ARCHIV ANATOMIE, PHYSIOLOGIE WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. D*. CARL BOGISLAUS REICHERT, PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, D DIREOTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS USD ANATOMISCHEN THEATERS UND Y+ D*. EMIL DU BOIS-REYMOND, 77 PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR ı DES "KÖNIGLICHEN PHYSIOLOG ISCHEN LABORATORIUMS ZU BERLIN FORTSETZUNG VON REIL'S, REILU’S UND AUTENRIETH'’S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1859. Mit zwanzig Kupfertafeln. VELP7IG& VERLAG von VEIT ET COMP. WOJLON: ayud „EM aa MINGSK SHDTITMIIR © TR 2 „lalnOd ia une ns a ag or N r FA Br 1a IS TTRRNTIP: Bien WR u. ? \ NR .r FM A AN a ;“ De äh m Pe Ri? > h mente de Der wi = al a x ART, \ Ran ion FA y IH nor DANIETV Tarhtalen \ Zur Beantwortung der Frage: „Giebt es eine organische Verbin- dung zwischen der inneren Fläche der Corona ciliaris und dem Linsenkapselrand? Vom Geh. Medicinalrath Dr. von Ammon in Dresden. Eine briefliche Mittheilung an Hrn. Professor Dr. Max Langenbeck in Hannover. (Hierzu EEE Ar Fi AT) ala Verslrstten arab erlalnärhiwidg Zur Mechanik der Blutbewegung in der Milz. Von Ludwig Fick in Marburg. (Hierzu Taf. I.B)......... “ Anmerkung zur vorhergehenden Abhandlung von ©, B. Reichert Experimentalbeitrag zur Theorie der Hemmungsnerven. Von Dr. Kiänard,Pflüger: sowlvagdens zuanalaaull us snarhdictyelle Ueber die Bewegungen der Ovarien. Von Dr. Ed. Pflüger . Zur Anatomie der Insecten. Von Dr. Leydig in Tübingen. tHiexzn: Dat I, Inu: IV) nen a nn MER Jade Von dem Einfluss der beiden Nervengattungen, welche die Far- benveränderung des Venenbluts der drüsigen Organe bedingen. NonOlaude Bernard). sl. sandra Whevalis ws Ueber die Wirkungen des Curare auf das cerebro-spinale Nerven- system. Von Dr. med. Emil Haber in Breslau. ... . Ueber das Gesetz der Zuckungen. Von A. v.Bezold und J. Ro- seinthadn./ „u. una! cu: dns see wo il, wel % Ueber ein neues Reagens zur Darstellung des Axencylinders. Von Dr Bd, Pflüger. „vun u. 1. 1% EI EURE RER Ueber die Ursache des Oefinungstetänus. Von Dr. Eduard ALERT 2 6, ua ın ‚0 pre n ene . er Zur Anatomie der Insecten. Von Dr. ar in Tübingen. GRHarE EEEEEE e e on Veber die Vergrösserung der en und über den optischen Seite 33 90 98 131 132 133 149 Seite Einfluss der zwischen Object und Objectiv enthaltenen Sub- stanzen. VonEraneis Blace. „me. 2 Kr res Zur Anatomie der Zungenbalgdrüsen und Mandeln. Von Dr. Sachs, Assistenzarzt am städtischen Hospital zu Danzig. 196 Zusatz zur vorhergehenden Abhandlung von C. B. Reichert . 206 Zur Geschichte der Entdeckungen am Zitterwelse (Malapterurus electrieus). Von E. du Bois-Reymond ........ 209 Ueber directe und indirecte Muskelreizung mittelst chemischer Agentien. Ein Beitrag zur, Lehre yon der selbständigen Reiz- barkeit der Muskelfaser. Von Dr. W, Kühne. ..... 213 Ueber die Schuppen von Polypterus und Lepidosteus. Vom Pro- fessor Reissner in Dorpat. (Hierzu Taf. V.A. Fig. 4—8.) 254 Ueber das Auge der Sapphirinen und Pontellen. Von Dr. Claus in Marburg. (Hierzu Taf. V,B. Fig. 1-3,). “0 Rt Helminthologische Beiträge. ‚Von E.,A. One er Docenten in Heidelberg, (Hierzu, Taf. VI, VII, VL)... . 275 Bemerkungen zum Bau: des Enchondroms. | VonDr. A..Baur. 291 Zur Geschichte. der Physiologie des Vagus.. Von Eduard Weber 292 Ueber die Elasticität der organischen Gewebe Von A. W. VoIk- u BWA0nn » nenn nl ciul nun si Ani) 293 Ueber‘ Muskelzuckungen ‘ohne Betheiligung' der BR "Von Dr.‘ W Kühnesyersgunsmmdl to Sironı Done eodllleiasugdlt Eine Missbildung am Flusskrebs, beobachtet von Dr. C. Strahl! 333 ‚Ueber die fibrilläre Beschaffenheit der Bindesubstanzgebilde (Sehne, Cornea) und ihre Beziehung zur DE ‘Von Dr. . © Mibese BAUT. . 4. 0: GW8, ne ‘ Assl' engisikl) 337 Neue ‚Beiträge zur. Anatomie. der, Spongien, Yen N; Lieber-,.., kühnn. (Hierzu) Taf.; IX, Xiundi XL),y »u4% wnerhritierene 398 Bemerkungen über.die Entstehung . der Carotis subvertebralis‘ bei der, Krähe. ‚Von Heinrich Rathke. .ı.... si ».% =.,882 Beitrag. zur .Kenntniss des: Horopters. "Von Edouward Clapa- red a2 GmErrseR».A a0V + em sonN ra word un Ueber den Einfluss der Nerven auf die Farbe des Venenblutes. (Briefliche, Mittheilung an, Prof. du: Bois-Reymond.) Von Prof. Hercmann Meyer. „..,. . =>. - sTrorbklT San Ueber, den, Sauerstoffgehalt des Venenblutes der drüsigen Organe im ruhenden und thätigen Zustande und über die Anwendung des Koblenoxydgases zur Bestimmung des Sauerstoffgehaltes N des Blutes, Von Claude Bernard... .. il) Veber ‚sogenannte idiomusculäre Contraction. Vorläufige Mitthei- Jung 'von'Dr.'W. Kühne Hy b nung 2 PVaLB ' ınb nu f / f 1. Seite Ueber die Schwimmblase und den Gehörapparat einiger Siluroiden. Von Prof. Dr. E. Reissner in Dorpat. (Hierzu Taf. XII.) 421 Ueber den Einfluss der Nervi vagi auf die Herzbewegung bei vo- &eln. ‘Von Dr. Einbrodt aus Moskau . !. 2.2. 439 Beitrag zur Anatomie der Peyer'schen Drüsen. Von Dr. Rudolf Heidenhain, Professor der Sorgen in Breslau. (Hierzu FREE RIEL VCH alu te ee ve Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches. Von De Hoyer; , (Hiorzu’Taty XIV.) 7. 2%. 1.05 ge 481 Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. Von N. Lieber- kühn. (Schlus.) ...... Re Ueber die angeblichen Nervenanastomosen im Stratum nerveum s. vasculosum der Darmschleimbaut. Von C. B. Reichert . 530 Ueber secundäre Modification der Nerven. Von Dr. Wilhelm BE ade Bu a ee 1 a a 537 Ueber den feineren Bau der quergestreiften Muskeln von Petromyzon marinus. Von Dr. med. W. Keferstein in Göttingen. . 548 Ueber den Verlauf der Muskelzusammenziehung bei directer Mus- kelreizung. Von Dr. Wilhelm Wundt. (Hierzu Taf. XV.) 549 Ueber die von Lespe&s als Gehörorgane bezeichneten Bildungen der Insecten. Von Dr. C. Claus. (Hierzu Taf. XVI). . . 552 Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen der contrac- tilen Substanzen. Von Dr. W. Kühne. (Hierzu Taf. XVII.) 564 Ueber den Verlauf der Gallengänge. Von Julius Budge, Prof. in Greifswald. (Hierzu Taf. XVII) . Anmerkung zur Abhandlung des Herrn J. Budge. Von C.B.Rei- re dus nt ans re Ne Due 2006 Ueber die Gestaltung der Gelenkflächen. Aus dem wissenschaft- lichen Nachlasse des verstorbener L. Fick. Mitgetheilt von a ala A ned a de rau 57 Sur la couleur du sang dans les divers &tats fonctionnels des glandes. (Lettre de M. Claude Bernard a M. E. du Bois- BEER 2 nlumeı mia ante er be en 672 Anmerkung zu vorstehendem Schreiben. Von E. du Bois-Rey- en RR TER 675 Ueber glatte Muskelfasern im Oyarium und Mesovarium von Wir- belthieren. Vorläufige Mittheilung von Dr. Ch. Aeby . . . 675 Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. Von Franz Leydig in Tübingen. (Hierzu Taf. XIX u. XX.) .. .. 677 Seite Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen der contrac- tilen Substanzen. Von Dr.YW. Kühne. (Schluss). . . . 748 Ueber die Reaction der Nervensubstanz. Von Otto Funke... 835 Bemerkungen über die Reaction der elektrischen Organe und der Muskeln. Von. E. duBois-Reymond. .........846 en 00 Zur Beantwortung der Frage: „Giebt es eine orga- nische Verbindung zwischen der innern Fläche der Corona ciliarıs und dem Linsenkapselrand ?* Vom Geheimen Medicinalrath DR. von Ammon in Dresden. Eine briefliche Mittheilung an Hrn. Professor Dr. Max Langenbeck in Hannover. (Hierzu Taf. I..A. Fig. 1—7.) In Jahre 1849 haben Sie in Ihren „Klinischen Beiträgen aus dem Gebiete der Chirurgie -und Augenheilkunde, Göt- fingen 1849, in 40.“ eine Verbindung besprochen, die Sie mit der Lupe oder dem Mikroskope im menschlichen Auge an dem ringförmigen Rande des Corpus ciliare als sehr feine den Rand der Kapsel umgebende Kreisfasern sahen. Sie nannten diese Verbindung Muse. eompressor lentis. Durch diese Benennung brachten Sie denselben in eine physiologi- sche Beziehung zu den accommodativen Wölbungsveränderun- gen der Kapsel, die Sie auf die Sanson’sche Lichtprobe ba- sirten. Der Gegenstand ward anatomisch nicht erörtert, wie er es verdient hätte, und blieb, nachdem Kölliker (Handbuch der Gewebelehre des Menschen. Leipzig 1852. S. 615. Auch in der zweiten Auflage.) seine Meinung über die Nichtexistenz des Musculus compressor lentis wiederholt ausgesprochen hatte, unbeachtet, oder man folgte der negirenden Autorität Kölli- ker’s, ohne die Sache neuen Untersuchungen zu unterwerfen. Beichert's 9, da Bols-Reymond's Archiv. 1859. 1 2 von Ammon: (Cramer’s Physiolog. Abhandlung über das Accommodations- vermögen der Augen. A. d. Holländ. von Dr. Dode. Leer 1855 in 8. S. 109.) Sie sind später mit grosser Ruhe, Umsicht und Klarheit für Ihre Auffindung von Neuem in die Schranken getreten, obgleich an einem Orte, wo man anatomisch-physiologisch- optische Besprechungen nicht sucht (Die Impfung der Arznei- körper nebst Rückblick auf einige meiner früheren Arbeiten, Hannover 1856. $. 1—52.), aber auch diese gründliche Ar- beit hat keine wiederholte anatomische Untersuchungen und Nachforschungen über Ihren Musculus compressor lentis her- vorgerufen, Auf dem ophthalmologischen Congress in Brüssel (im Septbr, 1857) suchten Sie Ihre Auffindung bei der Discussion über die Accommodation zur Geltung zu bringen, sie wurde. aber durch Donders anhaltend in Zweifel gesetzt. Ich war in der Sitzung nicht gegenwärtig, sonst würde ich die hier erzählten Erfahrungen mitgetheilt haben. Leider kam man in Brüssel nicht dazu durch anatomische Anschauungen sich , gegenseitig aufzuklären. Bei so getheilten Ansichten über eine wichtige anatomische Controverse im menschlichen Auge halte ich es im Interesse der Sache für zuträglich, was ich wiederholt in verschiedenen Zeiten im menschlichen Auge zwischen der innern Seite der Corona eiliaris und dem Lin- senkapselrand aufgefunden und durch den tüchtigen Künstler Herrn Krantz hatte zeichnen lassen, hier mitzutheilen. Ich beschreibe kurz, was ich wiederholt sah, weiss aber nicht, ob was ich gesehen habe, Ihr M. compressor lentis ist. Prü- fen Sie selbst meine Mittheilungen. Sie sind vertraut genug mit der feinen Anatomie des Auges, und der Sache aufrich- tig zugethan, und werden gewiss gern einen Ihnen lieb ge- wordenen Gegenstand neuen Untersuchungen unterziehen. Lässt man sich nur erst zu neuen Prüfungen heran und stellt man wiederholte Fragen, so wird man nicht ohne Antwort bleiben. Die Natur giebt solche immer dem redlich Suchenden. Untersucht man in Menschenaugen, die eine Zeit lang in verdünnter Chromsäure gelegen haben, die Stelle „genauer, Ueber eine org. Verbind. zwischen Corona ceiliaris u. Linse. 3 ‘die zwischen der innern Seite des Randes der Corona ciliaris und dem vorderen und seitlichen Theil der Linsenkapsel sich befindet, so sieht man in der Mehrzahl der Fälle dort eine im Kreise gelagerte Fadenreihe (Fig. le.). Damit dieses gesche- hen könne, muss man den Rand der Corona ciliarig der in Augen, die in verdünnter Chromsäure gelegen haben, ge- wöhnlich etwas hart ist, mit Vorsicht von dem Linsenkapsel- rand entfernen, damit der Zwischenraum zwischen der innern Fläche des Randes der Corona eiliaris und der Linsenkapsel- rand deutlich wenn auch nur theilweise übersehen werden kann. Dieses geschieht am besten mittelst zweier feiner Au- genspatel. Die speichenartig rings um die Aequatorlinie von der innern Fläche der Corona eiliaris zu dem Linsenkapsel- rand gehenden Fäden sind in Fig. le. abgebildet, und zwar durch die Lupe gezeichnet, getreu, so wie sie mit mir der Zeichner gesehen hat. An manchen Augen habe ich aller- dings sie nicht aufgefunden. Ich muss es unentschieden las- sen, ob sie in solchen Augen gar nieht vorhanden waren, oder ob solche Augen eben kein gut erhaltenes Object zur Beobachtung abgaben. Die Fäden lassen sich ferner unschwer auffinden auf Durchschnitten der Linse und des Glaskörpers, die in Chromsäure erhärtet waren. Da sieht man sie leicht in dem Raum, den der Rand der Corona eiliaris durch seine innere Fläche mit dem Kapselrand (Fig. 2be.) bildet. In solchen Präparaten scheint ihre Lage nicht so tief an der - innern Seite des Randes der Corona eiliaris zu sein, wie in den andern Präparaten, und man könnte sie da wohl für die äussersten Grenzen oder für die feinsten Ausläufer des Ran- des der Corona eiliaris gegen den Linsenkapselrand halten. Nimmt man einen Theil der in Rede stehenden Fäden oder Falten vorsichtig mit der Pincette weg, und untersucht man sie mit einer scharfen Lupe, so sieht man deutlich, dass sie von der innern Seite des Randes der Corona eiliaris breit ausgehen und dann spitz gegen die Linsenkapsel hin endi- gen (Fig. 5b.). Ich habe bei meinen Arbeiten über die Entwicklungs- ı1* 4 von Ammon: geschichte des Auges!) die in Rede stehende Fadenverbindung bereits im Fötalauge öfter wahrgenommen, und ich theile aus . denselben die früher gemachten Wahrnehmungen mit, die ich durch neuere Untersuchungen zu vervollständigen Gelegen- heit hatte. Es finden sich bereits in der Fötalzeit zwischen dem vier- ten und fünften Monate bestimmte Andeutungen einer solchen Verbindung zwischen der .einen Seite des primär glatten spä- ter aber eingekerbten Hyaloidealrandes und dem Rande der Linsenkapsel (Fig. 5bb.). Ich habe sie an manchen mensch- lichen Fötalaugen in sehr früher und auch in späterer Zeit gefunden, obgleich ich sie in andern Fötalaugen auch um- sonst gesucht habe. Es sind dies feine, scharf ausgeprägte, in ihren Conturen kräftig umschriebene Fäden, die gleich stark auf der Hyaloidealseite wie auf der Seite des Linsen- kapselrandes erscheinen; an einigen kam mir aber ihr Ueber- gang in den Rand der Linsenkapsel bereits etwas zugespitzt wie im Auge des Erwachsenen vor. Ich habe, wenn ich mit Vorsicht den Hyaloidealrand von dem Linsenkapselrand ab- zog, und auf diese Weise die Fadenreihe anspannte, ihren Uebergang auf diese nicht weit verfolgen können, so dass ich über denselben nur das aussagen kann, dass die Faden- reihe in der Linsenkapsel auf ihrem Rande scharf endigt, nicht diffus in sie übergeht. Die Fadenreihe war bereits im Fötusauge ziemlich dicht gelagert. Ich glaube, dass die Ent- stehung derselben mit der ersten Faltenbildung der Corona eiliaris aus dem sich glatt erhebenden Hyaloidealrand zu- sammenhängt, und habe über dieselbe folgende Ansicht, die sich am anschaulichsten durch die Rz der Fig. 4 u.5 ergeben wird. Fig. 4. giebt eine durch die ie vergrösserte Ansicht eines fötalen menschlichen Glaskörpers aus der Zeit, wo die Linse (ce) sammt Kapsel von dem Hyaloidealrand des Glas- 1) Entwieklungsgeschichte des menschlichen Auges. Mit 207 Ab- bildungen, auf 12 lithogr. Tafeln in v. Gräfe’s Archiv für Ophthal- mologie. Bd. IV. Berlin 1858. in 8, Ueber eine org. Verbind. zwischen Corona ciliaris u. Linse. 5 körpers eirculär umschlossen ist (bbbb), so jedoch, dass nach unten zu, wo der Hyaloidea-Canal sich befand (ba), der Glas- körper noch nieht die Rundung und den Umfang wie an den andern Seitentheilen hat. Es erhebt sich die Hyaloidea als Hyaloidealrand, der später von dem seitlichen Kapselrand etwas absteht (Fig. 5bb.) über die Linsenkapsel, es hat sich auf deren obersten Rand bisweilen zeitig Pigment abgeson- dert (Fig. 4bbbb.). Es ist unbestimmt, ob dieses Pigment- Moleeüle sind, die sich zwischen den beginnenden kleinen Falten abzusondern pflegen, oder ob es ein Pigmentabklatsch der Ciliarfortsätze ist. Unterdessen wachsen die Faltungen, die jetzt in dem sich erhebenden Hyaloidealrand sich bilden, und die sehr bald in weiten peripherisch sich erstreckenden Reihen sich ausdehnen, und auf die sich dann die Spitzen der Ora serrata der fötalen Retina auflegen. Durch diese Faltungen des sich verengenden Hyaloidealrandes wird die bisher tief in der Hyaloidea liegende Linse erhoben, und es bekommt diese Glaskörpergegend einen förmlichen Hals, eine wichtige Fötalepoche in der Bildungsgeschichte des Glaskör- pers und der Corona eiliaris (Fig. 6—7.). Später flacht sich die Erhebung des Glaskörpers bei der Bildung der Iris und anderer Theile des Auges wieder mehr ab, und der Fötal- hals des Glaskörpers verschwindet. Die innere Seite des Hyaloidealrandes kann bei der beschriebenen Verwandlung desselben in die Corona eiliaris durch vielfache Einbiegungen nicht frei bleiben von der allgemeinen Faltung, diese erstreckt sich von der äussern auch auf die innere Fläche des Hya- loidealrandes, und ich glaube, dass diese Faltungen die Ent- stehungsstellen für die beschriebene eirculäre Fadenreihe sind, die von dort zum Linsenkapselrand gehen. (Fig. b.) Eine genauere Auskunft über die histologische Natur die- ser Fäden vermag ich nicht zu geben; ich wage nicht, über die Frage zu entscheiden, ob sie histologisch einen Muskel- charakter tragen. Ich habe hier blos ihr Vorkommen ana- tomisch constatiren wollen, theils durch eigene Wahrnehmung, theils durch die geübte Sehkraft eines ausgezeichneten Künst- lers, Auch schien mir das fötale Vorkommen derselben von 6 von Ammon; Wichtigkeit. Ihre physiologische Deutung überlasse ich einer tieferen Einsicht. Ich lasse es ferner dahin gestellt sein, ob die besprochene Fadenreihe blosses Bindegewebe ist, das sich allerdings häufig zwischen zwei Membranen von histologischem Cha- rakter, wie die Hyaloidea und Linsenkapsel es sind, bildet. Mir scheint dagegen aber die sehr regelmässige und stark ausgeprägte Structur jener Fäden (Fig. le. 3b.) zu sprechen, denn die einzelnen Fäden des Bindegewebes sind dünner und von gleichmässigem Durchmesser, nieht wie die abgebildeten Verbindungsfäden bei etwas breiter ‘Basis spitz verlaufend. Ein weiterer Einwurf, den ich mif nicht verhehle, ist der, ob die beschriebenen Spitzen nicht die fasrigen Ausläufer des Randes der Corona eiliaris gegen den Linsenkapselrand sind, die in Chromsäurepräparaten nach dem innern Rand der Corona eiliaris, also in den Zwischenraum zwischen der in- nern Seite derselben und dem Linsenkapselrand sich einsen- ken (Fig. 2e.) Dem sei nun aber, wie ihm wolle, jedenfalls verdient der Gegenstand wiederholte Prüfung; jedenfalls wird es der Wissenschaft und dem Augenarzte von Nutzen sein, die zartfeine Corona eiliaris mit immer neu forschendem Blicke zu betrachten und zu prüfen. Erklärung der Figuren. Fig. 1. Ein Theil der Linse und des Glaskörpers in viermaliger Vergrösserung, und zwar die Verbindungsstelle der Corona ciliaris mit der Linse. Man sieht in aa, bb, ce die ausgebildete Corona ciliaris. bb ist der Uebergang zum Glaskörper (a), die Linse ist in d zu sehen, “der ihr zugekehrte Theil der Corona eiliaris in ec; wo der vordere Rand derselben etwas gelüftet ist, inc, ist ein Theil der Verbindungs- fäden zu sehen, die der Gegenstand der Besprechung sind. Fig. 2. Vergrössert gezeichneter Durchschnitt durch eine in ver- dünnter Chromsäure erhärtete Linse sammt Glaskörper. Es ist auf der linken Seite das Verhältniss der Linse und deren Kapsel zum Glaskörper gezeichnet, aaas Hyaloidealranddurchschnitt und Glas- Ueber eine org. Verbind. zwischen Corona ciliaris u. Linse. 7 körperdurchschnitt mit Fossa hyaloidea (aa), bb Retina, deren vordere Endigungen auf der Corona eiliaris, die eben dadurch entsteht, dass sich die Zähne der Ora serrata der fötalen Retina in die Falten des Hyaloidealrandes legen (Fig. bb.). ce Linsenkapsel sammt Linse (d) auf dem Durchschnitt. e die Verbindungsfäden zwischen der innern Seite der Corona eiliaris und der Linsenkapsel. } Fig. 3. Vergrössert gezeichnete Darstellung der Verbindungsfäden zwischen der innern Seite des Randes der Corona ciliaris und dem Linsenkapselrand. ace Corona ciliaris-Ende, b Verbindungsfaden spitz gegen die Linsenkapsel verlaufend. Die nächsten Figuren (Fig. 4—7) sind Fötallinsen mit dem Fötal- glaskörper des Menschen. Sie geben Darstellungen von der Entwick- lungsgeschichte der Corona ciliaris und deren: Verbindungen auf der innern Seite mit der Linsenkapsel. Fig. 4. Die vergrösserte Zeichnung einer menschlichen Fötallinse mit dem Glaskörper aus dem vierten Monate. aaa der Fötalglaskörper, in bba die untere Seite, wo sich der Hyaloidea-Canal befand, der jetzt geschlossen ist, wo jedoch der Glaskörper noch nicht die Wölbung der andern Seiten erlangt hat, bbbb Hyaloidealrand des Glaskörpers; die Verbindungsstelle mit der Linsenkapsel befindet sich an den Stellen in bbbb, die innerhalb liegen. Der Hyaloidealrand fängt an sich zu bil- den, erhebt sich als Rand, und fängt an, seine Einbiegungen zu er- leiden, die man am Rande zwischen bbbb sieht. ce vordere Ansicht der Linse, die tief im Glaskörper liegt. Fig. 5. Diese Figur zeigt einen Fötalglaskörper (aa) aus der Zeit des dritten und vierten Monates etwas vergrössert durch die Lupe dargestellt. In bb sieht man, dass sich auf dem Glaskörper der Hyaloidealrand erhebt, er steht in bb ziemlich hoch und von dem obern Theil der Linse ab; in den nach vorn gelegenen Theilen des Hya- loidealrandes fangen an sich Faltungen zu machen. Es sind die ersten Spuren der Corona ciliaris. Sie verlängern sich später nach. hinten und gehen nach vorn in Spitzen aus, die sich kreisförmig gegen die Linsenkapsel in einen geschlossenen (Fig. le.) Rand legen, und in deren Faltungen sich später die zahnförmigen Spitzen der Ora serrata retinae foetalis fügen, wodurch dann die Corona eiliaris vollendet ist. Die zwischen bb gelegenen primären Faltungen des Hyaloideal- randes bewirken auf der innern Fläche (bb) des Hyaloidealrandes ebenfalls Faltungen, die sich verlängern und die Ursprungsstellen der Fäden sind, die der Gegenstand der vorliegenden Mitthei- lung sind, Fig. 6. Ein fötaler Glaskörper des Menschenauges, an dem sich jede Spur des Hyaloidea-Canals verloren hat, der rund ist, an dem aber die fötale Halsbildung des vordern Theils desselben zu sehen 8 Ludwig Fick: ist. Während dieser Formveränderung des Glaskörpers schreitet die Bildung der Corona ciliaris fort, nach ihrer Bildung verschwindet das collum foetale corpus vitrei. Fig. 7. Ein anderes Präparat der Art. Der Hals des fötalen Glaskörpers ist hier nicht so gross als in Fig. 6, doch immer deut- lich erkennbar. Beide Fig. 6. u. 7. sind vergrössert dargestellt. Zur Mechanik der Blutbewegung in der Milz. Von Lupwie Fick in Marburg. (Hierzu Taf. 1. B.) Die Milzpulpa der Haussäugethiere wird eingeschlossen von einer eontraetilen irritablen Kapsel, deren Binnenraum durch ein vielfältig verästeltes, ebenfalls irritables Balkengerüst, durchzogen und gestützt ist.') Die Milzarterie durchbricht diese Kapsel nicht, sondern stülpt dieselbe von dem Hilus aus nach dem Binnenraume hin, bis zu ihrer Endverzweigung in arterielle Capillaren, der- gestalt ein, dass jeder Arterienast in einer Scheide der ein- gestülpten irritablen Kapsel eingeschlossen liegt. Diese ein- gestülpte irritable Scheide der Arterie ist jedoch um vieles weiter als das Lumen der Arterie, und die Tunica adventitia 1) Die Contraction dieses Balkengerüstes habe ich am frappante- sten gesehen, indem ich einem ausgewachsenen Hammel mit möglichst. raschen grossen Messerzügen die Milz sehr schnell bloslegte. — Es zeigt sich dann die plötzlich der Atmosphäre blosgelegte Milz noch völlig glatt, schrumpft aber durch den Reiz der Luft vor den Augen des Beobachters langsam zu der Form, in welcher sie bei geschlachteten Hammeln bekanntlich nur erscheint. Zur Mechanik der Blutbewegung in der Milz. 9 der Arterie durch lockeres sehr dehnbares Bindegewebe mit derselben nur so locker verwebt, dass die Arterie in dieser Scheide sich mit Leichtigkeit verschiebt. Nach den Capilla- ren hin wird jedoch mit der steigenden Verästelung der Arte- rie dieses Verhältniss immer undeutlicher, bis endlich die der Milzkapsel angehörige Scheide und die arterielle Gefässwand verschmelzen, indem das zwischenliegende lockere Bindege- webe mehr und mehr schwindet, und endlich die Capillaren sich in der Milzpulpa verlieren. Die Vene verhält sich umgekehrt. Die Venenwand der grösseren wie der kleinen Venen liegt in unmittelbarer Be- rührung mit der Milzpulpa, und nur bei den allergrössten Sammelvenen entsteht da, wo sie sich dem Laufe der Arte- rien anschliessen, um endlich die irritable Milzkapsel zu durchbrechen, durch das Auseinanderdrängen der Binnen- trabekeln der Anschein, als bestände hier eine durch unzäh- lige einmündende kleinere Venen unterbrochene unvollkom- mene Venenscheide. Es sind aber auch diese mit einer scheinbaren Scheide versehenen Sammelvenen nirgeuds in der- selben verschiebbar, sondern unmittelbar durch kurzes festes Bindegewebe an das Trabeeulargerüst angewebt. Die beigegebenen Figuren, von denen Figur 1 einen schematisirten Querdurchschnitt durch die Milzgefässe einer Ochsenmilz, die Figur 2 einen eben solchen Längendurch- ‚schnitt darstellt, machen das oben geschilderte Verhältniss vollkommen anschaulich. Der dunklere schwarze Ton a in beiden Figuren bezeich- net das irritable Scheiden- und Trabeculargerüst, in*welchem die Milzpulpa eingeschlossen ist. Der hellere Tuschton b bezeichnet das Bindegewebe, welches die Gefässwände theils locker, theils fest mit dem Balkengerüst und dem Inhalt des Binnenraums verwebt, und respeetive das irritable Milzgerüst tapezirt. Das rothe Gefäss ce bezeichnet die Arterie, das blaue Gefäss d die Vene, P Es ist sehr leicht einzusehen, dass dieser Sachverhalt von Wichtigkeit für den Circulationsmechanismus der Milz ist. Die Contraction des irritablen Capsulotrabecular- Gerüstes 10 Ludwig Fick: der Milz muss auf die Milzpulpa wie auf den Inhalt des Venenlumen in völlig gleicher Weise und zwar unmittelbar entleerend einwirken, wogegen die Arterienlumina der Con- traetion des Milzgerüstes gegenüber sich anders verhalten werden, indem sie sich in ihren weiten Scheiden, vermöge ihrer. sehr lockeren Anheftung, wie die Stempel einer Spritze auf- und niederbewegen können. Es wird ferner aus der vorliegenden Organisation ersichtlich, wie die Arterienpul- sation innerhalb der eingestülpten Scheiden ohne directe me- chanische Effecte auf die Milzpulpa abläuft. Ausgewaschene, aufgeblasene und getrocknete Milzpräpa- rate, an welchen man die vorstehend angegebenen Verhältnisse auf das Schönste anschaulich machen kann, habe ich mir auf folgende Weise bereitet: Man schneidet von der mit grösster Sorgfalt ohne Ver- letzung der Milzgefässe herausgenommenen Milz am unteren Ende ungefähr ein Sechstel des ganzen Organs mit einem einzigen Schnitte ab. Von der hierdurch gebildeten Durch- schnittsfläche der Milz aus wäscht man durch leichtes Reiben in einem grossen Gefäss mit Wasser das Parenchym der Milz aus. Es ist dies durchaus nicht schwierig, erfordert aber grosse Vorsicht und Geduld, da das bei einer Ochsen- oder Pferdemilz äusserst mühselige Geschäft in einer einzigen Ses- sion beendet werden muss, und diese leicht 5—6 Stunden Zeit erfordern kann. Die Schnittfläche der gut ausgewasche- nen Milz wird hierauf in eine Buchbinderpresse eingeklemmt und bis zum luftdichten Verschluss festgeschraubt, und dann von der 'Arterie aus aufgeblasen, während die Venen gut unterbunden sind. Die aufgeblasene Milz wird in starkem Luftzug möglichst rasch getrocknet, was am besten im Winter bei einer Temperatur unter 0° gelingt. Direete Sonnenbeleuch- “tung oder Ofenwärme verderben das Präparat. Das gelun- gene trockene Präparat wird in passender Entfernung von der Buchbinderpresse abgeschnitten, weil der der Einklem- mungsstelle zunächst gelegene Theil natürlich nicht vollstän- dig entfaltet und mithin unbrauchbar ist, und dann in belie- Zur Mechanik der Blutbewegung in der Milz. 11 bige Stücke zerschnitten, wie man sie gerade für passend hält, um die Verhältnisse des Binnenraums anschaulich zu machen. Von einzelnen Schnittflächen kann man sodann be- liebig feine Abschnitte machen, und dieselben wieder im Wasser aufweichen, um an ihnen das wechselseitige Verhalten der Gefässwände und des Milzgerüstes zu studiren. So unendlich einfach dies Verfabren auch ist, so errieth doch keiner der vielen Collegen, welche dergleichen aufge- blasene Milzpräparate bei mir gesehen haben, die Art, wie sie gewonnen wurden, weshalb ich hier die Präparations- methode angegeben habe. Anmerkung der Redaction. Ich nelıme hier die Gelegenheit, auf die unter meiner Leitung an- gestellten Untersuchungen Hlassek’s- über die Milz (Disquis. de structura et textura lienis. Diss. inaug. Dorpati Liv. 1852, 4to; c. tab. I) hinzuweisen, welche im Allgemeinen wenig, und vielleicht auch dem Herrn Verfasser nicht bekannt geworden sind. Ein Referat die- ser Arbeit findet sich im Jahresbericht des Müller’schen Archiv’s vom Jahre 1852 (Müll. Arch. 1853, p. 75). Aus Hlassek’s Unter- suchungen, welche vorzugsweise an der Milz des Rindes und Pferdes angestellt worden sind, geht hervor, dass die gefässhaltigen (den Stamm und die Verästelungen der Art. lienalis, desgleichen die sympathischen Nerven und Lymphgefässe führenden) und die gefässlosen Trabeculae lienis nicht als Einstülpungen der Kapsel der Milz anzusehen sind, sondern die in ein Balkennetz aufgelösete Tunica adventitia der Vena lienalis, ihrer Verästelungen und der Cavernen darstellen. An jeder Milz vom Rinde kann man sich leieht überzeugen, dass die bis zum Hilus der Milz gesondert von der Vene verlaufende Art. lienalis, desgleichen die sympathischen Nerven und Lymphgefässe, beim Eintritt in das Parenchym der Milz, insgesammt in die Tunica adventitia der Vena lienalis eindringen und darin, sowie schliesslich auch in der Tunica intima, sich weiter verzweigen. Man überzeugt sich ferner eben so leicht und sicher, indem man den Venenstamm und dessen nächste Verästelung der Länge nach spaltet, dass die Tunica adventitia der- selben im Parenchym der Milz sich in ein Netz von Balken auf- löset, zwischen welchen zahlreiche Oeffnungen zu den Aesten führen, oder auch die Tunica intima einfach (ohne adventitia) ausgespannt ist. Das stärkste Fascikel dieses Balkennetzes führt, wie in einer Scheide, die in die Tunica adventitia Venae lienalis aufgenommene Arterie mit dem Nerven und mit Lymphgefässen, und eben dasselbe Structurver- 12 Ludwig Fick: Zur Mechanik der Blutbewegung in der Milz. halten wiederholt sich in den Verzweigungen der Vena lienalis bis in die Cavernen hinein. Neben den stärkeren gefäss- und nervenhaltigen Fascikeln finden sich feinere und feinere, welche die Verästelungen der Nerven und Gefässe aufnehmen. Die feinsten Verästelungen schei- nen der Tunica intima anzugehören. Wo aber die Arterien ziehen, da haben sie zur Seite gewöhnlich die Nerven und auch die Lymphgefässe sowie schliesslich die Malpighi’schen Körperchen. Bei Thieren, welche in der Tunica adventitia lienalis schon vor dem Eintritt in den Hilus Muskelfasern enthalten, finden sich dieselben auch in dem Balkennetz vor, und umgekehrt. Hlassek weiset ferner darauf hin, dass die Kapsel der Milz aus zwei Lagen bestehe, aus der äusseren, der eigent- lichen 'Tunica propria, und aus einer inneren, dem Parenchym der Milz zugewendeten, welche überall, wie Injeetionen lehren, auf Ca- vernen der Milzvene stossen und mit den Trabeculae derselben in Ver- bindung stehen. Der Verf. betrachtet daher diesen Theil der Kapsel als zu den Cavernen der Milz gehörig, als einen besonders und fester ausgebildeten Theil aller derjenigen Cavernen, die an der Oberfläche der Milz ausgebreitet liegen. In Betreff der Muskeln verhält sich diese Schicht der Milzkapsel, wie die Trabeculae der Tunica _adventitia Venae lienalis. Anderweitige Bestandtheile, als solche, die sich auf die Nerven, auf die Gefässe und Milzkörperchen sammt deren Inhalt beziehen, sind in der Milz nicht vorzufinden. Die Pulpa lienis wird gegenüber den stärkeren Fascikeln der Tunica adventitia der Vena lienalis und der Cavernen, hauptsächlich durch die feineren Bestandtheile der Wandungen der letzteren, an welchen sich auch die Milzkörper- chen finden, sowie durch das stagnirende Blut vertreten. R. Eduard Pflüger: Experimentalbeitrag zur Theorie etc. 13 Esperimentalbeitrag zur Theorie der Hemmungs- ; nerven. Von Dr. EpuArD PFLÜgER. Nachdem Eduard Weber die merkwürdige Beobachtung gemacht hatte, dass die Erregung der Nervi Vagi die Bewe- gungen des Herzens zu verlangsamen, ja sogar für längere Zeit vollkommen aufzuheben vermöge, erkannte er sofort, dass es sich hier um ein neues Prinzip in der Mechanik der Nervenwirkungen handele. Dieses Prinzip bestand aber be- kanntlich darin, dass durch die Erregung eines Nerven ein in steter Bewegung begriffenes musculöses Organ zur Ruhe gebracht wird, in welchem sich dieser Nerv verbreitet, wäh- rend die Reizung der Muskelnerven sonst gerade den ruhen- den Muskel zur Thätigkeit aufruft. Die grösste Zahl der besten Forscher hat sich Weber angeschlossen, und zwar nicht allein in Bezug auf die Thatsache, sondern auch auf ihre Deutung. Indem ich später die eigenthümliche Bewe- gungsweise des Ilerzmuskels in das Auge fasste, und die eigenthümliche Beziehung dieser zu dem Cerebrospinalsystem, legte ich mir die Frage vor, ob ein'solches Verhalten über- haupt wohl eine tiefere Beziehung zu dem neuen Prinzipe haben möge. Ich suchte und fand so in den Nervi splanch- nici die Hemmungsnerven für die peristaltischen Bewegun- ‚gen der Gedärme, In der Erklärung aber schloss ich mich Weber an. Es ist nun aber gleichwohl in neuester Zeit gegen die Deutung der über die Hemmungsnerven bekannt gewordenen Thatsachen zu Felde gezogen worden. — Ehe 14 Eduard Pflüger: ich zur Widerlegung der vorgebrachten Gründe übergehe, will ich zunächst diejenigen Momente zusammenstellen, welche ausreichen, das von Weber, Ludwig und mir aufgestellte Prineip über allen Zweifel zu erheben. Das erste allgemeine Gesetz, auf welches sich das neue Prineip stützt, ist kein anderes als das der speeifischen Ener- gie der Nerven. Dieses Gesetz sagt aber, dass ein und der- selbe Nerv auf stets gleiche Weise reagirt, wie verschieden die Qualität der Reize sein möge, welche man auf denselben wirken lässt, und dass verschiedene Nerven stets in verschie- dener Weise, jeder nach seiner Art, zur Thätigkeit übergehen, wie gleich auch die Reize sein mögen, welche dieselben er- regen. Wenn wir also einen Nerven auf elektrischem, che- mischem, mechanischem Wege nach der gebräuchlichen Me- thode tetanisiren, und so einen bestimmten Erfolg in dem mit dem Nerven verknüpften Endapparat wahrnehmen, so dürfen wir sicher sein, dass auch während des unversehrten Lebens im Thiere dem gegebenen Nerven die beobachtete Fähigkeit zukomme. Es hat sich nun bei Untersuchung der Reizung der Nn. Vagi und Nn. Splanchniei ergeben, dass die Wirkung aller Reize, solange sie überhaupt vermöge ihrer Quantität noch irgend eine Wirkung hervorbringen, stets und allemal darin besteht, die Bewegungen des Herzens oder Darmes zu verlangsamen, oder ganz aufzuheben, diese Or- gane also zu diastolischer Ruhe zu bestimmen. Hiermit ist der absolut strenge Beweis geführt, dass die Thätigkeit des Hemmungsnerven die umgekehrte von der des motorischen Nerven ist, indem er den Muskel nicht zur Contraction ver- anlasst, sondern den aus anderen Gründen sich eontrahirenden Muskel zur Ruhe bestimmt. ! Das zweite allgemeine Gesetz, auf welches sich die Wirk- lichkeit des neuen Prineips stützt, ist die Thatsache, dass der peripherischen Nervenfaser niemals Automatie zukommt, oder mit anderen Worten, dass eine solche Faser in ewiger Ruhe verharren würde, wenn sie nicht von Aussen her oder überhaupt durch irgend eine nicht primär in ihr entwickelte Kraft zur Thätigkeit bestimmt wird. Wollen wir also über Experimentalbeitrag zur Theorie der Hemmungsnerven. 15 die specifische Natur der Thätigkeit eines Nerven in das Klare kommen, so beobachten wir die Functionsart des Or- ganes, in welchem sich der Nerv verbreitet, und stellen dann plötzlich diejenigen Bedingungen her, durch welchen wir ihn bekanntlich den automatischen Kräften des ihn erregenden Centralorganes entziehen. Dies gegchieht am zweckmässig- sten dadurch, dass wir die Continuität der Nerven an einer Stelle lösen, ihn also durchschneiden. Wenn nun sofort ge- wisse dauernde Aenderungen in den Leistungen des End- organes des Nerven auftreten, so dürfen wir mit Sicherheit behaupten, dass diese Aenderungen durch den Wegfall des Nerveneinflusses erzeugt worden seien. Es hat sich nun nach Durchschneidung der Nn, Vagi herausgestellt, dass sich augen- blicklich die Bewegung des Herzens in ausserordentlicher Weise vermehrt, so zwar, dass die Pulsfrequenz die 2 bis öfache Höhe erreicht. Hieraus müssen wir also schliessen, dass während des Zusammenhangs der Vagi mit den erre- genden Centralorganen dieselben fortwährend die Geschwin- digkeit des Rhythmus beherrschen, d.h. mit wachsender Energie die Bewegung herabsetzen, mit abnehmender also vermehren. Wie also ein gelähmter motorischer Nerv das Organ zu ewiger Ruhe verurtheilt, in dem er sich verbreitet, ein erregter zu fortwährender Thätigkeit, so bestimmt umgekehrt der erregte Hemmungsnery die Ruhe, der gelähmte aber die grösste Thä- tigkeit des Organs. Es handelt sich hier also um einen Nervenantagonismus. Das ist so einfach, so natürlich, dass es unbegreiflich ist, wie ein Physiologe nunmehr noch gegen das Prineip der Hemmungsnerven auch nur einen leisen Zweifel auszuspre- chen vermag. Schiff ist es, dessen Einwände ich nunmehr beleuchten will, weil sie ihn soweit verleitet haben, in seinem Lehrbuche der Physiologie die Lehre von den Hemmungs- nerven in einer vollkommen irrigen Weise zu behandeln. Es sind besonders zwei von ihm ermittelte Thatsachen, welche er zur Begründung angiebt, von denen die eine falsch, die andere aber unrichtig gedeutet ist. Die erste Behauptung ist die, dass nach Schiff nur 16 Eduard Pflüger: ziemlich starke den Hemmungsnerven tetanisirende Ströme das Herz oder die Gedärme zur Ruhe bringen, während schwache Reize, welche andere Nerven nur unbedeutend er- regen, die Bewegungen der genannten Organe vermehren. Ich habe mich der Mühe unterzogen, diese Behauptung auf das Gewissenhafteste sowohl für den Vagus, als für den Splanchnieus zu prüfen und mich auch auf das Vollkom- menste überzeugt, wie dies für den Vagus auch schon von anderen Beobachtern geschehen ist, dass niemals die noch so schwache Reizung eine Spur von Vermehrung der Bewegun- gen zur Folge hat. Ich begann die Untersuchung zunächst am Frosche, bei welchem ich den Versuch entweder von einem oder von beiden Vagi aus anstellte. Die Methode aber war folgende: Zunächst verschob ich die secundäre Rolle des Magnetelektromotors, dessen Schlittenlänge vom Ende der primären Rolle an 78 Cm. betrug, also doppelt so lang war, als die gewöhnlichen Apparate, bis ich, wenn der Nerv eines stromprüfenden Schenkels aufgelegt wurde, keine Spur von Zuckungen mehr erhielt. Hiermit noch nicht zufrieden, entfernte ich dann die secundäre Rolle noch um weitere 30 Cm. Ich gebe nun als Beispiel einige Versuche, von denen die ersten zwei von Einem Vagus aus angestellt sind. Die erste Columne giebt den Abstand der einander zugekehrten Endflächen der primären und secundären Rolle an, die zweite die Zahl der Zusammenziehungen des Herzens in einer Minute, wenn nicht tetanisirt wurde, die dritte dasselbe, wenn durch den Vagus sich die Inductionsströme begaben. Der Nerv war stets mit äusserster Sorgfalt präparirt, und wurden dann den Elektroden mit den bei elektrischer Reizung nothwendigen Cautelen aufgelegt. Nie war der Vagus vor Anstellung des Versuchs mit schwachen Strömen durch stärkere gereizt worden. Experimentalbeitrag zur Theorie der Hemmungsnerven. 17 No. 1. Abstand Zahl der Pulse Zahl der Rollen. || während der Ruhe || der Pulse während in! des Vagus. der Erregung. 108 63 | 62 95 62 62 88 60 60 78 52 53 68 52 52 58 52 48 48 48 46 38 44 44 23 44 42 18 44 40 8 44 36 44 1 No. 2. Rollen- Zahl d. Pulse Zahl abstand. De bei Ruhe des N d. Pulse beim _ Cm. u Vagus “a0 || Tetanisiren. 78 1 56 3 52 2 48 4 52 68 “5 48 7 48 6 52 v 8 48 58 ) 52 11 48 10 52 12 50 48 13 46 15 44 14 44 16 40 38 17 48 19 44 18 4 20 38 28 21 40 22 40 18 23 42 24 36 8 25 42 26 4 0 27 42 28 1 Bei den nun folgenden Versuchen wurde die secundäre Stelle nicht plötzlich um 10 Cm. gegen die primäre verscho- ben, sondern während des Tetanisirens ganz allmälig um 10 Cm. genühert, so dass also alle Werthe der Inductions- Rejcherts u, du Bols-Reymond's Archiv, 1859. 2 18 Eduard Pflüger: ströme durchlaufen werden mussten. Die Zeitdauer der Be- obachtung beträgt in No. 3 nur 15". Beide Vagi liegen nach Weber’s Methode auf den Elektroden. No. 3. Rollen- Zahl d. Pulse Zahl abstand. Versuchs. || Je: Reiznnghl. Versuche: | A en zahl. ag zahl. 4 Er Carllcm Vagi. | Tetanisiren. 98 — 88 1 12 2 10 83 — 78 3 11 4 S) 738 — 68 5 1 6 10 68 — 58 7 11 3 11 58 — 48 9 12 10 1l 48 — 35 11 11 12 -..10. 33 — 23 13 11 14 10 23 — 18 15 10 16 9 13 — 8 17 11 18 6 8— 0 19 11 20 1 Genau wie Versuch No. 3 wurde auch No. 4 angestellt, und ergab folgendes Resultat: j No. 4. Rollen- || Yersuchs- per Versuchs- | Zahl d. Pulse abstafid: er ae ie zahl. b. Tanisiren. Cr Vagi. 78 1 12 2 12 68 3 12 4 11 2 5 11 6 11 R 7 10 8 10 38 9 10 10 10 ze 11 10 12 6, 13 7 3 15 s 16 1) 0) 17 9 18 p! 0 19 9 20 1 ul in Aus, diesen Versuchen am. Frosche erhellt‘ nun 'auf\,das Evidenteste, dass so schwache Inductionsströme, welche einen Froschsehenkel nieht mehr zur Zuckung, bringen, auch, keine Experimentalbeitrag zur Theorie der Hemmungsnerven. 19 oder nur eine äusserst schwache Wirkung auf die Vagi aus- üben; diese Wirkung ist aber eine solche, die um ein Ge- ringes die Pulsfrequenz vermindert, wie man bei Vergleichung der Zahlen bemerkt. Bei allmäliger Steigerung der Strom- stärke gewinnt diese Wirkung an Macht, bis endlich die Hemmung in evidenter Weise hervortritt. Ich wollte nicht unterlassen der Wichtigkeit des Gegen- standes halber dieselbe Frage noch bei Säugethieren zu prü- fen, zu welchem Ende ich den Versuch am Kaninchen an- stellte genau auf dieselbe Weise, wie am Frosche, und die Zahl der Pulse entweder mit Auseultation oder mit Hülfe der Middeldorpf’schen Nadel bestimmte, welche bei jeder Zusammenziehung des Herzens gegen eine Glasglocke an- schlug. Die Resultate, welche ich hier erhielt, unterschieden sich von den beim Frosch erhaltenen gar nicht. Bei Strö- men, welche einen Froschnerven nieht mehr erregten, ver- mochte ich von beiden Vagi aus nur mitunter eine geringe Wirkung auf das Herz zu constatiren. Diese Wirkung be- stand aber in einer Herabsetzung der Pulse, niemals in einer Vermehrung. Ich wandte mich sodann nochmals zur Prüfung des Splanchnicusversuches mit schwächsten Strömen, zu welchem Ende ich stets vorher die secundäre Rolle soweit von der primären entfernte, dass ein frisch präparirter stromprüfender Schenkel keine Spur einer Wirkung mehr anzeigte. Aber es würde der Wahrheit in das Gesicht schlagen heissen, wenn ich zugeben wollte, dass bei diesen Strömen jemals eine Ver- mehrung der Peristaltik eingetreten wäre, Mitunter schien mir bei ursprünglich geringen peristaltischen Bewegungen eine geringe Wirkung vorhanden, weil schwache Bewegungen sofort verschwanden, wenn der tetanisirende Strom in den Nervus Splanchnieus einbrach. Liess ich nun die Stärke der x Ströme noch mehr abnehmen, so waren und blieben diesel- ben wirkungslos; liess ich gie aber anwachsen, so trat immer “deutlicher die hemmende Wirkung hervor. Hat Sehiff den Versuch von beiden Splanchniei aus, eren jedem er ein besonderes EBlektrodenpaar anlegte, 2* 20 Eduard Pflüger: angestellt, und Bewegungen bestimmt entstehen sehen, so würde ein stromprüfender Schenkel, mit seinem Nerven dem an der Cardia herablaufenden Vagus angelegt, durch seinen Tetanus ihm verkündet haben, dass mit dem Augenblicke des Hereinbrechens der Inductionsströme die elektrische Wir- kung sich nieht nur auf die Splanchniei, sondern auch auf die angrenzenden Nerven ausgebreitet habe. Die von Schiff behauptete Erzeugung vermehrter Bewe- gungen durch Reizung“der Hemmungsnerven erweist sich mithin als eine irrige, die aller Wahrscheinlichkeit nach da- ‘durch erzeugt wurde, dass er nicht sorgfältig genug die uni- polaren Wirkungen und Stromschleifen überwachte. Denn wenn dies nicht geschieht, kann man allerdings, wie gesagt, solche Erscheinungen erzeugen, wie sie Schiff angiebt, da Herz und Darm in ihren Bewegungen sich beschleunigen, wenn sie von schwachen Strömen unmittelbar betroffen wer- den. Der von uns für das Prineip der Hemmungsnerven im Beginn aufgestellte Beweis bleibt demnach in Kraft bestehen, wie dies bereits von vornherein auf Grund des zweiten Be- weises nicht anders erwartet werden konnte. Denn wenn wirklich, wie Schiff meint, der Vagus, d. h. seine Rami cardiaci, die motorischen Nerven des Herzens wären, also die Bewegungen während des Lebens anregten, und nur bei be- sonderer Art der Misshandlung mit Induetionsströmen jene so wunderbare mächtige Wirkung erlangten, wie sollte es in aller Welt möglich sein, dass diejenige Wirkung, welche sie während seines Unversehrtseins im Leben hervorbringen, bei seiner Lähmung nur um so mächtiger hervortritt, da die Herz- bewegung nach der Lähmung doch so sehr zugenommen hat. Das heisst doch in der That nichts anders, als dass durch Wegnahme der Ursache die Wirkung nicht allein nicht ver- schwinde, sondern noch zunehme! Das würde meiner Ansicht nach vollständig ausreichen, das Princip der Hemmungsnerven über jeden Zweifel erhaben zu stellen, und es würde nicht nothwendig sein, noch einen Versuch zu besprechen, den Schiff zur Begründung seiner Ansicht vorbringt, wenn der Versuch nicht vielleicht dem der Sache ferner Stehenden doch “ Experimentalbeitrag zur Theorie der Hemmungsnerven. 21 einen Zweifel an der Richtigkeit des neuen Prineipes erregen könnte, weil er die Bedeutung des Versuchs und die irrthüm- liehe Auffassung, die Schiff ihm gegeben, nicht durchschaut, Schiff behauptet nämlich kurz und gut, dass man auch den Ischiadicus zum Hemmungsnerven des Gastroknemius machen könne, wenn man ihm denjenigen Grad von Er- sehöpfung durch heftige Reizungen verleihe, in welchen die Hemmungsnerven wegen ihrer seiner Ansicht nach so äusserst leicht erschöpfbaren Erregbarkeit sofort, wenn man sie reizt, verfallen. Der eigentliche Sinn seiner Meinung wird nun aus dem sofort zu referirenden Versuche klar erhellen. Schiff präparirt also den stromprüfenden Schenkel, und legt dem Plexus sacralis die Elektroden des Inductionsstromes an. An einen peripherischeren Theil des N. ischiadicus unmittel- bar über der Kniekehle applieirt er darauf ein zweites Elektro- denpaar, welches dem Nerven den sehr schwachen Strom einer Kette zuführen soll, in deren Kreis ein Uhrwerk ein- geschaltet ist, welches mit seinem Pendel den Strom abwech- selnd öffnet und schliesst. In Folge dessen zuekt der Muskel regelmässig nach gleichen Intervallen, ahmt also gleichsam die Pulsationen des Herzens nach. Schiff tetanisirt nun den Schenkel von der oberen Strecke aus mit sehr mächtigen Induetionsströmen so lange, „bis die Muskeln des Unter- schenkels und der Finger trotz des fortwährenden Stromes gar nicht mehr zittern und die Gelenke sich ganz passiv in jeden Grad der Beugung bringen lassen“. (S. Schiff, Lehrbuch der Physiologie. 5. 188.) „Aus dem Vorhergehen- den ist es’bekannt, dass wir dann nur momentan den (teta- nisirenden) Strom zu unterbrechen haben, um bei seinem Wiedereintritt eine einmalige schwache Muskelzuckung zu erzeugen, auf die dann, so lange die Tetanisirnng dauert, wieder völlige Ruhe folgt.“ Lässt man nun den Gastrokne- mius pulsiren, indem die an den unteren Theil des Ischiadi- eus angelegte Kette durch das Uhrwerk abwechselnd geöffnet und geschlossen wird, und tetanisirt dann den Plexus sacralis, #0 erfolgt von dem erschöpften Nerven, der sich wieder etwas erholt hat, ein schnell vorübergehender Tetanus, indem die 22 Eduard Pflüger: Inductionsströme bald nicht mehr wirksam sind, und gleich- zeitig hören die Pulsationen des Gastroknemius auf, sind g6&- hemmt“, trotz des regelmässig wiederkehrenden Reizes, so lange die abwechselnden Inductionsströme durch den oberen Theil des Schenkelnerven oder durch seinen Plexus gehen. Hält man jetzt den Hammer (des primären Kreises) ein, so wird der untere Reiz wieder wirksam. Die Pulsationen in den Fuss- muskeln beginnen von Neuem und setzen sich regelmässig fort, bis der freigelassene abwechselnde Strom von Neuem den oberen Theil der Nerven reizt.“ Schiff hat diesen „merkwürdigen“ Versuch oft vorgezeigt, und auch Herr Va- lentin hat sich von seiner Richtigkeit überzeugt. Das ist nun der „Blitzschlag“(!), der das Prineip der Hemmungswirkung vernichten soll (S. Schiff a.a. ©. S. 191), obwohl Schiff dann sofort so unvorsichtig ist, eine Erklärung der Erscheinung zu geben, welche, wenn sie richtig wäre, bereits allein ausreichen würde, zu zeigen, dass dieser Versuch mit den Erscheinungen der Hemmungsnerven nicht das Mindeste zu schaffen hat. Schiff glaubt nämlich, dass in dem Elektrotonus der Schlüssel zur Erklärung seines Ver- suches liege. Warum bedenkt nieht Schiff, dass wir Ner- ven auch so zu reizen vermögen, dass kein Elektrotonus ent- steht, in welchem Falle doch auch die Hemmungsnerven (bei mechanischer oder chemischer Reizung), also ohne Elektro- tonus ihre hemmenden Wirkungen zeigen? In seiner speciellen Erklärung des Versuchs meint Schiff nun, dass bei den abwechselnden Strömen die positive Phase stets die Ober- hand habe, in Widerspruch mit den Untersuchungen du Bois- Reymond’s, welcher bei starken Strömen keinen speeifischen Unterschied der positiven und negativen Phase beobachtete, sondern nur ein Ueberwiegen derjenigen, welche durch den Schliessungsinductionsschlag hervorgebracht war. Zur Er- klärung der durch chemische und mechanische Reizung her- beigeführten Hemmung der Herzbewegung beruft er sich nun auf „Unregelmässigkeiten des Nervenstromes“, welche nach sehr heftigen Misshandlungen der Nerven entstehen (du Bois I. p. 552), nachdem er vorher die Behauptung aufgestellt hat, Experimentalbeitrag zur Theorie der Hemmungsnerven. 23 der Nervenstrom habe mit der Funetion nichts zu schaffen, sondern rühre von den Hüllen des Nerven her. Schiff be- denkt also nicht, dass die Qualität des Reizes für die Qua- lität des Erfolges ganz gleichgültig ist, nicht allein, wenn der Reiz den Nerven in seinen Lebenseigenschaften alterirt, sondern wenn er ihn- sogar zerstört. Ich habe die Erscheinung, welche Schiff beschreibt, nach der von ihm angegebenen Weise untersucht, und dabei Fol- gendes ermittelt: So lange man mit Hülfe des Uhrwerks den Strom öffnet und schliesst, treten fortwährend, wegen der hierdurch bedingten grossen Ableitung, ‚die dem einen In- duetionspol gegeben ist, bei der bedeutend hohen Strom- stärke mächtige unipolare Wirkungen auf, welche die ganzen Nerven vom Plexus sacralis an durchsetzen, wie man nach Durchschneidung des Nerven zwischen beiden Elektroden- paaren bemerken kann, wenn man die Schnittenden wieder zusammenklebt oder durch einen Tropfen Eiweiss, der auf einer Glasplatte sich befindet, leitend verbindet. Ich habe deshalb den stromprüfenden Schenkel auf der Glasplatte des allgemeinen Trägers befestigt, den Nerven auf eine zweite Glas- platte gelegt, und sodann dem Plexus sacralis die Elektroden des Induetionsstromes applieirt. Die Reizung oberhalb der „Kniekehle geschah mit einem Zinkplatinbogen, welcher an einem Glasstab festgekitiet war. Nunmehr erwies sich die dem Pole gegebene Ableitung so gering, dass selbst schr mächtige Ströme keine bemerkbaren unipolaren Wirkungen zeigten. Nachdem ich mich zunächst mit den in der secun- dären Spirale erzeugten Wechselströmen auch jetzt noch von dem Schiff’schen Versuche überzeugt hatte, und von der Unabhängigkeit desselben von der Richtung des Oeffnungs- schlage, zu welchem Ende ich mit Hülfe eines Commutators die Ströme im Nerven umkehren konnte, prüfte ich dann das Verhalten gleichgerichteter Induectionsströme, zu welchem Ende ich den Extrastrom aus der primären Spirale ableitete, und zum Tetanisiren bald in auf- bald in absteigender Rich- tung benutzte. Hier bemerkte ich nun, dass anfangs die ab- steigenden Induetionsströme die „hemmende* Wirkung nicht 24 Eduard Pflüger: oder nur wenig zeigen, während die aufsteigenden sie bereits in vollem Maasse entwickeln. Dies ist in Uebereinstimmung mit meinem allgemeinen Gesetze, dass vor dem Strome stets die Erregbarkeit erhöht, hinter dem Strome vermindert wird. Sehr schnell aber tritt dann auch bei längerem Tetanisiren beim absteigenden Strome die „nemmende* Wirkung auf und hiermit schwindet die Wahrscheinlichkeit in hohem Grade, dass der eigentliche Grund der Erscheinung im elektrotoni- schen Zustand zu suchen sei. Denn seit Jahren mit Unter- suchung des Einflusses des Elektrotonus auf die Veränderun- gen der Erregbarkeit beschäftigt, wo ich viele Monate lang z. B. fort und fort nur den Zustand vor dem absteigenden Strome untersuchte, habe ich gleichwohl niemals auch nur eine Ausnahme wahrgenommen; ich habe niemals die Erreg- barkeit herabgesetzt gefunden. Die Untersuchung geschah freilich an frischen Nerven — aber oft hatte ich noch nach der 200sten Zuckung die Erhöhung deutlich vor Augen. — Ja ich habe sie an Fröschen jeder Art unter den verschie- densten Lebensbedingungen, zu den verschiedensten Jahres- zeiten immer ausnahmslos gefunden, weshalb ich mich nicht ohne bessere Gründe entschliessen kann, hier zu glauben, dass unter Umständen die negative Polarisation mit vermin- derter Erregbarkeit sich verknüpfe. Halten wir uns aber streng vor Augen, dass wenn Schiff’s Versuch im Elektrotonus” der Nerven seinen letzten Grund wirklich dennoch hätte, dann offenbar die Hemmungswirkung der Vagi und Splanch- niei nicht aus derselben Ursache abgeleitet werden dürfte, weil wenigstens für den Vagus auch die mechanische und chemische Reizung denselben Erfolg mit sich bringt, bekann- termassen aber ohne Elektrotonus einhergeht. Am leichtesten liesse sich die Vorstellung, dass die hier beobachteten Erschei- nungen wesentlich vom Elektrotonus herrühren, dadurch wi- derlegen, wenn der Schiff’sche Versuch auch dann noch gelänge, während man mit Heidenhain’s „mechanischem Te- tanomotor“ den Nerven erregte. Ich habe den Versuch ange- stellt, aber wie vorauszusehen war, ohne Erfolg, was also wiederum nicht für Schiff spricht, da mit mechanischer Rei- Experimentalbeitrag zur Theorie der Hemmungsnerven. 25 zung doch das Herz zum Stillstand zu bringen ist. — In der Folge werde ich darlegen, warum die mechanische Reizung die bei elektrischem Tetanus beobachtete Erscheinung nicht zeigt. — Die Erklärung des Schiff’schen Versuches ist mei- ner Ansicht nach folgende: " Wenn man die Inductionsströme und zunächst nur diese durch den Plexus sacralis gehen lässt, bricht zuerst wie na- türlich ein heftiger Tetanus im Muskel aus; nach einiger Zeit bei Fortdauer der Ströme nimmt dieser allmählig an Stärke ab, verschwindet endlich ganz und beginnt, so lange man auch mit dem Tetanisiren fortfahren möge, niemals wieder. Unterbricht man aber die Inductionsströme, wenn eben der Tetanus aufgehört hat, auch nur einen Augenblick, der nicht über eine Secunde sich zu erstrecken braucht, so erscheint, beim Wiederumtetanisiren des Nerven, sofort der Tetanus ziemlich kräftig wieder, verschwindet aber diesmal sehr rasch, obschon man weiter tetanisirt. Dieses lässt sich sehr oft selbst bei äusserst heftigen Strömen wiederholen, die durch den menschlichen Körper geleitet unerträglich sind. Wie ist die Erscheinung nun zu erklären? Offenbar verändert die lange mächtige Reizung das Präparat in eigenthüm- licher Weise, und führt bald eine sehr bedeutende Er- schöpfung herbei, von der es sich aber sehr rasch bis zu einem gewissen Grade wieder erholt. Wie viel bei der Er- schöpfung auf den Muskel, wie viel auf den Nerven komme, ist genauer schwer zu ermitteln. Sicher ist, dass beide er- schöpft werden. Hätte nun Schiff den Reiz, welcher perio- disch den Muskel zu Zusammenziehungen anregen soll, zwischen den Elektroden des Inductionsstromes angebracht, so würde der Erfolg derselbe gewesen und die Deutung seines Versuches ihm dann klar geworden sein. Denn wenn die gewaltigen Induetionsschläge den Nerven so erschöpft haben, dass sie selbst nicht mehr eine Spur von Zuckung hervorzurufen ver- mögen, wie soll man in aller Welt erwarten, dass der so schwache Reiz des Kettenstromes es vermöchte. Gönnt man dann dem Nerven wieder die zur Erholung nothwendige Zeit, 60 wirkt der schwache Reiz auch wieder, bis er abermals un- DD 6 Eduard Pflüger: wirksam gemacht wird, durch die heftigen Schläge, welche sehr rasch die Erregbarkeit wieder deprimiren. Da aber, wie Schiff selbst zugiebt, durch die mächtige Erregung der Nerv auch ausserhalb der Elektroden an Erregbarkeit ab- nimmt, so muss für seinen Versuch dieselbe Deutung Platz greifen. Somit ist die Erscheinung auf die einfachste Art erklärt, und nur eine Behauptung’ Schiff’s noch ist es, die sich dem nicht zu fügen scheint. Um nämlich die Analogie seines Ischiadieus-Hemmungsversuches mit den ächten Hem- mungserscheinungen zu vervollständigen, giebt er an, dass die rhythmischen Zuckungen, welche nach Unterbrechung der tetanisirenden Ströme wieder auftreten, mächtiger sind als die vorhergegangenen und nächstfolgenden. Hier hat Schiff nun offenbar vergessen; dass er einige Seiten vorher behaup- tete, die Erregbarkeit werde durch die Reizung nicht nur local an der vom Strom betroffenen Stelle, sondern auch in dem gesammten Nerven berabgesetzt. Soviel lässt sich näm- lich bestimmt behaupten, dass die Erschöpfung der Nerven sich nicht allein auf die unmittelbar durchflossene, sondern auch auf die vom Strome nicht betroffenen Strecken bezieht. Ich habe mich hiervon folgendermassen überzeugt. Ich präparirte rasch hintereinander 2 stromprüfende Schen- kel von demselben Frosche, und legte beide Nerven zusammen mit dem über der Kniebeuge gelegenen Theil des Ischiadieus über die Elektroden der seceundären Spirale eines Schlitten- elektromotors, welche ich allmälig der primären näherte, bis die in ihr erzeugten Inductionsströme beide Schenkel eben in Tetanus versetzten, deren jeder auf einer Glasplatte des all- gemeinen Trägers befestigt war. Dann legte ich auf ein zwei- tes Elektrodenpaar eines zweiten Magnetelektromotors den Plexus sacralis desjenigen Nerven, der zuerst seinen Mus- kel zu Tetanus veranlasst hatte, und tetanisirte ihn so lange, bis er die mächtigen Inductionsströme ertrug, ohne dass sein Muskel eine Spur von Zuckung zeigte. Unterbricht man nun diese starken tetanisirenden Ströme, und prüft dann mit der ersten Spirale bei unverändertem Abstand derselben von der primären wieder die Nerven an dem unteren Theile, so zeigt Experimentalbeitrag zur Theorie der Hemmungsnerven. 27 es sich, dass jetzt nur derjenige Muskel in Tetanus verfällt, dessen Nerv nicht von den starken Inductionsströmen be- troffen worden ist. Man muss die secundäre Spirale beträcht- lich der primären nähern, bis auch der andere früher reiz- barere Schenkel in Zuekungen verfällt. Aber auch hier ist es sehr interessant zu sehen, wie rasch sich die Erregbarkeit des stark tetanisirten Schenkels wieder hebt. Denn wartet man eine Secunde und tetanisirt mit den schwachen Strömen wiederum, so ziehen sich beide Schenkel wieder kräftig zu- sammen. Lässt man dann wieder durch den einen Ischiadi- eus am Plexus sacralis wie früher ein paar Augenblicke die starken Induetionsströme gehen, welche Anfangs auch wieder “ Tetanus erzeugen, und prüft nach ihrer Unterbreehung die beiden Präparate wieder von Neuem, so reagirt der eben tetanisirte Schenkel schwach oder gar nicht, während der andere sich kräftig zusammenzieht. Nach einigen Seeunden aber ergiebt die Prüfung bei beiden kräftige Wirkung. So kann man den Versuch viele Male wiederholen. 'Derselbe lässt sich nicht wohl anders deuten, als dass die Er- regbarkeit auch ausserhalb der Elektroden durch mächtige elektrische Reizungen bedeutend herabgesetzt wird, wie zwi- schen den Elektroden, sich aber sehr rasch nach aufhören- der Reizung wieder zu heben vermag. Im Muskel kann der Grund nicht gesucht werden, weil dieser ja während des Vetanisirens mit den starken Strömen sehr schnell reaetionslos wird, also in Ruhe verharrt und hinlänglich Zeit hätte, sich zu erholen, da die beobachtete Erholung ja so äusserst rasch eintritt, wenn nur der Nery nicht tetanisirt wird. Wie man sieht, ist der Versuch 80 angestellt, dass der andere Schen- kel jede unipolare Wirkung sofort anzeigt. Ich habe den Versuch noch so eingerichtet, dass ich statt mittels der star- ken Inductionsschläge mit dem mechanischen Tetanomotor erregte. Offenbar aber bleibt die Reizung zu gering und zerstört zu schnell die unmittelbar betroffene Stelle, so dass ich hier nieht mit Bestimmtheit denselben Erfolg wie bei der rein elektrischen Reizung nachweisen konnte. — Aus alledem folgt also doch jedenfalls, dass Schiff’s Behauptung un- 23 Eduard Pflüger: richtig sein muss, welche vorgiebt, dass die Reizung des er- schöpften Nerven, den so eben die gewaltigen Inductions- schläge ruhig liessen, wirksamer sei, als die des nicht erschöpf- ten. Die Pulsationen, welche nach Unterbrechung des In- ductionsstromes wieder beginnen, sind also schwächer als vorher, während die durch die ächten Hemmungsnerven zur Ruhe gebrachten nachher kräftiger erscheinen. Schiff’s Versuch ist also der: dass ein Nerv, welcher aufstarke Inductionsschläge keine Reactionen mehr zeigt, diesauch aufschwache Reize nicht mehr thut; doch können diese wieder wirksam werden, wenn man dem Nerven Zeit lässt zur Erholung. Das ist die Thatsache, die Schiff mit der Vagus- und Splanchnieus- wirkung zu identifieiren wagt! Es giebt aber endlich und schliesslich noch einen Versuch, mit dessen Hülfe Schiff seine Meinung hätte prüfen können. Denn seiner Ansicht nach erregt ein im Herzen periodisch auftretender Reiz die Vagusfasern, welche also darum dann jedesmal eine Systole auslösen, da sie die motorischen Ner- ven des Herzens sind. Werden diese nun durch Reizung erschöpft, so wirkt der periodische Reiz nicht mehr auf sie und folglich steht das Herz still. Es giebt noch eine Me- thode, die Erregbarkeit des Nerven in eminentem Maasse zu deprimiren, durch den constanten Strom. Lässt man nun einen constanten aufsteigenden Strom durch beide Vagi beim Frosche unmittelbar über dem Eintritt in das Herz durch die Vagi fliessen, so müsste ebenfalls das Herz still stehen. Aber mit Nichten! Wie stark auch der Strom sein möge (ich habe eine Säule von 6 Grove’schen Elementen genommen), so ändert sich in der Herzbewegung doch gar nichts. Schiff wird mir bei der so grossen Kürze der Fasern wohl nicht einwenden wollen, dass sich der Elektrotonus nicht merkbar bis in die intramuscularen Zweige des Vagus fortgepflanzt habe. Derselbe Forscher beruft sich endlich noch darauf, dass die Organe, zu welchen Hemmungsnerven gehen, keine Bewegungsnerven haben würden, obschon doch erwiesener- maassen das Sensorium commune die Bewegungen dieser Experimentalbeitrag zur Theorie der Hemmungsnerven. 39 Organe anzuregen vermöge. Dieser Einwand ist offenbar ohne jedes Gewicht. Denn für die Eingeweide existirt ja noch der Vagus, dessen Rami intestinales bekanntlich nach Weber und Ludwig einen motorischen Einfluss auf die peristaltischen Bewegungen haben, wovon auch ich mich neuerdings nach der Ludwig’schen Methode vollkommen überzeugen konnte. Für das Herz aber scheint es keinen motorischen Nerven zu geben, welcher aus dem Cerebrospinalorgan entspringt; das Herz trägt mithin seinen motorischen Central-Apparat in den zahl- losen in seiner Substanz aufgehäuften Ganglienmassen. Da nun der Vagus fortwährend die motorischen Kräfte des Her- zens gleichsam regulirt, so ist es ja ganz klar, warum und wieso das Sensorium commune einen Einfluss auf die Herz- bewegung gewinnt, indem mit abnehmender Thätigkeit des Vagus die Pulsationen zunehmen, mit zunehmender aber ab- nehmen. Willkürlich aber vermögen wir bekanntlich nicht auf das Herz zu wirken — sondern nur gewisse Vorstellun- gen und Affeete haben jenen Einfluss. Ganz Aehnliches dürfte für die peristaltischen Bewegungen mit Wahrschein- liebkeit aufzustellen sein. Dies Alles dürfte nun zu dem Beweise mehr denn genü- gen, dass Schiff’s Ansicht in jeder Beziehung unhaltbar ist. 30 i Eduard Pflüger: Ueber die Bewegungen der Ovarien. Von Dr. EpuArD PFLÜügeEr. Leydig ist meines Wissens der Einzige, welcher bei den Fischen eine sehr entwickelte glatte Musculatur beschreibt, die eine besondere Hülle des Eierstocks bilden soll, Dieser Forscher fand es so bei Esox lucius, Perea fluviatilis und Salmo salvelinus; bei letzterem schien auch das Stroma des Ovarium glatte Muskelzellen zu besitzen. (S. Leydig, Lehr- buch der Histologie des Menschen und der Thiere. 1857. p- 508.) Bemerkenswerth ist, dass Kölliker, der sich so grosse Verdienste durch den bestimmten Nachweis der noth- wendigen Abhängigkeit der organischen Contractilität von der musculösen Faserzelle erworben hat, bereits in seinem grossen Handbuche der Anatomie sagt: „Das Stroma des Eierstocks hat bei Menschen und bei Thieren oft ein Anse- hen, dass man meint, es müssten Muskelfasern in demselben enthalten sein. Durch Behandlung dünner Segmente mit Es- sigsäure wird man in dieser Ansicht bestärkt, dagegen gelingt es nicht durch Salpetersäure von 20 pCt. irgend eine ent- scheidende Ansicht zu erhalten, und muss ich deswegen die- sen Gegenstand als einen noch nicht ganz erledigten bezeich- nen.“ (S. Kölliker, Mikroskopische Anatomie. Bd, II. Zweite Hälfte. p. 432.) Niemand hat aber bis jetzt vor mir Bewegungen der Ovarien wahrgenommen, weshalb ich mir erlaube, die darüber ge- machten Beobachtungen hiermit zu veröffentlichen, Es war in diesem Frühjahr Ende des Juni, als ich bei einem weib- liehen Frosche, welcher geköpft war und mit geöffnetem Ab- domen dalag, wahrzunehmen glaubte, dass die Ovarien in einer Art langsamer peristaltischer Bewegung begriffen seien, Be u a uuc Eduard Pflüger: Ueber die Bewegungen der‘ Oyarien. 81 indem sich sichtbar die einzelnen Drüsenlappen gegeneinan- ‚der verschoben. Bei der leichten Beweglichkeit derselben und den sich bewegenden musculösen Nachbarorganen konnte man im Zweifel sein, ob diese Bewegungen der Ovarien wirk- lieh activer Art waren. Ich habe indessen seitdem den Ver- such oft wiederholt, nachdem ich die Därme und die Oviducte vollkommen exstirpirt hatte. Beobachtet man nun. die Ova- rien längere Zeit, so sieht man, wie sie von Zeit zu Zeit von selbst in Bewegungen gerathen, ganz so wie die Gedärme, um dann wieder eine Zeit lang zu ruhen. Man sieht diese spontanen Bewegungen sogär nach Zerstörung des Rücken- markes noch entstehen und ich kenne keine Methode, sich deutlicher von diesen zu überzeugen. Ist aber das Rücken- mark noch vorhanden, der Frosch aber geköpft worden, so ballt sich oft das ganze Ovarium zusammen, wobei es sich verkürzt und dieker wird und nach dem Mesovarium hin- bewegt, wenn man eine Hinterpfote kneift. — Ich wünschte mich nun noch an dem ausgeschnittenen Ovarium, welches auf eine Glasplatte gelegt wurde, mit Hülfe des elektrischen Reizes von der entstehenden Bewegung zu überzeugen. Merk- würdig ist, dass ich an dem ausgeschnittenen Ovarium nie- mals deutliche Bewegungen mehr spontan entstehen sah, ob- wohl ein Theil des Mesovariums sich noch an demselben befand. Gleichwohl ist es mir oft gelungen durch Tetanisiren mit Hülfe des Induetionsstromes deutliche Bewegungen her- vorzubringen. Diese Bewegungen sind aber nicht so kräftig wie diejenigen, welche man von selbst entstehend beobachtet, während das Ovarium noch in dem Unterleibe befindlich ist. Es versteht sich von selbst, dass man die rubenden Elektro- den erst sicher dem Ovarium anlegt und abwartet, ob durch dieses Anlegen keine’ vielleicht passive Bewegung entstehe; sodann lässt man die starken Schläge des Magnetelektromo- tors, dessen secundäre Rolle ganz aufgeschoben ist, ‚ohne Erschütterung der Elektroden durch das Organ gehen. Auch nach mechanischer Reizung glaube ich Bewegungen bestimmt wahrgenommen zu haben. So bewegen sich auch fast immer die Ovarien, wenn man sie eben vom Mesovarium abgeschnit- 32 Eduard Pflüger: Ueber die Bewegungen der Ovarien. ten hat, und auf eine Glasplatte legt. Doch ist diese Methode freilich nicht zu empfehlen, obwohl man bald die passiven von den activen Bewegungen unterscheiden lernt. Denn jene streben eine Abflachung und Ausbreitung des Organes auf seiner Unterlage hervorzubringen, diese aber eine Erhöhung und Verkleinerung der aufliegenden Flächen. Nach der Be- wegung zu urtheilen, liegen die musculösen Elemente haupt- sächlich am Hilus ovarii. Ob sich diese Bewegungen auch ausser der Begattungszeit (ich habe sie noch Ende Juli wahr- genommen) und im Winter wahrnehmen lassen, darüber feh- len mir noch Erfahrungen. Die physiologische Bedeutung dieser Bewegungen scheint mir aber beim Frosche darin zu bestehen, die von den Drüsenblasen in die Ovarialhöhlen dehiscirenden Eier durch die Ausführungsgänge des Eierstocks hinauszutreiben. Eine ähnliche Bedeutung würde denselben dann auch bei den Säugethieren zugeschrieben werden dür- fen, wo also der Graaf’sche Follikel einfach zur gegebenen Zeit durch die Contraction des Organes gesprengt würde. Die Bemühungen, welche ich bisher auf diesen Punkt ver- wandt habe, sind leider nicht von so entschiedenen Resul- taten gefolgt gewesen, dass ich mit Sicherheit die Contraeti- lität der Ovarien der Säugethiere zu behaupten wagte. Wenn ich nämlich ein soeben exstirpirtes Ovarium eines Kaninchens so zwischen die beiden Bleche der stromzuführenden Vor- richtung legte, dass an einer Stelle der Blechrand die Ober- fläche nur eben tangirte, so bemerkte ich allerdings, dass etwas mit dem Organe vorging, wenn die Inductionsströme hereinbrachen. Es entfernte sich nämlich die berührende Stelle des Ovariums nur sehr wenig von dem Bleche. Die lange Axe des ellipsoidischen Organes bildete die Verbin- dungslinie zwischen beiden Blechen. Da aber die Verschie- bung so klein ist, so wäre es immer noch denkbar, dass sie vielleicht durch irgend einen anderen Umstand bedingt würde, als durch denjenigen, den wir hier im Auge haben. Möglich, dass es später einmal bei einem anderen Thiere mit weniger derbem Ovariumstroma gelingt, die Contraction deutlicher zu zeigen. Leydig: Zur Anatomie der Insecten. 33 Zur Anatomie der Insecten. Von Dr. LeypıG in Tübingen. Hierzu Taf. 2, 3 u. 4. Die Entomologie gehört zu jenen Abtheilungen der Natur- geschichte, welche verhältnissmässig einer sehr grossen Pflege sich zu erfreuen haben, auch ist der innere Bau der Insec- ten, insaweit er sich mit freiem Auge und geringer Ver- grösserung verfolgen lässt, aus den meisten Familien bis in viele Einzelheiten bekannt geworden. Vielleicht nicht ganz dasselbe lässt sich von der eigentlichen mikroskopischen Ana- tomie dieser Klasse sagen, es liegt vielmehr am Tage, dass die anderen Gruppen der wirbellosen Thiere, wie Protozoen, Strahlthiere, Weichthiere im letzten Jahrzehend mit Rücksicht auf den feineren Bau weit häufiger untersucht wurden, und deshalb ein viel reicheres Material sich darüber angesammelt hat, als solches im Hinblick auf die Insecten (und die Ar- thropoden überhaupt) zu rühmen wäre. Doch mag eine solche Vernachlässigung (wenn man hierfür diesen Ausdruck ge- brauchen darf) mit der Zeit wohl in das Gegentheil umschla- gen, sobald man sich allgemeiner davon überzeugt haben wird, wie viel Interessantes sich auch bier dem Beobachter darbietet. Die Inseceten verdienen unsere Aufmerksamkeit nicht nur durch Entfaltung von bedeutender Intelligenz und von mannigfaltigen Kunsttrieben, sowie sie in ihrer Eigen- schaft als „grosse Zerstörer und Werkmeister* uns zwingen, von ihnen Kenntniss zu nehmen; auch ihr Bau bis in die Reichert» u. du Dol#-Ieymond's Archiv. 1859, 3 34 Leydig: letzten Organisationen hinein wiederholt das zierliche und doch knappe Wesen, welches diese Geschöpfe vor vielen anderen auszeichnet. Physiologische Werke, ich erinnere an die trefflichen Icones physiologicae von R. Wagner haben z. B. zwar ganze Reihen von Drüsen der Insecten zusam- mengestellt, da sich an denselben am leichtesten veranschau- lichen liess, wie aus einem einfachen hohlen Faden oder blin- den Beutel durch mannigfaltige Combinationen zusammen- gesetzte Drüsen entstehen. Auch jetzt noch können die Drüsen der Insecten als solche bezeichnet werden, welche vom histologischen Gesichtspunkt aus die Art und Weise wie Absonderungen zu Stande kommen, am klarsten darlegen, und die nachstehenden Mittheilungen, denen ich bald einen zweiten Beitrag folgen lassen werde, mögen unter Anderem vielleicht als Beispiel zu dem eben Gesagten dienen. — Ich will zuerst einfach das Thatsächliche vorführen; einige all- gemeine Anknüpfungspunkte werden sich am Schlusse von selbst finden. l. Ueber die Hautdrüsen der Käfer. Unter den Zergliederern der Insecten ist Stein!) der erste gewesen, welcher die Hautdrüsen der Käfer gekannt hat. Er sagt, man sehe an der Verbindungshaut zwischen ‘den Rückensegmenten bei Melolontha vulgaris und Geotrupes ster- corarius unter der structurlosen, durchscheinenden, auf der äusseren Seite mit Hornzähnchen besetzten Haut, grosse ku- gelförmige Zellen liegen, welche mit der eingerollten Spitze feiner Canälchen in Verbindung stehen, welche dann nach oben aufsteigen und durch die Oberhaut hindurch einzeln nach aussen münden. Ich habe eine Anzahl von Käfern auf ihre Hautdrüsen untersucht und wünsche die Stein’schen Angaben in etwas zu erweitern. Bei Molytes coronatus hatte ich ‚die Drüsen aus den Tar- 1) Vergleichende Anatomie und Physiologie der Insecten. Berlin 1847. 8. 84. Zur Anatomie der: Insecten. 35 susgliedern vor mir. Jede Drüse besteht aus einer einzigen, ziemlich grossen Zelle von rundlicher Gestalt und dem feinen chitinisirten Ausführungsgang. Letzterer beginnt in der Zelle mit einer stark gekrümmten Verdickung und, nach- dem er noch innerhalb der Zelle sich ein oder zweimal ge- wunden hat, verlässt er dieselbe, um zur Cuticula der äusse- ren Haut zu treten. Liophloeus nubilus verhält sich bezüglich der Drüsen am Tarsus wie der vorhergehende Rüsselkäfer. Aus der Gruppe der Bockkäfer besah ich mir von Lamia teztor die fraglichen Organe vom Tarsus und den Antennen. Hier liegen die einzelligen Drüsen in Menge beisammen, schei- nen mir aber mit einander zum Theil verwachsen, ähnlich wie öfters am Fettkörper die Zellen verschmelzen, Die Ab- bildung (Fig. 5) ist genau nach der Natur gefertigt und zeigt ' zwar am Hinterrand eine gewisse Selbständigkeit der Zellen, aber seitlich sind sie entschieden zusammengewachsen. Je- dem Zellenbezirk gehört ein Kern an; der Inhalt der Drü- senzelle ist dunkelkörniger als bei vielen anderen Käfern, und am Ausführungsgang bemerkt man den noch innerhalb der Zelle liegenden dickeren und hakenförmig gekrümmten Theil, von dessen hinterem Ende sich eine kleine punktgrosse Por- tion abgeschieden hat. Um den noch dem Inneren der Zelle angehörenden Abschnitt des Ausführungsganges zieht sich in gleichmässiger Entfernung, rings herum, eine blassere Um- hüllung oder Scheide. Der ausserhalb der Zelle liegende Faden wickelt sich mehrmals durcheinander, bevor er mit mehr gestrecktem Lauf die Cuticula durchbohrt. Von den Chrysomelinen waren Coceinella und Timarcha recht beachtenswerth. Bei Coceinella septempunctata sind die Hautdrüsen z. B. aus der Gegend des Kniegelenkes von der- selben Art, wie ich sie vorhin von‘ zwei Rüsselkäfern be- schrieben habe: es entsteht aus dem Inneren einer Zelle der ehitinisirte Faden des Ausführungsganges mit einer eylindri- schen Verdickung; der Inhalt der Drüsenzelle ist von klarer Beschaffenheit. Nun sondert bekanntlich dieser Käfer bei Berührung einen gelben Saft aus den Kniegelenken ab, den g* 36 Leydig: man bisher allgemein aus „Drüsenbälgen“ hervorkommen liess. Ich kann dem gegenüber mit aller Bestimmtheit be- haupten, dass fraglicher in Tropfen vorquellende Saft nicht Secret einer Drüse, sondern dass es die unveränderte Blut- flüssigkeit des Thieres ist, welche hier zu Tage tritt. Wem hierüber Bedenken aufsteigen, der fange ohne alle Beimi- schung die gelben Tropfen zur Untersuchung auf, und falls ihm das Inseetenblut aus Erfahrung bekannt ist, so wird er bei dem ersten Blick in das Mikroskop das intensiv gelbe Plasma und die farblosen Blutkügelehen von rundlicher, spin- delförmiger oder strahliger Gestalt unterscheiden. Man stelle darauf den Gegenversuch an, schneide eine Antenne durch, und fange den austretenden, gleichfalls gelben Tropfen, des- sen Blutnatur keinem Zweifel unterliegt, auf, und die ver- gleichende Untersuchung weist die Identität der beiden Flüs- sigkeiten nach. Noch mag bemerkt sein, dass sich unter der Haut der Kniegelenke keine anderen drüsigen Bildungen vorfinden, als die erwähnten gewöhnlichen Hautdrüsen. Dasselbe merkwürdige Verhalten zeigt die Gattung Ti- marcha, von der ich 7‘. coriaria geprüft habe. Auch hier rührt der röthliche Saft, welcher bei Berührung des Thieres aus den Gelenken der Beine hervorquillt, keinesweges von Drü- sen her, sondern es ist die Blutflüssigkeit, welche direct nach aussen tropft. Der Beweis wird auch hier geführt so- wohl durch die mikroskopische Untersuchung des ohne alle Beimischung auf das Glas aufgefangenen Tropfens, wobei wir dessen Zusammensetzung aus einem intensiv gefärbten Fluidum und farblosen Blutkügelehen sehen, als auch da- durch, dass dieselbe Flüssigkeit abfliesst, sobald man Körper- anhänge durchschneidet, an den Antennen so gut wie an den Beinen. Besondere Drüsenapparate ausser den Hautdrü- sen mangeln wie bei Coceinella. Bezüglich der Hautdrüsen ist zu erwähnen, dass hier, ich sah dies z. B. aus der Haut der Beine, meist zwei Zellen zu einem Ganzen verbunden sind, wobei dann jedoch aus dem gemeinschaftlichen Beutel- chen zwei Fäden als Ausführungsgänge herausführten, deren unteres Ende wieder verdickt, und von einer zartwandigen Zur Anatomie der Insecten. 37 Hülle umgeben ist. Auch bemerkt man deutlich, dass die beiden Gänge auf ihrem Wege zur Cuticula noch eine ziem- liche Strecke weit von der stielförmig ausgezogenen Zellen- membran begleitet werden. Dasselbe, was soeben von dem aus den Gelenken der Beine vorquellenden Saft der Gattung Coccinella und | Ti- marcha gesagt wurde, gilt in gleichem Grade vom Maiwurm (Meloe), der wegen seines umfänglicheren Körpers am aller- besten sich zur Untersuchung eignet. Ich hatte den gemei- nen Maiwurm (Meloe proscarabaeus) vor mir. Hier vermag man ohne alle Mühe einen Tropfen des hervorfliessenden Saftes auf das Glas zu bekommen, der sofort und ohne Deckglas mikroskopirt aus einer intensiv gelben Flüssigkeit und zahlreichen farblosen Zellen von rundlicher, spindelför- miger, auch ausgezackter Gestalt besteht. Nachdem der Tropfen einige Minuten auf dem Glase gelegen, scheidet sich ein fein granuläres Gerinnsel aus der Flüssigkeit aus, welches (Faserstoff-) Gerinnsel schon für das freie Auge leicht dadurch dargestellt werden kann, dass man jetzt ein Deckplättchen dem Tropfen auflegt. Das graue Gerinnsel sticht mit scharfem Rande von dem gelben Fluidum ab. Dass man es mit ech- tem Blute zu thun habe, wird durch alle diese Eigenschaften schon fast zur Gewissheit. Man mache nun abermals den Gegenversuch und schneide die Spitze einer Antenne ab: im Augenblicke quillt die gleiche gelbe Flüssigkeit aus der Wunde, wie sie aus den Gelenken bei blosser Berührung tritt, und auf dieselbe Weise untersucht, wie es mit der Ge- lenkflüssigkeit geschehen ist, verhält sie sich auch durchaus wie das letztere vermeintliche Drüsensecret; sie besteht aus dem intensiv gelben Fluidum und den farblosen Zellen, und auch der Gerinnungsprocess verläuft in keiner anderen Weise, Die Oeffnung am Kniegelenke, durch welche die Blut- flüssigkeit nach aussen kommt, mit dem Mikroskop zu schen, ist mir nicht gelungen, die Untersuchung stösst hier auf eigenthümliche Schwierigkeiten. Doch kann ich mit Bezug auf die weitere Struktur .des Kniegelenkes anführen, dass ausser den einzelligen Hautdrüsen nichts von einem abson- 38 Leydig: dernden Apparat zugegen ist, der Raum wird von Muskeln und Tracheen eingenommen, wobei sich die Muskeln zum Theil an lange innere Chitinstäbe (oder Sehnen) festsetzen; der Tracheenstamm ist dick, und es gehen zahlreiche Aeste von ihm ab. Die Hautdrüsen, welche ich mir noch bei dem genannten Käfer vom Tarsus, von der Schaale des Kopfes, sowie aus den Flügeldecken, wo sie zugleich mit den Träacheen sich finden, zur Ansicht brachte, sind deutlich einzellig, der ver- diekte Anfangstheil des Ausführungsganges noch innerhalb der Drüsenblase erscheint mehrmals gekrümmt. Einfacher noch als die Hautdrüsen der vorangegangenen Käfer sind die, welche ich aus den Hautlappen des Tarsus von Telephorus dispar in Menge sehe. Sie haben die Gestalt einzelliger birnförmiger Beutelchen mit rundlichem Nucleus und der Stiel der Zelle ist der Ausführungsgang: es fehlt der eigenthümliche geschlängelte Chitinfaden (Fig. 37e). Ob derselbe nicht in Drüsen anderer Stellen der äusseren Haut zugegen ist, habe ich mir leider nieht aufgezeichnet. Bei Carabus auratus ist zwar abermals der Chitinfaden des Ausführungsganges vorhanden und sein blindes Ende zeigt sich eylindrisch verdiekt, auch besitzt letzteres wieder eine zarte, abstehende Hülle, aber diese Drüsen (ich besah 'sie vom Tarsus und Unterschenkel) weichen dadurch von denen der bezeichneten Käfer ab, dass die Drüsenzelle hier sehr schmal ist, eines körnigen Inhaltes entbehrt und die ganze Drüse ein langes, schmächtiges Aussehen hat. Auch der Nucleus ist kleiner als bei den anderen Formen. Von ähnlicher Art sind die Hautdrüsen an den Schienen des Bauches von Brachinus erepitans, wo sich ferner bemer- ken lässt, dass die feinen Porencanäle des Hautpanzers aus- schliesslich die Mündungen der genannten Drüsen sind, wäh- rend die grossen Porencanäle mit darüberstehenden Haaren zusammenhängen. Aus der Gruppe der Wasserkäfer stand mir Dylicus mar- ginalis,; Acilius sulcatus und Hydrophilus caraboides zu Gebote. Bei Dytieus marginalis überzeugte ich mich, dass die Drüsen Zur Anatomie der Insecten. 39 über die ganze Haut weg vorkommen; ich lernte sie kennen von den Palpen, dem Kopf und Thorax, den Füssen, von den Flügeldecken, selbst an der von den Flügeln bedeckten Rückenpartie fehlen sie nicht, obschon sie hier eine geringere Ausbildung zeigen. Weiss man noch nichts von der Anwe- senheit der Drüsen, so fällt bei der Untersuchung der Haut zunächst auf, dass man unterhalb der Cuticularschicht einer Menge von feinen, gewundenen Fäden ansichtig wird, welche man anfänglich für Ausläufer von Tracheen halten möchte. Der Drüsenkörper, d.h. die Drüsenzelle ermangelt hier nicht selten einer scharfbegrenzenden Contur nach aussen (vergl. Fig. 1), so dass die Zellen zu einer granulären Masse zusam- menschmelzen, aus der die Kerne und besonders lebhaft die Anfänge der ausführenden Chitinfäden hervorstechen, Was letztere betrifft, so sind sie an ihrem Beginn innerhalb. der Zelle hier mehr verdickt als bei allen anderen aufgezählten Coleopteren, und die Verdickung scheidet sich in einen cen- tralen Cylinder und in eine davon ziemlich weit abstehende Umhüllung. Aber es tritt noch eine andere Bildung hervor; indem zwischen dem inneren Cylinder und der Scheide zarte Strichelchen verlaufen, die ich für feine Canäle halte, welche zunächst aus dem Zellenraum das Secret in den centralen Cylinder, von dem ich annehmen muss, dass er einem er- weiterten Lumen des Ausführungsganges entspricht, leiten. Der helle, von den Strichelehen durchsetzte Abschnitt ist wohl eine dicke Membran des beginnenden Ausführungsganges. An manchen Körperstellen waren die Drüsenzellen durchaus selbständig, grenzten sich durch eine Membran ab, und der Kern lag seitwärts; öfter begegnete ich auch Drüsen, bei denen das Lumen des Ausführungsganges mit kleinen, fetttropfen- ähnlichen Körpern mehr oder weniger angefüllt war, wie es auf Fig. 1 links dargestellt ist.') 1) Ueber die grossen den Schalenpanzer durchsetzenden Canäle möchte ich anmerken, dass sie mit breiter Basis beginnen und sich nach oben verschmälern. Ihr Rand ist wellig und sie geben in unre- gelmässiger Weise blind geendigte Seitenäste ab- Die Matrix der Schale erhebt sich papillenartig in diese geräumigen Oanäle und was 40 Leydig; Acilius sulcatus verhält sich im Wesentlichen wie Dyticus marginalis, nur sind die Einzelheiten in der Drüsenbildung etwas zarter als bei letzterem. So sind die Streifen im An- fange des Ausführungsganges, welche man auf Porencanäle beziehen könnte, sehr fein, auch die Zellenmembran erscheint ausnehmend dünn und leicht verletzlich. Doch zeigen die Drüsen hier, z. B. am Ende des Vorderfusses vom Männchen eine entschiedene Selbständigkeit, während gerade an diesem Orte bei Dyticus marginalis durchweg jene die Einzelzelle abgrenzende Membran zu fehlen schien. Bei Hydrophilus caraboides, wo ich die Hautdrüsen mir von den Flügeldecken, Antennen, Beinen ete. besah, sind sie kleiner als bei den zwei anderen genannten Wasserkäfern; der Chitingang ist blässer und zarter, aber sein erweiterter Anfang, wenigstens was den centralen Cylinder (das Lumen) betrifft, viel dunkler eonturirt., Der Inhalt der Zelle ist blasskörnig. (Fig. 2.) Dass besagte Drüsen auch der Haut der Lamellicornier zukommen, geht aus der oben angezogenen Angabe Stein’s hervor, der ja dieselben gerade an Melolontha und Geotrupes entdeckt hat. Ich kenne sie ebenfalls vom Maikäfer aus den Tarsusgliedern und den Antennen. Der blinde Anfang des Chitinfadens ist mehr in die Länge gestreckt, als solches bei den Wasserkäfern der Fall ist, aber die nach aussen um diesen blinden Anfang herumgehende Contur erscheint näher gerückt; mit anderen Worten, die Wurzel des Ausführungs- ganges ist dünnwandiger, daher auch von Streifen zwischen der inneren dunkeln und der äusseren zarten Linie nichts vor- handen sich zeigt. 2. Ueber die Drüsen der Cloake und Scheide bei Käfern. Auch die erste Kenntniss dieser Drüsen verdanken wir sehr häufig beobachtet wird; die Tracheenäste bilden gerade unterhalb der weiten Schalen-Canäle und eine Strecke weit in sie hinein Ver- knäuelungen. Die feinen Porencanäle des Hautpanzers sind die Fort- setzungen der Gänge der Hautdrüsen. Zur Anatomie der Insecten. 41 Stein, der sie von mehreren Arten beschrieben hat, Ich erlaube mir darüber nach eigenen Untersuchungen folgendes zu berichten. Bei Timarcha coriaria sind die unterhalb der Chitinhaut liegenden Drüsen von derselben Form, wie die Drüsen der äusseren Haut. Meist nämlich sieht man zwei Zellen zu einem Drüsenbeutelchen verwachsen (Fig. 7), in welchem dann auch zwei Kerne liegen, sowie zwei verdickte Wurzeln von chiti- nisirten und gewundenen Ausführungsgängen. Doch findet man auch, wenngleich spärlicher, entschieden einzellige Formen. Zu noch grösseren Einheiten sind bei Telephorus dispar die einzelligen Drüsen verwachsen, indem drei bis acht und vielleicht noch mehr Zellen zur Bildung eines Drüsenfollikels zusammentreten. Die ganze Drüsenlage, wie, sie unter der Intima der bezeichneten Körpertheile hinzieht, erscheint sehr entwickelt. In Silpha obscura, deren Scheide wie bei vielen Käfern eine schuppig-haarige Sculptur hat, bilden die Scheidendrüsen ebenfalls dichte Massen. Poecilus cupreus zeigt mir wieder an den Cloakendrüsen die echt einzellige Form; der Anfang des Ausführungsganges innerhalb der Zelle hat die Gestalt eines cylindrischen Kör- pers, der feine Canal macht noch bevor er die Zelle verlässt mehrfache in einander geschlungene Windungen. Ebenso sind die Scheidendrüsen bei Carabus auratus echt einzellig (Fig. 4) und zeichnen sich wieder, ganz in ähnlicher Weise, wie die Drüsen der äusseren Haut, dadurch aus, dass die Zelle schmal und langgestreckt ist. Stein hat bereits von Carabus granulatus diese Scheidendrüsen gut abgebildet (a. a. 0. Taf. IX, Fig. Xu. XI.), nur hat er die um die Wurzel des Ausführungsganges herumziehende helle Zone nicht bemerkt, Echt einzellig sind auch die Cloakendrüsen des Brachinus erepitans und haben das Eigenthümliche, dass das Chitin- Canälehen in jeder Zelle mit einem vierlappigen Knötchen beginnt. Bei Chlaenius nigricornis stellen die Cloakendrüsen beson- 42 Leydig: ders lange Beutelchen dar. Der Anfang des Chitin-Canäl- chens ist einfach eylindrisch mit gekrümmtem' Ende. Was mir aber hier neu war, ist, dass zugleich mit dem blassgra- nulären Contentum die Zelle auch rostbraune Inhaltskörnchen hatte, welche Beimischung mir bis jetzt nicht weiter vorkam. : Die Drüsen der Scheide von Dyticus marginalis (Fig. 3) bieten eine diekere Wurzel des ausführenden Canals dar in ähnlicher Weise, wie solches oben von den Drüsen der äusseren Haut angezeigt wurde. Auch ist hier eine feine Querstrichelung in der Wurzel deutlicher zu seben, als sonst bei den untersuchten Käfern. Die Drüsen sind, insoweit ich sie zur Anschauung vor mir hatte, alle einzellig, die Mem- bran der Zelle begleitet deutlich den sich herausschlängeln- den Chitin-Canal noch auf eine weite Strecke, bis sie mit ihm zu verschmelzen scheint. Das Ende des Ausführungs-Canals in der Cuticula der Scheide bleibt nach Einwirkung von Kalilauge scharf conturirt, während der übrige Theil des Canals blasser wird. Noch habe ich die einzelligen Drüsen aus der Scheide von Clerus formicarius, Melolontha vulgaris (Fig. 6), sowie aus der Cloake von Aphodius fossor, Cyaniris cyanea und Acilius sulcatus zur Ansicht gehabt," ohne dass ich wüsste etwas neues daran hervorzuheben. Die im Obigen abgehandelten secernirenden Organe der äusseren Haut, der Cloake und Scheide möchten vielleicht nicht für jeden der nachfolgenden Beobachter, besonders wenn sie zum erstenmal gesucht werden, sich sofort zeigen, wes- halb es wohl nicht umpassend sein dürfte, mit einigen Wor- ten der Präparationsweise zu gedenken. Man 'zerschneide ein Hautstück mit scharfen Messern so, dass dünne. Seg- mente, an denen Cutieula und Matrix noch untereinander zusammenhängen, gewonnen werden. Bei der mikrosko- pischen Untersuchung wird man der Ausführungs-Canäle vor Allem gewahr, darauf des Wurzelendes derselben und endlich der blassen Zellen. Ist man mit dem Gegenstand bis zu diesem Grade bekannt geworden, so kann man an der einfach abgeschnittenen und nicht weiter zerstückelten Haut Zur Anatomie der Insecten. 43 vieler Stellen die Drüsen erkennen; für mich war dies z. B. der Fall an den fadigen Antennen, namentlich den Gelenk- portionen, von Acilius suleatus, ebenso sah ich die Drüsen gut in situ an den abgeschnittenen Palpen des Aydrophilus caraboides. 3. Ueber die After- und Giftdrüsen. Zahlreiche Insecten besitzen bekanntlich im Hinterleibe eigenthümliche, neben dem After ausmündende Drüsenappa- rate, welche Seerete von meist scharfer, ätzender oder gifti- ger Beschaffenheit ausstossen. Dieselben wurden bereits durch Dufour!) von vielen Inseeten mit Sorgfalt und soweit be- schrieben, als man mit freiem Auge und geringerer Ver- grösserung solchen zarten Organen beikommen kann. Eigent- liche histologische Studien aber haben bis jetzt nur Hein- rieh Meckel an den Afterdrüsen der Käfer und dem Gift- apparat der Hymenopterenweibchen, sowie Karsten an dem Brachinus complanatus angestellt. Indessen verdienen, wie mich meine Nachforschungen belehrt haben, diese Apparate wegen ganz besonderer Structurverhältnisse unsere Aufmerk- samkeit in einem ungleich höheren Maasse, als dies bisher im Allgemeinen geschehen ist. Ich will in meinen Mitthei- lungen mit dem Dyticus marginalis beginnen, da dieser Käfer es ist, der zuerst durch H. Meckel auf den feineren Bau der betreffenden Drüsen untersucht wurde. Es besteht der Apparat der Afterdrüse, wie bereits Dufour nach dem verwandten Cybister Roeselii richtig be- schreibt: 1) aus dem Drüsencanal; er ist lang, fadenförmig, gelblich von Farbe, vielfach gewunden, mit einzelnen Seiten- ästen; 2) aus dem Seeretbehälter, einer ovalen, diekwandigen Blase, in deren Halstheil der Drüsencanal mündet; endlich 3) aus dem Ausführungsgang d. h. der canalförmigen Ver- längerung des Secretbehälters nach aussen. Der feinere Bau I) Annales d, science. natur. 1826 und in den Recherches anat. et physiol. sur les Orthopteres ete. 1833 u. 1841. 2) Müller's Archiv f. Anat, u. Phys. 1846 8. 47. 3) Ebendas. Jahrg. 1848. 44 Leydig: verhält sich nach H. Meckel wie folgt: „Der secernirende Follikel hat eine feine Tunica propria, welche mehrere Schich- ten von Zellen umschliesst, und durch die Axe des Follikels läuft ein enger, von der Tunica intima umschlossener Canal, so dass der Raum zwischen Tunica propria und intima von Zellen ganz erfüllt ist. Beide Häute sind glatt und durch die einzelnen Zellen nicht aufgetrieben. Die innere Haut ist ziemlich fest und faltet sich leicht.* Mir zeigt der Drüsen- canal noch andere wichtige, von genanntem Forscher über- sehene Dinge. (Vergl. Fig. 9.) Von der stark runzlig-faltigen Intima (Fig. 9c) weg gehen nämlich zahlreiche feine Canäl- chen (d) zu den Zellen; sie, schlängeln sich vielfach, erzeu- gen auch dadurch sehr allgemein Oesen, welche als dunkle Ringe auffallen. Das Ende eines solehen Drüsencanälchens innerhalb einer Secretzelle gestaltet sich sehr eigenartig. Es besteht aus einem zwei- oder meist dreigelappten Körper, wel- cher heller aussieht, als das chitinisirte Canälehen, ‘Von.die- sem Verhalten überzeugt man sich zunächst durch Aufhellung mit Kalilauge, später aber auch erblickt man schon an dem ganz frischen Drüsencanal innerhalb der grossen Secretzellen das kleeblattartige Ende oder, wohl eigentlich richtiger gesagt, Anfang des Ausführungsganges. Die Tunica propria (Fig. 9a) sondert sich in eine innere, die Zellen begrenzende und eine äussere, hellere, die zahlreichen Tracheen tragende Schicht. Der Secretbehälter hat einen dichten, quergestreiften Mus- kelbeleg, und die Intima ist wie im Drüsencanal sehr zusam- mengefaltet. Das Secret selbst hat eine ölige Beschaffenheit und wird nicht „durch Diffusion“ aus den Zellen ausgeschie- den, sondern findet durch die beschriebenen Canälchen seinen Weg zur Lichtung der Drüse, Etwas verschieden von Dyticus marginalis verhält sich ein anderer Wasserkäfer, Acilius sulcatus. (Vgl. Fig. 8.) Auch hier ist der Drüsencanal zwar vielfach durcheinander ge- schlungen, aber durchaus einfach, ohne Ausbuchtungen oder Aeste. Im frischen Zustande und bei Vermeidung von Druck untersucht, schimmert aus dem Canal die Intima als schwach Zur Anatomie der Insecten. 45 dunkler Streifen durch die Zellenmasse. In letzterer sieht man die Zellenumrisse nicht recht deutlich, sondern hat viel- mehr eine gelblich körnige Substanz vor sich, aus der kern- ähnliche helle Flecke heraussehen. In der äusseren Zone der Tunica propria verzweigt sich wieder ein dichtes Tra- cheennetz. Nach Anwendung von Kalilauge ergiebt sich dann ' abermals, dass von der gefältelten, homogenen und chitini- sirten Innenhaut feine geschlängelte Canälchen in der Zellen- masse verlaufen, und das Ende eines solchen Canälchens (e) zeigt von Neuem eine typische Form, verschieden von der bei Dyticus marginalis. Das Ende stellt nämlich einen leicht gebogenen Cylinder dar und dieser ist umgeben von einer entsprechend gestalteten lichten Randzone, welcher dem drei- gelappten Körper bei Dyticus gleichwerthig ist, ausserdem bemerkt man noch gerade an der Uebergangsstelle des Ca- nälchens in dieses so eben bezeichnete Ende einen dreilappi- gen Ansatz (oder Erweiterung?). Leider fühlt man bei dem Bestreben, diese Theile scharf auffassen zu wollen, dass un- sere Mikroskope noch nicht zureichen, solche charakteristisch geformte Bildungen in ihren reinen Linien erscheinen zu lassen. — Der Drüsencanal, indem er sich zur Einmündung in den Secretbehälter anschickt, wird heller, verschmälert sich auch ziemlich, aber die vorbesagte Structur bleibt sich im Wesentlichen gleich. Die Afterdrüsen des Gyrinus nalator sind, was schon Dufour erwähnt, von ähnlicher Form, wie jene der Dytici, nur erscheint Alles in kleinerem Maassstab ausgeführt. Der Behälter besteht aus Muskelhaut und gefalteter Intima; der nicht gerade sehr lange Drüsenschlauch hat eine Tunica pro- pria, Zellen und eine Intima; an letzterer tritt, indem man Kalilauge einwirken lässt, eine Besonderheit hervor. Es sind nämlich auch hier feine Canälchen zugegen, welche aus den Zellen heraus zur Intima führen, aber anstatt wie bei Dyticus und Acilius ohne (wenigstens nicht erkennbare) Ordnung in den von der Intima umschlossenen Canal einzumünden, grup- Piren sie sich zu einzelnen Büscheln, und zur Aufnahme eines solchen buchtet sich jedesmal die Intima papillenförmig nach 46 Leydig: aussen, so dass der Intimaschlauch nach der ganzen Länge wie mit Höckern besetzt erscheint. Zwischen den Höckern münden keine Canälchen ein. An dem Ende der feinen Ca- nälchen konnte ich mit meinem Instrumente keine Verdickung wahrnehmen, sie mochten zugespitzt aufhören, i Neben den Wasserkäfern ‚sind es namentlich die Lauf- käfer (Carabicina) gewesen, über deren Afterdrüsen Dufour gehandelt hat, und da die Gattung Brachinus die einzige ist, über 'welche bisher histologische Erörterungen vorliegen, so will ich ebenfalls zuerst auf diesen Käfer Rücksicht nehmen. Gerade vor zehn Jahren hat Karsten den feineren Bau der Explodirdrüse (er nennt sie Harnorgan) von Brachinus com- planalus Fabr. beschrieben. Ich hatte nur die kleine Art, Brachinus crepitans, vor mir, die, falls die Beschreibung des genannten Autors in allen Punkten zutreffend ist, wesentliche Abweichungen von Brachinus complanatus zu erkennen giebt. Was die Umrisse des ganzen Apparates betrifft, so möge man die Figur bei Dufour!) vergleichen. Die Drüse be- steht aus einem zierlichen Büschel länglicher Schläuche, un- gefähr acht an der Zahl, jeder wenigstens einmal getheilt, die meisten haben noch einige Seitensprossen mehr, In Zucker- wasser und ohne Deckglas untersucht zeigen sie die äussere Begrenzungshaut (Tunica propria) und die absondernden mit feinkörnigem Inhalt erfüllten Zellen (Fig. Ila). Aus der Achse jedes Drüsenschlauches schimmert ein matter dunkler Streifen durch, in welchem man die Tunica intima vermuthen darf, was sich auch durch ein aufgelegtes Deckglas bestätigt. Die Streifen der Intima bat zwar Dufour gesehen und auch auf seiner Figur angebracht, aber er glaubt, es sei ein Tra- cheenfaden. Jetzt lasse man Kalilauge auf die Drüse ein- wirken und man wird, nachdem die Secretzellen bis zum fast völligen Verschwinden aufgelöst sind, wahrnehmen (Fig. 11b), dass der von der Intima gebildete Schlauch an der Aussen- seite dicht mit Härchen besetzt ist, welche in Kalilauge ebenso ausharren, wie die Intima selber. Jedes Härchen 1) Annal. d, sc, nat. 1826. Pl. 19, Fig. 3. Zur Anatomie der Insecten. 47 endet gegen die Zellen zu mit feinem Ende und es kann kei- nem Zweifel unterliegen, dass je ein solch feiner Faden als Ausführungsgang zu einer Zelle gehört. Hat man sich so- weit orientirt, so wird man auch schon an der frischen Drüse nach aufgelegtem Deckglas die feinen Canäle erblieken, doch machen sich eben alle Erscheinungen viel klarer nach Zusatz des genannten Reagens. Hierbei tritt auch noch das Eigenthümliche hervor, dass, sobald durch Kalilauge die Zellen derart angegriffen sind, dass fast nur noch die Spuren da- von sich erhalten, zunächst um die Intima herum zwischen den einmündenden Canälchen eine Menge von kernartigen Bildungen sichtbar werden, die kurze Zeit bleiben, um dann schliesslich auch zu schwinden. Vergleichen wir nun mit unserm Brachinus crepitans den Brachinus complanatus, so meldet Karsten von letzterem zwar auch, dass bezüglich der „Elementartheile“ eine äussere die Röhre bildende Membran da sei, welche spindelförmige Zellen umschliesse, und dass ferner im Inneren jeder Drüsen- röhre ein anderer aus einer durchsichtigen Membran beste- hender centraler Cylinder zugegen sei, aber anstatt der bei ‚Brachinus crepitans vorhandenen feinen Canälchen ist hier die Intima von „kleinen Poren* durchbrochen, durch welche das Secret der Zellen in den Raum der Intima gelangt. Reeht beachtenswerth ist die Structur des vom Drüsen- büschel zum Seeretbehälter führenden Gunges, dessen Be- schreibung ich jetzt vom Brachinus erepitans gebe. Fraglicher Ductus ist hell und besteht aus zwei Häuten, wovon die äussere zart ist, einzelne Kerne enthält und der sogenannten Peritonealhülle der Tracheen entspricht; sie ist mitunter auf den ersten Blick nicht so recht deutlich, doch tritt sie be- stimmter hervor an den zufällig entstandenen Einbiegungen des Canals, sowie nach Gebrauch von Reagentien (z. B. von doppelt chromsaurem Kali), so dass über ihre Anwesenheit kein Zweifel walten kann. Die zweite Haut ist das Ana- logon der Chitinhaut der Tracheen, sie zeigt sich scharf eonturirt und quergeringelt, welche Zeichnung auf einer re- gelmässigen durch Zusammengeschobensein entstandenen Fal- 48 Leydig: tenbildung beruht. Sehr überraschend aber und für den er- sten Anblick nicht verständlich ist, dass innerhalb dieses quergeringelten Rohres scheinbar ein zweites kleineres Chitin- rohr eingeschlossen wahrgenommen wird (c), ohne dass eine eigene Matrix zu letzterem sich finden will. Allein bei fort- gesetzter Untersuchung löst sich das Räthsel dahin auf, dass das äussere Chitinrohr (vergl. Fig. 12) an seiner Innenfläche eine Leiste erzeugt, welche, indem sie spiralig herabläuft, und kurze geknöpfte Fortsätze am Rande abschickt, den in- neren scheinbaren Chitinkanal hervorruft, dadurch nämlich, dass der ganze äussere Canal sich in engen Spiraltouren zu- sammenschiebt; mithin hat das scheinbar eingeschlossene zweite Chitinrohr keineswegs eine Selbständigkeit, sondern kommt durch die innere Seulptur und spiralige Verkürzung des äusseren und einzigen Chitinrohres zu Stande. Dufour fasst die Structur des Canales so, wie die erste Besichtigung sie vorspiegelt, insofern er einen äusseren und inneren Canal annimmt, bezüglich des ersten gedenkt er wohl in Anbetracht der Querringe an die Aehnlichkeit mit Tra- cheen, glaubt sich aber (worin er entschieden irrt) überzeugt zu haben, dass der äussere Canal ein „tissu contractile* sei und davon die Querstreifen herrührten. Ueber den inneren Canal meint er, es möge eine Trachee sein. Dass der fran- zösische Entomotom mit der Erforschung dieses Gegenstan- des im Jahre 1826 nicht in’s Reine kam, darf um so weniger verwundern, als noch der mit dem Gebrauch des Mikroskopes und der feineren Anatomie genau vertraute Karsten die Struktur dieses Kanals durchaus verfehlt hat. Er nimmt ebenfalls eine centrale Röhre an und hält die Querringe des ganzen Kanals für die Conturen von Zellen, welche die Fort- setzungen der Drüsenzellen wären und den centralen Canal umfassen sollten. Ich füge daber noch die Methode der Prä- paration bei, durch welche man sich von der Richtigkeit meiner Darstellung überzeugen kann. Man fasse das letzte Leibessegment des Thieres mit der Pincette und ziehe damit vorsichtig einen Theil der Eingeweide heraus, wobei es denn sehr gern vorkommt, dass ein Canal reisst und Luft in ihn Zur Anatomie der Insecten. 49 eintritt, entweder so, dass nur der anscheinend innere Canal eine Luftsäule aufnimmt oder auch zugleich der äussere. Schon Karsten hat dies ebenso beobachtet und sich dadurch er- klärt, dass die Zellen im Umkreise des inneren Canals wirk- liche Oeffnungen besitzen, durch welche sie sich mit Luft füllen könnten. Ich zerre nun den ausgebreiteten Canal etwas mit Nadeln, dadurch reisst die äussere zarte, oben Peritonealhülle genannte Haut, die Chitinhaut, welche zusam- men geschoben war, schnellt auseinander und es zeigt sich jetzt ein Bild, wovon ein Stück in Fig. 12 abgebildet ist und welches jeglichen Zweifel beseitigt. Man sieht mit aller Klar- heit an der Innenfläche der Chitinhaut eine Leiste in weiten Spiraltouren herabgehen und der Saum der Leiste schickt kleine geknöpfte Fortsätze ab. Denkt man sich nun dieses Chitinrohr nach der Länge zusammengeschoben, so begreift man sowohl, wie die Querringel entstehen müssen, als auch wie der Eindruck eines zweiten inneren Canals zu Wege kommt. Der Secretbehälter hat ausser der homogenen faltigen Intima, welche durch feine Höckerchen wie gekörnelt aus- sieht, und der zarten Zellenlage darunter nach -aussen eine starke, quergestreifte Museulatur und auffallend viele Tra- cheen. Jeder Behälter besitzt an seinem nach aussen geöff- neten Ende zwei gekrümmte braune Hornplatten, welche nach innen mit Borsten verschen und nach aussen mit Büscheln einzelliger Drüsen besetzt erscheinen. Weiterhin habe ich mir die Afterdrüsen noch folgender Laufkäfer betrachtet. . Carabus auratus. Die Gestalt des Apparates dieses Kä- fers, wie er sich bei geringer Vergrösserung und im Ganzen darstellt, kann man wieder bei Dufour') in richtiger Zeich- nung sehen. Der secernirende Theil besteht aus einer schö- nen rundbeerigen Traube, wobei meistens zwei bis drei Bee- ren schon mit ihrer Basis zu einer neuen Einheit sich ver- einigen. ‚Geht man an eine nähere Untersuchung der Drü- nen end 1) Annal. d. science. natur. 1826, Pl. 19, Fig. 1. Boicherts u, du Dois-Reymond's Archiv. 1859. 4 50 Leydig: senbeeren (vergl. Fig. 13), so begegnet man sehr zierlichen Bildungen. Man unterscheidet an der Tunica propria jeder Beere eine innere schärfer liniirte Lage und eine äussere, zarte, welche letztere das die Beeren überspinnende Tracheen- netz trägt (a). Die frische nicht durch Druck veränderte Drüsenbeere ist dunkelkörnig und die Nuclei sind deutlicher als die Zellenumrisse. Aus dem Innern schimmert ein dunkler Fleck durch — der Anfang des chitinisirten Ductus communis. Hat man Kalilauge zutreten lassen, so thut sich der Beob- achtung auf, dass der in jeder Beere blind beginnende Aus- führungsgang von diesem seinem rundlichen Anfang aus nach allen Seiten gerade, nicht geschlängelte Röhrchen entsendet (e), welehe als Einzelgänge zu je einer Secretionszelle gehö- ren. Wendet man darauf der Structur des Ausführungsgan- ges seine Aufmerksamkeit zu, so erkennt man an ihm, na- mentlich wo er schon einige Stärke erreicht hat, sowohl die Peritonealhülle (d), als auch die Intima (eu.f) und beide haben erwähnenswerthe Eigenschaften. Die Peritonealhülle ist von zelligerem Charakter, als dies bei Arachinus z. B. der Fall war und hat schon ein gewisses härtliches wie chitinisirtes Aussehen, quillt übrigens in Kalilauge stark auf. Die dar- auf folgende Intima ist (an den stärkeren Abtheilungen des Ganges) bedeutend dick, und dadurch entsteht eine lichte, an beiden Rändern wellig verlaufende Zone, welche eben (e) die im Querschnitt gesehene Dicke der Intima ist. Zur in- neren Sculptur hat die Intima Querringe (f), die indessen nicht durchaus regelmässig verlaufen, sondern sich zum Theil ineinander schieben. Zwischen den Querringen erheben sich zahlreiche Längsstrichelehen. Die Farbe der Intima nach innen ist ein schmutziges Braun. — Der Secretbehälter ver- hält sich, insoweit ich denselben näher betrachtet habe, be- züglich seiner äusseren derben Muskelhaut und stark faltigen Intima wie bei Brachinus. Carabus cancellatus schien am ganzen Apparat keine we- sentlichen Unterschiede von C. auratus darzubieten. Procrustes coriaceus zeigt, obschon der Typus ganz der gleiche ist wie bei den genannten Carabi, die Eigenthümlich- Zur Anatomie der Insecten. 51 keit, dass in den rundliehen Beeren der hier besonders grossen und schönen Drüsenfraube der Ausführungsgang mit einer wenn auch noch sehr kleinen Erweiterung beginnt, so dass der innerhalb der Beere liegende Abschnitt der Brause einer Giesskanne ähnelt. Die Intima des Ausführungsganges lässt ausser den Querringen auch noch die dazwischen auftreten- den Längsstrichelehen selbst au den schwächeren Abtheilun- gen des Ganges gut erkennen. Eine hübsche Weiterbildung dessen, was der in den Drü- senbeeren beginnende Ausführungsgang bei Procrustes an sich hat, bemerkt man bei anderen Laufkäfern. Bei dem Abar parallelus z. B. erweitert sich der Anfang des Ductus inner- halb des Drüsenfollikels so (Fig. 14), dass man eher von einem zweiten im Follikel eingeschlossenen Sack reden könnte. Von diesem weg gehen nun wieder strahlig die Chitinröhr- chen zu den im frischen Zustande dunkelkörnigen Secretzel- len und an den Canälchen unterscheidet man deutlich ihre gleich dem Intimasack stark chitinisirte Basis und eine blasse, scharf davon absetzende Fortsetzung. Ganz ähnlich wie der genannte Abar verhält sich Amara trivialis, wo je eine Drü- sentraube nur aus etwa sechs Blasen besteht und deshalb eine bequeme Uebersicht der ganzen Drüse gestattet. Im Ausführungsgang des Abaz parallelus ist die äussere zellige Hülle ganz besonders scharf gerandet, gerade so, wie sich ehitinisirte Gebilde verhalten. Im Innern zieht die Intima herab. Endlich habe ich aus der Gruppe der Laufkäfer noch den Chlaenius nigricornis zergliedert, welcher sich im Bau des Apparates, von dem ich rede, wieder in etwas dem Brachinus erepitans annähert, Die Drüse besteht nämlich hier aus läng- lichen Schläuchen, wovon sich immer je zwei oder drei zu einer Wurzel des Ductus communis vereinigen. Die Secret- zellen der Schläuche waren dergestalt mit gelbkörnigem In- halt erfüllt, dass man am frischen Object nichts von einer Intima und deren weiterem Verhalten ansichtig, werden konnte. Kalilauge bewirkt wieder, dass in jedem Schlauch ein inne- rer Canal als Intima zum Vorschein kam und dieser zeigt 4* 52 Leydig: sich rings herum nach seiner ganzen Ausdehnung mit Här- chen oder den leicht geschlängelten Chitineanälchen der Se- cretzellen besetzt. In den Follikeln gewahrte man auch ein- zelne dunkelbraune Körper, die ich nur für Conereniente von festgewordenem Secret halten konnte und da sie meist den Canälchen ansassen, so mag Unwegsamkeit der letzteren die Ursache zu ihrer Bildung gewesen sein. Der gemeinsame Ausführungsgang der Drüse machte abermals, wenn auch in anderer Weise als bei Brachinus, den Eindruck, wie wenn ein Chitingang in einem anderen eingeschlossen wäre, aber auch hier entsteht der scheinbare innere Canal nur dadurch, dass bei dem Vorhandensein einer inneren Leiste diese, in- dem sich der Gang spiralig zusammenschiebt und damit nach aussen ein faltiges, bauschiges Aussehen zur Schau trägt, durch das Aufeinanderstossen der Windungen zu einem schein- baren, selbständigen Canal wird. Das im Behälter ange- sammelte Secret ist, wie fast immer, von fettiger Natur. Aus der Gruppe der Brachelytren habe ich nur den Sta- phylinus erythropterus untersucht, den auch Dufour ausge- wählt hat, aber obschon ich sonst, wie mehrmals zu bemer- ken sich Gelegenheit fand, die Darstellungen dieses Forschers mit den meinigen für übereinstimmend erklären musste, so will mir das nicht bezüglich des genannten Käfers gelingen. Fasst man letzteren etwas unsanft an, so stülpt er bekannt- lich unter starker Krümmung des Körpers am Hinterleibs- ende rechts und links ein Säckchen hervor, womit die Ver- breitung 'eines spezifischen Geruches zusammenfällt. Die nähere Besichtigung ergiebt mir, dass die ausgestülpte Blase dem Seeretbehälter entspricht und beim Hervortreten wird die Intima des Sackes zur äusseren Cuticula und unter ihr bemerkt man alsdann einzellige Drüsen, deren Chitingänge zu Büscheln geordnet an der Cutieula münden. Jedes Ca- nälehen endet in der Drüsenzelle mit einem deutlichen Knöpf- chen. Nach Dufour, der von der Existenz dieser einzelli- gen Drüsen nichts wusste, ist noch ein besonderer fadenför- miger Drüsencanal vorhanden, den ich aber an den von mir Zur Anatomie der Insecten. 53 zergliederten Thieren nicht finden konnte.!) Fast ebenso unglücklich bin ieh mit Silpha obscura gewesen. Auch hier erkenne ich zwar ohne Schwierigkeit den von Du four beschrie- benen unpaaren blasigen Secretbehälter, welcher in den Mast- darm einmündet, aber anstatt eines langen, vielfach gewun- denen Drüseneanals finde ich nur einen blindsaekigen Anhang des Behälters, nieht länger als dieser, und demselben dieht anliegend.. Nach Anwendung von Kalilauge hebt er, sich theilweise ab und man sieht bezüglich seiner Structur, dass unter einer Peritonealhülle ein quergestreiftes Muskelnetz sich ausbreitet, dann folgen weiter nach innen Zellen, und zu innerst die gelbliche, höckerige, stark faltige Intima. Dufour erklärt, dass man in der ganzen Abtheilung der Clavicornier nur bei Si/pha einen den Afterdrüsen analogen Apparat antreffe. Dieser Ausspruch möchte mit der Zeit an m 1) Von anderen Brachelytren sind durch Stein Afterdrüsen an Xantholinus punctulalus, dann bei den Steninen und bei Owytelus ru- gosus nachgewiesen worden, die alle von den ausstülpbaren Drüsen des Staphylinus abzuweichen scheinen. Bei Xantholinus besteht der Ap- parat „aus einer gestielten keulenförmigen Blase, welche das Secret sammelt, das ein an ihrer Basis einmündender, ziemlich langer, band- artiger, nach abwärts in einen engen Ausführungsgang zusammengezo- gener Follikel absondert‘‘.. Bei den Steninen sind die Analdrüsen, keu- lenförmige Schläuche, in denen sich das Secret sammelt, welches hier nieht in einem eigenen Follikel, sondern in einer starken Zellenschicht abgesondert wird, welche die eine Hälfte des Schlauches überzieht“. Endlich bei Oxytelus bestehen besagte Organe „aus einem bandartigen Follikel, dessen Oentralhöhlung sehr eng und mit kurzen, die ausfüh- renden Canälchen tragenden Querästen versehen ist, einem aus ‚der Mitte derselben abgehenden, in enge Spiralwindungen gelegten Aus- führungsgang und aus einer gestielten Blase, welche das rostrothe, pe- netrant riechende Secret ansammelt und nach aussen befördert“. Der Apparat der Steninen scheint dieser Beschreibung zufolge sich ähnlich wie bei Staphylinus zu verhalten, sowie ich auch nicht unterlassen kann, nachträglich darauf hinzuweisen, dass auch bei Stein (a.a O. Taf. III Fig. XIV f.) die ausstülpbaren Afterdrüsen dieses 'T'hieres ebenfalls ohne einen besonderen anhängenden, fadigen Drüsen-Canal gezeichnet sind, so dass, indem ich den beregten von Dufour ange- hommenen Canal vermisste, dies doch nicht auf blossem Uebersehen zu beruhen scheint, 54 Leydig: Geltung verlieren, wenigstens habe ich bis jetzt schon bei zwei Gattungen, bei Trichodes apiarius und 'Clerus formicarius, den Afterdrüsen entsprechende Organe wahrgenommen, die zumal bei Trichodes von interessantem Bau sind. (Vergl. Fig. 10.) Sie sitzen in der Nähe der Cloake und sind allerdings so klein, dass sie dem französischen Forscher, welcher der An- wendung stärkerer Vergrösserungen abhold ist, leicht ent- gehen konnten. Die Drüse ist paarig, und jede besteht aus einer Gruppe von etwa dreissig Zellen (a), die obschon dicht zusammengedrängt, doch nicht durch eine eigentliche sack- förmige Tunica propria diese Einigung zu einem Ganzen erhalten, sondern die einzelnen Drüsen ketten sich unter einander durch strangartige Bindegewebsfäden zusammen. Jede Drüsenzelle nun, auf ihre nähere Beschaffenheit bese- hen, zeigt zwar auffallende aber doch mit dem Schema, wie es sich aus den bisherigen Mittheilungen über Drüsenstructur ableiten lässt, übereinstimmende Verhältnisse. In der frischen Drüsenzelle unterscheidet man ausser dem Kern und dem feinkörnigen gelblichen Zelleninhalt noch einen den Kern an Grösse um Vieles überragenden Körper (b), der einen hellen, fein radiär gestrichelten Rand hat, und im Inneren eine dunkle körnige Masse in grösserer oder geringerer Menge. Nach Wasserzusatz dehnt sich fraglicher Körper oder Blase rasch aus. Dass aus jeder Zelle ein chitinisirtes Canälchen als Ausführungsgang herauskommt, ist ebenfalls schon jetzt zu sehen. Wie in den früheren Fällen, so fördert uns hier wieder die Anwendung von Kalilauge weiter, indem an der sich aufhellenden Zelle zum Vorschein kommt, dass im Cen- trum der Blase ein leicht gekrümmtes, eylindrisches Gebilde liegt, welches doppelt gerandet und chitinisirt die eigentliche Wurzel des ausführenden Canälchens vorstellt. Ueberlegt man, dass die radiär gestreifte Blase als Umhüllung der Wurzel des Ausführungsganges angehört, und dass ferner eben diese Wurzel von in verschiedener Menge angesammel- ten Kügelchen verdeckt sein kann, so möchte man annehmen, dass die radiären Striche die ersten Wege bedeuten, durch welche aus dem Inneren der Zelle das Secret in die Wurzel Zur Anatomie der Insecten. 55 des Ausführungsganges gelangt. Die ausführenden Canälchen selber sammeln sich zu mehreren Büscheln, um an einer behälterartigen Erweiterung auszumünden, zu welcher sich das die Zellen zusammenhaltende Bindegewebe nach der Cloake hin verdichtet hat. Manchmal trifft man in der Er- weiterung eine bräunliche Masse an, die wohl nur als ange- sammeltes Secret zu betrachten ist. Bei Clerus formicarius besteht die gleichfalls paarige Af- terdrüse zwar ebenfalls aus Zellen, wovon jede ihr besonde- res Canälchen hat, aber sowie die Secretzellen hier zu einem ovalen abgegrenzten Follikel vereinigt sind, so kommt auch diesem Follikel eine chitinisirte Intima zu, in welche die Ausführungscanälchen der Zellen und zwar in büschelförmi- ger Anordnung einmünden. Die Seeretionszellen haben eine geringe Grösse und ihr Gang beginnt mit einem Knöpfehen. Der Follikel im Ganzen setzt sich scharf gegen den gemein- samen Ausführungsgang ab. Aus der Ordnung der Orthopteren widmete ich den Anal- drüsen der Maulwurfsgrille (Gryllotalpa vulgaris) meine Auf- merksamkeit, da auch Dufour hierüber eine Beschreibung und Abbildung gab. Die Drüsen scheinen seit dieser Zeit nieht mehr untersucht worden zu sein, wenigstens bezieht man sich überall nur meines Wissens auf die Angaben des genannten Entomotomen. Man sieht zu beiden Seiten des Mastdarmes im hintersten Theil der Leibeshöhle einen ovalen Körper, der durch eine hellbläuliche Inhaltsflüssigkeit sich leicht bemerklich macht. Dieser paarige Körper ist die Af- terdrüse und da bei der Untersuchung ohne Mikroskop oder auch unter geringer Vergrösserung das freie Ende des Kör- pers ein faltig-lappiges Aussehen darbietet, so nahm Dufour an, diese runzlige lappige Spitze sei die Drüse und der untere mehr glatte Theil entspreche dem Secretbehälter, welche Auf- fassung auch bisher von Niemandem beanstandet wurde. In- dessen ist sie, wie aus folgenden Mittheilungen hervorgeht, unstatthaft. Die Afterdrüsen der Maulwurfsgrille bestehen nämlich aus einem Sack, der nach seinem ganzen Umfang mit einzelligen Drüsen besetzt sich zeigt. (Vergl. Fig. 15.) 56 Leydig: Man gehe bei der histologischen Untersuchung von der Intima aus (d) und man wird nach Anwendung des oft genannten Reagens bemerken, dass ihr durchweg an der äusseren Seite feine geschlängelte verhältnissmässig nicht lange Canälchen (e) aufsitzen, welche die Ausführungsgänge der hinter der In- tima ausgebreiteten secernirenden Zellen (b) sind. Letztere haben ein etwas trübes Aussehen, und schliessen auch wohl einige Fettkörnehen ein. Nach aussen von den Zellen grenzt eine Tunica propria (a) den Sack ab und zudem noch eine quergestreifte Muskelhaut (e). Gerade die Anordnung der Musculatur trägt wesentlich dazu bei, dem Drüsensack eine Gestalt zu verleihen, wie wenn ein lappiger Drüsenkörper einem Secretbehälter aufsässe. Es ist nämlich die Muskel- haut keine continuirliche, sondern besteht aus einem Geflecht, dessen Maschen namentlich gegen das freie Ende hin sehr weit sind. Bei der Präparation nun zieht sich’ die Muscu- latur zusammen, der bläuliche Saft des Sackes wird nach unten hin zusammengedrängt und macht den Sack an ’die- ser Gegend prall, während am freien Ende durch die Con- traction des Muskelgeflechtes die übrigen Häute des Sackes aus den Maschen bauschig vorquellen und so im Ganzen und für das freie Auge einen lappigen Drüsenkörper vorspiegeln, den Dufour auch für einen solehen genommen hat. Den Analdrüsen der Käfer und Orthopteren verwandt ist der Giftapparat verschiedener Hymenopterenweibehen, wo- von ich die Honigbiene, die Horniss, Wespe und Hummel, sowie die Ameise untersuchte. Apis mellifca. Den secernirenden Theil des Giftapparates bilden zwei mehrfach gewundene Drüsencanäle, die nach .ih- rer Vereinigung mit gemeinsamem Gang in einen birnförmi- gen Behälter führen, aus dem dann wieder ein dünner Ductus in den Stachel sich einsenkt, was alles seit langer Zeit wohl- bekannt und bei Swammerdam'), Brandt und Ratze- burg?), Dufour®) abgebildet ist... Ueber den feineren Bau 1) Biblia naturae. 2) Medizinische Zoologie. 3). Recherches ete. Zur Anatomie der Insecten. 57 berichtete zuerst H. Meckel*), aber es muss der von ihm gegebenen Beschreibung irgend eine Verwechslung zu Grunde liegen, da sie auch gar nicht auf die Honigbiene passen will. Er sagt, „die Giftdrüse bei Apis mellifica sei ein rundes Läppchen, von einer Tunica propria umschlossen“. Sie be- stehe ferner aus einer soliden Zellenmasse etc., während ja leicht zu sehen ist, dass die Drüse zwei lange Schläuche bildet und diese mit einer Lichtung versehen sind, wie ich es jetzt des Näheren zu schildern habe, und wozu ich vor- ausbemerken will, dass die Mittheilungen sich auf die Zer- gliederung der Bienenkönigin gründen. Aus dem unpaaren Giftbehälter entspringt ein Drüsencanal, der erst weit weg von der Blase sich gablig theilt (was übrigens bei der Ar- beitsbiene sich gerade so verhält), und in dem man im fri- schen Zustande die Tunica propria und die klaren Secretions- zellen mit grossem viele Nucleoli enthaltenden Kern unter- scheidet, auch lässt sich bei passender Einstellung schon jetzt eine Intima durchı die Zellenmasse hindurchsehen. Nach Be- handlung mit Reagentien zeigt sich, dass die Intima hier von ungewöhnlicher Dicke ist (Fig. 16d), und mit welligen Rän- dern verläuft; in Uebereinstimmung mit dem starken Quer- durchmesser dieser Intima steht es ferner, dass dieselbe deutlich nach der Länge gestreift d. h. geschichtet erscheint. Von der Intima weg in die Masse der Secretionszellen schlän- geln sich die feinen Canälchen (e), und es kam mir vor, als ob sie nicht ganz regellos die Intima besetzten, sondern zu bestimmten Büscheln geordnet in die allgemeine Lichtung des Drüsencanals übergingen. Auch in dem Giftbehälter hat die Intima noch die geschichtete Beschaffenheit und in dem zum Stachel leitenden Ausführungsgang erhält sie über- dies eine besondere Sculptur in Form von kurzen querlau- fenden Verdickungen. Auch ist besonders hervorzuheben, dass noch in dem ganzen Umfang des Giftbehälters aus der Zellenschicht Ohitincanälchen zur Intima führen. Die Ca- nälchen sind da kürzer, weniger geschlängelt als jene des l) a. a 0. 8.49. 58 Leydig: Drüsencanals, stehen auch keineswegs so dicht, sondern mehr vereinzelt. Eine Muskelschicht ‘fehlt dem Behälter, die Tunica externa s. propria zerfällt in eine innere schärfer geran- deteLage und eine äussere, weichere, welche die Tracheen trägt. Die Giftdrüse der Horniss (Vespa crabro) hat nach ihrem feineren Bau bereits H. Meckel beschrieben, und das We- sentliche davon richtig erkannt, indem er zeigte, dass die Drüse ausser einer Tunica propria eine dicke Lage von Zel- len besitze und aus der Zellenmasse sich gleich „aufsaugen- den Würzelchen* Röhrchen sammelten, welche zu einem in- neren von der Tunica intima gebildeten Gang führten. Doch betont H. Meckel, dass er nicht ermitteln konnte, wie die Röhrchen peripherisch endigten, ob sie blind seien oder in eine Zelle übergingen. Ueber diesen Punkt vermag ich nä- heren Aufschluss zu geben, da ich mit Deutlichkeit sehe, dass je ein Canälchen in eine Zelle eintritt und nur schein- bar einfach aufhört, denn ein weiteres Betrachten deckt auf, dass hinter dem vermeintlichen Ende noch verästelte Wür- zelchen zugegen sind (Fig. 17c), die zwar ein blasseres Ansehen als das ausführende Canälchen haben, aber doch mit Sicherheit zu‘ verfolgen sind. Die Zellen haben eine lichte Beschaffenheit, und nur um das Wurzelwerk herum hat sich constant ein Körnerhaufen angesammelt, so dass wieder erst nach Kalilauge diese Wurzeln des Canals zum Vorschein kommen. Für den, welcher meine Angabe nach- zuprüfen Lust hat, möchte ich die Bemerkung hierhersetzen, dass es gut sei, zuerst die unten zu beschreibende Speichel- drüse der Horniss zu untersuchen, wo dieselbe Bildung vor- kommt, aber in etwas grösserem und daher zugänglicherem Massstab. Hat man sich dort orientirt, so wird man auch an ‘der Giftdrüse keine Schwierigkeiten finden. Die Intima des Drüsencanals ist glatt und der Canal im Ganzen entsen- det, während er sich hin- und herwendet, einige wenige kurze Seitensprossen, welche man an der Zeichnung bei Dufour') vermisst. 1) Recherches PI. 7, Fig. 77h. Zur Anatomie der Insecten. 59 Ich habe mir bezüglich der Horniss nicht angemerkt, ob der Giftbehälter eine Muskellage besitzt!) aber bei der ge- wöhnlichen Wespe (Vespa vulgaris) sah ich noch vor Kurzem, dass die Giftblase, deren Intima quergestrichelt sich zeigt, eine dicke, musculöse Hülle hat. Die beiden Gift-Canäle ent- springen hier fast gesondert aus dem Behälter, und nur nach völliger Aufhellung der Musculatur sieht man, dass sie beide eine ganz kurze gemeinsame Wurzel haben. Bei der Hummel (Bombus lapidarius) sind die vorhin von der Horniss erwähnten seitlichen Ausläufer des Drüsencanals etwas zahlreicher, im Uebrigen aber scheint die Structur eine ganz analoge zu sein. Was die Ameise betrifft, so wollen meine Beobachtungen nicht mit denen H. Meckels stimmen, ‘obgleich ‚wir ‚beide, wenigstens dem Namen nach, dieselbe Art untersuchten. Ich benutzte die Formica rufa, wie sie z. B. in Brandt und Ratzeburgs medizinischer Zoologie schön abgebildet ist, und sehe, dass der Gift-Canal eine einfache Gestalt hat, da- bei lang, gewunden und frisch ziemlich hell ist, obschon die Seeretionszellen eine Körnchenmasse enthalten. Kalilauge macht die Intima deutlich, welche durchweg mit welligen Conturen verläuft, und die zahlreichen, feinen Canälchen aus den Zellen aufnimmt. (H. Meckel beschreibt den Drüsen- canal so, als ob er von der Mündung bis zum blinden Ende fortwährend mit kleinen, kurzen Bälgen besetzt sei. Die Secretzellen seien ferner von platter Form und von dem Vor- bandensein der feinen Röhrchen wird nichts gemeldet. Wenn nicht irgend eine Verwechslung im Spiele ist, so beziehen sich jedenfalls diese Angaben auf ein anderes Thier.) 4. Ueber die Speicheldrüsen. Durch die Bemühungen verschiedener Entomotomen sind bei zahlreichen Inseeten Speicheldrüsen nachgewiesen wor- den, und man erstaunt beim Betrachten der von Swam- 1) Nachträglich kann ich beifügen, dass auch der Giftbehälter der Horniss eine sehr dieke Musculatur hat. 60 Leydig: merdam, Lyonet,Ramdohr, Suckow, Herold und Du- four gelieferten Abbildungen abermals über die Mannichfal- tigkeit und Zierlichkeit, welche sich in der Form der ab- sondernden Follikel zu erkennen giebt. Ueber den feineren Bau hat aber meines Wissens bisher einzig und allein wie- der H. Meckel gehandelt, wir verdanken ihm Mittheilungen über die Speicheldrüsen der Ameise, der Stubenfliege, der Biene, der Grille und der Raupen. Ich suche in dem Fol- genden unsere Kenntnisse in der von genanntem Forscher betretenen Richtung weiter zu fördern. Bei den Käfern sind Speicheldrüsen bekanntlich nicht allgemein verbreitet, bei gar manchen Arten habe ich mich vergeblich bemüht, sie aufzufinden, so z. B. bei Lucanus cer- vus. Gefunden und näher untersucht habe ich sie z. B. von einer Leptura, von Trichodes apiarius und Coceinella septem- punctata. Der Bau war im Wesentlichen bei allen der gleiche, indem die Drüse aus verästelten Schläuchen bestand, aus deren Axe eine glänzend dunkle, in Kalilauge unveränder- liche Intima heraussah, die den Anblick eines soliden Fadens darbot. Bei Coccinella schwand nach Aufbewahrung des Präparates in Glycerin dieser Faden fast völlig und es blieb nur eine Contur wie von einer gewöhnlichen Intima zurück. Zwischen der Intima und der äusseren Begrenzungshaut lie- gen die Zellen, einen entweder mehr hellen oder mehr kör- nigen Inhalt einschliessend, und verglichen mit den Seere- tionszellen in den Speicheldrüsen anderer Insecten sind sie ziemlich klein zu nennen. Ausführlicher will ich jetzt der Speicheldrüsen der Biene gedenken, da die vorhandenen Angaben, selbst dieH.Meckel’s nicht ausgenommen, den Gegenstand keinesweges erschöpfend darstellen. Die früheren Beobachter wussten nur von Einem Paar von Speicheldrüsen, H. Meckel entdeckte ein zweites Paar, ich selbst sehe bei der Arbeiterbiene drei nach Form und Structur ganz speeifisch verschiedene Speicheldrüsen. Ich will mit jener Drüse beginnen, welche durch Ramdohr zu- erst beschrieben wurde, dann durch Treviranus und Du» Zur Anatomie der Insecten. 61 four; während Swammerdam und Reaumur in ihren Zergliederungen der Biene sie übersehen hatten. Diese Spei- cheldrüse ist nach ihrem Umfang die stärkste und liegt hinter dem Kopf im Bruststück neben dem Schlund. Man präparirt sie am leichtesten dadurch, dass man den Thorax nach der Länge entzwei schneidet, worauf man aus jeder ‘Hälfte sie ohne Mühe herausheben kann. Die Form der Drüsenfollikel (vergl. Fig. 23) ist weder von Treviranus!) noch von Du- four correet wiedergegeben, da man bei ihren Figuren den Eindruck von einfachen mehr oder weniger geschlängelten Schläuchen erhält, während doch die Drüse deutlich aus lan- gen, verästelten, häufig mit dem kolbigen Ende eingebogenen Schläuchen besteht. Letztere sind von hellem Aussehen, im Innern ist eine Intima vorhanden (ec), die wellig-buchtige Conturen zeigt, welche sehr bald in eine querringige Seulp- tur sich umsetzen, Aus den Zellen herausführende feine Canälchen sah ich nicht, wohl aber markiren sich unter dem Einfluss von Kalilauge um die Intima herum Zacken und Streifen, die von den veränderten Zellen herrühren und auf Fig. 23 zu erblicken sind. Da, wo die Aeste aus den Lap- pen der Drüse zusammentreten, bildet jederseits der Aus- führungsgang eine behälterartige Erweiterung. Die Querringe im Ausführungsgang sind um vieles schärfer geworden, und die äussere Haut (Peritonealhülle) ist mit deutlichen Kernen versehen. Die beschriebene Drüse erscheint am entwickeltsten bei der Arbeiterbiene, schon bei der Bienenkönigin .koınmt sie mir kleiner vor und was die Bienenmännehen (Drohnen) be- trifft, so ist hier die Drüse, was bereits Dufour wusste, äusserst rudimentär, so dass sie, wie ich sehe, nur einige wenige Schläuche zählt, die übrigens ganz die eben verhan- delte Structur zeigen. Die zwei anderen Paare von Speicheldrüsen liegen im 1) Vergl, die Copie bei Brandt und Ratzeburg, Taf. XXV. Fig. 28. 2) a. a. O. Pl. 5, Fig. 48b u, Fig. 49. 62 Leydig: Kopfe und können wieder, indem man denselben der Länge nach spaltet, leicht zur Untersuchung gewonnen werden, wo- bei ich denn auch bemerken will, dass man die drei verschie- denen Arten der Speicheldrüsen schon mit freiem Auge (selbstverständlich unter Wasser) sehr gut zu unterscheiden vermag. Das eine dieser Drüsenpaare heisst bei H. Meckel untere Speicheldrüse (Glandula sublingualis), und ich habe bereits von einer Endblase derselben in der „Histologie des Menschen und der Thiere* Fig. 187 eine schematische Ab- bildung gegeben, nachdem ich früher schon!) über die Struc- tur Einiges beigebracht hatte. Beides, die Abbildung wie die Beschreibung sowohl, mag durch das Gegenwärtige ver- vollständigt werden. Man unterscheidet an der Drüse den ästigen Ausführungsgang und die unregelmässig birnförmigen Endblasen, die (vergl. Fig. 22) ihrerseits aus der Tunica pro- pria, den Zellen und der Intima bestehen. Die Tunica pro- pria (a) trägt eine äusserst feine Endvertheilung von Tracheen, was besonders gut an Thieren hervortritt, die einen Tag in der Lösung von doppelt-chromsaurem Kali gelegen hatten, und deren Speicheldrüsen man darauf mit verdünnter Kali- lauge behandelt hat. Die Secretionszellen (b) sind ziemlich gross, polygonal und von feinkörnigem Inhalt. Die Intima (e) von fettig-glänzendem Aussehen und knitterig-netzartiger Beschaffenheit ist von Löchern (d) durchbohrt. Diese Löcher haben eine verschiedene Grösse, die kleineren sind rund, die grösseren von unregelmässiger Gestalt, sie stehen gern trupp- weise beisammen und scheinen nicht gerade, was ich früher vermuthete, in derselben Anzahl wie die Zellen vorhanden zu sein. Im Stiel der Drüsenblase oder dem beginnenden Ausführungsgang nimmt die faltig-knitterige Beschaffenheit der Intima zu, bis daraus allmählig eine Art Spirale im dickeren Theil des Ausführungsganges sich hervorbildet. Das im Hauptgang angesammelte Secret zeigt eine fettige Natur. Die beschriebene Drüse kommt sowohl der Arbeiterbiene als auch der Bienenkönigin zu, bei welcher letzteren ich sie 1) Müller’s Archiv 1855, S.451. Zur Anatomie der‘ Insecten. 63 wohl entwickelt sehe; bei der männlichen Biene fehlt sie zwar auch nicht, doch steht sie hier an Ausbildung nach, da der Ausführungsgang weniger stark verzweigt ist, und demzufolge auch die Zahl der Endblasen abgenommen hat. Um endlich zum dritten Paar der Speicheldrüsen über- zugehen, so sei zum Voraus hervorgehoben, dass dasselbe nur der Arbeitsbiene eigen ist; weder bei der Bienenkönigin, noch bei der männlichen Biene, was ich auf wiederholte Untersuchungen hin behaupten darf, findet sich davon eine Spur. H. Meckel nennt die Drüse Supramaxillardrüse und "bezieht auch die oben eitirte Figur bei Brandt und Ratze- burg hierher, was gewiss unrichtig ist, die dort nach Tre- viranus copirte Zeichnung entspricht vielmehr der im Thorax liegenden Speicheldrüse, d, h. der von mir als erstes Paar geschilderten Drüse.. Es besteht nun die Supramaxillardrüse aus einem langen, ungetheilten Gang, an dem von Stelle zu Stelle, vielleicht in Spiraltouren, gestielte Blasen aufsitzen. (Vergl. Fig. 21.) Der Gang zeigt eine stark chitinisirte In- tima, die ohne weitere Sculptur ist, und eine äussere zarte Haut. Die gestielten Follikel haben eine die Secretions- zellen zusammenhaltende Tunica propria, welche an der frisch herausgenommenen Drüse sich den Wölbungen der einzelnen Zellen so anschmiegt, dass der Follikel höckerig erscheint. Am Stiel umschliesst die Tunica propria den Büschel der aus den Zellen führenden und verhältnissmässig ziemlich starken Canälchen (e). Der Kern der Seeretionszelle (b) hat zahlreiche Nucleoli, der Inhalt der Zelle ist gewöhnlich eine blass granuläre Substanz, und nur einigemal beobachtete ich, dass eine Anzahl von Follikeln eine gelbbraune Masse in den Zellen bereitet hatte. H. Meckel, welcher ‚die ausfüh- renden Röhrchen gut kannte und abbildet, war nicht sicher darüber, ob an jede Zelle ein Röhrchen tritt, hält es’ jedoch für wahrscheinlich. Ich glaube letzteres bestimmt aussagen zu. können und habe über das Verhältniss, in- welchem das ausführende Röhrchen zur Zelle steht, noch eine weitere Be- obachtung gemacht. Zugesetzte Kalilauge und die dadurch bewirkte Aufliellung des Follikels thun dar, dass ‚die Ohitit- 64 ; Leydig: röhrehen da nicht aufhören, wo sie mit einem Mal ihre leb- haft dunklen Ränder verlieren, sondern das Canälchen setzt sich jenseits des scheinbaren Endes noch in eine knäuelartige Verlängerung fort, mit anderen Worten, das eigentliche Ende von jedem Chitinröhrchen innerhalb einer Secretionszelle ist ein blasser Glomerulus, Diese Bildung, welche sich auf Fig. 21 dargestellt findet, war mir noch unbekannt, als ich die Fig. 186 in der „Histologie der Menschen und der Thiere* skizzirte. Es wäre von Interesse die Speicheldrüsen einer grösseren Anzahl verwandter Hymenopteren mit Rücksicht auf ihren feineren Bau zu vergleichen, ich kann vor der Hand nur über Bombus lapidarius und Vespa crabro verfügen, die aber schon bei aller Uebereinstimmung im Typischen doch beach- tenswerthe Abänderungen aufweisen. Was die genannte Hummel betrifft, so besitzt sie die drei Drüsenpaare der Arbeitsbiene, und noch eine vierte unmit- telbar an der Zungenwurzel gelegene, die vielleicht auch bei der Biene nicht fehlt, wonach ich leider nicht geforscht habe. Die im Thorax gelagerte Speicheldrüse ist auch bei der Hummel die grösste, und besteht aus sehr langen, am Ende etwas angeschwollenen Schläuchen ohne Seitensprossen. Die Secretionszellen sind hell, ihr Kern hat vıele Nucleoli, die Intima der Schläuche hat ein ziemlich blasses Aussehen und springt während ihres Verlaufes mit kleinen Höckern vor, wie dergleichen bei verschiedenen Drüsen zur Aufnahme der feinen aus den Zellen führenden Röhrchen dienen, doch habe ich solche nicht gesehen, vielleicht sind sie, da auch die Intima weniger chitinisirt ist, so zart, dass sie in Kalilauge schwin- den. Die querringige Sculptur der Intima tritt hier später auf als bei der Biene, indem sie erst da in leisen Anfängen beginnt, wo eine Anzahl von Drüsenschläuchen zu einer Wurzel des Ausführungsganges sich vereinigt haben. Tiefer unten färbt sich die Intima des Ausführungsganges braun und in der äusseren Haut (Peritonealhülle) sieht man ausser den Kernen auch einzelne Fettitropfen. — Im Kopf liegen die übrigen Speicheldrüsen, wovon die eine (untere Speichel- Zur Anatomie der Insecten. 65 drüse bei H. Meckel) Treviranus beobachtet zu haben scheint, und sie als vorderen Lappen der im Thorax befind- lichen Drüse auffasste, von der sie sich aber durch ihre Structur ebenso unterscheidet, wie es bezüglich der Biene beschrieben wurde. Ich will nicht alle Einzelheiten wieder- holen, da auch schon H. Meckel bemerkt, dass fragliche Drüse von Bombus jener der Biene ganz ähnlich sei, und nur das anmerken, dass die Intima in den birnförmigen Endbla- sen der Drüse ebenfalls von eigenthümlich fettigem Glanz ist, und dass sie von einzelnen unregelmässig stehenden Löchern durchbohrt sich zeigt. Eine etwas nähere Berück- sichtigung verdient die zweite im Kopf untergebrachte Drüse, und diese hat bisher bloss H. Meckel gekannt, aber er scheint sie nicht gerade einlässlicher betrachtet zu haben, da er von ihr kurz angiebt, es verhalte sich die vordere Spei- cheldrüse von Bombus ganz ähnlich wie die entsprechende der Biene, nur seien die Acini kleiner. Nun ist aber hier bei Bombus das, was der genannte Forscher Aecinus nennt, etwas anderes, als bei der Biene. Bei letzterer nämlich be- steht der Acinus aus einer Anzahl von Zellen, die durch eine Tunica propria zu einem Ganzen vereinigt sind, bei Bombus hingegen (vergl. Fig. 24) repräsentirt immer nur eine einzige Secretionszelle (a) den Acinus, oder anders gesagt, die Secretionszellen sind hier gar nicht zu einem Aeinus ge- sammelt, sondern jede bleibt für sich, und schickt für sich ihr Ausführungsröhrchen (e) in den gemeinsamen Sammelgang (d). Zur Befestigung der Zellen dienen zarte bindegewebige Brücken (b), welche von einer Zelle zur anderen gehen. Die Zellen ‚selber sind ziemlich ansehnlich, der Kern hat viele Nucleoli, und‘ der chitinisirte Ausführungsgang erzeugt in- nerhalb der Zelle, und zwar jenseits seines dunkelen Endes, indem er sich hin und herwindet, einen blassen Glomerulus. Der gemeinsame Sammelgang der Drüse ist ein langer un- getheilter Canal, schwnäler als bei der Biene, aber brauner von Farbe, Die feinen Röhrchen gehen zum Theil einzeln, zum Theil, und dies möchte das häufigere sein, zu mehreren nebeneinander in den Hauptgang über. — Ausser den abge- Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1859, 5 66 Leydig: handelten drei Drüsenpaaren sehe ich noch unmittelbar an der Zungenwurzel einen Haufen von schönen grossen Zellen, wovon jede mit einem Ausführungsgang in das genannte Organ führt. Die Röhrchen neigen sich gegen einander, so dass sie wohl zusammen an einem und demselben Punkte ausmünden. Die Horniss (Vespa crabro) entfernt sich im Bau der Speicheldrüse von der Biene noch mehr als die Hummel. Ich sehe zwei Drüsenpaare, unter sich wieder sehr verschie- den in der feineren Structur, von denen meines Wissens nur das grosse, im Thorax gelegene Paar bekannt ist, und durch Dufour') zuerst beschrieben wurde. Betreffende Drüse entspricht der bei der Biene und Hummel im Thorax ver- borgenen Drüse, besteht aber nicht aus langen Schläuchen, sondern aus runden Follikeln, so dass das Organ im Gan- zen eine schöne Traube vorstellt. An jeden Follikel (Fig. 18) treten von aussen Tracheenzweige heran, und verästeln sich über die Tunica propria weg in feiner Vertheilung. Das Innere des Follikels erfüllen die Secretionszellen, und wie man nach Aufhellung durch Kalilauge erblickt, so verästelt sich der Stiel oder der Ausführungsgang von jedem Follikel innerhalb desselben dendritisch, und die feinsten Enden der Verzweigung darf man der Analogie nach als die primären Ausführungsröhrchen der Secretionszellen ansehen. Schon nahe dem Austritt aus dem Follikel nimmt der Ausführungs- gang eine obschon zarte, doch deutliche spirale Seulptur an. Die Tunica externa steht am ganzen Gang ziemlich weit von der Intima ab. Im Kopf der Horniss, zunächst unter der Stirn, steckt nur Ein Drüsenpaar, das man vielleicht jener Drüse der Biene und Hummel an die Seite stellen kann, bei welcher die Secretionszellen in einen ungetheilten Sammelgang füh- ren. Jedenfalls ist soviel sicher, dass hier bei der Horniss ein Analogon jener im Kopf der Biene und Hummel befind- lichen Drüse, welche aus einem verästelten Gang mit birn- 1) a. a. O. Fig. 77b u. 78. Zur Anatomie der Insecten. 67 förmigen Endblasen besteht, mangelt. Die Elemente der vor- handenen Drüse sind ansehnliche Zellen (Fig. 25a), der Kern derselben gross, wasserklar, mit vielen Nucleolis. Die Zellen, obschon sie alle selbständig bleiben, sind doch unter- einander durch zartere oder breitere bindegewebige Streifen (b) verbunden, Aus jeder Zelle führt ein feines Röhrchen, über dessen Anfang innerhalb des frischen Zellenkörpers man nichts sicheres ermitteln kann, da gerade an der Stelle, aus welcher das Röhrchen anhebt, eine etwas grobkörnige Masse angehäuft ist. Hat man aber diese verdeckende dunklere Substanz durch das oft genannte Reagens weggeschaflt, so erblickt man (bei guter Vergrösserung natürlich) ein dichtes Wurzelwerk, welches blasser ist als das aus der Zelle lei- tende Röhrchen, aber unverkennbar zu diesem gehört, und als der eigentliche Anfang desselben zu betrachten ist (ec). Endlich kenne ich aus der Ordnung der Hymenopteren nach eigener Anschauung die Speicheldrüsen der Formica rufa. Dufour weiss nur von Einem Paar, welches er an Formica pubescens darstellt. Abbildung!) und Beschreibung würde schliessen lassen, dass diese Speicheldrüse bedeutend von deren der übrigen Hymenopteren abweiche, da sie die Form einer einfachen, ovalen, gestielten Blase besässe. H. Meckel beschreibt zwei Paar Speicheldrüsen der For- mica rufa, während ich deutlich an derselben Species (Ar- beiter) drei Paar unterscheide von nachstehender Beschaf- fenheit, Das erste oder obere Paar präparirt man am leichtesten durch Abheben der Stirndecke, und es besteht dasselbe, wie schon H. Meckel gezeigt hat, aus. einer Anzahl grosser Zellen (Fig. 20a) mit hellem Kern und mehreren Kernkör- perchen; aus jeder Zelle führt (b) ein chitinisirtes feines Rohr, doch stimmen bezüglich des Verhältnisses dieses Aus- führungsganges zur Zelle meine Beobachtungen nicht mit den Angaben des bezeichneten Forschers überein. Nach H. Meckel liegt jede Zelle in einem besonderen Beutelchen und die Ver- l) a. a. O, Pl. 7, Fig. 86. 68 Leydig: längerung desselben!) bildet den Ausführungsgang, während ich sehe, dass der chitinisirte Gang (b) aus dem Inneren der Zelle kommt, und wie z. B. nach Anwendung schwacher Es- sigsäure klar sich zeigt, von einer zarten Hülle, die aber unmittelbare Fortsetzung der Zellenmembran ist, begleitet wird. Der eigentliche geschlängelte Anfang des Röhrchens innerhalb der Zelle ist blasser als der weitere Verlauf des- selben, Alle die Gänge zusammen treten, ohne sich unter einander zu verbinden, zu einem gemeinsamen kurzen kegel- förmigen Ausführungsgang. — Das zweite ebenfalls noch im Kopf befindliche Drüsenpaar (untere, oder hintere Speichel- drüse) besteht, wie H, Meckel richtig beschreibt, aus einer ziemlich grossen Zahl langer, gelber Follikel, welche sich büschelförmig vereinigen. Jeder Schlauch hat eine’ starke Intima von ähnlichem fettigen Glanz, wie bei der entspre- chenden Drüse der Biene und Hummel, den Inhalt der Se- eretionszellen bilden gelbe Kügelchen, die stark an Fett- tropfen erinnern. Umschlossen werden die Secretionszellen von einer zarten Tuniea propria. Das dritte Drüsenpaar, welches H. Meckel nicht er- erwähnt, und welches im Thorax liegt, ist von hellem Aus- sehen und besteht aus langen kolbig geendigten Schläuchen. Die Intima von jedem solchen Follikel ist zwar blass, aber man bemerkt doch, dass sie bis in die blinden Enden fein quergestrichelt ist. Dann zeigt der Intimaschlauch auch noch das besondere, dass, obschon der Follikel im Ganzen keine Seitensprossen ausschickt, doch von der Intima im blinden erweiterten Ende des Follikels einige Aussackungen gebildet werden. Nachdem die Follikel sich zu einem gemeinsamen Ductus zusammengethan haben, erweitert sich letzterer je- derseits zu einem umfänglichen Speichelbehälter, dessen Intima. ebenfalls fein quergestrichelt erscheint. ‘Es ist mir “nun im hohen Grade wahrscheinlich, um nicht zu sagen ge- wiss, dass Dufour an Formica pubescens die eigentlichen Drüsenfollikel wegen ihrer Zartheit übersehen und nur den 1) a. a. O. Taf. I, Fig, 16. Zur Anatomie der Insecten. 69 etwas derberen Speichelbehälter beobachtet und für die ganze Drüse genommen hat. Aus der Ordnung der Dipteren besah ich zuerst die Speicheldrüsen der Schmeissfliege (Musca vomitoria), bei wel- cher H. Meckel ebenfalls ausser der lange bekannten im Thorax liegenden Drüse noch eine andere im Rüssel verbor- gene entdeckt hat, doch glaube ich noch einiges nicht un- wesentliche zur Vervollständigung der Beschreibung beitragen zu können. Die Drüse scheint unpaar zu sein und besteht aus einer Anzahl grosser, wasserheller Zellen (es mögen deren 40—50 sein), und was die eigentliche Lage der Drüse angeht, so betrachte ich den Theil, der sie birgt, als umge- wandelte Oberlippe. Die Zellen zusammen umschliesst eine zarte Hülle, und aus jeder Zelle (vergl. Fig. 19) schimmern zwei Körper hervor, wovon der eine ein runder, heller Nucleus ist (a), der andere eine scharf conturirte ovale Blase (b), welche sich als die Wurzel des aus der Zelle führenden Ganges darstellt. H. Meckel gedenkt dieser Blase nicht, aber in den Icones physiologieae von Ecker, wo ein Stück der Drüse abgebildet wird, erscheint sie, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, eingezeichnet (leider bin ich nämlich ausser Stand, das Ecker’sche Werk im Augenblick zu ver- gleichen). Was die feinen Ausführungsröhrchen betrifft, so verbinden sie sich, hald nachdem sie aus den Zellen heraus sind, mit einander, und es entstehen so mehrere Hauptgänge, welche in die Rüsselöffnung gehen. Die blasige Wurzel der ausführenden Canälchen wird in Kalilauge nach und nach sehr blass, während das eigentliche Canälchen scharf geran- det bleibt. Noch muss ich von den Zellen bemerken, dass es das Ansehen hat, als ob einzelne durch einen stielförmigen Fort- satz 80 untereinander zusammenhingen, dass ihr blasskörni- ger Inhalt ein Continaum bildet. Vielleicht aber ist die Ver- bindung nur eine äusserliche, hervorgebracht durch binde- gewebige Verbindungsbrücken, wie letzteres wenigstens bei analogen Drüsen von Hymenopteren zweifellos der Fall ist. Von der hinteren im Thorax liegenden und bis zum Ab- domen hinabreichenden Drüse, welche jederseits die Form 70 Leydig: eines langen einfachen Canals hat, will ich nur erwähnen, dass die Intima im eigentlichen Drüsenschlauch so zart ist, dass man sie fast läugnen könnte, erst im Ausführungsgang wird sie stark, hornig und bekommt eine Sculptur, die zu- erst aus ziemlich weit abstehenden Gruppen von kurzen Querstreifen besteht, nach und nach treten diese näher zu- sammen und die Intima erhält dadurch ein mehr continuirlich quergeringeltes Ansehen. Später zergliederte ich die grosse Viehbremse (Tabanus bovinus), welche im Rüssel ebenfalls die unpaarige Speichel- drüse besitzt. Letztere (Fig. 26) weicht von jener der Musca vomitoria dadurch ab, dass der blasige Körper (b) in den Einzelzellen viel grösser als bei der Schmeissfliege ist, in- dem er den Kern der Zelle (a) um das Doppelte an Umfang übertrifft. Die Wand der gedachten Blase, aus der abermals das Ausführungsrohr (c) entspringt, ist diek und körnig, aber nicht chitinisirt. Die aus den einzelligen Drüsen führenden Canäle scheinen sich nicht zu verbinden, sondern jeder für sich zur Mündungsstelle zu gehen. — Die hintere Speichel- drüse besteht aus zwei langen, durch den Thorax bis zum Abdomen sich erstreckenden Blindschläuchen, in denen nur im Ausführungsgang eine quergefältelte Intima zugegen ist, während sie in dem vom Ausführungsgang deutlich abgesetz- ten Drüsenschlauch so gut wie mangelt. Die Speicheldrüsen der Orthopteren hat zuerst Dufour von vielen Gattungen als traubenförmige Haufen von Drü- senbälgen, welche im Thorax liegen, erkannt, und schön ab- gebildet, auch die Beobachtung gemacht, dass am Ausfüh- rungsgang noch ein langgestielter Speichel-Behälter sitzt. H. Meckel wies dann das nähere Verhältniss nach, in wel- chem die Wurzeln des Ausführungsganges zu den Follikeln stehen, indem er von der Grille (Gryllus campestris) zeigte, dass in die von Zellen erfüllten Drüsenläppchen hinein die Gänge „bis zu unmessbarer Feinheit sich verzweigen, dem Anschein nach so, dass fast zu jeder Zelle ein Aestchen tritt.“ Ich selbst untersuchte Locusta viridissima, bei der die Drüsenacini gelappt sind; der Ausführungsgang beginnt Zur Anatomie der Insecten. 71 im Acinus mit einem verzweigten Wurzelwerk, von dem man annehmen darf, dass die feinsten Würzelchen die Ausfüh- rungscanälchen der hellen, mit grossem Kern versehenen Seeretionszellen sind. Die spiralige Zeichnung des Ausfüh- rungsganges tritt schon bald auf, bleibt aber, selbst in den diekeren Aesten, etwas blass, und die Spiraltouren stehen weit auseinander. Am Stiel des Speichelbehälters sind die Querringe der Intima ebenfalls hell und breit, während im eigentlichen Behälter die Ringe in netzartige Erhöhungen sich verlaufen. Um die Intima des Behälters herum lagern sich ziemlich platte, klare Zellen in einfacher Schicht. — Bei der Maulwurfsgrille (Gryllotalpa vulgaris) ist die Speicheldrüse und ihr anhängender Behälter im Wesentlichen wie bei Lo- custa gebaut: die Follikel sind gelappt, die Zellen derselben etwas dunkelkörniger, der Ausführungsgang im Inneren des Follikels verästigt, und zwischen den Follikeln spannen sich bindegewebige Brücken hin. Die äussere Haut des gemein- samen Ausführungsganges enthielt viele Fetttropfen, so dass diese Hülle wie echter Fettkörper sich ausnahm, Im Speichel- behälter ging auch hier die querringige Sculptur der Intima in dicht gefältelte Erhöhungen über. 5. Zum Geschlechtsapparat der Weibchen. Von dieser Organgruppe sind es namentlich die Samen- tasche und die Anhangsdrüse weiblicher Insecten gewe- sen, welche einer erneuten Besichtigung unterzogen wurden. Obschon bezüglich der Käfer das Hauptsächlichste im Bau dieser Organe bereits durch Stein und früher durch v. Sie- bold!) bekannt geworden ist, und auch meine Zergliederun- gen sich nur auf einige wenige Arten beschränken, so will ich doch einiges darüber anzuführen nicht unterlassen. Die Intima der Samentasche (Receptaculum seminis) hat häufig eine ziemliche Dicke, und eine dunkele, mehr oder weniger braune Färbung. Die genannten Beobachter nennen 1) Beobachtungen über die Spermatozoen der wirbellosen Thiere in Müll. Arch, 1837. 12 Leydig: die fragliche Membran Epithelialhaut, und Stein insbesondere leitet,, die polygonale oder rautige Sculptur von einer Zu- sammensetzung aus Zellen ab, eine Annahme, die gegenwär- tig kaum mehr vertheidigt werden dürfte. ‚Die Seulptur kann ganz fehlen oder wenn vorhanden, kann sie einen ziemlich mannichfaltigen. Charakter darbieten. Nach aussen von der Intima kommt ein „umgebender weicher Hof“, der aus Zellen mit granulärem Inhalt besteht. Seltener gesellen sich‘ noch Muskeln hinzu, Die Structur der Anhangsdrüse hat Stein ebenfalls bei Käfern richtig; erkannt, indem er zeigt, ‚dass der im Aeusseren sehr verschieden geformte Follikel aus einzelligen, von gemeinsamer Tunica propria umschlossenen Drüsen sich zusammensetzt, Auch mit Rücksicht auf ‘die Familie der Elateriden, von denen Stein „mit: Bestimmtheit behaupten kann“, dass sie in ihrer Anhangsdrüse keine; fei- nen Drüsencanälchen besitzen, wird sich aus dem Nachste- henden ergeben, dass genannte Käfer nur scheinbar eine Ausnahme machen. Ich lasse jetzt die auf speeielle Fälle sich bezichenden Notizen folgen. Die Samentasche von Brachinus crepilans, ist lang und schmal, die Intima von. rautiger Zeichnung. Die Anhangs- drüse ist gleichfalls länglich und schmal, doch kürzer als die Samentasche. Bei Silpha obscura hat die Samencapsel eine blasige Form, die zwar starke, aber nicht gefärbte Intima springt nach in- nen regelmässig in Querfalten vor, wie solches auch auf der Stein’schen Abbildung (a. a. O. Tab. III, Fig. XVI) ange- deutet, erscheint und nach demselben Forscher auch noch bei vielen anderen Käfern (Notiophilus, Philanthus, Anthrenus z. B.) vorkommt. Unter der Intima folgt die Schicht von Cylinder- zellen, ‚und zu äusserst eine zarte, Begrenzungshaut (T..pro- pria). — Die Anhangsdrüse stellt einen ansehnlichen Schlauch dar, der mit verengtem Gang und mit stark vorspringender Papille in (das untere Ende des Receptaculum seminis ein- mündet. Der Drüsenschlauch hat ein geräumiges, von längs- faltiger Intima ausgekleidetes Lumen, in das die geschlän- gelten feinen Röhrchen führen, welche in ‚der dicken’ Zellen- \ Zur Anatomie der Insecten. 73 lage wurzelı. Im eigentlichen Ausführungsgang der Drüse ist die Zellenschicht um vieles dünner als am Follikel, und es fehlen auch da die Canälchen der Zellen. Die Gattung Hister ist, wie Stein fand, durch das Vor- handensein mehrerer, kurz taschenförmiger Samenbehälter ausgezeichnet, sowie dadurch, dass bei Hister sinuatus die „Epithelialhaut* in „Stachelzähnchen* ausgeht. Ich habe im Hinblick auf den Bau der Anhangsdrüse bemerkt, dass die Röhrchen, welche aus den Zellen zur Lichtung des Follikels führen, jedes innerhalb der Zelle mit einem wohl extwickel- ten ovalen Knöpfehen beginnt. Trichodes apiarius hat eine sehr lange Anhangsdrüse; an die dicht längsgefaltete Intima derselben treten feine geschlän- gelte Röhrehen. Der Ausführungsgang der Drüse ist nach Stein museulös, worauf ich leider nieht geachtet habe. Bei Hoplia squamosa sehe ich die Samentasche von ge- krümmt birnförmiger Gestalt, die Intima ist gelbbraun und von rautiger Zeiehnung, welch’ letztere zumal innerhalb des Ausführungsganges sehr scharf wird. Die nach aussen von der Intima folgende Zellenlage besitzt einen körnig-dunklen Inhalt. — Vom feineren Bau der Anhangsdrüse ist zu be- merken, dass die aus den Secretzellen beginnenden geschlän- gelten Canälchen noch in der Zelle einen eylindrisch ver- diekten Anfangstheil zeigen, so dass das ganze Canälchen in seinem Umriss an manche Formen von Zoospermien ge- mahnt. Die Anhangsdrüse von Cyaniris cyanea ist birnförmig, die Intima faltig, die feinen Canälchen von gewöhnlicher Art. Die Samentasche ist lang, schmal, gekrümmt, braun, der Samengang hat eine auffallende Länge und ist zusammen- geknäuelt, die Intima desselben bedeutend dick. Bei Coceinella septempunctata sind die Zellen der An- hangsdrüse im frischen Zustande sehr dunkel, hellt man sie auf, 80 gewahrt man, dass jedes Röhrchen der Zellen ein birnförmiges Endknöpfchen hat. Der Intimaschlauch der Anhangsdrüse von Gyrinus nata- tor bildet nach dem Ausführungsgang hin eine beträchtliche 74 Leydig: Erweiterung, worauf er sich wieder verengt. Anstatt einer Samentasche dient ein Canal, der. zu einer Art Glomerulus zusammengewunden, eine besondere von einer Abtheilung des Fettkörpers gebildete Hülle besitzt. Bei Leptura hat die Samentasche eine länglich-birnförmige Gestalt mit hackenartig gekrümmter Spitze. Die Intima ist braungelb, und durch feine Höckerchen dicht punetirt. Die Anhangsdrüse mündet mit verengtem Gang in den Rücken der Samentasche ein, nachdem zuvor der Schlauch der In- tima in der Anhangsdrüse eine beträchtliche Erweiterung er- zeugt hatte. Die Röhrchen der Seeretzellen beginnen in der Zelle mit einem rundlichen Knöpfehen. (Vergl. Fig. 31.) Liophloeus nubilus zeigt wieder einige Besonderheiten im Bau der Anhangsdrüse. Diese hat ein fast lappiges Anse- hen, da immer eine Anzahl von Secretionszellen (a) durch eine umschliessende Tunica propria eine gewisse follieuläre Selbständigkeit erlangt. Der Kern der Zellen ist grösser, als es gewöhnlich in der Anhangsdrüse (der Käfer) der Fall ist. Die ausführenden Röhrchen der Zellen (b) beginnen mit einem verdickten Körperchen, das nach hinten spitz ausgeht, und sich nach vorne vom Röhrchen selbst durch einen Absatz etwas abschnürt. — Die Samentasche hat eine gehörnte Form, und erhebt sich da, wo der Gang der Anhangsdrüse ein- mündet, in einen Höcker. Ihre Intima ist braun, und die Seulptur derselben besteht aus bogigen Strichen, die unter sich von Stelle zu Stelle zusammenlaufen, so dass man auch von einer querziehenden, langzelligen Zeichnung sprechen könnte, (Diese Sculptur ist ganz ähnlich jener, welche die Haut der Daphnia sima auszeichnet.) Was endlich die Gattung Elater betrifit, so spricht ihr Stein den Besitz von Röhrchen, wie sie sonst überall bei Käfern aus den Zellen der Anhangsdrüse herausleiten, ab. Ich kann solches nicht. ganz zugeben, da ich wahrnehme, dass in der verästelten Anhangsdrüse des Agrypnus murinus, sobald sie mit Kalilauge behandelt worden, die feinen Aus- führungsröhrchen keineswegs mangeln; aber allerdings unter- scheiden sie sich von denen aller anderen von mir unter- Zur Anatomie der Insecten. 75 suchten Käfer dadurch, dass sie viel kürzer und auch blas- ser sind, als jene der übrigen Coleopteren. — Dass bei den Elateriden die Ausführungsgänge einzelliger Drüsen überhaupt von grosser Feinheit sind, ersieht man auch an dem acces- sorischen Drüsenpaar, welches „jederseits neben der Scheide bei ihrem Uebergange in das Scheidenmastdarmrohr einge- fügt ist“, und bei Stein auf Taf. V, Fig. VIII h abgebildet wird. Ich finde, dass in diesen kurzen, fast nierenförmigen Drüsensäcken die Intima beträchtlich dick ist, und eine faltig- wabige Innenfläche hat. Aus der dicken Zellenlage kommen zahlreiche Röhrchen in das Lumen des Drüsencanals, aber obschon sie viel länger sind als die gleichen Bildungen der Anhangsdrüse, so sind sie doch ungefähr ebenso zart, wie diese. ° In gar manchen Punkten von den Coleopteren verschie- den erblicken wir die Structur der Samentaschen und der Anhangsdrüsen. („Kittdrüsen“) der Dipteren'). Ich lege folgende Species vor. Musca domestica. Die drei gestielten Samentaschen (Fig. 27) fallen durch die dunkle Farbe ihrer Intima (e) leicht in die Augen. Die Gestalt des von der gefärbten Intima um- schlossenen Raumes ist länglich -birnförmig, und entspricht durchaus nicht dem von der Zellenlage (a) eingehaltenen Umriss der ganzen Samentasche; da nämlich die Zellen um den grösseren Theil der Intima herum nur eine platte dünne Lage bilden, und erst in der Gegend des beginnenden Aus- führungsganges einen dieken, dunkelkörnigen Wulst erzeugen, 80 gewinnt die Samentasche im Ganzen ungefähr die Gestalt einer Eichel), Hat man Kalilauge einwirken lassen, wo- durch die Zellen zerstört wurden, so erscheinen in der Ge- 1) Ich glaube bemerken zu müssen, dass mir von der hierher ge- hörigen Literatur nur der citirte Aufsatz von v. Siebold zugäng- lich ist. 2) Die Abbildung, welche Stein (Icones zoot. von Carus Taf. XVI, Fig. 12) von den gleichen Organen giebt, ist insofern nicht ge- nau, als dort der helle Hof der Samentasche in gleichmässiger Dicke um die Samencapsel herumgeführt erscheint. 76 Leydig: gend, wo die dicke Zellenlage war, hübsche, geradverlaufende Röhrchen (b), welche mit triehterartig erweiterter Mündung aus den Zellen zur Intima führen, Wo die Zellenlage dünn ist, mangeln diese Canäle. Von Muskeln der Samentaschen sah ich nichts, ebenso wenig an den Samengängen. — Die „Kittdrüsen* (Anhangsdrüsen) stellen zwei ziemlich lange Schläuche dar, welche schmäler als die Malpighi’schen Ge- fässe sind, dabei von ganz hellem Aussehen, sich aber im Wasser bald trüben. An die Spitze jedes Drüsenschlauches setzen sich quergestreifte Muskeln an. Die Schläuche (Fig. 28) haben eine deutliche Intima, die im Ausführungsgang eine spiralige Seulptur aufweist; und was die Secretionszellen angeht, so sieht man an der ganz frischen Drüse, dass in jeder Zelle ausser einem blassen Fleck, der sich bald als Nucleus ankündigt, noch eine ähnliche Blase zugegen ist, wie in den Speichelzellen des Rüssels, nur ist die Blase entspre- chend der Grösse der Zellen kleiner als dort. Aus der Blase kommt ein sehr kurzes Rohr zur Intima des Drüsenschlauches, Musca vomitoria. Hier ist die ebenfalls dunkle Intima- capsel der Samentasche ringsum gleichmässig von Zellen umgeben, und letztere springen einzeln, mit ihren gewölbten Flächen vor. In jeder Zelle findet sich auch mit dem Kern eine analoge, dickwandige aber weiche Blase, wie in den Speichelzellen, aber die aus den Blasen hervorgehenden Röhrchen scheinen sehr zarter Natur. zu sein, da ich sie nieht mit Sicherheit erblickt habe, sondern ihre Anwesenheit nur deshalb annehme, weil die Blase in den Zellen da ist, und die Intimacapsel, nachdem man sie durch starken Druck zersprengt hat, zerstreute helle Flecken zeigt, die wohl der Einmündung der angenommenen Ausführungsröhrchen ent- sprechen mögen. An der durch Druck ausgebreiteten Capsel der Intima sieht man ferner, dass sie Ringstreifen besitzt. — Die Kittdrüsen haben den gleichen Habitus, wie die bei Nusca domeslica, münden neben den Samentaschen aus, sind eben so hell, nur sind die Zellen grösser und die Schläuche im Ganzen breiter als bei der Stubenfliege. Nucleus, Blase und Zur Anatomie der Insecten. 77 Ausführungsröhrchen verhalten sich wie bei letzterer. Mehr- mals traf ich Individuen, welche in allen Secretionszellen Häufchen 'von hellen Crystallen enthielten, die in Kalilauge rasch einschmolzen. Tachina fera. Die Samentaschen, in der Dreizahl vorhan- den, bestehen wieder ihrer Form nach aus einem verhält- nissmässig kurzen Stiel (Ductus seminalis) und der eigentlichen Capsel. Die Intima derselben, braun von Farbe, hat man- ches besondere; ihr Ende erscheint wie quer abgeschnitten, und buchtet sich nach innen vor, ganz ähnlich dem Boden einer Weinflasche, dann ziehen über die äussere Fläche der Intimacapsel tiefbraune, annähernd spiralig gezogene Strei- fen, von denen eine weitere Untersuchung darthut, dass sie von Furchen der Oberfläche herrühren. Die Zellenschicht, welche nach aussen folgt, erinnert insofern an die der glei- chen Stelle von Musca domestica, als auch hier ihre Elemente erst nach dem beginnenden Ausführungsgang hin länger (ey- lindrisch) werden, während sie am übrigen Umfang durch eine mehr platte Gestalt eine nur dünne zellige Zone um die Intima herumführen. Eine besondere Tunica propria grenzt wie immer den zelligen Hof nach aussen ab. An das freie Ende der Samentasche, da wo die Einbuchtung der Intima gesehen wird, treten einige Nerven mit eingelagerten Gan- glienkugeln, ‘bei welcher Gelegenheit ich anführen möchte, dass auch bei anderen Insecten dieses Organ eonstant seine eigenen Nerven erhält. Der Samengang beginnt mit einer Verdickung, welche sich gegen den verdünnten Hals der braunen Capsel scharf abhebt. Nach der ersten Besichti- gung scheinen die Röhrchen der Zellen zu fehlen, Zerdrückt man indessen die braune mit Kalilauge behandelte Capsel, so bemerkt man sehr feine, blasse Röhrchen, welche mit einem ebenso farblosen rundlich ovalen Knopf aufhören. Ganz von derselben Grösse, Form und Blässe sind auch die Gänge, welche in den Kitt- oder Anhangs-Drüsen die Zellen mit der Intima verbinden. Tipula oleracea, Eine hübsche Abbildung des Apparates 78 Leydig: findet sich bei v. Siebold'). Es sind abermals drei Samen- taschen vorhanden mit sehr langem Stiel, und alle drei Stiele zusammen treten in einen ansehnlichen Gang, der sie ge- meinsam in die Scheide führt. Die Intima der Samencapsel ist dunkel, sehr dick und stark verhornt, wie man. beim Zer- sprengen derselben, was mit einem Knack geschieht, deutlich genug bemerkt. Die Zellenschicht ist auf der eitirten Figur mit gleicher Dicke als heller Hof um die Intima geführt, an obiger Art hingegen ist die zellige Lage rings um den Grund der Intimacapsel dünn und verdickt sich erst da zu einem breiten Wulst, wo die innere Capsel sich zum Chitinrohr des Ductus seminalis verjüngt. Nur in der Gegend dieser zelligen Auftreibung, sowie in einiger Entfernung vom Re- ceptaculum am Ductus seminalis sind Ausführungsröhrchen der Zellen zu erblicken. Man könnte meinen, dass der Zeich- ner der v. Siebold’schen Figur 10 diese Röhrchen am ge- meinsamen Samengang schon angedeutet habe, doch ist es wahrscheinlicher, dass die Querlinien die Conturen der Cy- linderzellen vorstellen sollen, denn man sieht doch eigentlich erst bei starker Vergrösserung diese Canälchen, wobei sich auch ergiebt, dass die specifische Form derselben die eines kurzen Cylinders mit abgeschnürtem kugligem Endknopf ist. Eher mögen die Ringelchen auf Fig. 11 sich auf besagte Röhrchen beziehen. v. Siebold nennt den Gang „musculös“, ich habe indessen nichts von Muskeln bemerkt. — Die Drü- sen, welche rechts und links in die Scheide münden und als „Kittorgane“ angesprochen werden, im frischen Zustande sehr hell aussehen, und erst im Wasser sich nach und nach trüben, sind ziemlich kurz und blasig geendigt. Schon ohne weitere Behandlung mit Reagentien macht sich in den Se- eretionszellen ein kurzes, scharfgerandetes Ausführungsröhr- chen bemerklich mit kolbigem Anfang. Das Röhrchen wieder- holt gewissermassen die Form der ganzen Kittdrüse im Kleinen. Eristalis tenar. Von der Samentasche dieses Zweiflüglers habe ich mit Rücksicht auf die Structur zwar schon an einem 1) a. a. O. Taf. XX, Fig. 10. Zur Anatomie der Insecten. 79 anderen Orte!) eine Abbildung und Beschreibung gegeben, möchte aber hier darauf zurückkommen, weil mir damals etwas Wesentliches davon entgangen war. Die äussere, tra- cheenhaltige Hülle ist braun; die Zellenlage, welche die In- timacapsel gleichmässig ringsum belegt, erscheint granulär, und wenn man nun wieder durch die oft genannte Flüssigkeit Pigment und Zellensubstanz weggeschafft hat, so springt die dunkle Intima scharf vor, wobei jetzt, was ich früher nicht wusste, um den ganzen Umfang der Intima herum Röhrchen sichtbar werden, die mit eigenthümlichem, wie schaufelförmig verbreitertem und ausgehöhltem Ende in die Zellenschicht ragen (Fig. 29). Am Ductus seminalis mangeln die Röhrchen, auch fehlen Muskeln am ganzen Apparat. — Die „Kittorgane* sind verästelte, helle, von Tracheen umsponnene Schläuche, und die von der Intima zu den Secretionszellen führenden Röhrchen sind hier ohne Weiteres, am frischen Object, schon deutlich zu sehen, da sie nicht nur scharf gerandet, sondern auch ungewöhnlich breit sind, wie aus der Abbildung Fig. 30 erhellt. Tabanus bovinus. Während bei allen bisher zur Sprache gebrachten Inseetenweibchen an der Samentasche der Unter- schied von dem eigentlichem Receptaculum und dem Stiele desselben oder dem Samengang sehr in die Augen fällt, so ist solches bei der grossen Viehbremse nicht der Fall, son- dern die drei Samentaschen haben die Form länglicher Schläuche, die nur mit einem schwach verbreiterten oder verdickten Endtheil abschliessen. Die Intima ist durchweg stark braun, kurz quergestrichelt, und von ihr zu den Zellen führen Röhrchen nach dem ganzen Verlaufe der Samentaschen. Die Röhrchen sind verhältnissmässig blass und kurz, doch #0 breit, dass man das Lumen sehen kann. Jenseits der Tunica propria umhüllt noch eine Schicht die Zellenlage, und obschon es von vornherein wahrscheinlich ist, dass man Mus- keln vor sich habe, so ist doch erst an Präparaten, die einen Tag etwa in Kali bichrom. gelegen hatten, mit Bestimmtheit 1) Lehrb, der Histologie S, 544. 80 Leydig: die musculöse Natur dieser Schicht nachzuweisen. Man sieht jetzt die Querstreifen, von denen im frischen Zustande keine Spur zum Vorschein kommen wollte. — Auch die Struetur der „Kittdrüsen* weicht sehr ab. Es sind zwei Schläuche von beträchtlicher Weite, an denen die Secretionsfläche noch dadurch vergrössert ist, dass die Wand des Schlauches in Längsfalten nach einwärts sich stülpt, dann ist der Schlauch nicht bloss von Tracheen umsponnen, sondern auch von einem Netz quergestreifter Muskeln. Die Seeretionszellen sind hell, und von Ausführungsröhrchen derselben habe ichnichts bemerkt. Aus der Ordnung der Hymenopteren wurden Samen- tasche und Anhangsdrüse von der Biene, der Wespe, Hor- niss und der Hummel näher beschen. Ein Arbeiterindividuum von Bombus lapidarius, dessen Eierstock jederseits aus drei von Tracheen dicht umsponne- nen Röhren bestand, und im gemeinsamen Eiergang eine feinhaarige Intima besass, zeigte eine wohlausgebildete wenn auch kleine Samentasche. Sie war rundlich von Ge- stalt, ihre Tunica propria trug eine geringe Tracheenver- zweigung, zwischen der Tunica propria und der Tunica intima lagerte eine Zone körniger Zellen. Die Intima selbst war diek und farblos. Ob Muskeln auf oder innerhalb der Tu- nieca propria zugegen seien, ist mir unklar geblieben, doch schienen sie mir eher zu fehlen. - Die Anhangsdrüse, welche in den Stiel der Samentasche mündet, besteht aus einem paa- rigen, zwar kurzen, aber ziemlich breiten Schlauch, dessen ehitinisirte Intima einen schmalen Schlauch bildet, in welchen aus den Seeretionszellen lange feine Canälehen leiten. Ganz ähnlich sind die Verhältnisse bei der Wespe (Vespa tectorum). Auch hier findet man jederseits drei Biröhren; der gemeinsame Eiergang hat eine schuppig-haarige Seulptur, und was Samentasche und Anhangsdrüse betrifft, so stimm- ten sie im Wesentliehen mit den gleichen Bildungen der Hummel überein, und sind nur, gewissermassen in Harmonie mit der äusseren mehr schlankeren Gestalt der Wespen ge- genüber der gedrungeneren Figur der Hummeln, ebenfalls gestreckter; wenigstens gilt dies vom Ausführungsgang der Zur Anatomie der Insecten. 81 Samentasche und der Anhangsdrüse, welche beide länger sind, als bei der Hummel. Am frischen Receptaculum se- minis erscheint die Tunica propria s. externa von heller, faltiger Beschaffenheit, und ist nur von wenigen Tracheen durchzogen, dann folgt wieder die Zellenschicht, und «uletzt die farblose Intima. Die Muskeln, welche nach Leuckart!) die Samentasche mit einem ziemlich weitmaschigen Netzwerk umspinnen, habe ich bis jetzt noch nicht mit Sicherheit ge- sehen, bin aber in Anbetracht dessen, was man hierüber bei der Horniss findet, eher geneigt, sie anzunehmen, als zu be- zweifeln. — Die Intima der Anhangsdrüse erhebt sich nach aussen in kleine Höcker zur Aufnahme der büschelförmig geordneten Röhrchen der Seeretionszellen. Die Horniss (Arbeiter) besitzt jederseits ungefähr sechs Eiröhren, und die beiden Eileiter zeigen vor ihrem Zusam- mentritt zum gemeinsamen Eiergang eine, bekanntlich auch sonst häufig vorkommende, Erweiterung. Die Samentasche hat eine ovale Gestalt, und einen nicht eben langen Samen- gang. Im frischen Zustande des Apparates konnte ich mich kaum vergewissern, ob die Samentasche eine Museculatur be- sitze, aber nachdem das Präparat einen Tag lang in Kali biehrom. gelegen hatte, und darauf der Einwirkung von kau- stischem Kali ausgesetzt wurde, liess sich mit Sicherheit eine die Samentasche vollständig umhüllende Museulatur erken- nen (Fig. 33a). Es sind Ringmuskeln, welche aufhören, wo der Ductus seminalis beginnt, was mit aller Schärfe zu schen war, ebenso wie das Einsenken des nicht musculösen Ganges zwischen die Muskelzüge der Wand des gemeinsamen Eiergan- ges (e). Die Muskeln der Samentasche liegen auf der Tunica propria, oder richtiger gesagt, innerhalb der äusseren wei- chen Schicht, welche auch die Tracheen trägt. Unterhalb der Tunica propria folgen die eylindrischen gekörnelten Zel- len (b), dann zu innerst die Intima (ce), Falten bildend, welche gegen das Ende des Samenganges sich zu kleinwabigen Fi- guren verbinden. — Die gegabelte Anhangsdrüse (d) mündet 1) „Zur Kenntniss des Generationswechsels.*“ Beichert's u. du Bois-Keymond's Archiv, 1859, 6 82 Leydig: etwas unterhalb der Spitze der Samentasche in diese. ein, und hat denselben Bau, wie er yon den vorhergehenden Hautflüglern erwähnt wurde. Manche Eigenthümlichkeiten bietet die Samentasche der Bienenkönigin dar. Ehe ich dieselbe beschreibe, sei auch daran erinnert, dass am Eierstock hier die Zahl der Eiröh- ren überwiegend grösser ist, als bei den anderen Hymen- opteren. Swammerdam versuchte die Röhren zu zählen, und schätzt sie auf dreihundert. Leuckart, welcher Gele- genheit hatte, viele Weisel zu zergliedern, nimmt etwa 150 bis 180 jederseits an, nur bei einer „Miniaturkönigin“, wa- ven es ungefähr 100 auf jeder Seite. Die Tunica propria der Eierstocksröhren zeigt sich deutlich in zwei Schichten gesondert, in eine innere scharfgezogene Linie oder eigent- liche T. propria, und in eine äussere zartgerandete Linie, welche die Trägerin einer ausserordentlich grossen Menge von Tracheen ist, welch letzteren Punkt auch bereits Swam- merdam hervorhebt. Was nun die Samentasche mit der gegabelten Anhangsdrüse betrifft, so hat beide unser hollän- discher Anatom gut abgebildet. Die Samentasche ist von ziemlichem Umfang, und macht sich, wenn mit Samen gefüllt, schon für das freie Auge als weissliche gestielte Kugel leicht bemerklich. Nehmen wir Rücksicht auf den -feineren Bau, so muss ich besonders betonen, dass mir bis jetzt kein zwei- tes Insectenweibehen bekannt ist, bei welchem die äussere Haut der Samentasche von einem derartig reichlichen und zierlichen Trachealnetz 'durchwirkt wäre, wie hier (Fig. 32a), und, was ebenfalls eigen ist, das Netz besteht nicht etwa aus feinen’ oder capillaren Tracheen (wie das bei anderen In- seeten gesehen wird), sondern aus verhältnissmässig starken Röhren, Auch diese Tracheenhülle hat Swammerdam wohl. bemerkt und die Art, wie er auf seiner Abbildung (a. a. 0, Taf. XIX, Fig. III f) die Oberfläche der Samentasche (bei ihm „Leimbeutelgen*) wiedergiebt, bezieht sich ‚öffenbar auf die besagte Tracheenüberkleidung. Im Text heisst es: „Der runde Theil des Leimbeutelgens hat zwei Hüllen. Die äussere ist weisslich und musculös, und mit einer. unzäll- Zur Anatomie der Insecten. 83 baren Menge Luftröhren wunderbarlich und sehr artig ver- webt und künstlich damit gleichsam verbrämt. Dieser äussere Rock lässt sich mit wenig Mühe von dem inneren herunter- streifen.“ Es passt diese Beschreibung durchaus, nur damit kann ich mich nicht einverstanden erklären, dass die Wan- dung der Samentasche museulös wäre, trotzdem dass noch neuerdings ein ausgezeichneter Zoologe') diese Angabe wie- derholt; ich wenigstens vermochte bisher nicht eine Spur von Muskeln in der Wand der Samentasche aufzufinden und stelle sie für diesen Theil entsehieden in Abrede. Auf die Tracheenhaut folgt nach innen die Zellenschicht (Fig. 32b), aus rundlich-platten, nicht eylindrischen Elementen bestehend. * Von der Intima (ce) des Receptaculum seminis habe ich zu bemerken, dass sie farblos ist und eine feine Punktirung darbietet, die, was eine nähere Betrachtung darthut, von einer der Innenfläche angehörigen Körnelung herrührt. Im Stiel der Samentasche hat die stärker chitinisirte Intima kräf- tige, unter einander nicht zusammenhängende Querstreifen. — Die gegabelte Anhangsdrüse (d) („krummgebogene Hörngen“ bei Swvammerdam, Fig. III u, u) zeigt uns wieder wie bei der Hummel, Horniss und Wespe einen der Giftdrüsb ana- logen Bau. Die zwei Schläuche haben nämlich eine Tunica propria, welche die Zellen umschliesst, und eine Intima, zu der die in Büscheln. aus den Zellen kommenden Röhrchen treten, wobei auch die Intima sich für jeden solchen Büschel besonders aussackt. Die Einzelröhren der Zellen sind relativ sehr stark, und entschieden dicker als die entsprechenden 1) Leuckart in der Bienenzeitung, 1855. S. 203 sagt: Die Wan- Jungen der Samentasche „auch bei der Bienenkönigin haben eine dentlich musculöse Beschaffenheit“, und in seiner neuesten Schrift „zur Kenntniss des Generationswechsels, 1858‘ wird von diesen Muskeln angegeben, dass sie „sehr zart und blass sind“ und leicht übersehen werden können, „weil sie zwischen den Tracheen des Luftgefässnetzes, dem sie aufliegen, sich leicht verstecken“. Auch der Samengang habe einen solchen Muskel, der aus Ringfasern bestehe, an der Insertions- stelle der Anhiangsdrüsen beginne, und bei der Biene fast bis in die Mitte des Samenganges sich verfolgen lasse. 6* 54 Leydig: Canälchen in den Giftdrüsen, weshalb man auch (nach An- wendung von Kalilauge) bestimmen kann, dass jedes Röhr- chen innerhalb der Zelle, hinter seinem dunkelgerandeten Theil, noch eine blasse, geschlängelte Fortsetzung besitzt. Die Arbeitsbienen sind bekanntlich Weibchen mit ver- kümmertem Geschlechtsapparat, und wie das ja auch bei der übrigen Thierwelt an Organen, welche in der Rückbildung begriffen sind, beobachtet wird, es werden die rudimentären Fortpflanzungswerkzeuge nach den Individuen in ziemlich verschiedenen Zuständen angetroffen. So wechselt, was auch Leucekart bemerkt, die Zahl der Eiröhren bei der Arbeits- biene nach den Einzelthieren sehr ab, an den von mir zer- gliederten Arbeitern waren 12 Eiröhren jederseits das meiste, und 3 die niedrigste Anzahl. Leuckart fand auch Thiere mit nur 2 Eiröhren, Sie sind dicht von Tracheen umspon- nen, und enthielten in der Regel kleine blasse, indifferente Zellen, nur einigemale stiess ich auf Röhren mit Eikeimen, welehe dann leichte Anschwellungen der Röhren bedingten, und in Uebereinstimmung mit den Angaben des genannten Forsehers waren es nur einzelne Röhren des Ovariums, welche solche, Eikeime enthielten. Der gemeinsame Eiergang oder die Scheide ist an der Intima mit feinen kurzen Stacheln besetzt. Die zuerst durch v. Siebold an der Arbeitsbiene nach- gewiesene und jüngst von Leuckart näher beschriebene und abgebildete Samentasche ändert ebenfalls nicht wenig ab, und ihre stärkere oder geringere Rückbildung steht in gera- dem Verhältniss mit dem Verhalten des Eierstockes. Ist letzterer in nur wenigen schwachen Röhren vorhanden, so ist auch das Receptaculum seminis sehr klein und verküm- mert. Es liegt dieses Organ in der Nähe des letzten Gan- glions vom Bauchmark, und hat im Allgemeinen eine keulen- förmige Gestalt (vergl. Fig. 34). Nach Aufhellung durch Kalilauge unterscheidet man deutlich eine verhältnissmässig dicke Intima und, in der dem Ductus seminalis entsprechen- den Partie und nach innen von der Intima, gelbliche Körner; nach aussen von gedaehter Membran folgt die Schicht der Zur Anatomie der Insecten. 85 x eylindrischen Zellen. Die Ringmuskeln, welche Leuckart') um die Zellenlage herumzeichnet, und auch im Texte erwähnt, habe ich nicht gesehen. Die äussere Hülle (Tunica propria) ist nur von wenig Tracheen durchzogen. Die Intima des Ductus seminalis erweitert sich nach oben zu einer schwa- chen kolbigen Anschwellung mit strahligem Rand, und v. Sie- bold hält diesen Theil für die zusammengefallene Samen- tasche, welcher Auffassung ich ebenfalls zustimmen möchte, Leuckart hingegen sieht darin nur das Ende des Samen- ganges, und erblickt in einem „sehr unbedeutenden kegel- förmigen Anhang“ das eigentliche Receptaculum. Meine Be- obachtungen stehen nicht ganz im Einklang mit dieser Deu- „tung. In den mir vorgelegenen Präparaten war nämlieh nie „der kegelförmige Anhang“ ein von der Einmündungsröhre der Anhangsdrüse verschiedenes Gebilde, wie solches nach Zeichnung und Beschreibung Leuekart’s der Fall ist, viel- mehr erschien immer dieser horngelb aussehende Körper als das eigentliche Ende des Ausführungsganges der Anhangs- drüse. Man gewahrte an ihm ein helles Lumen in Commu- niecation mit dem Lumen des Drüsenganges, und die dicke tiefbraune Wand konnte als die Fortsetzung des ebenfalls verdickten Intimarohres der Anhangsdrüsen betrachtet wer- den. Was nun die letzteren betrifft, so können sie dergestalt verkleinert sein, dass man von einem fast völligen Schwund sprechen möchte. Gewöhnlich ist nur die eine Drüse noch einigermassen entwickelt und in Zusammenhang mit dem braunen Anhang, wobei man auch bei näherer Besichtigung ferner bemerkt, dass die sonst so zahlreichen feinen Röhrchen, welche aus den Secretzellen herausführen, hier auf einige wenige reducirt sind. Die andere Drüsenhälfte ist nur spur- weise zugegen, und das zusammengeschobene Intimarohr ohne Zusammenhang mit der Samentasche, (Vergl. Fig. 34.) Auch Leuckart sah solche Fälle: „nicht selten sucht man bei den Arbeitsbienen vergeblich nach einem Zusammenhang — 1) a. a. ©. 8, 96, Fig. 16. 86 Leydig; zwischen den Ausführungsgängen den Anhangsdrüsen und dem Ductus seminalis*, Ueber den feineren Bau der „Kittdrüse“ der Arbeits- biene („Schmierdrüse“ bei Leuckart) hat noch Niemand sich ausgesprochen, wesshalb auch hier davon. Einiges ste- hen soll. ‚ Die Drüse ist ein unpaarer, in das unterste Ende der Scheide einmündender Schlauch, der im frischen Zustande stets etwas dunkel aussah. Kalilauge bewirkt wieder, dass man die Form, welche der Intimaschlauch bildet, sehen kann, Sie ist sehr eigenthümlich. Auf den ersten Blick scheint es, als ob eine Anzahl geschlossener Blasen oder platter Säcke übereinander lägen, erst wenn diese etwas auseinander ge- rückt sind, kommt zwischen je zwei Blasen ein verhältniss- mässig enger Verbindungs-Canal zum Vorschein, und man erhält, indem man die Bilder zusammenfasst, zuletzt die Vor- stellung, dass der Schlauch der Intima in Spiraltouren in den Drüsenfollikel aufsteige, wobei er in regelmässigen Ab- ständen sich blasig erweitert und dazwischen zu einem Canal sich verengt. Auch zeigt die Intima ‚noch das Bemerkens- werthe, dass sie von ähnlichen, zerstreut stehenden grösseren Löchern durchbrochen ist, wie die Innenhaut der einen im Kopfe gelegenen Speicheldrüsen, Beim: Weisel ist die Drüse um vieles stärker und durchweg entwickelter, die Taschen sehr buchtig, und aussen an der T.. propria verlaufen einzelne quergestreifte Muskeln. Von der Ordnung der Orthopteren sah ich mir Locusta viridissima und Gomphocerus grossus bezüglich ihres Recepta- culum an. Bei Locusta viridissima ist die. Samentasche ein sehr an- sehnliches Gebilde, und fällt nicht bloss dadurch, sondern auch durch ihre weisse Farbe am frisch geöffneten Thier leicht in die Augen. Die weisse Farbe rührt nicht: etwa von dem Inhalt der Samentasche her, oder von der Beschaffen- heit der Intima, sondern die unter der Intima liegende Zel- lenschieht ist es, welche diese Farbe bedingt, indem die (ey- linderförmigen) Zellen einen dunkelkörnigen, bei auffallendem Zur Anatomie der Insecten. 87 Licht weissen Inhalt haben. Von der Intima der Samentasche gehen nach ihrem ganzen Umfang abermals Röhrchen zu den eben besagten Zellen, wie nach Kalilauge klar wird; sie sind schwach gekrümmt, laufen spitz zu, sind aber re- gelmässig ein bis zweimal eingeschnürt. Im Duetus seminalis erscheint die Intima bedeutend verdickt, und die aus der Zellenlage zu ihr führenden chitinisirten Röhrchen sind äusserst zahlreich, und besetzen auf’s Dichteste ringsum die Intima; sie unterscheiden sich ferner von denen der Samentasche da- durch, dass sie um vieles länger sind, übrigens die Form einfacher, geschlängelter Röhrchen haben. Nach aussen von der Zellenlage beobachtet man an der Samentasche und am Samengang eine aus quergestreiften Elementen bestehende Muskelschicht, und zwar hat dieselbe eine beträchtliche Dicke im oberen Theile des Samenganges; sie verschmächtigt sich im unteren der Scheide zugekehrten Abschnitt, und auch an der Samentasche, die übrigens vollständig von dem muscu- lösen Stratum übersponnen wird, ist die Schicht durchweg dünner, als am Samengang. Wegen ihrer Grösse ist die Samentasche der Locusta von älteren und neueren Entomotomen vielleicht mehr als jene anderer Inseeten untersucht worden, doch beschränkte man eich auf die Angaben über Farbe und Form der Tasche und des Ganges. Auch v. Siebold, welcher über den Inhalt. des Receptaculum bei befruchteten Weibehen so interessante Beobachtungen veröffentlicht hat'), sagt über den Bau des Apparates nichts weiteres, als dass die Wandung der Samen- kapsel, nicht wie sonst bei vielen Inseeten eine hornige Be- schaffenheit besitze, sondern weich, dehnbar sei und von sich kreuzenden Fäden durchzogen, womit wohl die vorhin er- wähnten Muskelzüge gemeint sein mögen. "Ausser den bekannten zu federartigen Körpern vereinig- ten Zoospermien sah ich in der Samentasche noch eigen- 1) Amtlicher Bericht über die zwanzigste Versammlung der Ge- sellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte, Mainz 1843 und Ver- handlungen der Kais. Leopold.-Acad. d. Naturf, 1845. 88 Leydig: thümliche Gebilde: es waren sehr blasse, platte Körper, wie, krystallinische Platten, oder auch von Spitzweckform. Ich weiss aus denselben vor der Hand nichts zu machen, und zeige die Anwesenheit derselben einfach an. Man könnte daran denken, dass sie aus dem Secrete der männlichen An- hangsdrüse abstammen, besonders wenn man vergleicht, was von ähnlichen Gebilden aus den accessorischen Geschlechts- drüsen des männlichen Lamia textor unten erwähnt wird. Die accessorische Geschlechtsdrüse, ein unpaarer, weiter, heller Schlauch, schliesst sich in seiner histologischen Be- schaffenheit, deren kein Schriftsteller bisher gedenkt, den übrigen Anhangsdrüsen an. Es ist eine Intima vorhanden, die nach aussen mit kurzen Röhrchen besetzt ist. Die Se- eretzellen selbst und die Tunica propria geben zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass. Die Röhrchen der Zellen wer- den wie in den meisten Fällen erst durch Anwendung von Kalilauge sichtbar. Gomphocerus grossus weicht schon in der äusseren Ge- staltung des fraglichen Apparates von Locusta viridissima be- trächtlich ab. Der lange, gewundene Ductus seminalis gabelt sich gegen sein Ende, wovon dann der eine Arm in das ovale Receptaeulum ausgeht, während der andere sich zu einem geschlängelten das Receptaculum an Länge übertreffenden Blind-Canal gestaltet. Samengang, Samentasche und der An- hang haben eine sehr dieke Intima; an der unteren Partie zeigt die Innenfläche derselben deutliche Stacheln, welche sich nach aufwärts allmälig verlieren. An der Aussenfläche der Intima, sitzen nach dem Verlauf des ganzen Apparates Röhrchen in zahlreichster Menge; sie sind da, wo die Innen- fläche der Intima stachlig ist, am stärksten, indem man an jedem einzelnen Röhrchen das Lumen desselben unterschei- den kann. ‚Je mehr sich der Ductus seminalis dem Recepta- culum nähert, um so feiner werden sie, so dass sie an der Samentasche selber zu feinen gebogenen Strichelchen herab- gesunken sind. Von Hemipteren habe ich eine einzige Wanzenart un- tersucht, den Syromastes marginatus. An der frischen Samen- Zur Anatomie der Insecten. 89 tasche sieht man leicht, dass eine tiefdunkle Intima zugegen ist, welche von einer starken Zellenschicht umhüllt wird. Ein musculöser Ueberzug fehlt, die äusserste Grenze bildet eine zarte Tunica propria mit feinen Tracheen. Zugesetzte Kali- lauge bringt nun wieder besondere Structurverhältnisse zur Anschauung, man sieht jetzt, dass die dieke dunkle Intima- capsel eine quere Eiuschnürung hat, und dass ferner von ihr in dichter Menge Röhrchen zu den Zellen gehen. Diese Ausführungsgänge der Zellen sind ziemlich lang, sehr fein und geschlängelt, und jedes Röhrchen endet (innerhalb einer Zelle) mit einem verbreiterten eylindrischen Körper, dessen Ränder dunkel und wellig sind; auch ist das eigentliche Ende meist knopfartig abgeschnürt. von Siebold, welcher eine grössere Anzahl von Wanzen auf das Receptaculum unter- sucht hat, bemerkt über Syromastes marginatus bloss: „Die hornige Samencapsel ist mit einer Anzahl kurzer, unregel- mässig gekrümmter Fortsätze versehen“. Unter diesen „Fort- sätzen“ kann wohl nichts anderes als die von der Zellenlage zur Intima tretenden Ausführungsröhrchen gemeint sein, so wie es auch scheint, als ob auf der v. Siebold’schen Fig. 4 (Receptaculum seminis von Pachymerus marginepunclatus) die in „dem durchsichtigen Hof“ von der Intima strahlig ausge- henden Linien, deren im Text keine Erwähnung geschieht, analoge Bildungen seien. Die Art und Weise wie bei Syro- mastes marginatus der Ductus seminalis aus der Capsula se- minalis sich hervorbildet, ist ganz ähnlich wie. bei Cimer bidens (vergl. Fig. 5 in der Abhandlung des eben genannten Forsehers), indem die sehr dicke Intima einen anfänglich engen Canal bildet, dann eine Erweiterung formt mit inne- rem zapfenartigen Vorsprung da, wo das Lumen sich aus- zuweiten anfängt, (Fortsetzung folgt.) °0 Claude Bernard: Von dem Einfluss der beiden Nervengattungen, welche die Farbenveränderung des Venenbluts der drüsigen Organe. bedingen. Von CLAUDE BERNARD.') In einer Mittheilung vom 25. Januar d. J.?) habe ich dar- gethan, dass das Venenblut der Drüsen und das der Muskeln eine ganz entgegengesetzte Färbung habe, wenn man sie wäh- rend der Thätigkeit der betreffenden Organe betrachtet, Geräth ein Muskel in Thätigkeit, so ist das ihn verlas- sende Blut sehr dunkel. Eine Drüse dagegen liefert, wenn sie thätig ist, und ihr Absonderungsproduct entleert, Venen- blut von heller Farbe, die zuweilen mit der Farbe «des Ar- terienblutes ganz übereinkommt. Daher wechselt; die Farbe des Venenblutes bei Drüsen, welche intermittirend thätig sind, zwischen Hell und Dunkel, je nachdem die Drüse thätig ist oder ruht. Nach Feststellung dieser Thatsachen setzte ich mir vor, die Aenderung in der Zusammensetzung des Blutes zu be- stimmen, welche der verschiedenen Färbung entspräche, was mir, wie ich glaube, auch geglückt ist. Bevor ich je- doch auf die Experimente eingehe, welche sich auf die rein chemische Seite der Erscheinung beziehen, muss ich die Ver- hältnisse des Nervensystems auseinandersetzen, von welchen jene abhängen, um so mehr, da das Studium des Mechanis- mus, nach welchem die Nerven die chemischen Erscheinungen des lebendigen Organismus bewerkstelligen, mir vor Allem stets ein würdiger Gegenstand der physiologischen Forschung zu sein schien. I. Ich wünsche heute darzuthun, dass die eigenthümlichen chemischen Bedingungen, welche das Venenblut der Drüsen bald hell, bald dunkel erscheinen lassen, von zwei Nerven 1) Aus den Comptes rendus ete. 9 Aoüt 1858. t. XLVII. p.245—253. 2) Comptes rendus etc. t. XLVI, Von dem Einfluss der beiden Nervengattungen ete. 91 abhängen, welche verschiedene Ursprünge haben, und in ge- wissem Sinne einander antagonistisch entgegenwirken, d. h. mit anderen Worten, es giebt einen Drüsennerven, unter dessen Einwirkung das Venenblut hell erscheint, und einen anderen, dessen Einwirkung es dunkel erscheinen lässt. Ich werde nachweisen, dass jeder dieser Nerven, um chemisch auf das Blut zu wirken, die mechanischen Verhältnisse des Capillarstromlaufs in entgegengesetzter Weise verändert, der- gestalt, dass sich eine nothwendige und leichtverständliche Beziehung ergiebt zwischen den chemischen Veränderungen des Blutes in den Geweben und den mechanischen Bedingun- gen des Capillarstromlaufs, welche unter dem unmittelbaren Einfluss der Nerven stehen. Um die folgenden Thatsachen schärfer zu bestimmen, und das Studium derselben für diejenigen zu erleichtern, welche sie darstellen möchten, muss ich bemerken, dass alle Versuche, von denen die Rede sein wird, an der Gland. sub- max. des Hundes angestellt sind, welche vorzugsweise für diese Untersuchung sich eignet wegen des intermittirenden Verlaufs ihrer Secretion, in Folge dessen der Farbenwechsel ihres Venenblutes sehr schön und deutlich erscheint. Der operative Eingriff zur Blosslegung der Nerven der Gl. subm. bedarf keiner Beschreibung, denn er ist nur eine anatomische Präparation am lebenden Thiere, die jeder Phy- siolog nach seiner Weise machen kann. Nur das will ich bemerken, dass dieser Versuch, der immerhin unter die fei- nen und mühsamen gehört, ausnehmend vereinfacht wird, wenn man, wie ich stets gethan habe, den M. digastr. vor- her im Ganzen entfernt. Hat man dies genau gethan, und ohne die benachbarten Organe zu verletzen, so hat man eine hoble Wunde, in welcher die untere Fläche der Gl. subm. sowie die Gefässe und Nerven frei zu Tage liegen, und in welcher man dann sehr leicht experimentiren kann. II. Der Nerv, welcher das Blut in der Vene der Gland. submax. hell erscheinen lässt, ist ein Zweig, der vom Ramus lingualis neryi quinti nach hinten abgeht. Aber er legt sich nur an den (uintus an, in Wahrheit stammt er vom Facialis, und wird hauptsächlich von der Chorda tympani gebildet. Wie dem auch sei, dieser Drüsenzweig wird leicht gefunden, da wo er den Lingualis verlässt, um sich in der Submaxil- laris zu verästeln, indem er deren Ausführungsgang begleitet. Wenn man nun die Drüse mit allen ihren Nervah im Zu- stand der Ruhe betrachtet, d. h. wenn Niehts dureh ihren Ausführungsgang fliesst, kann man sich überzeugen, dass ihr Venenblut eine sehr deutlich dunkle Färbung hat. "Wenn man dann den vorher bezeichneten Drüsennerven in Thätig- keit versetzt, sieht man das Venenblut, welches eben noch dunkel wär, mehr und mehr hell werden, und bald so röth- lich wie Arterienblut erscheinen, wenn der Nerv hinlänglich 92 Claude Bernard: stark erregt wird. Diese Thatsache ist constant, und man kann den Satz aufstellen, dass stets, wenn der N. tympanieo- lingualis stark thätig ist, das Venenblut der Gland. submax. hell erscheint, während es dunkel wird, sobald jener Nerv nicht, oder doch nicht vorwiegend thätig ist. Nichts ist leichter, als diesen Einfluss des N. tympanico- lingualis auf die Färbung des Venenbluts experimentell dar- zuthun. Man darf nur, nachdem die Drüsenvenen und der in Rede stehende Nerv blossgelegt sind, einen Gesehmacks- eindruck auf die Zunge wirken lassen, indem man ein wenig Essig in den Mund tröpfelt, und man sieht das Blut in den Venen schnell hellroth werden, weil der auf die Zunge ge- machte Geschmackseindruck zum Centralorgan fortgeleitet und refleetorisch durch die Chorda tymp. übertragen wird. Der Beweis für diese Erklärung ergiebt sich unmittelbar, denn wenn man den N. tympanico-lingualis durchschneidet, da. wo er den Lingualis verlässt, sieht man das Venenblut dunkel bleiben, und von diesem Augenblicke an erscheint die helle Färbung des Blutes nicht mehr trotz der Eintröpfe- lung von Essig auf die Zunge, trotz des empfundenen Ge- schmackseindrucks, weil die Bahn des Nerven unterbrochen ist, welche jenen die Farbe des Blutes ändernden Einfluss leitete. Wenn man dann aber das peripherische Ende dieses Nerven, welches noch mit der Drüse zusammenhängt, an der ° Stelle, wo man ihn hinter dem Lingualis durchschnitten hat, galvanisch reizt, so sieht man augenblicklich unter dem Ein- fluss dieser künstlichen Reizung das Blut in den Drüsen- venen hell werden, und wenn die Reizung vorüber ist, seine dunkle Färbung wieder erlangen. Dieses letztere Experiment liefert einen neuen Beweis, dass die helle Farbe des Venen- blutes der Submaxillardrüse mit der Thätigkeit des N. tymp.- ling. zusammenhängt, während die dunkle Färbung dem ruhenden Zustand desselben entspricht. Doch darf man nicht glauben, dass die dunkle Färbung des Venenblutes während des ruhenden Zustandes der Drüse nur allein die Folge der Lähmung oder der mangelnden Thä- tigkeit des N. tymp.-ling. wäre. Die dunkle Färbung hängt im Gegentheil von der Thätigkeit eines anderen Nerven ab, welcher durch seine Thätigkeit das Blut dunkel macht, und dessen beständigem Einflusse die intermittirende Thätigkeit des N. tymp.-ling. entgegenwirkt. III. Der Nerv, welcher das Venenblut der Submaxillar- drüse dunkel macht, stammt vom Sympathieus, und gelangt in die Drüse in Begleitung der Aeste der Carotis ext., welche sich dahin begeben. Von diesen durchbohrt der eine, klei- nere, die Drüse in ihrem hinteren oberen Theil, der andere, die Hauptarterie der Drüse bildend, tritt durch den Hilus zur Seite des Ausführungsganges in die Drüse. Die sym- pathischen Drüseunerven kommen zumeist vom oberen Hals- Von dem Einfluss der beiden Nervengattungen etc. 93 ganglion. Sie anastomosiren ausserdem mit Fäden, welche aus anderen Quellen stammen, besonders mit dem N. mylo- id., da wo dieser Nerv die A, facialis kreuzt. - Betrachtet man die Submaxillardrüse in dem Zustande, wo sie selbst und ihre Nerven ruhen, so ist ihr Venenblut dunkel: so sprachen wir uns früher aus. Doch dies komnit daher, weil in diesem Falle die Thätigkeit des Sympathicus, welche das Blut dunkel macht, überwiegt über die Thätigkeit des N. tympanico-lingualis, welche es hell macht. Dies lässt sieh leicht nachweisen, denn wenn man in jenem Zustande die sympathischen Fäden, welche zur Submaxillardrüse gehen, durchschneidet, sieht man das Venenblut seine dunkle Farbe einbüssen, und dafür dauernd eine hellere annehmen, weil jetzt der Einfluss des sympathischen Nerven unterbrochen ist und nicht mehr zur Drüse gelangt. Stellt man nun künstlich die Thätigkeit dieses Nerven wieder her, indem man das peripherische Ende, welches noch mit der Drüse zusammen- hängt, galvanisch erregt, so wird das Venenblut sogleich sehr dunkel, um seine hellrothe Farbe wieder anzunehmen, sobald die Erregung des Nerven vorüber ist. Wir können also für den Sympathicus einen Satz aufstellen, gerade entgegengesetzt dem für den N. tymp.-ling. angenommenen, und sagen: das Venenblut der Drüse ist stets dankel) wenn der Sympathieus thätig ist, und zwar um so dunkler, je energischer die Thä- tigkeit des Nerven.') Im Vorhergehenden haben wir also den experimentellen Beweis erlangt, dass die Farbenänderung des Venenblutes abhänge von der Einwirkung zweier wohl zu unterscheiden- der und ganz getrennter Nerven. Aber wie sollen wir den Mechanismus der Einwirkung der Nerven auf das Blut ver- stehen? Es besteht kein anatomischer Zusammenhang, und daher auch nicht die Möglichkeit einer direeten chemischen Einwirkung der Nerven auf die Blutkörperchen, wodurch die Farbe geändert werden könnte. Es müssen also da Zwischen- wirkungen bestehen zwischen den Nervenwirkungen und den chemischen Aenderungen der Blutkörperchen. Und in der That, diese Zwischenbedingungen sind vorhanden, und sie bestehen in den verschiedenen mechanischen Aenderangen, 1) Die Drüsennerven gehen in ihrem Verlauf Anastomosen mit den sensiblen Nerven ein, welche ihnen eine Art von „rückläufiger Empfind- lichkeit“ (sensibilitö r&eurrente) verleihen. Sie haben überdies Gan- glien, welche Einfluss auf das Resultat des Versuchs haben, je nachdem die Nerven oberhalb oder ‚unterbalb der Ganglien durchschneidet. /eit entfernt, das Studium dieser von den Ganglien ausgehenden Ein- Bier in eine schon so sehr verwickelte Untersuchung einführen zu lien, habe ich vielmehr, um die Resultate, von welchen ich berichte, 2u erhalten, den Sympathicns stets zwischen Ganglien nnd Drüse durch- selinitten. 94 Claude Bernard: welche jeder Nerv in dem Capillarstromlauf der Drüse be- wirkt, Aenderungen, welche wir sogleich untersuchen wollen. IV. Die mechanischen Verhältnisse des Capillarstromlaufs in der Submaxillardrüse werden vom Sympathicus und dem N. tymp.-ling. in ganz entgegengesetzter Weise bestimmt. Wird der N. tymp.-ling. gereizt, so erscheint das Venen- blut hellroth, und gleichzeitig erlangt die Geschwindigkeit des Capillarstromlaufs einen beträchtlichen Zuwachs. In dem Maasse, als das Venenblut heller wird, eireulirt es auch schneller und die Menge, welche sich durch die Vene ergiesst, steigert sich beträchtlich. Um eine Vorstellung von dem Unterschiede zu geben, genügt es zu berichten, ‘dass in einem Falle, wo die Blutmenge, welche durch die Vene floss, ge- messen wurde, während der Ruhe, so lange das Blut dunkel war, 65 Seeunden nöthig waren, um 5 Ce. aufzufangen, wäh- rend bei Thätigkeit des N. tymp.