; 615; 626f; 633; 636; 643; 649; 654; 666

uddhistisches 116ff.; 122 f. 167 ff ; 177; 180 f.; 196; 266; 258f.; 262; 268;

273 ff.; 369 f.; 877; 437 ff.;

607 ff.; 666; s. Mahäyäna

Büffel 375; 394,4; 683; 587.

Opfer 380,3; 591 Butter 401; s. auch Fett

Ceres 424

Chadir 667 ff.

Ch^rem, Bedeutung 62

Chinesisches 9 ; 13 f.; 165 ff. 266 f.; 261; 273 f; 275 277; 383,1; 463; 465 621; 628; 635 f.; 638 640 f.; 643; 661

Christentum u. ägypt. Re- ligion 204; 206; u. Astrologie 298; u. Buddhismus 269; 276 ff.; 609; 615; 646 ff.; u. Griechentum301ff.;304ff.; 318 f.; 321 f.; 328 f.; u. Mahäyäna 281 ; u. Mythologie 297 f.; n. Konfuzianismus 168 ff. ; 178 f.; 196; u. Parsis- mus 234 f.; 249; 251 ff.;

u. Symbolismus 298 Chronologie, ägypt. 198 f.;

, altchristliche 308 ;

, babylonische 233 f;

, indische 644; 660 ff.;

, persische 229; 233 f.;

249 f. Chthonische Götter 30 X'itQOL 28

Damalis 348 f. Damianos 530 Dämonen 49; 88; 208; 223;

244; 249f.; 311; 332;

375ff.;386;388ff.;392ff.;

396 ff.; 427 ff.; 439; 484;

653 f.; 557 f.; 662; 582 f.;

690 ff.; 600 ff.; 637 Dämonenabwehr 156 ; 368f.;

382; 406 ff.; 484; 491;

495; 498; 688; 691; 693;

602 Dämonenaustreibung 26; 80;

90; 216; 224; 376ff.;

388 ff.; 392 ff.; 396 ff.;

480; 490; 499; 686 f.;

688; 590; 694 f.; —Jesu

298 Daumen, zusammenge- schnürt b. Toten 496 f. David 337; 376; 384,7

Deborulied 67; 69 decursio 606 Defixion 846; 891 deluhrum SSb Demeter 21,2; 882; 624 Demophon 21,2 Deutscher Aberglaube

144 ff.; 161; 166 f.; 842;

386,6,6; 391; 396; 898;

400,1; 408; 411 f.; 469 ff.;

607; 674 f; 677; s auch

Germanisches Dbamma 468; 607; 618 f.;

627 Dhammapada 122; 629 f.;

636 Dbaramoolan 84 Diebesstrafe 601 Dienstag 407 Diogenes 336 Dionysos 24; 27; 32; 62;

297; 332; 626,1; 627ff. divinatio 43 Dohle 131

Donnergott 167; 692 f.; 600 Donnerstag 128 Domen 393,i; 496; 602 Drache 33; 593 Drachenwunder 676 f. Dreigeteilter Himmel 804 Dreizahl 66; 82; 128; 268;

267; 364; 366; 368,4;

890; 402 f.; 406 f.; 410;

442; 446; 460; 463; 481;

490; 492; 497; 600; 622;

684; 688; 692 Dryops 32 dvva^ii ^ytxT} 846

Ehe 6; 162; 260; 842; 668; 667; 666 f.; 676; B. auch Exogamie; zw. Him- mel U.Erde 10; 166; 178

Eidechse 76; 214; 422; 688; 697

Eingeweideschan 592; 696

Einzahl u. Mehrzahl 882

Eisen und Geister 484; 498 f.; 686; 694

Elephantine, Urkunden von 86; 60 f.

Elias 336 f.; 662 f.; 670

Empedokles 616 f.

i(i7tsiQia iucyiifq 346

ivigyBia iiaytxil 846

Enyalios 426

682

Resrister

iitccoidai 345

Epidaitis 678 f.

Epheben 32

Ephesia 332

Erbteilung 479 ; 483 ; 485 f. ; 505 f.; 510; 511 f.

Erde 68; 94; 249; 361,2 381; 392 f.; 397,1; 402; 607;MutterErde40;333f.; 341 f.; 352; 480; 509; 675

Erdgeister 492; 583; 600

Erinyen 20

Erntebräuche 491; 595

Erntegötter 592

Ertrunkene, göttlich 210

Erzengel 248

Eschatologisches bei den Ägyptern 217; 220 ff.; bei d. Indonesiern 587 ff.; 595; bei d. Japanern 266 ff.; bei d. Litauern 125 ff. ; im Parsismus 249; 253; auf d. Salomo- inseln 84 ff.

Esel 220,1; 418

Eskimo 146; 167; 503

svccvrriros 525 f.

svLSQog 525 f.

Eulamo 343 f.

Eule 583; 672

Euripides 40

Eurosia 159 ff.

Exkremente 221; 407; als Seelensitz 602

Exogamie 31; 550; 553; 557; 566 ff.; 576

Exorzismus s. Dämonen- austreibung

Faden s. Schnur

Fakire 455 ff.