-ling., und so lange das Blut unter dem Einfluss der Erregung desselben hellroth war, dieselbe Menge in 15 Secunden erhalten wurde, woraus folgt, dass im zweiten Falle die Geschwindigkeit des Blutes die vierfache von der im ersten war. Wenn der Sympathieus erregt wird, wird das Venenblut dunkel, und gleichzeitig verlangsamt sich der Stromlauf. Es. fliesst um so weniger Blut durch die Vene, je dunkler es ist; ja wenn die Thätigkeit des Sympathieus stark genug ist, kann der Blutstrom in der Vene ganz still stehen, um wiederzu- kehren, wenn die Erregung des Sympathieus aufhört, und sich von Neuem zu beschleunigen, wenn man den N. tymp.- ling. erregt. Diese ganz eonstanten Resultate lehren uns also, dass die helle und dunkle Färbung des Venenblutes in einer bestimm- ten. Beziehung zu der Geschwindigkeit der Blutströmung in der Submaxillardrüse stehe. Aber die Geschwindigkeit der Blutströmung selbst kann nicht durch die Nerven bewirkt werden, welche auf keine Weise unmittelbar auf das Blut wirken können. Die Verengerung und Erweiterung der Drü- sengefässe, welche wir sogleich feststellen werden, kann uns allein von den Veränderungen in den Eigenschaften des Blu- tes Rechenschaft geben, s V. Es ist sehr leicht, experimentell darzuthun, dass von den beiden Nerven, welche wir an der Submaxillardrüse be- schrieben haben, der eine die Gefässe erweitert, der andere sie verengert. Der N. tymp.-ling. erweitert die Capillaren der Drüse, und diese Erweiterung ist der Art, dass wenn die Thätig- keit des Nerven stark ist, das Blut aus der Arterie in die Vene übergeht, ohne den durch die Herzaction erhaltenen Impuls zu verlieren, und dass man es dann durch die Vene in ruckweisen Stössen fliessen sieht, als handle es sich um eine wahre Arterie; sobald die Thätigkeit des N. tymp.-ling. Von dem Einfluss der beiden Nervengattungen etc. 95 nachlässt, oder ganz aufhört, verschwindet auch die Pulsa- tion der Vene. Der Sympathieus hingegen verengt die Ge- füsse der Drüse auf’s Deutlichste. Erregt man ihn, so fliesst durch die verengten Gefässe immer weniger und. weniger Blut. Dieses, in den Capillaren der Drüse verzögert, fliesst schwach und dunkelfarbig durch die Vene und zwar um so dunkeler, je mehr der Blutstrom geschwächt ist.') Wenn ein- mal der Ausfluss des Blutes durch die Wirkung des Nerven ganz aufgehört hat, so sieht man, nachdem jene aufgehört hat, zuerst einen Strom sehr schwarzen Blutes sich entlee- ren, allmälig nimmt das Blut eine hellere und hellere Farbe an, in dem Maasse, als die Geschwindigkeit der Strömung wächst, und das vorläufig in dem Gewebe der Drüse zurück- gehaltene Blut sich entleert.- Schliesslich sind: wir also zu der Einsicht gelangt, dass die beiden Nerven, welche die Farbe des Venenblutes heller oder dunkler machen, zwei motorische Nerven sind, die ursprünglich durch Verengerung oder Erweiterung der Blutgefässe wirken. Der Sympathicus ist der Verengerer, der N. tympanico-lingualis der Erweiterer der Gefässe.?) VI. Im normalen Zustande der Submaxillardrüse müssen wir uns diese beiden Arten von Nerven als fortwährend thä- tig und einander entgegenwirkend vorstellen, so dass der jedesmalige Zustand von dem. gerade überwiegenden Ner- ven abhängt, und so dass der besondere Einfluss des einen der beiden Nerven sich nur ‚äussern zu können scheint, sofern er vorher die Wirkung des auderen überwun- den hat. Dafür würde sprechen, dass jeder der beiden Ner- ven. erregbarer wird, und mit grösserer Intensität ‚auf den nämlichen Reiz antwortet, wenn vorher sein Antagonist zer- stört ist. Diese, Erscheinung ist sehr deutlich, besonders fär den N. tymp.-ling. :Lässt man diesen Nerven unverletzt, durchschneidet die sympathischen Drüsenzweige, und bringt dann ein wenig Essig auf die Zunge, so sieht man das hell- rothe Blut mit viel grösserer Heftigkeit und viel stärkeren Pulsationen durch die Vene strömen, als im normalen Zu- stand des antagonistischen Nerven, d.h, bei undurchschnit- tenem Sympathicus. Dieser Unterschied in der Erregbarkeit = 1) Wenn man die Vene comprimirt, oder in derselben ein Gerinnsel sitzt, so führt diese Behinderung des Blutstromes ebenfalls eine dnn- kele Färbung des Blutes herbei... Man muss. diese Umstände kennen, um sich vor allen den Fehlerquellen in der Bestimmung ‚des Nerven- sicher, zu stellem, 2) Es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen, welche Erklärung man bei dem jetzigen Zustande der Wissenschaft von der Erweiterung der Gefässe und der in der Drüse. erhöhten Gefässthätigkeit durch den Einfluss der Nerven geben könnte. ‘Für diesmal beschränke ich mich darauf, eine Dhatsuche festzussellen, die mir ‚wichtig schien, und die übrigens äusserst in die Augen springend ist. 96 Claude Bernard: des N. tymp.-ling. ist um so interessanter, als man sie hier durch seinen normalen physiologischen Erreger, den Geschmacks- eindruck, misst. Dieses Alles zeigt uns an der Submaxillar- drüse eine Art von labilem physiologischen Gleichgewicht oder unablässigem Widerstreit der Functionen, bedingt durch den Antagonismus des gefässerweiternden und gefässveren- genden Nerven.!) Die äusserste Erweiterung des Capillar- netzes fällt zusammen mit dem direeten Uebergang des hel- len, pulsirenden Blutes in die Vene. Die äusserste Verenge- rung fällt zusammen mit einer schwachen Strömung des Blutes und dunkler Färbung desselben. Zwischen diesen Extremen können wir alle Zwischenstufen annehmen, und die Beobach- tung zeigt sie uns bei den Versuchen, VII. Nachdem wir so nach und nach alle Bedingungen des Mechanismus zergliedert haben, durch welche der N. tymp.-ling. und Sympathieus das Venenblut der Gland. sub- max. abwechselnd hell und dunkel erscheinen lassen, sind wir zu dem Schlusse gelangt, dass diese Nerven hier in in Wahrheit nur wirken, indem sie die Blutgefässe erweitern und verengern. Diese Wirkung, welche in Nichts verschie- den ist von der allgemeinen Wirkung der motorischen Ner- ven auf die contractilen und musculösen Elemente, hat indess durch eine ganz natürliche Verkettung der Erscheinungen eine Reihe von physikalisch-chemischen Veränderungen des Blutes zur Folge. Wenn der die Gefässe verengernde Sym- pathieus thätig ist, wird die Berührung des Blutes mit den Drüsenelementen verlängert, die chemischen Vorgänge, welche eine Folge des zwischen dem Blut und den Geweben statt- findenden Stoflaustausches sind, haben Zeit gehabt, vor sich zu gehen, und das Venenblut ist dunkel. Wenn dagegen der N. tymp.-ling., welcher die Gefässe erweitert, thätig ist, so wird der Stromlauf des Blutes in der Drüse sehr schnell, der Uebergang in die venöse Beschaffenheit, welcher bei Be- rührung des Blutes mit den Geweben erfolgt, geht in anderer Art vor sich, und das Blut fliesst aus der Vene mit sehr heller Farbe, und dem Ansehen des arteriellen. Also kön- nen wir überall zwischen der ursprünglichen physiologischen Wirkung des Nerven und der chemischen Erscheinung, welche 1) Man kann ganz allgemein sagen, dass im normalen Zustande die Absonderung des Speichels durch die Drüse zusammenfällt mit der Thätigkeit des N. Iymp.-ling., und die Ruhe der Drüse mit der Thä- tigkeit des Sympathicus. Gleichwohl kann die Erregung beider Arten von Nerven die Speichelabsonderung bewirken; nur bewirkt die Erre- gung des N. tymp.-ling. die Absonderung eines mehr flüssigen, die Erregung des Sympathicus die eines ausserordentlich zähen Speichels. Man beobachtet dies vorzugsweise, wenn nach Durchschneidung aller Nerven der Drüse, die noch mit derselben zusammenhängenden Enden gereizt werden. Von dem Einfluss der beiden Nervengattungen etc. 97 darauf folgt, eine Zwischenwirkung annehmen, welche me- chanisch die der Drüse zukommende Blutströmung abändert. Zum Schluss will ich endlich noch anführen, dass, Dank der Einwirkung der beiden Nerven, deren physiologische Einwirkung wir gezeigt haben, die Submaxillardrüse in Wahr- heit einen eigenen Stromlauf hat, welcher in seinen Aende- rungen von dem allgemeinen Kreislauf unabhängig ist, und was ich hier von der Submaxillardrüse sage, kann offenbar auf alle Organe des Körpers ausgedehnt werden. Der Druck im Arteriensystem und der vom Herzen stammende Impuls sind die allen Organen gemeinsam zukommenden mechani- schen Bedingungen des Kreislaufs. Aber das Specialnerven- system, welches jedes Capillarsystem und jedes Gewebe be- herrscht, regelt in jedem Theile den Stromlauf des Blutes in Gemässheit der speciellen chemischen und functionellen Zustände der Organe. Diese vom Nervensystem abhängigen Aenderungen im Capillarstromlauf geschehen auf der Stelle, und ohne irgend welche Störung im Stromlauf der Nachbar- organe, oder gar des allgemeinen Kreislaufs. Jeder Theil ist mit dem Ganzen verknüpft durch die ge- meinsamen Bedingungen des allgemeinen Kreislaufs, und gleichzeitig kann mit Hülfe des Nervensystems jeder Theil seinen eigenen Stromlauf haben, und sich gleichsam physio- logisch abschliessen. Das sind die speciellen physiologischen Bedingungen des Zusammenhanges der Nerven mit dem Capillarstromlauf, welche, glaube ich, nothwendigerweise bekannt sein müssen, bevor man an das Studium der chemischen Beschaffenheit verschiedener venöser Blutarten gehen könnte, Noch ist nöthig zu wissen, welches die chemische Veränderung des Blutes ist, das unter den von uns angegebenen: physiologi- schen Bedingungen für diese Farbenänderung des Venenblutes der Drüsen entsteht. Das wird Gegenstand einer späteren Mittheilung sein. Beichert's u, du Bols-Keymond's Archiv. 1859. 7 98 Emil Haber: Ueber die Wirkungen des Ourare auf das cerebro- spinale Nervensystem. Von Dr. med. EmiL HABER in Breslau. Im Juli vorigen Jahres hatte Herr Staatsrath, Professor Reichert, damals Director des hiesigen physiologischen In- stitutes, eine kleine Quantität Curare durch den Herrn Prof. Pelikan erhalten, und dieselbe zu Untersuchungen über die Wirkungen dieses Giftes auf das cerebro -spinale Nerven- system bestimmt. — Ich unterzog mich dieser Aufgabe, und führte sie im Monat August, September und October d. J. 1857 im hiesigen physiologischen Institute unter der Aufsicht und gütigen Anleitung des Herrn Professor Reichert aus, wel- cher allein ich die in der Arbeit erreichten Ziele und die Vermeidung von Irrwegen verdanke, in die man so leicht hineingerathen kann. — Meine Versuche, Beobachtungen und Resultate sind in der Inaugural-Abhandlung „Quam vim ve- nenum Curare exerceat in neryorum cerebro-spinalium sy- stema“ (Vratislaviae 1857) enthalten. Bevor ich zur Mittheilung meiner eigenen Versuche und Beobachtungen übergehe, will ich in Kürze die bis zur Ver- öffentlichung meiner Schrift bekannt gewordenen Ergebnisse der Untersuchungen anderer Forscher voranschicken. Das Curare tödtet vom Blute und von Wunden aus sehr rasch. Von der Mucosa des Tractus aus gestanden Bernard und Pelouze dem Gifte gar keine Wirkung zu. Kölliker und Pelikan haben aber später wohl eine Einwirkung des Curare durch die Mucosa des Tractus nachgewiesen, es wirkt nur von hier aus langsamer und vor Allem bei Sängethieren nur in grösseren Gaben, als direet vom Blute und von Wunden aus. — Von der Haut aus ist das Curare bei Fröschen un- wirksam (Kölliker) — Bei sehr kleinen Gaben von Curare können vollständig vergiftete Frösche mit ganz gelähmten Nerven nach und nach wieder zu sich kommen (Kölliker), ebenso Säugethiere selbst bei grösseren Gaben, wenn die Respiration künstlich unterhalten wird (Waterton). — Das Curare lähmt durch das Blut die motorischen Nerven der willkürlich beweglichen Muskeln (Bernard), und zwar tödtet dasselbe bei Fröschen in wenigen Minuten die Nervenenden in den Muskeln selbst, dagegen erst in 1— 2 Stunden auch die Neryen- Ueber d. Wirkungen d. Curare anf d. cerebro-spin. Nervensystem. 99 stämme. Wird nach eingetretener Lähmung der Nervenenden durch das Ausschneiden des Herzens bewirkt, dass die motorischen Stämme nicht mehr Gift erhalten, als ihre Enden, so sterben ‘dieselben sogar erst in 3—4 Stunden ab (Kölliker). — Das Gehirn wird durch Curare weniger affieirt, als die Nerven in den Muskeln, doch schwin- den bei partiellen Vergiftungen die willkürlichen Bewegungen ebenfalls bald, wogegen von selbst eintretende Bewegungen von zweifelhafter Natur, die vielleicht besonders von der Medulla oblongata ausgehen, noch !/a—1 Stunde nach eingetretener Wirkung des Giftes beobachtet werden (Kölliker). — Die Lähmung der Nerven schreitet allmälig von der Peripherie zum Centrum (Bernard). — Das Rückenmark wird vom Pfeilgift bedentend weniger angegriffen, als das Gehirn, seine Reflexthätigkeit erhält sich noch !/a —1!/2 Stunden, und die Reiz- barkeit seiner weissen Substanz oder sein Leitungsvermögen noch 2 bis 3 Stunden nach der Intoxieation (Kölliker). Die sensiblen Ner- ven bleiben auf jeden Fall bei Curare-Vergiftungen so lange thätig, als Reflexe zu erzielen sind, und es scheint überhaupt zweifelhaft, ob das Curare irgend eine Einwirkung auf dieselben hat. — Die Nerven der unwillkürlich beweglichen Muskeln und der Drüsen scheinen durch Curare ebenfalls gelähmt zu werden, wenigstens gilt dies für den herumschweifenden Nerven in seiner Einwirkung auf's Herz, für den sympathischen Nerven in seiner Beziehung zur Iris, für die Nerven der hinteren Lymphherzen, die vasomotorischen Nerven der Schwimm- häute der Frösche, die Eingeweide-Nerven in ihrer Einwirkung auf die peristaltische Bewegung und für den der Secretion der Unterkiefer- Drüse vorstehenden Nerven (Kölliker). — Die willkürlichen Muskeln bleiben bei Curarevergiftungen vollkommen reizbar, zeigen jedoch eine grössere Geneigtheit zu blos örtlichen Contractionen. Die Todtenstarre seheint in diesen Muskeln später einzutreten als sonst (Bernard). — Das Herz wird bei Amphibien vom Curare wenig affieirt, nur scheint die Zahl der Herzschläge wegen der Lähmung der Nervi vagi etwas vermehrt zu werden. Die Ganglien im Herzen werden nicht gelähmt, wohl aber die Vagusramificationen und die sympathischen Verzweigun- gen in demselben (Kölliker). — Die Lymphherzen der Frösche stehen nach Curare-Vergiftungen still. Das Blut der mit Curare ver- gifteten Thiere ist Aüssig und dunkel, gerinnt jedoch ausserhalb der Gefässe leicht, und bildet einen weicheren Blutkuchen, der an der Luft sich nur wenig röthet. Curare mit Blut direct gemengt, verhindert dessen Gerinnung nicht, doch wird das Blut ebenfalls dunkel, und röthet sich an der Luft kaum (Virchow, Münter, Bernard). Das Blut der mit Curare vergifteten Thiere hat ebenfalls giftige Eigen- schaften, Curare direct mit Blut vermengt büsst nichts von seinen giftigen Eigenschaften ein. — Curaresolutionen, wenn sie concentrir- ter sind, local auf Nerven angebracht, tödten dieselben, jedoch erst nach längerer Zeit, und scheinen auch auf die Nerven innerhalb der Mus- keln zu wirken. Dagegen haben diluirte J,ösungen keine schädliche Einwirkung. — Auf Gehirn und Rückenmark angebracht, ist Cnrare vollkommen unschädlich, wenn dessen Resorption verhindert ist (Köl- liker). — Wenn bei mit Cnrare vergifteten Säugethieren durch künst- liebe Kespiration die Circulation in gutem Gange erhalten wird, so zeigen sich eine Reihe von Secretionen mehr oder weniger auffallend vermehrt (Bernard). — Die Wirkung des Curarin ist der des Cu- rare ganz analog (Pelikan), und es ist deshalb kein Grund vorhan- den, in dem letzteren die Gegenwart von irgend einer unbekannten Sobstanz (Schlangengift u. a.) anzunehmen. Ein Gegengift oder über- 7* 100 Emil Haber: haupt ein Mittel, die Wirkung des Curare, wenn es einmal in’s Blut übergegangen ist, zu heben, ist trotz der vielfältigsten Versuche bis jetzt noch nicht gefunden worden. Die Versuche, welche ich selbst mit dem Curare machte, hatten im Anfange allein den Zweck, die bis jetzt festgestellte Wirkungsweise des Giftes zu prüfen und bestätigen zu kön- nen. Bei Wiederholung dieser Versuche haben sich jedoch Wirkungen des Curare gezeigt, die nicht in allen Stücken mit denjenigen übereinstimmten, welche Bernard und Köl- liker wahrgenommen haben. Auch schien es mir wünschens- werth, dass die Reihe derjenigen Experimente, deren Resul- tate zu wichtigen physiologischen Aufschlüssen, wie z. B. über die Irritabilität der Muskeln u. s. w. verwendet werden dürften, mit besonderer Vorsicht angestellt und öfter wieder- holt würden. Unter solchen Umständen bin ich schliesslich genöthigt gewesen, die mir dargebotene geringe Menge des Curare zur genauen Verfolgung folgender drei Wirkungs- riehtungen zu verwerthen:. 1) der Wirkung des in's Blut über- geführten Curare auf die Endzweige und Stämme der moto- rischen und auch der sensiblen Nerven, desgleichen auf das Rückenmark, 2) der Wirkung des local angewendeten Ourare auf die Nervenstämme und die peripherischen Endigungen der Nervenfasern, namentlich in den Muskeln, und 3) der Resorbirbarkeit des Curare ‚bei örtlicher Application dessel- ben auf die äussere Haut der, Frösche. Ueberhaupt habe ich nur diese T'hiere zu meinen Experimenten benutzt, weil sie sich am besten dazu eignen, und die geringe Menge des mir zu Gebote stehenden Giftes eine solche Beschränkung gebot. — Ich werde diese Versuche an diejenigen anreihen, welche über dieselben Fragen von den bisherigen Forschern angestellt, und von mir genau nach der Angabe dieser be- zeichneten Forscher wiederholt worden sind. #. Versuche über die Einwirkung des direet oder mittelbar durch Hautwunden übergeführten Curare auf die Stämme und Endverzweigun- gen, namentlich der motorischen Nerven, und auf das Rückenmark. Um die Lähmung der motorischen Nerven, namentlich der Endverzweigungen derselben in den Muskeln zu consta- tiren, haben schon Bernard!) und später besonders Köl- liker?) sehr zahlreiche Versuche auf die Weise angestellt, dass sie Gift führendes Blut durch Unterbindung, z. B. der 1) Legons de physiologie. Paris 1855. , 18me et I9me Legon. 2) Virchow's Archiy f. patholog. Anat. Bd. X. Ueber d. Wirkungen d. Curare auf d. cerebro-spin. Nervensystem. 101 Schenkelgefässe, von der entsprechenden Extremität aus- schlossen. Dieses sinnreiche Verfahren leistet die wichtigsten Dienste bei den vorliegenden Untersuchungen. Bei Eintritt des Curare in das eirculirende Blut verfällt nämlich das Thier schon nach 10—12 Minuten in einen Zustand, in welchem die Muskeln des Wirbelsystems zwar bei Application localer Reize sich zusammenziehen, von den Nervencentra jedoch und von den Nerven selbst weder auf natürlichem Wege noch künstlich zur Zusammenziehung gebracht werden können. Man entbehrt also der wichtigsten Erscheinung, durch welche man hier das Verhalten der einzelnen Theile; des} Nervensystems studiren kann, um genau anzugeben, welche und wie viele von den bei der Erregung der Muskeln betheiligten Faetoren des Nervensystems so ausser Thätigkeit gesetzt sind, dass die Mus- keln eine Anregung durch das Nervensystem nicht mehr be- antworten. Auch für die Untersuchung der sensibeln Nerven fehlen uns die Reflexbewegungen. Bei dem obigen Verfahren dagegen behalten wir, da — wie auch die Versuche Köl- liker’s hervorgehoben haben, — eine Propagation der Ver- giftung von den der Bluteireulation ausgesetzten Theilen auf die davon ausgeschlossenen nicht Statt hat, ein. gesundes, durch Nerven mit dem vergifteten Körper in Verbindung er- haltenes Glied, an dessen Muskelbewegungen das Verhalten der Nervencentra und der peripherischen Nerven im vergif- teten Körperabschnitte geprüft werden kann. Von den vie- len Versuchen, die ich nach der angegebenen Methode stets mit gleichem Erfolge angestellt habe, mögen zwei hier an- geführt werden. Versuch I]. Einem ziemlich starken Frosche wurden die Arteria und Vena eruralis am rechten Oberschenkel unterbunden, unterhalb der Unterbin- dungsstelle ringsherum die Haut durchschnitten, und darauf ein Stück- chen Curare unter die Rückenhaut gebracht. Std. Min, — 5 Noch schwache willkürliche Bewegung; Athembewegungen sehr unbedeutend, — 10 Die Athembewegungen haben ganz aufgehört; bei örtlicher Reizung der vergifteten Theile des Körpers nur sehr schwache Bewegungen in den Muskeln ebendaselbst, dagegen sehr starke im rechten Beine. — 15 Bei mechanischer Reizung aller der Wirkung des Giftes ans- gesetzten Theile nur im rechten Beine Reflexbewegungen, die übrigen Körpertheile sind vollständig regungslos. — 20 Der blösgelegte Nervus ischiadieus sinister wird elektrisch ge- reizt, ohne die geringste Wirkung in den der Vergiftung ausgesetzten Muskeln zu zeigen, dagegen stellen sich im rech- ten Beine starke Reflexbewegungen ein. — 30 Der Frosch wird auf den Rücken gelegt; dabei entstehen starke Bewegungen im rechten Beine, Das Herz schlägt 60 Mal in der Minute, 102 Emil Haber: Std, Min. — 40 Bei Betupfung des linken Armes mit Essigsäure starke Bewe- gungen im rechten Beine. — 50 Bei abermaliger Lageveränderung ‘des Frosches abermalige Be- wegung im rechten Beine. — 53 Bei elektrischer Reizung der rechten Augengegend Reflexbewe- gungen im rechten Beine. 1 — Bei elektrischer Reizung des Rückens längs der Wirbelsäule Bewegungen im rechten Beine. 1 10 Fasst man das rechte Bein mit der Pincette an, so bewegt es sich. 1 14 Bei elektrischer Reizung der Nasengegend Reflexbewegungen im rechten Beine. 1 18 Freiwillige Bewegung (Zucken) im rechten Beine. 1 35 Der Nervus ischiadieus dexter wird blosgelegt, und elektrisch gereizt. Es erfolgt darauf Bewegung im rechten Beine. Der blosgelegte Plexus ischiadieus sinister elektrisch gereizt, bringt Reflexbewegung im rechten Beine hervor. 2 — Der elektrisch gereizte Plexus ischiadieus dexter ruft starke Be- wegungen im rechten Beine hervor. 5 — Ebenso. 6 — Ebenso, nur schwächer. Die nach der Enthäutung direct gereizten Muskeln in den vergif- teten Theilen contrabiren sich; die Contractionen sind aber nicht all- gemein über den ganzen Muskel verbreitet, sondern zeigen sich nur in den vom Reiz getroffenen Bündeln des Muskels. . Versuch II. Einem starken Frosche wird die Arteria und Vena cruralis sinistra unterbunden, und der Schenkel unterhalb der Unterbindungsstelle bis auf Nervus ischiadieus und den Knochen durchgeschnitten. Std. Min, — 30 Vollständige Lähmung überall, ausser im linken Beine, 1 — Bei Berührung einzelner der Vergiftung ausgesetzter Körper- theile Reflexbewegungen im linken Beine. 4 15 Ebenso. 1: 40 Fasst man die Arme und das rechte Bein mit einer Pincette, so entsteht starke Reflexbewegung im linken Beine. 1 50 Der Frosch, der bisher auf dem Bauche lag, wird auf den Rücken gelegt, dabei starke Bewegung im linken Beine. — Das Herz schlägt 40 Mal in der Minute. 2 — Der Frosch wird wieder anf den Bauch gelegt, und bewegt dabei das linke Bein ungemein stark und anbaltend. Der blosgelegte Nervus ischiadieus dexter wird elektrisch gereizt ohne eine Spur von Wirkung auf die Muskeln des rechten Beines; dagegen stellen sich starke Reflexbewegungen im lin- ken Beine ein. — 2 20 Willkürliche Bewegungen im linken Beine, 5 15 Die beiden vorderen Extremitäten werden mit einer Pincette gefasst; es entsteht Reflexbewegung im linken Beine, 5. 45 Der Frosch wird in ein anderes Gefäss gebracht. Es erfolgt dabei starke Bewegung im linken Beine. Das Herz schlägt 50 Mal in der Minute, die Zusammenziehungen desselben sind jedoch schwächer als vorhin. 6 — Bei Druck der Zehen der vorderen Extremität und des rech- Ueber d. Wirkungen d. Curare auf d, cerebro-spin, Nervensystem. 103 ötd. Min. ten Beines mittelst einer Pincette entstehen noch immer ziem- lich starke Reflexbewegungen im linken Beine. 6 40 Bei Betupfung der vorderen Extremitäten mit Essigsäure starke Reflexbewegungen im linken Beine. 7 20 Der Plexus ischiadicus sinister wird blosgelegt. Während der Operation starke Reflexbewegung im linken Beine. Bei elec- trischer Reizung des Plexus sehr gute Wirkung auf das linke Bein. Der Plexus ischiadieus dexter zeigt gereizt keine Wirkung. A 24 — Alle Nerven sind reizlos; d. h. die Muskeln, ausser denen des linken Beines, verhalten sich bei localer Reizung nach Ent- häutung des Thieres wie in Versuch I, Aus den eben angeführten beiden Versuchen ergeben sich die Resultate, welche bereits Bernard und Kölliker dar- aus gezogen haben. Ueberall, wo die Muskeln mit dem Cu- rare führenden Blute in Berührung gekommen waren, zeigte sich sehr bald, schon nach 10—12 Minuten, dass die will- kürlichen und automatischen Bewegungen vollständig ausblie- ben, und dass auch auf directe Reizung der Nerven keine Zuckungen in ihnen erfolgten. Bei örtlicher Reizung dagegen eontrabirten sich die Muskeln, jedoch mit der auffälligen Eigenthümlichkeit, dass die Zusammenziehung auf die vom Reizmittel getroffene Stelle beschränkt blieb. Die Einwirkung des Giftes hatte sich ferner nur in den Gegenden, in welchen Bluteireulation stattfand, gehalten, und dieses erlaubt den Schluss, dass das Gift auch nur durch das Blut eingewirkt habe. Gleichzeitig lehrten die willkürlichen und Reflexbewe- ungen im gesunden Beine, welche durch beliebige Reizung er Haut oder der Nervenstämme im vergifteten Körpertheile ausgelöst wurden, so wie die auf directe Reizung des vom vergifteten Blute umspülten Nervus ischiadieus erfolgenden Zuckungen in den Muskeln dieses Beines, — dass das Ge- hirn, ferner das Rückenmark als Vermittler der Reflexbewe- gungen, desgleichen die sensiblen Nerven in ihrer ganzen Ausbreitung, endlich die motorischen Nervenfasern in den Nervenstämmen der vergifteten Körpertheile ihre Erregungs- fähigkeit trotz der Einwirkung des Curare längere Zeit bei- behalten, Man ist also zu dem Schlusse berechtigt, dass das Aufhören der willkürlichen und automatischen Bewegungen der Muskeln, sowie die Unmöglichkeit, durch künstliche Rei- zung der Nervencentra und der motorischen Nerven selbst Zuckungen in den vergifteten Körpertheilen hervorzurufen, nicht im Gehirn, auch nicht im Rückenmark oder in den der Reizung zugänglichen Nerven, sondern in der peripherischen Ausbreitung der motorischen Nerven im Bereiche der Mus- keln selbst zu suchen sei; d. h. dass die Einwirkung des Curare eine Lähmung in den innerhalb des Muskels sich aus- breitenden Nerven veranlasse, und dadurch den bezeichneten Zustand bedinge, Bernard hat geradezu behauptet, dass 104 Emil Haber: die peripherischen Endverzweigungen der motorischen Ner- ven zuerst gelähmt würden. Kölliker lässt noch die Mög- lichkeit offen, dass nur die diesen Endverzweigungen zunächst liegenden Abschnitte der Nervenfasern gelähmt sein könnten. Ich werde am Schlusse der Arbeit nachweisen, dass. jeden- falls die peripherischen Endzweige der Nervenfasern selbst von der Einwirkung des Giftes getroffen sein müssen. Was die Wirkung des Giftes auf die motorischen Nerven anlangt, so zeigte sich in diesen beiden Versuchen, dass der Plexus ischiadicus sinister im ersten Experimente noch fünf Stunden nach der Lähmung aller übrigen Theile, der Plexus ischiadicus dexter im zweiten Experimente noch nach 7 Stun- den reizbar war, ein Beweis dafür, dass die Wirkung des Giftes erst später die Nervenstämme selbst angreift. Kölliker hat besonders zahlreiche Versuche darüber an- gestellt, ob und nach welcher Zeit die Nervenstämme vom Curare angegriffen würden. Die motorischen Nervenstämme sollen danach bei fortdauernder Bluteireulation nach 1—2 Stunden, bei durch Aussehneidung des Herzens aufgehobener Blutzufuhr aber erst nach 3—4 Stunden absterben. — Es musste dies meine Aufmerksamkeit in hohem Grade fesseln, da in meinen eben angeführten Versuchen bei fortdauernder Bluteireulation in dem einen Experiment noch nach 5 Stun- den, in dem anderen noch nach 7 Stunden Reizbarkeit der motorischen Nervenstämme vorhanden war, und wahrschein- lich auch noch länger angehalten hat. Ich beschloss’deshalb das Verhalten der motorischen Nervenstämme näher zu prü- fen, und mich auch stärkerer elektrischer Reizmittel als bis- her zu bedienen, um ganz sicher zu sein, dass die Nerven- Erregbarkeit wirklich geschwunden sei. Anfangs hatte ich mich eines einfachen elektrischen Plattenpaares bedient, das nach Analogie einer elektrischen Pincette, welche schon seit langen Jahren im hiesigen physiologischen Institute gebraucht wird, construirt ist, und das ich deshalb der letzteren vor- zog, weil dasselbe ein wenig stärker als diese wirkte. Um aber einen noch stärkeren elektrischen Reiz auf die Nerven her- vorbringen zu können, wendete ich bei den folgenden Ver- suchen stets den du Bois’schen Inductionsapparat, verbun- den mit einem Bunsen’schen Elemente an, und konnte hier- bei den Strom beliebig schwächen oder verstärken. Versuch II. Einem Frosche wird der linke Oberschenkel nach Unterbindung seiner Arterie und Vene bis auf den Nervus ischiadicus vom Rumpfe getrennt, und das Thier von einer Hantwunde aus mit Curare vergiftet. Std. Min. — 10 Vordere Extremitäten und rechtes Bein gelähmt, — 15 Bei Berührung der gelähmten "Theile Reflexbewegung im lin- ken Beine. - - 3 Ueber d. Wirkungen d. Curare auf.d. cerebro-spin. Nervensystem. 105 Std. Min. wc | 23 23 Bei Bloslegung des Nervus ischiadieus dexter ungemein starke und anhaltende Bewegungen des linken Beines. 30 Bei elektrischer Reizung des Nervus ischiadicus dexter nicht die geringste Bewegung im rechten Beine, wohl aber wieder- holte Reflexbewegungen im linken. 36 Bei Reizung des Auges Reflexbewegung im linken Beine, welche besonders stark wird, wenn 'man die Zehen der vorderen Extremitäten und des rechten Beines zwischen eine Pincette klemmt. 40 Bei Betupfung der Stirn mit Essigsäure starker Reflex im lin- ken Beine. 45 Ebenso. 50 Der Frosch, der bis jetzt auf dem Bauche gelegen, wird auf den Rücken gelegt; dabei starke Bewegung im linken Beine. Das Herz pulsirt noch. 54 Freiwillige Bewegung des linken Beines. 45 Bei Betupfung des rechten Fusses mit Essigsäure starke und anhaltende Reflexbewegungen im linken Beine. 20 Bei elektrischer Reizung der Bauchdecken gute Reflexbewe- gungen im linken Beine. 35 Ebenso. 50 Ebenso, Fasst man die Haut in der Axillargegend mit einer Pineette, so bringt man ebenfalls starke Reflexbewegung im linken Beine hervor. -— Die elektrische Reizung der Bauchdecken wirkt nicht mehr, wohl aber die Reizung der Haut in der Axillargegend; und die chemische Reizung verschiedener gelähmter Körpertheile bringt Reflexbewegungen im linken Beine .hervor. Der Herz- schlag ist durch die äusseren Bedeckungen nicht wahr- nehmbar. 10 Der Theil des Nervus ischiadicus, welcher das abgetrennte Bein mit dem Oberschenkel verbindet, bringt elektrisch gereizt starke Bewegungen im ersteren hervor. 15 Bei Eröffnung der Bauchhöhle, um die Plexus ischiadiei blos- zulegen, Reflexbewegungen im linken Beine, die während der ganzen Dauer der Operation wiederholt und mit grosser Energie auftreten. 25 Bei elektrischer Reizung des Plexus ischiadicus dexter keine Bewegung im rechten Beine, ebenso wenig Reflexbewegung im linken. Der elektrisch gereizte Plexus ischiadieus sinister bringt aber starke Bewegungen im linken Beine hervor. Die direct gereizten Muskeln der vergifteten Theile ziehen sich auf dieselbe Weise zusammen, wie in den Versuchen I. II. — Todtenstarre in den vergifteten Theilen, nicht aber im linken Beine. Der Nervus ischiadicus sinister ist an der freigelegten Uebergangsstelle zum abgetrennten Beine noch reizbar. Versuch IV. An einem wie bei Versuch III. behandelten Frosche. 10 Vordere Extremitäten und rechtes Bein gelähmt. Athmung hat aufgehört. 13 Der elektrisch gereizte Nervus ischiadicas dexter bringt im rechten Beine keine Bewegung hervor, wohl aber sehr starke Reilexbewegungen im linken, i 106 Emil Haber: Std. Miu. — 30 Bei Berührung einzelner Hautstellen mit der Pincette Reflex- bewegungen im linken Beine. — 50 Ebenso. i 15 Bei elektrischer Reizung der Nasengegend starke Reflexbewe- gungen im linken Beine. Bei Berührung mit der Pincette ebenso. 1 40 Beim blossen Aufheben der einzelnen Extremitäten Reflexbe- wegung im linken Beine. 2 — Ebenso. 4 25 Herzschlag nicht mehr wahrnehmbar. Reflexaction nicht mehr zu erzielen. 10 Der ganze Nervus ischiadicus und Plexus ischiadieus sinister ist bis an die Austrittsstelle aus den Rückenwir- beln elektrisch reizbar, während das blosgelegte Rückenmark elektrisch gereiztnichtdiegeringste Bewegung im linken Beine bervorruft. - [N Versuch V, Ein ebenso behandelter Frosch. — 5 Athmung nicht mehr bemerkbar. — 9 Der Frosch liegt gelähmt da, mit Ausnahme des linken Beines. — 20 Der blosgelegte Nervus ischiadieus dexter ist durch Elektricität nicht mehr reizbar. — 30 Bei Reizung der Arme Reflexbewegung im linken "Beine. — 45 Quetscht man die Zehen der vorderen Extremitäten und des rechten Fusses zwischen eine Pincette, so erhält man Reflex- bewegungen im linken Beine. 1 5 Der Frosch wird auf den Rücken gelegt; dabei starke Bewe- gungen im linken Beine. Das Herz pulsirt kräftig 36 Mal in der Minute. 1 10 Vom rechten Beine aus selır starker Reflex auf das linke. 1 30 Es sind immer noch von allen Körpertheilen aus sehr leicht starke Reflexbewegungen im linken Beine zu erzielen, 4 35 Herzschlag sichtbar. Reflexe nicht mehr zu erzielen. 5 30 Herzschlag nicht mehr wahrnehmbar. Der blosgelegte Nervus ischiadicus und Plexus ischiadicus sinister er- geben elektrisch gereizt sehr starke Zuckungen im linken Beine. Das elektrisch gereizte Rücken- mark wirkt gar nicht mehr auf’s linke Bein. Die Muskeln der vergifteten Theile direct gereizt geben nur loca- lisirte Contraetionen, Versuch VI. Ein ebenso behandelter Frosch. — 15 Der Frosch ist vollständig gelähmt, bis auf das linke Bein. — 43 Bei Berührung der Haut an verschiedenen gelähmten Körper- stellen Reflexbewegungen im linken Beine. — 58 Bewegt man das rechte Bein hin und her, so entsteht Reflex- bewegung im linken. 6 40 Keine Herzbewegung mehr. Der Nervus ischiadicus sinister und Plexus ischiadicus sinister sind in ihrer ganzen-Ausdeh- nung reizbar. 7 20 Das ganze blosgelegte Rückenmark ist elektrisch Ueber d. Wirkungen d. Curare auf d. cerebro-spin. Nervensystem. 107 nicht mehr reizbar, aber wohl noch der Nervus und Plexus ischiadicus sinister. Die Muskeln in den vergifteten Theilen verhalten sich wie in Ver- such V, In diesen Versuchen war überall der linke Plexus ischia- dieus und der linke Nervus ischiadicus bis zu dem Theile des Oberschenkels, wo dessen Gefässe unterbunden worden waren, der Wirkung des Giftes ausgesetzt, trotzdem aber noch mehrere Stunden nach der eingetretenen Wirkung des Giftes reizbar, und zwar noch länger, als das Rücken- mark selbst. Nach Bernard und Kölliker soll das Rückenmark länger als die Stämme der motorischen Nerven reizbar bleiben. Die Vorsicht mahnte mich jedoch noch genauere Versuche über diesen Punkt anzustellen, und die Thiere dabei so zu schonen, dass sie länger als bisher erfolgreich beobachtet werden konnten. Ausserdem war es von Wichtigkeit, genau zu wissen, wie bei längerer Einwirkung des Giftes die sen- siblen Nerven sich verhalten, Die Reflexbewegungen, welche ich oft noch mehrere Stunden nach erfolgter Vergiftung und Lähmung der motorischen Nervenperipherien mit ziemlicher Energie auftreten sah (Vers. I u. Il), zeugten von der noch lange Zeit sich bewährenden Integrität der sensiblen Nerven, und das schliessliche Aufhören ihrer Reizbarkeit, oder viel- mehr der Reflexbewegungen, welche bei ihrer Reizung her- vorgerufen wurden, konnte entweder seine Ursache in ihrer eigenen Veränderung durch die längere Einwirkung des Gif- tes haben, oder in der Erlahmung des Rückenmarks, dem Vermittler der Reflexe. Im letzteren Falle konnten die sen- siblen Nerven an und für sich ihre Leitungsfähigkeit unver- ändert behalten haben. . Ich habe deshalb einige Versuche emacht, in denen ich kurze Zeit nach dem Aufhören jeder flexbewegung das Rückenmark auf seine Leitungsfähigkeit untersuchte, und fand dann dasselbe durch Elektrieität sehr wenig oder gar nicht reizbar. Es lässt sich zwar daraus nicht mit voller Sicherheit schliessen, dass das Curare nicht endlich auch auf die sensiblen Nerven einwirke, jedenfalls geht das aber mit Sicherheit daraus hervor, dass die sen- siblen Nerven lange Zeit intact bleiben, und mög- licher Weise noch selbst dann verschont bleiben, wenn schon das Rückenmark gelähmt ist. Auch bei diesen Versuchen fand ich die motorischen Fa- sern der Nervenstämme noch länger reizbar als das Rücken- mark, und ich ging daher sofort zu solchen über, bei denen ich das Rückenmark und die motorischen Nervenstämme in ihrem Verhalten 8 bis 10, ja sogar in einem Falle 25 Stun- den lang nach erfolgter Vergiftung und Lähmung der moto- rischen Nervenperipherien beobachten konnte, 108 Emil Haber: Versuch VI. Ein starker Frosch wurde ebenso behandelt, wie in Versuch VIL Std. Min. — 30 Die vorderen Extremitäten und das rechte Bein sind vollkom- men gelähmt. Bei ihrer Reizung starke Reflexbewegungen im linken Beine. — 45 Freiwillige Bewegung im linken Beine. — 55 Bei Durchschneidung der Haut in der Regio axillaris dextra, behufs der Bloslegung des Plexus brachialis dexter, entstehen starke Reflexbewegungen im linken Beine. 1 — Bei elektrischer Reizung des Plexus brachialis dexter nicht die geringste Bewegung in der rechten vorderen Extremität. Der Frosch wird an den vorderen Extremitäten und dem rechten Beine mit einer Pincette gefasst; es entsteht darauf starke Reflexbewegung im linken Beine. — 55 Das Herz pulsirt kräftig 36 Mal in der Minute. Es werden jetzt zu wiederholten Malen freiwillige Bewegungen im lin- ken Beine beobachtet. 7 30 Noch immer’ sind bei geringer Reizung der vorderen Extremi- täten und des rechten Beines ziemlich starke Reflexbewegun- gen im linken Beine hervorzurufen. 23 45 Reflexbewegungen werden nicht mehr erhalten. — Das Herz steht still. 24 40 Der Nervus ischiadicus sinister wird mit seinem Plexus blosgelegt, und ergiebt überall bei elek- trischer Reizung starke Bewegungen im linken Beine. Nachdem das ganze Rückenmark mit dem verlän- gerten Mark blosgelegt wordenist, wird dasselbe elektrisch gereizt, ohne die geringste Bewegung im linken Beine hervorzurufen, Eben so wenig sind die motorischen Wurzeln des Plexus ischia- dieus sinisterreizbar, aber wohlder Plexusselbst und der ganze Nervus iischiadicus sinister. 43 — Kein Nerv mehr reizbar. Die Todtenstarre beginnt. Versuch VIII. Ein ebenso wie in den vorigen Versuchen behandelter Frosch wurde Vormittags um 11 Uhr vergiftet, und war schon nach 12 Minuten vollständig gelähmt, natürlich mit Ausnahme des linken Beines. Nach 3 Stunden wurden in diesem noch starke Reflexbewe- gungen beobachtet. — Da der Frosch nicht andauernd beobachtet wer- den konnte, wurde er unter Wasserdampf und bei Seite gesetzt. — Abends nach 8!/2 Uhr, also über 9Stunden nach dem Eintritt der Lähmung der motorischen Nervenperipherien, wurde der Frosch näher untersucht, und folgendes Resultat gefunden: Reflex- actionen können nicht mehr hervorgerufen werden. Das Herz pulsirt nicht mehr. Der Nervusischiadieus sinister ist vollkom- men reizbar, ebenso sein Plexus, seine motorischen Wur- zeln aber nicht mehr, eben so wenig das Rückenmark, selbst bei bedeutender Verstärkung des elektrischen Stromes, 187 [27 10} o Ueber d. Wirkungen d. Curare auf d. cerebro-spin. Nervensystem. 109 Versuch IX. Ein ebenso behandelter Frosch wurde Nachmittags um 4 Uhr mit Carare vergiftet. Nach 15 Minuten war die Lähmung der der Blut- zufuhr zugänglichen Theile eingetreten. Der Frosch wurde bei Seite in fenchte Atmosphäre gesetzt. Am andern Morgen um 10 Uhr, also 16 Stunden nach eingetretener Lähmung der motorischen Nervenperipherien, wurde er untersucht. Das Herz schlug nicht mehr. Reflexactionen waren nicht mehr hervorzurufen. Der Plexus and Nervus ischiadicus sinister war durch Elektricität vollständigreizbar, seine motorischen Wurzeln aber nicht mehr, eben so wenig das Rückenmark. Diese Versuche beweisen hinlänglich, dass das Rücken- mark weit eher seine Functionen durch die Einwirkung des Curare einbüsst, als die Stämme der motorischen Nerven, und dass nicht, wie in neuester Zeit Bernard und Pelikan behauptet haben, das Gift die motorischen Nerven so lähme, dass zuerst ihre peripherischen Endigungen, dann ihre Fa- sern in den Stämmen, und schliesslich die Nervencentra ihre Erregbarkeit verlören, sondern dass zuerst die peri- pherischen Endigungen der motorischen Nerven, _ und nach ihnen die Nervencentra paralysirt wer- den. — Kölliker hat in allen seinen Versuchen im Gegen- satze zu den meinigen eine sehr schnelle Lähmung der mo- torischen Nervenstämme erfahren. Diese abweichenden Re- sultate der bezeichneten Forscher können nicht bedingt sein durch die Art und Weise, wie das Gift mit dem Nerven- systeme in Verbindung gebracht worden, auch nicht dadurch, dass die Quantität des zur Vergiftung benutzten Curare eine verschiedene gewesen wäre, sondern sie sind bedingt durch die verschiedene Prüfungsmethode. ; Zunächst ist ein grosser Werth auf die Stärke des Reizes, und besonders des elektrischen Reizes zu legen. Mit der elektrischen Pincette, mit einem elektrischen Plattenpaare habe ich oft vergeblich den Plexus und Nervus ischiadieus gereizt, während diese sich bei Anwendung des du Bois’- schen Inductionsapparates sofort erregbar zeigten; und wenn die schwachen Ströme dieses Apparates nicht mehr wirkten, 80 thaten es doch noch die stärkeren. Ferner kann man sehr leicht die Beobachtung machen, # ein Nerv in mehr mechanisch gespanntem Zustande für eine gleiche Stärke des Reizes empfänglicher ist, als. im 2 n. Endlich muss ich noch auf ein bemerkenswerthes Factum aufmerksam machen, welches ich mir physiologisch nieht vollkommen erklären kann, aus dem aber hervorgeht, dass unter sonst gleichen Umständen, also bei gehöriger Spannung des Nerven und bei genügender Stärke ap Reiz- mittels, die Nerven reizungsfähig sein können, und. doch nicht den Reiz beantworten. Diese Erscheinung ist von mir 110 Emil Haber: auch erst bei den letzten Versuchen bemerkt worden, und ich will die Erklärung derselben durch nebenstehende Figur (Fig. 1) leiehter verständlich machen. A ist der vom übrigen Theil abgetrennte Unter- Fig. 1. schenkel, der bloss durch den Nervus ischiadicus mit dem Oberschenkel B, welcher mit den übrigen vergifteten Theilen zusammenhängt, in Verbindung blieb, und durch das Abschneiden der Blutzufuhr von der Wirkung des Curare verschont war. Von e nach A zu liegt der Nervus ischiadieus ausser- halb. der vergifteten Theile, von e ab in centraler Richtung liegt er in denselben, sendet beispiels- weise bei a und b Zweige ab, die sich schliesslich wieder theilen, und sich in den Muskeln des Ober- schenkels verbreiten, und geht dann in den Plexus ischiadieus e über, Reizte ich einige Stunden nach erfolgter Vergiftung den Nervus ischiadieus zwi- schen d und e elektrisch, so erhielt ich in A starke Bewegungen, präparirte ich den Nerv weiter hinaus, so erhielt ich bei Reizung des 'Theiles ae Bewegung in A. Wenn ich aber central von a reizte, also bei Reizung des Plexus und des Stückes ab erhielt ich keine Bewegung in A. Schnitt ich aber den von a abgehenden Nervenast in der Nähe des Stammes durch, so erhielt ich bei elektrischer Reizung von ab Bewegung in A, und ebenso bei Rei- zung von cb, wenn der von b aus abgehende Zweig durchschnitten war. — Der ganze Nervus ischiadieus war. dann mit dem Plexus so von seiner Umgebung lospräparirt, dass überall isolirende Glasstäbchen untergelegt werden konnten; je mehr er dadurch gespannt wurde, desto leichter rief der inducirte Strom Bewegungen hervor. Es erhellt daraus, wie wichtig es bei derartigen Unter- suchungen ist, die Nerven auf diese Art bloszulegen, denn, wie ich schon erwähnt habe, geschah dies nicht, so erhielt ich bei Reizung des Nerven von a bis e keine Bewegung in A, und man kann beim Uebersehen dieses Umstandes leicht zu der Annahme verführt werden, dass derartige Nerventheile überhaupt nicht mehr erregbar seien. — Ich habe diese Er- scheinung auch an Fröschen wahrgenommen, welche nicht vergiftet, sondern einfach durch Unterbindung des Herzens getödtet worden waren. Wenn bei diesen nach 24 Stunden der Nervus ischiadicus in der Mitte des Oberschenkels blos- gelegt, und dann elektrisch gereizt wurde, so entstanden Be- wegungen in dem entsprechenden Unterschenkel; legte man darauf den entsprechenden Plexus ischiadieus auf die ge- wöhnliche Weise bloss, und reizte ihn ebenfalls elektrisch, so wurde gar keine Wirkung bemerkt. So wie aber der ganze Nervus ischiadieus von seiner ersten Reizungsstelle an bis zu seinem Plexus hinauf war aus den ihn umgeben- den Weichtheilen herauspräparirt, und die auf dieser Strecke von ihm abgehenden Nervenzweige hart an ihm abgeschnit- ten wurden, so erhielt man sofort bei Reizung des Plexus ischiadieus Bewegungen in d&m entsprechenden Unterschenkel. Ueber d. Wirkungen d. Curare auf .d. cerebro-spin. Nervensystem, 111 Ich glaube daher, dass die früheren Beobachter auf die eben angegebenen Erscheinungen keine Rücksicht genommen haben, und dass darin der Grund für die Abweichungen meiner Resultate von den ihrigen zu suchen sei. Bei meinen Versuchen habe ich nicht eher einen Ausspruch gewagt, dass ein Nerv reizlos sei, bevor ich mich nicht durch Anwendung der eben angeführten Cautelen von der Abwesenheit jeder Erre- gungsfähigkeit der Nerven durch die genannten Reize über- zeugt hatte. Anmerk.d. Redaction. Kölliker hat nach neueren Versuchen (Zeitschr. f. w. Zool. Bd. IX. p. 438) sich dahin ausgesprochen, dass die angegebenen Differenzen wahrscheinlich auf die Experi- mente Haber’s bei kälterer Temperatur zu schieben seien. R. Ich habe also gefunden, dass die motorischen Nervenstämme, nachdem das Rückenmark nicht mehr die Spur von Erregungsfähigkeit gezeigt hatte, noch immer durch Elektricität leicht d. h. durch einen schwachen Strom des du Bois’schen Inductionsapparates erregbar waren. Kölliker ist der Ansicht, dass wahrscheinlich die geringe Zufuhr von dem durch Curare vergifteten Blute zu den Nervenstämmen die Ursache sei, warum dieselben erst später absterben. Auf die Besprechung dieser physiologischen Bedingungen, welche be- wirken, dass die verschiedenen Bezirke des Nervensystems zu verschiedenen Zeiten unter der Einwirkung des Ourare absterben, werde ich später eingehen. Hier aber bin ich ge- nöthigt darauf hinzuweisen, dass bei meinen Experimenten ein Aufhören der Reizbarkeit in den motorischen Nerven- stämmen erst in eine Zeit fällt, wo die Todeserscheinungen in den Muskeln als Starre sich offenbaren, also unter Um- ständen, wo die Reizbarkeitder Nerven überhaupt nicht mehr geprüft werden kann, mag der Frosch durch Curare oder auf sonst beliebige Weise getödtet worden sein. Vorher jedoch bewährten die motorischen Nervenstämme ihre Reizbarkeit. Man kann also wenigstens das mit Sicherheit en, dass das Curare in dieser Zeit nicht auf die motori- schen Fasern in den Nervenstämmen eingewirkt haben kann. Ob diese bei längerer Andauer der Blutcireulation schliess- lich auch wirklich noch an der Vergiftung partieipiren können, jet durch Versuche, wie sie meine Vorgänger und ich ange- führt haben, unmöglich zu erweisen, da die Bluteireulation früher aufhört, als die Reizbarkeit der Nerven. Nach dem Stande der bisher bekannten Erfahrungen muss vielmehr gefolgert werden, dass das Curare auf die motorischen Nervenstämme vom Blute aus gar nicht einwirke. 112 Emil Haber: E#. Versucheüber die Einwirkung des Curare auf die Nerven, ohne Vermittelung des Blutes, bei localer Application. a. Einwirkung des Curare auf die Nervenperipherien bei localer Ap- plication desselben. Versuch X. Einem Frosche wird der linke Oberschenkel nach Unterbindung seiner Arteria und Vena unterhalb dieser Unterbindungsstelle mit Aus- nahme seines Nervus ischiadiens durchschnitten. Der dadurch vom Körper, mit welchem er blos durch seinen Nerven zusammenhängt, getrennte linke Oberschenkel wird enthäutet und dann sammt dem gan- zen Tarsus und den Zehen in eine Lösung von Curare in Humor vi- treus mit Wasser gethan. .— Der Frosch selbst wurde so befestigt, dass er sich nicht bewegen und den Verbindungstheil des Nervus ischia- dieus sinister mit dem abgetrennten Beine nicht zerren konnte, und darauf mit einem nassen Tuche bedeckt. — Nach 2 Stunden wurde der linke Unterschenkel untersucht. Der Frosch war munter und athmete gut. Der Nervns ischiadiens sinister wurde elektrisch gereizt, ohne dass im linken Unterschenkel auch nur die geringste. Muskeleontraction hervorgerufen wurde, dagegen entstan- den hierbei sehr starke Reflexbewegungen in allen übrigen Körper- theilen des Frosches. Die Muskeln des linken Unterschenkels sind direct gut reizbar, jedoch geschehen ‚die so hervorgerufenen Contrae- tionen derselben nur. localisirt auf die Einwirkungsstelle des Reizes, eben so wie bei Muskeln von Fröschen, auf welchen das Curare durch Vermittelung des Blutes eingewirkt hat. Bei dieser Reizung der Mus- keln des linken Unterschenkels wurden zugleich in allen übrigen Kör pertheilen des Frosehes starke Reflexbewegnngen hervorgerufen. Gegenversuch. Von einem ebenso behandelten Frosche wurde der linke Unter- schenkel in Humor vitreus ohne Curare gelegt, ohne dass selbst nach 12 Stunden der Nervus ischiadieus sinister irgendwie reizlos geworden wäre, Bei seiner elektrischen Reizung traten jedesmal starke Muskel- eontractionen im linken Unterschenkel auf. Wurden dessen Muskeln direet gereizt, so stellten sich allgemeine Contractionen in ihnen ein. Aus diesem Versuche geht unläugbar hervor, dass, das Gift local auf die Nerven angebracht, die motorischen Ner- venfasern, welche sich in ihnen vertheilen, tödtet, während die Muskeln an sich local reizbar bleiben, wie gewöhnlich bei Curarevergiftungen, ebenso unläugbar aber auch, dass die sensiblen Nervenfasern vom Curare verschont bleiben. Versuch XL Einem Frosche wurde der linke Oberschenkel, nachdem dessen Vena und Arteria unterbunden worden war, unterhalb dieser Unter- bindangsstelle bis auf den Nervus ischiadieus durehgeschnitten. — Darauf wurde dieser Nervus ischiadieus von der Durchschnittsstelle seines Schenkels an bis über seine Theilung in die Unterschenkelzweige, Ueber d. Wirkungen d. Curare'auf'd. cerebro-spin. Nervensystem. 113 also noch bis über das Knie hinaus, herauspräparirt, ferner das von der Durchsehnittsstelle bis zum Knie gehende, also noch mit dem. Unter- schenkel zusammenhängende; Stück des Oberschenkels am Knie bis auf die Nerven abgeschnitten und entfernt, so dass diese mit einem Theile ihres Stammes (Nervus ischiadieus sinister) auf eine ziemliche Strecke hin freilagen. — Der linke Unterschenkel wurde jetzt vollständig ent- häutet, und darauf der Musculus gastroknemius von demselben abge- löst, aber mit dem zu ihm gehenden Nerven in Verbindung gelassen. Der Unterschenkel wurde, nachdem der Frosch genügend befestigt worden war, in eine Lösung von Curare in Humor vitreus mit Wasser. gelegt, der Musculus gastroknemius aber in Humor vitreus mit Wasser ohne Curare,. Zum leichteren Verständniss betrachte man neben- stehende Figur. f ist der mit dem Körper zusammenhängende Theil des Oberschenkels. Der andere Theil des Oberschenkels, welcher von f bis g reichte, ist ganz weggeschnitten, und nur der Nervus ischiadicus e bildet den einzigen Zusammenhang zwischen dem lin- ken Unterschenkel a und dem übrigen Kör- per. — b ist der von a abgetrennte Mus- eulus gastroknemius in Zusammenhang mit seinem Nerven c. h ist die Theilungsstelle des Nervus ischiadieus in seine Unterschen- kelzweige d und ce, von denen ec zu b, und der andere Zweig zu a geht. — a wurde in die Lösung von Curare in Humor vitreus mit: Wasser, 'b' blos in Humor vitreus mit Wasser gebracht, — Nach 2 Stunden er- hielt ich folgendes, Resultat: der zwischen e und h elektrisch gereizte Neryus ischiadieus brachte Contraetionen in b hervor, aber nicht in den Muskeln von a, ausserdem aber noch Retlexbewegungen in allen anderen Körper- theilen des Frosches. Der Theil hg verur- sacht bei elektrischer Reizung ebenfalls keine Bewegung in a, wohl aber Reflexbewegung in b und im übrigen Körper, die auch bei elektrischer ‚Reizung von a auftreten. Die Muskeln von a sind direct reizbar, wie über- haupt bei Fröschen, welche mit Curare ver- giftet worden sind, Durch diesen Versuch werden die Resultate, welche ich im vorigen gewonnen habe, bestätigt. — Bernard und Köl- liker haben ähnliche Versuche angestellt, sie haben aber Ner- ven und Muskeln, die sie zu den Versuchen gebrauchten, ganz vom übrigen Thierkörper abgetrennt. Bei allen meinen ersuchen dagegen habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, die Theile, welche der Vergiftung ausgesetzt wurden, mit dem ganzen Körper des Frosches in Verbindung zu erhalten, damit mir die Gelegenheit geboten sei, über das Verhalten der vergifteten Theile aus dem Verhalten der gesunden Theile Schlüsse zu ziehen. Bernard und Kölliker haben dies unterlassen; die Resultate aus ihren ‚Versuchen sind daher Beichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1859. 8 Fig. 2. 114 Emil Haber: nicht vollständig erschöpfend und haben sie ausserdem zu falschen Schlüssen verleitet. — Ein in dieser Richtung von Bernard angestelltes Experiment ist folgendes. „Deux museles gastrocnemiens de grenouille ont ete separes avec le tronc nerveux qui s’y rend (Fig. 3.) — Dans ce verre de montre ‚’ V eontenant de la dis- solution de curare, nous avons mis tremper le trone nerveux d’un de ces muscles, le muscle lui-m&me m restant en dehors. L’exeitation gal- vanique portee sur cenerf baigne dans le curare de- termine dans le musele des contractions tr&s evi- dentes. — L’autre prepa- ration V‘ vous montre le muscle baigne par la solution de curare tandis ‚que le nerf. ne determine plus dans le muscle aucune contraction. Le .nerf a done perdu sa propriete exeitatrice des mouye- ments, bien que son trone n’ait pas ete mis en contact au poison; tandis que, dans l’Epreuve precedente, il avait pu baigner dans la solution toxique sans perdre cette propriete.* „L’action du poison semble ainsi se propager des radi- eules nerveuses vers le trone, mais non du trone nerveux vers les radicules.* Nach Bernard soll also bei seinen Versuchen das Cu- rare bei,localer Application auf die Nerven keine Lähmung derselben herbeiführen, wohl aber, wenn ihre peripherischen Enden mit den‘ dazu gehörigen Muskeln der localen Wir- kung des Giftes ausgesetzt werden, und es soll dann die Läh- mung auf die Nervenstämme sich fortpflanzen. Aehnliche Schlussfolgerungen macht Kölliker. Er brachte Muskeln sammt den zu ihnen verlaufenden Nervenstämmen in eine Curarelösung und schloss aus dem Umstande, weil die Mus- keln sich bei Reizung der zu ihnen gehenden Nervenstämme nicht contrahirten, dass die Nervenstämme gleichfalls ge- lähmt seien. Es liegt aber zu Tage, dass die eben angeführten Versuche dieser Autoren nicht das ge- ringste Möment darbieten, aus welchen auf die Läh- mung der Nervenstämme geschlossen werden darf; denn die Zusammenziehungen der in die Curarelösung ein- getauchten Muskeln ist genau so, wie bei der Curarever giftung eines Frosches mittelst des Blutes, und wir werden also auch hier schliessen müssen, dass die Endverzwei- gunlgen der motorischen Nerven gelähmt worden seien. Sind Ueber d. Wirkungen d. Curare auf d. cerebro-spin. Nervensystem. 115 aber diese gelähmt, so besitzen wir kein Mittel, uns davon zu überzeugen, ob dieselben Nervenfasern auch in ihrem Ver- laufe in den Nervenstämmen gleichzeitig gelähmt seien; denn wären sie es z. B. nicht, so könnten wir trotzdem keine Con- tractionen bei ihrer Reizung in den entsprechenden Muskeln hervorbringen, weil die Nervenperipherien in ihnen die Lei- tungsfähigkeit eingebüsst haben. — Ueber das Verhalten der sensiblen Nerven konnte aus den Versuchen von Bernard und Kölliker vollends nichts ausgesagt werden, ‚denn es fehlte bei ihnen die Verbindung der Nerven mit den Central- organen, deshalb auch die Möglichkeit, Reflexbewegungen bei ihrer Reizung zu erzielen, und sich auf diese Weise von ihrer Erregbarkeit zu unterrichten. Aus meinen Versuchen lassen sich folgende Schlüsse mit Sicherheit ziehen: 1) Die Muskeln haben durch ihre unmittelbare Berührung mit dem Curare ihre Fähigkeit nicht verloren, sich bei direeter Reizung zusammen zu ziehen, aber die Zusammenziehungen sind be- schränkt auf die Faserbündel in ihnen, welche der Reiz unmittelbar trifft. '2) Die sensiblen Nerven haben ihre Reizbarkeit nicht eingebüsst. 3) Die motorischen Nervenfasern zeigen sich grade so gelähmt wie bei der’ Curarevergiftung durch Vermittelung des Blutes, das heisst also: auch bei localer Application des Curare unmittel- bar auf die Muskeln werden die Endverzweigungen der motorischen Nervenfasern in denselben ge- lähmt. Wie sich die motorischen Fasern im Nervenstamme ver- halten, darüber ist nichts Sicheres zu ermitteln. Der von mir angeführte Versuch XI. könnte zu der Ansicht Veranlassung geben, dass die durch das Gift herbeigeführte Lähmung in en Endverzweigungen der motorischen Nervenfasern nach . den Stämmen hin sich nicht propagirt habe, da bei Reizung des Nervus ischiadicus zwar nicht der vergiftete Unterschenkel wohl aber der von der Einwirkung des a freigelassene Musculus gastroknemius sich contrahirte. Eine solche Pro- pagation der Lähmung in‘ der im Experimente bezeichneten Zeit ist auch darum sehr unwahrscheinlich, weil die in dem ersten Abschnitte dieser Abhandlung angeführten Versuche gezeigt haben, dass die motorischen Fasern in den Nerven- stämmen sich nicht allein ungemein lange, sondern ganz und gar intact erhalten haben, und es ist daher mit Sicherheit an- zunehmen, dass dieselben auch hier unversehrt geblieben sind. g* 116 Emil Haber: b. Ueber die Einwirkung des Curare auf die Nervenstämme bei seiner localen Application auf dieselben. Nach dem, was ich bei meinen vorigen Versuchen gesagt habe, dass man, um: das Verhalten der Nervenstämme bei localer Vergiftung durch Curare zu prüfen, dieselben nicht zugleich mit den Muskeln in Curare enthaltende Solutionen bringen darf, da sonst die Prüfung der motorischen Fasern in den Nervenstämmen durch die Paralyse ihrer Endverzwei- gungen unmöglich gemacht wird, wird man vielmehr die Nervenstämme ganz für sich ohne die entsprechenden Mus- keln in eine Curarelösung bringen und dann ihr Verhalten prüfen müssen. Bernard hat dies, wie ich vorhin anführte, auch schon gethan, und geschlossen, dass die Nerven dadurch nicht alterirt werden. Kölliker hat 2 Versuche angestellt, in denen er blos die Nerven in eine Curaresolution legte und die entsprechenden Muskeln vor der Berührung mit dieser schützte; er will jedoch nicht für das aus ihnen gewonnene Re- sultat, dass man-wohl eine locale Einwirkung des Curare auf die Nervenstämme nach weisen könne, einstehen.— Beide Forscher haben blos einzelne Körpertheile von Fröschen (Extremitäten, Muskeln) dazu verwendet, die zu diesen gehenden Nerven von ihren centralen Theilen abgeschnitten, und dieselben dann in die Curaresolution gethan. — Wie schon ‚bei Versuch X. und XI. habe ich auch bier die Nerven, welehe ich in die Curarelösung legte, nicht vom Körper getrennt, um auf diese Weise auch hier das Verhalten der sensiblen Nerven neben den motorischen zu prüfen. , Ich umging aber dadurch auch einen anderen aus der, Behandlungsweise von Bernard und Kölliker hervorgehenden Nachtheil, denn ich verhütete da- durch die direete Einwirkung der Lösung auf den Inhalt der Nervenröhren, wie. es beim Hineinlegen der Durchschnitts- fläche eines Nerven in diese Solution nur zu. leicht möglich ist. Es wird wohl auch Niemand leugnen wollen, dass es ein bedeutender Unterschied ist, ob man das Gift direet in die Röhren oder erst indireet durch ‚das Neurilem eindrin- gen lässt, Versuch XI. Einem Frosche würden hoch oben am linken Oberschenkel die Ge- fässe unterbunden, und gleich unterhalb der Unterbiudungsstelle der Schenkel bis auf den Nervus ischiadicus durchgeschnitten. Dieser wurde dann blosgelegt bis an seine Theilungsstelle, dort wurde der eine Zweig (Nervus tibialis) durchgeschnitten, und nur der Nervus peronaeus mit dem Nervus ischiadieus in Verbindung gelassen und bis in die obere Gegend des Orns blosgelegt. Dann wurde der Theil des linken Ober- schenkels, der mit seinem Unterschenkel in Verbindung geblieben war, am Knie abgelöst, der Nerv aber geschont. — Auf diese Weise bil- dete der Nervus ischiadicus sinister mit einem Theile seines Ner- vus peronaeus einen langen, ganz frei liegenden Nervenstrang. Ueber d. Wirkungen d. Curare auf d. cerebro-spin. Nervensystem. 117 Dieser nahm durch die Annäherung des Unterschenkels an den’ mit dem Körper zusammenhängenden Stumpf des Oberschenkels die Form einer Schlinge an, welche, nachdem sowohl der ganze Frosch, als auch der linke Unterschenkel zweckmässig befestigt worden war, in ein Gläschen, das mit einer diluirten, wässrigen Guraresolution bis nahe an den Rand gefüllt war, hineingehängt wurde. Der innere Rand des Gläschens wurde mit einem Wall von, Lack umgeben, damit die Schenkel der Nervenschlinge von, der Fig. 4. Berührung mit dem Glase abgehalten, und das Hinaufziehen der Flüssigkeit zur Oberschenkelwunde so viel wie möglich serbindert werden konnte. — In der ne- benstehenden Figur ist a e b die in der Curaresolution hineinhängende Nerven- schlinge, deren eines Ende a d in den Ober- schenkel, deren anderes Ende b e in den Unterschenkel übergeht. Beide a d und b e befinden sich ausserhalb der Cnrarelösung. Nachdem die Nervenschlinge 6% Stun- den in der Curaresolution gehangen hatte, wurde der Frosch untersucht. Er wurde apathisch befunden, und die Athembewe- gungen stockten fast ganz, Herzschlag war sichtbar, aber schwach.. Die Nervenschlinge a c b wurde elektrisch gereizt und dadurch Reflexbewegungen im ganzen Körper des Frosches hervorgerufen, ° Dieselben waren stark wenn a d,, sehr schwach aber, wenn a eb und noch schwächer wenn be ge- reizt wurde. Die Muskeln des linken Un- terschenkels wurden bei elektrischer Rei- zung von a d und von a ce b gar nicht contrahirt, wohl aber bei elektrischer Rei- zung von e b. Die Muskeln aller Körper- theile sind direct reizbar, wie bei nicht vergifteten Fröschen. Aus diesem Versuche geht hervor, dass die motorischen Nervenfasern der in die Curarelösung eingetauchten Ner- venschlinge a ce b vollständig leitungsunfähig geworden wa- ren, da bei Reizung derselben, sowie des von ihr central lie- genden Theiles vom Nervus ischiadiecus a d keine Muskel- eontractionen in dem entsprechenden Unterschenkel hervor- gerufen werden konnten, während sich dieselben bei Reizung von b e wohl einstellten. Die sensiblen Fasern hatten eine bemerkbare Schwächung aber keine vollständige Ertödtung kund gegeben. Die Muskeln ergaben bei direeter Reizung allgemeine Zusammenziehungen. Gegenversuch. Bei einem ebenso behandelten Frosche wurde die Nervenschlinge in reines Wasser gelegt. — Nach 7 Stunden athmete der Frosch noch gut. Die elektrisch gereizte Nervenschlinge ergab sowohl Muskelcon- tractionen im entsprechenden Unterschenkel, als auch starke Reflexbe- 118 Emil Haber: wegungen' im ganzen Körper des Frosches. — Nach 22 Stunden lebte und athmete der Frosch zwar noch, aber die Nervenschlinge war gar nicht mehr reizbar, weder ihre motorischen noch ihre sensiblen Fasern. Der linke Unterschenkel zeigt in seinen direct gereizten Muskeln nur sehr schwache allgemeine Contractionen, da schon die Vorboten der Todtenstarre sich in denselben einzustellen anfingen.. Bei diesem Gegenversuche sehen wir nach 7 Stunden die Nervenschlinge vollständig leitungsfähig und reizbar, sowohl in ihren sensiblen wie in ihren motorischen Fasern. Das Aufhören der Reizbarkeit der Schlinge nach 22 Stunden ist wohl auf Rechnung des erfolgten Absterbens des entspre- chenden Unterschenkels zu bringen, da die Erscheinungen der Todtenstarre sich bereits in den Muskeln desselben zu zeigen anfıngen. "Versuch XIH. Ein ebenso behandelter Frosch wie in Versuch XII. — Nach 7 Stunden athmete der Frosch, und es zeigte die Reizbarkeit und Leitungsfähigkeit der Nervenschlinge keine auffallende Veränderung. Nach 21 Stunden zeigte der Frosch weder Respirations- noch Herz- bewegungen, er lag wie todt da. Die elektrisch gereizte Nervenschlinge brachte in den Muskeln des entsprechenden linken Unterschenkels keine Contractionen hervor, selbst wenn zwischen b e und über e hinaus der Nerv gereizt wurde, ebenso wenig traten dabei Reflexbewegungen in den übrigen Körpertheilen auf, Todtenstarre war nirgends. Der Nerv, welcher den, linken Musculus gastroknemius versorgte, war bei der Operation, wie schon erwähnt, vom Stamme abgeschnitten ‘worden, und daher nicht der Wirkung des Giftes ausgesetzt. Wurde dieser Nerv elektrisch gereizt, so contrahirtesich der Musculus gastroknemius. Die Muskeln des linken Unterschenkels waren di- rect reizbar, und zwar wie die Muskeln eines nicht vergifteten Frosches. Aber es zeigten, sich Vergiftungserscheinungen am ganzen übrigen Körper des Frosches. In diesem war kein Nery mehr reizbar, uud die Muskeln contrahirten sich bei directer Reizung nur in den Bündeln, welche der Reiz traf, also auch wie bei Vergiftungen mit Curare, In diesem Versuche zeigte sich wieder, ‚dass, die Nerven- schlinge, wenn auch in späterer Zeit als bei Versuch XII., durch die Einwirkung der Curaresolution leitungsunfähig ge- worden war. Diese Leitungsunfähigkeit war jedoch nicht durch das Absterben des Unterschenkels erfolgt, da die Mus- keln in demselben direct vollständig normal reizbar waren, und der Nerv des Musculus gastroknemius, der ausser Ver- bindung mit.der Schlinge gesetzt worden war, sehr gut er- regbar gefunden wurde. — Dass der Nerv von b bis, e und darüber hinaus nicht mehr reizbar gefunden. wurde, spricht dafür, dass die Wirkung des Giftes von der Schlinge aus sich nach der Peripherie zu propagirt habe. Die Vergiftung des ganzen Frosches — der linke Unterschenkel war ausge- nommen — muss. wohl daraus ‚erklärt werden, dass sich .die Curarelösung doch an ad heraufgezogen habe zur. Wunde des Schenkelstumpfes, und von da aus'.der Frosch durch Ueber d. Wirkungen d. Curare auf d. cerebro-spin. Nervensystem. 119 Vermittelung des Blutes vergiftet habe. Dass auch hier durch Propagation der Lähmung in den Nervenfasern die Vergif- tung entstanden sei, ist nicht anzunehmen, da bei häufigen Versuchen in derselben Zeit eine Propagation der Lähmung im Bereiche des Nervensystems von schon gelähmten Stellen aus nicht beobachtet worden ist. Aus beiden Versuchen geht hervor, dass das Curare, unmittelbar auf die Nervenstämme applieirt, die motorischen Fasern in denselben in kürzerer oder längerer Zeit reizlos und leitungsunfähig macht. Ich bedaure, dass die geringe Quantität Curare mir nicht erlaubte, noch mehr derartige Versuche anzustellen, in welehen ich Genaueres über die Zeit, in welcher dieses Gift auf die Nervenstämme wirkt, hätte ermitteln können. Man wird bei solchen Versuchen namentlich auch darauf zu achten haben, dass der Nervenstamm von dem umgebenden Bindegewebe so viel wie möglich befreit werde, da ausser der bei ver- schiedenen Thieren möglicher Weise verschiedenen Empfäng- lichkeit der Nerven für die Vergiftung durch Curare auch wohl die dünnere oder diekere Umhüllung der Nervenstämme mit Bindegewebe die zeitlichen Unterschiede in dem Eintre- ten der Vergiftungserscheinungen bedingen kann. Ausserdem hat sich aus den Versuchen ergeben, dass die sensiblen Nervenfasern bei direeter Application des Giftes auf den Nervenstamm eine wohl bemerkbare Schwächung erlitten hatten, ohne jedoch vollständig ihre Reizbarkeit und Leitungsfähigkeit eingebüsst zu haben. Schliesslich kann ich nicht umhin zu erwähnen, dass aus dem Versuche XII. hervorzugehen scheint, die Lähmung der motorischen Ner- venfasern habe sich von der durch die unmittelbare Appli- cation des Giftes gelähmten Nervenschlinge nach der Peri- pherie hin propagirt, ohne jedoch die Endverzweigungen zu alteriren, da die entsprechenden Muskeln, direet gereizt, sich so ausgebreitet contrahirten, wie wenn diese Endverzweigun- gen unversehrt geblieben sind. Vielleicht ist diese Propa- ation nach dem Valli-Ritter’schen Gesetze zu erklären, indem hier die motorischen Fasern der Nervenschlinge ab- gestorben waren, und dieses Absterben sich nach der Pe- ripherie weiter fortgesetzt hatte. za8. Ueber die Resorbirbarkeit des Curare durch die äussere Haut bei Fröschen, Kölliker hat in dieser Frage einen Versuch gemacht. Er legte einen Frosch in eine diluirte Curaresolution, und fand denselben nach 18 Stunden ganz verschont von der Wir- kung des Giftes. In 24 Stunden stellten sich erst Lähmungs- symptome ein, denen eine Stunde ‚später eine vollständige Lähmung folgte. Diese Erscheinung stellt Kölliker jedoch 120 Emil Haber: auf Rechnung des‘ vom Mastdarme aus resorbirten Giftes. Ich ‚habe daher in meinen Versuchen diese, Möglichkeit. zu verhindern gesucht, und dieselben, auf nachstehende. Weise angestellt. \ Es wurde eine cylindrische an beiden Enden offene Glasröhre ge- nommen, und über diese ein Gummicylinder gezogen, der an dem einen Ende offen, am andern aber sackförıniy geschlossen war. ‚Dar- auf wurde in das geschlossene Ende des Gummieylinders eine Oeff- nung gemacht, und in die ganze Röhre von der weiten Oeffnung aus das Bein eines Frosches so gesteckt, dass unten durch die kleine Oeffnung dessen Fuss wieder herausgezogen werden konnte, das Bein aber im Glascylinder blieb. In diesen hinein wurde schliesslich (die Curareso- lution gegossen. In der nebenstehenden Figur: ist dies verdeutlicht. ab ist der an beiden, Enden offene Glaseylinder, über welchen von unten her der bei e geschlos- ‚ sene Gummicylinder ec gezogen wird. Bei e ist eine kleine Oeff- nung gemacht; das Bein des Fro- sches ist bei a in den Glascylinder gesteckt, und dessen 'Fuss bei’ & herausgezogen. Da der Glascylin- der blos bisb herabreicht, so konnte das Ende des Gummieylinders be durch breite Bäudchen ganz fest und wasserdicht an. das. untere Ende des Beines angeschnürt wer- den. ' Diese Operation wurde am zweiten Beine ebenso ausgeführt, und der Frosch mit den Armen bsi g aufgehangen , und ebenso ‚unten bei d festgebunden, Die Glaseylin- der wurden dann mit einer wässri- gen Lösung yon Curare gefüllt, vor- her aber oben am Rande mit einem Walle von Wachs umgeben, damit die Froschschenkel vom Walle ent- fernt gehalten, und dadurch''eine Attraction der Lösung zum After hinauf verhindert würde. Auf diese Weise war ich sicher, dass das Cu- rare, wenn es überhaupt geschehen sollte, nur durch die äussere Haut resorbirt werden konnte. Hände und Füsse, so wie auch der obere Körpertheil des Frosches wurden Im N | müt nassen Tüchern behangen. Auf le diese Weise habe ich drei Versuche angestellt. Versuch XIV. Yin Ein anf diese Weise behandelter Frosch bleibt 36 Stunden lang hängen. In den letzten Stunden’ zeigten: sich die Vergiftungssymptome darin, dass die Athembewegungen schwach wurden, und oft aussetzten Mm Il u m ll g 1 Ueber d. Wirkungen d. Curare auf d. cerebro-spin. Nervensystem. 121 Nach 36 Stunden‘ ‚wurde der Frosch yon seinem, Galgen abgebunden, von allen Bandagen befreit, und in’s Wasser 'gethan; ‚er konnte ‚sich noch bewegen. Nach einer halben Stunde hörten aber die Athembe- wegungen auf, und ebenso ‚die Bewegungen der Extremitäten und der übrigen Körpertheile. Der Frosch wurde näher untersucht, und es zeigten sich die Nervi ischiadici gegen die stärksten elektrischen Reize vollständig erregungslos. "Die Plexus brachiales brachten auf dieselben Reize kaum merkliche Contractionen in den Muskeln der 'Arıne' her- vor. Die Muskeln zeigten direct gereizt dieselben localisirten Zusam- menziehungen, ‚wie sie, bei Fröschen nach Curare-Vergiftungen vermit- telst des Blutes vorkommen. . Versuch XV. Hier stellten sich beil dem nach. der angegebenen ‚Weise behandel- ten Frosche die Vergiftungserscheinungen erst nach ‚48 Stunden ein, obgleich schon viele Stunden vorher Störungen der Athembewegungen ‚ahrgenommen worden waren. Nach 48 Stunden wurde, der Frosch von seinen Bandagen befreit, und es traten auch bei ibm, nachdem er eine halbe Stunde in einem Gefäss mit Wasser apathisch dagelegen hatte, dieselben Vergiftungserscheinungen wie im vorigen Experimente ein. Ausserdem war aber noch zu bemerken, dass bei Reizung‘ der Hautstellen an den Beinen, welche sich’in der Ourarelösung befunden batten, weit geringere Reflexbewegungen zu erzielen waren, als bei Reizung anderer Hautstellen. i u Ä Versuch XVI. ” Der Frosch wird wie die beiden vorigen behandelt: die Curarelösung ist aber diesmal concentrirter. Nach 5 Stunden zeigten sich schon die Atbembewegungen_ sehr kurz; nach 8 Stunden hörten sie ganz auf. Der Frosch wurde vom Galgen beruntergenommen, von seinen Bandagen befreit, und in ein Gefäss mit Wasser gelegt. Er lag bewegungslos da. Auf die stärk- sten Hautreize antworteten kaum merkliche Reflexbewegüngen der Arme, nichtaber der Beine, ‚Eine Stunde später wurde der. Frosch ppher untersucht: Die blosgelegten Nervi ischiadiei wurden ‚ohne allen rfolg elektrisch gereizt. Bei jedem dieser drei Versuche wurde zu gleicher Zeit ein Gegen- versuch angestellt. Jedesmal blieben die dazu ausersehenen Frösche noch länger hängen, als die mit der Curaresolution behandelten, es warden aber niemals bei ihnen bedeutende Störungen bemerkt. ' Nach- dem sie von ihrem Galgen abgenommen, 'und in Wasser gelegt wor- den waren, erholten sie sich sehr schnell, und sprangen nach einer halben Stunde ganz munter. herum, Diese drei Versuche beweisen genügend, dass das Curare urch die äussere Haut der Frösche resorbirt worden, war, und nach seiner Resorption die ilım eigenthümliche Wirkungs- weise auf den Organismus der Thiere ausgeübt hatte. Frei- lich wurde das Curare von der Haut nur in ganz geringer Menge und allmälig aufgesogen, und dadurch die Vergiftung erst in so (später Zeit. hervorgerufen. Diese war bier auf zweierlei Weise zu Stande gekommen; einmal nämlich wurde das Curare von den Blutgefässen aufgenommen, und dadurch 122 Emil Haber: der ganze Körper der Frösche gelähmt, das andere Mal wirkte es durch Imbibition auf die Beine der Frösche, die sich in der Curarelösung befanden, wie bei den Versuchen, wo enthäutete Unterschenkel in Curarelösungen gethan wurden. Die sensiblen Nerven dagegen haben sich im Allgemeinen lange reizbar erhalten, obschon schliesslich eine gewisse Al- teration derselben nicht zu verkennen war, da Reflexbewe- gungen von der Hautstelle der Beine aus, welche unmittelbar mit der Qurarelösung in Berührung war, schwerer als von anderen Hautstellen aus zu erregen waren. Die übrigen Lähmungserscheinungen waren die schon bekannten. Das Curare wird also bei Fröschen durch die äussere Haut resorbirt, und in den Folgeerschei- nungen offenbaren sich die Wirkungen auf zwei- fache Weise: 1) durch seine Aufnahme in’s Blut, und 2) durch örtliche Durchtränkung derjenigen Körpertheile, an welche es applicirt wird. AV. Resultate, dieausmeinen Versuchen gewonnen wurden. nn} . Bei Fröschen, die mit Curare durch Vermittelung des Blutes vergiftet wurden. 1) Die motorischen Nerven werden ungemein schnell, und zwar in 12—15 Minuten in ihren Endver- zweigungen gelähmt. L 2) Die sensiblen Nerven bleiben wahrscheinlich ganz verschont; bei ihrer Reizung werden so lange Reflex- bewegungen erzielt, als das Rückenmark dieselben ver- mitteln kann. 3) Die Nervenstämme werden bei Vergiftungen vom Blute aus nicht angegriffen. Sie bleiben bis zum Eintritt der Todtenstarre reizbar. 4) Das Rückenmark wird durchschnittlich nach 5 bis 8 Stunden nach der Vergiftung gelähmt. 5) Die Muskeln bleiben direct, d.h. bei localer Application des Reizes auf dieselben, reizbar, jedoch finden die auf diese Weise hervorgerufenen Contraetionen nur in denjenigen Faserbündeln derselben statt, welche vom Reize getroffen werden. II. Bei Fröschen, denen das Gift örtlich, ohne Vermittelung des Blutes, applicirt wurde, und zwar a) auf die Muskeln. 1) Die motorischen Nerven werden in ihren periphe- rischen Endigungen gelähmt nach 2 Stunden. 2) Die motorischen Fasern in den Nervenstämmen werden in dieser Zeit nicht angegriffen. Ueber d. Wirkungen d. Curare auf d. cerebro-spin. Nervensystem. 123 3) Die sensiblen Nerven werden ebenfalls in dieser Zeit nicht angegriflen. 4) Die Muskeln selbst bleiben direct reizbar, jedoch treten auch hier nur Contractionen in den vom Reize unmit- telbar getroffenen Faserbündeln auf. b) auf die Nervenstämme. Die Nervenstämme werden, obgleich spät, nach 9—20 Stunden, geläbmt,. doch ist die Lähmung, in den motori- schen Fasern früher und entschiedener ausgesprochen, als in den sensiblen. III. Ueber die Resorption ‚des Curare. Durch die äussere Haut wird das Curare bei Fröschen resorbirt. Bei jedem Versuche traten, wenn auch ‚spät, 1) allgemeine Vergiftungserscheinungen durch das in’s Blut aufgenommene Curare, und 2) locale Vergiftungserscheinun- gen in den Körpertheilen ein, welche sich unmittelbar in der urarelösung befanden. Die angegebenen Resultate lassen zwar noch manche Lücken übrig, die leider wegen der geringen Menge des Cu- rare nicht ausgefüllt werden konnten, doch hatte ich mir an- gelegen sein lassen, die möglichsten Vorsichtsmassregeln an- zuwerden, und die passendsten Umstände bei den Versuchen zu benutzen, um über die Reizbarkeit und Leitungsfähigkeit im Bereiche des Nervensystems mich möglichst genau zu unterrichten. Zu dem Ende habe ich meine Versuche, wenn irgend möglich, so einzurichten gesucht, dass neben den der Einwirkung des Curare unterworfenen Theilen der Frösche ein anderer reservirt worden war, um an ihm ein Prüfungs- object für die Reizbarkeit und Leitungsfähigkeit der Nerven derjenigen Theile zu gewinnen, welche der Vergiftung un- mittelbar ausgesetzt waren. In Betreff der Reizmittel habe ich mich auch stärkerer Reize bedient, vor allem des du Bois'- schen Inductionsapparates, da es bekannt ist und sich auch hier bewährt hat, dass ein gegen schwächere Reize indifle- renter Nery durch stärkere wohl erregt wird. . Desgleichen machte ich die Erfahrung, dass ein Nerv oft erst bei mecha- nischer Anspannung die Reize beantwortete, und oft erst dann, wenn seine peripherisch von der Reizungsstelle abge- henden Nebenzweige von ihm abgetrennt worden waren. Ich habe daher stets die Nerven in möglichst grosser Ausdehnung frei präparirt, und bei mässiger. mechanischer Anspannung derselben die Reizmittel in Anwendung gebracht. Veber die Art und Weise der Einwirkung des Ourare auf das Nervensystem im Allgemeinen. Cl. Bernard und Kölliker haben bereits hervorgeho- 124 Emil Haber: +8 40d ben, dass bei Vergiftung 'der-Frösche durch Curare, selbst wenn dasselbe in’s Blut aufgenommen wurde, ‚und also auch auf Gehirn und Rückenmark wirkt, keine tetanischen Krämpfe eintreten. ‘Diese Thatsache lässt sich besonders in. Fällen nachweisen, wo die Vergiftung des Thieres in der Art er- folgt, dass ein abgelöstes, durch seinen Nerven aber noch mit Gehirn und Rückenmark zusammenhängendes Bein der Vergiftung entzogen bleibt. Denn wenn auch durch die schnelle Lähmung der Endzweige der motorischen Nerven tetanische Contractionen auf eine vorhandene Anregung der Nervencentra in den Muskeln vergifteter Theile unmög- lich gemacht sind, so müssten derartige Contractionen sich doch in den Muskeln des abgelösten Beines zeigen. Das ist bisher aber niemals beobachtet worden. Das Curare wirkt also durch’ Vermittelung des Blutes’ anders, als die übrigen narkotischen Gifte. Es reizt und erregt die Nervencentra nieht so, dass dadurch Zuckungen in den Muskeln entstehen, sondern es wirkt so, wie schon Joh. Müller erwähnt!): „Nar- kotische Gifte durch sich selbst auf die Nerven wirkend können die Reizbarkeit derselben erschöpfen auf analoge Weise, wie chemische Reizmittel die Reizbarkeit der Nerven zerstören“. Wie aus den Versuchen hervorgeht, so sind die Vergiftungs- erscheinungen wesentlich gleich, ob das Curare durch seine Aufnahme in’s Blut, oder ob es örtlich applieirt ohne Ver- mittelung des. Blutes apıf die Nerven wirkt. Ich bin daher gezwungen, die oben bezeichnete Wirkungsweise des Ourare auch in dem Falle in Anspruch zu nehmen, weun es durch Vermittelung des Blutes auf die Nerven wirkt, und sehe das Blut nur für ein Lösungsmittel des Giftes, und die Cir- eulation als ein Mittel zur allgemeineren Application des Ou- rare an. Desgleichen sind, die Vergiftungs-Erscheinungen der Art, dass die obige von Joh. Müller angegebene, die Reizbarkeit der Nerven erschöpfende Wirkungsweise der Narkotica auch für das Gehirn und Rückenmark in Anspruch genommen wird, da eben die tetanischen Krämpfe fehlen. — Die Unterschiede, welche sich bei Vergiftung des Nerven- systems durch, Vermittelung des Blutes, und bei Vergiftung durch örtliche Application des Curare darin gezeigt haben, dass im letzteren Falle bei längerer Andauer des Versuchs sich eine Abschwächung der Reizbarkeit der sensiblen Ner- ven berausstellte, während dies im ersteren Falle nicht statt hatte, verändert die obige Schlussfolgerung in keiner Weise, da dies nur auf die grössere, auf die Nerven einwirkende Menge des Giftes zu schieben ist. 1) Joh. Müller, Handb. d. Physiologie. 4. Aufl, S. 547. Ueber d. Wirkungen d. Curare auf d. cerebro-spin. Nervensystem. 125 Ueber die Einwirkung des in das Blut übergeführ- ten Curare auf die einzelnen Bezirke des Nerven- ir systems. Die Untersuchungen mit Curare haben bisher ergeben; dass im Bereiche des cerebro-spinalen Nervensystems, zuerst; und zwar innerhalb 12— 15 Minuten, die peripherischen En- digungen der motorischen Nerven, und darauf nach. ,5—8 Stunden das Rückenmark gelähmt werden, wenn! das Gift vermittelst des Blutes wirkt; dass dagegen die motorischen Fasern in den Nervenstämmen, und wahrscheinlich auch. die sensiblen Nerven sowohl in ihren Endverzweigungen, als auch in den Stammfasern unversehrt bleiben.) Es hat sich nun zwar gezeigt, oder ist.doch wenigstens sehr wahrschein- lich geworden, dass bei localer, Application ‘des Giftes auf die Nervenstämme und peripherischen Endverzweiguugen, un- ter sehr günstigen Umständen und bei 10— 36 — 48stündiger Einwirkung des Curare, sowohl. die motorischen Fasern, in den Nervenstämmen, als auch in diesen die sensiblen Nerven- fasern mit ihren Endverzweigungen bis zu einem gewissen Grade in ihrer Reizbarkeit abgeschwächt, werden;') und es kann also nicht völlig in Abrede gestellt werden, dass das Curare unter günstigen Umständen auf alle Theile des cerebro-spinalen Nervensystems schliesslich doch ‚einwirkt. Man würde. daher bei der Frage über die Einwirkung des Curare auf das Nervensystem zu dem Ausspruche genöthigt sein, dass zuerst die Endverzweigungen der’ motorischen Nerven, dann die ‚Nervencentra, und, unter, sehr günstigen Umständen, auch die motorischen Fasern in den Nervenstäm- men und die sensiblen Nerven in ihrem ganzen Verlaufe af- hieirt werden, dass diese umfassende Lähmung, aber nicht bei Vergiftung vermittelst des in’s Blut aufgenommenen ‚Curare nachgewiesen werden kann. Bevor ich jedoch die Bedingun- en'zu eruiren mich bemühe, welche darauf einwirken, dass as Nervensystem dem Curare gegenüber die genannten Un- terschiede zeigt, ist es an der Zeit, den Punkt festzustellen, dass es wirklich die Endverzweigungen der motori- sehen Nerven inden Muskeln sind, welche so'schnell unter der Einwirkung des Curare erlahmen. Sehon Bernard und Kölliker schlossen aus ihren Ver- suchen, dass es die peripherischen Endigungen der, motori- schen Nerven in den Muskeln sein müssen, . welehe zuerst bei der Qurare-Vergiftung gelähmt werden. ‚Beide Forscher stützen sich dabei auf Versuche, aus denen ‚hervorgeht, dass die motorischen lasern in den. Nervenstämmen,' desgleichen ‚das Rückenmark noch reizbar und leitungsfähig bleiben, die It 1) Siehe Versuche über die Einwirkung des Curare 'bei örtlicher Application auf die Nervenstümme, und über seine Resorbirbarkeit. 126 Emil Haber: I f Muskeln bei localer Reizung sich contrahiren, und dass den- noch weder ‚vom 'gereizten Rückenmark, noch von, den gereizten Nervenstämmen aus Contraetionen in den Mus- keln hervorgerufen werden können. Dasselbe haben meine Versuche gezeigt, ja sie haben gelehrt, dass bei Curare- Vergiftung vermittelst des Blutes die motorischen Fasern in den Nervenstämmen gar nieht, und das Rückenmark erst nach 5 bis 8 Stunden gelähmt werden. Je wichti- ger die Feststellung dieser Thatsache für die Lehre von der Irritabilität der Muskelfasern ist, desto genauer muss man bei ihr zu Werke gehen, um Angriffen auszuweichen, wie sie namentlich von Eckhard gemacht worden sind. Kölliker selbst giebt nur zu, dass auch seine Versuche die Sache nicht zum Abschluss gebracht haben; er sagt nämlich: „Ich weiss wohl, dass auch meine Versuche die Sache nicht zum Abschlusse bringen, denn es lässt sich immer noch ge- gen dieselben anführen, dass sie nicht beweisen, dass das Pfeilgift alle Nerven in den Muskeln lähme.* — „Ich gebe diese Möglichkeit zu, bin jedoch der Meinung, dass, wenn das Pfeilgift nicht alle motorischen Nervenfasern in den Mus- keln lähmen sollte, es viel näher läge, anzunehmen, dass dasselbe grade umgekehrt nur die letzten Endigungen der- selben tödte, welche durch Zartheit oder Mangel der Mark- scheide und den mehr blossliegenden Axencylinder vor den an- deren Nervenröhren sich auszeichnen.“ Diese letzteren Worte lassen sich zu Gunsten der Thatsache nicht anführen, sie enthalten vielmehr einen Zirkelsehluss, da man Bedingungen, warum ein Theil des Nervensystems eher gelähmt wird, als der andere, erst eruiren kann, wenn die Thatsache der Un- terschiede in dieser Beziehung fest steht. Auch die Versuche von Bernard können den hervorgehobenen Einwand nicht beseitigen, denn wenn die Lähmung der motorischen Ner- venfasern in den feineren Verästelungen des Nervenstammes ihren ‘Sitz hat, so entzieht sich den Experimenten die Fest- stellung der Thatsache, ob die Lähmung der motorischen Fasern in den Endzweigen oder in den feineren Verästelun- gen des Nervenstammes innerhalb der Muskeln gelegen ist, da bei localer Application des Reizes auf die Muskeln un- vermeidlich beide bezeichneten Bezirke der motorischen Ner- venfasern von demselben getroffen werden müssen. ‘Es giebt aber eine Erscheinung bei Vergiftung durch Curare, durch welche man zu dem nothwendigen Schlusse geführt wird, dass nur die Endverzweigungen der motorischen Nervenfasern in den Muskeln gelähmt sein können. Diese Erscheinung ist die Art und Weise, wie sich die Mus- keln nach Vergiftung durch Curare zusammenziehen. Es ist bekannt, dass die Muskeln bei nicht vergifteten Fröschen bei localer Application eines Reizes über den Ort, den der Reiz trifft, hinaus mehr oder weniger verbreitete Contracti onen Ueber d. Wirkungen d. Curare auf d. cerebro-spin. Nervensystem. 127 ja sogar Contractionen des ganzen Muskels zeigen, Reichert hat eine Erläuterung dieser Thatsache durch seine Angaben über die Endigungen der Nervenfasern in den Muskeln ge- geben, und es heisst darin, wie folgt!): „Die aus den Ra- mificationen einer Stammnervenfaser hervorgehenden Aeste und Zweige vertheilen sich nach den verschiedensten Rich- tungen auf möglichst viele Theile des Nervengeflechtes im Muskel, so dass alle Stammfasern mit ihrer Ramification nahezu ein und dasselbe Gebiet umfassen, bei. der Bildung des Nervengeflechtes sich überall mehr: gleichmässig ' bethei- ligen, und dass demnach in den verschiedenen Gegenden und Theilen desselben die Aeste und Zweige der einzelnen Stamm- fasern zumeist wiederkehren.* — „Bei diesem Verlaufe‘ wer- den alle Muskelfasern mit den terminalen Fasern in Berüh- rung gebracht. Stets gehen die. terminalen Fasern über ‚und zwischen mehreren Muskelfasern hin. — ‚Häufig steht eine und dieselbe Muskelfaser in verschiedenen Gegenden mit: ver- schiedenen terminalen Fasern einer oder auch mehrerer Stamm- fasern im Contact. Die terminalen Fasern aller Stammfasern berühren mehr gleichmässig das ganze Gebiet des durch das Nervengeflecht bezeichneten Muskels.* — „In‘; der ganzen peripherischen Ausbreitung der motorischen Nervenfasern, in den häufigen Ramifieationen der in den Muskel eintreten- den Stammfasern giebt sich das Princip zu erkennen, recht viele, wo möglich alle Muskelfasern des Muskels mit jeder einzelnen Stammfaser in Verbindung zu. bringen. — In Be- trefi der Innervation lassen sich, wie mir scheint, folgende Schlüsse mit. Sicherheit ziehen. Aus der peripherischen Ausbreitung der motorischen Nervenfasern kann eschlossen werden, dass die von jeder einzelnen ervenfaser ausgehende Erregung nicht sowohl auf bestimmte Muskelfasern oder bestimmte Mus- kelpartieen localisirt werde, sondern vielmehr auf den ganzen Muskel sich erstrecke.* Im Gegensatze zu diesem Verhalten nicht vergifteter Mus- kelu ist von allen Beobachtern nachgewiesen, dass bei Ver- gifung mit Ourare die Muskel-Contractionen sich genau auf en Ort beschränken, welchen der Reiz trifft, dass also nur diejenigen Muskelbündel sich zusammenziehen, welche. der elektrische Strom durchgeht, oder auf welche der mechani- sche oder chemische Reiz direct einwirkt. Da nun nach der Beschaffenheit der Endverzweigungen der motorischen Ner- ven nur allgemeine Zuckungen in den Muskeln auftreten kön- nen, hier aber dieselben beschränkt auftreten, so folgt, dass — — _ 1) Joh. Müller's Archiv für Anatomie und Physiologie. Jahrg. 1861. Ueber das Verhalten der Nervenfasern bei dem Verlauf, der Vertheilung und Endigung in einem Hautmuskel des Frosches von ©. B. Reichert. p. 681. 128 Emil Haber: ! um „bad diese beschränkten Contractionen der Muskeln‘ nicht durch die Endverzweigungen der mötorischen Nervenfasern : ver- mittelt sein können, dass also ihre Mitwirkung bei den Contractionen aufgehört hat, eliminirt ist, d.h. dass sie.es'sind, welche von der Lähmung betroffen wer- den. Ueber die feineren Verästelungen des Nervenstammes in den’Muskeln können Experimente nicht angestellt werden, es ist, aber anzunehmen, dass sie sich nicht anders verhalten, als die motorischen Fasern’ in den Nervenstämmen, dass also auch sie vonder Wirkung des Giftes verschont bleiben. Von den Angaben über das verschiedene Verhalten der einzelnen Bezirke des cerebro-spinalen Nervensystems bei Vergiftung durch Curare ist zunächst die zu berücksichtigen, dass nach den Endverzweigungen der motorischen Nerven- fasern Gehirn und Rückenmark zunächst in ihrer: centripe- talen und centrifugalen Leitung gelähmt werden.. :Kölliker ist der Ansicht,‘ dass motorische directe Erregungen vom Rückenmarke ausgehen können, während dasselbe nicht mehr im Stande’ ist, Relexbewegungen 'zu vermitteln. ‚Ich: vermag diese Unterschiede nicht auseinander zu halten, fand viel- mehr, dass’ das Rückenmark ‘ziemlich gleiehzeitig für direete Reizung, sowie für Anregung durch centripetale Nerven un- empfänglich wird; auch ist es wahrscheinlich, dass, da die motorischen wie sensiblen Nervenfasern mit einem'und dem- selben Nervenkörper in Verbindung stehen, das Rückenmark, wenn'es überhaupt gelähmt wird, nach allen Richtungen hin seine Thätigkeit einstellt. Nach ‚meinen‘ Versuchen bin ich nicht einmal im Stande gewesen, einen Unterschied zwischen dem Verhalten der grauen und weissen Substanz im Rücken- mark nach Curare-Vergiftungen vorznfinden. Wenn wir nach den Ursachen oder Bedingungen fragen, durch welche so auffallende Verschiedenheiten: in der Ein- wirkung des Ourare auf die verschiedenen Bezirke und Theile des cerebro-spinalen Nervensystems herbeigeführt ‘werden, und davon ausgehen, dass unter ganz besonders gün- stigen Bedingungen alle Theile des cerebro-spinalen Ner- vensystems gelähmt werden können, so bleibt doch die That- sache stehen, dass am schnellsten die 'peripherischen End- verzweigungen der motorischen Nerven, sodann und erst viel später die Nervencentra gelähmt werden, dass dagegen die sensiblen Nerven in ihrem ganzen Verlaufe, und die moto- rischen Fasern in den Nervenstämmen sehr spät, und bei Vergiftung durch Vermittelung des Blutes gar nicht ange- griffen werden. Halten wir dann fest, dass das Curare, mag es in’s Blut übergeführt oder nur örtlich applieirt werden, durch chemische, Umwandlung der für die Leistungen des Nervensystems. wichtigsten Theile, seine. tödtliche "Wirkung ausübt, dass ferner diese wichtigsten Theile: die Nerven- körper und die Öylindri axis sind, so werden wir bei der Ueber d. Wirkungen d. Curare auf d. cerebro-spin. Nervensystem. ]29 Beantwortung unserer Frage zunächst auf folgende drei Punkte unser Augenmerk zu richten haben: 1) auf die quantitativ verschiedene Blutzufuhr zu diesen einzelnen Nervenabschnit- ten, und die dadurch bedingte mehr oder weniger massen- hafte Heranschaffung des Giftes zu den einzelnen Theilen, = auf die mehr oder weniger starke Dicke des die einzelnen ervenabschnitte umgebenden Neurilemms, und 3) auf die markhaltige oder marklose Beschaffenheit der Nervenfasern. Es liegt aber auf der Hand, dass dadurch die Unterschiede in dem Verhalten der verschiedenen Theile des Nervensystems bei der Einwirkung des Curare sich nicht völlig erklären lassen. Erklären liesse sich zunächst daraus, dass die Cen- tra des cerebro-spinalen Nervensystems, welchen eine grosse Quantität Blutes zugeführt wird, in welchen die neurilem- matischen Umhüllungen der Nervenelemente nicht so massig sind, und in denen ein grosser Theil der Nervenelemente ohne Mark vorliegt, früher erlahmen, als die motorischen und sensiblen Fasern in den Nervenstämmen, die in der genann- ten Beziehung ungünstigere Verhältnisse für die Einwirkung des Curare darbieten. Erklären liesse sich ferner, warum die Endverzweigungen der motorischen Nerven eher gelähmt werden, als die Nervencentra, weil dieselben nicht allein eine geringe (Quantität Mark führen, sondern auch nur von einer primitiven Scheide umschlossen, und ausserdem durch die zahlreichen Capillaren einer bedeutenderen Wirkung des Gif- tes ausgesetzt sind. Erklären aber lässt sich dadurch nicht, warum die Endverzweigungen der sensiblen Nervenfasern, welche dieselben morphologischen Verhältnisse darbieten wie die Endverzweigungen der motorischen Nerven, von dem Gifte nur wenig oder gar nicht alterirt werden. Es bleibt hier keine andere Wahl, als die Annahme aufzustellen, auf die schon Kölliker hingewiesen hat, dass nämlich die sen- siblen Nervenfasern chemisch und moleeular anders beschaf- fen sein und aus einer Substanz bestehen müssen, welche der Veränderung durch Curare viel weniger zugänglich ist, als die motorischen Nervenfasern in ihren Endverzweigungen. Daran schliesst sich natürlich die Frage, ob nicht überhaupt alle Unterschiede hinsichtlich der Einwirkung des Curare auf die verschiedenen Bezirke des cerebro-spinalen Nervensystems in der verschiedenen materiellen Beschaffenheit derselben zu suchen seien, und die bezeichneten morphologischen Verhält- nisse mehr untergeordneten Werth besitzen und nur neben- her sich noch geltend machen. Zur Entscheidung dieser Frage scheinen die bisher bekannten Erfahrungen über die Einwirkung des Curare auf das cerebro-spinale Nervensystem nicht auszureichen. Aus den vorliegenden Thatsachen würde man aber danıı zu folgern haben, dass chemische und ma- terielle Unterschiede nicht allein zwischen den motorischen und sensiblen Nervenfasern bestehen, sondern auch zwischen Beichert's u, du Bols-Reymond's Archiv. 1859, 9 130 Emil Haber: Ueber die Wirkungen des Curare etc. Nervencentra und peripherischen Fasern überhaupt, und weiterhin für die motorischen Fasern zwischen ihren End- verzweigungen und dem Theile der Fasern, welcher im Ner- venstamme und dessen Verästelungen fortzieht. Zum Schluss mag es erlaubt sein, die beiden wichtigen physiologischen Resultate vorliegender Versuche noch be- sonders hervorzuheben. 1) Durch das Curare hat die Physiologie ein Mittel er- langt, über die Irritabilität der Muskeln zu entscheiden. Der Umstand, dass diejenigen Reize, welche local auf die Mus- keln angebracht dieselben zur Contraction veranlassen, auch zugleich die Nerven anregen, hat es bisher unmöglich ge- macht, die Frage zu beantworten, ob die Muskeln auch ohne Vermittelung der Nerven auf Reize sich eontrabiren, da es unmöglich war, auf die Muskelfasern allein wirkende Reize anzubringen. Durch Curare- Vergiftung ist man im Stande, die Endverzweigungen der motorischen Nerven ausser Thä- tigkeit zu setzen, und es hat sich gezeigt, dass trotzdem die Muskeln sich auf chemische, mechanische und elektrische Reize contrahiren: Die Muskeln besitzen also eigene Irritabilität. Aber diese ihre Fähigkeit, sich auf Reize auch ohne Vermittelung der Nerven zusammen zu ziehen, macht sich bei Integrität der Nervenfasern nicht geltend, weil offenbar die Muskeln der Anregung durch gleichzeitig getroffene und gereizte Nervenfasern zugänglicher sind, und bei Contractionen sich in einer dieser Anregung entsprechen- den, allgemeinen Weise zusammenziehen. Schon Cl. Ber- nard schloss aus dem Verhalten der Nerven und Muskeln bei Curare-Vergiftungen auf die selbstständige Irritabilität der Muskeln, seine Schlussfolgerung liess jedoch gerechtfertigte Bedenken zu. Der striete Nachweis liess sich, wie oben ge- zeigt wurde, nur auf Grundlage der Beobachtungen machen, welche Reichert über die Endverzweigungen der motori- schen Nerven im Jahre 1851 veröffentlicht hat; derselbe hatmich ausdrücklich hierauf aufmerksam gemacht. Hiernach ist eine so locale, auf die Stelle des Reizes beschränkte Contraetion der Muskelfasern, wie sie bei Qurarevergiftun- gen vorkommt, nur denkbar, wenn die Endverzweigungen der motorischen Nerven durch Vergiftung eliminirt sind, und die bezeichneten Contractionen der‘ Muskeln auf direete Reize müssen also als Ausdruck der eigenen Irritabilität derselben angesehen werden. 2) Die zweite physiologisch wichtige Folgerung, auf welche bereits Kölliker hingewiesen hat, betrifft den chemischen Unterschied zwischen den sensiblen und motorischen Nerven- fasern. Die verschiedene Einwirkung des Curare auf die genann- ten Nervenfasern unter fast gleichen Umständen lässt in der That keine andere Deutung zu, als dass beide in ihrem che- Kleinere Mittheilungen, 131 mischen Verhalten Unterschiede darbieten, in Folge dessen die motorischen Fasern leicht, die sensiblen dagegen sehr schwer oder gar nicht angegriffen werden. Will man die Parallele zwischen beiden genau ziehen, so lässt sich aller- dings nur behaupten, dass die bisherigen Versuche nur einen Unterschied zwischen den Enden der motorischen und sen- siblen Nervenfasern ergeben haben. Gleichwohl lassen sich gegen die Verallgemeinerung der Schlussfolgerung auf die Nervenfasern in ihrem ganzen Verlaufe erhebliche Bedenken um so weniger vorbringen, als wir bereits hervorgehoben haben, dass die Erscheinungen bei Curarevergiftungen mög- licher Weise auf noch weitergreifende chemische Unterschiede in den Formelementen des Nervensystems hinweisen. Kleinere Mittheilungen. Ueber das Gesetz der Zuckungen. Von A. v. Bezold u. J. Rosenthal. Erste Mittheilung. _ Versuche, welche in den Monaten August bis October im Labora- torium des Herrn Prof. du Bois-Reymond angestellt wurden, ha- ‚ben uns zu folgenden Ergebnissen geführt, welche wir hier mittheilen, indem wir uns eine genaue Darlegung unserer Versuche vorbehalten: 1) Leitet man durch einen frischen, unverletzten Nerven schwache elektrische Ströme, so erhält man stets Schliessungs-, nie Oeff- nungszuckung des zugehörigen Muskels, mag der Strom auf- oder absteigend sein. 2) Dieses Verhältniss ändert sich beim allmäligen Absterben des Nerven in verschiedener Weise, je nach der Richtung des Stromes. a. für den aufsteigenden Strom: Dieselbe Stromstärke, welche beim frischen Nerven nur Schliessungszuckung giebt, erzengt nach einiger Zeit Schliessungs- und Oeffnungszuckung, später nur Oeffnungszuckung. b. für den absteigenden Strom: Dieselbe Stromstärke, welche beim frischen Nerven nur Schliessungszuckung giebt, erzeugt nach einiger Zeit Schliessungs- und Oeffnungszuckung, später wie- derum nur Schliessungszuckung. 3) Ist im Verlauf des Absterbens der Zeitpunkt eingetreten, wo statt der ursprünglichen Schliessungszuckung bereits Schlies- sungs- und Oeffnungszuckung auftritt, so kann man selbst mit schwächeren Strömen, welche ursprünglich ganz unwirksam waren, _ Zuckung erhalten, und zwar 9*r 132 Kleinere Mittheilungen. a. bei aufsteigender Stromesrichtung: Schliessungszuckung, b. bei absteigender Richtung: Oeffnungszuckung. 4) Es ist für "die beschriebenen Erscheinungen gleichgültig, an wel- a ar) Wird die Loupe, als Vergrösserungsglas, zur Hervorbringung eines virtuellen Bildes angewandt, so ist @>g, und man hat: -29 m) B=6:. - (=) (iv) und: 186 Franeis Place: Es sei nun ferner; n... die Normaldistanz, also 8 pariser Zolle, p ... die persönliche Sehweite des jedesmaligen Beobachters, k... die Distanz des opt. Centr. der Loupe vom Auge, wobei alle 3 Längen vom Kreuzungspunkte im Auge an ge- rechnet werden, so ist begreiflich, dass man g so lange än- dern wird, bis das Bild in der persönlichen Sehweite er- scheint, also bis (d + k)=p ist. Setzt man dies in Formel (IV) ein, so hat man: -k Be (e=#+2). a — Diese Grösse, wie in Formel (I) aus der Distanz p auf die Distanz » redueirt, giebt die auf n(8) reducirte Bildgrösse B' B=6.(?+@). 8. a p Da nun die Vergrösserung L der Loupe= & ist, (nach der angegebenen Definition) so ist: ER % Ser nl) las DE, Wollte man p=n setzen, so wäre das schon ungenau genug, die Annahme: k=(0 hingegen ist völlig unerlaubt. Da k das negative Zeichen hat, so muss man es möglichst klein ma- chen, doch dürfte es nicht wohl kleiner, als 7—8 Linien an- zunehmen sein. Die ein für allemal festzuhaltende Annahme: k=8 Linien, ist sehr zu empfehlen., Setzt man p=n und k=0, so erhält man die gewöhnliche Formel: ga ( + *), a welche für die bei Mikroskopen gebräuchlichen Oculare einen Fehler von eirca 8 pCt. bewirken kann. Die Formel (V) lässt sich übrigens passender schreiben, indem die Formel: nn [ak Lösen es (or) den Einfluss von p und %k anschaulicher macht. — Weit einfacher ist die Berechnung der Objectiv-Vergrösse- rung. Für das Folgende mögen die Buchstaben k, n, p ihre Ueber die Vergrösserung der Mikroskope etc. 187 Bedeutung behalten, a sei die Brennweite der obersten Ocu- larloupe, und überdies mögen folgende neue Bezeichnungen hinzutreten: b... Brennweite der Collectiv-Linse des Oculares, c 5 „ obersten Objectiv-Linse, d u „ mittelsten Objeetiv-Linse, Bass A „ untersten Objectiv-Linse, f... Distanz der obersten Ocular-Loupe von der Col- leetiv-Linse, g... Distanz des Colleetives vom obersten Objectiv, hip ” „ obersten Objecetives vom mittelsten, ü. e „ mittelsten Objeetives vom untersten. Da dem lang der Entwickelung mehr Platz raubend, als schwierig ist, indem er nur aus, wiederholten Anwendungen der Formeln II und III besteht, so mögen hier sogleich die Resultate Platz finden: Man berechnet sich, der Kürze wegen, 4 Hülfsgrössen: e=(r- En a) _ [bw Aloe +0) Und findet dann die gesammte Mikroskop - Vergrösserung M aus der Formel: n n/a-k b-w] [r-c d+y] [etz la elle] © Das letzte Glied ist die (virtuelle) Vergrösserung durch das unterste Objectiv, bei besseren Instrumenten eirca 1!/,; das vorletzte Glied ist die (virtuelle) Vergrösserung durch das mittelste Objectiv, in der Regel circa 2, das drittletzte Glied ist die (physische) Vergrösserung durch das oberste Objectiv (6 — 36); das Glied (4 -) ist die Vergrösserung durch das Collectiv; dies Glied ist in der Regel kleiner als 1 (etwa 188 Francis Place: !a—°4) zum, Zeichen, dass das Collectiv verkleinert, das vorderste Glied ist die im Formel VI angegebene Ocular- vergrösserung. — Hat das Mikroskop nicht 3, sondern nur 2 oder nur 1 Objeetiv, so wird das’letzte Glied (resp. die 2 letzten)=1, fällt also fort. Ist das Ocular ein Ramsden’- sches, (welches, bei mangelhafterer Achromasie und. erhebli- cherer sphärischer Aberration, bei stärkeren Vergrösserungen ein sehr ausgedehntes Gesichtsfeld bietet, und-bei' dem zwi- schen Ocularloupe und Collectiv kein Bild zu Stande kommt, und das Colleetiv wirklich vergrössert) so bleibt die Formel ungeändert, ‚nur ist alsdann auf die positiven oder negativen Vorzeichen besonders zu achten. Nimmt man das Collectiv aus dem Instrumente (wodurch zwar allerdings die Vergrösse- rung, aber nie die optische Kraft gesteigert wird), so hat man f=0, ()- 1, 3=(g+w) und g gleich dem Abstande der Oeular-Loupe vom obersten Objective zu setzen. Will man nach dieser Formel bei schwächeren Vergrösse- rungen Bestimmungen machen, so muss man die Abstände und Brennweiten der Linsen mit äusserster Sorgfalt messen, Y/—!/ Linie muss mindestens verbürgt werden; weshalb man wohl stets am sichersten gehen wird, mit Objeet- und Oeular-Mikrometer und der Formel VI die Vergrösserung zu ‚finden. Uebrigens möge hier erwähnt werden, dass das op- tische Centrum einer plan-convexen Linse da liegt, wo die gewölbte Fläche von der optischen Axe geschnitten wird, also in dem Punkt, in dem die Linse, auf einer horizontalen Ebene ruhend, dieselbe berühren würde. Als: Beispiel möge ein kleines Mikroskop mit‘ 2 Ob- jeetiven und etwa '72facher Vergrösserung dienen, wobei eine persönliche Sehweite von 10 par. Zollen angenom- men: ist. a=1“.50 fi>154.25 n = 96" 00 b= 22.50 g=32'4.80 p=129".006 | e= 9.00 h= 2.38 k= .8"'.00 da= 1U.34 U u a ee Ueber die Vergrösserung der Mikroskope etc. 189 = (15:95 7.03)= 8.92 z = (12.95 — 32.80) = 45.75 y=(11"20- 2.38) = 8.82 n.,n /a—K ER also: M= (12-75) x (0634) x (4:08) X (2-20) (0-634) x (4-08) x (2-20) = 5-6908; wurde mit 2 Mikrometern aus vielen Versuchen ER RNETID ZU Eee RR BEA SR TE also nur um 0.0479, etwa /, pCt., abweichend; endlich a = 72-56. Dieser Werth: 72-56 (= 12:75 x 5.6908) und der etwas ge- nauere, mit den Mikrometern bestimmte: 73-17(=12-75x 5-7387) sind so nahe übereinstimmend, dass der Unterschied ver- schwindet, hätte man aber die Vergrösserung der Ocular- loupe nach der allgemein üblichen Formel _nta a | bestimmt, so würde man L=13-8,- und somit NM =78-7 ge- funden haben, etwa 8 pCt. zu gross. Da’bei stärkeren Vergrösserungen häufig fast der ganze Raum zwischen Objeet und Objeetiv von der das Object um- gebenden Flüssigkeit und dem Deckglase eingenommen ist, und die hierdurch bewirkten Verschiebungen im Verhältniss zur kurzen Brennweite des Objectives beträchtlich sind, so war es mir wünschenswerth, diesen Vorgang genauer zu untersuchen. Ich theile einen einfachen Fall mit, für den die Rechnung 190 Franeis Place: sehr leicht zu führen ist, und der in der Praxis unaufhörlich vorkommt. Der betrachtete Punkt (a) befinde sich innerhalb einer homogenen Flüssigkeit (F), etwa Wasser, Glycerin etc. (oder auch Luft); — diese Flüssigkeit sei bedeckt mit einem planparallelen Deck- glase (@), zwischen diesem und dem achromatischen Objective (0) .sei Luft(Z). Der einfacheren Rech- nung wegen sei überdies der Punkt a in der opti- schen Axe des Mikroskopes, und die Ebene des Deckglases auf ihr senkrecht. Offenbar geht der verticale Lichtstrahl «ab eg ungebrochen durch F, G und Z hindurch, während ein zweiter Lichtstrahl, der vom Punkte « herkommt, und mit dem ersten den Win- kel y bildet, den gebrochenen Weg aekl zurücklegt, den wir sogleich genauer betrachten werden. Das Objectiv erhält also Lichtstrahlen vom Punkte a in den Richtungen cg und kl, woraus denn folgt, dass der Punkt a um das Stück as ge- hoben, d.h. dem Objective, genähert erscheint. — Es soll nunmehr die Art gezeigt werden, in der as von y abhängt. Der Kürze wegen werde ausgedrückt durch d... die Deckglasdicke (be=d) t... die Tiefe von a in der Flüssigkeit F, (ab =t) h... die Hebung des Punktes a, (as=h) ferner sei: n ... der Brechungsexponent des Deckglases @ (etwa ?/,) m... der Brechungsexponent der Flüssigkeit F (Wasser =/, Luft=1). Dann ist: ; h=d+t-cs Ueber die Vergrösserung der Mikroskope etc. 191 F R 1 2 € cs ist aber = tang x und ck=ci+ik und weil ci=be= t-tang p und ik= d-tang y ist, 80 ist d-tang y + l-tang y 3 tangx PER Da ferner nach bekannten optischen Gesetzen m-sin g=n+sin wy=sin 2 ist, k=-d+tl-- also sin =—+8i = -sın y = p sin y-m «sin p 192 Francis Place: und weil bekanntlich tg sin = -V ein 35 cos® = sin ?r so ist tg y = ae n?—m?+sin ip ey / m’sin SE 1— m?-sin ®p ünd also misin ip a.)- En Yo a We’d Ne 2? — m? . sin "p / m?.sin ®p ] l—m?.sin 2p welche Formel durch eine ziemlich einfache Verwandlung in die Form übergeht, welche für die numerische Rechnung be- sonders bequem ist 1—m?. sin ?y f 1—m?- sin ? RER kr Sales rl / er n? —m?.sin °y / m? — m? . sin ?p welches die vollkommen strenge Hauptformel ist. — Liegt das Präparat in Luft (so dass m=1 ist), so ist der zweite Theil stets (0, und nur der erste Theil wirkt. Bei kleinen Winkeln, bei denen sin ®p verschwindend klein ist, vereinfachen sich die Formeln beträchtlich, indem h=d. () +t- (=) n m wird. — Aus dieser Formel (die für schwächere Vergrösse- rungen und sehr feine Deckgläser dann vollkommen genügt, wenn das Deckglas dem Objecte äusserst nahe ist) ergiebt sich: 1) dass A von y unabhängig ist, dass also alle von a kommenden Strahlen für das Objeetiv von Einem Punkte herzukommen scheinen; dass also überhaupt scharf begrenzte Bilder im Mikroskop entstehen können; 9) dass für den Fall, dass das Object in Luft liegt, und 2 h=d (=) ist, die Distanz des Objectes vom Deck- glase und des Deckglases vom Objective gleichgültig Ueber die Vergrösserung der Mikroskope etc. 193 } —1 ist. Der Gegenstand erscheint um d. ) gehoben, man hat den Tubus des Mikroskopes ebensoviel empor- zuwinden, und Alles geschieht genau, als ob kein Deck- glas da wäre. Eine Dimensionsveränderung ‚des Ob- jeetes kann in keinerlei Weise eintreten. — Liegt aber das Object in einer Flüssigkeit, wo m zwischen 1-3 und 1.5 liegen wird, so wirkt ausser dem Deckglase auch noch die Flüssigkeit, und es ist einleuchtend, dass in diesem Falle das Object von oben nach unten zusam- mengedrückt erscheint, und zwar im Verhältnisse 1:m. — (Eine 1—2 Zoll grosse Kugel, die ganz unter Was- ser liegt, zeigt einem Beobachter ‚vom mässigem Au- genmaasse ganz offenbar die Gestalt eines Rotations- Ellipsoides, dessen verticale, kleine Achse sich zum Aequator-Durchmesser wie 3:4 verhält). — Ein Ein- fluss auf die Vergrösserung des Mikroskopes in hori- zontaler Richtung findet nicht statt. Wenn aber y nicht so klein ist, dass man sin ?p vernach- lässigen darf (und bei stärkeren Vergrösserungen kann bei einem Triplet g auf mehr als 30° steigen), so wird die erste unserer so eben besprochenen Folgerungen nicht mehr streng richtig. sein, indem % nicht mehr von p unabhängig ist. Unter der Voraussetzung, dass n=1.514, und dass m ent- weder =1 oder =1.333 sei, habe ich folgende Tafel ent- worfen: (Objeet in Luft.) (Object in Wasser.) = 0%...h=034xd0...h=034x d+0.25xL za E0N3eRX de. he0.3Ex API0 2x =190,,.h=0.34%d...h=0.355xd+0.26xt 159° ..2n=0.35%d...h=0.36xd+0Mxt =20°..2.h=036%d...h=0.38xd+029xr =29,.:.:.h=037x%d...h=0.41xXd+0.32x1 »=30° ...h=0.39xd...h=045%xd+086xL zeug Eu welche deutlich genug zeigt, wie sehr h mit y zunimmt. — Es ist hieraus aber noch nicht recht ersichtlich, wie gross Y für ein gegebenes Instrument werden kann, Setzt man 194 Francis Place: den Radius der freien Oefinung des Objectives oe, die Di- stanz, in welcher es vom Objecte abstehen muss, wenn das Object ohne Deckglas frei in der Luft liegt=d, so lässt sich ohne Schwierigkeit nachweisen, dass das grösste mögliche $ bedingt wird durch die Gleichung Sn IB —) > e m+ /0°+ g? zum Beispiel sei e=1 Linie, d=8 Linien, m=1 (Obj. in Luft) so ist sin = 0.124 und 9=7°. — Beim untersten Objeetive eines Triplet war o = 0'".6, d = 0".8, ‘woraus sin g9=0-6 und y = 37° folgt. Die das Objeetiv nun wirklich treffenden Lichtstrahlen kommen also nicht von Einem Punkte her, sondern schnei- den sich — rückwärts verlängert — in einer eigenthümlich gewölbten Art Hohlkegel, . einersogenannten diakau- stischen Fläche, woraus denn ohne Weiteres zu folgen scheint, dass bei einigermassen dicken (et- wa 1 Millimeter dieken) Deckgläsern die Objeete mit verwaschenen Rän- dern erscheinen müssen. Hier findet nun aber eine höchst merkwürdige Wirkung statt, zu der man auf folgendem Wege gelangt: Die von Einem Punkte des Objeetes (ohne Deckglas) herkommenden Lichtstrahlen werden vom Objective in dem (in das Ocular fallenden) Bilde des Objectes wieder in einen Punkt vereinigt. Wegen der sphärischen' Aberration des Ob- jeetives ist aber dieser letzte Punkt — streng genommen — eine diakaustische Fläche. — Gingen lfingegen von Einem Punkte des zuletzt genannten Bildes Lichtstrahlen aus, so würde (wegen der bekannten Reciprocität) das Objectiv die- selben in Einen Punkt auf dem Objecttische sammeln, wel- cher Punkt abermals eine diakaustische Fläche ist, welche merkwürdigerweise genau so liegt, wie die so eben bespro- ee Ueber die Vergrösserung der Mikroskope etc. 195 chene, vom Deckglase bewirkte. Man thut nun leicht den letzten Schritt der Betrachtung, indem man erkennt, dass die von dieser diakaustischen Fläche herkommenden Licht- strahlen vom Objectiv streng in Einen Punkt gesammelt werden, was in den Fällen wirklich geschehen muss, in de- nen zwischen den Brennweiten der Objectivlinsen, deren Ab- ständen, der Vergrösserung und der Dicke des Deckglases gewisse Bedingungen erfüllt sind. — Statt zu schaden, hätte in diesem Falle das Deckglas genützt, indem sein Fehler den Fehler des Objectives an- nullirt hätte, wie ja in der ganzen Physik das Prineip der Compensation darin besteht, zwei gleiche Fehler in entgegen- gesetzten Richtungen hervorzurufen. Da jedoch die Brechung von einer Farbenzerstreuung be- gleitet ist, welche auf keine Weise zu annulliren ist (da es für das optische Centrum des Objeetives keinen Ort giebt, für den die verschieden gefärbten Bilder des Objectes den- selben Sehwinkel hätten), so wird auf diesem Wege schwer- lich ein reeller Gewinn zu erzielen sein, welcher übrigens in der Ermöglichung sehr beträchtlich vermehrter Objectiv- aperturen bestehen würde. Davon aber habe ich mich durch Versuch vielfach überzeugt, dass es von keinem Nachtheil für das Bild begleitet ist, wenn man das Deckglas so dick macht, dass es den ganzen Raum zwischen Object und Ob- jeetiv ausfüllt, selbst bei 22 Millimeter (eirca ®/, Zoll) Dicke waren die Streifen der Schuppen von Lepisma saccharina mit unveränderter Schärfe zu schen; und ein 1-2 Millimeter diekes Deckglas, welches bei einer 300fachen Vergrösserung angewandt werden konnte, zeigte für die Streifen von Hip- parchia janira dasselbe. Es ist durchaus nicht unmöglich, dass wirklich irgend ein Vortheil in der bezeichneten Richtung, wenn auch auf anderem Wege, zu gewinnen wäre; und sehr interessant sind die Resultate, die man in speciellen Fällen findet, wenn das Object durchsichtig ist, und kleine Körperchen einschliesst, dabei aber von gewölbten Flächen begrenzt ist, oder wenn 196 H. Sachs: ein Object durch ein zweites hindurch erblickt wird; eine allgemeine Betrachtung dieser Fälle ist indessen ausser- ordentlich verwickelt. l Zur Anatomie der Zungenbalgdrüsen und Mandeln. Von DR. Sacns, Assistenzarzt am städtischen Hospital zu Danzig. In einer vor zwei Jahren von mir verfassten Gelegen- heitsschrift!) über den feineren Bau der Zunge wurden’ auch die sogenannten Glandulae follieulares abgehandelt, welche sich an der hinteren Partie des Zungenrückens in verschie- den grosser Anzahl finden. Die erste genauere. Beschreibung dieser Drüsen lieferte bereits im Jahre 1827 E. H. Weber,?) welcher sie als ein Conglomerat kleiner, runder Zellen darstellt, die durch eine von röthlicher, weicher Substanz umschlossene Höhle mit einander communiciren, also das sind, was wir jetzt‘ eine acinöse Drüse nennen. Auch den Zusammenhang dieser Glan- Aulae follieulares mit den tiefer gelegenen Schleimdrüsen durchmehr oder weniger gewundene !/,—14"' lange Gänge hatte Weber durch Injeetion mit Quecksilber nachgewiesen, eine mikroskopische Prüfung aller dieser Gebilde jedoch nicht vorgenommen. Erst in der neuesten Zeit hat Kölliker den Bau der- selben wieder genauer untersucht, und in seiner „mikrosko- 1) Dissert, inaugural. Observationes de linguae structura penitiore, cum tabulis IL. 1856. Breslau, Aland et Comp. 2) Meckel’s Archiv. Jahrg. 1827, S. 280 u. 8. f. | | Zur Anatomie der Zungenbalgdrüsen und Mandeln. 197 pischen Anatomie“t) dargelegt. Danach wären nun die bis dahin für einfache acinöse Drüsen gehaltenen Glandulae fol- lieulares von einer ganz anderen, in der That bislang nicht geahnten Structur. Eine jede Balgdrüse stelle nämlich eine diekwandige Capsel dar, welche aussen von einer Faserhülle, innen von einer Fortsetzung des Mundhöhlenepithels ausge- kleidet sei und zwischen beiden in einer zarten, fasrigen, gefässreichen Grundlage eine gewisse Zahl grosser, ganz ge- schlossener Capseln oder Follikel enthalte. Diese geschlos- senen Capseln, sagt Kölliker dann weiter, seien in Allem, was Inhalt und feineren Bau beträfe, identisch mit den Peyer’- schen Follikeln im_Dünndarm. — Das also, was Weber und alle späteren Auto ren als Acini dargestellt, wären geschlossene Follikel. Ich weiss nicht, ob seit Weber’s erster Beschreibung die Glandulae folliculares mikroskopisch genauer untersucht worden sind; so viel nur ist gewiss, dass Kölliker’s An- gabe, ob mit oder ohne genauere Prüfung lässt sich nicht sagen, in die neuesten Werke über mikroskopische Anato- mie und Physiologie übergegangen ist. Ein wundersamer und interessanter Befund wäre es zwei- felsohne, um so mehr interessant, als damit ein Pendant ge- funden wäre zu jenen Gebilden, welche, wie die Milzbläs- chen, die Peyer’schen Capseln, bisher zwar Anknüpfungs- punkte bildeten für mehr weniger plausible Hypothesen über ihren Zusammenhang mit dem Lymphgefässsystem, in der That aber eine feste Stelle in der Morphologie immer noch nicht gefunden haben. Ganz frei von irgend einer vorgefassten Idee als derje- nigen, mit welcher Jeder an Untersuchungen im Gebiet der Anatomie gehen muss, dem die Morphologie nicht bloss als ein zusammenhangsloses Summarium anatomischer Data, son- dern als ein organisches System erscheint, nahm auch ich auf die Aufforderung meines hochverehrten Lehrers, des 1) Mikroskop. Anatomie. 2. Band. Zweite Hälfte, 1. Abth. $. 42. Reichert's u, du Bols-Reymond's Archiv. 1859, 14 198 H. Sachs: Herrn Prof. Reichert, jene Untersuchung vor, ‚und kam allerdings zu einem Ergebniss, welches mir Kölliker's An- gabe über das Geschlossensein jener von Weber als Aecini bezeichneten Aussackungen sehr zweifelhaft machte. Eine später wiederholte Untersuchnng bestätigte mir das früher Gefundene, so dass ich nun die Glandulae follieulares für nichts anderes halte, als für in einfacher Weise zu- sammengesetzte acinöse Drüsen. Damit stimmen auch die Beobachtungen von Huxley") und Henle?) überein, wel- cher ausserdem .berichtet, dass ebenso Sappey zu densel- ben Resultaten gelangt sei. Das Einzelne über meinen Befund. hatte ich in. der oben angeführten Schrift mitgetheilt, obschon nicht mit der mir damals unnötbig scheinenden Ausführlichkeit, welche viel- leicht den nächsten Zweek dieser Blätter überflüssig, und ge- wisse Einwendungen unmöglich gemacht hätte. Indess waren mehrere von meisterhafter Hand nach der Natur ausgeführte Zeichnungen beigefügt, so dass mir, wenn ich Entgegnungen erwartete, zwar möglich schien, wie vielleicht die Methode der Untersuchung angegriffen, das Resultat auch geleugnet, nicht aber wie mein ganzes Untersuchungsobject in Frage gestellt werden konnte, e Nicht ohne Ueberraschung vermochte ich deshalb eine von Gauster in Wien abgefasste Schrift „Untersuchungen über die Balgdrüsen der Zungenwurzel“?) zu lesen, in welcher mir rundweg abgesprochen wird, die Kölliker’schen. Folli- kel je gesehen zu haben. Nun muss Jeder von vorn herein gestehen, der auch nur wenige Schnittchen durch eine solche Balgdrüse gemacht hat, dass schwer zu begreifen ist, wie.man diese Follikel überhaupt nicht sehen könne, dass aber gar nicht zu fassen ist, wie Jemand, der einen aueh nur oberflächlichen Blick auf meine 1) On the tonsillar follicles. Mikr. Journ. Vol. IH. p. 74. 2) Bericht über die Fortschritte der Anatomie und Pliysiologie im Jahre 1856. 8.60. " 3) Wien 1857. Zur Anatomie der Zungenbalgdrüsen und Mandeln. 199 Abbildungen geworfen, und sich, nicht etwa durch die man- gelnde Coloratur der Zeichnung hat beirren lassen, die Identität zwischen den von mirals Follikel genau numerirten Ge- bilden, den Kölliker’schen und den auf Gauster’s eige- ner Zeiehnung dargestellten in Abrede stellen kann. , Dies unausbleibliche Zugeständniss Kundiger allein kann ‘mich trösten über den Vorwurf einer in der That sehr argen Leicht- fertigkeit, nimmt mir aber auch zugleich die Gelegenheit, dem Verfasser jenes Aufsatzes für. seine sonst: vielleicht sehr dankenswerthe Bemühung um‘ die Auffindung von Anhaltspunkten für meine hypothetischen Irrthümer die ge- bührende Anerkennung zu zollen. — Wenn mich die genannte Gauster’sche Schrift zu einer nochmaligen Durchsicht meiner früheren Arbeit veranlasste, so war hierfür doch ein im Ganzen nur geringer ‘Aufwand nötbig, da die genaue Bekanntschaft mit dem Thema mich bald die bezüglichen Ergebnisse erreichen liess, und zwar im Wesentlichen ganz dieselben, welche ich bei meiner ersten Untersuchung erlangt hatte, Als Untersuchungsobjeet benutzte ich wiederum nament- lich die Ochsenzunge, behandelte dieselbe auch wie, früher; d. h. koehte sie erst in Essig und trocknete sie alsdann. Ochsenzungen geben durchgängig bessere und für die Un- tersuchung geeignetere Präparate, als Menschenzungen. Durch die sehr häufigen Katarrhe unserer Mundhöhlenschleimhaut mögen diese Balgdrüsen ebenso wie die Mandeln so, krank- haft verändert werden, dass sie für die Untersuchung ihrer Structur kaum geeignetes Material liefern. Was.nun die Lage, Form, Grösse und Umgebung einer solchen Balgdrüse anlangt, so hat Kölliker dies Alles rich- tig beschrieben, so dass sich kaum etwas daran ändern lässt. Die Form der Oefinung, welche von der Zungenoberfläche in den Binnenraum einer Glandula follicularis führt, ob die- selbe an der Mündung oben breiter sei, als weiter nach der Tiefe zu, ob sie sich durch einen mehr oder weniger deut- lichen Hals in die tiefere Höhle fortsetze, ist wohl von ge- ringem Belang, da Verschiedenheiten in dieser Beziehung 14* 200 H. Sachs: einmal an sich existiren, oder durch Behandlung des Prä- parates leicht entstehen können. R Das eine Follieulardrüse zunächst umgebende Gewebe tritt an feinen gelungenen Schnittchen so distinct hervor, dass dasselbe gehr wohl eine eigentliche Faserhülle genannt wer- den kann. Präparate, welche 24 Stunden in Solut. Kali caust. (10 pCt.) lagen, zeigten mir noch deutlich die resist- enten elastischen Fasern, an denen auch die weitere Um- gebung hier ziemlich reich zu sein scheint. Die Bindege- webshülle selbst, welche an verschiedenen Drüschen verschie- den mächtig sein kann, umgiebt nun dieselben so, ‘dass an der äussersten Peripherie parallel der Contur ein etwa "/oo bis !/,,"' starker Zug herumgeht, weiter nach Innen, nach dem Centrum der Balgdrüse zu, dann schwächere Züge fol- gen, welche bei sehr gelungenen Präparaten die Conturen des einzelnen die ganze Drüse eomponirenden sogenannten Follikels zum Theil einhalten, in den Zwischenraum zweier nebeneinander liegenden etwas eindringen, dann wieder her- ausbiegen, also ‘ganz dasselbe Bild geben, wie wir es bei den Haarbalgdrüsen finden. Hat man zu der Untersuchung letzterer geeignete Präparate, wozu ich namentlich stark entwickelte grosse Schamlippen, vielleicht etwas elephantia- sisch entartete, empfehle, so erhält man mutatis mutandis frappant ähnliche Bilder mit unseren Balgdrüsen. Die fraglichen Follikel von diesen selbst nun, welche von dem an’ elastischen Fasern überaus reichen Bindegewebe um- schlossen sind, nicht aber, wie die Abbildungen Gauster’s glauben machen, in einer mehr grumösen Masse locker ein- gebettet liegen, erscheinen meist rundlich, von ganz bestimmt gezeiehneter Form, und lassen in sich einen von einer ziem- lieh deutlichen Hülle umgebenen Inhalt erkennen, über wel- chen sich nichts weiter sagen lässt, als dass er aus einem Detritus von Zellen und Zellenkernen bestehe. Die Zahl dieser Follikel, die mehr oder weniger symmetrisch um den Binnenraum gelagert sind, ist verschieden, so dass ich deren schon neun an einer Balgdrüse gefunden habe. Ihre Form, Zur Anatomie der Zungenbalgdrüsen und Mandeln. = 201 aus welcher zunächst Kölliker das Geschlossensein dersel- ben entnahm, stellt sich im mikroskopischen Bilde der Schnitt- chen meist als Kreis dar. Es fragt sich nur, ob man ein Recht habe, anzunehmen, dass ein Körper, dessen Durchschnittsfigur, wenn auch in sehr vielen Fällen, einen Kreis darstellt, nothwendig auch eine Kugel oder Hohlkugel sein müsse. Bekanntlich geben alle, auch die nur theilweis von runden Flächen begrenzten Körper unter gewissen Umständen einen Kreis als Durch- schnittsfigur, wenn nämlich die Schnittebene so gegen die Längsaxe jenes Körpers gerichtet ist, dass sie einen bestimm- ten Winkel nicht überschreitet. Habe ich z. B. einen Hohl- eylinder vor mir, so kann ich durch Schnitte, welche ent- weder senkrecht oder nur bis zu einem gewissen Grade schief auf die Längsaxe fallen, beliebig viele Kreis- oder kreisähnliche Bilder als Durchschnittsfigur erhalten, und Nie- mand kann aus dieser schliessen, ob sie einer Kugel oder einem Cylinder angehöre. Daraus also, dass man bei so und so vielen Durchschnitten durch eine Glandula follieularis immer nur geschlossene Kreise in den Conturen erhält, folgt einzig, dass man einen in bestimmten Richtungen kreis- förmig begrenzten, nicht aber, dass man einen runden Körper vor sich gehabt, und dass man im ersteren Falle die Schnitte immer nur in bestimmten Winkeln gegen seine Axe geführt habe. Erhalte ich aber bei solchen Schnittchen unter un- zähligen Präparaten auch nur ein” einziges Mal einen nicht geschlossenen Kreis, so lässt begreiflicher Weise dieses eine Schnittehen viel eher einen Rückschluss auf die Form des gegebenen Körpers machen, als alle übrigen zusammenge- nommen. Der Körper muss dann nothwendig nach einer Seite hin offen — also etwas anderes als eine Hohlkugel sein. — Macht man von einer Speicheldrüse eine sehr grosse Anzahl von Schnittehen, so werde ich unter den unendlich oft durchschnittenen Terminalbläschen mühevoll genug auch nur nach einem einzigen suchen müssen, dessen Mündung ich gerade getroffen, und doch wird Niemand mehr behaup- ten, dass die Endbläschen der Drüsen geschlosseneFollikel sind. 20% ” f H. Sachs: Gerade so steht auch hier die Sache. Eine Unzahl von Schnittchen wird ganz dieselben Bilder von den Follikeln geben, wie sie Kölliker gezeichnet: fällt aber ein’ oder das andere Mal die Durchschnittsebene ‘parallel oder doch mög- lichst schief gegen die Axe eines Follikels — durch die Mündung eines Acinus —, so erhalte ich dann keinen ge- schlossenen Kreis mehr, sondern einen solchen — venia sit verbo —, welcher nach der Drüsenhöhle zu offen steht und mit derselben frei communieirt. Wüsste ich genau die Lage eines jeden wandständigen Acinus zu seiner Drüse, so könnte ich beliebig die Stelle treffen, wo er mit der Höhle commu- nieirt, und somit auch beliebig oft offene Kreise erhalten. — Da dies indess unmöglich ist, so muss man suchen, die je- desmalige Durchschnittsebene immer unter möglichst ver- schiedene Winkel zu dem Zungenrücken, — ja bisweilen auch fast parallel mit demselben anzulegen, um die Mündung unserer Aeini zu treffen. Ueber einer solchen Mündung sieht man dann regelmässig die Papillen fehlen,') welche sonst von der Zungenoberfläche her die Binnenhöhlenwand einer Glandula follicularis auskleiden?): der Inhalt des Aci- nus setzt sich ununterbrochen in die Drüsenhöhle fort, zeigt sieh bis in die tiefste Lage, wo er etwas gesättigter und ein- gediekt erscheint, vollkommen identisch mit dem des Binnen- raumes der Drüse, und giebt auch beispielsweise mit Jod ganz dieselbe Färbung. 1) Kölliker, der über dem ganzen Grund seiner Balgdrüsen Pa- pillen fand und zeichnete, hatte eben bei seinen Schnittchen nieht, den Grund, oder wenigstens nicht an jener Stelle getroffen, wo Acinus und Ausführungsgang zusammenhängen; er fand daher auch nur Acini als geschlossene Follikel. (Vergl. Mikroskopische Anat. Bd. II, pag. 42, Fig. 182.) 2) Wenn Gauster beobachtet haben will, dass die nach dem Fundus der Drüsenhöhle hin stehenden Päpillen weniger zahlreich und mehr stumpf und rundlich werden, als die weiter oben an der Mündung befindlichen, so ist dies wohl darauf zurückzuführen, dass bei manchen Schnittchen die Papillen schief getroffen und abgestutzt werden, also freilich an- dere Bilder geben, als wenn sie parallel ifrem Längsdurchmesser durch- schnitten sind, Zur Anatomie der Zungenbalgdrüsen und Mandeln. 203 Muss man nun in Berücksichtigung dessen, was über die Form eines solchen Follikels bisher angeführt wurde, durch aus folgern, dass derselbe nicht geschlossen, sondern offen sei, und dass sein Inhalt frei mit dem der Drüsenhöhle com- munieire, so wird man kaum noch wagen dürfen, aus den - Angaben, welche Kölliker über die Art des Inhalts macht, einmal das Geschlossensein dieser Follikel, und dann deren "Identität mit den Peyer’schen erschliessen zu wollen. Um dies tlıun zu können, ist üns in der That der Inhalt beider noch zu ungenügend bekannt, sowohl was dessen rein mor- phologischen, als auch, was die chemischen Verhältnisse be- trifft. Die Förmelemente in beiden sind viel zu wenig cha- rakteristisch: Zellen, Zellenkerne und deren Detritus finden sich sonst noch in zu vielen anderen Gebilden, als dass dar- aus für die Morphologie eines Organes ein einigermaassen sicherer Schluss gezogen werden könnte. Wenn Bruecke ferner den Zusammenhang der Peyer’- schen Capseln mit den Lymphgefässen durch eine vom Darm aus gemachte Injection nachgewiesen, 50 ist dagegen zunächst wohl zu erinnern, dass dieser Versuch noch von keinem Andern bis zur Evidenz hat wiederholt werden können, so- mit immerhin nöch nicht als über jeden Zweifel erhaben zu betrachten ist: wenig gewonnen aber wäre für die Sicherung dieser jedenfalls sehr wichtigen Thatsache, wenn sie keine bessere Stütze fände, als den analog sein sollenden Bau der Zungenbalgdrüsen. Von Gefässen nämlich, welche bei den Peyer’schen Follikeln Frey unzweifelhaft nachgewiesen hat, habe ich trotz der grössten Sorgfalt in dem Inhalt eines Zungenbalgdrüsen-Follikels nie etwas sehen können. Man muss sich nur nicht durch Figuren täuschen lassen, welche hie und da vielleicht gefässähnliche Verzweigungen nachah- men können, it der That aber nichts sind als künstliche Lücken, die durch strichweise Trennung und Verschiebung des Follikelinhalts entstanden sind, Dicht um die Follikel herum sieht man sehr viele Capillarverzweigungen, und ganz nahe bis an jene heran sich erstrecken, kann aber auch eben daran den Unterschied dieser Gefässe und der als solche in- 204 H. Sachs: nerhalb der Follikel angesprochenen Figuren, wie, sie Gau- ster’s Abbildungen zeigen, deutlich erkennen. Wenn end- lich Weber durch Injection mit Quecksilber in die Balgdrüse oberflächliche Saugadern in der nächsten Umgebung sich hat füllen sehen, so wird man dies wohl kaum als Beweis für die Anwesenheit von Lymphgefässen in den Follikeln selbst anführen können, da man weiss, wie leicht durch Einspritzung mit so schwerer Masse die zarten Gebilde zerrissen und be-" liebig künstliche Oeffnungen gebildet werden können, Die chemischen Verhältnisse sind bezüglich dieser Iden- titätsfrage kaum von grösserem Belang. ‚Es 'ist damit nicht viel gewonnen, wenn man weiss, dass der Inhalt sowohl der Peyer’schen Follikel, als der Follikel in der Zunge, alka- lisch reagire; — viele andere Nahrungsflüssigkeiten und ‚Se- erete, und namentlich. auch der Schleim, haben dieselbe Re- action: eben so wenig ist gewonnen, wenn man weiss, dass Essigsäure keinen Niederschlag in dem Inhalt beider be- wirke; — die chemischen Untersuchungen über den Schleim, welchen danach ‘die Follikel nicht enthalten sollen, sind bei Weitem noch nicht zu dem Abschluss gediehen, um ‚aus jenem Verhalten allein sicher behaupten zu können, dass in den Follikeln nichts enthalten wäre von der ‚dem Ursprung und der Zusammensetzung nach ziemlich zweifelhaften Flüs- sigkeit, die wir Schleim nennen, — Zur endgültigen Entscheidung dieser ganzen für mich al- lerdings nieht mehr zweifelhaften Frage, ob die Zungenbalg- drüsen zu den aeinösen Drüsen gehören, ‘oder ob das, was Weber und die Uebrigen für Acini gehalten, geschlossene Follikel sind, bietet sich ausser der Untersuchung getrock- neter Präparate noch die Injeetion. Liesse sich das Conten- tum ohne Schwierigkeit und ohne Verletzung der Structur aus den Drüschen entfernen, so gäbe es kaum ein besseres Beweismittel als die Injeetion: nur müsste sie mit. einer'an-+ deren Masse vorgenommen werden als: mit Quecksilber, 'wel- ches ich'aus dem bereits oben angeführten Grunde für un- zweckmässig halte, obschon Weber eigentlich dadurch zu demselben Resultat gelangt ist, welches ich aus meinen Un- Zur Anatomie der Zungenbalgdrüsen und Mandeln. 205 tersuchungen erbielt. Wegen des dicklichen Inhaltes ist aber die Injection mit anderen Massen unausführbar, und es muss also der Befund sorgfältig untersuchter trockener Präparate für den fraglichen Punkt allein als massgebend erachtet werden. Haben sich nun aus Obigem die Glandulae follieulares als acinöse Drüsen erwiesen, so sind die Tonsillen, welche als aggregirte Glandulae folliculares von Allen betrachtet werden, auch nichts Anderes, als zusammengesetzte acinöse Drüsen. Der streitige Punkt bleibt auch hier bezüglich des Geschlossen- oder Offenseins der Follikel der gleiche. Nur wird derselbe hier um Vieles leichter erledigt werden kön- nen. Wählt man zu Präparaten die Tonsillen vom Schwein, welche von allen Thiertonsillen 'bei Weitem am besten für die Untersuchung der Structur sich eignen, so trifft man an guten Schnittchen viel eher und leichter offene Follikel, als bei den Glandulae follieulares der Zunge: denn da bei einer Aggregation solcher Balgdrüsen immer eine grössere Anzahl von Follikeln zugleich. durchschnitten werden, wird man auch eher darauf rechnen können, hin und wieder einen sol- chen einzelnen Follikel gerade im Zusammenhang mit der Binnenhöhle der Drüse zu treffen. Ist der Zufall günstig, so trifft man auch mehrere Glandulae follieulares gleich- zeitig durch ihre Axenebene, und kann dann allerdings Bil- der erhalten, welche denen der Schleimdrüsen sehr ähnlich sind, Verwahren aber müssen wir uns auf’s Entschiedenste gegen den von Gauster uns suppeditirten Irrthum, als hät- ten wir überhaupt gar keine Tonsillen, sondern nur die in deren Nähe befindlichen Schleimdrüsen vor uns gehabt. Der- gleichen kann bei so leicht anzufertigenden und so charakte- ristischen Präparaten wohl kaum vorkommen, wenn anders erst die Identität der von uns beiden untersuchten — als Tonsillen angesprochener Objecte entschieden ist. Rapp in Tübingen hat in Müller’s Archiv eine sehr ausführliche Zusammenstellung von den Tonsillen und ton- sillenartigen Organen der verschiedenen Thierspecies gemacht, aus welcher man — wenn dessen ja Noth ist — zunächst 206 H. Sachs: sich leieht Auskunft über die Lage der Tonsillen auch beim Schwein verschaffen kann. Dann aber wird sich Jeder un- schwer an nur wenigen Präparaten überzeugen, däss ein Durchschnitt eine durchaus nicht geringe Anzahl sogenann- ter Follikel zeigt — wie Gauster meint — auch wird Jeder meine — in l5maliger Vergrösserung — gezeichneten Ab- bildungen als vollkommen eorrespondirend den Zeichnungen Kölliker’s!) erkennen, in welchen ebenfalls ziemlich viel solcher Follikel zu sehen sind. Dass auf meinen Tafeln die Anordnung der Follieulardrüsen als eine mehr symmetrische erscheint, ist Folge des glücklich erhaltenen Durchschnitts, welcher gerade die Ausführungsgänge sammt der Binnenhöhle von mehreren Drüsen zugleich in deren Mitte getroffen hat; dass die Follikel offen sind, ist strichgetreue Uebertragung des Objects, dass endlich so allerdings das Bild dem einer Schleimdrüse ähnlich sieht, ist durchaus nicht zu leugnen, und findet einfach darin seine Erklärung, dass beide der Structur nach zu denselben Drüsen gehören, denn Tonsil- len sowohl, als die einfachen Glandulae follicula- res der Zunge, aus denen jene componirtsind, sind in Wahrheit nichts anderes, als acinöse Drüsen. Zusatz zur Abhandlung des Herrn Dr. Sachs. Von Reichert, (Hierzu 3 Holzschnitte.) Herr Dr. Sachs hat in seiner Inaugural-Abhandlung na- turgetreue Abbildungen sowohl von den Glandulae follieulares der Zunge, als von der, aus ähnlichen aggregirten Balgdrü- sen bestehenden Mandel, gegeben, die diesen nicht schwieri- gen anatomischen Gegenstand vollständig erläutern. Es er- scheint indess zweckmässig, auch der vorliegenden Abhand- lung einige Abbildungen beizufügen. Herr Dr. G. Wagener hatte die Güte, von drei Präparaten, die Herr Dr. Sachs bei Wiederholung seiner Untersuchungen angefertigt, und mir zur Demonstration gütigst übergeben hat, Zeichnungen I) A. a. ©. pag. 47, Fig. 184 u. 185. . Zur Anatomie der Zungenbalgdrüsen und Mandeln, 207 für die nachfolgenden Holzschnitte in 30facher Vergrösserung zu entwerfen. Die Durchschnitie gehören einer Balgdrüse der Zunge an, welche nur drei Follikel oder Acini zeigte. An einem dieser Follikel (ec) ist zu übersehen, wie derselbe an den verschiedenen Schnittehen mit dem ihm entgegenkom- menden Grunde (g) des weiten Ausführungsganges (Alveus communis) der Drüse sich allmählig in offene Verbindung setzt. Auch in Betreff des zweiten Follikels (c‘) sind die Durchschnitte so glücklich ausgefallen, dass wenigstens die Annäherung des Grundes zu demselben nicht verkannt wer- den kann. Der dritte Acinus (ec) erhält sich in allen Sehnitt- chen als scheinbar geschlossener Follikel; der Schnitt hat hier die Verbindungsstelle mit dem Alveus communis nirgend getroffen. Man wird ferner gewahr, ‘dass der Alveus com- munis der Drüse an seinem Ausgange (f) von der Epidermis bekleidet, gut entwickelte Papillen besitzt, während der Grund, sowie die Follikel derselben gänzlich entbehren. Die Höhle des Alveus communis und der Follikel ist von zäher Masse, die Residuen zerstörter Zellen enthält, angefüllt. Dieser Umstand verhindert auch die genaue Erkenntniss der die Wandung jener Hohlräume auskleidenden Drüsenzellen. Der Alveus communis, namentlich sein Boden, sowie die Aeini, liegen in einem bindegewebigen Stroma eingebettet, das reich an elastischen Fasernetzen ist. Auf diese Weise wird auch die Erkenntniss der Tunica propria an den Drüsenfollikeln sowie der Grenzlamelle an dem Alveus communis sehr er- schwert, An dicken Schnittehen oder an Stellen des Prä- parats, wo ein dicker Abschnitt des Drüsenhöhlensystems vorliegt, ist die Begrenzung der Wandung, sawohl nach aussen, als nach dem Hohlraume hin, bestimmt und scharf; an dünnen Schnittchen wird dieselbe durch die bezeichnete Beschaffenheit des elastischen Stroma’s ganz undeutlich. 208 H. Sachs: Zur Anatomie der Zungenbalgdrüsen u. s. w. a ————— Zur Geschichte der Entdeckungen am Zitterwelse, 209 Erklärung der Figuren 1 bis 3, E. Epidermis. S. Substrat derselben am Zungenrücken. D. Balgdrüse, a. Stratum cornenm. b. Rete Malpighii. e, ce’, ec”. Follikel der Balgdrüse. f. Ausgang des Alveus communis der Balgdrüse. g. Grund des Alveus communis. _ d. Papillen am Substrat der Zungenschleimhant. e. Das in der Umgebung der Drüse befindliche Bindegewebs- Stroma mit zahlreichen elastischen Fasern. sh» Lockeres Bindegewebe des Substrats der Schleimhaut mit Durch- schnitten von Gefässen, i. Riss in der Füllungsmasse des Alveus communis. Zur Geschichte der Entdeckungen am Zitterwelse n (Malapterurus electricus). In einer Nachschrift zu der von mir am 13. Aug. 1857 der Kgl. Akademie der Wissenschaften gemachten Mittheilung über einen nach Berlin gelangten lebenden Zitterwels führte ich an, dass Hr. Matteuceci bereits in einer im Nuovo Cimento abgedruckten Vorlesung über elektromo- torische Fische die Richtung des Zitterwelsschlages richtig angebe, je- doch oline einen Gewährsmann zu nennen, und überhaupt in solcher Weise, als ob es sich mehr um eine Vermuthung aus irgendwelchen 210 Zur Geschichte der Entdeckungen am’ Zitterwelse, theoretischen Gründen, oder wenigstens nur um unsichere Versuche handele.!) Hr. Mattencei hat darauf in einer Notiz, welche übrigens meh- rere Ungenanigkeiten enthält, daran erinnert, dass bereits in den bei- den ersten Bänden des Nuovo Cimento Versuche des Hrn. Professor Ranzi, Kliniker in Florenz, abgedruckt seien, welche derselbe in Egypten am Zitterwels angestellt habe, und aus denen sich die Richtung des Schlages bei diesem Fisch unzweideutig ergebe. ?) Ich bin zu entschuldigen, dass die Versuche des Hrn. Ranzi mir unbekannt geblieben sird, da in der That noch zur Zeit, wo ich durch Hrn. Matteucei darauf aufmerksam gemacht wurde, weder in Ber- lin, noch in Göttingen, also wohl schwerlich in Norddeutschland, ein Exemplar der beiden ersten Bände des Nuovo Cimento aufzutreiben war, und sonderbarer Weise jene Versuche in keine andere Zeitschrift übergegangen sind. Ich wendete mich deshalb an Hrn. Prof. Max von Vintschgau in Padua mit der Bitte, mir eine Abschrift der fraglichen Aufsätze zu schicken. Nach dieser Abschrift, für die ich Hrn. von Vintschgau meinen Dank sage, ist die folgende Ueber- setzung von Hrn. von Bezold verfasst worden. Die Versuche des Hrn. Ranzi sind ganz untadelhaft, und er ist also fortan als derjenige zu nennen, dem wir die so wichtig gewordene Kenntniss der Strö- mungsrichtung im Organ des Zitterwelses verdanken. E.d.B.-R. I. Ueber den Nilwels. Brief von Prof. Ranzi.°) Eben im Begriff, Egypten zu verlassen, schrieb Hr. Prof. Ranzi, von uns gebeten, einige Untersuchungen über die elektrische Entladung des Nilwelses anzustellen, aus Cairo vom 7. April: „Ich habe den Wels in Händen gehabt, ich habe die Ver- suche angestellt; der Strom im Körper des Fisches geht vom Kopf zum Schwanz, d. h. der Zinkpol des Welses ist am Kopfe. Diese Thiere haben mir sehr starke Schläge gege- ben, und mit Recht betrachten die Araber sie als den Schrecken und die Geissel aller Nilfische. Nach meiner Rückkehr nach Toskana werde ich die Versuche, welche ich angestellt habe, ausführlich beschreiben.* II. Versuche über die elektrische Entladung des Nilwelses. Von Prof. Ranzi, — Mitgetheilt von C, MA) Im ersten Bände dieser Zeitschrift, S. 297, haben wir eine Stelle eines Briefes mitgetheilt, den uns Prof. Ranzi aus Cairo 1) Beriehte über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlun- gen us sc.w. ı 8. 424, 2) II nuovo Cimento, Giornale di Fisica, di Chimica e delle lore applieazioni ec. compilato dai Professori C. Matteucei e R. Piria ec. t, VI, Gennajo 1858. p. 458. 3) Ivi.. Tomo I. Aprile 1855. p. 297, 4 Ivi. Tomo U. Dicembre 1856. p. 447. t- x Zur Geschichte der Entdeckungen am Zitterwelse. 211 ® schrieb, nachdem er mehrere Versuche über den Wels oder elek- trischen Fisch des Nils angestellt hatte. Nach Italien zurück- ekehrt, hat er uns in grösserer Ausführlichkeit die Versuche, ie. er an dem lebenden, Fische angestellt hat, mitgetheilt, und es gereicht uns zur Befriedigung hier einige derselben, so wie Se erhaltenen Ergebnisse, veröffentlichen zu können. Der Verfasser hat an drei kurz vorher gefischten und daher noch sehr lebhaften Welsen seine Beobachtungen angestellt; in der That sagt er, dass die Schläge äusserst heftig, und denen einer starken elektro-magnetischen Maschine vergleich- bar waren. Als er, in einem Falle, den Fisch in den Hän- den gehalten hatte, blieben die Muskeln der Finger (?) und des Vorderarmes eine Zeit lang steif. Die Untersuchung der Stromesrichtung wurde mit Hülfe eines Ruhmkorff’schen Galvanometers mit nicht sehr lan- gem Drahte, der sehr sorgfältig mit Seide übersponnen war, angestellt. Der Verf. hat alle Vorsichtsmassregeln angewandt, um sich, je nach der Richtung der Nadelablenkung, der Stro- mesrichtung im Galvanometerdrahte zu vergewissern; zu die- sem Zwecke wurde ein Zinkplättchen bald mit dem einen bald. mit dem anderen Ende dieses Drahtes verbunden, und dann die beiden Enden in Wasser getaucht. Darauf hat er bei den Versuchen am Welse einen silbernen Löffel mit jedem der Enden des Galvanometers in ‚Verbindung ge- bracht und den Löffel mit Wachstaffet an den Stellen über- zogen, an denen er mit der Hand gehalten wurde. Der aus dem Wasser genommene und abgetrocknete Fisch wurde auf einen Tisch gelegt, und hierauf wurden die mit den Gal- anometerdrähten verbundenen Löffel mit einem gewissen Drucke an die verschiedenen Körperstellen des Thieres an- gelegt. Der Verf. gelangte nach den ersten Versuchen leicht azu, die kleinen Ablenkungen, die langsam eintraten, und elche von der nieht vollkommenen Gleichartigkeit der Sil- rlöffel herrührten, von jenen plötzlichen Bewegungen zu unterscheiden, welche die Nadel unter dem Einfluss der Ent- ladungen des elektrischen Fisches machte. In dem ersten Versuche trat jenes Ereigniss ein, das man so oft sieht, wenn u sehr astatisches Nadelpaar der Entladung einer Leydner lasche oder eines elektrischen Fisches ausgesetzt wird, d.h, das System ändert seine Gleichgewichtslage, und manchmal hrt sieh diese Lage vollkommen um, indem die ursprüng- ieh schwächere der beiden Nadeln nun das Vebergewicht erlangt. Der Verf. nalım diese Umkehrung wahr, bestätigte dieselbe durch den schon erwähnten Versuch mit der Zink- Ba und setzte sich in den Stand, sein Galvanometer mit icherheit gebrauchen zu können. Der erste Fisch, mit dem er experimentirt hat, lebte sechs Stunden; und in. diesem Zeitraum, während dessen man dem Thiere von Zeit zu Zeit Ruhe gönnte, und es in gewissen Zwischenräumen wieder in ‘ 212 Zur Geschichte der Entdeckungen am Zitterwelse u. s. w. ° Wasser setzte, war es möglich, 30 Mal den Schlag und die Ablenkung der Galvanometernadel zu erhalten, während die Silberlöffel, der eine am Schwanze des Thieres, der andere in der Gegend des Kopfes angelegt wurden. Man trug Sorge, die Löffel mit einander zu verwechseln, und stets erhielt man eine Ablenkung, welche anzeigte, dass der Strom im Körper des Fisches vom Kopf zum Schwanze gerichtet ist, und so, wie man sie erhalten hätte, wenn der am Kopf ange- brachte Löffel von Zink, anstatt von Silber, gewesen wäre. Die nämlichen Versuche wurden wiederholt und abgeän- dert an den beiden anderen Welsen, nachdem man sich über- zeugt hatte, dass die Anzeigen des Galvanometers keine Veränderung erlitten hatten, und die Ergebnisse waren die gleichen. e Der Verf. änderte nun seine Versuche ab, indem er die Elektroden quer zur Längsachse des Thieres anlegte, d. h. die eine auf dem Bauche, die andere auf dem Rücken. In diesem Falle waren die Ströme, die er erhielt, sehr schwach, beständig waren jedoch die Ablenkungen hinreichend gross, um zu zeigen, dass sie abhingen von der in der Richtung der Längsachse des Thieres vor sich gehenden Entladung, und von der Lage der Enden des Galvanometers in Bezug auf die Pole des elektrischen Organes, d. h. auf Schwanz und Kopf des Thieres. In der That, wie auch die Ober- fläche des Fisches von den Enden berührt wurde: immer trat der Strom in das Instrument ein durch den dem Kopfe') näheren Draht, und aus durch jenen dem Schwanze benach- barten, und die Ablenkungen verkleinerten sich in dem Maasse, als die Punkte des Rückens und des Bauches, die von den Enden des Galvanometers berührt wurden, einander näher gerückt, oder in eine und dieselbe auf die Achse des Fisches senkrechte Ebene gebracht wurden. Nach den Untersuchungen des Prof. Ranzi ist demnach keine Unsicherheit mehr in der Behauptung, dass die Pole des elektrischen Organs des Welses ebenso wie jene des Gym- notus an den beiden Enden, d. h. am Schwanz und am Kopfe des Thieres gelegen sind, und dass im Welse, ent- gegengesetzt wie bei Gymnotus, der Strom vom Kopf zum Schwanz gerichtet ist. Diese Eigenthümlichkeit erhöht die Wichtigkeit, welche neue und noch feinere vergleichend anatomische Untersu- chungen über die Structur des elektrischen Organes dieser beiden Fische haben können, 1) Dies ist unzweifelhaft ein Schreibfehler des Berichterstatters. Es soll heissen, der Strom trat in das Gewinde ein durch den dem Schwanz näheren Draht, und umgekehrt. E. d. B.-R. / W. Kühne: Ueber directe und indirecte Muskelreizung u. s. w. 213 Ueber direete und indireete Muskelreizung mittelst chemischer Agentien. Ein Beitrag zur Lehre von der selbständigen Reizbarkeit der Muskelfaser. Von Dr. W. Künne. Die in dem Folgenden mitgetheilten Versuche wurden ur- sprünglich in der Absicht begonnen, einige Beiträge zu der in letzterer Zeit so eifrig discutirten Frage, über die Irrita- bilität der Muskeln zu liefern. Ich ging nämlich von der ‚Ansicht aus, dass es sich mit Hülfe der chemischen Reizung würde entscheiden lassen, ob die motorischen Nerven mit Curara vergifteter Thiere wirklich bis zu ihren letzten in- tramuscularen Enden gelähmt, oder nur auf einem Theile ihrer im Muskel liegenden Bahn der Leitungsfähigkeit, be- „ raubt seien. Wie Jeder leicht übersehen wird, gewährt die Reizung der Muskeln und Nerven mit Anwendung chemisch differenter Körper den, ausserordentlichen Vortheil, dass wir . dabei nicht blos auf quantitativ verschiedene Reize beschränkt bleiben, wie bei der elektrischen, thermischen oder mechani- schen Reizung, sondern in jedem wirksamen chemischen ‚Körper auch einen qualitativ verschiedenen Erreger besitzen. Bei den ersten Versuchen über die Erfolge der directen und indireeten Muskelreizung zeigte sich indessen sehr bald, dass ‚auch bei ganz gesunden und unyergifteten Thieren die Mus- ‚keln und Nerven sehr verschieden gegen dieselben chemi- schen Körper reagiren, und dass ein grosser Unterschied zwischen beiden Organen in Beziehung auf ihre Reizbarkeit Helebert's u. du Bols-Reymond's Archiv. 1859, 15 214 i W. Kühne: besteht. Die Angaben über diesen Gegenstand, welche man in der physiologischen Literatur aufgeführt findet, stehen leider bis jetzt sehr vereinzelt da, ja die Untersuchung von Eckhard ist die einzige und erste genauere Bearbeitung des Einflusses chemischer Reize überhaupt. Nur Humboldt und Joh. Müller erwähnen bereits, dass es sehr viel leich- ter gelinge, einen Muskel durch direete Application chemi- scher Agentien in Contractionen zu versetzen, als wenn man dieselben auf den zu dem Muskel gehörigen Nerven einwir- ken lasse, ein Satz, der indessen nur für specielle Fälle rich- tig ist. Eckhard dagegen zog die directe Einwirkung der von ihm angewendeten chemischen Verbindungen auf die Muskeln gar nicht in das. Gebiet seiner Untersuchung, son- dern begnügte sich damit, dieselben nur auf den Nerven ein- wirken zu lassen, indem er für eine Anzahl verschiedener Körper genau den zur Wirksamkeit nothwendigen Procent- gehalt seiner Lösungen bestimmte. Die Anwendung der chemischen Reizung bietet bei den Nerven gar keine Schwierigkeiten; man taucht, will man den Einfluss auf den unverletzten Nerven studiren, eine Schlinge des in sich selbst zurückgebogenen Stranges in die auf ir- gend welche Art hergestellte Lösung des zu untersuchenden Reizmittels, will man die Einwirkung auf den Nervenguer- schnitt studiren, so braucht man nur das vom Centrum quer abgeschnittene Ende in die Flüssigkeit einzusenken.‘ Beim Muskel ist es indessen nöthig, ein anderes Verfahren einzu- schlagen, und zwar deshalb, weil viele chemische Körper der Art auf ihn wirken, dass der durch die Berührung ein- geleitete chemische Process, häufig bei gänzlieher Zerstörung des contractilen Gewebes, mannichfache Volumveränderungen desselben erzeugt, die dann in vielen Fällen mit der wahren Muskeleontraetion verwechselt werden können. Dies tritt namentlich dann ein, wenn man zu dem Versuche den na- türlichen Längsschnitt des Muskels wählt, wogegen sich die- ser Uebelstand leicht vermeiden lässt, wenn man sieh eines frischen, künstlichen Muskel-Quersehnitts als Applicationsstelle für den Erreger bedient. In den meisten der folgenden Ver- Ueber directe und indirecte Mnskelreizung u. s. w. 215 suche habe ich daher vorzugsweise dieses letztere Verfahren eingeschlagen, das vor der Hand immerhin einige Resultate zu liefern versprach. Auf den Rath meines hochverehrten Lehrers, des Herrn Professor du Bois-Reymond, in dessen Laboratorium ich diese Untersuchung anstellte, und welchem ich für die Freund- liehkeit, mit welcher ‚mir derselbe sein Laboratorium zur Verfügung stellte, hiermit meinen aufrichtigsten Dank sage, bediente ich mich bei fast allen Versuchen des Muse, sarto- rius (Sous-ilio-tibial Dug. oder Couturier Cuv.) des Fro« sches, der in folgender Weise zur Anstellung der Experi- mente hergerichtet wurde. Mit einer Pinegtte‘ wurde ein Stück der vorderen lateralen Fläche der’ sehnigen Massen des Kniegelenkes gefasst, mit der Scheere von unten her ab- getrennt, von hier aus der Muskel bis zu seinem Ursprunge vom Darmbeine isolirt, und dort durch einen senkrecht auf die Richtung der Muskelfasern gerichteten raschen Scheeren- schnitt abgeschnitten. Beim Lospräpariren des Muskels hat man darauf zu achten, dass derselbe niemals unnöthig ge- zerrt werde, und dass der natürliche Längsschnitt desselben überall vor Verletzung sorgfältig geschützt werde, was sonst ein sehr rasches Absterben des ganzen Muskels zur Folge haben würde. Ist derselbe ohne derartige Fehler abpräpa- rirt, 8o kann man ihn nun ohne Weiteres zu Versuchen be- nutzen, und zwar am bequemsten, wenn man ihn mittelst einer von einem Stativ senkrecht herabhängenden Klemm- pincette so aufhängt, dass diese nur das untere sehnige Ende fasst. Versäumt man die Vorsicht, das sehnige Ende lang genug zu nehmen, so ist es oft unmöglich, das Präparat mit der Pincette zu befestigen, ohne dass diese ein kurzes Stück des Muskels selbst kneift, wodurch Zuckungen hervorgerufen werden, welche zu den unangenehmsten Störungen Anlass geben können. Der #0 herabhängende Muskel stellt nun die Vereinigung einer Anzahl yon. fast parallel neben einander verlaufenden Primitisbündeln dar, deren untere Querschnitte alle gleichzei-" fig dureh ‚dasselbe Mittel gereizt, werden. können, Zudem 15* 216 W. Kühne: gewährt das Präparat denselben Vortheil, wie der bekannte Reichert’sche Hautmuskel des Frosches, den nämlich, dass die Vertheilung der darin liegenden motorischen Nerven ohne Schwierigkeiten erkannt und übersehen werden kann. Der Nerv tritt nämlich etwa im ersten Drittheil am unteren me- dianen Rande in den Muskel ein, und verzweigt’ sich, wie man mit dem Mikroskop an solchen von sehr kleinen nur 1 bis 2 Centimeter messenden Fröschen genommenen Muskeln sehr leicht beobachten kann, indem er den Muskelfasern pa- rallel laufende Fäden nach oben und unten abgiebt. Selbst bei sehr durchsichtigen und ganz unbeschädigten Präparaten sieht man niemals eine Nervenfaser schlingenförmig umkeh- ren, sondern stets bis zu ihren nicht mehr verfolgbaren En- den nach zwei entgegengesetzten Richtungen verschwinden, und zwar so, dass die beiden äussersten Enden des Muskels auf einer Strecke von einigen Millimetern gar keine Nerven- fasern mehr zu enthalten scheinen. Reizt man also das bei dem Präparat nach unten hängende (eigentlich das obere) Stück, so ist man sicher, falls die angewandte Substanz den Nerven ebenfalls erregen sollte, dass diese Erregung nur diejenigen Nerven trifft, welche mit dem über der Eintritts- stelle des Nervenstammes gelegenen Muskelpartieen in gar keiner Beziehung stehen. Soviel über die Methode, deren ich mich bediente, und welche überall da angewendet wurde, wo keiner anderen Erwähnung geschehen wird; ich gehe zu den Versuchen selbst über. Aus Allem, was bis jetzt durch die Anwendung der che- mischen Reizung ermittelt werden konnte, geht hervor, ‘dass ein chemischer Körper, um wirksam zu sein, d. h. Zuekung zu erregen, auch in dem damit in Berührung gebrachten er- regbaren Organe irgend einen chemischen Process, irgend eine Veränderung unter den chemischen Bestandtheilen des- selben einleiten müsse. Demzufolge sollte man also bei che- mischen Reizversuchen von der chemischen Natur des Mus- .kels oder des Nerven ausgehen, und darnach Substanzen wählen, welche nach bekannten Gesetzen die Constitution der in diesen Organen enthaltenen chemischen Verbindungen Ueber directe und indirecte Muskelreizung u. s. w. 217 zu ändern vermöchten. Dieser Weg ist uns indessen leider verschlossen, da die chemische Analyse uns aus oft erörter- ten Gründen in Hinsicht auf die Zusammensetzung des le- benden Muskels oder Nerven fast ganz im Stiche lässt; man muss daher beinahe durchgängig zu Körpern greifen, von denen man aus schwer zu rechtfertigenden Gründen: voraus- setzt, dass sie irgend welchen der gewünschten Einflüsse auf die lebenden Organe ausüben. Ich habe daher fast das näm- liche Verfahren, wie Eckhard bei seinen Reizversuchen an den Nerven, eingeschlagen, theils weil mir durch. diese be- reits vorliegende Arbeit, die Vergleichung der sogenannten _ direeten und indirecten Muskelreizung leichter wurde, theils ‚weil man bei dem angedeuteten Stande unserer chemischen Kenntnisse, wirklich‘nicht mehr thun kann, als dass man die Säuren, die Basen, einige scheinbar unschuldige Salze, und eine Anzahl ätzender oder auf die albuminösen Substan- zen nachweisbar wirkender- unorganischer und organischer Verbindungen probirt. Das Feld, das man hier vor: sich sieht, ist bei Berücksiehtigung des Heeres chemischer Kör- per überhaupt, ein sehr grosses, und es wird daher Niemand auf Vollständigkeit und Abschluss des Gegenstandes Anspruch machen, so lange man genöthigt ist, bei der chemischen Rei- zung den breiten Weg des Probirens zu betreten. / Die Wirkung der Säuren. Die Angabe Eckhard’s, dass alle Säuren verhältniss- mässig sehr concentrirt sein müssen, wenn sie auf den Ner- ven applieirt, Zuckungen im Muskel bewirken sollen, kann ich durchaus bestätigen, und ich schliesse mich seinen An- gaben an, dass zunächst die Salzsäure einer, Concentration bis zu 19 und 20 pCt. bedarf, um den Nerven zu: erregen. lst die Säure verdünnter, so sieht man nach Eckhard häu- fig auch noch Zuckungen eintreten, namentlich wenn man nieht weiter als bis zu 11 pCt, verdünnt, der Erfolg ist in- dessen unsicher. Nähert man dagegen ein Glas mit concen- trinter HGl langsam gegen den frischen Querschnitt eines in der beschriebenen Weise hergerichteten M. sartorius des Fro- 218 W. Kühne: sches, so sieht man denselben, bei der ersten Berührung mit der‘ Säure, sofort in heftige Zuckungen gerathen, und wie ich sogleich bemerkte, können diese Zuekungen noch erzeugt werden, wenn man eine sehr verdünnte Säure, solche, welche auf den Nerven gar nicht mehr wirkt, anwendet. Es ist be- kannt, dass der in den Muskeln enthaltene eiweissartige Kör- per, das Syntonin, sich mit der grössten Leichtigkeit, wie Liebig gefunden, in einer höchst verdünnten HE1 auflöst, und es ist ferner bekannt, dass der noch zuckungsfähige Muskel nicht sauer reagirt, wie man früher angenommen, sondern nach einer in die Lehrbücher der Physiologie über- gegangenen Mittheilung von du Bois-Reymond alkalische oder neutrale Reaction besitzt, zwei Dinge, welche für die Wirkung der Säuren einen Anhaltspunkt geben konnten. Um das Syntonin zu lösen, bedarf es einer Flüssigkeit, welche auf 1000 Theile Wasser nur 5, ja selbst nur 1 Theil #61 enthält, und eine solche Flüssigkeit, in welcher wir durch unsere Geschmacksorgane kaum die Anwesenheit einer Säure zu spüren vermögen, erzeugt, auf den Querschnitt des Muskels applieirt, wie ich zu meiner grössten Ueberraschung beobach- tete, Zuckungen, welche den mit einer concentrirten Säure erhaltenen 'gleichkommen. Für Diejenigen, welche‘ diesen höchst einfachen und auffälligen Versuch zu wiederholen ge- denken, bemerke ich, dass es jeder Zeit gelingt, durch eine Salzsäure von 5 pro Mille in der beschriebenen Weise, den Muskel zum Zucken zu bringen, dass dagegen eine Säure von nur 2 oder 1 pro Mille nur bei sehr sorgfältig präpa- rirten und grossen. höchst kräftigen Fröschen entnommenen Muskeln wirkt. Man kann den Versuch aber 5—6 Mal’an einem und demselben Muskel wiederholen, wenn man Sorge trägt, dass die Flüssigkeit gerade nur den Querschnitt be- rührt, und wenn man dann rasch nach beendigter Zuckung das von der Säure benetzte Stück durch einen raschen Schee- renschnitt abschneidet. In dieser Weise lässt sich, wie ge- sagt, der Versuch so oft wiederholen, als man will, und so lange noch ein zur Beobachtung hinreichendes Stück des Mus- kels übrig’ bleibt, ausgenommen, wenn die Säure durch Im- Ueber direete und indireete Muskelreizung n. s. w. 219 bibition höher gelegene Theile des Muskels erreicht hatte, wie das leicht geschieht, wenn man sie nach Berührung des Quersehnitts nicht sofort wieder entfernt. Hingegen ist es mir nicht gelungen, von einem einmal benetzten Querschnitt aus von Neuem Zuckungen zu erhalten. Taucht man den ganzen Muskel selbst in eine so verdünnte Säure ein, so scheint er in tetanischer Zusammenziehung zu verharren; der Zustand ist indessen kaum von dem eintretenden. ‚Verluste der contractilen Eigenschaften, von dem sogenannten Mus- keltode, und der nachfolgenden Todtenstarre durch den blossen Augenschein zu unterscheiden. Nieht mehr veizbare Muskeln zeigen indessen diese Erscheinung nicht, sie tritt dagegen ein bei allen zuckungsfähigen Muskeln, selbst wenn diese an keiner Stelle vorher verletzt, und die Anlegung künst- licher Querschnitte (ganz vermieden wurde, ein Beweis einer- " seits, dass das Phänomen ursprünglich einer Contraction wie je- der anderen lebendigen gleichkommt, und dass dieangewendete ‚Säure auch durch das Sarkolemm hindurch auf die eontractile Substanz wirkt. Das völlige Eintauchen der Muskeln in die ‚Flüssigkeit, deren Wirkungen man untersuchen will, bleibt indessen immer ein sehr schlechtes Mittel, da die Erschei- nungen der völligen Zerstörung des Organes äusserlich sich meist nicht von ‚der eigentlichen 'Contraction unterscheiden lassen, ein Vorwurf, der hingegen bei der nur den. Quer- ‚schnitt trefienden Reizung ganz wegfällt. Die auffallende Wirkung einer so schwachen Säure kann vielleicht auf zweierlei Weise erklärt werden, wobei wir in- dessen einstweilen von der Frage über die Muskelirritabilität ganz absehen wollen. Möglicher. Weise löst nämlich . die Säure schon bei der plötzlichen Berührung einen Theil des im Muskel enthaltenen Syntonins, und dies wäre der erste Fall, welcher die Reizung erklären könnte, oder die Reagtion ‚des Querschnittes schlägt plötzlich aus der neutralen oder alkalischen in die saure um, was ebenfalls mit einer merk- lieben chemischen Alteration der contractilen Substanz ganz ‚gleichbedeutend wäre. Obgleich man nun meinen sollte, dass vorzugsweise die Veränderung, welche am geschwindesten 220 W. Kühne: eintreten kann, die Reizung bedingt, was in diesem Falle ohne Zweifel die Aenderung der Reaction sein würde, so lässt sich doch nachweisen, dass gerade die verdünnte Salz- säure nicht hierdurch wirkt, sondern, wie man nicht an- ders annehmen kann, eben nur, weil sie einen Theil des Syntonins augenblicklich löst. ‘Wie ich unten zeigen werde, giebt es Körper, welche ebenfalls die Reaction des Muskel- saftes augenblicklich verändern, welche aber trotzdem nicht erregend auf den Muskel wirken, es kann also das blosse Umschlagen aus der alkalischen in die saure Reaction die Muskelzuckung nicht bedingen, sondern es muss noch etwas anderes hinzukommen, wofür man in diesem Falle gewiss die Löslichkeit des Syntonins in der reizenden Flüssigkeit beanspruchen darf, um so mehr, als sich in der That in jener, nachdem sie zu circa 50 Versuchen verwendet worden war, durch vorsichtiges Zusetzen einer äusserst verdünnten Lö- sung von Na O CO? ein wenn auch sehr geringer flockiger weisser Niederschlag erkennen liess, welcher sich ‘bei wei- terem Zusatze des Na O CO? wieder auflöste. Die hier gegebene Erklärung mag nun der Natur entspre- chen oder nicht, vor der Hand bleibt sie jedenfalls die ein- fachste, und es scheint mir wichtiger, den Versuch von einer anderen Seite her zu sichern. Derselbe zeigt nämlich eine ausserordentliche Verschiedenheit zwischen Muskel und Nerv in ihrem Verhalten gegen chemische Agentien, eine Differenz, welche vor einiger Zeit schon von v. Wittich geltend ge- macht wurde, der die bei Wasserinjectionen durch die Ge- fässe der Frösche entstehenden Muskelzuckungen aus einer nur auf den Muskel, nicht auf den Nerven, wirkenden Eigen- schaft des destillirten Wassers herzuleiten suchte. Ich werde in dem Folgenden auf diesen Gegenstand zurückkommen, hier sei nur ein Versuch erwähnt, zu welehem die Unter- suchung von v. Wittich Veranlassung gab. Da nämlich eine scheinbar so indifferente Flüssigkeit, wie eine H&] von 1 prö Mille sich als kräftiger Muskelreiz erwies, so konnte man wohl auch voraussetzen, dass reines destillirtes Wasser denselben Erfolg haben würde. Es ist mir aber niemals ge- Ueber directe und indirecte Muskelreiznng u. s. w. »21 lungen, durch Berührung des Muskelquerschnittes mit reinem destillirten Wasser von einer zwischen 20 und 30° C. schwan- kenden Temperatur überhaupt Zuckungen zu erhalten, wohl aber, wenn ich den Muskel in grösserer Ausdehnung längere Zeit darin verweilen liess, eine Erscheinung, welche indessen später besprochen werden soll. Die vorliegende Mittheilang macht auf Vollständigkeit keinen Anspruch, sie soll vielmehr nur einige Thatsachen um- fassen, welche für die Lehre von der direeten und indireeten Muskelreizung nicht ohne Interesse sind, und in diesem Sinne habe ich hier noch Einiges über die Wirkung anderer Säu- ren hinzuzufügen. Die Schwefelsäure habe ich vor allen Dingen gemieden, weil, wie auch Eckhard angiebt, ihre Wirkungen auf den Nerven von dem Einflusse thermischer Erregungen schwer zu trennen sind; sie bietet also keine Anhaltspunkte zur Vergleichung dar, Hingegen lässt. sich von der Salpetersäure ganz dasselbe, wie von der Salzsäure sagen. Nur bei einer beträchtlichen Coneentration vermittelt der eingetauchte Nerv Zuckungen, was ebenfalls geschieht, wenn sie auf den Muskel direct applieirt wird. Wird die Säure aber über 15 pCt. hinaus mit Wasser verdünnt, so hört ihre erregende Wirkung für den Nerven auf, nicht aber für den Muskel, .der selbst noch durch eine Säure von nur 5 pro Mille und darunter von seinem Querschnitte aus zum 'Zucken gebracht werden kann. Letzteres erklärt sich auch bei dieser Säure wiederum durch die Eigenthümlichkeit, in solcher Verdünnung noch das Syntonin zu lösen; jedenfalls muss aber auch ihre ausserordentliche Fähigkeit alle ausser dem Syntonin im Muskel vorhandenen Eiweisskörper zu co- aguliren, mit in Betracht gezogen werden, eine Wirkung, welche sich in dem folgenden Versuche sehr deutlich zeigen lässt. ‚Man tauche zwei M. sartorii von demselben Frosch gleich- zeitig, den einen in destillirtes Wasser, den anderen in 05 von 1 pro Mille. Beide Muskeln ‚sterben ziemlich rasch in den Flüssigkeiten ab, man muss sich daher bei dem Ver- suche etwas ‚beeilen. Nach einigen Minuten findet man in- 222 W. Kühne: dessen, wenn man beide Muskeln den Strömen ‘der ‚secun- dären Rolle des du Bois’schen Schlittenapparates aus- setzt, dass der in NO° gelegene Muskel eine grössere Erreg- barkeit besitzt, als der andere, Man findet, dass die secun- däre Spirale der primären des Apparates mehr .genähert werden muss, um den in Wasser gelegenen Muskel zu erre- gen, als bei dem, welcher in der NO? verweilte, eine Diffe- renz, welche nicht durch das bessere Leitungsvermögen der NO® gegenüber dem destillirten HO erklärt werden kann, da nach einiger Zeit der mit HO imprägrirte Muskel seine Erreg- barkeit schon ganz verloren hat, schon völlig todtenstarr ist, wenn der andere noch mehrere Minuten lang auf die Ströme des Apparates reagirt. Ohne Zweifel coagulirt die verdünnte NO> das Eiweiss, sowie sie den Muskel benetzt, und das Coagulum schützt sodann den Muskel während kurzer Zeit vor dem rascheren Eindringen der Säure. Ausser der NO° habe ieh noch einige Versuche mit PO, Ac und Cr ®? an- gestellt. Letztere wirkt selbst ganz concentrirt in völlig'ge- sättigter Lösung nicht der Art auf den Nerven, dass Zuckun- gen in den davon versorgten Muskeln entstehen, wogegen man die Lösung ziemlich bedeutend verdünnen kann, ohne dass sie ihre reizenden Eigensehaften für den Muskelquerschnitt einbüsst. PO° und Ac können ebenfalls noch in ziemlicher Verdünnung als Muskelerreger benutzt werden, die Dämpfe der concentrirten Äc haben sogar denselben Erfolg. "Will man dagegen durch Applieation dieser beiden Säuren auf den Neryen die Muskeln zueken sehen, so ist es nöthig,' sie in der grösstmöglichen Concentration anzuwenden. Die Wirkung der Alkalien. Seltsamer Weise existirt bei den Alkalien kein so grosser Unterschied wie bei den Säuren in Hinsicht auf ihre Fähig- keit vom Nerven aus, oder direet auf den Muskel angewen- det, Zuckungen zu bewirken. Eckhard giebt an, dass Lösungen von Aetzkali oder Natron, um mit Sicherheit erregend auf.den Nerven zu wir- ken, einer Concentration von 1,8 pCt. bedürfen , dass indes- Ueber directe und indireete Maskelreizung u. 3. w. 223 sen auch Lösungen bis zu 0,8 pCt. sich bei sehr reizbaren Froschschenkeln noch als wirksam erweisen. Bei der Wie- derholung der Eckhard’schen Versuche bediente ich mich ebenfalls des nach du Bois’ Methode präparirten Frosch- schenkels, jedoch mit der Vorsicht, dass ich stets das mög- liehst hoch genommene Stück des höchst erregbaren Plexus ischiadieus mit seinem Querschnitte in die zu untersuchende Lösung eintauchte. Die Versuche wurden ferner im Sommer an sehr grossen kräftigen Wasserfröschen angestellt, und daher mag es kommen, dass ich ganz constant bei der von Eckhard angegebenen Grenze (0,3 pCt.) die Schenkelmus- keln zucken sah, und dass dies in der Regel auch noch der Fall war, wenn die Lösung nur 0,1 pCt. enthielt. Hiermit kann ich zugleich einer ähnlichen Angabe von Schiff beitre- ten, welche ich später in dessen neu erschienenem Lehrbuche der Physiologie verzeichnet fand. Die Resultate sind indes- sen nicht ganz constant, obgleich sich angeben lässt, dass die Zuckungen beim Eintauchen des Querschnittes der Ner- ven fast immer eintreten, was beim Eintauchen einer Ner- venschlinge, also des natürlichen Längsschnittes, nicht stets der Fall ist. Letzteres kann indessen, abgesehen von dem langsameren Eindringen der Flüssigkeiten durch das Neuri- lemm und sämmtliche Markscheiden, auch darin seinen Grund haben, dass man bei dem Formen der Schlinge stets genö- thigt ist, eine tiefer gelegene Nervenstrecke anzuwenden, welche nach Pflüger’s und Rosenthal’s Untersuchungen über die Curve der Erregbarkeit, auch in der That weniger erregbar ist, als der höher gelegene Plexus ischiadieus. Ganz im Gegensatze nun zu den Säuren verhalten sich die beiden genannten Alkalien gegen den’ frischen Muskelquerschnitt. Ooncentrirte Lösungen bringen ebenfalls auch hier Zuekungen hervor, und dasselbe lässt sich auch noch erreichen, ‘wenn man verdünnte Lösungen anwendet, selbst bis zu 0,3 und 0,2 pÜt. hinab. Bei so schwachen Lösungen ist indessen das Resultat eben 80 wenig ganz eonstant wie bei den Ner- ven, und wenn man Lösungen von 0,1 pCt. anwendet, blei- 224 W. Kühne: ben die Zuckungen in der Regel ganz aus, In Hinsieht auf ihre Erregbarkeit durch Kali oder Natron stehen: also ‚die Muskeln und Nerven ziemlich gleich, und vielleicht sprechen die Verhältnisse, wenigstens für den erregbarsten Theil des Nerven, den Plexus ischiadieus, selbst zu Gunsten des letzte- ren, da eine Lösung von 0,1 pCt. hier meist noch wirk- sam ist. Taucht man Froschmuskeln (am geeignetsten immer den M. sartorius oder die MM, adductores) ganz in die Lösung selbst bis zu 0,1 pCt. verdünnter Alkalien ein, so ziehen sie sich scheinbar tetanisch zusammen, verlieren aber dann fast augenblicklich ihre Erregbarkeit selbst für die. stärksten Ströme des Inductionsapparates, und es ist auch hier nicht zu entscheiden, ob der Muskel vor seinem Tode den Zustand der activen Contraction durchmachte. Die dritte ätzende Base, welche die Chemie den beiden Alkalien anreiht, das aus aller chemischer Regelmässigkeit heraustretende Ammoniak, verhält sich auch zu den anima- len Organen ganz anders als jene. Wie bekannt, verspüren die Geruchsorgane ein Gefäss mit concentrirtem Ammoniak schon aus einer beträchtlichen Entfernung, und merkwürdiger Weise scheint ein senkrecht mit seinem: entblössten Quer- sehnitt herabhängender Sartorius des Frösches in dieser Be- ziehung unserer Nase nicht nachzustehen. Sowie man näm- lieh beider Ausführung von Reizversuchen mit NH®'in der Nähe des Muskels den stechenden Geruch wahrzunehmen beginnt, verfällt das Präparat auch bereits in Zuckungen, welche bis zum vollständigen Tetanus gesteigert werden kön- nen, wenn man das Gefäss mit dem Ammoniak dem Muskel von unten her immer mehr nähert. Hat man die Dämpfe des NH? mit einiger Schonung angewendet, so lässt sich der Versuch, selbst ohne Anlegung eines neuen Querschnittes, 5 bis 6 Mal hintereinander wiederholen, sobald man nur je- desmal dem Muskel Zeit lässt, nach den Zuckungen zur Ruhe und seiner ursprünglichen Länge wieder zurückzukehren. Die Empfindlichkeit des Muskels für das Ammoniak ist so Ueber wlirecte und ‘indirecte Muskelreizung u. s. w. 225 gröss, !) dass seine Zuckungen fast eben so gut wie die Sal- miaknebel mit Salzsäure die Gegenwart desselben anzei- gen können, aus welchem Grunde es mir auch unmög- lich war, den Grad der Verdünnung zu bestimmen, bei wel- chem das Ammoniak ‘noch Zuckungen erzeugt, indem der Muskel selbst bei einer wässrigen Auflösung, die kaum nach NH3 roch, schon vor der Berührung mit der Oberfläche zu zueken begann. Es ist nun gewiss im höchsten Grade auffallend, dass ein Körper, der wie gezeigt so heftig erregend auf das Muskelge- webe selbst wirkt, an keiner Stelle des Nerven, in keinem Con- centrationszustande denselben so zu verändern vermag, dass Zuckungen in den davon versorgten Muskeln entstehen. Ich muss Eckhard in dieser Angabe völlig beistimmen: niemals gelingt es, selbst mit‘ höchst concentrirtem NH?, auf den Ner- ven erregend zu wirken, niemals treten Muskelzuckungen ein, wenn nur die Nerven dem Ammoniak ausgesetzt werden. Die entgegenstehenden Angaben von Funke und Anderen, welche behaupten, nach dem Betupfen des Nerven dennoch Zuckungen gesehen zu haben, glaube ich einfach daraus er- klären zu dürfen, dass man bei Anstellung der Versuche die Muskeln selbst nicht gehörig vor dem sehr flüchtigen’ Am- moniak geschützt hat. Bedient man sich z. B. statt‘ des blossen Unterschenkels des Galvani’schen Präparates, so wird man fast jedesmal die Schenkel zucken sehen, aber einfach deshalb, weil bei diesem Präparat nackte Muskelquerschnitte unvermeidlich sind; gerathen aber die Muskeln des Ober- schenkels einmal in Zuckungen, so werden diese auch in der Wade und den Zehen nicht lange ausbleiben,' in Folge der nothwendig eintretenden secundären Zuckung, hervorgebracht durch die negative Stromesschwankung bei der Contraction der direct gereizten Muskeln, welche den zwischen ihnen ge- I) Es giebt indessen auch noch andere flüchtige Körper, welche denselben erregenden Einfluss ausüben, z. B. die empyreumatischen Producte im Tabacksrauch, was hier nur erwähnt sein mag, um vor dem Rauchen bei Anstellung derartiger Versuche zu warnen. 226 W. Küline: - betteten nach dem Unterschenkel verlaufenden Nerven in den Zustand der Erregung mit Nothwendigkeit versetzen muss. Bedient man sich dagegen des nach du Bois hergerichteten Unterschenkels, so hat man eine direete Muskelreizung we- niger zu fürchten, weil: einerseits keine Muskelquerschnitte zu Tage liegen, andererseits aber auch die grösseren Mus- keln des Unterschenkels mit diekeren Bindegewebsüberzügen bekleidet sind. Will man dagegen den Versuch ganz rein von allen Vorwürfen anstellen, 80 muss man dennoch den Nerven des Präparats allein dem Ammioniak aussetzen, was sehr leicht dadurch zu erreichen ist, dass man ihn durch das enge Loch einer Glasscheibe zieht, die Zwischenräume mit wenig Fett verkittet, und nun das Ammoniak so damit in Berührung bringt, dass die Muskeln selbst durch die Glas- seheibe vollständig vor den schädlichen Dämpfen geschützt werden. So oft ich den Versuch'in dieser Form auch wie- derholte, niemals sah ich weder beim Eintauchen, noch beim längeren Verweilen des Quer- oder 'Längsschnittes des ‚Ner- ven in dem NH? Zuckungen erfolgen, obgleich meist sehr 'er- regbare Nerven zu den Versuchen genommen wurden. Das NH? bringt also nur Zuekungen hervor, wenn die contraetile Substanz selbst damit in Berührung geräth. Ausser dem Ammoniak habe ich noch eine vierte. Base in's Bereich dieser Versuche gezogen, nämlich ‘den. Kalk, bei welehem indessen quantitative Bestimmungen ebenfalls un- terbleiben mussten wegen der technisehen Schwierigkeiten, welche sich den Versuchen entgegengestellt hätten, da die Einflüsse der Atmosphäre (der CO?) hätten entfernt werden müssen. Zudem enthält das Kalkwasser so wenig von.der Base in Lösung, dass dasselbe als untere Grenze: der Con- centration bereits genügen konnte, um so mehr, als.die er- sten Versuche auch schon zeigten, dass der Nerv. durch Kalkwasser seiner Erregbarkeit bald verlustig wird, dass die Einwirkung aber niemals der Art ist, dass Zuckungen in dem von ihm versorgten Muskel entstehen. Umgekehrt ist es bei dem Muskel. Wird ein Muskelquerschnitt auf die Oberfläche des Kalkwassers gebracht, so entsteht sofort mei- Ueber directe und indirecte Muskelreizung u. s. w. 227 stens ‚eine Zuckung, welche an Heftigkeit indessen den durch Kali oder NH? erzeugten sehr nachsteht. Hingegen. kanh man, was mit den Alkalien z. B.“und auch mit den 'Säuren nieht gelingt, ein und denselben Querschnitt wiederholt dureh Kalkwasser reizen, und auf diese Weise 6 bis 8 Mal hinter einander 'Zuckungen hervorbringen. _ Taucht man den gan- zen Muskel in die Flüssigkeit ein, so erfolgt, wie bei den übrigen bisher beschriebenen Reizmitteln, sehr rasch völlige Starre. Die Wirkung der Metallsalze. Die Metallsalze sind trotz ihrer energischen Einwirkungen auf Albuminlösungen dennoch, wie Eekhard gefunden, fast alle keine Erreger für die Nerven. Sie tödten denselben in mehr oder minder kurzer Frist, erregen ‚aber niemals Mus- kelzuekungen. Nur beim -salpetersauren ‚Silberoxyd. fand Eckhard eine Ausnahme, welche er indessen, seinem Aus- spruch zu Liebe, dass alle Metallsalze unwirksam seien, auf eine ganz besondere Art zu erklären sucht, nämlich so, ‘dass bei dem Eintauchen des Nerven in Höllensteinlösungen das Salz zersetzt, und NO® frei werde, welche letztere in diesem Falle als Erreger wirke. Obgleich ich in allen übrigen Thei- len die Angaben Eckhard’s vollkommen bestätigen kann, so glaube ich doch hervorheben zu müssen, dass es mir min- destens willkürlich erscheint, zu einer solehen Annahme za greifen, namentlich bei einem Gegenstande, dessen Compli- eirtheit durehaus nicht geeignet ist, Hypothesen bervorzuru- fen, wo. man mit einfachen Versuchen einen Ausweg fin- den kant, Zunächst möchte ich gegen die Eckhard’sche Annahme von der Wirkungsweise des AgONO; einwenden, dass das Erste, was zweifelsohne geschieht, ‘wenn der Nerv damit in ‚Berührung kommt, die Entstehung von Ag@l und Na0N0> ist, durch welchen Process niemals NO, frei werden kann. Was bei der Einwirkung ‘des Höllensteines auf die übrigen organischen Substanzen des Nerven geschieht, wissen wir nieht, sicher ist nur, dass, falls schwarzes Silber ausgeschie- 228 W. Kühne: den’ wird, auch die dazu gehörige Säure ausgeschieden 'wer- den muss. Jedenfalls würde aber, wenn dieser Fall auch wirklich stattfände, die so zersetzte Lösung des Ag O NO5 immer noch eine so ausserordentlich verdünnte NO vorstel- len, dass sie nach Eckhard’s eigenen Angaben gar nicht erregend wirken könnte, da hierzu, wie bereits erwähnt, eine beträchtlich concentrirte Säure nothwendig ist. Der direete Versuch widerlegt zudem die Eekhard’sche Erklärungs- weise. Man tauche einen Nerven in eine ganz neutrale Lö- sung von AgONO®. Es entstehen sofort sehr heftige aber rasch vorübergehende Zuckungen in dem dazu gehörigen Unterschenkel. Jetzt ziehe man den Nerven aus der Lösung heraus, und man wird finden, dass er nicht im Mindesten geschwärzt erscheint. Auf einen Streifen blaues Lackmus- papier geworfen, und darauf zerquetscht, wird man ihn nie- mals die blaue Farbe in Roth verwandeln sehen. Die Zuekung war also bereits hervorgerufen, ohne die von Eckhard für nöthig erachtete Zersetzungsweise des angewendeten Salzes. Alle übrigen Angaben Eckhard's über die Wirkung der Metallsalze kann ich dagegen bestätigen. Sie tödten die Nerven rasch und vollständig ohne Zuckungen hervorzubrin- gen, und ich bin sicher, dass jeder, der die Versuche häufig angestellt, zu demselben Resultate kommen wird. Damit‘ist indessen nicht gesagt, dass es sich nicht unter vielen Fällen bisweilen ereignen kann, dass der Schenkel zu zucken be- ginnt in dem Augenblicke, wo der Nerv die Salzlösungen berührt, vielmehr wird man bei sehr reizbaren Präparaten dergleichen öfter beobachten. Dasselbe geschieht aber dann auch/ wenn man den Nerven sonst irgendwie berührt, oder mit kaltem Wasser benetzt, eine Erscheinung, welche übri- gens jeder Physiologe bereits kennt. Ausser den von Eekhard untersuchten Salzen bnba ich noch das Eisenchlorid, das neutrale und das basisch essig- saure Bleioxyd geprüft, welche ebenfalls für den Nerven un- wirksam sind, ohne Ausnahme aber auf den Querschnitt des Muskels gebracht kräftige Zuckungen veranlassen. ı: Eine genauere Untersuchung des zur Wirksamkeit nothwendigen Ueber directe und. indirecte Muskelreizung u. s. w. 229 Procentgehaltes der Lösungen stellte ich dagegen bei dem schwefelsauren Kupferoxyd an, wobei ich fand, dass die Lö- sungen in allen Concentrationen bis hinab zu einem Gehalt von 4 pCt. (des wasserfreien Salzes) ausnahmslos bei directer Reizung Muskelzuckungen bewirken. Bei verdünnteren Lö- sungen wird der Erfolg unsicher; ich, sah indessen sehr er- regbare Präparate auch noch durch solche von: 2,5 pCt. in Zuekungen gerathen. Bekanntlich wirken andere Salze als die der Metalle, z. B. das Chlornatrium, als heftige Erreger auf den Nerven. Das- selbe gilt auch für den Muskel, für die Methode der direeten Reizung, mit dem Unterschiede aber, dass die Lösungen viel eoncentrirter sein müssen für den Nerven, wie für den Mus- kel. Besonders auffallend stellt sich das Verhältniss heraus bei Lösungen von Chlorcaleium, welche nur in ganz con- centrirtem Zustande für den Nerven wirksam sind, selbst bei 50facher Verdünnung der gesättigten Lösungen, aber noch die Muskeln in Zuckungen versetzen, Soviel über die Reizung mittelst unorganischer Stoffe, woraus im Allgemeinen hervorgeht, dass der Nerv eines stärkeren Erregers, eoncentrirterer Lösungen der chemischen Körper als der Muskel bedarf, ein Gesetz, das am eviden- testen aus den Reizversuchen mit NH? und den Lösungen der meisten Metallsalze hervorgeht, indem diese Körper in kei- ner Üoncentration, an keiner einzigen Stelle seines ganzen Verlaufes den Nerven unter keinen Umständen erregen, da- gegen sich als kräftige Muskelreize bewähren, Ich gehe zur Beschreibung der Wirkung mehrerer orga- nischen Stoffe über, unter denen ich eine kleine Zahl aus- wählte, welche vor der Hand zum Theil wenigstens geeignet sein könnten, als Repräsentanten einer grösseren Anzahl von Körpern zu dienen. Ich werde vorläufig nur die reinen Ver- suchsresultate erwähnen, denen am Schlusse die nothwendi- gen Betrachtungen und Folgerungen hinzugefügt werden sollen, Belchert's u, du Bois-Keymond's Archiv, 185%, 16 Eu Ne, Ruhe: Die Wirkung der organischen Sänzen.t Bei der Beschreibung der Wirkung der unörganischen Säuren war bereits erwähnt, dass die Essigsäure nur in sehr eoneentrirtem Zustande ‘anf den Nerven einen 'erregenden Einfluss habe, dass dagegen ihre schon bei Zimmertempera- tur -entweichenden Dämpfe den Muskel zum Zueken bringen: Um so mehr war ich erstaunt, als ich bei der Prüfung’ der zweiten organischen Säure, der Oxalsäure, fand, dass diese weder auf den Nerven noch auf den Muskel einen erhebli- chen Einfluss ausübt, selbst nieht in ganz concentrirter wässri= ger Lösung. Mit Ausnahme eines einzigen Falles ‚sah ich nämlich niemals einet Froschschenkel zucken,' ‚wenn sein Nerv in die Oxalsäure getaucht würde; Zuckungen des Sar- törias‘nach Berührung seines @uerschnittes mit der "Säure waren dagegen häufiger, ’äber ‘durchaus nieht mit‘ den bei sehr verdünnten Mineralsäuren enthaltenen Resultaten zu ver- gleichen. Trotz öfterer Wiederholung der Versüche, und trotzdem die Präparate meist sehr' grossen kräftigen Fröschen entnommen waren, gelang es mir aber doch nur recht selten unzweideutige Zuekungen zu erhalten, welche auch im 'gün- stigsten Falle an Stärke jeder der bisher beschriebenen durch ehemische Reize erzeugten Contraetionen bedeutend nach- standen. ') Die dritte organische Säure, die Milchsäure, zeigte anfangs noch weit merkwürdigere Wirkungen. ‘Ich tauchte -denNer- ven in die ganz contentrirte syrupöse Säure ein, und sah alsbald Zuekungen im Schenkel eintreten. Benetzte ich! da- gegen den frischen Querschnitt eines Muskels mit dersel- ben Säure, so blieben die Zuckungen aus, ‘der Muskel|ver- härrte in völliger Ruhe, und nur nachdem ich ihn 'ganz mit der Säure bedeckt hatte, zog er sich langsam zusammen, um » Die geringe Wirksamkeit der C203 dürfte geeignet sein, ‚ die ‚oben erwähnte Vermuthung, dass die sehr verdünnte HEl nnd NOS® nicht durch Neutralisation der Muskelflüssigkeit, sondern durch Lösung des Syntonins erregend wirken, zu unterstützen. Ueber directe und. indirecte Muskelreizung u. s. w. 231 in. den. ‚bekannten Zustand der Starre überzugehen, Hier war also das Verhältniss umgekehrt, wie. bei den meisten anderen Körpern, da, ein für den Nerven höchst wirksamer Reiz, bei directer Application auf den Muskel sich, unwirksam zeigte, Das wunderbare Phänomen erklärt sieh aber leicht, und. zwar durch die einfache Abänderung des Versuches, dass man die coneentrirte Säure vorher, etwa mit ihrem ‚halben Volum .de- stillivtem Wasser verdünnt. In so verdünntem Zustande wirkt sie nämlich kaum ‚mehr ‘auf den Nerven, die’ Muskelzuckun- gen. bleiben in den meisten Fällen aus, wenn‘der Schenkel- nery, gleichviel ob’ mit, seinem. Läugs- oder Querschnitt, ein- getaucht wird,, der Muskelschnitt dagegen zeigt gegen diese Säure, eine eben ‚so, grosse Empfindlichkeit, wie, gegen die Mineralsäuren, indem kräftige Zuckungen ‚der Berührung fol- gen. Es ist klar, dass die dickliche-syrupöse Beschaffenheit, der eoncentrirten Milchsäure der Grund. sein muss, weswegen sie aufıden Muskel nicht wirkt, indem, diese Eigenschaft ihr Eindringen in die Substanz der. Muskeleylinder nieht zulässt. Verdünnt man sie aber mit Wasser, ‚so wird ihr der! Weg in’s Innere, derselben eröffnet, und, jetzt zeigt\ sich ihre, Zuckung erregende Wirkung, welche selbst noch bestehen bleibt; wenn 1 Volum der eoncentrirten Säure mit dem ‚20fachen, Volum Wasser, verdünnt, wird. Treibt man die, Verdünnung. noch weiter, ‚so. bleiben ‚die Muskelu ‚in. Ruhe, ‚sowohl wenn .die Säure direct applieirt wird, als wenn man, den Nexven.darin versenkt. Eine. so höchst, verdünnte, Säure! beschleunigt aber niehtsdestoweniger (den Eintritt der Muskelstarre, 3 Von einer anderen organischen Säure, ‚der Carbolskure, die auch in Hinsicht auf ihre, chemische: Constitution. geeig- net set, uns zu. den später folgenden: Körpern, dem Alko- hol ete. überzuleiten,- ist eB schon! dureh Eckhard bekannt, dass. sie\ sehr. heftig auf ‚die, Nerven wirkt, und sauf..diese Weise kräftige Zuckungen in den Muskeln erzeugt, und, ich kann mich auch hier wiederum den Angaben ‚Eekhard's anschliessen, ‚dass nämlich. das Kreosot: jedesmal! Zuckung vom: Nerven aus erzeugt. Ueherlegt:manlisieb, die: ausser+ ordentlich, ätzenden Eigenschaften‘ dieses ‚Körpers, ‚so wird 16* 233 - W. Kühne: man weit entfernt sein, diese Erscheinung merkwürdig zu finden, da es fast keinen organisirten Körper giebt, der nicht durch das Kreosot mehr oder weniger affieirt würde. Legt man z.B. einen Muskel hinein, so schrumpft er: augenblick- lich zusammen, wird weiss und undurchsichtig, und nach kurzer Zeit so brüchig, dass man ihn in Stücke zerbrechen kann. Trotz alledem ist es aber eine sehr seltene Erschei- nung, dass ein Musc. sartorius, den man blos an seinem Querschnitte mit dem Kreosot in Berührung gebracht, Zuckun- gen zeigt. Ich muss mich hier mit der Angabe begnügen, dass unter zehn derartigen Versuchen etwa einmal eineZuckung, aber von sehr geringer Energie, beobachtet werden konnte, und muss es vorläufig dahin gestellt sein lassen, woher diese Ungleichmässigkeit in den Resultaten stammt. Als, Mittel indessen aus allen Versuchen, die ich angestellt, glaube ich den Schluss ziehen zu dürfen, dass das Kreosot ein kräftiger Erreger für den Nerven, aber nicht für den Muskel ist. Die zweite Classe von organischen Körpern, deren Wir- kungsweise ich versuchte, besteht aus einigen flüchtigen Kör- pern, dem Alkohol, dem Aether und dem Chloroform. Es ist bekannt, dass sehr starker oder absoluter Alkohol erre- gend auf den Nerven wirkt, ebenso, wie bei dem Kreosot, gelingt es aber nur höchst selten, den Muskel dadurch zur Zusammenziehung zu bringen, und zwar gilt dies für jeden Concentrationsgrad des Alkohols. Der Aether und das Ohlo- roform hingegen bewirken, auf den Nerven angebracht, fast niemals Muskelzuckungen, während ihre Dämpfe, deren Ein- mischung bei den Versuchen unvermeidlich ist, schon mehr oder minder schädlich auf den Muskel wirken. Nähert man ein offenes Gefäss mit Aether einem in der oben beschriebe- nen Weise zugerichteten M. sartorius, so zieht sich derselbe langsam zusammen, und verharrt sodann in einem Zustande, in welchem selbst kräftige Inductionsströme keine bemerkba- ren Zuckungen mehr hervorbringen können. Es ist mir aber mehrere Male gelungen, einen so behandelten Muskel nach längerem Verweilen in einem mit Wasserdampf gesättigten Raume wieder das normale Ansehen und seine frühere Er- Ueber directe und indireete Muskelreizung u. s. w. 233 regbarkeit wieder zu geben. Da der Muskel übrigens schon durch die Dämpfe des) Aethers in den bezeichneten Zustand verfällt, so war es natürlich auch unmöglich, ihn durch Be- rührung seiner Schnittfläche mit der Flüssigkeit ‚selbst in Zuekungen zu versetzen. Bei dem Chloroform nun beobach- tet.man häufig etwas ganz ähnliches, wie beim Aether, man kann aber, wenn man dasselbe rasch gegen ‘den Querschnitt des Muskels führt, häufig Zuekungen dadurch hervorbringen, indem das weniger flüchtige Chloroform nicht Zeit hat, den Muskel durch seine Dämpfe in den starreartigen Zustand zu versetzen. Taucht man einen Froschmuskel aber ganz in Chloroform oder auch in Aether, ein, so schrumpft er völlig zusammen und wird, wiees Kussmaul bezeichnet, chloroform- starr, nämlich todtenstarr, woraus er durch keinerlei Mittel wieder zu seinen früheren contractilen und erregbaren Eigen- schaften zurückkehren kann.. Die drei letzterwähnten Körper können also nicht für kräftige Erreger der contractilen Sub- stanz gelten, eben so wenig wie für den Nerven, ‚für welchen das Chloroform sogar überhaupt keine erregende Wirkung hat, und diese drei Körper schliessen sich daher manchen anderen Körpern an, welche gar keinen erregenden Einfluss auf beide Organe haben. Solche sind z.B. die fetten Oele, das Terpentbinöl und viele andere. Man darf indessen nicht glauben, dass diese Körper geeignet sind, die Erregbarkeit zu erhalten, da ein Muskel z. B. selbst in dem feinsten Oli- venöl schliesslich, wie man sich ausdrücken kann, ersticken muss. Dasselbe Oel wirkt übrigens noch in anderer Weise, welche schwer zu deuten, aber leicht zu beobachten ist, und welche darin besteht, dass es den Muskel veranlasst, sich ‚nach 20—30 Minuten darin kugelförmig zusammenzuballen. ‚In Terpenthin verlieren Nerv und Muskel ohne vorhergehende Zuekungen rasch ihre Erregbarkeit. ' Ich komme jetzt zu einigen scheinbar höchst unschuldigen Körpern, von denen man kaum einen erregenden Einfluss hätte erwarten sollen, zunächst zu dem Glycerin. Dasjenige, welches ich zu meinen Versuchen anwendete, war völlig neu- fral, nur sehr schwach gelblich gefärbt, und von rein süssem 934 ill, Kiel 1 Geschmack. Ohne Zweifel ihuss das’ Glycerin, "da es 'küss schmeckt, auch die Nerven unseres Geschmacksorganes'er- regen, ünd’es könnte darum weniger auffallen, dass:&s auch für den mötorischen Nerven als Erreger selten kann,''wenn nicht selbst bei recht eoncentrirten und stark 'schmeekenden Zuckerlösungen eine‘ derartige Wirkung‘ vermisst "würde. "Taucht man nämlich den Nerven des Froschpräparats, eitier- lei, öb mit seinem natürlichen 'Längsschnitte oder "seinem künstlichen Querschnitte, in concentrirtes Glycerin, 'so sieht ‘mah'schön nach wenigen Seeunden schwache fibrilläre Zuekun- gen im Gastroknemius und den Zehenmuskeln eintreten, welche sich mehr und 'mehr über die ganze Breite der Muskeln aus- dehnen, und zuletzt einem vollständigen Tetanus"des ganzen Beines, wie man ihn bei Strychnin-Vergiftungen nieht 'seliöner sehen kann, "gleichkömmen.' Zieht man sodann den Nerven aus der Plüssigkeit heraus, so. bleibt der Detanus noch so lange bestehen, wie der benetzte Theil'des Nerven überhaupt noch erregbar bleibt. Haben die Zuckungen aufgehört, was häufig erst nach’einer halben Stunde der Fall ist, so findet man den Nerven ganz indifferent gegen (die Ströme des Induetions- appärates, und anch'durch Auswaschen desselben mit!Was- ser gelingt es nicht, ihm’ seine frühere RE wieden- zugeben. ; Ganz anders verhält sich nun der Muskel. Niorikualg: ten Zuckungen ein, wenn der Querschnitt eines 'Sartorius in dasselbe "Glycerin getäucht wird, und zwar, wie ich'zei- gen werde, aus demselben Grunde, ‘wie bei den ganz ähn- lichen‘ Erscheinungen, welche eben von’ der Milchsäure ge- schildert worden. Auch’'das Glycerin. ist ‘nämlich ein Kräf- "tiger Müiskelreiz, 'es dringt aber ebenfalls seiner dickflüssigen Beschaffenheit "wegen "nicht "in’ den Muskel’ ein)" Verdünkt man es aber mit seinem halben Volum'destillivten Wassers, so sieht ihän die Muskeln allerdings noch nicht sogleich bei der Berührung damit in'Zuckungen 'gerathen, ‘das untere'ein- getänchte Stück "biegt sich aber hakenförmig um, und "nach "kurzer Zeit beginnt dan’ auch der obere unberührt geblie- bene "Theil seine stossweisen Zuekungen. au gar Ueber directe und indireete Muskelreizung u. s. w. 235 „Verdünnt man das ‚Glycerin, aber ‚mit „seinem ‚Sfachen Yolun ‘Wasser, so. zuckt der Muskel jedes Mal sogleich, wenn seine frische, Sehnittfläche. die Mischung berührt. Bei, einer Verdünnung mit ‚dem Sfachen Volum #0, beginnt :die, Er- seheinung, indessen‘ unsicher; zuwerden, und Glycerin, das zit 10, Theilen HO verdünnt wurde, ist schliesslich ‚ohne alle 'erregende Wirkung.. ‚Das, Glycerin; ist ‚also ‚innerhalb gewisser. Ooncentrationsgrade ‚bis zu einer beträchtlichen Ver- dünnung. ‚hinab ein, Muskelreiz,; und theilt insofern die Ei- ‚geuschaft ‚der, meisten, auderen: reizenden Körper, als; es, in «einer NVerdüunung noch ‚auf den Muskel wirkt, ‚wo es schon ‚aufgehört ‚hat, für den Nerven wirksam zu,sein, :da, in der That ‚nur noch ein Gemisch von zwei Theilen Glycerin mit einem Theile Wasser: erregend auf den, Nerven wirkt. Bei einer, Verdünnung zu ‚gleichen, Theilen oder weiter hinab kann es 'sogar.als Flüssigkeit zum Conserviren, der Nerven ange- ‚wendet ‚werden. „u Der letzte Körper, welchen ich min hier, zum Schlusse en anzuführen: erlaube, ist ein Product des Thierkörpers welbst, die Galle, ‚oder ‚vielmehr ‚ein Hauptbestandtheil der- ‚selben, ‚das glyeocholsaure Natron. Man hat schon seit, lan- ‚ger Zeit behauptet, dass; die Galle der Säugethiere oder auch ‚der. Frösche ein kräftiges Nervenreizmittel ‚sei, wogegen. von Anderen dieselbe Thatsache wiederum vielfach geläugnet wor- ‚den. ist. , Der; Widerspruch ‚ist indessen dadureh leicht zu. lösen, dass, die Galle, der verschiedenen Thiere niemals ‚dieselbe ‚Menge fester Bestandtheile, niemals dasselbe relative Ge- wicht, der unorganischen Salze und der gallensauren Alkalien zeigt, Nimmt ‚man, ‚daher ‚Galle aus ‚der Gallenblase, ver- schiedener Thiere, yon versehiedenen Individuen, so wird „men, Änden,, dass Uroschschenkel, ‚deren Nerven man hinein- "getaucht, bald kräftig,zucken, bald BAM in Ruhe bleiben. ‚Ausnahmslos wird ınan aber-finden,. dass jedes Stück Mus- kel, das man, in irgend welche ‚Galle gelegt ‚hat, iu. kurzer ‚Frist (sich so stark zusammenzieht,; wie man.sonst überhaupt „ig, einen, Muskel sich, contrahiren sieht. Diese schon vor 236 W. Kühne: längerer Zeit von mehreren Physiologen beobachtete That- sache hat indessen mit der Contraction eines lebenden und auf andere Weise gereizten Muskels nichts gemeinsames, denn die Erscheinung bleibt dieselbe, wenn die Muskeln vor- her bereits ganz unerregbar durch alle anderen Reize, todten- starr, oder sogar in Fäulniss übergegangen, und mit Pilzen bedeckt waren. Nichtsdestoweniger lässt sich aber nachwei- sen, dass die Galle dennoch auch für den lebenden Muskel ebenso wie für den lebenden Nerven ein Erregungsmittel ist. Hat man eine Galle, welche auf den Nerven keine Wir- kung ausübte, so braucht man sie nur durch Verdunsten einer geringen Quantität Wasser etwas zu concentriren, um beim Eintauchen eines neuen Nerven sicher Zuckungen in dem davon versorgten Schenkel zu erhalten. Die Galle bedarf also hierzu einer ‘gewissen Concentra- tion, welche in dem natürlich vorkommenden Seerete nicht immer erreicht ist. Jede Galle ist aber concentrirt genug, um von dem Querschnitte eines Muskels aus diesen zu Zuckun- gen zu bewegen, und deshalb wird man niemals bei einem Reizversuche dieser Art die Zuckung vermissen, auch nieht in dem Theile des Sartorius, wohin die Galle durch Imbi- bition noch nicht gedrungen war. Die gallensauren Alkalien sind es nun, welche beide Erfolge, sowohl den Zuckung er- regenden Vorgang, als auch die eigenthümlichen Contractions- erscheinungen an bereits abgestorbenen Muskeln, und zwar noch in sehr verdünnten Lösungen hervorrufen. Um den erforderlichen Concentrationsgrad kennen zu lernen, bediente ich mich einer wässrigen Lösung des reinen krystallisirten gallensauren Alkali’s, das durch Ausfällen des alkoholischen Gallenextractes mit Aether erhalten worden war, und welches also kein freies Alkali enthalten konnte, Eine solche Lö- sung wirkt un in allen Concentrationsgraden erregend auf den Muskelquerschnitt bis zu einem Gehalt von 2 und 3 pCt. des festen, trockenen Salzes. In stärkerer Verdünnung wirkt die Lösung nicht mehr. Lässt man aber den Querschnitt des Muskels längere Zeit damit in Berührung, so sieht man auch noch bei 1,7, 1,5 und 1 pCt. im oberen Theile Ueber directe und indireete Muskelreizung u. s. w. 237 des Präparats Zuckungen erfolgen, welche aber bei An- wendung noch verdünnterer Lösungen fast regelmässig aus- bleiben. Um aber durch Eintauchen des Nerven Zuckungen in den Muskeln zu erhalten, bedarf man einer Auflösung von mindestens 6 pCt., wodurch man immer noch starke Zuckungen erhält, die aber nicht so lange anhalten, als bei der Reizung mit Glycerin. Lösungen, welche nur 2 und 1 pCt. der gallensauren Salze enthalten, erregen den Nerven nie, ich sah sogar die Erregbarkeit eines Nerven für In- ductionsströme innerhalb einer halben Stunde darin nicht merklich abnelımen. Die bis hierher abgehandelten Versuche hätten leicht noch weiter ausgedehnt werden können, da das ganze Heer che- mischer Körper auch dem Physiologen zur Verfügung steht. Ich ziehe es indessen vor, einstweilen hier abzubrechen, um in Kurzem auf die erhaltenen Resultate zurückzukommen. Die Mehrzahl der untersuchten Körper scheint sowohl auf den Nerven, wie auf den Muskel zu wirken, jedoch mit dem ‚Unterschiede, dass der Muskel, um es kurz auszudrücken, ‚sieh 'reizbarer zeigt als der Nerv. So wirken die Mineral- säuren (Hl, NO°) auf den Muskel noch in ausserordentlicher "Verdünnung, ein Theil der Salze (Na €l, Ka ©l, Ca ©) und ‚organischen Körper (Äc, Milchsäure, Glycerin und die gal- lensauren Alkalien) immer noch bei einer Concentration, die auf den Nerven schon nicht mehr erregend wirkt. Eine 2te ‚Olasse verhält sich fast genau so zum Nerven wie zuni Mus- kel (KaO und Na O), die 3te Classe wirkt gar nicht auf ‚die Nerven, dagegen sehr heftig auf die Muskeln (Cr O°, Cu 080°, F2@l’, basisch und neutrales Pb O Äc, CaO und 'vor allem das Ammoniak), eine 4te Classe wohl auf den Ner- ven, aber kaum bei directer Berührung mit dem Muskel (Kreosot, Alkohol, ganz concentrirtes Glycerin und die nicht verdünnte Milchsäure), und endlich giebt es eine 5te Classe, welche aus Körpern besteht, die ohne allen erregenden Ein- fluss auf beide Organe sind (C20°[?], die fetten Oele, Ter- ‚penthin), 238 Zr W: Kühne; ‚do Die, erste! Frage), ‚welche sich hier ‚nun, aufwirftz ist dies ob, ‚bei der direeten Reizung, des Muskels; mittelst. chemischer Agentien, nur die contraetile, Substanz, ‚oder. die ‚darin, ‚einge+ betteten Nerven ‚erregt wurden, und'somit wären wir bei.der leider so, oft begonnenen Discussion über die Muskelirritabi- lität angelangt, Zur. besseren. Verständigung‘ muss. ich! mir zuvor eine gewiss.trivial lautende Umschreibung dieser, Frage erlauben. ‚„'Dass der Muskel nämlich irritabel/sei, ‚Kann Ina- türlich: gar. keinem Zweifel unterliegen, sobald man das Wort Reiz nur,.in dem.einzig greifbaren Sinne ‚des Auslösens.der zur Contraction notlıwendigen Kräfte auffasst; ‚Bewirkti.der erregte Nery Zuckungen im Muskel, löst er also die genann- ten Kräfte ‚aus, so.ist,es klar,',dass dem, Muskel ‘durch die Bähn: des Nerven .ein Reiz zugekommen,,-und er. würde-nicht zucken ‚wenn /er ‚eben. für. diesen, Reiz nicht empfänglich wäre, ‚er ist also irwitabel. „Die. eigentliche ‚Aufgabe, welche die Physiologie hier vor sich, sieht, kann also, nicht die Ent- scheidung dieses Punktes ‚sein, sondern, die Aufgabe besteht vielmehr ‚darin, ob man künstlich (dasselbe leisten.kann; was der erregte. Nerv. thut, ‚ob man künstlich. ebenso,am Muskel den enregten ‚Nerven substituiren ‚kann , ‚wie. man.durch (alle physikalischen und: ‚chemischen Erreger den im: lebenden 'Dhiete' allein thätigen ‚Einfluss- der Zustände ‚des, ‚Rücken- marks',oder: Gehirns’ auf. die-centwalen Ursprünge. der Nerven an jedem Punkte ihres ganzen Verlaufes ersetzen’ kann, Man kann: daher /hier nur einen. Weg einschlagen, ‚nämlich den (des Vergleiches ‚der directen und indireeten: (durch' den ‚erregten Nerven vermittelten) Muskelreizung, und“ in..diesem! Sinne haben ‚alle. Anstrengungen, welche, man- gemacht, um den Nerven allein’ seiner ‚normalen, Eigenschaften zu, berauben, einen: höchst! schätzbaren. Werth, ‘namentlich deshalb, weil man für. den Fall, ‚dass dies gelänge, ‘in aller. Musse probi- ren’ könnte,: welche Reize’ jetzt den Muskel zur ‚Contraetion zu bringen vermögen, i nübrs Ludwüg; welcher.der Entscheidung der Frage.über ER Muskelirritabilität besonders deshalb ein grosses Interesse .bei- legt, weil sie zugleich sich der Frage anreiht, ob überhanpt:die Ueber directe und’ indireete- Muskelreizung u. s. w. 239 ‚Gegeiwart der Nerven eine nothwendige Bedingung’ für die Zusammenziehung, 'Yesp. für das’ lebensvolle Bestehen des Muskels sei, verlangt’in erster Linie, dass es gelinge, Zuckun- gen.zu erlialten von’ einem Muskel, der entweder keine Ner- ven besitzt; oder dessen Nerven bis: an seine äussersten ‚Spitzen funetionell vernichtet sind.') "Die Lösung dieser Auf- gabe ist un in neuester Zeit: auf zwei verschiedene! Weisen versucht worden, zunächst durch die Versuche mit dem Cu- rara, und später durch die Anwendung des constanten Stromes. "Nor einigen Jahren entdeckte nämlich Cl. Bernard in ‚dem "amerikanischen: Pfeilgift, dem W6orara, 'Wurali oder ‚Onrara, eine Substanz, ‘welche alle motorischen Nerven lähmt, die Muskeln aber völlig unverändert lässt, und'somit schien ‚das Mittel gefunden zu sein, um bei’ der direeten’ Muskelrei- ing die Nerven zu ‘beseitigen, um s0'mehr, als Kölliker nachgewiesen, ° dass die Lähmung der motorischen Nerven ‚bei den im Muskel liegenden Aesten beginnt, und von da zu - den Stämmen 'aufsteigt. Wie indessen Schiff in der ersten ‚Lieferung seines neu erschienenen Lehrbuches der Physiolo- gie gewiss mit Recht bemerkt, fehlt" bis‘ jetzt der Beweis, ‚dass das Corara wirklich 'die 'allerletzten' Nervenenden im ‘Muskel, 'und nieht blos eine beschränkte Strecke der im’ Mus- 'kel liegenden Aeste lähmt,?) 'ein-Binwänd, der sich in keiner "Weise weglängnen lässt, und’der so lange bestehen bleiben wird, bis das Gepentheil erwiesen. Um über die Bereehtigung dieses Einwandes Aufschluss zu bekommen, giebt es natürlich kein ‚anderes Mittel, als das Studium der direeten Reizung der Muskeln mit Curdra vergifteter Thiere, und derselbe würde um Kraft'verlieren‘, wenn in der Ertegbarkeit der Muskeln ‚oder in der Form der Cöntractionen ein wesentlicher Unter- ‚sehied von dem normalen Verhalten nachgewiesen "würde. ee was hierüber’ indessen bekannt" geworden ist, dria «In - 4) Siehe Ludwig’s Physiologie. 1. Aufl. Bd. I. S. 355. 2) Dersülbe Einwand.ist von 'Kölliker bereits worausgesagt. — 8. Physiologische Untersuchungen über die Wirkung einiger Gifte von A. Kölliker, Virchow's Archiv 'Bd,X. S. 55. 240 W. Kühne: sind einige Behauptungen von Cl. Bernard und Kölliker, welche sich einer experimentellen Kritik gegenüber. aber lei- der nicht als: stichhaltig erwiesen haben. Die Behauptung, dass die mit Wurali vergifteten Muskeln reizbarer seien, als die gesunder Thiere, ist durch die zierlichen Versuche Ro- senthal’s widerlegt worden, und es bleibt mir daher nur noch ein zweiter Gegenstand zu besprechen ‚übrig, welcher sich auf die Form der Muskeleontraction und‘ ihr Verhalten gegenüber chemischen Agentien ‚bezieht. Kölliker bemerkt nämlich (S. 73 a.a. O.): „Die will- kürlichen Muskeln bleiben bei Urarivergiftungen vollkommen reizbar, zeigen jedoch eine grössere Geneigtheit zu. blos ört- lichen Contraetionen.* ($. 133 ebendaselbst): „Muskeln, ” deren Nerven durch Urari getödtet sind, zeigen bei localen Reizen sehr häufig nur locale, und zwar. mehr tetanische Contraetionen.“ Diesen Angaben schliesst sich Wundt an (Die Lehre von der Muskelbewegung), freilich ohne mit Wu- rali experimentirt zu haben, da er das Coniin dafür substi- tuirte, mit dem Zusatz aber, dass chemische Reize bei den in Rede stehenden Muskeln ganz ohne Wirkung, seien.) Wenn ich nicht irre, fand Kölliker zu den angeführten Sätzen die, Veranlassung in einem Versuche, den er an’ dem Reichert’schen Hautmuskel ‚des Frosches angestellt, und welchen er 'S. 62 seiner Untersuchung ausführlich beschrie- ben 'hat. Dieser Muskel soll bei jeder Art der Anlegung der elektrischen Pincette nur locale Contractionen zeigen für den Fall, dass das Thier mit Wurali vergiftet, und die Ner- ven bereits gelähmt waren, Ohne an der Richtigkeit dieser Beobachtung zweifeln zu wollen, muss ich mir doch erlauben, in dem Folgenden durch die‘ Versuche, welche ich mit dem Muse. sartorius anstellte, das der Beobachtung entnommene Resultat in das Gegentheil umzuwenden, was um so weniger überraschen wird, als sich 4) Ich habe mich leider vergeblich bemüht, Etwas diesem Zusatze von Wundt Entsprechendes in der Kölliker"schen Arbeit aufzufin- den; $.12 ist sogar das Gegentheil davon bemerkt, Ueber directe und indireete Muskelreizung u. s. w. 241 dabei ein sehr einfacher, nieht in der Vergiftung des Thieres gelegener Grund für den Erfolg des Kölliker’schen Expe- rimentes herausstellen wird. Die Versuche, welche ich über das Verhalten der Mus- keln mit Wurali vergifteter Thiere zu den chemischen Agen- tien angestellt, wurden sämmtlich in folgender Weise ausge- führt. Grosse und kräftige Frösche erhielten durch eine hoch am Rücken angebrachte Hautwunde eine hinreichende Dosis des Giftes, meist in Form von festen Körnchen, denen einige Tropfen Wasser nachgespritzt wurden. Nach Verlauf einer halben Stunde pflegten die Thiere ganz bewegungslos zu sein, und jetzt wurde zur Eröffnung und der Präparation geschrit- ‚ten, Zunächst wurden beide Plexus ischiadiei blosgelegt, über die Bleche der stromzuführenden Vorrichtung eines In- duetionsapparates gebrückt, und darauf Strömen von mässi- ger Stärke ausgesetzt. Zeigt sich nirgends in dem ganzen Schenkel eine Spur von Muskelzuckungen, so wurde sofort der Sartorius nach der oben beschriebenen Weise isolirt und ‚befestigt, war die Lähmung der Nerven dagegen nicht voll- ständig eingetreten, so dass einige Muskeln zuckten, so wur- den die Schenkel weggeworfen. !) D, 1) Da in neuerer Zeit von Kölliker schon angedeutet, von Heidenhain (Ueber die Wirkung des Pfeilgiftes auf die Herznerven. Med. Centralztg.) aber besonders hervorgehoben ist, dass die verschie- denen nach Europa gelangten Portionen dieses Giftes verschieden auf die physiologischen Vorgänge wirken möchten, so muss ich hier aus- drücklich bemerken, dass alle von mir angestellten Versuche mit dem- selben Gifte vorgenommen sind, ‚dessen sich die eitirten Autoren auch bedient haben. Einen Theil‘ verdanke ich der Gefälligkeit meines Freundes Dr. Kunde; es ist dasselbe, dessen sich Kölliker bei sei- nen ersten Versuchen bediente. Ein anderer Theil stammte aus der Onlebasse des Herrn Professor du Bois-Reymond. (Dasselbe das von Bezold zu seinen Versuchen „über die Wirkung des Pfeilgiftes auf den Vagus* [Med. Centralztg.)] verwendete.) Ein dritter Theil, mit welchem Herr von Bezold später experimentirte, und welcher gleich ist mit dem, welches Kölliker später angewendet, wurde ebenfalls von mir mitbenutzt. Bei allen diesen verschiedenen Giften fand ich eine #0 grosse Uebereinstimmung in den Resultaten, dass ich unmög- lich eine qualitative Verschiedenheit der einzelnen Sorten annehmen 243 aa si W. Kühne: | tossib 13daJ Die Versuche; welche ich nun. mit 'den.'so vorbereitefen Muskeln angestellt; weichen in nichts von allen bisher ‚erör- terten ab. Auch hier wurden die frisehen 'Querschnitte ‚des M..sartorius \einfach durch. Berührung mit den:-zu /untersu- chenden, Flüssigkeiten gereizt. ' Das: Resultat aller’ Versuche stimmt so sehr, mit den von den normalen Muskeln: beschrie- benen Erseheinungen überein, ‚dass ich mich ‚der Mühe nicht zu unterziehen brauche,, alle einzelnen: Versuche anzuführen: Körper, welehe nicht auf die gesunden Muskeln wirken, sind auch unwirksam für die vergifteten; Lösungen, ‚welche soweit verdünnt sind. (#€1 0,1 pCt., Ka 00,2 pCt.) dass sie.in den, gesunden Müs- keln gerade noch Zuekungen hervorrufen, erregen auch, .die ‚vergifteten, Muskeln. Kurz./Alles,) was oben. über die, direete Muskelrteizung mitgetheilt worden, gilt aueh ohne Ausnahme für die Muskeln mit. Curara vergifteter: Frösche. Lara Man wird mir zugeben, dass kein Versuch geeigneter sein kann, ‚die von. Kölliker beschriebenen localen!) Zuekungen der mit Wurali vergifteten Muskeln 'hervortreten lassen, ‚als ein in der geschehenen Weise ängestellter chemischer! Reiz- versuch an dem vergifteten Sartorius. Bei der elektrischen Reizung sind Täuschungen 'eher ‚möglich, weil‘ neben’ den Strömen grösserer Dichte zwischen den beiden Blektroden uoch Stromescurven von geringerer Dichte den ganzen Mus- kanın. Besteht eine Differenz, so dürfte sie höchstens: in der’ Quanti- tät ‚der dem Gifte beigemischten \unwesentlichen‘ Bestandtheile ihren Grund haben. .Nenerdings habe ich auch‘ ganz die nämlichen Resul: tate mit. dern von Herm:Cl. Bernard mir gütigst überlassenen. ‚Gifte sowie mit dem isolirt dargestellten Curarin' erhalten. 1) Das Wort „local“ ist nach Kölliker’s Beschreibung-in zwei verschiedenen Weisen zu verstehen. ‘Zuerst bedeutet es’ eine locale, nur auf einzelne Muskelbündel in:der Längsrichtung des Müskels beschränkte Contraetion, »In einem zweiten Sinne aber bedeutet: es: eine nieht über die ganze Länge einer Faser sich erstreckende: wirklich partielle Con- traction einzelner. Primitivbündel. Da'die erstere ‚Erscheinung. auch bei.,gesunden Muskeln durch partielle Reizung. erzeugt werden kann, so. ist. hier nur aufdie»zweite Deutung Rücksicht genommen... ul Ueber direete nnd iindireet® Mlıskelreizung u. s. w. 345 kel durchziehen, welche unter Umständen hinreichen können, einen scheinbar local gereizten Muskel in seiner ganzen Aus- breitung direct zu erregen. "Der chemische Reiz hingegen wirkt bis zu dem Augenblick des Eintritts der Zuckung nach- weisbar direct nur" in einer Ausdehnung von etwa I Mm. Wäre: die Angabe Kölliker’s richtig, so dürfte‘also mein Sartörius nur Am unteren Ende anschwellen, und nicht, wie dies in Wirklichkeit der Fall ist, in der ganzen Länge sei- ner Fasern zucken. Von einer localen auf die gereizte Stelle beschränkten Zueküng kann also nicht die Rede sein, und obgleich ich selbst kaum glaube, ‘dass der durch die chemi- sche Reizung geführte Beweis noch eities "zweiten Beweises bedarf, 80. sei es mir dennoch gestattet, auch für die elek- trische Reizung dasselbe nachzuweisen, namentlich deshalb, weil’ Herr K'ölliker auf einen mittelst der elektrischen Pin- Berte Angestellten Versuch gestützt, zu dem in Rede stehenden Aussprüche geführt wurde. "Damit ein solcher Versuch be- weisen ‚sei, ist es selbstv erstänulich nötliwendig, so zu ver- Taliren, duss der Muskel nicht "in allen seinen Theilen zu: gleich von Strömen gleicher Dichte durchflossen werde. Ich nahm daher den Sartörius eines möglichst "grossen init Wu- ra roland vergifteten Frosches, legte ihn mit’ einem Eitde wa 3 Min. weit auf die'söweit als möglich einander genäherten Platinbleche der Au’ Bois’ sehen stromzuführen- den Vorrichtüng, und schob nun die 'mit derselben verbun- äche seeundäre Rolle des Induetiönsapparätes allmälig an die ätd Rolle hinan. 'Es ist klar, dass hierbei’ ein Zeitpunkt ntreten iuse, wo die Strömenur in der die Bleche ver- Dindenden * Müskelstrecke 'hinreichen werden, 'erregend 'zu wirken, während der' die Bleche überrageride Theil des Mus- kels von Strömen durchflossen wird, welthe noch nicht aus- reichen” Kötlneh),; tim’ diesen Theil des Muskels zur Cönträction a bringen! Protzdem aber conträhirt sich ber diesem Ver- suchen niemals zuerst die zwischen den Blechen liegende strecke allein, sondern bei einem gewissen Grade der ee der ‚secundären Spirale an die primäre "eöntra- hirt sich steis..der ganze Muskel in seiner ganzen Länge. 244 W. Kühne: Dasselbe tritt ein, wenn man den Muskel umkehrt, und die Ströme zunächst das andere Ende des Muskels passiren lässt, oder wenn man irgend eine andere mittlere Strecke mit den beiden Enden vertauscht. Ganz ebenso sind die Erseheinun- gen, wenn man statt der indueirten Ströme von wechselnder Richtung den Extrastrom der primären Spirale benutzt, oder wenn man die Schliessungs- und Oeffnungszuckungen des Muskels bei einer constanten Kette beobachtet. In letzterem Falle hat man in dem Neumann’schen Rheochord eine pas- sende Vorrichtung, welche die Beweglichkeit der secundären Rolle des Inductionsapparates ersetzt. Die Versuche wider- sprechen also dem von Kölliker gezogenen Schlusse, den man schwerlich als einen Ausnahmefall für den Reichert’- schen Hautmuskel gelten lassen darf, um so mehr, da dieser Muskel kaum isolirt werden kann, ohne dass man den na- türlichen Längsschnitt der Fasern mehrfach verletzt, wodurch einzelne Muskelpartieen sehr rasch absterben können, wäh- rend andere noch erregbar bleiben; ein Umstand, der geeig- net sein wird, die Erscheinung, welche Kölliker beschrie- ben haben mag, zu erklären, !) Die zweite Angabe Kölliker's, dass die mit Wurali ver- gifteten Muskeln bei direeter Reizung keine einfache Zuckung, sondern eine Art von Tetanus zeigen, kann ich durchaus bestätigen, vorausgesetzt, dass man unter Tetanus nichts weiter versteht, als die rasche Folge mehrerer Zuckungen hintereinander, was sich in der That, namentlich bei der chemischen und mechanischen Reizung an jedem derartigen Muskel beobachten lässt. Schon beim Lostrennen des M, sartorius von seinem Ursprunge am Darmbeine sah ich so- gleich den sehr auffallenden Unterschied eines vergifteten und eines normalen Muskels. Letztere zucken bei Anlegung des ersten Querschnittes in der Regel einmal; die vergifte- ten Muskeln dagegen beginnen sogleich eine Reihe von Zuekun- 1) Ueber örtliche Zusammenziehung vergifteter Muskeln vgl. noch die in dem 1. Hefte dieses Archiv's übersetzte Dissertation von Dr. Haber, S. 69 fi. (Anm. der Red.) Ueber directe und indirecte Muskelreizung u. s. w. 245 gen, welche häufig. so lange anhalten, dass es; unmöglich wird, fernere Versuche damit anzustellen., Hat man dann glücklich einen solchen Muskel aufgehängt und ihn vollstän- dig zur Ruhe gebracht, so ruft die erste chemische Reizung seines Querschnittes einen wahren Sturm von 'Zuekungen hervor, welche sich durch Anlegung eines neuen oberhalb der benetzten Stelle gelegenen Querschnittes allerdings etwas beruhigen lassen. Der neue Querschnitt erzeugt aber von neuem dieselbe Erscheinung, ‚und daher ist man genöthigt, jedem Reizversuche meist ‚einen Muskel zu. opfern, und, da der Frosch deren nur zwei im Ganzen besitzt, so wird man mich hoffentlich entschuldigen, 'werin ich keine weiteren Ex- perimente aufführen kann, die im Stande wären, den Grund dieses sonderbaren Verhaltens aufzudecken. Taucht man einen solchen Muskel in die Zuckung erregende Lösung ein, so zieht er sich ebenso wie die gesunden Muskeln tetanisch zusammen, d. h. man, kann die Zwischenstufe des contrabir- ten Zustandes und der Starre nicht! mehr unterscheiden. Kölliker hat keine nähere Beschreibung ‚davon gegeben, auf welche Art er die chemischen Reize applicirt, es ist) mir aber nicht unwahrscheinlich, dass er beim Benetzen der Mus- keln mit den Auflösungen der reizenden Substanzen ‚auch diesen Zustand beobachtet, der allerdings noch mehr den Anschein eines wahren Tetanus hat. j Die Muskeln mit Wurali vergifteter Thiere zeigen also in dem zeitlichen Verlauf der Muskelzuckungen auf einen ein- maligen Reiz einen grossen Unterschied im Vergleich zu.den Muskeln unvergifteter Thiere, in der Erregbarkeit gegenüber chemischen Reizen scheinen sie sich aber nicht wesentlich anders zu verhalten. Wie sich in dieser Beziehung Coniin verhält, das Wundt statt des Wuralis anwendete, weiss ich nieht, da ich bisher nicht im Stande war, dieses Gift auf- zutreiben. Die Art aber, wie Wundt die chemischen Reize auch bei diesen: Versuchen applieirte, dürfte wohl nicht ge eignet gewesen sein, die Frage zu entscheiden, wenn er kein wesentlich anderes Verfahren eingeschlagen, als,das bei) der chemischen Reizung an unvergifteten Thieren eingehaltene, Heichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1859. 17 246 sw, Kühne: und ich ‘glaube daher darauf rechnen zu dürfen,’ dass. Hr, Wundt in dieser Beziehung seinen Lesern eine kleine 'Be+ riehtigung seiner Resultate, oder wenigstens eine 'ausführ- lichere Beschreibung der mit dem Coniin angestellten‘ Ver- suche nicht vorenthalten wird, da es unmöglich ist, nach der so kurz gehaltenen Darstellung dieses Theiles der „Lehre von der Muskelbewegung“ die Experimente genau so'zu wie- derholen, wie der Verfasser sie angestellt. Die zweite Methode, welche man angewendet, um beider direeten -Muskelreizung die Nerven zu eliminiren, ‘die An- wendung constanter Ströme, "welche man: in aufsteigender Richtung den Nerven dürchfliessen liess, rührt von Bck- hard her, welcher auf diesem Wege den bekannten Nach- weis lieferte, dass der Muskel überhaupt nicht irritabel sei. Ohne’ hier weiter darauf eingehen zu'wollen, dass Eckhard selbst vor der chemischen Muskelreizung in diesem Falle warnt, braucht nur daran erinnert zu werden, wie wenig die neue Lehre der schlagenden Logik :Pflüger’s gegenüber sich zu halten vermochte, sowie, dass es bis heute trotz al- ler Gegenerklärungen noch nicht erwiesen ist, inwieweit der constante Strom beim Durchleiten durch den Nerven auf die contractile Substanz 'selbst wirkt.‘ Dieser Einwand ist'es, den ich an’ dieser Stelle auch gegen Schiff geltend‘ machen möchte, welcher die von von Wittich' behauptete Bedeutung der Zuckungen bei Wasserinjeetionen für die Entscheidung der Irritabilitätsfrage kurz damit’ abfertigt, dass man dieselben verschwinden machen 'könnte, wenn man den: Nerven des zuckenden Gliedes über die Pole 'einer constanten Kette lege. Die Anwendung des constanten Stromes hat aber jedenfalls das vor der Vergiftung mit'Wurali voraus, dass man, mit grösserer Sicherheit die ‘Nerven bis zu ihren »äussersten Spitzen beherrschen oder 'gar' funetionell vernichten kann. Vielleicht dürften die chemischen Reizversuche gerade hier - über die Veränderung des’Muskels am besten Aufschluss ge- ben können. Ich komme zu einer dritten Methode, welche neuesten Ursprungs ist, und welche auf eine höchst einfache Weise Ueber dircete und indirecte Muskelreizung u. s. w. 247 die Nerven bei der directen Muskelreizung ausschliesst. Hr. Wundt nämlich hat entdeckt, dass der Muse. gastroknemius des Frosches sogleich zu zucken beginnt, wenn man ihn ‚auf seiner unteren Seite, wo der Nerv eintritt, mit Kochsalz be- streut, dass dagegen diese Zuckungen erst nach längerer Zeit eintreten, wenn man das Kochsalz auf die äussere ent- gegengesetzte Seite aufträgt. Noch auffälliger soll der Er- folg dieses Experimentes sein, wenn man statt des Gastro- “ knemius den M. tibialis anticus benutzt, und zwar so, dass man den einen mit dem oberen, den anderen mit dem unteren Ende in Kochsalz steckt. Da der Nerv in diesen Muskel von oben her eintritt, so soll der erstere sogleich, der an- dere meist gar nicht zucken, und daraus schliesst Hr. Wundt, dass alle Zuckungen, welche durch chemische Erreger in den Muskeln hervorgebracht werden können, von der Erregung des Nerven herrühren, und dass die Muskelfaser selbst nie- mals auf chemische Reize reagire, und auf diese Weise rühmt sich Hr. Wundt das wichtige Gesetz entdeckt zu haben, dass die Muskelfaser selbständig reizbar nur durch den elek- trischen Strom sei, jeder andere Reiz aber, der durch eine tief eingreifende Störung seines Molecularbaues den Nerven errege, auf den Muskel unwirksam sei. Man gestatte mir die Versuche, aus denen dieses wichtige Resultat gefolgert wurde, näher zu beleuchten. Vielleicht beweisen sie in Wirk- lichkeit etwas Anderes, das sich mit einiger Ueberlegung elier daraus folgern lässt. Zunächst ist der Muse. gastrokne- mius federförmig gebildet, mit kurzen Fasern von schrägem nach der Längsachse convergirendem Verlauf. Reizt man daher eine beschränkte Stelle desselben, wo die Nerven ent- weder nur sehr spärlich vertheilt oder so angeordnet liegen, dass eine hier erregte Faser nur die ganz in der Nähe lie- genden Muskelfasern versorgt, wie das ohne Zweifel an der äusseren Seite des Gastroknemius der Fall ist,‘so kann sich natürlich auch nur diese beschränkte Anzahl von Muskelpri- mitivbündeln contrahiren. Man kann also schon aus einem der Anatomie entnommenen Grunde nicht erwarten, eine deutlich walrnehmbare Zuckung des Muskels zu schen, zu- 127 248 W. Kühne: mal da der Theil, welcher allenfalls zuckt, im: Kochsalz steckt. Das Unglück will ferner, dass der von Hrn. Wundt bevorzugte Muskel, da wo er den Erreger applieirte, mit einer Schicht sehr festen Bindegewebes bedeckt ist, das na- türlich dem Eindringen des Kochsalzes eben nicht förderlich sein kann, während die eontractile Substanz an den Stellen, wo der Nerv eintritt, fast frei zu Tage liegt, und von hier aus das Kochsalz sowohl auf den Nerven, als auf den Mus- kel wirken kann. Hätte man den Nerven eines Schenkels in Kochsalz gebettet, und zur Parallele die Achillessehne des Gastroknemius des anderen Beines mit demselben Mittel in Berührung gebracht, so würde man aus den Zuckungen des ersteren mit’ demselben Rechte das haben folgern können, was Hr. Wundt als ein neues Gesetz verkündet. Ich bin daher weit entfernt, die Thatsachen läugnen zu wollen, welche Hr. Wundt beobachtete, um so mehr, als man'bei ihm deutlich herauslesen kann, dass andere Reizmittel sich wirk- samer als das Kochsalz erwiesen. Wie bei der Nervenrei- zung, wird das Kochsalz auf den Muskel wohl ebenfalls dureh Wasserentziehung wirken, und da zu jeder Reizung überhaupt eine gewisse Geschwindigkeit der dadurch erzeug- ten ersten Veränderung nothwendig ist, so wird man sich nicht wundern dürfen, wenn ein mit seinem unteren Ende in den festen Körper gesteckter Tibialis antieus nicht in Zuckun- gen verfällt. Hätte Hr. Wundt den unteren Zipfel dieses Muskels abgeschnitten, um einen Theil der Primitivbündel dem Reize sofort zugänglich zu machen, so würde er sich überzeugt haben, dass der Muskel auch an diesem Ende durch chemische Reize recht gut in Contraetion zu versetzen ist, und er würde diesen Erfolg schwerlich dadurch zu beseitigen gesucht haben, dass die erregende Flüssigkeit zu den Ner- ven emporklettere, und auf diese Weise den Muskel zum Zucken veranlasse, da die Zuckung im Moment der Berüh- rung erfolgt. Wie man sieht, lässt es-sich also auf dem von Wundt eingeschlagenen Wege nicht entscheiden, ‚ob die Muskelfaser durch die Einwirkung chemischer Agentien selb- ständig reizbar ist oder nicht, und ich glaube, dass in dieser Ueber direete und indirecte Muskelreizung u. s. w. 249 Beziehung die von mir mitgetheilten Versuche, welche; mit einem geeigneteren, weder spindel- noch federförmig gebau- ten Muskel angestellt wurden, und bei denen das Na €1 nicht als alleiniger Repräsentant aller chemischen Reizmittel da- steht, eher zum Ziele führen dürften. Professor v. Wittich hat bereits darauf aufmerksam gemacht, dass man nicht um- hin könne, dem Muskel eine selbständige Reizbarkeit zuzu- schreiben, da Einflüsse, welche auf den Nerven niemals 'er- regend wirken, dennoch bei directer Berührung mit dem Muskel Contraetionen hervorrufen, wie das z. B. bei den "Wasserinjeetionen der Fall ist. Wie einfach dieser Schluss auch scheinen mag, so glauhe ich doch, dass die durch das Durchtreiben von Wasser durch die Capillaren erzeugten Zuckungen in Hinsicht auf die Erklärung ihrer Entstehung mehr Schwierigkeiten darbieten, als die durch andere che- mische ebenfalls auf die Nervenstäimme unwirksamen Reize erhaltenen Zuckungen. Wie schon erwähnt, ist,es mir nie- mals gelungen, bei Berührung des Querschnittes eines ‚Sar-; ‚torius mit destillirtem Wasser Zuckungen eintreten, zu sehen anders verhielt sich aber der Muskel, wenn er zum Theil ‚darin eingetaucht wurde. Richtet man den Versuch so ein, dass etwa die obere (nach unten hängende) Hälfte des M. sartorius ganz von destillirtem Wasser umgeben wird, so sieht man diesen Theil sich allmälig langsam zusammenzie- hen, und an Volum dafür in der Breite bedeutend zunehmen. "Während dieser Zeit bleibt der obere unbenetzte Theil völlig in Ruhe. Nach Verlauf einiger Secunden aber schwillt der eingetauchte Theil immer mehr an, wird weiss und undurch- sichtig, und jetzt beginnt in dem, oberen Theile ebenfalls eine Veränderung, welche sich durch hintereinander folgende ‚Zuckungen ankündigt. Wird dagegen der ganze Muskel ein- ‚getaucht, so sieht man die beschriebene langsame Verkürzung in seiner ganzen Länge eintreten, sodann das allmälige An- ‚schwellen mit Veränderung der Durchsichtigkeit, und hier- auf einige schwache ruckweise Zuckungen, welche als letztes Lebenszeichen der dann bald eintretenden Todtenstarre vor- ‚ausgehen. 250 W. Kühne: Um die hier: stattfindenden Erscheinungen : besser: beob- achten zu können, kann ich folgende Methode, welche ich auch zur Controle bei allen bisher erwähnten chemischen Reizversuchen anwendete, empfehlen. Es ist nämlich nieht ganz leicht, bei weniger starken Zuckungen zu beurtheilen, ob ein bestimmter in der Länge des Muskels gelegener Ab- schnitt mitzuckt oder nicht. Um dies mit Sicherheit beob- achten zu können, steckte ich durch den oberen Theil des Präparates den kurzen Arm eines aus einem feinen Glas- faden verfertigten Hebels, dessen Stützpunkt sehr nahe am Muskel mittelst einer von einem dünnen Drahtstätiv getra- genen ats seidenen Fäden gefertigten Schlinge angebracht war, während der lange Arm des Hebels sich vor einer Scala auf und nieder bewegen konnte, Neuerdings wurde es mir möglich, (den sehr zerbrechlichen Glasfaden durch haarfeine Drähte von Aluminium, welche ich der Zuvorkommenheit des Herrn Morin, Besitzers der Aluminiumfabrik zu Nanterre, verdanke, zu ersetzen, mit welcher Vorrichtung ich auch die allergeringsten Zuckungen im Muskel durch einen 3—5 Ctm. betragenden Ausschlag des langen Hebelarms nach unten eontroliren konnte. Aber auch so habe ich niemals bei der Anwendung des destillirten Wassers etwas Anderes wahr- nehmen können, als was bereits über diesen Gegenstand mit- getheilt wurde, und ich bin daher geneigt, das Wasser nicht unter die direeten Muskelreize zu stellen, da es mir währschein- licher dünkt, dass die erste langsame Cöntraetion nur der Ausdruck für das Quellen der spindelförmigen Primitivbün- del ist. Die echten Zuckungen, welche aber darauf folgen, dürften nicht leicht aus den rein chemischen Wirkungen des Wassers zu erklären sein, vielleicht entstehen sie sogar nur durch den stärkeren Druck, welchen das durch das Quellen eines Theiles der contractilen Substanz gespannte Sarkolemm auf die noch nicht alterirten also zuckungsfähigen Fasern ausübt. Nur dieser letztere Theil der Erscheinungen wird es auch wohl gewesen sein, der es von Wittich möglich machte, bei den Wässerinjeetionen die negative Stromes- schwankung ‘und die secundäre Zuckung von den flimmern- Ueber directe und indirecte Muskelreizung u. s. w. 251 den Muskeln zu erhalten. Beobachtet man’ nun mit Hülfe des kleinen Fühlhebels die Zuckungen ‚eines Muskels, dessen Querschnitt mit anderen Flüssigkeiten, z. B. mit einer recht verdünnten‘Salzsäure, benetzt wurden, so sieht man sogleich den langen Hebelarm, wie bei der elektrischen Reizung durch Schliessung der Kette um mehrere Centimeter nach, unten ausschlagen, dann zu seiner ursprünglichen Lage sogleich wieder zurückkehren und, falls die Säure ‚sogleich. wieder entfernt wurde und wirklich ‚den, Querschnitt nur in. einer eapillaren Schicht bedeckt hatte, vollständig in Ruhe bleiben: Die hier eintretende Zuckung kann also jeder anderen Mus- kelzuckung gleichgestellt werden, zumal da es auch sehr leicht gelingt, einen Froschschenkel, dessen Nerv ‚dem obe- ren Theile des Sartorius anliegt, secundär zucken zu lassen, - Um: schliesslich zur Frage von: der Muskelirritabilität zu- zückzukehren, erlaube ich mir einen Ausspruch Ludwig’s (Lehrbuch der Physiologie, Bd. I. S. 329) anzuführen, 'der in klaren. Worten erklärt, wie man dazu gekommen, (diese Frage überhaupt aufzuwerfen. Ludwig sagt: „Genau dieselben Mittel, welche ‚den Nerven in ‚die zuckungserregende 'Be- schaffenheit versetzen, bringen die Zuckung auch ‚hervor, wenn sie direct mit den Muskeln in Berührung kommen. Die Uebereinstimmung ist, soweit unsere Kenntnisse reichen, 'voll- kommen genau, so dass alles hier und dort gleichmässig gilt.“ Durch die directe chemische Reizung glaube ich indessen dargethan ‚zu haben, dass die Uebereinstimmung ‚zwischen Muskel und Nerv in diesem Sinne nicht mehr aufrecht ‚er- halten werden kann, und ebenso glaube ich durch die Ver- suche mit den Lösungen der Metallsalze und dem Ammoniak die zweite Forderung, welche Ludwig zur ‚Entscheidung ‚unserer Frage stellt, nämlich die (Lehrbuch d. Physiologie, Bd, 1. 5. 354): „dass es gelingen müsse, eine Zuckung durch ein Mittel zu erhalten, das den Nerven auf jedem beliebigen ‚Örte seines Verlaufes niemals in Erregung versetze,* voll- ständig erfüllen zu können. Die enorme Differenz, welche ‚der Muskel und der Nerv gegen chemische Reize zeigen, kann gewiss nicht erklärt werden durch die Annahme, dass 252 W. Kühne: die im Muskel liegenden Nervenenden der Markscheide ent- behren, und darum durch die meisten Körper leichter erregt werden können, da diese Annahme einerseits mit dem An- steigen der Curve der Erregbarkeit nach dem Rückenmarke zu, andererseits mit der Thatsache, dass viele Körper, wie der Alkohol, das Kreosot ete, sehr heftig auf den Nerven, und fast gar nicht auf den Muskel wirken, im schreiendsten Widerspruche steht. Es ist allerdings vorauszusetzen, dass die marklosen Nervenfasern den chemischen Agentien zugäng- licher und darum auch erregbarer sind als die Stämme; ich kann aber diese Annahme für die Nerven der Muskeln da- durch mindestens unwährscheinlich machen, dass es mir nie- mals geglückt ist, Zuckungen eintreten zu sehen, wenn ich den frischen Querschnitt des Rückenmarks oder auch das unverletzte Mark selbst eines lebenden Frosches mit einem der auf die Muskeln so heftig wirkenden, für den Ner- ven aber wirkungslosen Reizmittel befeuchtete. Hier wa- ren also die marklosen Fasern an einer Stelle, wo die Erregbarkeit am höchsten ist, mit den chemischen Agentien in Berührung, und dennoch blieb die Zuckung aus. In wie weit meine Versuche hinreichen werden, um dem Leser die Ueberzeugung von der selbständigen Reizbarkeit der Muskelfasern durch künstlich eingeleitete chemische Pro- cesse zu verschaffen, vermag ich nicht zu beurtheilen; ein einziger Versuch aber wird genügen, um Jedem von der ausserordentlichen Differenz zwischen dem Verhalten des Muskels und der Nerven gegen denselben chemischen Körper eine klare Anschauung zu verschaffen. Man richte‘ zu dem Ende einen M. sartorius auf die im Beginn dieser Mittheilung angegebene Weise her, lege den Nerven desselben Frosch- schenkels in Verbindung mit seinem Unterschenkel an die ganze Länge des herabhängenden Sartorius an und zwar so, dass der erregbarste Theil, der Plexus ischiadieus, um einige Millimeter den frischen Querschnitt jenes überragt. Jetzt nähere man von unten her ein Gefäss mit sehr verdünnter Salzsäure, welche zunächst den Querschnitt des Nerven be- rühren wird, Keine Zuckung im Schenkel und keine in dem Ueber directe und indirecete Muskelreizung u. s. w. 253 Sartorius. Alles bleibt in Ruhe. Sowie aber die Säure den Querschnitt des Muskels berührt, tritt augenblicklich in bei- den Präparaten zugleich eine Zuckung ein. Diejenige im Schenkel ist seeundär, hervorgebracht durch die, negative Stromesschwankung, welche die primäre, echte Zuckung der durch einen chemischen Process direct in Erregung versetz- ten Muskelfasern begleitete. Paris, den 10. December 1858. Nachschrift. Neuere Versuche, welche ich mit dem Coniin angestellt, haben ergeben, dass die Angaben Wundt’s über die Wir- kungsweise dieses Giftes ebenfalls auf unzureichenden Beob- achtungen beruhen. Ich brachte einige Tropfen Coniin durch eine am Rücken angebrachte Wunde unter die Haut eines - Frosches. Als nach Verlauf von zwei Stunden das Thier keine Bewegung mehr machte, wurden die Schenkelnerven heftigen chemischen und elektrischen Reizen ausgesetzt, und (als auch hierdurch keine Muskelzuekungen hervorgebracht werden konnten, wurden die Mm. sartorii isolirt, und von ih- rem oberen Querschnitte aus mit verdünnter Salzsäure, Al- kalien und Kochsalzlösungen gereizt. Ohne Ausnahme traten hier, ganz wie bei den mit Wurali vergifteten Thieren, so- fort Zuckungen ein, und es bestätigt sich somit auch in die- ser Beziehung die bereits vermuthete Uebereinstimmung zwi- schen dem Pfeilgifte und dem Coniin, da das Letztere eben- falls die motorischen Nerven lähmt, ohne auf den Erfolg der direeten Muskelreizung einen Einfluss auszuüben.!) "Paris, den 24. December 1858. 1) Ein Auszug aus dieser Abhandlung ist von Hrn. Cl. Bernard der Acad, des Sc, am 21. Febr. u. 7. März d. J. (S. Comptes rendus ete. £ XLVIN. p. 406. 476) und von mir selber der Kgl. Akad. der Wiss. am 10. Febr. mitgetheilt worden (S. deren Monatsbericht). In einer von mir der Akademie am 28. Febr. vorgelegten weiteren Mittheilung führt der Verf. den Beweis, dass die Stoffe, die sich im Obigen als directe Muskelreize erwiesen, sich selbst dann noch als solche bewäh- zen, wenn die Nervenausbreitung im Muskel durch einen aufsteigenden Strom, nach Eckhard’s Angabe, geläbmt kt. Vgl. oben 8. 246 der Abbandlung. [E. d. B.-R.] 254 E. Reissner: Ueber die Schuppen von Polypterus und Lepidosteus, Vom Professor REISSNER in Dorpat. (Hierzu Taf. VA. Fig. 1—S.) Die Schuppen von ‚Polypterus und Lepidosteus sind« von Agassiz ihrer äusseren Gestalt nach 'ausführlich. besehrie- ben worden;') ich werde mich daher bei diesen’ Verhältnissen nicht weiter aufhalten. — Vergleicht man ‚die von der Haut isolirten ‘und gereinigten trockenen Schuppen beider Fische mit einander, so.bemerkt man, dass die von Polypterus, na- mentlich.au der unteren Fläche, sich durch ihre weisse Farbe auszeichnen, während die von Lepidosteus mehr farblos, Milch- glas ähnlich erscheinen und nur hin und wieder mit weissen Flecken und Streifen versehen. sind,?) Die obere Fläche der Schuppen beider Fische ist. stark glänzend und zwar,. wie schon Algassiz angab, und auch J, Müller?) hervorhob,; durch einen Ueberzug von Schmelz, Leydig hat für die Schuppen von ‚Polypterus eine besondere Schicht, die ‚als Schmelz angesprochen werden könnte, in'Abrede gestellt.*) 1) Recherches sur les poissons fossiles. , Tome II. Neufchatel 1833—43. II. Partie. S. 28 fi. 2) Ich, habe die Schuppen yon einem Exemplar von P. bichir Geoffr. St. Hilaire und von mehreren Exemplaren von Lepidosteus, von denen ‚einige zu L. osseus Lac., andere zu L. spatula,Lac. gehö- ren mögen, untersucht. 3). Ueber den Bau und die Grenzen der Ganoiden, und über das natürliche System der Fische. Abhandlungen der königlichen Akade- mie der Wissenschaften zu ‚Berlin. Aus dem Jahre 1844. Berlin 1846. S. 118. a 4) Histologische Bemerkungen über den Polypterus bichir. _Zeit- schrift f.. wissensch. Zoologie. Bd. V. S. 47. Ueber die Schuppen von Polypterus und Lepidosteus. 355 Wenngleich zwar zugegeben werden muss, dass hierbei an eine Identität mit dem Schmelz der Säugethierzähne in: histo- logischer Beziehung nicht zu denken ist, so entspricht doch die Behauptung Leydig’s, dass dieser Schmelz nichts An- deres sei, „als die nur von äusserst feinen Hohlräumen durch- brochene und deshalb mehr homogene, oberste ‘Lage der Schuppe,* keineswegs der Beschaffenheit der in Rede stehen- den Substanz. Leydig fügt freilich noch hinzu: „Mir scheint es vom histologischen Standpunkt aus nicht unpassend 'zu sein, den sogenannten Schmelz der Schuppen des Polypterus der mehr‘ homogenen Lage zu vergleichen, in welche die Bindesubstanz der Häute (Cutis, Schleimhaut) an ‚der Grenze derselben endet. Da es unläugbar feststeht, dass die Schup- pen verknöcherte Bindesubstanz sind, so wird die äusserste Lage der Lederhaut bei der Verkalkung zum: sogenannten Schmelz werden“. Aber wenige: Zeilen‘ vorher‘ ‚heisst es: „Die Knochenkörperchen (b1) in ihm sind sehr. klein, doch bestimmt wahrzunehmen, aber die Havers’schen Canäle senden nur ihre: feinsten Ausläufer in die „Schmelzschicht“, um die Verbindung mit den Knochenkörperchenstrahlen 'her- zustellen.“ Dass Leydig zu einer unrichtigen Anschauung von der Beschaffenheit des sogenannten Schmelzes gelangte, ist offenbar daher gekommen, dass er zu seinen Untersuchun- gen nicht Schliffe, sondern nur, wie er selbst angiebt, Durch- schnitte, von Schuppen, die durch Salzsäure ihrer erdigen Bestandtheile beraubt waren, verwandt hät. , An Schliffen von Schuppen sowohl des Zepidosteus, als auch des Polyp- terus, kann man sich, wie bereits Agassiz durch Abbildun- gen dargethan hat,") mit vollkommener Sicherheit von der Gegenwart einer besonderen Schicht, die von der übrigen Substanz der Schuppen verschieden und als Schmelz bezeich- net worden ist, überzeugen. Das oben erwähnte glänzende Ansehen und der dem ent- sprechende Ueberzug von Schmelz kommt nicht der ganzen oberen Fläche der Schuppen, sondern nur dem freiliegenderi 1) A.a.0. Atlas, TomelI, Tab. G. Fig. 8, 9, 10,15: 256 E. Reissner: Theile‘ derselben zu; 'es erstreekt sich daher der Schmelz nur nach hinten und unten bis an die Ränder der Schuppen, bleibt dagegen nach oben und vorn mehr oder weniger von ihnen entfernt. An den’ Schuppen von Polypterus tritt die Verschiedenheit des mit Schmelz versehenen und des von Schmelz unbedeekten Theiles deutlicher hervor, als an denen von Lepidosteus, indem an jenen der matte Theil meist etwas gelblich gefärbt, und mit feinen Poren dicht bedeckt 'er- scheint, während er an diesen immer noch glatt, aber weni- ger glänzend ist. Der Sehmelz stellt nicht einen ganz ebenen Ueberzug der Sehuppen dar, sondern bildet stärkere und schwächere Erhöhungen. Was die ersteren anbetrifft, so sind sie mit blossem Auge sichtbar und entsprechen einigermaassen, aber nicht vollständig der Beschaffenheit der Oberfläche der Sub- stanz, welehe unter dem Schmelz liegt. An den meisten Schuppen von Lepidosteus bemerkt man eine Leiste, die von der vorderen oberen Spitze der Schuppe zur hinteren 'unte- ren sich erstreckt, und häufig noch eine mit dieser recht- winklig sich sehneidende. Andere, meist schwächere Leisten verlaufen parallel den Rändern der Schuppen; in der Mitte, die meist eine rautenförmige Fläche darstellt, finden sich einige feine Oeffnungen vor, die als Ausmündungen von Havers’schen Canälen angesehen werden müssen. An den Schuppen 'von Polypterus ist der Schmelz von der matten Oberfläche durch eine Furche oder einen Vorsprung 'abge- grenzt, am hinteren und am unteren Rande bildet er mit sei- ner Oberfläche einen ziemlich breiten der Länge nach schwach gestreiften Raum, und nach vorn und oben bis an die ent- sprechenden Ränder zahlreiche unregelmässige Erhöhungen und Vertiefungen. Diesen Erhöhungen ‘und Vertiefungen analoge nur meist stärker entwickelte Unebenheiten kehren an’ „den Kopfsehildern und anderen Hautknochen“ wieder, und dürfen nieht, wie Leydig es gethan hat,') mit den schwächeren, nur unter dem Mikroskop: wahrnehmbaren Er- 1) A.la,'0, S. 47. Ueber die Schuppen von Polypterus und Lepidosteus. 257 höhungen verwechselt werden, da letztere ausser jenen dort auch vorhanden sind. — Die nurunter dem Mikroskop erkennbaren Unebenheiten treten an der Oberfläche des Schmelzes bei Lepidosteus und Polypterus in vollkommen gleicher Gestalt als kleine flache Hügelchen auf, die in un- gefähr gleichen Entfernungen von einander stehen, ohne je- doch über grössere Strecken hin eine ganz regelmässige An- ordnung zu zeigen (Fig. 5aa.). Leydig sagt, dass diese Hügelchen „häufig nur 0,0012“ messen; ich halte eine einigermassen genaue Grössenangabe bei der Betrachtung des Schmelzes 'von der Oberfläche für unmöglich. Ferner erkennt man mit dem Mikroskop, aber auch, wenn man durch dasselbe einmal aufmerksam gemacht ist, schon mit blossem Auge Risse, die nach. verschiedenen meist geradlinigen Richtungen ohne Regelmässigkeit den Schmelz durchsetzen (Fig. 5bb. und Fig. 7ce.). Sie haben mit der Textur des Schmelzes nichts gemein, und sind ohne Zweifel erst nachträglich entstanden. Leydig bezeichnet sie als „Furchen, die übrigens durch die ganze Dicke des Schmel- zes gehen“. Ich möchte die Benennung „Furche“ vermeiden, da diese Risse an der Oberfläche des Schmelzes zum Theil so fein sind, dass ein Abguss durch Collodium ihnen ent- sprechende sehr feine Leisten oder Linien in viel geringerer Zahl erkennen lässt, Die oben erwähnten Hügelchen werden in einem Collodiumabguss sehr schön wieder gegeben.') Au den Schuppen von Lepidosteus, nicht aber an denen von Po- Iypterus, zeigen sich hin und wieder zwischen den Hügel- chen, von diesen durch Dunkelheit ausgezeichnete Pünkt- chen von ungefähr 0,0015 im Durchmesser (Fig. 5ee.): Unter gewissen Verhältnissen überzeugt man sich, dass diese Pünktchen mit den Hügelchen ‘in gleicher Höhe, also auch an der Oberfläche des Schmelzes liegen, und zu feinen Ca- I) Abgüsse durch Collodium leisten in vielen Fällen bei Unter- suchungen über die Beschaffenheit von Oberflächen vortreffliche Dienste. Unter Anderem kann man sich durch dieses Mittel ein schönes Bild von dem Epithelium dunkler Haare verschaffen. 258 N E. Reissner: nälen, ‚die in das Innere der. Schuppen dringen, EN mithin ‘(deren Mündungen darstellen. ! Bei Polypterus wird der Schmelz von zahlreichen star- ken Canälen durchsetzt. Die Mündungen dieser sind über die. ganze Oberfläche des Schmelzes verbreitet, und haben einen Durchmesser von 0,012‘ bis.0,030’" (Fig. 7a.). In ihnen steckt eine gelbliche ‘oder röthliche Masse, und häufig noch, ein Häufchen brauner Pigmentkörnchen. Die Mündun- gen, erscheinen von einem meist gekerbten ziemlich .'breiten Hof (Fig. 7b.) umgeben, der jedoch nicht der Oberfläche an- gehört. Wenn man die tiefer gelegenen Theile der Schuppen auch berücksichtigt, stellt es sich ‚unzweideutig heraus, dass ‚ diese Canäle, ‚neben. Fett, Pigmentzellen und Bindegewebe, Blutgefässe führen. Die letzteren verlaufen mithin. bis zur Oberfläche der Schuppen, und ‚gelangen von hier, wie ‚es kaum bezweifelt werden kann, 'noch in eine Schicht des Co- rium, welche freilich in der Regel auf der Oberfläche, der Schuppen nicht mehr nachgewiesen werden kann, an manchen Stellen jedoch entschieden vorhanden ist, Ich kann daher auch nieht mit, Leydig übereinstimmen, welcher die. hin und wieder auf den Schuppen zurückgebliebenen Fragmente der weichen Haut bloss für Theile der Epidermis erklärt, und die „Oberhautzellen ‚unmittelbar auf Knochensubstanz aufliegen“ lässt.!) Die bis zur Oberfläche der Schuppen zu verfolgenden ‚starken Blutgefässe müssten in dem Falle blinde Ausläufer des in der Tiefe gelegenen Netzes ‚darstellen, was Leydig allerdings annimmt. Betrachtet man den Schmelz der Schuppen. des. Lepido- steus bloss von der Oberfläche, so kann man leicht meinen, dass auch hier überall Mündungen von Blutgefässe führen- den Canälen vorhanden seien. Allein wenn man. gleichzeitig Schnitte oder Schliffe durch die ganze Dicke der Schuppen zu Rathe zieht, wird man über jeden Zweifel erhaben und gelangt zu der Ueberzeugung, dass Blutgefässcanäle nur die Mitte der Schuppen durchsetzen. Ausser den Mündungen 1) A. a. 0. S. 44. Ueber die Schuppen von Polypterus und Lepidosteus. 259 dieser Canäle in der Mitte der Oberfläche des Schmelzes sieht man überall zahlreiehe kreisföürmige oder ‚länglich runde bis- weilen bisquitförmige Conture, von denen umschlossen; häufig sternförmige Figuren sich zeigen (Fig. 5d.d.). ‚Einige dieser Conture liegen in, der Oberfläche des, Schmelzes, andere tie- fer, so dass über diesen die früher erwähnten, Hügelchen wahrgenommen werden können (Fig. 5d’d‘.). ‚ Senkrechte Durchschnitte des Schmelzes bestätigen die verschiedene Lage dieser Bildungen, und lassen sie meist in der Gestalt von Halbkugeln erkennen (Fig. 4d.). Sie bieten einen Durch- messer von 0,007‘ bis 0,03“ dar, und scheinen immer mit feinen Canälchen in Zusammenhang zu, stehen, welche yon ihrem Umfange ausgehen, und mit denen vollkommen iden- tisch sind, die frei auf die Oberfläche des; Schmelzes aus- münden, und bereits oben erwähnt: wurden. Es sind also die an der Oberfläche des Schmelzes wahrnehmbaren, einen Raum vom: gegebenen Durchmesser umschreibenden: Conture nichts; anderes, als die Begrenzungen der erweiterten Mün- dungen jener Canäle. ; Die unter der Oberfläche liegenden Conture müssen wahrscheinlich als obliterirte derartige Mün- dungen angesehen werden, die bei der Zunahme des Schmel- zes von später entstandenen Schichten bedeckt worden sind. Am hinteren, und am unteren Rande der Schuppen von Lepidosteus zeigen sich noch andere Bildungen, die, in man- chen Beziehungen ‚an die ‚eben berührten sich, anschliessen, in ‚anderen aber, von ihnen verschieden sind. ‚Bei der, Be- trachtung von der Öberfläche des Schmelzes zeigen sie meist läuglich runde Conturen, deren Durchmesser selten nur so gross wie bei den eben vorher besprochenen, meist ‚zwei, drei, ja, viermal grösser erscheint. Die Contur selbst ist breit, dunkel, bisweilen doppelt, und besteht ‚aus radiären, schwarzen Streifen (Fig. 6,). Im Centrum findet sich ent- weder eine grössere Oefinung, zu dem ein Canälchen ‚aus der Tiefe aufsteigt, oder es ist ein solches ohne Erweiterung vorhanden (Fig. 6ab.). Bisweilen vereinigen sich zwei stär- kere Canäle im Centrum. Schliffe,, in senkrechter Richtung aus den ‚betreflenden ‚Stellen gewonnen, zeigten mir immer 260 E. Reissner: nur unterhalb des Schmelzes liegende oder zum geringsten Theil in diesen hineinragende rundliche Massen, die sich von der Umgebung durch fast parallele dunkle Streifen abgrenz- ten. Nachdem ich eine Zeit lang über diese Bildungen im Ungewissen geblieben war, bemerkte ich, dass an einem sehr grossen Exemplar von Lepidosteus osseus der hintere und der untere Rand der Schuppen mit einer Reihe feiner kurzer Stacheln versehen war. Es liessen sich diese Stacheln in ihrer Verbindung mit den Schuppen nicht leicht untersuchen. doch habe ich soviel ermittelt, dass ihre Insertionsstellen unmittelbar unter dem Schmelz liegen, und eine auffallende Aehnlichkeit mit den oben angegebenen Conturen darbieten. In der Basis der Stacheln bemerkt man eine ziemlich ge- räumige rundliche Höhle, zu der von der Tiefe aus ein Ca- nälchen der mehrfach berührten Art aufsteigt; andererseits schliesst sich an die Basalhöhle ein zuerst verengter, dann -» erweiterter und nun allmälig gegen die Spitze des Stachels sich verjüngender Canal, von dessen oberem Ende zahlreiche feine Canälehen nach verschiedenen Richtungen ausstrahlen, So gewinnen diese Stacheln, ihrem Baue nach, eine bedeu- tende Aehnlichkeit mit den Schildern und Stacheln der Pla- giostomen. Die ganzen 'Stacheln scheinen übrigens ‘auch einen dünnen Ueberzug von Schmelz zu besitzen. — Nach diesen Beobachtungen bin ich der Ansicht geworden, es möchten die unter dem Schmelz liegenden kugeligen Massen zu den Stacheln in einer gewissen Beziehung stehen; etwa in der, dass an den betreffenden Stellen früher Stacheln vor- handen waren, die aber, noch ehe der Schmelz seine voll- ständige Entwickelung erreichte, abgebrochen oder abgewor- fen wurden, und dass die übrig gebliebenen Stümpfe von dem nachwachsenden Schmelz bedeckt wurden. Sicherer als durch die blosse Untersuchung der Oberfläche überzeugt man sich von dem Unterschiede des Schmelzes und der Knochensubstanz der Schuppen an Schliffen, die beide Substanzen neben einander darbieten. Man wird vor- zugsweise senkrecht zur Oberfläche dargestellte Schliffe wäh- len. An solchen sieht man zunächst, dass der Schmelz’ sehr Ueber die Schuppen von Polypterus und Lepidosteus. 261 scharf und bestimmt von der Knochensubstanz abgegrenzt ist (Fig. 4a. Schmelz, b. Knochensubstanz). Diese Abgren Bung geschieht aber nicht in einer vollkommen wagerechten, äuch nicht in einer der Oberfläche genau parallelen Ebene, sondern in der Weise, dass die Knochensubstanz dachziegel- oder schuppenförmig in den Schmelz vordringt, also letzterer auch in jene hineinragt (Fig. 4.). Diagonale, Iongitudinale'und transversale Schliffe Ichren, dass die Enden der Vorsprünge der Knöchensubstanz Segen die Centralaxe der Schuppen gerichtet sind. Ueberträgt man dieses auf die ganzen Schup- pen, so ergiebt sich, dass die Oberfläche der Knochensubstanz schräg gegen das Centrum geneigte Leisten bildet, ‘welche den Rändern der Schuppen parallel sind. Der Schmelz greift in die Spalten, welche zwischen den Rändern der Knochen- leisten übrig bleiben, hinein, ‘genau wie die Epidermis sich zum Corium verhält. — Die eben angeführten Verhältnisse sind nur bei Zepidosteus mit Bestimmtheit und Regelmässig- keit durchgeführt, bei Polypterus fehlen sie zwar nicht, tre- ten aber nur selten, oder nur hin und wieder mit grösserer Entschiedenheit auf. "Im Allgemeinen ist der Schmelz in der Mitte der Schup- pen am dieksten, und nimmt gegen die Ränder derselben all- mälig ab. Er ist deutlich geschichtet; die Schichten sind durch zarte Linien, welche meist der Oberfläche parallel laufen, von einander abgegrenzt (Fig. 4ee.). Gegen die Kno- chensubstanz neigen sich diese Linien bogenförmig zu den Rändern der von ihr gebildeten Leisten. Die im Uebrigen durchaus homogene, stark lichtbrechende Substanz des Schmel- zes wird bei Polypterus von zahlreichen, bei Lepidosteus von wenigen, Blutgefässe enthaltenden, Canälen durchsetzt. ‘Bei Lepidosteus dringen aus der Knochensubstanz auch noch, wie bereits erwähnt,. feine Canälchen in den Schmelz, die ent- weder bis an die Oberfläche desselben reichen, oder schon früher aufhören, oder in halbkugelförmige Räume einmünden, welche ebenfalls entweder bis zur Oberfläche sich erheben oder in einiger Entfernung von dieser liegen bleiben. An den Stel- Heichert's u. du Bols-Iteymond's Archiv. 1859. 18 2 E. Reissner: len, an welchen ‚diese Canälchen mit den, Grenzlinien der Schichten zusammentreffen, gehen von ihnen häufig seitliche Fortsätze aus (Fig. 4c’c'.). Bei Polypterus finden; sich in der Schichtung bisweilen Unregelmässigkeiten, wie ich ähnliche bei Lepidosteus nieht beobachtet habe. Von; ganz besonderem Interesse ist ‚das Verhalten des Schmelzes gegen Salzsäure. Setzt man zu einem feinen Schuppensehliff, der im Wasser liegt,“und an dem man sich durch das Mikroskop von der Gegenwart und dem normalen Verhalten des Schmelzes überzeugt hat, einen Tropfen: con- centrirter Salzsäure, so bemerkt man anfänglich bloss einige Luftblasen, ‘die sich von dem Präparat ‚ablösen, bald ‚aber verliert die Schlifffläche des Schmelzes ihre Glätte, es er- scheinen auf derselben zahlreiche feine Grübchen von unre- gelmässiger Gestalt, die ganze Fläche nimmt ein runzliehes Aussehen an. Wendet man nun seine Aufmerksamkeit auf den freien Rand des’ Schmelzes, so sieht man diesen ‘wie schmelzenden Schnee rasch dahin schwinden. Vom Schmelz selbst ist endlich nichts übrig geblieben. An Schuppen, die in Salzsäure macerirt worden sind, kann daher der Schmelz auch nicht untersucht werden. Leydig hat an seinen Durch- schnitten von Schuppen offenbar keine Spur vom Schmelz vorgehabt; was er in seiner Fig. 5b, als Schmelz bezeichnet, ist weiter nichts, als der obere Theil der Knochensubstanz. Der'gekerbt gezeichnete Rand, welcher die mikroskopischen’ Erhabenheiten der Schmelzoberfläche darstellen soll, ist je- denfalls nicht nach der Natur, sondern nach der Voraus- setzung geliefert. — Es besteht jedoch der Schmelz nicht allein aus anorganischen in Salzsäure leicht löslichen. Be- standtheilen. Ist man nämlich bemüht, das angegebene Ex- periment möglichst langsam fortschreiten zu lassen, so über- zeugt man sich bald, dass von dem Schmelz einige wenige sehr feine Lamellen zurückbleiben, die bei etwas energischer Luftentwickelung sogleich fortgerissen werden, Mitunter schien auch, dass bei anhaltender Einwirkung ‘der Salzsäure diese Lamellen selbst ebenfalls aufgelöst wurden. Ueber die Schuppen von Polypterus und Lepidosteus. 263 Bemerkenswerth ist ferner, dass die Canälchen und halbkugelförmigen Körperchen, welche bei Lepido- steus, wie oben angeführt wurde, im Schmelz vorkommen, nach der Behandlung mit Salzsäure und nach der Auflösung des Schmelzes unverändert wahrgenommen werden, Sie liegen jetzt natürlich, ganz frei, und ‘werden von einzelnen etwa noch sich losringenden ‚Luftbläschen hin und her- gebogen. Hat man zu dem Experiment einen Schliff ge- wählt, in. dem Blutgefässe enthaltende Canäle vorhanden sind, so werden durch die Behandlung mit Salzsäure natür- lich auch diese Blutgefässe mit ihrer etwaigen Umgebung von Fett, Pigment etc. frei. Solche vom Schmelz: befreite Blutgefässe sind Leydig’s „Papillen auf der freien Fläche der Schuppen.“ !) Vergleicht man von zwei Schuppen, die am Fischkörper neben einander lagen, also auch nahezu dieselbe Beschaffen- heit der Oberfläche darboten, eine im unveränderten Zustande mit einer, aus welcher die erdigen Bestandtheile durch Salz- säure entfernt worden sind, so wird man auch für das un- bewafinete Auge die sichere Ueberzeugung gewinnen, dass die macerirte Schuppe eine andere Beschaffenheit der Ober- fläche oder vielmehr eine andere Oberfläche erhalten hat. — In Betreff des zweiten Theiles, der Knochensub- stanz der Schuppen, ist zunächst zu bemerken, dass die homogene Grundsubstanz an den meisten Stellen deutlich geschich tet ist. Die Schichtung lässt sich im Allgemeinen leichter an den Schuppen von Lepidosteus, als an denen von Polypterus wahrnehmen. Die Schichten liegen in beträchtli- cher Anzahl parallel der unteren Fläche der Schuppen, ge- hen an’ den seitlichen Rändern derselben nicht in derselben Richtung bis an die Oberfläche fort, sondern biegen nach oben und gegen die Mitte der Schuppen um (Fig. 4.), In der Mitte selbst, nahe unter der oberen Fläche der Knochen- substanz, pflegt die Schiehtung sehr undeutlich zu sein, oder häufiger noch wirklich zu fehlen. Ich erlaube mir die Ver- 1)A.a.0. Taf. II. Fig. 5»; 18* 264 nötenbigat I E. Reissner: \ muthung auszusprechen, dass dieser Theil’ ’der Schuppen der zuerst gebildete ist, um den in eoncentrischer'Schichtung die Ossification’ oder die Ablagerung von erdigen 'Bestandtheilen fortschreitet. 'Agassiz hat die Verhältnisse der Schiehtung zum Theil sehr gut durch Abbildungen!) erläutert. 'Concen- trische Schichten um ‘die Blutgefässe enthaltenden Canäle tre- ten nur spärlich und wenig regelmässig auf. Ueber die sogenannten Knochenkörperchen will ich bloss anführen, dass ihre Centralhöhle häufig &inen sehr be: trächtliehen Umfang einnimmt, meist abgeplattet ist, und'mit ihren Flächen parallel der Schichtung, wenn diese deutlich ausgeprägt ist, Tiegt. Die häufig überaus weit sich erstreeken- den Strahlen entsprechen in der Regel ebenfalls zum grössten Theil der Schichtung der Grundsubstanz. Im Inneren der eentralen Höhle erkennt man meist ohne’ weitere Behandlung ein rundliches Körpercheh, das'von Leydig als „Kern, der 0,002” bis 0,004’" misst“, angesprochen worden ist. f Die starken Canäle, in denen'neben Fett ete; die Blüt- gefässe enthalten sind, finden sich, wie bereits erwähnt wurde, nur'in den Schuppen von Polypterus in beträchtlicher Menge. Sie treten von der unteren und von den’ seitlichen Flächen der Schuppen in ein sehr dichtes Maschenwerk, welches fast in 'einer wagerechten Ebene und in geringer Entfernung 'von der oberen Fläche der Knochensubstanz liegt, und von dem zahlreiche Canäle nach oben verlaufen, und durch den’ Schmelz hindarchdringen, um an der Oberfläche dieses in der früher angegebenen Weise auszumünden. ‘Bei Agassiz findet sich eine gute Abbildung des eben erwähnten Maschenwerkes.?) Dass die’ Schichtung der Grundsubstanz um die in Rede'ste- henden Canäle”unbedeutend ist, würde bereits bemerkt; hier füge ich noch hinzu, dass sie auch in den Schmelz sich bin- einerstreckt, und zwar bis an dessen Oberfläche. "Sie be- dingt die Höfe, welche bei der Betrachtung der Schmelz- ‘oberfläche die Mündungen der Canäle umgeben. Tab. G. Fig. 8, 9. 1) A.a. 0 2)A.a.0. Tab. G. Fig. 1. Ueber die Schuppen von Polypterus und Lepidosteus. 265 Von. diesen Canälen entspringen in den Schuppen ‚von Polypterus überall, meist unter rechtem Winkel, zahlreiche rasch sich mehrfach und nach verschiedenen Seiten verzwei- gende Canälchen von 0,0005.‘ bis 0,001. im- Durchmes- ser; bei ihrer weiteren Verästelung nehmen, ‚sie an Umfang ab (Fig. See.). Der Inhalt der;Canäle, ‘von denen sie-/aus- gehen, ‚scheint sich nicht in sie. hinein fortzusetzen; sie glei- chen vielmehr den Ausläufern der sogenannten Knochenkör- perchen, mit denen sie, nach Leydig, auch in, Verbindung stehen | sollen. Ich habe. eine, solche Verbindung ‚mit 'Be- stimmtheit‘nicht beobachten können, halte. sie. jedoch. für wahrscheinlich, muss aber ‚auch bemerken, dass: an den Stel- len, an. welchen .die Canälchen in reichlichster Menge und in, grösster Ausdehnung, vorkommen (nämlich ‚in der ‚Mitte der Schuppen, nahe ‚unter der. Oberfläche der Knochensub- stanz) die Knochenkörperchen! ganz ‚fehlen; ‚oder nur) sehr spärlich vorhanden sind. Die Canälchen ersetzen mithin. die Knochenkörperchen mit ihren Strahlen. Häufig) konnte. ich mich davon auf.das Bestimmteste überzeugen, dass zahlreiche Ganälchen eine grössere oder geringere Strecke weit sich in den Schmelz hineinerstrecken (Fig..8.). An den Schuppen von Lepidosteus liess, sich bisweilen ein ähnliches Verhalten der Strahlen der Knochenkörperchen zum Schmelz, jedoch immer in viel geringerem Grade, beobachten, ba V „Im Vergleich zu den. eben berührten Strusturverhältnissen die Sabuppen von Polypterus bieten. die Schuppen von \L epi- dosteus auf den ersten Blick jein ganz, anderes Verhältniss dar. Es rührt, dieses zum Theil davon her, dass, Blutgefässe enthaltende Canäle an den meisten Stellen ganz; fehlen, ..da- gegemCanälchen. ‚von. 0,001'% bis 0,002’, im ‘Durchmesser allenthalben vorhanden: sind (Fig. 4ee c‘«e’.). Sie erinnern sehr an die Zahncanälchen. der, Säugethierzähne, ‚und ‚verlau- fen. gestreckt. .oder leicht, wellenförmig, meist senkrecht, .. sel- tener schräg oder wagerecht durch die ‘Dicke der ‚Schuppen. Dabei behalten sie, 80. lang sie auch sein: mögen, im, .Allge- meinen. immer denselben. Durchmesser‘ bei, und.theilen. sich indessen) ‚nur, selten, in zwei. bis. ‚drei. gleichstarke Zweige. 266 E. Reissner: Bemerkenswerth ist, dass kein Canälehen die ganze Dicke der Schuppen durchsetzt. Denkt man sich nämlich die Kno- chensubstanz durch eine Ebene, welche die Umbeugungsstel- len aller Schichten, wie sie früher beschrieben wurden, schneidet, in zwei über einander liegende Theile geschieden, so findet man, dass jeder dieser Theile seine eigenen Canäl- chen besitzt, die in grösserer oder geringerer Nähe von der abgrenzenden Ebene durch rasche Zertheilung in mehrere feine Strahlen zu enden scheinen, und dadurch eine ober- flächliche Aehnlichkeit mit den sogenannten Knochenkörper- chen hervorrufen (Fig. 4eeee.). Sie stehen hier höchst wahr- scheinlich durch sehr zarte Ausläufer unter einander und mit den Strahlen der Knochenkörperchen in Zusammenhang. Das der Verästelung entgegengesetzte Ende der Canälchen reicht entweder bis an eine der Oberflächen der Schuppen, oder endet im Schmelz, oder mündet in einen der Blutgefässe füh- renden Canäle. Letzteres spricht mit Bestimmtheit dafür, dass diese Canälchen von denen, die bei Polypterus vorkom- men, im Wesentlichen nicht verschieden sind, und bloss eine untergeordnete Modifieation derselben darstellen. Auf dem Querschnitt zeigen sich die Lumina der Canälchen häufig von einem ziemlich scharf begrenzten Hof umgeben (Fig. 1e.), den ich jedoch nicht für den Ausdruck einer besönderen Wandung ansehe. Endlich bietet die Structur der Schuppen von Lepidosteus und Polypterus noch eine Eigenthümlichkeit dar, die freilich, wie mir vergleichende Untersuchungen von gewissen Knochen von Säugethieren, Vögeln und Amphibien gezeigt haben, nicht so isolirt ist, als man nach den bisherigen Mit- theilangen über den Bau der Knochen vermuthen sollte. Es handelt sich hier um eine beträchtliche Menge von sehr feinen meist dieht neben einander verlaufenden Cänälchen von kaum 0,0005'" im Durchmesser. Im troek- nen Zustande enthalten sie Luft. ‘In den Schuppen treten sie vorzugsweise als wagerecht verlaufende, oder recht- oder spitzwinklig die Schichten durchsetzende auf. Oft sind sie dei Grenzen der Schichten entsprechend unterbrochen (Fig. \ Ueber die Schuppen von Polypterus und Lepidosteus. 267 2c., Fig. 4.). Gegen die untere Fläche der Schuppen kom- men ganz ähnliche Canälchen vor, die senkrecht aufsteigen, und rechtwinklig die hier befindlichen wagerechten Schichten durchsetzen. Im Ganzen beobachtet man selten eine mehr oder weniger schiefe Kreuzung der übereinander liegenden Canälchen. Sie sind offenbar die Ursache der weissen Flecken und Streifen, welche man an den trockenen Schup- pen von Lepidosteus wahrnimmt. Die intensivere weisse Farbe der Schuppen von Polypterus rührt nicht allein von diesen Canälchen, sondern auch von den zahlreichen stärkeren Ca- nälen her, die im trockenen; Zustande ebenfalls; wenigstens zum Theil, mit Luft erfüllt sind. Was nun die Deutung dieser Canälchen anbetrifft, so halte ich mich überzeugt, dass sie von dem Bindegewebe oder dem Faserknorpel, aus dessen Verknöcherung die Schup- pen hervorgingen, übrig geblieben sind, und also auch an den völlig in Knochen umgewandelten noch Aufschluss über die normale Schichtung und Streifenrichtung des ursprünglichen Gewebes geben, während die früher besprochene Schichtung der Grundsubstanz bloss den Ausdruck für die allmälige Ab- lagerung der erdigen Bestandtheile zu liefern scheint. , Ich meine demnach, dass man auch an den Knochen der Säuge- thiere die bekannten Schichten oder Lamellen nicht als Aus- druck einer entsprechenden Schichtung des vorausgegangenen Knorpels oder Bindegewebes auffassen darf, sondern bloss als Andeutung für die Aufeinanderfolge der Kalkablagerun- gen und des Stoffwechsels überhaupt. Leydig's Ausspruch: „An der Basis und an den in die Lederhaut ausgehenden Seiten der Schuppen zeigen sich (Fig. 6) senkrechte und wagerechte Lamellen, die in ver- schiedener Lage über einander weggehen * findet in Obigem seine Erklärung, wenn man unter „Lamellen“ einmal die feinen dicht neben einander liegenden Canälchen, und dann die deutliche Schichtung der Grundsubstanz versteht. 268 E. Reissner: Ueber die Schuppen von Polypterus u. Lepidosteus. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Ein der Oberfläche paralleler Schliff, aus einem seitlichen Theile einer Schuppe von Lepidosteus. a) Grundsubstanz mit sehr feinen parallelen Canälchen. b) Knochenkörperchen. €) Querdurchschnitte von Canälchen, die den Zahneanäl: chen der Säugethierzähne ähnlich sind, Fig. 2. ' Dieselben Verhältnisse aus. einer anderen Stelle, um die Unterbrechung (ce). ‚der feinen Canälchen zu zeigen. a und b wie in Fig. 1. Fig. 3. Die feinen Canälchen im Querschnitt (a); ebenso die den Zahncanälchen ähnlichen (e); b Knochenkörperchen. Fig. 4. Querschliff eines Theiles einer Schuppe von Lepidosteus. a) Schmelz. b) Knochensubstanz. cc) Canälchen, welche den Zahnröhrchen ähnlich sind, bei c'e' Fortsätze an die Grenzen der Schmelzschichten abgebend; ee inneres, sich verästelndes Ende dieser Canälchen. d) Becherförmige Erweiterung der unter ce genannten Ca- nälchen. Fig. 5. Oberfläche eines Theiles einer Schuppe von Lepidosteus bei etwa 250maliger Vergrösserung, in welcher auch die obigen Figu- ren und die folgende gegeben ist. aa) Mikroskopische Hügelchen der Schmelzoberfäche, bb) Risse des Schmelzes, ee) Einfache Mündungen. dd) Becherförmig erweiterte Mündungen der Canälchen cc von Fig. 4; d’d’ eben solche unter der Oberfläche liegend. Fig. 6. Ein Stück vom hinteren Rand einer Schuppe von Lepido- steus, um die Bildung 'zu zeigen, welche ieh als Basaltheil eines ab- gestossenen Stachels erklärt habe. a) Erweiterte centrale Höhle, b) Ein von dieser ausgehendes Canälchen. ’ Fig. 7. ' Oberfläche eines Schuppentheiles von Polypterus; die mi- kroskopischen Hügelchen sind weggelassen. Vergrösserung ıetwa 120. a) Ausmündungsstellen der Blutgefässe ‘führenden Canäle. ı b), Höfe um dieselben, ‚von der Schichtung um sie bedingt. e) Risse im Schmelz. Fig. 8. Querschliff einer Schuppe von Polypterus bei 250 maliger Vergrösserung. a) Schmelz. C. Claus: Ueber das Auge der Sapphirinen u. Pontellen. 269 b). Knochensubstanz. cc) Blutgefässe enthaltende Conäle. dd) Deren Umgebung concentrisch geschichtet. ee) Von diesen Canälen entspringende Canälchen. Am äusseren Rande des Schmelzes habe ich es versucht, die mi- kroskopischen Erhöhungen der Oberfläche wieder zu geben; in Fig. 4 sind sie weggelassen. Ueber das Auge der Sapphirinen und Pontellen. Von De. C. Craus in Marburg. (Hierzu Taf. V.B., Fig. 1-3.) oV Seitdem dureh Leydig die feineren Structurverhältnisse des Arthropodenauges erkannt, und die Beziehung des facet- tirten Auges ‚zu dem‘ sogenannten einfachen Auge nachge- wiesen war; konnte man noch von denjenigen Gliederthieren mancherlei interessante Modificationen des’ Sehorganes 'er- warten, bei welchen das letztere durch eine möglichst; geringe Zahl von Elementen der Cornea, des Glaskörpers und per- eipirenden Apparates zusammengesetzt ist. So erhielten wir von Gegenbauer die Darstellung des Sapphirinenauges (Müller’s Archiv, '1858), durch welche die Kenntniss der einfachen: Sehörgane wesentlich‘ gefördert wurde, Unabhän- gig von Gegenbauer’s Untersuchungen war mir im; ver- Nossenen Winter die Gelegenheit geboten, Sapphirinen zu beobachten, und in Bezug auf das mit einer förmlichen Ac- commodation ausgestattete ‚Auge zu “untersuchen. «Da ich nicht in allen Stücken mit Gegenbauer übereinstimme, so erlaube ich mir in wenigen Bemerkungen auf die beidersei- tigen Differenzen aufmerksam: zu ‚machen. Auf .der vorderen Fläche der|Ganglienmasse,' welche Ge- 270 ©. Claus: birn und Bauchknoten vereint, erheben sieh zwei kegelför- mige mit der breiten Basis nach vorn gekehrte Pigmentkör- per. Dieselben sind durch eine schwache aber für die be- sondere Species charakteristische Krümmung ausgezeichnet, indem sich bei dem Männchen von Sapphirina fulgens der con- vexe Bogen nach der Seitenfläche des Thieres, bei Sapphirina salpae, wieich eine neue in der Kiemenhöhle von Salpa afri- cana-mazxima schmarotzende Formvnenne (Fig. 1), nach der Medianlinie des Körpers wendet. Mit Recht bezeichnet Gegenbauer diese Pigmentmasse als Pigmentscheide, da dieselbe von einem Lumen durchsetzt ist, in welches von dem Gehirn aus Nervenfasern einzutreten ' scheinen. Während die Wandungen der Pigmentscheide an dem erweiterten vorderen Theile dünn und orangegelb gefärbt sind, zeichnet sich der grössere hintere Abschnitt durch eine beträchtlighere Dieke; der; Wandung und hiermit im Zusam- menhang durch eine dunkele, braunrothe Färbung aus, so- dass man kaum das enge Lumen nachweisen kann. Von dem orangegelben Vordertheile der Pigmentscheide bedeckt, erhebt sich nach der Vorderfläche des Thieres gewendet ein ellipsoidischer Körper von starker Lichtbrechung, welcher, wie’ auch Gegenbauer bemerkt, innen weiter 'als aussen von der Pigmentscheide bedeckt ist. Während dagegen Ge- genbauer den lichtbrechenden Körper sieh nach hinten ver- schmälern und den Hohlraum der Pigmentscheide. bis 'zum Gehirn durchsetzen lässt, ‘sehe ich ‘dessen: hintere Fläche durch eine vollkommene Abrundung scharf umgrenzt, und in»der vorderen Partie der Pigmentscheide endigen. Freilich erheben sich hierdurch für die Deutung des lichtbrechenden Körpers ‚als Krystallkegel, welche so schön mit dem An- schauungen ‚des Facettenauges stimmt, erhebliehe Schwierig- keiten, indess ist es nach meinen Beobachtungen Thatsache, dass das lichtbrechende Ellipsoid mit dem Nervencentrum in keiner Verbindung steht. Es würde somit Dana’s Auf- fassung, nach welcher dieser Körper die Linse (hintere Linse) bildet, der Deutung Gegenbauer’s als pereipirendes Ele- ment‘ vorzuziehen‘ sein. In: beträchtlicher‘ Entfernung. vor L Ueber das Auge der Sapphirinen und Pontellen. 271 der hinteren Linse erhebt sich ein zweiter lichtbrechender Körper genau in der Verlängerung der Augenachse. Der- selbe wird dureh die linsenförmige Verdickung der Chitin- haut gebildet, und entspricht morphologisch einer Hornhaut- facette des zusammengesetzten facettirten Arthropodenauges. Indem ich in Bezug der näheren Verhältnisse auf Gegen- bauer’s genaue Angaben verweise, füge ich noch: hinzu, dass das Centrum der Cornea (vordere Linse Dana’s), von diehterer Beschaffenheit als die peripherischen Abschnitte, das Licht stärker als diese bricht. Sehr deutlich sieht man bei Sapphirina salpae die Scheibe der Aequatorialebene nach beiden Seiten durch zarte Linien abgegrenzt, die eben nichts anderes als die Berührungsfläche verschieden dichter Medien bezeichnen. ‘Der beträchtliche Raum zwischen Cornea und Linse wird nach Gegenbauer von einer gallertartigen Sub- stanz, dem Glaskörper, ausgefüllt, der ohne eine histologi- sche Structur durch 'ein geringeres Lichtbrechungsvermögen, als die ihn umschliessenden Linsen, ausgezeichnet ist. Ich habe diese als Glaskörper bezeichnete ‚Flüssigkeit nicht von dem umgebenden Nahrungssafte der Brechung nach unter- scheiden können. ‘Von der Scheide des Pigmentkörpers ver- laufen äusserst zarte Fasern nach der Cornea, um sich an dem Chitinpanzer zu befestigen. Wie Gegenbauer, deute auch ich dieselben als Muskelfasern, und erkenne in ihrer Oontraetion den Mechanismus an, durch welchen die Annähe- rung des gesammten hinteren Augenabschnittes an die vor- deren, eine Accommodation im vollsten Sinne, ausgeführt wird. Ueber das unpaare Organ, welches zwischen den beiden hin- teren Linsen liegt, habe ich nur hinzuzufügen, dass dasselbe bei Sapphirina salpae am vorderen und hinteren Ende einen Pigmentkörper einschliesst. Im Inneren des Bläschens liegen fünf lichtbrechende Kugeln, die vermuthlich mit dem hinzu- tretenden Nerven im Zusammenhang stehen, und als acces- sorische Augen die Perception gewisser Lichteindrücke ver- mitteln. Fragen wir nach der Bedeutung der beiden hinter einan- der gelegenen Linsen für die gesammte Lichtempfindung, so 212 | 1 G.. Claus: möchte: wohl die ‚von «Dana gegebene. Auffassung | wesent- lieh zu modifieiren sein.‘ Sicherlich ist die Cornea in ihrem Verhältniss zum! Auge/ keiner. Brille oder Lupe zu ‚verglei- chen, denn-wäre sie eine' solche, so. müsste der in 'beträcht- ' licher: Weite, dahinter liegende Augenabschnitt..das auf) eine bestimmte Entfernung a6commodirte Auge repräsentiren, in welchem durch.'die. biconvexe Sammellinse ein vergrössertes Bild der: in der Nähe ‚des Brennpunktes, der. letzteren gele- genen Objecte erzeugt würde, Dann müsste der Kreis.der deutlichen Währnehmung auf die in’ unmittelbarer Nähe be- findlichen' Gegenstände redueirt, (das Sehvermögen ‚ein‘ sehr beschränktes sein... Auch spricht: die beträchtliche Entfernung der hinteren 'Linse von der Cornea gegen diese Auffassung, wie auch das Vorrücken. des hinteren ‚Augenabschnittes ‚nur ich Sinne‘ einer «sehr. beschränkten ' Accommodation | gedeutet werden könnte. Richtiger betrachtet man die’ Cornea in: ih- rer. Leistung als unmittelbar. mit der‘ ‚ellipsoidischen Linse Zusammengehörig. Beide bilden, vereint, mit dem Glaskörper den für’ die bestimmte. Art und. Grösse des 'Schens nothwen- digen Apparat der, Strahlenbrechung, ähnlieb, wie im Wir- belthierauge: Cornea, Linse \und: Glaskörper. Das: ‚Eigen- thümliche der: Anordnung besteht, nur darin ‚ dass: derselbe, wie es scheint, gleich. einem. Fernrohre ‘zur. Vergrösserung der’ in‘ bestimmter. Entfernung. befindlichen | Objecte,! dient; ‚während ‚die pereipirten Bilder im natürlichen Abstandı:bei- der: Linsen: sich auf. Gegenstände weiterer: Entfernung) bezie- hen, kommen wegen des. Vorrückens' des hinteren‘ Augen- abschnittes an die Cornea ‚eontinuirlich' nähere Objecte zur deutlichen Wahrnehmung.‘ Zu; einer genaueren ‘Analyse ‚des betrachteten : Brechungssytems' ‚fehlen leider „die genauen Grössenbestiiimungen, «die am! lebenden Thiere ‚hätten aus- geführt: werden müssen. Die Nervenelemente, welche‘ die Pereception! des Bildes: vermitteln, liegen zweifelsohne lin dem Lumen'.der Pigmentscheide, ‚deren: hinteres Ende ja umiliol- bar dem Gehirnknoten aufsitzt. « Während das 'Sapphirinenaige hiernach eine ganz en thümliche 'Modification des. Arthropödenauges darstellt, ıbe- "Veber das Auge) der‘ Sapphirinen’ und Pontellen. 373 sitzt das Sehorgan verwandter Copepoden, der Pontellen (Pontia, Milne Eddw.), einen Bau, welchersich einfach und natürlich. ‚auf, das facettirte Auge ‚der, Arthropoden 'zurück- führen lässt. Hier hätten wir wenigstens keinen‘ anderen Grund, die hinter der Cornea gelegenen liehtbrechenden Zapfen als Linsen aufzufassen, als den der Analögie mit dem Sapphirinenauge. An jeder Seite des vorderen Kopfabschnit- tes findet man zwei Hornhautfacetten ‚von 0,07,Mm. Breite, und unmittelbar unter denselben ‚zwei gallertartige,;' leicht zerstörbare Krystallkegel,)' welche‘ an ihrer Basis von Pig- mentmasse umgeben sind. Die letztere liegt unmittelbar dem Gehirne auf, und theilt sich jederseits in zwei Hälften, von denen jede einem Krystallkegel entspricht. _Da,wo ‚der Kıy- stallkegel dem Pigmente aufsitzt, zeigt: das ‚letztere‘ einen Bellen Fleck, welcher auf ein Lumen ähnlich der Pigment- scheide’ des Sapphirinenauges hinzudeuten scheint. Eine An- näherung der Krystallkegel an die Facetten der Cornea, wurde nicht beobachtet, und ist auch bei dem ‚sehr geringen Ab- stande beider Theile unwahrscheinlich, Auf der centralen Fläche des vorderen Kopfabschnittes unterhalb des Sehörgans beobachtet man in der Mittellinie eine gestielte bewegliche Kugel, deren äussere peripherische Schicht unterhalb einer homogenen dünnen, Chitinhülle durch blaues Pigment gefärbt ist. Die vordere gewölbte. Fläche derselben entbehrt, wie ich mich an aufbewahrten Präpara- ten überzeugt habe, des Pigmentes, und ist von einer Masse erfüllt, die von stark lichtbrechender Beschaffenheit im Cen- trum einen nach innen gewölbten Zapfen zeigt, der sich durch die bedeutendere Brechung der Lichtstrahlen deutlich ab- grenzt. Herr Prof. Leuckart, der im verflossenen Herbst auf Helgoland ebenfalls Pontellen untersuchte, hält die ge- sammte Kugel für das Aequivalent des unpaaren Entomostra- kenauges, und den gewölbten Zapfen des vorderen Abschnit- tes für eine Linse, 1) Die in Fig. 2 mit a bezeichnete Bildung ist nichts als eine Verdickung der Chitinhaut, die sich von der Rückenfläche in dasInnere des Körpers erhebt. . 274 C. Claus: Ueber das Auge der Sapphirinen' und Pontellen. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Das Sehorgan von Sapphirina salpae von der Rückenfläche aus betrachtet. a) Die zu zwei Linsen verdickte upran; b) Der Raum zwisehen der Cornea und der ellipsoidischen Linse erfüllt von einer hellen Flüssigkeit, und umgeben von zarten Fasern musculöser Natur, welche sich an die äussere Kör- perbedeckung anheften. e) Die ellipsoidische Linse. d) Der obere orangegelb gefärbte 'Theil der Pigmentscheide, den unteren Theil der Linse in sich. aufnehmend. e) Der hintere Abschnitt der Pigmentscheide von dunkeler Fär- bung mit dicker Wandung und einem engen Lumen, unmit- telbar dem Gehirnganglion aufsitzend. f) Das unpaare Sinnesorgan durch zarte Fäden befestigt. 8) Die vordere Grenze. des Kopfes. Fig. 2. Das Auge einer männlichen Pontia (Milne Edw.) Pon- tella (Leach) von der Rückenfläche aus gesehen. a) Die beiden Linsen der rechten Seite, hinter ihnen die Krystall- kegel mit dem Pigmentkörper. b) Die unpaare blaue Kugel durch die Rückenfläche hindureh- schimmernd. e) Die Basalglieder der Antennen zu beiden Seiten des. Rostrums mit seinen gabelförmigen Fortsätzen. d) Chitinfortsätze der äusseren Bedeckung. . Fig. 3. Dasselbe von der rechten Seite beirachiee! Die Krystall- kegel sind in dieser Lage verdeckt. a) Die durchschimmernden Linsen der linken Seite, b) Die zwischen den Antennen gelegene bewegliche blaue, Kugel mit der hellen Linse (?), E. A. Platner: Helmintliologische Beiträge. 275 Helminthologische Beiträge. Von E. A. Pıarner, vormaligem Docenten in Heidelberg. (Hierzu Taf. VI, VII, VIII) I. Anatomische Untersuchungen über den menschlichen Band- oder Kettenwurm (Taenia solium L.). Die Naturgeschichte der Eingeweidewürmer ist zwar in den letzten Decennien vielfach und von sehr verschiedenen Seiten in Angriff genommen worden, indessen noch lange nieht zum Abschluss gelangt. Wenn auch viele Forscher von anerkanntem Ruf, wie namentlich Creplin, Mehlis, Nitzsch, Diesing, Steenstrup, Eschricht, Kölliker, Mayer, Leuckart, Dujardin, van Beneden und ganz besonders von Siebold sich sehr verdient darum gemacht haben, so bleibt doch immer noch gar mancherlei zu erfor- schen übrig, und wer den Ekel glücklich überwindet, den Eingeweidewürmer wohl anfangs Jedem mehr oder weniger erregen, hat Gelegenheit, bei der Beschäftigung mit diesen Thieren noch sehr merkwürdige und lehrreiche Beobachtun- gen za machen. Schon ihr ganzes Dasein hat etwas Unge- wöhnliches und Räthselhaftes, und bis auf die neueste Zeit wusste man nicht, von wannen sie kommen, ‘und wohin sie gehen, Die Erscheinung der: Eingeweidewürmer war die letzte und mächtigste Stütze der Lehre von der Generatio aequivoca. Nun ist auch diese endlich zusammengebrochen und in der Lehre von der Erzeugung organischer Wesen eine befriedigende Einheit hergestellt. Schon seit Jahren hat auch 276 EA. Platier: der Verfasser der vorliegenden Abhandlung im Stillen den Eingeweidewürmern eine ganz besondere Theilnahme ge- schenkt, und als sich ihm kürzlich mehrmals Gelegenheit bot, gegen die Umtriebe menschlicher Bandwürmer ärztlich einzuschreiten, fühlte er sich lebhaft angeregt, die seines Wissens noch wenig bekannten anatomischen Verhältnisse derselben einer sorgfältigen Untersuchung zu unterwerfen. So ist die nachfolgende Arbeit/entstanden, welche, sofern Zeit und Umstände es gestatten, ‚fortgesetzt‘ werden soll, und womit ich mich der Gunst des anatomischen und physiologi- schen Publicums bestens empfohlen haben will. Da vielleicht hin und wieder Zweifel über die Richtigkeit des von mir Beobachteten entstehen könnten, so will ich noch bemerken, dass es mir gelungen ist, einen Theil meiner Präparate un- verändert aufzubewahren, und dass es mir ein Vergnügen sein wird, dieselben vorzuzeigen. I. Von den Geschlechtswerkzeugen des menschlichen Bandwurmes. Der Bandwurm Taenia solium L. gehört bekanntlich zu den Zwittern, d.h. jedes reife. Glied‘ desselben führt männliche und weibliche Geschlechtswerkzeuge zugleich. Diese‘ Ge- schlechtswerkzeuge öffnen sich nach aussen an den Seiten- rändern des Wurmes in der Vertiefung eines kleinen, schon mit unbewaffneten Augen: leicht erkennbaren Hügelchens. Dieses Hügelchen, welches man als Schaamhügel bezeichnen kann), ‚liegt bald’ an der rechten, bald 'an der linken Seite, ohne dass dieser Wechsel an eine bestimmte Regel geknüpft wäre. ‚In dem Grunde seiner Vertiefung befindet sich eine Spalte, die. ‚von einem besonderen Saum eingefasst ist. In dieser Spalte münden dicht nebeneinander die Geschlechts- werkzeuge, die männlichen mehr nach vorn, die weiblichen mehr nach. hinten. i Helminthologische Beiträge. 277 1. Weibliche Geschlechtswerkzeuge. Die weiblichen Geschlechtswerkzeuge bestehen aus: dem Fruchtstock, den Dotterstöcken, dem Keimstock, dem birnförmigen Körper, dem Samengefäss und der Scheide. a. Der Fruchtstock ist das Organ, in welchem sich der Embryo innerhalb des Eies bis zu seiner völligen Reife entwickelt. Er verbreitet sich beinahe durch das ganze Glied, und stellt ein baumförmig verzweigtes System blind endigen- der Canäle dar (Taf. VI, Fig. 1.). Man kann daran unter- scheiden den Stamm, die Wurzeläste (Fig. le.), die Seiten- äste (Fig. 1b) und die Wipfeläste (Fig. la.). Der Stamm nimmt die Mittellinie des Leibes ein, und verläuft mit gerin- gen Biegungen von hinten nach vorn. Sein Querdurchmesser, der sich so ziemlich gleich bleibt, zeigt sich in reifen Glie- dern hinten etwas grösser als vorn. Vom Hinterende des Stammes entspringen ein paar Aeste, welche ich die Wurzel- äste nenne (Taf. VI, Fig. 53.). Sie zeichnen sich gewöhnlich durch grössere Stärke und bedeutendere kolbige Anschwel- lung ihrer blinden dicht neben einander liegenden Enden vor anderen Aesten aus, Indem die Wurzeläste vom Stamm nach hinten und aussen laufen, lassen sie zwischen sich einen bei- “nahe dreieckigen Raum frei, den ich die Dammgegend .nen- nen will. Nur in ganz reifen Gliedern wird durch die zu- nehmende Entwickelung der Aeste dieser Raum ‚zu einer Spalte verengt, doch giebt es auch Bandwürmer, wo schon in jugendlichen Gliedern die Dammgegend mehr oder weni- ger verdeckt ist, so dass es fast den Anschein gewinnt, als kämen beim Menschen unter dem Namen Taenia solium ver- schiedene Arten von Taenien vor, zumal da auch ausserdem mancherlei Verschiödenheiten beobachtet werden können, Die Dammgegend ist eine Stelle, die ganz besondere Aufmerk- samkeit verdient, denn es liegt in ihr ein sehr zarter und schwer zu unterscheidender Geschlechtstheil. Den Wurzel- ästen ähnlich gebildet, nur meist schmäler und weniger ägtig, sind die Seitenäste. Zwischen ihnen bleibt für den Verlauf Beichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1859. 19 278 E. A. Platner: gewisser anderer Geschlechtstheile an der Seite, wo der Schaamhügel liegt, ein besonderer Raum frei. Die Wipfel- äste haben das Bigenthümliche, dass von ihnen naeh vorn zu eine Anzahl ziemlich regelmässig neben einander gestellter Aeste entspringen, wie die Finger an einer Hand (Taf. VI, Fig. 2.). Ich uenne sie die Wipfelblätter. Sie sind um so kleiner, je jünger das Glied ist. Sie treten zuerst als kleine Knospen auf, die völlig von einander getrennt sind. Mit zu- nehmender Entwickelung des Gliedes verlängern sie sich mehr und mehr und rücken zugleich dicht zusammen. Alle Aeste verlieren bei ihrer Theilung nicht an Durch- messer, sondern sind nach derselben oft stärker als vorher. Je jünger die Glieder, um so weiter sind‘ die Abstände der Aeste von einander, und um so gestreckter ist ihr Verlauf. Mit zunehmender Reife legen sie sich dichter aneinander, und werden mehr geschlängelt. Der Fruchtstock ist im reifen Zustande ganz und gar mit gelbbraunen Eiern angefüllt, welche rund oder länglich rund sind, und in denen man den Embryo als ein längliches oder rundliches mehr oder weniger gekrümmtes Würmehen deut- lich erkennen kann.'!) Bevor die Eier im Fruchtstock zur Entwickelung gelangen, sieht er blass und schwach gelblich aus. Seine Wände scheinen ziemlich dick zu sein, denn wenn man den mit Eiern gefüllten Fruchtstock presst, so kommen, namentlich nach aussen zu, Umrisse zum Vorschein, welche von den dureh die Eier gebildeten sichtlich entfernt sind. Der Fruchtstock besitzt aller Wahrscheinlichkeit nach lebendige Contractilität, obwohl ich Fasern an demselben nicht erkennen konnte. Die Entwickelung der Eier beginnt in demselben nicht auf allen Punkten zugleich, sondern zu- erst in den Anfängen der vom Hinterende entspringenden Aeste, besonders in der Nähe des birnförmigen Körpers. b. Die Dotterstöcke, deren zwei vorhanden sind, lie- 1) Die Entwickelungsgeschichte desselben hofte ich ein andermal geben zu können. Beiläufig sei hier erwähnt, dass der Dotter zu einer gewissen Zeit deutlich mit Wimpern versehen ist. Helminthologische Beiträge, 2979 gen zu beiden Seiten des hinteren Endes vom Stamm des Fruchtstocks, Jeder Dotterstock besteht in einem rundlichen Haufen durcheinander laufender Canälchen (Taf. VII, Fig. 2e.). Nach aussen zu bilden diese Canälchen meist Schlingen. Nach dem Stamm des Fruchtstocks zu vereinigen sich sämmtliche Canäle auf jeder Seite zu einem gemeinschaftli- chen sehr kurzen Ausführungsgang, der am birnförmigen Körper in den Stamm des Fruchtstocks eintritt. Nicht sel- ten beobachtet man auch eine Communication des Ausfüh- rungsganges der einen Seite mit dem der anderen Seite, so dass vielleicht für beide Dotterstöcke eigentlich nur ein Aus- führungsgang vorhanden ist. Dieses wird um so wahrschein- lieher, da beide Dotterstöcke nicht ganz dieselbe Grösse ha- ben, sondern der, welcher mit dem Sehaamhügel auf ein und derselben Seite liegt, immer etwas kleiner ist als der auf der anderen Seite, und immer nur der Ausführungsgang des grösseren den des kleineren- aufzunehmen scheint. Die Dot- terstöcke enthalten kleine runde oder länglich runde Körn- ‚chen, die Dotterkörnchen, welche im Fruchtstock zur Ent- wickelung der Eier verwendet werden. Die Umrisse der Dotterstöcke sind so zart, und sie selbst so hell, dass man in reifen oder selbst in halbreifen Gliedern von ihnen ent- weder gar nichts, oder nur Bruchstücke zu sehen bekommt. Um sich von ihrem Dasein und ihrer Form zu überzeugen, muss man Glieder untersuchen, bei welchen die Geschleehts- theile eben anfangen, .sich zu entwickeln, später werden sie dureh andere daneben und darüber auftretende Organe fast völlig verdeckt.!) e, Der Keimstock. Als solchen. betrachte ich eine runde oder länglich runde Blase mit sehr zarten Umrissen von gauz schwach gelblicher Färbung, welche ziemlich dicht am hinteren Ende des Stammes. zwischen den Wurzelästen liegt (Taf. VII, Fig. 2e.). In ganz jungen Gliedern erscheint sie wasserhell. In der Mitte dieses Organs entspringt ein 1) Meine bildliche Darstellung derselben ist daher zum Theil eine gemachte, und vielleicht etwas zu vollkommen ‚ausgefallen, 19° 280 E. A. Platner: Gang, der von da mit einigen Windungen nach dem hinte- ren Ende des Fruchtstockes läuft, und in den Stamm des- selben eintritt, obgleich dieses nicht deutlich zu sehen ist. Dass dieser Gang sich mit einem -vom birnförmigen Körper kommenden verbinde, wie es Mehlis vorgekommen’ ist, ') kann’ ich nicht bestätigen. Der vom birnförmigen Körper kommende Gang tritt nach meinen Beobachtungen kurz vor dem hinteren Ende des Stammes ebenfalls in diesen ein. In einigen Fällen schienen mir beide Gänge dicht neben einander in‘ den Fruchtstock zu münden. Doch ist ein Irrthum hier sehr verzeihlich, da der Gegenstand ausseror- dentlich schwer zu beobachten ist. Dicht neben jenem Gang entspringt ein zweiter aus der Mitte des Keimstocks, welcher nach hinten läuft.‘ Der Ursprung beider Canäle ist so dicht neben einander, dass es oft scheint, als bildeten sie nur einen einzigen Canal mit einer‘ 'nach unten gerichteten Schlinge. Der nach hinten laufende Canal wird bald breiter und scheint, nachdem er nur wenig über den hinteren Rand des Keim- stocks hinausgegangen ist, sich rechts und links in ein paar kleine citronenförmige Körper zu verlieren, welche Aehn- lichkeit: mit den weiter unten beschriebenen Hodenkörperehen haben. Diese selbst hängen wieder mit netzförmig verbun- denen Canälen zusammen, ‘die weiterhin abermals mit ähn- lichen Körperchen in Verbindung treten. Alles ist aber'so blass und undeutlich, dass man die Richtigkeit des Gesehe- nen in Frage stellen muss, In dem Keimstock entwickeln sich die Eikeime, welche, nachdem sie in den Fruchtstock gelangt sind, sich daselbst mit Dotterkörperchen umgeben, ihre Schaale erhalten und befruchtet werden, d. Der birnförmige Körper ist ein dunkelgelbbraunes birnförmiges, in jangen Gliedern spindelförmiges Organ, das mitten auf dem hinteren Ende des Fruchtstockstammes liegt, mit seiner Basis nach vorn, mit seiner Spitze nach hinten (Taf. VI, Fig.3. Taf. VII, Fig. 2d.). Sein Querdurchmesser 1) Isis 1831. S. 70. Helminthologische Beiträge. 281 beträgt in gut entwickelten. Gliedern' 0,02, und sein: Längen- durchmesser 0,03 Centimeter. ‚ In jüngeren Gliedern' findet man es nicht ganz in der Mitte des Stammes, sondern mehr auf der,dem Schaamhügel zugewendeten ‚Seite. Hat sich der Fruchtstock bereits mit dieht gedrängten. Eiern ‚gefüllt, so werden seine Umrisse dadurch völlig verdeckt, und es. er- scheint dann wie in den Keimstoek eingebettet. Nach vorn’ zu. steht dieses Organ in Verbindung mit dem weiter unten beschriebenen Samengefäss, nach hinten geht seine Spitze in- einen Canal über, der sich sehr verengt, ‘und mit ganz feiner Mündung ‘kurz vor dem hinteren Ende des Stammes in diesen eintritt. Der Nutzen dieses Organes besteht aller Wahrscheinliebkeit nach in der Aufbewahrung des männlichen Samens, was bei der ungeheuren Menge‘ der nach und nach reifenden Bier nichts Befremdendes hat. Uebrigens ist ein eigenes Receptaculum seminis nichts Neues, und‘ schon bei Insecten vielfach beobachtet worden. Die gelbbraune Fär- bung, des birnförmigen Körpers könnte auf die Vermuthung führen, dass er zur Absonderung von Substanzen diene, welche zur Bildung der Eihüllen verwendet würden, , Eine. solche Function würde sich aber wohl mit der eines Receptaculum seminis nicht gut vertragen. e. Die Scheide und das Samengefäss, ‚Die äussere Oefinung der weiblichen Geschlechtswerkzeuge führt zunächst zu einem kurzen Canal, der. ohne. alles Bedenken als Scheide gedeutet werden kann (Taf. VII, Fig. 2i.). Indem die Scheide sich allmälig verengt, geht sie, in einen langen, dunklen, ‚fein punctirten, überall gleich weiten, etwas gedrehten, meist ge- streckten und nur in reifen Gliedern etwas geschlängelten Caual über von 0,02—-0,03 Millimeter Breite, Dieser’ Canal läuft anfangs fast senkrecht gegen den Stamm des Frucht- stocks, in dessen Nähe angekommen, wendet er sich aber.in einem Bogen nach hinten, schneidet den Stamm des Frucht- stocks unter einem spitzen Winkel, und geht. dann mitten auf diesem noch etwas weiter nach hinten, bis er den Grund des birnförmigen Körpers erreicht, und in diesen eintritt, Kurz zuvor che er dieses Organ erreicht, zeigt er eine kleine 282 . E. A. Platner: Anschwellung, aus welcher er dünner und heller wieder her- vortritt. In ganz reifen Gliedern ist dieses hellere Endstück nicht mehr zu sehen. Man kann hier den Canal nur bis zu der erwähnten kleinen Anschwellung verfolgen, hinter der- selben wird er durch die Eier völlig verdeckt. Ich nenne diesen Gang das Samengefäss, denn er ist ganz dicht erfüllt ‘von Samenfädchen, die darin gedrängter vorkommen, als in dem daneben verlaufenden gewundenen und weiteren männ- lichen Samenbehälter. Anfangs mochte ich dieses Gefäss darum gar nicht für einen weiblichen Geschlechtstheil halten, sondern eher für ein Vas deferens, dem es seinem Ansehen und Inhalte nach vollkommen entsprechen würde. Dass’ dieses Gefäss nicht dazu dienen kann, die Eier zu entwickeln, oder auch nur an’s Licht der Welt zu setzen, hat schon Mehlis vollkommen eingesehen. Es ist dazu viel zu eng, denn der grössere Durchmesser der reifen Eier beträgt 0,04 Millimeter, Die Geburt der Eier muss durch Bersten des Fruchtstocks und durch Trennung der einzelnen Glieder erfolgen. 'In der That suchen nach v. Siebold die einzelnen Glieder vor ih- rem Tode sich ihrer Eier gewaltsam zu entledigen. 2. Männliche Geschlechtswerkzeuge. Die männlichen Geschleehtswerkzeuge bestehen aus: dem Cirrusbeutel mit Penis und Samenblase, dem Samen- behälter, dem Samensinus und den Hodenkörperchen sammt deren Ausführungsgängen. a. Penis, Samenblase und Cirrusbeutel, Der Penis ist ein dünnes, etwas gewundenes fadenartiges Organ (Taf, VI, Fig. 2p.), das gewöhnlich, indem es sich zurückgezogen hat, nicht sichtbar ist. Er führt zunächst zu einer längliehen, etwas gewundenen Höhle, der Samenblase (Taf. VII, Fig. 7a.), und ist sammt dieser in eine scheidenartige Hülle, den Cir- rusbeutel, eingesenkt. Der Cirrusbeutel hat unmittelbar ne- ben sich — nach hinten zu — die Scheide. b. Der Samenbehälter, der wohl am ersten dem Ne- benhoden der höheren Thiere entsprechen dürfte, ist ein langer, vielfach durcheinander 'gewundener, ‚mehr oder we- Helminthologische. Beiträge. 283 niger gelbbraun gefärbter Schlauch von 0,05 Millimeter Quer- durehmesser (Taf. VII, Fig. 2g.). Seine Dicke bleibt sich fast überall gleich, nur in der Mitte findet man ihn öfter un- merklich weiter. Durch einen ausserordentlich dünnen Cänal, den ich den Hals des Samenbehälters nenne (Taf. VII, Fig. 2n.), und an dem man in reifen Gliedern noch 'eine beson- dere Cförmige Anschwellung (Taf, VII, Fig. 4a.) bemerkt, steht er mit der Samenblase in’ Verbindung. Die Länge des Halses ist sehr verschieden, in reifen Gliedern etwa der des Cirrusbeutels gleich, in unreifen kürzer.‘ Der Samen- behälter enthält von Anfang bis zu Ende kleine Samenfädchen. Seine Windungen zeigen sich öfter deutlich als in einander geschobene Spiralen. Er geht in leichter Krümmung senk- recht gegen den Stamm des Fruchtstocks,, wo: er mit einem gestrecekten Endstück in dem Samensinus endigt, Er hat immer mehr oder weniger dicht neben sich nach hinten: das gestreekte weibliche Samengefäss, & Der Samensinus ist eine kleine unregelmässig ge- staltete zackige Höhle, in welche sämmtliche Ausführungs- gänge der Hodenkörperchen münden, und aus welcher ‚der Samenbehälter seinen Anfang nimmt. Der Samensinus (Taf, VII, Eig. 2a.) liegt mitten auf dem Stamm des Fruchtstocks, in dessen hinterem Dritttheil, der äusseren Geschlechtsöffnung gegenüber. Er ist sehr selten ganzdeutlich‘zu sehen, und es müssen ganz besondere Umstände sieh’ vereinigen, wenn er sichtbar werden soll, Ein besonderer Samensinus kann jedoch auch fehlen, und man sieht die Ausführungsgänge der Hodenkörperchen ‘dann unmittelbar in das gestreckte Ende des Samenbehälters eintreten. d. Die Hodenkörperchen. Mit diesem. Namen. be- zeichne ich kleine kugelförmige. beinahe wie Aepfel ausse- hende Organe, die durch sehr zarte rankenartige Canäle mit einander verbunden sind (Taf. VI, Fig. 4.), Sie sind eben soweit verbreitet wie die Zweige des Fruchtstocks, ja noch darüber hinaus, Indem sie sich mit ihren Ranken an den- selben hinziehen, gleichen sie,einem'Weinstock mit Trauben, der an einem Spalier in die Höhe gezogen worden ist, Ge- 284 E. A. Platner: wiss hat Eschricht dieselben Körperehen auch bei Botryo- cephalus latus gesehen, wo er sie als kleine Drüsen beschreibt, deren Ausführungsgänge sich in der Mittelgegend sammeln, und in den Eierbehälter (Fruchtstock) einmünden sollen. Ihr Durchmesser schwankt zwischen 0,05 und 0,12 Millimeter. Sie sind kleiner in der Jugend, und grösser zur Zeit ihrer Reife. Ihre Form, wenn schon im Allgemeinen kugelförmig, zeigt doch mancherlei Abweichungen. Manche sind mehr oder weniger in die Länge gezogen, abgeplattet oder birn- förmig (Taf. VI, Fig. 5.). Auch ihre Entfernung von einan- der ist sehr verschieden. Bald sitzen mehrere ganz dicht neben einander, bald sindsie ziemlich weit von einander entfernt, bald stehen sie in Gruppen, bald einzeln.‘ Eben so abweichend ist ihre Durchsichtigkeit. Die kleineren mehr an den Enden sitzenden findet man in der Regel ziemlich hell und durchsichtig, während die grösseren, dem Samensinus näher liegenden, gewöhnlich sehr dunkel und undurchsichtig sind. Zu der Zeit, wo die Entwickelung der Eier im Frucht- stock beginnt, fand ich öfter alle Hodenkörperehen von gelb- brauner dunkeler Farbe. Bei den durchsichtigeren bemerkt man in der Mitte gewöhnlich eine kleine verdunkelte kreis- förmige Stelle, wie die Narbe an einem Apfel, hervorgebracht durch den Canal, an welchem sie aufsitzen. Alle Verbin- dungszweige der Hodenkörperchen vereinigen sich endlich zu mehreren Ausführungsgängen, welche in den schon be- schriebenen Samensinus auf dem Stamm des Fruchtstocks eintreten. Die Bedeutung dieser Körperchen kann hiernach nicht zweifelhaft sein. Sie müssen zur Bereitung des männ- lichen Samens dienen, und um dieses anzudeuten, habe ich ihnen den Namen Hodenkörperchen gegeben. Die Anwesenheit dieser Körperchen, und die Abwesenheit eigentlicher Hoden, das Vorhandensein des engen und langen weiblichen Samengefässes sammt dem birnförmigen Körper sind Erscheinungen, wodurch sich die Geschlechtswerkzeuge des Bandwurmes von denen anderer Helminthen wesentlich unterscheiden. Fernere Untersuchungen müssen lehren, wie- Helminthologische Beiträge. 285 weit diese Eigenthümlichkeit bei einer Charakteristik der Ce- stoden verwendet werden können. Entwiekelung der Geschlechtstheile. Eben «o lehrreich als unterhaltend ist es bei dem Band- wurm, die Entwickelung der Gesehlechtstheile zu verfolgen. Man hat da an den verschiedenen Gliedern ein und dessel- ben Wurms bei guter Präparation derselben ein prächtiges Bilderbuch über Entwickelungsgeschichte, in welchem man mit grösster Bequemlichkeit rückwärts und vorwärts nach- schlagen kann. Zwar bin ich keinesweges im Stande, eine vollständige Entwickelungsgeschichte zu liefern, allein selbst die von mir beobachteten Bruchstücke dürften von Interesse sein. Die ersten Theile, welche man in ganz jungen Glie- dern wahrnimmt, sind der männliche Samenbehälter und der Fruchtstock. Die Art und Weise, wie der Samenbehälter entsteht, konnte ich jedoch bis dahin nicht beobachten. So- bald er sichtbar wurde, sah ich ihn auch sehon als gewun- denen Gang, dem sich der Cirrusbeutel als eine Einstülpung von aussen anzuschliessen scheint. Sehr deutlich lässt sich dagegen die Entwickelung der Hodenkörperchen verfolgen. Zu der Zeit, wo die ersten Rudimente der Geschlechtstheile sichtbar werden, findet man beinahe das ganze Glied mit sechseckigen Zellen bedeckt. Nur in der Mitte und hinten lassen sie einen Raum frei, welcher einer platten Bouteille gleicht, deren Hals nach vorn gerichtet ist, und deren Basis hinten aufsitzt. Es sind daher besonders die vorderen Ecken des Gliedes, welche von jenen Zellen in grösster Ausdehnung eingenommen werden. Jede Zelle besitzt deutlich einen ova- len Kern, und insgesammt gleichen sie den sechseckigen Pigmentzellen der Chorioidea, haben aber nieht ganz deren Regelmässigkeit. Diese Zellen stehen anfangs ziemlich dicht neben einander, namentlich nach den Rändern des Gliedes zu, sehr bald aber bemerkt man, dass sich zwischen ihnen helle Räume von sehr verschiedener Form und Grösse bil- den (Taf. VI, Fig. 6.). Die Zellen selbst scheinen sich da- . 286 E. A. Platner: bei anfangs wenig: zu ändern, indem'aber die Intercellular- substanz in verschiedenen Riehtungen mehr oder: weniger wächst, werden sie allmälig aus ihrer bisherigen Lage ge- schoben, und zu bestimmten Gruppen und Reihen vereinigt. Sehr deutlich sieht man nun, wie ein Theil’dieser Zellen mit einander. verschmilzt, dabei werden sie blässer, kleiner, rundlicher und ihr Kern undeutlicher, ‘Andere Zellen dage- gen verschmelzen nicht mit einander, dagegen findet‘ man an einer ‘Seite derselben einen dünnen Canal, durch den sie mit einander. in Verbindung treten (Taf. VI, Fig. 7.) Wie dieser Canal’ eigentlich entsteht, habe ich nie sehen können. Wenn ich’ ihn sah, waren immer bereits mehrere Zellen 'an denselben, wie an einer Leiste angeheftet. Bei noch: weiter fortgesehrittener Entwiekelung findet man einen: Theil der vorhanden, gewesenen Zellen verschwunden, ‘dagegen eine Menge weiter Schläuche, und an diesen deutlich, sowohl ein- zeln als in Gruppen, in der Entwickelung begriffene Hoden- körperchen (Taf. VI, Fig. 8.). ; Sehr ‘deutlich sieht man auch, wie die Ausführungsgänge der Hodenkörperchen nach dem Samensinus zu ihre Richtung nehmen, und sich nach dieser Gegend hin zuspitzen. In dieser Gegend selbst aber bemerkt man kleine gestielte länglich runde Bläschen, welche die Bestimmung zu haben scheinen, den Ausführungsgängen der Hodenkörperchen entgegen zu kommen, und dieselben in sich aufzunehmen. Der Stamm des Fruchtstocks erscheint zuerst als ein kno- tiger Stock, der an seinem vorderen Ende einen breiten Knopf hat, nach hinten aber spitz zuläuft, und’ dann mit einem kleinen Knoten endigt (Taf. VII, Fig. 4). Bei weiterer Ent- wickelung wird sein hinteres Ende‘ gespalten, während die knotigen Anschwellungen 'sich vermehren, und die‘ vorhan- denen sich zu Aesten anfangen auszudehnen (Taf. VII, Fig. 5.). So nimmt der Fruchtstock durch Wachsthum allmälig immer mehr und mehr zu, bis er endlich ein vollkommen 'baumar- tiges Gebilde darstellt. Ob und wie er aus Zellen entsteht, liess sich nicht beobachten, „Jedenfalls müssten die ihn bil- Helminthologische Beiträge. 287 denden Zellen sehr klein sein. Sehr deutlich sieht man da- gegen wieder die Bildung der Dotterstöcke aus Zellen. Um dieselbe Zeit, wo die Bildung der Hodenkörperchen aus Zellen beginnt, bemerkt man noch eine andere Art von Zellen, die sich durch ihre geringere Grösse und ihr blässeres Ansehen von jenen scharf unterscheiden. Sie liegen zu zwei rund- lichen Gruppen vereinigt zu beiden Seiten des hinteren Thei- les vom Fruchtstockstamm, und ordnen sich bei fortschrei- tender Entwiekelung zu einem ganzen Bündel von zarten Canälen, die zum Theil netzförmig mit einander in Verbin- dung treten. Nach innen zu bildet sich aus diesem Canal- bündel auf jeder Seite ein ganz kurzer gemeinschaftlicher Ausführungsgang, der in den Stamm des Fruchtstockes ein- tritt, während der peripherische Theil des Canalbündels sich zu lauter kleinen Sehlingen gestaltet. In dieser Gegend selbst bemerkt man, wie am gestreekten Ende des Samenbehälters kleine gewundene Canälchen hervorkommen, welche mit den zunächst gelegenen Hodenkörperchen in Verbindung treten. Was die übrigen Geschlechtstheile anbelangt, so habe ich Beobachtungen über deren Entwickelung nicht gemacht. I. Von dem Darmcanal, dem Gefäss- und Respirationssystem. 1. Darmeanal. Der Darmeanal bildet einen Uförmigen Schlauch, der die Wipfeläste und Seitenäste des Fruchtstockes umgiebt, und an dem Hinterrande des Gliedes auf beiden Seiten blind en- digt. Unrichtig ist es daher, wenn manche Helminthologen das Mittelstück-des Darmcanals nach hinten verlegen. Dass an der Stelle, wo das Mittelstück in die Seitentheile über- geht, Klappen vorhanden seien, wie mein verstorbener Vetter Dr. Platner in Leipzig zu sehen geglaubt hat,') kann ich durchaus nicht bestätigen. Ueberhaupt ist die von ihm ge- gebene Darstellung keineswegs richtig. Erstlich gehen die Seitentheile nicht unter einem so scharfen Winkel, wie er es 1) Siehe dieses Archiv 1838, S. 573. 288 E. A, Platner: abbildef, in das Mittelstück über, und ‚ganz. unriehtig ‚ist, .es, wenn er; die Seitentheile aller Glieder sich in einander, ‚fort- setzen lässt, mithin. den Darmeanal mehrerer- Glieder ‚als ein leiterartiges Organ darstellt. ‚Jedes Glied, wenigstens, jedes reifere,, hat. seinen Darmcanal vollständig für. sich. — Der Darmcanal verläuft, ‚einige geringe wellenförmige Biegungen ausgenommen, fast ganz gestreckt. Nirgends giebt er Aeste ab. In. seinem Inneren fand. ich zuweilen. eine, krümliche gelblich gefärbte. Masse, Viele Helminthologen. haben (ihn bisher als Gefässsystem betrachtet, offenbar, aber nur, weil sie das wirkliche Gefässsystem nicht kannten. Da nun ein solches, wie wir sogleich sehen werden, von mir ‚aufgefun- den worden ist, so bedarf diese Ansicht keiner weiteren Wi- derlegung. Auch. den. Hakenwürmern dürfte ein Darmcanal schwerlich abzusprechen ‚sein, und somit ‚eine Eintheilung der Helminthen in solehe mit und ohne, Darmcanal aufgege- ben werden müssen. 2. Gefäss- und Respirationssystem, Das Gefässsystem des Bandwurms, das ich, zugleich als Respirationssystem betrachte, liegt der Oberfläche des Kör- pers ziemlich nahe, und ist ein ausserordentlich reiches. Es kann eingetheilt werden in ein Bauch- und ein Rückengefäss- system, ') welche vollständig von ‚einander getrennt zu sein scheinen. Jedes dieser Gefässsysteme besteht aus vier Längs- stämmen,. welche durch viele querverlaufende, Acste mit ein- ander verbunden sind (Taf. VII, Fig. 1.).. Die Längsstämme zerfallen auf jeder Fläche in zwei. Mittelstämme und zwei Seitenstäimme. Die Seitenstämme verlaufen, dicht neben dem Darmstück ihrer Seite, dergestalt,, dass je zwei,den Darm- canal zwischen sich haben. Die Seitenstämme geben ‚ausser den Verbindungsästen nach innen auch noch kurze blind en- digende Aestchen nach aussen ab. Die Mittelstämme liegen beinahe in der Mitte jeder Seitenhälfte. Theilt man die Fläche - zwischen, den Seitenstämmen in drei Theile, und 1) Bauchseite ist die, auf welcher der birnförmige Körper liegt. Helminthologische Beiträge: : 2389 macht das mittlere Drittheil etwas grösser als die anderen, so bezeichnen seine Ränder die Gegend, in welcher die Mit- telstämme verlaufen. Die Gefässe setzen sich nicht in. die benachbarten Glieder fort. Jedes Glied hat,eben so gut ein gesondertes Gefässsystem, als einen abgesonderten Darm- canal. Der Querdurchmesser der Gefässe beträgt kaum den fünften Theil des vom Darmcanal. Das Gefässsystem be- steht aus an einander gefügten länglichen Zellen, deren Ver- bindung man bei starker Vergrösserung deutlich erkennen kann (Taf. VII, Fig. 3). Ob und wie lange an diesen Ver- bindungsstellen Scheidewände vorhanden sind, liess sich nicht ermitteln. In reiferen Gliedern erfolgte der Uebergang aus einer Zelle in die andere so rasch und leicht, dass an ein Hinderniss nicht zu denken war. Der Inhalt der Gefässe schien durchaus flüssig zu sein. Körnchen, ‘die etwa an Blutkörperchen erinnert hätten, wurden niemals von mir wahrgenommen. Ueber die Art, wie die Säfte in dem Ge- fässsystem fortbewegt werden, fehlen mir alle Beobachtun- gen, da ich meine Untersuchungen nur an todten Bandwür- mern anstellen konnte, Die Mittel, deren ich mich bediente, um die vorstehenden Untersuchungen möglich zu machen, waren ausserordentlich einfach, und werde ich bei nächster Gelegenheit ein Weiteres darüber mittheilen. Erklärung der Abbildungen. Tafel VI Fig. 1. zeigt den ganzen Fruchtstock mit Stamm und Aesten einige Mal vergrössert. a. Wipfeläste, b. Seitenäste, c. Wurzeläste, Fig. 2. Die Wipfeläste eines noch nicht ganz reifen Fruchtstocks mit Eiern. Etwa 20 Mal vergrössert. Fig. 3. Die, Wurzeläste desselben Fruchtstocks, mit dem dunklen birnförmigen Körper auf dem hinteren Ende des Stammes. Fig. 4. Eine Gruppe Hodenkörperchen mit gemeinschaftlichem Ausführungsgang, Vergrösserung etwa 30 Mal. Fig. 5. Hodenkörperchen von verschiedenen Formen. Fig. 6. Zellen mit lichten Zwischenräumen, aus denen sich die Hodenkörperchen entwickeln. „Fig. 7. Solche Zellen bei weiter fortgeschrittener Entwickelung. Fig. 8. Noch in der Entwickelung begriffene Hodenkörperchen, durch weite Canäle mit einander verbunden, 290 E. A. Platner: Helminthologische Beiträge. Tafel VII. Fig. 1. Gefässsystem, zwei Mittelstämme, ein Seitenstamm u. Queräste. Fig. 2. Stellt die Seitenhälfte eines Gliedes dar, soweit dieselbe nöthig war, die Geschlechtswerkzeuge im Zusammenhang zu zeigen. a) Samensinus, in den sämmtliche _ Ausführungsgänge der Hodenkörperchen h einmünden. g) Der aus dem Samensinus entspringende Samenbehälter. n) Hals desselben. m) Oirrusbeutel. p) Penis. 8) Schaamhügel. b) Stamm des Fruchtstocks. f) Aeste desselben mit Hodenkörperchen. w) Wurzeläste des Fruchtstocks. e) Keimstock. e) Dotterstock. k) Samengefäss. i) Scheide. l) Eine kleine Anschwellung des Samengefässes. d) Birnförmiger Körper. v) Ein Stück Darmcanal. Fig. 3. Einige stark vergrösserte Gefässzellen. Fig. 4. Fruchtstock ganz im Anfang seiner Entwickelung. Fig. 5. Fruchtstock bei weiter fortgeschrittener Entwickelung. Fig. 6. Zeigt die Cförmige Anschwellung (a) am Hals des Samen- behälters. Fig. 7. Cirtusbeutel (b) mit Samenblase. Tafel VIII. Stellt die Vereinigung der Ausführungsgänge der Hodenkörperchen mit dem Samenbehälter oder Nebenhoden in dem Momente dar, wo sie mit Sperma strotzend gefüllt sind, was man in dieser Weise nur sehr selten zu sehen bekommt. A ist ein Stück des gewundenen Samenbehälters, dessen ge- strecktes Ende hier auffallend kurz ist. B zeigt die in dieses Ende mündenden Ausführungsgänge der Hodenkörperchen, deren Zahl sich hier auf 8 'beläuft.!) 1) Herr Dr. Platner hatte die Güte, mir einige Präparate zum Geschenk zu machen, an welchen sich ein grosser Theil der beschrie- benen und gezeichneten morphologischen Verhältnisse, ‚namentlich die Verbindung der Hodenkörperchen mit dem Samenbehälter ausserordent- lich klar erkennen liess. Rt. A. Bahr: Bemerkung zum Bat des Enchondroms, 29] Kleinere Mittheilungen. Bemerkung zum Bau des Enchondroms. Von Dr. A. Baur. Das Enchondrom zeigt in seiner durch das Nebeneinandervorkom- men von Knorpel- und Knochengewebe bedingten Structur. zweierlei und (tritt zuletzt in Form rundlicher Massen an die Oberfläche. Auf dem Durchschnitt findet sich dann Knorpel- und Knochensubstanz neben- einander, wobei aber letztere nicht aus dem angrenzenden Knorpel ber- eine scharfe Grenze, die soweit gehen kann, dass sie. sich in feinen Durchschnitten mit scharfen Rändern von einander lösen. Für ‚die Össification können solche Bilder nichts beweisen; die sternförmigen Knorpelzellen, welche sich hier wie überall im Enchondrom finden, dürfen daher nicht als Uebergangsformen zu Knochenkörperchen be. trachtet werden. ‚Sie entstehen überall durch Schrumpfen aus den ur- sprünglich runden, die Knorpelhöhle ausfüllenden Zellen, und sind des- halb von einem hellen Hofe umgeben. Für..die Frage aber nach dem bistologischen Ursprung der Knorpelneubildung führt die beschrie- bene Structur zu- dem Schlusse, ‘dass das Knorpelgewebe des Enchon- kann im Laufe seiner weiteren Entwickelung. selbst ossifieiren ; diess geschieht, abgeschen ‘von der Regelmässigkeit in Form und Structur, in derselben Weise wie bei einem embryonalen Knorpel. Hierdurch entsteht aber das umgekehrte von dem bisher betrachteten Structur- verhältniss, In nicht»seltenen Fällen ist stellenweise im Enchondrom die Ossifieation auf eine Verkalkung der Knorpelgrundsubstanz be- schränkt, aus der das von Brandt und Reichert zuerst erwähnte, und später von Scholz!) im Enchondrom besonders beschriebene, spon- giöse Kuochengewebe hervorgeht, —n 1) Scholz: De enchondromate, Diss, inaug. Vratisl, 1855, SR 292 Zur Geschichte der Physiologie, des Vagus. Zur Geschichte der Physiologie des Vagus. Von Eduard Weber. Herr Professor Heidenhain') bringt einige Beobachtungen von Volkmann in Erinnerung, welche in einer Abhandlung desselben): „Von dem Baue und den Vorrichtungen’der Kopfnerven des Frosches“ enthalten sind, durch welcbe Volkmann zuerst und lange vor mir die Hemmung der Herzbewegung durch rhythmische Reizung des Vagus bekannt gemacht habe. Diese Beobachtungen seien sonderbarer Weise unbeachtet verloren gegangen, und er erlaube sieh dieselben, als zur Geschichte der Physiologie des Vagus gehörig, in's Gedächtniss der Physiologen zurückzurufen. Es könnte ‚hiernach scheinen, dass eigentlich Volkmann die Hemmung der Bewegung des Herzens durch die Reizung des Vagus entdeckt habe, und dass ihm Unrecht geschehen, weil dieses von mir nicht erwähnt worden sei. — Dem ist aber nicht so. Heidenhain scheint nur den Anfang, nicht die Fortsetzung und das Ende der von Volkmann hierüber ausgeführten Versuche zu kennen. Volkmann hat nämlich nachträglich in Folge weiterer von ihm und Bidder ausgeführter Versuche) die Behauptung, dass aus seinen Versuchen geschlossen werden könne, dass die Reizung des Vagus einen hemmenden Einfluss auf die Bewegung des Herzens habe, ausdrücklich wieder zurückgenommen, und die von Heidenhain eitirten Versuche für ungültig erklärt, weshalb er denn auch selbst auf dieselben bei seinen späteren Arbeiten über die Verrichtungen des Vagus keine wei- tere Rücksicht genommen hat. Er sagt S. 373: „Diese Widersprüche in den Angaben der Beob- achter würden allein ausreichen, die Resultate ihrer Versuche als vor- läufig unbrauchbar zu bezeichnen; aber Versuche, welche ich mit mei- nem Freunde Bidder anstellte, überzeugten mich bald, dass auf die- sem Wege der Forschung überhaupt nichts erreichbar sei.“ — „Diese Experimente haben den negativen Vortbeil, zu beweisen, dass alles Experimentiren über die Abhängigkeit des Herzschlags von den Oentral- organen unzulässig ist. Denn wenn der Typus des Herzschlags nach dem Tode sehr häufig Schwankungen unterliegt, ohne dass irgend eine äussere Veranlassung gegeben ist, so bleibt es ungewiss, ob die Schwan- kungen, welche nach Reizung der Centralorgane eintreten, durch diese vermittelt sind oder nicht.* Er theilt hierauf seine und Bidder’s Versuche ausführlich mit, und zieht dann daraus folgendes Resultat: „Was beweisen nun die Versuche früherer Experimentatoren, welche nach Reizung gewisser Hirntheile Beschleunigung der Herzschläge ein- treten sahen? Durchaus nichts! Sie schoben die Vermehrung derselben, wenn sie eintrat, auf die Reizung und meinten, wo sie nicht eintrat, der Reiz habe nicht genügend gewirkt... Zu den ungültigen Versuchen bin ich genöthigt, meine eignen zu rechnen, in denen ich einen Einfluss des Vagus auf den Herzschlag der Fröschezu beweisen suchte. S. dieses Archiv 1838. S. 87.“ 1) Müller’s Archiv 1858. S. 504. 2) Müller’s Archiv 1838. S. 87. 3) Müller’s Archiv 1842. Ueber die Beweiskraft derjenigen Ex- perimente, durch welche man einen direeten Einfluss auf die Einge- weide zu erweisen suchte. Von A. W. Volkmann. A. W. Volkmann: Ueber die Elasticität der organischen Gewebe. 293 Ueber die Elasticität der organischen Gewebe. Von ENEONNE VOLKMANN. Dass die elastischen Kräfte der organischen Gewebe Be- rücksichtigung verdienen, hatten die physikalisch gebildeten Physiologen wohl nie verkannt, indess ist die grosse Wich- tigkeit, welche diesen Kräften im speciellen Falle zukommt, doch erst durch E. Weber’s Untersuchungen über Muskel- » bewegungen recht anschaulich geworden. Wie weit ein be- lasteter Muskel während der Periode der Erregung sich ver- kürzt, hängt davon ab, in wie weit die Contractionsbewegung, die er unbelastet gemacht haben würde, einen Abbruch er- leidet, durch die Expansionsbewegung oder Dehnung, die das ihm anhängende Gewicht hervorruft. So ist es für die Mus- keln jedenfalls höchst wichtig, das Verhältniss der Dehnung zu den Gewichten in Erfahrung zu bringen, und ich glaube, dass eine nochmalige Untersnchung dieses Verhältnisses um 80 weniger überflüssig sei, als die letzten Arbeiten von Wundt zum Theil wieder negiren, was frühere Forscher bezüglich der Blastieitätsverhältnisse organischer Gewebe be- wiesen zu haben schienen.') Bekanntlich hatte W. Weber zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass die bisher geltenden Elastieitätsgesetze nicht auf alle Körper gleichmässig Anwendung finden. Die Be- hauptung nämlich: dass das Verhältniss der Ausdehnung zur Spannung sich immer gleich bleibe, möge die Spannung gross oder klein, und die Dauer ihrer Wirkung eine lange oder kurze sein, diese Behauptung, welche den Inhalt des Ela- I) W. Wundt: Die Lehre von der Muskelbewegung. 1858. Reichert's u. du Bols-Reymond's Archiv. 1859, 20 o 294 A, W. Volkmann: stieitätsgesetzes ausmacht, erwies sich bei Versuchen, die mit Seidenfäden angestellt wurden, als unhaltbar. Mag man durch Spannung den Faden verlängern, oder durch Abspan- nung verkürzen, das Verhältniss der Spannung zur Dehnung bleibt sich im Laufe ‘der Zeit nicht gleich, vielmehr folgt der primären Wirkung eine Nachwirkung, welche das Verhält- niss bis zum Eintritte eines gewissen Grenzwerthes eontinuir- lich ändert. Daher kann, im vollen Widerspruche mit dem Elastieitätsgesetze, sogar Verkürzung-des Fadens bei zuneh- mender Spannung, und umgekehrt Verlängerung desselben beir Abnahme. der Spannung zum, Vorschein ' kommen.‘ Es scheint,) dass.-alle organischen: ‚Gewebe, | yielleicht. mit‘ Aus- nalıme der Knochen, in der eben angeführten Beziehung, den Seidenfäden 'gleich stehen. j „Während: W. Weber seine Aufmerksamkeit. auf.das; Bi- genthümliche der elastischen Nachwirkung‘ in organischen Geweben gerichtet ‚hatte, berücksichtigten ‚Wertheim und E..Weber eine ‚ganz, andere Eigenthümlichkeit eben! dieger Gewebe, ı (Ihrer Angabe zu Folge ist das Verhältniss, der Dehnung. zur, Spannung ‚in denselben überhaupt kein , con: stantes, , sondern, wird mit, Zunahme der ‚Spannung immer kleiner. ı Bei, der beträchtlichen Anzahl vom Versuchen, wel+ che diese Angabe unterstützen, würden Bedenken, gegen die- selbe kaum aufkommen können, wenn nicht. beide Forscher die von W. Weber entdeckte elastische Nachwirkung unbe- rücksichtigt, gelassen hätten. Wundt, welcher ‚diese ‚Ver- nachlässigung rügt, versichert, dass wenn man. die Zeit, ab-, warte, bis die Länge eines gespannten organischen, Gewebes ihren Grenzwerth erreicht habe, sich ‚finde, dass die bekann- ten elastischen Gesetze in voller Geltung bleiben, indem die Dehnung überall der, Spaunkraft proportional sei, So wichtig ‚der Nachweis eines’ solchen Verhältnisses un- leugbar sein würde, so. darf man doch nicht glauben, ‚dass eben davon die Zukunft der Elasticitätslehre, so weit sie die organischen Körper betrifft, allein abhänge.;ı, Die endliche Dehnung, die man erhält, wenn man die Zeit abwartet, bis die Länge des gespannten Körpers ihren Grenzwerth ‚erreicht Ueber die Elastieität der organischen Gewebe. 295 hat, ist, an ‚sich nicht wichtiger ‚als die ‘primäre Dehnung, wenn. wir mit, diesem Namen diejenige Verlängerung bezeich- nen, . welehe‘ vor dem Eintritte irgend welcher: Nachwirkung sich‘ kund ‚giebt... ‚Selbst Dehnungen, welche zwischen diesen Grenzpunkten des Anfanges und Endes liegen, würden werth- volle Grössen abgeben, wenn die Entwickelung. der elastischen Nachwirkung im Laufe der Zeit in Frage könimen' sollte, wie. sie ‚bei, Untersuchung ‚der Muskelbewegung nothwendig in Frage. kommt. - Kurz das. Verhältniss’ der Dehnung zur Spannung kann,in jeder beliebigen Periode der Nachwirkung mit Nutzen untersucht werden, sobald 'sich nur die Zeit er- mitteln lässt, für welche das bezügliche Verhältniss'gültig ist. Ich ‚habe. den Plan verfolgt, jenes Verhältniss | für die primäre Dehnung zu bestimmen, und hielt dies aus dem dop- pelten Grunde für wünschenswerth, weil einerseits die Ab- wartung..der ‚endlichen Dehriung in den: meisten Fällen un- möglich. ist,/ andererseits, bei den’ Muskeln wenigstens, das ‚Verhältniss, der Verlängerungen zu, den Gewichten, gerade in den, ‚ersten ‚Perioden der Nachwirkung eine besondere Wich- ügkeit hat. Ich will im Voraus’ bemerken, dass ich meine Absicht‘ nicht vollständig erreicht habe, indem mir die Mes- sung der primären Dehnung im strengen‘ Wortsinne (nicht gelungen ist, doch habe. ich durchgesetzt, dass alle meine Versuche in ein. und dieselbe, der primären Dehnung sehr nähe. /liegende, Periode der Nachwirkung fallen. Hieran knüpft: sich‘,.der Vortheil,: dass meine Versuche unter sich vollkommen vergleichbar sind. Ich habe die durch, Wundt angeregte Streitfrage, ob die Delinungen ‘organischer Gewebe den Gewichten proportional seien oder. nicht, durch Beobachtung der Longitudinalsehwin- gungen eben dieser Gewebe zu lösen: gesucht. Man stelle sich zunächst vor, ein vollkommen elastischer Faden sei loth- t aufgehangen, und an seinem unteren Ende mit einem Häkchen versehen, an welches gehenkelte Gewichte angehängt . werden, können, Belastet man einen, solchen Faden plötzlich, 80 entstehen. Oscillationen, welche auf einer’ abwechselnden 20* 296 A. W. Volkmann: Verlängerung und Verkürzung beruhen. DieMoleküle oseilliren um/ihre Gleichgewichtslage, welche sie bei jeder Schwingung in dem Momente passiren, wo die Bewegung das Maximum der Geschwindigkeit erreicht, und der Faden momentan die Länge annimmt, die ihm, nach Ablauf der Schwingungen, auf die Dauer zukommt. Gesetzt also, man kannte die Länge des belasteten Fadens im Momente seines schnellsten Schwingens, so wäre die Dehnung, welche er durch das ihm angehangene Gewicht erlitten, leicht auszumitteln, denn der Unterschied zwischen eben dieser Länge und der des unbelasteten Fa- dens entspricht offenbar der Dehnung. Von diesen Betrachtungen sind meine Messungen der pri- mären Dehnung ausgegangen. Man stelle sich nun ferner vor, der eben beschriebene Versuch werde statt an einem vollkommen elastischen Faden an einem solchen ausgeführt, welcher die Erscheinungen der elastischen Nachwirkung zeigt, dann wird die plötzliche Belastung wieder Oseillationen her- vorrufen, die Moleküle werden auch diesmal um eine Gleich- gewichtslage schwingen, und werden diese in dem Momente passiren, wo die Schnelligkeit der Bewegung ihr Maximum erreicht, der Faden aber die Länge angenommen hat, die ihm nach Massgabe seiner elastischen Kräfte und der Zug- kraft des Gewichtes momentan zukommt. Freilich ist diese Länge: im vorliegenden Falle keine constante, sondern eine in-Folge und nach Verhältniss der Nachwirkung allmälig wachsende. Bezeichnen wir die Länge des Fadens in dem Momente, wo er die Gleichgewichtslage passirt, allgemein mit L, so werden sich für die im Verlaufe der Zeit auftre- tenden Oscillationen O’ 0” O‘" die Längen L’ L“ L“' ergeben, und es ist L’—1 die primäre Dehnung, die wir suchen, wenn L‘ die Länge des belasteten Fadens bedeutet, die er beim Durchgange durch den ersten Gleichgewichtspunkt annimmt, und l die Länge, die demselben Faden im unbe- . lasteten Zustande zukommt. Dass diese Definition der primären Dehnung, mit Bezug auf die Reibungsverhältnisse, noch einer Correctur bedürfe, wird vorläufig unberücksichtigt gelassen. Ueber die Elastieität der organischen Gewebe. 297 Um die Länge des zu untersuchenden Fadens, in dem Momente stattfindenden Gleichgewichtes, messbar zu machen, benutzte ich das Kymographion, mit dessen Hülfe ‘der Oseil- lationsyorgang graphisch dargestellt wurde. Da das Verfah- ren, welches hierbei eingeschlagen werden musste, allgemein bekannt sein dürfte, so beschränke ich mich bei der Schil- derung desselben auf einige, wie ich glaube unerlässliche, Angaben. Der in lothrechter Richtung hängende Muskel, um ein bestimmtes Beispiel zu geben, wird an seinem unteren Ende mit einem nach unten hakenförmigen Metallstäbchen in Ver- bindung gebracht, welches zum Anhängen der gehenkelten Gewichte, und zur Befestigung der am Oylinder zeichnenden Haarspitze dient. Dieses Stäbchen (Ludwig’s Federhalter) wiegt 1,2 Gramm, und veranlasst daher schon an sich eine kleine Dehnung des Muskels, von welcher ich indess absehe, indem ich die nach Anbindung des Federhalters gemessene Länge für die natürliche nehme, und =1 setze. "Sind alle Vorbereitungen getroffen, so lasse ich den Cy- linder einen Umlauf machen. Hiermit entsteht auf der be- russten Oberfläche desselben eine gerade Linie, welche als Abseissenaxe verwerthbar ist. Erst nach Darstellung dieser Linie wird der Muskel plötzlich belastet, und es entsteht nun die wellenförmige Dehnungscurve, deren Oseillationen immer kleiner und bald unmerklich werden. Die Curve ge- winnt daher schliesslich das Ansehen einer Geraden, welche sich von der Abseissenlinie, so lange die Nachwirkung dauert, immer weiter entfernt. Die nachstehende Figur erläutert das Gesagte. . aa Tee 298 A. W. Volkmann: AB bedeutet die Abseissenaxe, CD‘ die Dehnungseurve. Die Zahlen 1, 2...10 bezeichnen die Werthe: der Abseissen, und die punktirten Linien a b,..h 'repräsentiren die Ordina! ten der Dehnung, . welche im >“ laufe der Zeit immer er werden. Nach dem Vorstehenden ist klar, dass ‘die Ordinate a der primären Dehnung entspricht, welche ich'zu berücksichtigen beabsichtigte. Ich hatte vorausgesetzt, dass die. Messung derselben. 'keine Schwierigkeiten machen 'würde!, fand aber bald, dass ich mich hierin getäuscht hatte. Die primäre Deh- nung ist der Definition zu Folge:diejenige Verlängerung des in Spannung versetzten Körpers, welehe stattfindet, wenn die Gegenwirkungen ‘der Blastieität' und Zugkraft zum‘'ersten Male sich ausgleichen. ‚Selbstverständlich lässt’ sich der Werth derselben nur ‘in’ so weit messen, ' als ‘die Lage des Aus- gleichungspunktes' in der’ Curve erkennbar ist." Nun‘'sind zwar die Lagen der Ausgleichungspunkte allerdings markirt, denn die Ausgleichung erfolgt in dem Momente der schnell# sten Schwingung, und das Maximum der Schwingungssehnelle giebt sich 'im »Gange ‘der Curve durch 'ein Maximum der Steilheit des Auf- oder Absteigens zu erkennen; 'indess 'sind diese Lagenbestimmungen nicht hinreichend genau, um brauch- bar zu sein. »Jene' Steilheit der Curve ist nämlich nicht'nur an sich sehwer zu schätzen, sondern noch überdiess ziemlich unzuverlässig, da’ alleFehler im Gange des keinen zo des Federhalters auf sie einwirken. Unter‘ diesen Umständen: habe: ich die Bericksiähiig der primären Dehnung vorläufig aufgegeben, und folgendes Verfahren vorgezogen. Ich messe die Dehnung, ‚nachdem die Oseillationen ihr Ende erreicht haben, in einer beliebi- gen Periode des Dehnungsprocesses, aber für sämmtliche in Vergleich zu stellenden Dehnungen in einer und derselben Periode. Mit anderen Worten, die unter. dem Einflusse ver- schiedener Gewichte entstandenen Dehnungen werden sämmt- lich für ein und dieselbe Abseisse bestimmt. Ich werde die Dauer der Zeit, während welcher die Gewichte wirken, in der Folge mit t bezeichnen, und in jeder Versuchsreihe ihrem Ueber die Elastieität der ‘organischen Gewebe. 299 Werthe. nach angeben. . Däbei. wird sich finden , (dass diese Werthe überall äusserst gering) sind, meist nur kleine Bruch- theile einer Seeunde. betragen, und demnach. zu Dehnungen gehören, welche von den Vorgängen, die W,Weber.als Nach- wirkung schildert, möglichst wenig ‚abhängen. Da ich die Dehnung fast unmittelbar ‚nach der Vornahme der Belastung gewinne, so bin ich.im Stande, das Gewicht schon nach Ablauf einiger 'Secunden | wieder. zu entfernen, und hiermit die unnatürliche Spannung, der Gewebe auf, das kürzeste! Zeitmaass: zu beschränken. Dies. hat den. grossen Nebenvortheil, ‚dass: in meinen Versuchen viel seltener jene Reckungen: der Gewebe eintreten, welche‘ meinen Vorgängern so’ viel'zu schafferi machten. In ‚mehreren meiner, Versuche hat sich die natürliche Form des untersuchten/Körpers gar nicht, in ‚den ‚meisten nur wenig verändert, obschon ‚die in Anwendung genommenen Belastungen 'bis-zu verhältnissmässig ansehnlichen Werthen gesteigert wurden. "" Bezüglich der Messungen ist zu bemerken, dass, ich diese mit Hülfe' eines Glasmikrometers: ausführe, welcher unmittel- bar auf die Zeichnung zu liegen kommt... -Die Glasplatte. ist mit zwei Liniensystemen versehen, welche, sich rechtwinklig kreuzen, und die Distanz der Theilstriche, beträgt. 0,5 Millim. Bei’ Bemutzung einer Lupe ‚lassen, sich Zehntel ‘unterscheiden; und man kann «daher Messungen. bis auf-!/;, Millim. ‚durch Schätzung ‚ausführen.. Bei der Grösse der Dehnungen und Dehbnungsunterschiede, welche ich. zu. messen hatte, war: die- ser Grad von'Genauigkeit, ausreichend, Endlich ‘verdient 'auch die Methode der Belastung, einer besonderen Erwähnung. Da meinem ‚Plane nach der Ein- fluss der Zeit auf.den Dehnungsvorgang ‚berücksichtigt, wer- den sollte, 80 musste das die Expansion bewirkende Gewiclıt vom ersten Moment an mit seiner ganzen Kraft ‚wirken. ‘Die Belastung musste also plötzlich vorgenommen werden, und es ständ zu besorgen, dass hierbei Stosskräfte in’s Spiel kom- men, und den regelmässigen Gang der Dehnung stören könn+ ten. ‚Zur Vermeidung dieses Uebelstandes habe ich folgende Vorkehrung ‚getroften. 300 A. W. Volkmann: Unter dem Häkchen, an’welchem das Gewicht angehan- gen wird, befindet sich ein kleiner Tisch, welcher sich in lothrechter Riehtung auf- und abschrauben lässt, und ‚dessen Platte nach dem Muster einer Fallthüre eingerichtet ist. ‚Im Eingange des Versuches wird der Tisch so hoch in-die Höhe geschraubt, dass der Henkel des Gewichtes, welches er trägt, die Höhe des Häkchens erreicht. Hierauf verbindet man den Henkel und das Häkchen so, dass beide genau in einander greifen, in der Weise also, dass die Zugkraft des Gewichtes vorläufig=0 ist, aber sofort in ihrer Totalität und ’ohne Con- eurrenz eines Stosses wirkt, wenn die Platte des Tisches: ihre Fallbewegung ausführt. Die Auslösung‘ der letzteren wird durch eine ‚Feder vermittelt, sobald der Beobachter auf die- selbe einen Druck ausübt. Ich werde nun die Resultate meiner Beobachtungen‘ in Tabellen zusammenstellen, und bemerke zum Verständniss derselben Folgendes. Die erste Columne giebt die Nummer des Versuches an, die zweite bezeichnet die Grösse des in Anwendung genommenen Gewichtes, die dritte die Grösse der beobachteten Dehnung, die vierte die Grösse der be- rechneten Dehnung. Mit dieser Berechnung hat es folgende Bewandtniss.: Man kann das Verhältniss, in welchem die Dehuungen mit Ver- mehrung der Gewichte wachsen, durch eine Linie anschau- lich machen, wenn man auf die Abseissen’ der Gewichte die Ordinaten der Dehnungen aufträgt. Wäre‘ richtig, was Wundt behauptet, dass die Dehnungen organischer Gewebe den Gewichten proportional ausfielen (in den Fällen wenig- stens, wo die Belastung innerhalb engerer' Grenzen verbliebe), so würde die hiermit gegebene Linie ein gerade sein. ‘Wenn dagegen die Dehnungen den Gewichten nicht‘ proportional sind, sondern langsamer zunehmen als diese, so: muss..die Linie, um welche es sich handelt, eine krumme sein, und muss ihre concave Seite der Abscissenaxe zuwenden. ''An- langend Wertheim, so glaubt derselbe nieht nur das Krumm- sein der Linie, sondern auch den gesetzlichen‘ Gang dersel- ben als Hyperbel constatirt zu haben. In diesem Falle müss- Ueber die Elastieität der organischen Gewebe. 301 ten «die Beobachtungen der ‚Formel y?=ax+bx? genügen, wenn man für y die beobachteten Dehnungen, und für x die benutzten: Gewichte substituirte. Diese Rechnung habe ich ausgeführt, und habe die Unterschiede zwischen den beob- achteten und berechneten Dehnungen in:der fünften Columne der Tabellen angegeben. Eine genaue Betrachtung der Dif- ferenzen wird zeigen, dass Beobachtung und Rechnung recht leidlich zusammen stimmen, nur ist bin den Muskelversuchen negativ, ein Beweis, dass man es hier nicht mit Hyperbeln, sondern mit Ellipsen zu thun habe. _ Beobachtungsreihe I. mit einem Seidenfaden. Der, in Anwendung genommene Coconfaden ist zwar un-+ gemein zart, aber doch kein elementarer, Seine Länge be- trägt 890 Millim., und bleibt bis, zum achten Versuche un- verändert,, , Erst bei Belastung mit 25 Grm. entstand eine Reckung von 1 Mm., welche auch nach; Entfernung des Ge- wichtes als bleibende Verlängerung übrig blieb: Die. Be- rechnung,der Coöfficienten in der von Wertheim benutzten Formel führte auf a=0,18 und b=0,17!), t=0,405“.2) Tabelle I. j Dehnung Versuch, || Belastung. | yeobachtet! berechnet | Differenz. Gramm. Millim. Millim. 1 2 1 1,02 —.0,02 2 4 1,85 1,36 — 0,01 3 6 2,75 2,68 || + 0,07 4 8 3,60 | 3,51 + 0,09 5 10 4,35 4,33 || + 0,02 6 15 6,5 6,40 | +0,1 a 7 20 8,4 8,46 || — 0,06 8 25 11,4 10,52 || +0,88 1) Bemerkt werde, dass bei Berechnung der Coöfficienten die Me- tlhode der kleinsten Quadrate nicht benutzt worden ist, daher die in der fünften Columne bemerkten Differenzen noch ein wenig zu gross sind. 2) Dass t die Zeitdauer des Dehnungsvorganges für sämmtliche 302 A. W. Volkmann: Die Dehnungen sind ohne Ausnahme kleiner, als’ sie nach Proportion. der Gewichte sein sollten.‘ Die Dehnungscurve entspricht merklich genug einer Hyperbel.' 'Nur’ der letzte Versuch fällt stark‘ aus der Reihe, worauf mit Bezug auf die eingetretene 'Reckung«kein: Gewiclitzu legen.' "Wird: ‚diese, im‘ Weerthe von 'L Mm. von .der'Dehnung abgezogen, 'sö ver- bleiben‘ für»letztere 10,4:Mm., wası mit: der iin wor: trefflich zusamnien stimmt. t j Beobachtungsreihe II, ;mit ‚einem, Menschenhaare. Die Versuche wurden mit einem Frauenhaar yon 180, Mm. Länge so angestellt, dass die Belastungen A ich, immer höher gesteigert, dann aber in'umgekehrter Reihenfolge ver- mindert wurden. Die ursprüngliche Länge des Haares ver- änderte sich hierbei nicht. 'In der nachstehenden Tabelle sind immer je zwei Versuche mit gleicher Belastung zur Herstellung eines Mittelwerthes benützt worden.‘ Bei 'An- hängung eines Gewichtes von 40 Gramm'’'gerieth der ‘Feder- halter in‘ Seitenschwankungen, "welche sich in "den Cürven ausdrückten, und die Messungen so unsicher machten "dass ich diesen Versuch verwerfen: musste. Die Rechnung ergab a = 0,030, b= 0,0023; Wr 0, Ba Tabelle ‚II, Dehnung Versuch. || Belastung. | beobachtet! berechnet | Differenz. Gramm. Millim. | Millim. 1 | 040 | 0,45 | -0,05 2 0,75 | 0,73 | +0,02 3 1,20 | 1,23 | - 0,03 4 1:7 1,72 | +0,05 Die Abnahme der Dehnungen ist wieder constant, und am Schlusse der Versuchsreihe sehr auffallend. haut zu ieiner. und. derselben’ Reihe ee Versuche we is schon bemerkt: worden, 1 j 1 Ueber die Elastieität der organischen Gewebe. 303 us Beobachtungsreihe III. mit Menschenhaaren. 'Zwei Haare werden mit Hülfe eines sogenannten Lein- weberknötens zusammengebunden, um durch ‘Verlängerung des Fadens ausgiebigere Dehnungen zu erzielen. Die Länge der Zusammengeknüpften Haare betrug 1,227 Meter, und er- hielt sich in allen Beobachtungen unverändert. Auch dies- mäl wurde jeder Versuch zweimal angestellt, indem die Ge- wichte erst in aufsteigender, dann in absteigender Reihe be- nützt würden. "Ih nachstehender Tabelle sind wiederum nur » a mittleren 'Werthe aus zwei sich entsprechenden Versuchen = gegeben. Ich erhielt a=0,1422, b=0,11; t=0, 432". u 65.0 \ Tabelle Lu, | Mm ERBE | Versuch. | Belastung. | beobachtet! berechnet | Differenz. Gramm! "'»Millim. | Millim. 1 yo Pig OB | - Di 2 4" 14,561 1,52 | 0,02 3-| 0.8 || 19980 | 2,80 0,00 a | ecya 1063345 350 || - 0,05 15 E05 | Ki | -6,14 20,6 16 5,50 | 3,50 0,00 5.9 20: 1706,68 6,80 - 0,12 8 30 1°10,60 | 10,16 | +0,44 '"Obsehon die relative‘ Abnahme der Dehnungen in ‘dieser Reihe. eine sehr geringfügige ist,' so dürfte‘doch' die Bestän: digkeit derselben (denn nur der zweite Versuch zeigt eine kleine mern 82) von RER sein. ul ill 508 ehpisibe w. mit einer Asteisiie, '" Nersuche über die 'Dehnbarkeit feuchter Gewebe! bieten Schwierigkeiten, indem'schon' geringe "Grade der 'Austrock+ nung beträchtliche Veränderungen’derselben bedingen. ‘Der Blastieitätscoöfficient wächst" mit der Verdunstung sehr rasch; und die Dehnungseurve nähert sich, nach Wiertheim!s An gabe, immer mehr einer geraden. Um diesen Störungen zu 304 A. W. Volkmann: begegnen, ‚habe ich folgendes Verfahren eingeschlagen. Wenn ich den lothrecht aufzuhängenden Körper an seinem oberen Ende anbinde, nehme ich in die Ligatur eine Anzahl nasser Baumwollenfäden mit auf, welche dieselbe Länge wie das Versuchsobjeet haben, und welche. dasselbe,, wie ein feuchter Mantel allseitig umgeben. Es scheint mir, dass dieses Ver- fahren als zweckdienlich und leicht ausführbar vor manchen anderen Empfehlung verdiene. Die Arterie, welche ich un- ‚ tersuchte, war,die Kopfschlagader eines Hundes, und hatte eine Länge von 72 Millim. , Doch erhob sich dieselbe, nach Anstellung ‚des vierten Versuches, bleibend auf 73 Millim. Die in der Tabelle notirten Dehnungen sind wieder Mittel- werthe aus zwei Beobachtungen. a=30, b = 1,5; t= 0,432". Tabelle IV. Dehnung Versuch. | Belastung. | }eobachtet) berechnet | Differenz. Gramm. Millim. | Millim. 1 4 10,7 12,0 — 13 2 6 15,25 15,29 || — 0,04 3 10 23,55 21,21 || + 2,34 4 15 29,15 28,06 | + 1,09 5 20 35,52 34,64 || + 0,88 6 25 40,75 41,08 || — 0,33 Nur der zweite ‘Versuch fällt! aus.der Reihe. Die’ Deh- nungen wächsen ‚sehr viel langsamer als; die Gewichte. Beobachtungsreihe V.an einem Nerven. Benutzt wird der Nervus vagus des Menschen. Die Länge desselben beträgt 136 Millim., steigt aber in Vers. 6 auf 136,3 Mm.,'und in Vers, 7. auf 136,8 Millim. Ein. Versuch mit 40 Gramm ‚Belastung, welcher: auffallend 'aus der Reihe: fällt, wird von: vorn' herein verworfen, und: also. bei’ Berechnung der ‚Co&fficienten. ‚nicht mit berücksichtigt. ‘Es findet sich a= 0,121, b= 0,0023. Der Werth von t ist leider nicht no- tirt worden. Isy Ueber die Elastieität der organischen Gewebe. 305 Tabelle V. | Dehnung Versuch. || Belastung, || eobachtet] berechnet || Differenz. Gramm. || Millim. | Millim. 1 5 0,83 0,82 . | + 0,01 2 10 1,03 1,20 — 0,17. 3 15 1,65 1,53 + 0,12 4 20 2,22 1,83 + 0,39 5 30 2,9 2,4 +0,1 6 50 3,0 3,4 0,4 7 60 BB) 3,9 — 0,4 Die unverhältnissmässig langsame Zunahme der Dehnun- gen ist sehr auffallend, dagegen ist die Uebereinstimmung zwischen Beobachtung und Rechnvng in diesem Falle keine befriedigende. Beobachtungsreihe VI. an einem Muskel. Benutzt wird der Zungenmuskel des Frosches., Seine Länge beträgt 32,8 Millim., und bleibt in allen Versuchen constant 1 dieselbe. a = 3,7;,b = — 0,015; t=0,162“, ll ) f Tabelle VI, Dehnung Versuch. Belastung. | yeobachtet berechnet || Differenz. Gramm. Millim.. | Millim. ® 1 2 2,65 2,71 — 0,06 2 4 3,90 3,81 +0,09 3 6 4,75 4,65 +0,1 4 8 5,40 5,39 + 0,05 bs 5 10 9,70 9,95 0,25 0 ıBeobachtungsreihe VIL an einem Muskel. " Benutzt wird der Zungenmuskel eines Frosches 'von 35 Millim, Länge, welche während der Dauer sämmtlicher Ver- 306 ) ) 1A W. Volkmann: suche nur einen Zuwachs von 0,5 Millim. erfährt. a = 7,05, b = - 0,074; = 0,27". Tabelle VII. Dehnung Versuch. || Belastung. beobachtet| berechnet Differenz. Gramm. | Millim. | Millim. A 1 PR) 2,64 | — 0,14 2 2 3,9 3,71 | + 0,10 3 4 5,6 5,19 | + 0,41 4 6 6,4 6,29 | +0,11 5 8 7,3 7,18 | + 0,12 6 10 8,0 7,94 | + 0,06 7 12 8,5 8,60 | — 0,10 8 16 9,5 9,68 — 0,18 9 2 | 105 | 10,60 | —0,10i 10 5 | 114 | 1140 | 0,00 Beobachtungsreihe VII. an einem Muskel. Der in Anwendung genommene Zungenmuskel des Fro- sches hatte anfänglich eine Länge von 34 Millim., verlängerte sich aber schon im ersten Versuche bleibend um 0,4 Millim. und allmälig um 1,19 Millim. Die Experimente wurden also unter dem Einflusse von Störungen veranstaltet, welche die Dehnungswerthe vergrösserten. Demohngeachtet nimmt das Verhältniss der Dehnung zur Spannung in auffallender Weise ab, worin ich nur einen neuen Beweis zu finden vermag, dass diese Abnahme eine nach den Molecularverhältnissen der organischen Körper unvermeidliche sei. Mit Rücksicht auf die Erfahrungen von Brix an Eisen- drähten, nahm ich an, dass jede Dehnung aus zwei Gliedern bestehe, deren eines von den elastischen Kräften abhängig, das andere; nämlich die: bleibende Verlängerung, von ihm unabhängig ‚sei.; Ich sonderte, also ‚beide, Glieder dadurch, dass ich von..der beobachteten Dehnung den, Werth ‚der, blei- benden Verlängerung abzog, und verlangte nun, dass der Ueber die Elastieität/der/orgänischen Gewebe. 307 Rest, als reine ‚elastische Dehnung, wieder dasjenige Ver- hältniss zur. Spannung erkennen lasse, welches.'den bisher angestellten: Versuchen. zufolge in der Formel y?=ax+ bx? seinen Ausdruck findet... Die Rechnung) ergab‘ a =10,19, b=-0,14; t=0,27'. In nachstehender Tabelle ist’die be- obachtete Dehnung mit.D’, die, durch 'Subtraetion der: blei- benden Verlängerung una elastische Dehnung aa D‘, die berechnete, Dehnung; mit-D'' bezeichnet. Tabelle, VI. j zer fm des! Dehnung ee RE D’ | D" D“ | DD“ >| Gramm. | Millim. || Millim. | Millim. | Millim. de a re 297 6,5 6,2 6,2 0,0 et Te 68.1 7 160,8 ee 7 u 84. | +02 Sb 7 a RE ER a Be a a 3 Ba JE OR ‘| BI 5,15 10,0 "00.. 1" 10,1 81 ie" | 35,15) 112. | 11,2 | 11,01 +02 8 zu, 35,15 | 12,0 | 11,96 | 12,1 |, - 0,14 win ee 2579 dsoDiei he Uebereinstimmung BR den biskacht teten und /bereclineten: elastischen Dehnungen ' unterstützt die Voraussetzung, von der wir‘ ausgingen, in hohem Maasse, und wacht wahrscheinlich, (dass: die bleibenden Verlängerungen, welche gedehnte ‚organische Gewebe erleiden; auf! Vorgängen beruhen, welehe innerhalb gewisser Grenzen das Spielder elastischen Kräfte nicht stören. Eine nachträgliche Erwähnung verdient noch der. Beiätiuich, dass. die Muskeln, an welchen ich! die drei letzten’ Versuche aristellte, aus eben getödteten Ebignon entnommen und-irri- tabel waren. Die, Zablider Versuche, ‚welche ich hiermit vorgelegt liahe, istikeine grosse, aber die Beobachtungen zeigen ‚unter ein- ander eine bemerkenswerthe Uebereinstimmung, 'und zeichnen 308 | A. W. Volkmann: sich‘ vor. den bisher angestellten dadurch vortheilhaft . aus, dass sie die verschiedenen Factoren der Dehnung, nämlich die Grösse und die Dauer der Belastung auseifiander hal- ten, und durch Ausgleichung des Zeiteinflusses die Wirkung der Gewichte anschaulich machen. Unter diesen Umständen dürfte es entscheidend sein, dass meine Versuche das von Wertheim und Weber erhaltene Resultat bestätigen, und zeigen, dass die Dehnungen or- ganischer Gewebe den Spannungen nicht propor- tional ausfallen. Vielmehr wird das Verhältniss der Deh- nung zur Spannung mit dem Anwachsen der letzteren immer kleiner,, Auch kann, den mitgetheilten Erfahrungen zu Folge, nicht behauptet werden, dass die Unbeständigkeit des Ver- hältnisses auf Ueberlastung der Gewebe, und folglich auf einem Ueberschreiten der Elastieitätsgrenze beruhe, da fast alle meine Beobachtungsreihen, wenn nicht ganz, doch zum grösseren Theile sich innerhalb dieser Grenzen halten, und, auch wo sie dies thun, den Mangel der Proportionalität zwi- schen Dehnung und Spannung bestimmt nachweisen. Anlangend die Beobachtungen von Wertheim und mir, so dürfte die Zuverlässigkeit derselben noch dadurch her- vorgehoben werden, dass die beobachteten und berechneten Dehnungen sich merklich nahe liegen. Denn wenn auch die Formel y?=ax'+bx? nur eine empirische ist, so beweist'doch die Anwendbarkeit derselben auf’ die gefundenen Dehnungen jedenfalls soviel, dass unter constanten Bedingungen 'gear- beitet wurde, und dass die hin und herschwankenden Beob- achtungsfehler und die zufälligen Störungen nicht bedeutend genug waren, um den Gang der Erscheinungen‘ wesentlich zu ändern, und die aus ihnen abgeleiteten Schlüsse zu ver- dächtigen. Das Gesetz, nach welchem in organischen Geweben das Verhältniss der Dehnung zur Spannung mit zunehmender Belastung abnimmt, erhält durch das Verhalten der über- lasteten Gewebe eine neue Stütze. Wenn man Körper, wel- che im engeren‘ Sinne elastische genannt werden, in dem Grade “belastet, "dass bleibende Verlängerungen eintreten, Ueber die Elastieität der organischen Gewebe, 309 und hierin besteht eben die Ueberlastung, so fallen die Deh- nungen grösser aus, als nach Proportion der Gewiehtszu- lagen erwartet werden dürfte, in organischen Geweben da- gegen fallen sie, unter denselben Umständen, kleiner aus, als sie sollten. Dieser auffallende Gegensatz im Verhalten beider beweist, dass die Reaction der organischen Moleküle gegen die Zugkraft ganz eigenthümlicher Art sei. Freilich ist die Dehnung, welche man bei Ueberlastung der Gewebe erhält, eine gefälschte, da aber die Grösse und Richtung des begangenen Fehlers offen vorliegen, so ist er unschädlich. Man weiss, dass überlastete Gewebe eine Reckung erfahren, und kann diese messen. Findet sich also, dass die Dehnun- gen, inel. dieser Reckungen, kleiner ausfallen, als sie nach Massgabe der vermehrten Belastung erwartet werden muss- ten, so ist der Schluss: das Verhältniss der Dehnung zur Belastung habe mit Zunahme der letzteren abgenommen, um 30 weniger angreifbar. Was nun die Angabe Wundt’s anlangt, ‘dass auch bei den organischen Geweben zwischen Dehnung und Spannung Proportionalität stattfinde, so stützt sich dieselbe" vorzugs- weise auf Versuche, welche mit Muskeln lebender Frösche angestellt wurden. In wie weit sie auf diese passe, muss ich dahin gestellt sein lassen, da ich hierüber keine Erfah- rungen besitze. Dass aber die Proportionalität zwischen Dehnung und Spannung auch unter den’ gewöhnlichen 'Um- ständen stattfinde und, wie Wundt angiebt, selbst bei der primären Dehnung sich merklich mache, kann ich nicht zu- geben. "Was die primäre Dehnung insbesondere betrifft, so war die von Wundt benutzte Experimentalmethode zur Unter- suchung derselben ungeeignet. Die beispielsweise angeführ- ten Fälle sind solche, wo die vom Gewichte abhängige Ver- längerung sehr bald nach der Belastung, d. h. sobald es die Umstände erlaubten, gemessen wurde, aber die Umstände erlaubten eben keine rechtzeitige Messung, Wundt mass die Dehnung an dem sich dehnenden Körper selbst, benutzte zum Ablesen der Masszahlen ein stark vergrösserndes Mi- Reichert» u, du Bois-Reymond's Archiv. 1859, Pr 310 A. W. Volkmann: kroskop, und musste also die Messung nothgedrungen bis zu dem Momente ‚verschieben, wo sie mit Bezug auf die stö- rende Bewegung der secundären Dehnung überhaupt aus- führbar war. Da nun das Mikroskop Grössen, und folglich auch Bewegungen, von !/soo Millim, zu erkennen gestattete, so ist die Messung sicherlich nie früher als '/, Minute nach der Belastung möglich gewesen, und muthmasslich viel spä- ter, während in meinen Versuchen die primäre Dehnung überall früher als '/,.“ nach der Belastung eintrat. Wundt hat damit, dass er die Dehnung möglichst bald nach der Belastung mass, nicht nur keinen Vortheil erreicht, sondern der Genauigkeit der Versuche sogar geschadet, denn er ope- rirte nun in einer Periode, wö sich der Einfluss der Zeit auf die Dehnung am meisten geltend macht. Unter diesen Umständen würden die von Wundt ausgeführten Messungen selbst dann nichts beweisen, wenn sie dem von ihm aufge- stellten Gesetze entsprächen, was übrigens nicht der Fall ist. In dem ersten der vier mitgetheilten Versuche (S. 30), wel- cher an einer Sehne angestellt ist, produceirt eine Belastung von 1 Gramm eine Verlängerung von 0,020 Millim., eine Be- lastung von 10 Gramm dagegen eine Verlängerung von 0,260 Millim. Demnach ist die Verlängerung im letzten Falle fast um '/, grösser, als sie sein sollte. Im vierten Versuche, bei welchem ein Muskel untersucht wurde, ist die Verlängerung, welche 1 Gramm hervorbringt = 0,060 Millim., dagegen die Verlängerung, welche 10 Gramm hervorbringen, =.0,480 Mil- lim., also '/, zu klein. ! Wundt meint, man sehe hieraus, dass innerhalb der Grenzen der hier angewendeten Belastungen die Verlänge- rungen den dehnenden Gewichten nahezu proportional seien, eine Meinung, der wohl Wenige beistimmen werden. Die Versuche sind unbrauchbar, weil sie sich widersprechen, und sie widersprechen sich, weil beim Bemessen der Dehnung nur der Factor des Gewichtes, nicht der Factor der Zeit in Anschlag gebracht wurde, Wundt hat also Versuche über primäre Dehnung gar, nicht angestellt, und eben so wenig Versuche über die defi- Ueber die Elastieität der organischen Gewebe. all nitive, indem es, wie er selbst angiebt, bei Untersuchung thierischer Gewebe nicht möglich ist, die endliche Dehnung abzuwarten.‘) Hieraus ergiebt sich, dass alle seine Ver- suche, ebenso wie die seiner Vorgänger, dem Einflusse der Nachdehnung ausgesetzt waren, und da in allen diesen Ver- suchen der Einfluss der Zeit auf die Dehnung nicht bestimmt worden, also für die Vergleichbarkeit der verschiedenen Fälle, aus welchen das Verhältniss zwischen Spannung und Deh- nung abgeleitet werden sollte, nicht gesorgt war, so sind Widersprüche in den Resultaten derselben an sich nicht auf- fallend. Unverständlich wäre nun, wenn diese Widersprüche sich überall in demselben Sinne geltend machten, so also, dass nach Versuchen von Wertheim und Weber das frag- liche Verhältniss constant durch eine Curve, nach den Er- fahrungen Wundt’s dagegen constant durch eine gerade Linie repräsentirt würde. Eine nähere Prüfung der Arbeit Wundt’s dürfte indess zu der Ueberzeugung führen, dass eine Schwierigkeit der Art nicht vorliege. Wundt selbst beobachtete Fälle, in wel- chen die Dehnung überaus viel langsamer zunahm, als die Belastung, da aber die Gewebe, an denen er operirte, eine bleibende Verlängerung erlitten, so glaubte er von denselben absehen zu müssen (S. 31). Er benutzt daher bei seinen Versuchen auch nur sehr kleine Gewichte, meistens solche, welche innerhalb der Grenzen von 1 und 10 Gramm liegen, eine Beschränkung, die um so bedenklicher sein dürfte, als die zur Untersuchung dienenden Gewebe ausser diesen Ge- wichten noch eine Waagschale und eine Scala von 7 Grm, Schwere zu tragen hätten. Soll entschieden werden, ob Wertheim Recht hatte, die Progression der Dehnungen durch eine Hyperbel zu repräsentiren, so ist unzulässig einen kleinen Theil der Linie zu prüfen, und noch unzulässiger, 1) Von Interesse erscheint mir eine Erfahrung Knoblauch’s, Derselbe wollte die definitive Dehnung eines Seidenfadens ermitteln, brach aber die Versuche, nachdem sie mehrere Monate fortgesetzt wor- den waren, ab, da die Verlängerung unablässig abnahm. 21* ‘ 312. ‚sd A.:W. Volkmann: ı sich auf, Prüfung‘ desjenigen Theiles derselben zu‘ beschrän- ken, welcher sich dem asymptotisch, verlaufenden Ende nä- hert, Beide Umstände verstecken nämlich den Gang ‚der Curve, und begünstigen den Schein der Geradlinigkeit. Wundt giebt ausdrücklich zu, dass das von ihm verthei- digte Gesetz der Proportionalität nur innerhalb enger Gren- zen der Belastung gelte (S. 31), übersieht aber, dass ein Ge- setz von so ausserordentlicher Beschränkung wie dass seinige von vorn herein einigen Verdacht erregt, und nur durch den exactesten Nachweis seiner Uebereinstimmung mit den That- sachen erwiesen werden könnte. Ein derartiger Nachweis ist nicht gegeben. ' Die als Dehnungswerthe angeführten Zahlen, schwanken nach den entgegengesetzten Seiten. sehr bedeutend. Ich habe. bereits oben auf zwei derartige Fälle aufmerksam gemacht, wo es sich um die Frage handelte, ob auch bei momentaner Dehnung das Gesetz der Proportiona- lität sich geltend mache. Die, beiden angeführten Fälle sind aber nicht die einzigen, welche vorliegen. Man vergleiche in diesem Bezuge die beiden längsten Versuchsreihen des an- geführten Werkes S. 25 u. 26. Ein ‚menschliches Haar von 1285 Millim, Te verlän- gert: sich. bei Belastung mit 1 Gramm binnen ;l Minute um! 0,58 Millim. Es sollte sich also bei Belastung: mit.6 Gramm in derselben Zeit um 0,53.6 = 3,48 Millim, verlängern. Es verlängert sich aber nur; um 2,74 Millim., also um 0,74 oder /; weniger, als es mit Rücksicht auf Proportionalität sollte: In dem zweiten Hauptversuche verlängert sich eine Vene durch Belastung mit 10. Gramm: definitiv um 3,62 Millim, Nun sollte sich dieselbe durch Belastung mit 20 Gramm.de- finitiv. um 3,62-2= 7,24 Millim. verlängern, statt ‚dessen ge- winnt sie eine Maximalverlängerung. von: 10,22.Millim,, also beinahe um die Hälfte mehr, als sie der Proportionalität gemäss solltee Wundt hat bei Berechnung der Tabelle (S. 29) ganz andere, und zu seiner Ansicht passendere Zahlen gefunden, die mir unverständlich geblieben sind. Der Satz: dass innerhalb engerer Grenzen der Belastung die Dehnung organischer Gewebe der Spannung entspreche,, Ueber die Elastieität der organischen Gewebe. 313 ist also durch Wundt’s Beobachtungen nicht erwiesen, viel- mehr ergiebt sich aus allen meinen Versuchen, auch wo sie sich innerhalb jener engen Grenzen verhalten, dass die Deh- nung mit Zunahme der Spannung abnehme. Die Behauptung aber, dass nur Versuche innerhalb jener engen Grenzen zu- lässig, und namentlich alle Fälle, wo eine bleibende Verlän- gerung der Gewebe eintritt, unbrauchbar seien, muss schon insofern Bedenken erregen, als nach Wundt’s eigener An- gabe Elästieitätsgrenzen im strengeren Wortsinne gar nicht existiren. Auch bei den kleinsten Belastungen soll man blei- bende Verlängerungen beobachten, wenn nur die Messinstru- mente fein. genug sind, sie wahrzunehmen ($. 39). Ist dies richtig, so hat man nur die Wahl, ob man die elastischen Kräfte den organischen Geweben ganz abspreehen, oder die Vereinbarkeit gewisser bleibender Verlängerungen mit dem Begriffe der Blastieität einräumen wolle, Die Wahl scheint nicht schwierig. Brix hat durch Dehnungsversuche an Ei- sendrähten erwiesen, dass bleibende Verlängerungen vor- kommen, welche das gesetzliche Wirken der elastischen Kräfte nieht aufheben. Die Dehnung ist in solchen Fällen zu betrachten, als ob sie aus zwei Theilen' bestände, von denen der eine, ebenso wie in den Grenzen der vollkomme- nen Elastieität, der spannenden Kraft proportional ist, wäh- rend der andere Theil, welcher sich als eine bleibende Reckung darstellt, in einem viel grösseren Verhältnisse zunimmt. Die beobachtete Eigenschaft des Eisendrahtes, innerhalb gewisser Grenzen bleibende Reckungen ohne Störung der Cohäsion anzunehmen, nennt Brix die Verschiebbarkeit und bemerkt, dass sie neben der vollkommenen Elastieität bestehe, ohne dieselbe zu stören, oder ihr eine Grenze zu setzen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Verhältnisse sich in den or- ganischen Geweben wiederfinden, besonders da mein-achter Versuch ausdrücklich auf sie hinweist. 314 W. Kühne: Ueber Muskelzuckungen ohne Betheiligung der Nerven. Von ' Dr. W. Künne, Das allgemeine Interesse, welches man augenblicklich der Irritabilitätsfrage schenkt, sowie der Umstand, dass noch neuerdings entschiedene Zweifel gegen die Existenz einer selbständigen Reizbarkeit der Muskelfaser aufgetaucht sind, mögen der vorstehenden Mittheilung zur Rechtfertigung die- nen, da dieselbe geeignet sein dürfte, den Beweis zu liefern, dass eine grosse Zahl von ganz verschiedenen Einflüssen ausschliesslich und unmittelbar die contractile Substanz zur Zuckung bestimmt, während dieselben jeder erregenden Ein- . wirkung auf die darin eingebetteten Nerven entbehren. Ich habe in einem vor Kurzem publieirten Aufsatze über die chemische Reizung der Muskeln und Nerven gezeigt, dass der Muskel selbst bei directer Reizung sehr energisch gegen die meisten chemischen Agentien reagirt, dass dagegen die Nervenstämme sich in dieser Beziehung als weit weniger oder gar nicht erregbar gegen dieselben Körper erweisen, und ich habe aus diesen Thatsachen den gewiss nicht unbil- ligen Schluss gezogen, dass es naturgemässer sei, schon hieraus allein die eigenthümliche Irritabilität der Muskeln, als eine nicht zu umgehende Voraussetzung ‚abzuleiten, da ja offenbar die ganze Irritabilitätsfrage nur deshalb aufge- worfen werden konnte, weil man eine vollständige Uebereinstim- mung der Muskeln und Nerven gegenüber sämmtlichen erre- genden Einflüssen vermuthete. So wenig es heute noch Je- mandem einfallen sollte, dem Muskel die Fähigkeit abzuleug- Ueber Muskelzuckungen ohne Betheiligung der Nerven. 315 nen, wenigstens für einen Reiz, nämlich für den seines er- regten Nerven empfänglich, also irritabel zu sein, eben so sehr ist es aber auch zum Bedürfniss geworden, ein Mittel zu besitzen, das uns in den Stand setzt, bei jeder directen Muskelreizung zu entscheiden, ob der intramuseulare Nerv die ursprüngliche Veranlassung der erfolgten Zuckung ge- wesen sei, oder ob der Muskel selbständig die Reizung durch die eigenthümliche Art seiner Reaction beantwortet habe. Um in dieser Beziehung einen Schritt weiter zu gehen, wur- den alle jene directen Muskelreize, welche auf den Nerven- stamm ohne Wirkung sind, auch bei solchen Muskeln ange- wendet, deren Nerven dem eigenthümlichen Einflusse des Curara ausgesetzt waren, und es hatte sich bei diesen Versuchen herausgestellt, dass die mit dem Pfeilgifte vergifteten Mus- keln hinsichtlich ihrer Reizbarkeit keinerlei Verschiedenheiten im Vergleich zu gesunden Muskeln darbieten. Da vor der Hand indessen nicht abzusehen ist, wie es gelingen könne, den Nachweis zu führen, dass das Curara wirklich auch die alleräussersten Endigungen der motorischen Nerven im In- neren der Primitivbündel ihrer physiologischen Eigenschaften beraubt, da vielmehr einer der wichtigsten Versuche, welcher den Beginn der Vergiftung als in den äussersten peripheri- schen Ausbreitungen des Nerven gelegen, darzuthun beab- sichtigt, durch die neuen Untersuchungen von Funke (Siehe die Verhandlungen d. k. sächs. Gesellsch. 1859.) viel von seiner Beweiskraft eingebüsst hat, so schien es mir um so mehr geboten, mich nach einer anderen Methode umzusehen, welche es mit grösserer Sicherheit erlaubt, die letzten Spitzen der Nerven wirklich in einen Zustand zu versetzen, in wel- chem sie als unerregbar angesehen werden können. Va- lentin und Eckhard haben uns nun in dem constanten Strom ein Mittel kennen gelehrt, das diesen Anforderungen genügt, und die neuesten Untersuchungen von Pflüger (8. d. Physiologie des Elektrotonus von E. Pflüger) über die- sen Gegenstand haben jener Methode eine solche Sicherheit gegeben, dass ich nicht anstehe, die auf diesem Wege von mir erhaltenen Resultate der Oeffentlichkeit zu übergeben. 316 W. Kühne: Jeder constante Strom, welcher. irgend eine Strecke des motorischen Nerven durchfliesst, setzt die. Erregbarkeit des- selben in allen, zur Seite der, positiven Elektrode. gelegenen Puukten ‚herab, man findet also indem Falle, 'wo.der Strom aufsteigend ist, die unterhalb gelegene Strecke des Nerven in ihrer ‚ganzen Ausbreitung, folglich auch.bis an ihre letz- ten, intramuseularen Spitzen hin minder erregbar als: vorher. In‘ wie, weit ‚sich‘ diese, Abnahme der. Erregbarkeit auf die im Muskel-gelegenen, Theile des Nerven erstreckt, ist durch Eckhard’s Untersuchungen ‚bekamnt. . Ein: Muskel bedarf bei direeter Reizung einer stärkeren. elektrischen. Erregung um ‚in Zuckung; zu gerathen, wenn ‚sein Nerv der Wirkung des aufsteigenden constanten Stromes unterliegt, als: vorher, wo. derselbe sich in seinem natürlichen Zustande‘ befand. In dieser Form kann der Versuch nun leider schon wegen ‚des bezeichneten Erfolges keinen Aufschluss darüber geben, ob bei der vorgenommenen directen Reizung, entweder‘der Mus kel allein, oder nur sein Nerv, oder, beide zusammen durch dasselbe Mittel erregt worden seien. ‚Es muss daher dem Versuche eine andere Form; gegeben werden, ‚und zwar der Art, ‚dass direete Reizung |mittelst eines Erregers ausgeübt wird, welcher ,.den Nerven womöglich gar nicht triflt.. Die grosse ‚Variation, welche mau, der chemischen Reizung er- theilen kann dadurch, dass man unter, der ungeheuren Zahl chemischer Agentien passend auswählt, ‚bezeichnet diese Me- thode als die günstigste, welche schliesslich zum gewünschten Ziele führen musste. Es, lässt sich aus einer Andeutung Eckhard's, bereits ‚entnehmen, welcher Erfolg davon zu erwarten sei, einer Andeutung, die aber ‘bisher mehr als Warnung in der. Geschichte der Irritabilitätsfrage figurirte, da die chemische Erregung schon in. ihrer Entstehung der unnatürlichen ‚Annahme der ‚Nichtexistenz der Muskelirrita- bilität gefährlich.zu werden drohte. , Wir. verschieben jedoch die, Zurückweisung jener Warnung auf den Schluss ‚dieser Mittheilung, ‚um, hier sogleich zur Darstellung unserer Ver- suche, überzugehen. Es ist mir kein Muskel bekannt, welcher‘ für alle direeten: Ueber Muskelzuckungen ohne Betheiligung der Nerven. 317 Reizversuche‘ günstiger wäre, als der in meiner Mittheilung über chemische Reizung aufgeführte Museulus sartorius (C u v.) des Frosches. Die Art und Weise seiner Präparation und seiner Verwendung ist dort bereits beschrieben, es bleibt mir hier nur übrig, seine Benutzung für den vorliegenden Zweck genauer zu erörtern.‘ Unsere Aufgabe besteht darin, den- selben erstens durch Anlegung irgend eines Querschnittes für einen chemischen Reiz zugänglich zu machen, und zwei- tens darin, seinen Nerven dem Einflusse des eonstanten-Stro- mes auszusetzen. Der Nerv ist nun unglücklicher Weise so dünn, dass es ganz besonderer Vorsichtsmassregeln bedarf, um diesen Versuch auszuführen, und die erste Bedingung welche wir dazu erfüllen müssen, ist die, den Muskel’ ganz unversehrt mit einem binlänglich grossen Stück seines Ner- ‚ven zu isoliren. Auf folgende Weise wird dieses erreicht. Nachdem die Schenkel des Frosches enthäutet sind, schneide man den Fuss im Gelenke ab, entferne sodann von dem Unterschenkel alle Muskeln und Weichtheile bis auf den seh- nigen Ausatz des Sartorius. Hierauf durchsteche man mit einer spitzen Scheere das Kniegelenk, lasse die Sehne ‘des Sartorius auf der stumpfen Seite des Scheerenblattes ruhen, “und durchschneide nun das ganze Gelenk, wodurch man eine knöcherne Handhabe des gewünschten Muskels gewinnt, mit- telst welcher man denselben, ohne ihn zu berühren, in jede beliebige Lage bringen kann. ‘Ist dies geschehen, so führe man ein Blatt einer anderen vorn abgestumpften Scheere längs seiner äusseren Kante so unter den Muskel hin, dass man ihn durch einen einzigen Schnitt auf dieser Seite von seinem unteren Ansatze bis zu seinem oberen Ursprunge am Os ilium von seiner ganzen Unterlage abtrennt. Bis soweit hat die Präparation keine Schwierigkeiten, grössere Vorsicht muss dagegen angewendet‘ werden, wo es sich um die Iso- lation des kleinen zarten Nerven handelt, welcher am inne- ren Rande in Begleitung einer‘ Arterie und einer Vene’ in die untere Hälfte des Muskels eintritt. Man schneide daher den letzteren durch einen senkrecht auf die Richtung seiner Fasern geführten Schnitt hart am Os ilium ab, was leicht in 318 W. Kühne: der Art bewerkstelligt werden kann, dass nur die hier 'be- findliehe äusserst kurze Sehne durchschnitten wird, ohne dass ein einziges Primitivbündel dabei verletzt zu werden braucht. Indem man das Präparat nun umkehrt, kann man jetzt auch den inneren Rand des Muskels von allen Anhef- tungen befreien, mit alleiniger Schonung der Eintrittsstelle des Nerven; hierauf lege man das obere Muskelende durch Umbiegen an das untere Ende an, und fasse das ganze Prä- parat bei dem Unterschenkelknochen, um so die Präparation des Nerven zu beginnen. Der Nerv des Sartorius trennt sich erst vom Stamme des Ischiadicus, wo dieser die Becken- höhle verlässt, und bis hierher muss man ihn mindestens präpariren, um eine genügend lange Strecke für die Anstel- lung des Versuches zu besitzen. Zu seiner Isolirung ge- nügt es, die Muskelgruppe der Adductoren vorsichtig aus-. einander zu zerren, wodurch man über seinen Verlauf voll- ständig orientirt sein wird, die bezeichneten Muskeln rund um den Nerven herum abzuschneiden, und hierauf denselben mit einigem Geschick aus seiner Umgebung von unten nach oben fortschreitend allmälig auszuschälen. Ist man bis zum Stamme des Ischiadieus vorgedrungen, so schneide man die- sen in einem etwas höher gelegenen Punkte ab, fasse dann ein anderes unterhalb der Austrittsstelle unseres Nerven be- findliches Stück mit der Pincette, und ziehe, nachdem auch dieses abgeschnitten, den Nerven damit aus seiner Umgebung heraus. Damit ist die Operation beendet. Das Gelingen der mühsamen Arbeit wird schliesslieh dadurch bewiesen, dass jede Reizung am äussersten Ende des Ischiadieus Zuckungen im Sartorius veranlasst. Der Nerv, um welchen es sich handelt, zählt kaum 30—40 Primitivfasern, er ist dem Zerreissen oder Vertrocknen sehr leicht ausgesetzt. Um letzteren beiden Uebelständen vorzubeugen, lasse man ihn während der Operation niemals an irgend einer Stelle schwe- ben, sondern stets auf der mit Blut möglichst feucht erhal- tenen. Muskelunterlage ruhen. Zum Glück ist die ihn be- gleitende Arterie mit Pigment umgeben, was die Arbeit un- gemein erleichtert. Ist letzteres nicht der Fall, so entzieht Ueber Muskelzuckungen ohne Betheiligung der Nerven. 319 sich der Verlauf des Nerven dem Auge so leicht, dass man kaum anders als im directen Sonnenlicht die Präparation wird vollenden können. Obgleich man anfänglich manchen Frosch umsonst schlachten muss, gelingt es aber später nach einiger Uebung doch, ein solches Präparat in weniger als 2 Minuten anzufertigen. Der Apparat dessen ich mich bediente, um den Nerven dem aufsteigenden constanten Strome und den Muskel einem chemischen Erreger zugänglich zu machen, ist sehr einfach. Er besteht im Wesentlichen aus zwei Theilen: Einem Stativ, an welchem der Unterschenkelknochen mittelst einer Klemme befestigt werden kann, und aus einer stromzuführenden Vor- richtung, welche mittelst eines anderen Stativ’s gehalten, nach Einschaltung eines Kugelgelenkes in jede beliebige Lage zu dem senkrecht herabhängenden Muskel gebracht werden kann. Als Elektroden verwende ich zwei Zinkdrähte, welche quer durch das untere Ende einer Rinne von Guttapercha gestossen sind, und welche etwa 5 Millim. constant von ein- ander entfernt bleiben. Beide Dräthe befinden sich dicht an der äussersten etwas zugespitzten Oeffnung der Rinne, welche für den Versuch bis nahe an die Mitte des inneren scharfen Randes des Muskels gerückt wird. Ist Alles in Bereitschaft, so wird der Nerv des Sartorius, welcher bisher zur Scho- nung dicht an seinem Muskel anlag, in die Rinne gezogen, und mittelst einer feinen Pinselspitze über die auf dem Bo- den derselben befindlichen Zinkelektroden gebrückt. Der obere Schlitz der Rinne wird sodann, um den Nerven wäh- rend der Dauer des Versuchs vor Vertrocknung zu schützen, mit einem Streifen in Froschblut getränkten Fliesspapiers gedeckt. Nerv und Muskel sind nun hergerichtet und zwar #0, dass sich ersterer in einer zum Muskel senkrecht gerich- teten Lage befindet. Damit er aber auf den Elektroden un- verrückbar liegen bleibe, muss der Muskel um etwa 2 Millim. von der Mündung der Rinne entfernt, und so tief gestellt werden, dass das frei schwebende Nervenstück bei der Zuckung ein wenig mitgehoben werden kann, ohne dem zwi- schen den Elektroden befindlichen Theile auch nur die ge- 320 W. Kühne: ringste Bewegung mittheilen zu können. Die 'Kette, deren eonstanter Strom den Nerven in aufsteigender Richtung durchfliesst, besteht aus vier Grove’schen Elementen‘ der kleinen von du Bois-Reymond angegebenen Art. Zur Bequemlichkeit ist zwischen den Leitungsdräthen eine Pohl’- sche Wippe und ein Quecksilbernapf: eingeschaltet, erstere um ‚dem Strom für Gegenversuche eine andere Richtung zu geben, letzterer, um Schliessung und Oeffnung nach Belie- ben 'zu vollziehen. | Wir überzeugen uns nun zunächst von der Wirkung des aufsteigenden Stromes auf die Erregbarkeit der intramuseu- laren Nervenendigungen, wozu wir uns vorläufig der direeten elektrischen Muskelreizung bedienen. Der Muskel hängt ver- kehrt mit seinem oberen Ende nach unten gerichtet herab, und: wir' legen ihm daher jetzt an einem beliebigen Punkte seines mittleren unterhalb der Eintrittsstelle des Nerven gelegenen Dritttheils die beiden auf 2 Millim. einander. ge- näherten Drahtelektroden der: seeundären Spirale des du Bois-Reymond’schen Schlitten -Magnetelektromotors an, Sowie nun dem constanten Strome der Weg zum Nerven geöffnet wird, zeigt sich sogleich, dass die seeundäre Spirale des In- ductionsapparates der primären bedeutend weiter genähert werden muss, als vorher, um Tetanus zu bewirken, : Den- selben Erfolg bemerkt man auch sofort, wenn der Inductions- apparat mit einem einfachen Grove’schen Element vertauscht wird, das wir nach Einschaltung eines zur Nebenschliessung angeordneten Rheochords als direeten Muskelerreger verwen- deten.!) Nach Schluss der Kette für den Nerven: erzeugt Schliessung und Oeffnung des für den Muskel bestimmten Stromes, dem wir ebenfalls die aufsteigende Richtung geben, keine Zuckung mehr bei derjenigen Stellung des Rheochord- schiebers, bei welcher zuvor gerade noch Contractionen auf- traten. Die-Länge des eingeschalteten Neusilberdrahtes muss 1) Eine Beschreibung der Einrichtung find des Gebrauchs des hier verwendeten Rheochords siehe bei Pflüger, Physiologie des Elektro- touus, S. 121, Ueber Muskelzuckungen ohne Betheiligung der Nerven. 321 bedeutend vermehrt werden, um jetzt den Muskel zum Zucken zu bringen. Um jeden Einwand im Voraus zu beseitigen, der gegen die nachfolgenden Versuche gemacht werden könnte, sei ferner erwähnt, dass erstens beim Hereinbrechen des Stromes in den Nerven fast niemals Schliessungszuckung, sondern durchgängig nur Oeffnungszuckung beobachtet wurde, dass zweitens während der Dauer des Stromes der Muskel vollständig in Ruhe bleibt, und dass drittens weder die An- legung eines metallischen Bogens an irgend welcher beliebi- gen Stelle des Muskels, noch die Berührung mit einer nicht erregenden Flüssigkeit jemals die geringsten Zuckungen ver- anlasste, wodurch die Vermuthung irgend welcher durch die Methode selbst herbeigeführter. wesentlicher‘ Veränderungen im Kreise der. Ströme als unberechtigt zurückgewiesen wer- den kann. Wir sind also nach diessn Vorbereitungen in der’ Lage, den Muskel einem chemischen Reize» auszusetzen, während sein Nerv gleichzeitig durch ‚den aufsteigenden‘ constanten Strom gelähmt wird. Durch: Eintauchen des einen Leitungs- drabtes der Grove'schen Kette in-das Quecksilbernäpfehen wird der Kreis geschlossen. Der Muskel bleibt in Rulie; keine Schliessungszuckung. Mit einer scharfen Sceheere wird hierauf so rasch als: möglich 'ein Quersehnitt an dem’ aller- unterstein.Ende des Muskels angelegt, wodurch: im günstig- sten Falle eine rasche und kräftige Zuckung entsteht, nich deren Beendigung der Muskel abermals. in den erschlafften - Zustand zurücksinkt. Jetzt nähern wir. der durch den’Quer- schnitt entblössten contraetilen Masse ein Gefäss mit mässig verdünnter Salz- oder Salpetersäure, und. sowie die Berüh- rung mit dem Spiegel der Säure erfolgt ist, verläuft momen- tan mit nieht zu. schätzender Geschwindigkeit eine einmalige kräftige Zuckung) über die ganze Länge des Muskels, worauf derselbe von neuem zur Ruhe zurückkehrt. ' Die Kette wird geößnet, und durch die jetzt erfolgende Oehluungszuckung ist. der Versuch beendet. Ohne Ausnalune gelingt‘ derselbe in dieser Weise, ‚wenn Nerv und. Muskel bei. Präparation gar wicht: gelitten. Vorber und nachher kann män sich durch Buy W. Kühne: die elektrische Reizung überzeugen so oft als man will, dass dennoch die Erregbarkeit des Organs durch den Elektroto- nus des Nerven beträchtlich gesunken- ist. Begreiflicher Weise ist es nun von vorwiegendem In- teresse, zunächst diejenigen Körper zu studiren, welche vor- zugsweise den Muskel erregen, ohne von dem Nervenstamme aus dieselben Erscheinungen auszulösen, da bei diesen eben die Vermuthung nahe liegt, dass sie geeignet seien, die Frage zu entscheiden, ob sie etwa auf die intramusceularen Nerven- enden statt auf den Muskel direct wirkten, ob also der Nerv bei seinem Eintritt in die Primitivbündel seinen chemischen Bau vollkommen ändert. Wir wenden uns deshalb zunächst wieder zu den Mineralsäuren. Salzsäure und Salpetersäure wirken nur in sehr concentrirtem Zustande auf die Nerven- stämme, während sie selbst noch bei tausendfacher Verdün- nung den Muskel erregen. Ich habe nun vor Allem die Salzsäure auch bei solchen Muskeln verwendet, deren Ner- ven durch den constanten Strom gelähmt waren, und dabei gefunden, dass in der That durch den letzteren Umstand nicht der geringste Unterschied in der Erregbarkeit des Mus- kels bewirkt wird. Salzsäure von 4 pCt., sowie dieselbe Säure in allen Concentrationsgraden bis zu einem Gehalte von 1 Theil HCl auf 1000 Theile Wasser hinab erzeugt bei mo- mentaner Berührung mit dem Muskelquerschnitt Zuckungen, welche durch die einfache Beobachtung von keiner anderen Muskelcontraction unterschieden werden können, auch in allen denjenigen Fällen, wo die Abnahme der Erregbarkeit des Muskels gegenüber elektrischer Reizung auf die oben be- schriebene Weise constatirt werden konnte. Die Zuckung tritt momentan sofort bei Berührung des Querschnitts mit der Säure ein, verläuft ferner über den ganzen Muskel von einem Ende bis zum anderen, und tritt mit derselben Sicher- heit ein durch eine tausendfach verdünnte, wie durch eine mässig concentrirte Säure. Die Wirkung der Alkalien. Wässrige Lösungen von Kali oder Natron erregen sowohl den Nerven als den Mus- kel selbst bei einer Verdünnung bis zu 0,1 pCt., und zwar Ueber Muskelzuckungen ohne Betheiligung der Nerven. 323 treten Zuckungen meist leichter ein, wenn die äusserst ver- dünnte Lösung auf den Nerven, als wenn sie auf den Mus- kel applieirt wird. Ich hatte gehofft, durch die Ausschliessung der Nerven mittelst constanter Ströme einige Aufklärung über dies so sonderbare Verhalten erlangen zu können. Meine Erwartungen wurden aber getäuscht, da sich die gleiche Unregelmässigkeit der bei sehr verdünnten Lösungen erhaltenen Resultate auch an solchen Muskeln zeigte, welche durch den Elektrotonus ihrer Nerven vorübergehend beraubt waren. Indessen habe ich auch häufig die Zuckungen an diesen Muskeln eintreten sehen durch Kalilauge von 0,1 pCt. Durch eine Lösung von 0,4 und" 0,3 pCt. entstehen dieselben aber jedes Mal, und zwar ganz so wie bei allen anderen Muskeln.') Das Kalkwasser, das auf die motorischen Ner- ven niemals erregend wirkt, aber ebenfalls für den Muskel ein kräftiger Erreger ist, zeigt ganz dieselbe Wirkung auch bei den Muskeln, deren Nerveneinfluss durch die angegebene Methode beseitigt wurde. ‚Eine andere Base, das Ammoniak, welches niemals den motorischen Nerven in den Zustand der Erregung versetzt, veranlasst einen Muskel unter allen Umständen schon durch die bei gewöhnlicher Temperatur entweichenden Dämpfe an- fänglich zu stossweisen Zuckungen, welche später in wahren TDetanus übergehen. Alle diese Erscheinungen treten nun auch hier in derselben Weise ein, wo die Umstände eine Abnahme der Erregbarkeit vermuthen lassen sollten, und ich habe bei Beobachtung aller erörterten Vorsichtsmassregeln den Tetanus durch Ammoniakdämpfe 3—4 Mal an ein und demselben Muskel eintreten und nach Entfernung des Reizes wieder verschwinden sehen, ohne dass durch den im Nerven — on 1) Die Unregelmässigkeit erklärt sich vielleicht dadurch, dass die verdünnten Lösungen an der Oberfläche sehr rasch in kohlensaure Lösungen verwandelt werden, und dass der meist tiefer eingetauchte Nerv mehr von den tieferen Schichten, welche noch kaustisches Kali im Ueberschuss enthielten, empfing, während der Muskel durch das Zurüekfahren bei der Berührung mit der Oberfläche an einer erfolg- reichen Berührung mit den ätzenden Schichten verhindert wurde. 391 W. Kühne: kreisenden Strom irgend eine Abnahme jener auffälligen Er- scheinungen hätte bewirkt werden können. Dies sind ‘die nackten Resultate meiner Versuche, und ich erlaube mir jetzt denselben eine Folgerung hinzufügen, welche uns mit Nothwendigkeit zum Beweise der Muskel- irritabilität zu führen scheint. So lange die Modificationen der Erregbarkeit des motorischen Nerven in diesem Sinne angewendet werden, bestehen gegen die Zulässigkeit und.die Beweisfähigkeit der direeten Reizversuche am Muskel zwei Bedenken, welche beide von Eckhard selbst aufgeworfen sind. Das erste liegt in der, Annahme, dass die Verminde- rung der Erregbarkeit durch den aufsteigenden constanten Strom sich nicht allein auf den Nerven beschränke, sondern von diesem auf den Muskel übergehe, ein Umstand, der al- lerdings, im Falle er wirklich stattfände, dieser Methode alle Anwendbarkeit zur Entscheiduyg der Irritabilitätsfrage neh- men würde. Eckhard hat nun allerdings durch seine Ver- suche diese Annahme keineswegs beseitigen können, wir wollen derselben aber trotzdem keinen zu grossen Werth beilegen, da wir uns nach den eben mitgetheilten Versuchen ganz der von Pflüger (Physiologie des Elektrotonus, 'S. 35 u. 36) erörterten Anschauung anschliessen können, wonach ein Zustand der Ruhe im. Nerven nicht mit Nothwendigkeit “ auch den gleichen Zustand im Muskel bedingen müsse, und wir brauchen hier nur wieder daran zu.erinnern, 'dass selbst diejenigen Reize, welche jedenfalls zu den allergeringsten Veränderungen gehören , die einen erregenden Einfluss aus- zuüben vermögen, wie z. B. die Benetzung des Muskelquer- schnittes mit tausendfach verdünnter Salzsäure, einen Muskel zum Zucken bringen, dessen Nerv in den Zustand des Elek- trotonus durch den aufsteigenden Strom versetzt war. Ge- genüber dieser Thatsache kaun es wohl nicht mehr bezwei- felt werden, dass der Muskel selbst durch den letzteren Umstand nicht merklich an Erregbarkeit verloren haben konnte. — Das zweite Bedenken, das aber von ungleich grösse- rer Wichtigkeit ist, besteht in der Zulässigkeit der chemi- schen Reizung überhaupt. In Bezug hierauf bin ich indessen D Ueber Muskelzuckungen ohne Betheiligung der Nerven. 325 so glücklich, zuvörderst direct aufi die Versuche Pflüger’s verweisen zu können (a.a. O.), aus welchen hervorgeht, dass die Veränderungen der Erregbarkeit eines Nerven durch con- stante Ströme nicht bloss für die elektrischen Reize in Be- tracht kommen, sondern ganz ebenso auch für die chemi- schen. Pflüger hat gezeigt, dass gerade die durch die Reizung des motorischen Nerven mittelst Chlornatrium be- wirkten Zuckungen vielleicht noch klarer und einleuchtender die verschiedenen Abstufungen der Erregbarkeit zur Erschei- nung. bringen, und dass der den Nerven durchfliessende Strom bei aufsteigender Richtung auch jede tiefer liegende Strecke der Art beherrscht, dass der durch Kochsalz be- wirkte Tetanus augenblicklich dadurch aufgehoben werden kann. Es dürfte also über die Zulässigkeit der chemischen Erreger unter den in Rede stehenden Bedingungen gar kein Zweifel mehr obwalten, wenn nicht dagegen immer noch das Bedenken erhoben werden könnte, dass die grössere Mehr- zahl chemischer Körper, welche.sich erregender Wirkungen erfreut, zugleich so beschaffen seien, dass sie den Nerven sehr rasch zerstören, mithin jede Strecke des Nerven unter- halb der der direeten Erregung ausgesetzten sehr bald dem Einflusse des lähmenden Stromes damit entzogen werden könnte. Für das Kochsalz, das gebräuchlichste chemische Reizmittel, findet dies nun wirklich statt, aber, was wohl zu bedenken ist, erst nach einer ziemlich langen Zeit, während welcher der Nerv allerdings durch den chemischen Eingriff seine Continuität verliert. Eckhard ist daher nicht ganz im Unrecht, wenn er glaubt, dass die Zuckungen eines mit Na €1 Lösung benetzten Muskels während der Dauer des im Nerven aufsteigend fliessenden Stromes nicht unbedingt von ausschliesslicher Reizung der contractilen Substanz her- zurühren brauchen, und wenn er voraussetzt, dass dieser Versuch die Muskelirritabilität schwerlich ausser Zweifel zu setzen vermöchte. Ich glaube annehmen zu dürfen, dass die chemische Reizung der Muskeln bisher und auch wohl nicht von Eckhard in der von mir beschriebenen Weise versucht Beichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1859. 22 326 «u ’; We Kühne: 1 15dsJ worden list, «und: ich glaube. daher hier: die. Competenz| .der- selben: um:so mehr in Schutz nehmen) zu, müssen, uni v Es ist natürlieh vor allen ‚Dingen nothwendig,' den Ver- lauf der Nerven in einem dem Versuche (dienenden ‘Muskel so, genau wie möglich zu’ kennen, ‚und: glücklieher Weise bietet ‚der von mir verwendete Muse. sartorius des Frosches dazu eine, vortreffliche''Gelegenheit,, da derselbe bei: kleinen nicht ‚über! 2, und 3 Centimeter \messenden Thieren ‚seiner ganzen ‚Ausdehnung nach mikroskopisch / untersucht werden kann. Maän sieht an solehen ‚durch HCl von ‚0,1, pCt.. fast glasartig durchsiehtig' gemachten Muskeln. das Nervenstämm- chen etwas unter, der Mitte des inneren Randes rechtwinklig zum ‚Verlauf, der Primitiybündel eintreten, und gleich darauf sich so theilen, dass zwei stärkere Aeste schräg nach! aussen, oben sowohl: wie unten, nach beiden: entgegensetzten; Enden abgehen. Verfölgt man nun diese Nervenäste weiter, so sieht man, wie die ‚einzelnen, Primitivfasern allmälig ‚auseinander treten, ‚oberhalb der Nerveneintrittsstelle, ungefähr in der geo- metrischen Mitte des Muskels, bisweilen noch wieder zu Plexus sich. vereinigen, ‚daun aber unter zahlreichen dichotomischen und, triehotomischen Theilungen sich nach und nach dem Auge entziehen. , Die Fasern scheinen ferner ausserhalb‘ des Sarkolemms niemals: weiter zu gehen, als etwa bis Beginn des oberen undunteren Achtels des Muskels, so dass. die beiden äussersten-Enden, desselben immer für ‚die Länge von einigen: Millimetern gar keine Nerven mehr zu enthalten schei- nen. Mit Sicherheit lässt sich an diesen. Theilen ‚des Mus- kels ‚entscheiden, ‚dass wenigstens ausserhalb. der! Primitiv- bündel keine Nerven mehr existiren. Reizt man also| einen Muskel, indem man. nur auf/den tief unter der ‚Gegend, wo die Nervenröhren sich theilen, gelegenen ‚Querschnitt, eine chemische Substanz, applieirt, so ist,es kaum zu. bezweifeln, dass dieselbe, falls sie für den Nerven erregende Eigenschaf- ten besitzt, fast das äusserste, wahre intramusculare Ende desselben, trifft... Setzen wir nun den Fall, dass der chemi- sche Reiz wirklich,‘ wie Eckhard meint, sogleich diesen Nerven abätze, so wird doch dazu jedenfalls einige Zeit er- Ueber Muskelzuckungen ohne Betheiligung der Nerven. 397 forderlich sein, zumal wenn der Vorgang so vollständig er- folgen sollte, dass dieses Nervenstück ganz von seinem cen- tralen Zusagmenhang abgelöst würde, Wie man sieht, könnte dies nun recht gut so sein, ohne dass unsere Versuche alle Beweiskraft verlören, da ja das abgeätzte Nervenstück gar kein Organ mehr besässe, um seine flüchtige Erregung zu äussern, indem es ja gerade so gut durch die Aetzung auch allen Zusammenhang mit der contractilen Substanz verlieren könnte, Die weitere Widerlegung dieser Ansicht würde uns eben dahin führen, Hypothesen als unriehtig zu bezeichnen, welche bis jetzt zum Glück noch von Keinem im Ernste ge- macht worden sind, wie z.B. die, dass der im Inneren des Primitivbündels befindliche Nerv am äussersten Ende des- selben schlingenförmig umbiege, denn nur so dürfte vielleicht die Eekhard’sche Ansicht zu retten sein. Dieser Mühe glaube ich mich daher überheben zu können. Es wäre eine Absurdität zu denken, dass eine so wenig ätzende Flüssig- keit, wie Salzsäure im Zustande tausendfacher Verdünnung, bei momentaner Berührung mit dem Muskelquerschnitt erst den Nerven von seinem Zusammenhange mit dem obe- ren Theile abfresse, dann das glücklich erbeutete Stückchen in den Zustand der Erregung versetze, und auf diesem Wege momentan bei der flüchtigsten Berührung eine Zuckung in der galzen Länge und Breite des Muskels bewirke. Ich stehe somit nicht an, die aufgeführten Versuche als einen schla- genden Beweis für die Existenz der Muskelirritabilität zu be- zeichnen, oder besser gesagt, für eine von der Reizbarkeit der Nerven chemisch differente und selbständige Erregbarkeit der Muskelfaser, welche gerade in dem chemisch verschie- denen Bau der beiden Organe ihre Erklärung finden muss, Nach diesen Erörterungen ist es nicht, überflüssig, noch einige Versuche anzuführen, welche freilich nichts wesentlich Neues zu diesem Schlusse mehr hinzufügen können, welche ‚aber die von der Abnahme der Erregbarkeit des Nerven durch den aufsteigenden constauten Strom unabhängig er- zeugten Muskelcontractionen noch weiter beleuchten werden. Die Umständlichkeit der Präparation und die Schwierigkeiten, " 22* 328 W. Kühne: so zierliche Organe, wie den Sartorius mit seinem Nerven, längere Zeit für einen Versuch zu conserviren, bringt es mit sich, dass ohne Aufwand einer übermässigen Zt nicht alle jene Reizversuche wiederholt werden konnten, deren Resul- tate ich in meiner früheren Mittheilung über chemische Rei- zung publieirt habe. Ich kann daher hier nur noch hinzu- fügen, dass alle Flüssigkeiten, welche ich untersucht habe, und von denen mir die erregenden Fähigkeiten aus früheren Beobachtungen schon bekannt waren, in gleicher Weise auch erregend auf die Muskeln mit gelähmten Nerven wirkten. So erzeugten Lösungen von Chlornatrium, von schwefelsau- rem Kupferoxyd, von Chlorcaleium oder von verdünntem Gly- cerin Zuckungen, welche ich den von gewöhnlichen Muskeln erhaltenen ganz zur Seite stellen möchte. Flüssigkeiten, welche bei momentaner Berührung mit dem Muskelquerschnitt keine Zuckungen erzeugen, also z. B. destillirtes Wasser, sind natürlich auch ohne Wirkung für den Sartorius, dessen Nerv durch den Strom gelähmt wird. Aus Wittich’s Un- tersuchungen ist es bekannt, dass das destillirte Wasser aber bei längerer Einwirkung Zuckungen erzeugt, und Schiff hat darüber (Schiff, s. Lehrbuch d. Physiologie) bemerkt, dass dieselben von einer Erregung des Nerven herrührten, da sie durch die Anwendung des constanten Stromes besei- tigt werden könnten. In der Form, in welcher ich den Ver- such angestellt, nämlich beim Eintauchen einer längeren un- terhalb des Nerven-Eintritts gelegenen Strecke des Sartorius in destillirtes Wasser, habe ich indessen niemals das Re- sultat bestätigen können. Nach einiger Zeit begann der Mus- kel sich zu contrahiren, und wenn ich dann die Kette für den Nerven schloss, erfolgte niemals Ruhe, sondern die Zuckungen blieben nach wie vor bestehen. Bei Oeffnung der Kette markirte sich dann die Oeffnungszuckung sehr scharf von den schwächeren durch die allmälige Einwirkung des Wassers erzeugten fibrillären Contractionen. Ich muss da- her in diesem Punkte Wittich beistimmen, dass die durch Wasser hervorgerufenen Zuckungen zum Theil gewiss aus einer directen Muskelreizung abgeleitet werden müssen, bei es. a Ueber Muskelzuckungen ohne Betheiligung der Nerven. 329 welcher die Nerven unbetheiligt sind. Ob dagegen letzteres bei Injectionen des Wassers in die Blutgefässe doch statt- finden könnte, mag vorläufig unermittelt ‚bleiben. Ausser den durch künstliche chemische Reizung | hervor- tretenden Erscheinungen giebt es, wie mir scheint, übrigens noch eine ganze Anzahl sogenannter spontaner Muskelzuckun- gen, welche durch irgend eine in der Muskelsubstanz selbst liegende, sei es durch Absterben oder durch mechanische Misshandlungen bei der Präparation bewirkte Veränderung begründet sind. Man beobachtet namentlich im: Winter, dass Froschschenkel plötzlich nach Durchschneidung ihrer Nerven in den heftigsten Tetanus gerathen,') welcher einige Zeit an- hält, um später ein Präparat von sehr geringer Erregbarkeit zu hinterlassen. In den allermeisten Fällen kann der so entstandene Te- tanus nun augenblicklich entfernt werden, wenn der Nerv von einem starken aufsteigenden eonstanten Strome durch- fNlossen wird; ich habe aber oft gesehen, dass diese Zuckun- gen auch unzweifelhaft in den Muskeln ohne Vermittelung des Nerven spontan entstanden, da dieselben selbst bei An- wendung sehr kräftiger Ströme und bei einer Anordnung, in welcher der Nerv dicht hinter der oberen negativen Elek- trode abgeschnitten war, in unverminderter Energie bestehen blieben. Der Muskel kann also auch ohne künstliche Mittel unabhängig von seinem in ihm liegenden Nervenin Zuckung verfallen, was ich hier schon darum erwähnen möchte, um darauf aufmerksam zu machen, dass die selbständige Reizbarkeit der Muskelfaser auch bei nicht direct darauf gerichteten Untersuchungen wohl berücksichtigt zu werden verdient. Wie erwähnt, hat Pflüger den Beweis geliefert, dass die lähmende Wirkung des constanten Stromes auch der chemi- schen Reizung des Nervenstammes, einerlei an welchem Orte » r 9) Die Erscheinungen sind, soweit sie von Veränderungen im Nerven herrühren, auch von Pflüger sehr naturgetreu geschildert worden, 8, a. a. O. $. 134. 330 W. Kühne: sie angebracht wird, ihren Einflussnimmt. Ich bin so glücklich; einen Versuch anführen zu können, welcher dasselbe Gesetz auch für die letzten Ausbreitungen der Primitivfaser im Mus- kel darthut. Um Zuckungen durch den Strom verschwinden zu sehen, welche durch directe Reizung des 'Gemisches von Muskel und Nerv erzeugt sind, bedarf es selbstverständlich eines Erregers, welcher nur das eine Glied dieser Combi- nation, nämlich nur den Nerven erregt, nicht aber den Mus- kel. Erregte der Körper beide, so hätte man eine Zuckung aus doppeltem Grunde, man dürfte also nicht erwarten, durch die blosse Beobachtung den Ausfall der einen Bedingung, nämlich die Eliminirung' des Nerven wahrzunehmen, da der Muskel eben fortfahren würde, gegen den ihm selbst zukom- menden Reiz zu reagiren. Bis jetzt habe ich erst Eine Flüs- sigkeit auffinden können, welche wohl den intramuscularen Nerven, nicht aber den Muskel selbst in den erregten Zu- stand versetzt. Es ist das eoncentrirte Glycerin, das, wie ich gezeigt habe, vom Nerven aus: den heftigsten Tetamus erzeugt, beim Eintauchen des unteren Muskelquerschnittes aber niemals Zuckungen hervorruft. 'Taucht man den Muse. sartorius hingegen mit einem etwa 3—4 Millim. über seinem äussersten oberen Ende 'angelegten Querschnitt in coneentrir- tes Glycerin ein, so sieht man denselben nach einiger Zeit in Zuckungen gerathen, was von weiter dem Ende zu gele- genen Querschnitten aus, also (bei umgekehrter senkrecht herabhängender Lage) bei tiefer gelegenen Punkten, selbst nach stundenlanger Berührung niemals geschieht, aus Gründen, deren Mittheilung ich mir für eine andere Gele&enheit vor- behalte. Hier kommt es nur auf die andere Thatsache ‚an, dass der weiter vom Ursprunge am Os ilium gelegene: Quer- schnitt ohne Ausnahme durch eoncentrirtes Glycerin. erregt werden kann, Die Zuckungen, welche dort entstehen, rühren nun unzweifelhaft von der Erregung der intramuseularen Nerven her, und zwar ohne alle direete Betheiligung der eontractilen Substanz selbst, was durch folgenden Versuch erwiesen wird. Man richte, wie oben beschrieben, einen. Sartorius mit Ueber Müskelzuckungen ‚ohne! Betlieiligung der Nerven’’ 331 seinem‘Nerven her, lege etwa 4 Millim. ‚oberhalb; des nach unten herabhängenden Endes den; Querschnitt an, 'und.lasse diesen die Oberfläche, des Glycerins berühren. Anfangs bleibt alles in Ruhe, nach: einiger ‘Zeit ‚aber. sieht man: ‚fibrilläre Zuckungen eintreten, ganz im!Gegenisatze zu) der (die ganze Länge und Breite, kurz alle Dimensionen: des Muskels gleich- zeitig ergreifenden Zuckung, welche durch andere chemische Reize, z.B. durch verdünnte Salzsäure, entsteht. Sobald! diese Contraetionen beginnen, ; schliesse man: den Strom ‚für den Nerven, und augenblicklieh ‚wird man.den Muskel zur! Ruhe zurückkehren sehen. ‚Nach 'Oeffnung des‘'Stromes entsteht die Oefinungszuekung, ‚welcher sofort die durch das Glyee+ rin bewirkten nachfolgen. Dieselben' verstärken sich mit'der Zeit immer mehr; ‚der Muskel, welcher änfänglich nur ein leises. Flimmern zeigte, biegt sich zuckend: bald nach links, bald nach rechts, geräth (dann seiner ‚ganzen ‚Breite nach: in eine tanzende Bewegung, um schliesslich: in wahren Tetanus zu verfallen, und so in den Zustand. der Starre überzugehen; Dass die, gleich nach der. Oeffnungszuckung 'ändauernden Contractionen nichts mit dem Ritter’schen (Oefinungs-) Te- tanus gemein haben, erhellt erstens daraus, dass sie auch ohne Anwendung des Stromes, also bei jeder Form des Ver- suches erscheinen, und zweitens daraus, dass die Dauer der Ströme in dem Nerven niemals in allen «meinen. Versuchen 50. weit ausgedehnt werden konnte,: um. jenen Tetanus ‚zur Erscheinung kommen zu'lässen, da ich anderen. Falls ‚hätte fürchten, müssen, meinen ‘verzweifelt dünnen Neryen. durch das Umsichgreifen der electrolytischen Zersetzung sehr bald zu vernichten. Der Glycerin-Tetanus kann indessen nicht bis zu Ende durch den Strom beseitigt werden, da nach: Ver: lauf einer Minute in der That das einzutreten; ‚scheint, was Eckhard. so leicht über die-Muskelirritabilität.. hinweghalf, nämlich eine Zerstörung des Nerven, welche einzelne. ‚peri- pherische Enden wirklich der ‚Einwirkung (des Stromes, ent- zieht, Nie tritt ‚aber dieser, Umstand sogleich 'ein, bisweilen 80gär erst nach mehreren Minuten, wodurch ‚die Annahme derselben experimentellen Calamität 'bei momentan‘ nach. der 332 W. Kühne: Ueber Muskelzuckungen ohne Betheiligung u. s. w. Reiznng erfolgender einmaliger Zuckung in eine noch viel bedenklichere Position geräth., Dass der. bezeichnete Um- stand übrigens für alle momentan auf den Muskelquerschnitt wirkenden vorher beschriebenen Reize ganz ohne Belang ist, erhellt ferner’ daraus, dass alle jene Körper denselben Erfolg während der Nervenlähmung durch den Strom bewirken, wenn sie an einem beliebigen einerlei ob hoch oder tief unterhalb der Nerveneintrittsstelle gelegenen Querschnitt ap- plieirt werden, in Fällen also, wo die reizende Substanz sehr verschiedenartige Combinationen von Muskel‘ und Nerv: in einer Fläche antreffen musste. Gleichzeitig wird damit noch ferner erklärt, dass weiter nach dem centralen Ende des Nerven an einem weniger peripherischen Stück desselben die lähmende Wirkung des constanten Stromes ebenfalls nicht auf den Muskel übergeht, und durch die Uebereinstimmung sämmtlicher an allen verschiedenen Querschnitten gewonne- ner Resultate tritt es dann deutlich zu Tage, dass die Un- terschiede der Entfernung der Nervenenden von der unmit- telbar durchflossenen Strecke für die gewählte Stromstärke von gar keiner wesentlichen Bedeutung sein können, dass mithin in allen Versuchen wirklich auch die letzten äusser- sten peripherischen Ausbreitungen des motorischen Nerven leistungsunfähig gemacht worden seien. Wir glauben darum jetzt unbedenklich behaupten zu dür- fen, dass der constante aufsteigende Strom bei seinem Durch- gange durch den Nerven ohne Einfluss auf die Erregbarkeit des Muskels selbst ist, dass derselbe vielmehr nur die Ner- ven, diese aber bis an ihre äussersten Spitzen unerregbar macht, und dass der so von allem Nerveneinfluss be- freite Muskel irritabel, nämlich für mehrere che- mische Einflüsse selbständig reizbar sei.‘ Ebenso unzweideutig glauben wir hinzufügen zu können, dass der Muskel die Erregung auch ohne Nerven-Vermittelung von Querschnitt zu Querschnitt seiner eigenen Substanz über- trägt, dass also local beschränkte Contraetionen innerhalb der Länge eines Primitivbündels bei unversehrten Muskeln niemals stattfinden, und dass der Muskel offenbar mit dem C. Strahl: Eine Missbildung am Flusskrebs. 333 Nerven jene merkwürdige Eigenschaft der Leitungsfähigkeit theilt, welche die Bewegung und Empfindung vermittelnden Apparate des Thierleibes so scharf von allen übrigen Ein- richtungen: sondert. Zum Schlusse ergreife ich mit Vergnügen die: Gelegen- heit, dem Herrn Claude Bernard öffentlich meinen Dank zu sagen für die freundliche Ueberlassung eines Laborato- riums, in welchem die obige Untersuchung ausgeführt wurde. Paris, den 9. März 1859. Eine Missbildung am Flusskrebs, beobachtet von Dr. ©. STRAHL. Die Membran, welche den Eingang in den Fortsatz oder das Tuberculum des Isten Basalgliedes der äusseren Fühler schliesst, ist lange Zeit als T'ympanum und der dahinter lie- gende häutige mit Flüssigkeit erfüllte Sack als Gehörsack, beide zusammen also als das Gehörorgan angesehen worden, bis in neuester Zeit Zweifel dagegen erhoben und das Ge- hörorgan anderweit aufgesucht worden ist. " Das Tympanum ist aber keine geschlossene, einem Trom- melfell vergleichbare Membran, sondern hat in ihrer 'Mitte eine durch Muskulatur verschliessbare Oeffnung, die freilich bei unserem Flusskrebs wegen der überdies noch ungünsti- gen Lage und wegen ihrer Kleinheit leicht übersehen wird. Es gelingt aber mit einiger Uebung ein menschliches Kopf- haar in dieselbe einzuführen. Bei anderen verwandten lang- schwänzigen Dekapoden ist diese Oeffnung leichter zu sehen, z.B. beim Hummer, bei Nephrops, wo das Tuberculum kür- zer ist und das Tympanum mehr parallel mit der Bauchflä- che des Thieres und nicht so ungünstig auf der hinteren Fläche des Tuberculum (Flusskrebs) "liegt. Ausser allem 334 0. »0,,8trahl: Zweifel uud schon mit blossem 'Auge sichtbar ist,‚aber:die Oeffnung. bei Palinurus. vulgaris, ;wo ‚sie in Rue Exemplaren einen. fast 1” langen Schlitz bildet. I, 1... Vermittelst einer Schweinsborste dringt man bei den er- wähnten' grösseren, Krebsen in den häutigen Canal, welcher, mit‘klarer Flüssigkeit: erfüllt, ‚das ‚Innere des Tuberculum auskleidet und. im weiteren Verlauf mit’ dem Gehörsack in Zusammenhang steht. i Es liegt nirgend in der Litteratur eine Beobachtung vor, wo in dem präsumirten Gehörsack enge gesehen wor- den wären. Brandt aber (Med. Zool. II, S. 64) führt an, dass die Gehörblase durch einige kurze Ausführungsgänge mit Succow’s apfelgrüner Drüse zusammenhänge und das Secret derselben aufnehme. Eine.Abbildung über diesen Zu- sammenhang oder anderweite Begründung desselben hat er nicht gegeben. Dennoch ist der Zusammenhang eine richtige Thatsache. Bereits im Jahre 1848 ist es mir einigemal un- ter vielen verunglückten Versuchen gelungen, mit Lauth’s, Lymphinjectionsapparat von: der Oeffnung- des Tympanum' aus den Gehörsack mit, Quecksilber zu erfüllen. und. bis in die Windungen ‚des grünen Organs 'einzudringen, Es bildet also Succow’s Drüse, der Gehörsack der Autoren und das Tym- panum ‚mit, seiner, Oeffnung) eine zusammengehörende. Orga+ nisation, und. zwar einen Absonderungsapparat, ‚dessen Natur freilich noch im Dunkel liegt. Haeckel (Müll. Archiv 1857. S. 551), der auch mündliche Mittheiluugen. von meiner Seite über diesen Gegenstand 'ge- macht hat, deutet: ihn geradezu als Harnorgan, namentlich auf Angaben Neuwyler’s fussend. Zenker (Wiegm. Archiv 1854 S. 94) führt von) mehreren: Krustern. analoge nach aus- sen, mündende Absonderungsorgane an. ',Ebenda 'S. 38. be+ schreibt er.Drüsenorgane der Ostracoden als Milz, die, ex mit Drüsen, der 'Cytheren parallelisirt und als Giftdrüsen deu- tet, Genug.es. herrscht vollständiges Dunkel über ‚die Func- tion) ‚dieser Absonderungsapparate, ‚mit deren, Untersuchung auch ich mich schon länger vergeblich beschäftigt habe. »Die.in untenstehender Abbildung ‚dargestellte Missbildung Eine Missbildung am Flusskrebs. 