Falke 211 ff.; 520

Fangen der Seele s. Seelen- fang

Fastenbräuche 147 f. ; 152 ff.; 336

Fastnachtsmann 144 f.

Fetischismus 3; 40,i; 649; 554; 556; 598; 600

Fett 408/; s. Butter

Feuer 21,2; 34; 102; 231 248; 363; 371,1; 374,4 380; 383; 397,2; 402 f. 407,8; 410; 487; 496; 587 690; 672

Feuergott 357; 592

Figur, menschliche 372;

381;392ff.;585;589;591;

598 f.; 604; , tierische

394,4; 600; 604 Fingernägel 250; 403,8; 487;

688; 599; 602 Fisch 68; 70f.; 80; 214;

338 f.; 372 f.; 394,4; 395;

417ff.;421;427;430;433;

583; 600 Fischsymbol 336; 665 f. Fliege 427; 582; 587 Flüsse, heilbringende 360 f. ;

398,7 Flußgeister 583; 592 Flußgott Jordan 661 ff. Freya 151 Fruchtbarkeitsförderung

30; 145; 147; 151 f.; 152,2;

154ff.; 396; 587; 590;

593; 672 Fruchtbarkeitsminderung

durch Leichen 480; 501 Fruchtbarkeitssymbole 147;

550; 584; 606 Frühlingsfest 144 f.; 148 ff.;

151; 156; 158; 342; 363,1;

672 Fünfzahl 206; 267; 368;

404; 485; 589 Füße der Toten zusammen- gebunden 496; 604

Ganges 361

Gans 131

Garn, in die Luft geworfen

457 ff.; 467 ff. Geburt 332; 333 f.; 405,8;

678; 598; s. auch Wöch- nerin Gebet 6; 30; 56; 68 ff.; 208;

262; 263; 265; 267; 269;

359 ff.; 362 f.; 368; 373;

374,3; 379; 386 f.; 388 ff.;

399; 408; 491; 547; 651;

555; 592 f. Gebetsrad 288 Gehirn als Seelensitz 599 Geister d. Toten 26; 69 f.

77; 84 ff.; 125 ff.; 266 f.

380,5; 382; 392; 400,1

409; 481; 488 ff.; 495 ff.

553; 582 ff.; 586 ff.; 690

592; 602; 604 f. Geisterhäuser 267; 270 ; 586 ;

588; 591; 600

Geisterseher 103; 106;

128 ff.; 489; 498; 500 f. Geistertragen 130 f. Gelbe Farbe 156 Geld, d. Toten mitgegeben

65; 93; 97; 481; 486;

488; 504; 594 Geld im Stecken 135 f. Gelenke u. Seele 582 Germanisches 333; 368,4;

399,5; 431,2; 496,7; s.auch

Deutscher Aberglaube Geschwüre 507 Gestirnkult 39; 61; 202;

246; s. auch Mondkult;

Sonnenkult Gewandverbrennen 538 Giraffe 219; 434 Glaukos 669 f. Gleichgeschlechtliches

674 f. Gnostizismus 301 ff.; 321;

329 f. Gottesanschauung, ägypt.

201; , Israel. 45 Gottesbewußtsein, Fehlen

des 18 ff. Gottesglaube, Entwicklung

542ff.;551;657;560;561ff' Gottesurteil 134f ; 250 Göttin, große 332; , nackte

332 Göttinnen , löwenköpfige

207; , schweinsköpfigt

439 ff. Göttliche Kraft, Ausstrah

lung d. 29 f. Götzenbilder 49; 367,1

5921; 596; 605 f. Grab in Kapellenform 66^ Grabhügel 488 Gras im Kult 360; 371

374,4; 402 Grazien 27 Griechisches 17 ff.; 37; 39 f

138; 144,1; 148,8; 150,3

151; 231; 233;

303 ff.; 309; 321;

343; 345 f.; 347 f.

362; 369 f.; 376;

385; 386 1,6; 387;

399,5; 402; 407;

423 ff.; 428;

606; 513 ff.

640; 648;

676

253 f.

333 f

; 352

384,7 1

; 3971

408,5

499; 604

680; 615

657; 666 ff. j

Register

683

Gründonnerstag 128; 131;

481 Grüne Farbe 155; 444

Baar 34; 384,7; 560; 688;

599; 601 f.; , aufgelöst

154; 366; , geschoren

403; 595; , verbrannt

250; 403,8; 598 Habicht 596 f. Hahn 128; 393,3; 423; 501;

595; 678 Halsketten als Amulett 599 Hamingja 4 Hammurapi 46 Hand d. Toten 496 f.; 607 Händereinigung 363; 382;

383,4; 385; 386,2,6, 387;

397,1; 402 f.; 407; 489

ase 131; 419; 422; 435,1;

672 uustiere 146; 147; 408;

422; 436; 480; 505 f.

aut 2 7 f.; 84 f. lautabziehen 578 jHayagriva 441 Heilige, Christliche 138,;

159ff.; 308; 376,2; 647;

649; 664 f.; 675 ff. Heiliges Edikt 168; 171 Heilung d. blinden Frauen

538 Hekate 426; 528 Held 677 f. Helios 205

Hellenistisches s. Griechi- sches Hera 332; 425; 428 Herakles 348 f.; 530 u.