335 habe ieh unter 1500 Flusskrebsen dreimal zu beobachten Ge- legenheit gehabt. Während in dem untersten ‚Basalglied des äusseren Fühlers der einen Seite ‚das Tubereulum auditivum 0 vorhanden ist, fehlt es in dem entsprechenden Gliede: der anderen Seite 0'. (Die Abbildung ist nach einer Photogra- phie gefertigt.) Gleichzeitig, und dies -ist ein anatomischer Beweis für den Zusammenhang. der ‚oben genannten einzel- nen Organe und für ‘die Nothwendigkeit des Zusammenfas- sens derselben als einen Absonderungsapparat, fehlen mit dem äusseren Tubereulum und seinem Tympanum ‚innerlich auf derselben ‚Seite der Gehörsack mit seinem Fortsatz im Tubereulum und Suecow’s Drüse. "Einmal habe ich auch gesehen, dass ein Tubereulum einer Seite, wahrscheinlich durch äussere Eingriffe, verletzt und verkrüppelt imit'Atro- phie der Drüse Succow’s derselben Seite vergesellschaftet war. Im letzten Falle und auch bei dem gänzlichen Fehlen des Absonderungsorganes der einen Seite war die Drüse Suecow’s der anderen Seite immer entsprechend vergrössert. Der Absonderungsapparat scheint sonach in einem wesent- 336 C. Strahl:'Eine Missbildung am Flusskrebs. lichen Verhältniss zur Stoffmetamorphose zu stehen; und viel- leicht müssen durch ihn gewisse Stoffe behufs der Erhaltung des Organismus ausgeführt werden, In dieser Richtung von mir angestellte Versuche 'haben fast eine Bestätigung geliefert. Verkleben der Tympanal- öffnungen durch Collodium, Asphaltlack etc. erwies sich er- folglos, weil die Bewegungen der Palpen den angewandten Kitt in wenigen Tagen entfernten. Schnitt ich diese Organe so kurz ab, dass sie nicht mehr das Tuberculum erreichen konnten, so verschwand doch in wenigen Tagen der ange- wandte Kitt, undj die Krebse lebten in der sie gefangen haltenden Reuse im freien fliessenden Wasser und bei hinreichender Ernährung mit todten Fischen noch Wochen lang, als wenn ihnen nichts geschehen wäre. Ich schritt nun zur mechanischen Zerstörung des Tubereulum, soweit es über seiner Basis hervorragt, mittelst der Scheere und sah, wenn ich beide Tubereula zerstörte, stets den Tod bin- nen 11 bis 12 Tage erfolgen, während unberührte Krebse in derselben Reuse, also unter gleichen äusseren Lebensbe- dingungen munter fortlebten. Atrophie der Drüse Succow’s konnte ich nicht bemerken, auch schien der sogenannte Ge- hörsack nicht überfüllt. Eine so gering scheinende Verletzung kann man wohl nicht als die Todesursache. bei Thieren an- sehen,"die viel grössere Verletzungen ohne Schaden ertragen, Sicher aber erfolgte der Tod immer nach dieser Operation in der angegebenen Frist, wie ich mich mehrfach: und zu wiederholten Malen überzeugte. Ob dennoch vielleicht Or- ganisationsveränderungen in der betreffenden Drüse eintreten, hoffe ich in diesem Jahre zu erledigen, da im vorigen durch die ' vielfach ‘wiederholten vergeblichen Versuche‘ viel Zeit verstrich, und ich erst spät zu dem oben angeführten siche- ren Resultat gelangte. j A. Baur: Ueber d,fibrilläre Beschaffenheit d. Bindesubstanzgebilde 337 Ueber die fibrilläre Beschaffenheit der Bindesub- stanzgebilde (Sehne, Cornea) und ihre Beziehung zur Bindegewebsfrage. Von Dr. ALBERT Baur. In neuester Zeit sind aus dem Wiener physiologischen Institut eine‘ Reihe von Untersuchungen über die Struetur des Bindegewebes und über das Gefüge der Cornea veröf- fentlicht worden. Der Verfasser der beiden in den Sitzungs- berichten der Wiener Akademie der Wissenschaften erschie- nenen Aufsätze (Untersuchungen über die Struetur des Binde- gewebes. Von Dr. A. Rollett. Wien. 1858"und: Ueber das Gefüge der Substantia propria Corneae. Wien. 1859) hat sich zur Aufgabe gemacht, die alte Faserlehre gegenüber der neueren von Reichert zuerst vertretenen Auffassung 'des Bindegewebes ‘wieder in ihre Rechte einzusetzen. Die 'Hi- stologie wäre hiernach genöthigt, auf einige chemische mi- kroskopische Beobachtungen hin, eine Anschauung "zu 'ver- lassen, welche methodisch auf Grund einer Vergleichung des gesammten Materials gewonnen wurde, und auf einen Punkt zurückzukehren, den man mit Recht für einen überwundenen halten konnte. Ehe sich die Wissenschaft entschliesst, einen solchen offenbaren Rückschritt zu thun, und einen Standpunkt aufzugeben, dem sie die wichtigsten Aufklärungen verdankt, dürfte es gerechtfertigt sein, die Argumente, welche Rol- lett zu einem Angriff gegen die Reichert’sche Auffassung ‚des Bindegewebes benützen zu können glaubte, einer Prü- füng auf ihre Stichhaltigkeit zu unterziehen; es ist dies um #0 mehr Pflicht, als in der Rollett’schen Schrift eben jene 338 A. Baur: i j 'g Auffassung durch — sei es absichtliche oder unabsichtliche — Ignorirung der wesentlichsten Punkte eine völlige Entstellung erfahren hat. Rollett hielt es nicht für zweckmässig, die Gründe für und wider die beiden Ansichten, welche er allein für gut fand, einander gegenüber zu stellen, nämlich die alte noch. von, Hienle vertheidigte Faserlehre und die Reichert’: sche Erklärung der Fibrillen noch einmal abzuwägen, er setzt voraus, durch seine Beobachtungen die Controverse vielmehr einfach geschlichtet zu haben. Um seine einzelnen Beweise prüfen zu können, halten wir es für nötbig, mit einigen Worten auf die Entwickelung und den jetzigen Stand der Bindegewebsfrage hinzuweisen. Die Frage, um deren Be- antwortung es sich handelt, bestimmt zu stellen, ist die erste Bedingung einer ‚unbefangenen. Untersuchung. Die Bindegewebsfrage hat, seit sie auf mikroskopischem Gebiet sich bewegt, verschiedene Wandlungen durchgemacht. Der Fortschritt, welcher darin zu erkennen, besteht weniger in positiven Resultaten, als in der Trennung des Wesentli- chen. vom. Unwesentlichen, in der bestimmteren Formulirung der. streitigen Punkte. Nach der alten Lehre ist das Binde- gewebe zusammengesetzt aus Fasern, welche ein Formelement des ‚Körpers repräsentiren,; so gut: wie eine Muskel- oder Nervenfaser. Als Schwann den Grund zu einer genetischen Charakteristik der Gewebe legte, suchte er eben diese Lehre genetisch zu begründen, indem ‚er die, Fasern ‚des, Bindege- webes aus einer Metamorphose von Zellen ableitete. Die ersten gegründeten Einwürfe, gegen diese Auffassung erho- ben. zu haben, ist Reichert’s Verdienst. Er wies nach, dass nicht die Faser es ist, welche den Character des Ge- webes constituirt, sondern das Auftreten einer Grundsubstanz in einer Zellenanlage, welche urspünglich in allen Fällen ho- mogen ist, ‚später eben so gut homogen wie; gestreift und spaltbar, .d. h. fibrillär sein kann. Dieses positive Resultat war auf genetischem; Wege gewonnen worden, nur von hier aus; wäre es anzugreifen gewesen; ‚denn der Werth der ge- netischen Methode in der Histologie ist seit Schwann wohl ein allgemein: anerkannter. Die Fibrillen, welche man von Ueber die fibrilläre Beschaffenheit d. Bindegewebesubstanz u. s.w. 339 jeher sah, mussten aber erklärt ‘werden, wie’ — das’ istseit+ her einei Frage für 'sich..-Ob die Reichert’sche' Erklärung der ‚parallelen: Streifung in. gewissen Bindesubstanzgebilden durch Faltenzüge und Schichtung in der Grundsubstanz rich- tigıoder unrichtig, das ändert’ an der Auffassung'ider'Binde- substanz überhaupt nichts. ‘Wenn der Streit! über: die Deu- tung. der Fibrillen fortging, so 'handelt es’ sieh nicht: darum, die älte Faserlehre zu stützen oder wiederherzustellen; !) denn inl'keinem Falle waren die Fibrillen, was man früher glaubte; ein ‚selbständiges Formelement im genetischen ‚Sinne. Die Bindegewebsfrage hatte sich somit in zwei unabhängige Streitpunkte aufgelöst, welche getrennt werden müssen, wo ein. Urtheil in der: Sache‘ abgegeben wird. Der eine wich- tige und in den Vordergrund getretene betrifft die genetische Auffassung der Grundsubstanz des Bindegewebes, der andere die mehr untergeordnete: Frage, ob die. sichtbaren. Fibrillen in:der Textur der Bindesubstanz präformirt, oder in\anderer Weise zu erklären seien. Rollett, dessen. Standpunkt: die genetische Auffassung fremd ist, macht diesen’ Unterschied überhaupt nicht; er wirft einerseits die Ansicht, welche: prä- formirte Fibrillen will, mit der alten ‚Faserlehre zusammen, ind glaubt andererseits durch dem Nachweis wirklich. ‚prä- formirter Fibrillen die Reichert’sche Auffassung der Rinfk: substänzgebilde geschlagen zu haben. Im Laufe der weiteren Ausbildüng der’ Bindegewebslehre, wie sie vorzugsweise in den Reichert’ schen Jähresberich- ten über die Fortschritte der mikroskopischen Anatomie sich verfolgen lässt, stellte sich! heraus, ' dass. man beivder. Deu- tung der parallelen Streifung im reifen Bindegewebe (welche bier einzig in Betracht;kommt), wiederum zwei wichtige bis- ‚her zusammengeworfene Punkte zu unterscheiden: ‚habe. ‚Es ist. diess, kurz gesagt, die Structar der bindegewebigen Or- gane, und die Textur der in sie eingehenden Bindesubstanz. Beide können sich an der Herstellung des mikroskopischen Bildes der Fibrillen betheiligen. Die Grundsubstanz ı des —_- 1) Vergl, hierüber Müller’s Arch, 1852. S. 523. 340 A. Baur: Bindegewebes kann, wie Reichert von Anfang an hervor- hob, an sich innerhalb einer gewissen Grenze variiren, sie kann homogen oder gestreift oder zugleich spaltbar sein. ‘In einem bestimmten Object tritt sie entweder in einer dieser Formen oder :in mehreren zugleich auf, die dann continuir- lich und allmälig in einander übergehen. Die tiefere Schicht des Coriums zeigt eine fibrilläre, d. h. gestreifte und spalt- bare, die oberflächliche eine mehr homogene nicht spaltbare, höchstens gestreifte Beschaffenheit, die Bindesubstanz der Sehne dagegen. wie die des lockeren 'Zellstoffs zeigt in glei- cher Weise durchaus die gestreifte und spaltbare Eigenschaft. Sehne und Zellstoff unterscheiden sich also nicht durch die Textur ihrer Bindesubstanz, sondern dadurch, dass die binde- gewebigen Massen bei beiden in verschiedener Weise ange- ordnet sind, also durch eine Verschiedenheit in der Structur. Eine rein mechanische oder durch chemische Mittel unter- stützte Zerlegung bindegewebiger Gebilde stösst zunächst auf Strueturtheile, es sind diess diekere oder dünnere Stränge und vorzugsweise, wie Reichert gezeigt hat, gröbere und feinere Lamellen, in mannigfacher Weise über oder neben- einander gelagert, ‚bald leichter, bald schwerer von einander zu trennen. Gelingt es, was durchaus nicht überall’ der Fall ist, noch weiter zu zerlegen, so stösst man 'vermöge‘der Spaltbarkeit der Bindesubstanz auf die sogenannten Fibrillen als’ letzte Bestandtheile. Die Fibrillen sind aber nicht mehr Structurtheile, ihre Darstellbarkeit beruht auf einer verbrei- teten Eigenschaft der: Bindesubstanz überhaupt. Die ‚Frage ist'nur, wie diese zu erklären. Dass es aber unrichtig ist; die Bindesubstanzgebilde sich nach Art einer: künstlichen Weberei gerade so aus einzelnen Fibrillen zusammengefügt, gewoben zu denken, wie man sie zuletzt in Fibrillen zerle- gen kann, ergiebt sich wohl von selbst. Und doch nur aus dieser für den Rollett’schen Standpunkt characteristischen, mit der Histogenese aber gänzlich unvereinbaren Vorstellung lässt es sich erklären, wenn Rollett die constant im Binde- gewebe auftretenden Kerne, Spiralfasern und elastischen Ueber die fibrilläre Beschaffenheit der Bindesubstanzgebilde u. s. w. 341 Fasern, ') weil sie keinen Leim geben, als heterogene Form- bestandtheile zusammenfasst und sich so über die darüber bestehende Controverse einfach hinwegsetzt; wenn er ferner aus dem Umstande, dass er bei der einen Reihe bindegewe- biger Gebilde, wie bei den Sehnen, den Aponeurosen, der Sklerotiea direct auf feinste Fibrillen, bei der anderen wie im Corium, dem Zellgewebe, der Conjunctiva vorher auf gröbere Abtheilungen stiess, ohne Weiteres eine „interessante histo- logische Differenz zwischen den gewöhnlichen Bindegeweb- texturen und den sogenannten fibrösen Geweben der alten Autoren“ ableitet. Abgesehen von der genetisch nachweis- baren Uebereinstimmung wird in diesen Irrthum nicht ver- fallen, wer überhaupt gewohnt ist, die Structur von der Textur zu unterscheiden. Sehne wie Corium zerfällt bei künstlicher Zerlegung zunächst in gröbere Abtheilungen. Diese sind aber im Corium schon mikroskopisch und wer- ‚den von Rollett Bindegewebsfasern zum Unterschied von den Fibrillen genannt, in der Sehne dagegen sind sie so 1) Nur die umspinnenden Fasern werden von Rollett einer nä- heren Berücksichtigung gewürdigt, ohne dass er mehr als eine Bestä- tigung ihrer Erklärung durch eine Scheide zu geben wüsste. Nach Rollett hat noch Niemand diese Scheide im unversehrten Zustand gesehen, auch ihm gelang es nicht, sie zur Anschauung zu bringen; er „überzeugte sich vielmehr, dass keine solche Scheide existirt, son- dern ein oberflächliches die Bindegewebestränge umspinnendes Netz- werk, mit anderen Worten eine Scheide mit grösseren oder kleineren Unterbrechungen. Da es physikalisch unmöglich ist, 'eine glashelle ‚Scheide von beinahe unmessbarer Feinheit um: einen cylindrischen, ge- streiften Strang irgendwo zu sehen, ausser an ihren Rändern, so schloss auf ihr Vorhandensein da, wo sie vom aufquellenden Inhalt in bekannter Weise zu einschnürenden Ringen oder Fasern zerrissen wird. Wenn es also Rollett nicht gelang, eine continuirliche Scheide im unversehrten Zustand zu sehen, so ist dies kein Beweis, dass eine solche nicht existirt. Andererseits war nie behauptet, dass diese Scheide notlıwendig überall continuirlich sein müsse, nicht auch natürliche oder Unterbrechungen haben könne. Eine Scheide hört es des- nicht auf zu sein. Finden wir doch auch sonst unter den elasti- _ Grenzschichten des Bindegewebes alle Uebergänge von einer ‚ eontinuirlichen oder gefensterten Membran bis zu Netzen «lastischer Fasern. Belchert's u. du Bols-Keymond's Archiv. 1959, 23 DD 7. Ndansn WA. Baur: India grob, dass sie’ schon dem blossen Auge auffallen, und von jeher ‚als Sehnenstränge bekannt. Fibrillen lassen sich also in'der Sehne wie im Corium erst durch Zerlegung gröberer Abtheilungen gewinnen, deren relative Dicke und gegenseitige Lagerung nur bei beiden verschieden ist. ‘Was Rollett eine histologische Differenz oder eine verschiedene Anordnung der leimgebenden Substanz nennt, reducirt sich also auf einen längst bekannten „Unterschied in der Structur, der bei der Fibrillenfrage gar nicht in Betracht kommt. Es: war nöthig, diess vorauszuschicken, um bei der Be- sprechung der einzelnen, von Rollett benutzten Objeete alles dasjenige im Voraus ausschliessen zu können, ‚was die eigent- liche Frage, um die es sich handelt, nur ‘verwirrt und von Rollett damit zusammen geworfen wurde, Die Frage, ob die parallele Streifung im Bindegewebe durch ‚präformirte Fibrillen’ oder vielmehr durch Faltenzüge geschichteter Lamellen zu erklären sei, — und diese ist es ja, auf welche die Rollett”schen Untersuchungen sich. be- ziehen sollen — ist zuletzt eine reine Texturfrage. Die Struetur kommt nur insofern in Betracht, als die eine Deu- tung eine geschichtete Structur voraussetzt, weil sie in vielen Gebilden nachweisbar ist. Wenn zugegeben ist, dass die von Rollett in Anwendung gebrachten Methoden unter Umstän- den ein Mittel an die Hand geben können, um die Structur- verhältnisse eines Bindesubstanzgebildes zu lockern und dadurch klar zu machen, so kann nicht zugegeben werden, dass sie über die Textur der Bindesubstanz, um die es sich han- delt, irgend mehr als schon Bekanntes beigebracht hätten. Was sich durch die Rollett’schen Versuche, welche von mir sämmtlich wiederholt wurden, zeigen. lässt, ist eben das, wassie an einzelnen Objeeten widerlegen sollten, nämlich der lamellöse Bau gewisser Bindesubstanzgebilde, wie vor- zugsweise der Hornhaut, auf welche ich zurückkommen werde. Dass die Grundsubstanz des Bindegewebes von einer ho.» mogenen zu einer gestreiften, von ‚einer nur gestreiften zu einer spaltbaren Beschaffenheit in allen Uebergängen variiren könne, ist durch Reichert’s Untersuchungen längst festge- Ueber die fibrilläre Beschaffenheit der Bindesnbstanzgebilde u.s. w. 343 stellt. Zweifelhaft konnte nur noch bleiben, ob die Fibrillen immer nur künstlich isolirbar oder unter Umständen vielleicht schon isolirt in dem Gewebe vorhanden seien, „ Reichert selbst hat sich gegen. die Existenz isolirter Fi- brillen und, Fasern der Sehnensubstanz ausgesprochen, und ‚es für ein Kunststück erklärt, das er nicht kenne, ohne Zer- rung Fibrillen darzustellen. Rollett glaubt dieses Problem ‚gelöst zu haben, indem er in. der Behandlung, des Bindege- ‚webes mit Kalk- und Barytwasser, sowie, mit übermangan- saurem Kali ein Mittel kennen lehrt, wodurch der' „feste Zu- sammenhang gelockert und die Isolirung faseriger Formele- ‚mente gestattet wird.“ Da die Möglichkeit, Fibrillen darzu- stellen, schon an jedem beliebigen frischen Sehnenstück vor- handen und in ‚der Spaltbarkeit zugegeben ist, so handelt ıes sich um den Nachweis, dass Fibrillen ohne mechanische ‚Mittel isolirt werden können. Und dieser Nachweis kann nur dann als geliefert betrachtet werden, wenn bei der in Anwen- dung gebrachten Methode jede mechanische Beihülfe, also jede Zerrung und Dehnung, eliminirt ist. ‚Rollett selbst ‚sagt über. die Art, wie es, ihm gelang, Fibrillen zu isoliren: „bringt man einen der eylindrischen Stränge, welche die Sehne zusammensetzen, auf ein Objeetglas und übt auf die Plauken jenes Stranges etwa in der Mitte seiner Länge auch nur einen sehr mässigen, zur Längsrichtung senkreehten Zug nach entgegengesetzten Seiten aus, so breitet sich derselbe in dem durch die aus einander gezogenen Präparirnadeln ab- gemarkten Raume zu einer Lage von theils gröberen, theils feineren, theils sehr feinen Fäden aus, von denen die zuletzt genannten durch eine Auffaserung der ersteren sich ‚herstel- len“; und: „haben, Sehnenstücke sehr lange Zeit in Kalk- oder Barytwasser gelegen, so kann man sie manchmal in einem Gefäss mit Wasser durch Hin- und Hersehütteln des leizteren zu einem lockern Filz aus einander waschen, der unter dem Mikroskop dieselben Eigenschaften erkennen lässt, - wie ein nach der Behandlung mit Kalkwasser mittelst der r arirnadel aus einander gezogenes Sehnenbündel.* Dass hierbei das mechanische Moment, um das es sich gerade han- 23” 344 | A. Banr: delt, nicht eliminirt ist, leuchtet ohne Weiteres ein. . Wie diese Erscheinungen zwingen sollen, eine „Discontinuität der Sehnensubstanz in der Längsrichtung“ anzunehmen, ist nicht einzusehen. Es’ könnte daraus höchstens der Schluss gezogen werden, dass es nach Einwirkung der angeführten Flüssig- keiten eines geringeren Zuges bedarf, um die Spaltung in Fi- brillen hervorzurufen, als bei einem in frischem Zustande benutzten Sehnenstück. Auf die Intensität des angewandten Zuges, ob das Schütteln mit Wasser genügt oder Zerreissen mit Nadeln nöthig ist, darauf kommt es nicht an, weil die Spaltbarkeit in allen Graden zugegeben ist. Da ferner durch jene Reagentien nachweisbar!) die Structur gelockert wird, so ist die Leichtigkeit der Zerfaserung so wenig auffallend, als die Thatsache, dass ein einfaches Blatt Papier sich leich- ter zerreissen lässt, als ein vielfach zusammen gelegtes. Um die Discontinuität der Sehnensubstanz in der Rich- tung der Fibrillen vollständig zu beweisen, dazu nimmt Rollett eine andere, von ihm gefundene Thatsache zu Hülfe, nämlich die, dass in die Lösung der angewandten Flüssig- keiten eine Substanz übergeht, welche sich als ein’ Eiweiss- körper herausgestellt hat. Mit der Anwesenheit dieser Sub- stanz im Bindegewebe, schliesst Rollett, fällt das innige Aneinanderhaften der supponirten Formbestandtheile zusam- men. Den Beweis dafür, dass an die Anwesenheit des Ei- weisskörpers das feste Aneinanderkleben der Fibrillen ge- knüpft, und durch die Entfernung jenes Stoffes die Isolirung der Fibrillen schon gegeben ist, diesen Beweis ist Rollett schuldig geblieben. Es ist daher auch nicht mehr als eine Hypothese, wenn der extrahirte Stoff mit den Ueberresten des Schwann’schen Blastems und der von Henle beschrie- benen Zwischenmasse der Fibrillen identifieirt wird. Natür- licher scheint es, jenen Eiweisskörper einfach der parenchyma- tischen Flüssigkeit zuzuschreiben, von welcher das Bindege- webe wie andere gefässhaltige Theile durchtränkt sein muss. 1) Diess geht daraus hervor, dass in Bindegewebe, das in Kalk-, Barytwasser oder übermangansaurem Kali gelegen hat, vielfach La- mellen zum Vorschein kommen. Ueber die fibrilläre Beschaffenheit der Bindesubstanzgebilde u. s. w. 345 Es kann sogar eine einfache Thatsache beigebracht werden, and Rollett führt aus seinen Untersuchungen ebenfalls solche an, welche beweist, dass die An- oder Abwesenheit jenes, Stoffes bei der Textur der Bindesubstanz gar nicht von Ein- fluss ist. Trocknet man nämlich ein mit Kalk-, Barytwasser oder übermangansaurem Kali behandeltes Sehnenstück, so zeigen Durchschnitte durch dasselbe eine ganz ähnliche ho- mogene Beschaffenheit wie solche, die yon einer in frischem Zustand getrockneten Sehne, welche also jenen Eiweisskörper noch enthält, genommen werden. Rollett stützt sich ferner auf die Untersuchung des in Leder verwandelten Bindegewebes, des gegerbten Coriums. Für die Frage, ob die Fibrillen dadurch isolirbar seien, kann natürlich nursolches Leder benutzt werden, das ohne mechanische Zeyrung dargestellt ist. Ein so gegerbtes Stück- chen Corium unterscheidet sich von einem einfach getrockneten durch die grössere Sprödigkeit und in Durchschnitten unter dem Mikroskop durch eine stärkere Lichtbrechung. Letztere macht, dass die sonst hellen Streifen dunkler contourirt her- vortreten; die grössere Sprödigkeit erleichtert aber in hohem Grade die Spaltung in Fibrillen und erklärt, wie dieselbe in käuflichem, Leder, das verschiedenen mechanischen Proceduren . unterworfen worden ist, bis zur vollständigen Zerfaserung oder Verfilzung geführt hat, Ein Beweis, dass durch den chemischen Process des Gerbens ohne Zerrung die Fibrillen isolirt werden, kann hierin nicht gefunden werden. Dass viel- mehr das Gerben an sich so: wenig als die Extraction des Biweissstoffes durch Kalk- oder Barytwasser über die Textur der Bindesubstanz Aufschluss giebt, folgt aus ‚einer von Rollett selbst angeführten Beobachtung. Aufgequollenes, homogenes, nicht mehr spaltbares Bindegewebe behält näm- lich, wenn es gegerbt wird, seine Eigenschaften, es wird in aufgequollenem Zustande in ‘eine spröde Masse verwandelt, gerade wie das gewöhnliche Bindegewebe im spaltbaren Zu- stande, Wenn Rollett hieraus den Schluss zieht, dass das Leder solcher stark getriebener Häute, wie es im Handel manchmal vorkommt, nicht zu solchen Untersuchungen ver- 346 A. Baur: wendbar sei, dürfte man wohl richtiger hieraus entnehmen, dass man mit der Untersachung des Leders überhaupt nieht ‚weiter kommt, als wenn man frisches und aufgequollenes Bindegewebe sich ansieht. Denn beide Lederarten verhalten sich ja zu einander, wie frisches und 'aufgequollenes Binde- gewebe, sie lassen sich also ebenso für wie gegen präfor- mirte Fibrillen anführen, können aber nicht für die eine oder andere Ansicht den Ausschlag geben. Was Rollett über die Beschaffenheit der äusseren Co- riumschicht und der Papillen aus der Untersuchung ge- gerbter Häute folgert, das erledigt sich damit, dass er selbst zugiebt, mit den Präparirnadeln lasse sich diese Grenzschicht nur sehr schwer in Fragmente von ähnlichen Texturelemen- ten, wie sie in der tieferen Schicht des Corium vorkommen, zerlegen. Wenn über die Existenz präformister Fibrillen da gestritten werden kann, wo sie doch mit grösster Leichtig- keit isolirt sich darstellen lassen, so ist es schwer'zu begrei- fen, wie eine faserige Zusanimensetzung da vorausgesetzt werden kann, wo nicht einmal eine künstliche Spaltung ge- lingt; wie ferner von einer „Aufflechtung der Coriumbündel in der äusseren Schicht des Coriums, von einer Webung der Oberfläche der Lederhaut, von einer Bildung der Pa- pillen durch Ausbiegen der Coriumfasern* da die Rede sein kann, wo sich Nichts dafür anführen lässt, als eine feine Streifung in einer nicht mehr zerlegbaren Substanz. "In dem Uebergang der tieferen Coriumschicht in den Papillarkörper können wir nichts als eines jener zahlreichen: histologischen. Beispiele sehen, wo eine leicht spaltbare, fibrilläre Grund- substanz gegen die Oberfläche hin in eine nicht mehr spalt- bare homogene Grenzschicht eontinuirlich übergeht, welche da, wo sich Gefässschlingen, wie in den Papillen, in ‘sie bin- ein erstrecken, noch eine leichte Streifung zeigt: Dass eine homogene, eine gestreifte und eine den Streifen entlang spalt- bare Grundsubstanz continuirlich und allmählig in’ einander übergehen können, ist eine Thatsache, auf welche sich ge- rade die Reichert’sche Auffassung der Bindesubstanz von jeher stützte. Das Vorkommen einer homogenen Grundsub- Ueber die fibrilläre Beschaffenheit der Bindesubstanzgebilde u. s. w. 347 stanz hat Rollett aber nicht widerlegt; und:selbst der Nach- weis irgendwo präformirter Fibrillen würde nicht bereehtigen, jene Ansicht anzugreifen, noch ;weniger genügen; ‚sie umzu- stossen. Unter den Mitteln, welche über die Textur der Bindesubstanz Aufschluss geben sollen, führt Rollett auch, die Essig- säure, die verdünnte Salzsäure und das kochende Wasser an. Es sind ‚dieselben, auf welche sich ‚diejenige Ansicht, welche die Faserigkeit des Bindegewebes in Abrede stellt, von jeher berufen hat. Rollett glaubt aber die Erschei- nungen zu Gunsten präformirter Fibrillen auslegen zu müssen, Er stellt die Behauptung auf, dassı das Bindegewebe durch Behandlung mit verdünnter. Salzsäure nur scheinbar in eine structurlose Substanz umgewandelt sei, weil, wie längst bekannt, durch vorsiehtige Neutralisation der Säure das Binde- gewebestück ‚wieder zusammenschrumpfe und die Streifung wiederkehre. Mit demselben Recht lässt sich behaupten, die durch Kalk- und Barytwasser dargestellten Fibrillen sind nur scheinbar, weil sie beim Trocknen wieder ‘verschwinden. Wäre bewiesen, dass durch Kalk- und Barytwasser; oder dureh übermangansaures Kali sich Fibrillen chemisch isoliren lassen, so müsste mindestens noch unentschieden bleiben, ob man mehr dieser Reihe von Reagentien oder der anderen, welche den homogenen Zustand herstellt, den Ausschlag ge- ben will. Um aber zu erklären, wie bei angenommenen präformirten Fibrillen das Bindegewebe durch Essigsäure oder verdünnte Salzsäure aufquellen und homogen werden kann, nimmt Rollett dasselbe Argument zu Hülfe, das er benutzt hatte, um zu beweisen,, dass ‚durch Kalk- und Baryt- wasser die Fasern isolirt werden. Salzsäure zieht ebenfalls eine geringe Menge von Eiweissstoffen aus. Der nothwendige Schlussaus der Thatsache, dass sowohl Kalk- und Barytwasser, welche eine Spaltung begünstigen, als Salzsäure, welche die Spaltbarkeit aufhebt, eine Eiweisssubstanz extrahiren, ‘scheint der zu sein, dass die Abwesenheit dieser Substanz sich 'so- wohl mit der spaltbaren als nicht spaltbaren Beschaffenheit verträgt, was mit der oben gegebenen Deutung übereinstimmt, 348 A. Baur: Für die Erklärung des Vorgangs beim Aufquellen ist daher die Entfernung der Biweissstoffe eben so unbrauchbar wie als Beweis für präformirte Fi- brillen‘) Warum das Bindegewebe durch Essigsäure u. s. w. aufquillt, wissen wir nicht. Die Thatsache 'aber, dass die gestreifte und spaltbare Sehnensubstanz beim Auf- quellen ihre Streifen verliert und nicht mehr spaltbar ist, musste von jeher mit Recht gegen eine Erklärung der Streifen durch präformirte Fibrillen geltend gemacht werden. Rollett schliesst anders. Er bringt zuerst das Verschwin- den der Längsstreifung mit der Extraction einer Eiweiss- substanz in eine Verbindung, die nicht existirt, und glaubt dann den Vorgang des Homogenwerdens durch die Erklä- rung, die er ihm giebt, als Beweis für präformirte Fibrillen benützen zu können. Er sagt: die am frischen Bindegewebe vorhandene Längsstreifung kann beim Anquellen durch verdünnte Salzsäure nur verschwunden sein, weil sich die aufgequollenen und schwächer lichtbrechend gewordenen Formbestandtheile des Bindegewebes mit ihrer klebrigen Oberfläche in den jener Längsstreifung entsprechenden Durch- gängen auf’s innigste an einander gelegt haben. Dies ist eine reine Umschreibung des Vorgangs beim Aufquellen an- gewendet auf supponirte Fibrillen und Lücken zwischen den- selben, also ein Beweis, wobei das zu beweisende voraus- gesetzt ist. Ob eine solche Argumentation im Stande ist, Einen triftigen Grund, der gegen präformirte Fibrillen spricht, zu widerlegen, mag dahingestellt bleiben. Rollett nimmt aber in die oben angeführte Erklärung des Aufquellens und Homogenwerdens die Annahme von Lücken oder, wie er es nennt, Durchgängen zwischen den Fibrillen auf. Die Exi- stenz derselben ist ebenso ein Gegenstand des Streites wie die der präformirten Fibrillen selbst. Sind aber jene zu be- 1) Diess giebt Rollett selbst zu, wenn er schliesslich sagt, dass man die Veränderung mikroskopischer Objecte durch derlei Reagentien häufig nicht in einer ganz einfachen Weise absehen kann; und dass das oft erwähnte Homogenwerden eines faserigen Bindegewebes und Faserigwerden eines homogenen Vorgänge sind, deren Beurtheilung ganz eigenthümliche Schwierigkeiten in sich schliesst. Ueber die fibrilläre Beschaffenheit der Bindesubstanzgebilde u. s. w. 349 weisen, so müssen diese zugegeben werden. Man könnte er- warten, dass Rollett vielleicht für das Vorhandensein dieser Lücken neue Gründe vorbrächte. Das Einzige aber, was er überhaupt dafür vorbringt, ist nicht etwas Neues, sondern die schon vielfach, besonders von Kölliker in diesem Sinne benutzte Erscheinung des Sehnenquerschnitts, zu welcher er schliesslich seine Zuflucht nimmt. Die punktförmige Zeich- nung auf dem Sehnendurchsehnitt wird nach Rollett her- vorgebracht durch feine in ziemlich regelmässigen Abständen auftretende Lücken, von welchen weiter gesagt wird, dass sie wahrscheinlich den Kreuzungspunkten der zwischen den faserigen Elementen des Bindegewebes vorhandenen Durchgänge entsprechen. Da Rollet selbst keine weiteren Gründe für diese nicht ihm angehörige Deutung vorbringt und überdies die Richtigkeit oder Unrichtigkeit derselben sehon vielfach discutirt ist, so dürfte es überflüssig sein, hier- auf noch näher einzugehen. Rollett hat seine Untersuchungen über die Structur des Bindegewebes auch auf die Cornea ausgedehnt; nur hier statt des Kalk- und Barytwassers ausschliesslich des übermangan- sauren Kali’s als Lockerungsmittel sich bedient. Er fand, dass die Hornhautsubstanz sich ganz ähnlich verhält, wie es ihm gelungen, vom Bindegewebe der Sehne und des Co- rium nachzuweisen. Für die Hornhaut hebt Rollett beson- ders hervor, dass man den bisher angenommenen lamellösen Bau, der ihm von anderen Bindesubstanzgebilden unbekannt scheint, nunmehr durch ein faseriges Gefüge zu ersetzen habe. Denn nach Einwirkung des übermangansauren Kali's gelingt es, quadratische Hornhautstücke durch Hin- und Her- schütteln also aus einander zu waschen, dass sie zu einem Haufen gestreifter Bänder werden, welche sich schliesslich den parallelen Streifen entlang in feine Fasern spalten lassen. Wie man sieht, kommt hier die Frage, ob man es mit prä- formirten Fasern zu thun habe, nicht in Betracht, da Rol- lett zugiebt, dass sich die Fasern nur durch Zerfaserung der den Streifen entlang spaltbaren Bänder gewinnen lassen; und dies stimmt vollkommen mit der von Reichert von jeher 350 A, Baur: gegebenen Definition ‚der fibrillären Beschaflenheit überein, wonach sie in nichts Anderem als’ in einer ıden Streifen ‚ent- lang gestatteten Spaltung gestreifter Bindesubstanzschichten besteht. Die Möglichkeit aber,: aus der Hornhaut ‚des Men- schen oder des Ochsen solche gestreifte Bänder durch über- mangansaures Kali darzustellen, wovon man sich sehr leicht überzeugen‘ kann, dies wird von Rollett als Beweis ange- führt, dass die Hornhaut überhaupt nicht lamellös sondern faserig sei. Wirft man. sich. die Frage auf, wie muss sich ein Hornhautstückchen, das aus Lamellen besteht, unter dem Mikroskop präsentiren, wenn seine Struetur durch chemische oder mechanische Mittel gelockert ist, so ist die einzig mög- liche Antwort, es muss in Bänder zerfallen, deren Breite der Dicke des ‚Querschnitts entspricht. Wie Rollett die Zer- legbarkeit eines Hornhautquerschnitts' in Bänder ‚als Beweis gegen eine‘ lamellöse Structur vorbringen kann, ist, hiernach nicht zu begreifen. Wir kennen vielmehr bis jetzt kein, bes- seres Mittel, um Lamellen in ‚der Hornhaut zur Anschauung zu bringen, als die Behandlung derselben mit übermangan- saurem Kali und finden den Grund in der schon angegebenen Erklärung, dass durch’ dieses werthyolle Reagens die Struetur der Bindesubstanzgebilde überhaupt gelockert wird. Vielfach und gegen die Oberfläche hin constant zeigen die Lamellen eine ganz homogene oder leicht granulirte: Beschaffenheit, Wenn die dargestellten Bänder ‘oder Lamellenstücke in den tieferen ‚Schichten: gestreift sind und ‚den Streifen, entlang sich bei verschiedenen Thierelassen leichter oder ‚schwerer spalten lassen, so sehen wir darin einen’ Grund zu der An+ nahme, dass die die Lamellen bildende Bindesubstanz eine wenn auch im frischen Zustand weniger hervortretende fibril- läre, das heisst gestreifte und spaltbare Beschaffenheit hat. Wenn diese Zerfaserung endlich 'an der. mit, übermangan- saurem Kali behandelten Hornhaut leichter ist als im frischen Zustande, so finden wir 'das nicht auffallend, weil isolirte Lamellen, von denen jede eine Spaltrichtung senkrecht zu hrer: Oberfläche hat, sich leichter spalten lassen müssen, als viele zusammenhaftende, deren Spaltrichtungen verschie- Ueber die fibrilläre Beschaffenheit’ der Bindesubstanzgebilde u. s. w. 35] den sind, sich also zum Theil aufheben. Worauf es ankommt, ist, dass die hergestellten Fasern sieh nicht einzeln durch- fleehten, nach Art eines Mattenwerks — nur in diesem Falle wäre die Hornhaut eine faserige zu nennen — sondern dass jede einer Lämelle angehört, durch Spaltung. einer solchen entstanden ist. Dass aber jede Lamelle über die ganze! Aus- dehnung der Hornhaut nothwendig, eontinuirlich sich fort- setzt und alle Lamellen genau der Oberfläche der Hornhaut parallel sind, ist bei dieser Betrachtung. nicht vorausgesetzt, überhaupt in dem Begriff der lamellösen Struetur nicht ent- halten. Die Hornhaut der Vögel soll sich nach Rollett we- sentlich anders verhalten, als die anderer Thiere und des Men- schen, indem sie aus innig verflochtenen Fasern: bestehe, welche sich mit grosser Leichtigkeit isoliren ‚lassen, , Dass in der Hornhaut der Vögel eine deutliche, nach. verschiedenen Richtungen gehende Streifung schön im frischen, Zustande zu sehen, ist'wohl bekannt. ‘Was: man an einer mit: über- mangansaurem Kali behandelten Vogelhornhaut mehr. sieht, besteht in Folgendem.‘ ''Man sieht, dass die durch regel- mässige, parallele, etwas wellige Streifen begrenzten’ Abthei- lungen sieli nirgends einzeln durchflechten, ‘sondern dass alle bei einer bestimmten Einstellung parallel laufenden ‚Streifen einer Schicht angehören, aber’ die Streifen der über einander liegenden Schichten sich. unter ‚rechten‘ ‚Winkeln 'kreuzen. ') Man sieht ferner, ‚dass eine Spaltung den Streifen entlang sehr leicht eintritt und oft schon durch den Schnitt mit dem Messer herbeigeführt ist. Senkrechte' Schnitte ‚geben über das Verhalten gar keinen Aufschluss, weil man: hier nur ver- filzte Fasern zu sehen bekommt, wie Rollett sie, abgebildet hat. Flächenschnitte, mit einem möglichst scharfen Messer geführt, zerstören nur die getroffenen Schichten in’ ihrer Tex- für, und lassen zwischen den hierdurch entstandenen Lücken die tieferen Schichten des Schnittehens im unversehrten Zu- — 1) Ungefähr wie Meridiane und Parallelkreise an einer zur Kugel erpänzten Homhaut. 352 A. Baur: Ueber d. fibrilläre Beschaffenheit d. Bindesubstanzgebilde stand beobachten; hier’ stösst man auf ganz homogene La- mellen, welche nur gegen den Rand des Schnittchens faserig ausgeschlitzt sind. In den oberflächlichsten Schichten: der Hornhaut sind sie auch das nicht. Eine nach Behandlung mit übermangansaurem Kali getrocknete Vogelhornhaut hat den hohen Grad der Spaltbarkeit, den ihre Lamellen im feuchten Zustand besitzen und der (die Herstellung des un- versehrten Zustandes erschwert, vollkommen verloren, und zeigt nur'noch die gewöhnliche lichte Streifung. Dass eine lamellöse Struetur in der Hornhaut der Vögel so wenig als in der von anderen Thieren fehlt, ergiebt sich aus dem Ge- sagten. Vergleicht man sie mit einer menschlichen, so findet man den einzigen Unterschied, dass die Lamellen der Vogel- cornea einen höheren Grad der Spaltbarkeit besitzen, eine ganz gewöhnliche Variation in der Substanz des Bindege- webes, und dass die Richtung der Spaltbarkeit in den ein- zelnen Lamellen regelmässig um 90 Gr. wechselt. Wäh- rend in der menschlichen Cornea die chemisch-mechanische Zerlegung zunächst auf homogene Lamellen führt, welehe erst nach weiterer Einwirkung spaltbar sind, ist in der Vo- gelhornbaut derselbe Eingriff, der nöthig ist, um Lamellen sichtbar zu machen, schon genügend, um jede Lamelle in Fasern zu spalten. Die Folge ist, dass die Hornhaut direct in nichts als Fasern zu zerfallen scheint. Die Anwesenheit der Lamellen äussert sich nur noch in der schichtweise ver- schiedenen Richtung der .Spaltbarkeit. Denkt man sich die- selbe in einem Bindesubstanzgebilde in allen Lamellen gleich, so wären Lamellen überhaupt nicht mehr nachweisbar, ob- gleich vielleicht an dem Zustandekommen der fibrillären Be- schaffenheit betheiligt; wir hätten das, was an einem einzelnen Sehnenstrange unter dem Mikroskop zu sehen ist. Was hier unentschieden, ist an der Hornhaut der Vögel wie der Säuge- thiere evident, durch die Rollett’schen Untersuchungen nicht bloss nieht widerlegt, sondern bestätigt. Anstatt der Horn- haut der Vögel eine vergleichend-histologisch interessante Ausnahmsstellung einzuräumen, dürfte es vorläufig richtiger sein, sie mit den Hornhäuten anderer Thiere zusammen zu N. Lieberkühn: Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. 353 stellen, von der sie nur durch den Grad der 'Spaltbarkeit ihrer Bindesubstanz in der Textur sich unterscheidet, und in ihr ein schlagendes Beispiel zu sehen, wie durch eine Schich- tung nach verschiedenen Riehtungen spaltbarer Lamellen der täuschende Schein eines faserigen Flechtwerks zu Stande kommt. Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. Von N. Liegerkünn. (Hierzu Taf. IX., X. und XI.) Dujardin berichtet in seinem Aufsatze über die Spon- gien (Observations sur les &ponges et en partieulier sur la spongille. Annales des Sc. nat. Ser. II, Tome X., $.6. 1338), in welchem er darzuthun sucht, dass die äusseren Theile der- selben aus Monaden, die inneren aus amöbenartigen Wesen bestehen, Folgendes: „Ueberraschende Resultate, zu überraschend vielleicht, wurden mir geliefert durch eine fleischige, weissliche, halb- durchscheinende, etwas gelatinöse Bildung, welehe dem Druck widersteht und Plaques bildet auf der Basis von Laminaria palmata, au den. Küsten von Calvados, Ich hatte diese Bil- dung zuerst für eine der zusammengesetzten Aseidien gehal- ten, welche an eben dem Orte so gemein sind.; Als ich die- selbe aber sorgfältig untersuchte, konnte ich darin weder eine Spur von Gewebe entdecken, noch Kalkkrystalle oder Spieula. Ich sah darin absolut nichts Anderes als fleischige, unregelmässige und granulirte Kugeln von etwa "/,, Mm., welche nach Verlauf einiger Zeit ziemlich dünne Fortsätze von höchstens '/,, Mm. ausschickten und schliesslich von dehn- baren Fäden umgeben waren, die langsam ihre Form ver- 354 hjois N. Lieberkühn: 1 Iyodant ‚K änderten.‘ "Diese Beobachtung zuerst im September ‚gemacht, ünd dann im October wiederholt, liess mich an. 'der thieri- schen Natur dieser Gebilde und an ihrer. Verwandtschaft mit den Spongien nicht zweifeln... ... Es: ist vielleicht vor- zeitig, einer Substanz einen Namen zu geben, ‚welche so wenig zoologische Charactere bietet; wie jedoch alle spon- gienartigen Gebilde in diesem Falle sind und ihre Qlassifi- kation eine vollständige Reform erfordert, so möchte ich vor- schlagen, unsern neuen Typus Halisarca zu nennen.* Johnston stellt die -Halisarca als besondere Gattung ne- ben Tethya, Halichondria, Spongilla u. s. w. und führt als einzige Species Halisarca Dujardinii an. Er fand sie eben- falls an Laminarien und sah auf. ihrer Oberfläche kleinere und grössere Flecke und ist der Ansicht, dass wenn letztere einige Verwandtschaft mit den’ Poren der wahren Spongien haben, die grösseren Flecke den Ausströmungslöchern ent- sprechen möchten. (British Sponges S. 192.) Es geht aus Dujardins Beobachtungen zwar nicht 'her- vor, dass das von ihm beschriebene Gebilde zu den Spon- gien gehört, weil er die Charaetere der Spongien: die mi- kroskopischen verschliessbaren Löcher auf der äusseren Haut, die Wimperapparate, die Ausströmungsöffnungen nicht 'ge- funden hat. Da jedoch wirklich Spongien existiren ‘ohne Horn, Kalk- oder Kieselskelet und Dujardin solche wohl vor sich gehabt hat, so behalte ich den Namen: Halisarca: bei. Ich fand Halisarca in Helgoland an der unteren Fläche von grossen Steinen, welche während der Ebbe entweder ganz frei von Wasser werden oder unmittelbar unter‘ der Oberfläche desselben liegen. "Sie bildet einen’ ein Paar Li- nien dieken Ueberzug von */, bis 2'Zoll'im grössten Durch- messer und hat eine runde oder unregelmässige Gestalt. Die Farbe ist weisslich grau und heller als der meisten anderen bekannten Schwämme. Auf der Oberfläche der undurchsieh- tigen Masse sielit man oft ein verzweigtes ‘System von Strei- fen, die, zu einem oder wenigen grossen Stämmen vereint, in die etwas über die Oberfläche des Thieres hervorragende Ausflussröhre ausmünden, welche auch schon mit blossem Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. 355 Auge zu erkennen ist. Zur weiteren Beobachtung eignen ‘sieh namentlich die kleineren Exemplare. | Man kann diesel- ben mit einem Messer ohne bemerkbare: Verletzung vom Steine ablösen; wirft man sie alsdann sogleich in ein Gefäss mit vielem‘Seewasser, so bleiben sie häufig’am Leben. Es ge- lang bei wiederhöltem Wechsel des Wassers sie mehre Tage lebend zu erhalten. Bisweilen bleiben sie in derselben Form, welehe sie ursprünglich hatten, in anderen Fällen verändern sie dieselbe; sie werden fast kuglig' oder eiförmig und. sind von vielen tiefen Furchen durchzogen, welche ihnen eine war- zige Oberfläche verleihen; die einzelnen Hervorragungen ha- ben eine sehr verschiedene Grösse von ?/, bis zu ‚mehren Linien in der Breite. Bringt man eine solehe) Spongie in einen kleinen Glasnapf mit Seewasser ‘und beobachtet, sie bei schwacher Vergrösserung, so’ fällt zunächst ‚die überall gleichmässig glatte Oberfläche ohne jede Hervorragung von Spieula oder Hornfasern auf, welehe man sonst bei, den Sehwämmen wahrnimmt. ‘Die Ausflussröhre hat fast, ganz das Ansehn wie bei den Spongillen und ist ebenso dureh- siehtig; nirgends ist sie von Nadeln oder Hornfasern gestützt. Wo sie aus dem Körper hervortritt, erblickt man zunächst unter der äusseren Haut äusserst kleine, runde, scharf be- grenzte Flecken, welche auch an anderen durchscheinenden Stellen des Thieres in die Augen fallen; sie sind in'so grossen Massen vorhanden, dass sie sich zu berühren und den Haupt- bestandtheil des Körpers auszumachen: scheinen; nur ‚an,ein- zelnen‘ Stellen steht die durchsichtige äussere Haut, ‚so weit von ihnen ab, dass eine grosse Höhle zwischen ihr und, dem Körperparenchym gebildet wird, in’ welches hin’ und. wieder Kanäle hineinführen. ‘Aus der Ausflussröhre sieht man, bis- weilen kleine Körperchen heryortreten und weit fortgeschleu- dert werden; sie ähneln: den Schleimstückchen, welche. oft auch von den Spongillen ausgeworfen werden und auch auf- genommene Carminkörnchen beim Austritt umschliessen. "Bei denjenigen Exemplaren, welche nach der Ablösung von den Steinen sich nicht unregelmässig contrahiren, son- dern die glatte ‚Oberfläche. beibehalten, sieht man, dass die 356 N. Lieberkühn: oben erwähnten Streifen Canäle sind, die, mit mehr oder weniger grossem Lumen versehen, zur Ausflussröhre hinfüh- ren und sich vorher zu einem oder einigen grösseren Ka- nälen vereinigen. Wenn man starke Vergrösserungen anwendet, was am zweckmässigsten so geschieht, dass das durch eine gefensterte Kappe geschützte Objectiv ins Wasser getaucht wird, ‚ohne die Spongie zu berühren, so gewahrt man Folgendes: auf der ganzen äusseren Haut und auf dem röhrenförmigen Fortsatz stehen mehr oder weniger von einander entfernt! kuglige oder ovale Conglomerate äusserst stark liehtbreehender Körn- chen, wie Zellenkerne, in dem durchsichtigen, keine Structur zeigenden Gewebe. Die Contouren der in der Ausflussröhre endenden Haut sind ungleich schärfer und bestimmter, als an derselben Stelle bei den Spongillen; die Dicke ist ver- schieden, je nach dem Contractionszustande. Ueber die Haut hervorragende Nadeln oder Fasern finden sich nirgends vor. Zwischen den Körnchenconglomeraten erscheinen in den ver- schiedensten Entfernungen, von einander die Einströmungs- löcher von kreisförmiger oder elliptischer Gestalt. Sie führen in die Körperhöhle ein, gerade so wie bei den Spongillen. Wenn die Spongie eine Zeit lang stark hin und her bewegt wird, oder bisweilen auch, ohne dass dies geschieht, schliessen sich die Oeffnungen äusserst langsam zu, um sich nach eini- ger Zeit wieder zu Öffnen; es liess sich jedoch nicht ent- scheiden, ob es genau an derselben Stelle geschah, ob es also vorgebildete Oeffnungen sind oder nicht. Stellt man den Focus etwas tiefer auf die Substanz des Thieres ein, so tre- ten die dicht an einander gedrängten Wimperapparate klar hervor. Sie sind meist von nahezu kugeliger Gestalt und be- stehen aus einer einfachen Lage von kleinen Wimperzellen, deren ziemlich lange Wimpern in das Innere des Hohlraums hineinragen. Sie sind öfters hinreichend durchsichtig, jum die schwingende Bewegung der Fäden wahrnehmen zu las- ‚sen. An verschiedenen Stellen verlaufen auch, wie bei den Flussschwämmen, Canäle von mannichfaltigem Durchmesser aus der unter der äusseren Haut gelegenen Höhle in das . Neue Beiträge zur 'Andtomie. ‘der Spongien. 357 Innere:des Körpers, deren Eudigung 'ich bei dieser Abthei- ' lung der Spongien! nicht erkannte. "Die Halisarken setzen beim Zerreissen einen äusserst ge- ringen Widerstand entgegen. Die Körpersubstanz zieht sich dabei öfters in. lange durchsichtige Fäden wie zäher’Schleim. Die kleinsten Stücke, welche man dabei erhält, besitzen noch nicht die Grösse der Spongillenzellen, zeigen aber dieselben Bewegungsphänomene, ''was bereits Dujardin "beobachtet hat. Kerne und Kernkörper wurden noch nicht beobachtet. Viele enthielten schwach lichtbrechende Körnchen in: ihrem Inneren, andere etwas: kleinere, die vorhin erwähnten stark liehtbrechenden Körnchen. Die Wimperzellen, welche theils vereinzelt sind, 'theils in Gruppen zusammenhängen, setzen noch eine Zeit lang ihre Bewegungen fort. N Die Hornspongien sind lebend ‘noch nieht genauer untersucht. Was darüber mitgetheilt ist, bezieht sich nur auf das Skelet.. Johnston stellt die Existenz der Hornspongien ganz in Abrede und meint, dass sich: überall Nadeln innerhalb der das Gerüst bildenden Fäden vorfänden. Die in seinem Werk (unter. .der Gattung Spongia zusammen gestellten Arten haben in der That ein Skelet, das’ aus Hornfäden mit eingelagerten Kiesel- nadeln besteht. Das mikroskopische Verhalten beschreibt Bowerbank in den Transactions of the Mieroscopical So- eiety of London. Vol. I. 1844 p. 32. Das Skelet besteht nach ihm bei Spongia officinalis aus einem Netzwerk von’ ziemlich gleich dicken Hornfäden, welche in ihrem Inneren keine Spur einer. Höhlung zeigen, ' Auf ihrer Oberfläche befinden sich häufig feine, das Licht stark brechende Körnchen, welche die Anfänge der Gemmulae sein sollen.»ı An einigen Stellen kom- men längere nicht‘ so vielfach anastomosirende‘ Fibern vor, in’ deren Oentrum hier’ und da Spieula von: verschiedener Anzahl eingebettet sind. In’ einer‘ anderen der Spongia offi- inalis äusserst ähnlichen Hornspongie »besehreibt Bower- bank interhalb der Hornfibern äusserst feine,’ mit selb- ständigen Wandungem' versehene, vielfach verzweigte Röhren, Beichert’s u. du Bols-Reymond's Archiv. 1859. 24 358 - "N. Lieberkühn: welche meist parallel ‚der Axe der Hornfibern ‘verlaufen. Innerhalb dieser Röhren sah Bowerbank öfters kleine Kü- gelchen, welche er für etwas den Blutkörperchen höherer Thiere Analoges erklärte. Sie hatten höchstens einen Durch- messer von !/ısoo Linie; der Diameter der sogenannten 'Ge- fässe betrug "/gss Linie, während die Hornfiber '/,, Linie dick war. In demselben Aufsatz bestätigt Bowerbank die Exi- stenz einer Hornspongie mit röhrenförmigen Fibern, welche Grant als Spongia fistularis beschrieben hatte. Eine beson- dere Gattung sollen nach Johnston diejenigen Hornschwämme bilden, welche innerhalb ihrer Fäden Sandtheilchen enthal- ten. Bowerbank hatte diese Erscheinung bereits bemerkt und die Körperchen als von aussen aufgenommen angesehen, so dass sie nichts den Kiesel- oder Kalknadeln Analoges wären, da diese von der Spongie selbst hervorgebracht würden. Ehrenberg erkannte die Doppelbrechung der Hornfä- den. Vergleiche Monatsberichte der Akad. 1848. Quekett beschreibt in seinen Lectures on Histology 1852 mehrere Arten Horuschwämme und bildet auch das Gerüst von Spongia fistularis ab, welche er zu einer besonderen Gattung unter dem Namen Verongia erhebt. Der Verfasser des den schwei- zerischen mikroskopischen Präparaten beigegebenen Textes erklärt die hornigen Fasern des Badeschwammes für die Ver- dauungsorgane, weil er in denselben Polythalamienschaälen und ähnliche Körper fand, wie sie in den Verdauungsorganen der Holothurien vorkommen. Das chemische Verhalten der Hornsubstanz der Schwämme ist von Crookewitt, Posselt, Vogel, Schlossberger und Anderen untersucht. Die älteren Untersuchungen kamen darauf hinaus, dass die Schwammsubstanz identisch sei mit dem eigenthümlichen Proteinstoff der Seide, bis neuerdings Schlossberger in dem Nickeloxydulammoniak ein speeifi- sches Reagenz auf Seide gefunden und vermittelst desselben gezeigt hat, dass beide von einander verschieden sind. . Wäh- rend sich nämlich die Seide in dem Nickeloxydulammoniak auflöst, ist die Faser der Schwämme darin unlöslich. (An- nalen der Chemie und Pharm. Bd. 108, Hft. 1, S. 62.) Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. 359 Die nachfolgenden Arten der Hornschwämme sind , von mir im verwichenen Herbst bei. Venedig und Triest beob- achtet worden. Die Bestimmung derselben hat grosse Schwie- rigkeiten, da die bisherigen Beschreibungen ohne Hülfe op- tischer Instrumiente gemacht sind. Eine Zusammenstellung der. häufig bei Venedig vorkommenden. Spongiaceen findet sich in Georg von Martens Reise nach ‚Venedig 2, Theil 1824, S. 534—538. Dieser Autor hatte die grosse Güte, mir Exemplare der von ihm bestimmten Schwämme zu übersen- den; unter ihnen ist ein Hornschwamm, nämlich ‚Sponyia tupha Pallas. Ich behalte für die Hornschwämme den Namen Spongina als Familiennamen bei; es sind. mir bis jetzt 2 Gattungen bekannt geworden. 'Zu der einen gehören der Bädeschwamm und diejenigen Arten, deren Gerüst aus nahezu gleich dicken soliden hornigen Fäden besteht. Ich nenne sie Spongia. Die andere Gattung hat das charakteristische Merkmal, dass ihr Skelet ausser stärkeren Fibern zahllose äusserst feine geknöpft endigende Fäden enthält, welche von den Fibern auslaufen, Für diese Gattung schlage ich den Namen Filifera vor. Von Martens beschreibt Spongia tupha folgendermassen: „eine unförmliche Masse ‚überzieht die Steine im Grunde des Canals (Canale grande Venedigs); aus dieser steigen viele Aeste auf, welche zum Theil zugespitzt, zum Theil stumpf enden, die meisten aber wie abgeschnitten und etwas flach zusammengedrückt. Diese Aeste sind borstig oder rauh durch die Spitzen der Bündel von hornartigen Fäden, welche aus der Gallerte hervortreten und ihr eine knotige Oberfläche geben. Das Ganze ist weich wie Werg und hat einen star- ken, beinahe. bisamähnlichen Geruch. ‘Die Farbe ist die irockener Erde oder graugelblich. Der Schwamm: ist zähe mit starken anastomosirenden Fibern, schlüpfrig, aber ohne ‚einen Saft von anderer Farbe. Das Gerippe ist grob und sehr borstig.“ Um’ den Bau von Spongia tupha‘ genauer beobachten zu können, befolgte ich die,bei den Spongillen von mir ange- wandte Methode, Ich legte ausgeschnittene Stücke von etwa !/, 24" 360 j N. Lieberkühn: 5! H Linie Dieke 'ünd’ einigen Linien Breite 'in’einen“Glashapf, der auf den Tisch des Mikroskopes gestellt werden konnte; und brachte den Napf in ein grosses ‘mit Seewasser' gefülltes Gefäss. Schon am dritten Tage sassen einige’ Exemplare auf dem Glase fest. Sie erschienen dem’ blossen Auge als durchscheinende, nur in der Mitte undurchsichtige, mit eini* gen stumpfen Fortsätzen versehene, scheibenförmige Gallert- stücke. Bei schwacher Vergrösserung sah man einige, das Licht stark brechende Fasern, welche sich: netzförmig durch den inneren Theil des ‘Körpers verbreiteten. An: einigen Stellen ragten Spitzen der Fäden nach oben über den Kör- per der Spongie heraus. ‘Der Rand des Körpers war von diesen Fäden frei. Es ist dies das Horngerüst. Sowohl am Rande des Körpers als auch in der 'Mitte desselben bemerkt man andere, 'meist viel dünnere, nach den Rändern zu ge- wöhnlich dünn auslaufende Streifen des weichen Körperpar: enchyms. Ueber den ganzen Körper hin erstreckt sich eine dünne Haut, welche in der kegelförmig sich erhebenden Mitte des Körpers von "einer 'Oefinung durchbrochen ist; es ‚ist dies das Ausströmungsloch. Bei stärkerer Vergrösserung nimmt man rings’am Rände zahllose kleine kreisförmige oder elliptische Oeffnungen' in ‚der äusseren Haut wahr, welche‘den, ‚bei den Spongillen'von mir beschriebenen Einströmungslöchern entsprechen. Man erkennt jetzt, dass sowohl der in das Wasser hineinragende freie Theil der äusseren Haut, als auch der am Glase'fest sitzende Theil derselben aus zelligen Gebilden besteht, Die in der Höhle zwischen beiden in grösseren oder geringeren Abständen von einander verlaufenden, öfters von‘ der' Mitte des Körpers deutlich bis zum Rande verlaufenden Parenchym- balken zeigen die gleiche Zusammensetzung, erscheinen aber dann bloss streifig, wenn die zelligen Gebilde sehr in der. Längsrichtung ausgedehnt sind." Es ist hier‘ schwierig)"zu - sagen, wie weit die Grenzen der Zellen sich in der möglichst ausgedehnten vom Körper weit abstehenden äusseren Haut er- strecken. Man sieht kuglige, scheibenförmige, unregelmässige, Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. 361 mit mehr oder weniger langen Fortsätzen versehene Körper- chen, die sich am besten mit manchen Formen der Bindege- webskörperchen des embryonalen -Bindegewebes vergleichen liessen und sich wie diese in ‘dem. durchsichtigen Gewebe scharf absetzten. In einigen erkennt, man einen deutlichen lichten Kern mit einem das Licht stärker ‚brechenden Kern- körperchen. Rings um ersteren und oft auch: in den Fort- sätzen finden sich kleine das Licht stark brechende Körn- chen. Wenn die äussere Haut sich contrahirt, indem z.. B. ein stumpfer Fortsatz eingezogen wird, so erscheint der Kör- perrand deutlich: zellig: die Wandungen der einen Zelle grän- zen unmittelbar an die der benachbarten, die‘ ganze Haut wird dieker und verliert an Durchsichtigkeit. Bei manchen Contractionszuständen lassen sich weder Kerne noch Zellen- gränzen: unterscheiden, in anderen sind,die Zellen am Rande des Körpers vorwiegend nach einer Richtung ausgedehnt und stehen mit ihrer Längsachse, fast senkrecht gegen die Peri- pherie, Gleichzeitig kamen eigenthümliche Zellenanhäufungen in einiger Entfernung vom, Rande, vor, in denen. die Zellen dieht an einander gedrängt und deutlich abgegrenzt |lagen, während in der Substanz ‘zwischen. den einzelnen Gruppen keine Zellengrenzen zu erkennen waren. Die Wimperapparate wurden bei den untersuchten Exem- plaren erst sichtbar mittelst Aufnahme von Karmin.. ‚Als solches dem Wasser zugesetzt wurde, in welchem: sich die Spongie befand, wurde es durch die Poren eingesogen und gelangte durch die grosse Höhle unter der äusseren Haut schnell in die Wimperapparate, in: denen es' haften blieb, Die letzteren kamen nun in dem mittleren Theile des Kör- pers rings um die Ausflussöffnung zum Vorschein. Es wur- den ihrer etwa 10 sichtbar; sie hatten eine nahezu kuglige Gestalt und waren weit grösser 'als die bei den Spongillen, indem sie ungefähr 4/,, Mm. im Durchmesser® erreichten; sie setzten sich durch die rothe Farbe ihrer Wandungen bestimmt gegen das übrige Parenchym ab; einige lagen 86 dicht bei einander, ‚dass sie sich zu berühren schienen, die anderen waren mehr ‚oder weniger von einander entfernt. ‚Nach Ver- 362 N. Lieberkühn: lauf einiger Stunden erschienen Karminkörnchen in dem aus der Ausflussöffnung strömenden Wasser und wurden, häufig von einer durchsichtigen schleimartigen Haut eingehüllt, mit grosser Heftigkeit ausgeworfen; sie gelangten aus den Wim- perapparaten in einen unregelmässig gestalteten Hohlraum, welcher in die Ausflussöffnung ausmündete. Die Contraetionserscheinungen ähneln den bei den Spon- gillen beobachteten. ‘Der ganze Körper dehnte sich sogleich nach der Festsetzung der Spongie nach allen Richtungen auf dem Glase aus. Die Bewegungen geschahen so langsam, dass die Substanz des Randes in einem Tage ungefähr um 1 Mm. fortrückte. Ebenso lange Zeit bedurfte es auch, ehe sie sich um ein gleiches Stück wieder zurückzog. ‘Die Zel- lenbewegungen waren hierbei natürlich nicht direct sichtbar. Während dieser Bewegungen der äusseren Haut änderten auch die im Inneren liegenden Parenchymbalken vielfach ihre Gestalt; manche, die äusserst dünn waren, verdiekten sich bis zu !/,,Mm. durch die nachrückenden Zellenmassen ; ihre Endigungen in der äusseren Haut breiteten sich innerhalb derselben aus und verflossen so mit ihr, dass die Abgren- zung nicht mehr sichtbar war. Die Zellen waren dabei meist so in die Länge gezogen, dass das Gewebe faserig erschien. An einigen Stellen verdünnten sich diese Parenchymbalken wieder; es gleiteten die Zellen zum grossen Theil nach der undurchsichtigen Mitte des Körpers zurück und und es blie- ben nur dünne Fäden der Substanz übrig. Die Einströmungs- löcher und die Ausströmungsöffnung schlossen sich zu wie- derholten Malen, namentlich bei starken Erschütterungen des Glases; nur selten war die Bewegung hierbei direct sichtbar. Letzteres gilt auch von den dauernden Gestaltveränderungen in den mannichfaltigen Fortsätzen der oben beschriebenen zellenartigen Gebilde, welche wohl den von Busch bei Pig- mentzellen der”Frösche beschriebenen entsprechen. Das zellige Gewebe von Spongia tupha ist weit schwieri- ger zerreissbar, als das der Spongillen. Unter den zerfaser- ten Theilen zeigten viele noch lange im Meerwasser an- dauernde Bewegungen; es liess sich nicht feststellen, in wie Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. 363 weit man es mit üunversehrten Zellen oder Stücken derselben zu thun hatte. Die Wimperzellen hängen beim Zerreissen oft zu mehreren zusammen; ganze Wimperapparate fanden sich dabei nicht vor. Die Bewegung der ziemlich langen 'Wimperhaare, deren jede Zelle eins besitzt, erlischt schnell. Das Skelet der eben beschriebenen Spongie ist dadurch charakterisirt, dass die Maschen des Netzwerks eine sehr lang gezogene Form haben; es wird nämlich vorwiegend durch in der Längsrichtung verlaufende Fasern gebildet, die in weiten Abständen durch kurze Querfasern -verbunden wer- den. Die Maschen sind meist so gross, dass sie leicht mit blossem Auge gesehen werden können, und ungleich grösser als die des Badeschwamms. Die grösste Dieke der Fibern beträgt ’/, Mm,, es kommen aber auch weit dünnere vor, bis zu ?/s, Mm.; ihre Endspitzen ragen bei der lebenden Spongie, meist noch von der äusseren Haut überzogen, kaum um !/, Mm. über die Körperoberfläche hervor und stehen auch etwa in derselben Entfernung von einander ab, jedoch bleibt sich dies nicht ganz gleich bei allen Exemplaren. Die meisten Fasern erscheinen dem blossen Auge weisslich, manche glas- hell. Die ersteren sind mit fremden Körpern gefüllt. Be- trachtet man sie unter dem. Mikroskop, so erkennt man an den Rändern längsgestreifte, mehr oder weniger dicke Horn- substanz, während in dem Inneren häufig dicht an einander gedrängte Körnchen liegen, die von Bowerbank, Quekett für Sandkörner erklärt worden sind; sie sehen denen äusserst ähnlich, welche auf dem Gehäuse vieler Diffugien vorkom- men. Johnston hat aus der Anwesenheit soleher Körner ein Merkmal entlehnt, um eine besondere Gattung, Dyseideia, aufzustellen; es ist aber dies Kriterium dazu nicht ausrei- chend, da bei manchen Exemplaren derselben Art viele Fä- den frei von den Körnchen sind und andererseits mir noch keine Hornspongie vorgekommen ist, wo sie sich nicht we- nigstens in einzelnen Fibern vorfänden. Ihre Grösse erreicht bei Spongia tupha "|, Mm., doch kommen auch weit kleinere vor. Sie ragen häufig über den Rand der Fiber hinaus, frei- lich von Hornsubstanz umhüllt, und verleihen der Faser ein 364 N. Lieberkühn: höckriges Ansehen. Johnston nimmt’wohl mit’ Recht an, dass sie kein Product‘ der Spongie sind, sondern nur! von aussen hineinkommen. Es finden sich" nämlich neben ‘ihnen sicher von aussen eingedrungene Körper in grossen Massen vorz. B. Kieselnadeln und ‘Kalknädeln verschiedener "be- kannter Schwammarten, Kalkgebilde ‘aus: der Haut'von Echi- nodermen, Stücke von Polythalamienschaalen ;: Baeillarien u.8, w. ‚Die sogenannten Sandkörner sind wirksam'gegen polarisirtes Licht und lösen sich in’ Säuren leicht unter Auf- brausen 'auf; die Hornfaser 'erscheint'alsdann voller'Lücken, welche in ihrer Form den aufgelösten‘ Körnern' congruiren: Man findet die Körner. so‘ wie Bacillarien und andere ‘fremde Körner häufig'in dem 'zelligen Parenehym, namentlich'/auch in der äusseren Haut, wo: sie rings vonder gallertigen Sub: stanz umschlossen‘ liegen. Wie sie in die Hornfasern hin- einkommen, ist nach den bisherigen Beobachtungen noch nicht festzustellen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die'Horn- fasern mit dem Alter der Spongien dicker werden, was mög- licherweise durch Anlagerung von ausgeschiedener Zellsub- stanz geschieht. ' Bisweilen sieht man nämlich starke Fasern, welche nur am Rande solche fremde Körper führen, während das ganze Innere frei davon’ ist. Die Horafibern: von \Spon- gia tupha zerfallen bei der Faserung mittelst Nadeln leicht in dünne durchsichtige Platten, die durch Beten u ein faseriges Ansehen annehmen. Eine zweite Art derselben Gattung kam mir während meines Aufenthaltes‘in Triest im vergangenen Herbst lebend zur Beobachtung. Sie ist nach den vorhandenen Hülfsmitteln nicht zu: bestimmen. Sie lässt sich ccharakterisiren namentlich durch :die Beschaf- fenheit des Skeletes. Sie kommt’ vor in kugligen und unre- gelmässigen Klumpen, mit geringen fingerdicken' Hervorra- gungen. Die Farbe’der Oberfläche ist auffallend dunkel, fast schwärz; die des inneren Körperparenchyms hellgelb. "Auf der Oberfläche ‘zeigen sich ‘in unregelmässigen ' Abständen Oefinungen von beinahe 2 Linien Durchmesser, ‘welche ‘die Enden’ eines vielfach verzweigten, den ganzen Schwamm Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. 365 durchdringenden Canalsystems darstellen. Ueber die äussere Haut ragen die Endspitzen der Fibern bis zu einer Länge von }/, Linie hervor und stehen: verschieden weit, nämlich /, bis 2 Linien‘ von einander ab. Die Maschen des Gerüstes; sind weit grösser als die‘ der vorigen Art; sie sind meist fast qua- dratisch und 1 bis 2 Linien weit. ‚Die meisten Fasern sind glashell, etwas gelblich; manche zeigen in der Mitte einen dünnen, stark liehtbrechenden Streifen, der schon mit blossem Auge sichtbar ist und von kleinen Sandkörnern und anderen fremden Körpern herrührt, welche iin weit geringerer’ Menge als bei Spongia tupha sich vorfinden.‘ Die Dicke der Fasern erreicht '/, Mm. und. bleibt sich auf lange Strecken gleich; an manchen ‚Stellen kommen aber auch. weit dünnere Fasern vor. , Bei starker Vergrösserung zeigen die Fasern eine deut- liehe Längsstreifung, welche sich gleichmässig über die ganze Faser erstreckt, nur in der Mitte findet sich in ‚der Regel ein dünner Streifen vor, welcher fast zellig erscheint und an den Stellen, wo. von einer Faser ein Zweig abgeht, sich 'ge- wöhnlich zu einem Dreieck ausbreitet., In manchen Fällen reiehen die ‚in ‚den Fasern abgelagerten Kalkkörner ‚bis in letzteres hinein. Die Fasern sind äusserst schwer zerreiss- lich und haben auf Durchschnitten einen fast eoncentrischen Bau, welcher die Ursache der Längsstreifung zu sein scheint. Auch das Körperparenchym ist schwer zerreisslich, man kann ziemlich grosse Stücke der äusseren Haut im Zusammenhang ablösen. Wenn man ein solches zerfasert, so erhält man sich noch seine Zeit lang bewegende Stücke, wie sie von anderen Schwämmen bereits beschrieben sind. In wenigen derselben fand sich ein kernartiges Gebilde, in vielen ein dunkles Pig- ment vor. Die Bewegungen der. vereinzelten' Wimperzellen erlöschen schnell in Seewasser. Ein dritte Art der Hornspongien, welche ich lebend aus dem adriatischen Meere bei Triest erhielt, lässt sich ebenfalls nicht nach den vorhandenen Werken bestimmen. - Es kamen: faustgrosse Exemplare zur.Beobachtung; sie zeichnen sich durch eine Ausserst unregelmäßsige Oberfläche aus, «welche, um sie mit 366 N. Lieberkühn: etwas Bekanntem zu vergleichen, einer Anzahl dichtstehender Hahnenkämme ähnelt. Eine hahnenkammartige Hervorragung trägt wieder eine unbestimmte Menge zackiger Firsten, welche ungefähr 1 bis 2 Linien von einander abstehen und noch nieht 1 Linie hoch sind. Die Firsten sind von zweien Seiten plattgedrückt, nach Art der Rosendornen, und ungefähr‘ '/; Linie hoch. Die thierische Substanz überzog gleichförmig den grössten Theil des Schwammes und verleiht demselben eine gelblich graue Farbe. ‘Nur an einzelnen Stellen und zwar da, wo der Stamm auf Steinen aufgesessen hatte; fehlte dieselbe und lag das Horngerüst frei zu Tage. Es bildet ein äusserst unregelmässiges Netzwerk, dessen Maschen die mannichfaltigsten Formen darbieten; viele sind so gross, dass man sie leicht mit blossem Auge erkennt, indem sie einen grössten Durchmesser von mehr als einer Linie erreichen; dazwischen liegen wieder andere, welche man nur schwierig ohne ‚optische Instrumente erkennt. Die Dicke der sie bildenden Fasern ist ebenso verschieden; die dicksten errei- chen etwa !/;Mm., die feinsten messen ungefähr '/,., Mm.; es bilden aber keineswegs die dicken Fasern die grossen, und die dünnen die kleineren Maschen des Netzwerks, son- dern dünne Fasern ‘machen Maschen von. 1 Linie in der grössten Ausdehnung und starke Fasern laufen oft so dieht neben einander her, dass sie sich fast berühren und die sie verbindenden Fasern so kurz sind, dass man nur: eine ein- zige, mit Löchern versehene, Faser vor sich zu haben glaubt. Die meisten Fasern sind undurchsichtig und grau oder roth gefärbt. Diese Farben rühren von den innerhalb der Horn- fäden liegenden fremden Körpern her. Wenn man nämlich die Fäden mit dem Mikroskop untersucht, so findet man darin die verschiedensten Gegenstände eingeschlossen, na- mentlich die schon bei Spongia tupha aufgezählten Kalkkör- ner, Bacillarienschaalen, Polythalamienschaalen, ganze und zerbrochene Kieselnadeln verschiedener Schwammarten und vor allen eine rothe Alge, welche bei einigen Exemplaren fast alle Fibern durchdringt und die Ursache der rothen Farbe derselben wird, Die Anordnung des Horngerüstes ist Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. 367 dieselbe, mögen Algenfäden darin vorkommen oder nicht. Herr Alexander Braun hatte die Güte mir mitzutheilen, dass die Alge wohl zu den Florideen gehören möchte, dass aber eine: mit der vorhandenen Verzweigung nicht be- kannt sei; Hr. Dr. Pringsheim theilte letztere Ansicht und hielt es für wahrscheinlich, dass es sich um die bisher zu den Florideen gestellte Gattung Callithamnia handle, welche dadurch von allen anderen Florideen abweicht, dass sie aus Fäden besteht, wie sie bei den Süsswasseralgen vorkommen; darnach würde einzig und allein die Spongie die Art der Verästelung bestimmen und die Alge dieser nur folgen. Manche der Hornfasern sind von Algenfäden so. dicht ange- füllt, dass nur am äusseren Rande eine äusserst dünne Lage durchsichtiger ‚Hornsubstanz am Rande sichtbar ist; in an- deren Fällen stehen die Algenfäden so weit auseinander, dass man zwischen ihnen die Hornsubstanz, welche sie zusammen- hält, erkennt; bisweilen liegen neben den Algenfäden auch noch kleine Kalkkörner. Nicht selten enthalten die Hornfa- sern gar keine fremde Substanzen; sie sind dann ganz durch- sichtig und zeigen eine regelmässige Längsstreifung. Merk- würdig ist das Verhalten derselben in den über die Ober- fläche des Körpers hinausragenden Spitzen; die fast eylin- drische, öfters durch die darin enthaltenen fremden Körper höckrige Faser, läuft in eine oder mehrere dünne, ganz un- regelmässig gestaltete Platten aus, die eine grosse Masse von Kieselnadeln, Kalkkörnern enthalten und schliesslich so zart werden, dass man nur Anbäufungen von Nadeln und Kör- nern vor sich zu haben glaubt, und in der That ‚gelingt es bei manchen der letzteren durchaus nicht, noch darüber fort- laufende Hornmasse zu erkennen. Das Skelet ist, wie überhaupt der ganze Schwamm, leicht zerreisslich. Unter den abgerissenen Stücken finden sich grössere, welche eine scharfe Contour haben und eine Art von zelligem Gefüge erkennen lassen. Die kleineren Stücke enthalten meist einige stärker und schwächer lichtbrechende Körner in ihrem Inneren und zeigen die gewöhnlichen Bewe- 368 N. Lieberkühn: gungen. “Die ‘Schwingungen der Wimperzellen‘ erlöschen schnell im 'Seewassser. } Von'den eigentlichen Badeschwämmen, Spongia officinalis, kam im Meere bei Triest kein Exemplar vor; es stand ‘mir nur ein in’ Spiritus aufbewahrtes vom: hiesigen Museum zur Verfügung; die 'Weichtheile desselben befinden sich jedoch in einem zur Untersuchung nicht mehr geeigneten Zustande, Das Skelet liegt an den meisten Stellen frei zu Tage und hat ganz das bekannte Aussehn; seine Fasern sind weit’ dünner als’ die’ der vorher beschriebenen Hornspongien und weichen in ihrer Dicke weit weniger von einander ab. Charakteri- stisch sind die auf der Oberfläche hervorragenden, auch bei den in Gebrauch befindlichen Schwämmen noch vorhandenen mit blossen Augen schon siehtbaren Spitzen; ‘es sind dies nämlich die Enden der Hornfasern, welche hier in grosser Anzahl öfters bis zu 10 kegelförmig zusammenlaufen, : theil- weise sich ‘etwas verdünnend. - Die Substanz der Spitze weicht von’ der der gewöhnlichen Faser in ihrem Aussehen ab; sie ist rauher, enthält überwiegend fremde Körper z.B. Kieselnadeln verschiedener Arten von Halichondria, ganz und in Bruchstücken, welche sonst in den Fasern nur selten vor- kommen. Unter den an der Spitze auslaufenden und sich hier in der Substanz derselben verlierenden Fasern zeichnet sich eine durch ihre erhebliche Dicke und unregelmässigere Oberfläche aus; es ist dies diejenige, von der die äusserste Spitze nur das Ende bildet; sie lässt sich weit in das Innere des Skeletes hinein verfolgen.‘ An dem unteren Theile des Schwammes, womit er festsass, 'hat er eine fast rothgelbe Farbe; es sind hier die Fasern: mit vielen kleinen‘, stark lichtbrechenden, gelblichen Körnern belegt, welehe an manchen g Stellen so dicht liegen, dass sie sich unter einander berüh- ren, an anderen aber nur vereinzelt vorkommen. Sie liegen fast durchweg in der äussersten Schicht der soliden Fasern, was beim Zerreissen des Skeletes in kleine Stücke bisweilen dadurch klar wird, dass nur die äussere von diesen Körn- chen "durchsetzte Schicht einer Faser wie eine Hülse zu- rückbleibt, während der innere Theil herausgerissen ist. Neue Beiträge’ zur "Anatomie. der Spongien. 369 Gewöhnlich gehen die‘ Fasern ‚eontinuirlich ohne Andeutung einer Abgrenzung in einander über, nur.an diesen gelben Fasern fand ich es zuweilen anders. Es verlief nämlich die eine Faser nicht in der anderen, sondern breitete sich kurz vor ihrer Vereinigung um den mehrfachen Durchmesser aus, und setzte sich so gegen die andere ab, dass man die scharfe Contour der letzteren deutlich an der Ansatzstelle weiter ver- laufen sah, was namentlich durch die weit grössere Menge ihrer Körnchen um so deutlicher hervortrat. Ueber die Be- deutung der Körnchen liess sich Nichts ermitteln. ' Beobach- tet und abgebildet sind sie auch schon von Bowerbank. Bemerkenswerth ist noch’ das Verhalten der Fasern gegen Salpetersäure; wenn sie einige Zeitin solcher liegen, so wer- den sie ihrer‘ Elastieität verlustig; von manchen findet man nar'noch eine äussere Hülle vor, die das Licht weit schwä- cher bricht und 'sich ‘beliebig in Falten legt; an einzelnen Stellen sind eylindrische Stücke des Inhalts zurück geblieben, die das Licht weit stärker brechen und’ eine dunkelgelbe Farbe besitzen. Die oben erwähnten kegelförmigen Spitzen der Oberfläche sind nieht die ausschliesslichen Endigungen der'Hornfasern; im’ Inneren des 'Skelets’ läuft öfters eine einzelne Faser frei aus, sich allmählig zuspitzend. Die Filiferen. Auf dem hiesigen Museum befinden sich 2 Arten dersel- ben in Spiritus. Die eine bildet kuglige Massen yon etwa 2 Zoll Durchmesser. ' Die" Oberfläche ist mit kleinen Erha- benheiten von warziger Form besetzt. Die Grundflächen der Warzen berühren einander und haben einen Durchmesser von 2 Linienz'ihre Höhe heträgt' nahezu eine Linie. An ihrer Spitze ragt eine, 2 oder drei 3 Endigungen'der starken Horn- fasern hervor. 'Schneidet man’ ein Stück des Schwamms un terhalb der Warzen ab, so erkennt man, ‘dass von den War- zen aus Bündel starker Hornfasern in das Innere des Kör- Pers eindringen; zwischen solchen Bündeln breiten sich die von ihnen ausgehenden, äusserst feinen Fäden aus, welche 370 N. Lieberkühn: einen so: dichten ‚Filz bilden, dass man. eine -continuirliche Haut wahrzunehmen glaubt. An einzelnen Stellen erscheint die Oberfläche mit einem äusserst feinmaschigen, mit blossem Auge sichtbaren Netz überzogen; es rührt dies von Kalk- körnchen und anderen kleinen Körpern: her, die im Verlauf der Züge der feinen Fasern liegen. Hin und wieder finden sich auf der Oberfläche Löcher, die. in ein ‚den, ganzen Schwamm durchziehendes Canalsystem führen... Die starken Hornfäden unterscheidet man noch bequem mit blossem Auge, unter dem Mikroskop erscheinen sie deutlich gestreift und zeigen an vielen Stellen fremde Körperchen z. B. Kalkkörner, Kieselsterne von Tethyen, Bruchstücke von Kieselnadeln. Sie. bilden ein unregelmässiges Netzwerk, ‚in welchem (die Maschen meist sehr lang gezogen sind. Oft finden sich ne- ben starken Fasern auch sehr, dünne, ‚Von diesem gröberen Fasersystem aus verlaufen die feinen für diese Gattung cha- rakteristischen geknöpften Hornfäden. Es gelingt nur schwie- rig, einen solchen seiner ganzen Länge nach in. Verbindung mit der dicken Faser zu beobachten. Das Knöpfchen am Ende des Fadens ist gewöhnlich kugelig und geht die Sub- stanz des Fadens continuirlich in die Kugel über., Die Dicke des cylindrischen Fadens. beträgt ungefähr !/,0o Mm.;: der Durchmesser der Kugel etwa 3 mal so viel. Bisweilen tref- fen 2 bis 4 Fäden in einer solehen Kugel oder in einem et- was unregelmässig gestalteten Körper zusammen. Die feinen Fäden verlaufen im Gewebe des Schwammes meist: zu grossen Bündeln vereint und kreuzen sich namentlich auf der Ober- fläche ziemlich regelmässig mit ‚anderen Bündeln, In dem zelligen Gewebe liegen sie eingebettet wie sonst die Kiesel- oder Kalknadeln. Wenn man ein Stück Schwamm. zerfasert, so verschlingen sie;sich mannigfaltig unter einander. Be- handelt man sie mit Salpetersäure, so wird ihre sonst. glatte Oberfläche unregelmässig quergerunzelt; eine dünne äussere Schicht löst sich ab und schliesslich wird auch der zurück- bleibende dünnere Faden aufgelöst. Ich schlage für diese Art,den Namen Filifera verrucosa vor. Sie stammt aus West- indien. Nene Beiträge Zur Anatomie der Spongien. 371 { Eine zweite Art, deren Heimath nicht angegeben ist, sieht dem gewöhnlichen Badeschwamm äusserst ähnlich und bildet eben solche un- regelmässige Massen. Charakteristisch für dieselbe ist be- sonders das Verhalten der Oberfläche. Es ragen nämlich in Abständen von '/, bis 2 Linien kleine, noch nicht !/, Linie hohe Spitzen heraus, welche alle durch dünne Wälle mit ein- ander verbunden sind und der Oberfläche ein flach-waben- artiges Aussehen verleihen. An einzelnen Stellen treten grös- sere oder kleinere Löcher auf, welche in das innere Canal- system führen. Solche Canäle sind oft nur durch dünne Scheidewände von einander getrennt, welche meist ausschliess- lich aus den feinen geknöpften Fäden und Gallertsubstanz bestehen. Dasselbe gilt auch von denjenigen Theilen der Oberfläche, welche zwischen den kleinen Hervorragungen liegen und die Grundfläche der Waben bilden. An manchen Theilen hat der Schwamm eine braunrothe Farbe, welche von äusserst feinen in den geknöpften Fäden abgelagerten braunen Körnchen herrührt, eine Erscheinung, von der schou bei der Beschreibung des Horngewebes des Badeschwammes gesprochen ist. Ich nenne diese Species Filifera favosa. Die Kalkspongien. Dass es Spongien giebt, deren Skelet von Kalknadeln ge- bildet wird, hat zuerst Grant behauptet; er fand, dass sich solche Spicula in verdünnter Salpetersäure unter Aufbrausen lösen (The Edinburgh new philosophical Journal. 1826. p. 166 —170). In seinen ersten Arbeiten behielt Grant die bis dahin gebräuchlichen Namen bei; es waren namentlich Spon- gia compressa Fabr. sive Spongia foliacea Montague, ferner Spongia complicata Mont., endlich Spongia' coronata Ellis. Später erhob Grant die Kalkspongien zu einer eigenen Gat- tung und nannte sie Leucalia (in der Edinburgher Eney- «lopaedia XVIIE. p. 844) und Leuconia (in seinem Lehrbuch der vergleichenden Anatomie). Fleming legte ihnen den Namen Grantia bei (British Animals 524), Blainville Calci- spongia (Manuel d’actinologie p. 530). 872 i N: Lieberkühn: Johnston behält in seinem Werke über die britischen Spongien ‚den. Namen Grantia 'bei und: giebt' folgende, ‚Be- schreibung: spongiae plerumque albicantes minutissime.poro- sae nec vi resiliendi praeditae,..e.spiculis cealeareis multifor- mibus in, membrana gelatinosa contextae; \ oseulig, rotundis planis. Unter dieser Gattung sind $ Species ‚aufgeführt; und sind dieselben nach der Körpergestalt,, welche 'eiförmig, ‚ey- lindrisch, blattförmig oder unregelmässig verzweigt sein kann, und nach ‚der Form und. Lagerung, der Nadeln’ gebildet. Ich beobachtete 2 Arten. lebend. aus der. Nordsee von Hel- goland und’im ‚adriatischen Meere bei Triest, und' eine dritte Art'/in getrocknetem Zustande. Die eine, Art, stimmt mit Grantia eiliata' überein. , Johnston’ beschreibt ‚sie so: sim- plex tubulosa , conico-fexuosa 'vel.ovata muricata, apicespi- eulis ereetis vitreis eiliato. |; In einer Anmerkung ‚fügt ler hinzu, dass dieselbe'Spongie, ‚wenn sie nach einiger Zeit sich im Wasser :zu zersetzen beginnt, unregelmässig angeordnete Erhabenheiten auf ihrer ‚Oberfläche zeige, welche ihr ‚das Ansehen; eines Tannenzapfens geben; die Erhabenheiten ra- gen. mit ihrer. Spitze nach der Ausflussöffnung hin. ; Diese Eigenschaften treffen für die lebend; von mir beöbachtete Art zu, ausserdem aber auch für die im getrockneten Zustande, nur dass ich über letztere nicht feststellen kann, ob sie unter den erwähnten Umständen einem Tannenzapfen ähnlich sehen mag. Es reichen mithin ‘die, von. Johnston: angegebenen Merkmale’ zur Charakteristik ‚seiner Species nicht hin, dasie auf 2 Species zugleich passen, (denn.dass die von mir getrock- net beobachtete Art wirklich eine besondere Art bildet, daran ist. kein Zweifel, weil die Nadeln sich ganz anders verhalten; sie, sind theils ‚weit grösser, „theils, haben. sie eine, «andere Form; ‚es müssen zur Artbestimmung jedenfalls die Form- und Grössenverhältnisse der Nadeln) mehr, berücksichtigt ‚werden, als bisher geschehen ‚ist. Es möchte‘ wohl am übersichtlich- sten ‚sein, ‚aus den Kalkspongien 2 Gattungen! zu. bilden, zu deren einer die unregelmässig. verästelten Formen zu rechnen wären, währendzu der anderen. die eine einfache Spindel:oder einen Kegel bildenden gehörten. ‚Für die erstere Gattung Neue Beiträgenzüur Anatomie der Spongien. 373 schlage’ich den Namen: Grantia‘ vor, für die anderen‘den Na- men Sycon, mit welchem bereits Risso dieselbe Form’ belegte. Granlia eiliata‘ John'st. sive’Sycon ciliatum wurde bei Hel- goland nur. in ‚einer Tiefe. von ‚30 Fuss ‚gefunden und an Steinen’ sitzend \mittelst eines Schleppnetzes aus dem’ Wasser hervorgezogen. Bei Triest fand sie‘ sich‘im grosser‘ Menge Ah den Brettern 'einer Badeanstalt: im Hafen «etwa 1 Fuss unter dem Wasser; (die: grössten ‚Exemplare "hatten fast die Länge von einem Zoll und waren ‘bis 4 Linien .diek:''In ihrer Gestalt'gleichen‘ sie ‘einander vollständig und ist die- selbe so’ wenig schwankend, wie‘ sonst‘ bei keinem der''be- kannten‘ Schwämme.. ‘Sie sind’ drehrund ‘und nehmen nach der (Ansatzstelle zu ‚erheblich‘ und: an dem oberen Ende’hin etwas an Durchmesser ab.’ Am oberen Ende findet sich ein fastwie Asbest glänzender Kranz von Nadeln, welche weit über das 'Körperparenchym hinausragen. ' Durch‘ die vom Nadelkranz' begrenzte 'Oefinung sieht man‘ in eine ‘Höhle, welehe sich herunter bis zur Stelle, ‚womit sich die! Spongie anheftet, erstreckt. Wenn man die charakteristische, ‘sogleich zu beschreibende Form und ‚die‘ Grösse der Nadeln dazu- nimmt, so'ist diese Species. leicht‘und mit Sicherheit zu"be- stimmen: i ’ "Die von‘ mir beobachtete verästelte‘ Form 'der Kalkspon- 'gien lässt sich unter 'keine' der von Johnston geschilderten Species bringen, ‘in mancher Beziehung stimmt ‚sie mit Grantia botryoides überein, aber’ in dem Verhalten ‘der’ Na- ‚deln weicht sie ab: "Es heisst von 'Grantia 'botryoides ‘bei Johnston: ramosissima' alba varie implexa,ramis Äncertis tabulosis subvillosis, apieibus‘ apertis; spieulis trifureatis. ‚Dreistrahlige Nadeln kommen bei den von mir bei'Helgoland und Triest gefundenen 'auch vor, ausserdem'aber noch ge- made, Diegrössten Exemplare, welcheich sah, hatten in’ihren "Röhren einen Durchmesser von nur etwa 2 Linien, der'ganze Vielfach Verzweigte Körper nahm mit seiner Basis höchstens einen Raum von etwa I Quadratzoll ein; bei Helgoland fand ieh sie während der Ebbe an der unteren Fläche von Steinen, lelchärtk u du Bols-Roymond's Archiv, 1859, 25 374 “oalanoy? N.s»Lieberk ühn: welchel/ausıdem: Wasser emporragten; bei: Triest kamen bie gleichfälls;an den Brettern: der''Badeanstalt vor. ‚\ Auf den: Baw.der Kalkspongien findet nach den keiaben Gränt’s und ‚der übrigen Forscher: Alles das Anwendung, was,über ‚die ‚Spongien überhaupt ausgesagt istz}iauch. von den,/@rantien: werden Ein- und Ausströmungserscheinungen erwähnt vermittelst ‘Poren an bestimmten oder: veränderlichen Stellen! ihres: Körpers, ‚und ebenso sind bei ihnen. Wimpern gefunden. «Ja'.die schon in meinem letzten Aufsatz eitirte, zuerst von Dobie und später: von Bowerbank angestellte Beobachtung über ‘Wimpern im. Inneren‘ des Körpers: istian einer Grantie gemacht. Bowerbank suchte'an Längs- und Quersebnitten ‚die: Wimpern auf; obgleich'Schnitte wegen der ‚ weichen Masse des!’ Körpers ‚schwer zu führen 'sind;,; so, ger lang es ihm doch endlich, Hohlräume zu'öffnen und die) sie auskleidenden: Zellen: zw sehen, ‘unter denen: hin und ‚wieder eine Zu wimpern schien; indessen konnte Bowerbank nicht sicher entscheiden, ‚ob das Wimperhaar von. den Zellen selbst oder. dazwischen 'entsprang. Ar ‚In meiner früheren'Arbeiten 'habe ich die, von mir zuerst beschriebenen mikroskopischen Einströmungslöcher Poren ge- nannt. Es sind diese etwas ganz anderes als wasıGramt sp. genannt:hat und woraus:er Veranlassung nahm, die) Ab- theilang der Spongiaceen.mit dem. Namen. der ‚Porifexren ‚zu belegen. 'Eine-Grant’sche Pore: ist: nicht ein Einströmiungs- loch,. sondern | eine durch das ‚Gerüst gebildete vom. Paren- chym überzogene Lücke. : Grant sagt: (die fleischige Sub- stanzkleide ‚die Poren aus; ferner. erklärt er: wörtlich: „die äusser@ «Oberfläche :der ‚Spongille ‚ist, wie bei. den.‚Meer- ‘schwämmen, mit: zahllosen offenen Poren bedeckt; welehe, in das Innere hineinführen, Diese‘ Poren sind schon. von Lin- nmaeus und Gmelin bei.zwei Speeieserwähnt, Spongilla fluvia- kisis und lacustris! Auf der Oberfläche ‚einer Spongille, sind sie, sichtbar. in einer Entfernung von 20 Zoll... Diese, Oefl- mungen sind, nicht die Zellen. von Polypen.“ (The Edinb. phi- losophical Journal ete. 1826, vol. IV.p. 276). Oefters sind .es nicht einmal ausschliesslich‘ die ‚Gerüstlücken , welche‘ den Neue Beiträge. zur Anatomie der Spongien. 375 Schwämmen das poröse Ansehen geben, sondern zugleich die: Lagerung nadelfreier Parenchymbalken, und ‚diese kön- nen, 'wie ich häufig sah, ‚mannigfaltig die Lage durch Zu- sammenziehung und Ausdehnung ändern. Gerüstlücken als Poren: bildet Grant in seinem Lehrbuch der vergleichenden Anatomie $.6 ab, -Bowerbank spricht bei seiner Beschrei- bung der Halichondria Johnstonia von ineurrent canals (The Transact. of the mieroscopical Society vol. I. 8.64.) Später beschreibt er genau die Ausströmungslöcher an einer neuen in der Nähe von Tenby gefundenen Spongie; er sah, dass Wasser mit grosser Kraft aus den geöffneten Röhren heraus- geworfen wurde und dass an einem und demselben Stück Schwamm, an welchem mehrere Ausströmungslöcher, die er Oseula nennt, vorhanden waren, nicht ‚alle gleichzeitig in Eunetion waren. Die mikroskopischen Einströmungslöcher erwähnt er hier noch nicht, sondern behauptet, dass’die Sub- stanz ‚des Körperparenchyms Sarkode sei, welche wie die Substanz von Actinophrys Sol ‚und die Schleimhäute, anderer Thierklassen mit Imbibitionsfähigkeit begabt sei (Athenäum No. 1505, 30. Aug, 1856. 8,.1096 und Report of the 26th Mee- fing of the british Association for.the advancement of science. London 1857 p. 438.) Laurent bemerkte ganz richtig ge- gen Grant, dass jene Poren unterhalb der äusseren Hant lägen; das Wasser sollte nach seiner Ansicht die änssere Haut endosmotisch durchdringen. . Die Poren in der äusseren Haut sind durch: die neuesten’ Untersuchungen von Carter bestätigt, ebenso der darunter ‚befindliche ‚Hohlraum, das Oanalsystem des Körperparenchyms und die Existenz der Wimperorgane; einige Differenzpunkte werde ich weiter un- ten ‚besprechen (Ann. and Magazine of nat. hist. Vol. XX, p. 21 sq. Tab. I). Später fand dasselbe auch Bowerbank bei Spongilla fluoiatilis; er giebt Abbildungen von den Ausströ- mungsröhren und Einströmungslöchern und sah auch das sich Oeffnen und Schliessen derselben, (Report of the 27th Meeting of the british Association ete. London 1858 p. 121). Wir betrachten zuerst bei Sycon eiliatum die äussere Haut, dann die innsve Körperhöble mit deu Wimperapparaten, dann 26° 376 Diauone A EReBerK Re a die Ausströmungshöhle, zuletzt ads Kalkskelet und'die Foört- pflanzungskörper. Die lebende Spongie ist'wegen des dich- ten Nadelbesatzes der’ Körperoberfläche 'schwierig zuw'beob: achten. ' Bei sehr kleinen, etwa 1’ Linie langen Exemplären zeigen sich ‘öfters grosse Mengen yon Einströmungslöchern, welche ih' der" Grösge' won’denien "der Spongillen nicht"ab- weichen ; sie’ erstreeken "sich über" den "ganzen Körper. "Die Greiizen der die'Haut zusammensetzenden Zellen liessen'sich tichterkennen. "Man nimmt in geringen’ Abständen von ein! änder-kleine, mit mannichfaltigen feinen’ Ausläufern'versehene Körperchen wahr; die Ausläufer: berühren“ sich’ bisweilen‘ Kerne und Kernkörper‘wären'nicht 'mit'Sicherheit zu unter- scheiden; die Nadeln’ rägen in Büscheln aus’ der'äusseren Haut'hervor 'und'veränlassen’ das ‘schon oben: erwähnte"tah- nenzupfenähnliche Ansehen, Von dem Inneren des'Körpers ist’ am lebenden‘ Exemplär wenig’ zu sehen; man bemerkt, dass ‘die "Poren in’einen grossen ‘Hohlraum führen"und"uti- terscheidet!"bisweilen den 'Umriss’\eines‘ Wimperappärätes. Die einzelnen Theile kommen weit besser zur Beobachtung, wenn man die Spongie 'mit 'Holzessig behandelt, inwelchem sich’ die Nadeln leicht‘ auflösen, ‘der Körper’ verliert’ dadurch seine Resistenz und fällt zu einem schlafleh Sack zusammen. Auf der’ Oberfläche des Körpers machen‘ sich sogleich 'be- merklich diejenigen Stellen, "in welchen die Nadelbüschel 'steckten ,' sie erscheinen’ als 'kegelförmige Erhebungen mit vielen Streifen, welche den Ausdruck der feinen Röhret’bil- den, -in' denen !die Nadeln stecken, "und'haben die Beschäffen- heit der äusseren Haut.’ Sie stehen öftso dicht bei einän- der, dass sie sich mit'ihren‘Basen berühren; letztere stehen häufig gerade über einem'Wimperapparate, mit dem'sie etwa "gleiche "Durchmesser haben.“ "Die kegelförmigen Erhebungen erstrecken sich’ nicht ganzbis zum Rande der Ausströmungs- öffnung hinauf, \etwas (über sie hinaus’ reichen in'der Regel ‘noch 'die' Wimperapparate, die eine'etwa kugligeForm'ha- ben und erheblich grösser sind als die der'Spongillen.''Män sieht sie durch die äussere Haut durchschimmern ‘und 'kann die sie’ zusammensetzenden 'kleinen’ Zellen! erkennen. "Das Neue Beiträge, zur Anatomie ‚der Spongien. 377 obere Ende des Körpers 'enthält da,,wo, der. Nadelkranz, be- ginnt, keine, Wimperapparate mehr, ‚man sieht: hier, nur Strei- fen. in der Haut,, welche von 'den Nadeln herrühren. In,man- chen Fällen erscheint die äussere, Haut ‚ganz, glatt, ohne An- ‚deutung, ‚eines ‚zelligen ‚Baues; mit unregelmässig, zerstreuten Körnehen, Wenn. man..den sackförmigen Körper: seiner ganzen Länge mach (öffnet, |.80 , erkennt ıman Folgendes: Es erstreckt sich eine, grosse Höhle von ‚dem ‚oberen, Ende‘des, Körpers, wo sie offnen. ist, bis an ‚die Anheftungsstelle, an ‚welcher sich keine ‚Oeffnung ‚nach, aussen. vorfindet,i, Breitet man. die ge- ‚öffnete ‚Spongie flach auf einem Objectglase aus, sordass die innere, Seite zur Beobachtung frei liegt, so sieht, man schon,.bei. schwacher 'Vergrössernng . die, dicht san. ‚einan- der ‚grenzenden' Contouren der Wimperorgane und, meist, auch kleine 'kreisförmige Oeffnungen in unregelmässigen Abstän- ‚den. (von „einander und; über ‚den. Wimperorganen gelegen. Bei stärkerer Vergrösserung erweist sich, dass die in Rede stehende Fläche eben so. beschaffen ist, wie die äussere Haut. Die kreisförmigen Oeffnungen führen in, die, /Wimperapparate, ‚deren ‚Wimperzellen nieht ganz | bis zum ‘Loch heranreichen, sondern\sich in wimperlose ‚Haut fortsetzen. Die ‚Wimper- ‚apparate hängen in den grossen, unter der äusseren Haut be- findlichen. Hohlraum hinein, in welchen man| bisweilen ‚Pa- tenchymbalken von verschiedener ‚Stärke, der; Quere nach verlaufen. sieht. ., Um die Wimperhaare zu sehen, muss man eine, lebende Spongie der Länge. nach, durchschneiden und ‚ein Stück‘ so ausbreiten, dass die äussere Haut nachj,unten ‚gekehrt ist; man sieht dann,in glücklichen Fällen gerade in ‚eins ‚der, erwähnten, Löcher hinein ‚und, erkennt die schwin- ‚genden Wimpern, welche auf den’ einzelnen Zellen ‚sitzenz 'es ist hierzu ‚eine, starke Vergrösserung nothwendig;, Zerfasert man ein Exemplar, welchesinoch nicht lange ausser Wasser "war; #0 gelingt.es stets, die Wimperzellen vereinzelt oder in Mengen zusammenhängend,in Thätigkeit zu sehen und die gewöhnlichen, Bewegungen | kleiner Spongienstücke, zu: beob- mm ob 1 318 : N. Bieberkühn! achten, von denen mänche nach Behätidlung‘ mit Essigsäure einen kleinen Kern nebst Kernkörperchen zeigen: So wie man das Skelet der Kalkspongien entfernen kann, ohne das Körperparenchym zu zerstören, so lässt Sich Auch das Skelet erhalten und das Körperparenchym entfernen, und zwar durch anhaltendes, nicht zu starkes Glühenz; bei''zu starkem Glühen zerspringen die Kalknadeln in kleine Stücke. Das geglühte, von: organischer Substanz befreite Skelet hat gänz die Form des uhversehrteii Thieres; man erketint auf der äusseren Oberfläche an vielen Stellen noeh die’ in’ Bü- scheln' stehenden’ Nadeln und am oberen Ende des’ Körpers den Nädelkranz. Schneidet man das Gänze vorsichtig der Länge nach durch, so macht sich sogleieh die an! der Atsflussöffnung' endende und sieh bis an’ die Ansatzstelle herunter erstreckende Höhle bemerklich, welehe bei grossen Exemplaren über eine Linie in der Mitte im Durchmesser hat und nach unten zu schmäler wird.‘ Die'sie umgebende Wand erscheint schon dei blossen Auge, deutlicher" aber noch unter der Loupe siebförmig dürchlöchert, was’ durch die eigenthümliche Lagerung der’ dreistrahligen Nadeln be- wirkt wird. In jede sölche Lücke gehört ein Wimperapparat, durch dessen Anwesenheit das Netzwerk 'noch deutlicher wird, indem die Grenzen desselben in die Grenze der @e- rüstlücken fallen. Däs’die erwähnte Höhle umgebende beim lebenden Thier vom Körperparenchym eingenommene Nadel- Berüst ist so dicht, dass es dem blossen' Auge fast! wie' eine eömpacte Mässe erscheint; es bildet eine fast '/; Linie dicke Wänd, itinerhalb deren nur drei- oder’ vierstrählige Nadeln liegen, während auf der Aussenfläche die langen spindelför- imigen Nadeln hervorrägen. Die genannte Höhle entspricht nicht dem bei den Spongillen beschriebenen‘ Hohlraum, in welchen die beschriebenen mikroskopischen Binführungs- löcher Kineinführen, sondern (dem Hohlraum, welehen die Ausfussröhre nebst den’ihr das Wasser aus den Wimperap- parateh zuführenden Canälen bildet. Die Nadeln des Skeletes sind dreifächer Art, je kauen: sie den Nadelkranz oder den Büscheln auf der äusseren Neue Beiträge) zur' Anatomie der Spongien. 379 Haut ‘oder dem inneren‘ Körperparenchym angehören.) Die Nadeln, welche die Ausströmungsöffnung rings, dicht umge- ben, haben eine bedeutende Länge, 'nämlich ‚von etwa 2.Mm}, sind aber sehr dünn, 1/90 ’Mmi. im; Durchmesser, höchstens ‚dick und laufen an den Enden allmälig spitz zu. Die Na- ‚deln der Büschel auf der äusseren Haut sind höchstens halb so'lang und etwas stärker und! spitzen sich.nicht so 'allmälig sondern plötzlicher zu.' Die Nadeln des Körperparenchyms sihd' meist drei- bisweilen auch vierstrahlig.. ‚Die. drei Strah- len‘liegen nicht in einer Ebene, sondern‘ verläufen wie,die Kanten einer. niedrigen‘ dreiseitigen Pyramide. mit grosser Basis, indem die Strahlen ‚eine erhebliche ‚Länge bis-ızu 6 Mm. erreichen; öfters: ist: der eine Strahl: bedeuterid.län- ‚ger als die übrigen. "Sie spitzen sich ‚allmählig, nach'.den Enden hin'zu und erreichen lan der Vereinigungsstelle, etwas "über %/,5 Mm. Dicke. Ist ein: vierter ‚Strahl | vorhanden, so liegt derselbe meist in der Verlängerung eines der 3, Strahlen. ‚Von allen erwähnten Formen kommen auch. äusserst, kleine ‚Exemplare nicht selten vor. » Bei jungen T'hiereti, haben! die Nadeln schon dieselbe Form; aber nicht dieselbe, Grösse. Fortpflanzungskörper b ‚fanden sieh häufig. von dieser Art bei Triest vor: ‚Sie wur- ‚den bei einer grossen Anzahl von.eben |dem Wasser; entnom- menen Exemplaren beobachtet und kamen! beim. Zerfasern ‚derselben zum Vorschein; ‚Die entwickeltesten Embryonen "masser etwas über !/;;Min., ‚die kleinsten! nur halb, so. viel. Sie sind kugelig oder oval ünd zeigen iu der. Mitte des Kör- ‚pers eine dunkle‘ Stelle, welche, bei Anwendung, von. Druck sich als eine längliche Höhle erweist, die im. Längsdurch- messer etwä ‚den dritten Theil. des Thieres ‚beträgt, und ge- "wöhnlich eine äusserst feinkörnige,braune detritusamtige Masse Jenthält, Diese Embryonen sind’ auf dem’ ganzen, Körper ni langen Wimperhaaren besetzt, mittelst deren sie sich lebhaft im Wasser bewegen, Zellen dazu liessen,‚sich ‚bis jetzt; auf ‚der Oberfläche des Körpers ‚nicht nachweisen; man ‚erkennt "nur vereinzelte \stark lichtbreehende Körnehen, in. ihr. ı Bei ‚ein wenig,ltieferer Einstellung ‚des, Focus ‚erblickt man ‚zel- 380 N. Lieberkühn; 1: lige Gebilde 'von rundlicher; Form, beiverheblieh' tieferer,« wo man die braune Substanz im' Inneren‘ erkennt ‚'kommenra- diäre Streifen zum Vorschein, welche von»letzterer'nach der Oberfläche’ hin verlaufen. ' Je: zwischen zwei solchen. Streifen erkennt man öfters darauf senkrecht gestellte‘ ‚Querstreifen. Die radiären Streifen stehen‘ bei manchen Embryonen/erheb- lieh''näher 'an einander und! fehlt‘ dann» meist',die „braune Masse,‘ "Bei vielen Embryonen ist nur. ‚der nach:vorn schwim- mende: Theil ‘des. Körpers mit ‘Wimpern’ besetzt iund'mitlıder inneren Höhle ‘und der erwähnten Streifung !versehen, 'wäh- rend ‘der hintere. Theil 'von ‘alledem ‚Nichts: zeigt, sondern nur-als ein unregelmässiger Haufen'zelliger Gebilde. erscheint, in‘ welchem sich’ 'freilieh bisher) keine Kerne oder: Keräkör- perchen "nachweisen liessens' | Es ist wohl'isehr, möglich, dass’ dies’ Embryonen im’ zerfallenden Zustande'sind; beirden normalen möchten‘ wohl die’ radiären-Streifen mitihren Quer- verbindungen der Ausdruck'neben' einander\liegender Zellen- reihen sein, ‘welche: das Körperparenchym' des Thiere&bilden, während die'mit detritusartiger Masse 'angefülte Höhledem grossen’ Hohlraum der ausgebildeten Thiere entspricht, iwel- cher in die Ausströmungsöffnung ausmündet. N Beim Zerfasern des’ Körpers völlig entwickelter‘ Sykonen bemerkt'man bisweilen eigenthümliche zellige Gebilde, welche kuglig"oder 'oval''erscheinen, bedeutend grösser‘ sind ‚als die gewöhnlichen Zellen’ und namentlich "einen weit ‚grösseren Kern’ und 'Kernkörper führen. "Dass dies Eier 'sindy‚\dafür ‘spricht, dass man sie an denselben Stellen vorfindet/wiendie Embryonen." Wenn ‘man nämlich ein T'hier mit Holzeseig ‘behändelt, so lässt sich “wahrnehmen, dass die'Embryonten ‘zu mehreren in Zwischenräumen zwischen ‘den Wimperapp®- raten vertheilt liegen; eben da finden sich auch‘ die’ für ı Bier \'beanspruchten ‘ Bildungenz "bei der Zerfaserung fanden sich“ letztere bis zu'8 in einem besonderen Behälter ohne nach- weisbare Structur vor. an ui! Eine zweite Art von Sykonen ’erhielt ich, als Bye Hum- boldtii Risso bestimmt, durch die Güte des Herrn von’Mar- tens im getrockneten Zustände und sah sie'auf' dem Triester Neue Beiträge zur; Anatomie;der Spongien. 381 Museum in. Spiritus, aufbewahrt.,\ Sie. stimmt; ini.der, Körper- gestalt, in der Anordnung,.des Nadelkranzes, der Körperhöhle ganz mit der vorigen überein‘, ist/nur etwas grösser. |.Ganz abweichend verhalten sich: aber die,Kalknadeln. Die Strah- len der dreistrahligen sind nämlich etwa noch einmal so dick und weit länger. Die langen auf der Körperoberfläche ste- henden sind etwa noch einmal so lang und über viermal so dick. Die zweite Gattung der Kalkschwämme ist durch den mannichfaltig verästelten, Körper charakterisirt, der seiner ganzen Ausdehnung nach eine in eine oder mehrere Aus- strömungsöffnungen mündende Höhle führt/ Die Ausströ- mungsöffnungen finden sich an dem oberen Ende frei her- vorragender cylindrischer Aeste. Die stärksten derselben erreichten noch nicht ’3Mm.! Durchmesser. Die Nadeln sind einfach oder dreistrahlig und nicht durch hornige Substanz verbunden. Die dreistrahligen ragen gewöhnlich nieht mit ihren, Spitzen! über die äussere ‚Haut, heraus,; ‚was aber die ‚einfachen: geraden ‚thun.; Man ;sieht. ‚sie bald nach ‚oben,, bald ‚nach: unten, bald seitwärts abgehen, ; ‚Wegen, der Menge ‚der Nadeln ist \auch.hier. bei! unversehrtem, Körper ‚wenig ‚zu ‚er- ‚kennen ; entfernt ‚man! dieselben: durch yerdünnte Salzsänre, so ‚verliert der, Körper‘ jeden ‚Halt. und. erscheint. als; dünn- wandiger. Hohleylinder.., An.der /Wand, desselben ;unterschei- -detoman ‚eine: äussere ‚Haut; welche keine deutlichen Zellen- ‚grenzen erkennen,lässt und hin und, wieder mit ‚kleinen Lö- cherh versehen ist. Letztere führen in einen Hohlraum, der -sich durch die gauze Wand ‚erstreckt. ‚ı Die, nach, innen ‚se- Ihende Grenze, der Wand wird durch eine Lage sehr bestimmt gegen, einander abgegrenzter..kleiner, Zellen. gebildet, an, ‚der ‚ieh keine: ‚besonderen | Abtheilungen, zu unterscheiden, ‚ver- moechte, Bei Zerreissung des lebenden Körpers, machen; sich zuerst grosse Stücke zusammenhängender Wimperzellen be- “merklich,; welche, hier nieht in Form ‚runder; Behälter oder als Dheile ‚ derselben vorkommen, sondern, Platten bilden ; "ausserdem ‚fanden sich auch. die gewöhnlichen, beweglichen "Pareneiymstücke. Es äbnelt.diese Art,sehr, der von, John- 383 Beinrich'Ratbke: ston abgebildeten 'Grantia botrydides, weicht aber darin voh ihr ab, dass sie neben den dreistrahligen Spicala jene 'moch einfache'spindelförmige führt. (Fortsetzung folgt.) Bemerkungen über die Entstehung der Carotis sub- vertebralis bei der. Krähe. ' Von HeiınkıcH! RarHke! In dem letzten Bande des von Joh. Müller heransge- gebenen Archivs (Jahrgang 1858) ist das Ergebniss einer Untersuchung mitgetheilt worden, die ich 'an Sperlingsem- bryonen zu dem’ Zwecke angestellt habe, um die Entstehungs- weise des bei manchen‘ Vögeln vorkommenden 'unpaarigen Karotidenstammes zu’ ermitteln. Später habe ich’ noch eine Gelegenheit gehabt, eine gleiche Untersuchung ohne ähnliche Schwierigkeiten, wie jene, an Embryonen eines viel grös- seren Vogels, nämlich an denen der 'Nebelkrähe (Coreus cörniz) austellen zu können. Beil'den jüngsten von diesen Embryonen, ‘die sich in 4 Nestern' verschiedentlich weit 'ent- wiekelt hatten, wären ‘die Beine noch schaufelförmig und ohne Andeutungen von Zehen; 'bei ‘den ältesten‘ dieselben Gliedmassen schön ähnlich‘ wie bei den’ erwachsenen Krähen 'gestältet und der Rücken hie und damit a an in Bälgen eingeschlössenen Federchen versehen: Die jüngsten nun besassen ,'wie ähnlich weit enkviidkeite Embryonen 'von 'Hühnern ' und Sperlingen, zwei kurze ge- meinschäftliche Karotiden, (die'von zwei Arteriae"anonymae abeingen, ihrer ganzen Länge’ nach weit auseinander: lagen Bemerkungen über die Entstehung der Carotis subvertebralis u. s. w. 383 nd über den Jugulärvenen ein wenig nach innen von’ den- selben verliefen. Bei etwas älteren Embryonen’ zweier Ne- ster, an deren Beinen die Zehen zwar schon angedeutet, je- doch noch unter einander ihrer Sanzen Länge nach verbunden waren, hatten die beiden gemeinschaftlichen Karotiden, wie der ganze Hals, schon eine ziemlich grosse Länge erreicht, befanden sich aber auf verschiedenen Stufen der Entwicke- Jung. Bei einigen nämlich lagen sie nach dem grössten Theile ihrer Länge unter den mittleren Halswirbeln dicht neben ein- änder. Bei anderen wären sie auf derselben Strecke hie und da verschmölzen, so’ dass sie an einigeh Stellen nur einen einzigen Canal bildeten, ‘an änderen noch zwei dicht neben einander liegende Canäle erkennen liessen und namentlich bei einem, wie ich nach ihrer Lostrennung bei einer Unter- suchung mittelst eines Mikroskopes gewahr wurde, 3 langge- streckte und’ sehr schmäle auf einander folgende Maschen zu- sammensetzten. Bei noch anderen von diesen jungen Em- bryonen bildeten sie unter den meisten Halswirbeln ein ganz einfaches Gefäss, dass mit zwei gleich dieken Wurzeln von den beiden Arteriae anonymae ausging und sich in der Nähe des Kopfes unter einem spitzen Winkel in zwei gleich dicke, wie überhaupt! symmetrische Aeste,,theilte. Bei den ältesten Embryonen aber war die rechte ‚Wurzel dieses unpaarigen Gefässes, für welches ich: den Namen Carotis | subvertebralis vorgeschlagen habe'), schon völlig aufgelöst, so dass es nur allein von der linken Arteria anonyma abging: auch lag es bei denselben nicht mehr unter den Halswirbeln frei da, wie dies bei den jüngeren Embryonen der Fall war, sondern war schon nach dem grössten Theil ‚seiner Länge "zwischen den "Muskeln, die sich an der unteren Seite der Halswirbel, ge- bildet hatten, eingeschlossen ünd davon verborgeu | worden. "Nach dem Angeführten hat also die an Krähenembryonen angestellte Untersuchung — was ich freilich erwarten konnte : 1) Ueber die Aortenwurzeln und die von ihnen ausgehenden Ar- terien der Saurier (m den Denkschriften der mathem. naturwissen- WeHafl, Class. der Kalserl, 'Aktdemie der’ Wissenschaften zu Wien. Bd. XIII. S. 124). 384 ihn, Edouard.Olaparedes oynuskenah ‚den, .von ‚mir, ‚an, Sperlingsembryonen ‚gemachten, Befund bestätigt, dass, bei, denjenigen: Vögeln, welche,‚eine unpaarige und ‚in, der. Mittelebene ‚des Halses unter.der Wirbelsäule yer- laufende, Karotis. besitzen „, diese ;;durch, eine, Versehmelzung zweier .gemeinschaftlichen;.Karotiden. gebildet, wird. Auffal- lend ‚war ir dabei, nurı. der Umstand, dass bei,;den Krähen- embryonen, die Verschmelzung der, beiden, gemeinschaftlichen K.arotiden nicht, ‚wie;ich bei den Sperlingsembryonen bemerkt hatte, ‚allmälich ‚von, hinten; nach; vorn in, einem Zuge verfolgt war, sondern, auf ‚der ziemlich: langen, Strecke, auf der sich diese beiden Arterien; dicht ‚an einander, gelegt hatten,. gleich- zeitig an,;verschiedenen Stellen begonnen’ hatte...) .. x „Beitrag, zur, Kenntniss des Horopters... Von " . r „su EDOUARD ÜLAPAREDE zu Genf. a Hann we Ta “Jh seinen Beiträgen zur Physiologie des Sehörganes'), hät "bekanntlich Georg Meissner die frühere rein theoretische ‘Bestimmung des Horopters von Pierre Prevöst?), Vieth 1) Beiträge zur Physiologie ‚des. Sehorganes,! von ‚Georg Meiss- ner. ‚Leipzig 1854, n 2), Bekanntlich hat Johannes M üller seinen oe ganz unabhängig aufgestellt und er erkannte erst später, dass Vieth (über die Richtung ‘der Augen. Gilbert’s Annalen. Bd. LVIM. S. 333) schon''1818 Iialkhfewteseh habe, die einfach gesehenen Punkte! miissten einen durch den fikirten Punkt und die beiden: optischen Centra geleg- ten, Kreis. bilden. ‚; Seitdem scheinen alle, Physiologen, die Ehre der Entdeckung des, 8. £- Horopterkreises diesen ‚beiden Forschern zuge- schrieben zu haben. Gleichwohl gebührt das Verdienst der ersten Entdeeknng desselben, dem bekannten, Physiker ‚und ehemaligen Pro- .fessor, der Phliosopbie zu ‚Genf, Pierre ‚Prevost, der ihn schon 1805 (S. dessen, Essai,,de Philosophie, on &tude de, l’Esprit humain. Geneve an XIII. 'T. I. p. 173) bekannt gemacht hat. „ Beitrag’ zur! Kehnthiss' des’ Höropters. 385 und‘ Johannes Müller durch"eine strenge Versuchsriiethode zu: widerlegen gesucht und 'eine 'ganz 'neue"Form des’ Ho- ropters aufgestellt, welche seitdem; so’ viel’ ich weiss) von keinem Beobachter "beanstandet und‘ sogar von sehen ernstlich' geprüft wurde. ni AR 1 |" Nach "Meissner’s Untersuchühgen ‘würde’ meistens der Hotopter lauf eine's.g. verticale 'Horopterlinie' öder 'gar’äuf einen (den fixirten) Punkt" zurückgeführt 'werden' “müssen; in'zwei’Fällen indessen ‘würde eine Horopterfläche 'existiren; nämlich 1. bei” vollkommenem Parallelismus' der‘ optischen Axen,'d.'h.! bei'wriendlicher Entfernung des’ fixirten Punktes, und»2.'bei' jeglicher Convergenz der Sehaxen,'wenn'zugleich die Neigung der’ Visirebene gegen den Horizont 45'Gräd’be- trägt!" In'beiden Fällen’ würde dieser‘ Horopter keineswegs den! Pierre Pretvost’schen' Horopterkreis enthalten); 'son- dern’ mit’der''senkrecht zur Visirebene ‘stehenden’ Horöpter- fläche, welehe schon 1613" vom ‘Jesuiten Aguildnias bypo- us angenoninien' wurde, übereinstimmen. "14." "Vor Vetlichen" Monaten“ nahm /ich "die Meissner”schen RER deren Richtigkeit ich damals’ nicht im’ Gering- sten bezweifelte, zufällig wieder vor, gewann’ aber seht" bald die Ueberzeugung, 'dass grobe Fehler 'den’Meissner"schen Resultaten anhafteten und dass’die neue Horoptertheorie'gänz- liehteingehen ‘müsse. "Dagegen" erkannte’ ich mit voller 'Ge- wigsheit,''däss sowohl’alle Punkte’'des'von Pierre 'Prewöst und: später von“Viethrund Johannes’Müller theoretisch bestimmten Horöpterkreises,‘ wie’ auch die Punkte’ einer zu- erst im’ Jahre 1942) von Alexandre Prevost!)>und in neuerer Zeit wiederum von Fritz Burckhardt?) ebenfalls auf’ rein theoretischem Wege‘ nachgewiesenen, den fixirten Punkt enthaltenden, (und'zur Visirebene senkrecht stehenden geraden Horopterlinie wirklich einfach gesehen werden! _ Freilich gerieth ich selbst darauf in einen nicht geringen mmrinu 1) Essai sur la theorie de la vision binoculaire. Geneve 1842. — Pogg. Ann. 1844. Bd. UXII. S. 548. ’ 2) Verhandlungen der naturforschenden Gesellschaft iu Basel. 1854. 386 Edougrd Claparäde:...; Irrthum, indem’ ich, zu erkennen, glaubte, | dass, ‚noch andere Punkte‘des Raumes als, diese ‚beiden Linien einfach wahrge- nommen werden.;,Ich wurde: dadurch zur ‚irrigen Annahme geführt, ‚der Horopter. stelle ‚eine ‚Fläche ‚dart),, deren .‚ho+ rizontaler Durchschnitt durch die | Visirebene,.. mit |,dem Pierre: Pr&vost’schen ‚Horopterkreis zusammenfalle, wäh- rend der. verticale Durchschnitt derselben die ‚Alexandre Pre&vost’sche ‚Horopterlinie ‚darstelle. Allein durch ‚eine gütigebriefliche Mittheilung Burekhardt"s und'durch einen seitdem ‚in. der Bibliothöque universelle bekannt gemachten Versuch Alexandre Prevost’s?) auf meinen Irrthum auf- merksam gemacht, musste ich sehr, ‚bald, die Unrichtigkeit dieser Behauptung einsehen. ‚Meine, Versuche „haben also keinen anderen, Werth gehabt, ‚und damit ist. schon Manches geleistet,’ dass sie, auf ‚die 'glänzendste, Weise nachgewiesen haben, der, jetzt von mehreren’ Seiten angenommene: Meiss- ner’s che Horopter, sei gänzlich. unhaltbar, ‚die alten theore- tischen Bestimmungen, von. Pierre, Prevost, Vieth, Jor hannes Müller, Alex. Prevost und Burckhardt: stim- men dagegen mit. den Ergebnissen des Experimentes voll- kommen überein. Da, meine Beweisführung/gegen die Meissner zech Theo- rie. in ‘einer. den. meisten Physiologen wenig. zugänglichen Zeitschrift); niedergelegt wurde, so bin ich so frei, ‚nur.die Hauptsache ‚davon herauszunehmen. und in einem kurzen Aus- zug, hier ‚mitzutheilen.. , Diess: wird.uni :so vortheilbafter sein, ' als ich die, Aufsätze in ‚der Biblioth@que universelle zu einer Zeit niederschrieb, wo, ieh noch in, dem Irrthum befangen war,,es werden noch, andere als die zu ‚den beiden\angeführ- ten. Linien ‚gehörigen Punkte binoculär einfach gesehen, wes- wegen! sich mehreres Irrthümliche.neben dem Riehtigenl‚ein- schlich. 1) Bibliotheque universelle de Geneve. Novembre et Decembre 1858. 2) Note sur la vision binoculaire. Archives de la Biblioth. univer- selle. Janvier 1859, 3) Archives de la Bibl. univ. de Geneve, ‚Octobre, Novembre et Decembre 1858- 1} Beitrag, zur. Kenntniss ‚des ‚Horopters. 387 -+ Durchirein aprjoristische Gründe ' wird man) schon ‚berech- tigt ‚die, Möglichkeiti.der Existenz',der in, den ‚beiden. oben näher‘ bezeichneten Fällen, von Meissner , angenommenen Horopterfläche in Zweifel zu ziehen. (Es.sei z.B. A (Fig; 1) A a" Fig..i. een pı oB ein mit'beiden Augen zugleich fixirter Punkt, bei einer, Nei- gung der Visirebene, — um im Meissner’schen Falle. zu bleiben‘ — 'von'’45 Grad nach unten. ‚Die. deri'Verbindungs- linie (O0) der beiden optischen Mittelpunkte, parallele Linie PP‘ ist die Durchschnittslinie der. Visirebene durch. die Meiss- mer sche ebene /Horopterfäche, so dass ein beliebiger Punkt dieser Geraden PP’ einfach gesehen ‚wird, ;d.ıh. dass, dessen Netzhautbilder auf identische Punkte beider Netzhäute fallen. Nun ist ‚es; nach der Identitätstheorie offenbar, dass ‚ein. jeder Punkt der Linie PP‘, bei der Annahme, dass die; Netzhäute ‚nahezu, Kugelsegmente darstellen, ‚nur dann einfach gesehen ‚werden kann, wenn die Winkel 6, und w gleich sind, so.dass ler ‚Bogen ab=ug, Diess ist; aber unmöglich; wenn PP‘ eine gerade Linie ist, und kann erst dann eintreten), wenn diege ‚Linie ein durch die‘ Punkte Q.Q' und A ‚gelegter Kreis ist. Wir müssten zwar ‚annehmen, dass, die Netzbäute, Kugel- \ 388 "Edowärd Olapärdderinl segmente' darstellen , während 'Brücke’s"Untersuehungen es wahrscheinlich machen ‚dass deren Krümmungeinem Ellip- soid angehört, dessen"grosse Axe'von loben und’ der’ Nasen- seite nach unten’ und der äusseren‘ Seite geneigt wäre, »' Allein es kann sich selbst in diesem-Fälle nur um ein von der Ku- gelfläche wenig abweichendes. Ellipsoid handeln und die Sache möchte sogar nicht ganz erledigt sein, da die Krause- schen Messungen, deren Unrichtigkeit noch nicht dargethan ist, den Durchschnitt der Netzhaut durch die Visirebene als eine Ellipse darstellen, deren kleine Axe mit der Sehaxe zusammenfalle. Wie dem auch sei, es bleibt gewiss, dass die Durchschnittslinie jeder Netzhaut durch die Visirebene von einem Kreise zu wenig abweicht, als dass ein der Linie PP‘ angehörender Punkt B, um einfach gesehen zu werden, nicht so gelegen sein müsste, dass die Winkel o und „» als gleich betrachtet werden können, und dies tritt nur dann ein, wenn PP‘ ein Kreis, oder nahezu ein Kreis ist. Wenn dagegen PP’ eine Gerade ist, wie diess von Meissner angenommen wird, dann entsprechen den Winkeln o und‘» in beiden Augen sehr ungleiche Netzhautbogen. Es müsste also die Identitätslehre als unrichtig gänzlich aufge- geben werden, denn diese‘ Lehre 'würde'hier reine'ebene der Meissner’schen Horopterfläche"parallele Retina erheischen, da dann freilich ab'=«p' Ware, wie män es leicht’bei Betrach- ‘tung der Figur einsieht. " " id ab MIO "Aus rein theoretischen Gründen’ wird es also schon’unwahr- 'scheinlich, dass der Horopter jemals 'eitie !&bene Fläche sein könne,“ wie -Meissner'es! angenömmen. | Indess' 'wird'diese Unwahrscheinlichkeitdurch "äusserst leicht anzustellende Ver- suche'zur reinen Unmöglichkeit erhoben, wie" jetzt darge- than ‘werden’ soll.! — Bei’ einer Neikung 'von'd5'Gradider ‘Visirebene' nach unten‘) "halte ich'in der 'medianen' Vertieal- ebene‘ — d. h.'der ‚durch den fixirfen Purktiund den''Mittel- punkt der' Verbindungslinie beider optischem Oentra "gelegten verticalen' Ebene ‘Lö eine sekrecht zur Visirebene: stehende feine Linie, 2. B.'einen''Seidenfaden!"" Diese’ Linie'erscheiit dann!in'zwei einander genau'parallelen'Döppelbildern. Wenn Beitrag zur Kenntniss des Horopters. 389 ich nun diese Linie um ihren Mittelpunkt — d. b.' um den Durchschnittspunkt des Seidenfadens durch die Visirebene — drehe, indem ich den Faden so bewege, dass er beständig in einer zur Visirebene senkrecht und der Verbindungslinie der Augencentra parallel stehenden Ebene bleibt, so rücken die parallel bleibenden Doppelbilder immer näher an einander, bis sie sich endlich in dem Augenblicke, wo der Faden in der Visirebene zu liegen kommt, gänzlich vereinigen. Bis dahin finden die Erscheinungen in der Meissner- schen Horopterlehre eine genügende Erklärung. Bei der Nei- gung der Visirebene von 45 Grad nach unten, fallen nämlich die Meissner’schen horizontalen Trennungslinien der iden- tischen Netzhautpunkte mit den horizontalen Netzhautmeri- dianen zusammen, so dass eine jede in der Visirebene ent- haltene Linie einfach erscheinen muss, wiewohl die einzelnen Punkte dieser Linie ihre Netzhautbilder auf nicht identischen Punkten der Trennungslinien haben. Wir wollen nun aber den Fall betrachten,» wo’ die Nei- gung ‘der Visirebene nicht mehr 45 Grad beträgt, son- dern gleich Null ist, d. h. den Fall der horizontalen Visir- ebene. In diesem Falle ist, nach Meissner, der Horopter eine gerade gegen. die Visirebene, je nach der Entfernung des fixirten Punktes verschieden geneigte Linie, und die ver- ticalen Trennungslinien der identischen Netzhautpunkte fallen nimmermehr mit den verticalen Meridianen zusammen,’ son- dern sind in jedem Auge von unten und der Nasen- nach oben und der Schläfenseite geneigt. Bei so bewandten Um- ständen kann natürlich keine Durchschnittslinie des Horop- ters durch die Visirebene mehr existiren: es besteht nur noch ein. Durchschnittspunkt, da der Horopter eine Linie ist, und dieser Punkt ist der fixirte Punkt selber, Dieser Punkt würde, wenn die Meissner’sche Theorie richtig wäre, ganz allein in der ganzen Visirebene einfach gesehen werden kön- nen, denn die Bilder aller dieser ‘Ebene: angehörenden Punkte fallen auf die horizontalen Netzhautmeridiane, und diese enthalten keine anderen ‚identischen Punkte, als den Durchschnittspunkt ‚dieser horizontalen — zu den verticalen Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1859. 26 390 Edouard Claparede: senkrecht stehenden — Meridiane mit den Trennungslinien. Nun liegen ‘diese beiden Punkte auf der Verlängerung der optischen Axen und entsprechen daher den Netzhautbildern des fixirten Punktes. Es folgt also nothwendig aus ddr Meissner’schen Lehre des ‚Nicht-Parallelismus der verticalen Trennungslinien iden- tischer Netzhautpunkte bei horizontaler Visirebene, dass irgend eine gerade in der Visirebene enthaltene Linie dop- pelt gesehen werden muss und zwar so, dass die beiden Doppelbilder einander durehschneiden oder eonvergirend er- scheinen. Der Versuch steht aber keinesweges hiermit im Ein- klang, denn der Versuch, den ich vorher bei einer Neigung der Visirebene von 45 Grad nach unten beschrieb, gelingt bei vollkommen horizontaler Visirebene, wie auch überhaupt bei einer beliebigen Neigung derselben auf ganz dieselbe Weise, Es leuchtet daraus ein, dass bei jeder Neigung der Visir- ebene die. Meissner’schen Trennungslinien mit den verti- calen Netzhautmeridianen genau zusammenfallen und dass die Theorie. der entgegengesetzten Drehung beider Augen um die Sehaxen als eine durchaus verfehlte zu betrachten ist. Es ist mir übrigens eine Freude, hier mittheilen zu können, dass ich in Folge der Bekanntmachung (dieser Versuche einen Brief von Burckhardt erhielt, worin mir derselbe anzeigt, er habe selbst seit langer Zeit denselben Versuch angestellt und sei ganz zu ‘demselben Resultat und zu demselben Schluss, wie ich, gelangt. Aus diesem Grunde, wie aus vie- len anderen, konnte Burckhardt der Meissner’schen Theorie von Anfang an keinen Glauben schenken. Ich kann auch nicht unterlassen, daran zu erinnern, dass wir seit meh- reren Jahren sehr genaue Untersuchungen von Donders be- sitzen, woraus sich handgreiflich ergiebt, dass die ver- ticalen Netzhautmeridiane einen genauen Parallelismus bei jeder möglichen Stellung der Augenbulbi beibehalten. Es reichen einige leichte Versuche hin um nachzuweisen, dass bei jeder Neigung der Visirebene eine beliebige in der Visirebene enthaltene Linie, wie EE’ oder DD‘ (Fig. 2) dem Beitrag zur Kenntniss des; Horopters. 391 Fig, 2. Beobachter einfach erscheint‘ und: dass also die horizontalen Netzhautmeridiane mit‘ den. Meissner’schen horizontälen Trennungslinien immer zusammenfallen. Es findet indessen eine Ausnahme für, alle diejenigen Linien (wie z..B. FF’) statt, deren Verlängerung ‚die Verbindunglinie (OO') beider optischen Centra zwischen den beiden Augeneentren O und OÖ’, schneidet. Es geben ja bekanntlich solche Linien zu Doppelbildern beständig Veranlassung. Gleichwohl ist djese Ausnahme eine nur, scheinbare und ‘findet in bekannten Grundsätzen ihren Grund, wie sich folgendermassen leicht zeigen lässt: Fig. 3. 392 Edouard Claparede; Figur 3 stellt die Projeetion beider Netzhäute auf eine ebene Fläche dar, so dass AB und A‘'B' die projieirten ver- ticalen, CD und C'D’ die projieirten horizontalen Netzhaut- meridiane sind. Diese vier Linien AB und A‘B', CD und C'D' werden ausserdem, wie es sich aus dem Vorhergehen- den herausstellt, durch Reihen identischer Punkte zusammen- gesetzt. Wenn nun eine schmale Linie LL‘ (Fig. 4) so vor Fig. 4. das Gesicht gehalten wird, dass man die Sehaxen gegen den Endpunkt L’ conver- giren lässt, dann erscheint bekanntlich diese Linie in zwei verkehrten Doppelbildern, welche gegen den Punkt L convergiren und an diesem Punkte einander zu berühren scheinen. Da aber diese Linie LL’ in der Visirebene enthalten ist, so leuchtet es ein, | dass deren rechtes Netzhautbild auf den f ‘ horizontalen Meridian CD (Fig. 3) des rech- ‘ L + ten Auges, während das linke Netzhautbild derselben auf den horizontalen Meridian CD’ des linken Auges fallen muss. Der Endpunkt L’, der, wie vorausgesetzt wurde, zugleich der fixirte Punkt ist, ent- wirft natürlich’ 'sein Netzhautbild in jedem Auge auf dem Durchschnittspunkt der Retina und der Sehaxe, also in 1 und A und wird einfach gesehen. Der andere Endpunkt L’ wird sein rechtes Netzhautbild in der äusseren Hälfte des rechten Auges, z. B. in I‘ haben, so dass ll‘ das rechte Netz- hautbild der beobachteten Linie darstellt. Derselbe Endpunkt L‘ entwirft sein linkes Netzhautbild auf der äusseren Seite des linken Auges, z. B. in )', so dass 41! das linke Netzhautbild der Linie LL‘ darstellt. Man sieht bei der Vergleichung der beiden Netzhautbilder 11‘ und 22‘ sogleich ein, dass dieselben nur zwei identische Netzhautpunkte, nämlich 1 und 2 ent- halten, denn Cl ist mit C‘% und DI mtt D’A identisch. An- statt eines einzigen Bildes der beobachteten Linie Ll/ muss also der Beobachter zwei sich in L — d. h. dem Punkte, dessen Retinabilder auf den identischen Stellen 1 und A er- zeugt werden — berührende Doppelbilder wahrnehmen, wie Beitrag zur Kenntniss des Horopters. 393 dies bekanntlich wirklich eintritt. Da aber die beiden Netz- hautbilder der Linie LL‘ mit den horizontalen Meridianen zusammenfallen, so dürfte man a priori annehmen, dass die beiden Bilder zusammengenommen von, dem Beobachter als eine einzige, der Verbindungslinie der optischen Mittelpunkte etwa parallel und zwei Mal so lang wie LL’ erscheinende, gerade Linie müssten wahrgenommen werden, ‚eine Vermu- thung, die, wie bekannt, durch den Versuch nicht bestätigt wird. Diese anscheinende Anomalie erklärt:sich indessen auf sehr einfache Weise durch die bekannten Accommodations- gesetze. Wenn man nämlich die beobachtete Linie LL' der Verbindungslinie beider optischen Augenmittelpunkte parallel oder nahezu parallel vorhielte, dann würden sich die Augen, indem sie irgend einen Punkt dieser Linie fixiren, auch für die Entfernung eines jeden anderen Bruchstückes der Linie ungefähr accommodiren. Der fixirte Punkt wird allein deutlich wahrgenommen, dies rührt aber ‚davon: her, dass die übrigen Theile der Linie ihre Netzhautbilder auf zu excentrischen, nicht besonders empfindlichen Retinatheilen haben. Wenn dagegen die beobachtete Linie senkrecht oder nahezu senkrecht zur Verbindungslinie der optischen, Centra vor der Nasenwurzel gehalten wird, wie dies in dem ‚aus- einandergesetzten Versuch geschieht, so werden beim Fixiren des Endpunktes L der beobachteten Linie alle übrigen Punkte derselben hauptsächlich deswegen undeutlich wahrgenommen, weil die Augen für sie nicht accommodirt sind, so. dass ein jeder derselben Zerstreuungskreise auf den Netzhäuten ‚er- zeugt. In der Bildung dieser Zerstreuungskreise nnd. der Unmöglichkeit für den Beobachter, die dem Endpunkte L’ zunächst gelegenen Theile der beobachteten Linie anders als in einen Halbschatten gehüllt zu erblicken, liegt der Grund, weshalb dieser Beobachter sich bewusst ist, der Endpunkt L’ sei seinem Gesichte viel näher als der Punkt: L gelegen. Deswegen erscheint es ung jedesmal beim Anstellen des ge- nannten Versuches, als ob — wie es auch wirklich geschieht — die beiden wahrgenommenen Doppelbilder das eine Ende unserem Gesichte zukehren. Da ausserdem die,durch L‘und 394 Edouard Claparede: die angrenzenden Punkte auf den Netzhäuten erzeugten Netz- hautbilder in der äusseren Hälfte eines jeden Auges lie- gen, ‘so versetzen wir das dem Gesichte zugekehrte Ende des dem linken Auge angehörenden Bildes nach reehts, und das entsprechende Ende des dem rechten Auge angehörenden Bildes nach links. Auf diese Weise lässt es sich sehr leicht erklären, warum der Beobachter beim vorliegenden Versuch immer zwei verkehrte convergirende Doppelbilder wahrnimmt. Die eben bespröchene Erscheinung hat sonderbarer Weise Meissner für seine Lehre auszubeuten ‚gewusst, obgleich eine ‚selbst 'oberflächliche Wiederholung des Versuches bei verschiedener Neigung der Visirebene die völlige Unhaltbar- keit der Meissner’schen Theorie auf das Schlagendste dar- legt. Das Ergebniss des Versuches bei horizontaler Vi- sirebene' deutet Meissner so, dass die Doppelbilder ‚die Richtung der horizontalen Trennungslinien der identischen Netzhautpunkte, also den Winkel, um welchen eine Drehung der Augen um die optischen Achsen stattgefunden hat, un- mittelbar anzeigen. ‘Zwar gesteht er selbst zu, dass die Er- scheinung der verkehrten Doppelbilder ihm stets etwas Auf- fallendes, etwas Paradoxes dargeboten habe, insofern als man sich dabei keiner positiven, absoluten Neigung eines je- den Bildes gegen den Horizont, sondern nur der Kreuzung zweier an und für sieh horizontaler Linien bewusst wird. Wenn die Meissner’sche Lehre begründet wäre, so müsste es freilich unbegreiflich erscheinen, weshalb bei Neigung der Trennungslinien gegen den Horizont die Doppelbilder horizontal erscheinen. Das Räthselhafte der Erscheinung blieb immer für Meissner in Dunkelheit eingehüllt, ‘und musste es auch nothwendig bleiben.‘ Bei der — wie ich glaube — richtigen Erklärung des Versuches, die ich oben gegeben, wird: dem Beobachter’ Alles vollkommen begreif- lich und klar. Ich sagte, dass dieser Versuch, den Meissner für seine Ansicht so geschickt auszubeuten wusste, gerade der beste Prüfstein sei, woran die Unrichtigkeit uud Unhaltbarkeit der- selben unmittelbar dargethan werden kann. Wir werden so- Beitrag zur Kenntniss des Horöpters. 395 gleich einsehen, dass ich Meissner: durch diese Behauptung kein Unrecht gethan. Es folgt aus dieses Forschers Erklä- rungsweise des genannten Versuches und dessen Horopter- theorie, dass bei einer Neigung der Visirebene von 45 Grad nach unten, die Linie LL’ nicht mehr doppelt erscheinen kann; denn in diesem Falle, wie man sich erinnern wird, soll die Neigung der Trennungslinie = 0 sein‘, so dass diese horizontalen Trennunglinien mit den horizontalen Netzhaut- meridianen zusammenfallen. Die Meissner’sche Lehre er- heischt also nothwendig in diesem Falle das Einfacherscheinen der Linie; und wirklich hat Meissner, seiner irrigen Theorie zu Liebe, ‚den Thatsachen 'bis zu dem Grade Gewalt ange- than, dass er behauptet, die Linie erscheine, 'bei Neigung der Visirebene von 45 Grad nach unten, vollkommen einfach, während sie thatsächlich gerade ebenso doppelt erscheint, wie bei horizontaler Visirebene. „Die bei den letzten Ver- suchen beschriebenen Erscheinungen, sagt Meissner!), neh- men zu, wenn die, Visirebene aus der horizontalen Richtung aufwärts geneigt wird, und es ist daher‘ zu empfehlen, um die fraglichen Erscheinungen recht deutlich und auch leich- ter wahrzunehmen, die Versuche anfangs bei aufwärts gerich- teten Sehaxen anzustellen, von wo ab man dann die allmälige Alınahme des Kreuzungswinkels beobachten wird, während die Visirebene nach und nach herabgeneigt wird. Je mehr man sich der Neigung von + 45 Grad nähert, desto kleiner wird der Kreuzungswinkel der Doppelbilder, und bei dieser Neigung der Visirebene decken sich die Doppelbilder der in der Visirebene liegenden Linie. — Es erscheint jetzt die ganze Linie einfach, so wie dann der Horopter senkrecht zur Visirebene steht. Fährt man in der Bewegung der Seh- axen fort, so beginnen dieselben Erscheinungen wie vorher in umgekehrter Weise aufzutreten u. s. w.“ — Man muss wirklich erstaunen, dass ein Beobachter wie Meissner seine Versuche so flüchtig anstellen konnte, dass er eine solche Ansicht aufzustellen wagte. An der ganzen Erzählung ist 1) A. a. 0, 8, 53, 396 Edouard Claparede: kein einziges Wort richtig. Bei jeder Neigung der Vi- sirebene bleibt der Kreuzungswinkel immer der- selbe, vorausgesetzt wenigstens, dass der Abstand des fixirten Punktes von der Mitte der Verbin- dungslinie beider optischen Mittelpunkte immer derselbe bleibt, und in keinem Falle erscheint die Linie einfach. Es wird immerhin ein Räthsel bleiben, wie Meissner bei einer so einfachen Art des Experimen- tirens zu so unbegreiflichen Resultaten kam. Die Linie er- scheint immer in verkehrten Doppelbildern und zwar nicht, weil die horizontalen Trennungslinien mit den horizontalen Meridianen nicht zusammenfallen, — denn wenn dies wirklich einträte, so würden die Doppelbilder gegen die Visirebene geneigt erscheinen müssen, — sondern, weil die Augen für den Endpunkt der Linie allein accommodirt sind, so dass die übrigen Punkte derselben Zerstreuungskreise auf nicht iden- tischen Hälften der Netzhäute erzeugen. ‚Wenn aber die horizontalen und verticalen Trennungs- linien mit den ‚horizontalen und verticalen Meridianen immer zusammenfallen, dann kann die bekannte Meissner’sche 8. g- verticale Horoptertheorie nicht mehr bestehen. Dieselbe sollte bekanntlich eine, durch den fixirten Punkt gehende, gegen die Visirebene je nach der Entfernung des fixirten Punktes verschieden geneigte, gerade Linie sein. Die Exi- stenz einer solchen Horopterlinie kann sich mit dem bestän- digen Parallelismus der verticalen Meridiane beider Augen nimmermehr zusammenreimen lassen; auch existirt sie in der That nicht, und wenn sie gleich nicht geradezu ein Hirnge- spinnst, wie das Einfacherscheinen der Linie LL’ bei Nei- gung der Visirebene von 45 Grad nach unten im oben aus- einandergesetzten Versuche, zu nennen ist, so kann doch Meissner nur durch eine oberflächliche Beobachtungsweise zu (derselben gelangt sein. Es existirt zwar wirklich eine in‘. der ınedianen Verticalebene enthaltene Horopterlinie; diese steht aber immer senkrecht zur Visirebene und stimmt also mit der von Alexandre Pre&vost und später von Fritz Burckhardt theoretisch bestimmten verticalen Linie Beitrag zur Kenntniss des Horopters. 397 _ einfach gesehener Punkte vollkommen überein. Es ist umso be- dauernswerther, dass Meissner die theoretischen Angaben dieser beiden Männer nicht würdigte, als Alexandre Pre- vost’s Dissertation zur Zeit der Veröffentlichung der Meiss- ner’schen Schrift längst bekannt war. Ich kann sogar nicht umhin, mein Bedauern hier auszusprechen, dass Meissner Alex. Pr&vost's Aufsatz nicht einmal der Erwähnung wür- dig erachtete, da ich durch eine briefliche Mittheilung Burck- hardt’s erfahren habe, dass dieser die Aufmerksamkeit Meissner’s auf diesen Aufsatz ausdrücklich und zwar zu einer Zeit lenkte, wo sich Meissner mit seinen erst später vesöflentlichten Untersuchungsn abgab. Die Meissner’schen Versuche über die angebliche Nei- guug der verticalen Horopterlinie habe ich sorgfältig wieder- holt, indem ich einen vom Meissner’schen nicht wesentlich verschiedenen Apparat benutzte. Ein graduirter Halbkreis wird an einem Lineal (Fig. 5) befestigt und eine lange, dünne Fig. 5. BP Annual Amminefach ı | | » Jr Nadel RR’ an dessen Mittelpunkt so angebracht, dass sich 398 Edouard Claparede: dieselbe in einer, Verticalebene um das Centrum des ‚Halb- kreises; bewegen lässt, In A liegt: der fixirte Punkt auf einer verschiebbaren Stange, deren Länge dem verticalen Abstande vom ‚unteren Rande des. Septum narium bis zur Mitte, der Verbindungslinie beider ‚Pupillen ‚gleich genommen, werden muss, einem Abstande, der vermittelst eines ‚Cirkels leicht gemessen werden ‚kann. Es: wird nun das Lineal horizontal gehalten, so’ dass sich dessen Ende an. die Oberlippe gleich unterhalb. des Septums anlehnt, ‘und 'man sieht, indem der Punkt..A mit beiden Augen fixirt, wird, was für eine Nei- gung der. Linie RR‘ gegeben werden muss, damit deren Dop- pelbilder einander parallel erscheinen. . Wenn diese Stellung der Nadel einmal 'gefunden ist, so kann, man am Halbkreise den Betrag der Neigung der; Nadel gegen die, Visirebene so- gleich ‚ablesen... Ich fand beständig, nicht nur; bei horizon- taler' Visirebene, sondern auch bei jeder möglichen Neigung derselben, dass der, Winkel n eirca 90. Grad ‚beträgt. ‘Ich sage eirca, denn eine solche Bestimmung kann nur annähe- rungsweise vorgenommen werden, weil eine Veränderung von mehreren Graden in der Neigung der Linie RR’ inner- halb der meridianen Verticalebene, einer gegenseitigen Nei- gung der beiden Doppelbilder von nur wenigen Minuten in einer senkrecht darauf gerichteten Ebene entspricht. Erst wenn die Nadel so gesteckt wird, dass sie mit dem Horizont einen bedeutend kleineren Winkel als 90 Grad bildet, wenn dieser Winkel z. B. 85 Grad beträgt, nimmt mafı eine leichte Convergenz — angenommen dass die Nadel vor dem fixir- ten Punkte steht — nach oben wahr. Das Ergebniss des Ver- suches bleibt nicht nur bei jeder möglichen Neigung der Visirebene, sondern auch bei einer beliebigen Entfernung des fixirten Punktes dasselbe, und es folgt daraus, dass die Horopterlinie, da die Nadel in der bezeichneten Lage derselben parallel sein muss, in allen Fällen senkrecht zur Visirebene steht. Wie ist nun Meissner zu seinen abweichenden Resul- taten gelangt? Wie konnte er zur Annahme verführt wer- den, dass bei horizontaler Visirebene der Winkel n weniger Beitrag zur Kenntniss des: Horopters. 399 als: 90 Grad betrage? ' Es ‚ist mir nicht "unwahrschein- lich, dass sein Irrthum in der Schwierigkeit seinen Gränd habe, die mit der Bestimmung einer genau horizontal lie- genden Visirebene verbunden ist. Beim Experimentiren mit meinem Apparat (und mit dem Meissner’schen verhält es sich ebenso)‘ verfällt man sehr leicht in grobe Irrthümer, | sobald die Stützstange des fixirten Punktes A nicht. die’ gehörige Länge besitzt. Wenn z. B. der. fixirte Punkt: irrthüm- lich in a anstatt: A aufgestellt worden wäre, dann. würde die Durehschnittslinie der Visirebene durch die 'mediane Verticalebene durch ar angegeben und die Nadel in ge’ gebracht werden müssen, damit deren Doppelbilder ‚ein- ander parallel erscheinen. Beim Ablesen des Winkelbe- trages würde man dann irrthümlich zu finden glauben, dass n=90°—». Der Irrthum würde einfach davon herrühren, dass man fälschlich vorausgesdtzt, die Visirebene sei dem _ Lineal genau parallel. Dass dies wirklich der Grund des Meissner’schen Missgriffes ist, erscheint noch wahrschein- licher, wenn man bedenkt, dass der Theorie dieses Forschers gemäss, der Winkelbetrag von n sich um so mehr dem Wertlie 90 Grad nähert, je weiter der fixirte Punkt vom Beobachter entfernt wird, bis zuletzt: bei unendlicher Entfernung dessel- ben der Winkel genau 90 Grad beträgt. Nun: wird man wirklich diese Veränderungen im Werthe des: Winkels bei Verschiebung der Stützstange eintreten schen, sobald man diese zu kurz gewählt hat, bis endlich bei unendlicher Ent- fernung derselben der Irrthum verschwindend: klein: wird. Das ganze Gebäude, welches von Meissner mit so grossem Aufwande von anscheinend genauen Zahlen und For- meln aufgestellt worden, stürzt also zusammen, und ich kann nicht umhin, da diese sich vielleicht etwas breit machende mathematische Gelehrsamkeit Manchem imponiren.) dürfte, hier hervorzuheben, dass Meissner den Werth! seiner Be- rechnungen mitunter ungemein überschätzt. So z. B. glaubte er aus verschiedenen Gründen die Gleichung tx=cotn a cotx= .— CF 400 Edouard Claparede: anfstellen zu dürfen, worinx=dem Winkel, den die verticalen Tennungslinien mit ‘den horizontalen Meridianen ‚machen; n=dem durch die betrachtete Linie und den Horizont gebil- deten Winkel; AC=der Hälfte der Verbindungslinien beider Augenmittelpunkte und CF=dem Abstande der beobachteten Linie bis zur Mitte der Verbindungslinie. Durch Versuche kommt Meissner zur Kenntniss des Werthes von Zn. Darauf nimmt er CF =z. B. 23Cent., und die Entfernung des fixirten Punktes = 25 Cent. an, wobei vorausgesetzt wird, dass AC=3 Centimeter. Daraus berechnet er log. cot x= 8,4759504 mit sieben Deeimalstellen, was bereits überflüssig ist. Dieser Werth entspricht einem Winkel x=88°17'. Vermittelst einer zweiten Gleichung, worin cot x als bekannte Grösse ent- halten ist, berechnet Meissner die Neigung der Horopter- linie gegen den Horizont') und er findet für diesen beson- deren Fall, dass diese Neigung 77° 5' beträgt. — Nun aber war der Ausgangspunkt, wie man sich erinnert, der durch den Versuch gefundene Werth des Winkels n, und Meiss- ner giebt selbst zu, dass diese Bestimmung einen ungefähren Irrthum von ‘1 bis 2 Grad zulässt, und alle diejenigen, die das Experiment nachmachen, werden wohl zugestehen, dass mit 4 bis 5 Grad nieht zu viel gesagt worden wäre. Meiss- ner würde also selbst zugeben, dass er für den Winkel n einen Werth von 78° anstatt 76° hätte annehmen können. Wir wollen also -jetzt erwägen, zu welchem Ergebniss eine solche Abänderung führen würde. Indem ich mich mit einer Annäherung von vier Decimalstellen begnüge, was für die- sen Zweck vollkommen hinreichend ist, finde ich log. cot x = 8,4076, woher {x =88°32’, einen Werth, welcher von dem von Meissner berechneten (88°17‘) bereits bedeutend ab- weicht, und wenn ich nun von diesem Werthe ausgehe, um vermittelst der zweiten Meissner’schen Gleichung die Nei- gung der Horopterlinie zu berechnen, so finde ieh nicht mehr 1) Meissner nimmt sonderbarer Weise an, dass die beobachtete Linie, deren Doppelbilder einander parallel erscheinen, der Horopter- linie nicht genau parallel ist. Ich werde weiter unten darauf zurück- kommen, Beitrag, zur Kenntniss des Horopters. 401 77° 5’, sondern 78° 55’. Es stellt sich also’ heraus, dass Meissner ein viel zu grosses Gewicht auf seine Zahlen ge- legt hat, denn er stützt sich auf Abweichungen von wenigen Minuten in seinen berechneten Resultaten, um eine — keines- weges dem Abstande des fixirten Punktes proportionale — Schwankung der Neigung der Horopterlinie anzunehmen, Diese Neigung, die er zu 81° 57° für einen Abstand des fixirten Punktes von 8 Centimetern: berechnet, würde nach seiner Annahme- bis zu einem Werthe von 82° 33' (Di; 0° 36°) für einen Abstand von 10 Cent. steigen; und von da an würde dieser Werth für weitere Entfernungen abnehmen, um später wieder zuzunehmen u. s. w. Man sieht also, was man für ein Vertrauen auf diese scheinbar so. genauen Mes- sungen — welche aber dabei zu einem höchst unwahrscheinlich klingenden Ergebniss, nämlich zur Annahme einer unregel- mässigen, keinem Gesetze unterworfenen, mit der Entfernung des fixirten Punktes bald ab- bald zunehmenden Schwankung der Neigung der Horopterlinie zwingen — legen darf! Man erstaunt nicht wenig, wenn man einsieht, in was für Unwahrscheinlichkeiten und mitunter gar Ungereimtheiten Meissner gerathen musste, um seine; Theorie aufrecht er: halten zu können, ohne dass er jemals über seinen eigenen Irrthum ins Klare kommen konnte. Ich habe schon 'an- gedeutet, dass er annimmt, die s; g.. verticale‘, Ho- ropterlinie sei nicht genau der beobachteten, in parallelen Doppelbildern erscheinenden Linie parallel. Die darauf be- zügliche Stelle in Meissner’s Schrift ist: zu sonderbar, als dass ich unterlassen könnte, dieselbe hier der Merkwür- digkeit halber in extenso anzuführen: „Es ist nun am Orte, sagt er'), einen Fehler zu verbes- sern, welchen ich oben mit Hinweisung auf diese Bemerkung absichtlich begangen habe, wenn ich sagte, dass der Stab, dessen Doppelbilder ‘parallel erscheinen, parallel der: verti- calen Horopterlinie gerichtet sei. Dieser Ausdruck ist näm- lich theils richtig, theils falsch. Richtig ist er insofern, als I) A. a. O. S. 29, 402 Edouard Qlaparede: die Retinabilder des Stabes'allerdings parallel den die mitt- lere 'verticale Horopterlinie repräsentirenden Trennungslinien verlaufen und der. Stab somit für das Auge, für den "Beobachter in’ jedem Punkte gleichweit vom Horopter ent- fernt ist oder entfernt zu sein scheinen muss, d. h, in pa- rallelen' 'Doppelbildern ‘gesehen wird. Falsch aber: ist der Ausdruck, weil gleichsam für einen: objeetiven Beobachter, oder absolut im Raume die verticale Horopterlinie nicht parallel dem geneigten Stabe, verläuft, sondern einen etwas grösseren Winkel mit der Visirebene einschliesst.“ Ich muss gestehen, dass ein grösserer Scharfsinn als’ der meinige dazu erforderlich ist, um zu begreifen — da es sich: keineswegs um eine Perspectivfrage handelt — wie diese beiden Linien ‘(der beobachtete‘ Stab und die Horopterlinie) für den Beobachter ‘in jedem Punkte gleichweit entfernt von einander sein können, während sie thatsächlich gegen ein- ander geneigt sein sollen. Damit wird das eine Mal gesagt, dass .beide Linien oder‘ deren Verlängerungen einander schneiden und das andere "Mal, dass sie einander nicht schneiden. Man wird sogleich sehen, zu welcher Ungereimt- heit eine solche Annahme unvermeidlich führt, ‘Wenn. die Meissner’sche Behauptung begründet, wäre, so würde nothwendig daraus folgen, dass eine zwischen dem Gesichte und dem fixirten Punkte in der mittleren. Verticalebene, der Horopterlinie genau parallel gehaltene Linie in convergiren- den Doppelbildern erscheinen, d. h. zu zwei Doppelbildern Veranlassung geben müsste, die einen gemeinschaftliehen Punkt‘ besitzen. Dieser Punkt würde also, obgleich dem Horopter nicht angehörig, ‘dennoch einfach gesehen werden. Damitist es aber noch nicht genug: nach der Meissner’schen Lehre'ist eine in‘ der ‚mittleren Verticalebene so gehaltene Linie ‚ dass deren Doppelbilder einander genau parallel er- scheinen, der s. g. verticalen Horopterlinie nicht parallel; woraus natürlicherweise folgt, dass diese Linie oder deren Verlängerung ‚die Horopterlinie irgendwo durchschneiden muss, denn beide Linien sind in derselben Verticalebene ent- halten. Nun aber kann dieser Durchschnittspunkt, obgleich Beitrag zur Kenntniss des Horopters. 403 dem Meissner’schen Horopter angehörig, unmöglich ein- fach erscheinen, da dessen Bild sowohl dem einen, wie (dem anderen Doppelbild der beobachteten Linie angehören‘ muss, und wir wissen, dass diese parallelen Doppelbilder keinen einzigen gemeinschaftlichen Punkt besitzen. Wenn daher Meissner’s Formeln und ‘Horopterlehre richtig wären, so würde der Horopter einen ‘doppelt ge- sehenen Punkt enthalten, 'ja sogar würde dieser ‚Horopter — da man bei allmäliger‘ Verrückung der ‘Linie sowohl vor wie hinter dem ‘fixirten Punkte, einen jeden Punkt der Horopterlinie zum Durchsehnittspunkt' durch die zum Versuche dienende Linie machen kann — aus lauter doppelt gesehenen Punkten bestehen, was offenbar ein Unsinn ist. I Es steht also fest, dass die Meissner’sche Horopter- lehre als eine durchaus verfehlte zu betrachten’ ist, und die älteren Bestimmungen des Horopters treten in ihre Rechte wieder ein. Es ist namentlich jetzt für mich‘durch Versuche hinreichend klar dargethan, nicht nur, dass sowohl der in der Visirebene enthaltene Horopterkreis von Pierre Prevost, Vieth uud Johannes Müller, wie auch die senkrecht zur Visirebene stehende gerade Linie von Alexandre Prevost und Burckhardt aus lauter einfach gesehenen Punkten wirklich beste- hen, sondern auch — einer früher von mir fälschlich auf- gestellten Meinung zuwider — dass ausser diesen bei- den Linien keine andere Punkte des Raumes ein- fach gesehen werden. Viele Beweise hierfür werde ich bier nicht anführen, und ich will mich damit begnügen, so- wohl auf meine verschiedenen Notizen in den Archives de la Bibliotheque universelle, wie auf Alex. Pr&vost’s Auf- satz in derselben Zeitschrift zu verweisen. Es möge mir nur noch gestattet werden, hier einen leichten Versuch an- zuführen, wodurch man sich nicht nur davon überzeugen kann, dass die Visirebene ausser dem fixirten noch andere einfach gesehene Punkte enthält, sondern anch annäherungs- weise, dass diese Punkte einen Kreis bilden. Man halte in 404 i Edouard Claparede: der Visirebene, mit der Gesichtsfläche, etwa parallel und vor dem fixirten Punkte, einen mit einem Knoten versehenen Seidenfaden. Dieser Faden wird — da seine einzelnen Theile, weil er in der Visirebene liegt, zu einer Reihe ganz gleicher und einander deckender Doppelbilder Veranlassung geben — einfach, der Knoten dagegen doppelt und zwar in verkehrten Doppelbildern erscheinen. Wenn man nun den Faden lang- sam vor dem Gesiehte vorüberzieht, wobei derselbe stets in.der Visirebene bleiben muss, so bemerkt man, dass die bei- den Doppelbilder des Knotens sich nähern und endlich ver- einigen. In diesem Augenblick durchschneidet der Knoten den Horopterkreis und erscheint daher einfach. Weiter hin- aus gehen die Doppelbilder wiederum auseinander. Beim Wiederholen des Versuches für sehr verschiedene Entfernun- gen des Fadens, indem derselbe Punkt stets fixirt wird, kann man sich vergewissern, dass der Horopter in der Visirebene vom Pierre Prevost’schen Kreise nicht viel abweichen kann. Zum Schlusse möchte ich noch einen Versuch von Baum und Meissner kurz besprechen, dessen Ergebniss sich mit Fig. 6. der Richtigkeit des RK” K’ Pierre Prevost- schen Horopterkrei- ses nur schwer in Einklang bringen zu lassen scheint. Es sei O0'A (Fig. 6) der Horopter- kreis, wobei zu be- merken ist, dass O und O' die Augen- mittelpunkte und A der fixirte Punkt sind. Die in der Visirebene enthal- tene und durch den Punkt A gelegte Li- nie RR’ giebt zu Beitrag zur Kenntniss des Iloropters. 405 zwei einander in A schneidenden Doppelbildern Veranlassung. Wenn wir nun. die Linie RR’ eine Winkeldrehung um den Punkt R bis in RR‘ beschreiben "lassen, ‘so müssen sich die Doppelbilder der Linie RR’ ina schneiden. Es ergiebt sich indessen meist beim Anstellen des Versuches, dass dieser Durchschnittspunkt etwas weiter vom Beobachter, z. B. in a‘ gelegen zu sein scheint. Dies ist sogar der Grund, wes- wegen Meissner annahm, die Horopterlinie sei in der Visir- "ebene — bei Neigung dieser Ebene von 45 Grad nach unten — kein Kreis, sondern eine Gerade. Solche Versuche sind keineswegs so leicht anzustellen, wie man glauben möchte, weil es sehr schwer ist, den Punkt A genau zu fixiren und sich zugleich darüber Rechen- schaft zu verschaffen, wie die gegenseitige Durchschneidung der Doppelbilder von RR“ statt hat. Auch bemerkt man meist, wenn/man Anstrengungen macht um Beides zugleich zu Stande zu bringen, dass der Durchschnittspunkt sich all- mälig entfernt und dem Punkte ‚R‘ nähert; indessen ‘kann män sich auch vergewissern, dass je mehr sich dieser Punkt entfernt, um so weniger der Punkt'A scharf ins Auge gefasst wird, ‚ja sogar, dass’ dieser Punkt doppelt erscheint. Diese Abnahme der Convergenz der Sehaxen,' beim Versuch zu be- obachten, was in a geschieht, erklärt sich sehr leicht. : Wenn nämlich A scharf fixirt wird, dann kann a nur sehr undeut- lich: wahrgenommen werden, weil dessen Bilder auf allzu excentrische Theileder beiden Netzhäute fallen. Deswegen, wie es sich leicht ‚begreifen ' lässt, trachtet der Beobachter, falls er. sich über den Sachverhalt ‘in a Rechenschaft zu ge- ben sucht, unwillkürlich danach, die Bilder des Punktes a auf empfindlichere, d.h. weniger excentrische: Theile der Netzhäute zu ‚bringen. _ Dieses geschieht durch eine Vermin- derüng der Convergenz der Sehaxen am leichtesten, wobei aber der Durchschnittspunkt der beiden Bilder von RR’ sich vom Beobachter zu entfernen scheinen muss, ‘wie es auch in der That eintritt. Beim häufigen Anstellen des: Versuches gewinnt man sehr 'bald die Ueberzeugung, dass diese Art des Experimentirens zu bedeutenden Irrthümern ungemein Reichert's u. du Bols-Reymond's Archiv. 1859, “ 27 406 Hermann Meyer: leieht Veranlassung giebt, dass sich aber der 'Durchschnitts- punkt a' dem Punkte @ um so mehr nähert, je schärfer A in’s Auge gefasst: wird, bis. schliesslich a‘ mit a genau: zu- sammenfällt. Ueber den Einfluss der Nerven auf die Farbe des Venenblutes. (Briefliche Mittheilung an Prof, du Bois-Reymond.) Von Prof. HERMANN MEYER. Zürich, den -21. März 1859. Mit vielem: Interesse habe ich in dem ersten Hefte dieses Jahrganges des nunmehr von Ihnen und Reichert heraus- gegebenen Archivs die Mittheilung von Bernard über den Einfluss der Nerven auf die Farbe des Venenblutes gelesen. Ich zweifle nieht daran, dass die dort niedergelegten Ver- suche der Ausgangspunkt für viele verwandte Versuche sein werden, und fühle‘ nich dadurch aufgefordert,: die Mitthei- lung nicht zurückzuhalten, ‚dass dieser Gegenstand‘ für mich keinesweges etwas Neues ist und dass ich sogar im Jahre 1544 ‚bereits. eine Versuchsreihe darüber begonnen hatte, welche indessen durch meine Uebersiedelung nach Zürich unterbrochen und später nicht mehr aufgenommen wurde, da meine Studien sich in Folge‘ des veränderten Thätigkeits- kreises einer anderen Richtung 'zuwandten. — Um mir je- doch nicht eine Priorität anzumassen, welche mir keineswegs zukommt, will ich ‘sogleich anführen, dass ich jene Ver- suchsreihe ‚begonnen habe angeregt durch frühere ähnliche Versuehe, über welche Sie mir zuerst einen kurzen Bericht gestatten! mögen. Im Jahre 1809 veröflentlichte A. G. F. Emmert- in Reil und :Autenrieth’s Archiv Band IX. 8.3830 ff. einen Ueber den Einfluss der Nerven auf die Farbe des Venenblutes. 407 Aufsatz: Ueber den Einfluss des herumsehweifenden Nerven auf das’ Athmen. In demselben: berichtet ‘er zuerst über die Versuehe von Dupuytren und Dupuy' und deren Control- lirung durch Halle und Pinel. — Du puytrenund Dupuy durchsehnitten nämlich den N. vagus 'beider Seiten bei Pfer- den; sie fanden dann die Athmungsbewegungen ungestört 1) aber das Arterienblut wurde nach’ dieser Operation „dunkel und schwärzroth.“ Wurde der N. vagus beider Seiten nur freigelegt und in Zwischenräumen einem mässigen Drucke ausgesetzt, so war das Arterienblut in den Zeiten des Druckes auf beide Vagi schwarz und in’den Zeiten der Intermissionen des Druckes wieder roth?); — „und so kann man wiederholt die Farbe des Blutes aus der rothen in die schwarze, und aus dieser wieder in die rothe übergehen machen.* — Halle und Pinel bestätigten im Wesentlichen diese Erfahrungen und bemerkten dabei, dass beim Hunde die beschriebene Er- scheinung weniger auffallend sei als bei dem Pferde. _ Die Schlüsse der genannten vier Beobachter lauten (S.,387): 1) Die Färbung des Blutes steht in einem geraden Verhältniss mit dem Zustand der Lungennerven. 3). Die abwechselnde Erscheinung des Ein- und Ausathmens reicht für die Bestimmung der Wirkung der eingeathmeten Luft und ihrer Einwirkung auf das Blut bei dem Athemholen nicht zu. 4) Man muss dabei noch. die Mitwirkung des Einflusses der Nerven ‚auf die Lungen zu Hülfe nehmen; nur, dieser Beitritt der Ner- ven lässt das Spiel der chemischen Verwandtschaften in dem le- benden . Organismus zu und ohne ihn äussert sich die Wirkung dieser Verwandtschaften gar nicht. Emmert berichtet darauf unter Vorlegung seiner Ver- suche, dass er zwar im Wesentlichen die Ergebnisse jener Versuche bestätigen müsse, dass er indessen in der Erklä- 1) Doch wohl nicht, vielmelir heisst es’a.a.0. S. 384: „Auf das völlige Zerschneiden des zweiten Vagus erweiterte das Thier seine Nasen- löcher, sperrte das Maul auf, streckte den Hals ans und athmete unter grösser Anstrengung und unter kläglichen Tönen.“ E. d. B.-R. 2) Vergl: hierzu E. H. Weber in Rud. Wagner’s Handwörter- buch der Physiologie u. s. w. Artikel „Tastsinn und Gemeingefühl.* Bd. III. Abth. II. S. 501. 502. E. d. B.-R. 27° 408 Hermann Meyer: ' rung ‚der Erscheinung ‘von den genanäten | Beobachtern 'ab- weichen: müsse; indem ihm’ die'dunkele Farbe des’ Arterien- blutes, nur von mangelhafter Luftzufuhr abzubängen scheine; er, finde wenigstens, ; dass dasselbe - wieder hellroth werde, wenn man durch künstliche Respiration eine vermehrte Luft- menge in die Lunge einführe. Im, Jahre 1820. veröffentlichte sodann 'Krimer' seite „Physiologischen Untersuchungen“ (Leipzig bei Carl Cnobloch). Er,.theilt in demselben. unter dem Titel: „II. Versuche und, Beobachtungen über die’ durch Verletzungen des. Nerven- systems entständenen Störungen in: der Verrichtung des Kör- pers“ folgende Versuche mit: Versuch 1 (S. 136): einem Mops wird der N. eraralis und der N. ''ischiadieus beider Seiten durchschnitten und nach 10 Minuten „er- schien das Blut der Schenkelvene heller roth als 'gewöhnlich;. es hatte durchaus nicht die dunkle Farbe des Venenblutes.“ Versuch 6 (8, 146): einem Kaninchen wird der N. ischiadieus und der N. cruralis durchschnitten, und es zeigt sich hierauf, „dass das Blut der er fast ebenso hellroth war, wie das Arte- rienblut.* Versuch 8 (S. 149): einem grossen Hunde wird ein halber Serupel „wesentliches Bittermandelöl® in die Mundhöhle gegossen; neben den’ in dem Nervensystem hervortretenden Vergiftungserscheinun- gen wird dabei bemerkt, dass „das Blut der Schenkelvenen von dem der Schenkelschlagadern in der hellen Röthe nieht mehr ver- schieden“ war. — Es werden hierauf zehn Tropfen „wesentliches Bittermandelöl“ in einer Drachme Olivenöl durch die Jugularvene injieirt; bald nachher erschien das Venenblat zuerst „mit hellro- then Streifen durchzogen und dunkler als zuvor*, dann aber „auf- fallend heller roth als gewöhnlich, fast so hell wie Arterienblut“ ; nach 2 Stunden war „das ‘Blut der, Jugularvenen von, dem’ der Carotiden ‚nur wenig unterschieden, in den Schenkelblutadern schien es jedoch etwas dunkler zu sein.“ — Der Hund wird jetzt durch einen Schlag auf den Kopf betäubt und künstliches Athmen eingeleitet; das Blut mehrerer. Venen „des Halses, des Hinterleibes und der Gliedmassen“ zeigt sich, auch dann noch „fast wie das der Arterien hellroth.“ — Es wird nun an einer Stelle das Hirn durch Entfernung der Schädeldecke und der Dura mater freige- legt und die Pole einer galvanischen ‚Säule angelegt, an das Hirn der positive,Pol, an beide Schenkelnerven der negative. Die bier- auf eintretende Erscheinung wird in folgenden Worten beschrie- Ueber den Einfluss der Nerven auf die Farbe des Venenblutes 409 ben: „Während eines’ Zeitraums von vierzig Secunden erschien das Venenblut der ‚Jugularvenen wieder mit, dunkelrothen Blut- streifen vermischt und wurde endlich nach dieser Zeit wieder völ- lig dunkelroth. Nachdem die Poldrähte abgenommen worden wa- ren, wurde bei fortwährend unterhaltenem Athemgeben das Ve- "nenblut wieder hellrothb. Auffallend war diese Erscheinung des hellrothen Färbens des Venenblutes in den Gelhirnvenen, wo das- ‚selbe bei der Anwendung des Säulenreizes. sogleich dunkelroth, bei Entziehung desselben sogleich hellroth ward.“ 'Dieselben Er- scheinungen zeigen sich nach Wegnabme des Gehirnes und. An- legung des positiven Poles auf die Medulla oblongata. Bei fort- gesetztem künstlichen Athmen ist dann noch nach anderthalb Stunden „das Blut aller Venen, wie das der Schlagadern, hellroth.“ Versuch 9 (S. 152): einem Kaninchen wird der Plexus brachialis durch- ‚schnitten und nach 4 Minuten ist „das Blut der Armyenen hell- roth und von dem Blute der Arterie nicht zu unterscheiden.“ Versuch 10 (S. 152): Wiederholung von Versuch 8 mit gleichem Erfolge. Versuch 13 (S. 154): einem grossen Hunde wird der Plexus brachialis durehschnitten, nach acht Minuten „konnte man das hellrothe Blut der Achselvenen ‚von dem der Achselpulsader nicht unterscheiden.“ „Nun wurde das untere Ende des durchschnittenen, Nervenge- flechtes mit dem Drahte des positiven Pols einer, sechspaarigen Volta’schen Säule, und die Fusszehen dieses Fusses mit dem ne- gativen Poldraht in Verbindung gesetzt, wonach das Venenblut sogleich dunkelroth wurde, und so wurde es öfter nach der Hin- wegnahme der Poldrähte wieder hellroth, und bei deren Anlegung dunkelroth.* Versuch 14 (S. 155): einer Katze wird das kleine Gehirn entfernt und küustliches Athmen eingeleitet; nach einer halben Stunde ist das Blut der Mesenterialvenen „auffallend hellroth“; nach anderthalb Stunden ist das Blut der beiden Hohladern „zwar dunkelroth, doeh mit hellrothen Streifen durchzogen,“ Aus diesen Versuchen schliesst Krimer (S. 172): 27) Das hellrothe Blut der Arterien geht in die Venen. als solches über, ohne in den Capillargefässen dunkelroth gefärbt zw wer- den, sobald ihm mittels der Durchschneidung oder Ertödtung der Nerven der Einfluss derselben entzogen wird. 28) Nach der Durchschneidung der Nerven vermag, statt der Nerven, der Einfluss der Volta’schen Säule ‘das aus den Arterien in die Venen übergebende Blut dunkelroth zu färben. Was nun meine eigenen Versuche über den angeregten Gegenstand angelit, so kann ich in dem Berichte über die- selben kurz sein, indem dieselben kein wesentlich neues Ma- 410 ' Hertmann Meyer: terial liefern. Ich finde in meinen‘ Aufzeichnungen aus dem Jahre 1844 folgende Versuche angeführt: 1) einem Kaninchen wird der N. ischiadieus freigelegt und eine benachbarte Hautvene geöffnet; nach Durch- schneidung des N, ischiadieus, fliesst aus, dieser,, das Blut. anfangs noch: dunkel, dann aber: hell. Sieben Tage nach der Operation fliesst das Blut aus dersel- ben Hautvene noch hell. 2) Derselbe Versuch mit dem gleichen Erfolge; —, das Hellsein des Venenblutes wird noch am fünften Tage nach der Operation: beobachtet. 3) einer Katze 'wird der N. isehiadieus freigelegt und eine Schlinge um denselben gebunden; das Blut einer benachbarten Hautyene fliesst heller; zum Vergleiche dient die Farbe des Blutes aus einer an. dem unver- sehrten Schenkel angestochenen Hautvene. 4) einem Kaninchen werden beide N. vagi durehschnitten; — das’Blut der Carotis zeigt sich hierauf etwas dunkler. 5) derselbe Versuch mit dem gleichen Erfolge. 6) derselbe Versuch, wobei sich ‚indessen das Blut der Carotis mit schwarzen ‘Streifen untermischt ‚zeigt. Wesentlich 'neues Material hatten demnach meine Ver- suche zur Zeit ihrer Unterbrechung nicht geliefert. Ich hatte nur die helle Farbe des Venenblutes noch einige Tage nach der Operation constatirt. Dagegen war ich. ‚aber bemüht, eine Erklärung für ‚die fragliche Erscheinung zu finden. Dass mir die Annahme eines direeten Einflusses der Nerven auf das Blut, wie solche von Dupuytren und Krimer’auf- gestellt war, nicht zusagen Konnte, ist begreiflich. Ich stchte, wie Bernard, die Erklärung in den mechanischen Verhält- nissen der Ausdehnung der Gefässe durch, Lähmung, ihrer Nerven und dachte mir, dass die damit gegebene.'grössere Blutfülle Ursache dafür ‘werde, dass zur Zeit des Wieder- austritts des Blutes aus den Capillaren ein Theil desselben noch unverändert sein müsse, und dass deshalb eine gewisse Menge. noch unveränderten ‚Blutes dureh. die. Venen 'der.be- treffenden: Theile geführt werde, so dass aus den: Lungen Ueber den Einfluss der Nerven auf die Farbe des Venenblutes. 411 noch theilweise schwarzes Blut komme ‘und aus den Extre- mitäten noch theilweise helles Blut. — Von diesem Stand- punkte aus veranstaltete ich folgenden Versuch zwei Mal mit dem gleichen Erfolge: Ich unterband bei einem’ Kaninchen beide Nierenarte- rien und eine (die linke) Art. iliaca communis, so wie alle sonst erkennbaren kleineren Rumpfäste der Aorta abdo- minalis; nur die eine (die rechte) Art. iliaca communis blieb noch oflen. Ich beabsichtigte durch diese Operation eine Plethora ad spatium für das rechte Hinterbein zu er- zeugen und damit die gleiche Bedingung zu setzen, welche ich als Ursache der Erscheinung nach Nervendurchschnei- dung voraussetzte; ich wollte nämlich eine durch die ver- ändernden Momente nicht zu bewältigende Blutmenge in das Bein einführen; — und nach meinen Aufzeichnungen floss nach dieser Operation auch. das Blut aus der Vena iliaca communis der unversehrten Seite etwas heller und mit hellen Streifen gemischt. Dieses sind die Ergebnisse meiner Versuche. Sie sehen, es sind nur Anfänge einer Versuchsreihe. Die Bernard- schen Versuche, welche mit diesen auf das Engste verwandt sind, lassen mich nun allerdings die Aufforderung fühlen, diese Versuchsreihe wieder aufzunehmen oder doch wenig- stens die Ergebnisse der oben angeführten Versuche durch Wiederholung sicherer zu stellen; ich’ bin jedoch nicht‘ nur für jetzt, sondern auch noch für längere Zeit durch andere Arbeiten so sehr in Anspruch genommen, ‘dass es mir un- möglich ist, den fraglichen Gegenstand auf’s Neue zur Hand zu nelimen. - Ich erlaube mir deslialb das Obige, wie es ist, Ihnen einfach vorzulegen und um Aufnahme dieser Mitthei- lung in das Archiv zu bitten; wenn nicht mehr, so enthält sie doch jedenfalls einige interessante geschichtliche Data. [ 412 Claude Bernard? uf Ueber den Sauerstoffgehalt des Venenblites der drüsigen Organe im rühenden und thätigen Zu- stande und ‚über die Anwendung des Kohlenoxyd- gases zur Bestimmung des Säuerstoffgehaltes des ‘« Blutes; Von Graupe BERNARD.) In einer Mittheilung an die Karen: vom 28. Februar d. J. habe ich gezeigt, dass im normalen Zustande?) das Venenblut der Drüsen hell''ist, wenn diese Organe ihr Ab- sonderungsproduct entleeren, dagegen’ dunkel, wenn dieselben Nichts entleeren und, wie man, sagt, im Zustande der Ruhe sind. "In einer anderen Mittheilung vom 9. August d. J.°) habe ich gezeigt, durch welchen physiologischen Mechanismus zwei ]) Aus den Comptes rendus etc. 6 Sept. 1858. t. XLVII. p. 393. 2) Im normalen Zustande ist die Erregung des secretorischen Ner- ven stets begleitet von einer Beschleunigung der Blutströmung und einer hellen Färbung des Venenbluts. Diese Erscheinungen sind um so schärfer ausgeprägt, je kleiner die Drüse und je unabhängiger sie durch die. Anordnung ihrer ‚Gefässe von dem Stromlauf der Nachbarorgane ist. Ich kenne keine Drüse, wo die Erscheinung so deutlich wäre, als bei der Submanillaris des Hundes, welche alle diese Bedingungen erfüllt. ‚Aber um die Abhängigkeit dieser verschiedenen Erscheinungen von einander nicht falsch zu verstehen, bitte ich zu bemerken, ‚dass Alles, was ich gesagt habe, deutlich beweist, dass diese helle Färbung des: Venenblütes eine Folge der Thätigkeit' ‘des Nerven ist, welche den Stromlaufbeschleunigt, und nicht die Ursache der Absonderung, da sie auch nach Durchschneidung des Sympathicus auftritt, ohne dass Ab- sonderung stattfände. ‘Wenn 'man daher dem'Abfluss des Blutes durch die Drüsenvene ein Hinderniss entgegenstellt, während man den Ab- sonderungsnerven erregt, so kann die Absonderung noch vor sich ge- hen, obgleich das durch‘ einen Nebenumstand in seiner Strömung ver- zögerte Blut nieht hell abtiliessen kann. In:manchen Drüsen grösseren Umfangs, wie in der Parotis des Pferdes, ernenert sich die gesammte Blutmenge schwieriger, sowohl in Folge ihrer Grösse, als auch wegen der Verbindung der Drüsenvene mit den Venen der benachbarten Mus- keln, welche während der Kaubewegungen des Thieres ein äusserst dunkles Blut liefern. : Daher hätte die Erscheinung 'an dieser Drüse nie entdeckt werden können, obgleich sie vorhanden ist, nur verdeckt durch die eben bezeichneten Umstände. Wenn man so Ursache und Wirkung gegen einander abwägt, so sieht man, dass dig, eigentliche physiologische Wirkung des Drüsennerven sei, den Stromlauf zu beschleu- nigen und das Venenblut hell zu machen, wenn die Beschleunigung so gross als möglich ist, und es ist kein Grund vorhanden, in den weni- ger ausgesprochenen Wirkungen, welche nur durch Nebenumstände be- dingt sind, einen Widerspruch zu finden. 3) S. oben S$. 90. Ueber den Sauerstöffgchalt des Venenblutes u. s. w. 413 Arten von Nerven die Farbenänderungen, welche das Venen- blut ‘der Drüsen zeigt, beherrschen.!) Heut wünsche ich’ die ehemischen Veränderungen, welche mit dem Farbenwechsel des Blutes’ in einer und derselben Vene zusammenhängen, zu erforschen. _ Ich muss mich jedoch beeilen zu sagen, dass es sich hier nieht um eine ‚chemische Analyse des Blutes handelt. Bei dieser Untersuchung des Venenbluts der Drüsen soll nur die "Rede sein .von’ der Bestimmung der relativen Sauerstoff- menge, welchem ‘Gase man stets die helle Farbe des Blutes zugeschrieben hat. "Auch hätte ich mir ‘diesen Eingriff in das Gebiet der Chemiker’ nicht erlaubt, ‘wäre ich nicht von durchaus physiologischen’ Betrachtungen geleitet worden, wie sich bald zeigen wird, ein neues ’sehr einfaches Mittel zur Bestimmung des Sauerstoffgehalts des Blutes anzuwenden. Vor ungefähr zehn Jahren stellte ich Versuche über die Vergiftung von Thieren mit Kohlenoxydgas an, welehe’ ich seitdem in meinen Vorträgen am College de France in den Jahren 1853 und 1856 wiederholt habe.?) Bei dieser Unter- suchung der Wirkung des Kohlenoxydgases auf das Blut des lebenden Thieres fand ich nun, dass dieses Gas dadurch schnell giftig wirke, dass es augenblicklich den Sauerstoff aus den Blutkörperchen verdrängt und’ seinerseits nicht wie- der durch den Sauerstoff der Luft verdrängt werden kann. Daraus folgt, dass die Blutkörperchen gleichsam gelähmt und unfähig gemacht werden, Sauerstoff zu absorbiren, wes- halb sie wie todte Körper, ohne ferner das Leben’ unterhal- ten zu können, kreisen. Kommen alle Blutkörperehen mit einer Menge Kohlenoxydgas in Berührung, welche hinreicht, all ihren Sauerstoff zu verdrängen, so tritt der Tod fast augenblicklich ein, und das Thier kann durch künstliche Ath- inung nicht in's Leben zurückgerufen werden; ist ein Theil des Bluts dem schädliehen Einfluss 'entzogen, so kann der Tod langsamer erfolgen u. 8. w. Mit einem Worte, ich betrachte die so ausserordentlich giftige Wirkung des Kohlenoxydgases als die Folge seiner 1) Seitdem habe ich meine Untersuchungen über die Nerven, welche den Capillarstromlauf beschleunigen oder verzögern, fortgesetzt und habe erkannt, dass diese beiden Nervenarten sich nicht nur in den Drüsen, sondern auch in anderen Körpertheilen. finden. So habe ich insbesondere beim Hunde festgestellt, dass Fäden vom Ram} mylo- hyoidens vonr N. alveol. inf. des Trigeminus den Stromlauf in den Gefässen des Gesichts beschleunigen. Ich werde diese Versuche an- derweitig mittheilen, wenn ich mich nach und nach mit den Krschei- nungen des Stromlaufs an verschiedenen Orten beschäftigen werde, welche noch so wenig bekannt sind. 2) Notes of Mr, Bernard’s leetnres on the blood; with an appen- dix by Walter P. Atlee, M. D. Philadelphia, 1854 'p. 19 bis 22. — Legons sur les eflets des substances toxiques et medieamenteuses. Paris 1857, 414 Claude Bernard: grossen. Verwandtschaft zu. den Bestandtheilen der, Blutkör- perchen. ‘In der T'hat ist, seine, Verwandtschaft grösser als die ‚des, Sauerstofls, denn das Kohlenoxyd verdrängt den Sauerstoff ‚schnell, während Sauerstoff seinerseits, unfähig ist, das Kohlenoxyd zu verdrängen. - hin Diese eigenthümliche Art der, giftigen: Wirkung, des Koh- lenoxyds, welche ich zuerst erkannt.zu. haben glaube, führte mich ganz, naturgemäss dazu, ‚dieses, Gas zur ‚Austreibung des; Sauerstoffs aus dem Blut ‚anzuwenden... ‚Dieses Mittel hat. vor. ‚den ‘älteren Methoden den: Vortheil voraus, sehr schnell ‚und ‚genauer‘ ,zu ‚sein, weil.‚eben durch die giftige Wirkung, des Kohlenoxyds auf das. Blut die. Ursachen des Verschwindens von. Sauerstoff. während der Dauer der Ope- ration ausgeschlossen: sind. Seit zwei Jahren habe ich dies Verfahren bei. einer gros- sen Anzahl: von, Untersuchungen. angewandt und im ‚letzten Winter: habe ich in meiner Vorlesung am College de France; welche sich hauptsächlich mit dem: Studium. des Blutes. be- schäftigte, ‚öffentlich die Vorzüge dieses analytischen Hülfs- mittels entwickelt, indem ich mich auf zahlreiche Versuche stützte, welche Herr Leconte anstellte und welche die Be- stimmung der relativen‘ Sauerstoffmenge im Blut verschiedener Körpertheile zum. Zweck hatten. Mein, Verfahren ist kurz folgendes: . Ich sauge das, Blut aus,den Gefässen mittelst einer getheilten Spritze ‘und bringe es schnell mit Hülfe einer gebogenen eisernen Canüle in eine getheilte, durch ‚Quecksilber abgesperrte Glocke, welche. das Kohlenoxydgas enthält, ‚So bewahre ich also das, Blut vor der Berührung mit. der Luft (a..a. O. 8. 166), Sobald das Blut hiveingebracht ist, schüttle, ich. heftig, um die Mischung zu fördern und die Gerinnung, zu ‚verhindern. ‚Ich lasse ‚das Kohlenoxydgas und. das Blut. ein oder zwei. Stunden bei einer Temperatur. von 30. bis. 40 Grad in Berührung und schüttle das Blut indessen zu zwei oder drei verschiedenen Malen. Das Volum. des Gases ändert sich für gewöhnlich nicht, da das Kohlenoxyd ein gleiches, Volum Sauerstoff‘ ‚verdrängt.') Un- ter der Einwirkung des Kohlenoxyds sieht man alle Blut- arten-eine dauernde hellrothe Färbung annehmen, die ich schon. seit. langer . Zeit. als charakteristisch für, die Wir- kung des Kohlenoxyds bezeichnete, gleichgültig für das Blut in den Gefässen des lebenden Thhieres, als für das ausser dem Körper mit dem Gas behandelte. ?) ) 1) Diese Verdrängung ‘des Sauerstoffs durch das Koblenoxyd in gleichem Volum, ‘kündigte ich ‚schon in der Vorlesung von 1856, S. 184 an. Seitdem habe. ich jedoch gesehen, dass bei Gegenwart von viel Kohlensäure eine Vermehrung des Gesammtvolums eintritt. 2) Seitdem ich diese Eigenschaft des Kollenoxydgases, das Blut dauernd hellroth zu färben und seine besondere giftige Wirkung auf die Blutkörperehen entdeckt habe und in meinen öffentlichen. Vor- lesungen mittbeile, sind diese Thatsachen nach mir in verschiede- Ueber den Sauerstoßgehalt ‘des Venenblutes u. s. w. 415 Ich benutze’ gewöhnlich zu jedem: Versuch 25CC Kohlen- oxydgas auf 15CC Blut. Mit dieser Gasmenge kann aller Sauerstoff aus dem Blut verdrängt werden. Man kann sich davon überzeugen, indem man von Neuem Köhlenoxyd zu- setzt, 'wo man dann keine merkliche Spur ‘von Sauerstoff mehr erhalten wird. } »Zur ‘Analyse des Gasgemenges, in’ welehem».der ver- drängte Sauerstoff enthalten ist, »bediente ich mich: der ge- bräuchlichen Verfahrungsweisen: die Kohlensäure wurde durch Kali bestimmt, der Sauerstoff dureh. Pyrogallussäure, und das Koblenoxyd, wenn man. dazu /seine Zuflucht nahm, mit Hülfe seiner Ueberführung in Kohlensäure” durch den elek- trischeri Funken, Nach’ dieser etwas langen Vorrede, welche ich jedoch für nothwendig hielt, komme ich zum eigentlichen Gegenstand meiner Mittheilung, nämlich’zu der Frage, ob das: belle'Ve- nenblut der Drüsen eben’ so viel oder: mehr Sauerstoff ent- hält, als das dunkle. So glaubte ich notliwendig die Frage stellen zu müssen. Denn bei dem jetzigen Zustande un- serer Kenntnisse konnte man nur zwei Annahmen- über die Ursache der hellrothen Färbung des Venenblutes ‚machen, welches sich aus der thätigen Drüse mit einer Heftigkeit ergiesst, welche, wie wir sagten, bei sehr starker Abson- dernüg der Drüse, sich sogar bis zum Pulsiren, wie beim arteriellen, steigert: Man konnte meinen, das helle Venenblut sei nichts als arterielles, welehes mit soleher Geschwindig+ keit durch die Gapillaren geströmt sei, dass es nicht Zeit gehabt, venös zu werden,! d.h. sich seines) Sauerstofls zu entledigen, um dafür Kohlensäure aufzunehmen. 'Man konnte aber auch annehmen, das helle Venenblut sei gewöhnliches venöses Blut mit dem Unterschiede, ı dass: es: seine dunkle Färbung verloren, weil ihm; da es sich in der Zeit der Ab- sonderung der Drüse bildete, von den Absonderungsprodueten der Drüse seine Kohlensäure entzogen worden, welche es sonst dunkel gefärbt hätte, wie dies im Ruhezustande der Drüse.der Fall ist, wo die Kohlensäure nicht ‘entweichen kann. Diese letztere Ansicht gewann! einen grossen Grad von Wahrscheinlichkeit dadurch, dass alle Absonderungs- Nlüssigkeiten eine beträchtliche Menge Kohlensäure theils in Lösang, theils chemisch. gebunden enthalten. Die Verglei- ehung des Sauerstoflgebaltes des Blutes bei seinem Eintritt in die Drüse und bei seinem Austritt’ aus derselben war al- lein im Stande, zwischen den ‚beiden Hypothesen zu ent- nen Werken veröffentlicht worden. Ich nenne insbesondere in dieser Beziehung die Schrift des Herrn Dr. Atlee in Philadelphra, welcher meine Vorlesung im Jahre 1858 gehört hat, Ganz neuerlich hat Herr Dr. F. Hoppe versucht, diese Eigenschaft des Kohlenoxyd- gases, das Blut dauernd hellroth zu färben, für gerichtlich medicinische Untersuchungen zu verwerthen. 8. Archiv’ für path," Anat. v, Vir- how, X1., 238. X1IL, 104. 1857, 58. 416 Claude Bernard: scheiden. Wenn das helle Venenblut beim Austritt aus der Drüse mehr Sauerstoff enthält als das dunkle Venenblut und eben so viel als das arterielle, 'so ist klar, dass es nicht venös geworden ist" Wenn’ dagegen das helle Venenblut we- niger Sauerstoff giebt, als das arterielle, und'in gleicher Menge wie das dunkle Venenblut, wird man’ die 'zweite' An- nahme vorziehen müssen, nämlich dass während der Abson- derung) das 'arterielle Blut wie gewöhnlich venös wird, jedoch hell bleibt, weil es auf der Stelle wieder seine Kohlensäure verliert, statt sie erst später in der Lunge abzugeben. =! Das ist das Ziel der Aufgabe, ‘die ich mir gestellt hatte; sehen wir jetzt, ‘was der Versuch uns lehrt. . Ich benutzte das Blut der Nierenvenen, weil der Umfang des Organs es gestattet, mit Leichtigkeit genügende Blutmen- gen zu vergleichenden Analysen zu erhalten. Bei einem kräftigen, in der Verdauung begriffenen Hunde wurden die Nierengefässe linkerseits mit den nöthigen 'Vor- sichtsmassregeln blossgelegt, schnell, während der Harn sich reichlich durch den Ureter ergoss und das Venenblut fast eben so hell war, als arterielles, 15CC. Blut aus der Vena renalis entzogen und mit 25 CC. Kohlenoxydgas in Berüh- rung gebracht. !) Unmittelbar nachher durchschnitt ich einen der zahlreichen Aeste der. Nierenarterie bei seinem. Eintritt in die Niere und sog aus seinem centralen Ende 15'CC. Blut auf, welche ich ebenfalls mit'einer gleichen Menge Koh- lenoxyd als vorher zusammenbrachte. Darauf entfernte ich die Fettkapsel der Niere, um die Harnabsonderung zu stören. Ei- nige Augenblicke darauf floss kein Harn mehr durch den Ureter, und das Blut (der Vene wurde dunkel, wie das der Vena cava. ' In diesem Augenblick sog ich 15 CC. von diesem dunklen Venenblut der Niere auf, welche, wie die beiden anderen, mit 25 CC. Kohlenoxyd zusammengebracht ‘wurden. Nach einem Aufenthalt’voneinerStunde ineiner Temperatur von 30° bis 40° ergab die Analyse der Gasmengen, welche mit den drei vorbezeichneten Blutarten in Berührung gewesen waren, für den in diesen enthaltenen Sauerstoff, ‘berechnet auf 100 Raumtheile Blut: 1) für das helle Venenblut ..: . re R heil 2) für das arterielle Blut... ... . 19,46) Kaumt En 3) für das. dunkle Venenblut. ... 6,40) Sauerstofl, In einem zweiten Versuch wurden gefunden 16 Volumprocent Sauerstoff im hellen Venenblut,: 17,44 im Aortenblut und 6,44 im Blut der Hohlvene. 1) Dieses schnelle’ Aufsaugen des Bluts aus der Nierenvene ist-gar nicht leicht zu bewerkstelligen. Man darf die Vene nicht unterbinden, weil dann das Blut durch die Hinderung des Stromes sogleich dunkel wird. ‚Daher ziehe ich es vor, von der rechten Seite her durch die Hohlvene einzugehen und die ‚Spritze bis zur linken Nierenvene vor- zuschbieben, iu welcher dann der Stromlauf nicht unterbrochen wird, Ueber den’ Sanerstoffgehalt des Venenblutes n. s. w. 417 Aus diesen’ Versuchen erhellt also, dass das helle Venen- blut der. Niere (und es ist wahrscheinlich, dass es sich ebenso mit dem Blut:anderer Drüsen verhalte) ‚sich von gewöhnli- chem venösen Blute dadurch: unterscheidet, dass es, so zu sagen, nicht -desöxydirt ist: Unsere erste Hypotliese wäre also bewährt, da, dieses Blut die Eigenthümlichkeiten des ar- teriellen Blutes’'bewahrt hat. Indessen, wenn dies auch wahr ist für den Sauerstofigehalt, den man: in ihm findet, so wäre doch‘ die Behauptung im’ Ganzen: nicht streng. Denn: ‚das Venenblut der Drüsen enthält viel weniger Faserstoft, als arterielles. Blut; es, enthält weniger Wasser, denn es: hat das zur Absonderuug' nöthige geliefert, und. ausserdem: zeigt sich dieses. helle,Venenblut durcehgehends 'veränderlicher als ar: terielles, d. h. es wird viel selineller von selbst.dunkel, | wenn es aus dem Gefäss gelassen ist, u..8.1w.') Wie ‚dem ‚auch sei, ‚halten wir uns, vorerstieinzig an den Gegenstand meiner; jetzigen Untersuehung, nämlich: den ‚Ge- halt des Venenblutes an Sauerstoff, so sehen wir die höchst eigenthümliche Thatsache, dass ‚die, Drüsen gerade während der Thätigkeit, d. h. während sie absondern, das durch sie strömende Blat hell lassen und nicht, seines Sauerstofls be- rauben, während bei ihrer Ruhe, ; wo’ sie, kein: Secret eut+ leeren, ein dunkles, zum grössten T'heil des Sauerstoffs be- raubtes und mit Kohlensäure beladenes Blut sie verlässt. ?) Es zeigtosieh: hier abermals der ‚Gegensatz zwischen‘ dem Drüsen- und Muskelsystem, auf welchen ich schon oft die Aufmerksamkeit gelenkt habe. Aus den Muskeln fliesst das Venenblut um so dunkler, und sauerstoflärmer, ‚je mehr sie thätig gewesen und ‚je kräftiger ‚sie sich zusammenge- zogen haben; aus den Drüsen fliesst das Blut um so. heller 1) Man bemerkt dieselben Eigenschaften an dem Venenblut des Kopfes, weun man vorher den Sympathiens in der Mitte des Hals- theils durchschnitten hat. Meine in dieser Beziehung seit 1852 ange- stellten Versuche haben gezeigr, dass nach Durchschneidung des Sym- pathicus der Stromlauf sich beträchtlich beschleunigt, die Temperatur steigt, das Venenblut hell wird, der Druck zunimmt. Wenn man das peripherische oder obere Ende des Sympathicus galvanisch erregt, nimmt die Geschwindigkeit der Blutströmung ab, die Gefässe veren- gern sich, und die Temperatur sinkt zu gleicher Zeit, während das Blut sehr dunkel wird. Besonders am Pferde zeigen sich alle diese Erscheinungen mit grosser Dentlichkeit.: Diese grosse Veränderlichkeit des hellen Venenblutes macht es nöthig, dass mau es sehr schnell mit dem Kohlenoxyd in Berührung bringe, durch welches es verhindert wird, venös zu werden und durch Bildung von Kohlensäure seinen Sauerstoffgehalt abzugeben. 2) Ich lasse die Frage nach der Menge der gebildeten Kohlen- säure unberührt. Nur so viel will ich bemerken, dass ich bei der Be- handlung mit Kohlenoxyd niemals eine der verschwundenen Sauerstofl- menge entsprechende Menge von Kohlensäure gefunden habe, was zu beweisen scheint, dass vielleicht im Blut irgend eine Zwischenstufe zwischen dem Sauerstoff und der Kohlensäure sich findet 418 Claude Bernards Ueber den Sauerstoflgehalt u. s. w. und sauerstoffreieher, je mehr das Organ thätig gewesen, d.h’ je stärker seine Absondegung ‘war. ' Aber dürfen wir diesen Gegensatz in den Erscheinungen als einen Beweis an- sehen für einen durehgreifenden Unterschied in' den Vorgän- gen der Ernährung und der Thätigkeit bei Drüsen und Mus- keln? Um es kurz zu sagen, dürfen wir" es. aussprechen, dass während die Muskeln im geraden Verhältniss ihrer Thä- tigkeit Sauerstoff verbrauchen, bei’ den Drüsem das Umge- kehrte stattfindet? ° Oder müssen wir nicht vielmehr, ’Ange- siehts dieser eigenthümlichen Schlussfolgerung, Zweifel fassen gegen unsere Art, die Thätigkeit der Drüse zu bestimmen? Das letztere ist meine Meinung, und ich denke, dass diese Untersuchung ‘dahin führen werde, das, was wir ruhenden und thätigen Zustand der Drüse nennen, anderweitig zu er- klären und einen Unterschied zu machen zwischen einem Zustand chemischer und einem rein mechanischer Thätigkeit. Sehon jetzt könnte ich verschiedene Gründe zu Gunsten die- ser Ansicht beibringen; doch ich will mich auf die so klaren Thatsachen beschränken, welche ich im Vorhergehenden mit- getheilt habe, und mich enthalten, ‘diese dunkle Seite der Frage zu berühren, welche der Ausgangspunkt für fernere Untersuchungen‘ werden’ muss. . Ueber sogenannte idiomusculäre Contraetion. Vorläufige Mittheilung von Dr. W. Kühne, Die Beobachtung ganz frischer Muskeln lehrt, dass der Inhalt des Sarkolemms ‘der: verschiedensten Bewegungen in jeder Richtung fähig ist, so dass sich die Erscheinungen der Muskelcontraction unter dem Mikroskop zu einer wellenartigen Verschiebung der einzelnen Theil- chen auflösen. Da der Muskel bei der Contraction an Breite, fast ge- nau um so viel zunimmt, als er an Länge abnimmt, und da der eon- trahirte Muskel ohne das Zutbun äusserer Kräfte nie wieder auf seine ursprüngliche Länge zurückkonmt, sondern selbst beim Ruhen auf einer Flüssigkeit (z. B. Quecksilber) in einer Gleichgewichtslage verharrt, welche sich von dem contrahirten Zustande nur sehr wenig unterscheidet, so ist man berechtigt anzunehmen, dass die contractile Substanz im Wesentlichen aus einer Flüssigkeit bestehe. Eine so. grosse Ver- schiebbarkeit der ‘Theilchen, wie sie die contractile Substanz besitzt, fällt eben mit dem Begrift des Flüssigen vollkommen zusammen, Die Muskeln aller Thiere, vom Menschen bis auf die Infusorien hinab, sind in dieser Beziehung gleich. Bei allen Geschöpfen bewahrt die von dem Sarkolemm umschlossene Substanz selbst eine gewisse Zeit nach dem Tode hindurch ihren flüssigen Zustand, und das Vermögen dieser Flüssigkeit auf gewisse Einflüsse (Reize) Bewegungen einzugehen, welche als Gesammtresultat; die, Verkürzung des Muskels zur Folge haben, ist mit ‚dem Namen, Reizbarkeit belegt. So. lange, die, ‚Auslösung irgend einer. thierischen Function durch irgend welehe Veränderungen des Ruhezustandes als Reizung ‚bezeichnet wird, und: so lange man als Fähigkeit; thierischer Theile auf solche Ein- Hlüsse zu reagiren, eine Reizbarkait statuirt, wird man mit vollem Rechte W. Kühne: Deber sogenamte idiomnsenläre Contraction, 419 auch die Fortpflanzung einer Bewegung, wie sie in den Nerven und Muskeln stattfindet, so auffassen müssen, dass je ein Punkt oder Quer- schnitt dieser Organe als Reiz auf den folgenden wirken könne, Beim Muskel findet diese Anschauung ihre volle Bestätigung durch das welcher zuerst durch künstliche Einflüsse der ursprüngliche Zustand verändert wurde, Nimmt die Reizbarkeit des Muskels nach dem Tode allmälig ab, so wird sieh der Modus’ der Contraction ändern, es wird dann ein Zeitpunkt eintreten, wo nicht nur die Contraction langsamer verlänft, sondern 'wo sie auch nicht mehr über die ganze Länge des Muskels sich erstreckt und zuletzt gar allein auf’ die Reizstelle. be- seliräukt bleiben kann. 2 Die hierher gehörigen Erscheinungen, welche in neuester Zeit als sogenannte idiomuscnläre Contractionen einige Berücksichtigung erfah- ren haben, sind folgende: Punkte ınechanisch gereizt wird, so eontrahiren sich sofort alle Pri- mitivbündel , welche durch den Reiz, direct getroffen wurden, in ihrer eine schwache kegelförmige Erhebung, welche allmälig wieder ver- schwindet. Beim Absterben des Muskels kommt hierauf eine Zeit, wo die Contractionen schon durch das blosse Auge als wellenförmige Be: Wegungen erkannt werden können, und Wo man sieht, wie das Mus- unmittelbar betroffenen Stelle; die Contraetion geht auch hier lang- samer vor sich und die Erhebung der gereizten Stelle über den zur strompräfende Froschschenkel giebt uns bei beiden Erscheinungen Gewissheit über die Veränderungen des elektromotorischen Verhaltens, läuft, als, nach Czermak, wenn derselbe diedauernde Erhebungan der Reizstelle überbrückt. Bei noch weiterem Absterben des Muskels wird die Contraction nun endlich immer schwächer, sie entfernt sich immer die Erhebung sich in zwei Theile zerklüftet, welche ganz langsam naclı zwei entgegengesetzten Richtungen in der Längsachse des Primitivbündels auseinander rücken, dabei immer flacher werden und endlich ganz ver- Zur genauen Verfolgung dieser Vorgänge ist die mechanische Rei- zung sehr wenig geeignet. Bej abnehmender Erregbarkeit müssen der sich sehr einfach, weshalb die Contraetion an der Reizstelle später sichtbar werden muss als an den fernliegenden ’Thej kürzung und Verdickung dieser Stelle erst die künstlich erzengte Ver- tiefung auszugleichen hat, 420 W; Külıne: Ueber sogenannte idiomnsenläre Contraction, Indem‘ wir. uns.in der Folge der'elektrischen Reizung bedienten, zeigte sich, dass die stärkere Contraction constant an dem Orte ent- steht, wo der Reiz am stärksten, die Ströme am dichtesten sind und dass bei dem Minimum der Reizung gar keine bemerkbaren Erhebun- gen über den durch die: blosse Fortpflanzung von einem erregten Quer- schnitt‘ auf den anderen ‚mitcontrahirten Muskelstrecken, sichtbar wur- den. WUeberschreitet hingegen‘ die Reizung jenes Minimum. beträchtlich, so entstehen Erhebungen auf dem Muskel, welche einen getreuen Ab- druck von der Form derElektroden geben. Die einfachste Art dies zu zeigen besteht darin, als Elektroden zwei Platindrahtspitzen zu verwen- den, welche man mit der secundären oder primären Spirale des Induc- tionsapparates von du Bois-Reymond in leitende Verbindung setzt, und, diese,ohne Druck mittelst eines Halters, der an einem Stativ eine gute, Führung gestattet, so auf den Muskel aufzusetzen, dass ihre Ver- bindungslinie die Richtung der Muskelfasern :senkrecht schneidet, Bei dieser Anordnung ist. es leicht, selbst ohne übermächtige Stromstärken zwei Muskelprimitivbündel an einer ziemlich beschränkten Stelle einem so starken Reize auszusetzen, der einem Druck oder Schlag ' äquivalent gesetzt werden kann, und der Erfolg davon ist ‘der, dass sich‘ die bei- den Primitivbündel in ihrer ganzen Länge contrabiren, während sich nunmehr aber gleichzeitig unter beiden. Electroden. eine . kugelförmige Erhebung bildet, ‘welche ganz das ‚zuvor beschriebene ‚Verhalten dar- bietet. Die Bedingung des Eintritts dieser local vor der übrigen Mus- kelzusammenziehung ausgezeichneten sog. idiomusculären Contraction besteht also in einer sehr local wirkenden starken Reizung, an welche das, was man die Ermüdung des Maskels nennt, nothwendig geknüpft ist. Es ist nicht schwer zu erweisen, dass die angegebenen Methoden eine rasche Ermüdung' des Muskels herbeiführen, man braucht nur z. B..die Elektroden in'der Richtung der Primitivbündel ganz über den Muskel hin gleiten zu lassen, oder die mechanische Reizung durch einen Druck- strich in derselben Weise auszuführen, um: einzelne Muskelbündel fast vollständig abzutödten, In Uebereinstimmung damit ist. der zeitliche Verlauf dieser Art der Muskeleontraction. Ein ermüdeter Muskel kehrt nur ganz allmälig aus dem contrahirten Zustande in den der Erschlatf- fung zurück, gerade wie’ die idiomusculäre Erhebung, welche auch bei dem belasteten Muskel nur ganz allmälig verschwindet, und zwar um so langsamer, je längere Zeit nach dem Tode des Thieres der Versuch angestellt wurde. Aus demselben Grunde gelingt es auch nicht leicht, und nur durch die Anwendung höchst barbarischer mechanischer Miss- handlungen, an den Muskeln kaltblütiger Thiere diese Erscheinung her- vorzurufen, welche gleichwohl von sehr viel geringerer Dauer ist. Nur an der inneren Seite der schrägen Bauchmuskeln des Frosches, welche durch ihre gelbgraue Farbe schon. hervorstechen, und. welche. in der 'That ihre Erregbarkeit sehr rasch einbüssen, ist es mir einigermassen gelungen, die Schiff’schen Wülste zu erzeugen. Im letzten Stadium der Erregbarkeit. verliert der Muskel schliesslich seine Leitungsfähigkeit des Reizes und die Contraction bleibt: dann ganz allein 'auf die Reiz- stelle beschränkt, bei warmblütigen Thieren der Art, dass diese Stelle im contrahirten Zustande erstarrt. Selbstverständlich kann der Verlauf aller angeführten Erseheinun- gen durch jedes Mittel abgekürzt werden,. welches den Muskel ermüdet, oder die Vorgänge des: Absterbens beschleunigt. So durch gewisse Gifte, wie Rhodankalium, Upas antiar und Veratrin, welche eine spe- ceifische Wirkung auf die contractile Substanz ausüben. Paris, 14. Juni 1859. E. Reissner: Ueber d. Schwimmblase u. den Gehörapparst etc. 421 Ueber die Schwimmblase und den Gehörapparat einiger Siluroiden. Von Prof. Dr. E. Reıssser in Dorpat. (Hierzu Taf. XII.) Nachdem E. H. Weber entdeckt hatte, dass bei den Gat- tungen Cyprinus, Cobitis und Silurus das häutige Labyrinth des Gehörorganes durch eine Reihe von Knöchelehen mit der Schwimmblase in Verbindung steht!), sprach J. Müller die Behauptung aus, dass dieses Verhältniss der Schwimm- blase zum Gehörorgan einen allgemeinen Charakter der Cy- prinoiden und Siluroiden ausmache und auch der von ihm gebildeten Familie der Charaeinen zukomme?), Nach den Untersuchungen von C. E. v. Baer?) und J. Reinhardt) sind zu den genannten Fischen in Betreff ihres Gehörappa- rates endlich noch die Gymnotinen zu rechnen. Weber hat von den ihm zur Hand gewesenen Arten der oben genannten Gattungen das häutige Labyrinth des Gehör- 1) De aure et audita hominis et animalium pars I. De aure ani- malium aquatilium, Lipsiae 1820. S,40 u. s. w. 2) Untersuchungen über die Eingeweide der Fische. Abhandlun- gen der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus dem Jahre 1843. Berlin 1845. S. 154. — Ueber den Bau und die Grenzen der Ganoiden. Abhandlungen u. 8. w. Aus dem Jahre 1844. Berlin 1846.85. 176, 178. 3) Untersuchungen über die Entwickelungsgeschichte der Fische nebst einem Anhange über die Schwimmblase. Leipzig 1835. S. 43. 4) Om Swömmeblaeren hos Familien Gymnotini. Kiöbenhavn 1852. Nach v. Siebold und Stannius Handbuch der Zootomie, Th. II: die Wirbelthiere von H. Stannius, Heft I, 2te Aufl. Berlin 1854. 8, ı71. Beichert's u. du Bols-Reymond's Archiv. 1869, 28 4OR sta Imıngqmıödsd mob B Reikanerisa Ai ) :semaeisfl 4 organes, die Gehörknöchelehen und die Schwimmblase aus- führlich beschrieben und durch gute Abbildungen erläutert. Ich erlaube mir in Folgendem das Hauptsächlichste seiner ‚Entdeckungen anzuführen. Die beiden häutigen Gehörlaby- rinthe, wie sie nach 'deti gewöhnlichen Angaben auch bei den höheren Wirbeltbieren vorkommen '!), stehen mit einan- der in Communication durch einen Canal, welcher jederseits . an dem den Vorhof und die Schnecke verbindenden Theile ausmündet und in der Mitte sich nach hinten zu einer mehr oder weniger geräumigen Blase, dem sog. Sinus auditorius impar, erweitert. Letzterer, von einer Grube der Schädel- 1) Gewöhnlich zählt man ‚als Bestaudtheile, des; häntigen, ‚Gebörla- byrinthes der höheren Wirbelthiere den Vorhof, die halbeirkelförmi- gen Canäle und die Schnecke auf. Nach meinen Untersuchungen über “die Eutwickelung des inneren Ohres der Vögel und der Säugethiere (‘De 'auris internae formatione. Dorpati Livonorum 1851.) ist dahin auch noch der sog. Aquaeduetus. vestibuli zu rechnen, dem ich zum Unterschiede vom Aquaeductus cochleae, welcher ‚bloss ein, Gefässca- nal des Felsenbeins ist, und seiner tiefen Lage wegen (— er reicht bis in die Schädelhöhle —) den Namen Recessus labyrintbi beigelegt habe. Bei Säugetbieren und Vögeln erleidet dieser Recessus labyrin- tbi, nachdem er die Gestalt einer recht geräumigen Blase, welche durch einen Canal, mit dem Vorhof in, Verbindung steht, angenommen hat, auf den letzten Stufen der Entwickelung des; Embryo‘ eine rück- schreitende Metamorphose, und, ist vielleicht im vollständig entwiekel- ten Ohr von gar keiner specifischen Bedeutung mehr. Anders dage- gen verhält es sich ber den Fischen. Die sog. Cystieula, welche vom Gehörorgan von Esox lueius schon lange bekannt war, jedoch auch bei anderen Fischen yon mir.beobachtet wurde, ist dem embryonalen Recessus labyrinthi der Säugethiere und der, Vögel ‚vor der..Rückbil- dung überaus ähnlich und jedenfalls auch als diesem völlig.analog zu betrachten. Bei den Fischen, dereu Gehörlabyrinthe durch! Knöchel- chen mit der Schwimmblase zusammenhängen, haben die Recessus Ja- byrinthi die höchste Ausbildung erlangt, ‚denn sie sind es, welche von beiden Seiten her in der Mitte zusammentreffend, den Sinus ’audito+ rius imparı nnd (die Atria, sinus imparisibilden. — Der sog, Sack oder Steinsack im; Gehörorgan. der,.Fische ist in ‚genetischer Hinsicht, den häutigen Schnecke oder dem von. min zuerst nachgewiesenen Schnecken- canale. der ‚Säugethiere (a..a. 0.'8. 28... Zur- Kenntniss der Schnecke im, Gehörorgan den Säugethiere und ‚des Menschen... Müller's.Archiy Jahrg. 1854. S. 420 u. f.) durchaus gleichbedeutend. v1 Ueber die Schwimmblase und den Gehörapparat u. s. w. 4283 basis aufgenommen, treibt nach hinten zwei divergirende Aussackungen, die Atria sinus imparis, hervor, welche von Theilen des ersten Wirbels umschlossen werden. 'An jedes Atrium sinus imparis fügt sich und ist mit ihm verwachsen ein Gehörknöchelchen, von Weber Steigbügel genannt.‘ Die- ser steht direet mit dem Hammer und durch ihn mit dem Ambös in Verbindung. Das hintere Ende des Hammers ist mit der Schwimmblase verwachsen !). J.Müller hat sich in seinen Abhandlungen nicht auf nä- here Angaben eingelassen und behauptet nur, dass unter den Siluroiden mit engen Kiemenspalten die Schwimmblase bei Cetopsis, Callichthys, Arges, Brontes, Loricaria, Rinelepis und Hypostoma fehle. Nach dem in drei Familien von Fischen eonstanten Vorkommen einer durch Gehörknöchelchen her- gestellten Verbindung des häutigen Gehörlabyrinthes mit der Sehwimmblase mussten diese Ausnahmen bei den Siluroiden überraschen, und da J. Müller selbst über das Gehörorgan der eben angeführten Gattungen gar nichts mittheilte, blieb die Frage unerledigt, wie sich bei ihnen das häutige Laby- rinth verhielte, ob mit dem Mangel der Schwimmblase auch das häutige Labyrinth, des Gehörorganes nieht zu der Aus- bildung gelangte, welche es bei den nahe verwandten Gat- tungen gezeigt hatte. Der erste Fisch, den ich zur Entseheidung dieser Frage untersuchte, war ein ungefähr 8 langes Exemplar von Ri- nelepis acanthicus Val. Nach Eröfinung der Bauchhöhle. und nach Entfernung der Eingeweide zeigten sich zwei sehr grosse, eiförmige Knochenkapseln, welche die ganze Breite der obe- ren Bauchhöhlenwandung ausfüllten (Fig, 1 aa). Eine nähere Untersuchung ergab Folgendes. Jede der beiden Kapseln hat. eine Länge von 32 Millim, und an der’ breitesten Stelle eine Breite von 18 Millim, Das stumpfe Ende ist nach vorne gerichtet und‘ mit dem Schädel: verbunden, das. spitze ragt ” Dass diese Knöchelchen den Gehörknöchelchen der Süugethiere zu dentificiren seieu, seheint mir noch nicht hinreichend erwiesen, Die Entwiekelungsgeschichte wird ohne Zweifel darüber Aufklärung ge- ben körnen. 28* "494 ubOEsReissner: frei nach "hinten: hervor. Hinter der Mitte läuft über die un- tere Fläche der Kapsel eine quere, etwa 1'/, Millim. breite Fürche (Fig: 1 b). An der vorderen Abtheilung dieser Flä- che bemerkt man einen schwachen Eindruck. Von oben her sind die Kapseln zum grössten Theil von den Kopfschildern bedeckt und mit ihnen verwachsen, so dass nur ihre hinte- ren Enden in einer Länge von 8 Millim.' frei bleiben (Fig. 2 3a). Die Decke der Kapseln, welche noch um 2 Millim. die Kopfschilder nach hinten überragt, wird durch eine horizon- tale Naht von den übrigen Wandungen geschieden (Fig. 2 3). An der äusseren Wandung zeigt sich unmittelbar unter dem äusseren Rande des hinteren seitlichen Kopfschildes eine 10 Millim. lange, hinten 1, Millim. breite, nach vorn spitz zulaufende Oeffnung, deren hinterer Rand ungefähr die Mitte der ganzen Länge der Kapsel einnimmt (Fig. 3 d); sie mag Fenestra oder Apertura capsulae osseae externa heissen. Von ihrem unteren Umfange erstreckt sich nach aussen und et- was abwärts ein Vorsprung von 5 Millim. Breite und von der Länge der Oefinung; ich will ihn der Form nach Pro- cessus auricularis nennen (Fig. le, Fig.3e). Der vordere sowie der hintere Rand dieses Vorsprunges ist concav, der' äussere convex; von seiner ‘oberen Fläche dringen ein bis zwei Canäle zur Höhle der knöchernen Kapsel 'hindureh (Fig. 3 ff). — Die Wandungen der Kapseln sind im Allge- meinen sehr dünn, namentlich die vordere Abtheilung der unteren, welche zahlreiche feine und einige grosse, bis’ zu 1°/, Millim. im Durchmesser 'haltende Oeffnungen besitzt. Zwei ausserdem vorhandene Zugänge zum Inneren der knö- chernen Kapseln sollen später noch beschrieben werden. Gegen die Mittellinie des Körpers stossen beide Kapseln an einen 20 Millim. langen Wirbel, der aus der Verwach- sung zweier hervorgegangen zu sein scheint, "wie man'nach Analogie’ der folgenden Gattungen annehmen darf, und sind mit ihm bis zur queren Furche ihrer unteren Fläche ver- schmolzen (Fig. 1 w): die hinteren, spitzen Enden stehen 22 Millim. ‚von einander ab. — An der unteren Fläche des erwähnten Wirbels zeigen sich einige Eigenthümlichkeiten Ueber die Schwimmblase, und: den Gehörapparat.u. s.w. 425 der Bildung, die ich hier wohl: näher anführen darf. 'Zu- nächst bemerkt man an ihrer hinteren: Hälfte eine Rinne; diese wird nach vorne zu einem Canale, auf den ’am vor- dersten Ende wieder eine Rinne folgt, indem der Boden des Canales, statt weiter nach vorn zu gehen, sich ablöst, fast senkrecht nach, unten steigt; und am Ende in zwei wage- rechte Arme ausläuft, die bald unter einem stumpfen Win- kel nach oben und aussen zu der inneren Wandung je einer knöchernen Kapsel aufsteigen und mit dieser verwachsen (Fig.1g, Fig.4 g, i die hintere, k die vordere Rinne, 1 der Canal an, der unteren Fläche des Wirbels). Die mittlere, vom vorderen Ende des Canales ausgehende Knochenlamelle besitzt, an der vorderen Fläche eine Längsfurche und bildet mit der hinteren Fläche von ‘oben nach unten eine concave Krümmung; der wagerechte Theil der. Arme ist ziemlich stark, der aufsteigende sehr dünn. Das Mittelstück mit 'sei- nen Armen bezeichne ich zusammen als Processus bijugus. Die Verbindung der beiden Arme'des Processus 'bijugus mit den knöchernen Kapseln geschieht am oberen Umfange einer oyalen Oefinung von 1 Millim. Länge (Fig. 1 h, Fig. 4 h); sie soll Apertura c. o. interna inferior heissen. Von ihr aus er- streckt sich über die innere Fläche der inneren Kapselwan- dung nach oben und vorne eine schwache Furche, welche nach einem Verlauf von 3 Millim. mit einer Oeffnung, der Apertura c. o. interna superior, endet. Letztere bildet den . Zugang zu einer Höhle im vorderen Ende des ersten Wir- bels und durch diese zur Schädelhöhle. — Nahe dem hinte- ren Ende zeigt der Wirbel an seiner unteren Fläche, nach aussen von der in der Mitte befindlichen Rinne eine halbku- gelförmige Gelenkgrube (Fig. 1 m), die zur Aufnahme eines langen, starken Knochens (Fig. 1 n) dient. Dieser Knochen kann wohl für nichts Anderes als für eine Rippe gehalten werden, wenngleich die folgenden, unzweifelhaften !Rippen um ein Beträchtliches schwächer sind; die erste bildet nach unten eine Convexität, liegt in der queren Furche an der unteren Fläche der knöchernen Kapsel, reicht jedoch etwas weiter nach aussen \ünd erweitert sich endlich zu einer Stütz- 426 E. Reissner! platte für, ein oder zwei Schilder ‘des Panzers, welcher die äussere Bekleidung des: Rumpfes' darstellt. — Die obere Fläche des Os basilare (Fig.7 o b) zeigt in seiner hinteren Hälfte zwei geräumige, tiefere Gruben (fe), die’ dureh eine longitudinale, schwache, mittlere Leiste von einander geschieden werden und zur Aufnahme der Schnek- ken’ der häutigen Gehörlabyrinthe dienen. ‘Hinter jeder Grube erhebt sich. nahe dem hinteren Rande des Os basilare eine kleine Zacke (p), die zum Theil vom Os basilare selbst, zum Theil vom ‘Os oceipitale laterale gebildet wird. ‘Der Raum zwischen den beiden Zacken (fs) wird von dem Si- nus, auditorius impar ausgefüllt, von dem nach vorne jeder- seits 'ein-Canal zum häutigen Vorhof (Vestibulum) ' verläuft und nach hinten die Atria sinus imparis als rundliche Bläs- ehen. hervordringen.: Letztere liegen, zum’ Theil auch der Sinus auditorius impar, nieht mehr in der Schädelhöhle. Die obere Fläche des Körpers vom ersten Wirbel nämlich 'er- hebt sich vom vorderen Rande 'an' zu einer mittleren’ schwa- chen Leiste, die sich sehr bald zu einer kleinen, wagerech- ten, rautenförmigen Platte ausdehnt (pr) und seitlich mit der inneren ‚Wandung der knöchernen Kapseln zusammen- trifft, Nach ‚aussen von dem vorderen Ende der Leiste und Platte. ist die obere Fläche des Wirbelkörpers auf jeder Seite etwas vertieft (Fig. 7 e).. Diese Vertiefung wird von aussen her durch die innere Wandung der knöchernen Kapsel bis auf die Apertura c. 0. interna superior und nach vorne von der Zacke des Os basilare und des Os oceipitale laterale be- grenzt. Endlich entspringt als Decke des Sinus auditorius impar. von dem vorderen Ende jener Platte ein sehniger Streif, welcher nach vorne in zwei Schenkel auseinander- weieht und mit: diesen, jederseits die Zacke des Os basilare und .des Os oceipitale laterale: erreicht. So‘ ist denn ein vorne ‚einfacher, nach hinten doppelter Hohlraum von der Schädelhöhle und von dem Canalis spinalis zur Aufnahme des. Sinus'anuditorius impar und'der Atria sinus imparis: ab- gesondert. Auf der äusseren Seite eines jeden Atrium sinus imparis Ueber die Schwimmblase, und ‚den Gehörapparat u.s. w. 427 liegt ein ovales:Knöchelchen, der. sog.) Steigbügel,| mit sei- ner concaven' Fläche ‚auf und ist; mit ‚der 'Wandung, jenes verwachsen (Fig.5, 6 b). Durch seine verhältnissmässig dicke Schieht von ‚Sehnengewebe (e) hängt: die Mitte der 'convexen Fläche ‚des Steigbügels! seitlich‘ dem. vorderen Ende ‚eines zweiten, langen Knochens, des Hammers, an. Der: Hammer ist ach „ vorne und. hinten zugespitzt, hinter der ‚Mitte'am breitesten, indem sieh hier. eine' starke Ecke naöh: innen und eine schwächere Inach aussen hervorbildet (Fig«5, 6a). Die innere Ecke des Hammers: steht. in, gelenkiger Verbindung mit-der ‚Leiste auf der oberen Fläche des ersten Wirbelkör- pers; die, äussere, Ecke'\urid das: hintere, lang ausgezogene Ende gehen durch die, Apertüra capsulae dssede interna su- perior aus der. Wirbelhöhle hervor und ‚im.\die' Höhle ‚der kuöchernen Kapsel hinein. Die Länge des Hammers: beträgt 3°/; Millimi,,, seine Be raele: Breite 1!/, Millim,, die Länge: des Steigbügels 1, Millitm. und: seine Breite !/, Millim: «In jeder ‚der ‚beiden knöchernen Kapkein befindet-sich eine häutige Blase, welche ‚mit ihrer äusseren, Fläche sich überall genau an die irinere Wandung der Kapsel» anschmiegt, aber nur.durch einige Stränge; welche Gefässe, wahrscheinlich auch Nervenfäsern. enthalten, mit dieser im) Zusammenhang steht. Durch die an der Basis des‘ Processus aurienläris befindh-> chen Canälchen treten: ein bisızwei stärkere, sehnige'Strähge, welche in der äusseren‘ Wandung der; Blase ihren Anfang und ihr Ende haben. — ‘Während fast der ganze'übrige Köt- per des. Fisches eng aneinander schliessende Knochenschil» der zur äusseren Bedeekung, trägt, fehlen'soldhe an-der'.Aper- tur capsulae| osseae externa und auf der oberen ‘Fläche des Processus auricularis; ı es erstreckt“ sich vielmehr ‚von dem eorrespondirenden Rande des seitlichen‘ Köpfsehildes eine weiche, nr mit ganz feinen Stäehelm versehene Haut über die Apertura e, o.1externa , wöselbst sie mit der‘ häutigen Blase verwachsen ist, jedoch ziemlich leicht von dieser ab- getrennt werden, kann, dann ‚über die obere Fläche des Pro- cessus auricularis bis zu dessen äusserem; Raude (Fig.21t), 428 E. Reissner: von welchem ein Seitenschild nach unten abgeht (s). — An einer einzigen Stelle besitzt die Blase eine Oeffnung und zwar entspricht diese der Apertura ce. o. interna inferior. An der Apertura c. o. interna superior -ist das hintere, zuge- spitzte Ende des Hammers mit der Blasenwandung aufs In- nigste verwachsen. In Betreff der 'Struetur der häutigen Blase kann ich nur Weniges anführen. An der freien, inneren Fläche liess’ sich ein Epithelium nicht mehr erkennen. Im Uebrigen besteht die Blase aus Bindegewebe. Wenn man die äusseren Schich- ten mit Nadeln zerzupft hat, erkennt man unter dem Mikro- skop zahlreiche, feine, parallele Falten, welche den „starren. krystallähnlichen Fasern“, die Leydig') aus der Schwimm- blase der Fische erwähnt, zu entsprechen scheinen, durch Zusatz von Essigsäure aber vollständig schwinden; in der jetzt aufgequollenen Substanz erkennt man jedoch immer noch einige feine Streifen. Ein Querschnitt der getrockne- ten Blase lehrt, dass diese Streifen der Ausdruck von ziem- lich reichlichen, durch die homogene Grundsubstanz zerstreu- ten Spiral- oder Kernfasern sind. Bei Betrachtung der in- nersten Haut zeigen sich Stränge, die nach verschiedenen Richtungen hinziehen und sich mannigfaltig durchkreuzen, durch Behandlung mit Essigsäure jedoch auffallend erblas- sen oder selbst unsichtbar werden. — Aus dem Mitgetheilten geht hervor, dass bei Ainelepis manche Verhältnisse des’ Gehörapparates und der Schwimm- blase eigenthümlich sind; zu deren Erklärung diene Folgen- des. Zunächst wird es nicht bezweifelt werden können, dass die ‚häutigen Blasen, welche von den knöchernen Kapseln umschlossen werden, wirklich der Schwimmblase der übri- gen Siluroiden gleich gesetzt werden müssen. Es spricht da- für sowohl die Uebereinstimmung in der Structur,. als auch“ die Verbindung mit den Gehörknöchelchen. Auffallend bleibt nur, dass die Blasen vollständig von einander getrennt er- 1) Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. PERS fürt a, M. 1857. S. 380. Ueber die Schwimmblase und den Gehörapparat u.s.w. 429 scheinen und neben einander liegen. Sonst pflegt bei den mit Gehörknöchelehen ausgerüsteten Fischen zwar häufig die Schwimmblase doppelt zu sein, aber die beiden Abtheilun- gen liegen dann hinter einander und communieiren mit ein- ander, wie bei den Cyprinoiden, Charaeinen und Gymnoti- nen). Bei den Siluroiden dagegen ist, wie aus den spär- lichen Angaben von Valenciennes hervorgeht, die Schwimm- blase gerade am häufigsten einfach und besteht nur selten aus hinter einander liegenden Abtheilungen, die bei Bagrus filamentosus M. T. sogar ganz von einander geschieden sein sollen?); öfter aber, als man bisher glaubte, dürfte eine mehr oder weniger vollständige Theilung oder Abgrenzung in zwei neben einander liegende Räume vorkommen. So bemerkt z. B: J. Müller, dass bei Bagrus und Arius die Schwimmblase „zwei Reihen jederseits communicirender, in der Mitte getrennter Kammern“ besitze, während eine un- paare vordere Kammer beide Reihen verbinde °®). Hier also ist die Schwimmblase äusserlich ungetheilt, die Höhlung aber mit einer unvollständigen Scheidewand ausgerüstet, wie ich mich davon durch eigene Untersuchung überzeugt habe; nur wenig anders verhielt sich auch die Schwimmblase von Silu- rus glanis. Bei Clarias Hasselquisti Val. fand ich zwei grosse, symmetrisch gebaute, querliegende Abtheilungen der Schwimm- blase, welche in der Mittellinie des Körpers durch einen ver- hältnissmässig engen Canal mit einander zusammenhingen; Valeneiennes erwähnt auch dieses Verhältnisses *). Selbst unter den Oyprinoiden kommt bisweilen, wenn auch nur an- deutungsweise, eine Theilung der Schwimmbläse in zwei ne- ben einander liegende Räume vor, wie bei Cobitis°). Nir- gends jedoch, selbst bei Clarias nicht, ist die Scheidung so vollständig, als bei Ainelepis. Ich bin jedoch der Ansicht, 41) Stannius, a. a. 0. S. 225. 2) J. Müller, Abh. aus dem J. 1843 8. 141. 3) Ebendas. S. 139. 4) Histoire naturelle des poissons p. Cuvier etp. Valenciennes, T.XV. p. 369. 5) Weber, a.02.0.8.64. 430 vn E»Reissneri , ae dass auch bei Zinelepis noch eine Verbindung zwischen’ den beiden, neben einander liegenden Blasen! wird aufgefunden werden. Bei dem einen mir zu Gebote stehenden Exempläre hatte ich während der Entfernung ‚der Eingeweide ‘und des schwer zu 'trennenden Gürtels der Brustllössen auf diesen Gegenstand meine Aufmerksamkeit nicht ‘gerichtetj höchst wahrseheinlich ist dabei jene Verbindung verloren gegangen. Dafür spricht auch die Anwesenheit einer mit der Aperturw e. 0. interna inferior correspondirenden Oeffnung beider Bla- sen, Ich vermuthe,'dass der Verbindungseanal von’ dem Pro- cessus 'bijugus getragen wird. ö Höchst merkwürdig ist ferner die vollständige Umschlies- sung der 'beiden Abtheilungen der Schwimmblase durch je eine knöcherne Kapsel, allein auch dieses Verhältniss' steht nicht ganz isolirt da. Bei Cobitis fossilis L- wird der beivwei- tem grösste Theil der Schwimmblase! von einer .knöchernen Kapsel in Gestalt zweier mit einander zusammengeflossener Hohlkugeln umschlossen. Nach Weber'söll diese Kapsel durch eine eigenthümliche Ausdehnung und Verwachsung den Wirbelqguerfortsätze entstanden sein, "woher denn aueh noch an der äusseren Fläche einer jeden Kugel eine Spitze, das Ende ‘des Querförtsatzes, 'hervorrage.' Ein ähnlicher Tbeil existirt "bei Ztinelepis in' dem ,Processus aurieularis. |: Bei je- ner Cobitis fand Weber an der knöchernen Kapsel fünf Oeffnungen: eine hintere zur Verbindung der von der Kap- sel umschlossenen vorderen 'Abtheilung der: Schwimmblase mit der hinteren, frei bleibenden; sie'fehlt bei Ainelepis, während- die übrigen ‘vier auch hier vorhanden sind, näm- lieh zwei‘ vordere Oeffinungen zum Durehtritt des‘ hintererl Endes der Hammer und zwei äussere, bloss von der Haut bedeekte. Bei’ Cobitis weicht übrigens die äussere, ebenfalls grosse Oeffnung etwas ab von der bei Ahinelepis vorkommen- den; Weber sagt hierüber: „Caeterum haee apertura septo in duas aperturas dividitur, quarum anterior, maxima ex parte ab processu transverso vertebrae secundae formata, in cavitatem lateralem ossieula auditoria ineludentem, poste- Ueber die Schwimmblase und den 'Gehörapparat u. s. w. 431 rior amplior ad vesicam 'natatoriam dueit.* ') Bei Rinelepis findet "sich kein ‘offener Zugang von aussen ‘her zu dem Raume, in welchem die Gehörknöchelchen liegen; dagegen erscheinen hier die Aperturae c, o. internae inferiores eigen- thümlieh, "wenigstens in formaler Hinsicht, denn in functio- neller könnten sie der hinteren Oefinnng der Kapsel hei Co- bilis fossilis gleich gesetzt werden, Noch ähnlicher werden die Verhältnisse bei €. barbatula L., indem hier die Kapsel in: zwei linsenförmige Fächer zerfällt, welche durch einen engen mittleren Canal mit einander eommunieiren, und die vollständig eingekapselte Schwimmblase aus zwei durch einen sehr engen Gang verbundenen Abtheilungen, die neben ein- ander liegen, besteht.?) — Unter dem Siluroiden sind voll- ständigere Umschliessungen der Schwimmblase durch knö- cherne Kapseln selten; häufiger jedoch 'erscheinen die Quer- fortsätze, besonders des zweiten Wirbels, auffallend breit und bilden wenigstens eine partielle Decke der Schwimm- blase. Eine weitere Ausprägung desselben Prineipes mit funetionellem Nebenzweck, wie es scheint, findet man 'bei Anchenipterus, Euanemus, Synodontis, Doras und Malapterurus in dem‘ von J. Müller entdeckten „Springfederapparat zur Erweiterung der Schwimmblase“.?) — Noch weiter geht diese‘ Bildung bei Olarias, ‚Heterobranchus, Heteropneustes und Age- miosus;*) — ich habe jedoch nur Cl/arias untersuchen kön- nen und gefunden, dass die "beiden seitlichen Theile der Sehwimmblase durch die Wirbelquerfortsätze fast vollständig umwickelt werden. Es besitzt demnach unter den bis jetzt untersuchten Siluroiden: die Gattung Ainelepis die vollkom- menste Einkapselung der Schwimmblase durch Knochen. Nach Weber’s Angaben sollte man’ ‚meinen, dass die Verbindung der Schwimmblase mit dem Gehörlabyrinthe im- mer durch drei Knöchelchen geschehe; ich habe jedoch nur zwei gefanden und zwar nieht bloss bei Rinelepis, sondern 1) 2...0.5.6, . 2) # a. 0. 8.86, 3) a.4.0. Abb. a. di d. 18438. 147. 4) Ebendas. 8. 157. 432 E. Reissner: auch bei Synodontis. Auch Bilharz erwähnt von ‚Malapte- rurus electricus nur zwei Gehörknöchelchen, ausserdem frei- lich auch noch zwei „Ausfüllungsknöchelchen“. 1) — Interes- sant ist es, dass bei Cobitis fossilis L. nach Weber der sog. Ambos sich nicht, wie sonst, seitlich an den Hammer an- legt, sondern zwischen diesen und den-Steigbügel einschiebt. Die von Weber gelieferte Abbildung ?) der drei verbunde: nen Gehörknöchelehen von Cobitis fossilis zeigt auch eine Aehnlichkeit mit meiner Fig. 6, so dass ich anzunehmen: ge- neigt bin, es sei die starke, sehnige Verbindungsmasse (ec) zwischen dem Steigbügel und dem Hammer von Rinelepis gleichbedeutend mit dem Ambos von Cobitis oder der Am- bos sei bei Ainelepis mit der Spitze des Hammers verwach- sen, wenngleich in dem histologischen Bau des Hammers für letzteres kein Grund aufgefunden werden konnte. Von der Gattung Loricaria L. standen mir zwei Exem- plare, welche jedoch beide ziemlich klein und nicht sonder- lieh gut conservirt waren, zu Gebot; das eine gehörte zu L. cataphracta L., das andere höchst wahrscheinlich zw L. “nudirosiris Kner. In den wesentlichen Punkten, die für den vorliegenden Zweck von Bedeutung sind, stimmen beide Ar: ten fast vollkommen überein. Das Hinterhauptsegment des Schädels besteht aus sechs Stücken: aus dem Os basilare, dem Os ocecipitale superius, den Ossa occipitalia lateralia und den Ossa oceipitalia 'ex- terna.°) Die Ossa oceipitalia lateralia (Fig. 8 ol) stossen ebenso wenig wie bei. Rinelepis in der Mitte des Schädels über dem Os basilare zusammen; letzteres bildet daher selbst, wie es bei den Knochenfischen gewöhnlich nicht der Fall zu 1) Das elektrische Organ des Zitterwelses, anatomisch beschrie- ben von Dr. Th. Bilharz. Leipzig 1857. S.9. 2) a.a. O. Tab. VI Fig. 49. 50. 3) Die von mir als Ossa oceipitalia externa bezeichneten Knochen entsprechen vielleicht nicht bloss diesen, sondern auch den Ossa ma- stoidea der übrigen Siluroiden. Ueber die Schwimmblase: und» den’ Gehörapparat u.s.w. 433 sein pflegt, den hinteren Theil des Bodens der Schädelhöhle. Das Os oceipitale superius ist ein länglich sechsseitiges, mit seiner oberen Fläche freiliegendes Schild, an dessen unterer Fläche sich vom Mittelpunkte zum hinteren Ende eine mitt- lere und ‚naeh vorne und aussen zwei divergirende, allmälig breiter werdende und.den äusseren Rand etwas überragende Leisten erstrecken. Die Ossa oceipitalia lateralia (Fig. 8 ol) bilden den äussersten schmalen Rand des hinteren Endes vom Boden der Schädelhöhle, während aufsteigende Theile der- selben sich mit den divergirenden Leisten an der unteren Fläche des Os oceipitale vereinigen. Die Ossa oeccipitalia externa (Fig. 7 oe) haben von allen Knochen des in Betracht kommenden Schädelsegmentes den bedeutendsten Umfang. Fünf theils geradlinige, ' theils 'ge- zackte Ränder von verschiedener Ausdehnung begrenzen sie; der kürzeste, innen und hinten gelegene Rand fügt sich an den äusseren Rand des Os oceipitale superius und an das Os oceipitale laterale. An der unteren Fläche der Ossa oc- eipitalia externa finden sich zwei Leisten, welche nach in- hen zusammenfliessen, hier an den hinteren, 'seitlich erwei- terten Saum ‘des Os basilare stossen und nach aussen aus einander weichen. Die vordere Leiste (ca) verläuft in trans- versaler Richtung und bildet ungefähr in ihrer Mitte einen halbkreisförmigen Ausschnitt (fe), der zu einer Vertiefung zwischen beiden Leisten führt. Der Ausschnitt und die Ver- tiefung dienen zur Artieulation mit’ der Clavicula, welche also in sehr abweichender Weise mit dem Schädel verbun- den ist, denn‘ von besonderen Verbindungsstücken, einer Scapula oder einem Os suprascapulare, ist nichts zu'er- kennen, während sonst doch derartige Knochen vorhanden zu sein pflegen. Die hintere Leiste verläuft schräg von hin- ten und aussen nach vorne und innen, parallel mit dem hin- teren Rande des Os oceipitale externum; in geringer Entfer- nung nach innen von der Gelenkgrube für die Clavicula ver- schmilzt sie mit der vorderen Leiste, Der erste Wirbel (v. p.)' ist mit dem‘ zweiten durch eine tief gezahnte Naht verbunden; von den Bogen beider Wirbel 434 E: Reissner: erheben sich (von vorn nach hinten) breite Processus '8pinosi superiores zur mittleren Leiste des Os occipitale superins und verbinden sich mit dieser durch Naht-Zacken, bei. den Processus spinosi superiores bleibt ‘übrigens eine länglich: rande Lücke, indem der Proc. spin. sup. des ersten Wirbels nur von der vorderen Hälfte des Bogens entspringt. ‘Die untere Fläche beider Wirbel besitzt) eine longitudinale Furche mit wenig vorspringenden Rändern; diese entwickelm jedoch am ersten ‚Wirbel eine schwache, am zweiten eine ziemlich starke, nach unten sehende Zacke. Ueber die: Seitenflächen des Processus spinosus superior, ‘des Bogens, des Körpers und der nach unten sehenden Zacke des zweiten Wirbels zieht eine etwa in der Mitte unterbrochene Rinne fast senk- recht hin und dient zur Gelenkverbindung mit der ersten, an ihrer Basis sehr hohen Rippe. Der erste Wirbel trägt an seinem vorderen Ende zwei seitliche, eigenthümlich gestaltete Fortsätze, die: wahrscheinlich. als umgewandelte Processus transversi anzusehen sind (p. t. Fig. 9). Sie erstrecken sich leicht gekrümmt nach aussen und hinten; ihr ioneres Ende bildet: eine tiefe, rundliche, vorn, hinten, oben, unten und innen |begrenzte Höhle (d), von der eine nach vorn offene, allmälich sich verflachende Rinne: (r) über den ganzen Fort- satz verläuft. " Wenn man den ersten: Wirbel so an. den Schädel fügt, wie er ursprünglich mit diesem verbunden war, legt sich der obere Rand der oben erwähnten Rinne, an den hinteren Rand des Os: oceipitale externum, ‚der untere am die hintere Leiste desselben Knochen, jedoch so, dass man zwi- schen das äussere Ende des Processus transversus des’ ersten Wirbels und die hintere äussere Ecke des Os oceipitäle; ex- ternum in die jetzt zum Canal abgeschlossene Rinne. hinein- dringen. kann. Zwischen den Kopf- und den 'vordersten Rumpfschildern bleibt an der entsprechenden Stelle ein: klei- ner Raum frei, der nur von weicher Haut überzogen‘ wird. In der Höhle des Processus transversus des ersten Wir- bels, welche durch eine sehr schwache Leiste nach aussen gegen die Rinne abgegrenzt ist, findet man eine häutige; !ku- gelförmige Blase, die nach. Analogie vom Rinelepis als die Ueber die Schwimmblase' und’ den'/Gehörapparat u. s. w. 435 eine Hälfte’ der Schwimmblase angesehen’ werden muss. Von der"inneren Wandung jener Höhle erstreckt sich nach innen und vorn ein'enger, von dem Boden’ der Rückenmarkshöhle' bedeckter Oanal; in dem ein fast rechtwinklig gebogener Ham- iner ruht. “Der quere Schenkel des’ letzteren verbindet sich mit’ der Schwimmblase, der nach vorn gerichtete ragt aus dem Canale etwas hervor und trägt einen -Steigbügel von ähnlicher Form, als ‘der von ARinelepis ist. ' In einiger 'Ent- fernung von der Verbindungsstelle des Hammers mit der Schwimmblase: geht von letzterer ein häutiger Canal ab und dringt ‚durch ‚die hintere Wand der Höhle des Processus transversus hindurch, wahrscheinlich zur Verbindung mit der anderen Hälfte der ‘Schwimmblase. Einen vollständigen’Pro- cessus bijugus, wie ich ihn von ‘Rhinelepis beschrieben habe, konnte ich nicht 'auffinden, "halte es jedoch für "höchst wahr- scheinlich, dass vein Analogon desselben auch bei Loricaria aufgefunden werden wird, wenn grössere und besser eonser- virte Exemplare zur Untersuchung verwandt werden können. Als: Andeutungen‘ einer‘ solchen Bildung ‘dürfen die beiden Zacken‘an der unteren ‘Fläche des ersten Wirbels und’ein überaus zartes Knochenstäbchen (Fig’8.x), das nach innen von der an’ der hinteren Wand des Processus transversus' be- findlichen Oeffnung entspringt und sich nach hinten erstreckt; angesehen werden. Vielleicht haben diese Stäbchen "selbst oder bloss sehnige Fortsetzungen derselben bis zu jenen Zäcken gereicht. Die, Gattung 'Hypostomus Lacep.,»von der ich’ Hi verres 0: V. in einem. Exemplar untersucht habe, stimmt mit Lori- caria in. allen ‘wesentlichen Punkten vollständig überein, nur ist ‚der Processus bijugus stärker entwickelt.. » Es'beginnt dieser mit ‚einer horizontalen, (durch Naht mit’ der Mitte des hinteren Randes des Os basilare verbundenen, in der Rich- tung von vorn nach hinten'schmalen’ Platte, von welcher zwei dünne, nach aussen leicht concav' gekrümmte Fortsätze, eine Lücke zwischen‘ sich lassend,' nach hinten und "etwas nach abwärts verlaufen (Big. 10.gi).'"'Von der nach aussen 'ge- richteten Spitze dieser Fortsätze erstreckt sich ein sehr feines 436 E. Reissner: Knochenstäbehen nach vorn und verwächst mit: der’ hinteren Fläche des Processus transversus, hart am äusseren Umfange ‘einer kleineren Oeffnung, welche zur Schwimmblase führt (Fig. 10h). — Das Os oceipitale superius und die Ossa oceipitalia externa überragen nach hinten den ersten Wirbel mit seinem Processus spinosus und seinen, wie bei Zoricaria gebauten Processus transversi, daher denn auch bei Hyposto- mus die Vereinigung des ersten Wirbels mit dem Schädel noch vollständiger erscheint. r Von der Gattung Callichthys Lin. habe ich ein sehr klei- nes und leider sehr schlecht ‚conservirtes Exemplar, zur Art €. asper C. V. gehörend, untersucht. Es schliesst sich diese Gattung im Bau des Schädels, des ersten Wirbels, der Schwimmblase und des Gehörapparates enger an Hypostomus, als dieser an Loricaria an. Der Processus bijugus ist im Allgemeinen dem von Hypostomus ähnlich, unterscheidet sich aber dadurch, dass zwischen den beiden vom vorderen Rande des ersten Wirbels ausgehenden Schenkeln eine quere Ver- bindungsleiste sich findet, welche einen feinen Canal, wahr- scheinlich zur Verbindung der beiden Abtheilungen der Schwimmblase, aufnimmt. Der Hammer (Fig. 11 a) ist leicht gekrümmt und zerfällt nach vorn in zwei Fortsätze, von denen der eine zugespitzte zur Befestigung dient, der andere breitere den länglich runden, stark ausgehöhlten Steigbügel trägt (b). Wie sich aus den mitgetheilten Beobachtungen: ergiebt, besitzen von den sieben Gattungen, denen J. Müller eine Schwimmblase absprechen zu müssen glaubte, vier ganz un- zweifelhaft eine solche und zwar eine durch Knöchelchen mit dem Gehörlabyrinth verbundene; doch sind: die mor- phologischen Verhältnisse zum Theil so eigenthümlich, dass dieselbe sich leicht der Beobachtung entziehen konnte. : Die mir nicht zu Gebote stehenden Gattungen Cetopsis, Arges und Brontes bleiben ferneren Untersuchungen vorbehalten; es: ist jedoch kaum zu erwarten, dass sie jene behauptete Diffe- renz von. allen übrigen Siluroiden aufrecht erhalten werden: Ueber .die' Schwimmblase und den Gehrapparät u. s. w. 497 "Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Die untere Fläche des knöchernen Kopfes von, Rinelepis acanthieus Val. aa. Die beiden Knochenkapseln, welche die beiden Hälften der Schwimmblase umschliessen. b. Furche an der unteren Fläche einer jener, Knochenkap- sel zur Aufnahme der ersten Rippe. n. Die erste Rippe. w. Die beiden ersten mit einander verwachsenen Wirbel. m. Gelenkgrube des zweiten Wirbels zur Aufnahme des Köpfchens der ersten Rippe. Fig. 2. Seitenansicht desselben Kopfes. a. Die Knochenblase zur Aufnahme einer Hälfte der Schwimm- blase. e. Die Decke derselben. r. Hintere Kopfschilder. { . Weiche, mit kleinen Stacheln versehene Haut, die Aper- tura capsulae osseae externa und die obere Fläche des Processus auricularis bedeckend, Ein Hautschild, vom äusseren, Rande des Processus auri- eularis entspringend. r» p Fig. 3. Derselbe Kopf, etwas schräg gestellt. a.a. Die beiden Knochenblasen, welche die Ealrkigibliüch, hälften umschliessen. ec. Die Decken derselben. d f . Apertura capsulae osseae externa. . Processus aurieularis. e f. Zwei Oeffnungen, welche die Basis des Proc. auricularis durchbohren. Fig. 4. Ein Theil der unteren Fläche. des Schädels und der bei- den ersten Wirbel von Rinelepis acanthiceus Val. Fig. „4. Vorderer Rand der Knochenkapseln. Mittelstück des Proc. bijugus. Rinne an der unteren Fläche des zweiten Wirbels (w). Rinne an der unteren Fläche des ersten. Wirbels. Canal an der unteren. Fläche beider Wirbel. g h. Apertura capsulae ossae interna inferior. i. k. l. 5. Gehörknöchelchen von Rinelepis acanthicus Val. von der inneren Fläche. Fig. 6. Dieselben von der oberen Fläche. a. Hammer, b. Steigbügel. e. Band zwischen Hammer und Steigbügel. d. Ein Theil der Schwimmblase, Beichert's u. du Bols-Keymond's Archiv. 1869, 29 438 E. Reissner: Ueber die Schwimmblase: wiis. «wis Fig. 7. Ein Theil der: oberen Fläche, der Schädelbasis und des Spinalkanales von Rinelepis acanthicus. ob. Os oceipitale basilare. f.c. Grube zur Aufnahme der Schnecke des häutigen Gehör- labyrinthes. f.s. Grübchen für den Sinus auditorius impar. o. 68. 1. Os oceipitale laterale. p. Knochenzacke, gebildet vom Os oceipitale und Os oceipi- tale laterale. e. Vertiefung für das Atrium sinus imparis. pr. Rautenförmige Leiste auf der oberen Fläche des ersten Wirbelkörpers. w. Die beiden ersten Wirbel. b. Ein Theil der Knochenblasen, welche eine Hälfte der Sehwimmblase aufnimmt. Fig. 8. Der knöcherne Kopf und die beiden ersten Wirbel von Loricaria cataphracta Lin., von der unteren Fläche. ob. Os occipitale basilare. ol. Os oceipitale laterale. oe. Os oceipitale externum. ca. Vordere Leiste dieses Knochens, fe. Gelenkgrube für den vorderen Extremitätengürtel. p- t. Processus transversus des ersten Wirbels. v. p. Vertebra prima. v.s. Vertebra secunda. x. Rudiment des Proc. bijugus. Fig. 9. Der erste Wirbel von Loricaria cataphracta Lin., von der unteren Fläche. p.'sp. Processus spinosus. p- t. Processus {ransversus. d. kugelige Höhle desselben, r. Rinnenförmiger Theil desselben. Fig. 10. Der hintere Theil des knöchernen Kopfes von Hypostomus verres Val. nebst den beiden ersten Wirbeln, von der unteren Fläche. ob. Os oceipitale basilare, w. Vertebra prima, w?. Vertebra secunda. pt. Pröcessus transversus des ersen Wirbels. g: Proöcessus bijagus. Fig. 11. Gehörknöchelchen von Callichthys asper Val. a. Hammer. b. Steigbügel. Einbrodt: Ueber den Einfluss der Nervi vagi u. s. w. 439 Ueber den Einfluss der Nervi vagi auf die Herz- bewegung bei Vögeln. Von Dr. Eıneropr aus Moskau. Ed. Weber, dem wir bekanntlich den wichtigen und höchst interessanten experimentellen Nachweis des hemmen- den Einflusses der Nervi vagi und ‚der Medulla oblongata auf die Herzbewegung verdanken, giebt ausdrücklich an, dass er dieselbe hemmende Einwirkung auf die Bewegungen des Herzens, die er bei ‚Fröschen zuerst constatirt, sowohl bei Säugethieren (Hunden, Katzen und Kaninchen), als, auch bei Vögeln und Fröschen beobachtete, wenn er den Strom eines Rotationsapparates auf beide, Nervi vagi oder auf die Me- dulla, oblongata einwirken liess.') Leider begnügt sich Ed. Weber mit, dieser kurzen, Assertion, ohne etwas Näheres 1) Ed. Weber, Artikel „Muskelbewegung“ in Wagner’ s Hand- wörterbuch der Physiologie. Bd. III. S. 46. Mit Unrecht wird bis in die neueste Zeit die Priorität dieser wich- tigen Entdeckung Ed. Weber zu Gunsten anderer Forscher abge- sprochen; die Ergebnisse der W eber’schen Versuche sind schon im September 1845 von E. H. Weber in der siebenten Versammlung der italienischen Naturforscher in Neapel vorgetragen und im Novem- ber 1845 in Annali universali di medicina del Dott. Omodei, T. LXVI. p. 227 abgedruckt. Budge’s Versuche wurden dagegen erst im Jahre 1846 veröflentlicht (Froriep’s Notizen, Mai 1846 und Müller’s Archiv für 1846, S., 294) Cl. Bernard hat, seinen eigenen Worten zu Folge, den Stillstand ‚des Herzens zum ersten Mal im Jahre 1846 beobachtet (Cl. Bernard, Legons sur la physiologie et la pathologie du systöme nerveux, T. II., p. 381) und erst im Jahre 1848 wird diese Beobachtung von Lefe vre in seiner Inaugural- Abhandlung (Observations de physiologie, d’anatomie et de pathologie, Paris, thöse, 1848, Nr. 58) in Kürze erwähnt. 29* 440 u Einbrodt: über das Verhalten der Nervi vagi bei Vögeln anzageben und ausführlichere Untersuchungen beizubringen. Rudolph Wagner, der viele Experimental-Untersu- chungen über die Innervation des Herzens angestellt hat, ıber richtet, dass bei Vögeln die Verlangsamung von den Vagis aus sehr unvollkommen erfolgt‘); Stillstand des Herzens wird nicht erwähnt und überhaupt finde ich keine näheren Angaben, da sich die meisten Versuche auf Säugethiere be- ziehen. Cl. Bernard dagegen giebt ausdrücklich an, dass es ihm niemals gelungen sei, durch elektrische Reizung der Nervi vagi Stillstand des Herzens bei Vögeln zu erzielen und fügt hinzu, dass nach seinen Erfahrungen Stillstand des Herzens um so schwerer zu erfolgen scheine, je höher die Organi: sationsstufe ist, welche die Thiere einnehmen, oder besser, je grösser die Thätigkeit der vitalen Erscheinungen, die sie darbieten. Vermuthungsweise stellt er den Satz auf, dass der Erfolg von der Stärke der angewandten Elektrieität ab- hängig sei und leitet daräus das von ihm bei Vögeln erhal- tene negative Resultat ab, da er bei höheren sowohl, als nie- deren Wirbelthieren stets eine und dieselbe Elektricitätsquelle anwandte”). — Ob eine Verlangsamung der Herzschläge bei Vögeln von ihm beobachtet worden ist, giebt. Cl. Bernard nicht an, } Auf Cl. Bernards Autorität hin spricht sich auch Milne Edwards dahin aus, dass der Einfluss, den die Galvanisi- rung der N. vagi auf das Herz ausübt, bei Vögeln geringer zu sein scheint, als bei Säugethieren und Fröschen.?) 1) R. Wagner, Experimente über die Innervation des Herzens in" Nachrichten von der G. A. Universität und der K. Gesellschaft ‘der Wissenschaften zu Göttingen, No. 8, 10: April 1854, p. 127. 2) Cl. Bernard, Legons sur la physiologie et la pathologie du systeme nerveux, Paris 1858. T.. Il. 'p.' 394. 3) H. Milne Edwards, Legons sur la physiologie et l’anatomie comparee,;de l’'homme'et des animaux. Paris 1859, T. IV.,'1.ıpartie, p- 151. Ueber den Einfluss der Nervi vagi auf dieHerzbewegung bei Vögeln. 441 u. Es ist somit klär, ‚wie wenig sichere Kenntnisse wir über den Einfluss der. N. vagi auf die'Bewegung des Herzensibei Vögeln besitzen und es könnte sogar die Frage aufgeworfen werden, ob denn wirklich Stillstand’ des Herzens, und nicht eine blosse Verlangsamung seiner : Bewegung, bei ‘Vögeln nach Reizung der N. vagi,beobachtet worden ist? . ‚Es schien mir daher von Interesse, zumal da a priori eine principielle. Verschiedenheit in: ‚dieser Beziehung. zwischen Vögeln und Säugethieren nieht gut angenommen werden kann, den Einfluss der N. vagi auf,die Herzbewegung bei Vögeln näher zu prüfen, um zunächst, gestützt auf sichere Beobach- tung, die Frage beantworten zu können, ob bei Vögeln Te- tanisiren der N. vagi Stillstand des Herzens erzeugt.‘ 'So durfte ich hoffen, den Widerspruch in den Angaben der Au- toren zu lösen und, wo möglich, die näheren Bedingungen festzustellen, unter welchen die. erfolgreiche Anstellung des Versuches bei Vögeln möglich ist. Ich unternahm daher, von Herrn Professor du Bois- Reymond dazu aufgefordert, in dessen Laboratorium eine Reihe, von Versuchen über den Einfluss des Tetanisirens der ‚Neryi vagi bei Vögeln auf die Herzbewegung und erlaube mir, die gewonnenen Resultate in Kürze ‚hier mitzutheilen. Zunächst ein Paar Worte über ‚die Methode ‚der ‚Unter- suchung. Als Reizmittel wählte ich die elektrische Tetani- sirung und zwar, wegen der bekannten Sicherheit und Ein- fachheit der Anwendung, mittelst des. du Bois’schen Sehlit- tenmagnetelektromotors; der. Apparat wurde. in’ der Regel ‚durch ein Daniell’sches Element in Thätigkeit versetzt. In den Kreis der secundären Spirale war zur Unterbrechung der Reizung ein sogenannter Schlüssel eingeschaltet, dessen Gebrauch bei elektrischen Reizversuchen nicht warm, genug zu empfehlen ist und entschieden ‚den ‚Vorzug, verdient vor jedem anderen Mittel zur ‚Schliessung und Oeffnung des Stromes; beim Gebrauche des Schlüssels genügt ein. leiser "Druck eines einzigen. Fingers, um den zu reizenden Nerven abwechselnd und momentan ‚in Tetanus oder absolute Ruhe 442 i 'Einbrodt: zu versetzen. Die Elektroden, auf die die Nerven zu liegen kamen; ı bestanden aus‘ Zink, 'hatten 4—5 Millim."'Spann- weite’und«ruhten' auf der Glasplatte ‘der 'stromzuführenden Vorrichtung du Bois-Reymond’s, | Dass''alle‘bei 'elektri- schen Reizversuchen so nothwendigen Cautelen sorgfältig 'be- rücksichtigt worden sind, brauche ‚ich wohl kaum‘hervorzu- heben. "Die Reizung der Nervi vagi'geschah'stets nach vor- hergegangener Durchschneidung derselben, 'es wurden’ also immer die peripherischen Enden der Nervi tetanisirt. "Das Schwierigste bei Anstellung dieser "Versuche ist/ohnstreitig die Blosslegung der Nervi vagi und ihre Trennung’ von den anliegenden Theilen 'auf einer gehörig langen Strecke. Die Nervi vagi besitzen bei Vögeln eine bedeutende Länge und oberflächliche Lage, ihre Isolirung wird aber durch’ die Nähe der 'Gefässe wesentlich erschwert. Bekanntlich laufen die. Nervi vagi am Halse, zu beiden Seiten der Luftröhre "herab, sind von dem dünnen Halshautmuskel bedeckt und in ihrem Verlaufe von der Drosselvene und der absteigenden Nacken- arterie begleitet; der rechte Vagus hat wegen der Speise- röhre eine etwas tiefere Lage. Den grössten Einfluss auf das Gelingen des Experimentes übt aber gerade die Art der Präparation der Nervi vagi aus; je schonender dieselbe ist, je weniger die Nerven während derselben einer mechanischen Zerrung und Reizung unterliegen, um 30 präciser -und aus- gesprochener ist der Erfolg des Versuches. Blutungen’ sind schwierig gänzlich zu vermeiden, -da viele kleine quer ver- laufende Venen nothwendig durchschnitten werden müssen. Die Verletzung der Drosselvene wird bei gehöriger Uebung leicht vermieden. Bei Vögeln haben übrigens Blutungen, selbst aus grösseren Gefässen ‚selten "einen schwächenden Einfluss auf die Herzthätigkeit, das Blut eoagulirt/so‘rasch, dass der Blutverlust in ’der Regel nur sehr gering ausfällt, Zum Zählen der Herzschläge bediente ich mich der Aus- eultation; es war anfangs meine ‘Absicht, die Middel- dorpf’sche Nadel dazu zu verwenden, ich überzeugte mich jedoch bald, dass die von Wagner eingeführte ‘und bei Ueber den Einfluss der Nervi vagi auf die Herzbewegung bei Vögeln. 443 Säugethieren so schätzbare Methode der Acupunetur bei Vö- geln nicht geringe ‚Schwierigkeiten in ‚der ‘Anwendung dar- bietet; namentlich werden die Bewegungen der Nadel durch den dieken Brustmuskel und. das Brustbein gehemmt, eine Einführung der Nadel aber von den Intercostalräumen aus ist anatomischer Verhältnisse wegen nicht gut ausführbar, end- lich ist auch die Lage des Herzens, besonders bei Hühnern, eine ungünstige zu nennen; namentlich Wird die Herzspitze fast ganz von dem Leberlappen bedeckt, Dies die Haupt- ursachen, in Folge derer ich von der sonst so sicheren und bequemen Anwendung der Acupunctur ‘abstehen _ und ‚zum Stethoskope greifen musste. Uebrigens bietet die Methode der Auscultation, ausser einiger Umständlichkeit in der Anwen- dung, keine irgendwie namhaften Fehlerquellen dar und er- laubt, bei einiger Uebung, eine sichere und genaue Schätzung der Zahl und. der Stärke der Herzcontraetionen. Fünf bis sechs Schläge auf die Secunde, und das ist das bei Weitem häufigste Verhalten bei: Vögeln, sind gewiss leicht mit dem Gehör zu unterscheiden und bei einiger Uebung gelingt auch selbst das exacte Zählen einer noch mehr gesteigerten Zahl der Herzschläge. Die bei Weitem am meisten Versuche sind an Hühnern angestellt. Stillstand des Herzens erfolgt bei Vögeln, eben- so wie bei Säugethieren und Fröschen, beim Te- tanisiren sowohl beider Nervi vagi, als auch nur eines von ihnen. Es sei mir erlaubt, aus meinen zahl- reichen Versuchen folgende als Belege hervorzuheben. Versuch I. Huhn. Tetanisiren der peripherischen Enden beider Nervi vagi bei vollständig übereinandergeschobenen Rollen des Schlittenmagnetelektromötors und einem Daniell’schen Ele- mente, 444 / Einbrodt: hm ‚Zeitliche Dauer Zenlde ae a7 Zahl der : Dape Aufeinander- der schlage ‚in H hlä — 1 £ ; 2 5 Secunden || “ erzschläge || Stillstandes olge der Reizung während des ; Reizung. |iin Secunden van Gi Tetanisirens en Se "| Tetanisiren. ‘in Secunden. 3 Uhr 20 Min, ‚15 24 1) 8 9,1n..201» 30 24 0 25 5 n,30, 60 27 0 30 5,3, 75 24 0 30 5,4, 60 24 0 60 5. 45, 40 26 0 10 5,0150, 50 24 0 35 Versuch II, Huhn. Reizung beider Nervi vagi; die Rollen des Schlit- tenmagnetelektromotors sind vollständig übereinandergescho- ben und der Apparat durch ein Daniell’sches Element; in Thätigkeit versetzt. Er Zahlder Herz- Dauer Zeitliche Dauer ee Zahl der { schläge ‚in % r des BEN: u 5 Secunden IRRE age Stillstandes Zolge der v Reizung Yarkaıım während des des Herzens Reizung. in Secunden. Tetanisiren, Tetanisirens. InSeemwdens 4Uhr 40Min. 30 27 0 7 EEE 35 27 [0] 8 ee 25 24 o E) 4 „55, 30 24 0 8 DES, 15 24 I) 10 a 25 21 0 5 5» 2» 15 21 {0} 8 Elemente. Versuch II. Huhn. Reizung von beiden Vagi aus bei übereinander- geschobenen Rollen des Apparates und einem Daniell’schen Ueber den Einfluss der Nervi vagi auf die Herzbewegung bei Vögeln. 445 ab ZahlderHerz Dauer Zeitliche, Dauer Köhläge fin Zahl der Ar Aufeinauder- > 5 Secunden BEBSERBERE, Stillstandes folge der ' Reizung vor’der wahrend A ereens Reizung. |lin rer Reizung. der Reizung. inSecunden: 5Uhr 10Min, 5 30 0 3 bunld., 5 30 0 4 5,3%, 5 30 (0) 4 Deu25 , 5 30 0 5 | Versuch IV. Gans. Tetanisiren, des peripherischen Endes des linken Neryus, vagus. Beide, Rollen des Apparates. übereinander- geschoben. Ein,Daniell’sches Element. Zatilder Hord- nr Daues Zeitliche Dauer schlägein Za! \ ex dbk ‚Anfeinander; ger 5 Secunden Brest lage Stillstandes folge der Reizung ren während des es Härzans \ „Besong: in Secunden. Reizung. Tetanisirens. | ;, Secunden. ‚‚#Ubr 35Min. 10, | 14 4 in 5 Secund. () A 5 14 {) 3 3 45 „ 5 14 0 3 {1 da 5 12 I) 2 1,56, 5 11 ) 2 da 0 5 11 0) 2 Versuch V. “ . Huhn. Tetanisiren des peripherischen Endes des linken Nervus vagus. Beide Rollen des Schlittenapparates überein- andergeschoben. Ein Daniell’sches Element. 446 ’ Einbrodt: b19da!) Zeitliche Dauer Bra Zahl der a a den 5 Secunden Herzschläge Stillständes olge der ‚ Reizung .|| während der : \ Reizung. in.Seeunden. Ne: der Reizung rg Reizung. * in Seceunden. 4Uhr 50Min. 5 27 12] in je (0) 4 „öl, 5 27 Mr Sec. Q 4 „52, 5 97 0 na A 5 97 {) 21 BENNEnK, 10 27 0 7 Man ersieht aus diesen Versuchen, dass die Sistirung der Herzschläge sowohl bei Reizung beider Nervi vagi, als auch nur eines von ihnen erfolgt, zugleich aber auch, dass die Reizung beider Nervi vagi die bei Weitem wirksamere ist. Der Stillstand des Herzens erfolgt beim Tetanisiren beider Nervi vagi nicht nur constanter und sicherer, sondern er hält auch länger an. Die Stärke der Reizung, die beim Tetani- siren von beiden oder von; einem Vagus aus zur Sistirung der Herzthätigkeit nothwendig ist, ist in beiden Fällen nahezu gleich, wenigstens konnte ich in meinen Versuchen keinen ausgesprochenen Unterschied bemerken, Wenn überhaupt zum Gelingen derartiger Versuche eine möglichst schonende Präparation der Nerven, selbst bei Säugethieren, unerläss- liche Bedingung ist, was schon Ed. Weber urgirt?), so gilt das ganz vorzüglich für die Versuche an Vögeln und na- mentlich für die Reizung von einem Vagus; die !geringste mechanische Dehnung, Zerrung und Quetschung der‘ Nerven reicht hin, um den Erfolg des Experimentes unsicher, ja un- möglich zu machen. Die rasche Erschöpfbarkeit der Nerven bei Vögeln erklärt dieses Verhalten hinlänglich. Was die Dauer des 'Stillständes betrifft, so ist sie „eineısehr variable und es lässt sich darüber wenig im All- gemeinen ‚aussagen. ‚Beträchtlicher ist sie, wie schon oben 1) Ed. Weber, A. a. 0.8. 45. Ueber den Einfluss der Nervi vagi aufdie Herzbewegung bei Vögeln. 447 bemerkt, wenn''beide Nervi vagi tetanisirt werden; sie wächst ausserdem, wie ich "bemerkt 'zu haben’ glaube’ und wie es auch für’ Säugethiere angegeben wird, 'bis zu einer gewissen, nieht näher anzugebenden Grenze'mit wachsender Stärke und Dauer ‘des Reizes; wird dagegen diese'Grenze überschritten, so sinkt die Dauer des Stillstandes und endlich tritt: gar kein Stillstand‘ mehr 'ein, was sieh aus’ der 'Erschöpfung der Ner- ven gut erklärt. ./ Wird nun den'‘Nerven einige Zeit Ruhe gegönnt, sei es; dass der; Verlust ihrer ' Erregbarkeit seine Folge ‘der grossen: Stärke oder der langen: Dauer der Rei- zung ist, so stellt sich die’ Erregbarkeit und Leistungsfähig- keit/der Nerven in der Regel wieder 'her und es’ erfolgt: bei fortgesetzter Reizung’ von Neuem Stillstand oder ‘doch ‚wenig- stens Verlangsamung der Herzschläge, aber‘ je öfter die Rei- zung erfolgt, desto‘ schwieriger | erholen'''sich' ‘die Nerven, einer desto längeren Ruhe bedürfen sie zur Herstellung ihrer Leistungsfähigkeit, desto unsicherer wird endlich der Erfolg der Reizung. Eine mässige Reizung hat oft im Gegentheil eine Kräftigung der Nerven zu Folge,: 50 wenigstens glaube ich den nicht'selten beobachteten Umstand erklären zu müssen, dass eine sich vollkommen 'gleich‘ bleibende, Reizung des Nerven zu Anfang unwirksam blieb, wenigstens keine scharf ausgeprägte Wirkung, hervorrief, nach mehrmaliger Appli- cation aber entschieden an! Wirksamkeit gewann und nun oftmals nicht nur blosse Verlatigsamung der Herzbewegung, sondern auch wirklichen Stillstand des Herzens bewirkte. Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Dauer des Stillstan- des des Herzens bei Vögeln eine geringere ist, als bei Säuge- thieren und namentlich bei Fröschen; in der Mehrzahl der Fälle beträgt sie 5—10 Secunden; ‚die längste, die ich beob- achtet habe, betrug etwas über eine Minute. Die Stärke der Reizung übt, wie Cl. Bernard richtig vermuthet hat'), einen entschiedenen Einfluss auf den Erfolg des Versuches. ‘Im Allgemeinen ist die Stärke ‘der Reizung, die bei Vögeln ‘zur Sistirung der Herzthätigkeit nöthwendig ""1)'Ol' Bernard, a, a. 0, T. IL 8, 394. 448 Einbrodt: Br ist, eine bedeutend grössere, als bei Säugern, und Fröschen. Bei‘ Anwendung eines Daniell’schen Elementes ‚und des du Bois’schen Schlittenmagnetelektromotors sah 'ich: in zahl- reichen ‘Versuchen Stillstand des’ Herzens beim -Tetanisiren der peripherischen Enden‘, beider Nervi vagi. nie früher, ein- treten, als wenn die Rollen wenigstens zur Hälfte jüberein- andergeschoben wareng ‚Inoch: sicherer gelingt aber'der: Ver- ‚such, wenn der Rollenabstand =0 ist, d.h. wenn: die'secun- däre Rolle vollständig über die primäre: verschöben, ist; fast constant tritt dann, unter! sonst. günstigen Umständen ‚Still- stand des Herzens ein. — ‚Die Verlangsamung der :Herzbe- wegung tritt: in der Regel schon bei viel geringerer ‚Stärke der Reizung deutlich hervor, ihr Werth wächst natürlich.aber auch mit steigender Reizung. Zur Erläuteruug mag folgendes Beispiel dienen. Versuch VI, Gans. Tetanisiren ‚des linken Nervus vagus. ‚Der Ap- paratist durch ein Daniell’sches Element in Thätigkeit ver- setzt. Die Reizung; erfolgt von’ 5 zu 5 Minuten 'und wird jedesmal 5’ Secunden fortgesetzt. un! Zahlder Herz-| 'Zahl der Dauer Rollen: schläge in || Herzschläge des Ast 5 Secunden während | | Stillstandes ar vor. der des des Herzens Den Reizung, |Tetanisirens. |in Secunden. 130 12 2 (0) 110 12 7, BiläR 0 40 13 5) 918 ö 0 13 1) 2 [1] 12 0 2 N Die‘ Verschiebung der Nerven auf den Blektro- den giebt ein kräftiges Mittel an die Hand, die Sistirung oder Verlangsamung der Herzschläge längere Zeit hinterein- ander zu beobachten;; ist nämlich ‚die Reizung(inicht ;über- Ueber den Einfluss der Nervi vagi auf'die Herzbewegung bei Vögeln. 449 mässig gewesen’ (an' Stärke oder Dauer) und die Erschöpfung der Nerven’ mehr local auf den 'Ort der’ Reizung beschränkt geblieben, so genügt es in'der Mehrzahl 'der' Fälle, die-Ner- ven auf den Elektroden etwas zu verschieben d. h. eine tie- fere Stelle der Nerven der Reizung zu unterwerfen, um die Wirkung; des ı Reizes ‚nicht. mur.. wiederum klar,; sondern oft auch stärker 'und ausgesprochener als früher,hervortreten zu sehen, /Hat man, ein hinlänglich langes: Stück des Nerven blossgelegt, so'ı kann man die Verschiebung des Nerven auf den Elektroden 'eine geraume. Zeit, lang fortsetzen. ‚Als Bei- spiel führe ich folgende zwei Versuche an. Versuch VII. Gans. Tetanisiren des linken Vagus bei übereinanderge- schobenen Rollen des Schlittenmagnetelektromotors und einem Dan. Element. , Die Reizung erfolgt von 3 zu‘3 Minuten und dauert jedesmal 5 Secunden, —; Nach einer gewissen Dauer der Reizung an einer und derselben Stelle des Nerven macht das Herz 14 Schläge in 5 Secunden vor dem Tetanisiren, 8 dagegen in 5 Secunden während der'Reizung; nun wird der Nerv auf den Elektroden etwas verschoben; die Zahl der Herzschläge vor der Reizung bleibt, wie früher, 14 in 5 Se- eunden, während der Reizung dagegen macht jetzt das Herz nur 7 Schläge in 5 Seeunden; derselbe. Erfolg tritt bei mehr- maliger Reizung äuf, fängt aber an nach ungefähr 12—15 Minuten schwächer zu werden. Nun wird eine noch tiefere Stelle des Nerven auf’ den Elektroden ausgebreitet und so- gleich steigt auch der Erfolg ‘der Reizung; unmittelbar, vor dem Tetanisiren) macht: das; Herz nach wie vor, 14 Schläge in. 5 Seeunden, während des. Tetanisirens ‚erfolgt dagegen jetzt Stillstand des Herzens, ‚der ein Paar Secunden, anhält, nach dreimaliger Anwendung, desselben Reizes, erfolgt kein Stillstand mehr, sondern blosse Verlangsamung ‚der. Herzbe- wegung; aber eine nene\, Verschiebung .des Nerven auf den Blektroden genügt ‚wiederum, um nochmals ein ‚paar Mal hinter einander Stillstand des Herzens yon mehreren, Secunden Dauer zu erzielen. 450 .uloadV isd gu Einbrodt: 19 wol co; I nab 15daJ Folgender, Versuch. macht, es, anschaulich, wie. Verschie- bung der: Nerven ‘auf. den‘ ‚Elektroden. den Werth .der‘ Ver- langsamung ‚der Herzschläge erhöht. i Versuch VII. Huhn. Tetanisiren beider Nervi vagi bei 0 Millim. Rol- lenabstand und einem Dan. Element von 5 zu 5Minuten. Dauer der jedesmaligen Reizung 5 Secunden. In’'diesem ‘Versuche hatte ich Aufangs sehr ausgesprochenen Stillstand des Her- zens, ich gebe aber der Kürze ‘wegen nur diejenigen Zahlen, die in einer späteren Periode des‘ Versuches erhalten wur- den, wo blosse Verlangsamung eintrat. "Zahl der Herz- Zahl der Herz- Zeitliche un) 2) 11 Pe schläge in schläge in wieinander-| 5 Sedunden‘| 5 Secunden folge vor der während der Reizung, Reizung, |, | der. Reizung. 2 Uhr 20 Min.) b839diwell ab Die Nerven werden auf den Elektroden etwas verschoben. 2 Uhr 25 Min. 30 FT, Der Reizung wird eine noch tiefere Stelle i des Nerven unterworfen. 2 Uhr 30 Min, 30 | 12 Obgleich Stillstand des’ Herzens bei Vögeln unter ''dem Einflusse 'des elektrischen Tetanisirens' ‚der Nervi vagi''gar keine seltene Erscheinung: ist und’ unter‘ günstigen Verhält- nissen selbst constant eintritt,“so hat''man doch bei derarti- gen Versuchen eine blosse Verlangsamung der Herzbe- wegung hochoft genug'zu beobachten Gelegenheit, in! der Regel ist dies z.B. der Fall, wenn die Nerven bei der Bloss- legung' nicht gehörig geschont worden sind; in manchen’ Fäl- len schien 'es mir auch ‘von. ‘der Individualität der Thiere abzuhängen, von einem geringen Kraftmaasse oder einer leichten Erschöpfbarkeit der Organisation; ebenso erhält mai, Ueber den Einfluss der Nervi vagirauf‘die Herzbewegung bei Vögeln. 451 wie schon: oben erwähnt, beim Tetanisiren der N. vagi eine blosse ‚Verlangsamung bei nicht ausreichender Stärke‘ der Reizung; endlich ist noch zu erwähnen, ' dass beim Tetani- siren bloss eines N. vagus öfter Verlangsamung als Still- stand 'eintritt. Die Verlangsamung der Herzbewegung ist in der Regel eine sehr. 'bedeutende; so‘ sinkt’ nieht‘ selten die Zahl’ der, Herzschläge während der Reizung ‘auf die Hälfte, auf ‚ein Drittel, ja selbst auf ein Viertel der ursprünglichen (d.h. derjenigen, die vor‘der Reizung war und nach Sisti- rung der Reizung allmälig wieder 'eintritt) herab; eine’ noch bedeutendere Verlangsamung habe ich nicht beobachtet; wa- ren ‚die, Verhältnisse günstig, das\Thier kräftig, die Nerven erregbar,; ‚die Stärke der Reizung genügend, :so sank die Zahl ‚der: Herzschläge ‘gewöhnlich nicht ' zu einem ‘noch tie- fern. Werthe der ursprünglichen Zahl’ herab; sondern es trat dann in der Regel entweder momentan‘ oder doch nach 'eini- gen: wenigen und seltenen Contractionen‘ Stillstand ‘des Her- zens3 |ein, x ‚Die ‚Herzbewegung! nimmt bei Vögeln,‘ ebenso | wie bei Säugethieren und! Fröschen, unter ‚dem Einflusse’ des: Teta- nisirens- der N. vagi nicht nur. an Frequenz ab,’ sondern auch, und. nicht selten! sehr ‘bedeutend, an Stärke und Aus- giebigkeit. Nicht selten wird auch der'Stillstand des Herzens durch eine kurze, 'stossweise ‚Contraetion lunterbrochen, . hält aber nachher noch ‚einige Zeit an. Manchmal tritt auchder Fall ein, dass es zu keinem ausgesprochenen. Stillstand kommt, sondern es; entsteht, wie Volkmähn!)'sich trefflich aus- drückt, ‚ein. eigenthümliches, planloses 'Zucken und 'Wühlen in. den einzelnen Herzmuskeln. — Jet, die Reizung, von. nur kurzer Dauer und nicht‘ über- mässiger Stärke, und die. Erregbarkeit der gereizten Nerven noch gross, so hält auch gewöhnlich der Stillstand’ des Her- zens ‚so, lange an, als das Tetanisiren fortgesetzt wird; ist dagegen eine von den genannten‘ Bedingungen nicht erfüllt tar] 1) A. W. Volkmann, Hämodynamik 8,879: 452 ı 0) Einbrodt: b saukaict mob 1odal und namentlich ‘die, Erregbärkeit der: Nerven 'mehr‘oder we- niger schon gesunken, so ist die gewöhnliche: Erscheinung; die: man ‚bei/ Vögeln beobachtet, ganz derjenigen analog,;die auch bei Säugern: und, Fröschen veintritt; :das»Herz! beginnt nämlich, ‚nachdem | es eine Zeitlang‘in Stillstand verblieben, der fortdauernden Reizung :ohngeachtet, seine Contraetionen wieder. ‘Charakteristisch in dieser Beziehung‘ für die’ Vögel ist nur. das frühzeitigere Wiederauftreten der 'Herzschlägei Regel istnur bei. dieser Erscheinung, dass die Herzcontrae- tionen ‚anfänglich äusserst selten und: schwach sind und'nur ganz: allmälig an Zahl: und Stärke‘ zunehmen; fast nie aber erreicht die Zahl der Herzschläge bei fortdauernder Reizung den ‚ursprünglichen Werth (es müsste denn die’ Erregbärkeit der Nerven ganz erloschen 'sein);. erst nach 'Sistirung ‘der Reizung (und zwar,.'wie wir sogleich sehen werden,’ auch dann ‚erst nach einer gewissen, genau messbaren Zeit) 'ge- langt »derHerzschlag zu: seiner frühern Frequenz. ‘Endlich kann auch derjenige Fall eintreten, dass die Zahl der’Herz- eontractionen, ‚nachdem der Herzschlag bei fortdauerhder Reizung wieder eingetreten, bis'zur Aufhebung 'des Reizes nicht anwächst, sondern: sich auf! einer 'eonstänten' Stufe'er- hält. Folgendes Beispiel mag beide Fälle erläutern." . Versuch IX. Huhn, Tetanisiren ‘der beiden N. vagi bei 0 Millim. Rol: lenabstand und einem Daniell’schen Elemente. 5 Uhr 34 Min. Die Zahl ‚der Herzschläge ist unmittel- bar vor der Reizung 24 in’ 5-Seceundeu. Die Tetanisirung wird ’30'Seeunden fortgesetzt; . unter ‘ihrem Einflusse steht das Herz 5 Secunden lang still, beginnt aber nach’ Verlauf dieser‘ Zeit bei fortdauerndem Tetanisiren' seine Contractio- nen: wieder: und macht in: den ersten 5 Secunden ‘nach Wie- dereintritt der'Contraetionen 9 Schläge, in den zweiten 5 Se- eunden ‚11: Schläge,' in den: dritten 13, in den vierten 15,'in den ‚fünften 15. Jetzt wird; das Tetanisiren ’'sistirt und un- gefähr nach einer halben Minute macht das Herz ups 34 Schläge in 5 Secunden. Ueber den Einfluss der Nervi vagi auf die Herzbewegung bei Vögeln. 453 5 Uhr 36 Min. Die Nerven werden auf den Elektroden ein wenig verschoben. ‚Die Reizung dauert 55 Seeunden., Das Herz steht 25 See, still, darauf macht es in den folgenden 30 Sec. bei fortdauernder Reizung, von 5 zu,5 Sec. gezählt, 11, 11, 13, 14, 16, 17 Schläge... Das Tetanisiren wird nun unterbrochen und nach einer halben Minute zähle ich wie- der 24 Schläge in 5 Sec. 5 Uhr 42 Min. Dauer der Reizung, ‚60 See. ‚Stillstand im Verlaufe von 25 Sec.; in,den, darauf folgenden 35 Sec. zähle ich, von 5 zu 5 Sec. 6, 6,6, 7, 7, 9, 12,Schläge., Eine halbe Stunde nach Unterbrechung ‚der Reizung. macht ‚das Herz wieder 24 Schläge in 5, See. “ 5 Uhr 50 Min. Dauer der Reizung 46 Sec. Stillstand des Herzens im Verlaufe von 10 See.; während ‚der übrigen 30 See, wo die Reizung fortbesteht, zähle ich 6, 6, 6, 6, 6, 6 Schläge in je 5 See. Einige Zeit nach Unterbrechung. der Reizung wiederum 24 Schläge in 5 Sec. 5 Uhr 56Min. Die Nerven werden von einer etwas tie- feren Stelle aus 35 Sec. lang tetanisirt; Stillstand des Her- zens dauert 15 Sec.; darauf macht.das Herz 6, 6, 6, 6 Schläge in je auf einander folgenden 5 Sec. 25 See. nach Unterbre- chung der Reizung zähle ich wieder 24 Schläge in 5 Sec. Was nun die Herzschläge nach Unterbrechung des Teta-' hisirens betrifft, so begegnet uns auch hier ein dem "eben mitgetheilten ähnliches Verhalten. Auch nach Sistirung des Reizes erreichen die Herzeontraetionen 'nicht sofort ihre ur- sprüngliche Frequenz, sondern erfahren ein gatız 'allmäliges Anwachsen und gelangen in der Regel zu dem Normalwer- the erst nach 20-25 See. und selbst mehr, scheinbar 'also etwas später, als'nach 'R. Wa&ner !)"bei Säugethieren, wo dies in der Regel schon in den dritten 5 See. erfolgt. "Das Gesagte gilt ebenso auch für die Verlangsamung der Herz- schläge, wenn kein Stillstand eingetreten war. Es sei mir erlaubt, wiederum’ ein Beispiel anzuführen. Sa ry 028, 188, r er Belchert's u. du Bols- Roymond's Archiv. 1859, 30 add a. Einbrodt: Be Versuch X. Huhn. Tetanisiren Anfangs des linken, dann beider N. vagi bei Rollenabstand =0 und 1 Dan. Elemente. 4 Uhr 39 Min. Zahl der Herzschläge vor der Reizung = 94 in 5 See.; unter dem Einflusse der Reizung des linken Vagus erfolgt eine Verlangsamung der Herzschläge auf 15 in 5 Sec.; nach 5 Sec. wird die Reizung unterbrochen und in den folgenden 15 Sec. macht das Herz, von 5 zu 5 See. immer gezählt, 18, 21, 24 Schläge. 4 Uhr 42 Min. Unter dem Einflusse des Tetanisirens beider Vagi steht das Herz 7 Sec. still; nun wird die Rei- zung unterbrochen und ich zähle von 5 zu 5 Sec. 6, 9, 11, 15, 21, 24 Schläge. 4Uhr 47 Min. Das Herz steht 8 See. still nnd macht nach Unterbrechung des Tetanisirens 6, 10, 18, 24 Schläge in je 5 Sec. 4 Uhr 50 Min. 9 Sec. Stillstand; darauf nach Unterbre- chung der Reizung 6, 10, 15, 21, 24 Schläge in je 5 Sec. 4 Uhr 55 Min. 8 Sec. Stillstand und’nach Unterbrechung der Reizung 12, 15, 18, 21, 24 Schläge von 5 zu 5 Sec. ge- zählt. — Gewöhnlich beobachtet man nach einer; ganzen Reihe von mehr oder weniger lange andauernden Tetanisirungen ‚nach Beendigung des Versuches schliesslich eine gewisse, ‚aber meist nur geringe; Verlangsamung des Herzschlages; selte- ner schon tritt derjenige Fall ein, dass die Frequenz ..der Herzschläge sich im Verlaufe des Versuches nicht, (oder na- hezu nicht) ändert und schliesslich ihren ursprünglichen Werth beibehält; nur in: ganz vereinzelten Fällen habe, ich eine schliessliche, aber nur sehr unbedeutende Vermehrung .der Herzschläge wahrgenommen. Worauf dieser Unterschied be- rubt, weiss ich nicht anzugeben, individuelle Verschieden- heit und äussere Umstände mögen hier, die, meiste Gel- tung haben. Verlangsamung der Herzschläge fehlt bei irgendwie ‚aus- Ueber den Einfluss der Nervi vagisauf die’Herzbewegung bei Vögeln. 455 reichender Stärke‘ der Reizung beim Tetanisiren' der. peri- pherischen Enden der Nervi vagi bei Vögeln niemals. 'Er- reicht aber die Reizung den nöthigen Grad der Stärke nicht, so. bleibt sie durchaus: ohne Erfolg auf die Herzbewegung. Nie habe ich im zahlreichen Versuchen eine‘ Ver- melirung der Herzschläge.'bei' Vögeln bei Einwir- kung schwacher Ströme.beobachtet,: was mit Pflü- ger’s') Erfahrungen’ an Säugethieren und Fröschen vollkom- men übereinstimmt. ‚Stillstand des Herzens’erfolgt auch bei Reizung von der Medulla oblongata aus und zwar, wie Wag- ner?) richtig angiebt, leichter als von den Vagi aus) d.h; schon bei einer geringeren Stärke der Reizung; ich erhielt z.B. (mit einem Daniell’schen Elemente) Stillstand des Her- zens schon: bei 90 Millim. Rollenabstand des du’ Bois’schen Sehlittenmagnetelektromotors. ‘Doch besitze" ich über diese Art der, Reizung zu wenig Erfahrung, um darüber etwas Bestimmteres ängeben zu können. Nur einer Erscheinung möchte ich noch Erwähnung thun, von der ich‘ 'mieh be- stimmt überzeugt zu haben glaube. Ich habe nämlich beob- achtet, dass die Zahl der Herzschläge bei Reizung von der Medulla oblongata aus sowohl nach dem Stillstande des Her- zens bei fortdauernder Reizung, als auch unmittelbar nach Unterbrechung des Tetanisirens beträchtlich höher ist, als vor der Reizung, und allmälig herabsinkend erst einige Zeit nach Unterbrechung der Reizung zu" ihrem früheren Werthe gelangt; dass sieh hier: also ein ganz anderes 'Verhältniss herausstellt, als bei der Reizung von den N. vagi aus. Eine genügende Jrklärung dieser Erscheinung ‘vermag ich nicht zu geben; die Erschöpfung der Thätigkeit der Medulla 'ob- longata scheint «mir allein zur ‘Erklärung noch ‘nicht aus- zureichen., "Durchschneidung der Nervi vagi' (auch eines von 1) Ed, Pflüger, Experimental - Beitrag zur Theorie der Hem- mungsnerven — in Reichert's und du Bois- Reymond' s Archiv S. 1859 Heft 1, S. 16. 19. 2) u. a. O. S. 127. 30* 456 .ulsay7 Einbrodt: haadotJ ibnen,, sicherer aber beider) hat bei Vögeln gewöhnlich dau- ernde Vermehrung der Herzschläge zur Folge; darin nähern sich also die Vögel den Säugethieren und unterschei- den sich von den'Fröschen, bei denen bekanntlich eine Ver- mehrung der: Herzschläge ‚nach Trennung der Nervi vagi nicht beobachtet worden ist. Die Vermehrung der‘ Herz- schläge ist aber bei Vögeln in der Regel nur eine geringe, eine 'viel geringere, als sie z. B. nach Wagner!) bei Säuge- thieren ist, wo sie ungefähr '!/, bis !/; der Normalzahl be- trägt: (freilich wurden in Wagner’s Versuchen an Säuge- thieren ‚ausser. den Vagis auch noch die Sympathiei durch- schnitten). Um ein Beispiel zu, geben, will ich anführen, dass in.’einem Falle die Zahl der Herzschläge nach Tren- nung beider.N. vagi von 24 auf 27 (in 5 Sec.) stieg, in’ einem anderen Falle von 27 auf 30, in einem dritten (sehr gelun- genen): von 18 auf 27.‘ Diesen Umstand der nur unbeträcht- lichen Vermehrung der Herzschläge nach Trennung der N. vagi. bei, Vögeln möchte ich am liebsten mit der schon so ho+ hen normalen Frequenz des Herzschlages bei Vögeln in Zu- sammenhang bringen. Die Vermehrung der Herzschläge tritt in'der Regel nicht auf, wie ich mich bestimmt überzeugt habe, wenn. die Nerven während: der Präparation ‘einem: mechani- sehen Eingriffe, einer Zerrung oder Dehnung unterlegen sind; ich glaube dies dadurch erklären zu: müssen, dass wir es in solchen Fällen mit einer, ich möchte sagen, mechanischen Tetanisirung zu thun haben, die den Erfolg der nachfolgen- den, Trennung der Vagi ganz oder theilweise aufhebt und vereitelt. Es versteht sich von selbst, dass man jedesmal die Unruhe und Aufregung des Thieres abwarten muss, ehe man ‚die Zählung vornimmt, wenn man zu sicheren und con- stanten Ergebnissen gelangen will. Ebenso muss der Schluss aus zahlreichen Versuchen gezogen werden, da in vielen'Ein- ‚ zelfällen beträchtliche individuelle Verschiedenheiten und Ab- weichungen eintreten. 1) a. a. 0. S. 134. Ueber den Einfluss der Nervi vagi auf die Herzbewegang bei Vögeln. 457 ‘ Bekhard'!) hat bekanntlich dargethan, dass Verlangsa- mung der Herzbewegung, ja selbst‘ Stillstand des Herzens auch‘durch chemische Reizung der N. vagi mittelst Kochsalz erzeugt werden kann. Ich versuchte nun auch'bei, Vögeln die chemische Reizung anzuwenden, indem ich 4—5 Centim. lange Stücke der beiden hoch oben am Kopfe durch- schnittenen N. vagi in concentrirte und (nahezu bis zur Tem- peratur des Blutes) erwärmte Kochsalzlösung tauchen‘ liess, wobei Sorge getragen wurde, dass sie von allen Seiten mit der Lösung in Berührung kamen, muss jedoch gestehen, dass ich dabei zu keinem genügenden Resultate gelangt bin, da ich nicht bestimmt angeben kann, ob Stillstand des Her- zens erfolgt ist; nur soviel kann ich mit Bestimmtheit be- haupten, dass ich eine sehr deutliche Verlangsamung der Herzschläge beobachtet habe. Diese Verlangsamung begann schon nach 3 Minuten Einwirkung, wuchs aber mit der Dauer der Einwirkung noch mehr an und erlangte ihr Maximum nach ungefähr 10 Minuten Einwirkung; die Zahl der Herz- schläge war um diese Zeit ungefähr auf '/; des ursprüngli- chen Werthes gefallen. Die Beobachtung wird bei dieser Art der Reizung durch den Umstand sehr erschwert, dass die Reizung bier eine constante ist, selbst,nach Entfernung, des Reizes fortdauert und deshalb: nicht nach Willkür sistirt oder umgekehrt vermehrt und verstärkt werden kann. Nach Heidenhain’s Vorgang?) versuchte ich‘ endlich auch die mechanische, Tetanisirung der Nervi vagi‘ bei Vö- geln, indem ich dazu den von .du Bois-Reymond)modi- fieirten Heidenhain’schen mechanischen. Tetanomotor: | be- nutzte; ich gelangte dabei aber zu ‘keinem positiven Resul- tate (d.h. ich erhielt keinen Stillstand des Herzens), was ich hauptsächlich dem Umstande zuschreiben möchte, dass: man "bei diesem schwierigen Versuche. nie sicher ist; dass ‚der Nerv vom tetanisirenden Hämmerchen gehörig getroffen wird; I) Eckhard, zur Theorie der Vagus-Wirkung — in Müller's Archiv für 1851 Huft 3 S.205, } 2) Moleschott’s Untersuch, z, Naturlehre Bd.IV., 1858, S. 131, 458 Einbrodt: Auidtinab rad dieser /Unistand wird aber seinerseits‘ durch die: Schwierig- keit ‚der genauen! Einstellung des Hämmerchens, durch‘ die anatomische Lage der. Nerven und 'die ganze "Construetion des Apparates nothwendig bedingt. Ich’ glaube um so eher zu diesem Schlusse: berechtigt zu sein, als ich in einem Ver- suche unmittelbar: von der missglückten mechanischen: Teta- nisirung zur elektrischen: überging (und zwar vondenselben Stellen. der.Nerven aus) -und''dabei' viele Mal hinter einander einen sehr ausgesprochenen und: lange anhaltenden Stillstand des! Herzens ‚beobachtete. » Ich 'bin' deshalb überzeugt,' dass Stillstand ‚des Herzens: bei: Vögeln ‚auch durch mechänisches Tetanisiren (der Nervi vagi'zu erzielen ist; namentlich, denke ich, müsste dies bei’ Anwendung des von Heidenhain kürz- lich in Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre, 1858, Bd. IV S. 124 beschriebenen mechanischen Detänomotors‘ für Viviseetionen gelingen, der bei solchen Versuchen’ bequemer zu handhaben ist. : Leider stand mir ein solcher‘ Apparät nicht zu Gebote. Vögel überleben die Operation der Durchschneidung und Excision beider N. vagi in der Regel mehrere Tage, also län- ger, als Säugethiere, wie dies schon von Joh. Müller!) hervorgehoben worden ist; ‚die längste Dauer des Ueberle- bens,:die’ich bei diesen Versuchen beobachtet habe, betrug 5 Tage (und zwar bei’ ziemlich ungünstigen Verhältnissen der Verpflegung). Die Respiration ist unmittelbar nach der Operation, 'wie’ich übereinstimmend mit Cl. Bernard?) be- obachtet habe, sehr erschwert, was in der Streckung des Hälses und im weiten Oeffnen des Schnabels, in einem‘, so zu- sagen,‘ Sehnappen nach Luft, klar hervortritt; ‘später geht die Respiration leichter und ruhiger von Statten; die Ver- dauung ist ‚dauernd gestört, das Schlucken sehr erschwert. Der Tod scheint eine Folge zu sein der gestörten Verdauung und Ernährung'und erfolgt unter Zeichen 'steigender Inanition. 1) J. Müller, Handb. d. Physiologie u. s, w. Bd. I, 4. Aufl, 8. 278, 1 9).8, a, 0. 8.427. Ueber den Einfluss der Nervi vagi' auf die Herzbewegung bei Vögeln. 459 Aus den vorstehenden Untersuchungen lassen sich die Hauptergebnisse in folgenden zwei Sätzen zusammenfassen: 1. Stillstand des Herzens erfolgt bei Vögeln, wie auch bei Säugethieren, beim Tetanisiren sowohl beider N. vagi, als auch nur‘ eines von ihnen. 2. Vermehrung der Herzschläge tritt bei Vögeln, wie auch bei Säugethieren, nach Trennung der N- vagi ein. Ich glaube somit erwiesen zu haben, dass im Verhalten der N. vagi zur Herzthätigkeit zwischen Säugethieren und Vögeln kein prineipieller Unterschied besteht; dieselben Ge- setze, die in dieser Beziehung für die Säugethiere dargethan sind, haben auch für Vögel vollkommene, ‚Geltung, uud alle Abweichungen, die theils eonstant, theils zuweilen zur Be- obachtung kommen, lassen sich recht gut auf graduelle Un- terschiede zurückführen und finden namentlich in ‚der sw leichten Ersehöpfbarkeit der Nerven bei Vögeln ihre voll- ständige Erklärung. Schliesslich sei es mir erlaubt, Herrn Professor Dr. dn Bois-Reymond, auf dessen Anregung und unter dessen gütiger Leitung diese Versuche angestellt sind, meinen wärm- sten Dank auszusprechen. Berlin, 31. März 1859. 460 Rudolf Hieiden,hain; Be I Beitrag zur Anatomie. der. Peyer'schen Drüsen. Von Dr. RupoLr HEIDENHAIN, Professor der Physiologie in Breslau. (Hierzu Taf. XIII.) Die Untersuchung des Ursprunges der Chylusgefässerin der Darmwand ist eine der schwierigsten Aufgaben für.die feinere Anatomie. Man braucht nur einen kurzen Blick auf die Literatur dieses Gegenstandes zu werfen, un sich“ zu überzeugen, dass bis auf den heutigen Tag die allerverschie- densten Ansichten von den verschiedenen Anatomen und’ Phy- siologen aufgestellt wurden, Ansichten, die nicht auf Grund aprioristischer Theorien, ‘sondern 'auf'Grund ‘objeetiver Un- tersuchungen 'eine jede ihr Recht behaupten. Ein Fortschritt in der Erkenntniss war nur durch 'einen Fortschritt in der Methode der Untersuchung möglich. Zu ‘dem letzteren aber verhalf mir vor anderthalb Jahren die Anwendung erhärten- der Mittel auf das Gewebe der Darmschleimhaut, die Be- nutzung der Chromsäure, des doppeltchromsauren Kali's und des Holzessigs, — Mittel, die schon früherhin mit Glück zur Erforschung der intimeren Structurverhältnisse des Ner- vensystems angewendet worden sind. Die in ihnen erhärtete Darmschleimhaut giebt auf Durchschnitten ihre histologischen Elemente deutlicher zu erkennen, als wenn man dieselbe im frischen Zustande untersucht, ohne Reagentien anzuwenden, und so gelang es mir, zu den Resultaten zu kommen, wel- che ich im 4ten Bde. von „Moleschott’s Untersuchungen“ S. 251 veröffentlicht habe. Meine dort aufgestellten Ansich- ten sind neuerdings von Kölliker bezweifelt worden; ich werde im letzten Abschnitte dieser Arbeit Kölliker’s Be- Beitrag zur Anatomie. der Peyer'schen Drüsen. 461 denken zurückweisen.; Hier sei: nur erwähnt, dass:ich durch ® meine gedachten Beobachtungen zu dem Schlusse kam, als die Anfänge des Chylusgefässsystems in den Darmzotten sei ein System von durch Ausläufer anastomosirenden Paren- chymzellen anzusehen, die eine gewisse Analogie mit den Bindegewebskörperchen zeigen. Diese Behauptung blieb Än- sofern hypothetisch, als ‘es; mir nicht gelungen war; die Art, auf welehe‘ jenes: Zellensystem mit eigentlichen Chylusgefäs- sen‘ in Verbindung ‚steht, und den Ort, an welchem sich aus demselben die eigentlichen Chylusgefässe, herausbilden, nachzuweisen. Was ich in.den Darmzotten vergeblich gesucht hatte, hoffte ich an einem andern Orte des Darmes, welcher besonders zahlreichen Chylusgefässen als Ursprungsquelle dient, finden zu können, nämlich in den Peyer’schen Drüsen. Meine Er+- wartungen ‚sind bis jetzt ‚nicht erfüllt worden. Doch ist es mir ergangen, wie es oft den Naturforschern geht, die mit einer bestimmten Frage an eine Untersuchung herantreten. Die gehofite Antwort bleibt aus, statt ihrer aber ergeben sich unerwartete neue Verhältnisse, die: ihrerseits wiederum Gegenstand ‘einer Untersuchung werden. Ich bin.bisher in Bezug auf den Ursprung ‚der Chylusgefässe aus den ‚Peyer- schen Drüsen nicht weiter gekommen als. die bisherigen: For- scher, dagegen aber ‚habe ich einige ‚früherhin übersehene Structurverhältnisseän: denselben kennen gelernt, die ich hier- mit der Oeffentlichkeit übergebe,'. die Beantwortung der ur- sprünglich gestellten Frage weiteren‘ Forschungen anheim- stellend. Der Stand der heutigen Kenntnisse, über den. Bau ‚der Peyer’schen: Drüsen ist in der. letzten Ausgabe von Kölli- ker’s Gewebelehre hinreichend dargelegt, so dass’ ich. mich einer Erörterung desselben an diesem Orte wohl entschlagen darf, um sogleich zu meinen Befunden überzugehen. Objeet und Methode der Untersuchung. Als Un tersuchungsobjeete dienten mir die Peyer'schen Drüsen des Hundes und des Kaninchens, Bei dem letzteren 462 Rudolf Heidenhain: benutzte ich vorzugsweise, doch "nicht ausschliesslich, den von Böhm beschriebenen drüsigen Sack am Ende'des Dünn-“ darms und den Wurmfortsatz. An beiden Orten liegt in der Darmwand eine mehrfache Schicht 'von‘ geschlossenen Fol- likeln über einander, ‘welche denselben anatomischen ‚Bau haben, wie die Bälge der eigentlichen ‚Peyer’schen ‘Drüsen. Die Methode der Untersuchung anlangend, ‘so habe ich fast nur injieirte Drüsen, und zwar nach‘ vorgängiger Erhärtung auf horizontalen (der Darmoberfläche parallelen) und vertiealen (senkrecht gegen die Darmoberfläche geführ- ten) Durehschnitten untersucht. Künstliche Injeetionen wur- den’ mit Leimlösung, in der' Berlinerblau frisch gefällt‘ war, ') gemacht. Fast noch schönere 'Anfüllung der Gefässe: der Peyer’'schen Drüsen erreichte ich dadurch, ‘dass ich den le- benden Thieren die Abdominalhöhle eröffnete und dann’ die Pfortader unterband. Lässt man die Thiere, bevor man sie tödtet, in diesem Zustande einige Zeit liegen, indem: man die Darmoberfläche vor‘ Vertroeknung schützt, so erhält man die schönste natürliche Injection der Darmeapillaren; nur ausnahmsweise entstehen Extravasate. Aus dem auf die eine oder die andere Weise injieirten Darme schnitt ich dann die zu untersuchenden Darmstücke heraus und erhärtete sie theils in Chromsäure,: theils in Holz- essig, theils in ‘Sublimat. Die Chromsäure wurde zu !,—3 Gran auf die Unze Wasser benutzt, ‘der Holzessig mit: dem gleichen bis dreifachen Volumen Wasser versetzt, der Subli- mat zu 3 Gran in 1 Unze Wasser gelöst: Für die weitere Behandlung eignen sich die in Chromsäure erhärteten Darm- stücke am besten. Ich machte an den erhärteten Drüsen feine verticale oder horizontale Durchschnitte mit‘dem Rasirmes- ser und befreite dieselben auf dem Objectträgey von den frei in den Follikeln in so zahlloser Menge enthaltenen zelligen Elementen durch Ausspülen mit Wasser; erst dann tritt die 1) Ich. sah zuerst, bei Prof. v. Wittich in Königsberg vor 8 Jah- ren diese Injectionsmasse anwenden. In einer Leimlösung wird Ka- liumeiseneyanür durch Eisenchlorid nicht körnig gefällt, sondern der Farbstoff bleibt in homogener Lösung. | Beitrag zur Anatomie der Peyer'schen Drüsen. 463 innere 'Structur‘ der Follikel ‚deutlich zu Tage. Man kann zur Entfernung jener Zellen so verfahren, ‘dass man das auf dem Objeetträger liegende Deckplättehen mit einer Staarna- del an einem Rande recht‘ oft aufhebt und wieder senkt. Der dadurch entstehende Flüssigkeitsstrom schwemmt die Zellen zum grossen Theile hinweg.‘ ‚Oder man ‘kann auch nach His einen feinen Tuschpinsel anwenden, mit welchem man die Drüsensegmente' in wiederholt aufgegossenem reinem Was- ser abpinselt. Es gelingt: dies am leichtesten an den Chrom- säurepräparaten, schwieriger an denen, die in 'Sublimaätlö- sung; 'am‘sehwersten an solchen, die in Holzessig| erhärtet wurden. — Was ich Neues gefunden, "bezieht sich nicht auf die grö- bere Anordnung der Drüsenhaufen im Ganzen, sondern auf die intimere Structur der einzelnen Drüsenfollikel. Ich ‚über- gehe deshalb die Beschreibung der makroskopischen Verhält- nisse, ‚welche mit-blossem Auge oder doch mit der Loupe wahrgenommen werden können, und wende mich gleich zu dem mikroskopischen Baue der einzelnen Follikel. Gefässe.der Follikel. Die Wand der.Follikel' ist, wie heute ‚die allgemeine Stimme \vollkommen richtig 'aussagt, allseitig geschlossen. Sie besteht aus einem sehr dichten Bindegewebe, das sich an ihrer äussern Grenze in mehr oder weniger parallele, sehr dicht an einander gedrängte Fasern spalten lässt. Von diesen gehen zahlreiche Faserbündel zu dem interfolliculä- ren Bindegewebsstroma und der Adventitia der in letzterem verlaufenden Gefässe, die ihre Aeste in das Innere der Fol- likel hineinsenden. Die Gefässanordnung im Inneren der Fol- likel erscheint auf verticalen Durchschnitten anders, als sie Kölliker für horizontale Durchschnitte angiebt. Auf den letzteren soll man die Gefässe von der Peripherie des Folli- kels radienartig nach der Mitte hin verlaufen und hier um- biegen sehen. (Vergl. Kölliker, mikroskop. Anatomie II, 184, Fig, 239.) Auf Längsschnitten gewahrt man nichts, von jener radiären Anordnung. Vielmehr tritt hier ein sehr zier- 464 | Rudolf Heidenhain: { liches, mehr oder weniger engmaschiges Netz von Capilla- ren zu Tage, das sich durch den ganzen Follikel erstreckt. In Fig. I ist ein Follikel aus dem'Wurmfortsatze des Kanin- chens bei 40facher Vergrösserung abgebildet, um ‚das .den- selben durchziehende Capillarnetz zu zeigen, welches durch Unterbindung der Pfortader am lebenden Thiere auf das Voll- kommenste mit Blut injieirt war. ‘Nicht selten sieht man am Rande: eines: Follikeldurchschnittes ein Gefäss längs dessel- ben nach Art des Randgefässes der Darmzotten hinlaufen und die‘aus der Tiefe des Follikels kommenden Capillaren in dasselbe einmünden. — Die Weite der Gefässe bei dem un- ter natürlichen Verhältnissen während des Lebens bestehen- den Drucke lässt sich natürlich nicht angeben. Wenn man, wie Kölliker, den Inhalt der: frischen Follikel unter das Mikroskop. bringt, so entleert. sich ein Theil des Blutes und die’ Gefässe nehmen an Durchmesser ab. "Untersucht man. aber injieirte Gefässe, so bestimmt der Grad des bei der Injeetion angewandten‘ Druckes den Durchmesser. Die Angaben über Gefässdurchmesser haben daher immer nur einen relativen Werth. Ich fand für die Capillaren im Inneren der Follikel an nicht injieirten und an solchen Prä- paraten, die mit Leim injieirt waren, 0,007—0,010 Millim., an Präparaten, deren Gefässe durch Unterbindung der Pfort- ader mit Blut gefüllt waren, 0,010—0,017 Millim. Eigenthümliches Balkennetz im Inneren der Follikel. Zwischen den eben beschriebenen Blutgefässcapillaren, welche durch das Innere der Follikel der Peyer’schen Drü- sen ziehen, breitet sich ein Gewebe eigenthümlicher Art,aus, welches bisher übersehen wurde.) Man kann dasselbe nur 1) Nur bei Donders (Lehrbuch der Physiologie I, 321) und bei Billroth (Beiträge zur pathologischen Histologie, Berlin.1858 S. 130) finde ich, eine Notiz, aus welcher ‚hervorgeht, dass diese Forscher: die näher zu erörternden Verhältnisse der Peyer’schen Drüsen bis zu einem gewissen Maasse gekannt haben. Doch fehlen alle genaueren Daten, so dass ich mich dadurch von der Veröffentlichung meiner Beobach- tungen|nicht abhalten lassen! darf. | u Beitrag zur‘ Anatomie der Peyer’schen Drüsen. 465 an solchen Durchschnitten beobachten, welche durch Aus- spülen mit Wasser und Abpinseln von den’im Inneren des Follikels frei befindlichen Elementen befreit worden sind. Dieses Gewebe aber ist ein Balkenwerk, welches die Gefäss- maschen ausfüllt und die ganze Höhle des -Follikels durch- zieht. Die Elemente desselben zeigen sich unter der Form von Fasern, die einander in den verschiedensten Richtungen durehkreuzen, auf die verschiedenste Weise mit einander ana- stomosiren und an der Peripherie des Follikels allmälig in das Bindegewebsstroma der Follikelwand übergehen. Durch jene Fasern wird ein System von alveolären Räumen gebil- det, die nach der Mitte des Follikels hin weiter und von runder oder polygonaler Form sind, nach der Follikelwand hin enger, länglich-schmal und zuletzt fast spaltförmig wer- den. Diese Maschenräume schliessen die freien zelligen Ble- miente ein, die in den Follikeln als wesentlicher Theil ihres Inhaltes schon seit lange bekannt sind. An den Knotenpunk- ten, wo mehrere Balken zusammentreffen, gehen sie häufig in eine Zelle über, welche einen grossen ovalen Kern ent- hält, so dass ein Theil der Balken nichts weiter darstellt, als die Ausläufer sternförmiger oder mehrstrahliger Zellen. Ausser an den Knotenpunkten finden sich grosse ovale Kerne aber auch im Verlaufe einzelner Balken, in Erweiterungen derselben eingebettet. Hier hat man es offenbar mit Zellen zu thun, welche zwei Ausläufer entsenden. Die Grösse der ovalen Kerne wechselt in ziemlich weiten Grenzen; ich fand ihren Längsdurehmesser schwankend zwischen 0,010 — 0,017 Millim., den Querdurchmesser zwischen 0,007 — 0,010 Millim. Ausser diesen in ihrem ganzen Ansehen sehr charakteristi- schen ovalen Kernen findet sich in die Balken noch eine zweite Art von Körperchen eingebettet, rund, kleiner als jene, in ihrem Habitus den Lymphkörperchen ähnlich. Sie liegen häufiger im Verlaufe der einzelnen Balken, als an den Knotenpunkten. Die'Zahl von Körpern (ovalen und run- den), welche in die Elemente des Balkenwerkes sich einge- schlossen finden, ist'in verschiedenen Präparaten sehr ver- schieden. Man vergleiche mit dieser Beschreibung Fig. II, 466 Rudolf Heid'enhain: g \ welehe ‚nach ‚einem Präparate bei 300facher Vergrösserung gezeichnet wurde, t } Verbindung des Balkennetzes mit den Blut- e gefässen. , Von ganz besonderem Interesse wird: das eben beschrie- bene Balkenwerk (durch die Beziehung, in welche dasselbe zu. den Blutgefässen tritt. Schon.bei, oberflächlicher. Betrach- tung sieht man, ‚dass. viele von ‚den Balken sich unter ‚rech- tem ‚oder mehr oder weniger spitzem ‚Winkel an. die;Wand der Blutgefässcapillaren ansetzen, Dabei 'erweitern ‚sich'iman- che von ihnen, kurz vor; dem Anlegen an die, Gefässwand dreieckig; oder kegelförmig, so dass ‚sie mit breiter, Basis auf das Gefäss auftreffien (vergl.' Fig. III). Der dreieckige Raum, welcher von den auseinander ‚weiehenden Randcon- touren der Balken, gebildet wird, scheint, beim ersten‘ An- blicke direct mit dem Lumen der Capillargefässe zu eommu+ nieiren. Die Frage,‘ ob. .hier ‚eine wirkliche Communication stattfinde, war oflenbar von. dem grössten Interesse und, ich habe viele, Versuche zur sicheren ‚Entscheidung derselben ‚an+ gestellt. War eine wirkliche, Communication vorhanden, so liess ‚sich mit. grosser Wahrscheinlichkeit, annehmen, dass das ganze Balkennetz, das zum grossen Theile nachweislich von Zellen, die ‘durch, Ausläufer ‚mit einander ;anastomasi- ren, gebildet wird, ein System von. sehr ‚feinen, hohlen'‚Ca- nälen darstellt, die. als saftführende,: mit. den Blutgefässen. in direetem Zusammenhange ‚stehende, feinste, Gefässe (yasa se- rosa) angesehen werden) ‚mussten... Sehon‘, mit der|‚Untersu- chung, dieser Frage seit langer Zeit beschäftigt, verdoppelte ich meine Anstrengungen zur Entscheidung ‚derselben, /als Eckard in seiner unten‘ noch näher. zu 'bespreehenden ‚Dis- sertation ein dem von mir gefundenen Verhältnisse sehr ähn- liches in den Alveolen der Lymphdrüsen beschrieb. .Daselbst findet sich nach Eckard ein ähnliches Balkennetz,, dessen Natur als saftführendes, und mit, der Blutgefässen! in. offenem Zusammenhange stehendes; Canalsystem; er direct ‚erwiesen haben: will. ' bei Beitrag zur: Anatomie der Peyer’schen Drüsen. 467 Durch die 'blosse mikroskopische Beobachtung gelangte ich zu keinem sichern Resultate. Denn; wenn: man eine Ca- pillare, am welche sich Balken mit dreieckigen oder kegel- förmigen Verbreiterungen ansetzen, genaw unter dem Mikro- skope betrachtet, ‘so scheint allerdings bei einer gewissen Einstellung des Instrumentes das: Vorhandensein eines ofle- nen Ueberganges aus dem Inneren 'des Gefässes in das In- nere des Ansatzdreieckes unzweifelhaft; man sieht nämlich die Wand des Gefässes an der Ansatzstelle des Dreieckes fehlen (vgl. Fig. III). ‘Verändert man: nun aber die Höhe des Tubus, so findet man eine Art: der Einstellung, bei welcher sich die Gefässwand von einem Winkel der Basis des ‚Drei- eckes zu dem anderen als dunkle Linie fortsetzt, welche das Dreieck an der Basis begrenzt; diese Linie’ scheint dann der optische Ausdruck einer Scheidewand zu sein, welche die Gapillarhöhle von dem’ Inneren des Ansatzdreieckes trennt. Aber freilich ist damit eine wirkliche Trennung nicht bewie- sen. Man kann sich vielmehr. das mikroskopische Bild auch auf die Weise erklären, dass man annimmt, der Kegel setze sich mit offener Mündung an die obere (dem Beobachter 'zu- gekehrte) oder untere (dem Beobachter abgekehrte) Wand des Gefässes an, sei'aber durch das Deckplättchen ‚aus die- ser. natürlichen Stellung ‚ entfernt und seitlich! umgelagert. Dann wird nothwendig bei einer gewissen Mikroskopstellung eine offene Communication vorhanden, bei anderen eine sol- che, dadurch abgeschnitten zu sein scheinen, ‚dass die Seiten- wand des Gefässes, welche sich. über oder unter dem seit- lieh umgelagerten Ansatzkegel befindet, sich als dunkle Li- nie durch das Dreieck fortsetzt und dasselbe nach der. Seite des Gefässes hin abzuschliessen scheint, Diese Unsicherheit der Deutung der mikrosköpischen Bil- der liess mich zu keiner festen Ansicht kommen, so länge ich, was. in der ersten Zeit meiner Untersuchung der Fall war, nicht injieirte Präparate untersuchte. Um mit Sicher- heit'zw ermitteln, ob die Balken des Balkenwerkes hohl seien und mit den Capillargefässen communicirten, wandte. ich: In- jestionen der. verschiedensten Art an, ‚Dass! in, keinem Falle, 468 | Rudolf Heidenhaih: inet selbst wenn‘ 'die Balken. 'hohl waren, eine» Anfüllung dersel- ben durch Unterbindung der Pfortader erzielt werden konnte, lag auf‘ der Hand; denn der Durchmesser derselben: war viel geringer als der der Blutkörperchen, “Bei Injeetionen mit blauer Leimlösung sah ich‘in der grössten Zahl von Fällen; dass in’der That die Ansatzkegel der Balken nicht ‘in Com- münieation mit den Blutgefässen standen; denn während die letzteren auf das Schönste gefüllt wurden, drang in jene Ke- gel keine Injectionsmasse ein, und der helle Innenraum der letzteren setzte sich scharf gegen das’ blaue Gefässlumen ab, Unter den sehr vielen Schnitten, die ich untersuchte, habe ich aber zwei Fälle gefunden, wo es zweifellos war) dass sich ein blau injieirter Gefässast geradezu in feine‘ Canäl- chen‘ von der Breite der Balken des Balkennetzes auflöste. Ich besitze diese Präparate noch und bedauere nur, dass sich in dem Glycerin, in welchem sie aufbewahrt sind, der blaue Farbstoff fast ganz gelöst hat, so. dass die Injeetion nicht mehr deutlich erkennbar ist. Eine genaue Abbildung derselben ist in Fig. 1V und V bei 300facher Vergrösserung gegeben. Dies sind aber auch die beiden einzigen’ Fälle, in welchen 'eine Communication der Blutgefässe mit‘ den Balken ausser allem Zweifel war. Ebenso sicher war in’der Mehr- zahl der Fälle eine solche Verbindung der Lumina nicht vor- handen. Sie "hätte mir 'bei den verschiedenen Methoden der Untersuehung, die ich anwandte, "kaum 'entgehen ’können. Ich will von diesen ‘Methoden ' nur 'noch zwei 'erwähnen, Einmal versuchte ich 'nach v. Wittich’s Vorgang eine In- jeetion 'des Balkennetzes dırch Imbibition mit einer Lösung von redueirtem Indigo. Es diffundirte aber die Lösung durch den ganzen Inhalt der Follikel, so dass sieh nach erfolgter Oxydation des Farbstoffes aus der Färbung der Balken nichts schliessen liess. Zweitens stellte ich mit mehreren Thieren folgenden Versuch an. Ich verrieb in Milch Carminpulver sehr’ fein, so dass dasselbe in allerfeinste Körnchen von 'ge- ringerem Durchmesser, ‘als ‘der ‘der Elemente des’ Balken- netzes war, 'vertheilt wurde. ' Sodann spritzte 'ich'’dierothe Milch lebenden Kaninchen in (die''wena jugularis ein!" Bei Beitrag zur Anatomie. der' Peyer’schen Drüsen. 469 drei. Kaninehen fand‘ ich zahlreiche Carminkörnchen. in,'den Mesenterialvenen wieder. ‚Sie. mussten ‚mithin‘ die Darmea- pillaren durchsetzt haben. Es ‚gelang, mir aber niemals, mit erforderlicher ‚Sicherheit Carminkörnchen in den Elementen des Balkenwerkes der Peyer’schen Follikel zu‘ finden, -ob+ schon sie, in den. intrafollieulären - Capillaren. in, ziemlicher Menge vorhanden waren. Ständen letztere regelmässig in of- fener Communication mit den. Balken, so. würden sich ge- wiss öfters Carminkörnehen in‘ die letzteren: verirrt! haben. Sollte Jemand diese Versuche wiederholen wollen, so .be- merke ich, dass die Drüsen. nicht. in Chromsäure 'erhärtet werden. dürfen, weil. die Chromsäure den- rothen ‚Farbstoff entfärbt, sondern in Sublimat. Nach diesen Erfahrungen scheint es mir zweifellos, dass in’ der Mehrzahl der Fälle sich. die Bälkehen des Balkenwerkes nur ‚äusserlich an die Blutgefässe anlegen, ohne in eine, nähere Beziehung zu den- selben zu treten, dass aber in. der, That in seltenen: Fällen ein direeter Uebergang des, Lumens der Blutgefässe in die Bälkchen, die dann natürlich‘ hohl sein müssen, stattfindet. Die‘,Apposition der dreieekigen’ oder ‚conischen Enden der Bälkchen: an die Capillaren erinnert lebhaft an ein ähnliches Verhältniss in dem Schwanze der Batrachierlarven, wo stern- förmige Bindegewebszellen ihre Ausläufer an die Capillaren anlegen, um später mit. diesen in ‚offene Verbindung zu tre- ten und sich allmälig zu neuen ‚Capillaren | umzugestalten. Vielleicht dass in: den Peyer’schen Drüsen eine ähnliche Ge! fässneubildung stattfindet, deren ‚Anlage. in dem beschriebe- nen Verhalten. ‚der. Elemente des Palkeiinetzca zu ‚den ferti- ge Gefässen gegeben ist: Vergleich der Structur der, Follikel der Peyer- schen Drüsen mit der Strwetur der Alveolen in der Rindensubstanz,.der Lymphdrüsen, Ich kann diesen Gegenstand nicht verlassen, ohne etwas ausführlicher zwei Arbeiten zu berühren, ‘die mir zeitig ge- nug im Verlaufe meiner Untersuchungen in die Hand kamen, um bei meinen Beobachtungen noch berücksichtigt werden Beichert's u, du Bols-Reymond's Archiv, 1859, 3 470 Rudolf Heidenhain: zu können. Beide beziehen sich auf die intimere 'Struetur der 'Lymphdrüsen, mit 'welehen die Peyer’schen Drüsen schon so oft zusammengestellt wurden. Billroth (Beiträge zur pathologischen Histologie, Berlin 1858, 8.142 M.) verfolgte in seinen vortrefflichen patholo- gisch-anatomischen Untersuchungen die Veränderungen, 'wel- che 'er in’ den Alveolen der Rindensubstanz der Lymphdrü- sen bei der aeuten und subacuten Entzündung derselben vor- fand. In diesen Alveolen ist seit lange ein das Innere der- selben durchsetzendes' bindegewebiges Balkennetz' bekannt. Billroth sah nun bei den entzündeten Lymphdrüsen in den feinen Fasern des Balkennetzes einzelne verdiekte und kno- tig angeschwollene Stellen, besonders in den Knotenpunkten selbst und ihrer unmittelbaren Nähe. Diese anfangs leichten Anschwellungen werden immer stärker und bald unterschei- det man einen mehr oder weniger deutlich abgegrenzten run- den Körper, der ausser einem hellen, fein granulirten In- halte einige dunkle Körnchen enthält. Diese rundliehen Kör- per sind sehr lejeht, nicht allein durch den genannten In- halt, sondern auch durch die Verschiedenheit ihrer Grösse, von den deutlich als solche ausgesprochenen Kernen mit hellem klarem Inhalte und einem scharf eontourirten Kern- körperchen zu unterscheiden, wie sie normaler Weise in den Knotenpunkten des Netzwerkes liegen. Ausser diesen cen- tral in den feinen Fasern sich anscheinend entwickelnden _ Körperchen sieht man andere, die sich etwas mehr seitlich hervorbilden und so mehr den spindelförmigen Zellen in der Milz entsprechen: Billroth glaubt nun, dass es sieh hier um eine Zellenbildung durch Sprossung handle. Der in den verdickten Zellenausläufern enthaltene Körper wird aus sei- nem Lager entfernt mit Zurücklassung des letzteren als eihe Masche. Ist der Kern frei geworden, so bildet er um sich eine geringe Menge von Zellsubstanz und es ist damit die Form des. Lymphkörperchens gegeben. Billroth hält es für mög- lich, dass die beschriebene: Zellenentwieklung auch für die normale Entstehung ‘von: Lymphkörperehen in allem zum Beitrag zur Anatomie der Peyer’schen Drüsen. 471 Lymphgefässsystem gehörigen Drüsen in Ansprüch zu neh- men sei. — Die von Billroth beschriebenen Körperchen, welche in- nerhalb der Balken liegen, entsprechen offenbar den Gebil- den, die ich als runde Kerne in den Fasern des Balkennet- zes der Peyer’schen Drüsen beschrieben habe und von den grösseren ovalen Kernen unterschied. Es würde sich fra- gen, ob dieselben etwa in der von Billroth angenomme- nen Weise zur Bildung von Chyluskörperchen dienen. Ich habe dafür vorläufig gar keine Beweise finden kön- nen. Die Möglichkeit eines solchen Verhaltens muss aber im Auge behalten werden; sie wird vielleicht dadurch un- terstützt, dass, wie ich schon oben erwähnte, die Zahl jener Körperchen zu verschiedenen Zeiten sehr verschieden gefun- den wird, so dass sie in den Bälkchen zu entstehen und wieder zu verschwinden scheinen. Die zweite Arbeit, welche unsere Berücksichtigung ver- dient, ist die unter Virchow’s Auspicien geschriebene Dis- sertation von G. Eckard: De glandularum Iymphaticarum straetura. Berolini 1858. Eckard beschreibt zunächst das in den Lymphdrüsen befindliche Balkennetz abweichend von Kölliker, welcher in demselben sternförmige, durch ihre Ausläufer communicirende Zellen als constituirende Elemente wahrgenommen hatte. Solche Zellen fand Eckard nur in Eymphdrüsen des Fötus, nicht in denen des Erwachsenen, bei welchen das Balkennetz durch überall gleich breite, nir- gends mit kernhaltigen Anschwellungen versehene Balken ge- bildet werden soll. Aus meinen obigen Beschreibungen er- giebt sich, dass das Balkennetz der Peyer’schen Follikel von Thieren in seiner Structur nicht den Angaben Bekard’s, sondern denen Köllikers betreffs der Lymphdrüsenalveolen entspricht. “WViel wichtiger als dieser Punct ist ein zweiter, welcher das Hauptergebniss der Eckard’schen Untersuchung bildet. Eckard glaubt sich überzeugt zu haben, dass das Balken- tietz der Lymphdrüsen-Alveolen folgende Rolle spielt: „Sy- steina est canaliüm, cujus lumen cum lumine capillarium 3ı* 472 Rudolf Heidenhain: systematis sanguiferi direetum commereium alit, i.e. plexus va- sorum serosorum, qui humorem nutritium inter cellulas lympha- ticas arctissime constipatas, quarum mirus numerus glandulam implet, dedueit, quo fit, ut inter eas atque sanguinem tam alacris materiarum vieissitudo effieiatur, quam ‘summa glan- dularum actio plastica, statui jubet.“ Bei der offenkundigen Uebereinstimmung der Takes senalveolen und der Peyer’schen Follikel, bei der immer mehr und mehr in der Physiologie sich einbürgernden Ueber- zeugung, dass die Peyer’schen Drüsen die Bedeutung, von Lymphdrüsen haben, würde es überraschen, wenn ‚es sich fände, dass in den Alveolen der Lymphdrüsen ganz allge- mein die Bälkchen des Balkennetzes Hohlcanäle darstellten, die in offener Communication mit den Blutgefässen ständen, während in den Peyer’schen Follikeln, wie ich entschieden behaupten muss, im Normalzustand die Mehrzahl der Balken sich nur äusserlich an die Gefässe anlegt, ohne in Lumen- Zusammenhang mit denselben zu treten, und nur in sehr sel- tenen Fällen ein Uebergang von Capillarästen in jene Bälk- chen stattfindet. Hier erhebt sich, wie es scheint, ein Wider- spruch, den erst spätere Untersuchungen aufklären ‚müssen. Nach meinen Untersuchungen an den Peyer’schen Follikeln vermuthe ich, dass Eckard aus seinen Beobachtungen zu schnell die angeführten Schlüsse gezogen hat. Darauf führt mich eine genauere Kritik ‚der Beobachtungen Eckards; Es sind vorzüglich drei Fälle, auf welche Eckard seine oben ausführlich mitgetheilte Ansicht stützt. Die Abbildung No. 1. von Eckard zeigt allerdings bei a einen directen Uebergang einer Capillare in die Bälkchen des Balkennetzes, ein Fall, der ganz meiner Fig. IV. entspricht, Wenn aber Eekard bei b den Ansatz eines Bälkchens an ein Capillargefäss ab- bildet, so ist damit keineswegs ein Lumen-Zusammenhang sicher nachgewiesen, wie meine Auseinandersetzungen über die ähnlichen Verhältnisse in den Peyer’schen Follikeln darthun (vgl. meine Fig. III.). Es wäre somit ein wirklicher Zusammenhang der in Rede stehenden Elemente nur durch Fig. I,a nachgewiesen, Die übrigen Fälle, auf welche Beitrag zur Anatomie der Peyer’schen Drüsen. 473 Eckard sich stützt, sind pathologische. So sah er in einer Lymphdrüse (von einem Menschen, der an chronischer Tu- bereulose gestorben war), welche sich lange im Zustande der Stasis befunden hatte, fast auf jedem Schnitte Capillaräste sich in die Bälkchen des Balkennetzes auflösen. Er bildet mehrere Beispiele einer solehen Auflösung in Fig. III. ab. Der zweite Fall einer offenbaren allgemeinen Permeabilität des Balkennetzes betrifft eine Mesenterialdrüse eines Men- schen, der an chronischem Diekdarmkatarrh gelitten hatte. Es zeigte sich hier in den Bälkchen ein krümlicher Inhalt, ähnlich feinen Fettkörnchen des Chylus, welcher sich bei künstlicher Zerreissung der Bälkchen entleeren liess. Ob nun aus diesen pathologischen Beobachtungen ein Rückschluss auf das physiologische Verhalten zu machen und damit eine wichtige Texturverschiedenheit zwischen den Alveolen der Lymphdrüsen und den Peyer’schen Follikeln zu statuiren sei, lasse ich dahingestell. Mir scheint es am wahrschein- lichsten, dass die Bälkchen in beiden Drüsenarten sich gleich verhalten werden, dass im Normalzustande in beiden diesel- ben der Regel nach ausser Lumen -Zusammenhang mit den Blutgefässen stehen, aber leicht mit denselben in Verbindung freten, um zur Gefässneubildung zu dienen. Daher die ver- einzelten Fälle, in welchen ich in den Peyer’schen Folli- keln einen Uebergang der Capillaren in die Bälkchen nach- weisen konnte'und daher, wie es scheint,. das, häufige oder unter Umständen selbst ganz allgemeine Auftreten dieses Zusammenhanges in pathologisch erkrankten Lymphdrüsen. Zur Prüfung dieser Ansicht, die ich durchaus nicht als richtig, sondern nur als wahrscheinlich aufgestellt haben will, müssten zahlreichere Uutersuchungen einerseits an normalen Lymph- drüsen, andererseits an erkrankten Peyer’schen Follikeln vorgenommen werden.!) 1) Vorliegende Arbeit war bereits fertig, als im 8. Bande des Ar- ehivs für physiologische Heilkunde ein Aufsatz von Führer „über einige Auswege des Blutumlaufes“ erschien, welcher die sehr wunder- bare Behauptung aufstellt, dass es für Blut- und Lymphgefüsse einen gemeinsamen Oapillarbezirk (plasmatische Gefässe) gebe, der eine di- 474 Rudolf Heidenhain: Anhang: Ueber die Ein würfe Kölliker’s gegen meine die Structur der Darmschleimhaut betreffenden Angaben.- Meine oben am Eingange dieser. Arbeit erwähnten An- sichten ‚über die Structur des Darmepithels und die Fettab- sorption sind neuerdings von Kölliker bezweifelt worden (s. ‚dessen Gewebelehre, 3. Aufl. 42 ff.). Bei der. grossen Autorität, welche Kölliker als Mikroskopiker in der Wissenschaft geniesst, musste mich dessen , Widerspruch zu. erneuter Untersuchung der von ihm bestrittenen Puncte auffordern. Dadurch bin, ich aber in meinen früheren Ansichten nur bestärkt worden, und sehe mich genöthigt, dieselben Kölliker gegenüber auf. das Entschiedenste ‚zu vertheidigen. Zur Erleichterüng dieser Discussion ist es recte Communication beider Gefässprovinzen herstelle. Die etwaigen Anhänger der neuen, sehr schwach begründeten Lehre Führer’s dürften in den von mir beschriebenen Bälkchen der Peyer’schen Drüsen-Elemente jenes System „plasmatischer Gefässe“ sehen. Mit um so grösserem Nachdrucke muss ich betonen, dass im normalen Zu- stande ein Lumen-Zusammenhang zwischen denBälkehen und den Capil- laren durchaus nicht als Regel nachgewiesen werden kann, Seit dem Beginne des Sommer-Semesters habe ich meinen Assistenten, Herrn Dr. Schweigger-Seidel veranlasst, in Verbindung mit Herrn stud. med. Rohowsky eine neue Zahl von Versuchen mit Einspritzung von Milch in welcher Carmin auf's Feinste verrieben wurde, in die Jugularvene lebender T'hiere anzustellen. ‘Wir haben bis jetzt niemals Carmin- körneben in die Bälkchen der Peyer’schen Follikel übergehen sehen, obgleich der Farbestoff durch alle Capillarbezirke des Körpers ver- breitet war. Die weiteren Resultate dieser Versuche, die zugleich zur Controlle der von Führer für sich benutzten bekannten Herbst’- schen Experimente dienen, werden später ausführlich mitgetheilt 'wer- den. Vorläufig sei nur bemerkt, dass in den wenigen Fällen, in denen bisher die in die Vene eingespritzten Substanzen in den Lymphgefässen, und im Ducetus thoracicus wiedergefunden wurden, capilläre Extra- vasate in verschiedenen Organen, z. B. in den Muskeln, in den Lymph- drüsen vorhanden waren, die dann freilich den Uebergang des körnigen Carmins aus dem Blut in die Lymphe sehr erklärlich machen, ohne dass man nöthig hat,'mit Führer eine normale directe Communication der Capillarbezirke beider Gefässprovinzen anzunehmen. Beitrag zur Anatomie der Peyer'schen Drüsen. 475 zweckmässig, die von mir früherhin behaupteten Thatsachen und die aus ihnen abgeleiteten Schlüsse noch einmal zusam- men zu. stellen. Ich habe als Thatsachen aufgestellt: 1) Dass die Epithelialzellen des Darmeanals beim Frosche und bei Säugethieren an ihrem hinteren Ende in dünne Aus- läufer übergehen. 2) Dass nicht selten an diesen Ausläufern kernhaltige An- schwellungen gesehen werden, welche ihrerseits wiederum Fortsätze entsenden. 3) Dass nach Fettfütterung das Fett aus den Epithelial- zellen in die Fortsätze und die an ihnen befindlichen kern- haltigen Anschwellungen (Zellen) übergeht. Hieraus habe ich gefolgert, dass die Ausläufer hohl sind, dass also das Fett bei seinem Vordringen aus den Epithe- lialzellen in das Schleimhautparenchym am hinteren Ende jener Zellen nicht eine geschlossene Zellmembran zu durch- setzen habe, sondern daselbst offene präformirte Wege finde, 4) Dass in dem Parenchym der Schleimhaut des Frosches und der Zotten der Säugethiere eine grosse Menge dicht an einander gelegner, durch Fortsätze unter einander zusammen- hängender Zellen befindlich sei, welehe, bis dicht unter das Epithel reichen, — eine Thatsache, die Kölliker zugeben zu wollen scheint, 5) Dass nach Fettfütterung diese Zellen mit Fett ange- füllt seien. Hieraus habe ich geschlossen 1) dass die Epithelialzellen durch ihre Fortsätze, welche nicht selten mit Zellen (kern- haltigen Anschwellungen) in Verbindung gesehen werden, in Communication mit jenem anastomosirenden Zellennetze ste- hen; 2) dass dieses letztere als der Anfang der Chylusge- fässe anzusehen sei. Dabei habe ich zu bemerken nicht unterlassen, dass es mir bisher nicht geglückt sei, den direeten Uebergang der Parenchymzellen und ihrer Fortsätze in wirkliche, Chylusge- füsse zu finden. Kölliker wendet sich nun thejls gegen die von mir ge- 476 Rudolf Heidenhain: 1 fündenen Thatsachen, theils gegen die aus ihnen gezogenen Schlüsse. Ich werde seine Einwände einzeln beleuchten: Kölliker erklärt die von mir beschriebenen Ausläufer der Epithelialzellen für Artefaete.” Dafür hatte er mehrere Gründe: . a. Ein negativer Grund ist der, dass Kölliker in „un- schädlichen Lösungen, d. h. solchen, welche ‘die Epithelial- zellen weder schrumpfen noch aufquellen machen, die Aus- läufer nicht finden konnte“. Meiner Ueberzeugung nach hegt dies einzig und allein daran, dass Kölliker sich nicht Zeit genug nahm, nach den Ausläufern zu suchen. Dass die Epithelialzellen eines frischen Darmes bei Säugethieren sich nicht isoliren lassen, wissen die Histologen längst.‘ Beim Frosche aber gelingt eine solche Isolation, und wenn man mit ausreichender Geduld Schleimhautstückehen des Froseh- darmes in humor aqueus oder Eiweiss durch Zerzupfen un- tersucht, so wird man an einzelnen Zellen immer die Aus- läufer finden. Ich habe in meiner ersten Abhandlung nicht angeführt, dass ich die hellen Stunden von 14 Wintertagen daran gesetzt habe, um mir die Gewissheit zu verschaffen, dass auch in jenen „unschädlichen* Flüssigkeiten die Aus- läufer zu sehen sind; hätte ich dies angeführt, so hätte Köl- liker meiner Angabe vielleicht mehr Zutrauen geschenkt. Hierzu lag, wie es mir scheint, die Aufforderung schön darin, dass in Fig. II. meiner Abhandlung von einem un- parteiischen Zeugen, Dr. Rich. Volkmann, Zellen mit Ausläufern nach Präparaten, die in Eiweiss und humor aqueus gewonnen worden waren, abgebildet worden sind. Kölli- ker kann unmöglich angenommen haben, dass hier Dinge gezeichnet seien, die nicht gesehen worden sind, und wenn diese meine Voraussetzung zweifelsohne richtig ist, so weiss ich überhaupt nicht, wie Kölliker den in Rede stehenden Einwurf aufstellen konnte. Freilich gebe ich ihm Recht, dass es in unschädlichen Flüssigkeiten nicht bloss, wie’ er sich ausdrückt, gelingt, die Zellen anders zu sehen, als sie abgebildet sind, sondern dass man sogar die überwiegende Mehrzahl der Zellen anders, d, h, ohne Ausläufer sieht. Das Beitrag zur Anatomie der Peyer’schen Drüsen. 477 liegt aber daran, dass die Ausläufer ausserordentlich leicht abreissen, wenn die Epithelialzellen nicht durch erhärtende Flüssigkeiten einen grösseren Grad von Resistenz bekom- men haben. b. Kölliker deutet an, dass nur nach Behandlung der Darmschleimhaut mit solchen Flüssigkeiten, welche die Epi- thelialzellen aufquellen oder schrumpfen machen, Anhänge an diesen auftreten, dass die letzteren also als Artefacte an- zusehen seien.') Wie soll aber eine Zelle, welche aufquillt, d. h. deren flüssiger Inhalt sich vermehrt, an einem Theile dünner werden? Das ist physikalisch nicht recht verständ- lieb. Denn wenn im Inneren eines Hohleylinders oder Hohl- kegels, wie Kölliker die Epithelialzellen abbildet, eine Druckvermehrung stattfindet, so muss nothwendig eine der- artige Formänderung eintreten, dass der Cylinder oder der Kegel sich der Kugelform anzunähern strebe; dass, wenn ein Theil der Zelle kugelförmig wird, ein anderer Theil fa- denförmige Gestalt annehmen soll, ist physikalisch nicht halt- bar. Kölliker bildet ja auch auf Seite 422, Fig. 226 D. durch Wasser aufgequollene Epithelialzellen ab, welche voll- kommen kugelförmig sind. Wenn es sich trotzdem nach- weisen lässt, dass Epithelialzellen, die in gewissen Flüssig- keiten stark aufgequollen sind, an ihrem hinteren Ende lange Ausläufer zeigen, so können diese letzteren unmöglich auf Rechnung der Präparation gesetzt werden. In der That kann man an Epithelialzellen von Säugethierdärmen, z. B. von Hundedärmen, wenn man dieselben in Chromsäurelösungen von einer gewissen Ooncentration erhärtet, beobachten, dass die Zellkörper bis annähernd zur Kugelform aufquellen, während gleichwohl an ihrem hinteren Ende dünne Ausläu- fer von fast derselben Länge wie’ die Zellkörper vorhanden 1) Beiläufig sei bemerkt, dass mich neuere’ Versuche als die pas- sendste Flüssigkeit zur Untersuchung der Epithelialzellen des Frosches eine Lösung von Kali bichromienm kennen gelehrt haben, die nicht, wie ich früher angab, kalt gesättigt ist, sondern so bereitet wurde, dass ich 100 Cem. einer Lösung von doppelt chromsaurem Kali, die 20 Gr. auf die Unze enthielt, auf 133 Cem. mit Wasser verdännte, 478 Rudolf Heidenhain: sind.; Vgl. Fig. VII, Die Chromsäurelösung hat hier den doppelten Einfluss, eine Volumzunahme des. Zelleninhaltes dureh. Diffusion und dadurch ein. Aufquellen des Zellkörpers zu bewirken und gleichzeitig die Zellen so resistent.!zu ma- chen, dass die Ausläufer nicht abreissen. e. Kölliker giebt ferner an, ‚die von. mir. beschriebenen Ausläufer seien nieht eylindrische 'Anhangscanäle, ‘der Zellen, sondern man überzeuge sich durch Rollen. der Zellen, dass die „meisten“ Zellen am inneren Ende abgeplattet, sind, und nur dann fadenförmig ‚und gestielt erscheinen, wenn sie dem Beobachter die Kante zukehren, Die fadenförmige Form sei auch schon aus dem Grunde nicht wohl möglich, weil dann in. den. tieferen Lagen der Epithelialschicht viele leere Räume sich finden müssten, von denen die Beobachtung Nichts ergebe. Ich habe bei meiner ersten Veröffentlichung in. M oleschott’s Untersuchungen. die Form der Epithelial- zellen nach ausserordentlich zahlreichen; Fällen, die;ich vor mir gehabt, beschrieben und war daher nicht wenig frappirt, bei Kölliker zu lesen, dass ich mich über die Natur der Ausläufer so getäuscht haben sollte. Ich ‚habe neuerdings mit Rücksicht auf diesen Punkt die früheren Untersuchungen revidirt und bin zu keinem anderen ‚Ergebnisse ‚gekommen, als dem ersten, dass da, wo man wirklich Zellen mit langen Ausläufern hat, dieselben nabezu cylindrisch sind und. nicht etwa nur abgeplattete und von der Kante gesehene Zellen- enden die Form eylindrischer Ausläufer vorspiegeln. . Ja, es triflt sogar, wie mich neuere Untersuchungen lehren, die Folgerung zu, welche Kölliker aus einer eylindrischen Form der Zellenausläufer als nothwendig ableitet, die, Folgerung nämlich, dass in den tieferen Lagen der Epithelialsehicht ‚sich Zwischenräume zwischen den Ausläufern finden. Diese sind freilich nicht leer, sondern ausgefüllt durch die Zellen des subepithelialen Gewebes, die sich von. innen her zwischen die dünnen Ausläufer der Epithelialzellen hineindrängen. Bei Froschdärmen, die in Kali bichromicum erhärtet sind, ge- lingt es oft, die Epithelialzellen reihenweise abzustreifen; man sieht dann zwischen den ‚hinteren Enden der Ausläufer Beitrag zur Anatomie der Peyer'schen Drüsen. 479 nicht selten Lücken. Diese ‚entstehen dadurch, dass die Zel- len. des subepithelialen Gewebes, welche in den Lücken ge- legen sind, bei der Präparation. von ihrem Orte weichen. Auf gelungenen Durchschnitten: von Darmzotten des Hundes sieht man ferner ‚aus der Epithelialschicht die Ausläufer kom- men und sich nach den tieferen Theilen der ‚Zotte, begeben, während zwischen ihnen Lücken bleiben, die zum Theil durch eine helle homogene Substanz, zum Theil durch Zellen des subepithelialen Gewebes ausgefüllt sind, Man kann bei einer unglücklichen Richtung ‚des Schnittes freilich zu einer ganz anderen Ansicht kommen. :Oft-fällt der Schnitt nicht parallel der Richtung der Ausläufer ,„ sondern trifft dieselben nahe den Zellkörpern und trennt sie von diesen; dann gewinnt es den Anschein, als seien die letzteren hinten scharf begrenzt und als sässen sie mit breiter Basis auf der Zotte auf. Bei glücklicher Richtung des Schnittes wird dieser täu- schende Anschein vermieden. Man vergl. mit dieser Be- schreibung Fig. VII. Nach allem Mitgetheilten kann ich die Einwürfe Kölli- ker’s gegen meine frühere Ansicht nicht gelten lassen. Ich halte um so mehr an derselben fest, als mir von anderer Seite bestätigende Beobachtungen zugekommen ‚sind. Vir- chow theilte mir mündlich mit, dass er in menschlichen Darmzotten, welche sich im Zustande der Resorption befan- den, das Fett in den zelligen Elementen des Zottenparen- chyms gesehen habe. Lambl ferner, (Prager Vierteljahrs- schrift 1859 Bd. I.: Ueber mikroskopische Untersuchung der Darmexerete) äussert sich in Bezug auf mehrere Punkte in wesentlicher Uebereinstimmung mit meinen Beobachtungen. Er beschreibt das subepitheliale Gewebe als bestehend aus einer hyalinen: Grundsubstanz, worin. feine Streifen (Röhr- chen), glänzende polymorphe Körperchen (embryonale Kerne) und einfache kernhaltige Bläschen (Formationszellen) zur Beobachtung kommen. Die letzteren Formelemente würden theils bei ihrer weiteren Entwickelung zu den Cylinder-Epi- 480 Rudolf Heidenhain: Beitrag zur Anatomie u. & w. thelien, theils zu Parenchymzellen und Bindegewebskörper- chen, zu bleibenden und productiven Elementartheilen des Stützgewebes, welches in unmittelbarer Communication mit den mikroskopischen Resorptionsorganen die Fortleitung der Flüssigkeiten nach dem Centrum hin 'ermöglicht. In einer Anmerkung fügt Lamb] hinzu, er habe in Cystosarkomen die instruetivsten Belege für die unmittelbare (Röhren-) Com- munjeation der Cylinderepithelien mit den Bindegewebskör- perchen gefunden. In seiner Fig. 8c. bildet Lamb1 ferner Epithelialzellen des Darmes, mit Fett gefüllt, ab, die am hinteren Ende (hier freilich ziemlich kurz abgerissene) Aus- läufer tragen. Wie die beiden angeführten Beobachter we- sentliche Punkte meiner früheren Angaben bestätigen, so wird, hoffe ich, auch Kölliker später zu einer Ueberein- stimmung mit mir gelangen, wenn er den angeregten Fragen seine Aufmerksamkeit von Neuem undin grösserem Maasse, als bisher, zuwendet. Erklärung der Tab. XIll. Fig. 1.—V. verdanke ich Herrn Prof. Volkmann in Halle, Fig. VI. und VII. Herrn Dr. Schweigger-Seidel. Fig. I. Längsdurchschnitt durch einen Follikel des Processus ver- miformis vom Kaninchen, Gefässe durch Pfortader-Unterbindung wit Blut gefüllt. Zwischen dem detaillirt gezeichneten Follikel a und dem nur in seinen Contouren angegebenen Follikel b ist ein zottenförmiger Körper zu sehen, der jedoch in seinem Baue von den Dünndarmzotten wesentlich abweicht. Chromsäurepräparat. Fig. II. Das Balkennetz im Inneren des Follikels. Vgl. S. 464. Fig. II. Eigenthümlicher Zusammenhang zwischen den Elementen des Balkennetzes und den Capillaren. S. S. 466. Fig. IV. und V. Zwei Fälle, in denen sich ein Gefässästchen in die Elemente des Balkennetzes auflöst. S. S. 468. Fig. VI. Theil eines Zottenquerschnittes. S. S. 479, Fig. VII Stark aufgequollene Epithelialzellen des Dünndarmes, mit langen Fortsätzen versehen. S. S. 478. Hoyer: Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge u. s. w. 481 Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches. Von Dr. Hoyer. (Hierzu Taf. XIV.) Die von Eckhard!) und A. Ecker?) vor vier Jahren angeregte Idee eines Zusammenhanges der letzten Endigun- gen der Olfactoriusfasern mit den Epithelialzellen der Nasen- schleimhaut hat zu den folgenreichsten Untersuchungen An- lass gegeben. Die wichtigste Arbeit in dieser Hinsicht ist die von Max Schultze®), der mit der grössten Sorgfalt untersucht und in seiner mit ausgezeichneter Klarheit abge- fassten Abhandlung den Zusammenhang der Olfactoriusfasern mit zwischen den gewöhnlichen Epithelialzellen befindlichen besonderen nervösen Bildungen — den sogenannten Rjech- zellen — nachzuweisen gesucht hat. Auf die weiteren den- selben Gegenstand betreffenden, theils bestätigenden, theils widerlegenden Abhandlungen einzugehen, ist hier nicht der Ort. Dagegen ist zu erwähnen, dass die Beobachtungen von Max Schultze den Anstoss gegeben haben zur näheren 1) C. Eckhard. Beiträge zur Anatomie und Physiologie. I. Heft. Giessen 1855. 2) A. Ecker, „Ueber das Epithelium der Riechschleimhaut and die wahrscheinliche Endigung des Geruchsnerven beim Menschen.“ In den Berichten über die Verhandlungen ‚der Gesellschaft zur Beförde- rung der Naturwissenschaften zu; Freiburg i. B, Novbr, 1855. „Ueber die ‚Geruchsschleimhaut des Menschen.“ In Kölliker’sund v.Sie- boldt’s Zeitschrift, Band VIII. 2. Heft (1856). 3) Ueber die Endigungsweise der Geruchsnerven und die Epithe- linlgebilde der Nasenschleimhaut.“ Im Monatsbericht der Königl. Aka- demie der Wissenschaften zu Berlin, vom Novbr. 1856, 488 Hoyer: dariq iM :1svoH Erforschung anderer Organe, an denen sich ähnliche Ver- hältnisse vermuthen liessen, und dass in der That schon M. Schultze selbst analoge Erscheinungen in der Ausbreitung des N. acusticus aufgefunden zu haben glaubt.!) Ferner hat Billroth, von derselben Idee ausgehend, die Zunge des Frosches einer genaueren Untersuchung unterworfen und über die gefundenen Resultate zwei Abhandlungen veröffent- licht.?) Billroth’s Arbeiter haben mich zu den nachfolgend zu beschreibenden Untersuchungen veranlasst. Bezüglich der Literatur beschräuke ich mich auf eine kurze Zusammenstellung der wesentlichsten neueren Beob- achtungen, da nur diese allein für die Beleuchtung der zu behandelnden Fragen von Wichtigkeit sind; die Einzelnheiten werden bei der Besprechung der besonderen Verhältnisse Er- wähnung finden. — Billroth®) unterscheidet an der Schleimhaut der Frosch- zunge zwei Arten von Papillen, breite nervenhalfige und schmale nervenlöse. Die breiten haben alle wesentlich gleiche Form, die schmalen zeigen verschiedene Modificationen der Grundform. Zwischen den dicht an einander gedrängten Pa- pillen finden sich zahlreiche schlauchförmige mit Cylinder- epithel ausgekleidete Drüsen. Das Substrat der Papillen ist Bindegewebe, bestehend aus Fasern und zwar aus Paren- chym- und aus Cytoblastemfasern d. h. aus zerfaserter Grund- substanz und in Fasern übergegangenen Bindegewebskörpern. Ausser diesen beiden Arten kommt noch eine dritte Art von Fasern im Bindegewebe des Substrates vor: die als kleinste Sebnen von Billroth angesprochenen Endigungen der in die Papillen hineintretenden Muskelfasern. Die letzteren 1) „Ueber die Endigungsweise der Hörnerven im Labyrinth,“ Müller's Archiv 1858. S. 343. 2) Ueber die Epithelialzellen und die Endigungen der Muskel- und Nervenfasern in der Zunge.“ Von Dr. Theodör Billröth in Gö- schen’s „Deutscher Klinik“. 1857. No. 21.— Und: „Ueber die Epi- thelialzellen der Froschzunge, so wie über den ‘Bau der Oylinder- und Flimmerepithelien und ihr Verhältniss zum Bindegewebe. Yon Dr. Th. Billrotb. Müller’s Archiv, Jahrgang‘ 1858. S. 159. 3)-A.» © Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches. 483 steigen nämlich isolirt aus der Muskelschicht der Zurige zur Oberfläche der Schleimhaut empor, theilen sich auf dem Wege vielfach in feinere Aeste, verschmälern sich immer mehr und mehr und gehen 'theils schon in der Tiefe (der Schleimhaut; theils erst an der Basis der nervenlösen Papillen allmälig sich zuspitzend in feine dunkle Fasern über, in denen läng- lich ovale: sehr grosse Kerne liegen, die schon im letzten Theile der 'Muskelfaser sehr an Umfang zugenommen haben; in die nervenhaltigen 'Päpillen steigen die Muskelfasern als solehe weit hinauf, verhalten sich aber im Uebrigen wie die Muskelfasern bei den anderen Papillen. Die Kerne der Fa- sern haben seitliche Aeste, mittelst deren sie mit anderen derartigen Kernen (Zellen?) anastomosiren. Die Endigutig der Nervenfasern hat Billroth, wie er meint, nicht beob- achtet; er hat mur gefunden, dass sie in einem. dünnen Stämmchen aufsteigen und dicht unter der Oberfläche der breiten Papillen ihre doppelten Contouren verlieren und sich zuspitzen; seiner Vermuthung nach hängen sie mit den zu beschreibenden, die breite Endfläche der Papillen bedecken- den Epithelialzellen vermittelst feinster Fasern zusammen; Endumbiegungsschlingen bilden sich nieht. Ausser an dieser erwähnten Stelle sind sowohl die breiten, als auch die schma- len Papillen mit einem geschiehteten flimmernden Öylinder- epithel bedeckt und zwar so, dass die’ obersten Zellen an ihrem’ breiten freien Ende Cilien tragen, mit ihrem schmalen Fortsatz 'in’s Substrat der Sehleimhaut hineindringen; die unteren Zellen reichen mit ihrem freien, schmalen, öfter ab- gestumpften Ende zwischen ‘die oberen Zellen; mit ihrem feinen‘ Portsatz inseriren sie sich gleichfalls in’s Substrat; im’ letzteren sollen sich die Fortsätze mit. den „Cytoblastem- fasern* verbinden. ‘Die der breiten Endfläche der' nervenhal- tigen Papillen' aufsitzenden Zellen sind eilienlos, trennen sich schwer vom Substrat, haben an ihrem freien Ende eigenthüm- liche Bildungen und selbst Theilungen, ferner einen Kern und mehrfach getheilte Fortsätze, die unter einander innig verflochten sind und fest zusammenhängen, — Auf die von Billroth an Epithelien überhaupt gemachten vielfachen Be- 484 { i Hoyer: tn) ro obachtungen werden. wir, bei der speciellen. Besprechung, die- ses Gegenstandes. näher eingehen, Eine ‚durch, Billroth’s erste Abhandlung ee Arbeit ist die von Fixen.') Derselbe; hat fleissig, und mit Umsicht untersucht ‚und giebt ganz schätzenswerthe Beob- tungen; auf ‚die von, Billroth angeregte ‚Frage, über den eontinuirlichen Zusammenhang von; Muskelfasern , ‚Bindege- webe und Epithelien geht er ‚aber nicht. ein, Auch in Bezug auf Fixens Abhandlung muss ich, mich, auf die Erwähnung der für die Entscheidung der Streitfragen wichtigen, Punkte beschränken; auf: die übrigen Beobachtungen ‚werde ich spä- terhin zurückkommen. Fixen unterscheidet an der’ Frosch- zunge gleichfalls zwei Arten von: Papillen; fungiformes.d, s, die. breiten nervenhaltigen, und: filiformes oder die” ner- venlosen. . Die breiten enthalten eine Gefässschlinge, die, am oberen Ende‘ ‚einen, Sförmigen Knäul bildet; ‚die, schmalen haben ‚höchstens an der Basis eine einfache Schlinge; In’ die breiten tritt aus dem maschenreichen ‚N. glossopharyngeus ein Stämmchen von. 6—10 doppeltcontourirten Nervenfasern hinein und verläuft in: der Mitte bis dieht unter die Endfläche der Papillen, wo die’ allmälig einfach contourirt gewordenen Fasern nach verschiedenen ‚Seiten ‚auseinanderweichen! und innerhalb des Bindegewebssubstrates blind endigen, entweder kolbig angeschwollen ‚oder ‚gerade abgeschnitten oder ein |we- nig, zugespitzt; ein Zusammenhang zwischen Epithel und. Ner- ven existirt nicht!! In die breiten wie, indie schmalen Pa- pillen. treten Muskelfasern: hinein ‚ die ‚sich vielfach theilen, zuspitzen und, in feinste Fasern übergehend,, nach der, Ober- fläche 'sich. verlieren; in, den ersteren liegen sie mehr, nach der Peripherie zu, in den. letzteren dagegen ‚gerade in! der Mitte. — Dies Epithel zeigt überall Flimmerbewegung,, ‚mit Ausnahme: der becherförmig vertieften Endfläche der Papillae fungiformes. , Die Epithelialzellen dieser. Stelle ‚sollen ‚sich von. denen ‚der übrigen Zungenoberfläche ‚durchaus nicht, un- 1) Carolus Fixeu. De linguae raninae textura disqtisitiones microscopieae. Diss. inaug. Dorpati Livonor. 1857. lio Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches. 485 terscheiden; ihre von Leydig') beobachtete 'gelbliche Fär- bung erklärt er als durch den Widerschein von, darunter liegenden Gefässknäueln bewirkt. Der Bau der Epithelialzellen ist überall wesentlich eiu gleicher. Es werden zwei Formen derselben unterschieden, eine spindelförmige und eine eylin- drische, beide mit feinen Fortsätzen versehen, mittelst deren sie am Substrat sich inseriren. Die Spindelzellen bilden die tiefere, die Cylinderzellen die oberflächliche eilientragende Schicht; an den kleinen Papillen soll auch ein einschichtiges Epithel vorkommen. Verfasser will mehrfach beobachtet ha- ben, dass die Fortsätze der Spindelzellen mit dem freien Fortsatz der Cylinderzellen zusammenbhingen, « Viele Cylin- derzellen hatten auch getheilte (zwei) Fortsätze. Die Mus- keln liegen innerhalb der Papillen, rings umgeben. von Bin- degewebe und es lässt sich durchaus, kein Zusammenhang zwischen Muskelfasern und Epithelialzellen wahrnehmen. — Zwischen den Papillen senken sich zahlreiche, einfach schlauch- förmige, mit (wahrscheinlich eilienlosen) Cylinderzellen ‚aus+ gekleidete Drüsen in’s Substrat; ihr Cylinderepithel geht con- tinuirlich in das der Papillen über. Leydig?) giebt an, dass die ganze Rachenschleimhaut der Batrachier mit geschichtetem Flimmerepithel versehen‘ sei; nur die vertiefte Fläche der Papillae fungiformes der Zunge besitzt cilienlose, dunklere, mit feingranulirtem gelblichem Inhalt versehene Cylinderzellen, Die Epithelzellen der Ra- chenhöhlen bei Batrachiern scheiden sich in, helle und: in solche, welche mit eiweissartigen Kügelehen angefüllt sind, Die Froschzunge hat eine der elliptisehen sich annähernde Form; das eine Ende ist am vorderen Theil des Unterkiefers befestigt, das andere in zwei kurze stumpfe Fortsätze auslau- fende Ende ragt frei in die Rachenhöhle hinein. : Die untere Fläche ist nur an ihrer hinteren Hälfte frei und erscheint mit einer glatten Haut bekleidet; nach vorn zu stehtsie mit den 1) Lehrbuch der Histologie. - Frankfurt 1857. 1) Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. S. 307, Reicherts u, du Bois-Reymond's Archiv. 1859. 32 486 Hoyer: iM Weichtheilen des Mundes im Zusammenhange, es treten dort die Muskeln, Nerven und Gefässe in die Zunge hinein. Die obere Fläche erscheint dem blössen Auge sammetartig, mit zahlreichen regelmässig vertheilten weisslichen Punkten ver- sehen, die unter der Loupe als kleine Wärzchen sich dar- stellen und nach Behandlung mit Chromsäure über die Um- gebung ein wenig hervorragen. Ueber das gröbere anato- mische Verhalten der Muskeln, Nerven und Gefässe habe ich keine genaueren Untersuchungen angestellt; ich verweise in dieser Beziehung auf die Abhandlungen von Burdach!) und Fixen.!) Auf Querschnitten durch die ganze Zunge fand ich an den meisten zwei Schichten von Muskelfasern; die stärkere diekere untere Schicht verläuft von vorn nach hin- ten in der Längsaxe der Zunge, die obere dünnere Schicht besteht aus querlaufenden Fasern; aus beiden Schichten, aus der unteren jedoch spärlicher, steigen zahlreiche Fasern ge- gen die obere Zungenfläche senkrecht auf. An einigen Stel- len der Zunge findet sich noch eine dritte unterste Muskel- schicht, deren sparsame Fasern gleich den oberen quer ver- laufen. Ferner beobachtete ich auf Quer- und Längsschnitten, dass zwei Hauptnervenstämme von ziemlicher Dieke nahe der Mittellinie der Zunge unterhalb der Längsmuskelfaser- schicht parallel neben einander von vorn nach hinten ver- laufen, durch Abgabe zahlreicher Seitenzweige allmälig dün- ner werdend. Neben den Querschnitten der beiden grossen Stämme finden sich stets mehrere Querschnitte dünnerer Ner- ven, vielleicht der N. N. hypoglossi von Burdach.') Aeste der Nervenstämme sieht man durch die Muskelschieht hin- durchtreten und oberhalb derselben ein ziemlich engmaschi- ges Geflecht bilden, von dem aus ziemlich senkrecht zahl- reiche kleinste Aestchen zu den breiten Papillen emporsteigen. Auch die Gefässverzweigungen formiren in der Zunge ein 1) Dr. Ernst Burdach. Beitrag, zur mikroskopischen Anatomie der Nerven. Königsberg 1837. S. 61. 1 2) De linguae raninae textura ete. S. 8 3) A. a. 0. Mikroskopische Untersuchüngen über die Zunge des Frosches. 487 ziemlich dichtes Netz und schicken zahlreiche grössere und "kleinere Capillarschlingen zur Oberfläche empor. Von einer besonderen Schleimhaut der Zunge kann man eigentlich nicht sprechen, denn die bindegewebige Grundlage derselben bildet ein continuirliches Ganzes, die Muskelbündel verlaufen gewissermassen nur in den Maschenräumen des Substrats, in ähnlicher Weise wie die Gefässe und Nerven; ein gleiches Verhalten findet sich an der Zunge der Säuge- thiere, weshalb daselbst die Trennung der Haut von den Muskeln sehr schwierig ist. An der oberen Fläche der Zunge ist die Schicht des Bindegewebes über den Muskeln ziemlich dick, sie dient dort den Drüsen zum Substrat und geht auch in das Substrat der zu beschreibenden Papillen über; an der unteren freien Fläche ist sie dünn, weil dort keine Drüsen und Papillen vorkommen. — Eine frische kleine Zunge hat eine Länge von etwa 8 par. Lin. und eine Breite von Spar. Lin. Die Dicke der Schicht der Drüsen und Pa- pillen in der Mitte der Zunge beträgt an Querschnitten von in Chromsäurelösung erhärteten Präparaten etwa 0,27 par. Lin., während die Stärke des Bindegewebsstroma’s au der unteren Zungenfläche zwischen 0,01 und 0,02par. Lin. schwankt. "An der oberen Seite der Zunge nimmt man schon mit einer mässigen Vergrösserung zweierlei Papillenformen wahr: die breiten fungiformes, die auch schon dem blossen Auge als weissliche Pünktchen sich markiren, und die schmalen, üliformes. Letztere bedecken dichtgedrängt die ganze obere Zungenfläche, eine dieht neben der anderen; sie erscheinen bald mehr zugespitzt, conisch, bald eylindrisch, bald kolben- förmig; ihre Dicke ist verschieden, 0,04—0,07 par. Lin., ihre Länge gleich, dieselbe lässt sich aber schwer messen, weil an Faltenschnitten frischer Zungen eine Papille die andere deckt, an (uerschnitten erhärteter Präparate dagegen die wahren Verhältnisse zu sehr verändert sind; im Allgemeinen scheint sie 0,1 par. Lin. zu betragen. Die breiten Papillen finden sich bei weitem sparsamer; sie stehen 0,25—0,5 par. Lin. von einander entfernt, mitten unter den schmalen Pa- pillen, ein klein wenig über dieselben hervorragend. Nach 32* 488 Hoyer: ' MW einer ungefähren Berechnung mag ihre ‚Zahl etwa 250 an einer kleinen Zunge betragen. Sie haben eine etwas kolben- förmige Gestalt, das breitere freiere Ende bildet eine runde Fläche, die an frischen Faltensch nitten bald etwas convex, bald etwas concav erscheint. A. Das bindegewebige Stroma. Die Charakteristik des Bindegewebes in der Froschzunge bietet grosse Schwiehig- keiten, weil seine Untersuchung im frischen Zustande durch den festen Zusammenhang mit den Massen von Epithelien, Gefässen, Muskeln und Nerven unmöglich gemacht wird. Will man seine histologische Beschaffenheit kennen lernen, so muss man zu künstlichen Methoden seine Zuflucht nehmen. Entweder man erbärtet die. Zungen durch Trocknen oder durch die Einwirkung von chemischen Agentien, z. B. der Chromsäure und macht dann Querschnitte, oder man wendet chemische Mittel an, welche die anderen Gewebselemente vom Bindegewebsstroma loslösen. Bisher sind bei der ‚mikro- skopischen Untersuchung die künstlichen Methoden Jangewandt worden, ohne dass man Bedenken trug, die so gewonnenen Resultate als mit der Wirklichkeit übereinstimmende aufzu- fassen. Soweit es sich um gröbere z. B. um Structurver- hältnisse handelt, ist man anch vollkommen im Rechte. Wo es dagegen gilt, die subtilsten Texturverhältnisse der so leicht veränderlichen Gewebselemente zu erforschen, da ist bei der Anwendung der ‚künstlichen Methoden die ‚grösste Vorsicht nothwendig, wenn man sich nieht der Gefahr, die grössten Irrthümer zu begehen, aussetzen will. Wenn man annehmen dürfte, dass die Gewebe bei den Billroth’schen Beobachtungen wenig verändert, wenig von den. normalen Verhältnissen abweichend gewesen sind, so müssten seine Beweise für den Zusammenhang zwischen Muskeln, Binde- gewebskörpern und Epithelien als vollkommen schlagend be- trachtet werden; es ist nicht schwer, dieselben Beobachtungen zu wiederholen, dasselbe zu sehen, was er gesehen hat. Aber es fehlt der Beweis, dass jene Verhältnisse die normalen sind, ja Billroth ruft selbst in demjenigen, der seine Ab- handlung studirt, Zweifel gegen die Stichhaltigkeit seiner Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches, 489 Endschlüsse hervor: „Es ist kaum zusammen zu reimen, wie sieh in einem Fall die Epithelialzellen so scharf von den Pa- pillen ablösen, in den anderen so fest daranhaften, dass man sie nur mit Mühe herunterbringt; es kann dies wohl nur in ganz besonderen chemischen Verhältnissen der beiden betref- fenden Faserelemente liegen, die eben bei der Froschzunge so günstige Resultate gewinnen lassen, wie man sie unter gleichen Umständen an anderen Objecten nicht erzielt, ') sagt er an einer Stelle, wo er erwähnt hat, dass durch die Ein- wirkung verschiedener chemischer Agentien ganz verschiedene Erscheinungen hervorgerufen werden. Ich frage in Bezie- hung auf jene Stelle ganz einfach: Warum soll die Beobach- tung an dem einfachen Chromsäurepräparat beweiskräftiger sein, als die am Chromsäure-Essigpräparat? Da ich zu der Ueberzeugung gekommen bin, dass man sich nur dann einen Schluss auf die natürlichen Verhältnisse der durch künstliche Methoden erhaltenen Präparate erlauben dürfe, wenn man die verändernden Wirkungen der angewen- deten chemischen Mittel in allen ihren Stadien verfolgt hat, so habe ich mir das Studium dieser Wirkungen sehr ange- legen sein lassen. Meine Erfahrungen sind jedoch nicht aus- reichend, um feste Regeln und beweisende Schlüsse daraus ziehen zu können; um etwas derartiges zu leisten, müsste ich über mehr Zeit disponiren können, als ich gegenwärtig übrig habe; der Stofl,. den ich mir bisher gesammelt, reicht eben nur hin, um mir eine subjeetive Ueberzeugung zu ver- schaffen. Dieselbe stützt sich (auf folgende Schlüsse: die Zunge vom Frosch ist im frischen Zustande vollkommen weich, dehnbar, elastisch, durchscheinend, fast gelatinös; nach längerem Liegen in selbst sehr verdünnter Chromsäure- lösung schrumpft sie bedeutend zusammen, wird hart, spröde, zu Querschnitten geeignet. Es ist also eine bedeutende Ver- änderung mit derselben vorgegangen, dieselbe kann nicht bloss ehemisch sein, sondern es muss auch, zumal bei der bedeutenden Schrumpfung, das mikroskopische Aussehen sich 1) Müller’s Archiv, Jahrgang 1858, 8, 163, 490 Hoyer: PERL HEN haben. Je weniger die Zunge geschrumpft ist, desto weniger erscheint das Bindegewebe gefasert, desto deutlicher scheiden’ sich Grundsubstanz und Zellen; mit der stärkeren Schrumpfung tritt deutlichere Faserung hervor und die Un- terscheidung der Zellen und der Grundsubstanz wird schwie- riger; bei: stark erhärteten 'Präparaten erhält das Bindege- webe ein stark gefasertes sehr lockiges Aussehen, das selbst auf Anwendung eoncentrirter Essigsäure nur wenig schwindet und die Zellen (Bindegewebskörper) nur wenig hervortreten lässt. ' Bei Zungen, die in Essigsäure gequollen und dann, in sehr verdünnter, (wenig gelb gefärbter) Chromsäurelösung gerade ‚so weit erhärtet sind, dass man Querschnitte davon anfertigen kann, treten die Bindegewebskörper in: ihrer.Spin- delform sehr deutlich hervor, während die Grundsubstanz ziemlich gelatinös erscheint und nur Andeutungen vonStrei- fung zeigt; je länger man jedoch die Chromsäurelösung auf die Präparate einwirken lässt, ‘desto mehr schrumpfen sie auch hier, desto ‚mehr nimmt das Bindegewebe das gestreifte und scheinbar gefaserte Ansehen an; es wird lockiger, Mus- keln, Nerven und Gefässe lassen sich immer weniger vom umgebenden Bindegewebe unterscheiden; endlich bekommt dasselbe Risse in der Richtung der Länge der Bindegewebs- körper und zeigt: somit viele Maschenräume. ‘Meist lassen sich an, nach Billroth”s Methode (mittels Essigsäure und Chromsäurelösung) erhärtetem Bindegewebe die Zellen besser erkennen, als in mit reiner Chromsäurelösung: erhärtetem. Trocknet man die Zungen und macht dann davon: Quer- schnitte, so’ scheint das Gewebe in gewissen Richtungen ge-- fasert; diese Faserung schwindet aber schon nach dem Quellen im ‘Wasser, noch mehr nach Zusatz von Essigsäure oder ätzender Kalilösung. ‘Mit Holzessig behandelte und dann ge- trocknete Zungen zeigen dieselben Erscheinungen, nur ‘dass die Bindegewebskörper von vornherein ‚deutlicher zu sehen sind. Alle’diese Beobachtungen habe ich nicht allein an Froschzungen, ‘sondern auch an Zungen von Säugethieren und anderen Organen gemacht, die ein ähnliches lockeres (fast gelatinöses) Gewebe besitzen, Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches. 491 Von. der Beschaffenheit des Bindegewebes in der Frosch- zunge im normalen Zustande habe ich, mir nun folgendes Bild gemacht: Es ist.ein weiches, dehnbares Bindegewebe mit zahlreichen längsspindelförmigen Zellen, die je nach den Theilen der Zunge, denen das Bindegewebe angehört, in be- stimmten Richtungen angeordnet sind, in ziemlich gleichen Abständen parallel neben einander liegen und deren Aus- Jäufer mit denen der vorderen und hinteren Zellen dem An- scheine nach anastomosiren. Dieser Richtung der Bindege- webskörper entspricht‘ auch die bei den verschiedenen Be- ‚handlungsmethoden sich zeigende stärkere oder: schwächere scheinbare Faserung des Bindegewebes; die Fasern halte: ich nicht für wirklich existirende, sondern nur für Kaltungen der Grundsubstanz, bedingt durch das Schrumpfen; je stärkere Schrumpfung, desto mehr scheinbare Fasern. Die Grund- substanz ist jedoch nicht vollkommen homogen, nicht überall von derselben Dichtigkeit; die die Bindegewebskörper , und ihre Fortsätze zunächst berührenden und umgebenden Theile derselben haben, wie es scheint, eine andere dichtere Con- sistenz, als die mitten zwischen den Zellen liegenden Theile. Wird nun ein chemisches Agens angewendet, namentlich ein solches, wonach das ganze Bindegewebe quillt und durch- siehtiger wird, so nehmen die lockeren Theile mehr Flüssig- keit auf, als die consistenteren, sie werden mehr ausgedehnt, während letztere sich als Fasern darstellen. : Liegen nun die Bindegewebskörper in bestimmten Richtungen parallel, und dicht neben einander geordnet, so ist es ganz erklärlich, wenn die auf diese Weise entstandenen „Cytoblastemfasern“ als lange aus mit ihren Fortsätzen unter einander verbundenen Bindegewebskörpern gebildete Faseru erscheinen, da die Bilder der über- und untereinander liegenden Zellen für das (beobachtende Auge zu einem Bilde verschmelzen. Sehr frap- pant ist in dieser Beziehung der Anblick, den Schnitte von nur möglichst kurze Zeit nach der Billroth’schen Methode behandelten Zungen gewähren, ebenso von Zungen, die in Holzessig gelegen haben und gerade so weit getrocknet sind, 492 Hoyer: \ dass sich gute Querschnitte machen lassen; man sieht'da ein förmliches 'netzartiges Geflecht von feinen Fasern. Die Methode, durch welche ich zur Befestigung meiner Ansicht gelangt bin, ist zwar auch eine künstliche, jedoch, wie ich glaube, die schonendste, die am wenigsten das Bin- degewebe verändernde. Sie besteht in der einfachen Mace- rirung der Zunge durch 24—48 Stunden’ in’ gewöhnlichem oder destillirtem Wasser. Von einer solchen macerirten Zunge lässt sich das Epithel mittelst eines reinen leinenen Läppchens oder eines weichen Pinsels leicht herunterstreichen, selbst das Epithel der Drüsen wird dadurch häufig entfernt. Mit einer feinen Cooper’schen Scheere ‘machte ieh dann zarte Schnitte und brachte dieselben unter’ das Mikroskop. Die Grundsubstanz des Bindegewebes erschien fein granu- lirt, mit sehr feiner lockiger Streifung, ohne Fasern; die Bindegewebskörper spindelförmig, jedoch nicht deutlich her- vortretend, parallel neben einander geordnet, ihre Längsrich- tung in den Papillen, deren Längsaxe entsprechend, ebenso ihre Anordnung 'neben den Drüsen und den Muskelfasern, im Uebrigen parallel der Zungenoberfläche. Die Grenzie des Bindegewebes, wo es mit dem Epithel in Berührung tritt, ist eine scharf abgeschittene, sowohl an (den Drüsen, als auch an allen Theilen aller Papillen. Ich kann nicht ge- rade behaupten, dass an dieser Grenze eine besondere festere Grenzschicht, eine Basement membrane existire, doch ist das Bindegewebe hier im Allgemeinen ärmer an Zellen, als in den inneren ”[’heilen. Gefässe und Nerven sind deutlich ser- kennbar, je länger aber die Maceration dauert, ‚desto ‘mehr werden die Gefässe unkenntlieh, desto ‚deutlicher dagegen die Nerven. Die Muskeln, auf die wir weiterhin zurück- kommen, werden durch die Maceration theilweise zerstört, verlierer# ihre Querstreifung, oder ’sie werden mindestens sehr blass und lassen sich daher nicht so gut erkennen, wie bei anderen Behandlungsmethoden. An einzelnen Papillen 'erblickt man auch bei Anwendung dieser Methode hängen ge- bliebene Epithelialzellen, die bald’ den Anblick gewähren, als ob die Papille aus spindelförmigen Zellen zusammenge- Mikroskopische Uutersuchungen über die Zunge des Frosches. 493 setzt! oder mit dachziegelförmigem Epithel nach Art der Haare bedeckt sei, bald die Erscheinung eines geschichteten Cylin- derepithels darbieten, welches mit seinen Fortsätzen in das Papillensubstrat hineindringt. Die hier zu Grunde liegende Täuschung kann man leicht nachweisen, wenn man durch leise Bewegungen des Deckgläschens die Zellen von der Pa- pille loslöst; man sieht alsdann einerseits das zwar streifige, aber keineswegs zerfaserte, sondern im Gegentheil'mit einer scharfen Contour gegen das Epithel abgegrenzte Substrat, ändererseits die losgelösten zusammenhängenden Zellen, die entweder ‘gleich oder beim Herumrollen um ‚ihre Axe sich als ein’ einfaches Cylinderepithel darstellen. Die Beschaffen- heit des Bindegewebes tritt noch deutlicher hervor bei Zusatz von Essigsäure ‘oder bei Anwendung von ammoniakalischer Carminlösung und Essigsäure. Die Grundsubstanz quillt da- bei ein wenig auf, wird durchsichtiger, verliert theilweise ihr streifiges Ansehen, die Abgrenzung gegen die anderen Ge- webe tritt deutlicher hervor, namentlich markirt sich die freie sonst mit Epithel bedeckte Oberfläche, durch eine deutliche, scharfe Contour; man kann die Bindegewebskörper deutlicher erkennen, man findet, ‚dass der gegen die freie Fläche ge- richtete Rand ein wenig ärmer. ist an Bindegewebskörpern, als der mittlere Theil; man sieht meist deutlich die ganzen spindelförmigen Zellen mit ihrem'Kern und den zwei in ent- ıgegengesetzter Richtung abgehenden Fortsätzen (seitliche Fortsätze konnte ich nicht beobachten, dagegen: scheinen die Hauptfortsätze feine Seitenzweige zu 'haben), womit sie un- tereinander zusammenzuhängen scheinen. Den Beweis eines solchen Zusammenhanges vermochte ich nicht zu finden, viel- mehr ‘glaubte ich immer ‚das Bild von dem Zusammenhange der Zellenfortsätze für eine optische Täuschung halten. zu müssen, erzeugt durch das Zusammenfallen über- und unter- ‚einander liegender Zellenbilder zu einem einzigen Bilde. Bei Anwendung von „Jodlösung traten die Bindegewebskörper deutlich hervor, die Grundsubstanz schrumpft aber sehr zu- sammen und bekommt ein stark streifiges Ansehen. B. Eine sehr wichtige Frage ist die über ‚das Verhält- 494 Hoyer: niss des Bindegewebes zu den 'Muskelfasern. Billroth hat in der Froschzunge den Zusammenhang der feinsten Aus- läufer der Muskelfasern mit Zellen beobachtet, welche den Bindegewebskörpern sehr ähnlich sehen, und hat'daraus ‚auf die Identität zwischen den Zellen der Muskelfasern und den Bindegewebskörpern geschlossen. Nur von dem Standpunkte Billroth’s aus, der den genetischen Unterschied der: Ge- webe aufzuheben sich bemüht, ist ein solcher Schluss, ge- rechtfertigt. Wer auf dem entgegengesetzten Standpurikte steht, wird, ‘wenn er die Richtigkeit der Beobachtung zugiebt, ' eine ganz andere Deutung dafür suchen; er wird sagen, dass dies Verhältniss ein ganz natürliches, dem gewöhnlichen zwi- schen Sehnen und Muskeln entsprechendes sei; ‚er wird die feinen Fortsätze übereinstimmend mit Billroth als „kleinste Sehnen“ deuten, jedoch nicht so, dass er diese: Sehne als unmittelbare Fortsetzung der Muskelsubstanz, sondern als Fortsetzung der binde gewebigen Muskelscheide (des Sar- kolemma) ansieht, welche sehr wohl Bindegewebskörper ent- halten oder unmittelbar in das Bindegewebe des Substrates übergehen kann. Nachdem ich mich an Querschnitten von Zungen, die nach Billroth’s Methode erhärtet waren, von der Richtig- , keit der Behauptung überzeugt hatte, dass nämlich die zur Oberfläche aufsteigenden Muskelfasern in immer feinere Aeste sich theilen und letztere endlich zwischen der Drüsenschicht (mit Ausnahme der ganz in die breiten Papillen hineintre- tenden Aeste) in feinste faserige Aestchen zerfallen, in wel- chen den Bindegewebskörpern ähnliche Zellen enthalten sind (Billroth sagt, „sie endigen in den Ausläufern der Binde- gewebskörper!), adoptirte ich die eben erwähnte Ansicht. Zur Bestätigung derselben machte ich jedoch noch Untersu- chungen an auf verschiedene Weise erhaltenen Präparaten, vor Allem strebte ich das Verhältniss an möglichst wenig veränderten Präparaten zu erforschen. Auf Faltensehnitten 1) „Ueber die Epithelialzellen der Froschzunge* et, Müller’s Archiv u. 5, w. 1858. S. 163. Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches. 495 frischer Zungen sieht man wohl die Muskelfasern, aber ihre Theilungen kann man unter dem bedeckenden Epithel nicht mehr deutlich erkennen; bei Zusatz von Kalilösung oder Essigsäure wird das ganze Präparat zwar durchsichtiger, die Untersuchung der Muskeln wird dadurch aber nicht er- leichtert. Meine Methode der Maceration der Zungen zer- stört die Muskeln sehr schnell; sie verlieren ihre ‚Querstrei- fung, schwinden theilweise völlig, theilweise erhalten sie ein feinkörniges Ansehen, zerfallen in mehrere Stücke (besonders die feinen Aestchen) und werden schwer unterscheidbar von den feinen Gefässen und Capillaren. Dennoch kann man sich auch‘ hier noch sehr deutlich von ihrer Theilung in feinste Aestchen überzeugen; man kann erkennen, dass auch die feinsten, bei Anwendung von Billrot'h’s Methode als Fäserchen sich darstellenden Theilungsäste noch fein granu- lirten Inhalt, wie die grossen Fasern, besitzen; ‘dass sie mit diesem Inhalt zwischen den Drüsen bis fast an’ die Grenze des Substrats und in den Anfang, der schmalen nervenlosen Papillen hineinsteigen, dass sie endlich als breitere Muskel- fasern in die nervenhaltigen Papillen hinein verfolgt werden können, dort sich vielfach theilen, aber noch als deutlich er- kennbare Muskelfasern bis dicht unter die breite Endfläche der Papille herantreten und dort, etwa in der Höhe der Ner- venendigung und der Bildung des Gefässkranzes einfach zu endigen scheinen; deutlich konnte ich diese Endigung nie beobachten, weil die Gefässschlinge sie meist bedeckt, häufig schien es mir aber, als wenn die Fasern mehr nach aussen vom Gefässkranze dicht unter der seitlichen Papillarwand blind, d. h. ohne Ausläufer endigten. Die Beobachtungen, welche ich an Querschnitten von nach Billroth’s Methode erhärteten Zungen machte, waren sehr verschieden, je nachdem die Präparate längere oder kürzere Zeit in der Chromsäurelößung 'gelegen hatten. Je weniger die Cbromsäure ihre Wirkung ausgeübt hatte, desto besser waren die Muskelfasern erhalten, desto leichter konnte man ihre Theilungen in feinste Aestchen verfolgen; war dagegen das Präparat dem Einfluss der Chromsäure längere Zeit aus- 496 Hoyer: gesetzt gewesen, so liessen sich zwar wegen jeingetretener grösserer Härte die (uerscehnitte leichter anfertigen, aber Bindegewebe und Muskelfasern waren stärker geschrumpft und ihre Unterscheidung erschwert. Zur Ergründung des wahren Verhaltens der feinsten Muskelfasertheilungen'musste ich deshalb Zungen gebrauchen, welche in’concentrirtem Essig gequollen, dann durch sanftes; Streichen von dem Epithel be- freit und ‚endlich 24— 48 Stunden: der. dünnen Chromsäure- lösung ausgesetzt gewesen waren. ' Ich machte davon entwe- der Quer- oder sehr feine: Faltensehnitte und "beobachtete darin die recht gut erhaltenen Muskelfasern bis in die fein- sten Aestchen, Zwar: war auch hier die Querstreifung in den feineren Aesten nicht mehr wahrzunehmen,‘ aber dennoch markirten sich dieselben noch deutlich als wirkliche eontrac- tile Substanz der Muskelfaser, indem sie einerseits dieselbe gelbliche Färbung zeigten, wie die Muskelsubstanz, und an- dererseits eine ausserordentliche, Dehnbarkeit an den Tag legten, welche selbst die des weichen Bindegewebes bei wei- tem übertraf. Uebte man nämlich auf das Deckgläschen einen stärkeren Druck aus, so dass das Präparat zerstört wurde, so; blieben doch die Muskelfasern grösstentheils er- halten, sie ' waren nur stark gedehnt, ihre Aeste, die sonst geschlängelt verlaufen, waren gestreckt, verdünnt, enthielten die grösseren ovalen Körper, theilten sich selbst wiederum in-feinere Aestchen mit ähnlichen kernartigen Bildungen und verschwanden zuletzt fein zugespitzt nahe der Grenze 'des Bindegewebssubstrates oder innerhalb der schmalen Papillen. An Zungen, welche 8—14 Tage in Chromsäurelösung gele- gen hatten, machte ich zwar im Wesentlichen dieselben Be- obachtungen, aber hier stellten sich schon die gröberen Zweige ‘der Muskelfasern als schmale, dunkle, kernhaltige Fasern dar, welche nur mit Mühe von .dem umgebenden Bindegewebe unterschieden werden konnten. Nach all diesen Untersuchungen drängte sich mir die Ansicht auf, dass die letzten Enden der Muskelfasern feinste aus contractiler Sub- stanz bestehende Aestehen und keineswegs feinste ‚Sehnen seien; ‚zumal es mir nieht! gelungen war, an den feineren Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches. 497 Muskelverzweigüngen mit Sicherheit Scheiden nachzuweisen. Für die Ansicht sprachen auch mehrere Beobachtungen, welche ich an Querschnitten von Zungenwurzeln älterer Chromsätre- und Chromsäure-Essigpräparate gemacht hatte. Ich fand näm- lieh at diesen Stellen, von denen sich wegen der bedeuten- den Kürze und Breite der Papillen sehr schöne Schnitte machen lassen, deutliche stumpfspitze Enden der Muskelfa- sern, sowohl innerhalb der breiten Papillen, als auch an der Basis der schmalen, dennoch lege ich darauf kein grosses Gewicht, weil es möglicher Weise Schrägsehnitte der schma- len Muskelfaseräste gewesen sein können. ©. Die Nerven. Ueber den Ursprung und die Hropaie Anatomische Ausbreitung der Nerven in der Froschzunge habe ich keine genaueren Untersuchungen angestellt. Ich ver- “ weise auch hier in dieser Beziehung auf die betreffenden Werke von Burdach') und Volkmann?). Dass die Aeste der Nervenstämmmchen durch die Muskelschichten hindurch- treten und ‘oberhalb derselben durch Theilung, Abgabe und Aufnahme feiner Aestchen ein ziemlich engmaschiges Geflecht bilden, ist bereits oben erwähnt. Von diesem Geflecht nun steigen ziemlich senkrecht, zuerst etwas geschlängelt, zuletzt mehr gestreckt verlaufend, kleine Aestchen, die etwa 10-16 Nertenfasern enthalten, zur Oberfläche der Zunge auf, treten nur indie breiten Papillen, P. fungiformes, hinein und sind dicht unter der breiten Endfläche derselben noch sichtbar. Zuweilen steigen von zwei verschiedenen Seite 'her dünne Aestehen in die Papille hinein und. vereinigen sich dort zu einem Stämmehen. Ausser diesen sensiblen Nerven beob- aehtet mai in’ der Zunge noch Nervenäste mit breiten dop- pelteontourirten Fasern, welche zu den Muskeln treten. Die Nervenendigungen auf der unteren 'papillenlosen ‘Seite der Zutige habe ich nicht untersucht. Die schmalen Papillen, P. Ailiformes, enthalten keine Nervenfasern. Das Geflecht, wel- ches die Aestchen für die breiten Papillen abgiebt, scheint 1) A. 2.0. u 2) Von dem Bau und den Verrichtungen der Kopfnerven des Frosches. Müller’s Archiv 1838. 498. Hoyer: Ja laonatM zwar doppelt contourirte, aber sehr schmale Fasern, zu/ ent- halten; in den Papillen selbst sind diese Fasern einfach, con- tourirt. Sehr wichtig, ist es, festzustellen, wie die Fasern in (den breiten Papillen thatsächlich endigen. Alle Beobachter ‚stim- men darin, überein, dass sie angeben, ‚die Nervenfasern stei- gen in ihrem Stämmchen bis nahe unter. .die breite Endfläche der Papille auf, breiten sich daselbst büschelförmig. aus und hören plötzlich stumpfspitz auf. Nach Billroth’s,'). Mei- nung, ist dies aber nicht'ihr wahres Ende; er vermuthet, dass sie hier in feinste marklose Fäserchen übergehen‘ und durch diese mit den darüber. befindlichen Zellen ‚(nach Analogie der „Riechzellen“) im Zusammenhange stehen. Fixen'behauptet, es seien die wahren Nervenenden; er sah nicht nur stumpf- spitze, sondern auch einfach eylindrische und sogar kolben- förmige: Enden. Dieser Ansicht schliesse auch ich,mich. un- bedingt; an. , Aus ‘den Beobachtungen an frischen: Falten- schnitten, ‚wo man bei wiederholter ‚Untersuchung ‚deutlich sieht, wie jede einzelne Faser aufhört, entweder stumpfspitz oder, mehr weniger mit einem Knöpfchen versehen’ (erzeugt durch die Gerinnung des Inhalts), mochte ich meine unbe- dingte Ansicht nicht schöpfen; denn die die Papille bedecken- den Epithelialzellen könnten, selbst bei Anwendung von Kali- lösung, wonach die Papillen durchsichtiger werden und die Nerven.noch deutlicher hervortreten, sehr wohl die von Bill- roth.angenommenen Fortsetzungen in feine Fasern verdecken. Ich habe deshalb den Gegenstand einer immer und immer wiederholten Untersuchung unterworfen, bis es mir gelungen ist, sprechendere Beweise zu finden. Es hat sich. nämlich gezeigt, dass die büschelförmige Ausbreitung der :Nervenen- den ein Kunstproduct sei, erzeugt durch den Druck ‘des Deckgläschens. _ Der normale Zustand lässt sich am frischen Präparate, (feinem Faltenschnitt) nur äusserst. selten, nur wenn der Zufall Einem günstig ist, beobachten. ' Die An- wendung des Deckgläschens ist nicht zu vermeiden, weil ein a ee 1) A. 2. 0. Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches. 499 leiser Druck 'nöthig ist, um die Papille durchsichtig zu ma- chen; ferner muss die Lage der letzteren eine solche sein, dass die den Nerven umkränzende 'Gefässschlinge sein Ende nicht deckt, d. h. die Papille muss so liegen, dass man sie zum Theil von der oberen Endfläche, zum Theil von der Seite aus sieht, und endlich muss das Präparat selbst gün- stig sein, indem der Inhalt der Epithelialzellen durchsichtig, wenig granulirt sein muss. Man erblickt alsdann ein eylin- drisches, etwas gewölbtes, scharf begrenztes Ende des Ner- - venästchens, die ceylindrischen Enden der Nervenfasern liegen dicht neben einander und stellen sich dar wie eine aus rund- lichen Körperchen gebildete Platte. ' An mehreren von meinen Objeeten war das ganze Stämmehen und besonders das Ende von einer deutlichen scharfen Contour begrenzt, die ich einer Art von Nervenscheide zuschrieb. Uebte ich einen leichten Druck auf das Deckgläschen aus, so schien die Scheide zu platzen und die” Nervenfaserenden' wichen wie gewöhnlich nach allen Seiten aus einander. Viel häufiger als an frischen Präparaten bekommt man jenes Bild an Scheerenschnitten von Zungen zu sehen, die durch 24 Stunden in Wasser ma- eerirt und durch sanftes Streichen vom Epithel befreit sind. Setzt man zu denselben Essigsäure 'hinzu, so wird das Binde- gewebe sehr durchsichtig, die Nervenfasern treten schärfer hervor, eine Art von Scheide markirt sich als eine einfache scharfe Begrenzung des Bindegewebes gegen den Nerven, man sieht in dem Rande langgestreckte‘ deutliche Bindege- webskörper, und oberhalb des Nervenendes bildet das Binde- gewebe einen deutlichen Saum mit scharfer Begrenzung ge- gen den Nerven und gegen das Epithel. Die’ Streifung des Randsaumes nebst der Lage der Bindegewebskörper ist pa- rallel der Endfläche der Papille, senkrecht gegen ‚den Nerven; man sieht keine Fäserchen vom Nerven aus durch den Saum hindurichgehen. DieLage der Papille muss übrigens auch hier möglichst eine solche sein, dass die Gefässschlinge das Nervenende nicht decke. Dieselben Beobachtungen las- sen sich auch an allen guten Querschnitten wiederholen, doch kann man sich hier nicht vor dem Einwurfe schützen, dass 500 " Hoyer: ) iqod man möglicherweise das Nervenstämmchen in schräger Rich-+ tung durehschnitten habe. | Die schönsten Querschnitte erlangt man von der Gegend der Anheftungsstelle der Zungeän dem Unterkiefer, ‚wo die Papillen wegen ihrer Kürze dem Messer weniger leicht ausweichen. Die besprochene Nervenscheide fasse ich übrigens nicht, als. eine vom. übrigen Bindegewebe deutlich getrennte Membran auf, weil ich immer. nur die .in- nere Contour beobachten konnte, sondern als einen etwa ver- dichteten, den Nerven begrenzenden Theil des. bindegewebi- gen Zungensubstrates, in’ welchem die Bindegewebskörper dichter ‚gedrängt liegen, eine‘ sehr, verlängerte Spindelform besitzen, und parällel dem Verlaufe‘ des Nervenästchens an- geordnet sind. Es war mir von grosser Wichtigkeit, diese Thatsache ‚der Nervenendigung festzustellen, wegen der 'Consequenzen, ‚die _ daraus gezogen werden müssen. Denn. wenn. es ‚feststeht, dass sensible Nerven, besönders solche, welche durch eche- mische Agentien gewöhnlich erregt werden, innerhalb. (des Bindegewebssubstrates liegen, und dass dennoch die. erre- gende Substanz durch die Epithelial- ‚und Bindegewebsschicht sehr schnell zum Nerven hindurchdringt; ferner‘ ‚dass solche Fasern einfach blind endigen können, | also zu ihrer Erre- gung keiner Vermittelung, besonderer histologischer Gebilde nach Art der Retina bedürfen, s6 wird dadurch die Gelegen- heit ‘gegeben zu Schlüssen auf, ein ähnliches Verhalten. der Nervenenden an ‚vielen anderen‘ Orten, wo. dieselben. noch nieht 'mit Sicherheit nachgewiesen sind. Ich verweise in .die- ser Beziehung hauptsächlich auf die Nasenschleimhaut, ‚wo auch das Verhalten der Epithelien ein ganz ähnliches ‚ist, wie bier. Die Bedeckung der Papille mit einem, besonders gestalteten Epithel gerade an der Stelle, wo das Nervenende sich befindet, deutet darauf hin, dass das Ende der Nerven- fasern hauptsächlich der die Erregung.empfangende Theil ist. Aus dem Umstände endlich, dass zwischen Epithel und Nerv eine ‚deutlich sichtbare Lage: von Bindegewebe vorhanden ist, in. der keine 'vom Nerven zum Epithel. durchtretende ‚Fasern sich nachweisen lassen, ‚geht hervor,, dass in jener Stelle Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches. 501 eigenthümliche Epithelialzellen nicht zu den Nervenelementen gezählt werden dürfen und dass das Bindegewebe, vielleicht vermöge seiner gallertartigen Beschaffenheit, sehr wohl dazu geeignet sei, die chemischen Flüssigkeiten schnell'zum Ner- ven. durchdringen zu lassen. D. Die Gefässe in der Zunge‘ sind sehr zahlreich. Die Hauptstämme liegen an der unteren Zungenseite, theilen sich mit diesen in Haupt- und Nebenzweige, bilden ein ziemlich engmaschiges Netz und senden zur Zungenoberfläche zahl- reiche Capillaren. Dieselben treten zwischen die Drüsen hin- ein und dieht an die Schleimhautoberfläche heran; von den nervenlosen Papillen versorgen sie bloss die breiteren an der Basis mit einer kurzen einfachen Schlinge; in den nerven- haltigen dagegen finden sich mehrere breite zu- und abfüh- rende Capillargefässe, die dieht unter der Endfläche sich zu einem schönen Kranze um das Nervenende vereinigen. 'E. An der äusseren Zungenoberfläche finden sich drei Formen des Cylinderepithels. Die eine Art, welche von der ‚gewöhnlichen Cylinderform sehr abweicht, bekleidet die ganze obere Fläche der Zunge, mit Ausnahme der breiten End- flächen der nervenhaltigen Papillen, d. h. also. die ganzen schmalen Papillen, die Seitenflächen der breiten Papillen und auch die Drüsen sind damit versehen. Die untere Zungen- fläche besitzt ein einfaches Öylinderepithel, wie man es auch auf der übrigen Mundschleimhaut des Frosches findet; am Rande der Zunge beobachtet man einen ziemlich schroffen Uebergang dieses Epithels in das der dort auftretenden: Pa- pillen, . Die dritte Art endlich bekleidet die Endflächen der breiten (nervenhaltigen) Papillen; es sind diejenigen Zellen, welche Billroth für Nervenenden zu halten geneigt ist. Von dem Vorhandensein dieser drei Formen kann man sich leicht an Faltenschnitten frischer Zungen. überzeugen, ja man kann sie alle zu gleicher Zeit beobachten, ‚wenn man ein Schnittchen vom Zungenrande anfertigt und dässelbe sich so günstig lagert, dass man den Uebergang ‚der unteren Fläche in die obere deutlich sehen kann. Der Unterschied der Zellen von der unteren und von der oberen Seite ist ein Beichert's u. du Bols-Reymond's Archiv. 1859. 33 502 . Hoyer: sehr in die Augen springender; erstere erscheinen bedeutend länger, heller, mit sehr starker und lebhafter Bewegung der langen Cilien; die ausgetretenen Blutzellen, Körnchen, ja die Flüssigkeit selbst, werden lebhaft fortbewegt; die letzteren dagegen sehen viel kürzer aus, sind grauer, dunkler, mehr granulirt, und lassen nur mit Mühe Cilienbewegung erken- nen; nur bei genauer Beobachtung und Anwendung einer stärkeren Vergrösserung (von 300—400, während für jene schon eine 150malige Vergrösserung ausreicht) kann man auch an diesen Zellen Cilien wahrnehmen. Ich muss gestehen, dass ich sehr lange an dem Vorhandensein von Cilien an diesen Zellen zweifelte, weil ich meist mit 250facher Ver- grösserung arbeitete und die dabei hin und wieder beobach- tete Cilienbewegung für eine subjective, durch Anstrengung der Augen erzeugte Sinneswahrnehmung ansah, bis ich mich durch stärkere Vergrösserung überzeugte, dass sie constant überall vorkomme. Die Bewegung, welche von diesen Cilien den Flüssigkeiten und darin schwimmenden Körnchen mitge- theilt wird, ist sehr gering. Ob die gleichgebauten Zellen der Drüsen mit Cilien versehen sind, lässt sich schwer ent- scheiden, da sie im frischen Zustande nicht wohl beobachtet werden können, bei Anwendung von Chromsäurelösung bis zur Erhärtung und Anfertigung von Querschnitten, die Cilien leicht zerstört werden. Interessant war es für mich, festzu- stellen, dass diese Zellen mit den kurzen Flimmerhärchen am Rande der Endfläche der breiten Papillen, wo sie mit der dritten Art von Zellen zusammentreffen, plötzlich sehr lange Cilien erhalten, die sehr lebhaft sich bewegen und auch mit schwächeren Vergrösserungen deutlich zu sehen sind. Sie bilden einen stark fimmernden Ring um die cilienlosen Zel- len der dritten Art, welche die ganze Mitte der Endfläche be- decken. Für die Untersuchung dieser letzteren ist die Lage der breiten Papillen von grosser Wichtigkeit. Ist nämlich die Mitte der Endfläche, wie es häufig geschieht, tellerförmig eingezogen oder ist die Lage derselben eine ganz schräge, so bekommt man nur die Ränder der Papille auf dem Fal- tensaume zu sehen und erblickt scheinbar die Endfläche ganz Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches. 503 mit eilientragenden Zellen bedeckt. Wenn dagegen die End- fläche nicht concav, sondern convex und die Lage der Pa- pille eine derartige ist, dass die Endfläche den freien Rand bildet, so sieht man ganz deutlich, dass die Zellen derselben eilienlos sind, dagegen die Zellen, welche einen schmalen Saum am Rande der Endfläche einnehmen und in ihrer son- stigen Beschaffenheit vollkommen mit den Zellen auf den schmalen Papillen übereinstimmen, deutliche lebhafte Cilien- bewegung zeigen. Ihre benachbarten Zellen auf den Seiten- flächen der breiten Papillen haben nur die beschriebenen kurzen, schwer sichtbaren Cilien. An derselben Papille kann man sich auch überzeugen, dass die cilienlosen Zellen der Endfläche von den benachbarten Zellen der Seitenfläche sich dadurch unterscheiden, dass sie feiner granulirt, von gelb- lich weisser Färbung sind. Diese Färbung rührt nicht, wie Fixen') meint, von dem Widerschein der unterhalb be- findlichen Gefässschlinge her, sondern hat in der besonderen Beschaffenheit dieser Zellen ihren Grund. Billroth und vorher schon Leydig haben bereits richtig anerkannt, dass sie vermöge dieser Beschaffenheit von den benachbarten Zellen sich wesentlich unterscheiden. Gehen wir nun zur näheren Beschreibung der Epithelial- zellen über, so ist vor Allem zu bemerken, dass ihre Form, die Artihrer Anheftung an dasSubstrat u s. w. im frischen Zu- stande kaum untersucht werden kann, weil sie sich dann vom Substrate sehr schwer trennen und noch schwerer von ein- ander isoliren lassen. Bei Anwendung künstlicher Methoden habe ich aber dieselben Erfahrungen gemacht, welche ich bei Beschreibung der Epithelialzellen von der Nasenschleimhaut?) weitläuftiger auseinandergesetzt habe, und von denen ich das Wichtigste kurz wiederholen will. Zur genauen Erkenntniss der verschiedenen Zellenformen ist es nöthig, dass man jede für sich in allen ihren verschiedenen Erscheinungen je nach der angewandten Methode betrachte. 1) A. a. 0. 2) De tunicae mucosae narium structura. Diss. inaug. Bero- lini 1857. 33* 504 ; Hoyer: Die Grundform der Zellen, welche die obere Zungenfläche mit Ausnahme der Endfläche der breiten Papillen bedecken; ist die eines Kegels mit sehr breiter, stark convexer Basis; die Spitze des Kegels haftet am Substrat, die Basis ragt frei hervor und ist mit Cilien versehen, Diese einfach konische Form findet sich aber nur bei den wenigsten Zellen, nur. bei denjenigen, welche dem Substrat senkrecht aufsitzen, d.h. bei den Zellen an der Spitze der schmalen Papillen und am Grunde der Drüsen. Alle übrigen haben eine mehr weniger gekrümmte Form mit hornartig krummgebogener Spitze, in- dem sie. den Seitenflächen der Papillen nicht senkrecht auf- sitzen, wie die Oylinderzellen im Darmcanal (auf den Zotten und Lieberkühn’schen Drüsen), sondern schräg, so dass sie sich gewissermassen dachziegelförmig decken. Die For- men der einzelnen Zellen lassen sich meist nur an künstlich isolirten Zellen genauer studiren; zuweilen gelingt es aber auch, von günstigen frischen Schnitten, nach Befeuchtung der- selben mit Speichel anstatt des Wassers und durch Druck auf das Deckgläschen, vereinzelte Zellen zu erhalten, welche im Wesentlichen die eben beschriebenen Formen zeigen. Das schmale Ende jeder dieser Zellen erscheint auch nicht als schmaler feiner Fortsatz, sondern als ein etwas vereng- ter Theil der Zelle. Ausserdem erblickt man hier neben den gewöhnlichen Formen noch eine Reihe verschiedener anderer durch die Lage der Zellen bedingter, wierunde, ovale, mit kur- zem seitlichem Fortsatze versehene, und noch so unendlich viele andere, als man Projeetionen ‚von den verschiedenen Stel- lungen eines kurzen Kegels machen kann; durch Rollen der Zellen vermöge eines leichten auf das Deckgläschen ausge- übten Druckes, kann man die Formen alle sehr mannichfaltig verändern und schliesslich überall die Grundform zum Vor- schein bringen. An frischen Schnitten findet man, gewöhnlich zwischen den eben beschriebenen Zellen zerstreut, hellere, be- deutend breitere, mit grossen glänzenden, fast fettähnlichen Körnern versehene Zellen, die bald in geringerer, bald in reichlicherer Menge vorkommen; ich halte sie für in der Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches. 505 Rückbildung begriffene Zellen, die zur Ausstossung be- stimmt sind. Nach der Behandlung der Zungen mit Chromsäurelösung erhält man noch viel mannichfaltigere Zellenformen, als von frischen Präparaten, denn selbst in der verdünntesten Lösung sehrumpfen die Zellen zusammen und nehmen die eigenthüm- lichsten Formen an. In dieser Schrumpfung mag auch die Ursache ihrer Isolirung liegen. Doch ist die isolirende Wir- kung der Chromsäurelösung eine verschiedene, je nach der Dauer der Einwirkung und dem Concentrationsgrade der Lö- sung. Je dünner nämlich die letztere, desto besser die Iso- lirung, die gewöhnlich sehon nach mehrstündiger Behandlung erfolgt und bei mehrtägiger Einwirkung noch vollständiger wird; bleibt jedoch das Präparat etwa 14 Tage hindurch in einer grossen Quantität einer solchen Lösung liegen, so er- härtet sich allmälig die ganze Zunge, die Zellen lösen sich nicht mehr so leicht vom Substrat, und wenn sie sich bei Anwendung eines leichten Druckes auf das Deckgläschen doch davon trennen, so geschieht dies nur in zusammenhängenden Haufen. Wendet man stärkere Lösungen an, z. B. 1: 500, so schrumpfen die Zellen sehr stark, lösen sich viel schwerer vom Substrat und noch schwerer von einander, bleiben, falls sie sich lösen, doch noch theilweise am Substrate hängen und erzeugen dann Bilder, wie sie Billroth betrachtet hat?), und woraus er den Beweis des Hervorwachsens der Zellen- fortsätze zwischen den Fasern des Bindegewebes herleitet. Diese Wirkungen erfolgen aber nieht immer in der Art und Weise, wie eben beschrieben; solche verführerische Bilder erhält man zuweilen auch schon nach kurzer Behandlung mit dünnen Ohromsäurelösungen, während andererseits auch sehr alte Chromsänrepräparate ganz lose Verbindungen des Sub- strates mit den Zellen noch beibehalten. Ueberhaupt modi- fieiren sich diese Erscheinungen so mannichfaltig und unre- gelmässig, dass sich darüber kaum ein Gesetz aufstellen lässt und dass es dann nur bei immer und immer wiederholter 1) Müller's Archiv, 1858, Taf. VIL, Fig. 1 a und b, 506 Hoyer: li Untersuchung der Präparate unter‘den verschiedensten: Ver- hältnissen möglich wird, günstige Objecte zu erhalten und eine blosse Ueberzeugung sich zu verschaffen, während es fast unmöglich ist, evidente Beweise beizubringen, weil man sich nicht, im Stande sieht, genau anzugeben, auf welche Weise ein anderer Beobachter dieselben beweisenden Präpa- rate sich anfertigen solle. Der Grund dieser verschiedenen Wirkungen‘ der Chromsäure liegt in der sehr vielfach‘ varii- renden Beschaffenheit des Zelleninhaltes und des Zellense- cretes, welches, wie bei den Drüsen, je nach dem Stande des Stoffwechsels eine verschiedene Consistenz besitzt. Ich habe beobachtet (auch an den Nasenschleimhäuten), dass die Zellen um so leichter auseinanderfallen, der Wirkung der, Chrom- säure um so zugänglicher sind, je weniger Masse und Con- sistenz der dieselben bedeckende Schleim besitzt, welcher durch die Chromsäure festeren Zusammenhang gewinnt. Die Gerinnung ist um so stärker, je concentrirtere Lösungen angewendet werden; bei Gegenwart von wenig Schleim wer- den die Zellen auch durch stärkere Lösungen isolirt. Nach den bis jetzt gemachten Erfahrungen glaube ich annehmen zu dürfen, dass die Isolirung und Lösung der Zellen weniger ein speeifischer Erfolg der Chromsäure, als vielmehr die Folge der Maceration sei, dass die Chromsäure nur die Zer- setzung der organischen Materie hindere und Schrumpfung der Zellen nebst Gerinnung ihres Inhaltes bewirke. Durch einfache Maceration in Wasser oder dünner Kochsalzlösung erhielt ich gleichfalls sehr schön isolirte Zellen, ja die Er- folge durch Kochsalzlösung waren insofern sehr günstig; zu nennen, als die Zellen sich in ziemlich normalem Zustande erhielten und noch nach 48 Stunden Cilienbewegung zeigten, Ich komme nun auf die Formverschiedenheiten der durch Chromsäure veränderten Zellen zurück. Dieselben werden theilweise erzeugt durch die bereits erwähnte stärkere oder schwächere Schrumpfung der ganzen Zellen oder einzelner Theile. derselben, theilweise durch Zersetzung und Entleerung des Zelleninhaltes, durch starke Verschiebung oder völliges Austreten des Kernes u, s.w, Esscheint mir, als ob‘durch die Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches. 507 Einwirkung der Chromsäure der Zelleninhalt zersetzt werde, als ob ein Theil gerinne und sich im Fortsatz und dem schmalen Theile der Zelle ablagere, wo er durch seine stär_ ker lichtbrechende Beschaffenheit oft das Bild eines zweiten Kernes erzeugt; der andere Theil des Inhaltes scheint flüssig zu bleiben und durch Endosmose oder selbst mechanisch durch Zerstörung des freien Theiles der Zelle aus derselben sich zu entleeren, worauf die Zellwandungen zusammenfallen, faltig werden und eigenthümliche Formen zu Wege bringen. Der Zellenkern verschiebt sich nach den verschiedensten Rich- tungen hin und giebt dadurch gleichfalls zur Erzeugung ver- schiedener Zellenformen Anlass, am häufigsten rückt er in den schmalen Theil der Zelle; oft tritt er ganz heraus, sein Inhalt scheint sich gleichfalls durch die Chromsäurewirkung zu zersetzen, theilweise zu gerinnen, theilweise durch Exos- mose verloren zu gehen. Häufig erblickt man Zellen mit zwei und mehreren Fort- sätzen; ich habe schon bei der Betrachtung der Cylinder- zellen der Nasenschleimhaut!) darauf aufmerksam gemacht, dass diese mehrfachen Fortsätze eine, optische Täuschung sind, erzeugt durch den festeren Zusammenhang mehrerer Zellen, die für den Beobachter eine solche Lage annehmen, dass sie sich gegenseitig vollkommen decken und als eine einzige Zelle sich ‘darstellen, während die selten verklebten Fortsätze seitlich hervorragen und insgesammt auf die eine Zelle bezogen werden, So. o‘t es mir gelungen ist, solche Zellen um ihre Längsaxe zu rollen, überzeugte ich mich von der Richtigkeit meiner Ansicht. Von den unendlich vielen an Chromsäurepräparaten zu beobachtenden Formen der Zellen will ich nur noch die Spin- delform erwähnen, weil derselben. von Billroth?) und Fixen?) eine besondere Bedeutung beigelegt wird. ‚Sie soll nämlich nach der Ansicht beider Forscher die tiefere Lage des, wie sie annehmen, geschichteten Epithels bilden. Bill- 1) A. a. 0. 2) A... 0. 9) A. a, 0. 508 Hoyer: roth "betrachtet sie als jüngere oder Ersatzzelle, welche aus dem Bindegewebe heraus zwischen den Fortsätzen der oberen Zellen hervorwachsen und allmälig zwischen die letzteren sich 'einschieben soll. Dass man solehe Zellen bei Chrom- säure- und auch anderen Präparaten zu sehen bekommt, un- terliegt keinem Zweifel; ich habe mich‘ aber nicht überzeu- gen können, dass sie im normalen Zustande constant vor- kommen, vielmehr hielt ich sie meist für geschrumpfte Zellen, welche sich in Folge ihrer Lage zum Beobachter als Spin- delzellen darstellten. Sehr oft ist es mir ‘gelungen nachzuweisen, dass selbst Zellen mit sehr breiter freier Endfläche in Folge eigenthüm- licher Lagerung wie Spindelzellen aussehen können. ‘Häufig jedoch behielten manche trotz des Rollens die 'Spindelform bei, ihr oberes Ende war aber dann abgestumpft. Den von Fixen') beobachteten Zusammenhang der Spindelzellen mit Fortsätzen von Cylinderzellen. konnte ich durch Rollen der Objecte stets als eine optische Täuschung nachweisen; ent- weder lagen zwei Zellen zufällig so nebeneinander, ' dass die eine spindelförmig aussehende den Fortsatz der anderen be- rührte, oder von zwei fester zusammenhängenden Zellen er- schien die eine vermöge ihrer Lage als Spindelzelle. Das Epithel wird aus zwei Gründen für ein geschichtetes gehalten, einmal weil die Zellen der Papillen seitlich schräg aufsitzen, sich dachziegelförmig decken und dadurch sehr oft täuschende Bilder von geschichtetem Epithel zu Wege brin- gen, andererseits weil, wie schon erwähnt, unter Umständen nach Loslösung der ganzen Epithelialschicht einzelne’ Zellen an den Papillen fester hängen bleiben, sich enger an diesel- ben) anschmiegen und somit als untere Zellenschicht sich dar- stellen; ‘oft hat es sogar den Anschein, als ob sie mit’ ihren Fortsätzen zwischen den Fasern des 'Substrates 'hervorge- wachsen wären. Fixen!) hat übrigens das geschichtete Epi- thel nicht allen Papillen vindicirt; bei den ganz schmalen 1) A. a. 0. S. 34. 2) A. a. 0.8. 33; Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches. 509 nervenlosen Papillen nimmt er auch einschichtiges Epithel an. Ich habe verschiedene Beobachtungen gemacht, welche gegen die Schichtung sprechen. Erstens fand ich an Quer- schnitten von Chromsäure- und getrockneten (Holzessig-) Präparaten, und zwar an den breiten Papillen, in den Drü- sen und am unteren Theile der schmalen Papillen, nur eine einfache Schicht von Epithel; es lässt sich dies sehr gut con- statiren, wenn man an feinen durchsichtigen Schnittchen die Zellen und besonders den Kern hervortreten lässt, z. B. durch Jodtinetur oder noch besser durch Carminlösung; man sieht da nur Zelle neben Zelle, freilich in sehr schräger Rich- tung dem Substrate aufsitzend; die Kerne meist sehr schön in einer einfachen Lage, in gleichen Entfernungen von ein- ander und vom Substrat, liegen im unteren Theile der Zellen. Der obere Theil der schmalen Papillen lässt sich selten so schön vom Messer durchschneiden, dass man auch hier den Ansatz der Zellen deutlich beobachten könnte. Um mich daher auch von der einfachen Epithelialschicht am Ende der schmalen Papillen zu überzeugen, suchte ich nach anderen Methoden, und es ist mir auch in der That an frischen Chrom- säurepräparaten oder einfach in Salzlösung macerirten Zun- gen gelungen zu beobachten, wie, bei leichtem Drucke des Deckgläschens auf zarte Schnitte, das Epithel im Zusammen- hange, in Form einer Kappe, von dem vollkommen scharf begrenzten Substrat der Papillen sich ablöste und aus einer einfachen Zellenschicht bestehend sich erwies. Die Art und Weise, wie die Zellen in schräger Riehtung an der Papille befestigt gewesen waren, konnte man dabei deutlich erkennen. Diese Verhältnisse, so wie der Umstand, dass man an allen Theilen der Schleimhaut, von denen gute Querschnitte ange- fertigt werden können, eine durch deutliche scharfe Contou- ren markirte Grenze des Substrates gegen das Epithel vor- findet, bieten ziemlich sprechende Beweise gegen die An- nahme eines Hervorwachsens der Zellen aus dem Substrate. Die auf der Endfläche der nervenhaltigen Papillen sich findenden Zellen beschreibt Billroth in seiner ersten Ab- 510 Hoyer: handlung") als einfache, cilientragende, mit einem längeren Fortsatz, der in ein kleines Knöpfchen ausgeht, und einem dunkeln Inhalt versehene, wie eine Krone der Papillen auf- sitzende, schwer von einander zu isolirende Cylinderzellen. In seiner zweiten Abhandlung?) erkennt er an, dass sie ci- lienlos sind, doch ist ihre Gestalt eine ganz andere; „sie ha- ben eine längliche Form und einen den Zellkörper fast allein ausfüllenden Kern. Nach der freien Fläche zu besitzen sie entweder verästelte, an ihrem Ende leicht geknöpfte Fäden, theils stäbchenartige Körper, theils trichterartige membranöse Aufsätze; nach der Papille zu haben sie einen Fortsatz, der in ein verästeltes, zaseriges, wurzelähnliches Gewebe aus- geht, durch welches die Zellen mit einander in Verbindung stehen und fest aneinander gehalten werden, und vermöge deren sie an der Papillaroberfläche fest adhäriren.* Bill- roth nimmt an, dass die verschiedenen Formen dieser Zellen Derivate einer nicht näher zu bestimmenden Grundform sind. Nach meinen Untersuchungen muss ich mich für die erste Beschreibung der Zellen erklären, obschon ich auch die letztbeschriebenen Formen gesehen habe. Dass diese Zellen sehr fest am Substrat haften und nach Behandlung mit Chrom- säurelösung oder nach einfacher Maceration in ihrer Ge- sammtheit von der Papillaroberfläche sich ablösen, ferner dass sie auch unter einander fester zusammenhängen, lässt sich leicht beobachten. Aber davon habe ich mich nicht überzeugen können, dass nach ihrer Entfernung von der Pa- pille die Endfläche derselben ein faseriges zerrissenes Aus- sehen zeige; im Gegentheil, der Saum des bindegewebigen Substrates war, wie schon erwähnt, gegen das Epithel hin durch eine scharfe Contour begrenzt, sowohl an Chromsäure- präparaten, wo die Papillaroberfläche allerdings zuweilen rauher als an einfach macerirten Zungen, aber keineswegs faserig zerspalten erscheint. Häufig hatte ich Gelegenheit zu beobachten, dass die von einem so scharf begrenzten Sub- 1) In Göschen’s „Deutscher Klinik“ 1857, No. 21. 2) Müller’s Archiv, 1858, 8. 176. Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge des Frosches. 511] ’ strat losgelösten Zellen mit ihren oberen Theilen unter ein- ander fest zusammenhingen, ihre Fortsätze dagegen einfach und frei hervorragten und kein verästeltes wurzelähnliches Gewebe bildeten. Es hat seine Schwierigkeiten, die Zellen isolirt zur Beob- achtung zu‘erhalten, weil sie getrennt vom Convolut sich unter die Zellen der anderen Schleimhauttheile mischen und alsdann schwer herauszufinden sind. Um mich vor Täu- schungen zu schützen, habe ich die Zellen der Endfläche der breiten Papillen nur dann genauer untersucht, wenn sie von einander isolirt, aber in ganzen. Haufen zusammen lie- gen geblieben und mit anderen Zellen nicht gemischt waren. Sie unterscheiden sich in ihrer Form nicht wesentlich von den gewöhnlichen Cylinderzellen der Rachen- oder Nasen- schleimhaut des Frosches; sie sind indessen bedeutend schma- ler als die übrigen Zellen der Zungenoberfläche, haben einen feiner granulirten Inhalt, einen kleineren Kern, einen schma- leren nond längeren Fortsatz; ihr freies, wenig breiteres Ende ist ziemlich gerade abgeschnitten (während jene ein vorge- wölbtes, sehr breites Ende besitzen). Der Kern verrückt sich zwar auch in ihnen und tritt selbst ganz aus der Zelle heraus, doch selten findet er sich tief unten im Fortsatz; er hat einen mehr homogenen Inhalt und zeigt auch die von Billroth') für eine Folge der Quellung gehaltene Erschei- nung, indem er häufig aussieht, als ob sich ein helles Bläs- chen von dem stärker lichtbrechenden gelblichen Kerne ab- hebe; ich halte diese Erscheinung für eine Folge der Gerin- nung, indem sich in dem ovalen Kerne ein festerer Theil von einem flüssigeren Theile scheidet und als Niederschlag an der einen (gewöhnlich der unteren) Seitenwand des Kernes ab- lagert, so dass ein halbmondförmiger dunklerer Theil den eigentlichen Kern zu bilden scheint, während der hellere Theil des Kernes wie ein sich abhebendes Bläschen sich dar- stellt. Eine gleiche Erscheinung beobachtet man zuweilen auch an Öylinderzellen von anderen Schleimhäuten, beson- 1) Müller’s Archiv, 1858, S. 171. 512 Hoyer: ders denen der Regio olfactoria von Säugethieren und vom Frosch. Die von Billroth') beschriebenen verschiedenen Formen des oberen Theiles der Zellen rühren entweder von Beobachtungen an Zellen der anderen Theile der Zungen- oberfläche, deren oberes Ende nach Behandlung mit Chrom- säurelösung sehr stark schrumpft, sich in Längsfalten legt und so das Bild faltiger Trichter oder feiner Fortsätze giebt, wie ich es öfter gesehen; oder es hängen die Zellen mit ihren mittleren Theilen fest an einander, decken sich dort, 'wäh- rend die oberen und unteren Enden seitlich hervorragen, und erscheinen auf diese Weise als eine oben und unten ge- spaltene Zelle. Aehnliche Verhältnisse habe ich schon an den Zellen der Nasenschleimhaut beobachtet und in meiner Dis- sertation?) beschrieben. Auch bei den eben besprochenen Zellenformen habe ich die Methode des Rollens unter dem Deckgläschen mit Erfolg angewendet, um die Täuschung nachzuweisen. Ich wiederhole es hier abermals, dass durch die Einwirkung der Chromsäure die Zellenformen auf die mannichfaltigste Weise verändert und die merkwürdigsten Täuschungen herbeigeführt werden. Die einfache Maceration der Zunge in Wasser ergab mir viel weniger Formverschie- denheiten der Zellen, sobald ich aber zu denselben Jodlösung hinzusetzte, so schrumpften sie stark zusammen und erhiel- ten die wunderlichsten Formen. — Die Zellen der Endfläche der breiten Papillen markiren sich schon bei frischen Prä- paraten als durch eine bestimmte Grenze vom Substrat ge- schieden. Die Zellen der unteren Zungenfläche unterscheiden sich von denen der übrigen Mundschleimhaut nicht. Sie sind ein- fach, nieht geschichtet, mit Cilien versehen, bedeutend län- ger, als die auf den schmalen Papillen, mit einfachem Fort- satz; doch treten auch hier nach Chromsäurebehandlung die verschiedensten Formen zum Vorschein, z. B. gespaltene oder lange dünne Fortsätze u. s. w. F. Auf das Studium der Drüsen habe ich nur wenig 1) Müller’s Archiv 1858, S. 176. 2) A. a. 0. Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge‘ des Frosches. 513 Fleiss verwendet. Es sind längliche, mit Cylinderepithel, wie es auf den schmalen Papillen vorkommt, ausgekleidete Säcke, die theilweise bis dieht an die quere'Muskelschicht herab- reichen, unten etwas breiter sind als oben, und mehrfache, kürzere Nebensäcke besitzen. Die Epithelien kann man theil- weise auf Querschnitten der Zunge studiren, theils an in. Wasser oder Chromsäurelösung macerirten Zungen, wo auf leisen Druck mittelst des Deekgläschens die Zellen ins- gesammt heraustreten. Die kreisförmigen Ausführungsöffnun- gen der Drüsen liegen zwischen den Basen der Papillen. — Die Resultate meiner Untersuchung an der Froschzunge sind also im Wesentlichen folgende: Es giebt an der oberen Fläche der Froschzunge zwei’Ar- ten von Papillen, breite oder nervenhaltige und schmale oder nervenlose, Die ersteren sind die wahren Organe des Ge- schmacks, sie enthalten ein dünnes Nervenstämmchen, das aus einfach contourirten Fasern besteht.. Diese Fasern en- digen einfach blind und zwar innerhalb des Substrates dicht unterhalb der Anheftungsstelle des Epithels am freien Ende der Papille. Das Epithel oberhalb des Nervenendes hat eine andere Beschaffenheit, als das auf den Seitenflächen der brei- ten und auf allen schmalen Papillen befindliche; es besteht aus schmalen, langen, eilienlosen Cylinderzellen, die mit einem einfachen spitz zulaufenden Ende dem Substrate an- geheftet sind. Um diese Zellen herum findet sich das ge- wöhnliche Epithel der Zungenoberfläche, jedoch besitzt das- selbe bedeutend längere Cilien, als das der schmalen Papillen. — Zwischen den Bindegewebskörpern und dem Epithel der schmalen Papillen lässt sich ein innigerer Zusammenhang nicht nachweisen. — Die zur Zungenoberfläche emporsteigen- den Muskelfasern theilen sich vielfach, verschmälern sich be- deutend und bilden zuletzt ganz feine Fäserchen, in denen kernartige Bildungen enthalten sind; dieselben sind aber nicht identisch mit Bindegewebskörpern, sondern gehören der con- tractilen Substanz an, aus der auch noch die feinsten Fäser- chen bestehen. 514 Hoyer: Mikroskopische Untersuchungen über die Zunge: u.s. w. Fig. A. B. E. 6.6. €. Fig. Erklärung der Abbildungen. 1. Querschnitt durch die Froschzunge. Schmale Papillen in ihrem normalen Zustande. Eine schmale Papille durchschnitten,, um die Anheftungsweise des Epithels zu zeigen. Eine breite Papille im normalen Zustande und in einem mehr schematisch gehaltenen Durchschnitte. — a. Die cilienlosen, dnnkleren Zellen der Endfläche, mehr cylindrisch. — bb. Durchschnitt des Kranzes von gewöhnlichen Zellen der Zun- genoberfläche, welcher die eilienlosen Zellen begrenzt; die Zellen sind ausgezeichnet durch die langen Cilien. — b. Zellen der Seitenwände der breiten Papillen, welche diesel- ben kurzen Cilien besitzen, wie das Epithel der schmalen Papillen. — d. Gefässkranz um das Nervenende. (e) — f. Muskelfaserenden. Drüsenschläuche mit seitlichen Ausbuchtungen. . Musculus transversus, aus welchem zahlreiche Fasern zwi- schen die Drüsen emporsteigen, sich einfach theilen, zuspitzen und in sehr dünne Fasern auslaufen, die den Bindegewebs- körpern ähnliche Kerne enthalten. Die dazwischen gelegenen zahlreichen, eigentlichen Bindegewebskörper (h) stellen mit ihren Fortsätzen scheinbar ein Fasernetz dar. . Querschnitt des längsverlaufenden Muskels, aus welchem bei (i) gleichfalls Fasern zur Oberfläche abgehen. K. Untere quere Muskelschicht. L. Substrat der Schleimhaut an der unteren Zungenfläche. M. 13 C Flimmerepithel derselben. 2 . Eine schmale Papille nach längerer Behandlung mit Chrom- säurelösung, stark geschrumpft: das Epithel theilweise ver- loren gegangen, theilweise zusammengeschrumpft, das Ganze stellt sich so dar, als ob aus dem scheinbar faserigen Sub- strat spindelförmige und darüber eylindrische Zellen her- vorwachsen. Fig. 3. D. F. G. Eine schmale Papille ohne Epithel nach Maceration in de- stillirtem Wasser, Eine breite Papille nach Befreiung des Epithels durch Ma- ceration. Man sieht die nach verschiedenen Seiten zerstreu- ten Nervenenden und einige Muskelfaserenden. — d. e. f. wie in Fig. 1. y Durchschnittener Drüsenschlauch. N. Lieberkühn: Neue: Beiträge zur Anatomie der Spongien. 515 Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. Von N. Liegerkünn. (Hierzu Taf. IX., X. und XI.) (Fortsetzung und Schluss der Abhandlung S. 353.) Kieselschwämm e, "Als eine besondere Abtheilung der Schwämme sind die Clionen von Grant aufgestellt, weil er bewegliche Fäden an den Ausströmungsröhren derselben beobachtet haben wollte (Edinb. New philosoph. Journal 1826 p. 78). Bowerbank hat diese Fäden nicht wiederfinden können und ist der An- sicht, dass Grant zufällig auf dem Schwamm vorhandene Polypen für etwas demselben 'Wesentliches gehalten habe. Johnston stellt die Clionen fraglich zu den Halichondrien. Albany Hancock hält die Gattung Clione aufrecht wegen der ungewöhnlichen Contraetilität ihres Gewebes und wegen ihres Vorkommens, indem sie Höhlen von Kalksteinen und Muschel- und Schneckenschalen bewohnt. Die Zahl der Ar- ten ist sehr gross; allein auf Tridacna gigas sind ihrer 12 beobachtet. An der Küste von Northumberland fand Han- eock auf grossen Strecken die Oberfläche fast jedes in der Nähe der Ebbelinie befindlichen Kalksteines von den Olionen siebartig durehlöchert und zahllose Muscheln damit@ngefüllt. Die von verschiedenen Arten bewohnten Kammern haben eine verschiedene Gestalt. Früher hat man geglaubt, dass die von Schwämmen bewohnten Löcher von Würmern her- rührten; Grant sagt wenigstens, dass die Clionen die yor- gefundenen Höhlen nur erweitern. Hancock ist der Ansicht, dass sie dieselben von Anfang an selbst bohren, weil: die Würmer und andere bohrende Thiere niemals so gestaltete 516 N. Lieberkühn: Höhlen bewohnen und die Clionen letztere stets ganz aus- füllen. ; Ich beobachtete eine Clione lebend an Schalen von Ostrea edulis bei Helgoland; es ist wahrscheinlich Clione celata vou Grant, doch lässt es sich nicht ganz sicher feststellen, da Grant die Form der Nadeln nicht hinreichend beschrieben hat. Ich werde sie Clione celata nennen. Sie bewohnt sowohl die Schalen lebender Austern, als auch leere; im ersteren Falle ragen auf der äusseren Oberfläche der Schale viele kegelförmige und eylindrische, an ihrer Spitze geschlossene oder oflene Stücke des Schwammes ungefähr eine Linie weit hervor. Bricht man die Schale auf, so findet man häufig die innere Seite von kleinen grünlichen, bräunlichen Höckern be- setzt, die bisweilen selbst die Form von Perlen annehmen und Perlmutterglanz zeigen; schabt man solche Höcker all- mälig ab, so stösst man bald auf spitze Fortsätze des Kör- pers der Clione, welche sich nicht selten durch das Innere der ganzen Schale hindurch erstreckt und die oben erwähn- ten kegelförmigen und eylindrischen Hervorragungen nach aussen abgiebt. In anderen Fällen hängt nicht die Schwamm- substanz zusammen, sondern bildet Inseln und sind dann jedenfalls mehrere Individuen in einer Schale vorhanden. In leeren Austerschalen ist sowohl die äussere als die innere Seite durchlöchert und die kegelförmigen Fortsätze ragen nach innen und aussen hervor. Es ist unzweifelhaft, dass die Clionen mit einem Theile ihres Körpers in von Würmern erzeugte Höhlen eindringen; ich sah zu wiederholten Malen auf der Austerschäle befindliche Serpula-Kalkröhren von den in ‘der Austerschale lebenden Clionen ausgefüllt und die Wände @erselben wiederum von den Clionen durehböhrt. Den ganzen Körper der Clione kann man beobachten, wenn man die Austerschale in verdünnter Salpetersäure auf- löst und die in geringer Menge zurückbleibenden ungelösten organischen Bestandtheile vorsichtig von der Clione ablöst. Sie ist von intensiv gelber Farbe und stellt ein nach den verschiedensten Richtungen hin sich verästelndes Netzwerk dar, dessen einzelne Parenchymbalken eine sehr verschiedene Nene Beiträge zur Anatomie der Spongien. 517 Dieke und Gestalt haben. Die über die‘ Oberfläche der Austerschale hervorragenden Röhren eommunieiren mit den durch den ganzen Körper hindurchgehenden stärkeren oder schwächeren Höhlen und zeigen, wenn man sie abschneidet und von innen her betrachtet, meist einen ringförmigen Wulst, der in gleichem Abstande die Oeflnung umgiebt. Taf. X. Fig. 5. Wenn man das Körperparenchym zerfasert, so’ erhält man zellige Gebilde mit melır oder weniger stark lichtbrechenden Körnchen im Inneren, ferner äusserst kleine, körnchenlose, durehsiehtige Schwammstücke' und endlich dergleichen von stark lichtbrechenden Körnchen erfüllt; erstere zeigen ‘auch bisweilen einen Kern. Bewegungserscheinungen kommen bei ihnen vor, wie bei den Spongillen. Die mit einem Wimper- haare versehenen Wimperzellen verlieren rasch ihre Bewe- gungsfähigkeit. Die Nadeln sind an dem einen‘ Ende ge- knöpft, öfter geht auch über den Knopf noch eine sehr kurze Spitze hinaus, äusserst selten kommt auch ein mal eine An- schwellung in der Mitte der Nadel vor, vergleiche Fig. 6. Contraetionserscheinungen "beobachtet man‘ an den frei hervorragenden Röhren, an denen ich auch einige Male Was- Serausströmungen sah. ‘ Bei Berührung der Ausströmungs- röhren mittelst einer Nadel ziehen 'sie sich langsam "unter das Niveau der Austerschale zurück und schliessen sich die Oefinungen, was öfter direet sichtbar ist. Lässt man die Austerschale nun ruhig einige Zeit im Wasser liegen, so tre- ten die Röhren wieder hervor und öflnen sich; an manchen erhebt sich noch rings herum ein durchsichtiger über eine halbe Linie hoher dünner Saum. Eine andere Form der Kieselschwämme fand ich 'eben- falls bei Helgoland an der unteren Fläche von Steinen, die während der Ebbe ausser Wasser lagen. Es sind mehrere Quadratzoll breite und bis drei Linien dieke Halichondrien von brauner Farbe. Ich werde sie Halichondria aspera nen- nen. Auf der ganzen Oberfläche finden sich in Abständen von 2 bis 3 Linien die Ausströmungslöcher, in welche wie- der meist mehrere Canäle ausmünden,' Ausser diesen er- scheinen zahllose kleine, naclı oben mit blossem' Auge sicht- Heichert's u. du Bols-Keymond's Archiv. 1859, 34 518 N. Lieberkühn: bare, Löcher unter der Oberfläche der äusseren Haut., Mit Hülfe der Lupe entdeckt man spitzige Hervorragungen auf dem ganzen Schwamme, freie Endigungen des Nadelgerüstes, Das Netzwerk bildet fast regelmässige Quadrate ‚und besteht aus glatten Hornfasern, die so dünn sind, dass, man sie nur mit Hülfe der Lupe deutlich erkennen. kann, Bei starken Vergrösserungen bemerkt man innerhalb der Hornfasern äus- serst feine, an beiden Enden zugespitzte, in (der Mitte, mit einer ovalen Anschwellung versehene Kieselnadeln, vergleiche Taf. X. Fig. 7, die zu 10, oder in geringerer Anzabl bei, dün- neren Fasern, neben einander liegen und mit der Längsachse meist in die Längsrichtung der Fasern fallen ; nur bisweilen ragt, eine querliegende etwas über das Niveau des Fadens heraus. Die Hornsubstanz löst sich beim Zerfasern .biswei- len in einzelnen durehsichtigen Lamellen ab, die in manchen Fällen eine. leichte Längsstreifung zeigen; nicht ‚selten dehnt sich die Hornfaser dabei auch plötzlich um das. Vielfache ihrer Dicke an den abgerissenen Enden aus, unter Bildung einer umfangreichen Höhle. Manche Fasern haben auch eine feine Querrunzelung. Merkwürdig ist das Verhalten der Hornsubstanz gegen eine durch den Schwamm verbreitete Alge, welche Herr.Dr. Pringsheim als eine Polysiphonia bestimmte. ‘Die. Horu- masse überzieht theils mit, theils ohne Nadeln die Algenfäden ringsum, oder sie bedeckt nur seinen, Theil des Fadens; in äusserst dünner Lage und zwar dann meist ohne Ablagerung von, Nadeln, und lässt den übrigen Theil desselben frei,.'so dass er gleichsam in einer Rinne, von Hornsubstanz liegt. Die Algenfäden wachsen hier jedenfalls nicht in die. Horn- substanz hinein, sondern letztere wird auf die Fäden abge- lagert... Die Verzweigungsart der Alge ist nämlich ganz 'ab- weichend von der Verästelungsweise der Hornsubstanz und ist innerhalb des Schwammes unverändert, so dass die Horn- substanz das Charakteristische ihrer Verzweigung verliert und sich nach der der Alge richtet. Die eben beschriebene Halichondria ist leicht bestimmbar durch die Feinheit der Hornfäden und die Form der darin enthaltenen Nadeln, Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. 519 "Die bei Helgoland verbreitetste Halichondria kommt an Steinen, an Fucusblättern in Form eines grauen Ueberzuges bis zu mehreren Zoll im Durchmesser vor und hat keine be- stimmte Gestalt, dieselbe richtet sich vielmehr nach den Ge- genständen, auf denen der Schwamm. lebt; sie ist platt auf Steinen, baumförmig verzweigt auf Algen. Auf der Oberfläche grösserer Stücke sieht man sich ver- ästelnde öfter bis zu einer halben Linie breite Streifen, die an einer Stelle 'zusammenlaufen, welche unter Wasser‘ sich als die Ausflussröhre erweist. Die Streifen sind Canäle, welche zu ihr hinlaufen und durch die äussere Haut hindurch- sehimmern. Die Ausflussröhre fand ich bis zu einer Linie lang und einer halben Linie dick. Sie ist, wie bei den Spon+ gillen, eine Fortsetzung der äusseren Haut und ‘eben so wie hier contraetil. Bei Betrachtung mit einer starken Lupe er- scheint auf der Oberfläche ein feines Netzwerk, dessen! Ma- schen sich an Grösse an den verschiedensten Stellen: ziemlich gleich’bleiben. Dasselbe kommt zu ‚Stande durch ‚die. An- orduung der Kieselnadeln und ist charakteristisch für ‚diese Art. Die Ausströmungs- und Einströmungserscheinungen sind dieselben wie bei den Spongillen. ı Beim’ Zerfasern ‚des Schwammes finden sich die ‚gewöhnlichen Wimperzellen und grössere und kleinere Stücke Substanz mit den bekannten Be- wegungserscheinungen, ‘Die Nadeln sind an beiden Enden gleichmässig zugespitzt, vergleiche Taf. X. Fig. 8.; verbindende Hornsubstanz fand ich nicht vor. Diese Art mag Halichon- dria reticulatz heissen. Während meines Aufenthaltes in Triest im verflossenen Herbst beobachtete ich 3 Arten Kieselschwämme, die sämmt- lieh von Fischern aus grösseren Tiefen des Meeres mit dem Netze heraufgebracht worden waren. 'Nur‘3 Arten liessen sieh mit Sicherheit nach den vorhandenen Werken bestim- men, die übrigen mögen wohl auch bereits beschrieben sein, jedoch nicht hinreichend, um die’ Identität festzustellen, in- dem genauere Angaben über die Form und Grösse der Kie- 34 520 N. Lieberkühn: selnadeln fehlen, woraus hier allein die Feststellung der Art mit voller Sicherheit geschieht. 1. Aleyonium domuncula Olivi, Lithumena domuüncula. Re- nier, sive Alcyonium ‘compactum, Pomo di mare, der Fischer. Diese Halichondria (H. compacta Lbkn.) überzieht die Schalen von Buccinum, Murex-Arten und bildet kuglige, eiförmige oder sehneckenhausförmige mennigrothe Massen, die eine. ganz platte: Oberfläche mit einem oder mehrere. bis: zu 2 Linien im Durchmesser haltenden Löchern haben. In den Schnecken- häusern lebt in der Regel Pagurus callidus. Das Schnecken- haus kann ganz und gar zu Grunde gehen, der Krebs lebt dann innerhalb des Schwammes in einer jenem eongraenten Höhle; bisweilen findet sich nur noch der untere Theil des Gehäuses im Inneren der Spongie vor. Auf Durchsehnitten finden sich Andeutungen von Canälen vor, die den Körper durchziehen und in die oben erwähnten Löcher auslaufen. Olivi hat hier schon- Wasserausströmung beobachtet, es könnte diese jedoch von jungen Krebsen herrühren,, welche oft in grossen Mengen innerhalb des Röhrensystems vorkom- men. Die Weichtheile zeigen beim ‚Zerfasern nichts Ab- weichendes; Wimperzellen waren nicht zu sehen. Die Na- deln sind stecknadelförmig, bisweilen geht über den Knopf noch ein kleiner Fortsatz hinaus; in einigen Fällen sah man eine schmale eylindrische Höhle, die sich am Knopf kugel- förmig ausbreitete, durch die ganze Länge der Nadel’ ver- laufen. Die Nadeln sind nicht durch die in Ammoniak. un- lösliche Hornsubstanz mit einander verbunden; wenn man ein Stück dieses Schwammes längere Zeit in Ammoniak lie- gen lässt, bleiben schliesslieh nur die Nadeln übrig. 2. Diese Art bildet über fingerdicke Aeste, die dieht‘an einander hinlaufen und vielfach durch dicke Verbindungs- stücke zusammenhängen. Die Oberfläche des Schwammes ist sehr uneben,: voller Vertiefungen von verschiedener Form und Grösse und meist so angeordnet, dass der Schwamm waben- förmig erscheint. Die Farbe ist schmutzig rosenroth.. Die Nadelzüge bestehen 'aus vielen nebeneinanderliegenden Na- deln von zweierlei Form; die eine ist an dem einen Ende ‚ Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. Hal einfach abgestumpft ohne knopfförmige Anschwellung, an dem anderen zugespitzt, meist etwas gekrümmt und mit kleinen Höckern versehen. Die andere ist gerade und an beiden Enden plötzlich zugespitzt; ausserdem kommen sehr kleine nahezu halbkreisförmige oder Sförmig gekrümmte Kieselfor- men darin vor, vergl. Taf. XI. Fig. 2. Verbindende Hornsub- stanz fand ich nicht. Ich nenne diesen Schwamm Halichondria rosacea. 3. Die dritte Art bildet in den grössten Exemplaren Ringe von etwa einem Fuss im Durchmesser; die Substanz des Ringes ist über '/, Fuss breit; sie bildet keine solide Masse, sondern besteht aus Aesten .von nicht '/,; Zoll Dicke, mit vielfachen Querverbindungen. Farbe: rothgelb. Die Nadeln sind an dem einen Ende zugespitzt und an dem anderen et- was angeschwollen und von Hornsubstanz allseitig einge- schlossen; die Fasern des Netzwerkes sind eben mit blossen Augen sichtbar, die Maschen länglich viereckig; vgl. T. XI. Fig. 3. Ich nenne diese Art Halichondria corona. ‘4. Lithumena lobata Renier, orangeroth, Oberfläche glatt ohne Nadelhervorragung. Ist eine Halichondria. Grosse steeknadelförmige Nadeln meist mit kleinem Höcker.an der oberen Seite des Kopfes. Hornsubstanz wurde nicht vorge- funden. Die Nadeln des Netzwerks liegen dichtgedrängt in grossen Mengen aneinander. Ausströmungslöcher ' wurden nicht vorgefunden, vergl. Taf. ‚XI. Fig. 4. 5. Unregelmässige über faustgrosse Stücke von hellgelber Farbe. Die Oberfläche glatt, die Nadeln liegen in verschie- den dieken Bündeln bei einander und sind an dem einen Ende knopfförmig angeschwollen, oft mit einer reg der ganzen Länge nach versehen; vergl. Taf, XI. Fig. 5. Ich nenne diese Halichondria H. flava. 6. Sponyia anhelans Vio., ist ebenfalls eine Haliehöhdriö. Bildet unregelmässige Massen, die häufig kurze, mehr als fingerdieke, oben abgerundete Aeste haben, ‘Die Farbe ist im frischen Zustande dunkelblau. Die Nadeln sind eylindrisch, meist etwas gekrümmt, andem einen Ende einfach abgestumpft, un dem anderen zugespitzt, ausserdem finden sich viele an bei- 522 N. Lieberkühn: den Enden ızugespitzte äusserst feine Nadeln. T.Xl. Fig. 6. Hornsubstanz wurde nicht vorgefunden. 7. 'Spongia faseieulata Pallas, Halichondria faseieulala (Lbkn.), lebend korallenroth. Unregelmässige Massen mitvielen kurzen und längeren Aesten versehen, die fast sämmtlieh an der Spitze oder ‘dieht dabei ein bis zu einer halben Linie, mes- sendes‘ Ausströmungsloch haben. Die Nadeln des Gerüstes sind eylindrisch und an beiden Enden ziemlich plötzlich. zu- gespitzt,; bisweilen mit kleinen, Höckern auf der, Oberfläche versehen; um die Ausströmungsöffnungen herum liegen in der Regel’ an dem einen Ende abgestumpfte und mit einigen Höckern: versehene Nadeln. T.XI. Fig. 7. 8., Tethyum'ist von jeher als besondere Gattung. der Kie- selschwämme aufgestellt worden wegen der Anordnung |der Nadeln, welche sich von einem Punkte im Innern des: Kör- pers, dem sogenannten Nucleus, aus strahlenförmig in Bün- deln nach der Oberfläche ausbreiten, und ferner wegen der starken Hülle, von welcher der Körper eingeschlossen wird. Ein: von mir in Triest untersuchtes Exeniplar war etwa 'na- hezu kugelförmig und hatte ungefähr. 1!/; Zoll im Durch- messer. Die Oberfläche ist durch regelmässige Vielecke und Kreise von 2bis 3 Linien im grössten Durchmesser cha- rakterisirt. ' Es sind dies die grossen Nadelbündel, deren En- den: hier hervorragen; ein jedes ist von einem äusserst;schma- len gelblichen Saum umgeben, der durch ein eigenthümlieches Gewebe erzeugt! ist, welches die Nadelbündel ‚umschliesst. An einzelnen Stellen ragen statt der Nadelbündel Zotten 'her- vor, welehe. an ihrer. Basis den Durchmesser der Vielecke häben: und! ientweder spitz auslaufen oder am.'Ende kugelig angeschwollen sind und bis zu zwei Linien lang werden können. An einigen in Spiritus ‚aufbewahrten Exemplaren des hiesigen Museums ist die ganze Oberfläche zottig, an an- deren ist sie‘ glatt, ‚und ‚man sieht nur. die. durch die: gelb- lichen Säume begrenzten Vielecke. ' Die Zotten sind niehts Anderes’ ‚als ıhervorgeschobene contractile Zellenmasse,. in welche auch Nadeln eindringen können. Beim Durehschnei- den des Exemiplars zeigte sieh sogleich ein Untersebied 'zwi- Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. 523 schen dem die Nadelbündel einschliessenden Gewebe der etwa 2 Linien dieken äusseren Körperschicht und dem inneren; letzteres ist nämlich ockergelb, sehr leicht zerreisslich und besteht aus kleinen hellen zelligen 'Gebilden ohne: deutlichen Kern, welche den gewöhnlichen Schwammzellen entsprechen; ersteres ist dagegen fast farblos, schwer zerreisslich und weicht von den bekannten Geweben der Schwämme ganz ab. Es hat nämlich, bei starker‘ Vergrösserung betrachtet, ein fase- riges Ansehen; die Fasern sind rund und öfter kaum ?/goo Linie diek, 'an manchen Stellen aber erheblich dieker und dann von kleinen stark lichtbrechenden Körnchen erfüllt, hin und wieder gewunden und dicht gedrängt bei einander ver- laufend. Man glaubt beinahe, es mit der sogenannten orga- nischen Muskelfaser der höheren Thiere zu thun zu haben, die Anschwellungen könnten Zellenkerne bedeuten; ihre wirk- liche Bedeutung dürfte wohl nur durch die Entwicklungsge- schichte festgestellt werden können. An einzelnen Stellen fanden sich dicht unter der Rinde und auch noch in dieselbe eindringend weissliche Flecke, die mit blossem Auge leicht zu erkennen waren und Zellen enthielten, die von vielen dunklen Körnern erfüllt waren und einen hellen Fleck in der Mitte zeigten; bei Behandlung mit Essigsäure verschwanden die stark lichtbrechenden Körnchen und: der helle Fleck er- wies sich deutlich als Kern mit Kernkörperchen, "Sollte hier vielleicht die Bildung der Gemmulae vor sich gehen, ähnlich wie bei den Spongillen? Die Nadeln gehen strahlenförmig von einem Punkt ziemlich in der Mitte des Körpers aus und werden die Bündel nach der Oberfläche zu immer dicker; wo die Rindenschicht beginnt, sind sie von dem oben be- schriebenen Gewebe fest umschlossen. Beim Glühen im Pla- tintiegel verschwindet letzteres und die oberen Enden ‚der Nadelbündel treten als die Vielecke hervor. Bei kleineren Exemplaren kann man hingegen «die 'Nadelbündel heruus- reissen und bleibt dann jenes Gewebe in Form eines grob- maschigen Netzes zurück, . Die vorher erwähnten Zotten sind jedenfalls nur eigenthümliche Contractionszustände des Te- thyum und können nicht zur ’Artbestimmung verwandt wer- 524 N. Lieberkühn: den, wie es wohl geschehen ist. Durch. ‚das Innere ‚des Kör- pers ‘geht ‚ein vielfach verzweigtes Röhrensystem hindurch und mündet in einem etwa '/, Linie im Durchmesser halten- den: kreisförmigen Ausströmungsloch aus... Ausser. den auf Taf. XI, Fig. 9 (die ersten beiden ‚Figuren stellen eine, klei- nere ‘Nadel bei 500facher Vergrösserung, die dritte !/;:der Länge.einer grösseren bei: derselben Vergrösserung dar) ‚das eigentliche Gerüst bildenden ‚Nadeln, finden ‚sich‘ vorzüglich in der Rindensubstanz sternförmige Kieselgebilde 'von’bedeu- tender Grösse, vergl. Taf. IX. die nieht numerirte Figur, und äusserst kleine Kieselsterne 'kaum !/;, So, gross. Die be- schriebene Art ist Johnston’s Tethyum Lyneurium. Von Martens giebt bereits an, dass in den. schattigen Canälen von Venedig Spongien in grossen Mengen vorkom- men, namentlich an den gegen Norden gekehrten ‚Grund- mauern der Häuser, unter den Brücken und auf dem tief- sten Grunde des Canales. ‚Seine Beobachtungen sind ohne Hülfe optischer . Instrumente angestellt. Ich füge zur grös- seren Sicherheit der Bestimmung. die Resultate der mikrosko- pischen Untersuchung hinzu und zwar von fünf Halichondrien. 1) Spongia palmata Solander et Ellis, überzieht als un- förmliche Masse Steine, Holz, Muscheln und treibt meist etwas flach gedrückte grau-gelbliche Aeste, die vielfach un- tereinander zusammenhängen und danu die ‚Form, von ‚Hah- nenkämmen annehmen. Die runden Ausströmungslöcher sind gewöhnlich von einem hervortretenden Rande umgeben, be- finden sich ‘in der'Regel au der, Spitze der Zweige, uud las- sen sich (die hier ausmündenden Canäle durch die, Länge des ganzen Zweiges verfolgen; Die: Nadelreihen ‚des Gerüstes bestehen aus zwei oder nur wenigen neben einander liegenden Nadeln und:sind nicht in Hornsubstanz eingebettet. Die Kie- selnadeln sind sehr klein, ‚meist etwas gebogen und an. bei- den Enden zugespitzt, vergl. Taf. XI. Fig. 12. 2) Spongia semitubulosa Lam. ‚Aus. einer ‚unförmlichen Masse steigen drehrunde, zuweilen etwas flach gedrückte, Neue Beiträge 2ur' Anatomie der Spongien. 