Simon v. Kyrene 298 Heraklit 362,7; 521; 610;

u. Zarathustra 253 JHermelin 131

Hermes 24; 205; 529 Herodot u. Ägypten 204;

u. Persien 234 Heroentum 332 Herrgottsbrunnen 352 Herz 220 f.; 520; 602 Hesiod 39

iHestia 525,1 Hethiter 39 Heuschrecken 415 f. Hexe 376 f.; 395 f.; 397,1;

386,6; 445; 467; 469f.;

583; 598

Hierodulie 46; 332; s. auch

Prostitution, sakrale Hilarien 140 f. Hippolytos 34 Hirsch 426; 683; 596 f.; 600 Hochzeitsbräuche 236; 250;

410 ff. Höhlengeist 585; 604 Hölle 94 ff.; 253; 520; 587 Holi 151 Homer 39

Honig 337,2; 358; 401; 493 Hom 393,1 Horoskop 225 Horus 208; 213 Hund 94 ff.; 128 f.; 131;

212f.; 401; 425ff.; 444;

501; 592; 596 ff.; 600 Huhn 342; 381; 389; 394,4;

403; 592; 596 f. Hypostasen 332; 679

Ibis 213; 429

Indianisches 3; 157; 362; 368,4; 384; 398; 399,5; 404; 405,3; 408; 411 f.; 506; 572; 574; 578; 580; 671 ff.; s, auch Amerika- nisches u. Mexikanisches

Indisches 11 f. ; 28 ; 38 f. ; 146 151; 354 ff.; 364,3; 368 373f.; 375,2; 376; 380 386 ff.; 389; 393 f.; 396 402; 405,8; 406 f.; 410 f. 422 f.; 435; 455ff.; 479,1 487,2; 495; 499; 601 602,2,3; 503f.; 507 f.; 510f. 5l3;566;680;607ff.;668 s. auch Indonesisches

Indonesisches 154; 368,4; 374; 380; 383,2; 389; 394; 400,1; 405,3; 408,5; 411; 497; 505; 566; 582 ff.; 644; 8. auch Indisches und Polynesisches

Indra 39; 249; 359

infelix arbor 501

Inschriftliches 25; 39; 198; 207ff.;215ff.;228f.;230f; 232; 237; 247; 371; 509; 524 ff.; 621; 623; 645; 649 ff.; 675 f. i

Iranisches 38 f.; 167; 226 ff.; ! 301; 333; 375,2; 378; I 386f.; 401; 600; 509; 616; ! 646; 668 I

Irisches 871,8; 398; 470; 611

Isis 143; 146,»; 149; 166,1; 202; 204; 2l7ff.; 864

Isidis navigium 149

Islam 12; 167; 234f.;253f.; 867; 402,6; 410; 440,2; 497; 611; 593; 600; 670f.

Israelitisches 132 ff.; 230 249; 261 ff.; 281; 302 836 ff.; 357,6; 361,2; 365 ff. 372 f.; 376,2; 378; 384,7 886; 386 f.; 397,1; 399,5 400,1; 402,6; 405; 412,2 564; 666 f.; 667; 673 ff. s. auch Alttestament- liches

Jagdzauber 68 f.; 80; 407;

599 Jahve 15; 29; 34; 44; 46 f.;

61; 54ff.; 59f. ; 428; 485;

526,1 Jainistisches 369; 402,6 Japanisches 182 ; 196 ; 256 ff.;

372; 386; 403 Jason 33 Jeremias 36; 46; 56; 364;

s. auch Prophetismus Jesaias 44 ff.; 324; s. auch

Prophetismus Jesus 138; 178; 296 ff.; 806;

316 ff.; 320 f.; 339; 389,5;

664 f. ; u. Pharisäismus

320f ;— ,Taufe660ff.;— ,

Versuchungsgeschichte

286; 376,2; 376,3; 648 Johannes d. Täufer 316 f.;

660 ff. Johannesevangelium 298;

306; 314ft\ Jordan 660 ff. Josua 134; 339 Jungfraumuttermythus 638

Kamel 422; 434

Kampf zw. Sommer u.

Winter 145 f.; 672 Kaniska 615; 660 ff.; 657 Kanopen 206; 224 Karfreitag 27; 408 Karneval 138 ff. Katze 208; 214; 429; 583;

587; «04 Keilinschriften 39; 232;

237; 247

684

Register

Keuschheitsgelübde , ge- brochenes 360; 383,1 Kiefer, festgebunden b.

Toten 481; 496 f. Kinder 5; 66; 250; 364,4;

372; 394,2; 480; 484;

493; 576 f.; 594 f.; 600;

673 i. Jenseits 130 f.;

507 f. , neugeborene

224; 362; 367,4; 368;

379; 405; 412 Kirchenschriftsteller u.

Ägypten 204 Kirgisisches 394 f. Klageweiber 482 ff.; 510 f. Kleider der Gestorbenen

508 Kleiderablegen 144 f.; 375;

389; 403 f.; 405,3 Kleiderausschütteln 373;

399 Kleideropfer 342 Knien 332 f.; 526 f. Knochen e. Toten 507; 5 88 f.;

593; s. auch Menschen- schädel Köbö 285

Kokosnuß im Kult 68f.; 79 Konfuzianismus 14; 165ff. ;

256; 290ff. Konkökyö 272 Könige, hl. drei 141; 156;

233; 317; 350f.; 407 Kopfjagd 584 f.; 586; 589;

595; 605 Köre 332 Korybanten 26 Kotys 364 Krähe 407 Krankheit 82; 87; 90; 99;

128; 224; 376f.; 379;

388 ff; 392 ff.; 396; 479;

585 f.; 590 f.; 598; 601 ff.;

8. auch Volksmedizin Krankheitsdämonen s.

Krankheit Krankheitskeime 605 Kretisches 32f.; 331; 417,3 Krieger, Entsühnung d.

383 f. Kriegsgott 592 f.; 597 Krokodil 213 f.; 220,1; 520;

582; 584; 592; 596 f.;

598 f. Kronos 332 Kröte 214

Kuh 149; 348 f.; 357; 360,2; | Ma 832

401; 405; 428; s. Rind j Mädchen angelmythen 538 Kultvereine in Ägypten 217 Kureten 20 f.; 31; 33 Kuß 250; 342 Kybele 32; 140; 150; 375;

380; 420

Labyadai 33

Lamaismus 113 ff.; 169 f.;

436 ff.; 647 Lappenbäume 342 Lappländer 347; 385; 504 Lärm z, Dämonenvertrei- bung 156; 394 f.; 899;

408,5; 410; 484; 498;

586; 604 Leben nach d. Tode s.

Eschatologisches u.

Geister d. Toten Lebend (Begriff) 572 f. Lebensgötter 592 f. Lebensquell 667 f. Lebensrute 147; 151 Lebenssymbol 225 Leber 583; 596; 602 Leichendämonen 380; 383;

399 ff. Leichenverbrennung 64 ff. ;

480,10; 486 ff.; 501; 596;

671 Leichenzerstückelung 220 Leichnam 65; 129; 220;

371,3; 380; 382 f.; 384,7;

386; 391; 399 ff.; 480 ff.;

500; 507 f.; 541; 584; 595 Lemurien 499 Leto 33; 525 Lettisches s. Litauisches Liber s. Bakchos Liebeszauber 599; 606 Lilyi 391

LinkeSeite 390; 4 Ol; 498; 507 Litauisches 125 ff.; 387;

408,5; 476 ff. Lorbeer 363; 407 Lotos 225; 520 Löwin 207 f. Luftgeister 587; 600 Lukasevangelium 298; 307;

314 Luperkalien 140; 147; 213,6;

426 lustrum 250 Lykanthropie 603 AvGiois 531

Maenaden 2 Off. Magie s. Zauber Magier aus dem Morgen- land s. Könige, hl. drei Mahäyäna 274ff.; 278ff.;

615; 642 f.; 645; 647 Mahävastu 620; 637 Malayisches 155; 368, i;

389; 394,4; 405,3; 587;

594; 598; 600 f.; s. auch

Indo- u. Polynesisches Mana 2 ff.; 11; 27f.; 90;

560; 563; 573 Manasse 54; 59; 61 f. Mandäismus 367 f.; 402,1 Manichäismus 167; 235;

275 Manitu 3; 558; 563 Markusevangelium 298;

312 f. Masken 139; 143; 155; 541

588 f; 598 Matthäusevangelium 298

313 Maus 131; 390; 418 f.

434; 582; 587 Mazdah 245 Mazdaismus 39; 167; 231;

233; 235; 245; 247 f.;

249; 252; s. auch Ira- nisches. Medizinmann 5; 7; 21;

393 f.; 398; 598; 600 f. Meergeister 583; 590; 604 Meineid 136; 363; 376;

673 ff. Menschenopfer 150 f.; 215;

595; 598 Menschenschädel 541; 584;

588; 593; 600 Mercur 363 Messer b. Totenmahl 490;

499 Messianisches 203; 317;

325; 336 ff.; 375,2 Meter 332 Mexikanisches 145; 164;

157; 362; 368,4; 388;

405,8; 408; 466; 535;

555; 558; 672 f. Midas 363 Mithra 39; 249 Mittelwesen 53; 182

Register

685

Mönchleben im Buddhis- mus 617; 621 f.; 631; 643

Mond 49; 202; 218; 250; 429,2; 479

Mondmythen 228 ; 232 ; 448 ; 569; 577 f.; 580

Monotheismus, präanimi- stischer 543; 546

Mord 353; 354,2; 357; 359; 362 f.; 364,2; 380,5; 382; 517

Moses 15 f.; 49 f.; 56,1; 57; 59; 205; 420; 671

Muhamedanismus s. Islam

Mura-mura 7

Muscheln bei Sündentil- gung 381

Musik bei Dämonenver- treibung 26; 166; s. auch Lärm; , heilend 527 f.