525 hänfig 'anastomosirende, seitlich vielfach‘ mit einander ver- wachsene Zweige hervor, ungefähr von der Dicke eines Fe- derkieles.:; Die äussere Haut steht oft weit 'ab und umhüllt den Schwamm. wie ein durehsichtiger Sack. Die Ausfluss- röhren befinden sich 'häufigam oberen Ende der Zweige, aber auch zuweilen auf der unförmlichen Masse. ‘Die Farbe des Schwammes ist etwas grünlich oder weisslich. ‘Die Nadeln sind an beiden Enden zugespitzt, vgl. die nicht numerirte Na- del auf' Taf. XI. Hornsubstanz schliesst‘ die Nadeln nicht ein. Es ist. dies die gemeinste Art der venetianischen Schwämme, 3) Eine von v. Martens nicht beschriebene hellgelbe Art, die Massen von einem Fuss Breite und mehre Zoll Höhe bildet und ‘Aeste von. verschiedener ‚Form aussendet. Die nieht in ‚Horn eingeschlossenen Nadeln sind an’ dem einen Ende einfach abgestumpft. In dem Inneren des Körpers fan- den sich häufig gelbe noch eben mit blossem Auge sichtbare bewimperte Embryonen vor. Die Wimpern derselben sind sehr lang. ‚Die Zellen dazu waren auch bei starker Vergrösserung wohl wegen der Undurchsichtigkeit des Embryo nicht wahr- zunehmen. Im Inneren befanden sich bereits viele "kleine Nadeln und stark lichtbrechende Körner, welche sich ganz wie die Keimkörner oder Elementarbläschen der Spongillen- embryonen verbalten. Auch unbewimperte,' ganz von Keim- körnern erfüllte Körperchen, von der Grösse der Embryo- nen, wurden beobachtet. Ueber die Nadelform vgl. Taf. XI Fig. 10. Ich nenne diese Art Halichondria luzurians. A) Spongia Contarenii Martens. (Bd. Il, 5.455) „Stiel- runde verzweigte, ‚zuweilen anästömosirchde Aeste von !/, bis.1 Zoll Durchmesser, welche wie eine Keule verdickt ab- gerundet enden. Das Gerüst ist ein grobes‘ Netz vielfach anastomosirender derber, harter, milehweisser Fibern, bis zu '/s Linie im Durchmesser. Dieses beinerne Gerippe ist mit einer dichten rauhen aschgrauen Haut aussen wie mit Lösch- papier überzogen, welche sich nicht selten an den unteren älteren Theilen des bis 1 Fuss hohen Schwammes verliert.“ Das innere Körperparenchym: ist von Röhren in verschiede- nen Richtungen durchzogen, die ihre Mündungen, die Aus- 526 1 N. Lieberkühn: strömungslöcher, an nicht bestimmten Stellen besitzen. Das Gerüst besteht aus vielen dicht neben einander gelagerten Nadeln, die, an dem ‘einen’ Ende zugespitzt, an dem ande- ren; wohin‘ sie sich meist etwas verdünnen, ein wenig an- geschwollen sind, ‚und aus anderen Nadeln, welche an bei- den Enden eine nahezu kuglige Anschwellung haben; 'aus- serdem kommen halbkreisförmig gebogene Haken vor,’ vgl. Taf. XI. Fig. 11: 5) Spongia velulata Renier, unförmliche Massen bildend, die bis zu 2 Zoll dicke, ‚oft unter einander verwachsene Aeste ausschicken. Pomeranzengelb. Die Nadeln sind nicht von Hornsubstanz umschlossen ‘und bilden ein unregelmässiges Netzwerk, dessen nur ‘aus Nadelbündeln bestehende Fäden bis zu */, Linie dick sind. Auch in dieser Halichondrie fand ich Embryonen vor. Sie sind ebenfalls pomeranzengelb, leicht mit blossem Auge sichtbar. Die äussere Körperschicht ist heller als die innere Substanz, in welcher ausser Kiesel- nadeln und Keimkörnern sich schon ausgebildete contractile Zellen vorfanden.. Die Nadelreihen des Gerüstes bestehen aus zwei oder nur wenigen neben einander liegenden Nadeln und sind nicht in Hornsubstanz eingebettet. Die Kieselna- deln sind steeknadelförmig; ausserdem kommen noch S-för- mig oder halbkreisförmig gebogene Kieselgebilde vor, vgl. Taf: XI. Fig. 8. Carter hat neuerdings (Ann, and Mag. of nat. hist. vol. XX p. 21 sq. Taf. I) eine'Reihe von Beobachtungen über eine bei Bombay vorkommende Spongille veröffentlicht, durch wel- che die von mir früher mitgetheilten zum grössten Theil’ be- stätigt werden. Er beschreibt die äussere Haut mit den mi- kroskopischen Einströmungslöchern, den darunter liegenden Hohlraum, ‚das‘ davon ausgehende, zu den'Wimperapparaten führende Canalsystem, die Ausströmungsröhren mit den aus- führenden Canälen, die Entwicklung der Kieselnadeln in dem Inneren ‚der Zellen. Er weicht aber darin wesentlich ab, dass die/ ausführenden‘‚Canäle nicht mit den einführenden in di- Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. 527 rectem Zusammenhang stehen; ferner darin, dass pulsirende Behälter in gewissen: Zellen vorkommen, welche ausser den Wimperapparaten (die Wasserströmungen bei den. Schwän- men. bedingen sollen. ‚Ich ‘habe auf diese Punkte von Neuen meine Aufmerksamkeit gerichtet. . Dass die einführenden Ca- näle in die Wimperäpparate, das aufgesogene Wasser: hinein- führen; daran zweifelt auch Carter nicht; man sieht leicht mit dem. Wasser fortgeführte fremde Körperchen, z.B. Car- minkörnehen, aus dem unter der äusseren Haut liegenden Hohlraum zunächst in die zuführenden Canäle und dann. in die Wimperapparate eindringen. Wenn man die letzteren eine Zeit lang beobachtet, so 'bemerkt man bald, dass. ein Theil der Körnchen ganz plötzlich ‚aus den! Wimperappara- ten in mehr oder weniger breite Canäle hinübergeführt wird und aus diesen sogleich. dureh die Ausströmungsöfinung sich entfernt... Es kann keinem Zweifel unterliegen , ‚dass letztere dem ausführenden Canalsystem angehören. Es gelang mir auch , eine,aus ‚einem ausgeschnittenen ‚Stücke entwickelte Spongille zu beobachten, welche in den ersten, Tagen noch keine einführenden und ausführenden Canäle enthielt... Man sah hier nur und zwar mit vollständiger Deutlichkeit, da das sehr kleine Exemplar ‚bloss ein, Paar Nadeln ‘enthielt, die äussere Haut, den unter ihr liegenden grossen Hohlraum, und zwar nach innen von einer zweiten der äusseren fast congruenten inneren Haut begrenzt; von letzterer wurde der durch die Ausströmungsröhre sich nach aussen öffnende Hohl- raum umschlossen. In dieser inneren Haut waren etwa 10 Wimperapparate' wie kleine Säckchen aufgehängt, die zum grossen Theil in ‚den unter! der äusseren Haut, gelegenen Hohlraum hineinragten. , Durch die ‚Einströmungslöcher auf- genommene Carminkörnchen gelangten. zuerst. in), den unter der äusseren Haut liegenden Hohlraum, von hier sogleich in die Wimperapparate und bald darauf in die innere Höhle und aus dieser wurden sie sofort durch die Ausströmungs- öffnung entleert. Nach einigen Tagen hatte sich die innere mit den Wimperapparaten versehene Haut vielfach einge- buchtet und dadurch Canälen ihre Entstehung gegeben, in 528 N. Lieberkühn: deren Wandungen die Wimperapparate liegen. ‘Diese Canäle sind einführende, in soweit sie nach dem unter der äusseren Haut gelegenen Hohlraum hingerichtet sind, und ausführende, in soweit sie dem Bereich des der Ausströmungsröhre zuge- hörenden Hohlraumes sich zuwenden. Was hier bei den $Spon- gillen nur selten beobachtet wird, ist Norm bei den Syeo- nen; die ausführenden Canäle sind dort durch den grossen Hohlraum repräsentirt, welcher am oberen Ende des Kör- pers ausmündet; auf geeigneten Durchschnitten einer solchen Kalkspongie sieht man mittelst des Mikroskops, wie:oben be- reits angeführt worden ist, ‘die Wimperapparate mit einer grossen Oeffnung direct in diesen Hohlraum ausmünden. Was die Zellen mit den contractilen Behältern betrifft, so habe ich mir vergeblich Mühe gegeben, darüber etwas bei den Süsswasser- und Meerschwämmen aufzufinden. Sollte vielleicht eine Verwechslung mit Amöben stattfinden, die bis- weilen in grossen Mengen auf der äusseren Haut der 'Spon- gillen sitzen? Einmal sah ich ihrer so viele zwischen dem Glase und der darauf festsitzenden Spongille, dass sie wie eine zur Spongille gehörende Membran erschienen; in- vielen dieser Amöben liess sich durch die Spongille hindurch der eontractile Behälter erkennen; als einige davon jedoch her- vorkrochen, konnte über ihre Amöbennatur kein Zweifel mehr sein. Es 'sei hier noch eines eigenthümlichen Contraetionszu- standes der äusseren Haut erwähnt. Während dieselbe ge- wöhnlich erheblich vom übrigen Körper. absteht, ‘zieht sie sich bisweilen so zusammen, dass sie auf letzterem aufliegt und der unter ihr befindliche Hohlraum fast ganz verschwin- det; ganz allmälig dehnt sie sich dann wieder aus und wird dünner und ‚durchsichtiger. Nene Beiträge: zur, Anatomie ’der Spongien. 529 Figurenerklärung, Taf. IX. Fig. 1. Fasern der 3ten Art der Hornspongien s. S. 365 mit Kalkstückehen und einer Bacillarienschale im Inneren. Fig. 2. Stück einer Hornfaser von Spongia tupha mit Kiesel- nadelstücken und kleinen Kalktheilchen, nebst Lücken, aus welchen die Kalktheilchen durch Säure entfernt sind. Fig. 3. Nadeln von Sycon eiliatum. Fig. 4. Nadeln von Sycon Humboldtii. Fig. 5. Ei von Sycon eiliatum. Fig. 6. Eibehälter derselben Art. Fig. 7, 8 und 9. Embryonen dieser -Kalkspongie. Taf. X. Fig. 1. Hornfasern vom gewöhnlichen, in Spiritus aufbewahr- ten Badeschwamm mit feiner Längsstreifung und mit con- centrischen Streifen auf dem Querschnitt; die untere Fa- ser. ist mit. Salpetersäure ‚behandelt, wobei eine‘ dünne Hülle zum Vorschein kommt, innerhalb welcher sich stark lichtbrechende zähe Tropfen nebst sehr feinkörniger Sub- stanz vorfinden, Vergrösserung 300fach. Fig. 2. Hornfaser von Filifera verrucosa. Fig. 3. Aeussere Haut von Spongia tupha mit Einströmungs- löchern. Fig. 4. Stück des oberen Endes von Sycon eiliatum mit Wim- perbehältern und den nadeltragenden Kegeln der Kör- peroberfläche. Vergr. 100fach. Fıg. 5. Ausströmungsröhre von Clione celata, von innen ge- sehen. Vergr. fach. Fig. 6. Nadeln derselben, Vergr. 500fach. Fig. 7. Gerüst und Nadel yon Halichondria aspera. Fig. 8. Nadeln von Halichondria retieulata. Die Figuren von Taf. XI sind bei 500maliger Vergrösserung gezeich net und stellen die Nadeln folgender Kieselschwämme dar: Fig. 1. Halichondria compacta, Fig. 2. Halichondria rosacea. 3. Halichondria corona. Fig. 4. Halichondria lohata. 5. Halichondria flava. 6. Halichondria anhelans. Fig. 7. Halichondria fascieulatu. Fig. 8. Halichondria velutata, Fig. 9. Tethyum Lyncurium. Fig. 10. Halichondria luxurians. Fig. 11. Halichondria Contarenüi. Fig. 12. Halichondria palmata. 530 "bh @WB.' Reichert: Ueber die angeblichen Nervenanastomosen im Stra- tum nerveum s. vasculosum der Darmschleimhaut. Von ©. B. REICHERT. Die letzten Jahre haben uns in schneller Aufeinanderfolge eine Reihe mikroskopischer Beobachtungen gebracht, die sich weniger durch eine genaue und vorsichtige Kritik dessen, was unter dem Mikroskop vorlag und aus öfters zu künstlich behandelten Präparaten erschlossen werden durfte, als viel- mehr. dadurch auszeichneten, dass sie gegen bisherige Vor- stellungen über gesetzliche gröbere und feinere Structurver- bältnisse ankämpften. Natürlicherweise hat das Paradoxe und Ungewöhnliche seine Wirkung nicht verfehlt; gerade solche Beobachtungen haben, trotz der erhobenen Bedenken und des Widerspruches, sich leicht populär. gemacht, sind ohne weitere Kritik begierig in Vorträge und Handbücher aufgenommen und nicht selten zu weit ausgreifenden Hypo- thesen benutzt worden. Anatomische, Beobachtungen und Thatsachen haben sonst immer die Eigenschaft des längeren und festeren Bestandes aufzuweisen ‚gehabt; ‚gar leicht dürfte es zutreffen, wenn die kurze „zweijährige Lebensdauer“ auch als Motto an ihre Spitze gegenwärtig gestellt würde. Von der Beobachtung, die hier zur Besprechung gelan- gen soll, kann man nicht behaupten, dass dieselbe im All- gemeinen den Charakter des sehr Auffälligen an sich trüge. Schon die alten Anatomen sprachen von'zahlreichen Nerven in dem Stratum nerveum der Däarmschleimhaut. Niemand kann ferner daran zweifeln, dass in allen Organen Ganglien des sympathischen Nervensystems, vorkommen, ‚und dass si- cherlich eine grosse Anzahl uns bisher noch unbekannt ge- Ueber die angeblichen Nervenanastomösen im Stratum u. s. w. 531 blieben: ist. Auch hat die neuere Zeit die’ Thatsache aner- kennen müssen, dass Nervenkörper durch Verbindungs- und Commissurfasern in continuirlichem Zusammenhange stehen. Gegen Anastomosen endlich der Nervenfasern: in der peri- pherischen Ausbreitung habe ich mich allerdings und zwar in Grundlage genauer eigener Beobachtungen stets ausspre- chen müssen; gleichwohl werden dieselben vielseitig ange- nommen, und bei der Schwierigkeit der Untersuchung darf man doch einen gewissen Spielraum dieser Möglichkeit ge- statten. Bis jetzt freilich konnte ich weder in der Cornea, noch in dem Schwanz der Froschlarven, noch in den Mus- keln, noch in der Haut: und den Sinnesorganen dergleichen Nervenfaseranastomosen: mit irgend welcher genügenden $Si- cherheit auffinden ; ‚über 'die'von ‚Kölliker und: Max Schultze im elektrischen Organe vorgefundenen 'Nerven- faseranastomosen erlaube ich mir. kein Urtheil, da ich fri- sche Präparate nicht untersucht habe. Von den! Nervenple- xus in der Darmschleimhaut war es übrigens’ zweifelhaft, ob dieselben in die Kategorie von Nervenfaseranastomosen in der peripherischen Endigung zu bringen 'sei; man konnte sie möglicherweise: als sympathische Nervencentra der Darmschleimhaut aufnehmen, ‘von welchen aus: die 'periphe- rischen Nervenfasern nach dem Stratum museulare und’ glan- dulare ausstrahlen. ‘Man kann also ‘wohl behaupten, :dass die von Meissner (Henle’s und Pfeufer's Zeitschr. für rationelle Medizin. Neue Folge. Bd. VIII S.364—-366) und später von Billroth (Müller’s Archiv: 18578. 148 sq.) be- schriebenen Nervenplexus in der’ Darmschleimhaut eine sehr auffällige Anomalie nicht im Anspruch nahmen. Und den# noch beruht die Angabe auf einer Täuschung, zu deren Beseitigung beizutragen ich um so mehr‘ mich! ver- pflichtet fühle, als, mein Name unter der Reihe derjenigen Forscher genannt ist, welche die Präparate Billroth’s ken- nen gelernt haben und so gewissermassen die Beobachtung zu bestätigen scheinen. Da die Meissner’sche Mittheilung über ‚die Nervenana- slomosen in der Darmschleimhaut ausdrücklich eine „vor- 532 ©: B: Reichert: läufige“ Mittheilung genannt wird und ausführliche Beschrei- bungen meines Wissens nochnicht erschienen sind, so’darf ich mich auf. die Beobachtungen Billroth’s beschränken, und thue dies um so lieber, als mir ein Präparat desselben zu Gebote steht. Dieses Präparat, dasselbe, welches der ver- storbene Joh. Müller mir im Jahre: 1857 zeigte, ist in der That. vollkommen geeignet, ‘um wenigstens auf den. ersten Blick und bei flüchtiger Beobachtung die Ansicht von‘ vor- liegenden, anastomosirenden 'Nervenkörpern und Nervenfa- sern zu unterstützen. Man sieht feine netzförmige, anasto- mosirende Fäden, nahezu von dem mikroskopischen Habitus und von der Breite und Dicke der' Fortsätze von Nerven- körpern, etwa so wie man dieselben im: Rückenmark oder Gebirn nach oder ohne Behandlung mit Ohromsäure zu be- obachten Gelegenheit hat. An vielen anderen Stellen: sind die Fäden etwas dicker, schwellen hin und wieder zu einem länglichen Knoten an und lassen‘ sich endlich‘ häufig genug zu zwei drei und mehr bis zu verdickten Stellen des Netz- werks verfolgen, die sich etwa so‘ wie: die- centrale Masse eines Ganglienkörpers ausnehmen. ' Dergleiehen Netze finden sich. mehrere über einander gelagert: - ‚Gleichwohl hat‘ das Präparat Billroth’s für mich wenigstens auch bei der er- sten Beobachtung keineswegs eine überzeugende: Kraft ge- habt; ich ‚bin zu vertraut gewesen. mit den Täuschungen, welche die theilweise und unregelmässig: mit stagnirendem, geronnenem Blute erfüllten . Capillarnetze am Schwanz der Froschlarve, bei Fischembryonen und im Rückenmark, im Gehirn, in der Haut u. s. w. der mikroskopischen Beobach- tung durch die täuschende Aehnlichkeit mit anastomosiren- den Nervenfasern und Ganglienkörpern bereiten, als dass ich das Präparat für entscheidend hätte halten können. | Hierzu kam, dass dergleichen zahlreiche Nervenplexus im Darm der Erwachsenen näch Billroth’s eigenen Angaben sowohl, als nach meinen Untersuchungen sich nicht nachweisen liessen. Ich trennte mich von dem Präparate mit dem Wunsche, dass dasselbe wirklich das darstellen möge, wofür man es aus- gebe, da in diesem Falle’ die für die Physiologie so noth- Ueber die angeblichen Nervenanastomosen im Stratum u. s. w. 533 wendigen Anastomosen und Verbindungen der Nervenkörper unter einander hier auf die unzweifelhafteste Weise demon- strirt werden könnten. In der Folge habe ich gleich nach Veröffentlichung der Billroth’schen Beobachtungen den Tractus intestinalis einer grösseren Anzahl von Kindern nach vorschriftsmässiger Behandlung mit und auch ohne Injection auf den angeregten Gegenstand untersucht, und bin zu dem Resultat gekommen, dass der angebliche Nervenple- xus der Darmschleimhaut nichts anders ist, als ein unregelmässig mit stagnirendem, geronnenem Blute erfülltes Gefäss-, besonders Capillarnetz. Ich habe diese Gefässe mit Leim und Zinnober injieirt und die angeblichen Nervenfaseranastomosen vollkommen deut- lich in ihren eontinuirlichen Uebergängen zu den injieirten Gefässen verfolgen können. Oftmals haben mir solche Fä- den vorgelegen, die zum Theil noch den scheinbaren Habi- tus von Nervenfasern hatten, in welche aber gleichwohl ei- nige Zinnoberkörnchen eingedrungen waren. Besonders lehr- reich war für mich ein injieirter Darm, dessen Arterien bis zu den Capillaren hin von Injectionsmasse erfüllt waren, wäh- rend in den übrigen Theilen des Capillarnetzes, so wie in den damit zusammenhängenden Venen das Hämatin, wie es ja öfter geschieht, . in schwarzes Pigment umgewandelt war. Hier hatte das Gefässnetz noch den scheinbaren Ha- bitus von Nervenfasern und Nervenkörpern bewahrt; überall jedoch sah man schwarze Pigmentkörnchen in der Substanz derselben eingebettet, gerade so wie in dem Blute der Ve- nen selbst. In den feinen Fäden waren sie mehr reihenweise geordnet; in den scheinbaren Nervenkörpern in mehr unre- gelmässiger Anordnung und grösserer Zahl vorhanden. Sehr instructiv war für mich eine zufällig gemachte Beobachtung. Es wurden nämlich mehrere Präparate, in welchen das be- schriebene Verhalten sich auffallend klar herausstellte, in Glycerin aufbewahrt. Bei dieser Gelegenheit zeigte es sich, dass die in den Fäden des Netzes eingeschlossenen Blut- zellen, welche sich bisher nur andeutungsweise besonders an den verdickten Stellen markirten, so klar und deutlich als Ueicbert's u. du Bols-Keymond's Archiv. 1859, 3 534 C.B. Reichert: Bläschen hervorgetreten waren, dass nunmehr auch beim er- sten Anblick von einer Verwechselung mit Nervenfäserana- stomosen nicht mehr die Rede sein konnte, Alles, was: ich hier angegeben habe, ist durchaus leicht zu wiederholen und leicht zu eönstatiren, ich beschliesse daher diese Mittheilung mit: Bemerkungen über. das mir zu Gebote stehende Bill- roth’sche Präparat selbst, sowie über das zu untersuchende mikroskopische Object im Allgemeinen. Eine genaue. Revision des Billroth’schen Präparates lässt die bedenklichsten Zweifel gegen die gemachte Deutung auch ohne weitere Untersuchungen an injieirten Präparaten nicht unterdrücken, Es fehlt zunächstregelmässig an den.als Nervenkörper zu bezeichnenden Stellen gerade das wichtigste Kriterium, nämlich der grosse, bläschenförmige Kern mit seinem .charakteristischen Kernkörperchen. Billroth’s Be- schreibung und Zeichnung ist durchaus naturgetreu. Die Substanz der angeblichen Nervenkörper zeigt sich als eine grobkörnige Masse, deren einzelne Körner nahezu die Grösse der Blutkörperchen haben, und die auch, wie angegeben, bei Behandlung mit Glycerin die bläschenförmige Beschaffenheit annehmen. Meissner hat wohl aus diesem Grunde auch mehr ‚von Ganglien als von Ganglienkörpern gesprochen. Billroth hat diesen Mangel auf Rechnung des, nieht 'ent- wickelten Zustandes der Nervenkörper gebracht; inzwischen nehmen sieh die Ganglienkörper zu derselben Zeit an anderen Stellen und selbst noch in früheren Lebensperioden ganz an- ders aus; sie zeigen deutlich das kernhaltige Gebilde; bis- weilen finden sich an diesen angeblichen Nervenkörpern auch ein ‚oder einige grössere, farblose Kügelchen vor, die man sofort als weisse Blutkörperchen anerkennt. Auch der Fall ist mir vorgekommen, dass ein durch seine Grösse sich aus- zeichnender, scheinbar bläschenförmiger Körper in der Mitte oder nach dem Rande der grobkörnigen Masse sich bemerkbar macht. Es liess sich dann stets nachweisen, dass man es bier mit dem Lumen eines an der bezeichneten Stelle abge+ henden Gefässes zu thun habe. Hat man sich mit dem ,Ha- bitus der unter den obwaltenden Umständen sich darstellen- Ueber die angeblichen Nervenanastomosen im Stratum u. s. w. 535 den Blutkörperchen vertraut gemacht, so gelingt es unschwer dieselben auch im Verlaufe der feinsten Fäden des Netzes wieder zus erkennen, selbst wenn mian Glycerin nicht an- wendet. Ein Umstand, welcher die Täuschung sehr begünstigt und die Deutung des vorliegenden Netzwerkes als zum Nerven- system gehörig annehmbar erscheinen lässt, ist der, dass man die Fasern des Netzwerkes selten im Zusammenhange mit grösseren Gefässen vorfindet und vielmehr aller Orts ab- gerissene Enden sieht. Dieses Verhalten ist jedoch leicht zu erklären. Die Arte- rien des Darmes treten bekanntlich durch das Stratum mus- eulare externum, durch das sogenannte Stratum nerveum zum Stratum musculare internum s. subglandulare, woselbst sie schliesslich in die Endverzweigungen sich auflösen und mit den feinsten Aesten und. Capillaren in die Drüsenschicht und in die Zotten sich ausbreiten. Die Capillarnetze für das Stratum musculare gehen aus Zweigen hervor, welche an der Aussen- und Innenfläche, sowie zwischen der Längs- und Kreisfaserschicht abgehen. Die Capillarnetze des Stratum nerveum stehen mit Zweigen, die namentlich an der Innenfläche des Stratum muse. externum und am Stratum subglandulare verlaufen, in Verbindung. Aehnlich verhält sich die Lage der Venenzweige, die das Blut aus den Capillaren abführen. Im mittleren Bezirke des Stratum nerveum sind daher, wenn man von vereinzelten stärkeren Gefässen, die namentlich im Reetum vorkommen, absieht, vorzugsweise Capillarnetze in meist weitmaschiger Form vorzufinden. Wird nun ein Prä- parat nach der Angabe Billroth’s so für die Beobachtung zubereitet, dass man das Stratum nerveum von der Drüsen- schicht und der äusseren Muskelschicht abtrennt, so bleiben die stärkeren Gefässe an den letzteren Schichten haften, und das Stratum nerveum selbst enthält vorzugsweise Capillar- netze, deren Verbindung mit den Capillarnetzen der angren- zenden Schichten gewaltsam losgerissen ist. Hierzu kommt, dass die Auflösung der Arterienzweige in die Capillarnetze öfter plötzlich erfolgt, so dass der eontinuirliche Uebergang 35* 536 ©.B. Reichert: Ueber die angeblichen Nervenianastomösen ü.s. w. der feineren Gefässe in die gröberen in Folge der Undurch- siehtigkeit der Letzteren nicht übersichtlich genug 'hervortrift. Dennoch ist es mir gelungen, auch in dem Billroth’”schen Präparate dergleichen Uebergänge aufzufinden. Will man sich jedoch für diese Untersuchung günstigere Präparate, ver- schaffen, so muss man senkrechte Schnittehen aus der gan- zen Dicke der Darmwand anfertigen. Das Präparat ‘enthält dann allerdings eine geringere Menge von Capillaren; die Aehnlichkeit mit anastomosirenden Nervenfasern ist weniger auffällig, dafür sind nun aber die Verbindungen derselben mit den gröberen Gefässen übersichtlicher geworden. ' Im Widerspruch mit Billroth muss ich daher die Anfertigung solcher Präparate empfehlen, wenn man sich weniger leicht täuschen lassen will. Ueber die feineren Structurverhältnisse des in Rede ste- henden Gefässnetzes ist nur Weniges schliesslich hinzuzufü- gen. Das bindegewebige Stroma des Stratum nerveum zeigt wie die Bindesubstanz des neugeborenen Kindes überhaupt mehr den histologischen Charakter des unreifen Bindege- webes. Wo also die Adventitia sichtbar ist, da markirt sich dieselbe durch die langgezogenen, mehr spindelförmigen Bin- desubstanzkörperchen, welche ‘der Axe des Gefässes parallel gerichtet sind. ‘Bei feineren Gefässen treten sie vereinzelt, zuweilen durch grössere Zwischenräume getrennt, bei stär- keren Gefässen dichter gedrängt und in mehreren Schichten auf. Die glatten Muskelfasern der Tunica media sind an den quer ovalen Kernen leicht kenntlich. An den feinsten Ca- pillaren werden die kernartigen Körper nur sehr vereinzelt, oft streckenweise gar nicht sichtbar. Wilbelm Wundt: Ueber secundäre Modification der Nerven. 537 -Veber secundäre Modifieation der Nerven. Von Dr. WILHELM WUunDr. (Hierzu Tafel XV.) Die Veränderung, welche die Einwirkung eines constanten elektrischen Stromes nach seinem Aufhören in der Erregbar- keit des Nerven zurücklässt, besteht bekanntlich darin, dass die Erregbarkeit für die Richtung des modifieirenden Stromes geringer, für die entgegengesetzte Stromesrichtung aber er- höht wird. Diese Veränderung, die unter dem Namen der Ritter’schen Modification bekannt ist, bemerkt man aber erst nach längerer Einwirkung des elektrischen Stromes, wäh- rend man nach kürzerer Einwirkung desselben eine jener ganz entgegengesetzte Art der Erregbarkeitsveränderung beob- achtet; wir wollen, um beide Veränderungen von einander zu unterscheiden, die erste, die bis jetzt allein genauer be- kannt ist, als primäre Modification, die zweite hingegen, die den Gegenstand vorliegender Mittheilung bildet, als se- eundäre Modification bezeichnen. Ueber den Grund dieser Benennung werden wir weiter unten Rechenschaft geben. Die Thatsache der secundären Modification besteht darin, dass man nach kürzerer Einwirkung des elektrischen Stromes die Erregbarkeit für die Richtung des Stromes erhöht findet; bei etwas längerer Einwirkung geht dann diese Mo- dification durch ein Zwischenstadium in die gewöhnlich be- obachtete primäre Modification über. — Bei den gewöhnli- chen Methoden, die man zur Anstellung von Reizversuchen einschlägt, bekommt man immer nur geringe Grade der se- eundären Modification zu Gesicht, dagegen lässt sich auf be- sonderem Wege die Erregbarkeitserhöhung durch dieselbe so weit treiben, dass sie jener durch primäre Modification (dem Ritter’schen Tetanus) an Grösse gleichkommt. 538 Wilhelm Wundt: Die Versuchsanordnung, deren ich mich für die vorliegen- den Zwecke bediente, waren folgeırde. Zur Einwirkung kurz- dauernder elektrischer Ströme auf den Nerven benutzte ich Schliessungsinductionsschläge: in den Kreis der Kette war neben der primären Rolle ein sehr dünner Kupferdraht von einigen Decimeter Länge eingeschaltet, statt der Oeffnungs- inductionsschläge bediente ich mich der durch Einschaltung einer Nebenschliessung von verschwindendem Widerstand (eines kurzen und dicken Kupferdrahtes) zu jenen beiden er- haltenen Schliessungsinductionsschläge. Diese haben, die gleiche Richtung wie die Oeffnungsinductionsschläge, und man vermeidet bei ihrer Anwendung die Nachtheile der letzteren, nämlich ihre Veränderlichkeit wegen der Dauer des Oeff- nungsfunkens und die Verschiedenheit ihrer Stärke von der- jenigen der Schliessungsinductionsschläge; lässt auch der 'er- stere Nachtheil durch Einschaltung eines Widerstandes sich auf ein Minimum reduciren, so ist doch der zweite auf keine andere Weise zu umgehen, als durch die erwähnte Anord- nung, bei welcher der indueirende Strom vollkommen mit derselben Geschwindigkeit fällt, mit der er ansteigt, und bei welcher daher die Wirkung des inducirten Stromes, der zur Reizung dient, immer an Grösse gleich und nur in Bezug auf die Richtung verschieden ist.!) — Dem Nerven wurden die Ströme durch unpolarisirbare Elektroden zugeleitet; derartiger Elektroden wurden in mehreren Versuchsreihen drei bis vier an dem Nerven angebracht, so dass verschie- dene Stellen des Nerven durch Inductionsschläge oder durch den Strom einer bereit gehaltenen constanten Kette, dessen Stärke mittels eines Rheochords als Nebenschliessung abge- stuft wurde, in beliebiger Richtung erregt werden konnten. — Für die Abblendung der Oeffnungsinductionschläge war; end- lich bei der zweiten Rolle eine Nebenschliessung von ver- schwindendem Widerstand zu dem Kreis ‚des Nerven ange- 1) Vgl. Helmholtz, über die Dauer und den Verlauf der durch Stromesschwankungen indueirten elektrischen Ströme. Pogg. Ann. 1851, Bd. 83, S. 505. [Die Herren Siemens und Halske versehen bereits ihre Schlittenapparate mit der nöthigen Einrichtung, um die Helmholtz’sche Anordnung daran herstellen zu können. E,d.B.-R.] Ueber secundäre Moditication der Nerven. 539 bracht, die in jedem Augenblick mit dem Finger geschlossen werden konnte und sich von selbst wieder: öffnete. — Zur Aufzeichnung der Muskelzusammenziehung bediente ich mich der Hebelvorrichtung des Myographions, die mir durch die Güte des Herrn Prof. Helmholtz zur Verfügung stand; dieselbe war zu diesem Zweck sammt dem den Muskel und die Elektroden tragenden Stativ abgenommen und auf ein besonderes Brett geschraubt. Der Stift des Hebels zeichnete auf dem Cylinder des Kymographions, das’ ich schon früher benutzt (s. meine Schrift über Muskelbewegung, 8. 182), und dem ich eine speciell für derartige Untersuchungen berech- nete Einrichtung gegeben habe. Die Geschwindigkeit der Bewegung kann nämlich an demselben innerhalb weiterer Grenzen variirt und so gross genommen werden, ‚dass, da überdies der Cylinder von beträchtlichem Umfang ist,; noch der Verlauf einer einfachen Muskelzuckung hinreichend deut- lich wird; durch eine an den Windflügeln angebrachte: Arre- tirung kann man ferner in jedem Augenblick die Bewegung bemmen; dadurch wurde es möglich, ohne Aenderungder Versuchsanordnung entweder nur die Höhe der Muskelzusam- menziehung, während der Cylinder stillstand, oder den: Ver- lauf derselben, während er sich mit gleichförmiger Geschwin- digkeit bewegte, aufzeichnen zu lassen. Lässt man eine . Stelle des Nerven öfter nach einander von Inductionsströmen gleicher Richtung durchfliessen, so bemerkt man in allen Fällen, vorausgesetzt dass das Prä- parat hinreichend erregbar ist und die Erregungspausen in der richtigen Weise gewählt 'werden, eine Zunahme der Zuckungshöhe. Diese Zunahme verhält sich aber in Be- zug auf ihre Grösse, auf die Schnelligkeit ihres Eintretens und Schwindens je nach der Richtung der Inductionsschläge etwas verschieden, ebenso ist diese auf die Erregbarkeitsän- derung für die umgekehrte Stromesrichtung von Einfluss. Lässt man Schliessungsinductionsschläge von absteigen- der Richtung bei einer 80 gewählten Entfernung beider Rollen, dass gerade eine schwache Zuckung eintritt, mit solcher Raschheit sich folgen, dass immer einige Secunden nach Be- 540 Wilhelm Wundt: endigung der Zuckung ein neuer Inductionsschlag, einwirkt, so sieht man die Grösse der Zusammenziehung immer mehr zunehmen, bis sie das Zuckungsmaximum erreicht, immer steigt auch dieses bis zu einem Grenzwerthe, von dem an die Zuckungshöhe allmälig wieder abnimmt und schliesslich zu Null wird. Zugleich ändert sich während dessen der Ver- lauf der Zusammenziehung. Die Dauer derselben wird näm- lich erst, während die Zuckungshöhe noch in Zunahme be- griffen ist, und dann bei gleichbleibender Zuckungshöhe im- mer grösser und grösser, so dass schliesslich die ganze Zuckung, während sie ansteigt und wieder sinkt, sehr leicht mit dem Auge sich verfolgen lässt. Hat man ein hinreichend erregbares Präparat, so gelingt es leicht, die Zeit der Ab- nahme der Zusammenziehung so weit hinauszuschieben, dass sich die Erhöhung der Reizbarkeit sehr weit treiben lässt. Man sieht dann die Grösse und Dauer der Zusammenziehung immer weiter zunehmen, bis dieselbe endlich von einem Te- tanus sich nicht mehr unterscheidet. Man überzeugt sich auf diese Weise, dass es eine Grenze zwischen Zuckung und Tetanus nicht giebt: mit der Zunahme der Reiz- barkeit sieht man die Zuckung an Grösse und Dauer zu- nehmen, und endlich geräth der Muskel durch einen einzigen Inductionsschlag in Tetanus. Hieraus dürfte zugleich die Beobachtung oft scheinbar spontaner oder auf Einwirkung momentaner Reize eintretender tetanischer Zusammenziehun- gen, die man an sehr reizbaren Präparaten häufig zu machen Gelegenheit hat, ihre Erklärung finden. Ebenso ist es sehr wahrscheinlich, dass die bereits von Helmholtz bei seinen Untersuchungen über den zeitlichen Verlauf der Muskelzuckung im Anfang der Ermüdung beobachtete Verlängerung der Zuckungscurve ohne Aenderung ihrer Höhe schon die erste Andeutung jenes Uebergangs ist. Während dieser durch viele absteigend gerichtete Induc- tionsschläge herbeigeführten Modification hat sich die Erreg- barkeit für den aufsteigenden Strom nicht in gleicher Weise geändert, sondern, während gemäss der ersten Stufe des Zuckungsgesetzes vor Beginn der Modification neben der I Ueber secundare Modification der Nerven. ‘541 schwachen Zuckung bei absteigendem Induetionsschlag eine stärkere Zuckung durch den aufsteigenden Induetionsschlag von gleicher Wirkungsgrösse hervorgerufen wurde, nimmt bei der Zunahme der ersteren die letztere ab und wird sehr bald Null. Wählt man die Inductionsschläge so schwach, dass in beiden Richtungen keine Zuckung erfolgt, und modifieirt man nun mit absteigenden Strömen, so erfolgt, wenn das Prä- parat hinreichend erregbar ist, nach einiger Zeit eine schwache Zuckung, diese nimmt zu, erreicht das Zuckungsmaximum, vergrössert dieses und geht schliesslich. zuweilen in einen im Moment der Reizung entstehenden Tetanus von kürzerer ‚oder längerer Dauer über, man kann also unter günstigen Ver- hältnissen mit Induetionsschlägen, die sich bei normaler Er- regbarkeit noch unwirksam erweisen, den ganzen Verlauf der Modification herstellen; in diesem Falle sieht man nun die Erregbarkeit für den aufsteigenden Inductionsschlag während der ganzen Zeit, in welcher die andere steigt und wieder sinkt, nicht eintreten. Man könnte aus diesem Verhalten geneigt sein den Schluss zu ziehen, dass bei der Modification durch absteigende In- ductionsschläge die Erregbarkeit für aufsteigende Inductions- schläge vermindert werde. Lässt man aber, um das Abster ben des Nerven hinaus zu schieben, ein Stück Rückenmark mit demselben in Verbindung, und lässt man zugleich die Inductionsschläge nicht allzu nahe dem centralen Ende ein- wirken, so überzeugt man sich, dass jenes Verhalten zunächst in dem Ablauf des Zuckungsgesetzes seinen Grund hat. Man sieht nämlich in diesem Fall zuerst die Zuckung bei abstei- gendem Inductionsschlag und dann auch diejenige bei auf- steigendem Inductionsschlag zunehmen, letztere Zunahme ist "aber immer sehr vorübergehend, so dass auch hier bald al- lein die erste Zuckung übrig bleibt. Nimmt man die Ströme stärker, so z. B. dass die Induc- tionsschläge beider Richtungen das Zuckungsmaximum veran- lassen, so verhält sich die Sache im Wesentlichen ganz ähn- lich; man sieht hier das Zuckungsmaximum anfangs zuneh- 542 “Wilhelm Wundt: men und zwar für beide Richtungen, und dann nimmt die aufsteigende Zuckung ab, während die absteigende noch im Wachsen begriffen ist... Doch sind stärkere Induetionsschläge für die Modification ungünstiger, und es nimmt hier auch die absteigende Zuckung wieder ab, noch ehe man durch den Inductionsschlag einen Tetanus hervorzurufen vermochte. Ueberhaupt sind Inductionsstösse, die so gewählt sind, dass sie gerade ein Zuckungsminimum hervorrufen, der Modification am günstigsten, allzu schwache Induetionsstösse zeigen sich ebenfalls wieder weniger wirksam. Prüft man, nachdem die absteigende Modification so weit getrieben wurde, dass man durch den Inductionsschlag Te- tanus erhält, die modifieirte Nervenstrecke durch den Strom einer eonstanten Kette, den man so schwach wählt, dass er im unveränderten Nerven noch gar keine Zuckung oder die erste Stufe des Zuckungsgesetzes ergab, so zeigt sich eine bemerkenswerthe Verschiedenheit für beide Stromesrichtungen. Sehliesst man nämlich in aufsteigender Richtung, so beruhigt sich alsbald der Tetanus, öffnet man aber nach einer so kur- zen Zeit wieder, dass nicht der Verdacht einer primären Modi- fieation durch den aufsteigenden Strom, die bekanntlich einer ziemlich langen Zeit bedarf, um sie deutlich hervortreten zu Sjassen, entstehen kann, so bricht der Tetanus wieder los; chlies st man dagegen in absteigender Richtung, so verstärkt sich der Tetanus. Der durch secundäre absteigende Modi- fieation erhaltene Tetanus verhält sich also ganz ebenso wie derjenige, den man durch die primäre Modification von ent- gegengesetztem Zeichen hervorruft: der erste verstärkt sieh auf die Schliessung des modifieirenden und beruhigt sich auf die Schliessung des entgegengesetzt gerichteten Stromes, der andere (der Ritter’sche Oeffnungstetanus) verstärkt sich durch die Schliessung des entgegengesetzt gerichteten und beruhigt sich durch die Schliessung des modifieirenden Stromes. Von diesem Verhalten gegenüber absteigenden Inductions- schlägen unterscheidet sich in einiger Hinsicht die Wirkung aufsteigend gerichteter Inductionsschläge. Nimmt 'man diese so ‘schwach, dass gerade eine kleine Zuckung erfolgt, Ueber secundäre Modifieation der Nerven. 543 s0 verstärkt sich diese bei öfterer Wiederholung der gleich- gerichteten Inductionsstösse. Prüft man zugleich‘ dann und wann mit dem gleichen Inductionsstrom entgegengesetzter Richtung, so. sieht man’ vor der Modification (entspreebend im ersten Stadium des Zuckungsgesetzes) hier keine Zuckung erfolgen, nach einiger Zeit tritt aber dieselbe zu der ver- stärkten aufsteigenden Zuekung hinzu; setzt man nun die Modifieation weiter fort, so verstärken sich beide Zuckungen, die absteigende Zuckung bald schneller als die aufsteigende, nach einiger Zeit nimmt die letztere sogar wieder ab und sinkt zuletzt auf Null, während die absteigende Zuckung noch einige Zeit in unveränderter Stärke erhalten bleibt. Nimmt man die Ströme stärker, so dass die Inductions- schläge beider Richtungen Zuckungen hervorrufen, so erhält "man ‚eine Verstärkung beider Zuckungen, die zunimmt, das Zuckungsmaximum erreicht und dasselbe vergrössert; endlich aber nimmt auch hier die aufsteigende Zuckung wieder ab, während die absteigende noch in gleicher Grösse andauert oder sogar in Zunahme begriffen ist. — Eine auf die auf- steigende Richtung beschränkte Zunahme der Erregbarkeit im Anfang der Modification beobachtet man nur, wenn zuvor die aufsteigende Zuckung geringer als die absteigende war, dann nimmt die erstere so lange zu, bis sie der letzteren gleichkommt, von diesem Punkt an aber nehmen beide ent- weder gleichmässig zu, oder es nehmen beide nach einander, zuerst die aufsteigende und dann die absteigende Zuckung, wiederum ab. Der Grund dafür, dass bei aufsteigender Richtung der modifieirenden Inductionsströme die Erregbarkeitserhöhung für die absteigende Richtung sehr früh eintritt und dagegen die erhöhte Erregbarkeit für die modifieirenden Ströme selber sehr bald wieder sinkt, liegt in dem diese Art des Verlaufs begünstigenden Ablauf des Zuckungsgesetzes. Während die- ser bei der absteigenden Modifieation die Erregbarkeitserhö- hung für die Richtung der modificirenden Ströme begünstigte, begünstigt er hier im Gegentheil die Erregbarkeitserhöhung für die Ströme der umgekehrten Richtung. Es gelingt: des- 544 Wilhelm Wundt: halb auch verhältnissmässig selten, die Erregbarkeitserhöhung bis zum Tetanus zu steigern, und wenn dies gelingt, so ver- hält der so erhaltene Tetanus sich entweder ‚ganz wie der dureh 'absteigende Modification erhaltene, d. h. er beruhigt sich, wenn man einen schwachen: absteigenden Strom dureh die veränderte Nervenstelle sendet, er wächst hingegen durch einen absteigenden Strom von gleicher Stärke, oder der Te- tanus, den man bekommt, ist ein doppelsinniger, d. h. er wird durch Schliessung eines schwachen constanten Stromes so- wohl in auf- wie in absteigender Richtung verstärkt. Einen durch den schwachen absteigenden Strom zu hemmenden Tetanus, wie er nach der Analogie der absteigenden Modi- fication zu erwarten war, habe ich niemals bekommen; ich weiss deshalb nicht, ob es überhaupt gelingt, ihn zu erhalten. Die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit seiner Hervorrufung findet ihre Erklärung theils in dem geringeren Grad der auf- steigenden seeundären Modification und dem Einmischen‘ der entgegengesetzten secundären Modification in dieselbe, theils in den Erregbarkeitsveränderungen durch den Elektrotonus, nämlich in der Herabsetzung der Erregbarkeit auf der Seite der positiven Elektrode. Dagegen lässt sich durch die Prüfung mittelst des con- stanten Stromes während des Verlaufs der Modifieation nach- weisen, dass die Veränderungen während der aufsteigenden Modification denjenigen, die während der absteigenden Modi- fication erfolgen, gerade entgegengesetzt sind; man kann näm- lich in jedem Augenblick die Veränderung in der Erregbar- keit durch die entsprechende Veränderung des Zuckungsge- setzes nachweisen. Man findet hier bei der‘ Modifieation durch aufsteigende Induetionsschläge Folgendes: zuerst nimmt die Erregbarkeit zu für die Schliessung des aufsteigenden und in etwas geringerem Grade für die Oeffnung des abstei- genden Stromes; nach kurzer Zeit fortgesetzter Modification erhöht sich zugleich die Erregbarkeit für die Oefinung des aufsteigenden und in etwas geringerem Grade für die Schlies- sung des absteigenden Stromes; die letzten Veränderungen nebmen allmälig zu, während die ersteren wieder abnehmen, Ueber secundäre Modification der Nerven. 545 bis ein Stadium eingetreten ist, wo in allen vier Acten gleich starke Zuckung erfolgt. Von da an nimmt die aufsteigende Schliessungszuckung am schnellsten ab, ihr folgt die abstei- gende Oefinungszuckung, bis endlich das letzte Stadium des Zuckungsgesetzes (absteigende Schliessungs- und aufsteigende Oeffnungszuckung) zurückbleibt. Dabei gehen jedoch im An- fang der Modification die Veränderungen so schnell vor sich und sind so bedeutend, dass sie mit etwaigen von der Ein- wirkung der elektrischen Ströme unabhängigen Veränderungen des Zuckungsgesetzes nicht zu verwechseln sind, innerhalb weniger Minuten kann man zuweilen die Zuckungshöhe für die Schliessung des aufsteigenden Stromes um mehr als das Doppelte vergrössert sehen. Mit der Untersuchung dieser Veränderungen, welche die modifieirte Stelle selber im Verlauf der Zeit durch abstei- gende oder aufsteigende Modifieation erleidet, ist an und für sich natürlich noch nichts ausgesagt über die Veränderungen, welche gleichzeitig jenseits der positiven und negativen Elek- troden stattfinden; ebenso ist die beobachtete Veränderung zwischen den Elektroden der modifieirenden Ströme selbst- verständlich nur die Resultante aller der Veränderungen, die auf jedem "einzelnen Querschnitt der eingeschalteten Strecke hervorgerufen werden; es bleibt daher noch die gleichzeitig stattfindende Veränderung der Erregbarkeit jenseits der po- sitiven und negativen Elektroden und auf den einzelnen Punkten der durchflossenen Strecke zu untersuchen. Das einfache Resultat, das man hierbei erhält, ist Fol- gendes: die Modification, die nach dem Aufhören der durch eine beliebige Stelle des Nerven geleiteten modifieirenden Ströme zurückbleibt, betrifft gleichzeitig die ganze Länge des Nerven, ebenso wohl alle zwischen den Elektroden wie alle jenseits der positiven und negativen Elektrode gelegenen Punkte. ‘Ueber das quantitative Verhältniss dieser Verände- rung auf den einzelnen Punkten des Nerven und in verschie- denen Entfernungen von den modifieirenden Elektroden ver- mag ich bis jetzt Bestimmtes nicht anzugeben; der genaueren Ermittelung dieser Abhängigkeit stellt sich die schwer zu 546 Wilhelm Wundt: überwindende Veränderung, die der vom centralen Ende an auf den verschiedenen Punkten mit verschiedener Geschwin- digkeit geschehende Verlauf des Zuckungsgesetzes veranlasst, entgegen. Die verschiedene Art dieses Einflusses bei ab- und aufsteigender Modification bedarf nach dem Vorangegangenen keiner besonderen Erörterung, da sie Jeder leicht sich selber entwickeln kann. Die Zunahme der Erregbärkeit jenseits der positiven und negativen Elektrode wurde bereits vonEd. Pflüger) bei Gele- genheit seiner Untersuchungen über die Veränderungen der Er- regbarkeit im Elektrotonus beobachtet. Er fand nämlich, dass nach der Oefinung der Kette nicht bloss auf der. Seite der negativen Elektrode, wie etwa nach der Art der Ver: änderung während der Dauer des Stroms erwartet werden konnte, sondern auch auf der Seite der positiven Elektrode die Erregbarkeit immer einen Zuwachs erfuhr. Die Zunahme der Erregbarkeit, die der elektrische Strom auf allen Punkten des Nerven hinterlässt, tritt nicht im Mo- mente der Oeffnung des modifieirenden Stromes auf, sondern sie entwickelt sich erst allmälig, und zwar findet man. eine fast verschwindend kurze Zeit nach der Oeffnung die Erreg- barkeit erniedrigt, dann wächst die Erregbarkeit bis zu einem bestimmten Punkt, von wo an sie längere Zeit constant bleibt, um von da wieder allmälig abzunehmen. Mit der Dauer der Modification nimmt die Zeit, in welcher die Erregbarkeit anwächst, zu, so dass man in den späteren Stadien sehr leicht und bequem die Erniedrigung der Erregbarkeit unmit- telbar nach der Stromeseinwirkung beobachten kann. Es scheint, dass auf diese Weise, durch fortschreitende Zunahme des Stadiums der geschwächten Erregbarkeit seiner Dauer und Grösse nach, die primäre Modification allmälig in die seeundäre Modification übergeht, so dass es zwischen. beiden Formen der Modification sowohl der Zeit wie dem Wesen nach keine scharfe Grenze giebt. Zur Nachweisung der secundären wie der primären Mo- difieation und des Uebergangs der letzteren in die erstere 1) Untersuchungen über die Physiologie des Electrotönus. Ber- lin 1859, Ueber secundäre Modification der Nerven. 547 habe ich mich mit dem gleichen Erfolg auch der Einwirkung constanter Ströme von verschiedener Dauer: bedient. Man beobachtet hier ganz wie bei der Modification durch Induc- tionsströme zuerst Zunahme der Erregbarkeit für die Schlies- sung des modificirenden und die Oeffnung des entgegengesetzt gerichteten Stromes, und nach längerer Einwirkung des con- stanten Stromes Zunahme der Erregbarkeit für die Schliessung des entgegengesetzt gerichteten und für die Oeffnung des mo- difieirenden Stromes. — Auch die primäre Modification kann man dagegen ebenso wie die secundäre mit Hülfe sehr kurz dauernder Strömung von einerlei Richtung nicht bloss her- vorrufen, sondern sogar ziemlich weit treiben: man kann 2. B. einen Ritter’schen Oefinungstetanus sehen, wenn man, durch Einschalten eines Neef’schen Magnetelektromotors in den Kreis der Kette und des Nerven längere Zeit aufstei- gende Ströme von sehr kurzer Dauer durch den Nerven schickt; nur muss man hierbei die Ströme so schwach wäh- len, dass sie unmittelbar keine Zusammenziehung des Mus- kels veranlassen. Bei der Untersuchung des Zuckungsgesetzes spielt die secundäre Modification eine sehr bemerkenswerthe Rolle; jeder Beobachter in diesem Gebiete hat nämlich schon die auffallende Zunahme der Erregbarkeit im Anfang der Unter- suchung bemerkt, theilweise ist dieselbe jedenfalls durch se- eundäre Modification: bedingt, theilweise scheint sie aber auch mit dem Absterben vom centralen Ende des Nerven aus zu- sammenhängen. Das sehr kurze Zeit der erhöhten Erregbarkeit nach der Oef- nung der Kette vorangehende Stadium verminderter Reizbar- keit hat ebenfalls Pflüger auf der Seite der positiven und negativen Wlektrode bereits beobachtet; er 'hat dieselbe als fegative Modification bezeichnet gegenüber dem Zustand erhöhter Erregbarkeit, den er positive Modification nennt. Dieser Bezeichnungsweise uns anschliessend, können wir so- nach den ganzen Verlauf der Modification in folgenden kur- zen Ausdruck zusammenfassen: die primäre Modification ist negativ für den modifieirenden und positiv für den entgegen- gesetzt gerichteten Strom, die #ecundäre Modification ist 548 W. Keferstein: Ueber den feineren Bau u. s. w. positiv für den modifieirenden und ‚negativ für den anderen Strom: die primäre Modification folgt der Oeffnung des Stromes unmittelbar und geht dann durch ein Zwischensta- dium in die secundäre Modification über; die Stärke und Dauer der primären Modification wächst mit der Dauer der Stromeseinwirkung, während die secundäre Modification ent- sprechend abnimmt, später eintritt und zuletzt gänzlich ver- schwindet. Ueber den feineren Bau der quergestreiften Muskeln von Petromyzon marinus. Notiz von Dr. med. W. Keferstein in Göttingen. Bei dem vielfachen Interesse, das gegenwärtig die Structur der quergestreiften Muskelfaser erregt, erlaube ich mir in aller Kürze auf ein Object aufmerksam zu machen, das ich im Anfang vorigen Jahres kennen lernte und das in einigen Beziehungen wenigstens höchst klare Bilder giebt. Die allgemeineren Verhältnisse der Rumpfmuseulatur von Petro- myson, um die es sich hier handelt, sind bereits durch Stannius') bekannt. Die von ihm beschriebenen Muskellamellen zerfallen, sowie man sie mit Wasser auf den Objeetträger bringt, fast vollständig in die zierlichsten Muskelfibrillen, die man oft von der ganzen Länge der Lamelle erhält und so leicht lösen sich die Primitivbündel in ihre Fi- brillen auf, dass man Mühe hat, ein noch unyerletztes Primitivbündel zu erkennen. Die Fibrillen sind 0,001 bis 0,0015 Mm. breit, verlaufen nieht starr, sondern mannigfach gebogen und zeigen die allerdeutlichste Querstreifung, die von in regelmässigen Abständen liegenden quadra- tisch erscheinenden Körperchen bervorgebracht wird, welche durch eine schwächer brechende, meist nicht ganz so lang wie diese Körperchen sich darstellende Substanz von einander getrennt sind. Eine weitere Structur liess die Fibrille mit den Mikroskopen des hiesigen physiolo- gischen Instituts nicht mehr erkennen, während das beschriebene Ver- halten sich mit Kellner'schen Instrumenten bei 590facher Vergrös- serung besonders gut zeigte. Häufig waren die scheinbaren Quer- schnitte jener stärker brechenden Körperchen nicht Quadrate sondern Rechtecke von verschiedener Länge, wobei dann auch die schwächer brechende Substanz sehr verschiedene Länge haben konnte, häufig sah man sogar in einer Fibrille gar keine Querstreifung und erschien diese ganz structurlos und bisweilen waren alle diese Verhältnisse hinter einander an einer und derselben Fibrille zu beobachten. 2) Die Rumpfmuskeln von Petromyson scheinen sich hiernach also be- sonders gut zur Darstellung der Fibrillen und jener besonders von Rollett beschriebenen eckigen Muskelkörperchen zu eignen." Göttingen, 18. Juli 1859. l) Ueber den Bau der Muskeln von Petromyzon fluviatilis in Nach- richten v. d. G. A. Univ. u. d. K. Soc. d. Wiss. in Göttingen 1851 1. Dec. Nr. 17.'S 233—235. 2) Ueber diese Verschiedenheiten vgl. hauptsächlich Brücke Denkschr. der Wien. Ak. matlı. Kl. XV. 1858 und H. Munk De fibra musculari. Diss, inaug. medic., Berolini 1859, 8. p. 29-34 Wilhelm Wundt: Ueber den Verlauf u. s. w. 549 Ueber den Verlauf der Muskelzusammenziehung bei directer Muskelreizung. Von Dr. WILHELM Wunpr, (Hierzu Taf. XV.) Bei Gelegenheit meiner Untersuchungen über Muskelbe- wegung habe ich die Beobachtung gemacht, dass die direete elektrische Reizung des Muskels in ihrem Erfolg darin vom Erfolg der Reizung des Nerven einen wesentlichen Unter- schied zeigt, dass der Muskel sich nicht wie hier auf. eine Zuckung bei Schliessung und Oeflnung der Kette beschränkt, sondern dass er während der ganzen Zeit des Geschlossen- seins der Kette dauernd verkürzt bleibt.!) Ich habe zu- gleich schon damals die Gründe angegeben, aus denen diese dauernde Verkürzung während der Einwirkung des constan- ten Stromes mit einem Tetanus nicht zu verwechseln ist, sie hat daher auch nichts gemein mit der seither genauer be- kannt‘ gewordenen tetanisirenden Wirkung des constanten Stromes. Der Tetanus, den man durch discontinuirliche Er- regung oder unter gewissen besonderen Bedingungen durch den constanten Strom vom Nerven aus erhält, ist immer ent- weder ganz oder theilweise discontinuirlich, d. h. der Mus- kel ist entweder während des ganzen Verlaufs der Zusam- menziehung oder doch gegen das Ende derselben in grösseren oder geringeren Längenschwankungen begriffen; bei der dauernden Muskelverkürzung ist das niemals der Fall, son- dern hier geschehen alle Längenveränderungen vollkommen stetig, Namentlich aber unterscheiden sich schwache Grade —- N) Muskelbewegung, 2: Abschnitt &. 3. Heichert's u, du Bois-Beyimond's Archiv, 1859, 36 550 Wilhelm Wundt: des Tetanus sehr wesentlich von schwachen Graden der dauernden Muskelverkürzung: die letzteren sind allein in ihrer Grösse von stärkeren Graden verschieden, in ihrem Verlauf aber denselben vollkommen gleich; bei schwachen Graden des Tetanus ist,der Muskel nicht mehr dauernd ver- kürzt, sondern er geräth: in eine Reihe unregelmässiger Con- vulsionen. Dies muss ich zugleich als eine Ergänzung und theilweise Berichtigung zu meinen früheren Angaben über den Verlauf der Ermüdung hinzufügen: die tetanische Zu- sammenziehung geht nicht bloss gegen das Ende ihres Ver- laufs in Krämpfe über, sondern sie besteht bei schwächerer Erregung von vorn herein aus solchen; diese Krämpfe kön- nen daher auch nur mittelbar als eine Wirkung der Ermü- dung betrachtet werden, indem für den erschöpften Nerven sich der stärkere Reiz verhält wie für, den unerschöpften Nerven der schwächere. Ich habe mich ferner davon über- zeugt, dass die Convulsionen nicht etwa durch Schwankun- gen in der Stärke der auf einander folgenden Induetions- schläge bedingt sind, wie‘sie bei der gewöhnlichen Einrich- tung der Inductionsvorrichtangen, bei welcher der Tetanus vorwiegend durch die Oeffnungsschläge zu Stande kommt; nieht vermieden werden können; man erhält nämlich‘ genau dieselben Resultate, wenn man den Nerven mit Schliessungs- inductionsschlägen von abweichender Richtung tetanisirt, wie dies mittelst der Einrichtung, welche Helmholtz dem du Bois’schen Schlittenapparat neuerdings gegeben hat, mög- lich ist. Die dauernde Zusammenziehung bei direeter Durchströ- mung des Muskels ist bei allen Stromesstärken, die über- haupt Zuckung veranlassen, vorhanden, und sie wächst mit der Stromverstärkung von einer mikroskopischen Grenze an bis zu einem sehr beträchtlichen Grade. Die dauernde Zu- sammenziehung verhält sich ferner je nach der Richtung des Stromes verschieden: sie ist erheblich bedeutender bei auf- steigender als bei absteigender Richtung, da man ferner durch. - den aufsteigenden Strom nur bei Anwendung sehr starker Ströme oder nach längerer Stromeseinwirkung eine Oeff- # Ueber den Verlauf der Muskelzusammenziehung u. s. w. 551 nungszuckung beobachtet, ‘so geht hier bei der Oeffnung 'mei- stens die dauernde Zusammenziehung unmittelbar in den ver- längerten Zustand über, während bei absteigendem Strom erst die Oeffnungszuckung der Verlängerung vorangeht. Die Figuren 1—6 geben Belege zu diesen Angaben: sie sind die Zusammenziehungen des Gastronemius, die von demselben unmittelbar aufgezeichnet wurden. Die Vorrichtung zur Auf- nahme der Curven war dieselbe wie in den Versuchen des vorigen Aufsatzes, nur war das untere Ende des Muskels vermittelst eines mit dem Befestigungshaken am Hebel in Verbindung stehenden Kupferdrahtes mit einem Quecksilber- näpfchen, das zur einen Elektrode führte, in bewegliche Ver- bindung gesetzt, der Befestigungshaken am oberen Muskel-» ende stand mit der anderen Elektrode in Verbindung. Die Höhe der Curven ist etwa die doppelte der wirklichen Er- hebungshöhen, da der Muskel ungefähr in der Mitte des zeichnenden Hebels befestigt ist; der Cylinder des Kymo- grapbions machte in 42 Secunden einen Umgang, und der Oylinderumfang betrug 38 Cm. Hieraus lässt sich leicht die Zeit, während deren in den einzelnen Versuchen der Strom geschlossen und dadurch der Muskel in Verkürzung gehal- ten wurde, durch die Messung der Curven bestimmen. Die Figuren 1, 3 und 5 wurden bei absteigender, die Figuren 2, 4 und 6 bei aufsteigender Richtung des Stromes von einem frischen Gastronemius gezeichnet, die Figuren sind ferner in der Reihenfolge der angewandten Stromstärken (von 2, 3 und 4 Daniell’schen Elementen) mitgetheilt; das Zeichen + bedeutet Schliessung, das Zeichen # Oefinung des Stromes. Die Modification des Muskels unterscheidet sich von der Modification des Nerven ganz ebenso wie der Erfolg der Nerven- und Muskelreizung. Lässt man lüngere Zeit con- stante Ströme von ziemlicher Stärke den Muskel durch- fliessen, so werden die Nerven dadurch allmälig leistungs- unfähig gemacht, und es bleibt allein der Erfolg der Modi- fication der Muskelsubstanz zur Beobachtung zurück. Die Zusammenziehung, die der Muskelmodification entspricht, zeichnet sich gleichfalls aus durch ihre vollkommene Stetig- 36* 552 ©. Claus: keit bei allen Graden der Modification, während insbesondere schwächere Grade der Modification des Nerven nur in einer Reihenfolge von Zuckungen bestehen. Als Beleg gebe ich ein Beispiel von aufsteigender Modification nach mehrstün- diger Einwirkung von zwei Daniell’schen Elementen (Fig. 7): die erste Curve hat der Muskel zwischen Oeflnung und Schliessung des modificirenden Stromes, die zweite Curve nach der nochmaligen Oefinung des modifieirenden und die dritte Curve unter dem Einfluss der Schliessung des abstei- genden Stromes gezeichnet. Ueber die von Lespes als Gehörorgane bezeichneten Bildungen der Insekten. Von Dr. C. Cravs. (Hierzu Tafel X VI.) Die interessanten aber auflallenden Angaben, welche Les- p&s in einem der letzten Hefte der ‚‚annales des sciences na- turelles‘“ über den Gehörapparat der Inseeten mitgetheilt hat, veranlassten mich, die Untersuchungen des genannten Forschers zu wiederholen. Da es Lamellicornes (Polyphylla fullo, Melolontha albida und Aippocastani) waren, an deren Antennen vorzugsweise der Bau der vermeintlichen Gehör- organe studirt war, ging ich ebenfalls von Repräsentanten dieser Familie aus und untersuchte vorzugsweise die in die- ser Jahreszeit bei uns überaus verbreiteten Melolontha vulgaris und hippocastani. Nach Erichson’s Entdeckung sind bekanntlich die An- tennen der Inseeten von fensterartigen Oefinungen durchsetzt, die in ihrer Peripherie mit einem Rahmen umgeben, im Cen- trum aber von einer Membran überzogen sind. Lespes fügte diesen Thatsachen die bemerkenswerthen Angaben hinzu, Ueber die von Lespes als Gehörorgane bezeichneten Bildungen u.s.w. 553 dass hinter der Membran des Fensters dieht derselben ange- lagert ein Säckchen sich finde, welches im, Innern eine dichte Flüssigkeit und einen hellglänzenden, soliden Körper enthalte. Die Bedeutung des Geruchapparates, welche Erichson den Inseetenantennen zugeschrieben habe, sei mit der eines Ge- hörorganes zu vertauschen, da die Membran über der An- tennenöffnung nichts anders als das Paukenfell iympanale, das Säckchen dagegen (seinem morphologischen Werthe nach eine Zelle) das Gehörsäckchen, der hellglänzende Körper (der Kern der Zelle) den Otolithen vorstelle. Auch die Verbin- dung dieser als Gehörorgane fungirenden Gebilde mit dem Nervensystem glaubte Lesp&s erkannt zu haben; von vier in jede Lamelle eintretenden Nervenstämmchen würden zahl- reiche Seitenzweige abgeschickt, welche mit der äusseren "Wand des Säckchens im Zusammenhang ständen; in welchem? konnte freilich der Verfasser nicht ermitteln, und er lässt diese Lücke unausgefüllt, wenn er sagt: Penetre-t-il dans ‚cette derniere (cellule)? ou bien s’arrete-t-il a sa paroi? C'est ce que je ne puis dire. Man überzeugt sich sehr leicht schon bei der Betrachtung der ersten Präparate, die man durch die Trennung beider Blätter der Antennenlamelle dargestellt hat, dass Lespes in der Deutung der mikroskopischen Bilder irre geführt worden ist, dass er sich namentlich durch übersehene Reliefver- hältniese zu seinen Anschauungen hat verleiten lassen. An den Oefinungen, welche dieht gedrängt in reichlicher Menge die beiden Blätter jeder Lamelle durchsetzen und nur an den äusseren Blättern der beiden Grenzlamellen in weiten Zwi- schenräumen von einander abstehn, sieht man die drei con- centrischen Kreise, wie sie Lesp&s beschrieben hat, We- nigstens zeigen sich dieselben stets bei mittlerer Einstellung des Tubus, mag die äussere oder innere Fläche des Blattes dem Objeciträger aufliegen (vergl. Fig. 1, 2, 3, —b, b’). Der mittlere Ring besitzt in dieser Einstellung den stärksten Glanz und zeigt mehrere dieht auf einander folgende Con- turen; regelmässig liegt derselbe eoncentrisch vom äusseren Kreis umgeben. Die Grenze des einen bläulich glänzenden 554 C. Claus: Feldes wird durch den schattigen, fast verwischten inneren Ring bezeichnet, während das Feld des äusseren scharf um- grenzten Kreises mit kleinen hellen Punkten und dunkelen Strichen versehen ist, die wir später anf Porencanäle und Leisten der Chitinsubstanz zurückführen werden, Bei Melo- lontha hippocastani erscheint die Grundsubstanz der Chitin- lamellen, sowie die den äusseren Kreisen angehörigen Felder dunkler als bei Melolontha vulgaris, die Chitinlage ist bei der ersteren Form stärker und auch schon bei Betrachtung mit unbewaffnetem Auge von einem tieferen Braun; aus dem- selben Grunde zeigen auch die äusseren Blätter der Grenz- lamellen eine dunklere Färbung. Die Grösse und Gestalt der einzelnen Ringe wechselt übrigens ausserordentlich, und wenn Lespes behauptet, die mittleren und inneren Kreise oder was nach der Deutung dieses Forschers dasselbe sagt, die Gehörsäckchen und Otolithen zeigten bei derselben Art eine constante Grösse, wie sehr auch der Umfang des äusseren Kreises, die Grösse des Paukenfelles wechsele, so beweist die Beobachtung der ersten besten Antennen die Unrichtig- keit dieser Angabe. Nur bei der mittleren Einstellung des Tubus besitzen in- dess die Bilder der Antennenfenster die beschriebene Be- schaffenheit und verändern dieselbe regelmässig mit der Ver- änderung der Einstellung. Erhebt man den Tubus, so tritt der innere Kreis, vorausgesetzt, dass das Blatt der Lamelle mit der innern Fläche dem Auge zugekehrt ist, in schärferer Umgrenzung entgegen, während sein Bild den hellen Glanz verliert und eine schwarz-bläuliche Schattirung erhält; die Contour des äusseren Kreises wird breiter und mehr ver- wischt, das äussere Feld dunkeler und nur das mittlere stark beleuchtet (Fig. 1 und 3 ce‘). Senkt man den Tubus, so geht der innere Kreis verloren, der mittlere und äussere Kreis dagegen treten scharf und dunkel contourirt mit hellglänzen- den Feldern hervor. (Fig. 1a‘) Gehen wir dagegen von dem mit der Innenfläche dem Ob- jeetträger aufliegenden Blatte aus, so erhalten wir bei der Hebung des Tubus Bilder, an denen das Feld des äusseren Ueber die von Lespes als Gehörorgane bezeichneten Bildungen u.s.w. 555 Kreises dunkel erscheint, während das mittlere auf Kosten des schwarzen inneren Kreises verkleinerte Feld einige Hel- ligkeit beibehält; die Grundsubstanz der Lamelle ist jetzt beleuchtet und horngelb wie Chitinsubstanz gefärbt (Fig. 2a). Senken wir den Tubus über die mittlere Einstellung hinaus, so wird das äussere Feld hell, das mittlere dunkel, das in- nere hellglänzend, aber auf einen Punkt reducirt. Aus diesen Beobachtungen lässt sich nach den von Wel- eker!) entwickelten Gesiehtspunkten über Reliefverhältnisse der mikroskopischen Objecte der Beweis führen, dass wir es mit einer complieirten Porenbildung zu thun haben, aus de- nen die je nach der Einstellung wechselnden Bilder mit Nothwendigkeit resultiren. Das Feld des äusseren Kreises ist keineswegs ein erhabener Rahmen (Eriehson) oder eine dünne Membran (tympanale Lesp&s), sondern eine teller- förmige Grube im Chitinskelet, die eben so wie dieses von Poren durchsetzt und von Leisten überzogen wird. Die mitt- lere Einstellung des Antennenblattes ist für den einen Fall (das Blatt liegt mit der Innenfläche dem Objeetträger auf) Einstellung der Grube, daher die starke Beleuchtung und das Dunkelwerden bei oberer Einstellung, wenn die Grundsub- stanz beleuchtet ist (Fig.*2 b und a); für den zweiten Fall (das Blatt wendet die Innenfläche dem Auge des Beobachters zu) ist die mittlere Einstellung?) des Antennenblattes auch etwa mittlere Einstellung der mit dem Boden’ nach oben ge- kehrten Grube; senkt man den Tubus, so wird das äussere Feld des äusseren Kreises hell, eben so wie eine umgekehrte Rinne bei tiefer Einstellung beleuchtet erscheint, hebt man ihn, 80 wird dasselbe, lange bevor die obere Einstellung des gesammten Blattes erreicht ist, dunkel. (Fig. 1b’ und ce‘). Der mittlere Kreis ist nicht die Contour einer Zelle oder eines Säckchens, sondern die einer Oeflnung im Boden der teller- förmigen Grube, das zugehörige Feld dagegen die Wand 1) Henle's und Pfeufer’s Zeitschrift für rationelle Medicin Bd. VI. und VIII. Bemerkungen zur Mikographie I. u. II. 2) Die mittlere Einstellung des Blattes bezieht sich für beide Fälle auf verschiedene Flächen. 556 C. Claus: eines kurzen triehterförmigen Kanales. Der innerste Kreis mit seinem Felde ist nicht ein Zellenkern oder Otolith, son- dern die verengte Mündung (des Porencanales auf der Innen- fläche der Lamelle; von der scharfen Einstellung, desselben aus, bei welcher das Feld beschattet ist (Fig. 1 e'), wird.das Feld beim Senken des Tubus glänzend (Fig. 1 b‘) beim He- ben dagegen ganz verwischt und undeutlich. Dass unsere Deutung eine richtige ist, ergiebt sich aus Bildern, welche am Rande der Lamelle und durch feine Quer- schnitte gewonnen werden. Während die Axen der: Poren- canäle in der Mitte der Lamelle mit der des Tubus zusam- menfallen, bilden die Axen der Randporen mit der Tubusaxe fast rechte Winkel. In der Mitte der Lamelle bleibt der in- nere Kreis im Centrum des mittleren und äusseren Ringes, je mehr man sich aber dem Rande nähert (Fig. 1 .c”'), um so mehr rücken die inneren Kreise an die Peripherie des mitt- leren, endlieh über diese hinaus an die des äusseren Kreises; unmittelbar am Rande liegen sie auch ausserhalb der äusseren Ringe, und man kann leicht den Porencanal in seiner Längs- achse verfolgen (Fig. 1e'', a'').. Lespes hat, wie es scheint, auch diese Bilder: beobachtet, und sie im Sinne der Beweg- lichkeit der Otolithen ‚gedeutet, auf welchen weder Säuren noch Alkalien einen verändernden Einfluss ausüben konnten. (Le corps solide renferme dans cette cellule, mais mobile dans son interieur ete. Les acides m&me concentres ‚sont sans action sur lui; la potasse le fait un peu augmenter de volume, mais seulement apres une action longtemps prolongee,) Während die. Deutung’ der betrachteten Bilder‘ keinem Zweifel unterliegt und mit Entschiedenheit die Lesp&s’sche Auffassung, widerlegt, ist jedoch anderer Bilder zu gedenken, welche, wenn sie allein und ohne Zusammenhang mit. den ersteren beobachtet worden wären, die von Lespes gegebene Deutung entschuldigen würden. Am Rande zerrissener La- mellenstücke sollte man nach Lesp&s die Gehörorgane der Art verändert finden, dass bald nichts als ein kleiner Theil des Paukenfelles übrig bleibe, bald ein beträchtliches Stück des- selben zu sehen sei, in welchem entweder nur die Umrisse Ueber die von Lespes als Gehörorgane bezeichneten Bildungen u.s.w. 557 ‚des Gehörsäckehen sich erhalten hätten oder selbst die Zelle mit ihrem Otolithen befestigt sei. ı In der T'hat findet man die beschriebenen Bilder und überzeugt sich mit ihrer Hülfe, dass die Einrichtungen weit.complieirter sind, als wir sie aus dem; optischen Verhalten abgeleitet‘ ‚haben, Bald erscheinen nämlich die Porencanäle so getheilt, dass nur ein sehr kleiner Theil der tellerförmigen Grube: zurückbleibt, ‚bald ist. der sich anheftende Abschnitt derselben so gross, dass der innere Rand zum Theil sichtbar bleibt [Fig. 2, (1)]. D’autres dont il reste une portion plus eonsiderable pr&sentent sur une partie de leur membrane de trace de la cellule). Am häufigsten aber sieht man, während das Feld des äusseren Ringes halbirt ist, den mittleren. Ring vollkommen unversehrt mit dem inneren Kreis ‚im Centrum [Fig. 2, (2)]. (d’autres et ce sont les plus im- portants & bien ‚examiner la cellule avee son otolithe est en- «ore adherente a la membrane du tympanule). Wenn der Sehnitt die gesammte untere Partie der Chitinlage am Rande entfernt hat, fehlt der innere Kreis vollständig [Fig. 2, (3)], während der mittlere mit doppelten Conturen versehen sich als eine am Rande 'verdickte Chitinplatte herausstellt, welche man leicht aus ihrem Zusammenhang mit dem iuneren Rande der tellerförmigen Grube isoliren kann [Fig. 2, (4)]. ‚Auch au Querschnitten überzeugt man sich davon [Fig. 2, (5)], dass die Platte im Grunde der Grube ‘über die äussere Mündung des Canales ausgespannt ist. Nicht immer bleibt die Platte unversehrt, es brechen Theile des Randes ab,; die scharfen dunkeln Contouren sind in diesem Falle durch unregelmässige zarte Grenzen ersetzt. Endlich beobachtet mau Bilder, an welchem bei vollständigen mittlerem Ringe nur ein Segment des inneren Kreises erhalten ist; der unterhalb der äusseren Grube gelegene Porencanal hat sich beim Zerreissen der La- melle unvollständig erhalten. Die, Abweichungen, welehe nach Lesp£&s die Antennen von Polyphylla fullo von’ denen der betrachteten Melolonthiden zeigen sollen, kann ich ebenfalls nur auf unrichtig, verstan- dene Beobachtungen des genannten Forschers zurückführen, Freilich war es mir nicht möglich, die Antennen von Poly- 558 ©. Claus: phylla fullo im frischen Zustande zu untersuchen, da dieses Insect bei uns nicht einheimisch ist, indess wird doch, was die Chitinbildungen anbetrifft, das getrocknete Object die gleichen Resultate liefern. Die erste Differenz, 'welche Les- pe®s in der Beschaffenheit der Grundsubstanz findet, trittiuns gleich bei der ersten Untersuchung als unrichtig entgegen, denn eben so wie bei Polyphylla fullo erscheint auch die An- tennensubstanz der übrigen Melolonthiden nicht homogen, sondern in verschiedener Richtung von Linien durchzogen, welche von dem äusseren Ringe der Porenbildungen ausge- hend in Gestalt unregelmässiger Polygone sich mit einander verbinden. Freilich kann man das als Differenz anführen, dass die Linien bei den Melolonthiden sich auch über das Feld des äusseren Kreises erstrecken, während bei Polyphylla fullo dieses derselben entbehrt. Ausserdem ist die Substanz von einer grossen Menge von Puncten erfüllt, die eben so wie die Linien nach den Welcker’schen Regeln leicht zu deu- ten sind. Da die Linien bei der mittleren Einstellung der mit der Innenfläche aufliegenden Lamelle dunkel erscheinen, beim Heben des Tubus aber glänzend werden, so sind sie Erhabenheiten der Aussenfläche und gehören dieser mit um so grösserer Bestimmtheit an, als sie bei der umgekehrten Lage des Objectes diesen Wechsel von Schatten und Licht nach der verschiedenen Einstellung nicht in dem Masse zei- gen. Die Puncte, welche stets bei mittlerer Einstellung hell, bei hoher Einstellung dunkel erscheinen, sind die Lumina zarter Porencanäle, welche die Chitinsubstanz durchsetzen und zum Theil die Ausführungsgänge der Matrixdrüsen in sich aufnehmen. Wenn auch die Porencanäle und Leisten beson- ders bei Polyphylla fullo und den äusseren Blättern der Grenz- lamellen (diese entbehren' der grösseren Fenster fast voll- ständig, besitzen aber einfache grosse Poren) ausgebildet sind, so fehlen sie bei den Melolonthiden doch keineswegs und treten am Rande und an den Grenzblättern fast ebenso deut- lich hervor. Weitere Eigenthümlichkeiten der Gehörorgane unseres In- Ueber die von Lespes als Gehörorgane bezeichneten Bildungen u.s. w.. 559 seetes beruhen nach Lespes auf dem Vorhandensein eines äusseren Rahmens in der Umgrenzung des Paukenfelles und auf dem fast vollständigen Schwunde des Otolithen. Wie die beigefügten Zeichnungen ergeben (Fig. 4 und 5), sind die Porenbildungen ganz und gar den betrachteten der, Me- lolonthiden analog; nur ist‘ der mittlere Kreis; regelmässig durch zwei concentrische Conturen vertreten, während der innere beträchtlich erweitert und wieder scharf umgrenzt her- ‚vortritt. Die Beobachtung der zwei: concentrischen Kreise am Mittelring, die sich einfach durch eine starke Entwick- lung des Randes der Chitinplatte erklärt, gab dem französi- schen Forscher die Veranlassung, das Feld des: äusseren Rin- ges für eine besondere der Species eigenthümliche Bildung, als Rahmen zu unterscheiden, während andererseits die we- niger scharfe Beleuchtung des inneren: Ringes die Ursache war, weshalb Lesp£s ein fast vollständiges Verschwinden des Otolithen behauptete. (En realite on peut dire, que le centre de la cellule est simplement occupe par une partie de liquide d’une densit& un peu plus grande.) Die geringere Beleuchtung des grossen inneren Kreises hat aber ihren Grund darin, dass auch über die innere Mündung des weiten aber kurzen Canales eine Chitinplatte ausgespannt ist, wie man an dem Rande zerrissener Lamellen beobachten kann (Fig..4 #, 7‘). Unregelmässigkeiten in Grösse und Gestalt der ova- len Fenster sind häufig, unter ihnen scheinen besonders: die- jenigen bemerkenswerth, welche sich bei einer einfachen Grube durch die Dupplieität der meist gekrümmten Poren- eanäle auszeichnen (Fig. 4 ec‘). Der Raum, welchen die beiden Blätter der Lamelle ein- schliessen, wird von einer blass-granulirten mit zahlreichen Kernen durchsetzten Masse ausgefüllt, in der Tracheen und Nerven sich ausbreiten. Lespe&s lässt unrichtiger Weise in jede Lamelle einen einzigen Tracheenstamm eintreten, ich beobachtete deren stets zwei, welche parallel der: Längsaxe das Gewebe durchsetzen, um sich in jene feineren Verzwei- gungen aufzulösen, Die Zahl der eintretenden Nervenstämm- 560 €. Clans: chen ist ebenfalls weit beträchtlicher als Lespes angiebt; sie verlaufen im Umkreise der Tracheenstämme und senden zahlreiche Aeste aus, welche sich in dem oberen Dritttheile der Lamelle zu einem: dichten Netzwerke vereinigen. Ver- gebens bemühte ich mich, Bilder zu erhalten, welche das Eintreten von Seitenzweigen in: die Mündung des Porenca- nales wahrscheinlich machten; ‚und ich möchte fast: glauben, dass Lespe&s die schräg verlaufenden Porencanäle. für: Ner- ven’ gehalten hat, um so mehr, als sie von ihın äusserst scharf und’dunkel gezeichnet sind, trotz der Anwendung von ver- dünntem Glycerin, unter welchem die Nerven blass werden und meist ganz verschwinden.‘ - Obwohl ich kaum glaube, in der Endigung der Nerven zu einem vollkommenen Abschlusse gelangt zu sein, so muss ich nach meinen Untersuchungen das behaupten, dass die mannichfach anastomosirenden Verzweigungen sich zu einem sehr feinen Netzwerke ausbreiten, welches sich in der blass- granulirten Masse allmählig verliert. Einige Mal gelang es mir, einen Theil des Nervennetzes frei, getrennt von der Um- gebung der mit Kernen. durchsetzten Masse zu ‚verfolgen. Es zeigten sich deutlich in dem aus zarten Fibrillen. beste- henden Nervennetze zahlreiche Kerne von 0,005 Mm. Durch- messer eingelagert und, wie ich mit Bestimmtheit beobachtet habe, vom Inhalte der Fibrillen umschlossen (Fig. 6). Es ist mir sehr wahrscheinlich, dass sich dieses mit Kernen durchsetzte Nervengewebe ähnlich wie die von Leydig bei Arthropo- denlarven, Entomostraken und Inseeten nachgewiesenen Ner- venenden verhält, wenngleich die Art der durch dieselbe ver- mittelten ‘Perception eine ganz: specifische zu sein scheint. Wie diese Perception aber beschaffen ist, ob dieselbe mit der Geruchsempfindung, oder der Wahrnehmung von Schall- wellen, die man nach den bisherigen Erfahrungen den In- secten zuschreiben muss, in irgend: welcher Beziehung steht, möchte aus: den! gegebenen histologischen und anatomischen Befunden nieht‘ zu entscheiden siud. Wenigstens scheinen mir‘ die Anhaltspuncte vorläufig zu gering zu sein, um auf Ueber die von Lesp&s alsGehörorgane bezeichneten Bildungen u.s.w. 561 Grund aufzusuchender Analogien Hypothesen über die Art der Perception ’) aufzustellen. Was die als Matrix zu 'bezeichnenden Gewebe anbetriftt, von welchen die Nerven umgeben sind, so treten in einer feingranulären Grundmasse, die wohl als Zellinhalt zu be- trachten ist, zahlreiche grösserre Kene von 0,01—0,08 Mm. Durchmesser auf (Fig. 8). Deutlich eircumscripte Zellen darzustellen war mir trotz Anwendung der verschiedensten Reagentien nicht möglich, selbst nicht mit Hülfe von Kali bichr. (Leydig, Müller’s Archiv 1859 S. 158). In grosser Menge fanden sich aber in der Masse eingelagert spermato- zonähnliche Gebilde, welche ich mit den von Leydig jüngst beschriebenen Ausführungsgängen von Hautdrüsen identisch erkannte. Sie Jagen mit dem verdickten blindgeschlossenen Ende oft in einer hellen Substanz, wie von einem Hof um- hüllt (Fig. 8); Kerne mit feinkörniger blasser Zwischenmasse waren um dieselbe gehäuft, ohne als eircumseripte Zellen auf- zutreten. Wie es scheint, ist das zu einem solehen Ausfüh- rungsgang gehörige Territorium gar nichts anderes, als ein Ballen scernirender Matrix, denn einerseits gelang es nicht, einen qualitativen Unterschied des Drüsengewebes und der Matrix weder in der Grösse der Kerne, noch in. der. Be- schäffenheit der feinkörnigen Masse zu finden, andererseits 1) Durch briefliche Mittheilung Leuckart's wurde ich auf Hicks Untersuchungen über die Fühler der Insecten aufmerksam gemacht. (Journ. Proceed. Zool. I. 1857 und in der Berl. entomolog. Zeit- schrift von 1858 im Auszug), nach denen hinter den einzelnen Poren einfache oder gelappte Säckchen gelegen sein sollen, die von Nerven versorgt würden und als Gehörorgane zu betrachten seien. Ich kann mir leider über diese Angaben kein Urtheil erlauben, da es mir bis jetzt nicht möglich war, die genanuten Schriften za erhalten. Obwohl ich kaum bezweifle, dass der Verfasser sich’in der Beurtheilung der Matrix und der Drüsen mit ihren Ausführungsgängen getäuscht hat, möchte ich nicht eher mich aussprechen, als bis ich nach einer Einsicht in die Hick’sche Arbeit die Untersuchungen wieder aufgenommen und auf die übrigen Abtheilungen der Insecten ausgedehnt habe. An den Antennen der Hymenopteren und Orthopteren gelang es mir bis jetzt nicht, etwas derartiges zu sehen, was die Hick'"schen Angaben bestätigt hätte 562 ©. Claus: erwies sich der Inhalt der Ausführungsgänge‘ in chemisch- physikalischer Beziehung der Chitinsubstanz verwandt.‘ 'Ne- ben einem bedeutenden Vermögen der Strahlenbrechung, in dessen Folge die gleichmässig angefüllten Drüsengänge an den Antennen sich wie solide Körper verhielten (Glanz. bei höchster Einstellung), zeichnete sich die ausgeschiedene Sub- stanz durch ihre 'Resistenzkraft gegen Säuren und Alkalien aus. Ganz‘dieselbe Beschaffenheit besitzt der Inhalt. der Hautdrüsen anderer Körpertheile bei Melolontha und anderen Inseeten, wie ich namentlich an den Drüsen in den Tarsen von Dytiscus erkannte. Hier füllt in der Regel der Inhalt die durch ein beträchtlich grösseres Lumen ausgezeichneten Chitingänge, um welche die secernirende Masse in Form einer oder mehrerer eircumscripten Zellen angehäuft ist, nicht gleichmässig, sondern, wie auch Leydig beobachtete, tropfen- weise aus und zeigt alle die Merkmale, welche man an chi- tinartigen Substanzen findet. Sollte vielleicht die Matrix, welche im ausgebildeten!) Inseet keine neuen Chitinhäute mehr abscheidet und doch in ihrer Beschaffenheit mit der letzten Häutung nicht so sehr verändert sein kann, dass nun ihre Thätigkeit plötzlich still stehe, durch die Drüsengänge die neu gebildeten Chitinstoffe ausscheiden? oder welche an- dere Bedeutung kommt diesen Drüsen zu? Neue, ausführ- liche Untersuchungen erscheinen zur sicheren Lösung dieser Fragen wünschenswerth. Erklärung der Tafeln. Fig. 1 und 2. Die Porenbildungen der Antennen von Mel. vul- garis. Die Buchstaben und eingeklammerten Zahlen bedenten: 1) In den Larven der Insecten vermisse ich die Drüsengänge voll- kommen, was, wenn es sich bestätigen sollte, meine Ansicht über die Function der Drüsen noch wahrscheinlicher macht. Ueber die von Lespes als Gehörorgane bezeichneten Bildungen u.s. w. 563- a Einstellung der äusseren Fläche (hohe Einstellung bei aufliegender b mittlere Einstellung innerer Fläche der e Einstellung der inneren Fläche (tiefe | Lamelle. Einstellung) a‘ Einstellung der äusseren Fläche (tiefe Einstellung) j z b' . der Mitte (mittlere Ein-| _ ua aufliegender stellung) äusserer Fläche der ce’ Einstellung der innerer Fläche (hohe Liamglle: Einstellung) a” Einstellung der äusseren Fläche ‚, vom Rande der Lamelle e!'n.e'' ‚Einstellung der inneren Fläche | genommen. (1) Von dem Fenster ist nichts als ein Abschnitt der oberen gru- benförmigen Vertiefung zurückgeblieben. (2) Nur ein Theil der Grube ist zerstört, man sieht den mittleren und inneren Kreis. (3) Der untere 'Iheil des Porencanales ist entfernt und nur ‚die Chitinplatte an dem inneren Rande der Grube befestigt. (4) Isolirte Chitinplatten, theilweise mit zerstörtem Rand. (5) Querschnitt durch beide Blätter einer äusseren Lamelle mit unversehrten Chitinplatten. Fig. 3. Porenbildungen von Mel. hippocastani. Fig. 4 und 5. Porenbildungen von Polyphylla fullo. Die lateinischen Buchstaben haben dieselbe Bedeutung als in den Figuren 1 und 2. #' Ein Theil der Grube ist zerstört. Mittlere Einstellung bei aufliegender innerer Fläche der Lamelle. #' Ausser der Grube ist zugleich die äussere Chitinplatte 'am Rande verletzt, die Ohitinplatte der inneren Mündung er- scheint granulirt. Mittlere, Einstellung bei aufliegender in- nerer Fläche der Lamelle. y' Dasselbe bei hoher Einstellung. Fig. 6. Netzwerk zarter Nervenfasern mit eingelagerten Kernen aus der Spitze einer Lamelle. Fig. 7. Partie des zwischen beiden Blättern einer Lamelle befind- lichen Parenchyims. In der von Kernen durebsetzten blass granulirten Matrix liegen die chitinisirten Drüsengänge, und die Nerven verbrei- ten sich netz förmig. Fig. 8. Territorium eines Drüsenganges. 564 W. Kühne: Untersuchungen über Bewegungen und Verände- rungen der contraktilen Substanzen. Von R Dr. W. Künne. Die nachstehenden Untersuchungen, welche ich hiermit im Zusammenhang der Oeffentlichkeit übergebe, wurden im Laufe des letzten Winters und des jüngsten Frühjahrs aus- geführt. Sie sind als Vorarbeiten einer physiologisch-chemi- schen Arbeit zu betrachten, welche sich die Aufgabe stellt, den durch die Muskelbewegung bewirkten Stoffwechsel in seiner Beziehung zur Leistung des 'Thierleibes näher zu er- forschen. Die feste Ueberzeugung, dass zur gedeihlichen Entwickelung der Physiologie die chemische Untersuchung mit dem physiologischen Experimente Hand in Hand gehen müsse, legte vor allen Dingen die Anforderung nahe, das Gebiet der Reizversuche nach einer Richtung auszudehnen, in welcher sie dem Chemiker als wirkliche Handhabe dienen können, Mehr beanspruchen die folgenden Mittheilungen nicht. Günstige äussere Verhältnisse, namentlich der tägliche Verkehr mit meinem Freunde und Lehrer, Herrn Claude Bernard, der mir sowohl im College de France, wie in der Sorbonne ein geeignetes Laboratorium zur ausschliesslichen Verfügung stellte, waren die besondere Veranlassung zu die- sen physiologischen Studien. Es‘sei mir darum! gestattet, für die erfahrene Gastfreundschaft meinen wärmsten Dank bei dieser Gelegenheit auszusprechen. I. Ueber die Endigungsweise der Nerven in den Muskeln. Um die physiologische Leistung eines Muskels kennen zn lernen, ist es durchaus nöthig zu wissen, durch welche Ein- Untersuchungen über Bewegungen und’ Veränderungen u. s. w. 565 flüsse seine Thätigkeit erweckt werden könne. Dass in den meisten Fällen der erregte motorische Nerv diese Rolle über- nimmt, ist unzweifelhaft, und es ist daher eine der grössten Aufgaben, den näheren Vorgang bei der Uebertragung der Erregung vom Nerven auf den Muskel kennen zu lernen. In so weiter Ferne dieses Ziel auch noch liegen mag, dürfen wir gleichwohl hoffen, den richtigen Weg dahin zu finden. Die anatomische Untersuchung und das Experiment müssen beide den Nerven bei seinem Eintritt in den Muskel verfol- gen, es wird sich dann zeigen, ob die eine Methode weiter reicht, als die andere. : Wir beginnen mit der einfachsten auf Beschauung begründeten: Anatomischen Untersuchung. Seit längerer Zeit mit Beobachtungen über Reizung der Muskeln beschäftigt, bin ich bei dem dazu verwendeten Muse. Sartorius des Frosches auf einen so glücklich organisirten Apparat gestossen, dass ich Veranlassung nehmen musste, grade hier die Nervenverbreitung genauer zu studiren. Der Sartorius ist-ein Muskel, welcher etwa an seinem mittleren Dritttheil etwas nach unten zu, an der Seite seines inneren scharfen Randes einen einzigen sehr dünnen motorischen Nervenstamm (a. Fig. 1) empfängt, der in senkrechter Rich- tung zum Verlauf der Muskelprimitivbündel in denselben eintritt. Schon mit dem unbewaflneten Auge erkennt man, dass der Nerv gleich nach seinem Eintritt mehrfache Thei- lungen erfährt, aus welcher sehr zarte Fäden hervorgehen, die sich nach beiden Seiten hin allmälig dem Blicke entziehen. Um diese Theilung besser verfolgen zu können, ist es nöthig, das Mikroskop zu Rathe zu ziehen, und da der Muskel selbst im günstigsten Falle, wenn man über äusserst kleine Frösche disponiren kann, an Durchsichtigkeit mit manchen anderen platten Muskeln nichtwetteifern kann, so muss man ihn vorher so zubereiten, dass er diese Eigenschaft in mehr oder minderem Grade erhält. Sartorii von sehr kleinen jungen Fröschen werden nach 24 Stunden in Salzsäure von 0,1 pCt. fast 80 durchsichtig wie Glas und da diese Veränderung vorzugsweise die contrac- tile Substanz und das Bindegewebe betriflt, so erscheinen die Reichert’ u. du Bols-Reymond's Archiv. 1859. 37 566 W. Kühne: Nerven darin ausserordentlich deut- lich als feine weisse‘ Stränge und Fäden, welche mit grösster Leich- tigkeit innerhalb des ganzen Mus- kels verfolgt werden können, Das Bild, das sich an einem ‘so’ her- gerichteten Muskel bei 250 facher Vergrösserung entfaltet, ist fol- gendes: Gleich nachdem der Nerv eingetreten, theilt er sich in 2 Aeste, einen oberen und einen unteren (ec), welche in entgegengesetzter' Rich- tung nach den beiden Enden des Muskels hin ihrem Ziele zugehen. Schon sogleich nach der ersten Thei- lung aber weichen wieder einige Fasern (f. f.) von ihrem ursprüngli- chen Wege ab, um sich auf die entgegengesetzte Seite zu begeben, und bei der folgenden Theilung der beiden genannten Nervenstämmehen wiederholt sich dieselbe Anordnung zum zweiten Male in der Weise, dass die für die beiden seitlichen Flächen des Muskels bestimmten Fäden manchmal unter, Erzeugung wahrer Kreuzungen (xx) auf die entgegengesetzten Seiten übertreten. So entsteht das Bild von Nervenschlingen, in welchen wir nichts, weiteres erkennen, als eine hartnäckige Neigung zur Plexusbildung, welche allen Nervenstämmen gemeinsam ist, und welche sich bis dicht vor dem Ziele oder dem Endappa- 1) Fig. 1. Ein Sartorius 2'/2 Mal vergrössert. Die Zeichnung ist nach mehreren mikroskopischen Bildern zusammengesetzt. A. Die un- tere spitze Sehne äm Kniegelenk. B. Die kurze breite Sehne, mit welcher der Muskel vom Os ilium entspringt. Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 567 rate derselben erhält. Seit den folgenreichen Entdeckungen R. Wagner’s aber sind alle diese Bildungen ausschliesslich auf das Bereich der Stämme und selbst der intramuseularen Stämmchen verwiesen. Die eigentliche Endigung der moto- rischen Nerven besteht in Theilungen der einzelnen Primi- tivfasern, welche sich ohne Mühe in allen Muskeln nach- weisen lassen. So ist also auch in dem Sartorius das eben ge- schilderte Bild der Schlingen auf einen sehr engen Raum be- schränkt, indem dasselbe nur in der nächsten Umgebung der Nerveneintrittsstelle beobachtet werden kann. Nach beiden Seiten davon, nach oben und unten also, bei der vorwie- genden Längsdimension diesesMuskels, erkennt das Auge aber ein ganz verschiedenes Verhalten. Die einzelnen aus den Schlingen hervorkommenden Primitivfasern (p. p.) beginnen ihren Weg nun gemeinsam mit den Muskelbündeln, fast pa- rallel zwischen ihnen liegend fortzusetzen, um immer weiter nach den Endpunkten des Muskels zu, jede einzeln in secun- däre Röhren durch gabelförmige Theilungen zu zerfallen, häufig unter Bildung von nachweisbaren tertiären Röhren, welche aus der Theilung der secundären hervorgegangen. Plötzlich aber verschwinden diese Fasern ganz und das beste Mikroskop zeigt in der Nähe der Endpunkte des Muskels selbst mehrere Millimeter vor denselben (in E.E.), gar keine Ner- venelemente mehr. Man wird einwenden, dass die Betrachtung des ganzen unzerfaserten Muskels-hier nicht mehr compe- tent sei, und ich habe mich deswegen zur feineren Un- tersuchung eines anderen Verfahrens bedient. Ich kenne kein besseres Mittel, um die Muskeln mit ihren Nerven klarer vor dem Auge auszubreiten, als die Betrachtung ganz frischer noch zuckungsfähiger Fasern. Ich reisse oder schneide aus dem Sartorius einen langen und schmalen Streifen heraus und isolire die einzelnen Primitivbündel mittelst der Nadel der Art, dass sie alle nur in einem Punkte an einander haf- ten bleiben. So kann man an einem frischen und darum sehr weichen Muskel viele einzelne Primitivbündel stern“ör- mig um einen Punkt herum gruppiren. Ohne eine Flüssig- keit zuzusetzen und ohne das Präparat mit dem Deckgläs- 37* 568 W. Kühne: chen zu bedecken, beschaue ich es hierauf bei starker. Ver- grösserung und da findet man dann auf’s Schönste: viele Ner- venfasern . ganz isolirt zwischen den Muskelbündeln: lie- gen, häufig sogar an den Stellen isolirt, wo die Primitiv- fasern sich theilen, und wenn das Glück den Suchenden' be- günstigt, ereignet es sich auch wohl, dass man eine secun- däre Faser an ein Muskelbündel herantreten sieht, um mit diesem ‚unter Bildung einer schwachen kolbigen Anschwel- lung scheinbar zu verschmelzen. Dass diese Verbindung von Muskel und Nerven ziemlich solider Natur sei, konnte ich einige Male dadurch erkennen, dass der Nerv mit dem ab- geschnittenen ganz isolirten Muskelprimitivbündel eben so gut in der nachträglich zugesetzten Flüssigkeit (Na Cl von 0,5 pCt.) herumgeschwenkt werden konnte, wie letzteres durch Zerren an der mit dem Nervenstamme noch zusammenhängenden Nervenröhre, ohne dass eine Verknüpfung durch umliegendes Bindegewebe nachzuweisen gewesen wäre. Alle Bemühungen, welche ich angewendet, um in das Muskelrohr hineinzuschauen, blieben indessen erfolglos, ‚da. es mir mit keinem Reagens gelingen wollte, den Nerven auf der inneren Seite des Sar- kolemms, wieder zu finden. Die Beobachtung ganz frischer Froschmuskeln gestattet also einigermassen den Verlauf der Nerven im Muskel zu erkennen, so lange) sich jene ausser- halb des Sarkolemms befinden und deswegen sei hier noch hinzugefügt, dass man bei der gewissenhaftesten Durchmuste- rung aber auch Stellen im. Muskel findet, welche niemals Nerven enthalten. Im Sartorius des Frosches ist dies con- stant der Fall dicht vor, den beiden Endpunkten, so, zwar, dass der ganze Muskel nervenhaltig befunden wird, mit Aus- nahme einer Strecke von 2—5 Mm. für das obere breite Ende von 1—3 Mm. für den unteren spitzen Zipfel, je, nach der Grösse des angewendeten Frosches. Dasselbe, was sich hier bei der Zerfaserung dieser Theile zeigt, tritt ebenfalls’ sehr deutlich ‚bei der Betrachtung des ganzen mit stark verdünnter HCl durchsichtig gemachten Muskels hervor, selbst an. grös- seren Exemplaren, welche eben so gut untersucht werden kön- nen, wenn man sich des einfachen Kunstgriffes bedient, die- Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 569 selben ihrer ganzen Länge nach mit einem haarscharfen Ra- sirmesser in 2 Platten zu spalten, was ohne wesentliche Zerreissungen von Muskelbündeln oder Nervenfasern ausge- führt werden kann. Weit entfernt dem mitgetheilten Befund irgend welche Bedeutung beizulegen, muss ich noch daran erinnern, dass derselbe Niemanden befremden kann, der überhaupt Muskeln auf ihre Nervenverbreitung untersucht hat. Kölliker be- hauptet sogar gradezu, dass selbst an dem so äusserst ner- venreichen, bekannten und von Reichert genauer beschrie- benen Brusthautmuskel des Frosches Stellen zu finden seien, wo in grösserer Ausdehnung gar keine Nerven vorkämen'), und dass. die Nervenverbreitung im Omohyideus des Men- schen eine ganz beschränkte, fast nur an der Eintrittsstelle des Nerven gelegene Vorrichtung sei.?) Da die letzten anatomischen Formen, durch welche der Nerv mit der contractilen Substanz verbunden ist, noch nicht bekannt sind, so lässt sich aus dem nicht mehr Sehen oder Aufhören der Nerven, wie es bisher beschrieben ist, nur wenig Ver- werthbares für die Physiologie schliessen, und ich habe des- wegen alle mögliche Mühe aufgewendet, um das wirkliche intramuseulare Ende zu finden. Alle Muskeln der Wirbel- tbiere zeigten mir immer wieder dasselbe Bild; es war un- möglich andere Nerven als diejenigen ausserhalb des Sarko- lemms zu sehen, bei den höheren Wirbelthieren gelang es nieht einmal, den beim Frosch unzweifelhaften organischen Zusammenhang zwischen der Primitivfaser und dem Muskel- primitivbündel isolirt zu erkennen. Das Bindegewebe, wel- ches letztere an einander heftet, ist hier viel derber, und die Isolirung der Bündel ohne sehr kräftig wirkende Reagentien kaum möglich. Trotz alledem gewinnt man leicht die Ueber- zengung, dass alle Nerven markhaltig sind. Entzieht sich die letzte Ausbreitung dem Blicke, 80 geschieht dies nie der 1) Kölliker, Untersuchungen über die Wirkung der Gifte. Vir- ehows Archiv Bd. X. S. 63. I) Kölliker, Handbnch der Gewebelehre. 570 W, Kühne: Art, dass man zuerst das Mark verschwinden sieht, vielmehr scheinen sich die doppelten Contouren gleichmässig zu. ver- lieren. Eigenthümliche Form des Bindegewebes, theils ge- schlängelte, theils straffe, vielfach anastomosirende Fasern, welche in mannichfachen Windungen die Primitivbündel um- ziehen und welche wohl kaum als künstliche Produete einer ganz homogenen Bindesubstanz betrachtet werden dürfen, scheinen Veranlassung zu der Meinung gegeben zu haben, dass die Nerven in den Muskeln Scheide und Mark verlören, so dass sie zuletzt als nackte Axencylinder zwischen den Primitivbündeln verliefen, Schiff, der dieser Ansicht hul- digt, erwähnt übrigens selbst, dass jene nackten Axencylin- der sehr leicht mit Bindegewebe verwechselt werden könnten. Da er sich aber jeder weiteren Andeutungen enthält über die Unterschiede, welche ihn selbst beide Formen trennen liessen, so muss seine Angabe gewiss mehr für ein subjeetives Be- dünken, als für das Resultat einer Untersuchung angesehen werden. Bei den Froschmuskeln sieht man ganz bestimmt, dass der Nerv seine Markscheide nicht verliert,, überall, wo man ihn unzweifelhaft an das Sarkolemm herantreten sieht, besitzt er seine ganz unveränderte Struetur, ja es scheint sogar, als wenn die Scheide hier meist stärker entwickelt sei. Wenn ich nicht irre, ‚sind es Meissner!) und Munk?), welche bei wirbellosen Thieren zuerst ein unzweifelhaftes Durchbrechen des Nerven durch das Sarkolemm beobachtet haben, Thatsachen, welche bisher noch nicht genügend 'be- rücksichtigt worden, bei ihrem grossen allgemeinen Interesse, Die ausserordentliche Durchsichtigkeit der Muskeln yie- ler Wirbellosen, sowie die lange. Dauer ihrer Erregbar- keit bestimmte mich auch bei diesen Thierelassen die Ner- venverbreitungen in den Muskeln zu studiren. Durch die herrliche Arbeit Brücke’s über das Verhalten der Muskeln in polarisirtem Lichte, in welcher recht augenscheinlich ge- zeigt ist, bis zu welcher ausserordentlichen Feinheit die Form erkannt werden kann, wenn alle optischen Hülfsmittel mit Geschick dem Objeete angepasst werden, wurde meine Auf- 1) Zeitschr. f. w. Zoologie Bd. V 2) Göttinger Nachrichten. J. 58. 1. Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 571 merksamkeit namentlich auf. die Muskeln der Käfer 'binge- leitet... Die’ contractile Substanz bleibt. hier. selbst än sehr kleinen isolirten Muskelstückchen so ‚lange im Besitze;, der Erregbarkeit, und bewahrt. ihren ‚durchsichtigen 'Zustand..der Art, dass es ganz überflüssig ist, irgend. welche Reagentien anzuwenden, falls man.das Innere des Sarkolemms erkennen will... In. den. tracheenarmen Beinmuskeln ‚von Hydrophilus piceus oder ‘von Oryctes nasicornis findet man ein Object, das zur Erkennung. des Endapparätes des‘ motorischen Nerven ungemeiu geeignet ist. Um unnöthiges) Zerreissen ‚der Ner- venfasern zu vermeiden, thut man gut, die, kleinen Muskel- stückehen, welche man unter das Mikrosköp bringt, ‚sehr schmal, ‚dafür aber möglichst lang zu nehmen, und dieselben auf dem Objectträger nur sehr schwach aus einander zu zer- ren.. Ein solches Präparat bleibt dann noch mehrere Stun- den in demselben Zustande, wie während des Lebens, zumal wenn man es in dem eigenen Blute der 'T'hiere bewahrt. Alle einzelnen Muskelbündel zeigen die vielfach beschriebe- nen wellenförmigen Bewegungen der eontractilen Substanz, so dass das. Bild ein beständig wechselndes wird. Das Sar- kolemm ist hier von ausserordentlicher Feinheit und wie es scheint, auch ganz ‚structurlos. Hier und da sieht man ‚aber auf demselben eingezogene krause Stellen, in deren Umge- bung sich lappige Anhängsel finden, mit einem oder mehreren blassen Kernen versehen. is ist nicht zu bezweifeln, dass diese Gebilde die Reste ‘von abgerissenen Nerven sind, sie führten mich zuerst dahin, grade hier auf die Letzteren. ge- nauer Acht zu geben, und es ist in der That nicht schwer, in einem mit Schonung, hergerichteten Präparat eine Menge von Nerven zu finden, welche man eine grosse Strecke ‚weit über das Gesichtsfeld verfolgen kann, und welche man end- lich an den Ort ihrer Bestimmung ankommen, d.h. mit Zu- rücklassung der Scheide das Sarkolemm: durchbrechen sieht, Nicht selten ist es mir gelungen, ein Muskelstückchen so herauszuschneiden, dass dasselbe noch an einem Stück des ansehnlichen Beinnerven hing und beide zusammen dann der Beobachtung zu unterwerfen, 572 W. Kühne: Die Nerven von Hydrophilus piceus lassen eine deutliche kernhaltige Scheide erkennen, welche schwach längsstreifig ist und den ziemlich dicken Nerven wie ein straffes Gewand umgiebt. Obgleich die Ansicht sehr verbreitet ist, dass die peripherischen Nerven der Wirbellosen mehr den sogenann- ten grauen sympathischen Fasern des Wirbelthieres entspre- chen, muss ich doch ganz bestimmt hervorheben, ‘dass in. den unzweifelhaft motorischen Fasern der Beine bei den Inseeten ganz entschieden dunkelrandige, markhaltige Primitivfasern vorkommen, welche die grösste Masse derselben bilden. Es wäre möglich, dass die motorischen und sensibeln Fasern bei den Wirbellosen verschiedene Structur besitzen, wenig- stens ist es unzweifelhaft, dass neben den allgemein 'be- kannten grauen Fasern auch häufig breite markhaltige vor- kommen, wie beim Flusskrebs nach Haeckel, Remak u. A: oder bei Lampyris splendidula nach Leydig. Das im Innern der Scheide liegende Mark ist minder glänzend als das der höheren Thiere, gerinnt auch in weniger seltsamen Formen als bei jenen, es charakterisirt sich aber immer sehr deut- lich gegen die Scheide hin, wo man eine sehr dicke und breite Linie die Grenze bezeichnen sieht. Nach der Axe der Röhre zu erscheint es schwach granulirt und nur selten sieht man hier bei der Gerinnung nochmals eine zarte dunkle Linie entstehen, welche das Mark von dem Axeneylinder abgrenzt. Bei alledem bieten diese Nervenfasern doch immer ein Bild dar, welches sehr viel blasser als bei den Wirbelthieren ist, wenn auch der Strang als Ganzes, in welchem viele solcher Primitivfasern neben und über einanderliegen, gar nicht ver- kannt werden kann. In einem anderen Punkte weichen in- dessen die motorischen Nerven der Käfer sehr von denen der höheren Thierwelt ab, das ist in Betreff ihrer ausseror- dentlich zahlreichen Theilungen. Man sieht bisweilen eine Nervenröhre in weiten Abständen 5 bis 6 seeundäre Aeste abgeben, welche nicht selten in rechtwinkliger Richtung die Mutterröhre verlassen. Nach der Peripherie zu werden sie etwas schmaler, wie auch die secundären Nerven nie so breit sind als die Stammfaser. In der Structur dagegen tritt gar Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 573 keine Veränderung ein, man unterscheidet dicht vor dem Eintritt in das Sarkolemm noch sehr gut Scheide und Mark, ja auch’ mitunter ‚ohne Anwendung von Reagentien einen ver- hältnissmässig. ‘breiten Axeneylinder. Nach dem Durchtritt der Nerven’ durch das Sarkolemm sieht man auf der inneren Seite des’ Letzteren bei guter Einstellung in’ der Regel den naekten Axencylinder als ganz kurzen Stumpf in die con- tractile Substanz 'hineinragen, dicht daneben aber eine von der klaren einfach brechenden Grundsubstanz der Muskeln unterschiedene 'trübe Masse, welche mit einer anderen gleich zu beschreibenden Einrichtung in engster Verbindung zu ste- hen scheint. Man erinnert sich, dass Leydig für die Muskeln ein be- sonderes System von Hohlräumen' aufgestellt hat," unter 'wel- chem er alle bisher in den Muskeln als’ Kerne oder Muskel- körperchen benannten, von der contractilen Substanz ver- schiedenen Bildungen zusammenfasste Diese Lehre hat durch Kölliker die heftigsten Angriffe erfahren, der seinerseits Leydig’s Hohlräume allein auf die Kerne zurückführt, sich selbst aber als den Entdecker wirklicher Lücken bezeichnet, in welchen eine feine körnige Masse eingelagert sei. Es kann nieht darüber gestritten werden, woran der Eine oder der Andere eine Lücke erkannt habe, denn es ist gewiss, dass der Inhalt der Lücke durch irgend etwas von dem um- gebenden Geweben verschieden in der Lichtbrechung oder Durchsichtigkeit gewesen sein müsse, da man sie sonst eben nieht hätte. sehen können. Kommen jene Körnchenreihen Kölliker’s nicht in gesonderten Gebilden vor, sondern lie- gen sie nur einfach in der Muskelsubstanz eingebettet, so ist es schliesslich dasselbe, ob man sagt: eine Lücke mit einem Körnchen darin, oder Körnchen in der umliegenden Sub- stanz. Nach meinen eigenen Beobachtungen kann ich nicht zweifeln, dass alle 3 Dinge constant in den Muskeln vor- kommen, nämlich grosse, bläschenartige Kerne, feine reihen- weis angeordnete Körnchen und endlich Lücken von ver- schiedener' "Grösse, in welchen keine Körnchen liegen — Vaeuolen. 574 W. Kühne: Die ‚Vacuolen sieht-man vorzugsweise‘ an ganz: frischen Muskeln. , Sie sind in der Regel spindelförmig, "scheinen zu- weilen, durch einen ‘Canal je 2, oder 3 zusammenzuhängen und verschwinden. ‚durch. "einen mässigen Druck ' fast ‚alle, Man ‚sieht 'sie häufig an ganz frischen Froschmuskeln,; welche man noch zuckend :ohne Deckglas unter das Mikroskop bringt. Legt man das Deckglas ‚auf, so verschwindet der ‘grösste Theil, nur einige 'wenige bleiben,» welche nicht alle dem stär- keren: Drucke weichen. Immer aber sind’ diese Vaeuolen, selbst wenn siebeständig bleiben, sehr gut‘von: den Kernen zu. unterscheiden durch ihren \eigenthümliehen röthlichen Glanz, um so mehr als Froschmuskeln ohne Behandlung mit Reagentien nur sehr‘ schwierig die im Innern liegenden Kerne erkennen lassen.ı/! Die Reihen‘ feiner Körnchen, welche Köl- liker zuerst beschrieben, finden sich in jedem Muskel überall in seiner ganzen Länge und dürften schwerlich. übersehen werden können, wenn man danach sucht. Bei den Muskeln von Hydrophilus oder Oryctes' sieht man nun von allen! diesen Dingen sehr wenig, ‚die grossen bläschenförmigen Kerne sind sehr selten, und’ auch die feinen Körnchen Kölliker’s fin- den sich nur sehr vereinzelt. Jedes Primitivbündel zeigt da- gegen, und zwar während es noch reizbar und ganz unver- ändert ist eine oder mehrere Reihen von höchst regelmässig angeordneten Körnerzügen, welche, wie es scheint, von Amici, dessen Originalabhandlung mir ‚leider nicht, zu- gänglieh ist, genauer berücksichtigt wurden. Diese Ge+ bilde durchziehen das Primitivbündel für mehr oder minder grosse Streeken meist der Art, dass ein Streifen in der Axe und.2 andere am Rande hart unter‘ dem: Sarkolemm liegen, zwischen welchen sich hie und da Anastomosen befinden, aus denen manchmal noch ein 4ter Streifen hervorgeht, ı Die Abbildungen werden besser als: jede: Beschreibung die Beschaffenheit dieser Organe darstellen.: Man sieht eine Reihe von schwach vierkantig verdrückten kernartigen Kör- pern hinter: einander liegen, durch Zwischenräume getrennt, welche von ‚sehr verschiedener, Länge sind, zuweilen die Grösse der Körperchen (etwa 0,003'') um das 4fache über- Untersuchungen über Bewegungen und Veränderuggen u. s. w. 575 trefien, häufig aber auch so gering sind, dass 2 Körperehen sich: fast: unmittelbar berühren. Diese Räume werden da- dureh sichtbar, dass in ibnen eine Substanz liegt, welche von. der eontractilen Materie ‘des Muskels verschieden aus- sieht, nämlich weniger klar und schwach granulös oder stau- big. Ob die reihenweis angeordneten. Körner, an welchen man nur sehr selten etwas dem Kernkörperchen Analoges sieht, mit den zwischen ihnen liegenden trüben band- oder canalartigen Räumen 'von einer Membran umschlossen sind, lässt sich nicht sagen, wohl. aber sieht man: zuweilen eine Reihe solcher Körner aus dem (Querschnitt des Primitivbün- dels herausragen, wenn, auch meist so, dass 'eine diffuse Masse von coagulirter Muskelsubstanz darum herumliegt. Beim Zusetzen von sehr verdünnter Salzsäure oder einer äusserst schwachen Kalilauge, welche die Insectenmuskeln fast bis zum ‚Verschwinden durchsichtig machen, erkennt man die geschilderten Bildungen besonders deutlich, nament- lich bei kurzer Einwirkung des Reagens, - Nach ‚längerer Zeit leidet die Deutlichkeit aber ebenso wie die der Muskelsub- stanz selbst. Durch diese Behandlung werden die Körner etwas runzliger, was indessen zum Theil von der Zusammen- ziehung der Muskeln herrübren mag. Man sieht z. B. häufig, dass beim Uebergleiten einer Contractionswelle über das Primitivbündel, oder bei der 'allmäligen Formyeränderung während des Eintritts der Todtenstarre die Zwischenräume zwischen den Körnern breiter und kürzer werden, und auch diese selbst ihre Form etwas ändern, ‚In diesem Zustande bringen sie eine Erscheinung hervor, als ob in. dem querge- streiften Muskel Bänder mit noch breiteren Querstreifen lägen. Wie sich nachweisen lässt, stehen die beschriebenen Or- gane mit den das Sarkolemm durchbrechenden Nervenfasern in Verbindung, im innigen Contacte. ‚Jedes Mal, wenn man einen Nerven in das Sarkolemm eintreten sieht, findet man ihn gewöhnlich unmittelbar da, wo grade unter dem Sarko- lomm ein soleher Körnerzug entlang läuft. Von dem Axen- eylinder sieht man dann, wie erwähnt, nur einen kurzen Stumpf, er scheinst selbst granulös zu werden und in diesem 576 pr) w. Kühne: Zustande identisch zu sein mit der zwischen ‚den Körnern liegenden Zwischensubstanz. Im Falle der Axeneylinder nicht aneiner solchen Stelle eintritt, gelingt es bisweilen dadurch über sein Verbleiben Auskunft zu erhalten, 'dass das Muskel- primitivbündet an diesem’ Orte auseinanderreisst, wo man ihn dann mit''einer kurzen Biegung an eine mittlere Körnerreihe sich’ anschliessen sieht. Nach dem Vorgebrachten wird nun wohl die Annahme be- rechtigt sein, dass die Körnerreihen der Inseetenmuskeln niehts anderes sind, als Ausbreitungen des wahren intramuseularen Axeneylinders der motorischen Nervenfasern.'' Die allerletzte Endigung dieser Apparate besteht darin, dass die reihenför- mig 'angeordneten Körner immer kleiner und kleiner werden, bis endlich das Auge die in regelmässiger Anordnung mit den’ Disdiaklassen durchsetzte .contractile Substanz nicht mehr von den äussersten Spitzen zu trennen vermag. . Erwähnt mag noch werden, dass eine einzige motorische Nervenfaser durch mehrere secundäre Aeste mit ein und demselben Mus- kelprimitivbündel auf diese Weise in Verbindung treten kann. Welches Organ bei den Wirbelthieren die Vermittlung zwischen dem Nerven und dem Muskel übernimmt, ist noch vollkommen unbekannt.. Möchten die Histologen diese die ganze Nerven- und Muskelmechanik auf's Tiefste berührende Frage einer'"baldigen Entscheidung entgegen bringen. Es wäre möglich, dass ein Theil der bisher als Kerne oder Hohlräume beschriebenen Formen für die Erkenntniss des intramuscularen Nerven einen Anhalt geben könnte. Wer dieselben einer näheren Betrachtung unterwirft, "wird finden, dass grosse Verschiedenheiten darunter eexistiren. Es giebt ganz platte, olivenförmige, schraubenartig gedrehte und ge- runzelte, matt‘ granulirte und dabei sehr blasse Kerne. In den: feinen, vielfach verästelten Muskeln der Froschzunge kommt sogar eine Art von centralem Canal vor, der platte, wie Scheiben über einander geschichtete Kerne oder „Kör- ner“ enthält, bei denen eine gewisse Aehnlichkeit mit'den Körnerreihen der Inseetenmuskeln unverkennbar ist, Das- Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 577 selbe sieht man auch mitunter bei den: Fasern.'des platten Brustmuskels der Frösche. In Uebereinstimmung mit der beim Frosch am Sartorins sich darstellenden Weise, verhalten sich auch die wirklich innerhalb des Sarkolemms befindlichen‘ Nerven bei Insecten: Hier‘ wie dort ist der Muskel in der Nähe der Nervenein-+ trittsstelle ungemein reich’ an Nervensubstanz, während weiter davon entfernt, nach beiden Richtungen hin die Nerven ver- schwinden, so dass die anatomische Untersuchung eine auf- fallende Armuth oder sogar ein gänzliches Fehlen der Nerven für, gewisse Theile des Muskels oder des’ einzelnen Primitiv- bündels ergiebt. Nach dieser anatomischen Darstellung will ich jetzt: ver- suchen zu zeigen, wie-die r Experimentelle Unter Eae ebenfalls auf denselben Gegenstand ihr Ziel richten kann. Sicherlich giebt es keine physiologische Aufgabe, welche nicht auch von.dieser Seite angegriffen ‘werden könnte. "Die man- nichfache Abwechselung, welche die’ künstliche Veränderung der. natürlichen Bedingungen gestattet, worin doch nur das Experiment besteht, dient auch hier zu einem sicheren Führer und Prüfstein.. Wir schliessen uns zu dem Ende hier ganz au Das an, was die Anatomie lehrt, und beginnen Schritt für Schritt; denNerven bei seinem Eintritt in den Muse, Sartorius: zu verfolgen. Ein sehr einfacher Versuch ‚beweist zunächst, dass ‚die Puukte des ‚Sartorius in der Nähe der Nerveneintrittsstelle in wirksamer Verbindung mit dem motorischen Nerven. sind. Man braucht eben nur allmälig Stücke von beiden Enden des Muskels abzuschneiden, um zu finden, dass das jedesmal ge- wonnene Mittelstück durch schwache, elektrische, chemische oder mechanische Reizung. des Nervenstammes zur Contrac- tion./gebracht werden kann, und dass’ selbst das kleinste Muskelstückchen, welches man dem Nerven ohne Zerstörung der Theile anbaften zu lassen vermag, ganz ‚dasselbe Phü- 578 mol W. Kühne: nomen zeigt. Es kann also kein Zweifel darüber sein, dass der Nerv bei seinem Eintritt in das Paquet von Muskelpri- mitivbündeln sofort zur Herrschaft über dieselben gelangt, dass also die erforderliche Verknüpfung von Muskel und Nerv nicht ausschliesslich an die beiden Enden des Sartorius 'ver- legt ist, ‘bei welchen sich sogar sehr wesentliche Verschie- denheiten gegenüber der Anordnung in dem Mittelstück nachweisen lassen. J. Rosenthal hat den interessanten Nachweis geführt, !) dass der motorische Nerv viel leichter durch geringere, elek- trische Stromesschwankungen erregt werden kann, als der Muskel selbst bei directer Reizung, dass der Nerv nämlich erregbarer ist als der Muskel. Bei ausschliesslicher Anwen- dung des elektrischen Reizes darf also von vornherein vor- ausgesetzt werden, dass ein Muskel, welcher viele intramus- culare Nerven enthält, erregbarer sei, als ein anderer, wel- cher deren weniger besitzt, oder dass ein und derselbe Mus- kel von den Punkten aus leichter zur Zuckung veranlasst werden könne, wo er reich an Nerven ist, als von solchen, wo dies nicht der Fall ist. Die Voraussetzung bestätigt sich nun für den Sartorius des Frosches in auffallender Weise, Wir legen den sorgfältig präparirten und ohne jede Ver- letzung, selbst ohne Anlegung eines Querschnittes isolirten Muskel, welcher nach 'unten von 'seiner spitzen. Sehne | am Kniegelenk, nach oben von seinem sehr kurzen und breiten sehnigen Ansatze am Os ilium begrenzt ist, auf die durch 2 feine Platindrähte gebildeten Elektroden der 'secundären Spirale des du Bois’schen Schlittenelektromotors. : Die An- ordnung ist der Art, dass die constant um 2 Mm. von ein- ander entfernten parallelen Elektroden (ee ee Fig. 2), welche der Bequemlichkeit wegen mit halber Dieke in eine feste Guttapercha- oder Glasplatte eingelegt sind, dem’ Muskel etwas oberhalb der Nerveneintrittsstelle anliegen (in a), und zwar in einer zum Verlauf der Faserung senkrechten Rich- 1) Moleschott"s Untersuchungen z. N. d. M. n. d. "Th. 1857. Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 570 Fig. 2. tung. Nach dem Vorgange Ro- i A senthal’s entfernen wir nun die seeundäre Spirale des 'Induc- tionsapparats, : dessen Elektro- motor in einem Grove’schen ‚Element besteht, so 'weit von der primären Rolle, ‘dass das Hinwegräumen einer in den se- MH eundären Kreis vor dem Muskel a wngebrachten Nebenschliessung keine Zuckung verursacht. Wäh- rend der Apparat in Thätigkeit bleibt, wird nun die secundäre Spirale langsam an (die primäre angeschoben und erst dann in Ruhe gebracht, wenn der Muskel die ersten Spuren von Zuckungen zeigt. Für den Fall, dass die Präparation ohne Fehl war, dass der verwendete Frosch sich in den günstigsten Umständen befand, beginnen diese Zuckun- gen sogleich in der ganzen Länge und Breite des Muskels, während anderen Falls die Zuckungen nur fibrillär sind, wenn der Wertli der durch die jedesmalige Stellung der se- eundären Rolle‘ bedingten Stromesschwankungen diejenige Grösse erreicht, bei welcher‘ zuerst Reizung erzielt ‘wird. Jetzt lege man den Muskel statt mit irgend einer Stelle seiner _ Mitte mit einer dicht vor dem oberen Ende gelegenen Strecke (b) auf die: Elektroden und lasse denselben Reiz durch Aufhebung der Nebenschliessung einwirken. Ohne Ausnahme entsteht nun in diesem Falle niemals Zuckung, die Erregung ist für diede Anordnung nicht mehr ausreichend und man ist in der Regel genöthigt, die secundäre Rolle noch um meh- rere Öentimeter der primären zu nähern, um Zuckung zu erhalten, welche dann aber ebenfalls sogleich über die ganze Länge des Muskels sich verbreitet. ‘Der erste Einwurf, wel- cher sich hier nun entgegenstellt, besteht darin, dass der Muse, Surtorius schwach pyramidal geformt ist, und das 580 W. Kühne: seine breitere Basis am oberen Ende liegt, während die Spitze der Pyramide, vom unteren Ende eingenommen wird. Bei näherer Betrachtung überzeugt ‘man sich aber, dass der Querschnitt des Muskels fast von der Stelle des Nervenein- tritts an, bis zum oberen Ansatze hin nahezu derselbe bleibt, und dass die pyramidale Zuspitzung erst unterhalb des Hilus (H) beginnt. Der grössere; Querschnitt und die dadurch be- dingte geringere Stromdichte in! den einzelnen Punkten des oberen Muskelstücks kann -also'nicht gut der Grund sein für die Nothwendigkeit stärkerer Inductionsschläge, wenn Zuckung eintreten 'soll. Da die Messung des frischen Muskelquer- sehnitts indessen mit erheblichen Schwierigkeiten verknüpft ist, so kommt es erwünscht, dass der Versuch auch unter den entgegengesetzten Umständen stets denselben Erfolg dar- bietet. Um dies zu zeigen legen wir statt, der oberen brei- ten Basis der Muskelpyramide die untere Spitze (e) dersel- ben, ‚deren Querschnitt vielleicht nur der Hälfte von dem der Mitte des Muskels entspricht, auf die Elektroden, und eben so ausnahmslos findet sich auch. dann, ‘dass der Abstand zwischen den beiden Spiralen des, Inductionsapparats ver- mindert‘ werden muss, um Zuckung, zu erzeugen, wenn der- selbe grade so gross war, dass 'der''Muskel bei Anlegung der Elektroden auf seine mittleren Punkte (d) mit den ersten Anfängen ‚der Zuckung antwortete, Die Differenz ‚ist. bei dieser Abänderung des’ Versuchs natürlich nicht so bedeu- tend, wie. bei dem Vergleiche zwischen der Mitte und dem oberen Endstück, sie beträgt aber immer mindestens. die Grösse. eines Centimeters, um welchen der Abstand der: bei- den Inductionsrollen verkürzt werden muss. " Man könnte'ge- neigt, sein, diese Thatsachen mittelst einer durch: die 3 Reiz- versuche‘ allmälig verminderten Erregbarkeit des Muskels zu erklären, wenn nicht dagegen der Umstand spräche, dass das Resultat dasselbe bleibt, gleiehviel ob die Reihefolge der 3 Versuche auf jede ‘beliebige Weise verändert wird, ‘so wie die andere Thatsache, dass die Abnahme der Erregbarkeit eines zu vielen: Versuchen benutzten Muskels innerhalb einer Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 58] Viertelstunde‘ .durch diese relativ grobe Methode kaum zur Wahrnehmung gebracht werden kann. Die geringere Erregbarkeit der. beiden Endstücke des Muskels im. Vergleich zu den: mehr in der Mitte’ gelegenen Punkten stimnit nun in- auffallender Weise überein mit dem durch das Mikroskop wahrscheinlich gemachten Mangel der Nerven'in jenen Theilen; es sind aber bei diesem verwickel- ten Gegenstande noclı ‚so. viele andere Möglichkeiten denkbar, dass es gut sein wird, alle Erklärungen herbei zu ziehen, welche nur irgend 'auf die : vorliegenden; Erscheinungen an- gewendet werden können. ‚Meiner: Meinung nach giebt.es 3 ‚Umstände, welche Unterschiede in der Erregbarkeit für ver- schiedene Punkte eines und desselben Muskels bedingen kön- nen, und: welche alle zusammen grade am Sartorius beson- ders deutlich ‘sich ausprägen müssen. Der Muskel sowohl wie der Nerv sind beide: erregbar, und der Grad der Erreg- barkeit der Combination von. Muskel und Nerv’ ist:daher nothwendig abhängig von der Grösse der Erregbarkeit dieser beiden Factoren. Da nun in dem 'Sartorius, von der Ein- trittsstelle des Nerven bis: zu seinem oberen Ende hin, ‚die eöntractile Substanz‘ nahezu ‚ auf allen Querschnitten sich ‚gleich bleibt, so können in diesem Theile des Muskels Un- terschiede nur bedingt sein durch eine ‘grössere oder gerin- gere'Menge der zwischenliegenden Nerven, ausserdem aber our durch qualitative Verschiedenheiten der contractilen Sub- stanz selbst, oder durch eben solche Unterschiede der Ner- wensabstanz. Es ist‘ leicht nachzuweisen, ‚dass ‘der erstere Umstand wirklich stattfindet. Dort, ‘wo: der: Nerv eintritt, ist der Muskel schr reich an Nerven, und da diese allmälig mit den Primitivbündeln in Verbindung treten, so nimmt die Zahl der Nerven iu dem von unten nach oben hin der Reihe nach'angelegt gedachten (@uerschnitten 'allmälig ‚ab. Es ist ferner im höchsten Grade wahrscheinlich, dass die von Pflü- ger und Rosenthal entdeckte Abnahme der’ Erregbarkeit der motorischen Nerven nach der Peripherie zu, auch für die intramuseularen ‚Aeste gilt, und daraus allein würde es erklärlich werden, warum der Sartorius an einem von der Heichert's u, du Bols-Reymond's Archiv, 1859, 38 582 W. Kühne: tl Nerveneintrittsstelle entfernteren Punkte weniger ‚erregbar ist, als an einem diesem näher gelegenen.: Bis’ zu..einem'.ge- wissen Grade kann der Werth dieser ‚beiden Umstände für die Erregbarkeit des Sartorius erkannt werden, indem man die Grösse der Reizung an den verschiedensten Punkten so genau als möglich zu schätzen sucht; die 3te Möglichkeit, dass die contractile Substanz selbst: nicht an allen. Orten gleich erregbar sei, fällt von selbst, wenn nachgewiesen wer- den kann, dass ein Muskel, der durch irgend ein ‚Mittel sei- ner Nerven beraubt worden, keine Punkte verschiedener Er- regbarkeit mehr darbietet. Ich’hoffte, durch die nachfolgen- den Versuche eine richtige Vorstellung aller Verhältnisse geben zu können. Um ein genaueres Maass für die Erregbarkeit zu haben, wird die Reizung nicht durch Inductionsschläge, sondern durch Schliessung ‚und Oeffnung einer constanten Kette aus- geführt, deren Stromstärke durch einen'zur Nebenschliessung angeordneten Rheochord beliebig abgeschwächt werden kann. Der Muskel wird ebenfalls ‚wieder auf die in eine Glasplatte eingelassenen, um 2 Mm. ‚einander genäherten Elektroden ge- legt, und die: Schliessung) und Oefinung ‚der Kette mittelst eines in ein Quecksilbernäpfehen “getauchten verquickten Kupferhakens bewerkstelligt.. Bei, dieser Einrichtung des Versuches und bei Anwendung von einem Grove’schen Ele- ment, erhielt ich durchschnittlich bei den meister Muskeln eine Differenz von’ 30 Ctm. des: 0,5 Mm. dieken Neusilber- drahtes am Rheochord, um welche der eingeschaltete Draht vermehrt werden musste, wenn der Rheochordschieber zu Anfang des Versuchs so stand, dass grade Zuckung von: einem 1 Mm. oberhalb der Nerveneintrittsstelle gelegenen Punkte aus erhalten war, und: wenn dann die Elektroden dem 'obe- ren, 1 Mm. vor. dem Ende gelegenen Theile des Muskelsi an- gelegt wurden. ‚Also abermals dieselbe Differenz in der Er- ve&barkeit für ‚dieselben Muskel-Abtheilungen wie: vorher. Sehen wir zu,.ob\ alle diese Erscheinungen aus der abstei- genden Curve .der Erregbarkeit der motorischen Nerven vom Centrum, nach ‚der „Peripherie . zu erklärt werden können. Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 583 Unter dieser Voraussetzung müsste die Erregbarkeit des Muskels von dem Hilus nach den beiden Enden zu auch all- mälig abnehmen entsprechend der Gestalt jener Curve. Das ist aber durchaus nicht der. Fall. Zur Vereinfachung soll nur die Strecke zwischen dem Hilus und dem oberen Ende (B) betrachtet werden. In a (Fig. 2) ist die Erregbarkeit am grössten, in a’ aber wird sie allerdings geringer, so dass die Differenz am Rheochord nicht selten 10 Ctm. beträgt. Verschiebt man jetzt: die Elektroden von a’ ‘durch a“ nach a“, so ist das Minimum der Reizung für alle diese Strecken durchaus dasselbe, sehr geringe Differenzen abge- rechnet, welche sich gewiss aus ganz geringen Schwankun- gen der Grösse des Muskelquerschnitts erklären lassen. ' Nie betragen diese Differenzen zwischen den innerhalb a’ und a“ gelegenen Stellen an'dem Drahte des Rheochords mehr als 2 bis 3Ctm. Augenblicklich aber, so wie die Elektroden a‘! überschreiten, stösst man auf den Theil des Muskels, wo die Erregbarkeit plötzlich abfällt, wo bis 20 Ctm. neuen Neu- silberdrahts vor dem Schieber des Rheochords gelegt werden müssen. Von a‘' bis zu dem sehnigen Ende B bleibt dann die Erregbarkeit abermals wieder in allen Punkten dieselbe. Man frägt sich, woher es komme, dass bei dem zweifel- losen Ansteigen der Curve der Erregbarkeit des Nerven nach dem Cerebrospinalcentrum zu: die Erregbarkeit in a’, a“ und a'' gleichbleiben können und man könnte glauben, dass die für die extramuscularen Nerven gefundenen Thatsachen kei- nen Schluss auf ein analoges Verhalten der intramuseularen Aeste, gestatten. Es möchte aber dabei wohl zu bedenken sein, dass die Erregbarkeit eines gegebenen Muskelstücks, selbst für den Fall, dass das Minimum der Reizung nur den darin eingebetteten Nerven treffe, nicht von der Zahl der Nervenprimitivfasern abhänge, welche sich nach Reichert ’s Untersuchungen am Brusthautmuskel des Frosches, von der Nerveneintrittsstelle aus ganz beträchtlich vermehrt, was ich für den Sartorius durchaus bestätigen kann. Diese Vermeh- rung der Angriffispunkte, welche der Nerv dureh die Thei- lung der Primitivfasern darbietet, dürfte dann wohl minde- 38* 584 VW. Kühne: stens hinreichend sein, um seine Abnahme der 'Erregbarkeit gegen die Peripherie hin auszugleiehen, vielleicht könnte 'sie wohl gar das Umgekehrte bewirken, wenn nicht eine ansehn- liche Menge der Fasern schön vorher, nahe am Hilus, in der contractilen Substanz ihr letztes Ende fände. — Durch den Umstand, dass die Erregbarkeit des Muskels auf längere Strecken fast dieselbe bleibt, sei es da, wo Nerven zu’ sehen sind, oder da, wo das Mikroskop keine nachzuweisen ver- mag, sind also die Annahmen nahezu beseitigt, welche die Unterschiede in der Erregbarkeit zwischen je 2 derartigen Streeken auf Differenzen in der Nervenbahn: selbst oder in der eontractilen Substanz allein beruhend erscheinen lassen konnten. ‚Es bleibt jetzt nichts übrig als den Grund zu su- chen in der absoluten Vertheilung der Nerven, und zwar im Anschluss an die anatomische Beobaehtung, in dem gänz- lichen Fehlen der Nerven an den Enden des Sar- torius. Folgendes ist der Versuch, der mir dies aufs Schlagendste zu beweisen scheint. Ich richte einen Sartorius im Zusammenhange mit einer längeren Strecke seines Nerven her, und brücke den letzteren über die Zinkelektroden einer kräftigen 4—6 gliedrigen kleinen Grove’schen Kette, deren Strom den Nerven hart vor seinem Uebergange in den Muskel in aufsteigender Riehtung dureh- fliesst.') Auf diese Weise 'können wir uns beliebig einen’Muskel verschaffen, dessen Nerveneinfluss so gut wie eliminirt ist, wenn die Reizung eine bestimmte Grenze nicht übersteigt. ' Die letztere wird an dem Sartorius jetzt wieder ebenso wie vor- her bewerkstelligt, mittelst Schliessung' und Oefinung)des Stromes von einem Grove”’schen Element, das durch den Rheochord unvollkommen geschlossen erhalten wird. ' Der Muskel befindet sich in dem Zweigstrome des Rheochords innerhalb desselben die Sehliessung und Oeffnung dureh Ein- tauchen und Herausziehen eines verquickten Kupferhakens 1) Näheres über die Präparationsmethode und die Apparate in meiner Mittheilung über Muskelzuckungen ohne Betheiligung der Nerven: 3. Heft. 1859 dieses Archivs. Untersuchungen über Bewegungen'und Veränderungen u. s. w. 585 aus einem mit dem einen der, ‘beiden Leitungs- drähte verbundenen Quecksilbernäpfchen geschieht... Die auf 2 Mm. constant genäher- ten ' Platindrahtelektro- den, dienen wiederum für die. direete Muskel- veizung; siewerden dem Muskel zuerst in a (Fig: 3) angelegt, und. dem Strome' die durch die Pfeile "bezeichnete mit dem; constanten. Stro- me. im Nervenstamme gleiche Richtung gege- ben. Im Muskel ist der Strom ‚also. absteigend von dem oberen Ur- sprunge B nach dem unteren Ansatze A hin, während er in dem intramuscularen Nerven aufsteigend ist,‘ Zur Vermei- dung von Einwänden sei noch erwähnt, dass die Anlegung irgend: eines gleichartigen metallischen Bogens an. deu’Muskel keine, Zuekung erzeugte, ‚während der starke constante Strom indem Stamme des Nerven 'kreiste, Der Kreis der 6gliedrigen Säule sei nun ‚geöffnet, der Nerv also nicht im. Zustande (des Elektrotonus, womit der Versuch beginnt. Durch Hin- und. Herschieben ‚des Rlieo- ehordschiebers wird nun diejenige Stromstärke gesucht, bei welcher der Muskel durch Schliessung und Oeflnung grade zu zucken beginnt. Ist es geglückt, Alles so einzurichten, dass der Muskel fast in seiner ganzen Breite und Länge bei einer bestimmten Stellung grade deutlich zu'zucken. beginnt, so wird die Länge des eingeschalteten Neusilberdrahts ge- messen und notirt, Verschiebt man sodann: die Platinelektroden von der Mitte Fig. 3. 586 Wu Kühne; ii ngnoduen des Muskels nach dem oberen Ende desselben, von a nach b, so zeigt sich, was nach dem Vorhergehenden keiner wei- teren Erörterung bedarf, dass die Länge des Neusilberdrahts für diese Anordnung vermehrt werden muss, um jetzt aber- mals Zuckungenhervorzurufen. Die Differenz beträgt im Durch- schnitt immer etwa 30 Ctm. Wir bringen nun die Elektroden wieder auf ihre vorige Lage in die Mitte des Muskels zurück (nach a) und lassen nun durch, Umlegen einer Pohl’schen Wippe den Strom der constanten Kette plötzlich in den Nervenstamm hereinbrechen. Hat der Rheochordschieber wieder denselben Platz wie zu Anfang des. Versuchs erhal- ten, so tritt durch Schliessung und Oeffnung des 2. Kreises jetzt keine Zuckung mehr ein. Der Muskel bleibt ganz in Ruhe, da die Schliessung des Stromes für den Nerven bei aufsteigender Richtung keine Schliessungszuckung erzeugt. Dureh Probiren mittelst Verrückung des Rheochordschiebers wird diejenige Länge des eingeschalteten Neusilberdrahts ge- funden, 'bei welcher der Muskel jetzt zum Zucken kommt, und diese entspricht wiederum etwa der Verlängerung um durchschnittlich 30 Ctm. unter den angegebenen Umständen. Wird der Rheochordschieber jetzt abermals auf seine ursprüng- liche Lage zurückgebracht, und die Platinelektroden nach dem oberen Ende b des Muskels verrückt, so entstehen 'begreif- licher Weise jetzt ebenfalls keine Zuckungen,' sondern‘ der Schieber muss weiter von ‘der Theilungsstelle des Stromes entfernt werden. In der Regel zeigt sich hier dann, dass der Muskel auch;bei dieser Elektrodenlage zum Zucken kommt, und zwar fast genau bei derselben Stellung des Schiebers, bei welcher Sehliessung und Oeffnung an jedem beliebigen an- deren Puncte in der Länge der Primitivfasern Zuckung er- zeugt, Der Fall tritt am reinsten und deutlichsten ein, wenn die Erregbarkeit sämmtlicher einzelnen Primitivbündel nahe- zu gleich ist, wenn also die ersten Anfänge der Zuckung sich nicht blos hie und da zeigen, also nur fibrilläre Zuekun- gen bei dem Minimum der Reizung eintreten, sondern wenn der ganze Muskel sogleich zu zucken beginnt. Der Strom für ‘den Nerven wird 'nach beendetem Versuch geöffnet, Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 587 worauf die Erscheinungen ‘mit der‘ Oefinungszuckung abge- sehlossen sind. Derselbe Versuch kann nun auch so wiederholt werden, dass der untere Abschnitt des Sartorius H. A. Fig. 3 auf den Pla- tinelektroden verrückt wird) wofür dem‘ Strome durch Um- legen eines Commutators die aufsteigende Richtung im ‘Ner- ven und Muskel zugleich ' gegeben werden muss. Das Re- sultat ist dann natürlich nicht genau dasselbe, da der Muskel beim Aufliegen auf den Elektroden nahe an dem 'sehnigen Ende (bei'd) schon zuckt, wenn‘der‘ Rheochordschieber so plaeirt ist, dass die in c oder a angelegten Elektroden noch keine Zuekungen erzeugen, vorausgesetzt, dass'der Bektro- tonus des Nerven nur den Rest der Erregbarkeit: des’Mus- kels zur Erscheinung kommen. lässt. Das Resultat er- klärt‘ sich daraus, dass das untere spitze Ende ‘des Sarto- rins eben einen so viel geringeren Querschnitt "besitzt als die Mittelstücke c und a. In dem Versuche spiegelt ‚sich "also die’ reine 'Erregbarkeit der contractilen , Substanz wieder, welehe ganz unabhängig von dem Nerven ist und derselbe beseitigt unmittelbar die Annahme, dass ‚die‘ verschiedene Erregbarkeit einzelner Muskelpartien in Differenzen der con- tractilen Substanz selbst gelegen seien. Die Sache ist also kurz folgende. Der Muskel, welcher erregbare Nerven enthält, zeigtin Uebereinstimmung‘mit der Nervenverbreitung Punkte verschiedener Erregbarkeit.‘' Bei dem Sartorius (She. Fig. 3) ist dieselbe'‘am grössten in‘d, sinkt darauf etwas oberhalb a und bleibt dann wiederum gleich in a’ und a“, Weiter nach dem Ende zu in'b sinkt dann die Erregbarkeit beträchtlich und bleibt von dort'an wieder (die- selbe bis b‘. Alle diese Unterschiede fallen plötzlich weg, wenn die im Innern liegenden Nerven durch den constanten Strom, welcher den Stamm N bei EE durchfliesst, gelähmt werden. Ein bestimmtes Minimum ‘der Reizung genügt, um den Muskel nunmehr von allen Punkten aus in Zuckung zu versetzen und zwar ist dieses Minimum gleich mit’dem Werth der Reizung der vorher für die Orte b und b‘ gefunden war, Die Gesammterregbarkeit des Muskels wird also durch den 588 W. Kühne: +" vet Elektrotonus im Nerven nur herabgesetzt‘ bei a5 a’ und a’', bleibt aber in b und b‘ dieselbe, so dass der. lähmende Strom über ‚ein. grosses Muskelgebiet gar keinen Einfluss hat. Es ist natürlich, dass die lähmende Wirkung des aufstei- genden eonstanten Stromes mit zunehmender Entfernung 'von der unmittelbar durchflossenen: Stelle-an: Macht verliert, ‚und da diejenige Muskelpartie, ‚welche der in EE kreisende Strom nicht mehr beeinflusst, grade am weitesten. ‚nach‘,der Beri- pherie zu gelegen ist, so: könnte man meinen ,, dass ..der, Er- folg: des Experimentes ‚einfach. darin ‚seinen. Grund‘ habe; Diese Vorstellung ist indessen nicht richtig, denn wie»sollte es sonst kommen, dass die Erregbarkeit in aa‘, und. a” ‚die- selbe’ wird; weshalb machte sich nicht sehon dieser Umstand zwischen -H und.a‘ geltend. Bei dieser Sachlage, sowie. bei der ganz. constanten Thatsache, dass der lähmende Strom. im! Nerven 'ebenfalls auf die Erregbarkeit der. unteren. so, viel näher gelegenen Muskelspitze d gar keinen Einfluss auszu- üben’ vermag, zeigt sich klar, dass hier ein, ganz änderer Grund vorhanden sein müsse, und dieser ‚Grund: kann! in nichts anderem bestehen, als darin, dass die. Nerven einfach nicht bis an die beiden Enden des Muskels:‚hinreichen. So oft ich auch die angegebenen Versuche wiederholt habe, im- mer haben sich mir dieselben‘ Verhältnisse dargestellt. < Der Eckhard’sche Versuch gelang nie an, den beiden Enden des Sartorius, gleichviel wie mächtige 'eonstante Ströme ‚auch durch den: Nervenstamm gesendet werden mochten, und im- mer wurde: die Erregbarkeit der übrigen Muskeltheile, inahe- zu der «seiner Enden gleich, wenn den. Veränderungen; des Querschnitts Rechnung ‚getragen wurde; Ich muss ‘hier erwähnen, dass zum guten Gelingen der Versuche eine höchst sorgfältige Präparationnothwendig, isty namentlich. muss man darauf achten, dass der. Muskel an seinem: Ende B nicht verletzt‘ werde, ' sondern dass er hier überall von. seiner ‚Sehne begrenzt bleibe. Die Letztere ‚ist sehr Kurz und'es ist daher anzurathen, sie nicht zu. durch- schneiden,''sondern lieber: den ‚Muskel so zu.isoliren, dass man einv Stück des Beckens absehneidet, ‚an: welchem man Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 589 den Muskel 'ausserdem immer noch besser anfassen kann. Wird diese. Vorsicht versäumt und werden Muskelfasern ver- letzt, so sinkt die Erregbarkeit von der Schnittwunde aus in eigenthümlicher Weise, und: man kann nicht verlangen, dass die übrigen Fäsern mit den verletzten gleiche Eigenschaften besitzen werden. Am besten gelingen die Versuche, wenn namentlich die Erregbarkeit: des Muskels in seiner ganzen Breite dieselbe! ist, ich habe'sie so eintreffen |sehen, dass bei der Elektrodenlage in a während der Dauer des constanten Stromes im:Nerven die Lage des: Rheochordschiebers ganz genau gleich sein musste derjenigen, bei welcher von:b und b‘ aus zuerst Zuckung entstand. Wenn der Neusilberdraht um ein ganz Geringes verkürzt, also der Widerstand in der Nebenschliessung vermindert wurde, blieben an beiden Stellen die Zuckungen aus, Fassen wir jetztzusammen, ‚was die anatomische und expe- rimentelle Untersuchung für die Nervenverbreitungam Sartorius ergeben, so stossen wir auf eine ausserordentliche Uebereinstim- mung in.den Resultaten beider Methoden.) Die Erregbarkeit des Muskels: steht im engsten Zusammenhange mit seiner: Ner- venverbreitung. Ich unterscheide demnach an einem: Sarto- rius 5 verschiedene Zonen. Diejenigen Muskelquerschnitte, welche im der Zone’ A, (Fig. 4) angelegt gedacht werden können, enthalten anf gleiche Mengen contractiler Substanz die meisten: Nerven.’ Hier ist die Erregbarkeit am grössten. Inden Abtheilungen C und‘ B. ist. dieselbe etwas geringer, bleibt, aber in allen innerhalb‘ derselben gedachten ''Quer- schnitten nahezu (dieselbe. In’ E und’ D dagegen ist die Er- regbarkeit bedeutend vermindert, bei D aber wiederum für alle Punkte dieselbe. Die in die Figur hineingezeichnete Nervernivertheilung kann vielleicht als ganz der Natur’ ent- sprechend betrachtet werden; Für die ‚direete elektrische‘ Muskelreizung ergiebt sich nach diesen Erfahrurigen das Resultat, dass das Minimum der Reizung in einem nervenenthaltenden Muskel nur ‚so die Zuckung bewirkt, dass sie, allein die. Nerven erregt,‘ dass aber höchst wahrscheinlich beim Ueberschreiten jenes Mini- 590 eu uumbubmV/ Wr Kübne: ! STTIT EIER, mums die wahre direete' Reizung, eintritt, d.h. dass der Reiz beide Organe, den ‚Muskel sowohl wie’ den Nerven treffe. Damit dies möglich sei, ist es" selbstverständlich noth- wendig, dass der Muskel: allein: durch. dieselben elektrischen Veränderungen erregt werden könne, wie der Nerv, ' In neuerer Zeit ist dies bestritten von Schiff, welcher erklärt, dass ‘der Muskel elektrisch ‘gar nicht erregbar sei. Nun möge Herr Schiff sich die Stücke D und E’'eines' Sarto- rius: abschneiden,''um zu finden, dass im diesen! beiden nervenlosen Muskeln Zuckungen entstehen, durch Schlies- sung und Oeffnung einer constanten' Kette, durch "Reizung mit Inductionsschlägen u. s. ‚w.,; und dass die Erscheinungen ganz so sind, ‘wie an einem.nervenhaltigen Muskel. ‘Ueber die eigenthümliche Art wie Sehiff seine ‘Ansichten "beweist, soll unten Näheres mitgetheilt werden, ich glaube nur hier an dieser Stelle ‘andeuten zu . müssen, dass mir (die: ent- gegengesetzten Angaben ganz’gut bekannt seien. Wenden wir uns’ jetzt zu 'einer anderen Reizungsmethode als der elektrischen‘, theils um. den Gegenstand nach allen Richtungen zu erfassen, theils aber auch um keine mögliche Bestätigung unserer Anschauungen unbenutzt zulassen. ‚Ich habe! in meiner ‘ersten Publication über‘ die che- mische Reizung (siehe dieses Archiv Heft 3) bemerkt, dass esı Körper‘ gebe, welche wohl vom':Nerven aus Zuckungen hervorrufen, nicht aber bei direeter Application 'auf den Muskelquerschnitt. Da ich mich damals der Ansicht hingab, dass die’ Muskeln überall mit Nerven durchsetzt seien, so war es'schwer, einen Grund für dieses paradoxe' Verhalten einzusehen, und ich glaubte mit‘ Herrn Professor du.Bois- Reymond die Thatsache so erklären zu müssen, dass’ gerade jene Flüssigkeiten: besondere Schwierigkeiten beim Eindringen in die Muskelsubstanz fänden. Ich kenne 4 Körper, welche den Nerven sehr ‘heftig erregen und keiner besonderen Ein- wirkung /auf: den: Muskel fähig sind. ; Das concentrirte Gly- eerin,-concentrirte' Milchsäure, das Kreosot und den Alkohol. Ersteres alleinıkann aber nur mit absoluter ‘Sicherheit' als sölches angeführt‘ werden. Die 3 übrigen Körper erregen Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen n. s. w. 591 sehr selten’ Zuckungen bei directer Rei- zung, das Resultat ist aber nicht durch- weg constant, wofür sich schwerlich ein Grund angeben lässt. ‚Das: Glycerin hingegen ‘kann auf jeden beliebigen in D (Fig. 4) angelegten Sartoriusquer- schnitt ‚applieirt werden, ohne: ‚dass Fig. 4. Zuckungen entstehen, ja man kann dieses obere Ende des: Muskels: stun- denlang in concentrirtes Glycerin ein- tauchen lassen, so lange bis der nicht benetzte Theil zu vertrocknen beginnt, ohne dass auch nur eine leise Spur von: Zuckung entstände.. Es:giebt kei- nen: Muskel, der nicht ‚ausnahmslos dieselbe Thatsache » zum Vorschein bringt. Ebenso "ausnahmslos erzeugt das Glycerin aber. Zuckungen, ‚un(l zwar der heftigsten Art, welche bis zum anhaltenden Teta- - nus sich steigern, wenn es einen in B bei d. oder d’ ange- legten Querschnitt berührt: Durchaus ebenso ist es mit dem unteren spitzen Ende des Muskels.') Concentrirtes Glycerin bewirkt von E aus nie Zuckungen, in C angebracht aber grade so wie von B aus. Ich stelle den Versuch so an, dass ich den Muskel an dem‘ einen ‚oder /anderen Ende aufhänge und ibn 'entweder allmälig vorschreitend in das Glycerin ein- tauche, oder 80, dass ich die bezeichneten Querschnitte grade die Oberfläche der Flüssigkeit berühren lasse, Wie kann der Versuch: erklärt werden? Ohne Zweifel nur dadurch, dass das Glycerin kein Erreger für, die con- tractile Substanz sei, und nur den Nerven errege. Dass die beim Eintauchen des Muskels in B oder ,C entstehenden Zuckungen ausschliesslich von einer Nervenreizung herrühren, habe ich schon früher bewiesen: sie können durch einen auf- er — )) Um den Versuch an dem spitzen Sartorius-Ende anzustelleu, muys man sich sehr grosser Frösche bedienen, da es bei kleinen Mus- kein schwer ist, die Wirkung des Glycerins auf das knrzo nervenlose Stück 'zu beschränken. 592 weh / Wi Rühne: hi autanaratnl steigend den Nervenstamm'durchfliessenden constanten Strom vollständig beseitigt werden. «Die chemische Reizmethode vereiht sich also mit den übrigen um darzuthun, dass ganz beträchliche Strecken im Muskel gar keine Nerven enthalten. Wir 'kennen jetzt die absolute Vertheilung der Nerven im Muskel, und 'es bleibt nun noch eine Aufgabe übrig, näm- lich die‘ Art und‘ Weise ‚seiner Ausbreitung in der Strecke C, A und‘ B zu erspähen. Im den bisher genannten Versu- chen haben "wir- eigentlich ‘nur den Querschnitt des ganzen Muskels in Pausch ‘und Bogen betrachtet; wir wollen jetzt sehen, 'wie‘die Nerven in den verschiedenen nervenhaltigen Querschnitten angeordnet sind. Ich’ habe oben’ gesagt, dass das kleinste Muskelstück, welches man dem eintretenden Ner- ven’ anhaften lassen kann, sich contrahirt, sobald der Nerven- stamm gereizt wird. Es braucht nicht erwähnt zu werden, dass bei’ allen Versuchen ‘'Stromschleifen und unipolare Wir- kungen wohl überwacht wurden, sie'sind zudem mit allen Arten der Reizung, ‘der chemischen, wie mit der vielfach modifieirten elektrischen, der constanten Kette und .den- In- ductionsströmen angestellt. Bei diesem Verfahren zeigte sich nun, dass das Muskelstückehen verschiedene:Formen bei der Figap) Contractiöon annahm, je. mach seiner Grösse. War. dasselbe dureh die ‚Schnitte aja- (Fig. 4b) losgetrennt,, so cantrahirte es sich ganz gleichmässig wieiin g, wär es aber durch die ‚Schnitte bb erhalten, so ‚bildete es im eontrahirten' Zustande veine//ab- gestumpfte ; Pyramide,,\ deren Spitze "der Nerveneintrittsstelle entsprach (wie in 'p)..'" Die ‚Ur- sache dieser Form‘ liegt darin, dass die dem Hilus am: weitesten gegenüberliegenden Muskelfa- sern sich. nieht mit contrahirten, wodurch erwiesen wird, dass..der, Nerv nicht, sogleich. quer über, die ganze Breite des Muskels hinüberstrahlt. Jedoch dies beiläufig; Eine ‚andere Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 593 Methode wird den wahren ‚Grund noch weiter‘ entwickeln. — Ich fertigte mir zunächst aus 2 in feine Glasröhrchen ein- geschmölzenen. Platindrähten, welche vor der! Lampe ‘der Länge: nach an einander gelöthet und ausserdem noch durch umgewickelte Fäden ‚zusammengeheftet wurden, ‚ein Blektro- denpaar,; das ich mit je 2 Puukten in der Längslinie des Muskels aufsetzen konnte. Die Glasröhren: dienten mir als Handgriff, aus welchem die Drähte mit ihren 2 Mm. von ein- ander entfernten: Spitzen hervorragten. Fig. 5 giebt eine Anschauung davon, wie ich die letztere dem Muskel aufsetzte; die Punkte bezeichnen‘ die Berührungsstellen,, welche indes- sen nur ‚berührt werden, so viel als möglich ‘aber vor Druck bewahrt blieben. Mit ‚diesen Elektroden reizte ich nun 'im- mer eine äusserst kleine Anzahl von Muskelbündeln und im- mier so, dass der seeundären Spirale’des 'Schlittenapparates, sowie dem Schieber des 'Rheochords' bei) Verwendung der Schliessung und: Oeflnung einer Ketterdie Stellung gegeben wurde, bei welcher zuerst Zuckung erschien.‘ Es stellt sich bei ‚dieser Art der ‚Reizung heraus, dass an den meisten Stellen nur eine ganz locale auf die in der Verbindungslinie der Eleetroden gelegenen Primitivbündel beschränkte Zuckung entsteht. Dies ist constant der Fall, wenn. die Rlektroden n irgendwo‘ in: den beiden ' Endtheilen des Muskels angelegt „werden, von: welchen aus, offenbar des 'Fehlens‘ ‘der Nerven wegen, jede einzelne Primitivfaser allein erregt werden kann. Durchweg ist für diese Punkte auch die Erregbarkeit die- selbe, indem ein und dasselbe Minimum der Reizung für 'alle genügt. Ganz ähn- lich diesen Stellen verhalten sich aber auch noch viele andere, 80 die Orte ec, else" und» b’ (Fig: 5), von welchen aus immer nur loeale auf einen feinen Faden beschränkte Zuekungen entstehen, gleich- falls "bei fast ‚demselben Minimum der Reizung wie in b b"* und b’. ' Die Er- scheinungen sind sehr zierlich, man sieht 594 v anal W. Kühne: eine feine Vertiefung die Länge des Muskels durchfurchen, auf deren Boden ein leises Zittern bemerkbar wird. ' Im'Ge- gensatze zu diesem Vorgange tritt aber eine gewaltige Zuckung des ganzen Muskels ein, wenn die Elektroden in ‘A auf der Nerveneintrittsstelle aufgesetzt werden. ‘ Mehr oder minder in der: Breite ausgedehnte 'Gontractionen folgen ferner der Reizung in a‘,a‘ und a“', meist so, dass die eine oder (die andere Hälfte des Sartorius sich zusammenzieht, wodurch der Muskel nach 2 verschiedenen Seiten gekrümmt werden kann. Der Umstand, dass an den letztgenannten Orten ein weit geringerer Reiz genügt zur Hervorbringung jener aus- gebreiteten ‚Contractionen, zeigt schon‘ zur Genüge, dass es sich um die Reizung der intramuseularen Nerven handelt. Lässt man ‚den Nerven ‚des Muskels von einem kräftigen aufsteigenden Strom durchfliessen, so ‚entstehen bei dem Mi- nimum. der Reizung nur noch die beschriebenen localen Zuckungen, einerlei wo man die Elektroden aufsetzt, wenn nur ihre Verbindungslinie mit der: Richtung der Faserung parallel läuft: Die Erregbarkeitsunterschiede fallen dann ebenfalls weg, und dasselbe’ Minimum der Reizung, welches z. B. in bb“ und b’“ genügte, ruft auch gerade Zuckungen hervor beim Aufsetzen in A a‘ und a“. Der constante Strom ‚übt hier also wiederum nur auf bestimmte Stellen seine Macht aus, und dass diese sich nirgends hin erstreckt, wo keine Nerven sind, liegt auf der Hand. Wir erlauben uns daher den umgekehrten Schluss, dass auch ganz in der Nähe der. Nerveneintrittsstelle nervenfreie Orte vorkommen, weil die in e ec’ und c“ gefundene Erregbarkeit sich als nicht von. der Lähmung des Nerven abhängig erwies, Hier ist natürlich nicht daran zu denken, dass der lähmende Einfluss der Entfernung wegen von der unmittelbar durchflossenen Stelle nieht zur Geltung kam. Gleichwohl empfangen die in ec’ und ce‘ gelegenen Orte von irgend woher den Reiz des Nerven. Diese Fasern scheinen etwa bei aa (Fig. 5b) ihren Antheil des Nerven zu erhalten, sie zucken mit, wenn der Nerv bei einem so zugerichteten Muskel gereizt wird, wie ihn die Figur zeigt. Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 595 ” II. Ueber das doppelsinnige Leitungsvermögen der motorischen Nerven. Der letzten Endigung der motorischen Nervenfaser geht nach R. Wagner’s Entdeckung ein: Apparat voraus,’ wel- cher für die Fortleitung der Reizung von: grösstem Interesse ist, Ich meine die Theilung der Primitivfasern. Ohne diese Vorrichtung: würde nicht nur: der durch den Willen'ierregte Nerv die Befehle zur Bewegung nicht an jedes mit der eon- tractilen Substanz gefüllte Rohr befördern können, sondern es würde auch eine ganze Anzahl von Muskelprimitivbündeln aller Nerven entbehren müssen, indem die, Zahl derselben immer bedeutend grösser ist, als die der/Nervenfasern. bei ihrem: Eintritt in den Muskel. Die: Physiologen hätten: es in diesem Falle sehr‘ leicht ‘gehabt, -Beobachtungen) über die Muskelirritabilität 'anzustellen, und IHMaller’s Lehre wäre nicht so lange latent ‚geblieben. Die Natur hat ‚es indessen vorgezogen, den Weg sur Muskelirritabilität in anderer 'Weise ofien zu lassen und hat uns dafür in den!'Nerventheilungen ein Mittel gegeben, für die Entscheidung des.doppelsinnigen Leitungsvermögens, des Nerven, Es ist nicht meine Absicht, auf.die Geschichte dieser Frage näher einzugehen, wer sich dafür interessirt, ‘findet in du ‚Bois-Reymond’s Untersu- chungen eine so: ausgezeichnete: kritische Darstellung, aller in dieser Beziehung angestellten Bemühungen, dass ich. nicht nöthig habe, die Belehrung, welche ich daraus geschöpft, aus der zweiten‘ Hand wieder zu: geben. | Das einzige Ent- scheidende, welches: bisher zur Lösung der Aufgabe gesche- hen ist, sind du Bois Versuche an. den rein motorischen und rein sensiblen Wurzeln, an welchen die negative'Schwan- kung des Nervenstromes während der Reizung nachgewiesen wurde, unabhängig von ‚dem Orte, an welchem. ‚der ‘Reiz wirkte. Es ist kein Zweifel, dass die negative Stromesschwankung ein sicheres Kriterium für die Reizung eines Nerven ist, das “inzige, welches uns von. den.Last der an den: Nerven. ge- knüpften Endorgane befreit, durch. welche wir sonst meist 96 W. Kühne: ya nl gewohnt sind, die Erregung zu erkennen. Allein da die Möglichkeit nicht abgewiesen werden kann, dass bei einer bestimmten Reizung die negative Schwankung ausbleiben könne, während der Muskel zuckt, und dass bei einer»ande- ren bestimmten Reizung der Muskel nicht zucke, sondern statt seiner die Nadel des Multiplicators, also die Stromes- schwankung eintrete, so'kann man auch, ohne an verkapp- tem Vitalismus zu laboriren, den: Wunsch legen, ‚die rück- läufige Nervenleitung ‘durch die Muskelzuekung zur. An- sehauung zu bringen. : Die Physiologen haben sich zu dem Ende bemüht, künstlich ‚den: motorischen Nerven. mit einem sensiblen zusammen zu heilen und umgekehrt, durehschnitt- lich ‚aber ‚ohne allen Erfolg. Die Frage ist auf diesem Wege nie entschieden, und es muss daher um so erfreulicher sein, dass in der Natur: selbst der lang gesuchte Apparat, den man künstlich zu beschaffen hoffte, ‘wirklich existirt,' und zwar in Tausenden von Exemplaren bei einem einzigen Froseh. Dig Theilungen der Nervenprimitivfasern‘ sind es, welche denselben vorstellen. Es ist ohne, Weiteres ‚klar, dass un- sere Frage erledigt wäre, wenn es gelänge, eine ’aus' einer Theilung ‘hervorgegangene secundäre Nervenfaser zu isoliren. Jede Zuckung, welehe man durch Reizung derselben erhielte, wäre ein Beweis, da der’ Reiz eben in ihr nur sufwärts, centripetal fortgeleitet werden könnte, um mit Hülfe ‚der Theilungsstelle abwärts nach dem Muskel gelangen zu kön- nen. Ich hatte bereits an die Ochsenfrösche. gedacht, an deren Sartorius. ich intramusculare Nerven: herauspräpiren wollte, bemerkte aber, dass unsere europäischen Frösche dasselbe leisten können, wenn‘ man sie richtig zu 'nutzen weiss. Beim Sartorius giebt es Nerven, welche sich so thei- len, dass manchmal ein kurzer Ast abgeht für ein Muskel- bündel, während ein’ anderer langer Ast an ein zweites Pri- mitivbündel sich begiebt. Fig. 7 giebt eine schematische Darstellung davon. ‘Der Ast et des Nerven N kann nun nicht füglich mit dem Messer ausgeschält werden, wohl aber kann man ibn‘ so isoliren, dass er mitten in der Muskel- masse das einzige: reizbare Gebilde 'bleibt, indem man’ näm- er VE \ Untersuchungen über Bewegungen’ und Veränderungen u. =. w. 597 lich die -eontractile Substanz der Muskeln: zu zerstören sueht mit einem Mittel, das den Nerven erhält., 'Annähernd kann dies- erreicht werden durch eine Temperatur von 40° C., durch _destillirtes Wasser, Salzsäure von 0,1p©t. und‘ eine Lösung von-Schwefeleyankalium von 1pCt - Ich. wurde. durch. Versuche über den Einfluss der Wärme erst: auf diese Methode hingeleitet.‘ : Ich sah nämlich bei' einem Sartorius, » dessen oberes Ende ich durch schwaches Erwär- men starr gemacht hatte, beim plötzlichen weiteren Erhitzen des’ bereits erstarrten- Stücks Zuckungen indem nieht verän- derten Theile eintreten, welche nicht von der Reizstelle aus begannen; sondern ander ‚Grenze, wo die starre Strecke die noch erregbare berührte. Man kann nun in der That beim Erhitzen eines Muskels auf 40° .C,, was man passend‘ durch Eintauchen in soweit erwärmtes Oel vollzieht, die con- tractile'Substanz. sehr rasch erstarren, gerin- nen machen, während der Nery noch für eine kurze Zeit seine‘ Erregbarkeit bewahrt. Ich ‚tauchte daher einen Sartorius, der an seinem unteren, spitzen, sehnigen Zipfel aufgehängt war, verkehrt mit seinem oberen Ende, etwa 7 Mm. weit, «bis‘d Fig. 6, in das erwärmte Oel ein, und zog ihn dann wieder heraus. Als ich nun hierauf mit einer Scheere,_ von unten 'nach oben fortschreitend, in dem tr- starrten Theile ‘Schnitte anbrachte, sah ich Folgendes :So.lange die Querschnitte zwischen a und‘ b fielen, entstand niemals Zuckung, weder in dem ’erstarrten Theile, wie leicht erklärlichz noch irgend- worin dem darüber befindlichen unversehrten Abschnitte. Sobald ‚dieselben aber weiter'als & oder 4 Mm. vom obe- ren Ende a sich entfernten, also zwischen b und e angelegt worden (in ec, e' und e’) zeigten sich bisweilen einzelne fibriläre Zuekungen (in ff z.B.) welehe nicht über die Höhe von d hinaus sich erstreekten.” Hat man’ die Brscheinung einmal gesehen, so kann der durch die Scheere gewonnene Beichert'« u. du Bol®-Reymond's Archiv. 1859, 39 598 W. Kühne: Querschnitt noch zu einem anderen chemischen Reizversuche dienen, bei welchem sich zeigt, dass die Körper, welche aus- schliesslich die Muskelsubstanz reizen, nicht geeignet sind, jene Zuekungen zu erzeugen, so verdünnte Salzsäure, CuO S 0° ete., während unzweifelhafte Nervenreize, wie Glycerin und Aetzkali, denselben Erfolg haben, wie das Anlegen des Schnitts selbst. Die Erklärung dieses Versuchs kann meiner Meinung nach nur die sein, dass der Schnitt oder das Aetz- kali den langen Ast des aus einer Theilung hervorgegange- nen intramuscularen Nerven erregten, von welchem die Rei- zung centripetal durch den Ast p’e‘ nach dem Muskelbündel Fig. 7. A gelangte. Nach der Zeichnung, welche Nichts ist als die sche- matische Darstellung eines oft gesehenen Objectes, ist vollkom- men klar, weshalb die Zuckun- gen nur fibrillär sein können, also B und C in Ruhe bleiben müssen, und weshalb der Schnitt nicht wirken kann, wenn er zwi- schen S und a fällt, wo keine Nerven sind. Dass er in b erfolg- reich sein muss, ist klar, falls U] ws Sg regbar ist... Der Versuch, wie ich ihn hier beschrieben, gelingt nun leider ausserordentlich sel- ten, und nicht häufiger, wenn man sich zur Abtödtung der Muskel- substanz anderer Mittel bedient, wie die genannten Eintauchungen in Säuren, S, CyKa ete. Da ich ihn aber mehrere Male in der be- schriebenen Weise habe gelingen sehen, so stehe ich nicht an, denselben zu veröflentlichen; wer sich mit Ausdauer der Wiederholung unterzieht, wird ihn hoffentlich bestätigen können. Il ———— der hier getroffene Nerv noch er- - Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 599 Unter diesen Umständen kommt es erwünscht, dass die doppelsinnige Nervenleitung im Sartorius auch durch einen anderen Versuch gezeigt werden kann, welcher fast aus- nahmslos ein positives Resultat giebt. Das häufige Misslin- gen des vorigen Versuchs rührt nicht allein davon her, dass es schwer ist, den Muskel vollkommen zu vernichten, ohne den daran liegenden Nerven zu gefährden, sondern es liegt auch daran, dass es sich darum handelt, einen Nervenast anzutreffen, der auf der einen Seite der Theilung sehr lang über den anderen hervorragt. Um den letzteren Uebelstand ganz bedeutungslos zu machen, bedienen wir uns des fol- genden Verfahrens. Wir spalten nämlich den Sartorius mit- telst einer scharfen Scheere eine Strecke weit in 2 Zipfel und zwar in einer Aus- dehnung von etwa 7 Mm. von oben nach unten, wie. in Fig. 8. ‘Der Muskel wird sodann auf einer Glasplatte ausgebreitet und gegen ein weisses Blatt Papier beob- achtet. Wenn wir nun den einen dieser Zipfel an seinem unteren Ende a reizen, so sieht man, dass jede Reizung nur eine Zuckung auf der Hälfte A des Muskels erzeugt, während die Hälfte B und mit ihr der andere Zipfel C ganz in Ruhe bleiben. ‘Legt man z. B. mit der Scheere einen Querschnitt if a an, so biegt 'sich der Muskel ganz krumm, weil’ sich eben N immer nur die Hälfte A eontrahirt. Das- selbe geschieht, wenn wir irgend eine reizende Flüssigkeit auf den erhaltenen Querschnitt bringen, wodurch eine ein- malige Zuckung über die ganze Hälfte A hinüberläuft. Wir dringen nun mit den Quersehnitten weiter vor, von a’ nach a” und erhalten immer wieder dasselbe Bild. Plötzlich aber und zwar bei einer Entfernung von 4—5 Mm. von dem obe- ren sehnigen linde des Muskels kommt ein Punkt, wo das Anlegen des Querschnitts nicht allein die Hälfte A zum Zucken bringt, sondern wo auch einzelne Fibern in der 39* Fig. 8. 600 n enanmmahntrs’ W. Kühnen Hälfte,B (ff) mitzucken, und diese Erscheinung bleibtaber- mals ‚dieselbe bei allen Querschnitten,; welehe von b bis b“ angelegt werden können. Man’kann sich‘ mit einer‘ sehr scharfen Scheere auf jenem Raum 4—5 Mal dasselbe Schau- spiel verschaffen, wenn man nur einen Querschnitt immer dicht genug 'auf den anderen folgen lässt. ‘Der Versuch kann ebenfalls mit.der chemischen Reizung angestellt werden, und dann zeigt sich eben sehr deutlich, dass die auf die Hälfte B übertragenen Zuckungen nicht von der Muskelerregung, sondern von. der Erregung der letzten Ausbreitung des! intra- muscularen. Nerven herrühren. "Der ‘Muskel muss hierfür möglichst gross sein, so dass man bequem: an dem einen Zipfel operiren: kann. Am besten ist es; ihn ganz auf einer sehy dünnen: Glasplatte -aiszubreiten oder so aufzuhängen, dass, nur der Zipfel‘ b von 'einem.dünnen Deckgläschen ge- tragen wird, das man an! einem Stativ’durch irgend eine Vor- richtung befestigt. -Den anderen Zipfel: lässt man dann senk- recht! am Rande jenes: Glases- herabhängen, legt in b z. B. den, Querschnitt an und reizt denselben nun mit verdünnter Salzsäure (1. pr. Mille) oder 'einer: Lösung von schwefelsau- rem Kupferoxyd. 'Was:geschieht indessen? Ganz das Ge- gentheil! bei dieser'Art der Reizung zuckten niemals Fasern in. der Hälfte B: mit, sondern! nur ‚die der Seite A, man mag den‘ Versuch, so oft wiederholen, wie man will. Taucht man den Muskelzipfel längere: Zeit in die erregenden Flüssigkei- ten.ein, so kann sich. das freilich‘ 'ereignen, aber dann im- bibirt.er sich.der Art, dass auch über ‘die Spaltungsstelle et- was von dem Erreger in die andere Seite überfliesst. Die reine Muskelreizung erzeugt also immer nur Zuckungen der- jenigen Fasern, welche direet'mit der erregenden Flüssigkeit in Berührung kamen. Sollen Fasern zucken, welche nicht direct getroffen wurden, so müssen Nerven und Nervenreize da sein, und als solche letztere giebt es gewisse andere che- mische Körper... Die Reizung der Nerven auf chemischem Wege kann fast nie so rasch bewirkt werden, wie die des Muskels, weleher sich schlangenartig zurückzieht, wenn sein Querschnitt von dem Reize berührt wird, und deswegen! be- Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 601 dienen wir uns für die chemische Reizung der intramuscu- laren Nerven einer Sabstanz, bei der wir möglichst sicher gehen, dass sie nicht während der Dauer der Berührung von einem Orte zum anderen sich ausbreitet. Das diekflüssige con- centrirte Glycerin ist dazu höchst geeignet, von welchem schon unten erwähnt wurde, dass es nach Stunden noch nicht die intramuseularen Nerven erreiche, wenn.es eine Strecke weit davon nur die contractile Substanz berührt. Wir führen also mittelst eines dünnen Stabes einen Tropfen Glycerin auf den Querschnitt b (Fig. 8). Im Anfang hat dies keine andere Folge, als dass der Muskel an dieser Stelle etwas durch- sichtiger wird. Bald aber beginnt er zu zucken, ganz schwach und fibrillär, und zwar zucken gleichzeitig einige Fasern in der Hälfte A und einige andere in der Hälfte B. Ja ich Fig. 9. 602 W. Kühne: habe sogar gesehen, dass zuerst nur Fibern in B in Bewe- gung geriethen, während die Hälfte A noch ganz ruhig war. Die Erklärung des Versuchs kann nicht zweifelhaft sein. Die schematische Zeichnung Fig. 9 diene zur besseren Ver- ständigung. Reize ich durch irgend einen Reiz das Primitiv- bündel B in der Strecke von S bis M, durch die Quer- schnitte a,a’ und a‘, einerlei auf welche Weise, so zuckt nur die Faser B, weil ich immer nur sie allein und eben nur die contractile Substanz reize. Fällt der Schnitt aber ober- halb M, z.B. in b, so übe ich einen mechanischen Reiz auf den Nerven et aus, welcher in der Richtung der Pfeile erst aufwärts, centripetal steigen muss, um in der Richtung p’ wieder abwärts an den Muskel A zu gelangen, der nun eben- falls zuckt. Wende ich an dem Querschnitt b wieder einen chemischen Reiz an, der nur die contractile Substanz erregt, sich zum Nerven aber indifferent verhält, nun so kann offenbar nur B zucken, nehme ich aber eine Substanz, welche nur den Nerven erregt, so zuckt nur A, und B bleibt in Ruhe. Der letztere Fall kann am leichtesten ermöglicht werden, wenn man bei der Spaltung des Sartorius nicht in seiner Mitte den Schnitt führt, sondern dicht am Rande, man hat dann mehr Aussicht, nur solche seeundäre Nerven zu fassen, deren an- derer Schenkel auf dem jenseits des Schnittes gelegenen Zipfel endet. Die Darstellung der Verhältnisse, wie sie hier gegeben, dürfte der Natur wohl am meisten entsprechen. Man könnte glauben, dass die Zuckung, welche von einem Orte des Mus- kels auf den anderen übertragen wird, herrühre von einer Erregung der Nerven mittelst der negativen Stromesschwan- kung bei der Contraction der direct gereizten Muskelfasern oder von einer Uebertragung von einem Primitivbündel auf das andere, ebenfalls durch die negative Sehwankung des Muskelstromes. Keine dieser Vorstellungen ist hier berechtigt. Es ist allerdings richtig, dass der Muskel sowohl bei direeter me- chanischer Reizung, wie bei Benutzung der chemischen Reiz- methode die negative Stromesschwankung zeigt, da man von Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 603 einem so zum Zucken gebrachten Muskel sehr gut die secun- däre Zuekung erhalten kann. Man muss aber berücksichti- gen, dass die negative Schwaukung des Muskelstroms einen Reiz repräsentirt, welcher nur bei sehr erregbaren Nerven wirksam ist. Ich habe mich direct davon überzeugt, dass es z. B. bei einem Muskel, der nicht grösser ist als der Sar- torius, nur gelingt, die Zuekung auf einen anderen Muskel zu übertragen, wenn man den Plexus ischiadicus an den primär zuckenden Muskel anlegt. Die tieferen Stellen des Sehenkelnerven sind nicht mehr erregbar genug, sie bedürfen eines mächtigeren Reizes. Aus demselben Grunde ist es auch klar, weshalb ein Muskel während seiner Zuckung nie- mals den eigenen Nerven zu erregen vermag, denn die ne- gative Schwankung seines eigenen Stromes trifft den Nerven da, wo er am mindesten erregbar ist, abgesehen von der verhältnissmässig ungünstigen Lage, in welcher sich der in- tramusceulare Nerv in dieser Beziehung befinde. — Wenn also die Zuckung eines Theiles des Muskels niemals auf einen anderen Punkt desselben übertragen werden kann, durch jene die Zuckung begleitenden elektrischen Veränderungen, so muss der (Gedanke erst vollends aufgegeben werden, dass die Stromesschwankung ohne Vermittelung des intramuseu- laren Nerven, direet ein nieht gereiztes Primitivbündel an- regen könne, da die contraetile Substanz nämlich noch viel weniger erregbar ist. Wird daher bei der directen Muskel- reizung eine Zuckung an einer nicht gereizten Stelle wahrge- nommen, so ist es zweifellos, dass der Reiz durch die Bahn eines intramuscularen Nerven an ein anderes Primitivbündel befördert wurde, was schon am besten daraus hervorghet, dass von den nervenlosen Endzonen des Sartorius niemals andere Primitivbündel als die direct gereizten zur Contraction gebracht werden können. Dieser Umstand, so wie die That- sache, dass nur Nervenreize und nicht jene allein die con- traetile Substanz erregenden chemischen Körper die in Rede stehenden Erscheinungen hervorbringen können, beweisen schliesslich auch zur Genüge, dass es nicht mechanische Zer- rungen sind, durch welche die zuckende Muskelbälfte die 604 W. Kühne: . u, Nerven der nicht direet gereizten Hälfte von einem über den Theilungen der Nervenprimitivfasern "gelegenen "Punkte 'er- regte. "Nach Beseitigung dieser‘ Binwände dürfte "also » die Lehre von dem doppelsinnigen Leitungsvermögen der motori- sehen Nerven durch unsere Versuche jetzt als vollkommen gesichert betrachtet werden können: Il. Ueber diesogenannte idiomuseuläre Contraetion. Nachdem wir aus dem Vorhergehenden etwas Näheres über die Verbreitung der Nerven im Muskel’ kennen gelernt haben, gehen wir nun zu einer Vergleichung der Contraetions- erscheinungen ‘über, je nachdem die eontractile Substanz di- reet und künstlich erregt oder unter dem Einfluss des ge- reizten Nerven zur Bewegung veranlasst wurde. Zur leich- teren Verständigung soll hier immer nur von dem Muse. Sartorius die Rede sein, welcher sowohl wegen’ seines ein fachen parallelfaserigen Baues, wie wegen der geringen’ Ab- weichungen, welche er bei den verschiedensten Thieren bie- tet, leicht der geeignetste Muskel am ganzen Körper sein dürfte. Ich habe mich überzeugt, dass der Sartorius beim Hunde nnd beim Menschen eben so gebaut ist wie beim Frosch, der einzige Unterschied besteht vielleicht’ darin, dass der Nerv im Verhältniss des Muskels etwas tiefer eintritt, sonst aber geschieht dies ganz in derselben Weise an dem inneren Rande und zwar ebenfalls so, ‘dass die Nerven den Muskel nicht bis nach seinen beiden Enden hin zu durch- ziehen scheinen, da man namentlich in dem oberen’ breiten Ende auf einer langen Strecke gar keine Nerven findet, weder bei der Präparation mit dem Messer, noch beim‘ Durch- mustern einzelner Streifen mit dem Mikroskop. Was über die Nervenausbreitung im Sartorius des Frosches auf expe- rimentellem wege festgestellt werden konnte, dürfte daher wohl auch für denselben Muskel des Hundes oder des Men- schen gelten können. Wir haben gesehen, dass der Sartorius wie jeder andere Muskel sich in seiner ganzen Länge gleichmässig verkürzt, wenn sein Nerv gereizt wird, und es geht daraus auf das Untersuchungen über Bewegungen! und Veränderungen u. s. w. 605 Sehlagendste hervor, dass der Reiz durch.die contractile Sub- stanz fortgeleitet werden müsse, da ja auch diejenigen 'Stel- len mit an der Contraction Theil nehmen, welche gar keine Nerven enthalten, und .da sich die Zuckung auch auf die bei- den Enden erstreckt, welche nicht direct mit den Nerven in Berührung sind, sondern nothwendiger Weise nur an den der Mitte näher gelegenen Orten den Reiz des erregten Ner- ven empfangen können. ‘Die Erscheinung ist so constant und so allgemein bekannt, dass es unnöthig sein würde, ‘hier be- sondere Erklärungen dafür'zu suchen, wenn nicht gerade in der jüngsten Zeit der Versuch gemacht‘ wäre, die auf’ den Nervenreiz erfolgende' Contraetion von der Bewegung‘ der direet gereizten contractilen Substanz zu trennen. M. Schiff hat zu dem Ende eine neuromusculäre: und ‘eine idiomuseu- läre Contraction zu unterscheiden gesucht, auf Grund zweier Charaktere, welehe nicht beiden/Bewegungen gemeinsam sein sollen. Nach ihm ist die neuromusculäre Bewegung daran "erkennbar, dass sie sich über die ganze Länge des Primitiv- bündels fortpflanzt, ‘während die idiomuseuläre Contraction loeal auf die Reizstelle beschränkt bleiben soll, und ferner daran, dass gewisse Methoden der Reizung stets nur die eine oder die andere Art der Bewegung hervorrufen. Wenn es richtig wäre, dass die direete Reizung’ der 'con- traetilen Substanz: ohne Vermittlung des Nerven, immer nur eine local beschränkte Contraction zur Folge habe, so würde daraus hervorgehen, dass der eigentliche Muskelinhalt gar kein Leitungsvermögen besitze, und man müsste die aufden Nervenreiz erfolgenden ausgebreiteten Zuckungen sich dann so zu denken haben, dass die contractile Substanz anvallen Punkten zu gleicher Zeit von den intramuseularen Spitzen der Nerven aus erregt werden. Da es sich aber gezeigt hat, dass der Muskel durchaus nicht überall mit Nervensubstanz durchsetzt ist, sondern dass jedes Primitivbündel offenbar Immer nur an wenigen Stellen mit dem Nerven in wirksame Berührung kommt, 'so bleibt kein "anderer Ausgang übrig, als der, ‘den Nerven entweder eine Wirkung in distans über ihre eigene materielle Grenze hinaus zuzuschreiben, oder die 606 W. Kühne: Annahme, dass die an der Verknüpfungsstelle des ‚Muskels mit dem Nerven, durch den letzteren 'hervorgerufene Con- traetion von so eigenthümlicher Art sei, dass sie als Reiz auf jeden folgenden Punkt der contractilen Substanz wirken könne. Alle Versuche, welche ich über die idiomusculäre Con- traction habe ausführen können, zeigten indessen, dass die angestellten Betrachtungen durchaus müssig seien, da diesel- ben nur Consequenzen der von Schiff erfundenen Lehre sind, und dass keine einzige zwingende Nothwendigkeit vor- liegt, die idiomusculäre. Öontraction von der neuromuseu- lären zu trennen, sobald 'man mit Schiff unter diesen Na- men. zwei grundverschiedene Dinge verstanden. haben; will. Sollen dieselben hingegen nur dazu: dienen, Unterschiede in dem zeitlichen Verlauf und der Form der Bewegung auszu- drücken, so ist dagegen nichts einzuwenden, und als solche werden wir uns derselben von jetzt an bedienen. Bei der direeten Muskelreizung sind mehrere Umstände in Betracht zu ziehen, welche als einfache Folgen der Endi- gungsweise des motorischen Nerven angesehen werden müs- sen. Bei der elektrischen Reizung, sei es mittelst der In- ductionsschläge oder der: ‚Schliessung und; Oeffnung des Kettenstromes, wird jedes Mal nur der intramuseulare Nerv gereizt, sobald das Minimum der Reizung angewendet wurde; die so erhaltene Zuckung ist also gleichbedeutend mit jeder anderen durch den gereizten Nervenstamm hervorgerufenen Contraction, und die directe Reizbarkeit der Muskelfaser oder der contractilen Substanz selbst gegenüber dem Einflusse der Stromesschwankungen kommt dabei gar nicht, in. Betracht. Der Beweis dafür liegt eben darin, dass die Zuckung nicht mehr eintritt, wenn die Erregbarkeit: des Nerven durch eiuen aufsteigenden constanten Strom. herabgesetzt ‘wird. Ueber- sehreitet nunaber die Reizung jenes Minimum um eine gewisse Grösse, so verschwindet die Zuckung nach der Lähmung des Nerven nieht mehr, und es wird: zweifelhaft, ob: der elektrische Strom jetzt direct die contractile Substanz. erregt habe, oder ob er nur für den; Nerven eine. so, starke Erregung erzeugt Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 607 habe, dass die lähmende Wirkung des constanten Stromes nieht mehr ausreichte, um dieselbe zu vernichten oder zu henımen. Es ist also immer noch fraglich, ob der elektrische Strom in irgend welcher Weise ein Reizmittel für die con- tractile Substanz sei. Obgleich ich glaube, dass daran im Eruste nicht gezweifelt werden kann, schon wegen der be- kannten dauernden Zusammenziehung, welche jeder Muskel während der Dauer eines constanten Stromes zeigt, ganz im Gegensätze zu dem Gesetze, nach welehem der Nerv dureh denselben erregt werden kann, so mag es dennoch nützlich sein, auf diese Frage näher einzugehen, weil sie augenblick- lich von mehreren Seiten in durchaus verschiedener Weise beantwortet wird. Wundt schreibt der contractilen Substanz die Fähigkeit zu, nur allein auf den Reiz des elektrischen Stromes durch die Contraction reagiren zw können, während Sehiff zwar auch eine eigene Muskelirritabilität annimmt, dieselbe aber für die elektrische Erregung gänzlich läugnet, eine Ansicht, welcher sich consequenter Weise zum Theil auch Eekhard anschliessen dürfte, welcher den Beweis der Nichtexistenz der Muskelirritabilität eigentlich nur in Hin- sicht auf die elektrische Reizung allein zu führen suchte. Dass die Wundt’sche Behauptung falsch sei, habe ich mehrfach zu beweisen mich bemüht. Die grosse Mehrzahl aller erregend wirkenden chemischen Körper ist ein Reiz für die Muskelsubstanz selbst, und«nur von einem einzigen lässt sich nachweisen, dass; er nur den Nerven erregt, und für die contractile Substanz wirkungslos ist. Um diese An- gaben jeder Zeit bewahrheiten zu können, sehneide man den Muse. Sartorius eines Frosches durch 3 senkrecht auf die Faserung gerichtete Scheerenschnitte in 4 Stücke. Die bei- den Endstücke, welche man auch bei ganz grossen Fröschen unten nicht länger als 3 Mm., oben nicht über 4 Mm. lang machen darf, zucken gar nicht, wenn man sie mit jenem Körper, dem coneentrirten Glycerin, benetzt, die beiden an- deren Stücke dagegen zucken heftig und gehen in Tetanus über. Macht man denselben Versuch aber mit irgend einer anderen reizenden Substanz, Säuren, Alkalien ete,, so zucken 608 W. Kühne: alle 4 Stücke, auch die Enden also, welche keine Nerven enthalten, und ich darf dem glücklichen Zufalle dankbar sein, der mir einen Muskel in die Hände spielte, bei welchem die gewählte Reizmethode meist nur die reine eontractile Sub- stanz betraf, so dass alle chemischen Körper, welche bei direeter Reizung Muskelzuckungen hervorriefen, mit Aus- nahme des concentrirten‘ Glycerins, als wahre Muskelreize betrachtet werden müssen, ‘wie später durch ihre unbeein- trächtigte Wirkung, während der Dauer der Nervenlähmung mittelst des constanten Stromes, bestätigt wurde. Das gänzliche Fehlen der intramuscularen Nerven in ge- wissen Muskelstrecken giebt uns nun aber auch‘ ein Mittel an die Hand, die Erregungsfähigkeit des elektrischen Stro- mes für die eontractile Substanz zu erkennen.“ Man schneide wieder einen Sartorius in mehrere Stücke und trage Sorge, diesmal dieselben alle gleich 4 Mm. zu machen. “Bei einem grossen Frosche z. B., wo dieser Muskel vom Nerveneintritt an bis zum oberen Ursprunge 12 Mm. messen kann, ist es leicht, 3 ganz gleich grosse Muskelvierecke auf diese Weise zu erhalten. Werden nun diese 3 Stücke mit ihren Sehnitt- flächen an einander gelegt,’ und die beiden äussersten mit ihrer äusseren Grenze mit 2: Papierbauschelektroden in Ver- bindung gebracht, so zuckt bei dem Minimum‘ der elektri- schen Reizung, welche mittelst des Rheochords, oder durch Verschieben‘ der secundären Rolle des» Induetionsapparates leieht gefunden werden kann, immer nur eins dieser Stücke und zwar immer nur dasjenige, welches die Nerveneintritts- stelle enthält. Wird die Reizung sodann 'allmälig verstärkt, so zuckt auch das 2te' zwischen (dem Ende und dem Hilus herausgenommene (uadrat, und ebenso fängt auch das Ste Endstück schliesslich an zu zucken, wenn der Reiz noch- mals verstärkt wird. Die Dichte der elektrischen Ströme, welche die Muskelstückchen “durchziehen, ist wegen ‘der gleichen Gestalt in allen dreien natürlich dieselbe. ‘Man mag ferner die Stückchen in einer anderen Reihenfolge zwisehen die Elektroden legen; oder sie neben einander über 2 feine nach''der Weber”schen Methode angeordnete Platindraht- Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 609 elektroden lagern, immer bleibt der Erfolg des’ Versuchs der- selbe, so lange noch eine hinlängliche. Erregbarkeit in. den Muskeln vorhanden ist. Nach diesem Versuche ist eswohl ganz klär, dass auch das Ende des Sartorius, ‘welches’ keine Nerven enthält, durch den elektrischen Strom eerregbar' sei. Wer an die Neryenwirkung in distans, über die Schnittflächen der anderen beiden nervenhaltigen Muskeltheile'hinaus, glau- ben will, der mag schliesslich‘ das Endstück allein auf die Elektroden ‚legen, und niemals wird auch. so die Zuckung ausbleiben, ‚gleichviel ob die Weehselströme der secundären Rolle ‚oder ‘die gleichgerichteten Schläge der primären Spi- rale, oder Schliessung und Oeflnung eines Kettenstromies zur Reizung verwendet wurden, ‚In allen Fällen bleibt sich die Zuckung gleich, und niemals zeigt sich irgend eine Verschie- denheit an den einen oder ‚der anderen Blektrode. "Die con- traetile Substanz ist. folglich. trotz Eekhard und Schiff und auch durch den elektrischen Strom reizbar wie der Nerv, Nach dem, was ich ‚früher über die chemische Reizung mitgetheilt habe, bedarf es keiner besonderen Begründung mehr, dass,der Muskel 'auch ohne.den Nerven. den Reiz vou Querschnitt zu (Juerschnitt übertrage. Wenn man den hart vor dem, Ursprunge des Sartorius ‚angelegten Querschnitt in einer eapillaren Schight mit einer. reizenden Flüssigkeit be- netzt, und darauf. den ‚ganzen Muskel in ‚seiner ganzen Länge zuckeu sieht, so muss sicherlich die Contraetion durch die con- tractile Substanz fortgeleitet worden sein, da ja zwischen der Applieationsstelle des Reizes und: den letzten intramuseularen Nerven ein mehrere Millimeter Janges Muskelstück dazwischen liegt, welches frei, von allen Nerven.ist. Für diese ‚Strecke ist die Sache also unzweifelhaft, und ..es "braucht kauni hin- zugelügt zu. werden, ‘dass es sich auch an den nervenhalti- gen mittleren Dheilen ‚des Muskels ebenso verhält, denn.auch hier läuft die Zuckung weiter, selbst wenn der Nerv durch einen eonstanten Strom gelähmt ist, im: Widerspruche gegen die. Beliauptung Schiff’s, der den. Muskel während ‚der Dauer des Jähmenden Stromes nur local sieh eontrahiren ge- sehon haben will, ‚Ba ist ganz gleichgüläg, wie Schiff den 610 W. Kühne: Versuch anstellen will, er mag sich, der mechanischen, der chemischen oder der elektrischen Reizung bedienen. Ein Sartorius vom Frosch, dessen Nerv in aufsteigender Rich- tung von einem Strome von 4, 6 oder 8 Grove’schen Ele- menten durchflossen wird, wird ihm immer die schönsten Zuekungen zeigen, welche sich stets von der Reizstelle bis nach dem anderen Ende der Primitivbündel ausdehnen und nie an jenem Orte beschränkt bleiben, wenn er anders den Muskel selbst vor Zerstörungen zu bewahren versteht. Die hier von Schiff gemachte widersprechende Angabe ist eben so falsch, wie die Behauptung, dass die von v. Wittiich be- schriebenen Wasserzuckungen auf Nervenerregung beruhten. Wenn wir jetzt die Bezeichnung der idiomuseulären Con- traetion für die bei direeter Reizung der contractilen Sub- stanz gefundenen Thatsachen adoptiren, so finden wir, dass also dieselbe hervorgerufen werden kann durch chemische, mechanische und elektrische Reizungen, und dass ihr die- selben Eigenschaften zukommen, wie der durch den gereizten Nerven vermittelten neuromusculären Contraction, dass sie sich nämlich von der Reizstelle aus in jeder Richtung inner- halb des Sarkolemms verbreitet. Besteht ein Unterschied zwischen neuro- und idiomusceulärer Bewegung, so kann der- selbe nur in dem Modus gesucht werden, denn es ist klar, dass sich ein Muskelprimitivbündel, das an einem Ende gerade eine Nervenfaser erhält, ebenso bei Reizung dieses Nerven verhalten wird, wie wenn wir denselben durch irgend einen anderen künstlichen Reiz ersetzen. Dieser Fall scheint in- dessen bei keinem Muskel vorzuakommen, sondern immer er- hält ein Muskelprimitivbündel mehrere Nerven, welche an verschiedenen Punkten seiner Länge das Sarkolemm durch- breehen und es ist deshalb anzunehmen, dass die neuromus- euläre Bewegung von mehreren Orten gleichzeitig beginnt, während die idiomusculäre zunächst auf die Reizstelle ver- wiesen ist, von welcher aus allein sie fortgepflanzt werden kann. Immerhin aber bleibt es sehr wahrscheinlich, dass man künstlich einem Muskel eben so gut dieselbe Bewegung ertheilen könne, wie durch den Nerven, wenn man nur Sorge trüge, Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 611 den direeten Reiz an mehreren, den Verknüpfungspunkten des Nerven mit der contractilen Substanz entsprechenden Orten zugleich einwirken zu lassen. So würde dann wohl jeder Unterschied zwischen neuro- und idiomusculärer Be- wegung wegfallen. Das allgemeine Bild des direct ohne Nervenvermittelung gereizten Muskels wäre hiermit abgeschlossen. Je nach der Art und dem Grade der Reizung treten aber Erscheinungen ein, welche jetzt von ganz besonderer Bedeutung sind, da sie die Veranlassung zu einer völlig von allem früheren ab- weichenden Auffassung der Lehre von der Muskelbewegung geworden sind, Ich habe bei Gelegenheit der chemischen Reizung schon einer Erscheinung erwähnt, welche immer eintritt, wenn der Muskel an einem Punkte längere Zeit mit der erregenden Flüssigkeit in Berührung bleibt. Das obere Sartorius-Ende schwillt in der Regel nach abgelaufener Zuckung beträchtlich an, krümmt sich dann hakenförmig um, und geht so in den Zustand der Starre über, und es ist dies eine von den Bewegungen, welche Schiff als idiomuseulär im engerh Sinne bezeichnen würde, eine local auf die Reiz- stelle beschränkt bleibende, dauernde Contraction. Die Beschreibung dieser Art der Muskelcontraetion ist in dem Lehrbuch der Physiologie von Schiff so sehr mit allen möglichen Seitenblieken, verdächtigenden Bemerkungen über die Untersuchungen anderer Forseher und mit so vielen nur halb wahren Aussagen durchwachsen, dass es nothwendig wird, eine ganz abweichende Darstellung bei ihrer Beurthei- lung einzuschlagen. Zunächst muss ich bemerken, dass Schiff sich sehr mit Unrecht für den eigentlichen Entdecker der von ihm als idio- musculär bezeichneten Contractionen hält, da sich Jeder aus seinem Knabenalter schr gut erinnern wird, welche‘ Folgen die localen und heftigen Muskelreizungen begleiten. Allen TDurnern namentlich ist es schon seit langer Zeit bekannt, wie ein kräftiger Hieb mit der scharfen Seite der Hand quer über den Bieeps brachii geführt, ein plötzliches Wallen dieses Muskels zur Folge hat, worauf sich an der geschla- 612 f W.'Kühner ' 1 nudonzrsin"] genen Stelle eine bald wieder verschwindende Schwiele er- hebt, welche ohne Mühe durch Betasten als dem Muskel an- gehörig erkannt werden kann, und an welcher die ‚Haut durchaus unbetheiligt ist. Wer den Versuch an sich’ selbst angestellt hat, wird auch die lähmende Wirkung, eines,sol- eher Schlages kennen, die demselben. bekanntlieh auch von jeher eine gewisse Berühmtheit: bei allen körperlielien. Uebun- gen. ertheilt hat. Schiff, Weber «und Funke sind.aber die ersten, welche dieselbe Erscheinung zuerst an dem ent- blössten Muskel näher. verfolgt haben, die letzteren. beil,Ge- legenheit einer Hinrichtung, wo sie diese Wülste’oder Schwie- len noch lange Zeit nach dem Tode’künstlich an dem menseh> lichen Leichnam. hervorrufen konnten. TE nl Will man. die Vorgänge bei der mechanischen Reizung eines Muskels in allen Einzelheiten ‚verfolgen , so ist. es) gut; sich dazu eines dünnen Muskels 'mit ‚parallelen Fasern zu bedienen, bei grösseren Thieren z. B.; der schrägen Bauch- muskeln, des Diaphragma’s oder des Sartorius. ‚Es ist fer- ner nützlich, die Reizung auf eine kleine Anzahl von Pri- mitivbündeln zu beschränken, da man hinlänglich Alles daran übersehen ‚kann, was eine ‚grössere Zahl gereizter: Muskel- bündel, doch immer nur in derselben Weise, als Wiederholung zeigen ‘kann. Nimmt man’ z. B. einen‘ Streifen aus! dem Zwerchiell eines’ eben getödteten Hundes und reizt man.ein grösseres Stück ‘davon’ mit irgend welchem Instrument me- ehanisch, so wird man mehr ‚oder 'weniger- dieselbe Erscehei- nung eintreten sehen, nämlich eine dem Reize fast „augen- blicklich folgende Verkürzung des ganzen Muskelstücks und eine nieht immer deutlich ausgeprägte ‘dauernde Reaction an der Reizstelle selbst. Am besten ist es daher, die Reizstelle so klein wiemöglich zu machen, und den mechanischen Reiz mit einer stumpfen, nieht durchbohrenden Nadel BEER Man sieht auf die Weise Folgendes: Wenn der Muskel irgend eines warmblütigen Thieres gleich nach dem "Tode irgendwo mittelst der Nadel mit mäs- siger Kraft und Geschwindigkeit gedrückt wird, so contra- biren sich alle diejenigen Primitivbündel, welche direct ge- Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 613 troffen werden, augenblicklich in ihrer ganzen Länge. Nach Ablauf dieser wahren Zuckung erhebt sich die eingedrückte Stelle langsam über das Niveau des übrigen Muskels empor in Form eines stumpfen Kegels, welcher eine kurze Zeit hin- durch bestehen bleibt, und dann allmälig sich abplattend wieder verschwindet. Zieht man mit der Nadel einen Druck- strich senkrecht über die Richtung mehrerer Muskelfasern, so ist die Erscheinung dieselbe, mit dem Unterschiede, dass die Zuckung auch auf alle anderen Primitivbündel sich er- streckt, und dass die kegelförmige Erhebung in der Form eines Wulstes erscheint, welcher genau der Drucklinie ent- sprechend über alle von dem Reize getroffenen Primitivbün- del hinübergeht. Bei allen warmblütigen Thieren, welche ich untersuchte, beim Pferde, beim Rinde, dem Hunde, Ka- ninchen, der Katze und dem Meerschweinchen ist der be- schriebene Vorgang constant derselbe, an der Thatsache selbst besteht durchaus kein Zweifel und es fragt sich nur, wie man sich dieselbe erklären könne. Dass der Muskel bei directer mechanischer Reizung zuckt, dass z. B. ein Froschmuskel beim Anlegen eines Querschnitts die stärksten Contractionen zeigt, ist eine seit langer Zeit bekannte Sache, und es wird Niemand daran zweifeln, dass die Contraction des gedrückten oder gestochenen Muskelbün- dels eines warmblütigen Thieres gleichbedeutend sei mit jeder anderen Muskelzuckung. Zum Ueberflusse ist es immer leicht zu zeigen, dass ein auf einem so gereizten Muskel mit sei- nem Nerven aufliegender Froschschenkel in secundäre Zuckung verfällt. Ist aber die dauernde Erhebung, welche an der Reizstelle entsteht, auch eine Contraction, welche, wenigstens dieses Stück isolirt betrachtet, dieselbe gleich erscheinen lässt mit der eines anderen durch andere Reizmittel zur Contrac- tion gebrachten Muskels? Man sollte denken, dass Schiff, der doch die ganze Muskellehre auf diese Erscheinung stützen wollte, diese Frage zu beantworten gesucht habe? Statt dessen protestirt er aber dagegen, dass eine Muskelcontrac- tion der anderen gleich zu sein brauche. Er versichert frei- lich, dass seine sogenaumte idiomuseuläre Contraction mit Beichert's u. du Bols-Reymond's Archiv. 1859, 40 614 W. Kühne: einer starken negativen Schwankung des Muskelstromes be- gleitet sei, sagt aber nichts über die Untersuchungsmethode und die Experimente, durch welche er sich dessen ver- sicherte. Die idiomuseuläre Contraction ist ihm ferner gleich mit der Todtenstarre und der Wärmestarre, und es bleibt dann in der That zu verwundern, wie er es nicht vorgezogen hat, dieselbe ganz von allen übrigen Muskelcontractionen zu trennen, da die Unähnlichkeiten zwischen beiden dadurch so gross werden, dass die Verknüpfungspunkte gänzlich ver- loren gehen dürften. So schlimm steht es indessen um die Sache nicht. Szer- mak hat gezeigt, dass ein Froschschenkel, dessen Nery an einer Stelle den ruhenden Muskel an einer anderen jenen „idiomusceulären Wulst“ berührt, in secundäre Zuckung ver- falle, eine Beobachtung, welche ich als vollkommen riehtig bestätigen kann. Derselbe Versuch ist mir sogar mit dem nach Art des Froschpräparats zugerichteten Schenkel des- selben warmblütigen Thieres gelungen, dessen übrige Mus- keln durch mechanische Reizung die idiomuseulären Wülste lieferten.') Man sollte demnach meinen, dass der Muskel- strom an der gereizten Stelle in der negativen Schwankung oder einer dauernden Abnahme begriffen sei, und der Ver- such würde leicht für die Frage entscheidend sein können, wenn nicht als gewiss angenommen werden dürfte, dass eine absolute örtliche Zerstörung der contraetilen Substanz ganz dasselbe bewirken müsste, da die vernichtete Muskelsubstanz immer noch als Leiter des zunächst liegenden unversehrten Muskelquerschnitts dienen würde, so dass die secundäre Zuekung hier nur die Bedeutung der Zuekung ohne Metalle, der durch den rubenden Muskelstrom hervorgerufenen Con- traction erhielte. Der Umstand aber, dass die idiomuseu- lären Wülste mehrere Male bei frischen Muskeln immer wie- 1) Dem zu diesem Versuche verwendeten Kaninchenschenkel war nach einer neuen, höchst sinnreichen Methode, welche Herr Cl, Ber- nard demnächst veröffentlichen wird, ein ähnlicher hoher Grad von Erregbarkeit künstlich ertheilt, wie man ihn sonst nur bei den reiz- barsten Präparaten der Kaltblüter zu finden gewohnt ist. Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 615 der an derselben Stelle nach ihrem Versehwinden hervorge- rufen werden können, spricht dafür, dass die secundäre Zuckung, welche sie veranlassen, wirklich von der negativen Schwankung des Muskelstromes herrühren, obgleich es im- mer noch seltsam bleibt, dass jener dauernden Contraetion, nicht aueh ein tetanischer Zustand des Froschschenkels ent- spricht, analog dem secundären Tetanus. Aus letzterem Grunde wird essogar sehr wahrscheinlich, dass die dauernde Contraction nach mechanischer Reizung, gegenüber dem bisher gekannten „Tetanus“, die einzige ununterbrochene, stetige, beharrende Muskelzusammenziehung darstelle. Dass diese dauernde Er- hebung oder locale Verdickung durchaus verschieden sei von der Todtenstarre, erhellt, ganz abgesehen von dem allmäli- gen Verschwinden und der Fähigkeit auf’s Neue durch jeden neuen Reiz wiederzukehren, aus dem Ausbleiben aller derje- nigen Zeichen, welche die Starre charakterisiren. Niemals reagirt ein durch einen solchen Wulst geführter Querschnitt sauer, sondern das auf die Schnittfläche gelegte rothe Lack- muspapier wird im Gegentheil blau, in Uebereinstimmung mit der vor kurzem von du Bois-Reymond untersuchten Reaction des lebendigen Muskels. Ein todtenstarrer Muskel ist ferner immer undurchsiehtiger und trüber als ein noch reizbarer, und es ist leicht, an dem dünnen Diaphragma neu- geborener Katzen und Kaninchen, oder an den feinen Mus- keln der Maus die idiomuseulären Wülste unter dem Mi- kroskop als vollkommen so durchsichtig wie die übrigen Theile der Primitivbündel zu erkennen, womit die Annahme einer localen Abtödtung an der Reizstelle ganz und gar be- seitigt werden kann. Es unterliegt also keinem Zweifel, dass die sogenannten idiomuseulären Wülste in einer wirklichen, local auf die Reizstelle beschränkten andauernden Con- traetion bestehen. Man hat demnach bei der directen mechanischen Reizung des Muskels zweierlei zu unterscheiden: eine dem Reize rasch folgende Contraetion des Primitivbündels in seiner ganzen Länge, und eine später eintretende locale, der Reizstelle ent- sprechende Contraction, oder wie Schiff es nennt, eine 40* ” 616 W. Kühne: neuromusculäre und eine idiomuseuläre Bewegung. Sehen wir jetzt, ob: die beschriebenen Thatsachen zu der letzteren Unterscheidungsweise berechtigen, oder ob nicht die, Con- tractionen beide ebenso gut neuromusculär oder beide idio- museulär sein können. Um die Unterschiede zwischen den beiden auf einander folgenden Contractionen zu erklären, ist Schiff auf den Ge- danken gekommen, dass ‚die erste rasch erfolgende Oon- traetion von dem mitgereizten Nerven herrühre, während die 2te locale Contraction die Reaction des gereizten Muskels sei. Abgesehen davon, dass gar nicht einzusehen ist, wie der mittelbar auf einem Umwege gereizte Muskel sich viel eher contrahiren sollte, als der direet gereizte, abgesehen von dem Widerspruch, in welchem diese Anschauung zu den Resultaten der Helmholtz’schen Untersuchungen steht, führt diese Lehre auch noch zu der Annahme, dass der Mus- kel überall in allen Orten mit Nerven durchsetzt sei, da es ohne dies schlechterdings unmöglich wäre, dass jedes Primi- tivbündel von jedem Punkte aus zu einer neuromusculären Contraction vermocht werden könnte. Wie ich gezeigt habe, ist die Nervenverbreitung auch im Sartorius eine ganz be- schränkte, und demnach müssten über die ganze Länge des Primitivbündels verlaufende Zuckungen nur von einigen we- nigen dem Nerven entsprechenden Punkten aus erhalten wer- den können, wenn Schiff im Rechte wäre, wo er behauptet, dass jede ausgebreitete Zuckung neuromuseulär sei. Das aber scheint Schiff ganz übersehen zu haben, weleh ein un- geheurer Unterschied zwischen der Reizung liegt, welche die nicht direct getroffenen Punkte der contraetilen Sub- stanz empfangen und derjenigen, welche sie erleidet, da wo der künstliche Reiz unmittelbar einwirkt. Wenn es Schiff noch nicht belieben sollte, der Muskelfaser das Leitungsver- mögen zuzuschreiben, so möge er sich an das Beispiel des Nerven halten. Man kann einen Nerven in einem Punkte durch einen Reiz vernichten, von welchem aus aber die nächst gelegenen Orte die Reizung weiter fortpflanzen, ohne selbst mit beschädigt zu werden. Der Reiz, welcher also von Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 617 Querschnitt zu Querschnitt übertragen wurde, erreichte ge- wiss nicht die Mächtigkeit des von aussen applieirten Ein- flusses, der den Nerven an jener Stelle zerstörte. Nun ganz so wird es wohl beim Muskel auch sein, und wir werden uns nicht wundern dürfen, wenn der Muskel sich an der Stelle stärker contrahirt, an welcher er direct dem Reize ausgesetzt war, als dort, wo nur ein erregter Muskelquer- schnitt als Reiz auf den nächstfolgenden wirkte. Die stär- kere Erhebung, welche den sogenannten idiomuseulären Wulst kennzeichnet, kann also auf einen sehr einfachen Grund zurückgeführt werden. Anders steht es mit dem zeitlichen Verlauf dieser Contraetion. Wir haben erwähnt, dass die idiomuseuläre Erhebung nach beendeter allgemeiner Zuckung des Muskels entstehe, und viel später wieder verschwinde als diese, kurz von längerer Dauer sei. Bei einem ganz frischen Muskel folgt indessen der Beginn derselben so rasch auf die Zuckung, dass der geringe Zeitverlust ohne Zwang so gedacht werden kann, dass: der Muskel, da wo er zuerst durch den mechanischen Reiz niedergedrückt war, auch eine bestimmte Zeit gebrauchte, um diese Vertiefung dureh die Contraetion wieder auszugleichen und ferner einen Zeitraum, um aus dem, der Dieke während der Ruhe ent- sprechenden Zustande weiter heraus, den im Ganzen contra- hirten Muskel als locale Erhebung überragen zu können. Der spätere Eintritt der Schiff’schen idiomuseulären Con- traction dürfte dieselbe also wohl kaum als etwas so ganz Absonderliches erscheinen lassen, viel eher würde das der Fall sein wegen ihres langsamen Verschwindens, ein Um- stand, auf welchen ich zurückkomme. Schiff hat angegeben, dass, eine bestimmte Zeit nach dem Tode des Thieres, die Folgen der mechanischen Reizung andere seien, tls bei ganz frischen Muskeln, Er beschreibt eine ganz eigenthümliche Art der Muskelcontraetion, welche er schliesslich auch für neuromuseulär erklärt hat. Streicht man nämlich mit einem kantigen Instrument in senkrechter Richtung zur Paserung über einen Muskel hin, welcher nicht meh die höchste Stufe der Erregbarkeit besitzt, dabei aber 618 W. Kühne: doch noch nicht zu weit von derselben entfernt ist, so sieht man von der Reizstelle aus ein zierliches Wellenspiel’ in der ganzen Länge der Primitivbündel nach beiden Seiten hin vor sich gehen. "Während sich die direet gereizte Stelle zum Wulste erhebt, gehen Contractionswellen oder knotige An- schwellungen’ von derselben aus, welche mit erheblicher Ge- schwindigkeit bis zum Ende des Muskels hinlaufen, dann scheinbar zurückkommen und mit einer zweiten zusammen- prallen. ' Diese äusserst hübsche Erscheinung trifft man bei den’ Muskeln der warmblütigen Thiere nicht immer an, we- nigstens ist sie mir nicht so oft vorgekommen, wie ich nach Schiff’s Beschreibung erwarten durfte, trotz der zahlreichen Thiere, welche’ich beobachtete. Ich habe dieselbe aber nie ausbleiben sehen bei dem Sartorius des Frosches, bei wel- chem ‘die wellenartig gestaltete Contraction sehr leicht zu beobachten ist, wenn man denselben an einem Ende auf- hängt und an dem anderen Ende mit der Scheere so einen Querschnitt anlegt, dass man ihn zugleich etwas spannt, da- mit das Wellenspiel nicht in den ruckweisen Zuckungen un- tergehe. Man sieht dann namentlich ‘bei durchfallenden Lichte, worin der Muskel in den schönsten Farben spielt, die zarten Wellen scheinbar in der durchsichtigen Masse auf- steigen und wieder herabwallen, wodurch zugleich das Far- benspiel des schillernden Muskels in den lebhaftesten Wech- sel geräth. Bei den Muskeln der Warmblüter habe ich’den analogen Vorgang immer am besten gesehen, wenn das ge- tödtete Thier durch künstliche Respiration eine Zeit lang noch durch die Bluteireulation in einem dem Leben nahen Zustande erhalten wurde, oder in ganz unversehrten, nicht isolirten und mit Bindegewebe gut bedeekten Muskeln der Extremitäten zu verschiedenen Zeiten nach dem Tode. Da nieht angenommen werden ‘darf, dass die mechanische Reizung in allen diesen Fällen immer einen Nerven mit be- troflen habe, wenigstens nicht in jedem mitgereizten Primi- tivbündel, so ist es wohl im höchsten Grade wahrscheinlich, dass auch diese fortlaufenden Contraetionswellen idiomuseulär seien, um so mehr, weil sie geradezu als eine Fortsetzung Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 619 des an der Reizstelle entstehenden Wulstes erscheinen. Am Sartorius des Frosches ist es ganz evident, dass dieselben von nervenlosen Stellen des Muskels ausgehen können, da jeder Querschnitt, welcher in die nervenlosen Gebiete des- selben fällt, immer das beschriebene Bild hervorruft. Dies Wellenspiel ist ferner wieder eine unzweifelhafte Contraction, welche nur in der Form so ausgezeichnet ist, denn es ge- lingt sehr gut einen Froschschenkel dadurch secundär zucken zu lassen. Legt man den Nerven eines Froschschenkels an einen gespannten Sartorius desselben Thieres an und schnei- det man jetzt langsam das nach unten herabhängende Mus- kelende ab, so zuckt jedes Mal, häufig auch mehrere Male, der Schenkel secundär, während der direet gereizte Muskel nur die innere Unruhe an dem Spiel der Contractionswellen verräth. Die seceundäre Zuckung gelingt ebenso von den Muskeln der Warmblüter aus, ja man kann hier sogar nicht selten die Zuckung eintreten sehen, während die langsam an den Froschnerven heranrollende Welle denselben noch nicht ganz erreicht hat. Während sie unter ihm weggeleitet wer- den, erfolgen dann häufig noch mehrere einzelne Zuckungen in den Zehen, oder eine flimmernde Bewegung in der Wade. In dem Stadium, wo nur die mechanische locale Reizung diesen Modus der Contraction erzeugt, bemerkt man,. dass die locale wulstige Contraetion etwas später eintritt und noch langsamer wieder verschwindet, Nie aber erreicht sie eine solehe Höhe wie bei dem ganz frischen Muskel, wo ein kräftiger Stoss mit dem stumpfen Ende des Scalpelheftes auf die Oberschenkelmuskeln des Hundes leicht eine zollhohe Erhebung verursacht. Je weiter der Muskel dann abstirbt oder je länger er iso- lirt und dem Blutkreislauf entzogen war, desto mehr prägt sich diese Veränderung aus. Die Wülste werden immer nie- driger, treten viel später ein und dauern länger an. Glei- chen Schritt damit hält aber auch die Veränderung, welehe die von der Reizstelle ausgehende Oontraction erleidet, so dass die Möglichkeit, in derselben das Spiel einer wellenar- ligen Bewegung erkennen zu können, allein durch die Ver- 620 W. Kühne: langsamung der ursprünglich nur rascher aber in derselben Weise fortschreitenden Muskelcontraetion aufgefasst werden muss.. Dem zu Folge bietet der Muskel jedes warmblütigen Thieres mehrere Stadien dar, welche ziemlich scharf von einander geschieden sind. Der ganz frische Muskel eontra- hirt sich rasch, die locale Erhebung an der Reizstelle beginnt frühe und verschwindet bald wieder, erreicht aber eine be- deutende Höhe. Im 2ten Stadium ist die Fortpflanzungsge- schwindigkeit vermindert, die locale Erhebung geschwächt und ihre Dauer verlängert. In einem 3ten Stadium endlich geht der fortgepflanzten Contraction die locale Erhebung voraus, so dass das Weiterschreiten der. Muskeleontraetion in. einem‘ Vorrücken der contrahirten Reizstelle besteht. Sehiff behauptet nun zwar, dass die fortschreitende Be- wegung an die Erhaltung der intramuscularen Nerven ge- knüpft sei, und dass die rein locale Contraction der contrae- tilen Substanz allein eigenthümlich sei, er hat aber eben gar nicht angegeben, dass bei jedem Muskel ein Stadium existirt, wo jene rasch verlaufende, nach ihm neuromuseuläre Bewe- gung gar nicht mehr eintritt, sondern wo der von ihm als idiomuseulär bezeichnete Wulst selbst sich zerklüftet und die 2 langsam aus einander rückenden Contractionswellen dar- stellt. Wenn nun nach Schiff der Muskel selbst den Reiz nicht fortleitet, wenn ohne Nervenvermittlung die Contraetion immer nur local bleibt, wie kommt es denn, dass dasjenige Ding, das er selbst als idiomuseuläre Contraction anerkennt, von einem Orte zum andern in der Länge des Muskelpri- mitivbündels fortschreitet? Wir können uns für einen Augen- blick in Schiff’s Gedanken ganz versetzen, Nach ihm ist der Muskel oder die contractile Substanz überall mit Nerven erfüllt. Die Nerven sollen absterben und dann soll allein der Muskel als reizbares Organ übrig bleiben. Auf dieser Vorstellung beruht sein Beweis der Muskelirritabilität. Was liegt aber wohl näher als der Gedanke, dass, wenn der Nerv allein die Fortpflanzungsfähigkeit der Contraction bedingt, dass dieser Nerv bei seinem Absterben erst selbst die Leitungsfähigkeit verliere, während seine einzelnen Punkte Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 621 noeh recht gut reizbar bleiben können, so dass die zunächst liegende Muskelsubstanz mittelst derselben noch erregt wer- den kann? Bei der Leitung ist eben immer ein erregter Querschnitt als Reiz für den folgenden zu denken, und dass dieser Reiz nicht dem einer kräftigen mechanischen Miss- handlung gleichzusetzen ist, versteht sich wohl von selbst. Um so mehr also, wenn der Nerv abzusterben beginnt, wo der äussere künstliche Reiz noch an einer Stelle wirken kann, während der Reiz des nächsten erregten: (uerschnitts nicht mehr genügen wird, um den Effeet an dem Ende des Organes zur Geltung kommen zu lassen, — Ich will nicht läugnen, dass die von Schift beobachteten Thatsachen Bei- träge zu einem Beweise der Muskelirritabilität liefern können, denn die Dinge würden jedenfalls ganz anders aussehen, wenn der Muskel nicht irritabel wäre, in der Schiff’schen Argumentation liegt aber bis hierher noch gar kein Beweis, denn der frische Muskel enthält einen noch für längere Strecken leitungsfähigen Nerven, während der absterbende Muskel einen Nerven enthalten kann, welcher nur für kurze Streeken, entsprechend der Ausdehnung des Wulstes oder der direet getroffenen Reizstelle, die Leitung zulässt. Nach eigenen Versuchen hat sich mir ergeben, dass die Dauer der Erregbarkeit bei den isolirten Muskeln warmblü- tiger Thiere eine sehr verschiedene ist, abhängig von zahl- losen äusseren Bedingungen. Die Hauptbedingung ist die Temperatur, mit welcher die Dauer der Erregbarkeit meist gleichen Schritt hält. Durchschnittlich bleibt der isolirte und vor Vertrocknung geschützte Muskel eines Warmblüters bei einer Temperatur von 14° C, 5—6 Stunden erregbar, inner- halb welcher Zeit die verschiedenen Veränderungen im Ver- lauf der Contraction so vertheilt liegen, dass das erste und zweite Stadium in die erste Stunde fallen, während die übrige Zeit durch das dritte Stadium ausgefüllt wird. In dem letz- teren treten insofern noch Aenderungen ein, als die Entfer- nung immer mehr abnimmt, bis zu welcher die Contraction von der direet gereizten Stelle aus fortschreitet. Je mehr der Verlust der Erregbarkeit an den Muskeltod, an die Tod- 622 W. Kühne: tenstarre sich annähert, desto "geringer wird auch die Ge- schwindigkeit, mit welcher das Fortschreiten stattfindet, ja man gelangt zu einem Punkt, wo die direet gereizte Stelle sich nur noch schwach erhebt und dann für immer so stehen bleibt. Schneidet man den Muskel hierauf an jenem Orte quer durch, so findet man ihn dort sauer, die Starre hat Platz gegriffen und kein Mittel vermag den beweglichen Zu- stand wieder herzustellen , welcher die ganze Fülle von Erschei- nungen bedingt, die in der Form der Muskelverkürzung un- ter den Bewegungen und Veränderungen der contraetilen Substanz verborgen liegen. Wie kommt es nun, dass sich an einem ganz frischen Muskel eine rasch verlaufende Zuckung von einer auf die Reizstelle beschränkten Contraction sondert? Wir sahen, dass diese Contraction vorzüglich durch ihre längere Dauer wirklich grosse Verschiedenheiten gegenüber der ersten Zuckung darbietet. Zunächst wird man überlegen müssen, welehe Art des Reizes die Erscheinung hervorgerufen, man wird zunächst sein Augenmerk gerade auf das richten müs- sen, was man künstlich in die Sache selbst hineingebracht. Schiff glaubt das Vortheilhafte in der mechanischen Rei- zung darin erkennen zu müssen, dass sie ein schwacher Nervenreiz, ein starker Muskelreiz sei, wogegen indessen zu bemerken sein dürfte, dass ein handfester Hieb mit einem kantigen Instrument, wie man ihn in den letzten Stadien der Erregbarkeit braucht, wohl kaum unter die gelinden Ner- venreize zu zählen sein dürfte. Die Methode der Reizung scheint mir aber gerade den ganzen Schlüssel zu den be- schriebenen Thatsachen zu enthalten. — In der Physiologie hat sich seit langer Zeit der Begriff der Ermüdung einge- bürgert, womit der Zustand eines Organs z. B. eines Mus- kels bezeichnet, in welchen derselbe durch seine zu oft wie- derholte Leistung versetzt wird. Beim Muskel ist es bekannt, dass nicht allein sehr häufige Contractionen, sondern auch andere Einflüsse, wie Dehnungen, Vertrocknung ete. allmälig denselben Zustand herbeiführen, und Niemand wird daran zwei- feln, dass es nichts geeigneteres giebt, um einen Muskel zu Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s, w. 623 ermüden, als dass man ihn mechanisch misshandelt, klopft, \zerrt oder sticht. Die mechanische Reizung besteht offenbar bis jetzt in nichts anderem, vor allen Dingen die, welche zur Erzeugung der Schiff’schen idiomuseulären Contraction die geeignetste ist. Wenn man einen Muskel in seiner gan- zen Länge ein paar Mal mechanisch gereizt hat, so ist es bald aus mit seiner Erregbarkeit, und falls er sich noch con- trahirt, trägt die Bewegung den Charakter eines auf’s Höchste erschöpften Muskels an sich, das Stadium ‘der latenten Rei- zung ist verlängert, das Maximum der Verkürzung verringert und die ganze Zuckungseurve gedehnt. In Uebereinstimmung damit steht es, dass ‘die sogenannte idiomuseuläre Contrac- tion am besten ausgeprägt ist bei bereits ermüdeten Muskeln oder solchen, welche wenig erregbar, längere Zeit nach dem Tode verwendet werden, denn hier dauert sie am längsten, wenngleich die Erhebungen auch nie dieselbe Höhe wie beim frischen Muskel erreichen. Es giebt darum kein besseres Mittel die Wülste bei einem frischen Muskel zur Anschauung zu bringen, bei welchem sie allzu rasch wieder schwinden, als wenn man ihn stark dehnt, womit den gröbsten Anfor- derungen am besten Rechnung zu tragen ist. Was im Allgemeinen bei der geschilderten mechanischen Reizmethode geschieht, wird auch in jedem einzelnen Falle nieht ausbleiben. Bei jedem einzelnen Versuche wird die Reizstelle ermüdet, und daraus erklärt sich das ganze Verhalten derselben. Durch den Druck oder den Schlag wird die contractile Substanz misshandelt oder aus einander getrieben, das Sarkolemm gezerrt, und deshalb wird die hier entstehende Contraction den Charakter der Contraction eines ermüdeten Muskels tragen, später eintreten und länger an- halten. Deshalb ist es schwerer bei einem ganz frischen Muskel dieselbe hervorzurufen, ‘deshalb ist es leichter bei einem erschöpften, leichter, nachdem dieselbe Stelle einige Male demselben Binflusse ausgesetzt war. Die Contraction, welche sich von dort aus fortpflanzt, ist ganz davon zu tren- nen, sie hat ihren Grund in einer leichteren Reizung, welche in der Umgebung des Centrums der stärksten mechanischen 624 W. Kühne: Reizung stattfindet, ja sie kann andererseits sogar ganz ver- mieden werden, wenn der Reiz in einer Weise angebracht wird, dass er die direet getroffene Stelle so trifft, dass sie aus dem continuirlichen Zusammenhange mit den übrigen Strecken der Muskeleylinder herausgerisseu wird. Ist der Muskel in den letzten Stadien seiner Erregbarkeit, so kann die Contraetion der anderen Art deshalb leichter ausbleiben, während sie durch andere Reizmethoden immer noch erzeugt werden kann. Aus allen diesen Gründen ist es nun auch klar, weshalb die Muskeln der kaltblütigen Thiere so sehr viel schwerer die sogenannte idiomuseuläre Contraction zei- gen, obgleich es ihrer contractilen Substanz doch wahrlich nicht an eigner Erregbarkeit mangelt. Die Muskeln der Frösche und Schildkröten zeigen nur bei wirklich barbari- schen Misshandlungen in den letzten Stadien ihrer Erregbar- keit, bei einer Behandlung, welche kaum den Namen des Experiments verdient, eine flüchtige rasch vergehende oder der Starre weichende locale Erhebung auf der Reizstelle, und nur die schrägen Bauchmuskeln der Frösche, welche, mit auffallender Geschwindigkeit vor den anderen Muskeln dieser Thiere ihre Erregbarkeit verlieren, namentlich nachdem sie einigen Reizversuchen ausgesetzt werden, lassen einiger- maassen die idiomusculären Wülste erkennen. Hat man bei allen diesen Versuchen die Muskeln nicht halb zerschmettert, so sieht man dennoch immer dass auch diese Contractionen weiter schreiten, Die Wülste spal- ten sich in zwei Kämme, zwischen ihnen entsteht eine Ver- tiefung, wo der Muskel zur Ruhe zurückgekehrt, und von hier aus schreiten die secundären Wülste sich allmälig ab- lachend langsanı fort. Bei der Reizung mit der stumpfen Nadel wird die Kegelspitze zum Krater, dessen Wülste fort- schreiten. Wälle und Kämme sind aber immer noch wirk- liche Contractionen, da sie dem Nerven des Froschpräparats zu Erregern der secundären Zuckung dienen können. Der zeitliche Verlauf, so wie die übrigen Charaktere der bei der: mechanischen Reizung entstehenden. Contraetionen, Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 625 die streng genommen nicht einmal als rein locale Verkür- zungen aufgefasst werden können, indem die letzteren eigent- lieh nur dem Muskel eigen sind, wenn der Reiz ganz dicht vor dem Verlust der letzten Spur der Erregbarkeit ange- - wendet wurde, berechtigen also, wie wir gesehen, weder zu einer Beweisführung der Muskelirritabilität, noch zur Lehre eines besonderen Beharrungsvermögens der Muskelcontraetion, im Gegensatze zu dem wohl annehmbaren Leitungsvermögen der eontraetilen Substanz. Herr Schiff erscheint aber da- für mit anderen ganz neuen Waffen, gegen welche allerdings ganz anders verfahren werden muss, wie gegen seine Argu- mentationen. Es handelt sich um Thatsachen, welche nur Schiff sehen kann, und um andere, welche nur Schiff ver- schweigen konnte, jedes zu seiner Zeit. Es genügt ihm nicht, die Betrachtung anzustellen, dass die verschiedenen mecha- nischen Reize keine oder nur schwache Nervenreize seien, dagegen kräftige Erreger für die eontractile Substanz, eine Anschauung, gegen welche wir soeben erhebliche Einwände vorbringen konnten, sondern es soll nun auch das Umge- kehrte eintreten, bei anderen Reizmethoden, welehen Schiff eine starke Nervenerregung und einen mangelnden Einfluss für die Muskel zuspricht. Die Erregung auf chemischem Wege scheint ein schleehtes Mittel zur Frzeugung der localen Contraetionen zu sein, und ich muss mit Schiff darin über- einstimmen, dass die Benetzung der äusseren Fläche des Muskels mit einer reizenden Flüssigkeit entweder die Erre- gung nieht rasch genug hervor zu bringen vermag, oder bei dem späteren Durchdringen derselben durch das Sarkolemm Erscheinungen erzeugt, welche nicht leicht von Gerinnung und anderen, der eigentlichen Contraction fremden Vorgän- gen zu trennen sind. Wenn aber Schiff, gestützt auf diese allerdings höchst mangelhafte Methode, sich herbeilässt den Satz auszusprechen, dass nur bestimmte Körper wie z. B. die Alkalien Muskelerreger seien, die Säuren aber nicht, 80 be- dachte er wohl nicht, dass dazu vor allen Dingen ausge- delintere Versuche mit geeigneteren Hülfsmitteln nöthig seien. Von den Säuren sagt Herr Schiff, sie wirkten überhaupt 626 W. Kühne: | untl „mehr: chemisch“, womit in seinem Sinne ihr Unvermögen als Reizmittel bezeichnet sein soll." Ich habe gegen den Ausdruck selbst nichts einzuwenden, muss mir aber die be- scheidene Anfrage erlauben, welchen. Zauber denn Herr Schiff für die erregende Wirkung der Alkalien in Anspruch nimmt? — die nicht anders wie die unendlich verdünnten Säuren von nackten Querschnitten der Muskeln aus Contrac- tion hervorrufen. Wirken diese vielleicht nicht chemisch? Kurz Herr Schiff befindet sich mit. seinen Anschauungen über die chemische Erregung in einem so eigenthümlichen Zustande, dass es begreiflich wird, wie er die enorme rei- zende Wirkung der Säuren gänzlich übersehen konnte. Ein Versuch an dem Sartorius des Frosches hätte ihm leicht zeigen können, dass selbst die tausendfach verdünnte Salzsäure Zuekungen hervorruft, und dass dieser Muskel beim längeren Eintauchen seines oberen den Querschnitt enthal- tenden Endes eine Zeit lang contrahirt bleibt, nachdem die übrige Zuckung des nicht benetzten Theiles beendigt ist. Der Muskel schwillt dabei an und befindet sich anfangs we- nigstens in einer wirklichen Contraction, denn die mit dem Erreger in Berührung gebrachte Stelle. bleibt durchsichtig und kann durch einen sehr viel stärkeren Reiz, z. B. sehr heftige Iuduetionsschläge noch stärker eontrahirt werden, Kurze Zeit darauf folgt der Einwirkung der Säure allerdings die Starre, welche dann endlich dem weiteren lösenden Ein- fAluss der Säure weicht. Ganz ähnlich verhält sich der Mus- kel, wenn statt der Säure ein Alkali angewendet wird, auch hier sind wieder ‘alle die Vorgänge sehr deutlich zu unter- scheiden, welche nach Schiff heissen würden neuromuseu- läre und idiomusculäre Contractionen, Starre und endlich die „mehr chemische“ Wirkung. Ich komme nun schliesslich zu einem der kräftigsten Er- regungsmittel, das wir kennen, nämlich dem elektrischen Strome. Wie schon erwähnt, stellt Schiff die Behauptung auf, dass derselbe ein starker Nervenreiz sei, den Muskel aber gar nicht zu erregen vermöge., Wie unrichtig diese Angabe ist, habe ich oben durch mehrere Versuche gezeigt, Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 697 es bleibt mir hier nur übrig daran zu erinnern, dass das, was Schiff als idiomusculäre Bewegung bezeichnet, recht gut auch durch den elektrischen Strom herbeigeführt werden kann, und ferner darauf aufmerksam zu machen, dass Schiff selbst diese Thatsache seit langer Zeit kennt, aus guten Gründen aber dieselbe bei dieser Gelegenheit in seinem Lehr- buche der Physiologie ganz verschweigt. Von der heimischen Literatur äusserlich entfernt bin ich leider nicht in der Lage, die Originalbeiträge Schiff’s dazu zu liefern, ich finde aber in dem mir zugänglichen Canstatt’schen Jahresberichte vom Jahre 1851, dass Schiff!) die an den beiden Eleetroden entstehenden localen Contraetionen der Muskeln warmblüti- ger Thiere, welche ganz identisch sind mit seiner idiomus- eulären Bewegung, selbst beschrieben hat. Was ihm davon entgangen sein mag, sei hier nachträglich hinzugefügt. Wenn man mittelst feiner Platinelektroden 2 Punkte eines Muskels vom Hund oder irgend welchem anderen warmblü- tigen Thiere mit den Polen einer starken constanten Kette, eines starken Induetionsapparates, sei es bei wechselnden oder gleich gerichteten Inductionsschlägen, in Verbindung setzt, so eontrahirt sieh während der Dauer des Reizes nicht allein der ganze Muskel, sondern es entstehen auch an den den Elektroden entsprechenden Stellen ganz solehe locale Erhebungen, wie bei der mechanischen Reizung, welche von längerer Dauer sind und fortbestehen nach Entfernung der Elektroden. Wer um jeden Preis die Schiff’sche Lehre retten will, wird meinen, dass mit den Elektroden ein me- chanischer Reiz aufgeführt sei, weshalb ich besonders her- vorheben muss, dass dieselben Erscheinungen auch eintreten, wenn die direete Berührung gar nicht stattfindet, sondern wenn nur die Haken der Inductionsschläge auf den Muskel überspringen, wenn ferner die Elektroden nur in lose auf dem Muskel aufliegenden, an feinen Ketten mit einem Ende aufgehängten Steeknadeln bestehen, und dass die local be I) M. Schiff. Ueber die Zusammenziehung der animalischen Muskeln. Froriep's Jahresbericht 1851 No. 300. S. 193—96. 628 W. Kühne: schränkte dauernde Contraction auch unter einem Quecksil- bertropfen entsteht, dessen Kuppe sich mit der Kette in lei- tender, Berührung befindet. Um. bei den Versuchen jeder möglichen Täuschung vorzubeugen, benutzte ich ein Elek- trodenpaar von senkrecht herabhängenden Platindrähten, welche ich an einem Stativ allmälig herabführte bis zur lei- sesten Berührung mit dem Muskel... Die directe Beobachtung zeigte dann leicht, dass bei einiger Vorsicht, da ein starker Druck immer leicht zu vermeiden ist, keine Contractionen entstanden, nicht eher, als bis durch Hinwegräumen einer Nebenschliessung der Strom in den Muskel hereinbreehen konnte. Ich bin überzeugt, dass die eigenthümliche Contrac- tion, welche an den Elektroden entsteht, schon oft gesehen worden wäre, wenn man sich öfter sehr feiner Zuleitungs- spitzen bedient hätte, denn die Entstehung derselben ist auch hier an dieselbe Bedingung geknüpft, wie bei der mechani- schen Reizung, an die Vollführung eines sehr stärken Reizes auf einem kleinen Raume, und an die nothwendig dadurch eintretende Ermüdung des Muskels. Setzt man z. B. die feinen Drahtelektroden so auf den Muskel auf, dass ihre Verbindungslinie der Muskelfaserung parallel liegt, indem nur einige wenige Primitivbündel direet mit denselben in Berührung kommen, so sieht man schon bei ganz mässigen Stromstärken und an ganz frischen Mus- keln Folgendes eintreten. Beim Hereinbrechen des Stromes oder der Inductionsschläge des Schlittenelektromotors con- trabiren sich sofort die unmittelbar getroffenen Primitiybün- del in ihrer ganzen Länge, während gleichzeitig unter den Elektroden 2 kegelförmige Erhöhungen entstehen, welche nach Wegnahme der Elektroden ganz ebenso wieder ver- schwinden, wie bei der mechanischen Reizung. Auf dem Diaphragma des Hundes ist dies leicht zu sehen, wenn die Inductionsrollen zur Hälfte auf einander geschoben werden und 1 Grove'sches Element den Apparat in Bewegung setzt, Ganz ebenso tritt die Erscheinung unter denselben Bedin- gungen ein, wenn die Verbindungslinie die Richtung der Muskelfasern senkrecht schneidet, hier aber mit dem Unter- Untersuchungen über Bewegungen’und Veränderungen u. 3. w. 629 schiede, dass nur die beiden Muskelprimitivbündel sich con- trahiren, ‚welche direct unter den Drahtenden liegen. Gerade hier ist die Ursache sehr leicht zu enträthseln, Die Dichte der Ströme, welehe zwischen den Elektroden liegen, reicht nieht aus um.die Muskeln zu erregen, und daher bleiben alle Fasern, welche zwischen ihnen liegen, in Ruhe. An den kleinen Berührungsflächen der Drähte mit dem Muskel hin- gegen ist die Stromdichte ganz erheblich, da sich dieselbe aber auf ein einziges oder eine ganz geringe Anzahl von Primi- tiybündeln beschränkt, so zucken nur diese, welche folglich als nur local wirksam gereizte Muskeln zu betrachten sind. Die Reizung pflanuzt sich durch ihre ‚ganze Länge fort, sie eontrahiren sich ganz, an den Elektroden aber tritt‘die zweite Bedingung, die Ermüdung durch die grosse Dichte der Ströme ein, und darum erscheint hier eine locale, dauernde, der Ermüdung entsprechende, gesonderte Contraetion. Nimmt man als Elektroden zwei kleine runde Metallscheiben, welche eine grosse Berührungsfläche bilden, so bleibt die letztere Contraetion aus, wenn die Stromstärke bei spitzen Elektro- den gerade hinreichte um die localen Erhebungen hervorzu- rufen, Die Stromdichte ist hier nicht mehr. ausreichend. Vermehrt man die Stromstärke, schiebt man die secundäre Induetionsrolle ganz über die primäre hinüber, so. tritt wieder die locale Contraction ein, diesmal entsprechend der runden Form der Elektroden, als ausgebreitete oben ab- gellachte Erhebung. Aber auch die durch eine quer über den Muskel gezogene Drucklinie entstehenden Wülste können durch elektrische Reizung hervorgebracht werden. Man brauebt nur die Blektrodenspitzen langsam quer, über den Muskel ‚hinüberzuschleifen, um zwei sehr deutliche Wülste entstehen zu sehen, Der Verdacht einer mechanischen Rei- zung kann auch hier leicht eontrollirt werden durch densel- ben Versuch mit abgesperrtem Strome. Am leichtesten ist der Versuch s0 auszuführen, dass man die Enden einer fei- sen Metallkette, welche als Elektroden angebracht sind, lang- sarm über den Muskel hinüber zieht, Jeder einzelne Punkt, mit dem dieselbe den Muskel fortschreitend berührt, ist für Heicherts u, du Bois-Roymond's Archiv. 1859, 41 630 W. Kühne: einen Augenblick Strömen von grosser Dichte ausgesetzt, er ermüdet und in Folge davon prägt sich bei ihm eine locale, dauernde Contraction aus. Viele solche Punkte in einer Linie bilden dann den Wulst. Soll der Wulst hingegen hervorgerufen werden ohne Ver- rückung der Elektroden, durch längere quer über den Mus- kel gelegte Drähte, oder durch die ruhende Metallkette, so müssen die Ströme ganz bedeutend verstärkt werden, dann aber gelingt der Versuch ebenfalls, und die Elektroden kom- men so auf eine wulstige Erhöhung zu liegen. Bei allen diesen Versuchen ist nur der Unterschied von der mechani- schen Reizung, dass die nicht unmittelbar berührten Muskel- strecken länger tetanisirt bleiben, am deutlichsten prägt sieh die Erscheinung darum immer erst nachher aus, wenn die dauernden localen Contractionen gegen den übrigen ru- henden Muskel abstechen. In den späteren Stadien der Erregbarkeit des Muskels müssen die Ströme selbstverständlich verstärkt werden, da- mit Reizerscheinungen eintreten, und diesem Umstande ist es wohl zuzuschreiben, dass Schiff die mechanische Reizung länger wirksam bleiben lässt, als die elektrische. Bis der elektrische Reiz einem kräftigen Stoss oder Hieb äquivalent gesetzt werden kann, müssen die Stromescurven sicherlich bis zu einer bedeutenden Dichte heranwachsen, und es ist darum nicht zu verwundern, dass man zuletzt hart vor dem Verluste der Erregbarkeit 3 und 4 Elemente in den Induc- tionsapparat einschalten muss, wenn man die Erscheinungen in voller Deutlichkeit wahrnehman will. Dann ist es aber interessant zu sehen, wie von beiden Polen aus, auch bei den gleichgerichteten Schlägen der primären Rolle, zwei Con- tractionswellen ausgehen, welche ganz langsam unter dem Sarkolemm hinkriechen. Verbindet eine Muskelfaser die beiden Elektrodenspitzen, so marschirt die Welle zwischen den letzteren etwas rascher als von den Berührungspunkten nach den beiden Enden der Faser hin. Die beiden Wellen begegnen sich etwa in der Mitte, bilden dann eine stärkere Erhebung und schreiten wieder zurück, um auf eine neu an- Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u, s, w. 631 kommende zu stossen. Meist ist die Contraction aber damit beendet, weil nunmehr die Erhebungen stehen bleiben, worauf man einen runzligen starren Muskel vor sich hat. Schiff behauptet in seiner neueren Polemik gegen Wundt, dass er nie gesagt habe, dass der elektrische Reiz nicht so lange wirksam sei als der mechanische, und beruft sich deswegen auf eine Contraction, welche zu allerletzt, wo keinerlei Reiz mehr auf den Muskel wirken sollte, an der negativen Blek- trode entstehe. Wer die Darstellung der Muskellehre in Schiff’s Lehrbuch gelesen hat, wird dieselbe gewiss ganz wie Wundt verstanden haben. Wie soll denn der elektrische Reiz nach Schiff noch wirksam sein können, wenn er doch den Muskel nicht erregen kann, und wenn der intramus- euläre Nerv ganz abgestorben sein soll. Die Zweideutig- keit wird Schiff in diesem Falle nicht ableugnen können. Was aber schliesslich die Vorgänge an den Elektroden einer constanten Kette betrifft, welche der sonst auf keinen, auch auf den mechanischen Reiz nicht mehr reagirende Muskel zeigen soll, so finde ich dieselben höchst begreiflich. Setzt man die Platinelektroden einer Kette von 6 oder 10 Gro- ve’schen Elementen auf einen derartigen starren Muskel auf, so sieht man, wie das Gewebe durch die Elektrolyse an- geätzt wird und wie eine der Elektrodenform "entsprechende Veränderung eintritt. Ich glaube wohl, dass dieselbe an dem negativen Pole etwas anders aussieht, als an dem positiven, dass aber das die letzten Zeichen der durch die an dem negativen Pole ausgeschiedenen Alkalien erregten Muskel- eontraction sein sollen, wird Schiff Niemandem zumuthen wollen zu glauben, der die Sache selbst gesehen hat. Die Erklärung, welche er dafür giebt, ist jedenfalls falsch, da sie sich auf seine ebenso falsche Annahme stützt, dass nur die Alkalien Muskelreize seien, während ich gezeigt habe, dass auch die Säuren zu den kräftigsten Erregern der con- tractilen Substanz gehören. Die Bemerkung, dass die in Rede stehende Erscheinung nur von der Elektrolyse, nicht von dem Strome selbst herrühre, wobei Alkali am negativen Pole ausgeschieden werde, hätte Schiff sich sparen können, 41* 632. W. Kühne: denn was weiss er denn davon, ob nicht überhaupt die Elek- trolyse bei jeder Erregung des Nerven oder Muskels mit- spielt. Wer will diese Vorgänge trennen? Wären Nerv und Muskel keine Elektrolyten, so würden sie wahrlich nicht jene Masse von interessanten Phänomene darbieten können. Die chemische Reizung steckt sicherlich in der elektrischen ver- borgen. Bei alledem soll aber nicht geleugnet werden, dass der Muskel beim Absterben nicht mehr auf ganz dieselben Reize_zu reagiren vermag, wie im frischen Zustande, und ich selbst kann bestätigen, dass es in den letzten Stadien der Erregbarkeit vorkommen kann, dass nur noch von einem Pole eine Contraetionswelle ausgeht, oder dass nur an einem Pole eine recht deutliche locale Erhebung entsteht. Die Beobachtung ist nicht neu, und nicht allein von Schiff, sondern auch von Vulpian mitgetheilt worden, und Alles, was ich derselben hinzufügen kann, besteht darin, dass die Erscheinung nur selten in voller Deutlichkeit zur Wahrneh- mung kommt. Sie beweist im günstigsten Falle immer nur, dass die Producte der elektrolytischen Zersetzung der con- tractilen Substanz nicht alle in jeder Zeit die gleiche erre- gende Wirkung haben, und es wäre denkbar, dass diejenigen an der negativen Elektrode zu einer Zeit noch wirksam sein können, wo die an der positiven es nicht mehr sind. ’ Wir erwähnten oben schon, dass die Dauer der Erreg- barkeit eines Muskels von so ausserordentlicher Verschieden- heit sei. Es kommt viel darauf an, wie man sich dessen versichert. Hält man mit Schiff die Wirkung der Galle z. B. nur für eine Contraction, so ist auch ein halb zer- flossener, fauler und mit Vibrionen bedeekter Muskel noch reizbar, da an solchen durch Galle und die gallensauren Salze immer noch jene auffallenden Gestaltveränderungen, welche ich an einem anderen Orte beschrieben habe, hervor- gebracht werden können. Nennt man mit Schiff die Wärme- starre der Muskeln eine Contraction, so geräth man in ganz dieselbe Lage, wie unten ausführlich gezeigt werden soll. Vorzuziehen dürfte es sein, die bei der kräftigen mechani- - P 7 Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 633 schen oder elektrischen Reizung auftretenden localen, wenn auch in Starre übergehenden Contraetionen für den Ausdruck der letzten Spur der Erregbarkeit zu nehmen, wobei man sich indessen immerhin vor Täuschungen zu hüten hat, da bei einem ziemlich faulen und weichen Muskel der Schlag mit einem kantigen Instrument wohl eine Vertiefung erzeugt, dennoch aber beim Abreissen des Instruments die klebrige Muskelmasse in die Höhe gezogen werden kann, wodurch immerhin der Anschein eines Wulstes möglich wird.!) Bis hierher glauben wir gezeigt zu haben, dass die Idee Schiff’s, die Muskelirritabilität und den Mangel des Lei- tungsvermögens der Muskelsubstanz aus der Unwirksamkeit der elektrischen Reizung zu beweisen, als total verfehlt an- gesehen werden muss, da erstens die Meinung von der Un- wirksamkeit des elektrischen Reizes ganz falsch ist, und da zweitens gerade die idiomuseuläre Contraction Schiff’s auch durch dieses Mittel erzeugt werden kann. Die eigenen Waffen fallen also auf ihn zurück, und die localen Contractionen haben sich hier wiederum als Folgen der Ueberreizung oder der Ermüdung gezeigt, aus welchem Grunde man sich auch vergeblich bemühen wird, an den frischen Muskeln kaltblü- tiger Thiere, die nicht so leicht zu erschöpfen sind, etwas Aehnliches hervorzubringen. Da Schiff seine Lehre für vollkommen gesichert hält, so steht er auch nicht an, auf Grund derselben für andere Dinge Schlüsse zu ziehen. Weil ein mit Curara vergifteter Muskel z. B. nicht nur idiomuseuläre Contractionen oder lo- eale Erhebungen zeigt, sondern auch über die Reizstelle hin- aus zuckt, deshalb affieirt nach Schiff dieses Gift die letz- ten Nervenenden nicht. Weil bei gewissen anderen Giften der Muskel keine ausgebreiteten Zuckungen mehr zeigt, wir- 1) Nur so würde sich vielleicht die Angabe von Funke erklären - lassen, der die idiomusculären Wülste an den Muskeln eines Hinge- riehfeten noch 24 Stunden nach der Execution erzeugt haben will. Gleichwohl wäre es denkbar, dass in diesem Falle die Muskeln bei einer sehr niederen Temperatur so lange vor der Starre geschützt worden seien, worüber indessen nichts Näheres angegeben ist, 634 W. Kühne: ken diese auf die intramuseulären Nerven und nicht auf die Muskeln. Sehen wir, wie weit die letzteren T'hatsachen sei- ner Lehre hülfreich sein können. Cl. Bernard war der Erste, welcher in dem Schwefel- eyankalium eine Substanz kennen lehrte, welche die Reihe der Gifte zu vervollständigen schien, indem dasselbe durch seine ganz besondere Wirkung auf den Muskel, auf die con- tractile Substanz selbst auffallen musste. Seitdem sind durch die Arbeiten Kölliker’s und Pelikan’s noch andere Gifte bekannt geworden, welche eine ganz ähnliche Wirkungsweise zu haben scheinen, nämlich das Veratrin und das Upas an- tiar, so dass wir jetzt eine Reihe von Körpern besitzen, welche denselben specifischen Einfluss auf die contractile Substanz theilen, und welche von dem höchsten Interesse für die Kenntniss des Vorganges bei der Muskelcontrac- tion sind. Keines dieser Gifte empfiehlt sich so sehr zu genaueren Versuchen, wie das Rhodankalium. Es ist leicht löslich und kann durch seine auffallende Reaction mit Eisensalzen so leicht erkannt werden, dass es überall wieder zu finden ist. Zunächst lag es nahe, die örtliche Einwirkung desselben auf den Nerven oder auf den Muskel zu studiren, und dabei zeigte sich sehr bald, dass von einer hervorstechenden Wir- kung anf die Nerven nicht die Rede sein kann, wie man nach Schiff’s Angaben hätte glauben sollen. Taucht man den Ischiadicus eines präparirten Froschschenkels in concen- trirte Lösungen des Salzes ein, so zuckt der Schenkel aller- dings und der Nerv verliert an der eingetauchten Stelle mit der Zeit seine Erregbarkeit. Viel auffallender ist aber die Einwirkung der Lösung auf den Muskel. Ein isolirter Sar- torius zuckt sofort heftig, wenn sein Querschnitt damit in Berührung kommt, und beim Benetzen des ganzen Muskels zieht sich dieser augenblicklich sehr stark zusammen, wird weiss, undurchsichtig und hart, und hat nun für immer seine Erregbarkeit eingebüsst. Versuche mit titrirten Lösungen des Salzes haben mir ferner gezeigt, dass der Nerv mit Sicherheit nur noch durch eine Lösung von 2% erregt wer- Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 635 den kann, und dass die äusserste Grenze, bei welcher vom Nerven aus noch Zuckungen entstehen, einem Gehalte von 1% entspricht. Verdünntere Lösungen wirken nicht mehr, obgleich der Nerv, aber nach längerer Zeit, darin abstirbt. Alle Lösungen des Salzes bis zu der letzteren Verdünnung hinab erregen aber den Muskel von seinem Querschnitte aus zu den heftigsten Zuckungen, für diesen besteht die äusserste Grenze in der Verdünnuug bis auf 0,4 und 0,3 %, welche letz- tere Lösungen aber immer noch sehr rasch die Starre her- beiführen, wenn sie in grösserer Ausdehnung den Muskel umspülen. Durch den Eintritt dieser Starre ist die Erreg- barkeit fast augenblicklich vernichtet, und man kann nicht besser die specifische örtliche Wirkung des Rhodankaliums beobachten, als wenn man zur Controle nach Kölliker’s Vorschlag einen anderen Muskel in eine ebenso verdünnte Kochsalzlösung legt. Der letztere bleibt noch stundenlang erregbar, während der erstere schon nach 2 bis 3 Minuten nicht mehr auf die heftigsten Inductionsschläge. reagirt. Ein anderer Versuch ist geeignet, um die starke Wirkung des Rhodankaliums auf den Muskel und die geringe Wirkung auf den intramusculären Nerven zu zeigen. Ich hänge einen Sartorius vom Frosch, dessen Nerv mit dem ganzen Muskel isolirt ist, an seinem oberen, kurzen, sehnigen Ur- sprunge auf, und benetze den bis an die Nerveneintrittsstelle mit seinem unteren Ende auf einer Glasplatte ruhenden Muskel mit einer verdünnten Lösung des Salzes. Zu Anfang zuckt der Muskel, später aber wird er starr, und auch an den Stellen, wohin das Gift nur dureh Imbibition langsam emporklettern konnte. Man erreicht so leicht einen Moment, wo nur noch ein kurzes erregbares Muskelstück übrig bleibt, zu welchem der intramusculäre Nerv nur durch ein längeres, schon starres Stück hingelangen kann, Nichts desto weniger zuckt aber dieser Theil des Muskels noch, wenn man den herauspräparirten Sartoriusnerven auf irgend welche Art reizt, der ganze intramusculäre Nerv, welcher in dem abge- storbenen Muskel lag, musste also noch erregbar sein, da er den Reiz fortleitete, Erreicht die Starre aber schliesslich 636 w. Kühne: auch das Endstück des Muskels, bis dahin, wo die Nerven ihr letztes Ziel erreicht haben, so bewirkt die Nervenreizung keine Contraetionen mehr, da eben der Muskel dort, wo der Nerv den Reiz übertragen sollte, nicht im Stande ist 'zu zucken. Das letzte nervenlose Endstück, das noch nicht mit dem Gift durchtränkt ist, zuckt dann aber bei direeter Rei- zung noch recht gut. ‘ Bei der Vergiftung eines lebendigen Thieres' treten ganz analoge Umstände ein. Wie Setchenow gezeigt hät, ist es namentlich in Hinsicht des Einflusses auf die Herzbewegung nicht ganz gleichgültig, ob man dem lebenden Frosch das Gift in den Magen bringt, oder unter die Lymphräume der Haut. Auch für die Muskeln giebt es derartige Unterschiede, indem das Gift von der Hautwunde aus, wie es scheint, leichter resorbirt wird, theils aber auch unter der Rücken- haut weiter herabsinkt, und ohne Vermittlung der Bluteireu- lation direet in die Lymphräume der Schenkel gelangt.‘ Inr Grunde ist aber der Erfolg der Vergiftung immer derselbe. Die Muskeln verlieren sehr rasch ihre Erregbarkeit und wer- den schon zu einer Zeit theilweise starr, während die Ner+ ven noch erregbar sind. Was Pelikan gezeigt hat, dass das Rhodankalium tetanische Convulsionen vom Rückenmark aus erzeugt, und dass es nach einiger Zeit auch die moto- rischen Nerven vom Cerebrospinalcentrum nach ‘der. Peri- pherie fortschreitend lähmt, kann ich bestätigen. ‘Man findet häufig ein Stadium, wo alle Oberschenkel-Muskeln schon starr sind, während der Gastroknemius seine Erregbarkeit noch nicht verloren hat. In diesem Falle bewirkt in der Regel die heftigste Reizung des Plexus ischiadieus keine Contractionen mehr, während der Schenkelnerv weiter un- ten, da wo er mitten in starren Muskelmassen eingebettet liegt, noch erregbar ist, und selbst bei mässiger Reizung die Wade zum Tetanus bringt. Es ist dabei gleich, ob der Frosch von einer Hautwunde oder vom Magen aus ver- giftet wurde. Beobachtet man die vergifteten Muskeln etwas näher, so findet man, dass sie alle ihr Aussehen so verändert ha- Untersuchungen über Bewegungen 'und Veränderungen u. s. w. 637 ben, wie wenn man sie im die Lösung direct eingetaucht hätte. Ich habe sogar häufig den Fall eintreten sehen, wel- cher ganz analog dem vorhin erwähnten Experimente mit der partiellen Eintauchung ist, dass der Sartorius nur an einem Ende noch reizbar war und zwar so, dass dieses Stück beim’ Durchschneiden seines Nerven zuckte. Wie die gemeine Todtenstarre schreitet auch die durch das Schwefel- eyankalium entstehende Starre von oben nach unten fort. Die Sache ist’hier in Folge davon umgekehrt, der Sartorius stirbt zuerst an seinem oberen breiten Ende ab, während das untere spitze Stück noch erregbar bleiben kann, und so kann es auch hier kommen, dass der intramusculäre Nerv erst dureh einen theilweise starren: Muskel hindurchläuft, und dennoch den Reiz an ein gesundes Stück liefern kann. Bei diesem Sachverhalte und bei dem nachweisbaren spä- teren Absterben der .Nervenstämme, von oben nach unten zu, ist also gar kein Grund vorhanden anzunehmen, dass dieses Gift speeifisch auf die intramusculären Nerven wirke. Dass dasselbe hingegen gerade auf die contractile Substanz selbst wirkt, ist unzweifelhaft und es ist unerklärlich, wie Schiff dies hat verkennen und sogar leugnen können. Zur Zeit, wo der Muskel sich dicht vor der Starre befindet, zeigt er in seiner Oontraetion die Erscheinungen eines äusserst ermüdeten oder misshandelten Muskels, so wie die Sartorii gesunder Frösche z.B. bei jeder Art der Reizung, der elek- frischen oder chemischen, sehr schöne, nicht über ihre ganze Länge verlaufende Contractionen darbieten, ‘wenn’ sie lange dem Blutkreislauf entzogen und der Starre oder dem Ver- luste der Erregbarkeit nahe sind. Genau dasselbe sieht man bei der Rhodankaliumvergiftung auch, nur geschieht hier in wenigen Stunden, was sonst in Tagen und Wochen vor sich gehen kann; kurz vor dem Eintritt der Starre eontrahiren sich die Muskeln nicht mehr in ihrer ganzen Länge, obgleich alle einzelnen Stellen noch reizbar sein können, Schiff ist aber sehr im Irrthum, wenn er behauptet, dass solche Mus- keln sich nun nicht mehr auf den elektrischen Reiz eontra- hirten, sondern nur noch auf den chemischen’ oder mecha- 638 W. Kühne: nischen. Ich habe nie einen vergifteten Sartorius gesehen, der, wenn er sich durch die mechanische Reizung oder durch Benetzen mit Kali contrahirte, bei irgend einer Art der elek- trischen Erregung in Ruhe blieb. Auch bei gleichgerichteten Strömen ging von jeder Elektrode ein Contractionswulst aus, und umgekehrt konnte ich an Muskeln, welche auf den elek- trischen Reiz nicht reagirten, keine Spur von Verkürzung mehr wahrnehmen, wenn ich sie in Kali oder irgend ein an- deres chemisches Reizmittel tauchte, trotz der gewissenhaf- testen Beobachtung der frei aufgehängten, vorher und nach- ber nach Millimetern gemessenen Muskeln. Wie bei allen ermüdeten und misshandelten Muskeln hält aber die eiumal eingetretene Contraetion längere Zeit an, und geht zuletzt direct in Starre über, wobei die alkalische Muskelreaction plötzlich in die saure übergeht, Wie die Folgen der Vergiftung soeben von den Kaltblü- tern geschildert sind, eben so gehen dieselben auch bei warm- blütigen Thieren vor sich. Es ist immer genau so, wie bei einem auf gewaltsamem Wege getödteten Thiere, mit dem Unterschiede, dass der Verlust der Erregbarkeit, und die Starre rascher eintreten. Auch bei dem Hunde, dem Ka- ninchen und bei Katzen habe ich nie den Zeitpunkt sehen können, wo nach Schiff die elektrische Reizung ihre Wir- kung ganz verlieren soll, während mechanische und chemische Beleidigungen deutliche Contractionen zu Folge haben. Das einzige Besondere, das ich in. der Rhodankaliumyergiftung sehen kann, besteht in dem raschen Eintritt der Starre und der ausserordentlichen Beschleunigung, welche dieselbe noch erfährt, wenn der Muskel gereizt wird, namentlich wenn man ihn irgendwo durchschneidet. Isolirte Sartorii von demselben Frosche zeigten diesen Unterschied sehr auffallend, wenn der eine ruhig liegen blieb und an dem anderen ein Querschnitt an- gelegt wurde, Der letztere verlor dann bisweilen schon nach einer halben Minute seine Erregbarkeit, während der andere nach 10 und 15 Minuten den Reiz noch mit Zuckungen be- antwortete, Genug, das Rhodankalium wirkt gerade auf die contractile Substanz selbst und begünstigt deshalb das, was Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. 8. w. 639 Sehiff idiomusculäre Contraction nennt, nämlich die Art der Muskelcontraction, welche der Ermüdung eigen ist. Von dem Upas antiar und dem Veratrin, das Schiff in seinem Sinne für ebenso wirkend hält, wie das Schwefel- eyankalium, kann ich dasselbe aussagen. Beide wirken, wie auch Kölliker und Pelikan richtig angeben, auf die con- traetile Substanz. Das Upas antiar, dessen ich mich be- diente, musste unzweifelhaft dasselbe Gift sein, welches die genannten Forscher benutzten. In der Wirkungsweise dieser an sehr schlanken, dünnen Pfeilen heftenden Substanz, die ich der Güte des Herrn Claude Bernard verdanke, wel- chem ein gefüllter Köcher durch Herrn Boussingault vom Orinoco mitgebracht wurde, fand ich gar keinen Unterschied. Die Muskeln wurden rasch unerregbar, sauer und starr. Damit wäre nun auch die letzte Stütze gefallen, durch welche Schiff seine Ansichten zu halten gedachte. Sollte er beweisen können, dass die angeführten Muskelgifte vor- her die letzten intramusculären Nervenspitzen auch lähmen, so würde für ihn nichts gewonnen sein, da auch so weit veränderte Muskeln, wenn auch beschränkte, so doch nieht ganz absolut locale Contractionen erkennen lassen. Bei weit vorgeschrittener Veränderung der contractilen Sub- stanz ist es begreiflich, dass auch der ganz gesunde Nerv nicht mehr auf sie zu wirken vermag, obwohl sehr. heftige directe Reizungen auch Bewegungen hervorrufen können, denn der stärkste Reiz, den der erregte Nerv dem Muskel zuleitet, wird kaum je dem künstlichen mechanischen Reiz, oder den elektrischen Strömen von ausserordentlicher Dichte an Mächtigkeit gleichkommen. Schiff wird selbst die Be- obachtung gemacht haben, dass das Fortschreiten der Con- traction von der Reizstelle bei directer Muskelreizung noch stattfindet, wenn er mittelst des Nervenstammes ausserhalb des Muskels keine Contractionen mehr bewirken konnte, und da die fortgepflanzte Contraction bei der directen localen Er- regung für ihn neuromusculär ist, so wird er nicht schlies- sen dürfen, dass das Rhodankalium oder das Upas antiar und das Veratrin specifisch auf die Nervenenden wirken, 640 W. Kühne: wenn es einmal nicht gelingen sollte, die stark vergifteten Mus- keln von ifrem Nerven aus zum Zucken zu- bringen, denn nach seinen eigenen Angaben kann dies nichts beweisen. Die Lehre von der Muskelbewegung dürfte nach‘ dem Gesagten also kaum in das Schiff’sche Modell hinein zu zwängen sein. Viel eher wäre es denkbar, dass die von Ludwig beschriebenen localen, andauernden Contractionen an den platten Muskeln der Därme und des Magens eine passende Stütze für die Muskelirritabilität liefern könnten, wenngleich der Entdecker dieser Thatsache zu vorsichtig war, dies selbst durchzuführen. Offenbar liegt die Idee Lud- wig’s den Anschauungen Schiff’s zu Grunde, der Letztere hätte aber nur daran denken sollen, dass bei den glat- ten Muskeln kein continuirlicher Zusammenhang der con- tractilen Substanz existirt, und dass dort sehr 'wöhl die Ner- ven als einzige Vermittler der Fortpflanzung für die’ Con- traction angesehen werden können. Was schliesslich‘ noch die Beobachtungen Schiff’s betrifft über die Contraetilität der Herz- und ‚Darmmuskeln während jener Zeiträume, in welchen nach ihm die Nerven nicht erregbar sein sollen, so verweise ich nur auf den letzten Experimentalbeitrag Pflü- ger’s zur Physiologie der Hemmungsnerven, wo gezeigt ist, wie auch auf diesem Felde Schiff wieder nicht das Rich- tige getroffen und das Unrichtige gesehen hat. Da ich die Pflüger’schen Versuche aus eigener Anschauung durehweg bestätigen kann, so weiss ich auch nicht einen einzigen Anker mehr, an welchem sich die Lehre halten könnte, welche der von mir versuchten Darstellung der Reizbarkeit und Lei- tungsfähigkeit der contractilen Substanz’ zu widersprechen strebt. (Fortsetzung folgt.) Untersuchungen über Bewegungen und, Veränderungen u. s. w. 641 Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. Fig: 6. Erklärung der Abbildungen. Zwei Müskelprimitivbündel vom, Froseli, frisch, ohne Deck- gläschen gesehen. — n. Der Nerv. t.t.t. Theilungsstellen des Nerven. ‘e. Endigung des Nerven am Sarkolemm. 2.7. zweifelhafte peripherische Endigungen .des Nerven. b. blasse Fasern des Bindegewebes. k. Körnchenreihen (Kölliker). Ein Muskelprimitivbündel von Hydrophilus piceus, frisch und noch erregbar. a. a. breite Querstreifen in a‘ Andeutungen der einzelnen Disdiaklasten. b. Eine Contractionswelle, welche in der Richtung des Pfeiles' über den Muskel hin- läuft. e. Schwache Längsstreifen ; ‘welehe in jedem noch zuckenden Muskel sichtbar sind. d. Todtenstarre Stelle. Querstreifen sehr dieht und die Zwischensubstanz dunkel und trübe. Stück eines Muskels von Hydrophilus piceus, frisch und ohne Druck gesehen. a. a. Vacuolen, welche zum Theil oberfläch- lich zwischen der contractilen Substanz und dem Sarkolemm liegen, wie in a’ oder tief wie in a nach der Axe zu. Muskelprimitivbündel vom Frosch, frisch und noch zuckend gesehen. a.b. zwei dünne Bündel, mit schwachen Längs- u. Querstreifen. k.k. Körnchenreihen (Kölliker).t.t.t. Tod- tenstarre Stellen, welche sich scharf von der übrigen Masse abgrenzen, in S. eine Verletzung, gleichfalls mit einer todten- starren Stelle. c. Dickeres Primitivbündel. t. 'Todtenstarre Stelle, in d. ist die Muskelsubstanz durch Wasser wieder er- weicht und aus einander gequollen. Stück aus dem Schenkelnerven von Hydrophilus piceus. a. Gerinnungsformen des Markes. b. Scheide mit Kernen. ©. e.c,c. Einzelne Primitivfasern. d.d.d.d. Aus Theilungen hervorgegangene secundäre Nervenfasern. 't t. T’racheen. Stück eines Muskelprimitivbündels von Hydrophilus; ‚a. Lap- piger Anhang, Rest eines eintretenden Nerven, k.k. Kör- nerreihen dicht unter dem Sarkolemm. ‚m. eine Körnerreilie in der Axe des Muskelrohrs. B. Muskel mit eintretendem Nerven n. t.t. zwei secundäre Nervenröhren. 1. Ansatzstelle des Nerven am Müskel. k. k. Körnerreihen. ©. D, zwei andere Primitivbündel mit eintretenden Nerven 2.0. #. a. Kerne ‚an der Eintrittsstelle, an ‚dem Uebergang des Neurilemms in das Sarkolemm,. k.k. Körnerreihen. b. Anastomose zwischen den Körnerreihen. g. Granulöse Substanz an der Eintrittsstelle des Axeneylinders, r, Aus Jem Primitivbündel hervortretende Körnerreihe. Fig. 7. Muskelstück, von Hydrophilus, mit, antretendem Nerven n. 642 Julius Budge: Der Muskel ist todtenstarr und darum undurchsichtig und trübe. k.k. die veränderten und stark gepressten Körnerreihen. Fig. 8. Muskel von Hydrophilus ganz kurze Zeit mit HCl vou 0,1% behandelt. a.d. Sarkolemm. b. die ungemein durchsichtige eontractile Substanz mit einer schwachen Andeutung der Querstreifen. c. die etwas veränderten Körnerreihen. Fig. 9. Muskeln aus der Froschzunge. Eine Stammfaser mit Thei- lungen. a. Die scheibenförmig über einander geschichteten Körner in der Axe. b.b. Eben solche Körner in den Ver- zweigungen. Fig. 10. Muskel von Hydrophilus. n. Eine Nervenprimitivfaser mit zwei secundären Nerven t.t. k.k. Die Körnerreihen in der con- tractilen Substanz. S.S. Todtenstarre zerklüftete Stelle des Muskels. 1.1. Eintrittsstelle des Nerven in den Muskel. z. wahrscheinlicher Zusammenhang des Axencylinders mit der centralen Körnerreihe. d.d. Durch die Todtenstarre verdrückte Körner, Ueber den Verlauf der Gallengänge Von JuLıus BUDGE, Professor in Greifswald. (Hierzu 8 Abbildungen.) Vor wenigen Jahren ist eine sehr genaue Untersuchung über den Verlauf der Gallengänge in der Leber von Herrn Beale!) erschienen, welche sich des allgemeinen Beifalls erfreute und es hatte den Anschein, als ob dieser vielfach untersuchte Gegenstand nun zum Abschlusse gekommen sei. — Das wichtigste Resultat dieser Arbeit besteht darin, dass die Gallengänge, welche bis zu einem gewissen Grade sich verengert hätten, dann wieder weiter würden, und die Le- berzellen in sich aufnähmen, wie dies z.B. aus der 28. Figur 1) On the ultimate arrangement of the biliary ducts and on some other points in the anatomy of the liver of vertebrate animals, By Dr. L. S. Beale in Philos. Transact. 1856. Vol. 146. p. 375. Ueber den Verlauf der Gallengänge. 643 der 15. Tafel hervorgeht, welche in meiner 1. Figur treu wiedergegeben ist. Sie stellt in 2löfacher Vergrösserung das zellenhaltende Netzwerk einer Fettleber vom Schweine dar. Der kleine Gallengang a giebt engere Zweige b ab, welche nur "/z900.” Durchmesser haben. Diese erweitern sich- zu 4 bis 5 Mal weiteren Röhren c des Leberzellennetzes (cell- eontaining network). Hiernach wären also die Leberzellen in ähnlicher Weise in die Gallengänge eingebettet, wie die Zellen sich auf der Innenwand der Membrana propria der Harn- und Samencanälchen finden. Die Gallengänge würden sich aber, abgesehen von ihrem Verlaufe, dadurch von den anderen Canälen genannter Art unterscheiden, dass sie nicht an allen Stellen Zellen trügen, sondern nur in ihrer letzten Ausbreitung. Diese Annahme nähert sich am meisten derjenigen, welche von Herrn Baker (Schröder van der Kolk) herrührt und die sich dann wieder der Krukenberg-Theile’schen anschliesst. Ich habe die Beobachtungen des Herrn Beale mit gros- ser Sorgfalt wiederholt und bin zu Resultaten gelangt, welche mit denen des englischen Forschers nicht völlig überein- stimmen, welche ich aber um so mehr der Veröffentlichung werth halte, als ich’ bei meinen zahlreichen Untersuchungen Präparate gewann, welche mit denen, von Herrn Beale dar- gestellten vollends übereinstimmten. Hierdurch ist mir die Differenz dieser Ansichten vollkommen klar geworden. Dass derartige Beobachtungen nur an gut gelungenen feinen Injeetionen gemacht werden können, versteht sich von selbst. Unter den verschiedenen, welche ich versucht habe, that mir keine bessere Dienste, als die gelbe, welche genau nach der Vorschrift bereitet und angewandt wurde, welche in dem Werke von Herrn Harting angegeben ist. Wenig- stens habe ich von Lebern, welche mit dieser Masse einge- spritzt waren, befriedigendere Präparate bekommen, als wenn 1) P. Harting, das Mikroskop, übers. v. Theile, Braunschw., 1859, S, 412, 644 T Julius Budge: ich die blaue oder rothe gebrauchte, welche übrigens be- kanntlich auch ganz vortrefflich sind. Ich will die Vorschrift der Bereitung der gelben und blauen Masse aus dem Har- ting’schen Werke hier wiedergeben. Um .die gelbe zu, be- reiten, hat man in 2 Flaschen folgende 2 Mischungen vor- räthig: 1) 43 1), 8 essigsaures Blei in soviel Wasser! ge- löst, dass das Ganze einem Volumen von 163 Wasser ent- spricht; 2) 25 13 und 28 Gr. chromsaures Kali in soviel Wasser gelöst, dass das Ganze ein Volumen von 425 Wasser erreicht. — Man löse nun vollkommen reinen, durchsichtigen Leim zuerst 1 auf 4 Theile Wasser allmälig, nicht bei Koch- hitze, auf, und setze noch eine gleich grosse Menge warmes Wasser zu. In einer Maassflasche werden nun auf 1 Volumen der Lösung 1) (von essigsaurem Blei) 2 Volumina der Lösung 2) (von. chromsaurem Kali) gemessen, beide recht stark‘ mit einem Glasstabe unter einander gerührt und dann rasch in ein Gefäss, in welches 2 Volumina der Leimlösung abge- messen worden sind, gegossen und umgerührt.. Damit das- selbe nicht erkalte, lasse ich es in einem warmes Wasser enthaltenden Becken über Feuer stehen, um es von hier aus in die Spritze aufzunehmen und in die bereits eingebundenen Canüle: einzuspritzen. — Auch die Leber liegt in warmem Wasser. Dass der Druck mit der Spritze nicht''zu gering und nieht zu stark werde, muss: män durch Uebung lernen, Die blaue Masse besteht aus: 1) 3'/; 3. schwefelsaurem Eisenoxydul, gelöst in 20—25 5 Wasser, bei mässiger Wärme unter Zusatz von 4°/,3 Schwefelsäure von 1,85 sp. G. und unter Zufügung. der erforderlichen Menge von Salpetersäure in das Oxydsalz umgewandelt, dann»aber setzt man noch so viel Wasser hinzu, dass das Ganze das Volumen von: 40,5 Wasser erreicht, aus 2) 35 6°/, 5 Ferrocyankalium in Wasser gelöst, bis das Ganze ein Volumen von 805 Wasser erreicht. Die Art der Vermischung ist analog der gelben. Vorherige sorgfältige Unterbindung der Gallenblase verhindert, ‚dass sich dieselbe nieht bis zur grössten Spannung füllt, Hauptsächlich habe ich Lebern vom Kalbe, Hammel, Ka- ninchen benutzt. Obwohl ich sehr schön gelungene Injeetionen Ueber den»Verlauf der Gallengänge. 645 von Kaninchenlebern erhielt, so sah ich doch die Masse nicht bis in die feinsten Gänge gelangen, wie'das bei den anderen der Fall war. Mit Recht bemerkt Herr Gerlach (Gewebelehre $. 334), dass in. den Gallengängen von Schäaafen sehr häufig Distomen vorkommen, ‚welehe die In- jeetion vollständig hindern. ‘Wo diese jedoch nicht vorkom- men, eignen sich Hammellebern ebenso wie die von Kälbern sehr gut, Herr Beale empfiehlt vor der Injeetion (der Gal- lengänge zuvor Wasser in die Pfortader einzuspritzen und dann die Leber einem mässigen Drucke auszusetzen, um die in den Gallengängen befindliche Galle. zu entleeren. | ‚Bei Wiederholung dieses Verfahrens habe ielı-gleichfalls gesehen, dass die Galle entleert wird, bingegen sind mir bei der nach- herigen Injeetion der Gallengänge leichter Extravasate vor- gekommen und ich habe diese Methode: wieder verlassen. Hingegen habe ich es sehr zweckmässig gefunden, zuerst die Vena portarum einzuspritzen, wozu ieh mich gewöhnlich der blauen Masse bediente. Sie ist so fein, dass sie sehr häufig auch das Lebervenensystem mit füllt: Bei der dann folgenden Injeetion durch den Ductus choledochus kommen Extravasate aus den Gallengefässen nicht so leicht vor, als wenu die Blütgefässe vorher nicht injieirt waren; während ich sonst bei etwas verstärktem Drucke mehrmals auch ‚einen Vebergang in’ die Venen beobachtete, Herr Beale (9.382 und 383) giebt dagegen an, dass:die Membranen, ‚welche das Leberzellennetzwerk umhüllen, beil'nieht fötalen Lebern grösstentheils mit den Capillargefässen des Blutes verwach- sen (ineorporated) seien, dass dieselben zwar das Wasser nach beiden Richtungen durchliessen,'d. h. von den Gallen- gängen nach den Gefässen und umgekehrt, dass jedoch keine Ruptor stattgefunden hätte, wie eine nachherige Injection er- gab. Obgleich ich diese Sicherheit der Injection, wie ger sagt, nicht anerkennen kann, so beweist doch diese Angabe Beale’s, dass Extravasate in den Venen bei gehöriger Vor- sieht leicht zu vermeiden sind.‘ Man darf mit blossem Auge die Gallengefüsse nar am Rande der sog. Lieberläppehen schen, erscheint die gelbe Färbung im Inneren, so kann man Reichert» u du Bols-Reymond's Archiv. 1859. 42 646 Julius Budger / auf Extravasat rechnen. In Fig. 2, ist ein getreues Bild einer Kaninchenleber, bei welcher bloss: die Gallengänge injieirt waren. Die zu mikroskopischen Untersuchungen ‘gebrauchten Schnitte kann man aus frischen und aus erhärteten Lebern gewinnen. Obwohl die letzteren, sie mögen mit Alkohol und dann mit Natron oder Chromsäure behandelt sein, feiner werden können, so habe’ich doch erstere besser gefunden, wenn sie eben dünn genug ausgefallen sind, was mitunter sehr gut gelingt. Solche Schnitte habe ich mit verschiedenen Mitteln behandelt und natürlich auch ohne Weiteres geprüft. Sehr gute Hülfe leistet die concentrirte Schwefelsäure. ı Wenn man zuerst einen recht feinen Schnitt untersucht hat, bringt man einen oder zwei Tropfen concentrirte Schwefelsäure auf denselben, nachdem man ‘das Deckgläschen abgehoben und die Feuchtigkeit abgewischt hat. Hierdurch verschwinden die Leberzellen fast ganz, ihre Umgrenzungen sind eben an- gedeutet und es bleiben nur ihre‘ Kerne übrig. Hingegen erkennt man den gelben und blauen Farbestoff vollkommen gut, und man kann leichter die Verbreitung der. frischen Zellencanäle verfolgen, Man hat nebenbei, indem man nicht injieirte Lebern unter- sucht, Gelegenheit, auch das Verhältniss der Kerne kennen zu lernen. Ich finde alle die Angaben des Herrn. Beale hierüber vollkommen bestätigt. Er sagt, dass bei Embryonen die Zellen sehr gewöhnlich 2,-selbst mehr, bis 6 Kerne, bei erwachsenen Thieren meist nur 1 Kern. enthalten. Indess ist doch eine sehr grosse Menge von Zellen bei erwachsenen Menschen und ausgewachsenen Kaninchen mit 2 Kernen ver- sehen, so dass ich z. B. in einem vorliegenden Präparate von der Leber eines erwachsenen Mannes auf 6—8 Zellen mit 1 Kerne, eine Zelle mit 2 Kernen schätze. . Es mögen indess einzelne Leberstellen abweichend sein. . Ich ‚glaube gewiss, dass man. bei dieser, Behandlungsweise die Fort- pfanzung der Kerne und danach auch die der Zellen ‚stu- diren könnte., Obwohl ich auf den Gegenstand keine be- sondere Aufinerksamkeit verwendet habe, so. bemerkte ich Ueber dem: Verlauf der Gallengänge. 647 dennoch nicht nur beträchtliche Grössenunterschiede, sondern auch die mannichfachen Uebergangsformen, dicht aneinander- gelagerte Kerne u. s. w., und dies sowohl an frischen, nicht mit Säure behandelten, als an gesäuerten Präparaten. Was nun zunächst die Anordnung ‚der Leberzellen be- trifft, so ist einmal längst bekannt, dass in abgeschabten Stücken mehre neben einander liegen und Reihen bilden. Diese Reihen können einfach sein, oder es kann sich’ an die eine Reihe eine zweite lagern, so dass das. Ansehn einer Verästelung hervortritt. Aus (diesem Grunde spricht man von Leberzellennetzen. Für meine Anschauung kann ich eigentlich eine netzförmige Anordnung nicht finden.» Wenn man ein ganzes Leberinselchen unter dem‘ Mikroskop be- trachtet, es mögen die Gefässe injieirt; sein oder nicht, so erhält man den Eindruck, -dass die Leberzellen in Reihen geordnet sind, die mehr, oder weniger strahlenförmig vom Centrum nach der Peripherie verlaufen, Bei genauerer Be- trachtung überzeugt man sich bald, dass die Reihen nicht sich in gerader Linie von der Peripherie nach dem Centrum begeben, sondern die Reihen sind kürzer und: länger, jene legen sich andiese an, ‚scheinen Biegungen zu machen. — Es will mich bedünken, dass die Anordnung der Leberzellen wesentlich durch die Verbreitung der Capillargefässe in jedem Leberläppehen bedingt ist. Die aus den‘ Pfortaderzweigen (8. Fig’ IIId.), welche die Leberläppchen umgrenzen, her- vorgehenden Capillaren laufen nach einem mehr oder weniger central gelegenen Aste der Venae hepaticae, der sog. Vena intralobularis s. centralis (s. Fig. IIl.a.), und es findet da- her ein ziemlich radialer Gefässverlauf statt, wie auch aus Fig. III. zu ersehen. Die Leberzellen müssen an ihrer Wan- dung mit einer klebrigen Masse versehen sein, und erfüllen in grösseren oder kleineren Reihen die ihnen frei gelassenen Räume. Die Leberzellen liegen neben, über und unter den Gefässen, In wie weit die Leberzellen mit den Galle führenden Ge- fässen in Verbindung stehen, ist eine sehr oft besprochene Untersuchung gewesen, Bis zu einem gewissen Punkte 42° 648 Julins Budge: stimmen alle Forscher überein, und man kantı sich ‚durch Injeetionen sehr leieht davon überzeugen, Der: Rand der sog. Leberläppchen wird ebenso wie von den: Blutgefässen so auch von den Gallengängen umgeben. Die grösseren Stämme liegen neben den Pfortader- und Arterienästen, doch findet man auch mitunter, dass sie sich kreuzen.‘ Im All- gemeinen vertheilen sie sich dichotomisch, und an den Win- keln, welche die Leberläppchen bilden, wie dies aus Fig. 2 und 3 hervorgeht, ist die Vertheilung eine dichotomische, Die Leberläppchen sind mehr oder weniger winklig, bald 6-, bald 5-, mitunter nur 4eckig. Diese Form wird durch die Theilung der Blut- und Gallengefässe gebildet. An die- sen Ecken. findet nämlich eine Theilung statt, indem. ein grösserer Stamm in 2 kleinere sich spaltet. Die kleineren anastomosiren mit anderen derselben Ordnung, welche von einem anderen Gefässe herkommen. — Alles. dies wird an- schaulich durch die 2. und 3. Figur. Es sind also die Ränder der Läppchen durch die Blut- und Gallengefässe gebildet. Von letzteren ist fortan allein die Rede. Die Randgefässe begrenzen natürlich 2 Läppchen. Von ihnen gehen nun Zweige nach beiden Läppchen ab, welche man noch ‚mit blossen Augen eine kleine Strecke weit in die Läppchen ver- folgen kann, wie man aus Figur 2 erkennt, welche von einer Kaninchenleber bei doppelter Vergrösserung herrührt. Ver- folgt man nun weiter mit immer stärker werdender Vergrös- serung diese Nebenzweige der Randgefässe, so nimmt die Vertheilung immer zu, jedoch in der Art, dass die Aestehen plötzlich enger werden. Daher kommt es, dass nur bei sehr gut gelungener Injection die Färbung über diese Stelle hin- aus rückt; — und wenn dies nicht der Fall ist, so scheinen sie plötzlich ‚wie abgeschnitten aufzuhören. Bis zu. dieser Vertheilung hat Herr Gerlach das Verhalten so genau ge- schildert (s. dessen Gewebelehre S. 332), dass ich nichts hin- zuzuthun weiss. Er sagt: „die Ductus interlobulares haben einen Durchmesser von 0,008 bis 0,012“ und bestehen aus einer einfachen structurlosen Membran, auf welcher man ein- zelne längsovale Kerne findet, jedoch nicht in der Anzahl Ueber den Verlauf der Gallengänge. 649 als dieses bei den Capillargefässen der Fall ist“ und ferner: „die Ductus interlobulares geben zahlreiche nur 0,002 bis 0,004” (die Dimensionen finde ieh durchweg grösser) breite Aestchen ab, welehe nur aus einer äusserst dünnen homo- genen Membran bestehen und meist rechtwinklig zu den Le- berläppehen treten. Kaum von dem Stammgefäss abgegan- gen, treten diese Aestchen mit einander in Verbindung und es entsteht dadurch ein Netz, dessen freie Säume yon eckiger Gestalt und 0,038 bis 0,04" gross sind. Was das Verhalten der dasselbe eonstituirenden Gallengänge innerhalb der Leber- läppehen betrifft, so fand ich dieselben immer zwischen den Leberzellen liegend, konnte sie jedoch nur eine kurze Strecke in die Leberläppchen hinein verfolgen,* Er giebt sodann an, dass diese Gallengänge entweder plötzlich, wie abgeschnitten aufhörten oder plötzlich weiter, in ihren Contouren unregel- mässig wurden und ein Netz bildeten, welches sich bis zur Mitte des Läppchens erstreeke. Den ersten Ausgang be- greife ich vollständig und habe ihn öfters gesehen, Er er- scheint immer, wenn die Masse nieht bis in die feinsten Gänge gedrungen ist und erklärt sieh dadurch, dass sich die Aestchen so sehr rasch verjüngen. Auch bei der besten In- jeetion komınt es vor, dass einzelne von diesen Aestchen wie stumpfe Spitzen endigen. In Fig. 4. ist ein Ductus interlobularis, welcher sich innerhalb eines Leberläppehens verästelt, aus einer gut injieirten Kalbsleber dargestellt, nach- dem der gelungene Schnitt mit Schwefelsäure benetzt worden war und dadurch die Leberzellen bis anf ihre Kerne un- kenntlich wurden. — Man sieht auch bier «neben dem gleich zu beschreibenden feineren Netze eine Anzahl von Gallen- eanälen stumpf endigen, ohne Zweifel weil bis dahin die Masse gedrungen war, und weiterhin nicht, — In Fig. 5. ist eine halbschematische Darstellung eines Leberläppchens mit Gal- lengängen am Rande, wo bei dem ersten Anblicke die Aeste in der That wie abgeschnitten erscheinen, obgleich sie es nicht sind. Wenn ich also vollkommen diese von Herrn Gerlach angegebene Endigung zu deuten weiss, so ist mir die an- 650 Julius Budge: dere, welche er erwähnt und welehe ein bis zur Mitte des Läppehens sich erstreckendes Netz darstellen soll, nicht klar. Ihrem Aussehn nach halte ich sie, wie auch die Herren Theile und Kölliker thun, für blutführende Gefässe. Wir sind in der Beschreibung der Gallengänge bis dahin gekommen, bis wohin im Ganzen Uebereinstimmung unter den Beobachtern herrscht. Aber von nun an gehen die Angaben auseinander, indem Einige wirklich eine offene Wandung, andere ein stumpfes Ende, andere endlich eine ununterbrochene Communication mit den Hüllen annehmen, welche die‘Reihen der Leberzellen umgeben und dadurch ein Leberzellennetzwerk ‚annehmen. Der letzteren Ansicht ist, wie ich Eingangs angegeben habe, Herr Beale. Da ich bei sorgfältig und oft wieder- holter Prüfung von Leberpräparaten, die, wie oben beschrie- ben ist, behandelt waren, nicht zu dem gleichen Resultate, wie dieser genaue Forscher, gelangen konnte, so glaubte ich mich nicht eher zufriedenstellen zu dürfen, bis ich Präparate zur Anschauung bekam, welche den Beale’schen glichen. Hierdurch gerade bin ich noch mehr in meiner Ansicht be- stärkt worden. Nach meinen Beobachtungen erweitern sich die Gallen- gänge, nachdem sie ungefähr Y;,o bis "/sso‘'' erreicht haben, nieht, sondern werden da gerade beträchtlich und plötzlich bis "/;o0‘ verengt und bilden ein Netz, welches ich bis in die Nähe der Vena centralis sehr häufig verfolgen konnte.!) An den feinsten Aestchen habe ich, wenn auch selten, noch Kerne ‘gesehen, und mich stets von den doppelten Contouren überzeugt. Der gelbe Farbstoff liess dies auf’s Bestimmteste erkennen. Sowohl die 4. als die 6, Figur sind treue Copieen nach der Natur, in welchen man die netzartige Verbreitung erkennt. Zwischen diesem Netze liegen die Leberzellen, ‘von denen man sich eine deutliche Vorstellung machen kann, 1) Nach einer mündlichen Mittheilung ist Prof. Grohe, der über denselben Gegenstand arbeitet und späterhin Mittheilung machen wird, zu ganz analogen Anschauungen durch seine Untersuchungen geführt worden. Ueber den: Verlauf der Gallengänge. 651 wenn man um jeden Kern der 4. und 6. Figur eine Leber- zelle herumgelegt denkt. Es besteht somit in den Leberläpp- chen ein doppeltes Capillarsystem, das eine von blutführen- den, das andere von gallenführenden Gefässen gebildet. Der ganze Raum, welcher zwischen diesem grossartigen Netz- werk übrig bleibt, scheint allein von Leberzellen ausgefüllt zu sein. Ob diese nochmals mit Hüllen umgeben sind, da- von habe ich mich. niemals überzeugen können. Schon durch die Färbung der Gallencapillaren mit, der injieirten Masse kann man sich überzeugen, dass man nicht etwa Blutgefässcapillaren dafür genommen hat. Besonders deutlich wird dies aber, wo die Injeetion von beiden mit ver- schieden gefärbten Massen gut gelungen ist. Hier sieht man beiderlei Gefässe auf demselben Felde. Der Unterschied von meiner und der Beale’schen An- schauung beruht also hauptsächlich darauf, dass ich die Mem- bran, welche Herr Beale als Hülle des Zellennetzes ansieht, als Gallengefässwände betrachte. — In der 7. Figur ist zur Verständigung eine ganz schematische Figur ‚entworfen, welche einer Beale’schen (s. Figur 1) ähnlich ist. Mau betrachte den Zweig, welcher mit * bezeichnet ist. Die Stämmchen a und b können in ihrem weiteren Verlaufe leicht so aufgefasst werden, dass sienur Erweiterungen eines Astes sind, welche die Leberzellen zwischen sich fassen, besonders wenn diese nicht unkenntlich gemacht sind. Wenn man noch dazu den leicht möglichen Fall setzt, dass e und d mit Masse gefüllt sind und das dazwischen liegende e nicht, so wird das Ansehn noch viel täuschender. Herr Beale (S,. 380) hebt besonders die sehr feine Haut hervor, die man nicht selten um Leberzellen herumliegen sieht, wenn dieselben in verdünntem Alkohol leicht erhärtet wären. 80 beobachtete er eine Zelle aus einer Kaninchen- leber, welche in eine Membran eingehüllt war, die wie eine enge Röhre über dieselbe sich zog. Er stellt ferner eine Zellenreihe aus einer Hundsleber (Pl+XV. Fig. 18) dar, welche in einer schwachen Sodalösung gelegen hatte, wo man gleich- falls die sehr dünne „Basement membrane* bemerkte, — Ich 652 Jaliws Budge: bin nieht im Stande, diese Membranen zu deuten, ‚da die- selben nur höchst selten mir vorgekommen sind, 'woich sie als Stückehen von Gallengefässen deuten zu müssen glaubte. Es kommt auch für diese‘ Untersuchung zunächst nieht in Betracht, ob um die Zellen ‘herum noch Membranen liegen, was ich positiven Beobachtungen gegenüber nieht in Abrede zu stellen vermag, sondern darauf, ob diese ' Membranen und die Wände der Gallengefässe in ununterbrochenem Zu- sammenhange stehen. Das aber verneine ich. Lägen die Leberzellen wirklich in solchen Kanälen, so ‘müsste man, wie mir scheint, viel öfters leere Canäle oder Stücke von abgerissenen noch Zellen enthaltenden Canälen finden, als dies wirklich der Fall ist, zumal da diese Haut, wie Herr Beale selbst (S. 381) angiebt, sehr 'ausdehnbar, also auch nicht so leicht zerreissbar ist. Ich muss ausdrücklich ‘bemerken, dass ich meine: Unter- suchungen nicht auf kaltblütige Thiere ausgedehnt habe, an welchen Herr Beale:die Canäle, welche das Zellennetzwerk einschliessen, besonders gut beobachtete. Man sollte auch erwarten, dass wenn wirklich die Gallengefässe "und die an- genommenen Hüllen der Leberzellen ein eontinuirliches Ca- nalsystem ausmachten, man öfters Reste von’ Leberzellen in der Galle auffinden müsste, was nicht der Fall ist. Es verdient ferner noch eine Bemerkung des Herrn Beale (S. 334) erwähnt zu werden, dass nämlich bisweilen die In- jeetion auf die eine Seite, bisweilen auf die andere Seite des Canals hinfliesst (Injeetion runs sometimes on one side and sometimes upon the other side of the tube). Eine so feine Mässe würde kaum an einer Seite bleiben, sondern sich un- regelmässig im 'Canal ausbreiten, wenn sie nicht'selbst ein- geschlossen wäre. Der blau gefärbte Streifen neben Leber- zellen, welcher mit blau injieirten Zellencanälen continuirlich zusammenhängt, scheint mir mehr dafür zu zeugen,. dass dieser blaue Streifen die Fortsetzung eines Gallencanals ist, neben welchem die Leberzellen liegen, als eines solchen, welcher sich erweitert, um die Galleneanäle einzuschliessen. Endlich erwähnt Herr Beale 'selbst- (1. e’S,389) feiner Ueber den Verlauf der Gallengänge. 653 Gallencanäle,; welche unter‘ einander ein Netzwerk bilden, ohne dass’ sie Leberzellen aufnehmen. Er sagt von ihnen, dass ihr Durchmesser beträchtlich geringer 'sei, als derer, welche Zellen enthalten und hat sie mehr bei Kaninchen- als Hunden- und Menschen-Lebern beobachtet. Nach meinen Untersuchungen ist dieses Netz der Gallengänge nicht auf wenige Stellen beschränkt, sondern ganz allgemein in der Leber verbreitet. Man sieht mithin aus den Angaben des Herrn Beale, dass unsere Beobachtungen sich nicht eigent- lich widersprechen, sondern nur ergänzen, denn‘ was der- selbe nur an einzelnen Stellen, ‘besonders an der Oberfläche der Leber gesehen hat, findet sich nach meinen Wahrneh- mungen überall. Schliesslich mögen noch die sog. Vasa aberrantia Erwäh- nung erhalten, und die von Herrn Beale sogenannten Sac- euli. Es ist schon lange, besonders durch Herrn 'E. H. Weber bekännt, dass zumal in der Fossa transversa sehr feine Aestchen von Gallengefässen liegen, welche sich im Bindegewebe der Capsula Glissonii netzförmig verbreiten. Auch an vielen anderen Stellen der Leber, wo. keineveigent- liche Lebersubstanz ist, zZ, B. zwischen dem Lobus dexter und Spigelii, endlich auf den Häuten von grösseren Gallen- gefüssen kommen sie vor, — Sie bilden'mit blossen Augen deutlich unterscheidbare Bäumchen und endigen mit stumpfen Spitzen. Unter dem Mikroskope erscheinen die Enden wie stumpfe Säckchen, wie es in Fig. VII. dargestellt worden ist, Diese Säckchen sind meihes Erachtens‘ mit‘ Recht als Gallenblasen en miniature bezeichnet worden, — Ueberein- stimmend mit Herrn Beale fand ich um diese Vasa aber- rantia häufig Lymphgefässe, — Ueberhaupt werden die grös- seren Stämme der Gallengefässe vielfach von Lymphgefüss- heizen umstrickt und es ist gar nicht selten, dass sich die Lymphgefässe in der Possa transversa bei Injectionen der Gallengefässe in Polge einer Ruptur sich sogar über grosse Ansdehnungen hin füllen, wie schon die Herren Kiernan und Beale (8. 380) beobachtet haben. Die Vasa aberrantia verbreiten sich, abgesehen von den stumpfen Ausbuchtungen, 654 ‘ Julius Budge: netzförmig. Wir haben ‚mithin anerkannt eine derartige netz- förmige Ausbreitung von ‚Gallengefässen einmal um die Le- berläppchen herum, wo die Venae interlobularis der angren- zenden Läppehen anastomosiren, sowie am inneren Rande derselben, zweitens wie oben gesagt an den Vasa aberrantia, drittens ‘wie Herr‘ Beale gefunden und ich. bestätigt habe, in den oberflächlichen Theilen des: von Jenem sogenannten zellenführenden Netzwerks innerhalb. ‘der Leberläppchen. Meine Beobachtungen schliessen sich also vollständig an. diese Beobachtungen an und. zeigen, ‚dass das. von Herrn Beale sogenannte ‚Network of ducts nicht so beschränkt: ist, wie dieser Forscher annimmt, sondern durch die ganze Leber verbreitet, ohne dass innerhalb der Canäle die Leber- zellen liegen, dass vielmehr ‚die Reihen der Leberzellen neben und zwischen ‘diesem: Netzwerke, liegen, etwa in der Art, wie neben den Capillargefässen in der Schwimmhaut des Frosches die Pigmentzellen liegen; ‚nur dass die, Leber- zellen ungleich zahlreicher vorhanden sind und ein doppeltes Capillarnetz neben sich. haben, das der Blut- und das der Gallengefässe. | Nachschrift. Nachdem vorstehende Abhandlung schon an die Redaction abgesandt war, wurde ich, noch auf eine Mittheilung über diesen Gegenstand von Herrn, Reichert. (Müller’s Archiv 1854 Jahresbericht S. 76 ff.) durch den Verfasser 'selbst auf- merksam gemacht, welche ich übersehen hatte, — In dersel- ben ist dargethan, dass die Leberzellen und die blutführen- den Gefässe nicht die einzigen. Elemente. seien, ‚welche die Leberläppchen bildeten, sondern dass neben den Zellen.noch Septa vorhanden sind, in welchen die Capillaren, vielleicht auch Lymphgefässe und Nerven liegen. . Herr Reichert sieht diese Septa als die noch erhaltenen Reste der Wandungen der Drüseneanälchen an und als. das’ Gerüst jeines 'verzweig- ten Höhlensystems. Durch diese Septa, aber nicht durchdie Leberzellen mit oder ohne Tunica propria würde.ein Netz- werk gebildet,’ in dessen ‚Hohlräumen die Leberzellen vor- kommen, Ueber den Verlauf der Gallengänge. 655 Meine Beobachtungen stimmen insofern ganz damit über- ein, dass ich annehme, dass neben den Leberzellen ausser den Gefässen noch ein Gebilde vorhanden sei, dass also nicht, wie Herr Kölliker annimmt, die Leberzellen ledig- lich Bluteapillaren zwischen sich haben. Ich muss daher den Reichert’schen Ausspruch: 'es sei eine nicht weiter zu be- zweifelnde Thatsache, dass die Leberzellen von Wandungen eingeschlossen sind, durchaus adoptiren. Nur darin weiche ich von der Angabe des Herrn Reichert ab, dass ich diese Wandungen für feine Canäle halte, welche unter einander ein, viel verzweigtes Netz neben dem weiteren Blutgefässnetz bilden. In feinen Injeetionen habe ich beide Netze mit ver- schiedenen Farben gefüllt gesehen. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Gallengang mit Zweigen und dem Leberzellen enthalten- den Netzwerk, nach Beale, Fig. 28. Vergr. 215. a. Ductus biliferi. b.b.b. Zweige desselben. ec. Leberzellen enthaltendes Netzwerk. Fig. 2. Stück einer Kaninchenleber, deren Gallengänge gelb in- jieirt sind. Vergr. 2. Fig. 3. Stück einer Kaninchenleber; deren Vena portarum roth, Venae hepaticag blan, Ductus choledochus gelb injieirt. a, Venae intralobulares. b. Vena intralobularis, roth von der Vena portarum aus. €, Durchschnitte von Venae intralobulares. d. Venae interlobulares, e. Venae sublobnlares. f. Duetus biliferi. Vergr. 40. Fig. 4. Ast eines Ductus interlobularis. a. stärkerer Zweig. b. Nebenzweige. e. plötzlieh sich verengerndes, Aestchen. d. Kerne der Leberzellen. — Vergr. 200. 5. ‚Leberläppchen vom Kalbe. a. Stelle der Vena centralis. b. Dactus interlobulares. e. deren grössere Zweige, Fig. 656 Julius Budge: Von,da gehen: die‘ sehr feinen Aestchen, welche plötzlich: sich'ver- jüngen. Man sieht die reihenweise geordneten Leherzellen. ‚ Halbschematisch. Vergr. 70. Fig. 6. Gallencapillaren, nahe der Vena centralis; dazwischen die Kerne der Leberzellen, ‘aus einer injieirten Kalbsleber. Der Schnitt mit Schwefelsäure behandelt. Vergr. 200. Fig. 7.) Schematische Darstellung des Verlaufs der Galleneapillaren. Fig, .7.,, Vasa aberrantia, mit den stumpfen Enden b. ; Anmerkung; zur Abhandlung des Herrn J. Budge. Von C. B: Reichert. Meine Ansicht über den feineren Bau der Leber ist die, dass die letzten Endigungen des Ductus hepaticus oder, wenn man will, die Wurzelchen desselben, in ein cavernöses Drüsen- höhlensystem auf die Weise übergehen, wie die Endäste der Arterien oder die Wurzelchen der Venen in ein cavernöses Höhlensystem der Blutgefässe. Die Wandungen und Septa dieses Drüsenhöhlensystems (Tunica propria der Drüsencanäle) sind, um im Vergleiche fortzufahren‘, mit den Wandungen und Septa der cavernösen Blutgefässsysteme zu vergleichen, wie in den letzteren noch Vasa vasorum, Lymphgefässe und vielleicht auch Nervenfasern verlaufen, verzweigt sich hier in diesen Septen etc. das Capillarnetz zwischen’ Pfortadern und Vena hepatica, so verlaufen darin Lymphgefässe, wahr- scheinlich auch Nerven. Wie ferner die Hohlräume des Corpus cavernosum penis mit Blut gefüllt sind, so hier die vergleichbaren Räume mit Leberzellen.. Es giebt also in dem terminalen Bezirke des Drüsenhöhlensystems der Leber we- der Acini, noch Röhren, noch ein Röhrennetz;' der Röhren- bau, wenn er bei der ersten Bildung vorhanden sein sollte, ist, wenigstens bei Erwachsenen, untergegangen. Diese An- sicht stützt sich auf genaue un( langjährige Untersuchungen; die Beale’sche Arbeit hat, obgleich sie sich viele Anhänger erworben, meine Beobachtungen und meine Ansicht, wie ich dieses bereits im Jahresberichte ausgesprochen, in keiner Weise widerlegt; ihm ist meine Arbeit ganz unbekannt ge- blieben. In Frerich’s „Klinik der Leberkrankheiten“ (Tab. VU. Fig. III.) findet sich ein»mikroskopisches: Schnittchen Ueber den Verlauf der Gallengänge. 657 Lebersubstanz, — welches den cavernösen Bau des Drüsenhöh- lensystems so zeigt, wie er auf allen in beliebiger Rich- tung gemachten Sehnitten nach Entfernung der Leberzellen, wiederkehrt, — getreu abgebildet. Die Beobachtungen, welche Herr Bu dge mitgetheilt hat, scheinen mir gleichfalls den Stand der Angelegenheiten nicht zu ändern. Ich glaube vielmehr annehmen zu müssen, dass Herr Budge bei seinen Injee- tionen des Duetus hepatieus die Lymphgefässe der Wandun- gen des eavernösen Höhlenbaues 'angefüllt ‘babe. ‘ Wäre es gelungen, was eben aus nahe liegenden Gründen nicht ge- lingt, die terminalen Räume des Drüsenhöhlensystems zu füllen, so müsste die Masse in die Räume eingedrungen sein, in welehen die Leberzellen liegen, und die eben zum caver- uösen Höhlensystem gehören. „Ueber die Gestaltung ‚der (relenkflächen. Aus dem wissenschaftlichen Nachlasse des verstorbenen L. Fick. Mitgetheilt von A, Fick. Dem Leserkreise dieser Zeitschrift werden die ‘beiden Untersuchungen L. Fick’s über die Ursachen der Knochen- formen‘) bekannt sein. ‘Der Verfasser hat Anfänge weiterer Untersuchungen über denselben Gegenstand hinterlassen, von ‚denen hier mitgetheilt werden soll, was zur Veröffentlichung reif war. Ich’ kann die Mittheilungen ergänzen durch die Erinnerung vieler Gespräche, die ich mit meinem verstor- benen Bruder über die fraglichen Gegenstände hatte.‘ Den Plan zu ‚einer‘ Untersuchung über die Bildung der Gelenk- Hächen insbesondere hat L. Fick bereits am 8. August 1858 in einem versiegelten Briefe bei den Acten der 'naturfor- 1) Göttingen 1857 und Marburg 1859, 658 L. Fick: schenden Gesellschaft zu Marburg ‘niedergelegt. Der Inhalt dieses Briefes lautet folgendermassen: „Seit einigen Jahren bin ich. beschäftigt Beweise, zu sam- meln für den Satz, dass die Definitivformen der entwickelten Organismen nicht der Ausdruck formbildender oder. ty- pischer Eigenkräfte des Organismus, sondern Re- sultate der in den organischen Keimen auf,.uner- klärliche Weise gesetzten Vegetationsintensitäten der einzelnen Definitivorgane, in ihrer-mechani- schen Wechselwirkungaufeinander sind, diedurch die Begrenzung der Organismen gegenüber der ob- jeetiven Natur, also durch die Haut mehr: oder we- niger fest, in bestimmte (durch Nerven und. Gefässe ausgedrückte) Verknüpfung zu einer relativen Ein- heit, dem sogenannten Organismus, zusammen ge- bunden sind. „In der ersten Abhandlung habe ich auf dem Experimen- talwege das Verhältniss studirt, in welchem ‚die Vegetations- intensität der Knochen zu der Vegetationsintensität, der ihnen benachbarten Muskeln ihren mechanischen Ausdruck findet für den 'Fall, dass innerhalb des Hautraumes eine mecha- nische Gegenwirkung, ein Confliet zwischen dem Wachsthum des Knochens und der ihm anliegenden Muskeln sich erge- ben sollte. „In der zweiten Abhandlung habe ich ‚auf dem Experi- mentalwege und aus den Thatsachen der Entwicklungsge- schichte das Verhältniss studirt, ‘in welchem die verschie denen Vegetationsintensitäten der einzelnen Kindchen des Kopfskelettes ihren mechanischen Ausdruck finden in ‚dem Falle, wo keine Wachsthumsintensitäten. (Vegetationskräfte) weicher Theile, mit dem Knochenwachsthum in Confliet ge- rathen. q „In der dritten Untersuchung, welche mich im Augen- blicke ‚besehäftigt, suche ich nach dem Experimentälbeweise für die Ursachen, welche die Formen bedingen, in welcher die mit einander artieulirenden Knochen sich berühren, „Wenn ich in den beiden ersten Abhandlungen zum Ueber- Ueber die Gestaltung der Gelenkflächen. 659 flusse bewiesen habe, dass in den Knochen selbst eine form- gebende Kraft nicht existirt, welche die von den embryonalen Urformen verschiedene Form der definitiven Knocheneinhei- ten bedingen könnte, so muss dieser Satz auch für die For- men der definitiven Gelenkflächen seine Geltung haben. — Wie aber ist nun nach Ausschluss formbildender Eigenkräfte die Entstehung der bestimmt geformten Gelenkflächen und respeetive deren Unterschied von den: embryonalen ‚Formen, in denen die Gelenkenden laut den Thatsachen der Entwick- lungsgeschichte zunächst erscheinen, zu erklären? „Ich hofle, auf.die Thatsachen der Entwicklungsgeschichte und meine Experimente gestützt, für.die Formen der in.den sogenannten Gelenken isolirt sich berührenden: Knochen den Beweis liefern zu können, dass, dieselben direct /me- chanisch geschliffen werden. '— geschliffen, : wie ‚der Mechaniker in seiner! Werkstatt Schlifflächen und Rotations- flächen’ sebleift — und zwar: geschliffen werden, durch die Be- wegung- ihrer betreffenden Muskeln, welche sich früher ent- wickeln als die Knochen bistologisch zu den Definitivgeweben und Definitivformen: entwickelt sind‘, und sieh vom, Centrum nach der Peripherie entwickelnd in, derselben Stnfenfolge an bestimmte Skeletpunkte.,(deren Bestimmung freilich: weiter. in dem. allgemein ‚unerklärlichen‘ Verknüpfungsplan ‚der. Partes eonstituentes des Embryo. gesetzt ist) (durch Flechseubildung lineariseli, befestigen, und einmal befestigt, ‚durch ihre janta- gonistische Coneurrenzwirkung genau in derselben Weise die Gelenke schleifen, wie es die. Technik, ausserhalb des ‚Orga- nismus thut. Als zweiter Factor‘, kommt hierbei (die; selbst- ständige Vegetationsintensität der, einzelnen: zu schleifenden Objecte — hier Knochenenden (allerdings auch. eine in ihrem Causalnexus unerklärliche, wenn, auch in ihren Wirkungen deutliche und durchsichtige Grösse) d. h, mit anderen Wor- ten die in, verschiedenen 'Zeitmomenten verschieden: intensiv auftretenden Längenzunahmen — Wachsthum der, Einzelkno- chen vom Centrum. gegen die Peripherie „—: hinzu, ‚indem sich aus dem ungleichen (Wachsthum ‚der Einzelknochen, in welche sich die Abtbeilungen der: Skeletglieder ablösen; die 660 l Li Fick: Coneavität oder Convexität der Gelenkenden bedingt, wäh- rend die Muskelform und Lage die Schleif- oder Rotations- form bestimmt.“ Nach diesem Grundgedanken würde man also z. B. da einen Ginglymus zu erwarten haben, wo vornehmlich an zwei gegenüberliegende Seiten einer Knöchenverbindung Muskel- massen gelagert wären. Eine Arthrodie hätte man dagegen zu erwarten, wo rings um ‘die Verbindung ‘herum: Muskeln angesetzt wären. ‘Inder That würde ja in jenem’ Falle der relativ bewegliche Knochen an dem festen in einer, Ebene hin und hergehen und könnte nur eine Rotationsfläche daran schleifen. Der allgemeinere Fall war freilich’ der'einer Schraubenfläche, weil ' die resultirenden Züge ‘der beiden Muskelmassen hüben und drüben im Allgemeinen doch nicht genau in eine Ebene fallen werden. Legt man z, B. eine Ebene 'senkrecht zur Axe des Humero-Ulnargelenkes, so fal- len die resultirenden Zugriehtungen des Brachialis internus und des 'Trieeps nieht genau in (dieselbe. Die des Flexor weicht oben nach aussen davon ab, die’ des Triceps oben nach innen.’ Die Abweichung ist ‘so augenfällig, dass''es keiner genaueren‘ mathematischen Ermittelung der resultiren- den Zugrichtung bedarf. Ein Blick ‚auf das erste beste Prä- parat genügt. ‘Man kann’ sich namentlich 'an die‘ Riehtung der Sehnenstreifen "halten. Wird’ nan in der That'die Rolle des Humerus durch das Hin-' und Herrutschen der | Ulna, durch die abwechselnden Züge des Braehialis internus und des Triceps während des embryonalen Lebens geschliffen, so kann die Fläche keine andere 'als eine Schraubenfläche' wer- den. Da nämlich der Brachialis eine (wenn auch kleine) nach aussen gerichtete Componente hat, so muss die Ulna seinem Zuge nach vorn folgend, die Neigung haben, etwas nach aussen zu treten. Umgekehrt muss sie die Neigung haben, beim Rückwärtsrutschen sich ‘etwas nach innen zu verschieben, wenn sie durch den T'riceps gezogen wird. Die dureh diese Bewegungen selbst geschliffene Rinne muss also vorn nach aussen, hinten nach innen von einer zur Axe senkrechten Ebene abweichen. Die in Wirklichkeit beobach- Ueber die Gestaltung der Gelenkflächen. ‘661 tete Abweichung ‘dieser Rinne von der’ gedachten Ebene kann daher umgekehrt als Bestätigung der Ansieht gelten, dass sie durch abwechselnde Wirkung des Flexor und Extensor 'ge- schliffen ist. Dies lässt sich allerdings nur dann’ behaupten, wenn sich irgend eine Veranstaltung zeigen: lässt, welche die nach aussen gerichtete‘ Componente: des Brachialis' und: die nach innen: gerichtete des Biceps verhindert.'als Kräftepaar das ganze B!lenbogenende des Humerus 'allmälig' zudrehien. Wäre das möglich, so würden 'bald die Zugrichtungen des Flexor und Extensor in eine Ebene fallen.‘ „Diese geforderte Veranstaltung aber findet sich erstens darin, dass: im Em- bryonalleben niemals angestrengte gleichzeitige zu einer Ge- sammtwirkung sich. zusammensetzende Contractionen der bei- den Antagonisten, sondern nur 'abwechselnde Reflexbewe- gungen‘ derselben vorkommen. "Ein zweites Moment ist ge- geben in: der Härte des Materials. ‘Denn veine "einfache Betrachtung lehrt, dass wenn die Knochen nicht genau einen Härtegrad besitzen, der eines Theils zwar noch das’Schlei- fen ihrer Oberflächen. zulässt, dagegen eine Verbiegung des ganzen Knochens ‘durch die Muskelwirkung ausschliesst — sie nöthwendig' an allen Gelenken ‘in andere alsıdie.Nor- malformen verbogen werden müssten, wie dies’bei rhachi- tischen und’ osteomalaeischen Knochen wirklich der Fall ist“) Experimente an Thieren zur Bestätigung‘ der. vorgeträa- genen Ansicht von der Bildung der: Gelenkflächen mussten im Allgemeinen bestehen in frühzeitiger Zerstörung von Muskelgruppen. Die Abweichung ' der’ Gelenke, auf, welche die zerstörte Muskelgruppe eingewirkt haben würde,’ von der Norin kann dann von zweierlei Art sein. Es kann entweder nur der Bewegungsumfang "beeinträchtigt 'werden, oder (es könnte der Bewegungsmodus in einen beschränkteren ver- wandelt werden. In letzterer Hinsicht war namentlich’daran gedacht worden, eine Arthrodie in einen Ginglymüs zu ver- wandeln. Dies müsste möglic sein, wenn es gelänge, von 1) Das zwischen Anführungszeichen Stehende ist wörtlich &ihd Aufzeichnung meines Bruders. Kelcher» u, du Bols-Reymond's Archiv, 1859, i 43 662 L. Fick: den um»das Gelenk gelagerten Muskeln alle zu entfernen bis auf zwei antagonistische Gruppen, welche den beweglichen Knochen nur noch in einer: Ebene hin- und herziehen könn- ten. 'Man begreift leicht, dass die Ausführbarkeit einer 'sol- chen Operation nicht sehr wahrscheinlich ist. Definitivkann aber erst: nach einer grösseren Anzahl von Versuchen dar- über entschieden werden. Dergleichen Versuche beabsich- tigte mein: Bruder unter anderen, anzustellen. So habe ich einen: Hund vorgefunden, dem erden Muse. infraspinatus exstirpirt hatte. Ich konnte aber nicht die leiseste Abweichung vom Normalen im Schultergelenk entdecken. Ich habe nun ferner zu berichten von zwei Versuchen, die sich auf Ginglymusgelenke (oder resp. Schraubengelenke) beziehen. Hier konnte natürlich nicht eine Veränderung des Bewegungsmodus nach Muskelexstirpation erwartet: werden, wohl aber eine Verminderung des Bewegungsumfanges. Da nämlich unzweifelhaft: manche Widerstände gegen eine: Ge- lenkbewegung: mit der Excursion wachsen, so muss man (an- nehmen, dass, wenn ein Muskel fehlt, die Exeursionen im Durehschnitt nicht mehr so weit gehen: werden, als wenn ser vorhanden ist. In dieser Erwartung hatte mein. Bruder an zwei 4—6 wöchentlichen Hunden folgendermaassen operirt, Am einen, ich will ihn mit‘ A bezeichnen, wurden "am Hinterbein sämmtliche Muskeln am Unterschenkel vorn und hinten -durchschnitten und grosse Stücke, namentlich vom Wadenmuskel herausgenommen. Am anderen, ‚er mag B heissen, wurde am: Vorderbein aus der Muskelmasse an! der Rückseite des Humerus, also namentlich aus’dem Triceps, ein gutes Stück herausgeschnitten. Diese beiden Hunde: habe ich nun etwa 8 Monate nach der Operation schlachten lassen. Sie waren damals noch immer nicht ganz erwachsen. Die Präparation ergab beim Hunde A, dass die Muskeln zum grossen Theil doch vorhanden waren, jedoch war der Wa- denmuskel viel kleiner als auf.der unverletzten Seite. Die Achillessehne war stark verwachsen mit dem Tensor fasciae. Vorn war der Tibialis anticus sehr klein und mit dem Ex- tensor digitorum verwachsen. An der. Astragalusrolle zeig- Ueber die Gestaltung der Gelenkflächen. 663 ten sich einige Defecte in der Ueberknorpelung. Genauer wurde nun der Bewegungsumfang' des Sprunggelenkes untersucht und mit dem (des gesunden Gelenkes' der anderen Seite verglichen. Alle‘ Sehnen, ‘welche das Gelenk \über- springen; wären durchschnitten. Der Unterschenkel wurde auf einem. Tisch so befestigt, dass der Fuss sich nur im/einer “ dem Tischblatte parallelen Ebene drehen konnte. Ich be- zeichnete nun zuerst‘ die extremsten Lagen hinwärts und’ her- wärts, welche dem Metatarsus gegeben werden konnten. Die beiden äussersten ‘Lagen irgend einer mit dem 'Metatarsus fest verbunden ‘gedachten ‘geraden Linie bildeten beim nicht operirten Fusse einen’ Winkel von 131° mit! einander, beim operirteu Fusse' einen Winkel‘ von‘ 94°. In diesem Winkel ist aber der Aussehlag zweier Gelenke summirt, des Sprung- gelenkes und des Gelenkes zwischen Astragalus und‘der übri- gen Fusswurzel.. Uebrigens ist diese Bestimmung doch von Interesse, ‚da einige der theilweise zerstörten Muskeln diese beiden Gelenke übersprangen. Die Verkleinerung des Bewe- gungsumfanges bestand näher ‘darin, dass der 'Metatarsus nicht mehr so weit gebeugt und nicht mehr so weit gestreckt werden konnte, als in einem gesunden Gelenke. Eine feste Richtung im: Metatarsus machte mit der Längsrichtung ‘des Unterschenkels auf‘ der gesunden Seite in: ‚der extremen Streekungslage einen Winkel von 15°, in‘ der extremen Beu- gungslage einen Winkel’ von 33°. Auf der ‘operirten Seite waren die entsprechenden Winkel :33° und: 56°. Von.den 37°, welche‘ durch die Operation ‘dem Bewegungsumfange entgingen, fallen also ‚etwa 15 auf.die Streckung, 22 auf die Beugung. Um ferner den Bewegungsumfang des Sprung- gelenkes für sich zu bekommen, wurde,in dem Astragalus ein der libene des Tischblattes etwa paralleler Stahlstift eingeschlagen, an’s Ende desselben ein Bleistift befestigt, dessen Spitze bei der Drehung im Gelenke einen Kreisbogen auf ein untergelegtes Papierblatt zeichnete. Dieser Kreis- bogen umspannte beim nieht operirten Fusse ungefähr 1069, beim operirten ungefähr ‚60%. Der Unterschied zwischen ope- rirter und nicht operirter Beite beträgt also in beiden Aus- 43” 664 fi L. Fick: schlägen etwa 40°. Es ergiebt sich daraus, dass der Bewe- gungsumfang des Gelenkes zwischen Astragalus und der übri- gen Fusswurzel gar nicht‘ gelitten ‚hat. ' Dagegen ist ‚das eigentlichel Sprunggelenk bedeutend beschränkt. Die nächste Ursache dieser Beschränkung scheint weniger Verkleinerung der überknorpelten Oberfläche der Astragalus- rolle, als vielmehr Verkleinerung ihrer. Krümmung d. h. Ver- grösserung ihres Halbmessers gewesen zu sein. ı Wenn aber der Halbmesser eines Schnittes durch die. Astragalusrolle grösser wird, ohne dass die Länge des überknorpelten Um+ fanges wächst, so nimmt der Winkel, welchen ‚dieser Schnitt umspannt, ab. ‚ Es fanden sich folgende numerische: Werthe einiger der in Rede stehenden Grössen. In der Tiefe der Auskehlung wurde, ein Schnitt durch’ die Astragalusrolle gelegt. Wenn man ihn als Kreisbogen betrachtet, so.betrug sein Radius auf der nicht operirten Seite’ 6,3 Mm., ‚auf der operirten ‘Seite 7,6 Mm. Der Schnitt durch die Gelenkfläche umspannte am Centrum einen Winkel von 208° auf den: nicht operirten, von 195° auf.der operirten ‚Seite. Diese Messungen sind gewiss von-Interesse, aber ‚ihr Er- gebniss genügt nicht entfernt, die, vorhin gefundene grosse Differenz im Bewegungsumfang: der beiden Gelenke zu er- klären. In der That, der Bewegungsumfang eines Drehge- lenkes (wir können wohl von der ‚Schraubenbewegung ab- sehen) sollte sich finden, wenn man senkrecht zur Axe Sehnitte durch die beiden auf einander schleifenden | Gelenk- flächen macht und den Winkel, welchen der concave Schnitt umspannt, von dem abzieht, welchen der conrexe umspannt. Der kleinste Werth, welchen diese Differenz für zwei in eine Ebene fallende Schnitte annehmen kann, sollte den Be- wegungsumfang des Gelenkes messen. Macht man nämlich eine Bewegung von diesem Umfange, so stossen an den äus- sersten Enden derselben die Ränder der concaven Gelenk- fläche an die Ränder der econvexen und finden) hier Hem- mung. Ich habe zun durch das untere Ende der Tibia jeder- seits ebenfalls einen Schnitt gemacht, welcher der Auskehlung der Astragalusrolle entsprach. Er umspannte auf der nicht Ueber die Gestaltung der Gelenkflächen 665 operirten Seite einen Winkel von 100°, auf der operirten einen Winkel von 96°. ‚Hiernach ergiebt sich für die nicht operirte Seite ein Bewegungsumfang von '208 °—100°=108>, was mit den beobachteten 106° sehr gut zusarffnenstimmt. Auf der operirten Seite ‘hätte man nach diesen Bestimmungen einen Bewegungsumfang von 99° erwarten sollen. Die Be- obachtung hatte etwa 60° ergeben. Wie diese Differenz zu erklären sei, ist mir gänzlich dunkel geblieben. Ich glaube jedenfalls nicht, dass in anderen Schnittebenen der Unterschied zwischen dem Bogen an der convexen und an der concaven Gelenkfläche um beinahe 40° weniger beträgt alsin der Sehnitt- ebene, welche ich untersuchte. So müsste es doch sein, wenn der Unterschied des Bewegungsumfanges aus dem hier in Rede stehenden Prineipe erklärt werden sollte. Dass sich eine ganz andere: Art der Hemmung bei dem Gelenke am operirten Bein eingemischt haben sollte, konnte wenigstens durch die’ genaueste Beobachtung ‚des ganzen Hergangs nicht festgestelltwerden. ‘Die Hemmung schien entschieden in bei- den Gelenken dadurch’ bewirkt zu werden, dass die Ränder der eoneaven (Tibia-) Gelenkfläche an hervorragende Theile des Astragalus anstiessen. ‘Es war also die Hemmung in beiden Gelenken wirksam, die ich in meinem Compendium der Physiologie (S. 108) als „absolute“ bezeichnet‘ und ‘der „relativen“, durch allmälige Anspannung von Bändern | be- wirkten, entgegengestellt'habe. Am wahrscheinlichsten kommt es mir vor, »dass bei dem Gelenke der. operirten Seite der Bewegungsumfang deshalb so weit abwich von dem Unter- schiede zwischen dem’ convexen (Astragalus-) und dem con- caven (Tibia-) Bogen, weil der Rand: der Ueberknorpelung der Tibia gar nicht bis zum Rande der Ueberknorpelung des Astragalus vorrückte, sondern schon früher irgendwelche hervorragende Theile der Tibia an Theile des Astragalus anstiessen. Der somit unbenutzt bleibende Theil’ der Astra- galusüberknorpelung wäre vielleicht beim weiteren Wachs- thum des Thieres noch gänzlich geschwunden. Es ist aber leicht möglich, dass dieses Unbenutztbleiben eines Theiles der 'Astragalusüberknorpelung dem aufmerksamsten Auge 666 ü Li Fick: entgehen konnte, da die Oberfläche dieses Theiles in ab- solutem Maasse gemessen, sehr‘ klein sein konnte, ‘obwohl ihr ‘Werth als Ceutriwinkel ausgedrückt gar nicht unbeträcht- lich war. ® Bei'der Untersuchung: des anderen Hundes B, dem die Strecker des Ellenbogengelenkes zerstört waren, zeigte ‘sich folgendes. ' Der Triceps war atrophisch, sonst waren! alle Muskeln normal entwickelt. Da an.dem Schultergelenke eine Aenderung 'weder wahrscheinlich noch bei Besichtigung, wahr- nehmbar war, wurde sogleich zur Prüfung des Ellenbogenge- lenkes 'geschritten. Merkliche Veränderungen zeigten sich an der Gelenkfläche selbst nicht. Nun wurde in oben beschrie- bener Weise der Bewegungsumfang auf der operirten sowohl als auf der nicht operirten Seite! gemessen. Es wurde zuerst eine Bestimmung gemacht‘ an dem noeh mit allen Muskeln versehenen Gliede. Merkwürdigerweise: fand sich (dabei der Bewegungsumfang auf beiden Seiten merklich. gleich. Es ergab sich sögar 'ein kleiner ‚Unterschied‘: zu: Gunsten der operirten: Seite. Auf dieser nämlich war: der Bewegungsum- fang = 101°, auf der nicht öperirten = 97°. \' Indessen ist)die- ser kleinen Differenz keine besondere Bedeutung‘ beizulegen. Differenzen von 4° kommen gewiss zwischen’ (der beiden Seiten 'eines ganz normalen Thieres vor, um so mehr, da der Begriff des Bewegungsumfanges, wenn die Muskeln. durch ihre elastische Spannung als Hemmnisse wirken, gar kein ganz bestimmter ist, vielmehr von der drehenden Kraft ab- hängig ist. Wurden jetzt; sämmtliche, das Ellenbogengelenk überspringende Muskeln durchschnitten, so‘ stellte ‚sich ein grosser Unterschied zwischen dem. Bewegungsumfang auf beiden Seiten heraus. Er betrug jetzt auf der operirten Seite 125°, auf der ‚nicht operirten 140°. Das Gelenk der 'ope- rirten Seite war sichtlich vorzugsweise bezüglich der Beu- gung beschränkt. Es konnte fast gerade so weit gestreckt werden, als das gesunde Gelenk, aber lange: nieht so weit gebeugt. Dies kann uns veranlassen, (die Erklä- rung der Gelenkbeschränkung durch die Operation auf einem kleinen Umwege zu suchen. Wir können nämlich jetzt un- Ueber die Gestaltung der Gelenkflächen.- 667 möglich annehmen, dass ihr Grund ‚darin liegt, |dassı, der Unterarm, wegen Verkleinerung des Triceps, nicht mehr.so häufig zum Maximum der Extension gebracht wurde, denn dies hätte den Bewegungsumfang naeh der Extensionsseite hin verkleinern müssen. ‘Wir dürfen: vielmehr vermuthen, dass der Unterarm nach der Operation nicht mehr häufig zum Maximum der Flexion hat gebracht werden können, weil die Masse des Triceps zum grossen Theil einem Sehnenstrange Platz gemacht hat, welcher eine weit geringere Dehnbarkeit besitzt als Muskelsubstanz. Ausser den Versuchen, deren Ergebnisse vorstehend mit- getheilt wurden, hatte mein Bruder ‚auch eine Reihe von Messungen an menschlichen Embryonen begonnen, um’seine oben (S..659) ausgesprochene Ansicht zu prüfen: dass allemal an dem Knochen die convexe Gelenkfläche sich bil- det, welcher zur Zeit der Gelenkbildung am’raschesten wächst. Von’ hierher gehörigen Aufzeichnungen, die ich vorgefunden babe, sind mir nur die folgenden beiden Messungsreihen un- zweideutig verständlich gewesen, die ieh daher allein mit- theilen kann. Erstens war an vier Embryonen verschiedenen Alters — sie sollen mit A, B, CO, D bezeiehnet werden — gemessen die Länge der Scapula, des Humerus, des: Anti- brachium, der Hand. Als maassgebende Dimension der Sea- pula scheint die Entfernung der Cavitas. glenoidalis von: der Basis scapulae' gewählt zu sein. Die Resultate dieser Mes- sungen sind in nachfolgender Tabelle zusammengestellt, die Zahlen bedeuten pariser Zolle. ers rear al Der Seapula | 0,12 0,22 0,81 0,45 2,78 Brachium 0,14 0,26 0,49 0,97 8,84 Antibrach. | 0,08 0,14 0,40 0,79 7,28 Manus 0,12 | 0,23 0,37 0,69 5,07 Unter E sind noch die Längen der betreflenden Theile bei einem erwachsenen Manne hinzugefügt. Diese Zahlen können nur verwerthet werden unter der Voraussetzung, dass 6a8 soil WwPiekiitent) die! den’ Messungen unterworfenen vier: Embryonen; und'.der Erwachsene "absolut ‚gleicher Constitution gewesen sind,.d. h. es muss’ 'vorausgesetzt werden, dass der Embryo.A; wenn er das'‘Alter von'B erreicht hätte," aueh»in allen Abmessun-, gen‘ mit ihm"'gleich‘ gewesen ‘wäre u: s; w. ‘Alsdann kann man) für jedes'Stadium, zwischen A und B, zwischen. B und © u. s. f. die mittlere Wachsthumsintensität der verschiedenen Abtheilungen der oberen Extremität ‘berechnen, wenn man noch die ‘Länge der einzelnen Stadien kennt... Man. brauchte nur den Längenunterschied der betreflenden Abtheilungen zu‘ Anfang und zu’Ende des Stadiums durch die Dauer..dessel- ben’zu dividiren. Wäre also z.B. der Altersunterschied der Embryonen A und B gleich t, so wäre.die ,Wachsthumsin- h. 4 h 20200510522 10,12 tensität der Scapula im ersten Stadium Zn 20 Zee habe nun in ‘den Aufzeichnungen meines 'Bruders: keine An- gaben über das Alter der verschiedenen: Embryonen: gefun- den‘, ‘indessen würde sich dasselbe zur Noth : approximativ schätzen lassen 'aus den gegebenen Abmessungen. Es kommt uns hier aber gar nicht auf den absoluten Werth der Wachs- thumsintensitäten an. Wir fragen vielmehr nur’ danach,,in welchen Verhältnissen sind in ‚jedem: Entwicklungssta- dium die verschiedenen Skeletabtheilungen gewachsen. ‘Das Alter der vier Embryonen kann uns also gleichgültig, sein: Von Interesse sind ‚uns folgende Grössen: Wir bilden» die Differenzen ‘der auf gleicher Horizontalreihe hinter einander stehenden Grössen. Wir bekommen 'so vier: Verticalreihen von je vier Zahlen. Jede enthält die Längenzunahmen der vier Skeletabtheilungen in einem Entwieklungsstadium. Dividiren wir alle Zahlen einer solchen Vertiealreihe durch ihre erste, so haben wir das Verhältniss, in welchem die Wachsthums- intensität des Brachium, des Antibrachium und der Hand zur Wachsthumsintensität der Scapula steht. In der folgenden Tabelle finden sich diese Zahlen zusammengestellt: € Ueber die Gestaltung: der Gelenkfächen. r 669 im Stadium Wächsthums- | im Stadium |im Stadium | im Stadium intensität von: A—B BC c-D D-E Scapula 1 1 1 1 Brachium 1,2 2,5 2 3,3 3,4 Antibrachium | 0,6 2,9 2,6 MR: Hand 4 ©) | dsl ls 2,1 | 1,9 Bemerkenswerth ist in’ der vorliegenden Tafel ‘ohne Zweifel der ausserordentlich’hohe Werth, den; in allen: Sta- dien die relative Wachsthumsintensität des'Os brachii hat. Dieser Umstand spricht für die Ansicht, umderen Prüfung es sich handelt. Inder That, das Os brachii hat an ‘beiden - Enden convexe Flächen und: soll ja eben diese dem 'Ueber- wiegen seines Wachsthums über das seiner beiden Nachbarn verdanken. In dem einen ‘Stadium B—-C hat mun freilich die Wachsthumsintensität des Antibrachium einen grösseren Werth als die. des Humerus. Dies kann aber aus verschiedenen Gründen noch nicht als eine genügende Widerlegung der fraglichen Ansicht angesehen werden. Einmal könnte man zu der Behauptung seine Zuflucht nehmen, dass der kleine Unterschied der beiden Grössen auf Messungsfehlern ‘oder Zufälligkeiten des besonderen Falles beruht habe, und: sich im umgekehrten Sinne herausstellen würde, wenn die Mes- sungen: fortgesetzt würden... ı Gesetzt aber auch, man nimmt an, die in der Tabelle vorkommenden Werthe wären allge- mein gültig, so könnte man immer noch ein anderes Sta- dium für das eigentlich maassgebende erklären. In der That scheint das Stadium C—D erst darüber zu entscheiden,, wel- cher Knochen im 'Ellenbogengelenk die couvexe Fläche'be- kommt. Ich finde nämlich unter den Aufzeichnungen meines Bruders’ über die mitgetheilten. Messungen folgende Notizen: Im. Stadium B—C „Bildung. der Höhle. der Humerusgelenke, aber flach“, im Stadiun C—D „Verwändlungder- flachen Höhlen in rotatorische Flächen.* Es würde also wohl das letztere Stadium, für die Gestalt, der Gelenkllächen das eigent- lich maassgebende sein. Ueber die Gestaltbildung der Flächen des Handgelenkes 670 L. Fick: lässt uns die obige. Tabelle gänzlich in Zweifel. Es kann das auch nicht anders sein, weil die Hand als einG@anzes darin auftritt. Die Hand ist aber aus verschiedenen hinterein- ander liegenden durch Gelenke verbundenen Skeletabtheilun- gen zusammengesetzt. Die Wachsthumsintensitäten derselben können; sehr verschieden sein. Ebenso verschieden die Wachs- thumsintensität einer einzelnen von der des Ganzen. Es kommt hier bloss auf. das Verhältniss der Wachsthumsinten- sität des Carpas zu der des Antibrachium an. Auf dies erlauben aber, wie aus dem eben Gesagten erhellt, die Zah- len unserer. Tabelle gar keinen Schluss. Es kannrecht‘ wohl der Carpus in allen Stadien oder wenigstens in den für die Gelenkformibildung maassgebenden schneller gewachsen sein, als das Antibrachium, wie es das zu beweisende Prineip we- gen der concaven Gelenkfläche der Radiusepiphyse. verlangt, obgleich die ganze Handlänge im zweiten, dritten und vier- ten Stadium langsamer zugenommen hat, alsı die Länge des Antibrachium. Jedenfalls durch solche Ueberlegungen angeregt, "hatte mein Bruder auch. noch Messungen gemacht, im‘ denen die einzelnen Abtheilungen der Hand gesondert auftreten... Eine Reihe derartiger Messungen enthält die nachstehende Tabelle. ee |beim Embryo beim Embryo beim ee Embryo = r A Buharof aM D Antibrachium 0,08'' 0,09'' 0,22 0,24 Carpus „ 0,02 0,03 0,04 0,06 Metacarpus 0,04 0,04 0,06 0,10 Digitus 0,05 0,05 0,08 0,11 Berechnet man hieraus in der obigen Weise die Verhält- nisse der Wachsthumsintensitäten der verschiedenen Abthei- lungen, so ergiebt sich: 1) Ausdehnung in der Richtung von der Schulter za den Finger- spitzen, t Ueber die Gestaltung der Gelenkflächen. 671 Wacheinume- 1 Im I Im en Im En "Intensität des Antibrachium 1 1 Carpus 1 A 1 Metacarpus 0 0,16 2 Digitus 1) 0,23 1,5 Im Stadium C—D hat sich das Gelenk ‘zwischen Anti- braehium und Carpus gebildet. Das mittlere Wachsthum war aber in diesem Stadium merklich gleich. ‘Da in den früheren Stadien der Carpus auffallend langsamer wuchs als das Antibrachium, so ist anzunehmen, dass die Gleichheit des mittleren Wachsthums von Antibrachium und Carpus im Stadium C—D der Ausdruck davon ist, dass im ersten Theile desselben der Carpus immer, noch ‚wie, früher langsamer wuchs, als das Antibrachium, dass im zweiten Theil umge- kehrt der Carpus rascher wuchs. Im weiteren Stadium über- trifft vielleicht die Wachsthumsintensität des Carpus die des Antibrachium noch mehr. Vielleichtist nun die Gelenkbil- dung im zweiten Theile des Stadiums C—-D erfolgt und er- folgt die weitere Gestaltung der Flächen noch später. Wenn man dies annehmen darf, so würden die zuletzt mitgetheilten Zahlen eine willkommene Stütze der Annahme meines Bru- ders abgeben. Bei den vorstehenden Messungen finde ich noch folgende Anmerkung meines Bruders: „In C sind noch beide Handwurzelreihen gleich, in D ist: die’ erste schon sehr klein gegen das Capitatum.“ Es wäre demnach also auch die convexe Fläche des Os capitätum dadurch zu erklären, dass dieser Knochen intensiver wächst als die erste Reihe der Handwurzelknochen und sich gleichsam in dieselbe 'hin- eindrängt. Ich habe zwar sonst hoch Notizen über Messungen an Embryonen unter den Papieren ‘meines Bruders gefunden, sie lassen sich aber jetzt nicht in zusammenhängende Reihen ordnen. Zum Theil: fehlte: mir: der Schlüssel zum Verständ- niss ihrer Bedeutung überhaupt. Ich unterlasse daher ihre Mittheilung» 672 Claude Bernard: Zum Schlusse kann ich nieht umhin als meine Meinung auszusprechen,. dass zwar, das von meinem Bruder zusam- mengebrachte experimentelle und embryologische Material (das er selbst offenbar für nichts weniger als genügend hielt und zu vervollständigen gedachte) keineswegs ausreicht, seine Ansichten von der Gestaltung der Gelenkflächen über alle Zweifel zu erheben, dass aber dadurch die a priori gewiss sehr grosse Wahrscheinlichkeit dieser Ansichten wenigstens nieht‘ gemindert, sondern entschieden noch a posteriori 'ver- grössert "wird. Sur la, couleur du,sang dans les divers etats fonc- tionnels des glandes. (Lettre de M. Claude Bernard ä M. E.du Bois-Reymond.) Paris, 12 Aoüt 1859. Dans le dernier nume&ro des Archives d’anatomie et de phy- siologie que vous publiez conjointement ‘avec M. le; Pro- fesseur Reichert, M.le-Professeur Herrmann Meyeraras- semble un grand nombre d’experiences sur la couleur du sang, pour la 'plupart dejü anciennement connues. Dans son article M. Meyer considere ces experiences comme analogues & celles que j’ai faites reeemment sur linfluence des nerfs sur la couleur du sang dans les divers ı6tats fonetionnels des glandes, et que vous avez honorees d’une traduction dans votre excellent journal. Comme le but‘que se propose M. Meyer est evidemment d’elueider l’historique de cette question phy- siologique; je,crois: servir la science dans‘le m&me sens que lui,len'essayant de faire voir qwil y a eu’ confusion entre des exp£riences heterogenes et que mes recherches ne peuvent pas &tre comparees avec celles qu'il a citees. Je: vais d’abord rappeler en'quelques mots'les prineipaux resultäts de mes experiences, 'afın de pouvoir les comparer ensuite avec ceux-que la science: possedait.d&ja. sur le m&me sujet. 1) Dans une premiere communication intitulee: Sur les Sur Ia coulenr du:sang dans les divers &tats fonetionnels des glandes. 673 variations de couleur dans le sangveineux des.or- ganes glandulaires suivant leur, etat de.fonction ou de repos (Comptes 'rendus de l’Academie. des seiences, 25 Janvier 1858), jai etabli que les glandes ‚possedent un sang veineux rouge quand ellesiseeretent et un sang; veineux noir lorsqu’elles sont en repos, e’est-A-dire qu’elles ne seereten pas. J'ai prouve clairement.ce fait pour ‚le rein et pour la glande salivaire sous-maxillaire. ‚Je, ne sache pas que per- sonne ait signale ‚avant, moi cette. variation ‚de couleur du sang veineux dans ‚les glandes.en rapport, avec leur etat fonc- tionnel seeretoire. 2) Dans une, seconde communications. De l’influence de deux ordres denerfs qui determinent,les,varia- tions de couleur du sang veineux'.dans les organes glandulaires, j’ai montre que les deux '&tats physiologiques des glandes, l’&tat de fonetion ‚et l’&tat de repos, correspon- dent ä& l’activit& de deux, ordres'.de,.nerfs;\ l’un qui,,lors du repos, retärde la cireulation; l’autre qui, pendant la secretion, rend la, eireulation .tellement active /qu’on peut yoir alors le sang veineux rouge anime de pulsation comme le sang arteriel. Je crois &galemerit avoir, sigual& un fait nouveau en ,mon- trant cette influence..de, deux |nerfs ‚antagonistes, sur ‚la cireu- lation capillaire des ‚organes ‚glandulaires. | 3) Dans ‚une troisieme, communieation intitulee; Sur la quantitd d’oxygene que .vontjent!le.,sang veineux des organes glandulaires, A)l’stat,de fonction et ä Vetat.de repos;,et sur.l’emploiiidie,l’oxyde, de car- bone pour determiner/ les.propontions doxygene du sang, j/ai fait voir que le ‚changement ‚de, couleur du sang veineux determine dans les organes glandulaires par, des nerls speciaux est en rapport avec des. qualitös chimiques et des proportions d’oxygene diflörentes dans ces deux sangs; et a ce propos jai signal& une m&thode nouvelle pour la deter- mination de l’oxygene du sang par l’emploi de loxyde de earbone. Comme on le voit, toutes les experiences qui font lobjet de mes trois m&moires sont relatives a des faits bien nets, et 674 Clande'Bernard: Sur la couleur' du'sang etelı bien determines. ‘Il 's’agit uniquement des organes' glandu- laires dans leurs conditions physiologiques.' En effet j’ai evite avee grand soin qu’il y eüt jamais' dans mes exp£eriences des troubles generaux dans’ la eireulation ou dans la respiration. Je n’agissais que sur les nerfs specjaux d’organes limites dont je modifiais la eireulation locale sans que la eireulation ge- nerale du corps ni'la respiration fussent aueunement modi- fiees. C’est ee qui m’a permis d’&tablir ce r&sultat que je eonsidere comme tr&s-important, & savoir: que les eireulations organiques locales peuvent &tre ind&pendantes de la eireulation generale, et que sans cesse, dans les &tats fonetionnels 'orga- niques, la eirculation locale se modifie sous l’influence des nerfs vasomoteurs d’un organe sans ‘que la 'eireulation’ ge- nerale en soit troublee. Il me sera facile actuellement''de prouyer que les expe- riences 'eitees par M. Meyer n’ont’aucun rapport avee celles qui pree&dent. En effet'M. Meyer parle d’abord' d’expe- rientes de section des pneumogastriques dans lesquellesle sang etait devemu noir dans les arteres. Le fait est connu et ex- pligu& depuis longtemps. Il'n’a rien A faire avec action direete des nerfs; il est dü simplement a l’asphyxie des ani- maux, et si’on' ouvre la 'trachee, le’ sang redevient rouge quoique les nerfs- pneumogastriques soient toujours' coup&s. M. Meyer rapporte ensuite'des experienees d’animaux morts qw’on insufllait et’ chez lesquels leisang veineux’ changea 'de couleur et devint’ rouge: | Ces vexperiences faites sur ‘des ani- miaux morts et refroidis‘nelressemblent en rien aux miennes. Le seul fait indiqu@’ par 'M. Meyer qu’on’ pourrait peut- &tre rapprocher de mes experienees est celui qui consiste ä montrer qu’un nerf d’un membre etant coupe, le sang veineux devient plus noir quand on galvanise le bout du 'nerf coupe. Je n’ignorais pas cette experience fort ancienne, et je Vai preeisement eitee dans mon memoire pour faire voir que les observations que j’ai faites sur les glandes etaient tout-A- fait differentes et jusqu’ä certain point opposees. En’effet jai dit que si sous l’influence de Petat d’activite fonetionnelle du muscle le sang devient noir dans ses veines et si pendant Ch. »Aeby:' Ueber ‚glatte Muskelfasern im ‚Oyarium n, s..'w. 675 son! etät.de repos il; devient plus rouge, c'est le ‚contraire pour les glandes. En effet j’ai etabli que dans ces derniers organes ‚le sang veineux est rouge pendant l’actiyite fone- tionnelle "et noir pendant le repos. En’ resume je ne nie pas qu’on ait fait autrefois des ob- servations plus on moins variees et, incoherentes sur l’in- Auence des nerfs sur la couleur du sang. Mais je erois que les faits enonees dans mes trois m&moires et dont j’ai rap- pel& les principaux resultats ont un but nouveau et bien de- termine, ce qui permet de classer faeilement les. r&sultats qu’ils ont apporte ä la seience touchaut l’infuence des nerfs sur la eirculation capillaire locale des organes. J’ajouterai que; V’bistorique ‚consciencieux fait paxı M. Meyer me semble justement fournir ‚Ja meilleure preuve de ce que j’avance.!) Ueber glatte Muskelfasern im Ovarium und Mes- ovarıum von Wirbelthieren. Vorläufige Mittheilung von Dr. CH. Arpy. Nachdem sehon seit längerer Zeit das Vorhandensein or- ganischer Muskelfasern theils im Ovarium, theils im Mes- oyarium gewisser Fische durch Leydig constatirt war, ‚musste in neuerer Zeit die Mittheilung Pflüger’ s über peristaltische 1) Hr. Bernard beachtet vielleicht nicht genug, dass in Kri- mer’s und Hrn. Meyer’s Versuchen nach Durehschneidung der Ner- ven Jas Venenblut heller ‚floss als sonst. Da, nach Hrn. Heidenhain, ein Tonus der Skeletmuskeln nicht nachweisbar ist, so lässt sich dies nieht, im. Fall des Muskelvenenblutes, aus einer dauernden ‚schwachen Zusammenziehung der Muskeln bei nnzerschnittenen Nerven. ableiten, eine Erklärung, die ohnehin nicht für das Hautvenenblut passen würde, Da nun, nach Hrn. Pflüger, die vorderen Wurzeln gefässschuüirende Fäden führen, so liegt es nahe, mit Hrn. Meyer jene T'hatsache so zu deuten, als fliesse das Blut durch die in Folge der Lähmung ihrer Nerven erweiterten Gefässe zu schnell und. reichlich, um dunkel zu werden. Alsdann aber scheint ein Zusammenhang dieser Versuche mit Hrn. Bernard's schönen Entdeckungen doch wohl unverkennbar. E. d. B.-R. 676 Ch. Aeby: 'Ueber‘glatte Muskelfasern im Ovarinm'u.’s. 'w\ Bewegungen des Froscheierstockes zu einer erneuten Prüfung dieser ‚Gebilde auffordern, zumal es Pflüger selbst nicht gelungen war, contractile Elemente in letzterem aufzufinden. Meine hierüber im Laboratorium des Herrn Prof. du Bois- Reymond angestellten Untersuchungen haben ! Folgendes ergeben. ; Beim ‚Frosehe, existiren mehr. oder weniger, normal gebildete glatte. Muskelfasern in den. Wurzeln des Eierstock- gekröses, “welche von beiden Seiten der Wirbelsäule entsprin- gen und nach hinten und unten eonvergirend die "Aorta schlingenförmig, umfassen. Hier ‚nun legen ‚sie, sich in,Form dieker längsfaseriger Scheiden um die austretenden Ovarial- arterien , um sie auf diese Weise bis zu ihren fansten Ver- zweigungen zu begleiten. Die einzelnen Zellen selbst nehmen eine, eigenthümliche ı Form ‚an, indem sie: zu , langen und schmächtigen, hellen Fasern auswachsen, die in ihrer Mitte einen schmalen, nur ausnahmsweise getheilten Kern auf- weisen. »'Die Venen bleiben von einer solchen Umhüllung durchaus. frei.» — ‚Von Interesse ist!es nun, dass. dieselbe, ei- genthümliche Bildung bei den meisten Thieren vorzukommen scheint, wenigstens gelang es mir bereits sie bei den ver- schiedensten Classen, bei Tritonen und Kröten, bei einer Schlange, einer Eidechse und einer Schildkröte, bei der'Taube und dem Huhne nachzuweisen. Bei der hiesigen Schildkröte, wo die musculösen Gefässscheiden ansserordentlich mächtig ent- wickelt sind, glaubte ich ausserdem 'glatte Muskelfasern in selbstständigen Zügen zu erkennen; auch konnte ich hier sehr deutlich eine spontane Contraction beobachten. Das Verhal- ten der Muskelzellen selbst bei diesen verschiedenen Thieren war nicht immer dasselbe, und zwar. schien es mir mit der Höhe der Bientwickelung in Verbindung zu stehen. Je weiter diese letztere gediehen war, um so "mehr boten die Zellen ein frisches und kräftiges Aussehen und zeichneten sich na- mentlich’ durch“ die Grösse und Schönheit des Kernes aus, während sie im entgegengesetzten Falle augenscheinlich, ver- kümmert waren, einen kleinen unscheinbaren Kern enthielten und überhaupt alle möglichen Uebergangsstufen zu Zellen- formen erkennen liessen, an deren contractiler Natur unwill- kürlich Zweifel sich erheben mussten: Ob und wie aber'diese Gebilde mit den"genuinen Muskelzellen zusammenhängen, ob vielleicht‘ während der Reifung der Eier eine progressive, nach ‚derselben eine. regressive Entwieklung der contractilen Elemente Platz ‚greift; darüber muss der Entscheid künftigen Forschungen überlassen bleiben. Indem ich diese Notiz der Oeffentlichkeit übergebe, be- halte ich mir die genauere, Erforschung dieser Verhältnisse bei den genannten und bei anderen Thieren, namentlich wäh- rend der verschiedenen Epochen der Ovarialthätigkeit, vor, Berlin, 14. August 1859. Franz Leydig: Ueber die Kusseren Bedeckungen der Säugethiere. 677 Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. Von FRANZ LeyDıG in Tübingen. (Hierzu Tal. XIX. und XX.) Die Physiologie: hat: von jeher'die Bedeutung der äusseren Haut für den: thierischen Haushalt, namentlich insofern sie ein Hauptsitz von Absonderungen und das allgemeine Ge- fühlsorgan ist, wohl gewürdigt; weniger, ‘wie mir scheint, fühlten sich die Zootomen zu einem Studium :dieser Körper- theile hingezögen, ja es lässt sich wahrnehmen, ‚dass in man- chen: einschlägigen: Erörterungen "gerade die äusseren Be- deekungen etwas stiefmütterlich. behandelt werden. Der Ge: danke, es sei der „Balg* nur:„der 'öberflächlichste Theil des Organismus“ und: der inneren Organisation untergeordüet, mithin von. geringerer Wichtigkeit, ‚mag dabei ‚mitgewirkt haben. Gegenwärtig ist die Auffassung gewiss eine ‚andere, es wird Jeder eine-Förderung unserer Kenntnisse ‚auch über diesen Gegenstand für.'eben ‚so erwünscht halten,: wie. von jedem anderen Organsystem, und von diesem Gesichtspunkte aus erlaube ich’mir über einige "nach bezeichneter Richtung hin gepflogene Arbeiten hier zu berichten. Die Untersuchurgsmethoden, ‚um den’ Bau der äusseren Haut festzustelleu, haben sich. im Laufe‘ der Zeit vervielfäl- tigt, denn während man früher sich zumeist nur durch Ma- eeration der injicirten oder auch nicht injieirten Haut zu un- terrichten ‚suchte, zog man später ‘vor, von gekochten oder frischen ‚oder getrockneten Hautstücken scharfe Durehschnitte zu nehmen, die man 'alsdarn wieder der Einwirkung von Wasser und Reagentien aussetzte; im jüngster Zeit wurde auch gegerbte Haut oder Leder für Deutlicehmachung man- cher Structurverhältnisse empfohlen. Indessen darf immer- Kelchert's u, du Bols-Keymond's Archiv. 1859, 44 678 .ısidtsynäa sat Franz. Leydig: J "gibvs Ianaı? hin gesagt werden, dass die Haut der Säuger in gar man- cher Hinsicht dem Beobachter Schwierigkeiten setzt und ein- zelne Fragen, wie z. B. die, auf welche Weise die Nerven in ihr enden, sind noch immer, nicht mit Sicherheit zu ‚be- antworten; aber selbst abgesehen von dergleichen feineren Structuren ist es mitunter gar,nicht so leicht über gröbere Verhältnisse Aufschluss zu erhalten, z. B. ob Schweissdrüsen fehlen oder zugegen sind, zumal wenn man, wie es bei mir öfters der Fall war, nur alte, längst getrocknete oder in Weingeist aufbewahrte Hautstücke zur Untersuchung vor sich hat. - Diese Bemerkung mag mich: entschuldigen, wenn! ich mich unten über gewisse’ Dinge zweifelhaft 'ausspreche , be+ züglich deren man 'von vornherein vermuthen sollte, dass sich eine bestimmte Auskunft geben liesse. Frühere Forscher trennten nicht selten in Folge ihrer Art zu. präpariren. die Haut in eine grössere:Anzahl von 'Schich- ten, alsı dies gegenwärtig geschieht, wo man'sich ‘wohl ziem- lich allgemein ‘zu der’ Annahme geeinigt hat, dass» die’ äus- seren Bedeckungen der Säugethiere aus einer 'bindegewebigen, gefäss- und nervenführenden Lederhaut und einer‘ gefäss- und 'nervenlosen zelligen Oberhaut bestehen. Beide Hautlagen zeigen dann wieder in’ ihrer Dicke bestimmte Abänderungen, so dass: man künstlich‘ diese: Hauptschichten allerdings es mals in’ mehrere Blätter zerlegen kann. | ni Fett der Oberhaut. Ich will mich nicht dabei ‚aufhalten, dass bei allen’ -Säu- getbieren, wo ‘ich hierauf achtete,: die Oberhaut ‘sich in’ eine untere 'weichere‘ ‘oder jüngere Schicht: (sog. Malpighisches Netz)‘ und eine obere, mehr verhornte Lage oder eigentliche Epidermis schied, ‚Auch ’habe ich mir von ‚den verschieden- sten Säugethieren, 'Schnabelthier mit eingerechnet, angemerkt; dass während die: Zellen »des' Rete Malpighii deutlich 'kern- haltig waren, die Zellen der Epidermis: 'kernlose Plättchen vorstellen. Häufig sind die 'Zellen des: Rete Malpighii pig- menthaltig und 'was vielleicht bemerkenswerth' ist, ‘auch noch indem Falle, wo..die Haare fast alle 'pigmentlos, von rein Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 679 weisser Farbe sind. Ich beobachtete dies z.B. bei der in Weingeist gelegenen Haut des Eisbären (Ursus maritimus) und des Pferdes (Schimmel). Die Oberhaut war intensiv braun pigmentirt, und das Pigment erstreckte sich dabei mit den Wurzelscheiden tief in die Haarbälge hinein. Derglei- chen pigmentirte Wurzelscheiden sieht man ebenso beim Hund, bei der Robbe (Phoca vitullina) u. A. Richtet man sein Augenmerk auf die Füllung der Zellen mit dem körnigen Pigmentstofl, so zeigt sich als Regel, dass, mag die Zelle noch so viel der Pigmentkörnchen enthalten, der Kern der Zelle doch davon frei bleibt, weshalb es mir um so mehr auffiel, dass bei Vespertilio murinus die Zellen der‘ Schleim- schicht, an der Flughaut wenigstens, in den unteren Lagen einen theilweise pigmenthaltigen Kern besitzen. Das Bild ist gewöhnlich so, dass die dunklen Pigmentkörner um den Kern herum mangeln und letzterer demnach von einer lichten Zone umzogen ist; man erkennt dadurch begünstigt ganz zweifellos, dass in der Rindensubstanz des Kernes ein Ring stark dunkler Pigmentkörner liegt. Das Centrum des Kernes scheint aber immer sich frei vom Pigment zu erhal- ten. — Von allgemeinerer Bedeutung ist, dass metallische Pigmentirungen der Haut bei Säugethieren ausserordent- lich selten sind, ja: man kennt eigentlich nur zwei Fälle, den Goldmaulwurf (Chrysochloris), dessen Haare Metallglanz haben, und den Unterleib der Cetaceen, der wie Quvier und schon vor langer Zeit der Schiflschirurg Martens an- geben, eine „schöne Silberfarbe* hat. Die Cetaceen nä- hern sich demnach auch hierin den Fischen, bei welchen so- wie bei den Amphibien, dergleichen metallische Färbungen sehr häufig vorkommen. Das Pigment kann bei Säugethieren bald in die Zellen des Rete Malpighii abgesetzt sein, bald auch in die oberen Schichten ‚der Lederhaut, und der Angabe Cuviers, die Lederhaut habe nie Theil an den Färbungen der Haut, wird Niemand mehr beistimmen. Schon einige frühere Beob- achter haben bemerkt, dass die bei einigen Affen an ge- wissen Stellen vorkommenden blauen, grünlichen oder schwar- 44° 680 Franz Leydig: zen Farben ihren Sitz in der Lederhaut selber haben. ‘Auch an einem und demselben Thier ist der Ort, wo das Pigment sieh befindet, nach den Localitäten verschieden. Ich sehe 2. B. bei Cercopithecus sabaeus, dass im Handteller das stark- braune Pigment im Rete Malpighii liegt, hingegen an der behaarten Brust ist die Epidermis nach ihrer ganzen Dicke pigmentlos und statt dessen erblickt man in der obern Por- tion der Lederhaut eine fortlaufende Zone von verästigten braunen Pigmentfiguren. Ein andermal können die beiden Hautschichten zugleich die Färbungen enthalten. Beim Igel z. B. sieht man in der Haut des Rückens Pigment im Rete und darunter in dem Corium. Ob sich die starken blauen und rothen Färbungen der Gesichts- und Gesässschwielen mancher Paviane im Rete oder in der Lederhaut finden, konnte ich noch nicht untersuchen. Die gelegentlichen An- gaben der Autoren "lauten darüber verschieden. Nach Gustav Carus ist der Sitz der Färbung im „Schleimnetz*, bei Anderen ist das Bindegewebe der Lederhaut genannt. Bezüglich der Cetaceen erfahren wir durh Cuvier, dass ihre Oberhaut immer mit einer schleimigen, etwas öli- gen Feuchtigkeit bedeckt sei, wodurch die Haut dieser Thiere gegen das Weichwerden im Wasser. geschützt wird. ‚Man darf sich nun nicht etwa vorstellen, die Zellen der Epider- mis seien in ungewöhnlichem Grade mit Fettkügelchen er- füllt, im Gegentheil, ich sehe in der Hornschicht ‘von Ba- laena mysticetus und von Delphinus phocaena ‘gar keinen fetttropfigen Zelleninhalt und in der Schleimschieht nur ein- zeln@ Kügelchen, die sich jedoch gegen die Cutis hin etwas mehren, immerhin jedoch so spärlich sind, dass sie für un- sere Frage kaum in Betracht kommen. . Es muss vielmehr hervorgehoben werden, dass die ganze Epidermis bei den Cetaceen in diffuser Art von einem gelblichen Fett dureh- drungen ist, welches auch, worauf'ich noch einmal zurück- kommen werde, in der Lederhaut die Bindegewebsbalken ebenso diffus gelb färbt, wie die Zellen der Epidermis (Horu- schicht). Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 681 Epidermis des Wallfisches. Die Oberhaut der beiden von mir untersuchten Ceeateen- arten giebt noch zu folgenden Bemerkungen Anlass. Die Oberhaut ist bei dieser Thiergruppe bekanntlich. von unge- wöhnlicher Dicke, was aber fast ausschliesslich auf Rech- nung des so sehr entwickelten Rete Malpighii kommt, denn die Hornschicht der Oberhaut ist verhältnissmässig gar nicht diek, ja könnte eher dünn genannt werden.!). Die braunkör- niges Pigment enthaltenden Zellen des Rete zeigen mir. beim Wallfisch auffallend dicke Membranen, was den feinen Haut- schnitten ein eigenthümliches Aussehen verleiht, indem jede der braunen Zellen von einem breiten, hellen Saum umzogen wird, Betrachtet man endlich die freie Fläche der Horn- schicht vom Wallfisch, so unterscheidet das unbewaffnete Auge kleine scharf abgegrenzte Flecken, die mikroskopisch ange- sehen sich als besonders geartete Epidermispartien kund ge- ben, indem sie von den gewöhnlichen Epidermiszellen genau umschriebene Haufen eigenthümlicher rundlicher, mit con- eentrischen Ringen versehener Zellen darstellen. .So viel ich gesehen habe, entsprechen diese Flecken den Stellen, wo die Spitzen der Lederhautpapillen liegen, und ich würde vielleicht eine gewisse Aehnlichkeit mit den von mir bei den Fischen aufgefundenen „becherförmigen Organen“ vermuthen,, wenn ich eine Spur von Nerven in den Papillen hätte erblicken können, was aber nicht der Fall ist; auch wäre ich. durch- aus nicht im Stande, den Vergleich sonst weiter zu begrün- den. Da man etwa die Räume der Oberhaut, in welchen die fadenförmigen Papillen der Lederhaut liegen, mit dem, 1) Schon Martens (1675) nennt die Oberhaut des Walltisches dünn wie Pergament und zu nicht viel zu brauchen, scheint aber das darunter liegende „daumesdicke, Rete Malpighii für die Lederhaut zu halten, da er sagt, sie sei als Lederhaut unbrauchbar , weil sie ge- trocknet #0 brüchig wird, wie ein Pilz, Scoresby hingegen, ein spä- teurer „Grönlandsfahrer“, unterscheidet ganz genau die dünne Ober- hant, darunter eine ®%/ı Zoll dicke Schleimhaut und dann erst komme die echte weisse und zähe Lederhaut. 682 Franz'Leydig: was ich meine, verwechseln könnte, so glaube ich noch ein- mal bemerken zu müssen, dass, was ich vorhin beschrieb, nicht Hohlräume sind, sondern solide Zellenmassen, welche die Lage der in der Tiefe verborgenen Papillen auf der freien Fläche der Epidermis anzeigen. Verbindung derEpidermiszellen mitder Lederhaut. Eine Frage allgemeinerer Natur ist die, ob die’untersten Epidermiszellen der Lederhaut bloss aufliegen oder in einer innigeren Beziehung zu den Gewebselementen (der Cutis ste- hen. Aus verschiedenen neueren Untersuchungen ist hervor- gegangen, dass an manchen Epithelien ein Zusammenhang zwischen den Enden der Nervenfasern und zelligen im Epi- thel liegenden Theilen Statt haben möge. Billroth') ist noch weiter gegangen, indem er erklärt, dass in der Zunge des Frosches die mit kürzeren oder längeren Fortsätzen ver- sehenen Zellen eontinuirlich in die Fasern der Papillen über- gehen und glaubt, dass dies Verhalten ein constantes, auch für die menschliche Zunge geltendes sei, 'setzt jedoch bei, dass er bezüglich der Lederhaut vorläufig nicht zu einem bündigen Resultat gekommen. Leider befinde ich mich trotz mehrfach wiederholten Versuchs, darüber klarer zu werden, in derselben Lage. Nur das ist mir ziemlich sicher gewor- den, dass auf den Papillen die tiefsten, fadig ausgezogenen Zellen der Epidermis fest angewachsen sind, also nicht ein- fach aufsitzen. Ich habe wiederholt Präparate vor mir ge- habt, namentlich von der Handfläche des Cercopithecus sa- baeus und den Sohlenballen des Igels, Stächelschweines ete,, wo die mit Kalilauge behandelten Hautschnitte: durch fort- gesetztes Abstreifen ihrer Epidermis so vollständig beraubt waren, dass eben nur die untersten Zellen ihnen anhingen, aber diese waren denn auch durch ihre Stiele mit der 'gezackten 1) Ueber Epithelialzellen und die Endigungen der Muskel- und Nervenfasern iu der Zunge. Deutsche Klinik 1857. Nr. 21, ausführ- licher und mit Abbildungen in Müller’s Archiv 1858: Ueber die Epithelialzellen der Froschzunge, sowie über den Bau der’ Cylinder- und Flimmerepithelien und ihr Verhältniss zum Bindegewebe, Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 1683 Oberfläche 'so fest ‘verwachsen ‚ dass’ sie "bei Druck auf das Deckglas pendelartig hin und 'herschwangen,, ohne‘ sich‘ zu lösen und: nur auf! gewaltsame'./Weise' von ‘ihrem Boden 'zu entfernen 'waren. Relief,der Oberhaut.ı;ı Die Oberfläche der’ Epidermis zeigt beiden Säugethieren sehr mannichfaltige Reliefverhältnisse.’' Ganz'' glatt, ohne Seulptur, scheint sie bei den Cetaceen zu sein, sonst ’wer- den haarlose Stellen, insbesondere’ Schnauze und Sohlenbal- len, an ihrer freien Fläche von Furchen durchzogen, welche, indem sie in’ typischer ‘Weise verlaufen, der Oberfläche eine charakteristische Zeichnung verleihen. Man betrachte'2. B. die'nackte Schnauze des Rindes," wie sie in’ längere oder kürzere, eine regelmässige Gruppirung einhaltende Tafeln zerfällt; analoges zeigt der Schwanz'des Bibers, der Ratte u.8. w., 50 wieüber den ganzen Körper weg die fast’haarlosen Sehnppenthiere, Gürtelthiere und Diekhäuter. Nur an der Hohlhand der‘ Affen, so wie an! der häarlosen' Stelle des Greifschwanzes sieht’man jenelänglichen und parallelen Linien, welche unter ‘den Fingerspitzen’ auffallende symme- trische Bogen, Windungen und Spirallinien erzeugen. Ueber die‘ behaarte Haut der Säugethiere' ziehen, was man nach Entfernung der Haare durch’ Maceration sehen kann; ähn- liche mannichfach sich’kreuzende schwache Furchen weg, wie ander menschlichen Haut. ' Die „vieleckigen Furchen“ auf der Flughaut der Fledermäuse möchte ich nicht hierherstellen, da sie nicht von der vorgebildeten Form‘der Oberfläche 'ab- hängen, welche letztere vielmehr hier glatt ist, sondern von der Anordnung des elastischen. Gewebes in der Lederhaut, wovon unten ein. Näheres. Kein Säugethier ganzıhaarlos,” auch manche an- scheinend kahle Stellen sind mit Haaren besetzt. Speeifisch für die Olasse der Säugethiere sind die Haare, und mit gutem Grund ‘trägt (deshalb die Gruppe-im -Oken- schen System den Namen: Haarthiere, Es giebt'kein' Bäug6- 684 Franz Leydig: A «thier;, dem durchweg. und' zu allen Zeiten diese Horngebilde mangeln, ‚selbst den. Cetaceen, die‘ sieh noch. bei Cuvier durch. den „gänzlichen Maiigel“ der Haare auszeichnen, feh- len sie nicht vollständig. Beim Wallfisch sitzen’kurze Bor- sten an der Ober- und Unterlippe, die Delphine haben we- nigstens im Fötuszustände an der Oberlippe einige kurze Borsten, und eine Art (Delphinus' Inia) ‚ist nach. d’Orbigny an dem; schmalen verlängerten Schnabel mit ‚starken Haaren bedeckt.!) Bei Manatus ist die gänze obere Seite des: Leibes nebst den Lippen ‚mit, kurzen ‚zerstreuten Borsten; besetzt; endlich bei Halicore stehen um den Mund herum starke Bor- sten und ebenso finden sich über die.übrige. Oberfläche des Körpers ‚einzeln. stehende ‚kurze Borsten. , Einen ‚starken Bart trägt auch Aytina. ander Oberlippe. auf der Zeichnung, welche Brandt in den.Mem, de l’Acad,. de ‚St, ‚Petersbourg. Tomi. V., Symbolae' Sirenologicae Tab:: V. giebt.?) Gewisse Körperstellen mancher Säuger ‚können haarlos scheinen, ‚wie 2, B. die zu einem Panzer erstarrte Rückenfläche der Gürtel- thiere, der Schuppenthiere; allein zwischen den Knochen- tafeln und’ den Hornschuppen stehen doch einzelne: Borsten- Auch die Flughaut der Fledermäuse ist wohl nie, obgleich es bei der ersten Besichtigung so vorkommt, „völlig nackt“, im Gegentheil über die ganze Fläche weg mit allerdings spar- sam stehenden Härchen besetzt. Ich untersuchte. ‚Yespertilio murinus, Rhinolophus clivosus (aus Südafrika), bei. welch’ letzterem die Haare der Flughaut meist zu kleinen Trupps beisammen stehen; dasselbe sehe ich bei’ Aycteris thebaica; gewöhnlich ‘sind 'es fünf Haare, eins. in, der Mitte, die an- 1) Nouvelles Annales du Museum d’histoire natur. Tom. III. Pl. 3. 2) Beim Dugong sollen sich auch auf der inneren Oberfläche der Wangen Borsten finden, wie solches von einer Anzahl anderer ‚Sänger, namentlich von Nagern bekannt ist. Zu diesen kann ich 'auch Hypudaeus (Arvicola), terrestris rechnen, bei dem ich auf jeder ‚Wan- genfläche einen inselförmigen Fleck sehe, der mit steifen Haaren be- setzt ist, wobei die zugehörigen Talgdrüsen so stark entwickelt sind, dass sie deutlich mit weisser Farbe durch die Schleimhaut hin- durchscheinen, Ueber die äusseren Bedeckungen der Sängethiere. 685 deren ‚herumgestellt; ‚in. ‚gleicher Weise sind bei, Phyllostoma hastatum die Haare'über die ganze Flughaut verbreitet. End- lich ‚sei auch noch als Beispiel der: „feuchten, schlüpfrigen, haarlosen“ Oberlippe des Rindes gedacht, bei der ich’eben- falls über die ganze Fläche weg in Abständen von 1 bis 2 Härchen wahrnehme, Stichelhaare als Gentren für die Wollhaare. ‚Wenn‘ die Haarbedeckung der: Säugethiere ‘aus ' zarten Wollhaaren und diekeren Stamm-, Licht- oder Stichelhaaren besteht, so findet man, dass beide durchgängig zu einander eine gewisse regelmässige Anordnung zeigen, in. der Art, dass ‚zu. je einem Stammhaar eine Anzahl von Wollhaaren gehören, welche das erstere umstellen. Es vertheilen sich so über die ganze Haut die Haare büschel- oder truppweise, was ich mir. von. folgenden Thieren angemerkt habe. Bei Stenops. gracilis (Haut der. Brust) bestand‘ je ein Trupp aus 4—5 Haaren; bei Echidna hystrix (Brustgegend) umga- ben 8—9 Wollhaare ein Stammhaar; ein ‚spärlich behaartes Stückehen Bauchhaut von Orycteropus capensis zeigte dennoch, dass immer zu /einem Stammhaar einige Wollhaare gehörten; sehr deutlich war das Verhältniss auch bei jenen Säugethie- ren, deren Balg als gutes Pelzwerk |geschätzt wird, z..B. MHustela erminea, Lutra vulgaris; hier erscheint je ein Stichel- haar von einer. ganz besonders grossen Zahl von Wollhaaren umgeben, Auch’ beim Schnabelthier ist dasselbe Verhältniss zu sehen, wobei gelegentlich gesagt sein mag, dass Flächen- schnitte durch die Haut die Ansicht dieser Haarbüschel fast noch besser geben, als Verticalschnitte. Schon Heusinger'!) hat: auf diese „merkwürdige Verbindung“, in welcher die Wollbaare zu den Stammhaaren stehen, aufmerksam gemacht. Er fand sie beim Hasen, bei Ratten, beim Marder, Wiesel, Eichhörnehen, und hält ebenfalls dafür, dass sie allgemein sei. Es ist mir ferner sehr wahrscheinlich, dass diese Haar- "büschel selbst wieder gewisse Linien am Körper beschreiben 3) System der Histologie Th. LS. 189, > 686 Franz Leydig; und nur scheinbar bunt durcheinander ohne jegliche Ordnung stehen.* Es lässt sich wohl diese Bemerkung auf die‘ Haare überhaupt ausdehnen. Bei Pteromys volucella z. B. sah ich an der Flatterhaut, nachdem die beiden Lamellen von 'ein- ander abgezogen waren, an jeder einzelnen, ‘dass die Haare entschieden in regelmässige Linien gestellt sind. Pigment der Haare. Oberhäutchen. Ueber die Beschaffenheit der Marksubstanz'), Rinde und Oberhäutchen habe ich mir ‘wenig aufgezeichnet, da mein Interesse mehr gegen die Haarpapille und den Haarbalg ge- richtet war, von welchen Theilen bei der Lederhaut die Rede sein wird. Nur im Hinblick auf die Farbe des Haares vom Goldmaulwurf, so wie über das Oberhäutchen mancher 'an- derer Säuger mögen ein paar Angaben hier stehen. Der Goldmaulwurf (Chrysochloris) ist bekanntermaassen das einzige Säugethier, dessen Haar eine metallische, zwischen grün, braun und goldgelb spielende Färbung hat. Die Haare eines in Weingeist aufbewahrten Exemplars, welches ich un- tersuchte, waren sehr platt, am langen Wüurzeltheil ganz hell, darauf eine Strecke weit, ähnlich’ wie die Mäusehaare, hell und dunkel geringelt und dann unter Verbreiterung nahm der Haarschaft den Metallglanz an. Derselbe' rührt'nun von demselben Pigment her, welches auch den niederen Wirbel- thieren, Amphibien insbesondere, den Metallglanz’ giebt. Es sind Körner, welche in der zelligen Marksubstanz liegen, schmutzig gelb oder braun bei durchfallendem Licht, metal- lisch glänzend bei auffallendem sind, und in Kalilauge kaum angegriffen werden. Die Körnchen häufen sieh nach’der Spitze des Haares zu immer mehr an und sind’ sö klein, dass man nicht bestimmen kann, ob sie eine 'krystallinische Form ha- ben.?) — i 1) An demherauspräparirten, Tasthaar des Hundes; sehe) ich im Mark eine Strecke. weit ‚eine 'blutähnliche Flüssigkeit. . 2) Ich habe bereits anderwärts erwähnt, dass die Elemente des Metallglanzes bei Fischen und Reptilien von Moleculargrösse bis zu deutlich krystallinischen Bildungen gehen und habe ’noch’ jüngst wieder Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 687 Es wird von Reissner und Reichert!) angegeben, dass die Plättchen (Zellen) des Oberhäutchens vom Haar’ nie Pig- mentkörner enthalten. Davon scheint es doch einige Aus- nahmen zu geben, indem ich z. B. an den stärkeren Haaren von. Bradypus cuculliger zweifellos sehe, dass in den Plätt- chen ‚der Cuticula Pigmentkörner in ziemlicher Menge vor- handen sind. Dass die äussere Wurzelscheide eine Strecke weit bei manchen Thieren pigmentirt ist, wurde bereits oben er- wähnt, und hier mag auch eingeschaltet sein, dass in der Fusssoble des Bibers die Haarwurzelscheiden gleich der Schleimschieht der Epidermis intensiv horngelb aussehen und zwar um ein .verkleckliches stärker gefärbt, als die Haarsub- stanz selbst. — Die Zellen des Oberhäutchens springen be- kanntlich‘ bei manchen Säugethieren (Fledermäusen z. B.) mit ihrem verschmälerten Vorderrand so vor, dass die Ober- fläche des Haares höckrig und der Rand sägezähnig wird; in ganz besonders auffallendem Grade gewahre ich dies auch bei Mustela erminea und noch mehr bei Lutra vulgaris. Das Haar sieht dadurch im Kleinen aus ungefähr wie der Schwanz des Schuppenthieres im Grossen. Eigenthümlicher Wulst der Wurzelscheiden. Die Wurzelscheiden bieten am Haar vieler Säugethiere noch eine besondere Bildung dar, auf welche man meines Wissens bisher nicht geachtet hat. Es ist ‘dies eine Ver- ein neues Beispiel kennen gelernt. Triton alpestris hat auf der Rückenseite einen schiefergrauen Anflug, dessen Bestandtheile gewöhn- liches dunkelkörniges Pigment und metallisch (silbrig) glänzende Par- tikeln sind,. so klein indess, dass sie (für unsere Instrumente) noch keine Krystallform angenommen haben. Vergleichen wir dagegen da- mit die Elemente, aus denen der weissliche Streifen besteht, wel- cher den im Frühjahr verdickten Schwanz des männlichen Triton eri- stalus ziert, so sehen wir, ‚dass die metallisch glänzenden Körper viel grösser sind und deutlich krystallinisch. l) Reissner, Beitrag zur Kenntniss der Haare des Menschen und der Säugethiere. Dorpat 1854 nnd Reichert: Ueber Structur, Textur, Bildung und Wachsthum ‘der Haare in Günsbnurg’s Zeit- schrift für klinische Mediein 1855. 688 Franz Leydig: diekung oder ıein ringförmiger 'Wulst, welcher am‘ oberen Drittel: der Haarwurzel sich findet. Zuerst wurde ich an den Tasthaaren der Hausmaus (vgl. Fig. 3 d.) auf die fragliche Bildung aufmerksam, indem man wahrnimmt, wie die gerad- linig) aufsteigende Wurzelscheide plötzlich zu beiden Seiten mit starker. Wölbung vorspringt, woran sich jedoch nur’ die äussere Wurzelscheide betheiligt. Aehnlich, verhalten sich auch ‚die Tasthaare des Hundes. Doch auch den gewöhn- liehen Stichelhaaren kommt der Wulst zu. ‘Ich habe densel- ben gesehen z.B. beim Meerschweinchen, beim Wiesel, beim Schnabelthier. Nicht selten sind an dieser Stelle die Zellen der Wurzelscheide mit dunkelkörnigem Inhalt er- füllt, so dass der Wulst im Längenschnitt gesehen, sich fast so ausnimmt, wie ein aus der Wurzelscheide hervorknospen- des Talgdrüsenpaar; ich bemerke indessen dazu, dass derglei- chen Haare weiter vorne an der hergebrachten Stelle immer ihre entwickelten Talgdrüsen besitzen, Bindegewebsbalken der Lederhaut. Der Grenzsaum, Das Corium besteht bekanntlich aus Bindegewebe, dessen Bündel sich bei den Säugethieren auf männichfaltige filzartige Weise durchflechten und zwar, wie mir scheint, ist das Ver- webt- und Verschlungensein der Bündel um so stärker, je dicker die Haut ist. Bei Säugern mit dünner Lederhaut ist diese, könnte man sagen, einfacher gewebt. Ein sehr häufig zu beobachtender Charakter der Lederhaut ist ferner, dass die Bindegewebsbündel in der Tiefe von stärkerem‘ Durch- messer sind, als nach der freien Fläche hin, wo sie, viel dünner geworden, aber dicht durcheinander geschoben, diesem Theil der Haut ein mehr compacteres Aussehen verleihen, was sich denn soweit steigert, dass an feinen Schnitten von frisch getrockneter und wieder erweichter Haut ein homogener Grenzsaum gesehen wird. Rollett'), welcher die gegerbte 1) Untersuchungen über die Structur des Bindegewebes in d. Sitz- ber, d. math. naturw. Klasse d. Wiener Akademie 1858 (Bd, XXX, No, 13.). Ueber die äusseren 'Bedeckungen der Säugethiere. 689 Lederhaut studirt hat, kommt indessen zu dem Resultate, dass auch dieser scharfe Rand aus innig durchflochtenen fa- serigen Elementen besteht, welche als die auseinander ge- gangenen Fortsetzungen und Enden der in der Tiefe liegen- den breiten Bündel zu betrachten sind. An feinen Durch- schnitten der Haut verschiedener Säuger z. B. Dicotyles torquatus, Bradypus cuculliger, Cercopithecus sabaeus bemerke ich, wie früher am freien Rand, dieselbe gezähnelte Beschaf- fenheit, wie sie zuerst Meissner an der menschlichen Haut beschrieben hat. Die Zähne scheinen mir feine Falten oder seeundäre Erhebungen zu sein, welche über die ganze freie Fläche der Lederhaut hinweggehen und: je ein Zahn ist, im geweblichen Sinne aufgefasst, gleich dem Querschnitt eines der kleinsten „Fasersegmente*, wie man sie bei Rollett!) an der Oberfläche der Haut dargestellt sieht. In den Spal- ten oder Lücken dazwischen, welche dem vorhin Bemerkten zufolge die Aequivalente der Bindegewebskörperchen vorstel- len, wurzeln die fadigen Enden der untersten Epidermis- zellen, und obschon man aus theoretischen Gründen die An- sicht Billroth’s, dass die tiefen Epithelialzellen und die faserigen Ausläufer der Bindegewebszellen in continuirlichem Zusammenhang stehen, für eine sehr wahrscheinliche halten muss, so ist es mir, was schon oben angedeutet wurde, bis jetzt noch nicht an der Lederhaut gelungen, dies Continuitäts- verhältniss factisch zu sehen. In der ‚sehr dicken Lederhaut der Pachydermen macht man auch die, wie mir dünkt, nicht ganz unwichtige Wahr- nehmung, dass die Bindegewebsbündel nicht alle den glei- chen Consistenzgrad haben , indem einzelne um vieles härter „sind als die anderen und schon durch ihre Farbe dies an- kündigen. ‚So füllt mir an einem schon lange Zeit’in. Wein- geist liegenden Stück Gesichtshaut von Hippopotamus amphi- bius auf, dass man auf dem senkrechten Schnitt mit freiem Auge an den maunichfach durchflochtenen Bündeln solche von hornbrauner Farbe und der Festigkeit der Knorpels unter- 1) A. a. 0, Tab. I. 43 bei a. 690. Franz Leydig: Iotf scheidet und andere, die durchaus, weissgrau geblieben sind, was ‘offenbar ‚auf eine innere Verschiedenheit in der’ Natur dieser Bündel hindeutet. — Das Rhinoceros hat wahrschein- lich unter den Säugern und eigentlich allen Thieren die diekste Lederhaut und letztere ist dabei so fest, dass be- kanntlich Spazierstöcke, Peitschen und Schilder daraus 'ge- schnitten werden. Auch in histologischer Hinsicht ist sie nieht uninteressant. Meine Untersuchung erstreckt sich zwar nur auf ein kleines Stück vom Seitentheil des Kopfes, wel- ches mir Herr Professor Kraus in Stuttgart schenkte; aber alle feinen Scheiben, welche ieh davon abtrug und mit Wasser. erweichte, sahen dem Flächenschnitt einer colossalen Sehne viel ähnlicher, ‘als einer fibrösen Haut. Gleichwie nämlich auf dem Querschnitt der Sehnen eine scharfe Ab- grenzung oder Zerfällung des Bindegewebes in primäre, seeun- däre u.s. w. Bündel sichtbar ist, so zeigt sich hier am Haut- schnitt vom Rhinoceros wie die kleinsten Bündel zu neuen Einheiten vereinigt werden, diese wieder zu einem grösseren Ganzen und so fort zusammengehalten sind, so dass nach Zusatz von Kalilauge man auf dem ‘Querschnitt der Bündel eine grosse Anzahl von engeren und ‘weiteren umschliessen- den Ringen sieht, wovon die kleinsten ungefähr den Durch- messer der glatten Muskelfasern haben. Ich kenne bisher kein anderes Corium, bei dem die histologische Verwandt- schaft mit dem Sehnengewebe so ausgeprägt wäre, wie bei genanntem Thier, und leite die eigenthümliche Festigkeit von dieser Gewebsanordnung ab. Nur insofern waltet ein be- deutender Unterschied ob, dass bei den Sehnen ein lockeres Bindegewebe in’s Innere dringend, die grösseren Abtheilungen der festen Bindesubstanz umschliesst, während hier an der Lederhaut diese Rolle gleichfalls solchen Zügen von derbem Bindegewebe, aber nach anderer Richtung verlaufend, über- tragen ist. Elastisches Gewebe der Lederhaut. Sehr häufig durchziehen elastische Fasern die Lederhaut der Säuger und vereinigen sich auch wohl stellenweise zu Ueber die äusseren ‚Bedeckungen der Säugetbhiere. 691 grösseren ‘Zügen. Im Corium ‚der Extremitäten einer Hystrir eristala sehe ich die elastischen Fasern an der unteren Fläche zu einer besonderen Schicht angehäuft, obwohl auch zwischen’ den hier wenig durchkreuzten,. sondern mehr in einer und derselben Richtung verlaufenden Bindegewebsbündeln einzelne elastische Fasern hervortreten. Ganz ungewöhnlich reich an elastischen Elementen’ erscheint die ‚Flughaut der Fleder- mäuse, wobei ‚denn. insbesondere, die Anordnung der Fa- sern bemerkenswerth ist. ‚Betrachtet, man mit, freiem Auge und gegen das Licht gehalten ‚die ausgespannte Flughaut dieser Thiere, so erblickt man’ ausser stärkeren, zum Theil unter sich parallelen, zum Theil sich durchkreuzenden Strichen noch ein feines Gitterwerk.!) Letzteres rührt fast ausschliess- lich von. einem weitmaschigen elastischen Netzwerk her, während sich an der Bildung der ersteren auch die Züge des Hautmuskels und die Stämme der Gefässe und Nerven be- theiligen. Jeder Strich des feinen Gitterwerkes besteht mi- kroskopisch aus einer Menge dicht zusammengedrängter ela- stischer Fasern, mit anderen. Worten aus elastischen Bändern ; und bei geringer Vergrösserung hat es den Anschein, als ob dieses System ‚elastischer Bänder eine solche Selbstständig- keit durch die Flughaut bewahre,, dass vom Rande der Li- gamente keine der elastischen Fasern sich zwischen die Bin- degewebsbündel 'erstrecke. ‚Allein, hat man die, sehr pigment- baltige, Epifermis entfernt, und , Kalilauge angewendet, so lässt sich! bei starker’Vergrösserung doch wahrnehmen, dass vom Bande der elastischen Bänder, ohne dass diese dadurch an Dicke abnähmen, sieh sehr feine, Fasern ablösen und zwar in solcher. Anzahl, dass das elastische Ligament einen fein gefiederten Rand erhält, Es bedarf. keines besonderen Hin- weises, dass jenes eigenthümliche fein gefältelte Aussehen, welches wir. an der nicht ausgespannten Flughaut erblicken, 1) Das Netzwerk im Fledermausflügel ist begreiflicherweise auclı auf den besten Abbildungen nie bis in's Einzelste getreu wiedergege- ben, um so mehr musste deshalb dieses Object für den „Natur- selbstdruck* würdig befanden werden. | Vergl. Auer, 'Naturselbstdruck Taf. XIL in di Denkschrift d. Akad. d, Wiss. in. Wien 1853. 692 Franz ’Leydig: von der Anwesenheit und Gruppirung dieses Netzes ıelasti= scher Bänder bedingt wird und ebenso ist dasselbe auch’ die Ursache, dass jedes abgeschnittene Stückchen der‘ Flughaut augenblicklich stark zusammenschnellt, sowie auch, dass am todten Thier die Flughaut im re verharrt. Ich habe die nicht ungegründete 'Vermuthung, al be- sagtes Netzwerk elastischer Bänder von manchem’ Beobach- ter für ein Nervennetz gehalten wurde Bezüglich Cuvier’s ist mir das so ziemlich gewiss und zwar deshalb, weil’er des elastischen Netzwerkes nicht gedenkt und doch von den Nerven der Flughaut sagt, dass sie sehr zahlreich seien und mannichfach verästelt. „Sie bilden ein wegen seiner Feinheit und der Menge seiner Anastomosen bewundernswürdiges Netz,“ Um mein Misstrauen bezüglich dieser Angabe zu verstehen; bitte ich zu erwägen, dass die Nerven der Flughaut'kauni zahlreicher sind, als in der übrigen Haut, ferner in. den fei- neren Stämmchen, die hier in Betraeht kommen können, so blass, dass sie keineswegs in dem Grade in’die Augen sprin- gen, als die dunklen elastischen Netzzüge, und''yon! @u- vier, der, soviel mir bekannt, wenig mit dem Mikroskop arbeitete, auch kaum bemerkt wurden; 'es passt vielmehr, was derselbe über die Feinheit und bewundernswerthe Menge der Nervenanastomosen $agt, durehaus-'auf die’ elastischen Netze, aber nicht im mindesten 'auf die nur in einzelnen Stämmehen sich über die Flughaut' verbreitenden Nerven. ' Ich glaube, dass Jeder, welcher den Gegenstand nachprüft, das"gleiche Urtheil sprechen wird, und die allerwärts zu findende An- gabe von dem grossen Nervenreichthum in der Flughaut der Fledermäuse dürfte hiernach künftig weniger zu betonen sein, wobei ich indessen noch zugestehen will, dass die elastischen Bänder durch ihr ‘dunkles 'Aussehen, sowie ‘dadurch, dass ihre Elemente in dichter, gestreckter Weise hinziehen, den ersten Blick leicht irre leiten und den Eindruck von Nerven machen können., Hat man, ‘jedoch die Epidermis entfernt und durch Reagentien die’ Haut heller gemacht, so sind die elastischen Bänder; die Nerven und die Züge des Hautmus- Ueber die äusseren‘ Bedeckungen der Säugethiere. 693 kels, von denen gleich nachher die Rede sein soll, alle wohl von einander zu unterscheiden. Untersucht habe ich auf den besagten Punkt Vespertilio murinus, Rhinolophus clivosus, Nycteris thebaica und Phyllostoma: hastatum. Muskeln der Lederhaut. Was die, contractilen Elemente oder Muskeln in. der Haut der Säugethiere angeht, so sind dieselben in der Regel quer- gestreifter Art und nur in selteneren Fällen gesellen sich dazu auch solche, welche den einfachen oder glatten Mus- keln angehören. Eigentlich liegen zwar immer die bei ver- schiedenen Säugern so sehr entwickelten Partien des Haut- muskels unterhalb der Lederhaut und öfter ziehen sich so- gar noch die Fettträubchen des Pannieulus adiposus zwi- schen ‚beiden hin; aber an einzelnen Körpergegenden und wahrscheinlich stets da, wo sich die Muskeln ansetzen ‘und von wo sie kommen, treten die quergestreiften Bündel in die Substanz der Lederhaut hinein und mit feinen Ausläufern hart bis an die Grenzschicht dieses Organs. Eine. solche Gegend ist z. B. die Schnauze. Oefters ziehen auch auf weite Strecken einzelne Bündel oder Gruppen von Bündeln innerhalb ‚der Lederhaut nach der Fläche derselben, wie ich dies z. B. von einem Hautstück des Dicotyles torquatus und Ornithorhynchus paradozus sehe, ohne dass; ich genau: die Körpergegend bezeichnen könnte, welcher das Hautstück ent- nommen. ist. Von Interesse war mir zu sehen, wie die dünne Flughaut der Fledermäuse von einem System quergestreifter Mus- keln durchzogen erscheint, welche ihr zum Theil ganz eigen- thümlich sind, d. h. innerhalb der Haut entspringen und da endigen. Bei den oben genannten von mir untersuchten Fle- dermäusen ist die Anordnung dieser Museulatur in dem Theil der Flughaut, welcher sich zwischen der vorderen und hin- teren Extremität ausspannt, so ziemlich dieselbe und kann in ihren Hauptzügen mit freiem Auge verfolgt werden, na- mentlich schön bei Phyllostoma 'hastatum, denn hier sind in der ohnehin dickeren Flughaut die Muskeln so stark, dass Beichert's u. du Bols-Reyınond's Archiv. 1859. 45 694 Franz Leydig: sie an der unteren Fläche der Haut als Leisten'beträchtlich vorspringen. Die Muskeln ziehen zum Theil von der Seite des Körpers weg in die Flughaut hinein, die Mehrzahl'der Quer- und Längszüge aber‘ .hat Ursprung und Ende in‘der Flughaut, was man z. B. mit freiem Auge gut an jenen unter sich parallelen, die Flughaut in der Längsachse des Körpers durchsetzenden Streifen sieht, die als feine Striche inmitten der Haut beginnend, im weiteren Lauf anschwellen, dann mit verjüngtem Ende wieder in der Haut auslaufen. ' Bei Vespertilio gehen in der Flughaut zwischen der hinteren Ex- tremität und dem Schwanz die Muskeln quer, und noch im freien, geschweiften Rande ist ein solcher Muskelzug wahr- nehmbar. Hingegen bei Phyllostoma stellen sie an diesem Ort ein fast eontinuirliches Längsstratum dar. Die Wirkung der Muskeln besteht darin, dass sie die Flughaut rasch zu- sammenlegen, worin sie von dem elastischen Gitterwerk, dessen Zweck eben dahin abzielt, unterstützt werden; und an der zuletzt genannten Partie der Flughaut (ich sehe solches bei Vespertilio murinus), sowie z. B. auch an den starken un- terhalb des Oberarmes herabziehenden Muskeln, läuft zugleich mit dem Muskel, gewissermaassen in seinem Inneren ein ela- stisches Band. Das mikroskopische Bild ist dann so, dass in der Achse eines aus vielleicht 30-50 Primitivbündeln zu- sammengesetzten Muskels ein dunkler scharf eonturirter Streif — das elastische Band’ — sich zeigt. ‘Die Dicke des selasti- schen Bandes steht mit der Dicke des Muskels in geradem Verhältniss. — Die unten näher zu beschreibenden Hautdrü- sen sammt Haaren sitzen immer auf den musculösen oder elastischen Streifen, niemals in den freien Zwischenräumen, Zum Vergleich mit der Flughaut der Fledermäuse habe ich auch die Flatterhaut des fliegenden Eichhorns (Pte- romys volucella) mikroskopirt; obwohl, daich das in Weingeist aufbewahrte Thier schonen wollte, nicht in’ dem Umfange, als es mir wünschenswerth erschienen wäre; aber doch''sah ich soviel, dass hier die Flatterhaut auch im histologischen Sinne nicht die speeifische Beschaffenheit darbietet, wie die Flughaut der Fledermäuse, sondern die Charaktere einer ge- Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 695 wöhnlichen Hautfalte, durch‘ welche sich ein Hautinuskel’hin- zieht, besitzt. Oben und unten dicht behaart, schlängeln sich durch ihr bindegewebiges Gerüst einzelne elastische Fasern, ohne Ordnung und in nicht grösserer Menge, als sie sich fast überall in der Lederhaut finden. Die Bündel des (quer- gestreiften) Hautmuskels laufen, insoweit ich nach dem mir vorliegenden zollgrossen Stück urtheilen darf, einfach neben- einander in schräger Richtung von vorne nach hinten, und wie man beim Versuche, die Lamellen ’der in Kalilauge ge- legenen Hautfalte. von einander zu trennen, sieht, so haften die Muskelbündel inniger der unteren Lamelle an, als der oberen. Fettzellen ziehen in continuirlicher Lage durch’ die Falte fort, wobei ich im Hinblick auf die Fledermäuse auch noch bemerken möchte, dass dort die Flughaut bloss an ihrer Wurzel fettreich ist, in ihrer übrigen Ausdehnung aber nur da und dort Gruppen von Fettzellen aufzeigt. Glatte Hautmuskeln sah ich bei meinen früheren Nach- forschungen mit Sicherheit nur als Fleischhaut des Hoden- sackes und als Muskellage jener Hautdrüsen, welche als um- gewandelte Schweissdrüsen anzusehen sind. Gegenwärtig bin ich im Stande hinzuzufügen, dass auch in der Haut des Igels und des Stachelschweines eine mächtige glatte Mus- eulatur vorhanden ist, die mit den Stacheln in näherer Be- ziehung steht und eben deshalb erst unten, wo von der Ein- pflanzung derselben in die Lederhaut die Sprache sein wird, erörtert werden soll, Pulsirende Hautvenen der Fledermäuse. Ich komme noch einmal auf die Flughaut der'Fleder- mäuse zurück, indem ich der schönen Entdeckung gedenke, welche Wharton Jones an den Blutgefässen dieses Theiles gemacht hat.’) Er fand, dass die Venen eine rhythmische Contraetion haben und dass auch in Uebereinstimmung da- 1) Discovery that the Veins, of the Bat’s Wing «(which ‚are furnish- el with valves) are endowed with rhythmical contractility, and that the onwäard flow of blood is accelerated by each contraction, By T. Wharton Jones. Philosoph. Transact. 1852 p. 131. 45* 696 ‚ Franz Leydig: mit die‘ Muskelfasern der Venen von anderem Baue seien, als in den Arterien. Ich habe nun zwar bis jetzt aus Man- gel an‘ lebenden Thieren die Pulsation der Venen’ noch nicht selbst gesehen, kann aber die Angaben des: genannten For- schers hinsichtlich der verschiedenen Beschaffenheit der Mus- keln an den Venen und Arterien nach Untersuchung von Weingeistexemplaren vollkommen bestätigen. Ich finde, ‚dass die Muskeln der Arterien im Verhältniss zu denen der Ve- nen schmäler sind, ferner heller aber schärfer gerandet, und dass die Muskellage im ganzen dicker ist, als bei den Ve- nen. Die Muskeln der letzteren sind breiter, haben blassere Linien, sind granulirt und zeigen unverkennbare Spuren von Querstreifung. Die Muskeleylinder bilden nur eine einzige Schicht, sind im Allgemeinen zwar eirculär angeordnet, aber bei genauerem Zusehen ziehen sie geflechtartig um die Intima des Gefässes herum. ‚Es nähern sich somit die Muskeln der mit rhythmischer Contraction begabten Venen, wie das auch Wharton Jones andeutet, in ihrer feineren Beschaffenheit den contractilen Elementen der Blut- und Lymphherzen. Papillen der Lederhaut. Die freie Fläche der Lederhaut erhebt: sich bei, Säuge- thieren in bestimmten Körpergegenden sehr allgemein in Pa- pillen, .d. b, in kürzere oder längere Hervorragungen von warzenförmiger oder fadenartiger Gestalt, auch wohl in Erhöhungen von Plattform. Fast als Regel ist anzusehen, dass kahle Körpergegenden einen starken Papillarkörper ha- ben, während an behaarten Stellen die Oberfläche der Leder- haut nur leichtwellige Linien zeigt. ‚Zur Bestätigung des Ge- sagten mögen folgende Einzelheiten dienen. An dem Hand- teller des Cercopithecus sabaeus sind die Papillen in Grösse und Form durchaus den menschlichen ähnlich, auch ist ihre Anordnung zu eigenthümlichen Leisten, die sich in den Li- nien der Oberhaut wiederspiegeln, wie beim Menschen. In den Papillen sah ich (es handelt sich um ein Weingeist- exemplar) nur die Contouren der Gefässschlingen mit Sicher- heit, hingegen ‚von Tastkörperchen wollte sich keine, be- Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 697 stimmte Andeutung zeigen. Bei den Fleischfressern sind die Papillen an den Sohlenballen und der Nasenkuppe sehr entwickelt, so namentlich, worauf schon Gurlt!) aufmerksam gemacht hat, in den Sohlenballen des Hundes und der Katze, doch entsprechen hier, genau genommen, die gros- sen kegelförmigen Hervorragungen, welche sich an der Ober- haut abzeichnen,, den Leisten in der Hand- und Fussfläche des Menschen und der Affen und erst die nochmals von der Oberfläche der Kegel sich erhebenden Papillen stehen‘ mit den Papillen des Handtellers und der Fussohle des Menschen auf einer Linie.?) Auch an der Nasenkuppe des Eisbären ist, wie'ich bemerke, die freie Fläche der Haut durch einen starken Papillarkörper warzig zerklüftet. Lange, im Epithel vergrabene Papillen sehe: ich ferner an der Lippe des Pfer- des: alle Papillen, welche ich zur Ansicht hatte, enthielten nur (efässe und elastische Fasern, keine Spur von Nerven. Ganz ähnlich in Form, Länge und Inhalt waren sie an der nackten Schnauze des Rindes; auch konnte man sich hier leicht überzeugen, wie sie nach dem behaarten Rande hin rasch an Länge abnahmen, um auf der behaarten Haut wei- terhin so sich abzuflachen, dass man auch sagen könnte, sie seien ganz verschwunden. Die Papillen stehen an der nack- ten Schnauze auf niedrigen tafelföormigen Hervorragungen, welche ich den grossen Kegeln in den Sohlenballen vom Hund und der Katze gleichstelle, und welche dann auch die schon oben (siehe Oberhaut) berührte getäfelte Zeichnung der Ober- fläche hervorrufen, und im Anschluss hieran mag auch gleich bemerkt werden, dass die plattenartigen Erhebungen des Co- riums der Gürtelthiere unter denselben Gesichtspunkt, auch wenn sie verkalkt sind, gebracht werden müssen, " Von eigentlichen Pachy dermen konnte ich ein Stück- chen aus der Gesichtshaut des Hippopotamus amphibius und vom 1) Vergleichende Untersuchungen über die Haut des Menschen und der Haus-Säugethiere in Müller’s Archiv 1835 $. 408. 2) Wohl immer sitzen auf den Höckern der Sohlenballen. erst noch die mikroskopischen Papillen, selbst noch bei den kleinsten Süu- gern, Ich sehe es unter anderen 80 z, B. bei Soren tetragonurus, 698 Franz Leydig: Anfang der Halsgegend des Rhinoceros (Spec: ?)'untersuchen. Die nur sehr spärlich behaarte, fast kahle Haut: dieser Thiere scheint überall einen starken Papillarkörper'zu haben. Beim Nilpferd waren an bezeichneter Gegend die Papillen lang und schmal, beim Rhinoceros!) besassen sie eine breite Ba- sis und waren nach oben mehr spitzig. Bei beiden konnte ich nur'Blutgefässe in den Papillen wahrnehmen, von Ner- ven waren auch nieht die geringsten Spuren aufzufinden. Das Meerschweinchen (Cavia cobaya) zeigt hohe Pa- pillen in den Zehenballen, "aber wieder nur gefässhaltige, An der behaarten, und zwischen den Haaren mit reichem Nervennetz ausgestatteten Haut der Nase hat ein Hautschnitt anstatt der Papillen einen welligen Rand. Auf der haarlosen, durch einen Hyalinknorpel gestützten Lippe des Schnabelthieres sind die Papillen ziemlich lang, doch kürzer als am Schnabel der Echidna. 'Da die Papillen der Schnabelhaut mancher Wasservögel Pacini’sche Körper besitzen, so könnte man vermuthen, dass das Schnabelthier an gleichem Orte an den peripherischen Enden der so 'zahl- rejehen und starken Schnabelnerven dergleichen Organe be- sitzen möchte, Allein es ist mir nicht geglückt, etwas von den fraglichen Bildungen zu sehen. Das Corium der Fusssohle geht auch bei Bchidna in statt- liche, wenngleich schmale Papillen aus, während die behaarte und bestachelte Haut nur die gewöhnlichen. niedrigen: Erhö- hungen zeigt. Am längsten erscheinen: die schon mehrfach untersuchten Hautpapillen der Cetaceen. Sie sind bereits von dem rus- sischen Feldarzt Steller an der von ihm entdeckten ‘und genau zergliederten Seekuh (Ahytina) bemerkt worden, zu einer Zeit, in welcher noch kein Autor (dem Hautorgan der 1) Ausnehmend lange Papillen müssen beim Rhinoceros von der Lederhaut in's Horn der Nase aufsteigen. Denn obschon ich'keine Beobachtungen hierüber angestellt, sondern bloss das trockne Horn eines Rhinoceros' indicus an seiner Basilarfläche : besehen "habe, so’ ist doch anzunehmen, dass das bier beginnende Canalsystem nur zur Aufnahme der’ 'das "Horn ernährenden Fortsätze'der Lederhaut dienen kann. Ueber, die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 699 Cetaceen ‚seine Aufmerksamkeit zugewendet hatte. Nach ihm besteht die „wie eine ‚dieke Schale. den ganzen Leib umge- bende Oberhaut aus: lauter ‚Röhrchen, wie ein 'spanisches Rohr, dicht än einander. und senkrecht, ‚so „dass sie leicht von einänder getrennt werden können, "Jedes Röhrchen ist gleichsam ein Haar, ‚das, mit, einer knolligen Zwiebel in der wahren Haut steckt; welche deshalb voll Grübchen ist, wie ein/Fingerhut.*.' Auch der Wallfisch habe eine solche Ober- hauf, obschon die Autoren nichts davon sagen. 'Scoresby, weleher wahrscheinlich der erste ist, 'weleher nach Steller die Haut eines Cetaceums näher untersuchte und wie bereits oben erwähnt: beim Wallfisch' die einzelnen Lagen richtig unterschieden hatte, lässt.das Rete ebenfalls „aus senkrech- ten Fasern“ bestehen, und endlich auch Heusinger ver- gleicht‘ bei Balaena mysticetus die Papillen den Haaren. Er sagt: „die Lederhaut ist,äusserst dünn oder fehlt ganz; da- gegen findet sich eine ‚mehr als zolldieke Schicht, die aus parallelen, dicht mit einander verklebten und verwachsenen Fasern besteht, zu unterst, ‘wo sie auf dem Fette standen, sind diese Fasern am dicksten, nach oben werden sie dünn und sind schwer von einander zu trennen, bis sie endlich in eine mehr blätterigte als faserigte, feste und hornartige ho- mogene, ein paar Linien dieke, Schicht verschmelzen, die dann noch mit einer dünnen, aber ihr ähnlichen Oberhaut- schicht bedeckt ist. Auf dem Längsdurchschnitte gleicht die Faserschicht sehr dem Längsdurchschnitt ‚des Hufkranzes. Auf dem Querdurchschnitte sieht man aber bald, schon mit einer einfachen Lupe, dass die Fasern, besonders nach unten, ganz hohle Röhren sind; also kann man wohl:sagen, dieses Schwielengebilde bestehe aus verwachsenen Haaren, die nur unter der Oberhaut liegen geblieben sind, die Oberhaut nicht durchbrochen haben.“ Man sieht, wie nahe Heusinger der riehtigen Anschauung war, indem er.den Vergleich mit dem Hufkranz macht, letzteren aber wieder aufgiebt bei Betrach- fung des Querschnittes, wozu sich indessen leicht die Erklä- zung findet, wenn man bedenkt, dass unser Forscher wahr- scheinlich ein trockenes Hautstück vor sich hatte, an dessen 700 Franz Leydig: Querschnitten die zusammengeschrumpften Reste der Haut- papillen aus den Räumen der Oberhaut herausgefallen oder unkenntlich waren, und selbst an einem Weingeistpräparate kann bei der geringen Vergrösserung, wie sie Heusinger (vergl. a. a. O. Taf. II. Fig. 6) anwandte, eine solche irrige Deutung sich einschleichen. Zu der von Vielen gehegten An- sicht, dass die Papillen Fasern seien, welche das Rete zu- sammensetzen, mag auch der Umstand beigetragen haben, dass selbst die Epidermiszellen zwischen den Papillen fadig aneinander gereiht sind, so dass eine faserige Structur jedem Beobachter als die erste auffällige Eigenschaft der Oberhaut erscheinen muss. Doch hatte bereits, was Heusinger nicht zu kennen schien, im vorigen Jahrhundert John Hunter‘) eine Beobachtung gemacht, welche auf eine andere Ansicht hätte führen können, indem er mittheilt, dass die in dem Malpighi’schen Netz zahllos vorhandenen Flocken oder Zotten mit Blutgefässen versehen sind. Diese Thatsache fand zuerst ihre Bestätigung durch Rapp, welcher ebenfalls nicht bloss klar aussprach, dass die fadenförmigen Gebilde weiche Ver- längerungen der Lederhaut seien, sondern auch bei einem wahrscheinlich frisch zergliederten Delphinus phocaena fand, dass die fadigen Verlängerungen „von Blut geröthet“ seien. „Schon mit blossem Auge erkannte man die rothen Fäden, noch viel deutlicher aber durch Hülfe der Lupe.* Wenn er dann beifügt, dass die Untersuchung an der Haut des Bau- ches angestellt werden müsse, weil in dem dort vollkommen weissen Malpighi’schen Netz auf einer mit einem scharfen Messer gemachten Durchschnittsfläche die rothen Fäden 'sehr leicht sichtbar sind, so erlaube ich mir darauf aufmerksam zu machen, dass man auch an den’ einigermaassen frei 'ge- 1) Observations on the Structure and Oeconomy of Whales. Phi- los. Transact. 1787 p. 395. „The eutis in this) tribe is extremely. vil- lous on its external surface, answering to the rongh surface of the cu- tiele, and forming in some parts small ridges, similar to those on the human fingers and toes. These villi are soft and pliable; they float in water; and each is longer or shorter according to the size of the animal .. .;in all, they are extremely vascular, Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 701 legten und mit Kalilauge behandelten Papillen von beliebigen Hautstücken, welche selbst’ schon geraume Zeit in Weingeist gelegen haben mögen, die Blutgefässe nicht unschwer zu er- kennen vermag, vorausgesetzt natürlich, dass man weiss, : wie Blutgefässe unter diesen Verhältnissen sich ausnehmen. ‘Ich habe schon früher an Balaena longimana die Hautpapillen un- tersucht und nie Nerven in denselben angetroffen, und auch jetzt, wo ich Hautstücke von Balaena mysticetus und Delphi- nus phocaena anzusehen in der Lage bin, mache ich dieselbe Beobachtung: die Papillen sind nur gefässhaltig, es steigt kein Nervenfaden in sie auf.‘ Cuvier hatte bei den Del- phinen (Delphinus delphis und Delphinus phocaena) die Pa- pillen vermisst, ‘es geht aber aus dem Obigen hervor, dass sie auch hier nicht fehlen. Macht man mit einem scharfen Messer einen senkrechten Schnitt z. B. durch die stark dun- kel pigmentirte Rückenhaut des Delphinus phocaena, so ge- wahrt das freie Auge die Papillen deutlich als helle im dunklen Rete aufsteigende Streifen. Die physiologische Bedeutung der Papillen der Le- derhaut ist wohl nach ‘dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse anders aufzufassen, als es früher geschehen ist. Man hielt das Corpus papillare für die letzten Endigungen der Hautnerven und nannte die Papillen eben deshalb auch die Nervenwärzchen: Diese Bezeichnung ist ganz unpas- send, da bei Säugethieren nur in seltenen Fällen in die Pa- pillen der Lederhaut Nerven aufsteigen, ja mit Ausnahme jener Papillen, welche beim Menschen die Tastkörperchen in sich bergen, bin ‘ich eigentlich bei keinem Säugethier bis jetzt auf Papillen der äusseren Bedeekungen gestossen, welche nervenhaltig gewesen wären, ich ‚sah im Gegentheil immer nur Blutgefässe in denselben. Dies kann uns denn auch be- stimmen anzunehmen, dass die Papillen in nächster Bezie- hung zu der Ernährung der Öberhaut stehen. Der immer gefässlosen Epidermis wird nur von der Lederhaut her die Ernährungsflüssigkeit zugeführt, und es ist einleuchtend, dass bei einer gewissen Dicke der Epidermis die Durchdringung der vielen Zellen mit dem Nahrungssaft nur langsam vor 702 Franz Leydig. sich gehen kann, im Falle: sie‘ von einer durchweg ebenen Lederhaut besorgt wird, während: in Gegentheil, ‘wenn. die Gefässe an vielen Punkten gewissermaassen in die Epidermis selber hineingeführt werden, eine raschere und allseitigere Dürchsiekerung der ernährenden Flüssigkeit die Folge sein muss. Und so sehen wir auch, dass überall, wo einer Stelle der Cutis eine dicke Oberhaut aufliegt , die Entwicklung des Papillarkörpers damit gleichen Schritt hält. Fettkörper der Lederhaut. Die Lederhaut wird nach unten, wo sie sich mit anderen Theilen verbindet, lockerer, indem ihre Bindesubstanz von grösseren und kleineren Hohlräumen durchbrochen wird. In diesen Lücken liegen Anhäufungen von Fettzellen, deren In halt nach den verschiedenen Arten bald fester, bald flüssiger ist. Unter den Landsäugethieren kann ‚beim Schwein die stärkste Fettlage unter der Haut; sich bilden, doch wird die- ses Thier hierin noch übertroffen. von, den CGetaceen, bei welchen die Lederhaut fast nach ihrer ganzen Dicke in Fett- körper (Panniculus adiposus) umgewandelt erscheint, so ‚dass eine. nur verhältnissmässig schmale Zone. zunächst ‘des Pa- pillarkörpers frei von. Fettzellen ‚ist. - Aber wenngleich an bezeichneter Stelle Fettträubchen mangeln, so ist doch’ auch dort die Lederhaut von difiusem Fett durchdrungen, ‚welches das Bindegewebe hier, wie die Balken zwischen den Massen der Fettzellen gelb färbt. Legt‘ man ein ‚Stückchen einer solchen thranigen Haut in Glycerin, so nehmen (die. Fettzel- len bald eine überraschende Aehnlichkeit mit dem Zellgewebe der Pflanzen an. Die Wand der Zellen hat einen ‘ziem- lichen Dickendurchmesser. Hautknochen der Gürtelthiere, Bei:den Gürtelthieren wandelt sich ein Theil der Haut durch Verkalkung zu Knochenplatten ‘um. Manche Schrift- steller hatten in früherer Zeit die Panzerstücke der: Gürtel- thiere zum „Horngewebe* gestellt, so z.B. Heusinger, ob- schon: doch: eigentlich die Mittheilungen Daubenton’s den Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 703 richtigen Platz, welchen fragliche Bildungen im histologischen System einzunehmen haben, ändeuten. Dieser sagt: „Wenn man diese Schale im Feuer verkalken lässt, so lösen’ sich alle-Stücke von selbst ab, werden klingend und weiss: Da ich einige zerbrach, so nahm ich inwendig wahr, dass ein Theil von ihnen fest; und dicht, und der andere fächricht uud schwammähnlich war, wie ein Knochen, z.B. das Stirnbein eines Kaninchens, welches ich mit hatte verkalken lassen.“ 'Spä- ter erklärte Blainville geradezu die Panzerstücke der Gür- telthiere für „verknöcherte Lederhaut* und neuerdings haben fast gleichzeitig H. Meyer) und Alessandrini?) genauere Untersuchungen über diese 'Theile angestellt. ‘Ich habe Pan- zerstücke mikroskopirt, nachdem sie zuvor in verdünnter Salzsäure ‚gelegen hatten; man sieht an dünnen Schnitten leicht die Knochenkörperchen und ein Netz von Havers’- schen Canälen, deren Meyer nicht gedenkt,. wohl aber er- wähnt er die Gefässöflnungen („Ernährungslöcher“), welche sich in bestimmter Zahl an der unteren Fläche der Knochen- plättchen befinden. Schon mit freiem Auge ist auf senkrech- ten Schnitten gut zu: sehen, dass die Panzerknochen nach aussen von fester, compacter Substanz sind, während sie nach itinen zu von grösseren und kleineren Lücken: durch- brochen den Charakter der spongiösen Substanz haben. Zu unterst folgt noch eine dünne, nieht verkalkte Schicht ‘der Lederhaut, ja nach Meyer wären die Knochenplättchen auch oben und somit von allen Seiten noch von Lederhaut um- geben, wogegen ich jedoch zu erwähnen habe, dass an den mir vorliegenden, ‚dem Rücken von Dasypus novemcinctus ge- nommenen Stücken‘ die‘ Epidermisschilder der Knochensub- stanz unmittelbar. aufliegen.?) 1) Ueber den Bau der Haut des Gürtelthieres in Müller’s Ar- chiv für Anar. u. Phys. 1848. 2) Structura: integumentorum Armadilli. In Novi commentarii/aca- Jdemiae seientiarum instituti Bononiensis. ' Bononiae 1849. Doch steht mir diese Abhandlung leider nicht zu Gebote. 3) Die /Knochenplatten“ ini Schild des 56 merkwürdigen Chla- mydophorus scheinen noch von! Niemandem ' mikroskopisch untersucht 704 Franz Leydig: Schuppen von Manis. Auch die Schuppen des Pangolin wurden früher manch- mal hinsichtlich ihrer geweblichen Stellung unrichtig beur- theil. Linne, Tiedemann, Illiger nennen die Schup- pen knochenartig, nach Anderen, und dies ist, wie ich aus eigener Beobachtung beistimmen kann, das Richtige, sind es verdickte Epidermisbildungen. In diesem Sinne sprachen sich z. B. Buffon und Rudolphi aus und insbesondere sagt letzterer!) sehr passend, es stelle jede Schuppe „gleichsam einen Nagel“ dar. Mir dienten zur Untersuchung nur einige der kleinen Schuppen an der unteren Fläche der Schwanz- wurzel von Manis javanica, wo man an Längsschnitten mit freiem Auge eine harte, horngelbe Schicht und darunter eine weichere, weissliche Lage unterschied, welehe übrigens nicht bis zum freien Rande der Schuppe reichte, sondern in'eini- ger Entfernung davon schon aufhörte. Diese letztere Schicht ist nämlich die Lederhaut, welche die Matrix der darüber liegenden nagelharten Epidermisbildung vorstellt. Ein feiner senkrechter Schnitt mikroskopisch untersucht zeigte, dass die Matrix der Schuppe die gewöhnlichen Eigenschaften einer Lederhaut hat, ohne dass von der freien Fläche sich Papillen erhoben hätten. Die Matrix jeder einzelnen Schuppe im Ganzen stellt aber eine’ colossale platte Papille vor. An der Schuppe selbst unterschied man ein schwach gelbbraun pig- mentirtes Rete Malpighii und eine dieke Hornschicht, deren zellige Elemente in Uebereinstimmung mit den menschlichen Nägeln alle noch mit dem Kern versehen ‚waren, während, wie auch sonst, die gewöhnlichen Epidermiszellen der oberen Lagen kernlos sind. Es erhellt'aus dem Voranstehenden, dass die Schuppen des Pangolin zwar im Allgemeinen mit worden zu sein, auch in der schönen Monographie Hyrtl’s: Chlamy- dophori truncati cum Dasypode gymnuro comparatum examen anato- micum in d. Denkschr. d. kais. Akad. d. Wiss. zu Wien 1855 finde ich keine hierauf bezügliche Angabe. 3) Ueber ‘Hornbildung, Abhandlgn. d. Akad. d. Wissensch. in Berlin aus d. Jahren 181415. Berlin 1818. Ueber die äusseren ‚Bedeckungen der Säugethiere. 705 den Schuppen‘ mancher Fische verglichen werden. können, andererseits aber sich wesentlich von ihnen entfernen, Sie gleichen Fischschuppen darin, dass die Lederhaut für jede Schuppe eine freie Verlängerung oder Matrix bildet, sind aber den Fischschuppen darin ganz unähnlich, dass während bei diesen die bindegewebige Matrix verkalkt und die ei- gentliche Substanz der Schuppe erzeugt, hier beim Pangolin jene die freien Hautfortsätze überziehende Epidermisschicht durch Verdiekung und Erhärtung „gleich einem Nagel“ die Substanz der Schuppe formt. Geweihe des Hirsches. In einem gewissen beschränkenden Sinne mag man auch das Geweih der Hirsche und Reh.e zu den Hautknochen stellen. Ich kannte früher nur Schliffe sowie trockene Prä- parate, um so lieber war es mir daher auch frische, in der Bildung begriffene Hirschgeweihe (aus dem Monat Juni) un- tersuchen zu können. Das Geweih erscheint um diese Zeit dieht behaart und von der Consistenz des Faserknorpels, doch schneidet es sich mit dem Messer noch viel leichter als dieser. An allen Schnitten fällt für’s freie Auge der ganz ungemein grosse Gefässreichthum auf; an Querschnitten liegt Blutpunkt an Blutpunkt und auf Längsschnitten sieht man über die ganze Fläche weg einen gleichsam dicht zusammen geschobenen Gefässbüschel. Es giebt schwerlich mehr ein zwei- tes ossificirendes Blastem, welches einen ähnlichen Blutreich- tham aufzuweisen hätte, ‘wie das noch weiche Hirschgeweih und man darf annehmen, dass die überraschende Schnellig- keit,') mit der das Geweih wächst und reif wird, durch diese Menge der Blutgefässe mit bedingt wird. Die Substanz zwi- schen den Gefässen ist eine Art, weicher Faserknorpel, der aber an der noch wachsenden Spitze des Geweihes eher die Eigenschaften eines embryonalen oder gallertigen Bindege- webes hat. Bei starker Vergrösserung sieht man an Quer- 1) Nach Blomenbach (Handbuch der vergleichenden Anatomie) kann ein 28 Pfund schweres Geweib in zehn Wochen wachsen. 706 ‚sroisktoyuit FranzLeydig:." sh andol) schnitten, nahe von der: G@eweihspitze- genommen;,).dass (die „Blutpunkte* Räume sind, welche, ‚ausser den: Blutgefässen noch zartes, gallertiges Bindegewebe enthalten; zunächst: der gefässhaltigen Räume, um sie herum, erkennt man strahlige Knochenkörperchen, während noch die Hauptmasse des zwi- schen , den , Gefässräumen liegenden, Gewebes aus: grossen, blassen, rundlich-ovalen Zellen besteht, um deren Peripherie sieh Kalkkörnchen 'niedergeschlagen haben. — Die äussere Haut, welche später austrocknet und’als „Bast“sich abschält, hat jetzt noch ganz die Structur der. übrigen äusseren Be- deckungen: eine farblose Hornschicht, darunter ein pigmen- tirtes Rete, in der Lederhaut die Haarbälge mit Talgdrüsen. Schweissdrüsen kamen mir nicht zu: Gesicht.!) Haarbälge mit Haarbüscheln. Es scheint bis. jetzt noch Niemand darauf. geachtet ‘zu haben, dass in den Haarfollikeln der Säugethiere sehr'häufig nicht bloss ein einziges, sondern mehrere Haare zugleich wurzeln. Mitunter lässt sich dies Verhalten schon mit freiem Auge gut wahrnehmen, so z. B. an Hippopotamus, von dem mir ein Stück Gesichtshaut vorliegt. | Es ragt da aus: je- 1) Eine ausführliche, mit reicher Literatur ausgestattete) Abhand- lung „über das Wachsthum, den Abfall und die Wiedererzeugung der Hirschgeweihe“ hat Berthold in s. Beiträgen zur Anatomie, Zooto- mie und Physiologie, Göttingen 1831 veröffentlicht. Die Gefässe des sich neu bildenden Geweihes kommen nicht aus der Arteria frontalis, wie,solches bei den Cavicorniern: der Fall ist, sondern’ aus der Art. temporalis. Das zurückfliessende Blut tritt in die Vena, temporalis su- perfieialis. Berthold präparirte auch die Nerven, welche die Blutge- fässe des Rosenstocks begleiten und die sich in der Haut und „in der noch nicht erhärteten, fleischigen Bildungsmasse des Kolbens* ver- zweigen. Letzterer sei kein „wirklicher gefäss- und blutloser Knor- pel“, sondern eine „sehr weiche, hauptsächlich aus Blutgefässen und selbigen zur Grundlage dienendem Zellstoff“ , bestehende Masse. Die Verknöcherung geschehe, indem der „Zellstoff“ von Knochenerde durch- drungen werde. Die von genanntem Forscher beschriebenen „Haut- oder Haardrüsen“ an dem im Werden begriffenen Geweih sind die ge- wöhnlichen Talgdrüsen, ‚welche über den ganzen Körper verbreitet vor- kommen. Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 707 dem der 'vereinzelt ‘stehenden "Bälge ‘ein Haarbüschel, der übrigens ziemlich locker in dem Balg steckt. Beim Elephanten mag man an manchen Körperstellen das Gleiche sehen können, Eble!) wenigstens giebt an, dass an der Ohr- gegend „gewöhnliche Haare "büschelartig“* standen. Vom Rhinoceros lichorhinus meldet Brandtin der unten zucitirenden Abhandlung dasselbe. Aber ich habe ein solehes Befestigt- sein der Haare auch noch mit dem Mikroskop bei verschie- denen anderen Säugern beobachtet, ‘so bei Fleischfressern (Hund, "Wiesel, Fischotter), bei Echidna hystrie, Bradypus eueulliger. Es kommen bei diesen Säugern aus’ einer‘ 'Haut- öffnung vier bis sechs Haare hervor, wovon immer eines an Stärke und dunkler Färbung die übrigen übertrifft, anders zu sagen, ein Stichelhaar vorstellt: Der Boden des gemein- samen Haarfollikels ist aber keineswegs ein einfacher Blind- sack, sondern er stülpt sich in gerade viele kleinere Follikel aus, als eben Haare aus der Balgöffnung hervorstehen, wo- bei dann wieder eonstant ist, dass das Wurzelsäckthen des Stichelhaares tiefer sich‘ hinabsenkt, als die der feineren Haare (vgl. Fig. 10). Man kann daher das mikroskopische Bild auch so auslegen: jedes Haar wurzelt zwar in einem eigenen Balg, aber eine Anzahl solcher Bälge vereinigt sich, gleichwie Acini einer Drüse sich zu einem Ausführungsgang zusammenthun, hier .zu einem gemeinsamen Follikel, aus dessen: Oefinung dann der Haarbüschel hervorsieht. ‘Eine Modification dessen, was eben vorgebracht ‚wurde, sehe ich beim Feldhasen (Lepus timidus). : Hier hat zwar das ein- zelne Haar seinen besonderen Balg, aber die Bälge einer Anzahl von Wollhaaren zusammengeordnet um den Balg eines Stichelhaares, sind von einer festen bindegewebigen Scheide umgeben. Dies Verhalten giebt auf Flächenschnitten durch die Haut sehr eigenthümliche Bilder. Die Haare stehen scharf truppweise gesondert, inmitten des Trupps das starke Stichelhaar, herum die Wollhaare, alle natürlich im 1) Die Lehre von den Haaren, Wien 1851, Bd. I. S. 153. 708 h Franz Leydigs.-.ü oil 1odall Querschnitt; rings um das Ganze.die Linien der gemeinsa- men Capsel, N Stachelbälge des Stachelschweins. In gewisser Beziehung verwandt, aber doch wieder sehr eigenartig ist die Befestigungsweise der Stacheln des Sta- chelschweines, so dass sie etwas weitläuftiger. hier, erör- tert ‚werden soll. Es scheinen ‚bisher im Ganzen nur ‚we- nige Beobachter die Haut des Stachelschweines auf ‘fraglichen Punkt untersucht zu haben, jedoch, wie ich von vorn herein zu bemerken finde, thaten sie dies in sehr genauer Weise, so dass das Neue, was ich über diesen Gegenstand vorbringe, nur Dinge betrifft, welche eben in früherer Zeit schwierig zu deuten oder überhaupt gar nicht zu erkennen waren... Die zwei Autoren, auf welche ich mich beziehe, sind’ Gaultier!), dessen Originalabhandlung ich leider nicht nachsehen kann, und Böckh.:) An der Haut des Rückens und der Seiten sieht,man, dass sie nicht wie bei den übrigen Säugern ein gleichmässiges Stratum vorstellt, sondern in 'schuppenartige Abtheilungen zerfällt; ‘die Haut erinnert, insbesondere von innen und.nach- dem der Hautmuskel abgezogen ist, an. ein Ziegeldach. Gaultier nannte die Abtheilungen Scheiben oder Schilder (disques), welche Benennung ich beibehalten werde. Das bedin- gende Moment zur Entstehung der Schilder liegt darin, dass immer eine gewisse Anzahl von’ Stacheln durch: ihre: Ein- pflanzung in die Haut zu einem gemeinsamen Ganzen ver- bunden werden sollen (Fig. 12), daher entspricht auch die Grösse des Schildes der Stärke der jeweiligen. Stacheln. Auf der äusseren Fläche sind die Schilder ziemlich flach, auf der inneren (Fig. 13) aber erbliekt man zwei Reihen scharf entwickelter Erhabenheiten, welche durch die 'eingeschlosse- nen Stacheln hervorgerufen werden, und also auch in ihrer 1) Journal de Physique Vol. 90, Avril 1820. m bei Heu- singer oder Eble. 2) De spinis hystricum. Diss. inaug. Berol. 1834. Ueber die äusseren Bedeckungen der Sängethiere. 709 Anzahl mit diesen übereinstimmen. Was übrigens das Ver- hältniss der Schilder zur Lederhaut betrifft, so muss noch vorausgeschiekt werden, dass eide von den Schildern geson- derte, dünne, etwas braun gesprenkelte, mit sehr feinen Här- chen versehene Lederhaut die letzteren äusserlich noch über- deekt, welche von den Schildern leicht abgezogen werden kann, und dass man diese daher auch nur „die verwachsenen - Bälge* der Stacheln nennen könnte. Bevor wir durch einen Längssehnitt die Schilder auf ihr Inneres besehen, betrachten wir erst die Musculatur, welche an der unteren doppelhöckrigen Fläche hinzieht. Wir er- blicken da zwei Muskelarten. Die erste ist der grosse Hautmuskel, welcher, indem er unterhalb der Schilder hinzieht, durch einzelne, von den Längszügen sich ablö- sende Bündel, die Schilder selber mit in den Bereich seiner Ansatzpunkte bringt. Der andere Muskel, den Schildern nä- her liegend und nur diesen angehörend, ist schwächer und besteht aus glatten Elementen. Das Lagerungsverhältniss dieser beiden das ‘Aufrichten der Schilder bezweckenden Muskeln zu einander und zu den Schildern ist genauer ange- geben dieses. Unterscheidet man nach der Längsachse des Thieres die an der 'Unterfläche der Schilder befindlichen Höcker in die tieferen oder vorderen und in die ‘äusseren oder hinteren, so giebt der grosse (quergestreifte) Hautmus- kel (Fig. 12e, Fig. 13e, b) nur an die hinteren Höcker des Schildes Bündel ab, die Ebene zwischen den hinteren Höckern und den vorderen, sowie letztere selber bleiben frei von sich ansetzenden quergestreiften Bündeln, Es zieht, kurz gesagt, der Hautmuskel immer nur vom hinteren Rand des einen Schildes bis zu dem gleichen des nächst vorderen. Die glat- ten Muskeln, von den quergestreiften ganz selbstständig da- stehend, also ohne Verbindung mit diesen, überziehen die hinteren Höcker des’ Schildes (Fig. 13a). An der von mir untersuchten in Weingeist aufbewahrten Haut zeigten schon für's freie Auge diese zwei Muskelarten ein verschiedenes Aussehen, indem, obschon beide von graugelber Farbe wa- ren. doch die Züge der quergestreiften Muskeln dunkler, die Belchert's u, du Bols-Ioymond's Archiv. 1859, 46 710 Franz Leydig: glatten Muskeln hingegen heller waren; bei ersteren traten auch die Bündel schärfer hervor, als bei den glatten, Die ganz kleinen Schilder habesich nicht auf diesen museulösen Apparat geprüft, weiss daher auch nicht, ob die eben er- wähnte Struetur, welche sieh auf die grossen Schilder des Rückens bezieht, sich in verkleinertem Maassstab da erhält, doch glaube ich bemerkt zu haben, dass glatte Muskeln noch an sehr kleinen Schildern der Kopfhaut vorkommen. Die allgemein gehaltenen Angaben Gaultier’s!) über die Mus- keln der Schilder lauten: „unten an den Wurzeln’ der Sta- cheln sind (die Hüllen der Wurzeln) durch ein dichtes Fa- sergewebe mit einander verbunden, und durch Muskelfasern, oben an ihren Mündungen sind sie durch schlafles Zellge- webe mit einander verbunden. Der Theil des Schildes, wel- cher ‚aus; der Vereinigung dieser Hüllen entsteht, liegt ge- wöhnlich zwischen zwei Lagen Muskelfasern.“ Auch Böckh hat den histologischen Unterschied der beiden Muskelarten nicht berührt. Suchen wir uns jetzt durch einen. horizontalen, ‚den gan- zen Schild treffenden Schnitt (nach. der Länge der Stachel- wurzeln) von dem Inneren. eines Schildes zu unterrichten, so erfahren wir zunächst, dass die eigentliche Hülle oder Kapselhaut des Schildes an der oberen Fläche eine sehr feste, horngelbe Haut ist, die sich fast wie Knorpel schneidet, dann dünner wird und an der unteren Fläche in eine gewöhnliche fibröse Membran ausgeht; ferner zeigt sich, dass die Kapsel- haut durch innere vollständige Scheidewandbildung in glei- cher Zahl mit den Bälgen abgeschlossene Räume herstellt, weshalb man eben, wie oben schon ausgesprochen. wurde, den ganzen Schild wohl als die verwachsenen Stachelbälge auffassen könnte. Doch ist dieser Vergleich nur von einem allgemeineren Standpunkt aus zulässig, da genauer besehen doch die Fächerräume des‘ Schildes noch gar mancherlei, was sonst nicht in einem Haarbalg enthalten zu sein pflegt, aufweisen. Abgesehen nämlich vom eigentlichen Balg (Fig. 1) Bei Heusinger a. a. O0, S. 181. Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 711 12a, Fig. 13d.) der sich kaum weiter nach unten erstreckt als äusserlich am Schild die-Wölbungen der hinteren Höcker reichen, sieht man unterhalb des Balges zuvörderst eine weisse Masse (Fig. 13 f.), die aus Fettzellen besteht, dann eine eben- solche und zwar noch umfänglichere Fettmasse, welche das hintere blinde Ende der Höhle ausfüllt und endlich zwischen diesen beiden weissen Fettpartien eine braune Fasermasse, die jedoch ebenfalls von einzelnen kleinen Fettklümpchen durchzogen wird. Dass die faserige Substanz aus glatten Muskelfasern bestehe, ist mikroskopisch leicht zu erkennen. Die Muskeln (Fig. 12 c., Fig. 13e.) gehen von der Kapsel- haut zum Balg und dienen wohl zum Aufrichten der Sta- cheln. Man käun den, oberen und den unteren durch die Muskelsubstanz auseinander gehaltenen 'Fettklumpen leicht ausschälen, worauf die Faserhaut des Schildes glatte Wände erhält, und bei diesem Herausnehmen des Fettes stösst man auch auf feine Fädchen, welche aus Blutgefässen und Nerven bestehen. Nicht damit zu verwechseln ist aber ein anderer mit freiem Auge gut sichtbarer und leicht aus dem Fett her- auszuhebender Faden, welcher durch das Fett zur Wurzel des Balges geht und ebenfalls Blutgefässe und Nerven als Hauptbestandtheil hat. (Er ist auf Fig. 12 an dem Schild rechts zu sehen.) Die Zellen der Fettklumpen waren durch- gängig vollgepfropft mitKrystallen (Margarinkrystallen ?). Der Balg der Stacheln ist von der Epidermis ausgekleidet, die im trockenen Balg an der oberen Hälfte des letzteren diesem _ inniger anhaftet als dem Stachel, daher beim Ausziehen des Stachels diesem nicht folgt, was aber constant geschah mit der unteren Hälfte dieser Balgauskleidung; sie sass der Aussenfläche des Stachels durchaus fest an. Die Stacheln haben in ihrer Wurzel eine kolbige Pulpe, welche sich in Fortsätzen eine Strecke weit in die Höhe erhebt, und an (Querschnitten des Stachels, nicht allzuweit von der Wurzel weg, glaube ich auch noch in diesen von der Marksubstanz umschlossenen Ausläufern der Pulpe die Durchschnitte von Blutgefässen erkannt zu haben, was in Uebereinstimmung mit der von Böckh gelieferten Fig. 1 (a. a. ©.) stehen würde. 46* 712 . Franz Leydig: Endlich machen sich auch auf gut geführten Längsschnitten in Bereich des oberen Fettklumpens.verhältnissmässig kleine Talgdrüsen bemerklich. (Fig. 12 b.) Glatte Hautmuskeln der Igelstacheln, Aus Obigem hat sich ergeben, dass mit den Stacheln von Hystriz, eine reiche glatte Musculatur in Beziehung stehe. Natürlich reiht sich daran die Frage, ob auch in der Leder- haut anderer mit Stacheln bewehrter Säugethiere, beim Igel, beim Landschnabelthier (Echidna), solche contractile Elemente sich finden. Ich habe. hierauf beide untersucht und schicke bezüglich des Igels voraus, dass die Autoren nicht einmal darüber einig, sind, ob an die Stachelh dieses Thieres sich überhaupt Muskeln ansetzen. Cuvier!') erklärt, dass die Fasern des Hautmuskels sich unter anderem auch an die Basis der in ihr befindlichen Dornen ansetze, von welchen man sie; nur mit, Mühe mittelst des Messers trennen könne. In ähnlichem ‚Sinne ‚sprechen: sich auch Gustav Carus?) und vielleicht auch Barkow®) aus. Diesen Angaben ent- gegen leugnet Seubert die Muskeln‘) und ist sofern im Recht, als in der That nie von dem rothen (quergestreiften) Hautmuskel Faserbündel sich an die Stacheln ansetzen, aber es existirt eine der Lederhaut unmittelbar angehörige glatte Musculatur, und Bündel derselben setzen sich geradewegs an die Wurzeln) der Stacheln an. ‚Ich habe allerdings nicht die ganze bestachelte Hautfläche durchmustert, sondern nur den Anfang und den seitlichen Rand der Rückenkappe, ‘aber die- ser Theil zeigt immer ein sehr starkes glattes Muskelgeflecht, dessen mächtige Ausdehnung man am besten auf Flächen- 1) a. a. 0. Th. II. S. 554. 2) Erläuterungstafeln z. vergl. Anatomie, 3) In den Disquisitiones neurologicae, Lips. 1836, von welchem Werk ich nur aus den Jahresberichten weiss, dass dort auch von den Muskeln der Igelstacheln die Rede ist, 4) Symbolae ad erinacei europaei anatomen. Bonnae 1841, y... Assentire non possum; aculeos enim cuti infixos esse, quae sine laesione a musculo separari potest, compertum babeo; nee eui bono singuli aculei moveantur, satis video.“ Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 713 schnitten der Haut sich vorführen kann. Die zahlreichen Bündel, obwohl auch zwischen den Stacheln vorhanden, sind doch zunächst um diese selbst angehäuft und setzen sich di- reet; also ohne Vermittlung ‘von Sehnen an letztere an (Fig. 11). Auf senkrechten Schnitten ist deutlich zu sehen, dass diese glatte Musculatur keineswegs mit dem querge- streiften Hautmuskel zusammenhängt, sondern durch’ Binde- gewebe abgeschieden ist. — Anders, sind die Verhältnisse bei Echidna. Hier sehe ieh an der Haut des Rückens keine Spur von glatten Muskeln, sondern die Stacheln senken sich mit ihrer Wurzel tief in den quergestreiften Hautmuskel ein. Da man auch (die Vermuthung 'hegen kann, es mögen viel- leicht beim Gürtelthier und. Schuppenthier neben den quer- gestreiften Hautmuskeln auch glatte Elemente sich finden, so habe ich hierauf sowohl bei Dasypus novemeinctus als 'auch bei Manis javanieca nachgesehen, mich aber ‚überzeugt, dass sich an die Knochenschilder ‚des Rückens und die. Horn- schuppen des Schuppenthiers. nur quergestreifte Muskeln an- setzen. Es geht aus diesen Mittheilungen einstweilen hervor, dass glatte Muskeln in der Haut der Säugethiere selten sind. Balg der Tasthaare. Ein besonderes Interesse’ nimmt der Follikel der Tast- haare in Anspruch, dessen Structur keineswegs bis jetzt ganz richtig dargestellt wurde. Die eigentliche Wand des Balges oder die bald mehr ovale, bald. mehr eylindrische Einbuchtung der Lederhaut ist bekanntlich bindegewebig und verschieden dick, bei kleineren Säugethieren (Fledermäu- sen z. B.) fast durchsiehtig dünn, bei vielen Fleischfressern eine starke fibröse Hülle, die dann auch histologisch auf (Quer- und Längsschnitten ganz das Aussehen einer fibrösen Haut hat, wobei ich namentlich an die Aehnlichkeit mit der Selerotiea erinnern möchte, Im Falle sie dünn ist, wie z.B. bei Mäusen und man sie daher im. Ganzen untersuchen kann, erblickt man nach Essigsäurezusatz leicht innerhalb der homogenen Substanz die Bindegewebskörper, und dass dieselben in mehrfachen Lagen über einander wegziehen. 714 Franz Leydig: Am dicksten ist sie an den grossen Follikeln der Robben, und an der in Weingeist aufbewahrten Kopfhaut einer jun- gen Cystophora borealis liess sich jeder Balg der Tasthaare leicht aus der Cutis herausschälen, in der Weise, dass letz- tere um den Follikel herum eine scharf begrenzte Lagerungs- höhle erzeugte. Die Wand dieses Hohlraums, obwohl bin- degewebiger Natur, stach doch durch Farbe und Consistenz wesentlich von der Membran des Balges ab. Der Follikel hatte nämlich eine horngelbe Farbe und schnitt sich wie Knorpel, während die nachgiebigere Umgrenzungsschicht eine weissliche Farbe darbot. Wegen dieser Eigenschaften hat wohl auch Rudolphi die besagten Follikel der Robben „Hornkapseln* genannt. Liess man auf die Haut einen Zug wirken, so spannten sich zwischen der eigentlichen gelben Membran des Balges und des weissen Umhüllungsraumes ein- zelne feine Fädchen hin. Mikroskopisch besteht der Balg aus Bindegewebe mit streifig-zügiger Grundsubstanz und ver- ästelten Zellen, die nach Behandlung mit Essigsäure noch den Kern sehen lassen: Eine solche gelbliche, von der übri- gen bindegewebigen Umgebung stark abstechende Färbung scheint der Follikel bei einiger Dieke und nachdem die Haut längere Zeit in Weingeist gelegen hat, immer anzunehmen, ich sah sie z. B. in gleicher Weise bei Lutra vulgaris. — Blutgefässe mögen in der Follikelhaut sehr selten sein, ich bin bei den zahlreichen Schnitten, die ich von den verschie- densten Thieren machte, nie auf ein Blutgefäss gestossen, welches der Haut des Balges eigens angehört hätte. Die durehsetzenden Gefässe, welche dem inneren cavernösen Körper und der Papille bestimmt sind, gehören natürlich nicht hierher. : Muskeln des Balges. Ehe ich daran gehe, über den Inhalt des Balges der Tast- haare mich auszusprechen, mögen zuvor einige Bemerkungen über die Muskeln dieses Theiles vorausgeschickt sein, Die gewöhnliche Angabe lautet, dass sich Muskeln an den Balg der Tastborsten ansetzen und es dünkt mir, dass immer noch Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 715 Rudolphi der einzige Gewährsmann hierfür ist, der indessen nichts Näheres darüber mittheilt.!) Nun muss ich bekennen, dass es mir‘ nach Untersuchungen am Hund, Rind, Maus u, A. längere‘ Zeit zweifelhaft war, ob sich wirklich Muskeln an den Balg ansetzen, denn ich konnte immer nur Präparate gewinnen, welche zeigten, dass die Follikel der Tasthaare zwar von den zur Haut aufsteigenden und sich durchkreuzen- den Bündeln des Hautmuskels umstrickt seien, mit anderen Worten in das Netz der peripherischen Ausbreitung des Hautmuskels eingesenkt seien, nie aber sah ich einen wirk- lichen Ansatz der contractilen Elemente an die Wand des Balges. Diese umstriekenden Muskeln sind namentlich am Halstheil des Balges zahlreich. Trotzdem blieb mir ein Strang etwas unklar, der vom hinteren Ende des Balges sich schräg in die Tiefe senkte und welchen ich nicht bloss an den Bälgen der Tasthaare sah, sondern auch’ z. B. an den, ganze Haarbüschel enthaltenden, Bälgen der Lutra vulgaris, oder an den spärlichen Rückenhaaren von Dicotyles torquatus. Die mikroskopische Untersuchung ergab immer nur, dass der Strang bindegewebig sei, auch Fettzellen enthalte und von Bündeln des Hautmuskels umgeben sein könne (Tasthaare des Hundes z, B.). An dem erwähnten Präparat von Cysto- phora borealis, wo alle diese Verhältnisse im Grossen aus- geführt sind, überzeugte ich mich, dass dieser an dem Grund des Balges der Tasthaare sich ansetzende Strang der Haupt- sache nach aus den langen Sehnen von etwa ein halb Dutzend quergestreifter Muskeln bestehe, die wahrscheinlich vom ge- meinsamen Hautmuskel sich ablösend, den Balg direct bewe- gen, d. h, denselben zu fixiren vermögen. Ich muss es nach der mir zu Gebote stehenden Literatur unentschieden lassen, ob die Autoren, wenn sie von den Muskeln des Balges spre- chen, diese mit langen Sehnen ausgestatteten und dem Balg wirklich angehörenden Muskeln meinen oder nur jene ihn zwar umstrickenden, aber in keine weitere innigere Verbin- dung mit ihm tretenden Muskeln. 1) A: a. 0, 8, 180. 