Mykenisches 331 f.

Mysterien 31 f.; 40; 218 301; 303; 312; 316; 318f. 324; 364; 380; 476; 525

Mythologisches 5; 10; 84 f. 91 ff.; 132 ff.; 165; 178 202 f.; 206ff.; 210; 220 228; 232; 248 f.; 297 f. 328; 442 ff.; 487 f.; 538 548; 555; 559; 572; 577 680; 583 f.; 585ff.; 592ff. 595; 600; 603 f.; 632

Nacktheit 152; 156; 332;

650 Nagel im Zauber 346; 391;

452 Namennennung 30 ; 83 ; 390 ;

505; 568; 594; 601 Narrenfest 141 ff. Nasenlöcher b. Toten 497;

582; 604 Nehalennia 149 Nektanebos 311 Neleus 332 Nephthys 202 Nereiden 669 Nerthus 149 ff. Neubuddhismus 610; 668;

s. Mahäyäna Neujahrsbräuche 233; 336;

372 f.; 391 Neunzahl 391; 406,2; 410;

444; 449 ff.; 687 Neuplatonismus 12; 249

Neutestamentliches 1 35,6 ;

138; 296ff.; 389,5; 666;

s. auch Altchristliches u.

Jesus Nidanaformel 613 f. Nieren 220 Nilpferd 213 Nirvana 609 Nordisches 2; 4; 146; 166

221,2; 354; 364,2; 386

400,1; 404,2; 405,8; 411

496; 507 Nymphen 332; 530,1 Nzambi 3

Ocker 408,5

Offenbarungsreligion 15

Ohrringe als Amulett 60

öl 398; 399,4; 599

Opfer 12; 22 ff.; 27 f.; 30 49; 55 f.; 166; 178; 200f. 215; 223 f.; 262; 266 ff. 270; 354; 357 f.; 364 380 ff.; 410; 491 f.; 547 f. 551;553;655;583;585f. 688 f.; 690 f.; 600f.; 606 --, Huhnopfer 342; 381 403; 596 f.; 678; S. auch Bau-, Brand-, Menschen-, Schweine-, Totenopfer

Opferblut 27; 362; 380; 393,3; 402; 411; 586

Opfertische 583; 585; 590 f.

Ophiogeneis 31

Orenda 3; 11; 563

Orphisches 12; 514 f.; 626; 527 f., 531

o'evl 418

Osiris 146,2; 204 f.; 209; 217ff; 520

Ostern 131; 342; 408

OvXtoiiog 344

Pales 363

Pan 528

Panspermia 25

Paradies 95f ; 253; 356;

361,2; 504; 520; 582 Paredroi 332 Parsismus s. Iranisches Paulus 279; 302ff.; 319f.;

321 f.; 326 f.; 329 Perchtenlaufen 156 f. Persephone 332; 663 Persisches s. Iranisches

Pferd 128 f.; 209; 395; 424; 426; 431,2; 444ff.; 501

Pfingstbräuche 144,2; 162,1

Pflanzen in Kult u. Zauber 6; 65; 67f.; 79f.; 82 145; 147; 210; 363; 371 380f.; 389; 393,3; 394 f. 407; 409f.; 448; 480 496; 501; 519f.; 561 559; 567; 683; 586f. 588; 590 f.; 593 f.; 596 598; 602; 8. auch Baum, Blumen, Dornen, Gras

Phallus 550

Pharisäismus u. Jesus 320 f.

Pherekydes 614

Philo 253 f.; 306; 326; 341

Phönix 213; 520

PhönizischeB48; 348; 417,8; 431

Plutarch u. Ägypten 204

Polynesisches 2; 4; 64 ff. 362; 375,2; 384; 394 f. 399; 404; 540; 566 f. 570; 574; 587; s. auch Australisches und Ma- layisches

Polytheismus , Entstehung 551

Porta Naevia 374

Poseidonios 304

Potnia 332

Präanimismus 156; 539; 543 ff.; 662; 663 f.; 579

Prädikationsformeln 306

Preußisches 125 ff.; 408; 468; 476 ff.

Priester 7; 12; 29; 53; 57 134; 145; 149; 161; 152,1 166;181;206;216f ;248 262f.;288;306;332;353 357,6; 360f.; 371 f.; 374 f. 377; 381; 384,7; 385; 399 404; 411; 419; 479; 486 f. 490; 502,2; 561; 584 ff. 591; 594; 605; 672 f.

Prophetismus 15; 53 ff.; 58 ff.; 203; 281; 364 ff.; 428; Verhalten z. Yolksreligion 53 ff.

Proselyten 366 f.

Prostitution, sakrale 46; 61 ; 332; 342 f.; 576 f.

Ptah 207

Ptah-hetep 202

Pubertätsriten 30f.; 652 ; 677

686

Register

Puluga 547 f. Pyramidentexte 198 f.; 200;

221 Pythagoreisches 12; 423 f.;

426; 513 ff.

Eachepuppen 392

Rauch 215; 374,4; 398;

400,1; 487 Räuchergefäße d. Ägypter

215 Raudos 125; 483 Rechte Seite 50; 371; 498;

674 Regen 407; 583; 605 Regenbogen 585; 605 Regenzauber 30; 34; 150;

158; 585; 587; 590 f.; 672 Reinheitsvorschriften 151;

215; 243; 355 ff.; 488 f.;

8. auch Bad; Hände- reinigung ; Speisegebote ;

Wasser Reisezauber 342"; 407 ; 686 f. ;

598; 637 Religion, Begriff 17 ff.;

549 f.; 551; 554 f.; 561 ff.;

563 f. Rhabdomantie 43 Rhea-Kybele 32 Rind 28; 34; 48 f.; 357;

380; 382; 421 f.; 424; 426;

428; 430; 436; 488; 505,2;

519; s. auch Kuh Ring 156; 366,2 Römisches 140 ff.; 147; 204;

250; 375,2; 380; 383,1;

399,5; 402; 409 f.; 423 ff.;

434; 499; 501; 506 f.;

609 f.; 657; 676 Rote Farbe 65; 94; 155;

368,4; 405; 444; 587 Rudra 442 ff. Russisches 127; 131; 152,i;

155; 400; 402; 411; 500;

509; 677; s. auch Sla-

visches Ruten tragender Gott 216;

298

Sabazios 420 Sabbath 137 Salier 20

Salz 368,4; 401; 403 Sand als Krankheitsüber- trager 602; 605

Sandan 348 f. Sarapis 205; 531 Satan s. Teufel Saturnalien 140 f. Säule, heilige 28 Schaf 418; 424 ff.; 436 Schakal 212; 445 Schamanismus 3; 385; 395;

590 Schang Ti 9 ff.; 13 Schatten 603 ff. Sched 209 f. Scheinkampf 146; 688 Scheitel und Seele 582 Schellen 156 Schiffs wagen 148 ff. Schildkröte 220,i Schlaf 86; 131; 480; 601;

503; 602 Schlange 30; 220,1; 231;

417; 432; 520; 582; 586 f.;

593; 596 Schlangenboschwörung 45 Schlangentöter 232 Schließen d. Augen d. Toten

496 Schlinge 225; 360; 394,4;

538 Schmetterling a. Seelentier

131; 520; 582 Schmutz = Sünde 387 f. Schnur b. Zauber 226; 390;

394,4; 585 f.; 603 Schu 202; 206 Schwalbe 213; 520 Schwanenjungfrau 538 Schwarze Farbe 66; 389;

409; 444; 594 Schwein 74 f.; 389,5; 413;

421; 426; 431 f.; 440; 583;

687: 692; 696f.; inder

Hölle 94;. 587 Schweineköpfige Göttin

439 ff. Schweineopfer 30; 84; 362;

380; 383,2; 424; 596 f. Schweizerisches 146; 336;

352 Schwur 32; 135 f.; 697; 674 f. Sebak 206; 208 Sechet 206 ff. Sechszahl 403,8; 405,3; 446;

485; 490; 504 Seele 1; 3ff.; 86ff.; 125 ff ;

220 f.; 253; 266 ff.; 352 f.;

434; 494 ff.; 513 ff.; 639;

651; 656; 560; 573; 582 f.;

586ff.; 594 f.; 699; 600;

602; verläßt zeitwei- lig den Körper 86; 131;

494; 501; 503; 582; 594;

699; 601 f. Seelenboot 224 Seelenbrunnen 362 Seelenfang 585f.; 594; 596 Seelenglaube s. Animismus Seelenhöhle 352 Seelentiere 131; 211; 260;

519 f.; 582 f.; 587; 604 Seelenwauderung 364,2;

423; 426; 513ff.; 682;

587 f.; 595; 597; 603 Seepferd 214 Selbstmord 617; 595 Serbisches 390; 408 Set 206; 219 Settier 219 Sexuelle Differenzierung d.

Gottheit 51; 61; 203 Shinshu 274 ff. Shinto256;258;261ff.;290;

372; 385; 403 Siamesisches 374; 393 f.;

574 Siebenschläfer 676 Siebenzahl 82; 189; 358 f.;

365; 375,2; 386; 391; 405;

407; 410,6; 462; 586 Simon v. Kyrene u. Herakles

298 Simson 206 sin-eater 371,8 Sintflut 680 f.; 682 Skarabäus 212; 225 Skirophoria 30 Slavisches 366,1; 386,4; 390 f;

398; 399,5; 400,1; 407;

677 f.; s. auch Russisches Sokrates 62 Sondergötter 332 Sonnenfang 538 Sonnengott 39; 202 f.; 223

371; 538; 583 Sonnenkult 198 Sonntag 128 f.; 206; 500 Speichel 371; 374,4; 380:

397,1; 599 Speisegebote 81 ff.; 211:

222;384;387;404;413tf.:

483; 502 f.; 506; 696 f. Specht 696 Spinne, Seelentier 604

Begister

687

Sperber 212 f.; 220; 620 Spiegel 267: 480; 502 Stachelschwein 422 Stelen 201; 207 ff.; 216;

222 f.; 417 Sterbende 128; 341 f.; 352;

361,2; 479 ff. Sternschnuppe, beseelt 85;

94

Stillstand d. Natur 137 f. Stirnblech 134 f. Stoa u. Paulus 304 f.

6X0l%Bta tov KOCllOV 311

Strauss 434 Streckschere 156 f. Sufismus 235 Sühnepuppen 392 ff.; 585;

598

Sündenbock 374 Sündenboot 374; 389; 394 Sündentilgung d. Brech-

und Purgiermittel 362 ;

387; d. Besprengen

m. Blut 362; 380; d.

Springen über Feuer 363 ;

383; d. Wasser 353ff. Sündenübertragung 370 ff. Syrisches 167; 352; 386;

408,5; 417,3; 430,4; 433;

670; 676 Synkretismus 301; 320

Tabu 4; 22f.; 71; 75ff.; 81 ff.; 104ff.; 211; 404; 427 ff.; 433; 495; 549; 557; 570; 581; 592 f.; 598

Tages verzeichnisse inÄgyp- ten 202 f.

Talmudistisches 53; 135; 341; 344; 366; 375,2; 378,4; 383,1; 387; 389 f.; 397,1; 398; 408,5; 412; 426; 674 s. Israelitisches

Tanz, magische Bedeutung 5; 20f.; 33; 154; 584; 590 f.; bei d. Bestat- tung 66 f. ; 84 ; 491 ; 493 f. ; 588 f.

Taoisten 167 f.; 180

Tapferkeitssymbole 584;ö93

Tärä 616

Tarnkappe 578

Taube 131; 520

Tauchbad 360; 363; 365 ff.; 378,4

Taucher 422

Taufe 818 f.; 829; 866 ff.;

378 f. Taxus 496

tixvri = ars magica 845 f. Tefnut 203; 207 Tempel 186; 189; 192

194; 208f.; 211; 214ff.

218 f.; 223; 236; 347 f.

370; 384 f.; 403; 584

588 f.; 663 f. Tenrikyö 2 70 f. ieo 434

d-ciVfiatoTCOLoL 344 f. Theriomorphismus 33 f. ;

332; 557; 600; 603; 672;

d. Seele 131; 211;

220; 519; 582 f.; 587 Thesmophorien 30 Tibetanisches 113ff.; 288;

403; 437 ff.; 635; 640 f.;

655; 8. auch Lamaismus T'ien 9 ff.; 13 Tiere, unreine 413 ff. Tiere u. Seelenwanderung

131; 423; 618 ff.; 582 ff.;

597; 603 Tierkult 7; 34; 49; 200;

211 ff.; 332; 428; 551 f.;

557; 592; 596ff.; 600 Tiger 407; 445; 596 f.; 603 Tiroler Aberglauben 156;

342; 386,6; 895 Ti-tsang 288 Todansagen 480; 504 f. Todesengel 375,2; 400,1 Totemismus 7 ; 23 ; 31 ; 71ff.;

211; 427 ff.; 433; 549;

552f.;556f.;559f.;564ff.;

697 f. Toten, Anblick d. 103;

105; 126 ff.; 386; s. auch

Geister d. Toten Totenbräuche 64 f.; 200;

217; 222; 236; 250; 266f.;

275; 288 f.; 476 ff.; 572;

585; 588 f.; 594 f.; 596 f.;

604; 671 f. Totenbuchtexte 221 f.; 226;

519f. Totforttragen 144; 391 Totengaben 65; 69; 79;

94ff.;222ff.;481ff.;488ff.;

595; 604 Totenhochzeit 493,i Totenklagen 65; 79; 125;

127; 131; 482 f.; 501; 511

Totenland 91 f.; 487; 61»;

686; 687 ff.; 690; 696;

600 ; 8. auch Paradies

u. Hölle Totenmahl 66; 68; 80; 180;

488; 588 Totenopfer 26; 68 ff.; 82;

267 f.; 402; 491 ff.; 499;

588 f.; 604 Totenreise 91 ff.; 127; 224}

587; 594 Totenspeise 69; 107; 481;

486; 489; 604; 588; 594 f. Tränenfläschchen 483 ; 609 f. Trankopfer 23 ff. Trauerbräuche 66 ; 68 ; 81 ff.;

482 ff.; 595 Traum 45; 131; 861; 876 f.;

406; 407,4; 494; 527 ff.;

563; 682; 598f. Tschou kung 165 Türkisches 363,2; 388; 636

Übertragungstheorie 534 f. ;

637 f. Umgang um d. Kirche 497 Unbelebt (Begrifi) 572 f. Unsichtbarkeit 672 Unverwundbarkeit 368,4 UräusBchlange 208 Urheber 8 ff. Urmonotheismus 11; 16;

542 ff. Urverwandtschaft 536 f. Urwesen 5 ff. Uschebti-statuetten 228 Urzah 29

Vampyr 583; 600; 602

Varüna 39; 356

Yeda s. Brahmanismus u.

Indisches Vedänta 610; 615; 645 Vegetationsgeist 145; 156;

297; 301; 328 Vereinswesen in Ägypten

217 Verkleidung 189; 143; 156;

598; 8. auch Masken Verwünschungen 606 Vesali, Konzil von 618 f.

630; 644 Vestalin 383,1 Vierzahl 69; 444; 462;

479,1; 491; 678 Vinaya 618 f.; 623; 634

688

Register

Visionen 45; 309; 457; 616

Vögel212f.;220;407;414fE. 421; 423; 427; 436; 519 f. 522; 583; 587; 593; 672 f. Omenvögel 407; 583 592 f.; 596 f.

Volksmedizin 333 ; 341 ; 390 ; 412; 479; 507

Volkspropheten 43 ff.

Volksreligion bei Indern 38; bei Iraniern 3S; bei Helenen 39; bei Israeli- ten 41 ff.; Gegensatz zum Propbetismus 54 ff.

Vorzeichen 138; 250; 407; 597

Votivgaben 207; 393,2

Wachs 598

Waffengeklirr z. Dämonen- vertreibung 399; 484; 498; 586

Waffenkult 201

Wahrsagerei 43; 53; 583; 592 ; 596 ; 8. auch (Omen-) Vögel

Wahnsinn 379; 398; 592ff.; 596; 599; 601; 606

Wakanda 3

Waldgeister 583; 600; 604

Wasser im Kult 39; 249 353 ff.; 480; 482; 488 495; 504; 530,1; 587 590; 605; s. auch Bad Tauchbad; Weihwasser

Wassergott 39; 248; 592

Warzen Vertreibung 507

Weib 5; 145; 147; 151; 154 224;236;248;342;357f. 379; 396; 405; 409,2 501; 677; 584f.; 587

Weihnachtsbräuche 336;

891 Weihwasser 360; 361,2;

368,4; 379; 383; 396; 398;

405,3; 407 f.; 411 f.; 678 Wein 22 ff.; 399,1; 401 Weisse Farbe 49; 68; 81;

94; 126; 131; 342; 388;

390; 399; 444; 480; 684;

604; 672 Weltschöpfungsmythen 5 ;

202; 249; 583 Wetterheilige 162 Wettlauf 485 f.; 505 f. Widder 30; 208; 218; 418;

678 Wiederbelebung 455; 578 Windgötter 127; 208; 590 Witwe 403,1,8; 404,2;

481,1; 484,1; 493; 502,2;

505; 508 f. Wöchnerin 368,4; 379;

384,7; 405; 412; 687;

605; s. auch Geburt Wodan 16; 149,3 Wolf 212; 445 Wotiäken 368,4; 391; 399,6;

403 Wunder 132 ff.; 160; 285f.;

309; 336ff.; 339; 349;

374; 455 ff.; 648 f.; 676 f. Wurm 414; 432; 436; 520;

582

Xenophanes 40; 514

Zahl im Aberglauben und Kult 70; 82; 189; 267; 356; 358; 362; 368,4; 384,7; 389; 402 ff.; 443 f.; 449 f.; 452; 454; 479;

485 f.; 490; 522; 587; 589; 634; g. auch die einzelnen Zahlen

Zahn e. Toten 507 ; , als Amulett 599

Zarathustra 15; 38; 62; 230 f.; 232; 235 f.; 243 ff; 247 ff.; 375,2

Zauber 17 ff.; 39; 45; 53; 200 f.; 224f.; 250; 262; 343ff.;879;388ff.; 392 ff.; 396 ff.; 406 ff.; 466 ff.; 543 ff.; 549; 551; 553 ff.; 556; 559 f.; 562 f.; 573; 578; 584 ff.; 598; 600 f.; 602 f.; 672 f.; 8. auch Analogiezauber; Berüh- rungszauber; Dämonen- abwehr u. -austreibung; Fruchbarkeitsförderung ; Jagdzauber; Liebeszau- ber; Regenzauber; Reise- zauber

Zaubergerät 156 ff.; 225; 346 f.; 390; 392ff.; 467ff.; 573 f.; 603; 672

Zaubersprüche llf.; 20 f.; 198f.; 218; 224f.; 250; 265; 380; 394,4; 397; 406; 490f; 493; 555; 690; 677

Zeh 401; 496

Zerstücklung 220; 455ff.; 578

Zeus 21; 30; 32f.; 34; 248; 332; 528

Ziege 374; 381; 388; 393; 424ff.; 436

Zigeuner 390 f.; 398

Zweiwegebuch 222

Zwerggottheiten 208

Zwölfzahl 206; 218; 361,1

[Abgeschlossen am 8. Juli 1914.]

Druck von B. G. Teubner in Dresden

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9L Archiv IUI' Roligionswisßen-

4 Schaft vereint mit d^n

A8 Beiträgen zur Religiond-

Bd. 17 wissenschaftlichen Gesell-

schaft in Stockhol»

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