716 Franz Leydig: Schwammkörper des Balges. Ich komme jetzt zur Beschreibung einer merkwürdigen Abtheilung des Balges der Tasthaare, von welcher einige ältere Beobachter eine richtigere Vorstellung hatten, als’ ge- genwärtig der Fall ist. Um zunächst das Ergebniss meiner Untersuchungen hierherzusetzen, so sei bemerkt, dass die Tasthaare aller Säugethiere zwischen der Innenfläche des Balges und der äusseren Wurzelscheide des Haares ein aus Bindegewebsbalken bestehendes Alveölarwerk besitzen, dessen Hohlgänge venöse Bluträume sind. Am Halse des Follikels findet: sich ausserdem gewöhnlich noch | ein besonderer venöser Ringsinus. Die Nerven der 'Tast- haare treten nie an dem Boden: des Follikels in diesen ein, sondern immier seitlich, ungefähr über dem ersten Dritttheil des Balges, entwickeln dann ihre Vertheilung in den Balken des Schwammwerkes und endigen das Haar umfassend da, wo der Ringsinus herumzieht, bis hart an die äussere Wur- zelscheide herantretend. Das nähere Verhalten wird sich aus den folgenden Einzelbeschreibungen erkennen lassen. Die Bälge der Tasthaare vom Hund, welche ich zuerst auf diese schwammige, bluterfüllte Substanz untersuchte, sind, wenn man sie an der frischen Haut entblösst zur Ansicht hat, im unteren Viertheil weiss, weiter aufwärts aber von durch- schimmerndem Blut dunkel gefärbt. Oeffnet man einen sol- chen frischen Balg nach der Länge, so sieht man zunächst der Innenfläche einen für's unbewaffnete Auge scheinbar freien Raum, aus dem Blut quillt, dann um das Haar mit seinen Wurzelscheiden herum eine ziemlich feste graue Sub- stanz. Obwohl man nun schon an frischen Follikeln durch feine (Quer- und Längsschnitte sich von der Natur und ge- genseitigen Beziehung der genannten Theile zu einander un- terriehten kann, so geschieht das noch zweekmässiger an ge- trockneten Bälgen, an denen man die feinsten Schnitte nach allen Richtungen leicht zu gewinnen vermag.') Hier zeigt 1) Ich erlaube mir bezüglich der Präparation anzumerken, dass es Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 717 sich dann mit aller Klarheit, dass als Fortsetzung des Balges (Fig. 4, Fig. 5) nach innen’ein schwammiges Gerüst sich findet; ferner ist mit Sicherheit wahrzunehmen, dass die Maschenräume mit Blut gefüllt sind, endlich dass das Bal- kenwerk dieser Bluteavernen weiter nach innen, d.h. um die Wurzelscheiden des Haares herum zw einer compacten, nicht mehr durchbrochenen Schicht zusammentritt, in der die Endausbreitung der Nerven, sowie zahlreiche eigentliche Blutgefässe, selbstständige Capillaren, liegen (Fig. 5f.). Die Grösse der Bluteavernen nimmt von aussen gegen diese com- pacte Endschicht der schwammigen Substanz immer mehr ab und die fragliche Schicht selbst hört mit einer ziemlich dicken, glashellen, homogenen Grenzlage (Fig. 4d, Fig. de) unterhalb der Zellen der äusseren Wurzelscheide liegend, auf. Nehmen wir auf die feinere Beschaffenheit der ganzen schwammigen Substanz Rücksicht, so bemerken wir, dass sie als continuirliche Fortsetzung des Balges bindegewebig ist, wobei durch die Balken zahlreiche elastische Fasern sich schlängeln; in den Balken selber haben die Bindegewebskör- “per mehr das Aussehen von Kernen, während in der nicht mehr von Bluträumen durchbrochenen inneren Lage sie deut- lich den Charakter strahliger ‚Zellen besitzen. Auch nimmt diese Partie für's freie Auge mehr das Aussehen eines „sul- zigen“ Körpers an, Die homogene Grenzlage zeigt an der äusseren Seite scharfe Linien, welche von feinen elastischen, dicht beisammen liegenden Fasern herrühren. Beim Rind sind im Wesentlichen die Verhältnisse, die- selben. Auch hier scheidet sich der schwammige Körper zwi- schen Balg und Wurzelscheide in die vielfach durchlöcherte äussere Partie, welche die Blutcavernen bildet und die im Inneren zusammenhängende, die Blutgefässe und die Nerven- ausbreitung tragende Schicht. An den bindegewebigen Bal- ken der Oavernen,' welche ebenfalls zahlreiche feine elastische weit vortheilhafter ist, den Bulg erst aus der frischen Haut zu isoli- ren und dam zu trocknen, als von der im Ganzen getrockneten Haut Schnitte zu machen. 718 Franz Leydig: Fasern enthalten, sehe ich, was ich beim Hund nicht be- merkte, ein zartes Epithel, als Auskleidung der Bluträume. Die Vertheilung der Gefässe ist die, dass die den Balg durch- bohrenden Arterien innerhalb der Balken der schwammigen Partie zur inneren, nicht durchlöcherten Schicht gehen, dort in ziemlich zahlreiche Capillaren sich auflösen, welche aber alsdann nieht in eigentliche Venen übergehen, sondern sich in die Bluträume der Schwammschicht öffnen, sowie in den Ringsinus. Was den letzteren anbetrifft, so liegt er tiefer als beim Hund und ist ringsum von einer homogenen Haut be- grenzt, welche, soviel ich sehe, gewissermassen durch Spal- tung jener inneren Grenzschieht des schwammigen Körpers entstanden ist. Die Nerven des Balges treten seitwärts an diesen heran, durchsetzen die Balgwand und liegen dann im Inneren der Balken, um schliesslich in der „sulzigen“ Schicht ein reiches Endnetz zu bilden. i Beim Pferd sind die Tasthaare an der Unterlippe länger als an der Oberlippe, übrigens an beiden Theilen namhaft schwächer als bei den zwei vorausgegangenen Thieren und demgemäss sind auch die Bälge kleiner, ihre Wand um vieles dünner als beim Hund und beim Rind. Die Räume des Schwammkörpers sind abermals mit einem Epithel aus- gekleidet, was besonders deutlich nach Essigsäure hervor- tritt. Die Balken des Maschenwerkes sind weniger zahlreich als beim Hund und die Bluträume daher im Ganzen umfäng- licher. Die homogene Grenzhaut der schwammigen Schicht mit dichter Streifung feiner elastischer Fasern. Auch der Eisbär hat nur wenig entwickelte Tasthaare, die unbedeutend über die anderen Haare hervorragen. Der Balg ist klein, oval, die Balken des bluthaltigen Netzwerkes sind hell und um vieles zarter als beim Hund. Von Fleisch- fressern untersuchte ich noch das grosse Wiesel und die Fischotter. Bei beiden sind die Bälge mehr länglich, im In- neren die Balken des Cavernensystems etwas feiner als beim Hund. Ein grösserer Ringsinus vorhanden. Die Bälge der Tasthaare vom Stachelschwein (HAystriz cristata) sind eirund und auffallend gross, auch die Tasthaare Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 719 ungewöhnlich lang. Der cavernöse Körper auf dem Längs- durchschnitt des Balges hatte einen verhältnissmässig viel geringeren Diekendurchmesser als beim Hund, aber der das Haar selbst umgebende, von den Wurzelscheiden begrenzte Raum war sehr geräumig, wobei ich jedoch nicht unterlas- sen möchte beizusetzen, dass die Beschreibung einem in Weingeist aufbewahrten Hautstück entnommen ist. Am allerentwickeltsten ist der Schwammkörper an den so grossen Bälgen der Robben und vieles lässt sich hier schon mit freiem Auge sehen. Aus der oben erwähnten Kopfhaut einer jungen Cystophora borealis habe ich zwei Bälge nach ihrem Längsschnitt in natürlicher Grösse in Fig. 2 darge- stellt. Der Balg rechts ist so getroffen, dass die Haarwurzel in ihrer ganzen Länge frei liegt, am linken Balg ist das nur für die untere Hälfte der Fall. Man überblickt die Ausdeh- nung der venösen Schwammkörper und nimmt ferner wahr, dass der Ringsinus (die zwei grossen dunklen Ringflecken inmitten des Schwammkörpers) ziemlich tief liegt. Dieselbe Lage hat er auch bei Phoca groenlandica. Hat man das Blut aus dem Ringsinus ausgeschält, so zeigt er eine glatte, glän- zende Wand. Einen anderen Vortheil in der Untersuchung gewähren die Bälge der Tasthaare bei der Maus (Mus musculus). Die Follikel sind hier so klein und durchsichtig, dass sie ganz unter das Mikroskop gebracht werden können, und nur leicht zu comprimiren sind, um gar manches von dem, was bei den grösseren Follikeln nur stückweise zur Ansicht gebracht werden kann, mit einem Mal sich vorzuführen (Vgl. Fig. 13.). Auf den ersten Blick scheint es, als ob in dem frischen bei geringer Vergrösserung untersuchten Balg nur zwei grosse mit Blut gefüllte Räume da seien, nämlich der gleich unter- halb der Talgdrüsen befindliche Ringsinus (c) und dann, nur durch eine schmale Substanzbrücke geschieden, ein anderer grosser Raum (b), die Stelle einnehmend, welche bei allen anderen oben erwähnten Säugern der Schwammkörper hat. Selbst bei starker Vergrösserung will es schwer halten sich zu überzeugen, dass auch hier ein cavernöser Körper da sei, 720 Franz Leydig: welcher das Blut enthalte. Zweifellos sieht man dies hinge- gen, wenn -man Querschnitte von der frisch getrockneten Haut der Schnauze macht, wo sich alsdann zeigt, dass ein Schwammkörper auch hier nicht fehle und eine analoge Glie- derung besitze, wie. bei den übrigen Säugethieren. ‚Er schei- det sich nämlich ebenfalls in eine äussere, zunächst‘ der Fol- likelwand liegende Partie oder den eigentlichen Schwamm- körper, dessen Balkenwerk indessen so zart ist, dass man eben bei der vorhin erwähnten Untersuchungsweise den Ein- druck erhält, als ob statt eines Cavernensystems ein einziger grosser Blutraum zwischen der Wand des Follikels und. den Wurzelscheiden sich finde. Ja anstatt, der bei anderen Säu- gethieren vorhandenen dicken bindegewebigen Balken des Schwammkörpers erblickt man hier zum Theil nur ein aus verästelten und zusammenhängenden Zellen bestehendes Ma- schenwerk, ungefähr so beschaffen, wie das Zellengerüst im „Gallertgewebe*. Um die Wurzelscheiden herum triflt man abermals ein zusammenhängendes bindegewebiges Lager, in dem zahlreiche Blutcapillaren sich verbreiten und die. eigent- liehe Grenze dieser Schicht ist wieder eine homogene Haut. — Die Zartheit des Follikels erlaubt ferner, dass man die Nerven nach Eintritt und Ausbreitung gut verfolgen kann. Jeder Balg erhält nur Ein Nervenstämmehen, das immer seitlich, ungefähr nach dem ersten Dritttheil der Länge des Balges (von unten her gerechnet) in’ ihn. eintritt, und unter Ausbreitung in eine Anzahl von Aesten, nach vorne geht, um in der Gegend des Ringsinus, nachdem die Primitivfasern sich häufig getheilt haben und feiner geworden sind, zu.en- digen. Fasst man die. Nerven eines Balges in’s Auge, auf den zugesetzte Kalilauge ihre Wirkung zu üben beginnt, so lässt sich sehen, dass die Nervenenden eine Art Kranz bil- den, der bis zu der äusseren Wurzelscheide vorzudringen sucht. Um anzudeuten, dass auch bei den Edentaten die Bälge der Tasthaare einen gleichen Bau haben, sei bemerkt, dass ich beim Gürtelthier (Dasypus novemeinctus) dessen Kopf- baut.dureh Aufweichen für solche Untersuchungen zugänglich Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 721 gemacht wurde, sah, wie die Tasthaare innerhalb ihrer Bälge von einem mit Blut erfüllten Cavernensystem umgeben sind. Vergleichen wir nun jetzt die Mittheilungen anderer Be- obachter über die eben abgehandelte Partie der Bälge der Tasthaare. Bei Heusinger!) ist ein älterer Aufsatz über das Haar eitirt (von Lawrence?), der mir nicht zugänglich ist, was ich um so mehr bedaure, als nach dem, was Heusinger daraus anführt, sehr gute Beobachtungen darin niedergelegt schei- nen. Es ist dort die Rede von dem Haarbalge der Robben und der’ Verfasser kennt den schwammigen Körper (spongy investment), auch den Ringsinus (a large cireular cell, which is filled by a elotted fibrous mass, resembling a coagulum ot blood) und weiss auch, dass die Nerven des Balges in die- sen schwammigen Körper eintreten. Heusinger selbst nennt nach Untersuchung „nicht ganz frischer“ Haarbälge der Rob- ben fragliches Gebilde eine sehr zähe Fleisch gleichende Substanz, in die sich viele Blutgefässe fortsetzen. Später, bei Schilderung der einzelnen Bestandtheile des Balges der Tasthaare?) sagt er, dass innerhalb der "eigentlichen Haut des Balges und ihr zunächst sich eine dünne, gelbe oder rothe Flüssigkeit finde, die oft ganz die Farbe eines hellro- then Blutes habe, darauf folge dann weiter nach innen eine zäbe, schwammige oder fleischartige, 'rothe Substanz; sie sei in der Mitte am dicksten, gegen den Boden des Balges zu werde sie dünner, ebenso auch gegen die Mündung hin, an ihrem oberen und unteren Ende sei sie fest mit dem Haar vereinigt, in der Mitte liege sie locker um dasselbe herum. Naelı den ’Thierarten biete sie Verschiedenheiten dar, in man- chen sei sie dieker, in manchen dünner; gewöhnlich sei sie roth, in manchen Thieren schwärzlich, in manchen scheine sie aus concentrischen Lagen zu bestehen. Die meisten die- ser Angaben Heusinger’s muss man für richtig erklären, obschon sie bei einer unzureichenden Methode der Untersa- 1) A. m.0. 8. 178, Artikel Hair in Rees Oyclopaedia 2) A. u. 0: 8. 186. 722 Franz Leydig: chung gewonnen, keine rechte Darstellung von der Natur dieser „fleischigten Substanz“ geben. Unser Autor hält die innere Fläche der äusseren Haut des Balges für „allenthal- ben frei und glatt“, während doch die Balken des Schwamm- werkes continuirlich in diese Haut übergehen, auch weiss er nicht, dass die gelbe oder rothe, blutähnliche Flüssigkeit wirkliches Blut ist, welches das Löcherwerk des Schwammes füllt. Er scheint anzunehmen, dass das Blut des Follikels nur in wirklichen: Gefässen enthalten sei. Von den Bälgen der kleinen Hufeisennase (Vespertilio hipposideros) giebt er an, dass am lebenden Thier die Bälge „wie mit Blut gefüllte Bläschen“ sich ausnehmen und man mit dem Mikroskop ‚sogar die Bewegung des Blutes sehen könne. Daraus ist zu schlies- sen, dass bei diesem Thier das Balkenwerk des schwammi- gen Körpers eben so zart ist, wie bei der Hausmaus, wo die Bälge für das freie Auge ebenfalls wie blutgefüllte Säck- chen gesehen werden, wobei aber im Wesentlichen auch hier ein zarter schwammiger Körper als Blutbehälter fungirt, ge- rade so wie bei Anwesenheit einer „fleischigten Substanz.“ Die besten und zahlreiehsten Einzelbeobachtungen über den in Rede stehenden Gegenstand hat Eble') angestellt, obgleich er über die Natur des Körpers zu einer ganz fal- schen Schlussansicht kommt. Er nennt die Substanz, auf welche man bei dem längs aufgeschnittenen Balg stosse „einen etwas durchsichtigen, sulzartigen, verschiedentlich roth ge- färbten Körper“ und weiss von ihm, dass er „durch sehr feine, unzählbare Querfädehen* mit der Haut des Balges zu- sammenhänge. Trenne man diese Fäden, so quelle ein dünn- flüssiges Blut heraus, aber es scheint ihm, „als wenn diese blutige Flüssigkeit nicht allein in den als Querfäden erschei- nenden Haargefässen, sondern auch in den Zwischenräumen derselben sich befinde.“ Ferner war Eble so glücklich, den Balg eines Tasthaares der Katze vollkommen auszuspritzen und sah nun, dass jene dem eingeschlossenen Haar zunächst liegende Seite des gelatinösen Körpers „viel röther, gefäss- 1) A. a. 0. S. 65. Ueber die äusseren Bedeekungen der Säugethiere. 7123 reicher erscheint, als die, welche unmittelbar an die innere Oberfläche. des Balges stösst.“ Hätte Eble mit etwas stär- keren Vergrösserungen gearbeitet, so musste er mit Hülfe der eben .eitirten Beobachtungen zu einem richtigeren Ender- gebniss gelangen, als es geschehen ist. Aber der Stand der Histologie zu seiner Zeit (1831) bringt ihn auf eine falsche Bahn. Es scheint ihm nämlich, dass der gelatinöse Körper „aus einer sehr feinen, griesigen Masse“ bestehe, und er vermu- thet, dass sie im lebenden Organismus „wo nicht ganz, doch halbflüssig sei“, und da er die Blutgefässe in dieser Substanz kennen gelernt hat, so „wäre demzufolge diese sulzartige Masse nichts anderes, als eine während des Lebens von der inneren Oberfläche des Balges secernirte Flüssigkeit, die nach dem Tode coagulirt und sich als Sulze darstellt * Er setzt noch in einer Anmerkung bei, dass spätere Untersu- chungen ihn) vollkommen’ in dieser Ansicht bestätigt haben. Gurlt'!), dem die Injeetion der Bälge der Tasthaare eiwas weniger gut als dem zuletzt erwähnten Autor gelungen war, hat denn doch gesehen, dass sich Blut „frei ergossen* zwischen dem äusseren Balg und dem „durch viele Fädchen (Gefässe?) verbundenen inneren Balge* befinde, Gegenbaur?) beschreibt unseren Schwammkörper als eine „weitmaschige Bindegewebsschicht“, der reichliche ge- schlängelte Kernfasern beigemengt sind. Beim Kaninchen und Mus ratius, syloalicus el musculus sind. die einzelnen Bündel noch von äusserst feinen Kernfasern umschlungen. Beim Rind, Schwein und den untersuchten Raubthieren (Fuchs, Hund, Katze, Marderarten) wurden die umspinnen- den Kernfasern vermisst. Beim Schwein sind in dieser La- melle zwischen den Maschen noch zahlreiche Fettzellengrup- pen eingesprengt. Hinsichtlich der rothen Farbe dieser Schicht scheint aber Gegenbaur die Ansicht zu hegen, dass sie sur von den Blatgefässen herrühre, denn er sagt, dass die 1) Müller’s Archiv f. Anat. u. Phys. 1836. S. 272. 2) Zeitschrift f. wissensch, Zoologie 1851 S. 18 („Untersuchungen über die Wastlinare einiger Säugethiere*): 724 Franz Leydig: in den Balg tretenden Gefässe sich in dieser Schicht zu einem reichen Netze verästeln, „auf dessen Dichtheit man schon aus der intensiv rothen Farbe, die ein Haarbalg bis zum obe- ren Ende der Bindegewebslamelle besitzt, schliessen kann,“ Dieser Forscher vergleicht ferner den „sulzartigen Körper“ Eble’s der äusseren Wurzelscheide, während ich vielmehr, wie aus dem Obigen hervorgeht, darin die innere compactere Schicht des Schwammkörpers erblicken muss. Sehr genau sind die Angaben Gegenbaur’s über die Nerven des Haar- balges, er beschreibt die Verflechtung der Nervenfasern, ihre Theilungen und wie sie schliesslich blass und fein werden. Auch die structurlose Haut, welche die „weitmaschige Binde- gewebsschicht* nach innen abgrenzt, wird hier zum ersten Male nach ihren mikroskopischen und chemischen Eigen- schaften geschildert. Ich trage zu den von mir vorge- brachten Mittheilungen über dieses Häutchen noch nach, dass dasselbe von der Fläche gesehen bei gewisser Einstellung eine äusserst feine Punktirung zeigt und es scheint, als ob dies Aussehen von den Enden der feinen parallelen elasti- schen Fasern herrühre, welche an ihren Enden in Punkte sich auflösen, Papillen der Tasthaare. Indem ich zu meinen eigenen Untersuchungen über die bindegewebigen Theile des Balges der Tasthaare zurückkehre, habe ich jetzt insbesondere der vom Boden des Balges sich erhebenden Papille zu gedenken. In den meisten Thieren hat sie Form und Grösse, wie'man es gewöhnlich abgebildet findet; sie ist ein mit breiter, doch etwas eingeschnürter Basis beginnender und spitz endender Kegel, der nur eine kurze Strecke weit in’s Innere des Haares sich erhebt. Bei einigen Säugethieren hingegen sehe ich, dass die Papille eine überraschende Länge hat. So z. B. bei der Fischotter. Schneidet man hier den Balg der Tasthaare der Länge nach durch, doch so, dass das Haar selber unverletzt bleibt und spaltet man darauf mit einem scharfen Messer auch das Haar von oben herab und entfernt vorsichtig die Haartheile aus Ueber die äusseren Bedeckungen der Sängethiere. 125 dem Balg, so erhebt sich die frei gewordene Papille in Form eines feinen verdickt beginnenden Fadens, der vom Boden bis zum Halse des Balges aufsteigt. Die Länge der Papille betrug (an einer in Weingeist gelegenen Kopfhaut) 3‘, die des Balges 4‘. Auch ist hinsichtlich der äusseren Gestalt der Papille zu erwähnen, dass mir die Oberfläche derselben nicht einfach glatt zu sein scheint, sondern wie wenn von der Basis nach der Spitze Längsleisten liefen, so dass die Ober- fläche demnach eigentlich canellirt wäre. Ein Seitenstück zu Lutra vulgaris bot sich mir an einer grossen Robbe dar. Ich legte ein Stück Schnauze eines alten der Phoca barbata angehörigen Balges in Wasser. Nachdem es acht Tage lang erweicht war, mächte ich senkrechte Schnitte durch die Haut und Bälge, wobei, so oft ein Tasthaar auf seine Längenachse getröffen war, man überraschend schön eine fast immer dun- kelroth gefärbte lange Papille, wie solches Fig. 1 in natür- licher Grösse abgebildet ist, zur Ansicht bekam. Die Pa- pille geht sehr spitz aus und beim Versuch, sie aus der Höhle des Haares herauszuziehen, blieb die eigentliche Spitze immer im Haar zurück. Bezüglich des letzteren möchte ich auch anführen, dass, wie auf Längsschnitten leicht nachweis- bar ist, die Wände der Pulpahöhle durch eine dunkle, bei auffallendem Licht weisse Beschaffenheit der eirculär gela- gerten Hornelemente von der Rindensubstanz merklich ab- stechen. Wo dann die Pulpahöhle nach oben endet, schliesst diese Substanz zusammen und setzt sich als Marksubstanz in die Achse des Haares fort, geht jedoch bloss eine Strecke weit in die Höhe, so dass das Haar einem guten Theil nach nur aus Rindensubstanz besteht, Bekanntlich ist es nicht 80 leicht, die Gefässe der Pa- pillen der Tasthaare bei erwachsenen Thieren zu sehen, wäl- rend man bei neugebornen Säugern, Ratten, Mäusen 2, B., die verzweigten Gefässschlingen der Papillen in noch mit Blut gefüllten Zustande ohne ‘besondere Mühe demonstriren kann. Aber ich habe mich überzeugt, dass auch die beim erwachsenen Thier scheinbar gefässlose Papille dennoch. ihre Capillaren besitzt; und um sie zu sehen, muss die Papille Beichert's u, du Bois-Reymond's Archiv. 1859, 47 726 Franz Leydig: ganz isolirt sein. Beim Pferd z. B. war ich, so lange die Papille in der Höhle des Haares steckte, trotzdem dass ihre Umrisse äusserst klar zu sehen waren, ganz ungewiss ge- blieben, ob sie gefässhaltig sei. Hingegen an der isolirten Papille liess sich mit grösster Sicherheit eine blutleere Capillar- schlinge in ihr wahrnehmen; ein andermal enthielten die Ca- pillaren noch einige Blutkügelchen. Unterhalb der Wurzel der Papille in der Substanz des Balges bemerkte man drei Lumina von Capillaren und weiteres Besehen that dar, dass das eine Lumen dem in die Papille aufsteigenden Gefäss an- gehöre, welches sich bei seiner Rückkehr gablig theilte, und die zwei anderen Gefässlumina gehörten diesen venösen Bahnen an. Auch in den isolirten, durch ihre Länge ausge- zeichneten Papillen der Fischotter konnte ich anfänglich, (es ist ein Weingeistpräparat) keine Gefässe unterscheiden, aber nach Aufhellung mit Kalilauge waren die- blutleeren Capillaren als lichte Gänge unmöglich zu verkennen. Un- mittelbar ergaben die grossen Papillen der bezeichneten Phoca ihren Gefässreichthum kund. Ich habe bereits vorhin er- wähnt, dass die Papillen für's freie Auge eine dunkelrothe Farbe hatten, nur die Wurzel der Papille erschien durchweg weisslich. Mikroskopisch untersucht erschien dann die Pa- pille von einem ausserordentlich dichten Geflecht von Blut- gefässen durchzogen (Fig. 6), derart, dass zu innerst einige Hauptgefässe lagen, um welche herum sich die Capillaren schlängelten. Letztere waren fast durchgängig sehr weit- Die bindegewebige Grundsubstanz der Papille ist aussen mit einzelnen verzweigten Pigmentzellen getüpfelt. An allen sol- chen Präparaten waren nicht nur die Papillen noch stark bluthaltig, sondern auch der Schwammkörper des Balges und der Ringsinus erschienen nicht minder dunkelroth. Von Nervenfasern salı ich niemals auch je die ge- ringste Spur in der Papille (Pulpa) der Tasthaare, weder bei den kolossalen Formen der Robbe, noch bei irgend einem anderen Säuger.!) m 1) In einem gewissen Lehrbuch d. vergl. Anat. der Wirbelthiere steht, dass die „Pulpe“ der Tasthaare Nerven enthalte. Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 7127 Rudolphi ist wohl immer noch der einzige gewesen, welcher die Bälge der Tasthaare der Robben im frischen Zustande untersucht hat!); er scheint übrigens weder die Pa- pille noch deren Gefässe erkannt zu haben, denn er sagt, es „bleiben die Gefässe oder Nerven nur für die Capsel“. Heu- singer's Angaben, welche einem trockenen Präparat ent- nommen sind, stimmen mit dem, was ich fand, gut überein. Er spricht von einem „braunrothen, runden Pünktchen“, wel- ches man mit blossen Augen ganz unten»an der Basis des Haareylinders unterscheide, „von dem aus sich ein Streifen von ähnlicher Farbe gegen einen Zoll lang fortsetzt.* Ich erkenne in dieser Beschreibung die grosse Haarpapille, so- wie in dem „ungefärbten Strich, der gegen die Spitze hin sich verliert“, die Marksubstanz des Haares. Auf die Haarpapille und die sie einschliessende Höhle bezieht sich ferner: „Durch- schneidet man die Basis (Wurzel) des Haars der Länge nach, so sieht man, dass dieser Streifen ein Canal ist, in dem ein braunrothes Pigment, oder, wahrscheinlich geronnenes Blut liegt, Schneidet man eine Querscheibe aus dem Haareylin- der, so sieht man, dass er aus einer homogenen Hornmasse besteht, nur in der Mitte findet sich eine Oeffnung, welche dem durch den Haareylinder gehenden Canal angehört, der aber schon gegen die Mitte hin äusserst fein wird.“ Man kann alle diese Angaben für richtig erklären und dennoch behaupten, dass Heusinger über die Haarpapille im Un- klaren geblieben sei. Ehe ich zu den hornigen Theilen im Balg der Tasthaare übergehe, möchte ich noch einmal auf den grossen Blut- reichthum im Inneren des Balges zurückweisen. Nachdem die durch die Wand des Balges eingetretenen und innerhalb der Balken des Schwammkörpers zu der die äussere Wur- zelscheide umgebenden Bindegewebsschicht gelangt sind, zer- theilen sie sich in Capillargefässe, aber auf dem Rückweg 1) Diss, de pilorum structura. Gryph. 1806. Doch habe ich diese Schrift noch nicht gesehen und beziehe mich auf die Angaben Ru- dolpbi's in der eitirten Abhandlung der Berliner Akademie. ö 47° 728 Franz Leydig: sammelt sich das Blut in den Räumen des Schwammkörpers und im Ringsinus in grosser Menge an. Zu welchem Zweck? Doch schwerlich zur Ernährung des Haarbalges allein. Man muss also schliessen, dass diese Blutanhäufung mit der Func- tion der Spürhaare als Tastorgane in Zusammenhang steht; es scheint nöthig zu sein, dass der Balg eine gewisse weiche Füllung habe, damit der, von der Spitze der sondirenden Borsten, im Balg erregte Eindruck von den Nerven, welche das Haar umfassen, vielleicht in den mannichfaltigen Abstu- fungen des Druckes leichter aufgenommen werden könne. Wurzelscheiden der Tasthaare. Die Wurzelscheide der Tasthaare zerfällt bekanntlich in die äussere, diekere Schicht von mehr dunklerem Habitus und indie innere hellere, welche einen geringeren Diekendurch- messer hat. Beide bestehen aus Epidermiszellen. Die Zellen der äusseren Wurzelscheide, welche der homogenen Grenz- membran des Schwammkörpers zunächst liegen und dieser, wovon man sich beim Zerreissen überzeugt, sehr fest anhän- gen, sind cylindrisch, weiter nach innen kommen dann die kugligen Formen. In der äusseren Wurzelscheide des Hun- des ist mir noch etwas aufgefallen, was vielleicht ein wei- teres Nachforschen verdiente. Hier sieht man nämlich ausser den gewöhnlichen zelligen Elementen dieser Haut noch Kör- per von speeifischer Natur (Vergl. Fig. 5 bei d). Ich will annehmen, man habe aus dem frischen Balg- isolirte Trümmer genannter Scheide vor sich. Da stehen zerstreut zwischen den Zellen einzeln oder gern zu mehren beisam- men, Körper, die auf den ersten Blick etwas Eigenartiges erkennen lassen. Sie haben einen gewissen, wenn auch ganz schwachen Glanz, der den umgebenden Zellen völlig abgeht, sind heller als diese, ihre Gestalt ist kuglig, doch bei vielen lässt sich durch wechselnde Focaleinstellung ermitteln, dass sie einen längeren oder kürzeren Stiel haben, der mitunter fadig ausläuft. Näher besehen und zwar so, dass man die Kugel selber im scheinbaren Querschnitt mustert, unterschei- det man im Inneren ein kernartiges Gebilde von solider Be- Ueber die äusseren Bedeckungen der Sängethiere. 7129 schaffenheit, in dem fast immer noch einige Häufchen dunkler Körnchen liegen; um den Kern herum zieht eine lichte, scharf abgegrenzte Zone und darauf die Rindensubstanz des Kör- pers. Was dann ferner bei fortgesetztem Untersuchen beach- tenswerth erscheint, ist, dass der „Kern“ in den Stiel hinab sich als entsprechend feiner Cylinder auszieht, und dass man daher das ganze Gebilde auch so auffassen kann, dass man sagt, ein blasser solider Faden zwischen den Zellen der äusseren Wurzelscheide schwillt zuletzt kolbig an, in einer besonderen Umhüllung liegend und von dieser noch durch einen lichten Raum abstehend. Nach Essigsäurezusatz nehmen die Körper weichere Contouren an, als die umgebenden Zellen Die Gegenwart solcher Gebilde in der Wurzelscheide darf den Gedanken anregen, dass ähnlich wie an manchen anderen Körperstellen die Nervenfasern der tieferen Schichten mit besagten Elementen zusammenhängen. Für diese Beziehung zu Nervenfasern würde sprechen einmal, dass die Körper nicht in der ganzen äusseren Wurzelscheide sich finden, son- dern bloss da, wo um letztere Haut herum der oben ge- schilderte Kranz der Nervenfaserenden sich schlingt; ferner treten die fein und blass gewordenen Ausläufer der Nerven- fasern bis an die homogene Grenzschicht, welche die äussere Wurzelscheide und das dahinter liegende Bindegewebe trennt, heran. Endlich sind die gestielten Körper nur in der Wur- zelscheide der Tasthaare vorhanden, und fehlen in der Wur- zelscheide der gewöhnlichen, nicht nervenhaltigen Haarbälge: Allein all dem gegenüber muss ich denn doch hervorheben, dass ich kein einziges Mal einen directen Zusammenhang zwischen Nervenfaserenden und den gestielten Körpern in der Wurzelscheide wahrgenommen habe. Auch ist es mir bedenklich, dass ich nur beim Hund dergleichen Elemente bemerkt, hingegen bei der Katze, beim Rind, Pferd, Schwein, Maus, wo ich ebenfalls danach suchte, sie vermisste. Noch will ich bezüglich der Präparation beisetzen, dass man die fraglichen Elemente auch an feinen, erweichten Schnitten, welche man von getrockneten Bälgen genommen hat, noch sehen kann. 730 Franz Leydig: Talgdrüsen und Schweissdrüsen. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis wir eine voll- ständige Uebersicht über die Verbreitung der Talgdrüsen und Schweissdrüsen in der Haut der Säugethiere besitzen; doch vermag ich einstweilen dazu folgenden Beitrag zu lie- fern. Talgdrüsen sind die sehr beständigen Begleiter der Haarbälge und scheinen denselben äusserst selten zu feh- len. Bis jetzt kenne ich bloss das Faulthier (Bradypus cucwlliger), bei’welchem, wenigstens an dem von mir unter- suchten (in Weingeist aufbewahrten) Hautstück keine Spur von T'algdrüsen an oder zwischen den, mehrere Haare zu- gleich umschliessenden, Bälgen wahrzunehmen ist. Da die Talgdrüsen die Haare einzuölen haben, so darf man sich wohl diesen Mangel der Talgdrüsen und das wie „dürres Gras“ sich anfühlende Haar der Faulthiere in Wechselbezie- hung denken; doch sollen die jungen Thiere ein „weiches glänzendes Haar“ haben, was, vorausgesetzt, dass auch sie der Talgdrüsen ermangeln, nicht gerade dafür sprechen würde, dass der fettige Glanz der Haare zunächst von die- sen Drüsen abhänge. Für eine Bedeutung der Talg- drüsen in einem allgemeineren Sinne redet auch, abgese- hen von anderen Gründen, wie Vorkommen derselben an nicht behaarten Hautstellen, der Umstand, dass ihre Grösse und Zahl keineswegs mit der Stärke des „einzuölenden“ Haares zunimmt. So sind die Talgdrüsen der Tasthaare, der Igelstacheln u. s. w. nicht grösser als jene der feinen Wollhaare. Schweissdrüsen sind für das Leben der Säugethiere nieht unumgänglich nothwendig und fehlen bei manchen Ar- ten durchaus; so vermisste ich sie, was ich schon an einem anderen Orte mittheilte, beim Maulwurf selbst in den Soh- lenballen, wo sie doch bei Ratten und Mäusen, denen sie im behaarten Fell ebenfalls abgehen, vorhanden sind. Ebenso habe ich bei den Cetaceen (Delphinen, Wallfisch), in so weit ich über einzelne Hautstücke verfügen konnte, auch nicht die geringste Andeutung von Schweissdrüsen bemerkt. Im- Ueber die äusseren Bedeckungen der Sängethiere. 731 merhin darf man mit dem Ausspruch, dass dergleichen Or- gane bei diesem oder jenem Thier mangeln, vorsichtig sein, da sie zuweilen so weit auseinander stehen, dass man ein ziemliches Gebiet der Haut durchsuchen kann, ohne eben auf Drüsen zu. stossen. Nur bei kleineren Säugethieren ist es möglich,‘ grössere Partien der. durchsichtig gemachten Lederhaut mit geringer Vergrösserung auf einmal zu über- blicken! Bevor ich die von mir untersuchten Säugethiere mit Rück- sicht auf ihre Talg- und Schweissdrüsen einzeln aufführe, möchte ich noch, anknüpfend an das, was ich in der „Hi- - stologie des Menschen und der Thiere* S. 87 über die Form der Schweissdrüsen sagte, vorausschicken, dass bei gar man- chen Säugern diese Drüsen eine viel einfachere Gestalt ha- ben, als die am meisten bekannten Knäuel. Man hat eigent- lich, als die erste Kenntniss über die Schweissdrüsen sich einstellte, gleich die entwickeltste Sorte aufgefunden; dass aber auch erwachsene Säugethiere viel weniger complieirte Schweissdrüsen besitzen, kann aus dem Folgenden ersehen werden. Von der Gruppe der Vierhänder präparirte ich die obi- gen Drüsen bei Cercopithecus sabaeus und Stenops gracilis. Im Handteller des ersteren hatten die Schweissdrüsen die Form von Knäueln, welche im Panniculus adiposus lagen, ganz ähnlich wie beim Menschen; der Ausführungsgang, nachdem er die Lederhaut verlassen, stieg in die Epidermis mit einigen wenigen spiralen Windungen in die Höhe. Auch an der behaarten Haut der Brust hatten sie die Knäuelform, und der Ausführungsgang, welcher bei anderen Säugern gern, im Fall Haarbälge in der Nähe stehen, mit diesen gemeinsam ausmündet, schien seine Mündung an ‚der Hautoberfläche für sich zu haben. Im Ganzen waren auch an gedachter Haut- stelle die Schweissdrüsen spärlich vorhanden, — Die Talg- drüsen der Haare waren wie die des Menschen beschaffen. Bei Stenops gracilis konnten die Schweissdrüsen, als Ballen aufgewickelter Canäle, aus dem Handteller ebenfalls zur An- sicht gebracht werden, 132 Franz Leydig: Die Schweissdrüsen der Fledermäuse sind von anderer Art, und wer nur die geknäuelten Formen kennt, wird sie vielleicht beim ersten Anblick nicht gleich als das ansehen, was sie wirklich sind. Ich hatte nur die Gattung Vespertilio murinus im frischen Zustande, we man die besagten Drüsen leicht in einiger Menge unter das Mikroskop dadurch bringt, dass man 2. B. die Haut der Ohren mit Essigsäure behan- delt, dann die Lamellen vom Knorpel abzieht, die Epidermis abstreift, natürlich dabei behutsam verfährt, und dann die ausgebreitete Haut von der unteren angewachsenen Seite be- trachtet. (Gering vergrössert haben die Schweissdrüsen fast eine gewisse Aehnlichkeit mit Pacini’schen Körperchen (Fig. 8e), indem sie’als längsovale, leicht gekrümmte Organe von ihrem Ausführungsgang sich so scharf absetzen, dass man diesem die Bedeutung des Stiels beilegen könnte. Die nä- here Untersuchung ergiebt, dass die eigentliche Drüse ein ziemlich weiter, aber mit den gewöhnlichen Schweisseanälen verglichen, kurzer Schlauch ist, von längsovaler Form, des- sen blindes Ende sieh gern etwas zuspitzt und eine schwache Krümmung annimmt. Man unterscheidet an ihm deutlich eine bindegewebige Tunica propria, ferner eine glatte Mus- kelsehicht, deren bandartig glatte Elemente (Fig. 9) schräg um den Follikel herumziehen und zu innerst ein schön po- Iygonales Epithel, dessen Zellen nach innen bauchig vor- springen, und durch Essigsäure fast alle zwei Kerne enthiel- ten. Der Ausführungsgang ist ein um vieles verschmäch- tigter Canal und besteht nur aus der Tuniea propria und dem Epithel. Der Ausführungsgang der Schweissdrüsen mündet immer, ich sah wenigstens keine Ausnahme, in das obere Ende eines Haarbalges; die Drüsen stehen daher auch immer nur da, wo Haare wurzeln, was z. B. an der mit vereinzel- ten Haaren ausgestatteten Flughaut am augenfälligsten ist. Hier bildet immer das Haar mit seinem Balg und den dazu gehörigen Schweiss- und Talgdrüsen für das freie Auge ein Knötchen, das man besonders dann gut unterscheidet, wenn man die ihrer Epidermis beraubte Flughaut gegen das Licht hält. Noch besser für’s freie Auge wird das Object, wenn Ueber die äusseren Bedeckungen der Sängethiere. 7133 man die Lamellen der Flughaut von einer in Weingeist aufbe- wahrten Fledermaus von einander zieht und die Innenfläche beirachtet. Auch sei bezüglich der Lagerung des hier ge- wissermaassenmit den Schweissdrüsen und Talgdrüsen zu einer Einheit verbundenen Haarbalges wiederholtausgesprochen, dass in der Flughaut wegen der so eigenthümliehen Vertheilung der elastischen und contractilen Elemente besagte Organe immer nur, um sie nicht starker Zerrung auszusetzen, unmittelbar über den Zügen der Muskeln und elastischen Balken sitzen und nie in den von letzteren umgrenzten freien Feldern. An den stark behaarten Hautstellen besitzen indessen keineswegs alle Haarbälge diese drüsigen Anhänge; es sind z. B. an der Haut des Bauches die Schweissdrüsen so dünn gesät, dass man sie leicht ganz übersehen kann, hingegen zeigen sie sich an der Wange grösser und entwickelter als an den Ohren und in der Flughaut, und an der Schnauze erzeugen sie, in- dem fast Drüse an Drüse stösst, eine continuirliche Schicht. Andererseits scheint es Fledermausarten zu geben, denen sie vollständig (?) fehlen, es ist mir z.B. an Weingeistexemplaren von Nycteris thebaica weder an der Flughaut noch an der Haut des Öhres gelungen, Schweissdrüsen zu erblicken, ebenso erging es mir mit der Flughaut von Phyllostoma ha- statum, trotzdem dass hier die rosettenförmig um den Haar- balg gruppirten Talgdrüsen klar in die Augen fielen. Bezüglich der Talgdrüsen der Fledermäuse nur die Be- merkung, dass sie überall die Haare begleiten; auch noch daran mag erinnert sein, dass die von Tiedemann beschrie- benen, zwischen Nase und Auge gelegenen „Gesichtsdrüsen* bei gelbweissem Aussehen unter dem Mikroskop die Structur echter Talgdrüsen zu erkennen geben.'!) Dass sie eine fett- J) Gelegentlich möchte ich hier nebenbei auch mittheilen, dass die eigenthümlichen Nasenfortsätze bei Rhinolophus elivosus in ih- rem feineren Bau nichts Specifisches an sich tragen, etwa "besondere Nervenverzweigungen u, dgl. Vielmehr bestanden die Blätter des „Huf- “isens* aus fetthaltigem Bindegewebe, in das die Haarbälge mit ihren Talgdrüsen eingesenkt waren und sich bis zum freien Rand erstreck- ten, Schweissdrüsen sah ich nicht, — Das äussere „büntige* Ohr der 734 Franz Leydig: tige Materie absondern, ist bekannt. Inder „Histologie des Menschen und der Thiere“') habe ich ferner die Vermuthung geäussert, dass auch der eigenthümliche am. Vorderarm der Ellenbogenhaut bei Emballonura (Saccopteryz) canina und leptura sich findende Sack zu den Talgdrüsen gehören möge. Dies hat sich, ‘seitdem ich durch ‘die Gefälligkeit des Herrn Prof. Krauss in Stuttgart diese Beutelfledermaus (8. leptura) hierauf einigermaassen prüfen konnte, nicht bestätigt. Der mit weiter Spalte'nach aussen mündende Sack sondert kein Fett ab. Seine Innenfläche ist von einem geschichteten Epi- thel überzogen, was sich leicht abstreifen liess; und eines der darunter liegenden weichen, gefalteten Blättchen, welches mir auszuschneiden gestattet wurde, bestand unter dem Mi- kroskop aus fetthaltigem Bindegewebe, und in seiner Basis sah man deutlich Bündel quergestreifter Muskeln, welche in- nerhalb des Blättchens eine Strecke weit in die Höhe stiegen. Die Function der Drüse bleibt vor der Hand unbekannt. Die fünf Exemplare der Stuttgarter Sammlung, welche sämmtlich den Sack in nicht ganz gleicher Ausbildung zeigen, sind alle Weibehen. Nicht unwahrscheinlich ist, dass die Drüse mit dem Geschlechtsleben in Beziehung steht. Was die Insectenfresser betrifft, so sieht man beim Igel in den Sohlenballen leicht die Schweissdrüsen; sie stellen gut entwickelte Knäuel dar und sind an diesem Orte sehr zahlreich. Auch überzeugt man sich nicht unschwer davon, dass jeder Drüsenschlauch eine glatte Muskelhülle hat. Hin- gegen blieb ich längere Zeit im Unsicheren, ob auch die be- haarte und bestachelte Haut Schweissdrüsen besitze, denn an vielen Präparaten der Haut der Beine und des Rückens wurden sie vermisst; indessen siefehlen auch.da nicht, sind aber sehr vereinzelt, so dass man grössere Hautstücke zugleich durchmustern muss, falls man nicht ganz dem Zufall anheim Fledermäuse hat in seiner ganzen Ausdehnung einen Knorpel zur Stütze, dessen Zellen dieht beisammen liegen und fettreich sind. Die Knorpeliamelle ist von zahlreichen Löchern durchbohrt, welehe zum Durchtritt der Gefässe und Nerven dienen, 1) S: 88, Ueber die äusseren Bedeckungen der Sängethiere. 735 stellen will, ob ein feiner Schnitt gerade eine Schweissdrüse zur Ansicht bringen soll. — Die Talgdrüsen sind wieder die beständigen Begleiter der Haare und Stacheln, doch die der letzteren zeigen eine verhältnissmässig geringe Entwicklung, sind klein und nicht eben zahlreich und stehen, wovon man sich durch Flächenschnitte unterrichtet, immer nur an der Seite des Stachels, welche den sich ansetzenden Stachelmus- keln gegenüber liegt. Eine Spitzmaus (Sore2 tetragonurus), welche ich unter- . suchte, ermangelte der Schweissdrüsen nicht nur in der be- haarten Haut, sondern auch an den Sohlen. Schneidet man eine ganze Sohle ab und betrachtet sie nach Behandlung mit Kalilauge, so kann es zwar auf den ersten Blick scheinen, als ob unterhalb der grösseren Sohlenhöcker je eine Schweiss- drüse läge, allein es rührt dies Ansehen von der bindegewe- bigen Grundlage des Höckers her, welche auf ihrer Schnitt- fläche zu dem unter diesen Umständen auftretenden schlan- genartigen Bändern sich umgestaltet. Gleichwohl kann man den Spitzmäusen die Schweissdrüsen nicht ganz absprechen, da, wie schon früher v. Hessling nachwies, und ich mich an obiger Art ebenfalls überzeugte, jener eigenthümliche Drü- senapparat an den Seiten des Rumpfes als eine massige An- häufung stark entwickelter Schweissdrüsen anzusehen ist. Die Drüsen bestehen aus geschlängelten und geknäuelten Canälen und liegen zwischen der Haut und dem duergestreiften Haut- muskel. Die Talgdrüsen sind an der ganzen behaarten Haut vorhanden und da die Sohle auch eine theilweise Behaarung hat, sind sie natürlich auch dort anzutreffen, Vom Maulwurf habe ich bereits an einem anderen Orte gemeldet, dass ich dort nirgends Schweissdrüsen gefunden habe, Dasselbe negative Resultat erhalte ich beim Gold- maulwurf (Chrysochloris aurata); doch war hier die Beschaf- fenheit der Haut derartig, dass weitere Untersuchungen wünschenswerth wären. Die Schweissdrüsen des Hundes hat schon vor längerer Zeit Gurlt in seinem bekannten treffli- chen Aufsatz in Müller’s Archiv 1835 beschrieben, doch wie ich bereits in der „Histol. d, Mensch. u, d, T'biere* 736 Franz Leydig: bemerkte, nicht in Allem ganz richtig. Leicht zu bestätigen sind die Angaben des genannten Forschers über die in den’ Soh- lenballen gelagerten Drüsen, allwo die Drüsencanäle durch vielfache Windungen grosse Knäuel bilden; wenn er hingegen sagt: „an allen behaarten Theilen sind die Schweissdrüsen sehr kleine, lange Bälge, die schwer aufzufinden und in wel- chen durchaus keine Windungen zu erkennen sind“, so stimmt das nicht mit meiner Erfahrung. Ich sehe, dass an den be- haarten Gegenden immer die Schweissdrüsen einen länglichen schmalen Knäuel bilden, also einen Drüsencanal, der neben dem Haarfollikel sich unter Windungen herabschlängelt, und eine deutliche Musculatur besitzt; ferner lässt Gurlt diese Drüsen, ebenso wie in den Sohlenballen, frei ausmünden (vgl. a. a. O. Fig. 2 auf Taf. X.), während ich immer wahr- nehme, dass der Ausführungsgang der Schweissdrüse in das obere Ende des Haarbalges, aber nie in den Balg eines Tast- haares mündet. Ganz gleich wie der Hund verhält sich das grosse Wiesel (Mustela erminea). In den Sohlenballen liegen ‚stattliche runde Knäuel, in der übrigen behaarten Haut sind esschwächere, langgestreckte Glomeruli zur Seite der Haar- bälge und in diese nahe dem oberen Ende einmündend. —Von der Fischotter (Lufra vulgaris) stand mir nur die Haut des Nackens (in Weingeist aufbewahrt) zu Gebote und hier waren allerdings die Sehweissdrüsen viel schwieriger darzustellen, so dass sie mir anfänglich zu mangeln schienen. Man muss durch die dicht behaarte Haut möglichst feine Schnitte ma- chen, um ihrer ansichtig werden zu können und erst dann erkennt man, dass sie von einfacherer Art sind, als die des Hundes und Wiesels; sie stellen nieht geknäuelte Schläuche vor, die neben dem Haarbalg herabgehen und höchstens eine kurze Aussackung oder Knospe treiben. — Bei Phoca vitulina er- kenne ich überall an der Haut des Kopfes längliche Schweiss- drüsenknäuel wie beim Hund und auf gleiche Weise mit den Haarbälgen in Beziehung stehend. — Die Talgdrüsen der Fleischfresser bieten nichts Besonderes dar, nur sind die der Tasthaare relativ kleiner als die der gewöhnlichen Haare, Die Nager anlangend, so wurde von mir ebenfalls an Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 737 einem anderen Orte gemeldet, dass ich bei Ratten und Mäusen in der behaarten Haut Schweissdrüsen vermisste, während in den Sohlenballen diese Organe vorhanden sich zeigten. Ich füge jetzt hinzu, dass man auch am gleichen Orte beim Meerschweinchen zwischen den Fettlappen des Unterhautbindegewebes zahlreiche Knäuel von Schweissdrü- sen gewahrt, deren Canal nicht allein zusammen gewunden ist, sondern sich auch verästigt oder wenigstens in Knospen sich ausbuchtet. Der Gang durch die Epidermis ist weit und schwach gebogen. — An einem Hautstück der Fusssohle vom Biber sah ich keine Schweissdrüsen, lege jedoch auf diesen Befund keinen Werth, da das Unterhautbindegewebe, in dem die Drüsenknäuel liegen können, an dem Hautstück fehlte. Die Talgdrüsen waren an der theilweise behaarten Planta pedis nur schwach entwickelt. — An Hystriz cristata konnte ich an der behaarten und bestachelten Haut keine Schweissdrüsen wahrnehmen, wohl aber waren sie in den Zehenballen sehr deutlich, zahlreich, und die Knäuel hatten längliche Umrisse. Ihr Gang durch die Epidermis war nicht eigentlich 'spiralig gewunden, sondern vollführte nur leichte Schlängelungen. Beim Feldhasen sah ich weder an der Haut des Kopfes noch in der behaarten Fusssohle Schweissdrüsen, Talgdrüsen vorhanden. Aus der so merkwürdigen Säugethiergruppe der Edehtaten habe ich wieder nur einzelne Hautstücke auf die An- oder Abwesenheit der in Rede stehenden Drüsen prüfen können, so dass einen allgemeineren Schluss erst der ziehen kann, welchem ganze Bälge zur Verfügung stehen. Beim Faul- thier (Bradypus cuculliger) enthielt die Haut, es schien ein Stück vom Rücken zu sein, keine Spur von Schweissdrüsen und selbst die Talgdrüsen, die doch‘ sonst durchweg den Haarbälgen sich zugesellen, fehlten. — Beim Gürtelthier (Dasypus noremeinctus) hatten wohl die sehr vereinzelt ste- henden Haare ihre Talgdrüsen, aber Schweissdrüsen fand ich auch hier nicht, weder an der Haut der Wange, noch der Ohrgegend oder der Haut des Schwanzes. — Auch bei Echidna hystrie suchte ich vergebens nach Schweissdrüsen 738 Franz Leydig: am Bauch und Rücken, und auch von der Fusssohle glaube ich bestimmt angeben zu können, dass sie dort mangeln. Was die Talgdrüsen betrifft, so sind auch diese so winzig, dass sie sehr leicht der Aufmerksamkeit entgehen können. Sie haben an den, ganze Haarbüschel einschliessenden, Bäl- gen nur die Form kleiner, nach rückwärts gewendeter Höcker. Anders verhält sich das Schnabelthier (Ornithorhynchus paradozus); die Talgdrüsen der Haarbälge sind nicht unbe- deutend entwickelt, und was die Schweissdrüsen anbetrifft, so hat, in so weit ich nach dem mir vorliegenden Hautstück urtheilen kann, jedes Stichelhaar zur Seite seines Balges eine solche Drüse (Fig. 7d). Den Follikeln der Wollhaare man- geln diese Organe. Die Schweissdrüsen sind von einfacher Art, längliche Schläuche nämlich, deren oberer verengter Theil (Ausführungsgang) in den Haarbalg, doch ganz nahe an dessen Oeffnung in der Haut einmündet. In den breiten, queren Lippen des Schnabelthieres liegen zahlreiche Drüsen- knäuel, welche sehr an Schweissdrüsen erinnern, allein man wird sie denn doch richtiger für Schleimdrüsen (Glandulae labiales) ansprechen. Ich glaube ferner daran bemerkt zu haben, dass ihr Ausführungsgang vor dem Uebertritt aus der Lederhaut in die Epidermis noch innerhalb der ersteren sich plötzlich erweitert und dann das neue Lumen behaltend als weiter, gerader Canal durch die Epidermis aufsteigt. An einem kleinen Hautstück aus der Bauchgegend von Orycteropus capensis war von Schweissdrüsen nichts wahrzu- nehmen und an den spärlich stehenden Haaren zeigten auch die Talgdrüsen eine nur rudimentäre Form, Von den Schweissdrüsen des Schweines giebt bereits Gurlt Nachricht; ich untersuchte sie von der Haut des Kopfes und füge bei, dass man die Musculatur des geknäuel- ten Drüsencanales leicht sehen kann. Die Talgdrüsen sind hingegen sehr gering entwickelt, ja oft nur spurweise zuge- gen. Aus der Rückenhaut des Dicotyles torquatus konnte ich nicht einer einzigen Schweissdrüse ansichtig werden; Talg- drüsen waren an den kleinen Haaren sowohl wie an den grossen Borsten vorhanden, Die Schweissdrüsen des Rin- Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 739 des beschreibt der zuletzt genannte Forscher als kleine, runde Bälge, die sich nicht winden und bildet sie auch in entspre- chender Weise ab. Beim Kalb sehe ich nun ebenfalls frag- liche Drüsen als einfache, gerade Schläuche, deren verengter Ausführungsgang immer unterhalb der Talgdrüsen in den Haarbalg mündet, wie ich solches an einem anderen Orte auch abgebildet habe; allein beim erwachsenen Thier trefle ich (in der Haut der Schnauze) anstatt dieser einfachen Form einen länglichen Drüsenknäuel. — Die nackte*Schnauze des Rindes gemahnt bekanntlich durch ihr Aussehen an eine Schleimhaut, womit denn in Uebereinstimmung steht, dass unter der Haut eine 6''' dicke grauröthliche Drüsenschicht sich ausbreitet, deren Elemente den Charakter traubiger Sehleimdrüsen an sich tragen. Auch beim Menschen sind so die Schweissdrüsen des Gesichts an den Lippen zu Schleim- drüsen (Glandulae labiales) umgewandelt. — Die Talgdrüsen bilden an der Schnauze auf dem Durchschnitt der Haut eine eontinuirliche gelbe Schicht. Auch an der Schnauze des Pferdes sieht man mit freiem Auge auf dem Durchschnitt die Talgdrüsen eine fast unun- terbrochene Lage bilden, aber hier von weisser Farbe. Die Schweissdrüsen stellen schöne rundliche Knäuel dar, und an den Windungen des einzelnen Canales erkennt man ohne Mühe die glatte Museulatur, welche denselben belegt. Die Seeretzellen des Drüsencanales zeigten durchweg einen aus glänzenden Kügelchen (Fett ?) bestehenden Inhalt. In noch höherem Grade mag dies der Fall sein an den grossen Schweissdrüsen, welche Gurlt von der Haut der Geschlechts- theile abbildet, da er sie mit eigenthümlich körnigem Inhalt zeichnet und braun nennt. Was die etwaigen Hautdrüsen der eigentlichen Dick- häuter aulangt, so halte ich meine Untersuchungen an Hip- popotamus und Rhinoceros nicht für ausreichend, zudem, da das Hautstück ‚des einen Thieres lange Zeit in Weingeist liegt und das des anderen nur ein zollgrosses Fragment eines längst getrockneten Balges war. Weder bei dem einen noch bei dem anderen salı ich Andeutungen von Schweissdrüsen, 740 Franz beydig: ja beim Hippopotamus konnte ich an den Haarbälgen nicht einmal die sehr wahrscheinlich vorhandenen Talgdrüsen wahr- nehmen und erschliesse ihre Existenz nur daraus, dass man an der Innenfläche des Balges, nachdem der Haarbüschel berausgenommen ist, einige feine Löchelchen sieht, die ich - für Oeffnungen der Talgdrüsen zu halten geneigt bin. Aus der Haut des Ahinoceros unicornis L. beschrieb Owen‘) Hautdrüsen von 1!/, Zoll Länge, welche sich in der hinteren Falte zwischeh Tarsus und Carpus und Metatarsus'und Me- tacarpus 2!/, und 3 Zoll von der callösen Sohle finden. Mikroskopische Untersuchung der Haut vorwelt- licher Säugethiere. Bekanntlich wurden schon mehrmals, zuletzt noch 1843 von dem russischen Naturforscher Middendorff, vollstän- dige Mammuthe (Elaphas primigenius) im Diluvialeis aufgefun- den, deren Weichtheile zum Theil noch ganz unversehrt waren. Im Stuttgarter Naturaliencabinet befindet sich das Hautstück eines derartigen, wahrscheinlich jenes 1799 an der Mündung der Lena entdeckten Mammuthes und der Vorstand der genannten Sammlung, Herr Prof. Krauss, war freund- lich genug, ein Stückchen von diesem werthen Besitzihum der mikroskopischen Untersuchung zu opfern.‘ Indessen bin ich keineswegs der erste, welcher die Haut eines vorweltli- ehen Pachydermen auf die etwa noch erkennbaren histolo- gischen Verhältnisse geprüft hat, sondern Brandt in Peters- burg hat bereits vor zehn Jahren eine sorgfältige mikrosko- pische Untersuchung nicht bloss der Haut, sondern auch der Hörner, Zähne, Muskeln, Gefässe, Sehnen und Knorpel jenes berühmten diluvialen Rhinoceros tichorhinus angestellt, wel- ches im Winter 1771—72 im gefrorenen Zustande ebenfalls an der Lena entdeckt wurde. (De Rhinocerotis antiquitatis seu tichorhini s, Pallasii struetura externa et osteologica observationes e reliquiis, quae in museis petropolitanis ser- 1) Trans. Zool. Soc, IV. P. 2. Ist mir leider nicht zugänglich, sondern nur aus dem V. Carus’schen Jahresbericht bekannt. Ueber die äusseren Bedecknngen der Säugethiere. 741 vantur erutae.- Memoires de l’Acad&mie imp. d. science, de St. Petersbourg. Tom. V. 1849. Wie man erwarten darf, verhielt sich das von mir in Händen gehabte Hautstückchen des Mammuth in seinen phy- sikalischen Eigenschaften merklich anders als Hautstücke, welche von ganz alten Säugethierbälgen der Museen entuom- men sind. Letztere besitzen immer noch einen hohen Grad von Festigkeit und Zusammenhalt, so dass man an aufge- weichten Stücken feine Scheiben leicht schneiden kann, ‚Dies auszuführen gelang an dem Mammuth nicht mehr, vielmehr war das in Wasser wieder erweichte Hautstück so mürbe, dass man auch mit dem schärfsten Messer keine Scheibchen gewinnen konnte, sondern bei jedem Versuch, dies zu be- werkstelligen, zerbröckelte Alles. Auf der Oberfläche der Haut, zwischen den Haaren, lagerte viel Schmutz und De- tritus, doch liess sich feststellen, dass die Lederhaut in ziem- lich starke Papillen ausgeht, aber alle. zeigten. sich, nackt und unbedeckt von der Epidermis, denn die Oberhaut war am meisten angegrifien und eigentlich vollständig | zerstört, wenigstens sah ich nichts von einzelnen oder in Fetzen zu- sammenhängenden Zellen. Die Haare sind ziemlich gut .er- halten, braun von Farbe, mässig dick, kraus; die schwäche- reu bestehen nur aus Rindensubstanz, in den stärkeren un- terscheidet man auch die Marksubstanz. Die Zellen des Haar-Oberhäutchens waren nur noch gegen die Wurzel des Haares zu in Andeutungen sichtbar, Nach Zusatz von Kali- lauge wurden die Haare so weich, ‚dass sie sich mit Messern ohne Mühe zerfasern liessen. Das Haar konnte man mit seinem Balg aus der Lederhaut als ein Ganzes ausschälen und unter das Mikroskop bringen, wobei denn auch noch die Wurzel- scheide erkannt wurde, aber alles hatte eben doch ein er- weichtes und verwittertes Ansehen, Vielleicht noch am be+ sten hatten sich die Elemente der Lederhaut oder die Binde- gewebsbalken in ihrer mikroskopischen Eigenthümlichkeit eonservirt, indem man auch noch leicht die Bindegewebs- körper in Form heller Lücken, zuweilen selbst noch mit dem Beichert's u, du Bois-Keymuond's Archiv. 185%, 48 742 Franz Leydig: Kern darin unterschied. Ob auch drüsige Apparate zugegen waren, getraue ich mir nicht entfernt zu bestimmen. Die Haut des Ahinoceros lichorhinus war nach Allem, was Brandt darüber mittheilt, fast noch besser erhalten. Sie hatte eine ansehnliche Dicke, an der Kehle war sie 4—7'' stark, an ihrer Oberfläche liessen sich die Papillen erkennen, von der Epidermis die Zellen abbilden. Die Haarbälge stan- den im Quincunx und enthielten an den noch behaarten Ge- genden je ein Haarbüschel. Die das Corium zusammen- setzenden, sich kreuzenden Fasern waren ebenfalls deutlich. Rückblick und Allgemeineres. 1) Die äussere Haut aller Säugethiere ist im Normalzu- stand immer pigmentirt und zwar zeigt die Rückenfläche als die Lichtseite in der Regel die tieferen Farben. Doch giebt es Ausnahmen, der Hamster (Cricetus frumentarius) z. B. ist oben rothgelb und an der Bauchfläche schwarz. Pigment- stoffe von metallischem Glanz sind in der Haut der Säuge- thiere sehr selten, man hat dergleichen bis jetzt nur beim Goldmaulwurf (Chrysochloris) und am Bauch der Cetaceen beobachtet. Das gewöhnliche Pigment ist das sog. körnige, welches die Theile vom Braunen in’s Schwarze, mitunter auch bunt (blau, roth) färbt und eine gewisse chemische Verwandt- schaft mit Fett zu haben scheint. Dasselbe erscheint in der äusseren Haut immer als Zelleninhalt, und zwar können so- wohl die Zellen der Epidermis, der Haare, als auch jene der Lederhaut Pigment einschliessen. Speeifische Pigment- zellen giebt es somit nicht, sondern die Bindegewebskörper- chen der Lederhaut, die Hornzellen der Oberhaut und des Haares können pigmenthaltig werden. Uebrigens entsteht die Ablagerung des Pigments am constantesten in den unteren Lagen der Epidermis, im Rete Malpighii, und es können auch deren Fortsetzungen in die Haarbälge hinein, die Wur- zelscheiden, pigmenthaltig werden, während die Lederhaut davon frei bleiben kann. Sehr selten zeigen die Zellen des Oberhäutchens vom Haar körniges Pigment oder von Gebil- den der Lederhaut die Haarpapillen, doch finden sich zu Bei- Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 743 dem in Obigem Beispiele aufgeführt. — Pigmenthaltige Kerne bei Vespertilio murinus. 2) Die Oberfläche des Thierkörpers ist vielleicht nur in wenigen Fällen ganz eben oder einfach, sehr allgemein hin- gegen offenbart sich auch auf ihr eine gewisse Differenzirung, indem eine Art typischer Seulptur über sie hinzieht. Dies ist denn auch der Fall bei den Säugern. Die haarlosen Stellen sind von Linien durchfurcht, welche entweder ohne sich zu kreuzen bogige und spiralige Figuren entstehen las- sen oder durch Kreuzung eine getäfelte oder zellige Zeich- nung bedingen. An behaarten Gegenden ist das gesetzliche Dasein solcher Linien dadurch ausgesprochen, dass die Haare in gewissen regelmässigen Zügen sich über die Haut vertheilen. 3) Wo der Haarbesatz sich in Stichel- und Wollhaare scheidet, umstellt immer eine Anzahl der letzteren ein Sti- chelhaar, und häufig ist die ganze Gruppe oder der Büschel in einen eigenen Haarbalg eingepflanzt. 4) Die Tasthaare sind nach dem Verhalten der nicht hornigen, sie an ihrer Basis umschliessenden Theile für Or- gane suj generis anzusehen, als was sie sich eigentlich auch sofort auf dem Durchschnitt der Haut für's freie Auge an- kündigen. Uebergänge zwischen dem Inhalt des Balges der gewöhnlichen Haare und der Tasthaare finden nicht Statt. Dass nicht die Dicke der Tasthaare die eigentliche Ursache der ungewöhnlichen Entwickelung des Balges ist, geht auch daraus hervor, dass die Bälge der Stacheln verhältnissmässig viel kleiner sind, als die der Tasthaare. Nur die Tasthaare besitzen den Schwammkörper und die Nerven. In welcher Beziehung ich mir die Blutansammlung im Inneren des Fol- likels zum Tasten denke, ist oben erwähnt. 5) Das Bindegewebe der Lederhaut ist in einzelnen Bal- kenzügen, auch wohl in besonderen Schichten eigenthümlich erhärtet. Solche Partien nehmen beim Liegenlassen der Haut in Weingeist eine braune oder horngelbe Färbung an, Ich erblicke darin einen ähnlichen Vorgang, durch welchen bei vielen Arthropoden weiches Bindegewebe zu inneren Skelet- 43* F} 744 Franz Leydig: theilen erhärtet, oder um 'ein näheres aus dem Kreis der Wirbelthiere genommenes Beispiel zu wählen, gleichwie im bindegewebigen Theil vieler Fischflossen die bekannten „Hornfäden“ sich ausbilden. Andere analoge Bildungen sind die derben, knorpelharten Haarbälge der Seehunde, oder die bindegewebige Wand des Seiteneanals bei Rochen und Haien, die bei manchen Arten von knorpeliger Consistenz ist, in Weingeist ebenfalls eine gelbliche Farbe annimmt nnd so von der gewöhnlichen bindegewebigen, auch deshalb weiss blei- benden Umgebung in ähnlicher Weise absticht. Dies so mo- difieirte Bindegewebe zeigt somit nach zwei Seiten hin ver- wandtschaftliche Beziehungen, einerseits zu chitinisirtem Bindegewebe, andererseits zu Knorpel. — Das elastische Ge- webe bildet in der Flughaut der Fledermäuse ein ganz eigen- thümliches Netzwerk. 6) Die Stärke des Papillarkörpers richtet sich nach der Dicke der darüber liegenden Epidermis, da die Ernährung eines dicken Oberhautgebildes es nothwendig macht, dass in ihrer Substanz viele Ernährungsheerde — und das sind die ge- fässführenden Papillen — zugegen sind. Die äussere Haut ist keineswegs, wie man früher sagte, „als eine Lage von Nervenwärzchen zu betrachten“; auch ist es nicht einmal richtig, wenn noch neuere Autoren (V. Carus in d. Syst..d. thierisch. Morphologie) aussagen, dass die Nerven „sehr häufig in die Papillen“ der Lederhaut eintreten, im Gegen- theil geschieht dies verhältnissmässig sehr selten. 7) Die Bewegung der Haut und ihrer Theile (Haare, Stacheln, Schilder, Schuppen) geschieht meistens durch die quergestreiften Hautmuskeln und nur in wenigen Fällen findet sich eine eigene glatte Musculatur, so in der Haut des Igels zur Bewegung der Stacheln und beim Stachelschwein, bei welch’ letzterem Thiere ein doppeltes System glatter Muskeln vorhanden ist, eines innerhalb, das andere ausserhalb der Hautschilder. 8) Unter den drüsigen Apparaten der Haut sind die Dalg- drüsen, weil in nächster Beziehung zu den Haarfollikeln ste- hend, die verbreitetsten, doch sind sie mitunter sehr verküm- Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 745 mert, und in einem Fall (Faulthier) vermisste ich sie völlig. Da man den Talgdrüsen die Function zuschreibt, Haut und Haare einzuölen, so möchte man vielleicht auch annehmen wollen, dass bei tauchenden Säugern, deren Pelz durch das Wasser gar nicht nass wird, diese Eigenschaft durch die Talgdrüsen der Haut erwachse. Am auffallendsten sehen wir, wie unter den Thieren unserer Fauna an der Fischotter das Wasser vom Pelz so abgleitet, als ob es gar nicht mit ihm in Berührung gewesen wäre. „Das Haar nimmt kein Wasser an.“ Allein der Grund ist hier sicher ein ganz an- derer; nicht eine etwa fettig durchtränkte Hautoberfläche be- wirkt diese Erscheinung, sondern die in der dichten Behaa- rung eingeschlossene Luft. — Schweissdrüsen fehlen man- chen Säugern durchaus, bei anderen sind sie spärlicher vor- handen oder nur auf gewisse Körpergegenden beschränkt. In ihrer Form wechseln sie von einfachen gestielten Blind- säcken bis zu langen, mit seitlichen Ausläufern versehenen und zusammengeknäuelten Schläuchen. Sie haben sehr allgemein eine glatte Museulatur. Erklärung der Abbildungen. Tafel XIX. Fig. 1. Hautstück der Schnauze von Phoca groenlandica, auf dem senkrechten Durchschnitt und in natürlicher Grösse. a. Balg eines Tasthaares mit noch darin steckendem Haar, man sieht in der Basis desselben die Haarpapille. bb. zwei Bälge, aus denen die Haare entfernt wurden. Vom Grunde des Balges erhebt sich die Papille, ferner unter- scheidet man den schwammigen Körper und den Ring- sinus des Balges, Fig. 2. Hautstück der Schnauze von einer jungen Cystophora borealis, auf dem senkrechten Durchschnitt und in natürlicher Grösse. a. Balg der Tasthaare, b. schwammiger Körper des Balges, e. Ringsinus, d. die Sehnen der sich an den Balg ansetzenden Muskeln. Fig. 3. Balg eiues Tasthaares von Mus musculus bei ungefähr &0 maliger Vergrösserung. 746 Franz Leydig: a. eigentliche Haut des Balges, b. der noch mit Blut erfüllte Schwammkörper, bei dieser Vergrösserung wie ein einziger grosser Blutraum sich ausnehmend, c. der Ringsinus, d. wulstförmige Anschwellung der Wurzolscheids des Haares, e, Nerv und seine Vertheilung, f. Talgdrüsen. Fig. 4. Balg eines Tasthaares vom Hund, nach der Länge durch- schnitten und ungefähr 80 Mal vergrössert. a. das Haar, b. innere Wurzelscheide, e. äussere Wurzelscheide, d. homogene Grenzschicht des Schwammkörpers e. der Schwammkörper selbst, f, der Ringsinus, g. der Nerv des Balges, h. eigentliche Haut des Balges, . Talgdrüse. Fig. 5. Tasthaar sammt Balg vom Hund, im Querschnitt und un- gefähr 390 Mal vergrössert. = a. Marksubstanz des Haares, b. Rindensubstanz, - ce. innere Wurzelscheide, d. äussere Wurzelscheide, e. homogene Grenzschicht des bindegewebigen Theiles des Balges, f. die compacte Zone des Schwammkörpers, g. die Balken des Schwammkörpers, h. die Bluträume, i. die Nerven und k. die Blutgefässe in den Balken, l. eigentliche Haut des Balges. Fig. 6. Stück der Haarpapille von Phoca groenlandica, 390 Mal vergrössert, zeigt den Gefässreichthum dieser Papille. Tafel XX. Fig. 7. Haut vom Schnabelthier (Ornithorkynchus paradozus), im senkrechten Schnitt und ungefähr 80 Mal vergrössert. a. Stichelhaar, b. Wollhaar, c. Talgdrüsen, d. Schweissdrüse, e. Züge des Hautmuskels, Fig. 8. Stück Flughaut von Vespertilio murinus, von der Fläche Ueber die äusseren Bedeckungen der Säugethiere. 747 gesehen und ungefähr 80 Mal vergrössert. Die Epidermis wurde ent- fernt. a. Substanz der Lederhaut, b. Züge des Hautmuskels und im Inneren derselben e. die elastischen Bänder, d. Haare mit rosettenförmigen Talgdrüsen, e. Schweissdrüsen. Fig. 9. Schweissdrüse von Vespertilio murinus, ungefähr 380 Mal vergrössert und mit Essigsäure behandelt. a. Haarbalg, b. Drüsenschlauch. Die gebogenen Linien auf der Oberfläche deuten die Muskeln an. ce. Ausführungsgang. Fig. 10. Haut des Faulthiers (Bradypus cueulliger), im senkrech- ten Durchschnitt und ungefähr 80 Mal vergrössert. aa. Stichelhaar, bb. Wollhaare. Fig. 11. Aus der Haut des Igels (Erinaceus europaeus), Vergr. 80. a. Hautstachel, b, Talgdrüsen desselben, e, glatte Muskeln des Stachels, d. quergestreifte Hautmuskeln. Fig. 12. Schilder aus der Rückenhaut von Hystrix dorsata, na- türliche Grösse. Links zeigt sich die senkrechte Durchschnittfläche. a. Balg der Stacheln, - b. Talgdrüsen, e. glatte Musculatur innerhalb des Schildes, dd. Fett, e, der quergestreifte Hautmuskel. Fig. 13. Ein Hautschild von Hystrir dorsata, in natürlicher Grösse und von der unteren Fläche gesehen. &. die glatte Museulatur des Hinterrandes (nach der Körper- _ achse des 'Thieres bestimmt!), b. die quergestreifte Musculatur des vorderen Randes, vom Hautmuskel kommend. e, der quergestreifte Hautmuskel, d. Balg des Stachels, e, glatte Museulatur im Inneren des Schildes, ff. Fett. 748 W. Kühne: Untersuchungen über Bewegungen und: Verände- rungen der contraetilen Substanzen. Von Dr. W. Künne. (Fortsetzung von S. 640.) IV. Die Veränderungen der contractilen Substanz nach dem Tode. 1. Die Todtenstarre. Bei der Betrachtung der Bewegungen des direct gereizten Muskels fanden wir, dass nach dem Tode des Thieres Ver- änderungen in der contractilen Substanz eintreten, welche von erheblichem Einflusse auf die Form und die Fortpflan- zung der Contraetion sind. Wird ein Muskel aus dem Or- ganismus heraus gelöst, so geräth er in Bedingungen, welche seiner Existenz bedrohlich werden, die normale Ernährung vermag nicht mehr die Verluste auszugleichen, welche mit seiner Thätigkeit eng verbunden sind, und die contractile Substanz unterliegt denselben Einflüssen, wie alle organi- schen Körper, jenen mächtigen chemischen Umwandlungen, durch welche der grossartige Kreislauf der Materie bei allen belebten Wesen in stetem Gange erhalten wird. Die nächste und auffallendste Veränderung, welche mit der contractilen Substanz vorgeht, ist die allgemein bekannte Todtenstarre, der Rigor mortis, eine seit Jahrhunderten mit ungeschwäch- tem Interesse beobachtete Erscheinung, welche als Grenzstein an der Schwelle des Todes zu stehen scheint, und welche den Verlust aller lebendigen Eigenschaften des Muskels ver- künden sollte. Es ist begreiflich, wie die Todtenstarre der Gegenstand der grössten Aufmerksamkeit werden musste zu einer Zeit, wo man die Unterscheidung von Leben und Tod Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 749 für eine der wichtigsten Fragen hielt, und wo man sich be- mühte die Unterschiede zwischen einem lebenden und einem todten Körper zu häufen, wo man genau zu wissen wünschte, wann ein Organ lebendig oder todt sei. Dieses Streben, das der jetzigen Zeit fremd geworden ist, hat dahin geführt, dass über die Erscheinungen, welches ein von dem übrigen Kör- per isolirtes Organ nach und nach darbietet, die verschie- densten Ansichten aufgestellt worden sind. Was der Eine den rohen Kräften der äusseren Natur überwies, war für den Anderen ein Zeichen der letzten Lebensäusserungen, und so ist es gekommen, dass man durchgreifende Unterschiede zu constatiren glaubte, wenn man einen Theil der Vorgänge vital nannte und eine andere Reihe von Veränderungen in pbysikalischen und chemischen Wirkungen bestehen liess. Die Todtenstarre ist in Folge davon auch meist nur unter diesem Gesichtspunkte studirt worden; wir haben darüber die Theorien von Nysten und Sommer, welche jene Ex- {reme vertreten. Ersterer schreibt dieselbe den letzten An- strengungen des Lebens zu, und nennt sie eine vitale Con- traction'), während Sommer?) sie für den Ausdruck einer physikalischen Zusammenziehung hält, welche nichts Ge- meinsames habe mit der Oontraction eines lebenden Muskels. Bei der Untersuchung eines Vorganges und bei der Nach- forschung nach den Ursachen desselben ist es gewiss er- spriesslicher, die vorgefassten Meinungen von Leben und Tod, von vitaler und physikalischer Action ganz aufzugeben, und sich statt dessen an das rein Objeetive zu halten, da es doch nicht abgeleugnet werden kann, dass ein von dem vollstän- digen Organismus abgetrennter Theil nie wieder ganz das gleiche Verhalten zeigen kann, wie vorher, indem durch seine Lostrennung eben die Bedingungen, unter denen er sich be- fand, total verändert werden. Bin Jeder ist dann berechtigt den geringsten Unterschied für das Zeichen des Todes zu )) Nysten, recherches de physiol. et de chim. path. Paris 1811. 1) Sommer, de signis mortem hom. absolut, ante putredinis ac- cessum indie. Havniae 1833. 750 W, Kühne: nehmen, während es andererseits Niemandem verwehrt wer- den kann, alle Vorgänge, selbst die Verwesung des letzten Moleeüls den lebendigen Eigenschaften zuzuschreiben, mit denen der Körper von Anfang an ausgestattet war. | Der Erste, welcher in seinen Betrachtungen über die Todtenstarre von den soeben genannten Ideen zu abstra- hiren wusste, ist E. Brücke!). Durch eine Vergleichung der Veränderungen, welche ein Muskel nach dem Tode er- fährt, mit denjenigen Erfahrungen, welche Joh. Müller über die Ursachen der Blutgerinnung gemacht hatte, kam er zu dem Scehlusse, dass im Inneren der Muskelfasern ein Stoff gerinne, gerade so wie der im Blutplasma gelöste Faserstofl. Obgleich es nun bis heute noch an allen bindenden Beweisen für die Richtigkeit dieser Anschauung fehlt, so hat dieselbe doch bei den ersten Physiologen allmälig Eingang gefunden, gewiss’ nieht allein wegen der überzeugenden Klarheit der Brücke’schen Darstellung, sondern wohl vorzugsweise we- gen des positiven Schlusses, der nur mit Ja oder Nein ent- schieden werden konnte, gegenüber den vagen Vorstellungen von vitalen oder nicht vitalen Veränderungen. Ich glaube in dem Folgenden die Beweise für die Rich- tigkeit der Brücke’schen Theorie,geben zu können, welche in.der Darstellung und der Isolirung jenes gerinnenden Kör- pers bestehen. Ehe ich jedoch zu denselben übergehe, scheint es mir angemessen, auch die Meinungen zu durchmustern, welche bisher der Gerinnungstheorie zu widersprechen schie- nen, und daran eine Beschreibung der Todtenstarre bei ver- schiedenen Thieren zu knüpfen. Dureh die Untersuchungen von E. Weber?) ist ganz zweifellos erwiesen worden, dass ein contrahirter und ein starrer Muskel so grosse Verschiedenheiten in ihren elasti- schen Eigenschaften zeigen, dass an eine Uebereinstimmung der 'Todtenstarre mit der Muskelcontraction kaum gedacht 1) E. Brücke, über die Ursache der Todtenstarre. Müller’s Archiv. 1842. S. 178. 2) E. Weber, Artikel „Muskelbewegung* in Rud. Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie. Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 751 werden kann. Nichts desto weniger ist aber diese Ansicht bis in. die neueste Zeit aufrecht erhalten, zu allerletzt von Schiff), bei dem die Starre die letzte idiomuseuläre Con- traction vorstellt. Wenn die Eigenschaften eines contrahir- ten und eines starren Muskels ganz bestimmt angegeben wer- den können, und wenn sich dann grosse Verschiedenheiten zwischen beiden ergeben, so kann es natürlich keinem Zweifel unterliegen, dass die Idee, der starre Muskel sei ein contra- hirter, aufgegeben werden müsse. Schiff hat sich dem in- dessen auf eine ganz eigenthümliche Weise zu entwinden ge- sucht. Weber’s Beobachtungen, welche an elektrisch-teta- nisirten Muskeln angestellt wurden, beweisen ihm nur, dass der in neuromusculärer Bewegung begriffene Muskel sich verschieden verhalte von dem starren; von seiner idiomus- eulären Contraction behauptet er aber, dass man ihren Ein- fluss auf die Elastieität des Muskels nicht kenne. In diesem letzterem Satze irrt nun Schiff offenbar. Der todtenstarre Muskel ist für ihn ein idiomusculär verkürzter, und er ist folglich gezwungen, die, elastischen Eigenschaften, welche Weber dem starren Muskel zuertheilte, für seine idiomus- euläre Contraction in Empfang zu nehmen. Man sieht nicht ein, weshalb Schiff dies nieht gethan, denn nichts konnte ihm willkommener sein, als jene Uebereinstimmung. Zu be- weisen ist auf diesem Wege aber selbstverständlich gar nichts, um so weniger, als Das, was Schiff idiomuseuläre Contrac- tion nennt, wie oben gezeigt wurde, sehr verschiedene Dinge einschliesst und nichts dafür bürgt, dass er nicht stellenweise auch die wirkliche Starre für eine idiomuseuläre Oontraetion genommen habe, Da sich ferner nachweisen lässt, dass die elektrische Reizung nicht bloss den Nerven, sondern auch den Muskel direct erregt, und da Weber mit Stromes- schwankungen von solcher Mächtigkeit experimentirte, dass er unzweifelhaft in allen seinen Versuchen auch den Muskel selbst dadurch erregte, so ist es klar, dass die von Weber gefundenen elastischen Eigenschaften des contrahirten Mus- 1) M. Schiff, Lehrbuch der Pbysiologie, 5, 48—52- 152 W. Kühne: kels ebenso wohl für die neuromusenuläre, wie für die wahre idiomuseuläre Verkürzung gelten, und es fällt damit jeder Grund, den starren Muskel einen idiomuseulär eontrahirten zu nennen, weg. Zwei Dinge, welche in einer wesentlichen Eigenthümlichkeit so verschieden sind, können unmöglich gleich sein, Diesem Sachverhalte gegenüber hat also die Meinung, die Todtenstarre bestehe in einer Contraction, Alles gegen sich und nichts für sich, während die Gerinnungstheorie - Alles für sich hat, im Falle es nur diese beiden Alternativen giebt. Die Unterschiede zwischen einem starren und einem contra- hirten Muskel sind nicht allein in Hinsicht auf die elastischen Eigenschaften, sondern in jeder anderen Beziehung auffallend. Man betrachte sich doch vorzugsweise die feinen und dünnen Muskeln der Frösche. Der noch erregbare Muskel ist hier immer durchsichtig, einerlei ob im contrahirten oder im er- schlafften Zustande, während der todtenstarre Muskel weiss, trübe und undurchsichtig ist. Ich muss diesen Unterschied hier von neuem betonen, da er fast regelmässig ausser Acht gelassen wird, so leicht es auch ist ihn wahrzunehmen. Un- begreiflicherweise behauptet Kussmaul!) sogar das Gegen- theil, dass ein todtenstarrer Muskel unter dem Mikroskop wenigstens eben so durchsichtig sei, als ein noch erregbarer oder eontrahirter. Wie die Vergrösserung einen undurch- siehtigeren Körper durchsichtiger erscheinen lassen könne, als einen anderen vorher durehsichtigeren, vermag ich in- dessen nicht einzusehen, mir scheint vielmehr, dass die aus- schliessliche Betrachtung im durchfallenden Lichte, wie sie bei der mikroskopischen Beobachtung geschieht, gerade ge- eignet sein müsste, jene Unterschiede recht zur Geltung kom- men zu lassen. Ein im refleetirten Lichte weisser Körper kann wohl im durchfallenden Lichte schwarz werden, andere Wunder aber vermag das Mikroskop nicht herzuzaubern. In Folge der Kussmaul’schen Angaben habe ich mir häufig das Vergnügen bereitet, den Eintritt der Todtenstarre auch 1) Kussmaul, Prager Vierteljahrsschrift. 18. Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 753 unter dem Mikroskop zu beobachten. Ich reisse oder schneide zu dem Ende einen längeren schmalen Streifen aus den Oberschenkelmuskeln eines eben getödteten Frosches heraus, und breite dann die einzelnen Primitivbündel auf einer Ob- jeetplatte aus, unter Zusatz von einigen Tropfen Froschlymphe. Die Glasplatte ist nach Weber’s Methode mit Spiegelfolie belegt, zwischen welcher sich nur in der Mitte eine Lücke befindet, die durch das Präparat überbrückt wird, und die beiden Spiegelbeläge befinden sich in leitender Verbindung mit einer Inductionsspirale. Betrachtet man sieh nun ein so hergerichtetes Präparat bei starker Vergrösserung, so findet man, was bei genauerer Besichtigung auch schon das blosse Auge entdeckt, dass die Muskelfasern einzelne undurchsich- füge Stellen besitzen, namentlich an den beiden Enden, wo die Schnittflächen sich befinden. Diese undurchsichtigen Stellen grenzen sich scharf von den hellen und durchsichti- gen Partien der Muskelprimitivbündel ab, und wenn man mittelst der Beseitigung einer Nebenschliessung jetzt plötz- lich einige kräftige Inductionsschläge unter dem Deckglas durcehgleiten lässt, so sieht man, wie alle Muskelbündel sich nur an den durchsichtigen Stellen verkürzen und verdicken, während die ganz braun erscheinenden, undurchsichtigen Stellen, oder die in ihrer ganzen Länge von dieser Verände- rung ergriflenen Primitivbündel nicht die leiseste Bewegung zeigen. Später dehnen sich die undurchsichtigen Stellen im- mer mit scharfer Grenze fortschreitend weiter über die Länge der Fasern aus, so dass ein Zeitpunkt kommt, wo das ganze Präparat im durchfallenden Lichte nur stark bräunlich er- scheinende Fasern enthält, die im refleetirten Lichte weiss und opak aussehen. Dass diese Veränderung ausschliesslich von der Todtenstarre herrührt, sieht man leicht daran, dass erstens nur unerregbare Muskeln diese Erscheinung zeigen, und dass alle Einflüsse, welche die Todteustarre herbeifüh- ren, auch solche bräunliche und opake Muskelbündel erzeu- gen. Vorzugsweise sind daher immer - die Schnittflächen und ihre Umgebung undurehsichtig, und ferner die Punkte, wo die Präparirnadelu die Fasern unsanft berührt haben, . 754 W. Kühne: Durch einen leichten Druck mit der Nadel kann man des- halb leicht den Primitivbündeln ein gemustertes Aussehen ertheilen, indem man abwechselnd auf eine durchsichtige Strecke eine durchsichtige folgen lässt. Am schnellsten tritt die Veränderung in der ganzen Länge der Primitivbündel ein, wenn man das Präparat in destillirtem Wasser betrach- tet, sie verschwindet aber dort auch eben so schnell wieder, weil die contractile Substanz hinterher stark aufquillt, so dass sie wieder durchsichtiger wird. Sehr leicht ist es, diese Undurchsichtigkeit der starren Muskelstellen jeder Zeit zu be- obachten, wenn man die frischen Muskeln in einer Lösung von NaCl von 0,5—0,7% unter das Mikroskop bringt. Sie erhalten sich in einer derartigen Salzlösung länger erregbar und die einmal starren Stellen quellen nicht so rasch wieder auf. Nimmt man schon starre Muskeln von einem seit län- gerer Zeit getödteten Frosch, so ist es leicht sich zu über- zeugen, dass die starren Primitivbündel immer trübe, un- durchsichtig und bräunlich aussehen, während daneben ge- legte frische Fasern immer ganz klar und durchsichtig, etwas bläulich dagegen abstechen, gleichviel ob sie sich in Ruhe befinden, oder tetanisch verkürzt sind durch die Ströme des Inductionsapparates. Man kann ferner unter dem Mikroskop auch an ganzen Muskeln die grössere Undurchsichtigkeit, welche die Todtenstarre begleitet, beobachten, wenn man 2. B. zwei von den feinen Brusthautmuskeln der Frösche ver- gleicht, von denen einer ganz frisch, der andere von einem lange vorher getödteten Frosche genommen ist. Nach diesen Angaben, die Jeder leicht bewahrheiten kann, ist es dann wohl ausser Zweifel, dass der starre Muskel undurchsichtiger ist, als der lebende oder der contrahirte, einerlei ob mit oder ohne Mikroskop beschaut, und es ist leicht, auch an den fei- nen Muskeln kleiner Säugethiere, dem Diaphragma der Ratten 2. B., denselben Unterschied unzweideutig wahrzunehmen. Die grössere Durchsichtigkeit der starren Muskeln ist wohl auch der Grund, weshalb die mit einem rothen Farbstoff durchdrungenen Muskeln vieler höheren Thiere längere Zeit Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 755 nach dem Tode mehr ziegelroth werden, im Vergleich zu der saftigen Fleischfarbe der frischen Muskeln. Wir hätten somit neben den Unterschieden in den elasti- schen Eigenschaften noch einen zweiten ganz constanten und handgreiflichen in Hinsicht der optischen Eigenschaften, welche eontrahirte und starre Muskeln auf den ersten Blick von ein- ander unterscheiden lässt. Ausserdem ist ferner von du Bois-Reymond gezeigt worden, dass in dem todtenstarren Muskel auch leicht eine chemische Verschiedenheit von dem eontrahirten nachgewiesen werden könne, da der starre Mus- kel meist sauer, der noch erregbare oder contractile aber in der Regel alkalisch reagirt. Ich bin im Stande, die Beobachtungen meines hochver- ehrten Lehrers, welche derselbe ganz vor Kurzem veröffent- licht hat"), in allen Stücken bestätigen zu können. In der allergrössten Mehrzahl der Fälle bezeichnet der Eintritt der sauren Reaction im Muskel zugleich den Beginn der Starre, so dass die alkalische Reaction sehr wohl als charakteristisch für den noch erregbaren und noch nicht starren Muskel, die saure aber für den starren Zustand der contractilen Substanz in Anspruch genommen werden kann. Die einzigen Aus- nahmen, welche ich davon gesehen habe, betreffen die frei- lich seltene Erscheinung, dass das noch schlagende Herz auf dem Querschnitte der Kammer schwach sauer reagirt, d. h. das violett gefärbte Lackmuspapier röthet. Ich habe ferner gesehen, dass das Herz eines Hundes, welcher von einer Hautwunde aus mit Upas antiar (?) vergiftet war, sehr stark sauer reagirte, ohne dass die Starre bereits begonnen hatte, aber während die Muskelfasern der Kammern und der Vor- höfe nicht die geringste Erregbarkeit mehr besassen. An- dererseits kann es vorkommen, dass die Muskeln erstarren, ohne dass die alkalische Reaction dabei in die saure um- schlägt, wie ich dies ganz constant bei Kaninchen beobach- tete, welche Herr Ol. Bernard anderer Versuche halber I) Aem. du Bois-Reymond de fibrae museularis veactione ut chemieis visa est acida. Berlin 1859. — Monatsberichte der Berliner Akademie, 1859, S. 288, 756 W. Kühne: verhungern liess. Hier folgt der Verlust der Erregbarkeit und die Starre fast unmittelbar auf den letzten Athemzug, und die Muskeln reagiren fortwährend stark alkalisch, ohne dass ein Zeitpunkt eintritt, wo freie Säure darin nachgewie- sen werden könnte. Bei alledem muss ich mich aber dafür erklären, dass der Reactionswechsel der Muskeln auf das engste an den Eintritt der Starre geknüpft ist. Es ist die Bildung von freier Fleischmilchsäure, welche unter ganz be- stimmten Umständen in allen Muskeln beginnt, und welche mit einen Theil jener der contractilen Substanz eigenthüm- lichen Veränderungen ausmacht. Die Erörterung dieser Vor- gänge muss ich einer anderen Gelegenheit vorbehalten, es sei hier nur das berührt, was streng genommen in das rein phy- siologische Gebiet fällt. Dies Alles dürfte denn nun wohl mehr als genügen, um endlich die Vorstellung zu beseitigen, es sei die Todtenstarre eine tetanische dauernde Contraetion. Der Unähnlichkeiten beider Zustände wäre damit genug erwähnt. Wer an eine Contraction glauben will, muss mindestens eine neue Art derselben erfinden, mit der bis jetzt bekannten Muskelcon- traction hat die Starre nichts gemeinsames. Es ist nicht überflüssig aber auch solchen Erfindungen bei Zeiten vorzu- beugen, wenn man bedenkt, dass Schiff sogar bemüht ist nachzuweisen, wie die Umsetzungsproducte der contractilen Substanz nach dem Tode eine reizende Flüssigkeit liefern, welche den noch brauchbaren Rest derselben zur Contraetion bestimme, jener idiomusculären Contraction, welche nach Schiff in der Todtenstarre ihren Ausdruck findet, Zum Beweise für diese Behauptung führt Schiff an, dass er die Schenkel einer Kröte habe starr werden sehen in der aus- gepressten Flüssigkeit eines erstarrten Kaninchenschenkels, und dass diese Starre dem Blutkreislauf später wieder ge- wichen sei. Im besten Falle beweist dies indessen immer nur das, dass ein todtenstarrer Kaninchenschenkel einem Krötenmuskel gefährlich werden könne, und durchaus nicht, dass die in dem Muskel eines Thieres enthaltene Flüssigkeit die contractile Substanz desselben Thieres zur Contraetion Untersuchungen über Bewegungen und. Veränderungen u. s. w. 757 veranlassen könne. Ich habe derartige Versuche bei den Muskeln der Frösche wiederholt, und gefunden, dass die aus ganz frischen Froschmuskeln ausgepresste Flüssigkeit niemals erregend auf andere Froschmuskeln, z. B. den Sartoriusquersehnitt zu wirken vermag. Die stark saure Flüssigkeit von todtenstarren Froschmuskeln, oder die stark alkalische und ammoniakalische Flüssigkeit ganz ver- faulter Muskeln ‚ wirken hingegen bisweilen als Reize für die gesunden Froschmuskeln, und die Erscheinungen sind hier ganz so, wie wenn man sie mit einer verdünnten Säure oder einem Alkali behandelt hätte. Anfangs entstehen starke Zuckungen vom Querschnitte aus, und später ein Zustand der Starre, wie ich ihn früher bei Gelegenheit der chemi- schen Reizung schon geschildert habe, und welcher wiederum mit der Contraction nichts gemein hat. Also auch diese Versuche von Schiff beweisen nichts für seine Ansicht, dass die Starre eine Conträction sei, sie zeigen nur in einer sehr dürftigen Weise, dass bei der Starre chemische Verän- derungen entstehen, welehe mit ein Grund für das Weiter- schreiten derselben werden können, etwa wie ein Tropfen faulender Flüssigkeit eine grosse Menge noch unversehrter Mischungen rasch in die Fäulniss mit hineinziehen kann. Merkwürdiger Weise hat man in der bekannten Reihe der an und für sich sehr interessanten Versuche, die nacheinander von Kay, Brown-Sequard!) und Stan- nius?) angestellt wurden, einen Beweis gegen die Brücke'- sche Gerinnungstheorie und für die Idee der vitalen Action finden wollen. Diese Versuche sind eine weitere Ausdehnung des Stenson’schen Experimentes, des künstlichen Bintritts der Starre an dem Gliede eines lebenden Thieres, dessen Arterien man unterbunden hatte. Alle Beobachter stimmen darin überein, dass die so hervorgebrachte Starre der Muskeln wieder gelöst werden könne durch den erneuten Zutritt des 1) Brown-S&quard Compt. rend. 1851. 2) Stannius, Untersuchungen über Leistungsfähigkeit der Mus kelu und Wodtenstarre, Archiv f. physiol. Heilkunde XI. Beichert's u, du Bols-Reymond's Archiv. 1859, 4 49 758 W. Kühne: arteriellen Blutes, worauf die Leistungsfähigkeit und die frühere Erregbarkeit der Muskeln wiederkehren solle. Abgesehen davon, dass diese Versuche bei genauerer Beobachtung ein ganz anderes Resultat liefern, wie sogleich gezeigt werden soll, beweisen dieselben weder etwas gegen die Brücke’sche Theorie, noch irgend etwas für den soge- nannten letzten vitalen Act, den der Muskel bei der Todten- starre vollführen soll. Ich würde Angesichts der häufigen Schmelzungen fester Exsudate, und der Resorption grosser und fester Gewebsmassen Nichts wunderbares darin zu finden vermögen, wenn die Umspülung der geronnenen contractilen Substanz mit dem alkalischen Blute, nicht allein die saure Reaetion des todtenstarren Muskels beseitigte, sondern auch seine Substanz selbst in ihren früheren flüssigen Zustand wie- der zurückversetzte. So wenig wie in diesen Versuchen ein Beweis gegen die Brücke’sche Theorie liegen kann, eben so wenig nützten dieselben der Ansicht, welche die Starre mit der Contraction zusammenwirft. ‘Wer in aller Welt hat denn je die einmal bestehende Muskeleontraction durch die Bluteireulation schwinden sehen? Zum Ueberfluss habe ich am Frosch noch einen Versuch angestellt, indem ich den Schenkelnerven oder auch den Gastroknemius direct mit dem Minimum der erforderlichen ' Stromesschwankungen reizte, während das Blut durch eine Massenligatur des Schenkels abgeschlossen war. Selbstverständlich zuckte der Muskel später bei demselben Reize ruhig weiter, wenn ich die Li- gatur löste und das Blut wieder in die Muskeln und die Ge- fässe der Schwimmhaut drang. Der Jubel, dass die genann- ten Versuche nun den Todtentanz der Muskeln wieder zu Ehren gebracht, war also ganz unmotivirt, da dieselben nichts für den angenommenen letzten vitalen Act zu leisten vermögen, von dem man nur so ungern scheiden wollte. Es giebt wohl kein physiologisches Experiment, das weiter in’s Extreme getrieben worden, als die Wiederbelebung der Muskeln durch das arterielle Blut. Brown-Sequard schien der Leichenerwecker aller Anatomien werden zu wollen; nach ihm sollten Hingerichtete durch Injeetionen von Hundeblut Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 759 in 'ansehnlicher Weise zu Kräften gelangt sein, und sein eigenes Blut wanderte in die Glieder der Pariser Verbrecher. Trotz alledem muss aber das Experiment jetzt in ganz an- derer Weise gedeutet werden, da es niemals gelingt den un- zweifelhaft unerregbaren und völlig starren Muskel eines warmblütigen Thieres durch den Blutstrom wieder in einen leistungsfähigen und reizbaren umzuwandeln, noch einen wirklich starren Muskel irgend eines Kaltblüters aus dem starren Zustand in den normalen zurückzubringen. Die Angabe über die Zeit, wann die Starre in den Glie- dern eintritt, von welchen man die Bluteirculation abgesperrt hatte, sind ausserordentlich verschieden, theils wohl wegen der wirklich beträchtlichen Zeitunterschiede, in denen die Erreg- barkeit verloren geht und die Starre beginnt, je nach der Tem- peratur und noch vielen anderen äusseren Bedingungen, aber auch theils gewiss wegen der mangelhaften Kriterien, an welchen die verschiedenen Beobachter den sogenannten Mus- keltod zu erkennen glaubten. Es ist nicht zu läugnen, dass es mit grossen Schwierigkeiten verknüpft ist, bei grösseren Thieren in jedem einzelnen Falle Rechenschaft abzulegen von dem Zustande der Muskeln, welche man nach der Vor- enthaltung des Blutstroms von neuem mit der ernährenden Flüssigkeit speist, und schon darin fand ich einen Grund, bei der eigenen Wiederholung dieser Versuche vorzugsweise Frösche zu verwenden, bei welchen die Untersuchung bei weitem besser und genauer ausgeführt werden kann. Ber- nard und Kölliker haben bei Gelegenheit ihrer Untersu- chungen über die Wirkung des Curara’s das höchst sinnreiche Mittel angewendet, die ganzen Glieder mit Ausschluss der Nerven zu umschnüren, um eine ganz vollkommene Absper- rang des Blutes in denselben möglich zu machen. Man kann diese Methode auf zweierlei Weise in Anwendung bringen, entweder 80, dass man den Frosch von hinten her in der Lendengegend öffnet, die beiden Plexus ischiadiei aufsucht und unter diesen hindureh den Ligaturfaden zieht, mit wel- ehen man nun den ganzen Frosch so zusammenschnürt, dass die Schlinge ihn dicht über den Schenkeln, mit Ausnahme 49* 760 W. Kühne: der Nerven, umfasst, so dass der Knoten vorn auf den Bauch zu liegen kommt. Will man nur den Unterschenkel abbin- den, so macht man an der hinteren Fläche der Oberschenkel einen Einschnitt, zerrt die Muskeln ein wenig aus einander und legt unter den dabei entblössten Schenkelnerven den Faden an, der nun in der entgegengesetzten Richtung nach vorn zusammengeschnürt und geknotet wird. Um zu sehen, ob die Bluteireulation durch die Ligatur vollkommen ge- hemmt sei, genügt eine Betrachtung der Schwimmhaut unter dem Mikroskop, wo die Capillaren strotzend mit Blut ange- füllt sein müssen, ohne dass die mindeste Bewegung darin wahrgenommen werden darf, eben so wenig wie in den klei- nen Arterien, welche längs der Zehen verlaufen. Bei dieser Art der Controle wurde ich dazu geführt, dem Kölliker’- schen Verfahren doch den Vorzug zu geben, indem es bei der Ligatur um den Oberschenkel immer am besten gelingt, die Cireulation unterhalb derselben vollständig und dauernd zu hemmen, während bei der Massenligatur in der Taille des Frosches leicht ein nur unvollkommener Verschluss er- zielt wird, namentlich wenn der Versuch mehrere Tage dauert. In Etwas kann die Bernard’sche Methode verbes- sert werden, dadurch, dass ıhan die Beekenknochen durch- schneidet, worauf die Ligatur stärker zusammen gezogen werden kann. Bei alledem bleibt sie aber doch nicht em- pfehlenswerth, zumal wo es sich darum handelt, die Schlinge später wieder zu lösen. Die sämmtlichen Theile des Frosches sind dann in der Regel so comprimirt, dass das Thier nur an einem dünnen Faden seine Schenkel zu halten scheint, welcher nicht leicht wieder auf das ursprüngliche Volumen zurückkommt, so dass er eine Erweiterung der Gefässe ge- statten könnte. Bei der einfachen Abbindung des Oberschen- kels ist dies Alles zu vermeiden, nur muss man Sorge tra- gen, auch hier die Theile nicht zu fest zu klemmen. Ich bediene mich eines breiten und weichen seidenen Bandes, das mit Wachs gut gewichst ist, letzteres namentlich des- halb, damit der auf der Ligatur liegende Nerv nicht an die Seide seinen Wassergehalt abgebe, was die in Be- t Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 761 tracht kommende Stelle sehr bald unerregbar macht und selbstverständlich die Leitung hemmt. In soleher Weise habe ich nun eine grosse Zahl von Ver- suchen an recht grossen und kräftigen, gut mit Inseeten ge- fütterten Fröschen angestellt. Die Beine wurden rasch hinter einander unterbunden und die Thiere sodann in feuchtes Moos gesetzt. Dsr Erfolg der Ligatur besteht zunächst darin, dass sich ein auffallender Unterschied in der Farbe der Haut schon nach wenigen Stunden herstellt, wobei die unterbun- denen Glieder heller erscheinen, als der übrige Frosch. Ziemlich zu derselben Zeit scheint auch die Empfindlichkeit der letzten peripherischen Ausbreitungen der sensiblen Nerven in der Haut verloren zu gehen, obwohl Reizen des ganzen Fusses oder einzelner präparirter Nervenfäden noch heftiges Schlagen mit beiden Füssen als Reflex oder bewusste Bewegung zur Folge hat. Stets aber geht die Empfindlichkeit der Haut selbst, wie es scheint, ganz verloren, wenigstens reagiren die Thiere nach 4—5 Stunden nicht mehr auf die gewöhnli- chen Aetzungen mit Kali oder Essigsäure. Das Alles zeigt, wie die Endorgane der Nerven ganz besonders von der Blut- eirculation abhängig sind, wogegen die Stämme derselben viel weniger davon beeinflusst werden, ein Umstand, den man übrigens zum Theil schon aus der geringen Menge von Blutgefässen, welche die Nervenstämme versorgen, schliessen könnte. Merkwürdig ist es aber, dass dies für die Enden der motorischen Nerven, bei den Kaltblütern wenigstens, nicht in demselhen Grade gilt, da die präparirten Frosch- schenkel, wie Jeder weiss, noch recht lange von ihren Ner- venslämmen aus erregt werden können, mithin also die End- organe, welche die Nerven mit der contractilen Substanz ver- knüpfen, noch in gutem Zustande sein müssen. Es ist aber auch hier eine Erfahrung, dass der Muskel viel länger auf die directe als auf die indireete Reizung reagirt, obgleich der Stamm des Nerven immer noch in normalem Zustande beharren kann, wie die lange Dauer des ruhenden Nerven- stromes andeutet, der auch nach allen neueren Beobachtun- gen noch fort zu bestehen scheint, wenn seine Reizung keine 762 W. Kühne: Muskelzuckung des gleichwohl noch reizbaren Muskels be- wirkt. Demzufolge tritt nun auch bei den Fröschen 'ein Zeitpunkt ein, wo die Muskeln der "unterbundenen Schenkel noch vollkommen erregbar bleiben, wo aber keine willkür- lichen Bewegungen mehr möglich sind, und wo Reizung der Schenkelnerven, gleichviel ob oberhalb oder unterhalb der Ligatur ebenfalls keine Zuckungen mehr auslöst. Löst man in einem solchen Stadium die Ligatur, so tritt häufig schon nach wenigen Minuten wieder Zuekung ein, wenn man den Nerven reizt, und man sieht leicht ein, dass es sich hier um die Restitution der Endorgane des motorischen Nerven han- deln muss'), da der Stamm an der Stelle, wo man ihn ge- reizt, durch die Lösung der Ligatur in keine änderen Bedin- gungen versetzt wurde, namentlich wenn der Versuch in der ‚Weise angestellt wurde, dass man den Nerven vorher beim Austritt aus der Beckenhöhle durchschnitten und wenn man ihn ganz isolirt aus der Wunde hat heraushängen lassen. So viel von dem Theile der Erscheinungen, welcher aus- schliesslich die Nerven angeht. Wir wenden jetzt unsere Aufmerksamkeit auf die Veränderungen der Muskeln nach der Absperrung des Blutstromes. In derjenigen Zeit, wo diese deutlich zu werden pflegen, ist es ohnehin meist aus mit den Nervenversuchen, da es auch bei der grössten Vor- sicht nieht leicht ist, den letzteren vor Schaden zu hüten, den ihm die unter ihm liegende Ligatur doch schliesslich zufügt,. Bei hoher Temperatur drängen sich die Verände- rungen der contraetilen Substanz sehr dicht auf einander, in der Sommerwärme sogar der Art, dass die Starre in den unterbundenen Schenkeln so rasch eintritt, dass es kaum 1) Aehnliche Versuche hat auch Brown-Sequard schon vor längerer Zeit an höheren Tbieren angestell. Um welches Endorgan der Nerven es sich hier handelt, ist schwer zu sagen. Die Ansicht, dass der Muskel selbst das wahre Endorgan derselben sei, wird be- sonders wahrscheinlich durch den von E.H. Weber beobachteten Fall einer Missgeburt, bei welcher das Fehlen der Nerven auch ein Aus- bleiben der Entstehung von Muskeln zur Folge hatte. Es ist wohl richtiger, diesen interessanten Fall weniger gegen die Muskelirritabilität zu deuten, als im Sinne der genannten Anschauungsweise, Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 763 möglich ist, die einzelnen Phasen gehörig zu verfolgen. Am besten eignet sich zu diesen Beobachtungen eine Temperatur zwischen 10° und 12° C., wo die Starre erst nach 2 bis 3 Tagen vollkommen eintritt. Man beobachtet dann, dass die Muskeln sehr allmälig ihre Erregbarkeit verlieren, sich dabei stark mit Blutfarbstoff imbibiren und endlich in den starren Zustand übergehen. Um über alle Vorgänge gehörig in’s Reine zu kommen, verfuhr ich folgendermaassen: Nachdem das Anlegen der Ligatur den Verlust der will- kürlichen Bewegungen hervorgebracht hatte, wurden die Thiere von Zeit zu Zeit mit den Unterschenkeln über die Elektroden der seeundären Spirale des Schlittenapparates gelegt und jedes Mal nachgesehen, wie stark die Reizung sein musste, um Contraetionen der Muskeln zu bewirken. Es ergab sich, dass die Induetionsrollen immer mehr an ein- ander gerückt werden mussten, und dass am Ende des zwei- ten Tages in der Regel nur noch die allerkräftigsten In- ductionsschläge sehr schwache Zuckungen in den Zehen her- vorriefen, während der Gastroknemius und die anderen Mus- keln in Ruhe blieben. Noch später wurde dann ein Schnitt durch die Haut auf der Wade gemacht, und die Elektroden direct an den Gastroknemius angelegt, wobei noch bisweilen ganz schwache locale Zuckungen einzelner Fasern des Mus- kels beobachtet werden konnten, und wenn dann schliesslich der Blutzufluss wieder hergestellt werden sollte, amputirte ich den einen Unterschenkel, dessen Muskeln ich nun einzeln abpräparirt untersuchte, während an dem anderen Beine die Ligatur gelöst wurde. Der unter der Ligatur ab- geschnittene Schenkel giebt den besten Aufschluss über das Verhalten des anderen, da sich beide durchaus in denselben Bedingungen befanden, so dass man wohl den Befund an dem einen Schenkel auf den anderen zu übertragen berech- tigt ist. In mehr als 50 Versuchen habe ich nun gefunden, dass die Erregbarkeit der Muskeln niemals wiederkehrt, wenn dieselben wirklich starr d. h. hart, undurchsichtig und sauer geworden waren und auf keinerlei Reiz mehr reagirten, son- 764 W. Kühne: dern dass in diesem Falle die Rückkehr des Blutes eine rasche Fäulniss des Gliedes bewirke, wodurch die Thiere zuletzt total vergiftet wurden und demzufolge mit dem Leben büssen mussten. ‚In den meisten Fällen starben die Thiere schon 24 Stun- den nach der Lösung der Ligatur, häufig auch noch früher; ich habe aber bei einer niederen Temperatur von 5° C.so behandelte Frösche auch noch 4 und 5 Tage am Leben er- halten, und dennoch kehrte die Reizbarkeit nicht wieder. Die Rückkehr des Blutstromes ist leicht an der Schwimm- haut zu beobachten. Wenn die Ligatur nichts zerschnitten hatte, und die Erweiterung der Gefässe durch vorsichtiges Zupfen mit einer feinen Pincette gut bewerkstelligt war, trat sie sogar in den feinsten Capillaren wieder ein. In anderen Fällen blieb sie aber in der Schwimmhaut auch ganz aus, und ich musste dann den Fuss abschneiden, um aus der blu- tenden Wunde die bestehende Blutzufuhr erkennen zu kön- nen. Die.Folgen derselben bestehen darin, dass die Mus- keln allerdings weicher werden, und auch ihre alkalische Reaction wieder gewinnen; und insofern findet allerdings eine Art von Lösung der Todtenstarre statt. Dieselbe:,ist aber gleichbedeutend mit der gewöhnlichen Lösung durch die Fäulniss, nur scheint sie rascher abzulaufen, woran die stete Durchfeuchtung mit dem alkalischen Blut wohl wesent- lich Schuld sein dürfte. Namentlich fällt es auf, wie enorm die contractile Substanz dabei mit Blutfarbstoff getränkt wird, in der Weise, dass die Muskelprimitivbündel selbst unter dem Mikroskop ganz dunkelroth erscheinen. Um über die Wiederkehr der Reizbarkeit Aufschluss zu erhalten, habe ich mich in allen Versuchen der kräftigsten elektrischen Erregung, so wie der Reizung mit Säuren und Alkalien bedient. Es ist mir aber nie gelungen, dabei die geringsten Verkürzungen zu sehen, obwohl ich immer sorg- fältig die Messung mit einem Millimetermaassstabe an den ‘frei aufgehängten Muskeln vornahm. Kurz niemals kehrte der normale Zustand der Muskeln wieder, auch nicht, wenn die Blutzufuhr gleich nach dem ersten Eintritt der Starre be- Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. e. w, 765 werkstelligt wurde, und wenn dieselbe bei den in der Kälte aufbewahrten Thieren mehrere Tage anhielt. So sehr nun diese Beobachtungen mit den Angaben der vorhin eitirten Physiologen im Widerspruche stehen, so dürfte das Weitere dennoch genügenden Aufschluss über die Ur- sache dieser Differenz geben. Bei den Muskeln der kaltblü- tigen Thiere (den Fröschen, Sehildkröten und den Eidechsen), giebt es unläugbar ein Stadium, wo sie durch kein Mittel mehr zur Contraction gebracht werden können, wo sie aber noch lange nicht starr sind, durchsichtig bleiben und noch alka- lisch reagiren. Betrachtet man in der früher angegebenen Weise frische Mus- kelbündel vom Frosch mit dem Mikroskop, so findet man, dass manche noch durchsichtige Abschnitte auch bei den stärksten Inductionsströmen in Ruhe bleiben. Setzt man dann eine verdünnte Säure oder ein Alkali hinzu, so tritt plötzlich in den Theilen und den Primitivbündeln, welehe auf die Inductionsschläge noch mit Bewegungen reagirten, ein hef- tiges Krümmen und Winden ein, dann werden sie plötzlich bräunlich, undurchsichtig und trübe, und hierauf hellen sie sich langsam wieder auf; die Säure oder das Alkali begin- nen die erstarrten Massen zu lösen. Die ersten Bewegungen sind Folgen der chemischen Reizung, das Undurchsichtig- werden ist die kurz verlaufende Starre, und dieser folgt die chemische Lösung. Diejenigen Bündel nun, welche bei den starken Inductionsschlägen in Ruhe blieben, bleiben auch un- bewegt beim Zusetzen der chemischen Körper, sie gehen ohne Weiteres in den starren Zustand über, sie waren also unerregbar gegen alle Reizmittel und trotzdem noch nicht starr, wie ihre vollkommene Durchsichtigkeit beweist, welche sie durch das Auge nicht von den übrigen reizbaren trennen lässt. Eben dasselbe kann man nun auch an jedem ausge- schnittenen Froschmuskel sehen. Der Sartorius z. B. zeigt in den letzten Stadien seiner Erregbarkeit nur noch locale Contractionen. Wenn aber auch diese schwinden, und wenn der Muskel durch Eintauchen in Kali von beliebiger Gon- "eentration sich um keine Linie mehr verkürzt, ist er noch lange 766 W. Kühne: nicht starr, er ist dann noch: so durchsichtig wie zu Anfang, reagirt alkalisch und ist dem Ansehen nach von keinem reiz- baren Muskel zu unterscheiden. "In diesem Zustande, der nur bei grosser Hitze im Sommer sehr kurze Zeit dauern kann, verharrt er immer eine gewisse Frist, und erst später tritt dann die Starre ein, wobei er undurchsichtig, teigig und sauer wird. Bei den Fröschen kann also die Todtenstarre schon deshalb keine Contraction sein, weil der Muskel selbst lange ‘vorher gar nicht mehr im Stande ist, sich zu contra- hiren, und diese Zwischenstufe zwischen dem starren und dem reizbaren Zustande fehlt hier nie. Begreiflicherweise findet sich dieser Zustand nun auch ein, wenn die Glieder eines Frosches durch Unterbindung der Blutgefässe erstarren und es ist von dem höchsten In- teresse, dass ein solcher Muskel durch die erneuerte Blutzu- fuhr sehr rasch wieder reizbar wird, wie ich in vielen Fällen beobachtete. Ein Gastroknemius, dem man gerade in diesem Zustande die Ernährung wieder zu Theil werden lässt, fängt wieder an, auf alle Muskelreize zu reagiren, anfangs mit lo- ealen Contraetionen, später mit kräftigen über die Reizstelle hinaus reichenden Zuckungen in der ganzen Länge der Mus- kelbündel. Sehr häufig fällt die Rückkehr der Erregbarkeit eines Muskels in einem Versuche zusammen mit der entgegenge- setzten Veränderung eines anderen, der durch das kreisende Blut in Fäulniss übergeht. Wie fast immer die Todtenstarre von oben nach unten fortschreitet, so geschieht es auch bei der Abbindung eines Schenkels, dass z. B. die Muskeln des Unterschenkels vollständig erstarren, während die des Fusses und der Zehen noch in dem Stadium sind, wo zwar die Er- regbarkeit vollkommen verloren gegangen, die Starre in ihnen aber noch nicht Platz gegriffen hat. Ich habe in Folge da- von oft beobachtet, dass nach der Lösung der Ligatur der Fuss auf den elektrischen Reiz wieder Bewegungen zeigte, während der Gastroknemius verfaulte. Genug ein einziger Versuch kann ganz klar zeigen, wie der einmal starre Mus- kel' nicht wieder in seinen früheren Zustand zurückkehren Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u, s. w 767 kann, während der noch nicht erstarrte aber unerregbare Muskel seine Contractilität wieder erlangt.‘ Der Schluss ist darum wohl erlaubt, dass bei der Starre plötzlich eine tief eingreifende ehemische Zersetzung eintrete, die eben durch den Blutstrom nicht wieder rückgängig zu machen ist. Das Einfachste, das man sich unter diesem chemischen Vorgange denken kann und was am meisten den Verände- rungen, welche während der Starre eintreten, entspricht, ist nun gewiss die Vermuthung, dass in der contractilen Sub- stanz selbst etwas erstarre, etwas vorher Flüssiges fest werde, dass eine Gerinnung eintrete. Mein ganzes Streben musste deshalb darauf gerichtet sein, diese Gerinnung auch ausser- halb des Muskels zeigen zu können. In einer vorläufigen Notiz in der medieinischen Central- zeitung und durch die gütige Vermittelung des Herrn Pro- fessor du Bois-Reymond im Monatsbericht der königlichen Akademiezu Berlin habe ich bereits Mittheilungen über Versuche gemacht, welehe ich in dieser Richtung angestellt. Brücke selbst hatte ebenfalls versucht, aus den Muskeln warmblüti- ger Thiere eine Flüssigkeit auszupressen; er fand aber, dass dieselben unter der Presse selbst todtenstarr wurden. Dieser Umstand macht mich besonders zweifelhaft, ob die vor län- gerer Zeit von Simon und Virchow durch Auspressen aus frischen Muskeln erhaltene Flüssigkeit, welche spontan coa- gulirte, wirklich den coagulirenden Muskelstoff geliefert habe, oder ob das Gerinnsel nicht Fibrin aus den Blutgefässen der Muskeln gewesen sei. Es ist schwer darüber jetzt zu ent- scheiden, um so mehr, als die Angabe, dass der erhaltene Muskelsaft sauer reagirt habe, durchaus nicht mit der Reac- tion der frischen Fleischflüssigkeit übereinstimmt. Damit der Geschichte ihr Recht widerfahre, mögen diese Beobachtungen hier erwähnt sein, — ich gehe jetzt zur Mittheilung eigener Erfahrungen‘ über, Wie allbekannt tritt die Todtenstarre bei den kaltblütigen Thieren durchschnittlich sehr viel später ein als bei den Warmblütern, und es empfiehlt sich deswegen der zu allen physiologischen Versuchen so unschätzbare Frosch auch ganz 768 W. Kühne: besonders zu diesen Untersuchungen. Selbst ein in kleine Stücke zerschnittener Froschmuskel wird unter sonst 'gün- stigen äusseren Verhältnissen erst nach geraumer Zeit starr, während ein namentlich am ganzen Längsschnitte verletzter Kaninehen- oder Hundemuskel in einigen Augenblicken lei- stungsunfähig wird und in den starren Zustand übergeht. Ich habe mich deshalb bei der Darstellung der Muskelflüssig- keit wieder an den Frosch gewendet, der auch diesmal seine Schuldigkeit gethan. Vor allen Dingen ist es nothwendig, bei der Untersuchung der Muskeln das Blut vorher so vollkommen als möglich zu entfernen, was am besten durch Injectionen bekannter Flüs- sigkeiten in die Gefässe erzielt wird. Nachdem ich früher zu diesem Ende den Frosch nach und nach mit verdünntem Zuckerwasser ausgespritzt hatte, bin ich jetzt zu der besseren Methode gekommen, statt dessen eine Salzlösung anzuwen- den. Kölliker hat die höchst werthvolle Beobachtung ge- macht, dass die Nerven sowohl wie die Muskeln nur in Salz- lösungen von gewissen Coneentrationen längere Zeit erhalten werden können, während reines Wasser und die etwas con- centrirteren Lösungen der verschiedensten Salze eine rasche Veränderung der Muskelsubstanz herbeiführen. Ich. habe mich überzeugt, dass Lösungen von Chlornatrium in Wasser von 0,5—1pCt,, wie Kölliker angiebt, lange mit den Mus- keln in Berührung bleiben können, ohne dass sie in Starre verfallen. Trotzdem sind diese Lösungen für die contraetile Substanz ein Reizmittel, so dass eine Kochsalzlösung von 1pCt. regelmässig z. B. von dem Querschnitt des Sartorius aus Zuckungen erzeugt, was, wenn auch minder regelmässig, noch bei einem Gehalte von 0,5 pCt. eintritt. In Folge da- von zeigt ein Muskel, den man ganz in eine solche Flüssig- keit eingetaucht hat, ein fortwährendes leises Flimmern sei- ner Bündel, und es ist zu verwundern, dass dennoch z. B. die isolirten Oberschenkelmuskeln des Frosches darin 3—4 Stunden lang reizbar bleiben, ja dass die Erregbarkeit im Anfange nicht einmal merklich ‚abnimmt. Um die Frösche ihres ganzen Blutinhalts zu berauben, Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. 3. w. 769 giebt es daher kaum etwas Besseres, als eine Kochsalzlösung von 0,5pCt. Man kann zwar noch bis zu I p©Ot. ‚concent rir- tere Auflösungen anwenden, es ist aber immer vorzuziehen, die Concentration nicht über 0,5 oder 0,7pCt. zu steigern, Bine derartige Lösung hat den Vortheil, dass sie beim Ein- spritzen in die Gefässe keine übermässige Diffusion aus den Blutkörperchen erzeugt, und andererseits auch die Muskeln vor zu heftigen Veränderungen bewahrt, während beim Durchspritzen von reinem Wasser immer sehr starke Con- traetionen eintreten, worauf die Muskeln rasch starr werden, Vor dem Zuckerwasser hat die Salzlösung ferner das voraus, dass sie selbst unverändert bleibt, während der Zucker mit den thierischen Säften gemischt sehr bald zu gähren beginnt und dadurch ein Heer von unübersehbaren chemischen Um- wandlungen nach sich zieht. Das Verfahren bei der Entfernung des Blutes durch die Ausspritzung ist sehr einfach. Ich lähme die Frösche durch einen kräftigen Hieb auf den Kopf, dringe durch ein drei- eckiges Loch zum Herzen und setze in den Aortenbulbus eine ziemlich weite Canüle ein. welche mit einer Ligatur gut befestigt wird. Darunter wird das übrige ‚Herz wegge- schnitten, so dass die Injectionsmasse aus den Venenmün- dungen frei wegströmen kann. Es ist bequem, die Injection nieht mit einer Handspritze, sondern mit einer kleinen Druck- pumpe auszuführen, wie man sie jetzt nach dem Prinecip der Moderateurlampen fabrieirt. Durch einen hinter der Canüle angebrachten Hahn wird die Stärke der Injection nach Be- lieben geregelt. Auf diese Weise ist es leicht, in kurzer Zeit alles Blut aus den Thieren zu entfernen, Aufangs strömt aus den Venen das reine Blut hervor, das immer heller und heller wird, bis endlich die klare Salzlösung zum Vorschein kommt, worauf man die Injection beendet. Während der Dauer der Einspritzung werden die Glieder ausserordentlich prall, und es“treten auch nicht unbedeutende Zuekungen und Convulsionen dabei ein, die aber keinen weiteren Schaden anrichten können, indem die Muskeln nach der Injection im- mer noch lange genug erregbar bleiben. Will man endlich 770 W. Kühne: viele Frösche auf einmal verwenden, so ist es rathsam, sie alle mit der einen Druckpumpe gemeinsam zu speisen, wozu man nur die Canülen mit Kautschukröhren und diese mit einer an die Pumpe geschraubten verästelten Messingröhre versieht. Die jetzt von Blut gereinigten blassen Muskeln müssen nun von den Knochen abpräparirt werden. Der Frosch wird zu dem Ende enthäutet, ausgeweidet und dann die Bauch- muskeln und die des Ober- und Unterschenkels mit der Scheere abgenommen. Es lohnt sich nicht, die kleineren Muskeln der Füsse und der vorderen Extremitäten mit zu nehmen, weil damit eine überflüssige Zeit verloren gehen würde. Bei der Isolirung der Fleischmassen ist ferner dar- auf zu achten, dass man sie nicht allzu sehr zerfetze, viel- mehr habe ich es weit zweckmässiger und nicht viel zeit- raubender gefunden, alle einzelnen Muskeln behutsam abzu- präpariren, womit man viel weiter kommt, als wenn man versucht, sie von den Knochen herunter "zu schaben. Bei dem letzteren Verfahren zerreisst man so viel, dass die Mus- keln in einem bedauerlichen Zustande unter die Presse kommen. Sind nun auf diese Weise die Muskeln von 5 bis 6 grossen Wasserfröschen zu einem Haufen gesammelt, so zerschneide ich sie mittelst einer langen, gekrümmten und recht scharfen Scheere in nicht zu kleine Stücke, begiesse dann das Ganze nochmals mit der Salzlösung, welche nach einigen Minuten wieder abgegossen wird, nachdem die Fleischmassen vorher gehörig damit geschüttelt waren. Der Umstand, dass das ablaufende Salzwasser keine Gerinnungen zeigt, beweist zur Genüge, dass bei der Präparation die geringe Menge von Lyimphe von selbst abhanden gekommen, so dass von dieser Seite kein Einwand zu fürchten ist. Die mit dem Rest des Salzwassers stark durchfeuchteten Fleischklumpen, welche bei geschickter Manipulation immer noch stark alkalisch reagiren und sogar noch einzelne zuckende Muskelstück- chen enthalten müssen, werden nun in ein Tuch von sehr festem aber grob gewebtem Leinen geschlagen und unter einer kräftigen Presse langsam ausgepresst. Man thut gut, Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 771 die Pressflüssigkeit in zwei Theile zu sondern, eine Quantität, welche im raschen Strome abläuft, und eine andere, welche man zu sammeln beginnt, wenn einzelne Tropfen aus dem Presssatz langsam hervor zu quellen beginnen. Zuletzt strengt man seine Kräfte so viel wie möglich an, die Leinenumhül- lung pflegt dann häufig zu reissen, und die Muskelmasse quetscht sich aus den nächsten Ritzen hervor. Die Press- schraube wird sodann möglichst rasch wieder emporgehoben, der Fleischkuchen mit der Hand schnell entfernt, mit der zuerst abgelaufenen Flüssigkeit noch einmal übergossen und das Ablaufende zum Ausspülen der Presse benutzt. Auf diese Weise sind beide Portionen der abgepressten Flüssig- keit wieder vereinigt. Dieselbe besteht selbstverständlich zum grössten Theile aus Salzwasser, welches mehr oder minder mit der wirk- lichen Muskelflüssigkeit vermischt ist. Sie ist davon stark opalisirend, reagirt alkalisch und geht nur langsam durch ein Filter. Das Filtriren kann aber in allen Fällen besorgt werden, wenn man gute krause Filter anwendet, und wenn man ein rasch filtrirendes Papier besitzt. Nach dem Filtriren ist die Masse etwas klarer, allein im- mer noch opalisirend, hauptsächlich aber von der Menge feiner Muskelstückchen befreit, welche die unfiltrirte Masse verunreinigen. Man bedeckt sie hierauf und stellt sie ruhig bei Seite. Die ausgepressten Muskeln sind zum Theil im höchsten Grade verändert, einzelne Fetzen, welche fest an dem Metall der Presse haften, sind anfangs im höchsten Grade klebrig, lassen sich aber später mit Leichtigkeit aus den Fugen her- auskratzen, andere, namentlich die Gastroknemien, sind auch nach den kräftigsten Auspressungen noch ganz unversehrt, es kann sogar vorkommen, dass einer noch reizbar aus der Presse wieder hervorgeht, Diese Uebelstände sind zu ver- meiden, wenn man geringere Mengen des Rleisches auf ein- mal unter die Presse bringt, handelt es sich indessen um eine gute Ausbeute an Flüssigkeit, so bleibt es immer vor- zuziehen, viele Muskeln zu verwenden. Will man hingegen 172 W. Kühne: on die Veränderungen der Muskeln durch die Presse beobach- ten, so ist es besser, nur die Oberschenkelmuskeln von einem einzigen Frosch unter die Presse zu legen, dieselben gut mit Salzwasser anzufeuchten, und dann so stark wie möglich zu pressen. Ich habe es so eintreten sehen, dass die Muskeln ganz und gar zerquetscht waren, so dass man unter dem Mi- kroskop nicht eine heile’ Muskelfaser finden konnte. Die zusammengeschabte Masse bildete dann einen faserigen Brei, der nach dem erneuerten und gründlichen Abspülen mit Salz- wasser in diesem Zustande blieb, keine Spur von Erstarrung zeigte und selbst die alkalische Reaction dauernd bebielt. Viel wichtiger sind indessen die Veränderungen, welche in der Flüssigkeit eintreten. Bei den letztgenannten Press- versuchen an kleinen Mengen findet man die faserige Mus- kelmasse in einer schmierigen und klebrigen Masse liegen, welche erst ziemlich undurchsichtig aussieht, nur mit Mühe aus dem Gefäss entfernt werden kann, und welche später weisslich und fest wird, wie ein frisches, speckhäutiges Blut- gerinnsel, und zwar in ziemlich kurzer Zeit. Die filtrirte, mit Salzwasser stark verdünnte Pressflüssigkeit zeigt nach der ersten Stunde noch gar keine Veränderung. Bei einer Temperatur von 12—14° C. scheint dieselbe zuerst nach etwa 6 Stunden durchschnittlich einzutreten. 'Zu dieser Zeit bietet sie äusserlich gar nichts auffallendes, nur ‘beim Schütteln sieht man, das etwas darin flottirt, und wenn man mit einer Pincette hineingreift, ist man überrascht, einen ganz ansehnlichen Klumpen eines klaren gallertigen Gerinn- sels hervorzuziehen. Bringt man eine Flocke dieser Masse unter das Mikroskop, so sieht man eine Art schleimiger und fetziger Materie, welche sich namentlich beim Zusatz von Wasser auf ein kleineres Volum zusammenzieht, trüber wird und endlich auch dem blossem Auge als weisser membranöser Fetzen erscheint. Ganz eben so verändert sich auch die Hauptmasse des Ge- rinnsels in der Salzlösung selbst. Am anderen Morgen findet man sie mit reichlichen weissen Flocken erfüllt, die sich ein- zeln herausfischen lassen. Bei hohen Temperaturen wird Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 773 die Flüssigkeit dann auch nicht mehr alkalisch'), sondern sauer gefunden, ich habe aber häufig auch die alkalische Reaction andauern sehen, welche selbstverständlich während der Fäulniss auch bestehen blieb. Untersuchungen, welche ich über die Natur des spontan gerinnenden Körpers angestellt, haben ergeben, dass kein Grund vorliegt, denselben nieht Faserstoff zu nennen, wenn man alle übrigen spontan gerinnenden Körper auch so nennt. Die verschiedenen als chemisch gerühmten Unterschiede zwi- schen derartigen‘ Körpern sind durchaus nicht hinreichend, um ‘von dieser Benennung nach der vornehmsten Eigenschaft abzugehen. Ich muss mich mit diesen Angaben begnügen, da ich bei der Beschäftigung mit den chemischen Vorgängen in den Muskeln hinlänglich gesehen, auf wie verwickelten chemischen Processen der Verlust der Erregbarkeit und der Eintritt der Starre beruhen. Es genügt anzuführen, dass der freiwillig gerinnende Körper alle Charaktere der Biweiss- körper an sich trägt. Weitere Mittheilungen über seine che- mische Natur muss ich einer chemischen Arbeit vorbehalten. Das Angeführte reicht hin um zu beweisen, dass in den Mus- keln, in der contractilen Substanz selbst, ein spontan gerin- nender Körper existirt, von welchem die Erscheinung der Todtenstärre abgeleitet werden muss. 'Die Todtenstärre ist eine Gerinnung, und alle anderen Meinungen darüber sind reine Hypothesen, denn es ist kein einziger Grund vorhan- den, der zu der Annahme führt, dass neben dieser Geritinung bei der Starre noch ein anderer Act mit ünterlaufe. Die schwache Verkürzung der Muskeln, welche während der Starre eintreten kann, ist nichts anderes als die Zusammen- ziehung, welehe das Muskelgerinnsel mit jedem anderen Coa- gulum theilt, und daher erklären sich alle Bewegungen, 1) Die Flüssigkeit ganz frischer und nicht dufeh langes Tetani- siren erschöpfter Muskeln ist, immer alkalisch. Sie hat allerdings die Eigenthümlichkeit, das rothe Lackmuspapier blau und das blaue roth zu fürben, die erstere Reaction ist aber immer stärker, Bedient man sich hingegen eines passend violett gefärbten Reagenspapiers, so beob- schtet man nür eine Reaction, nämlich eine starke Blänung. Beichert's u. du Bols-Reymond's Archiv, 1859, 50 774 mahs W. Kühne: ' art welehe.beim' Eintritt der. Starre: oder. während derselben an den.iGliedern der. Leichen vorgehen können. Dach be- trächtliche ‚Mengen jenes Gerinnsels ‚darzustellen. genöthigt war, so kann ieh hinzufügen, ‚dass bei Einhaltung des;so eben mitgetheilten Verfahrens niemals die beschriebene Coagulation der’ Muskelflüssigkeit ‚ausbleibt. ) ‚Ich ‚habe ‚versucht dieselben Experimente auch. mit. den Muskeln der Fische anzustellen, ‚aber vergebens, ohne Zweifel wegen: der ausserordentlich raschen Veränderung, welche die Fischmuskeln nach dem ‘Tode erleiden. Dagegen ist es mir gelungen, aus den Muskeln der Schildkröte (Testudo graeca) eine röthliche ‘Flüssigkeit zu erhalten, die ganz so,wie die der Frösche freiwillig gerann. „Mit; sehr geringen Erwartungen 'ging ich an ‚die Untersu- chung, der Muskeln ‘warmblütiger Thiere. Kaninchen- oder Hundemuskeln werden; bei der nothwendigen Zerkleinerung so rasch starr, und andererseits hatte Brücke schonrdie Er- fahrung gemacht, wie der, Druck ‚der Presse diesen Zustand noch befördere, dass ich kaum hoffen durfte, die Flüssigkeit, welche dem Inhalte des noch erregbaren Organs entspricht, isolirt zu erhalten. ‚Gleichwohl wollte ich Nichts unyersucht lassen. . Durch einen Stich in das verlängerte Mark wurde ein Kaninchen ;getödtet, schnell die Brusthöhle geöffnet, und indie Aorta die Canüle'meiner Druckpumpe eingesetzt, durch welche ich ‚einen kräftigen Strom der 0,7 procentigen Koch- salzlösung hindurchtrieb. Während das strömende Salzwasser das Blut aus den ‚Gefässen. verdrängte, ‚enthäutete ich die Schenkel und präparirte sodann die Oberschenkelmuskeln von den Knochen:'ab, als die aus dem rechten Herzen .hervor- strömende Flüssigkeit nur noch ganz schwach gefärbt erschien. Die weitere Behandlung der: Muskeln geschah ‚in derselben Weise, wie sie bei den Froschmuskeln soeben beschrieben worden, und.'zu‘meiner‘ grossen ‚Freude erhielt ich darauf eine-alkälische Pressflüssigkeit von ganz ähnlichem’ Aus- sehen, wie die der Frösche. Nach 3 Stunden setzte dieselbe zuerst ein gallertiges Gerinnsel ab, von dem ich schwache Spuren beim Umherfischen, mit einer Nadel darin entdeckte, Untersuchungen über Bewegungen'und Veränderungen u. s. w. 775 und nach abermals 3 Stunden hatten sich diese Coagula zu festen, membranösen, weisslichen Flocken verdichtet. Ich habe den Versuch oft wiederholt, es ist mir aber leider nie gelungen, grössere Mengen dieser spontan gerinnenden Kör- per zu. erhalten. Die Menge derselben ‘beschränkte sich im- mer nar auf einige wenige Flocken, und ich würde in diesen Erfahrungen kaum eine Stütze für die Gerinnungstheorie fin- den, wenn nicht bei den kaltblütigen Thieren , wo )die Ver- hältnisse so unendlich: viel günstiger sind, das Resultat so ganz eclatant wäre, Bei dem Muskelsafte der Kaninchen und Hunde ist es mir indessen zuerst aufgefallen, dass auch noch bei beginnender Starre, wenn die Reaction schon in'die saure umgeschlagen ist, ‚so dass die Pressflüssigkeit das'blaue Lack- muspapier entschieden röthet, noch derartige Gerinnsel auf- treten können, und spätere Versuche zeigten mir, dass dies auch bei den Muskeln. der Frösche eintreten kann. Es geht daraus hervor, dass der Act der Gerinnung bei der Todten- starre kein ganz plötzlicher ist, sondern dass ein grosser Theil der contractilen Substanz schon geronnen sein kaun, während ein anderer noch in dem flüssigen Zustande beharrt. !) Auf diesem Umstande. beruht es, dass alleinoch nicht zu weit \abgestorbeuen Muskeln, ‚einerlei von welchem: Thiere sie herstammen, selbst beim blossen Auspressen durch Ein- schnüren in Leinen, stets eine Flüssigkeit liefern, die immer eine ‚gewisse Menge von weissen, flockigen 'Gerinnseln. ab- setzt, wenn man die zerschnittene Muskelmasse vorher gut nit der verdünnten Salzlösung durchtränkt hat. Auf den ersten Anschein könnte man diese Massen für jene häutigen Bildungen, 'welche man bei der Fäulniss immer leicht beob- ueber 1) 'Es ist darum möglich, dass auch die Coagulationen,, welche Virchow beim Auspressen frischer amputirter menschlicher: Muskelu ‚erbielt, eine gewisse Menge ‘des spontan gerinnenden Muskelstofls ein- schlossen, wenngleich die Hauptsache doch ohne Zweifel der Gerinnung des Blutüibrins zugeschrieben werden muss. Auf dieser Ueberlegung beruhen auch wohl die Zweifel, welche Virchow gerade bei dieser ‚Gelegenheit gegen die Theorie Brücke’s über die Ursachen der Tod- kenstarre geltend macht, 50* 776 . W. Kühne: achtet, halten; sie entstehen aber stets zu einer Zeit, wo die Flüssigkeit noch sauer reagirt, und wo nicht der mindeste faulige Geruch daran wahrzunehmen ist. Fault die Lösung endlich, so treten auch jene häutigen Massen, welche mit Pilzen und Vibrionen durchsetzt sind, ausserdem immer noch auf, die ersten Gerinnsel aber entstehen schon nach einer bis 2 Stunden selbst bei einer niederen Temperatur von 8 bis 10° C., wo die Fäulniss noch lange auf sich warten lässt. Nach ‘dem bis hieher Angeführten kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Todtenstarre bei den Kaltblütern auf einer Gerinnung des Muskelinhalts beruht, und dass dieselbe hauptsächlich deswegen keine Contraction sein kann, weil sie eintritt, wenn der Muskel nicht mehr contractil ist. ‘Bei den Warmblütern ist die Sache im Grunde dieselbe, wir sind nur hier nicht im Stande, 'so einleuchtend die Starre auch un- abhängig von dem thierischen Gewebe in der isolirten Flüs- sigkeit darzustellen. Aus diesem Grunde muss hier auf den Verlauf ‘der Muskelstarre bei den letzteren Thieren etwas näher eingegangen werden. Man wäre gewiss schon seit langer Zeit über die Ursa- chen der Todtenstarre besser unterrichtet, wenn man die Be- ‚obachtungen auf alle Thierklassen ausgedehnt hätte, Es ist eine ganz grundlose Behauptung, wenn man angiebt, dass dieselbe bei den niederen Thieren, z. B. den Fröschen nur schwach ausgebildet sei, denn ein getödteter Frosch, dessen Muskeln unerregbar, undurehsichtig und sauer geworden, zeigt auch die übrigen Erscheinungen der Starre in dem Grade, dass er steif und hart wie ein Brett wird, so dass man ihn an den Zehen wagerecht schwebend halten kann. Der einzige Unterschied, welcher zwischen den verschiedenen Thierklassen besteht, liegt darin, dass die Starre zu anderen Zeiten eintritt. Tödtet man Kaninchen oder Hunde durch einen Stich in das verlängerte Mark, so bemerkt man, wie schon nach einer Stunde bei gewöhnlicher Zimmertemperatur (18° C.) das ganze Thier steif und starr wird, und dass immer einige Kraftanstrengungen nöthig sind, um die Lage der Glieder Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 777 zu ändern,‘ welche schon. nicht mehr den Einflüssen, der Schwere folgen. Alle Muskeln fühlen sich durch die Haut hindurch härter an, als die eines daneben betasteten lebenden oder soeben getödteten Thieres, kurz für dem äusseren: Ein- druck hat die Starre begonnen. Isolirt man dann. diese Mus- keln, so wird man immer finden, dass sie bei jeder Art. der Reizung noch jene langsam fortschreitenden. Contractionen zeigen, und es muss als ein Verdienst Schiff’s anerkannt werden, dass er auf das lange Bestehen der Reizbarkeit nach dem Tode, zu einer Zeit wo die Starre schon begonnen, nachdrücklich aufmerksam gemacht. Hieraus erklärt sich denn auch noch besser, weshalb bei den warmblütigen Thieren das Fortschreiten der Muskelcontraction über die Reizstellen binaus bald nach dem Tode eine so; grosse Verlangsamung erleidet, während bei den Fröschen jene scheinbar localen und lange anhaltenden Verdickungeu auf der Reizstelle nur so unvollkommen zum Vorschein kommen. Da die Starre bei den Warmblütern schon beginnt, während der Muskel noch erregbar ist, und da bei den Kaltblütern der. Verlust der Erregbarkeit und der Eintritt der Starre zeitlich so be- deutend getrennt sind, so liegt der Schluss nahe, dass beide Vorgänge ganz unabhängig von einander seien, und dass nur die Molecüle des Muskels, welche in der Starre befindlich sind, nieht mehr an der Contraction Theil nehmen können, mithin nieht mehr Zeichen der Erregbarkeit von sich geben können. Ein Muskel kann ganz unerregbar, aber noch nicht starr sein, während ein ganz starrer Muskel nicht mehr er- regbar und contractil sein kann. Der zeitliche Unterschied, den die Starre bei Kalt- und Warmblütern darbietet, veranlasste mich, die Versuche von Stannius und Brown-S&quard auch an. Kaninchen. und Hunden zu wiederholen. Ich kann versichern, dass es ausser- ordentlich schwer ist, hier an dem lebenden Thiere den Blotstrom vollkommen von einer Extremität abzuschneiden, da sich durch die Verschliessung einer Arterie eine Menge von anderen kleineren Collateral-Gefässen erweitern, und der frühere Zustand wieder hergestellt wird. Beim Kaninchen 713 | w. Kühne: wa können die "hinteren ‘Extremitäten 'nach der Methode von Stannius am besten vor dem Blutstrom bewahrt werden, wenn man die Aorta abdominalis und gleichzeitig die Crural- Arterien unterbindet, wobei der Collateralkreislauf durch die epigastrischen Arterien beseitigt wird. Trotzdem besteht aber immer noch eine Spur von Cireulation in den Sehen- keln, namentlich nach längerer Zeit, wovon man sich leicht an ‘den "hinreichend blutenden Wunden überzeugen. kann, wenn man irgendwo einen tiefen Einschnitt macht. Beim Hunde kommt man ‘durch dasselbe Verfahren auch nicht weiter, es ist mir hier sogar passirt, dass die Thiere nach Unterbindung der Aorta über ihrer Theilungsstelle und nach dem Verschluss’ beider Crural-Arterien noch mehrere Stun- den ganz munter die Hinterbeine zu allen willkürlichen Be- wegungen benutzten. Bei einem Versuche, den ich an dem Kaninchen nach der Methode von Stannius anstellte, gelang es mir indessen doch die Schenkel nicht allein beträchtlich starr zu machen, wie das hier nie auszubleiben pflegt, son- dern ich’ erreichte auch nach 7 Stunden ein vollkommenes Schwinden der 'Erregbarkeit, so dass einzelne entblösste Stellen der Oberschenkelmuskeln nicht mehr auf die heftigsten elektrischen oder mechanischen Reizungen reagirten. "Ich liess durch Lösung der Ligaturen den Blutstrom wieder hin- zutreten und überzeugte mich an dem Pulse der Schenkel- arterie‘ von dem Wiedereintritt des Blutes. Am anderen Morgen (nach 15 Stunden) fand ich das Kaninchen in den letzten Athemzügen. Alle Muskeln des ganzen Körpers wa- ren vollkommen erregbar, die der hinteren Extremitäten’aber waren in einem stark putriden Zustande, reagirten sehr’ stark alkalisch, waren ausserordentlich‘ weich, stellenweise bräun- lich missfarbig und verbreiteten einen intensiv fauligen Ge- ruch. Natürlich war keine Spur von Erregbarkeit vorhan- den, die Todtenstarre war indessen gelöst — aber durch die Fäulniss, Die Unmöglichkeit den Blutstrom vollkommen abzuhalten durch. die Unterbindung einzelner Gefässe, und die damit verbundenen Schwankungen in den Resultaten, wodurch ich Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 779 nnter anderen einst auch mehrere Muskeln ganz verfaulen sah, als nur die Aorta unterbunden und noch ein mässiger Kreislauf des Blutes fortwährend durch die Arteria epiga- strica unterhalten wurde, machten ein anderes Verfahren wünschenswerth. Ich exartieulirte daher bei einem Hunde das Femur und durchschnitt darauf alle Weichtheile des Oberschenkelmuskels, mit Ausnahme der Arteria und Vena eruralis. Der Hund wurde auf einem Tische mit Stricken so befestigt, dass keine Zerrung der zarten Gefässbrücke ent- stehen könnte, durch welche der Schenkel mit dem übrigen Thiere noch verbunden war. Die beiden Blutgefässe wurden sodann mit einer Serre fine verschlossen und die Muskeln darauf von Zeit zu Zeit beobachtet, nachdem vorher ein Stück Haut entfernt worden war. Die Veränderungen in der Form der Muskelcontractionen bei der jedesmaligen Reizung waren hierauf ganz dieselben, wie sie oben von den allmälig ab- sterbenden isolirten Muskeln geschildert sind, ‘und’ am Ende der sechsten Stunde nach der Absperrung des Blutstromes hörte die Erregbarkeit auch in den tieferen Oberschenkel- muskeln ganz auf. ' Mechanische Reizungen und die gewaltig- sten Inductionsschläge brachten keine" Zusammenziehungen hervor. In dem Gastroknemius hingegen war noch’ eine Spur von Erregbarkeit vorhanden, und ein nahe an der Achilles- sehne angelegter Querschnitt bläuete das rothe Lackmuspa- pier, während die starren Oberschenkelmuskeln ganz schwach sauer reagirten. Jetzt nahm ich die Klemme von den Blut- gefässen ab, und gleich darauf fühlte ich nicht nur den Puls in der Art. poplitea, sondern es drang auch Blut aus den Haut- wunden und den Muskelquerschnitten hervor. Nach der Oefl- nung der Gefässe lebte das Thier noch 1'/, Stunde, Dennoch trat keine Veränderung inden Oberschenkelmuskeln ein, die für immer ihre Brregbarkeit verloren hätten, nnd äuch bis zu dem Tode des Thieres keinen noch 80 heftigen Reiz mit der lei- sesten Spur von Bewegung beantworteten. Im Gastroknemius wurde indessen eine unzweidentige Veränderung bemerklich, die Reizungen hatten kräftigere Erfolge, und endlich entstand bei elektrischer Reizung sogar eine flimmernde Bewegung mehrerer Muskelbündel, also gut fortgeleitete Contractionen 780 W. Kühne: in. ‚einer, beträchtlichen Länge der Fasern, wogegen die Con- tractionen vor der Rückkehr, des Blutes nur;in schwachen wulstigen Erhebungen bestanden, welche langsam über eine kurze Strecke der Fasern fortkrochen und dann. verschwan- den. Bei dem Tode: des Thieres und! nach dem Aufhören des Herzschlages reagirten die Oberschenkelmuskeln. wieder alkalisch und waren augenscheinlich stark mit Blutfarbstoff imbibirt, so weit sich dies bei @aslicht erkennen liess. Jeden- falls waren; sie bedeutend gequollen und reichlich mit; Flüs- sigkeit getränkt. Der Gastroknemius zeigte nichts yon dieser Imbibition, seine Reaction hatte sich nicht geändert, sie war nach. wie vor alkalisch. Der Versuch wurde mit dieser Probe um.10 Uhr Abends; beendet, Am anderen Morgen 8 Uhr reagirten alle Muskeln ‚des, Cadavers sauer; nur die Ober- schenkelmuskeln waren stark ‚alkalisch, sehr tief gefärbt und völlig. in Fäulniss begriffen, Die Temperatur im Labora- torium, ‚war, während der Nacht von 19° bis auf 13° ge- sunken. ; Ich konnte nicht hoffen, den oben beschriebenen. Versuch günstiger ausfallen zu sehen. Die Exarticulation des: Ober- schenkels ist eine, zu eingreifende ‚Operation, als dass auf eine längere, Erhaltung, der Thiere gerechnet werden konnte: Selbst wenn, man ganz lege artis dabei verfährt, ist die Blu- tung, doch so stark, dass eine tödtliche Erschöpfung, immer zu fürchten ist. Ich versuchte später mit Herrn Bernard die, Amputation mit dem Eeraseur vorzunehmen ‚ was aber an dem Zerbrechen unserer: Instrumente. scheiterte; Wir schufen uns, deshalb einen neuen Eeraseur, indem wir. bei Kaninchen mit:einer Packnadel hart neben dem Fe- mur den; Schenkel durehstachen, dabei einen starken Bind- faden unter , der Schenkelvene und Arterie hindurchzogen und nun die innere Seite des, Beines 'zusammenschnürten. Ebenso. wurde auf der äusseren und, unteren Seite verfahren und, schliesslich das, Femur _durchschnitten, nachdem alle Weichtheile unter den 3 Ligaturen abgelöst, waren: Der Bindfaden - Ecraseur hatte so gut gewirkt , dass, es kaum Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. 8. w. 781 nöthig, war, das Messer ‚dabei zu Hülfe zu nehmen. Nur die Haut musste wirklich zerschnitten ‘werden. Der so isolirte Kaninchenschenkel hing nun mit dem, übri- gen Körper nur, noch durch die beiden Blutgefässe zusam- men, die dann mit einer Klemme verschlossen wurden. Alles trat genau‘ so ein, wie bei dem Hunde. Erst nach, 7 Stun- den wurden ‚die Muskeln ganz unerregbar, ziemlich gleich- zeitig aber auch die Muskeln des Unterschenkels.. Als. letztes Zeichen der Erregbarkeit galten immer nur. die beschriebenen schwachen localen Contractionen an der Reizstelle, was.ich von Neuem erwähnen muss, da manchen diese lange Dauer der Erregbarkeit frappiren könnte. Die Reaction aller Mus- keln wurde sauer, wie überhaupt beim Absterben, und ich muss nach vielen derartigen Versuchen Schiff widerspre- chen, der behauptet, dass beim Unterbinden der Gefässe keine saure Reaction eintrete, sondern eine alkalische, welche die Starre. (in Schiff’s Sinne die idiomuseuläre Contraction) hervorrufe. Anfangs scheint es allerdings, namentlich wenn die Vene gleichzeitig mit unterbunden wird, dass die Muskeln stärker alkalisech reagiren, als sonst gleich nach dem Tode, im Augenblicke aber, wo der letzte Rest: der Erregbarkeit schwindet, fand ich die Reaction immer sauer, die Muskel- querschnitte gaben dann immer schwache Röthung des vio- letten Lackmuspapiers. In diesem Stadium bewirkt nun auch die Rückkehr des Blutes bei Kaninchen keine Wiederbelebung der Muskeln, sondern die Fäulniss greift ebenso rasch um sich, wie bei dem Hunde, und die Thiere, gehen deshalb nach der so bewerkstelligten Lösung der Starre an einer pu- triden Infection zu Grunde, Ist bingegen noch: einige Er- regbarkeit in den Muskeln vorhanden, ‚so werden sie durch das wiederkehrende Blut für einige Zeit von neuem reizbarer. Schliesslich tritt aber, doch Fäulniss, ein, und: kein Thier kommt mit dem Leben davon, nach, einer derartigen Ope- ration. Der Grund des Todes: scheint auch hier immer wie- der in dem faulenden Organe zu liegen. Gewiss ist, dass nach, dem ‚Tode des Thieres die Muskeln des amputirten Schenkels immer früher als die des übrigen Körpers faulen, 782 W. Kühne: auch wenn dieselben ihre Reizbarkeit noch nicht völlig ver- loren, und bei der Rückkehr des Blutes sich "beträchtlich wieder erholt hatten. Es schien mir wünschenswerth,, den Zeitpunkt so genau wie möglich zu bestimmen, nach welchem der Blutstrom keine Restitution mehr hervorbringt. Ich nahm dazu die Sartorii oder Reeti femoris vom Hund, welche ich vorsichtig aus dem eben getödteten "Phiere herauspräparirte, und welche ich dann mit dem Blüte des Hundes atısspritzte. Derselbe wurde deswegen durch einen Schnitt durch den Hals getödtet, das Blut aufgefangen, geschlagen und dann durch Leinen Ailtrirt. Legt man von 2 isolirten, gleichnamigen Muskeln den einen nur in das Blut hinein, den anderen aber in einen feuchten Raum, so findet man, dass nach einer Stunde der erstere auf dieselben Reize viel kräftiger reagirt als der andere, und zwar bei jeder Art der Reizung, bei der elektrischen wie bei der mechanischen, durch Druck oder Schlag.’ In dem einen pflanzen sich’ die Contrattionen fast über die ganze Länge der Bündel fort, während sie in dem letzteren lang- sam' eintreten und langsam weiterschreiten. Viel auffallender ist dieser Unterschied noch, wenn man eine Stunde nach dem Tode den einen Muskel durch seine Arterie mittelst Injec- tionen mit Blut speist. An den genannten Muskeln ist das leicht zu bewerkstelligen. Wenn der Hund recht gross war, sind die Arterien leicht zu finden und weit genug für die Canülen. Etwaige Seitenöffnungen klemmt man mit Serres fines zu. Bei dieser Behandlung hat sich mir nun das nach dem Obigen vorauszusehende Resultat ergeben, dass der Muskel, welcher einmal seine Reizbarkeit gänzlich verloren hat, dieselbe auch nicht wieder gewinnt, und es war mir leicht, in dieser Zeit auf dem Querschnitt die ersten Anfänge der sauren Reaction zu entdecken. Hinter dem Querschnitt wurde der Sartorius oder Rectus mit einem Faden abgebun- den, und dann die grosse Menge des geschlagenen, stark hellrotben, arteriell gefärbten und bis zur Körpertemperatur wieder erwärmten Blutes nach und nach durch seine Gefässe Aut Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 783 hindurchgetrieben. Die alkalische Reaetion kehrte wieder, die Reizbarkeit aber war dahin. Nach diesen Versuchen glaube ich daher den Satz ver- theidigen zu können, dass ein einmal unerregbarer, ganz starrer und schwach sauer reagirender Muskel eines Warm- blüters durch das Blut nicht wieder 'erregbar werden könne, dass dagegen‘ die Starre und die saure Reaetion dabei der Fäulniss weichen, und ferner, dass die Erregbarkeit, ‘wo sie noch im Sinken begriffen ist, wieder restitairt wer- den kann, wenn auch nach längerer Zeit der Muskel doch der Fäulniss anheimfällt. ' Bei den Kaltblütern andererseits kehrt die Erregbarkeit wieder, wenn sie auch schon gänzlich verloren gegangen, der Froschmuskel geht aber: durch die erneuerte Blutzufuhr ganz zu Grunde, wenn er einmal’wirk- lieh starr und sauer geworden ist. ' Diese Resultate sind, wie ich glaube, mit den früheren Beobachtungen ganz vereinbar. Stannius sah die Restitu- tion nur an solchen Muskeln, welche noch erregbar waren und Brown-Sequard konnten die letzten schwachen Contractio- nen der Muskeln leicht entgangen sein, da er sie nicht direct be- obachtete, sondern den Reiz mit 2 durch die Haut gesteckten Nadeln, die mit einem galvanischen Apparat verbunden wa- ren, einwirken liess. Verstärkte sich durch die Blutzufuhr die Reaction der Muskeln, so konnten Bewegungen durch die Haut hindurch währgenommen werden, während sie vor- her nieht erkannt. werden konnten.. Ausserdem weiss man aber nicht, ob nicht Brown zu schwache Reize angewendet, als er die Muskeln für ganz’ unerregbar erklärte. Ich habe mich dazu eines du Bois-Reymond’schen Schlittenelek- tromotors mit 2 Grove’schen Elementen bedient. Bei ganz übereinander geschobenen Rollen sind: die Inductionsschläge von solcher Mächtigkeit, dass ich annehmen muss, der’ Mus- kel'sei wirklich vollkommen unerregbar gewesen, wenn er keine Bewegungen mehr zeigte. Mit derjenigen Modification, welche die Wiederbelebungs- versuche der Muskeln in, ihren Resultaten durch diese neueren Erfahrungen erhalten, sind dieselben also noch viel 784 W. Kühne: weniger geeignet, eine Stütze für die Contraetionstheorie und eine Waffe gegen die Lehre von der Gerinnung bei der Tod- tenstarre zu liefern, und: wir ständen nun jetzt bei der Frage, was denn eigentlich in. der Muskelsubstanz gerinne. Ehe wir hierzu übergehen, muss noch eine zweite Art der Starre abgehandelt werden, welcher mit der Todtenstarre dasselbe Schicksal getheilt hat, ebenfalls: für eine Contraction gehalten worden zu sein. 2. Die Wärmestarre, Nach den Angaben von Piekford') soll ein Froschmus- kel, welcher 25 Secunden in Wasser von 65° R., oder meh- rere Minuten in Wasser von 30° .R. verweilt hat, starr und steif werden, wobei er sich verkürzt. In diesem Zustande ist der Muskel völlig unerregbar, soll aber nach wenigen Minuten seine frühere Erregbarkeit wieder gewinnen, wobei die Starre sich von selbst löst. Schiff?) will’ ausserdem be- stätigt haben, dass ein in Wasser von 36° R. in. einer Mi- nute steif gewordener Froschschenkel sich nach 4 Minuten völlig wieder erholt. Diesem entgegen steht die Bemerkung ve. Wundt?), der bei den bezeichneten Wärmegraden wohl die Starre eintreten sah, die Lösung derselben und: die Rück- kehr der Erregbarkeit aber nicht beobachten konnte. Dies ist in Kurzem Das, was seither von der Wärmestarre bekannt geworden. ‚Die geringe Aufmerksamkeit, welche man diesen Beobachtungen geschenkt bat, beruht gewiss zum Theil auf den offenbar sehr mangelhaften Methoden, welche Pickford bei seinen Versuchen anwendete, ein Umstand, der ‚schon von Eekhard: hervorgehoben ist, andererseits aber wohl auf der allgememein bekannten Thatsache, dass auch kaltes Wasser einen sehr verderblichen Einfluss auf die Muskelsubstanz ausübt, indem das blosse Benetzen und Eintauchen in nieht erwärmtem destillirten Wasser die Mus- 1) Pickford, Zeitschrift für rat. Medicin, red. von Henle und Pfeuffer. Neue Folge I. S. 110. 2) Schiff, Lehrbuch der Physiologie S. 44. 3) Wundt, die Lehre von der Muskelbewegung S. 66. Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 785 kelstarre sehr rasch herbeiführt. Hieran schliessen sich die Beobachtungen von du Bois-Reymond, welcher fand, dass die thierischen Organe, wie Nerv und Muskel, auch durch die gewöhnliche Körpertemperatur, wenn man sie z. B. in den Mund nimmt, ziemlich schnell verändert werden, so dass ein Gastroknemius bald in Starre verfällt. Die strahlende Wärme eines glühenden Körpers setzt nach du Bois eben- falls die Erregbarkeit herab, und der Nervenstrom wird mei- stens dadurch umgekehrt. Bei der Wiederholung der Versuche über die Wärmestarre stellte ich mir vor Allem die Aufgabe, zu untersuchen, ob die Wärme überhaupt ein Reizmittel für den Muskel sei. Es (dürfte bekannt sein, wie leicht es ist, mittelst einer glü- henden Nadel einzelne Muskelbündel zum Zucken zu bringen. Breitet man den frischen Sartorius eines Frosches auf einer Glasplatte aus, und berührt man ihn an irgend welchem Punkte, auch an seinen nervenlosen Enden mit der Spitze eines rothglühenden Drathes, so zuckten meist immer die Fasern, welche direet verbrannt wurden, und zwar in ihrer ganzen Länge, so dass Längsfurchen entstehen, auf deren Boden eine zitternde Bewegung stattfindet. - Hohe Wärme- grade sind also als Reize ebensowohl für die nervenlose contractile Substanz zu betrachten, wie für die Nerven selbst. Bei niederen Temperaturen hingegen, welche für den Nerven als Reize wirken, findet man nur sehr selten Muskelzuckun- gen, wenn die Temperatur der contractilen Substanz allein erhöht wurde. Um die erregende Wirkung der Wärme auf die Muskelsubstanz genauer zu studiren, bediente ich mich folgender Vorrichtung, welche, wie ich glaube, allen Anfor- derungen genügen dürfte. Als Medium der Wärme wandte ich ‘nicht Wasser an, sondern reines Olivenöl ') oder Quecksilber, zwei Flüssigkeiten, 1) Das käufliche Olivenöl reagirt häufig sauer und kann bei die- sen Versuchen deshalb leicht zu Täuschungen Anlass geben. Es ist darum gut, dasselbe vorber zu prüfen, was nach dem Verfahren von Berthelot am besten »0 geschieht, dass man einige Tropfen des Oels mit Alkohol schüttelt und hierauf einige Tropfen blaue Lackmus- 786 ) \ W. Kühne: » 7 unHän die nur nach längerer. Zeit verderblich 'für.den; Muskel wer- den, während das Wasser, namentlich. das, salzfreie, destil- lirte/in kurzer Zeit bei ganz niederer Temperatur Zuckungen bewirkt und den Eintritt der Starre beschleunigt, Das Queck- silber oder. das Oel befand sich in’ einer Schale von emaillir- tem, Eisenblech, welche 250 Cub.-Cent. der Flüssigkeit fasste, und diese war wieder in eine zweite sehr. grosse Schale ‚ein- gesetzt, die mit einer grossen Menge Wasser angefüllt war. Zwischen den Wänden beider Schalen’ fand keine (directe Berührung statt, sondern das kleinere 'Gefäss’ wurde von drei Holzklötzen getragen, ‘welche löse auf den. ‚Boden | der grossen Schale gesetzt wurden, ehe das Wasser ‚hinein ge- gossen worden. In das Oel oder das Quecksilber tauchte ein an einem Holzstative befestigtes Thermometer von Fastr&, dessen Scale in ‚fünftel Grade getheilt war, in allen Versu- chen so, dass die erwärmte Flüssigkeit gerade bis an den Anfang der feinen, Quecksilbersäule reichte. . Selbstverständ- lich wurden ‘die Thermometer vorher auf ihre Richtigkeit geprüft. Mit Hülfe einer kleinen 'Spirituslampe, welche-ich hoch oder tief unter das Wasserbad stellen konnte, war es nun, sehr leicht, jeden beliebigen. Temperaturgrad längere Zeit coristant herzustellen. Das Thermometer musste mir immer ge- nauen Aufschluss über die Temperatur des Oelsoder des Queck- silbers geben. Weiter reichte natürlich die Genauigkeit nicht, da ‚es unmöglich ist, die jedesmalige Temperatur. des einge- tauchten. Muskels kennen: zu ‚lernen ‚und. alle Angaben bezie- hen sich deshalb nur auf die Temperatur, des Mediums, wel- ches denselben umgab. | Ich muss zuvor erwähnen, dass ich ausser. den Wärme- graden, welche in dem Wasserbade ‚erreicht werden konnten, auch ‚noeh’ mit anderen höheren Temperaturen arbeitete, und dass ich schon dabei bemerkte, wie höchst unsicher die Er- tinctur hinzufügt: Ist viel freie Fettsäure vorhanden, so röthet sich die Tinetur sogleich, in Fällen, wo nur Spuren‘ zugegen. sind, erst beim Erwärmen. Ich bediente mich. bei meinen. Versuchen. des ganz frischen neutralen Oels, welches dem mit Kali neutralisirten 'selbstver- ständlich vorzuziehen ist. Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 787 folge der direeten thermischen Muskelreizung sind, Ob- wohl'es immer gelingt, mit der glühenden ‚Nadel einzelne Primitiybündel zum. Zucken zu bringen, 'so, bleiben dieselben im Sartorius doch auch ‚häufig, ganz aus, wenn man z.B: seinen ganzen Querschnitt plötzlich mit einer Flamme be- rührt. In diesem Falle kann man nur sicher Zuekungen. er- zeugen, ‚wenn man. mit der. Flamme: sogleich ein 'grösseres Stück verbrennt. ' Ich legte dabei den Muskel auf eine Glas- platte, deren Rand er um einige Millimeter mit seinem brei- ten oberen Ende ‚überragte, und auf diese Weise blieb der nieht direet getroffene Theil noch nach vielen. Versuchen reizbar, , Etwas leichter entstehen aber die Zuekungen, wenn man den Muskel an der Stelle seines Nerveneintritts quer durchschneidet, und diesen Querschnitt mit ‘der Flaänime brennt. Noch; viel ‚seltener treten aber die Zuckungen ein, wenn man noch niedrigere Wärmegrade anwendet, z. B. einen Draht, der eben aufgehört hat zu erglühen, und selbst das bis zum Sieden ‘erhitzte, Quecksilber oder Oel erregen nur äusserst selten den Muskel von seinem nackten Querschnitte aus. Bei alledem hat es mir indessen doch nicht gelingen wollen, irgend constante Resultate zu erhalten. So oft auch die Erregung ausblieb, so konnte ich .nie mit Sicherheit vor- aussagen, ‚ob. bei dem einen oder, dem anderen Experimente nicht dennoch Zucekungen erfolgen würden. " Vielmehr steigerte sich die Unregelmässigkeit noch bei den unter 100° ©. liegenden Temperaturen. Liess ich den oberen Sartorius-Querschnitt ‚plötzlich die Oberfläche des in dem Wasserbade befindlichen Oels oder: (uecksilbers be- rühren, so traten zwar in der überwiegenden Mehrzahl der Versuche keine Zuckungen ein, zuweilen aber schien der Muskel doch erregt zu werden, namentlich wenn der am Hilus. angelegte Querschnitt erwärmt wurde. Die äusserste Grenze, bei welcher die Zuckungen eintreten können, scheint die Wärme von 50 bis 45° ©. zu sein, obgleich die Erschei- nung hier zu den grössten Seltenheiten gehört. Bei so nie- deren Temperaturen ist ferner kein Unterschied mehr zu be- merken bei Anwendung verschiedener nervenhaltiger oder 788 " W. Kühne: nervenloser Querschnitte, und das Gesagte gilt für alle Me- thoden der Reizung, sei es dass die erwärmten Flüssigkei- ten nur den Querschnitt oder eine grössere Strecke umspül- ten. Als Erregungsmittel der Muskeln steht also die Wärme auf der niedersten Stufe.t) Jede stärkere Erwärmung der Muskeln hat aber den augenblicklichen Eintritt einer sehr ausgebildeten Starre zur Folge. Die Muskela werden weiss und undurchsichtig, schrumpfen ausserordentlich zusammen und sind dann ganz hart und steif. Da diese Erscheinungen so ungemein aus- geprägt sind, und ein 'wärmestarrer Muskel einen todtenstar- ren darin noch um vieles übertrifft, so müsste es gewiss sehr wunderbar sein, wenn dieselben binnen Kurzem wieder er- weichten und ihre Erregbarkeit wieder erlangten. Niemals habe ich indessen diese Behauptung von Pickford und Schiff richtig finden können. Jeder starre Muskel bleibt für immer starr, einerlei bei welcher Temperatur die Starre eingetreten und in welchem Medium, und ich muss es sehr bedauern, dass diese Angabe schlechterdings mit keiner der 1) Nach den Versuchen von Calliburces (Compt. rend. XLVII. 25. Oct. 1858) wäre es nicht unmöglich, dass in dieser Bezie- hung ein durchgreifender Unterschied zwischen den animalischen und den organischen glatten Muskelfasern ‚bestände,. Es geht aus den Ver- suchen dieses Autors hervor, dass die peristaltische Bewegung des Magens und der Därme durch Wärmeschwankungen selbst innerhalb der physiologischen Grenzen mächtig angeregt werden könne. Es bleibt aber andererseits sehr zweifelhaft, ob die Wärme hier direct als Muskelreiz gewirkt habe, ja es wäre denkbar, dass sie nicht ein- mal als Nervenreiz im gewöhnlichen Sinne die Contractionen mittel- bar hervorgerufen. Die peristaltischen Bewegungen entstehen aus so vielen unbekannten Ursachen, dass man sich nicht wundern darf, wenn die Wärme vielleicht nur als Hebel dient, um die eine oder die an- dere dieser unbekannten Ursachen auf’s Neue nach dem Tode in Wir- kung zu setzen. Man fühlt sieh zu dieser Betrachtung sehr geneigt, wenn man bedenkt, dass der Unterschied zwischen animalischer und organischer Bewegung nur in dem zeitlichen Verlauf derselben besteht, und wenn man ferner erwägt, dass nach Eckhard Temperaturen un- ter 45° C. sehr wenig geeignet sind, um den Zustand der Erregung in den Nerven auszulösen. Untersuchungen über Bewegungen und’ Veränderungen u. s. w. 789 früheren Beobachtungen vereinigt werden kann. Schiff sagt niehts Näheres über die Art und Weise seines Verfahrens und nur die Pieckford’schen Versuche konnte ich so an- stellen, wie sie von ihm selbst ausgeführt sein müssen. Jeder einzelne Muskel vom Frosch, den man 25 Secunden in irgend welche auf 65° R. (etwa 32° C.) erwärmte Flüs- sigkeit taucht, sei es in Wasser, in Oel oder in Quecksilber, hat seine Reizbarkeit für alle Zeiten eingebüsst, und auch ein ganzer Froschschenkel ist nicht besser daran. Bei die- ser Temperatur werden die Muskeln fast augenblicklich der- maassen hart und steif, dass sie mit keinem contrahirten und‘ nieht einmal mit einem’ todtenstarren nur entfernt verglichen werden können. Ziemlich dasselbe gilt für die Muskeln, welche eine ganze Minute hindurch einer Tem- peratur von 36° R. oder 45° C. ausgesetzt werden, und von denen Schiff behauptet, dass sie sich nach 4 Minuten wie- der völlig erholten. ‘ Für die erwähnten Temperaturen ist also kein Ausweg vorhanden, durch welchen der Widerspruch zwischen den angeführten Beobachtungen mit denen von Pickford und Schiff erklärt werden könnte. Die übrigen Angaben Pick- ford’s sind mir dagegen erklärlich. Ein Muskel, der bis auf 30° R. mehrere Minuten lang erwärmt war, soll starr geworden und später wieder auf Reize sich contrahirt haben. Sartorii, welche ich entweder in Quecksilber von derselben Temperatur (37,5° C.) mittelst einer aufgedrückten Glasplatte untertauchte, oder welche ich ganz in ebenso erwärmtes Oel einsenkte, wurden erst nach längerer Zeit schwäch starr, und es kann in einem solchem Zustande sehr leicht kommen, dass die Muskeln, ‘welche vorher selbst ganz schwache Induetionsschläge mit kräftigen Zuckungen beantworten, dies später nicht mehr thun, bei verstärkter Reizung noch später aber schwache Contractionen zeigen. Ich legte deshalb den Sartorius auf die Platinbleche der stromzuführenden Vorrich- fung von du Bois-Reymond und merkte mir den Abstand der Indaetionsrollen, bei welchen die ersten Zuckungen ein- traten. Senkte ich dann den Muskel in das auf 37,5°C. er- Heichert's u. du Bols-Reymond's Archiv. 1859, 51 790 W. Kühne: wärmte Quecksilber ein, ‚so war die Erregbarkeit schon näch einer. Minute so weit gesunken, dass die Rollen beträchtlich weiter an einander gerückt werden mussten, um wieder die ersten: Zeichen der Erregung auszulösen. Niemals geschah es aber, dass ein solcher Muskel nach längerer Ruhe und längerem Aufenthalte in einem mit Wasserdampf gesättigten Raume wieder erregbarer wurde, er ging vielmehr, wie andere Muskeln, der weiteren Starre entgegen. Hatte ich ferner einen Sartorius durch längeres Erwärmen auf 37,5° C. gerade so weit verändert, dass auch die stärksten elektrischen, me- chanischen oder chemischen Reizungen keine Contractionen mehr hervorriefen, so war er, wenn auch noch nicht durch und durch starr, doch in einem Zustande, aus dem er sich nie wieder erholte, da zu keiner Zeit dieselben Reize wieder Bewegungen 'anregten. Man kommt bei diesem, Verfahren dabin, dass die Muskeln ihre Erregbarkeit vollständig ver- lieren, trotzdem aber ziemlich durchsichtig und weich blei- ben und das rothe und violette Lackmuspapier bläuen. Er- wärmt man sie etwas länger, so schrumpfen sie und werden starr, undurchsichtig und hart, und die Reaction ist jetzt sauer. Innerhalb kurzer Zeit kann also die contractile Substanz bei 30°R. alle die Veränderungen durchmachen, welche sie über- haupt constant nach dem Tode zeigt, und welche‘ sich bei sehr niederen Wärmegraden über mehrere Tage erstrecken. Dieser Umstand dürfte jetzt wohl von vornherein den alten Glauben zerstören, dass die Starre eine Contraction sei. Wir werden sehen, dass gerade bei der Wärmestarre am schönsten der Grund aufgedeckt werden kann, welcher wie- derum in einer Gerinnung besteht. Die Todtenstarre tritt, wie allbekannt, bei niederen Temperaturen langsam ein, bei höheren rascher. Ein präparirter Froschschenkel kann im Winter wochenlang reizbar bleiben, im hohen Sommer wird er in einigen Stunden starr. Jemehr die Wärme steigt, desto mehr verkürzt sich die Zeit des Eintritts der Starre, und bei einer ganz bestimmten Temperatur wird sie unmessbar, das ist für den Froschmuskel bei 40°C. Taucht man einen dünnen Muskel, z. B. den Sartorius des Frosches in ‚Oel, Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 791 Wasser oder Quecksilber von genau 40° C. ein, so wird er augenblicklich starr — hart, undurchsichtig und sauer, er verhält sich dann gerade so wie ein todtenstarrer Muskel, und auch das kreisende Blut vermag ihm nicht seine frühe- ren Eigenschaften zurückzugeben. So wahrscheinlich der letztere Satz an und für sich lautet bei der grossen Aehnlichkeit zwischen der Todtenstarre und der bei 40° eintretenden Veränderung, wollte ich doch nicht unterlassen, denselben auch durch den Versuch selbst:zu er- weisen, Ich band zu dem Ende 3 bis 4 Frösche auf ein Holzgestell so fest, dass sie mit; den Vorder- und Hinter- beinen der Länge nach ausgestreckt wurden. ‚Hierauf ver- senkte ich das Gestell in senkrechter Lage in ein Blechge- fäss mit Wasser, welches auf 40° C. erwärmt war, so dass das Letztere nur die Beine bis an die Mitte der Oberschen- kel umgab. Die Thiere zeigten durch Winden und Drehen, dass die Temperatur auch ihren sensiblen Nerven unange- nehm sei, und ich befreite sie deshalb so bald als möglich aus der qualvollen Lage. Später, nachdem sie ihrer Fesseln beraubt und in kaltes Wasser gesetzt waren, schienen sie ganz munter zu sein, obgleich sie die Unterschenkel steif und unbeweglich nachzogen und hauptsächlich durch die Be- wegung der vorderen Extremitäten umherschwammen. Den grössten der Frösche tödtete ich auf der Stelle und untersuchte seine Muskeln, welche ich bis zur Mitte der Oberschenkel vollkommen starr, sauer und unerregbar fand. Die übrigen Theile der Oberschenkelmuskeln waren kaum von normalen Muskeln zu unterscheiden, sie waren vielleicht um ein. Ge- ringes weniger erregbar, als die Muskeln der vorderen Ex- tremitäten. Der eine Frosch, welcher sich unter ganz denselben Bedingungen befunden hatte, lieferte mir so Aufschluss über den Zustand der übrigen. Die Letzteren wurden ferner mit den Beinen auch über die Elektroden eines kräftigen Inductionsapparats gelegt, und damit auch bei diesen der vollkommene Verlust der Erregbarkeit bestätigt. Meistens fand ich gleich darauf die Circulation in den Schwimmhäuten gehemmt, sie stellte sich aber bald darauf wieder her, manch- b1* 792 1 Ww. Kühne: "> mal’dauerte. sie sogar während des Erwärmens ruhig fort, und nie habe ich ‘dabei 'Stockungen iu ‘den grösseren Ge- fässen eintreten sehen, ‘da das Abschneiden der Beine 'gleich nachdem die Frösche 'aus dem Wasser hervorgezogen waren, immer sehr heftige Blutungen zur Folge hatte. Wir können uns’ also auf diesem ‘Wege einen starren Muskel erzeugen, dessen Bluteirculation fortwährend erhalten bleibt. Nach den früheren Angaben über die Wärmestarre sollte man''nun meinen, dass diese erstarrten Schenkel, :die ja von selbst ihre 'Starre verlieren und ihre Erregbarkeit wieder ge- winnen sollten, ‘bei erhaltener Ernährung durch das Blut gerade mit grosser Leichtigkeit zu ihren früheren Fähigkeiten gelangen müssten. Aber mit Nichten! Die Glieder sind und bleiben verloren, und es kann hier noch besser, wie bei der durch Blutentziehung erzeugten Starre gezeigt werden, dass der Blutstrom auch noch nach Wochen nicht den alten Zu- stand ‘wieder herstellt. Bei der anderen Art der Erstarrung trat uns die fortschreitende Fäulniss hindernd in den Weg; hier fault der Muskel nicht, er erhält seine alkalische Reac- tion ‘wieder, imbibirt sich stark mit Blutfarbstoff, bedroht aber das Leben des Thieres weiter nicht, da er eine Art körnig fettige Umwandlung zu erleiden scheint, bei welcher er wieder weicher wird, dem Einflusse der erregten Nerven aber für immer entzogen bleibt. Ich habe solche Frösche 4 und ‘5 Wochen am Leben erhalten, die Cireulation blieb die ganze Zeit im schönsten Gange, und trotzdem wurden die Muskeln nicht einen Augenblick wieder erregbar, kein Reiz erzeugte auch nur die schwächste Spur einer Bewegung. Von einer Lösung der Wärmestarre in dem ehedem gemein- ten Sinne kann also die Rede nicht sein. Es sei hier noch hinzugefügt, dass auch die durch höher als 40° C. gelegenen Temperaturen erzeugte Starre nicht weicht, und dass Frosch- beine, die durch längeres Erwärmen zwischen 35 und 37°0! endlich starr geworden waren, starr und unerregbar blieben, dass aber hier der Starre die wirkliche Fäulniss bisweilen nachfolgte, atı welcher die Thiere zu Grunde gingen. Was die bei 40° plötzlich hervorbrechende Starre’ der Untersuchungen über Bewegungen! und Veränderungen u. s. w. 798 gemeinen Todtenstarre noch ähnlicher macht, das ist, ausser allen übrigen angeführten Charakteren, der:‚Umstand), "dass ar der'noch nicht ‚starte Muskel und die 'ungefaulten Or- gane.bei dieser Temperatur in Starre verfallen, Die‘ von Pickford und Sehiff beobachtete 'Erstarrung (Sehiff spricht nur von 36° R,).; ist nicht, allein dem un- erregbaren, sondern ‚auch dem'schon todtenstarren, und 'end- lich dem gefaulten: Muskel eigen, womit die Behauptung von Schiff, dass die Wärmestarre: „nichts anderes 'als die be” kannte idiomusculäre Zusanimenziehung“ sei, nochmals einen argen Stoss erhält. Auch diese Starre ist, wie die Tod- tenstarre, und die Wärmestarre von 40°, eine eela- tante Gerinnung. | "Es wurde oben erwähnt, dass die aus ‚riächen Frosch- muskeln gewonnene 'Pressflüssigkeit bei niederen Tempera- turen langsam, 'bei höheren rasch eoagulire. Dieselbe ver- hält sich‘ in dieser Beziehung‘ wie die ‘Muskeln. ' Ich 'habe sie'Tage und ‘Wochen lang bei 'einer (0° nahen‘ Temperatur bewahrt, ohne dass sie 'gerann, brachte ich sie dann in ein warmes Zimmer, ‘so war die ganze Gerinnung binnen weni- gen Stunden beendet. Wenn''sich hierin’ schon. zeigt, wie sehr die Gerinnung des "spontan gerinnenden Körpers der eontractilen Substanz von der Temperatur abhängt, und wenn wir auch ‘hierin eine grosse Uebereinstimmung zwischen dem Verhalten ‘des unversehrten 'Muskels''und ’der'aus ihm‘ ge- wonnenen Flüssigkeiten finden, so’ steigert sieh’ dieses‘ Ver- hältniss noch zur vollständigen‘ Uebereinstimmung‘' dadurch, dass die Muskelflüssigkeit augenblicklich, in unmessbarer Zeit eoagnlirt, bei genau derselben Temperatur,’ 'bei' welcher der frische noch leistungsfähige, oder der unerregbare, aber noch nicht starre Muskel "plötzlich stärr wird, nämlich bei 40°C. Man braucht nur eine beliebige Menge der Mus- kelflüssigkeit in einem Glase mit eingestecktem Thermometer zu erwärmen, um zu finden, dass die Quecksilbersäule gerade bis zur Höhe von 40° C! 'emporgestiegen ist, wenn die ganze Flüssigkeit beginnt sich mit dicken Flocken zu erfüllen. Zur genaueren Untersuchung des Temperatur -Einflusses auf die 794 W. Kühne: Gerinnung der Muskelflüssigkeit brachte ich je 20 Cub. Cent. derselben in ein Probirröhrchen, in welches ich ein Thermo- meter bis zum Beginn der Quecksilbersäule einsenkte, stellte dann dieses Röhrchen in das Oelgefäss der vorhin beschrie- benen Vorrichtung, und erwärmte allmälig die letztere mit der Weingeistlampe. So musste mir das Thermometer ganz genau’ anzeigen, wann der Inhalt des Proberöhrchens gerade 40° C. erreicht hatte. Durch Probiren und Verstellen der Lampe ist es nach einigen Versuchen dann auch leicht, Alles so einzurichten, dass die Temperatur der zu untersu- chenden Flüssigkeit den bezeichneten Wärmegrad nicht über- steigt. Die einzelnen Erscheinungen bei der Gerinnung bestehen darin, dass die vorher klare oder nur schwach opalisirende Lösung allmälig trüber und milchig wird, zuletzt bis zur vollkommenen Undurchsichtigkeit. Man kann dieses Milchig- werden nur als einen Vorläufer der Gerinnung auffassen, um so mehr, als die eigentliche Coagulation sich dadurch ankündigt, dass die Flüssigkeit wieder klarer wird, ‚statt dessen aber nun eine grosse Menge dicker und fester weisser Flocken absetzt, welche in ihr auf- und niedersteigen. Nur diese Erscheinung ist es auch, welche genau bei. 40° C. plötzlich eintritt, während die blosse Trübung viel allmäliger und auch schon etwas unter 40° eintritt. Andererseits kann aber die floekige Gerinnung, wie schon aus dem vorher Ge- sagten hervorgeht, auch eintreten unter: 40° C., bei gewöhn- licher Zimmerwärme, rascher hingegen beim künstlichen Er- wärmen und zwar so, dass die auf eirca 30° erwärmte Flüssig- keit in 1 Stunde, bei 35°, bis 38° in !/, Stunde einen flocki- gen Bodensatz zeigt. Die Menge der, wie man sagen könnte, freiwilligen Gerinnsel, wenn man als solche die langsam und allmälig ausgeschiedenen bezeichnet, scheint aber nie) ganz so bedeutend, als die grosse Menge klumpiger Massen zu sein, welche bei 40° plötzlich auftreten. In Uebereinstim- mung damit steht wieder, dass auch die unversehrten auf 40° C. erwärmten Muskeln eine etwas ausgeprägtere Starre zeigen als die gemeinhin als todtenstarr benannten, so dass Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 795 die Wärmestarre vielleicht eine kleine quantitative Differenz gegenüber der Todtenstarre erkennen lassen dürfte. ‘Der Unterschied ist indessen nicht bedeutend genug, um die An- sehauung zu widerlegen, dass die Gerinnungen der contrac- tilen Substanz, welche spontan und allmälig eintreten, und diejenigen, welche plötzlich bei immer noch verhältnissmässig niedrigen Temperaturen zum Vorschein kommen, im Grunde genommen einerlei seien, so dass die Wärme nur ein 'begün- stigendes Moment darstelle. ‚Wie der todtenstarre Muskel sauer reagirt, so ist es auch mit dem in Oel, Quecksilber oder Wasser bei 40° plötzlich erstarrten Muskel. Wird ein Gastroknemius auf diese Weise wärmestarr, so reagirt sein Querschnitt augenblicklich in- tensiv sauer, er röthet das blaue und violette Lackmuspapier. Es ist hier noch nicht der Ort, auf die Ursachen dieser Er- scheinung näher einzugehen, es muss nur sogleich bemerkt werden, dass in dieser Beziehung keine vollkommene Ueber- einstimmung zwischen der aus dem Muskel gewonnenen Flüssigkeit und dem Organ selbst existirt. Auch bei der freiwilligen Gerinnung der Muskelflüssigkeit kann sehr leicht die saure Reaction ausbleiben, sie bleibt dann bis zum Be- ginn der Fäulniss fortwährend ganz schwach alkalisch. In denjenigen Fällen aber, wo die Muskeln erst ausgepresst wurden, als schon ein Theil todtenstarr geworden war, und wo man aber trotzdem eine schwach alkalische Pressflüssig- keit erhält, tritt in der Regel auch in der letzteren früher oder später die saure Reaction hervor. Will man eine Mus- kelflüssigkeit gewinnen, welche ganz dieselben Verhältnisse wiederholt, wie der erstarrende Muskel selbst, so muss man das Filtriren meiden, in welchem Falle immer die alkalische Reaction in die saure umschlägt, während der Gerinnung, sei es dass diese nun freiwillig und allmälig, oder plötzlich bei 40° eintrete, Man sieht also, dass die Gerinnung und der Eintrijt der sauren Reaction zusammen vorkommen, dass aber beide Processe nicht nothwendig an einander gebunden sind, da ein starrer Muskel, trotzdem er meist sauer ist, auch 796 a W.. Kühne: alkalisch reagiren, und da die geronnene Muskelflüssigkeit ebenfalls beide Reactionen zeigen kann. Ohne der unten folgenden Betrachtung über die Art'des Vorkommens: der 'gerinnenden Körper in den Muskeln vor- zugreifen, muss hier gleich erwähnt werden, dass die Mög- lichkeit einer Gerinnung daran geknüpft ist, dass sich jene Substanz noch in flüssiger Form befinde. Die Muskelflüssig- keit,, welche ‚den spontan gerinnenden Körper enthält, schei- det denselben nicht unter allen Umständen aus, wie wir'sa- ‘hen, bei sehr niedrigen Temperaturen gar nicht, bei höheren sehneller und sogar plötzlich. Es ist daher begreiflich, dass die Gerinnungserscheinungen sehr verändert werden, ‘wenn die Muskelflüssigkeit durch Zusätze verändert wird. Ein be- ‚deutender Zusatz von destillirtem Wasser beschleunigt’z. B. die freiwillige Gerinnung ganz beträchtlich, während Zusatz von Salzen bis zu einer gewissen Grenze dieselbe verzögert. Dasselbe wissen wir auch vom Muskel selbst, welcher in destillirtem Wasser sehr rasch starr wird, in passenden Salz- lösungen hingegen lange selbst im erregbaren Zustande ver- harren kann. Bei der Erstarrung unter Beihülfe der Wärme zeigt sich dagegen das Umgekehrte. Der Umstand, dass eine Kochsalzlösung von 0,5—1pCt: so auffallend 'erhaltend auf ‚den frischen Muskel wirkt, macht es minder wunderbar, dass auch. die mit derselben Salzlösung gemischte Muskelflüssigkeit ganz genau bei derselben Temperatur plötzlich 'gerinnt, bei welcher der Muskel eben so plötzlich starr wird.. Setzt man dieser Mischung von ‚Salzwasser und Muskelauszug hingegen grössere Quantitäten destillirten Wassers zu, so geschieht die spontane Gerinnung zwar rascher, beim Erwärmen aber tritt bei’ 40° höchstens eine Trübung ein und erst bei4l’und 42° erscheinen wirklich feste und flockige Gerinnsel. Demgemäss kann auch ein Auszug, der aus ganz frischen Muskeln ge- wonnen wurde, ohne Anwendung von’ Kochsalz mit reinem destillirttem Wasser bei sehr verschiedenen Temperaturen ge- rinnen, je nachdem die Muskeln durch das Wasser schon vor dem Zerpressen todtenstarr geworden waren, ‘oder je nach dem das Wasser wirklich mit einem mehr oder minder Untersuchungen über Bewegungen’ und Veränderungen u. s. w. 797 grossen Theile der ursprünglichen Muskelflüssigkeit sich ver- miseht hatte. Es wurde schon erwähnt, dass deswegen auch eine 'blosse Auspressung fein zertheilter Muskelstückchen mit vielem Wasser eine Flüssigkeit liefern könne, welche schwache häutige Gerinnsel'zeige. — Die Bedingung der freiwilligen Gerinnung, ‘so wie‘ der bei 40° C. plötzlich eintretenden, bleibt also immer‘dieselbe, dass 'nämlich’in der Muskelsub- stänz selbst diese Gerinnung noch nicht beendet ’'sei. "Dass ein sonst freiwillig 'bei "allen Temperaturen gerin- nender Körper plötzlich bei einer niederen Temperatur, wie \bei 40° C. gerinnt, mag nicht. besonders wunderbar erschei- nen, wenn’ auch bei dem Fibrin des Blutes nicht’ dieselben Umstände Geltung haben, .wie)'aus' den oben’ mitgetheilten Versuchen hervorgeht, wo die Beinmuskeln lebender Frösche bei’ 40° erstarrten, ohne dass: die Blutecireulation beeinträch- tigt wurde, 'was auf eine 'ungestörte Erhaltung des Fibrins 'inLösung schliessen lässt. Es giebt aber noch andere Kör- 'per in der contractilen Substanz, welche niemals freiwillig gerinnen, ein wenig über 40° C. hinaus 'aber so coaguliren, 'wie das gewöhnliche Eiweiss. Für den Muskel, welcher nur bei 40° C. starr werden kann, wenn er noch 'erregbar oder noch nicht todtenstarr ‘war, folgt daraus zugleich, dass er noch starrer werden kann, wenn er über 40° erhitzt wird. ‚Dieser Grad der Stärre ist es, welcher ‘bisher meist als 'Wärmestarre beschrieben worden ist, und ich denke, dass die nachfolgenden ‘Versuche dazu beitragen werden, dieses ‚Phänomen nun ‘gänzlich aus der Reihe der Contractionser- ‚scheinungen hinaus zu bringen, da der Grund, derselben so handgreiflich als in einer EEE bestehend nachgewiesen MEN: kann. | '" Ich nahm zunächst einen frischen 'Sartorius vom Frosche und senkte denselben in umgekehrter Lage bis zur Mitte in Oel von 46° C. ein. Augenblicklich wurde derselbe weiss, undurchsichtig und hart, genau bis zu der Stelle, bis zu welcher das erwärmte Oel reichte. Nach dem Herausnehmen aus dem ‚Oel und ‚nachdem er mit. Fliesspapier . sorg- fältig abgewischt war, legte ich ihn auf die stromzuführen- 798 W. Kühne: den Platinbleche des Inductionsapparats, dessen Rollen ein wenig über einander geschoben waren. Der nicht einge- tauchte Theil des Muskels zuckte sehr heftig, während der erstarrte nicht die mindesten Bewegungen zeigte. Ich: spal- tete hierauf den Muskel seiner ganzen Länge nach in 2 Plat- ten und legte zwischen dieselben ein Stück violettes Lack- muspapier. Der erstarrten Hälfte entsprach hierauf ein ro- ther und der unversehrten Partie ein blauer Fleck. Die Folgen der Erwärmung auf 45° sind also so weit dieselben, wie bei der auf 40° C. Vergleicht man aber 2 Muskeln, von denen der eine auf 40°, der andere auf 45° erwärmt waren, so sieht man, das der letztere weit härter und un- durchsichtiger ist als der andere, so dass man beide auf den ersten Blick unterscheiden kann, um so mehr, als die unbe- lasteten Muskeln bei der Erstarrung zugleich eine Ver- kürzung eingehen, welche im letzteren Falle weit bedeutender ist.‘ Dentlicher noch wird der bezeichnete Unterschied, wenn man einen Sartorius erst ganz bei 40° erstarren lässt, und nachträglich die eine Hälfte dann noch auf 45° C. erwärmt. Auf den ersten Blick ist dann der starrere Theil von dem anderen: zu unterscheiden. Da ein bei 40° wärmestarr gewordener Muskel bei 45° noch starrer wird, so wird es nicht überraschen, dass auch ein allmälig todtenstarr gewordener Muskel, von.einem seit längerer Zeit getödteten Frosche, bei jener Temperatur einen höheren Grad der Starre zeigt. Ich nahm zu dem Ende wieder den Sartorius, den ich zur Hälfte in Oel tauchte, 'In allen Fällen, auch wenn die Todtenstarre nicht nur durch blosses Verweilen nach dem Tode eingetreten war, son- dern auch wenn sie durch Einlegen in destillirtes Wasser oder durch Vergiftung mit Rhodankalium?) künstlich und 1) Auch bei der durch Muskelgifte oder durch die Imbibition mit destillirttem Wasser eingetretenen Starre kehrt die Erregbarkeit nie- mals wieder. Ich habe an solchen Muskeln die Versuche von Hei- denhain wiederholt, der unerregbare Muskeln durch längeres Durch- liessen starker constanter Ströme wieder „erregbar“ werden sah, ohne eine Wiederkehr der Erregbarkeit eintreten sehen zu können. Auch Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 799 schneller erzeugt worden war, sah ich stets sehr deutlich die stärkere Starre an der auf 45° C. erwärmten Hälfte zum Vorschein kommen. Zur Controle wurden die Versuche ausserdem noch mit dem erwärmten (Quecksilber und mit Wasser wiederholt, womit der Schein wegfällt, als ob das Oel in so kurzer Frist an und für sich einen verderbli- chen Erfolg herbeigeführt habe. Es muss ferner noch hinzugefügt werden, dass die mit den letzteren Mitteln rasch zur Todtenstarre geführten Mus- keln bei 40° keinerlei Veränderungen mehr zeigten. Die bei 45° eintretende „Wärmestarre* ist also verschie- den von der Todtenstarre, da sie auch starre Muskeln ‘noch befallen kann. ‘Wenn hieraus schon hervorgeht, dass diese Erscheinung nicht beeinträchtigt wird durch viele andere in dem Muskel vor sich gehende Processe, so springt dies noch - auffallender in die Augen bei noch. weiter veränderten Or- ganen, welche durch die Fäulniss ihrem Verfall entgegen- gehen. Jeder Froschmuskel, auch der faulende, ganz weiche und mit Pilzen und Vibrionen bedeckte, erstarrt beim. Er- wärmen auf 45° C. zu einer harten, weissen und undurch- sichtigen Masse. Gehen wir dieser Erscheinung auf den Grund, so können wir wiederum an eine Contraction nicht denken. Die Form- veränderungen, welche der Muskel ebenfalls dabei erleidet, mag man Contraction nennen, es besteht dann aber auch kein Hinderniss das Zusammenrollen eines gebrannten Haares oder einer Sehne eben so zu bezeichnen; — mit der eigent- lichen Muskelcontraction haben alle derartigen Dinge selbst- verständlich Nichts gemein, ‘Wie der Irrthum hat entstehen können, dass so veränderte Muskeln von selbst wieder er- der Versuch von v. Wittich ist mir nicht gelungen, durch Wasser erstarrte Muskeln mittelst Bestreuen mit Na Cl wieder erregbar zu machen, ich sah vielmehr die Starre bestehen bleiben, eben so wie die saure Reaction, obgleich das Volum der gequollenen Muskeln abnahm. Man sollte übrigens meinen, dass das Bestreuen mit Salz vollends hin- reichen müsste, um einen im Wasser noch nicht ganz abgestorbenen Muskel zu vernichten, 800 age W. Kühne: donmatatl schlaffen und wieder: erregbar ‘werden; weiss ich nicht, da auch die angegebenen ‘Zeiten, während welcher Pickford und Schiff ihre Präparate 'erwärmten, mehr als’ genügen, um jene Veränderungen in‘'der' vollkommensten‘ Ausbildung hervorzurufen, "Vielleicht bezeichnet‘ Wundt die Ursachen jenes Irrthums richtig, wenn er'annimmt, dass’ in jenen Ver- suchen nur die oberflächliche Schicht‘'der Muskeln 'stärr' ge- wesen ’sei, und dass die ‘innere' noch erregbare Verst nach einiger Zeit den starren Mantel ‘habe ausdehnen können, worauf die Reizbarkeit scheinbar ‘von’ neuem zurückge- kehrt sei. Die Stärre, welche'die Muskeln bei 45° befällt, ist eine Gerinnung. Damit’ es dieser Ansicht ebenfalls nicht'an Be- weisen fehle, müssen wir wieder denselben Weg einschlagen wie früher, wir müssen suchen die 'Gerinnung unabhängig von dem Muskelgewebe‘ in einer‘ Flüssigkeit herzustellen. Nichts ist in der That leichter, als das. Man braucht nur eine beliebige Menge todter' oder gefaulter Froschmuskeln zu nehmen, dieselben mit der 'Scheere zu’ zerkleinern, 'mit destillirtem Wasser zu begiessen, und den nassen Fleischklum- pen einfach durch ein Handtuch abzupressen.‘' Man'erhält eine opalisirende Flüssigkeit, welche leicht filtrirt ‘werden kann. ‘Was’ durch das Papierfilter läuft, "ist" immer noch schwach opalisirend, und reagirt meist sauer, wenn 'die'grös- sere Menge der Muskeln noch nicht gefault war. ‘Hat man Muskeln verwendet, ‘welche schön längere Zeit’ gehörig tod- tenstarr' waren, so eoagulirt diese Flüssigkeit nie von selbst. Man thut'sie, "wie vorhin angegeben, in ein Probirröhrehen und erhitzt’ dieses in einem’ Öelbade. Bei 40° tritt gar'keine Veränderung ein, 'eben so wenig zwischen 40 und 44%." Er- wärmt man nun langsam weiter, so wird sie plötzlich mil- chig, und bei 45° setzt sie eine enorme Menge dicker, fester Flocken geronnener Eiweisskörper ab, während zu Zeit die Flüssigkeit, wieder klarer wird. So wie ein Muskel nach einander todtenstarr oder wärme- starr bei 40° ‚und hinterher. noch einmal starr bei. 45%. C. werden kann, so ist es auch mit der Flüssigkeit, welehe Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 801 dem lebenden Muskel entspricht und welche’ spontan ‘gerinnt. Nachdem 'sich aus derselben alle Gerinnsel abgeschieden haben, am besten durch längeres Erwärmen auf genau 40° ©. wird sie Ailtrirt und nun von neuem in das Oel gestellt. Erhitzt man jetzt weiter auf 41 und 42°, so bleibt’ sie fort- während klar, bei 43° aber setzt’ sie von neuem eine grosse Menge fester 'Gerinnsel ab. Die Ausscheidung erfolgt voll- ständig bei 43° C., denn nach längerem Aufenthalte in dieser Temperatur eoagulirt ‘die von den Gerinnungen' abfiltrirte Lösung nicht wieder bei 45°. ‘Der Grund für diese Differenz zwischen dem Verhalten der beiden letzterwähnten Muskel- auszüge liegt darin, dass in dem einen Falle reines Wasser mit der Muskelflüssigkeit gemischt war, in dem anderen Salzwasser von 0,5 bis 1pCt. Wie man seit Panum’s Un- tersuchungen weiss, kann die Temperatur, bei welcher Ei- weisskörper coaguliren, herabgesetzt werden, wenn man sie mit Salzlösungen zusammenbringt, ‘um so weiter, je concen- trirter diese sind. Der Körper, welcher in dem Muskel selbst eoagulirt, coagulirt wie wir sahen auch in beliebiger Verdün- nung mit Wasser bei’ derselben Temperatur, zieht man da- gegen die todtenstarren Muskeln stät'mit reinem Wasser mit Na Cl-Lösungen von 0,5—1pCt. aus, 'so gerinnt die schon bei 43 oder auch zwischen 42 und 43° C.’), "Der bei'43° €. gerinnende Eiweisskörper muss hoch füssig oder vielmehr in Lösung sein, wenn der Muskel schon todtenstärr ist, und darauf beruht’ seine leichte Darstellbar- keit. Es ist nicht einmal nöthig, Muskeln aus einem gewissen Stadium der Todtenstarre zu nehmen, um ein Wässerextract zu erhalten, dass erst genau bei 45°C. coagulirt. Man nehme ganz frische Froschmuskeln, zerhacke dieselben "sehr fein, lasse sie eine Stunde mit dem doppelten’ Volum 'destillirten 1) Hieraus geht zugleich hervor, dass die Gerinnung der dem le- benden Muskel entsprechenden Flüssigkeit, welche nur, mit einer Salz- lösung gemischt gewonnen werden kann, bei 40°, nicht etwa daher kommt, dass der an und für sich bei 45° coagulirende Körper durch das Salz bei einer niederen Temperatur sich ausscheidet, da sonst die Lösung nicht bei 40, sondern bei 43° C. zuerst coaguliren müsste. 802 W. Kühne: Wassers stehen und giesse das Flüssige dann durch Leinen ab. Die mechanische Zerkleinerung und die Wirkung des Wassers bringen hier gerade die vollständige Erstarrung des spontan gerinnenden Muskelstoffs hervor. — Was übrig bleibt, und mit dem Wasser gemischt gewonnen wird, beginnt dann gerade erst bei 45° C. zu gerinnen, Niemand wird daran zweifeln, dass die Erscheinungen, welehe bei noch höherem Erwärmen in den Muskeln eintre- ten, auch Gerinnungen seien, namentlich das plötzliche Er- starren in der Siedhitze. Was hier vorgeht, ist sicherlich höchst complieirter Natur, worauf schon das von du Bois- Reymond entdeckte interessante Factum hinweist, dass ein plötzlich auf 100° erhitzter Muskel immer stark alkalisch reagirt, während er beim allmäligen Erwärmen bis zur Siedhitze fortwährend sauer bleibt. Man wird gut thun, bei so merkwürdigen Anzeichen seine Aufmerksamkeit nicht allein auf die Coagulationen zu richten, da die Wirkung der Wärme noch ein Heer von anderen Veränderungen mit sich bringt, welche um so mehr Berücksichtigung verdienen, als gerade die, einfachsten Agentien, welche wir einwirken lassen kön- nen, uns am besten Aufschluss geben werden über die Natur noch unbekannter Körper. Da auf dieses Gebiet hier nicht näher eingegangen werden kann, so mögen nur noch die über 45° C. eintretenden Coagulationen mit berücksichtigt werden. In Folge der sauren Reaction des Saftes starrer Muskeln coagulirt die daraus erhaltene Flüssigkeit ganz besonders gut, und man kann durch Kochen nirgends besser alles Ei- weiss entfernen, als hier. Die letzten Spuren eines in der Wärme gerinnenden Eiweissstoffes scheinen indessen schon bei 90° vollständig ausgeschieden zu werden, so dass zur Befreiung der Lösung von Eiweiss nicht einmal Siedhitze erforderlich ist. Zwischen der letzten Ausscheidung bei 90° und der er- sten bei 40 oder 45° giebt es in allen fractionirten Coagu- lationen, nach dem jedesmaligen Abfiltriren, beim allmäligen Steigern der Wärme, immer wieder neue Ausscheidungen, deren Zahl schwer bestimmbar ist, um so mehr, als es schwer Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. 5. w. 803 ist, die wirklichen Gerinnungen von den immer wieder kom- menden milehigen Trübungen zu scheiden. Wie allbekannt, zeigen namentlich faulige, eiweissartige Flüssigkeiten, zum Theil wohl wegen ihrer alkalischen Reac- tion, beim Erwärmen nur eine sehr unvollkommene Gerin- nung, welche immer mehr jenen milchigen Trübungen gleicht. Bei sehr faulen Froschmuskeln tritt darum die Starre auch bei 45° C. nicht in ihrer vollen Stärke ein, und die Flüssig- keit solcher Muskeln wird bei 45°C. dann auch nur mil- chig. Es ist aber von ganz besonderem Interesse, dass sich an solchen Muskeln wirklich nachweisen lässt, wie eine Lö- sung der Todtenstarre im wahren Sinne des Wortes existirt. Der Ausdruck war bisher nur dem Wiederweichwerden der erstarrten Muskeln entnommen, er passt aber vortrefflich, da diese Erscheinung wirklich in einer chemischen Lösung des vorher spontan ausgeschiedenen Gerinnsels besteht. Man beobachtet, dass die aus faulenden Froschmuskeln ausgezo- gene Flüssigkeit schon bei 40° milchig wird, was die aus blos starren erhaltene nicht thut, selbst wenn sie nach- träglich für sich zu faulen beginnt. Weiter geht diese Aus- scheidung nun nicht, woran offenbar die stark alkalische Reaction Schuld ist. Neutralisirt man aber diese Flüssigkeit vor dem Erwärmen mit einer minimalen Menge verdünnter Milchsäure, so dass sie entweder nur noch ganz schwach alkalisch bleibt oder höchstens eine Spur von freier Säure enthält, so setzt sie nach dem Filtriren innerhalb eini- ger Stunden ganz von selbst flockige Gerinnsel ab, welche in beträchtlicher Menge auch plötzlich erscheinen, wenn man sie bis auf 40° C. erhitzt. Der Saft faulender Muskeln zeigt also dasselbe wie der ganz frischer, wenn er nur mit Vor- sicht neutralisirt, und damit die Wirkung des bei der Fäul- niss gebildeten Ammoniaks gedämpft wird. Dass der Grund davon in der wirklichen Wiederlösung des vorher spontan geronnen gewesenen Körpers bestehe, von welchem die Tod- tenstarre herzuleiten ist, wird dadurch noch evidenter, dass bei der wirklichen Entfernung dieses Körpers die Flüssigkeit durch die Fäulniss nie dasselbe Verhalten wieder erlangt. 304 W. Kühne: Zieht man todtenstarre, und gefaulte ‚Muskeln mit. Wasser aus, so erhält man keine Spur jenes'geronnenen. Stoffs in Lösung. Fault die letztere, und wird sie dabei stark alka- lisch, so coagulirt, sie doch immer|'erst bei 45°C., auch nach dem Neutralisiren mit Milchsäure. Nach dem bisher Mitgetheilten scheint nun die Anschauung auf festen Füssen zu stehen, welche. die Erscheinungen der Muskelstarre allein auf Gerinnungen ‚ zurückführt. Die Todtenstarre und. diejenige Starre, welche bei 40% C. eintritt, wären nämlich als identisch zu be- trachten,; und eine Wärmestarre könnte. allenfalls die bei45° hervortretende Gerinnung genannt wer- den; Die Erstarrungen, welche nach höheren Erwärmungen sich ausprägen, ‚bedürfen keines besonderen Namens, es ge- nügt, wenn das,Wort „Wärmestarre“ die Coagulation eines im Muskel enthaltenen und diesem eigenthümlichen Körpers bezeichnet, welcher im übrigen Organismus bisher noch nicht hat aufgefunden werden können. Uns ist wenigstens zur Zeit’ kein: anderer, Eiweisskörper oder keine andere eiweiss- haltige Mischung bekannt, aus welcher sich ein Theil:schon bei 45° :C.; als unlöslich absetzt. ‚Da die Starre in den Froschmuskeln achle bei 40° GC, Snbrikts so liegt die Aufforderung nahe, zu untersuchen, bei welchen Wärmegraden sie denn in. den. Muskeln solcher Thiere eintrete, deren normale Körperwärme nahe ‚an.40° reicht, oder diese selbst überschreitet. Zunächst ist es be- merkenswerth, dass die Wärmestarre bei den warmblütigen Thieren erst bei höheren Temperaturen als bei den Kaltblü- tern, eintritt. Während der todte oder starre Froschmuskel schon bei 45° C. die ersten Veränderungen oder eine be- deutend. verstärkte Starre zeigt, tritt dies an den Muskeln todter Kaninchen und Hunde erst zwischen 49 und 50° ein, wobei dieselben weisslich und härter ‘werden. Bei’ den Schenkelmuskeln der Taube bemerkt man eine ähnliche Ver- änderung erst, bei 53° C.') 1) Nach Schiff (Lehrbuch der Physiol. S. 44) sollen sich Kanin- Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 805 Es ist schwer, von den Muskeln dieser Thiere genau zu sagen, wann sie im Zustande der Wärmestarre befindlich seien, und es liegt eine verzeihliche umgekehrte Schlussfol- gerung mit in diesen Angaben. Die Wasserauszüge aus den todtenstarren Muskeln der Hunde und Kaninchen coaguliren nämlich genau zwischen 49 und 50° C., während der aus den Muskeln der Taube gewonnene erst bei 53° .C. jene dicken flockigen Gerinnsel absetzt. Bei welcher Temperatur aber die eigentliche T'odtenstarre plötzlich eintrete, ist hier noch schwerer richtig anzugeben, da einerseits Muskelstrei- fen, wie sie sich allein zu dieser Untersuchung eignen wür- den, auch ohne Mithülfe der Wärme zu rasch erstarren, und da andererseits die Darstellung der frischen Muskelflüssigkeit in diesem Falle mit grösseren Schwierigkeiten verknüpft ist. Die kleinen Mengen derselben, die ich von Hunde- und Ka- ninchenmuskeln erhielt, coagulirten zwischen 45 und 46° C. Im Einklange mit dieser Beobachtung stehen die Erfah- rungen des Herrn Cl. Bernard, welcher, einer mündlichen Mittheilung zu Folge, Kaninchen in sehr hoher Temperatur ganz plötzlich sterben, und gleich darauf vollkommen starr werden sah. Die Temperatur der Muskeln betrug im Augen- blicke des Todes immer gerade 45° C. Näheres über diese Frage könnte vielleicht bei den Warmblütern gefunden wer- den, wenn man die Temperatur bestimmte, bei welcher der neutralisirte Saft der gefaulten Muskeln gerade von neuem zu gerinnen beginnt, obgleich diese Methode allein für sich kein zuverlässiges Resultat geben kann. Bei der un- endlichen Grösse dieses Gebietes sei es deshalb lieber ge- stattet, hier sogleich zu einer anderen Frage überzugehen, welche für die vorgetragenen Thatsachen von ganz besonderem Belange ist, Ich meine die Frage nach dem Zustande, in chenmuskeln in Wasser von 54° C. so verhalten wie Froschmuskelu in Wasser von 40° C., eine Angabe, welche wesentlich an Werth ge- winnen dürfte, wenn Herr Schiff noch irgendwo hinzufügen möchte, wie sich denn eigentlich die Froschmuskeln bei 40° C. verhalten. Nirgends in seinem ganzen Buche findet sich jenes nothwendige Ter- tium comparationis. Reichert's u du Bols-Reymond's Archiv, 1859, 52 806 W. Kühne: welchem die gerinnenden Körper in den Muskeln vor- kommen? Die Gerinnungserscheinungen, welche die contraetile Sub- stanz darbietet, sind verschieden von denen anderer Theile des Körpers. Nur das Blut theilt mit derselben die Eigen- thümlichkeit, dass es spontane Gerinnungen bildet, ‘es zeigt aber niemals plötzliche Coagulationen bei 40 und 45° ©. Da es unmöglich ist, wirkliche chemische Unterschiede zwischen spontan einmal geronnenem Fibrin und anderen auf irgend welche Art coagulirten Eiweisskörpern anzugeben, so wird man sich nach Virchow’s Vorgange, auch bei den Gerin- nungen der Muskelsubstanz zunächst daran erinnern müssen, dass unter zwei Mischungen, welche jede spontane Gerinnsel absetzen, trotzdem immer sehr grosse Unterschiede bestehen können, welche nur von Einfluss auf die Zeit des Eintritts der freiwilligen Coagulation sein können, während dennoch in beiden ganz der nämliche Körper enthalten sein kann. Mit dieser Betrachtung fallen auch alle Einwände, welche inan aus dem verschiedenen Eintritt der Blutgerinnung der Leiche und dem Beginne der Todtenstarre, gegen die Gerinnungs-Theorie hat herleiten wollen. Muskeln und Blut sind nach der letzteren niemals als gleichbe- deutend neben einander gestellt, sondern es ist nur eine Aehnlichkeit in einem Punkte zwischen beiden geltend ge- macht worden, und es ändert darum nichts an der Richtig- keit der Gerinnungslehre, wenn einmal die Muskeln schon starr gefunden werden, während das Blut noch flüssig ist, oder wenn die Muskeln noch erregbar und nicht starr sein soll- ten, während das Blut in ihren Gefässen bereits geronnen wäre. Mit Recht aber hat man sich gegen den früher be- liebten Glauben aufgelehnt, dass die wesentliche Substanz der Muskeln einfach aus Faserstoff bestehe, wenn man gleich ganz irrthümlich annahm, dass die Brücke’sche Anschauung über das Wesen der Todtenstarre nothwendig an jene Vor- aussetzung geknüpft sei. Es wird daher auch nichts gegen die neue Lehre von der Todtenstarre bewiesen, wenn man Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s, w. 807 die Abwesenheit eines Muskelfaserstoffs damit zu stützen meint, dass das von Liebig entdeckte Syntonin sich anders verhalte als spontan gerinnendes Fibrin; und ich muss des- wegen gegen viele sehr gewichtige. Stimmen durchaus be- tonen, dass die Existenz eines eigenen Eiweisskörpers, wie des Syntonin’s, doch nicht im geringsten die Existenz eines anderen ausschliesst. Auf der anderen Seite ist es aber eben so falsch anzu- nehmen, dass der von Liebig entdeckte Körper, das Syn- tonin, derjenige sei, welcher eine spontane Gerinnungsfähig- keit besitze. Um diese Behauptung nur einigermaassen wahr- scheinlich zu machen, müsste es gelingen, Syntonin aus einem noch nicht geronnenen Muskel darzustellen. ‘Nach allen vor- liegenden Untersuchungen ist es aber eben unmöglich, jenen Körper zu erhalten, ohne die Mitwirkung einer ausserordent- lich verdünnten Säure, und der einfachste Versuch lehrt, dass jeder Muskel, mit einer noch so verdünnten Säure be- handelt, in kurzer Zeit seine Erregbarkeit verliert und in die ausgeprägteste Starre verfällt. Dem zu Folge ist es unmög- lich, Syntonin aus einem ganz frischen Muskel zu erhalten, und seine allgemein gebräuchliche Darstellung beruht viel- mehr immer auf der Extraction ganz exquisit starrer Mug- keln, da man zur Extrahirung des Syntonin’s immer stark zerkleinerte und mit Wasser völlig ausgewaschene Muskeln verwendet, an welches Verfahren die einzig mögliche Gewin- nung der ganz reinen Substanz geknüpft ist. ‚Es braucht ferner nur noch darauf aufmerksam gemacht zu werden, dass das einmal in Lösung erhaltene Syntonin überhaupt gar nicht die Fähigkeit der Gerinnung besitzt., Eine mit 100fach ver- dünnter Salzsäure aus gut mit Wasser gewaschenen Frosch-, Hunde- oder Rindsmuskeln gewonnene, saure Syntonin-Lö- sung gerinnt niemals freiwillig, ja nicht einmal beim Kochen. Nur wenn dieselbe ganz vorsichtig mit einem Alkali neutrali- sirt wird, scheidet sich die Substanz in Flocken aus, welche sich in dem geringsten Ueberschuss der Base wieder auf- lösen, Ein erhaltene alkalische Syntoninlösung coagulirt ebenfalls niemals durch Kochen und noch weniger freiwillig. 52* 808 W. Kühne: Damit fallen also alle Gründe weg, die freiwilligen Gerin- nungen, ‘welche in der Muskelsubstanz vorkommen, dem Syntonin zuzuschreiben, wofür ferner noch angeführt werden könnte, dass auch’ solche Muskeln, denen mittelst der Presse die spontan gerinnende Substanz entzogen war, beim Aus- ziehen mit verdünnter Salzsäure immer noch reichliche Men- gen von Syntonin lieferten. Dass die in der Muskelflüssig- keit sich ausscheidenden Gerinnsel von verdünnter Salzsäure mehr oder weniger angegriffen werden, kann nicht auffallen, da dies eine Eigenthümlichkeit aller Eiweisskörper ist, und da bekanntlich aus jedem derselben Körper erhalten werden können, welche dem Syntonin sehr ähnlich sind, wenn auch nicht in’so auffallender Menge, wie aus den todtenstarren Muskeln. Wir haben uns nun vorzustellen, dass der frische Muskel eine Flüssigkeit enthalte, in welcher verschiedene Körper aufgelöst sind, welche beim Eintritt zum Theil in fester Form ausgeschieden werden. Wie weit es möglich sei, dass dieser Vorgang solehen Einfluss auf die Muskeln als Ganzes aus- üben könne, dass seine Eigenschaften derart verändert wer- den, bis zu einer solehen Differenz, wie sie lebende und starre Muskeln darbieten, das ist allerdings ein Punkt, an welchem bisher die meisten Forscher Anstand genommen haben, und man muss mit Kölliker übereinstimmen, welcher meint, es hiesse jedenfalls die Hauptsache aus den Augen verlieren, wenn man die Todtenstarre von der Gerinnung einer in Vacuolen der festen contractilen Substanz befindli- chen Flüssigkeit herleiten wolle. Man braucht darum indes- sen noch nicht zu einer so unverfänglichen Allgemeinheit Zuflucht zu nehmen, wie Kölliker, der mit dem Anschein einer neuen Nachricht bei dieser Gelegenheit verkündet, die Todtenstarre bestehe in einer Aenderung des chemischen oder physikalischen Verhaltens der Moleeüle der contraetilen Sub- stanz.') Die Behauptung ist an und für sich gewiss so rich- 1) Kölliker, über die Wirkung eiviger Gifte in Virchow’'s Archiv X. S. 293. Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 809 tig, dass sich nicht der Schatten eines Zweifels' dagegen ein- wenden lässt, aus demselben Grunde fördert sie aber unsere Kenutniss des Gegenstandes nicht mehr, als der genau ge- nommen ganz gleiche und leicht ersichtliche Umstand, dass man überhaupt einen todtenstarren Muskel von einem anderen unterscheiden könne. E. Brücke hat in seiner Schrift über das Verhalten der Muskeln im polarisirten Lichte - sehr ‚bemerkenswerthe Be- trachtungen über den Aggregatzustand der contractilen Sub- stanz angestellt. Mit der ihm, eigenen Klarheit hat dieser Physiologe gleich die Frage aufgeworfen, wie eine feste Sub- stanz, selbst eine solche, die nur einer zitternden Gallerte gleiehkäme, es eigentlich anfangen solle, sich zu contrahiren. Die Beobachtungen Brücke’s über die Contractionen ganz frischer Muskeln unter dem Mikroskop mussten eine ganz besondere Anregung zum Studium dieser Frage abgeben, da bisher gerade von den Anatomen eigentlich nur sogenannte todte oder nach beendetem Leben sehr veränderte Organe zur Untersuchung gekommen waren. Man kann dreist be- haupten, dass gerade von Seiten der Anatomen, welche am meisten geneigt sind, dem Physiologen vorzuwerfen, er be- schäftige sich mit todten oder veränderten Apparaten des Thierleibes, nichts mehr bisher ausser Acht gelassen worden ist, als die Veränderungen, welche die Gewebe bei ihrer Isolation erfahren, und dass wohl niemals anatomische Be- schreibungen von ‚dem Zustande des lebenden Körpers aus- gegangen sind. Ganz besonders gilt dies von den meisten Untersuchun- gen über die Muskeln, bei welchen überhaupt eigene Vor- sichtsmaassregeln nöthig sind, um einzelne Theile derselben, selbst wenn sie einem ganz frischen Organe entnommen wur- den, noch in’ dem dem Leben entsprechenden Zustande, zur Anschauung zu. bringen. Alle früheren. mikroskopischen Beobachtungen über die quergestreiften Muskelfasern beru- hen auf der Betrachtung todtenstarrer oder gar gefaulter Massen, und merkwürdiger Weise haben gerade vereinzelte Erscheinungen, welche zufällig an lebenden Muskelbündeln 810 W. Kühne: unter dem Mikroskope zur Anschauung kamen, sehr gerin- ges Interesse und eine ganz falsche Deutung erfahren. Wenn man die isolirten Muskelprimitivbündel der meisten Thiere, wie es meist geschieht, in einem Wassertropfen mi- kroskopisch besieht, so muss man allen den Angaben un- zweifelhaft beistimmen, nach welchen die eontractile Sub- stanz eine eylindrische feste Masse darstellt, die von einem dünnen Schlauche, dem Sarkolemm, umgeben ist. Durch mechanische Misshandlungen entstandene Bindrücke und Risse an den Primitivbündeln, ‘behalten ihre Form, wie wenn ein fester Körper gepresst, geschnitten oder zerrissen wäre, und niehts deutet auf einen ursprünglich flüssigen Zustand. Solche Muskeln sind aber unzweifelhaft todtenstarr, und es ist inimer leicht zu zeigen, dass keiner der so sich darstel- lenden Primitiveylinder durch Reize zur Oontraction gebracht werden kann, und dass denselben die saure Reaction der starren Muskeln zukommt, ‘da jedes gewöhnliche Muskel- präparat beim Uebertragen auf violettes Lackmuspapier da- selbst einen rothen Fleck hinterlässt. Ganz anders sieht dagegen ein noch zuckungsfähiges Primitivbündel aus. ‘Legt man, wie es früher beschrieben wurde, einen schmalen Streifen aus dem frischen noch reiz- baren Sartorius eines Frosches, ohne Flüssigkeitszusatz, oder in Froschlymphe oder in Salzwasser von etwa 0,7 pCt., unter das Mikroskop, so findet man die Primitivbündel viel durch- sichtiger, im Gegensatze zu der graubraunen Farbe todten- starrer Froschmuskeln, und beim absichtlichen oder zufälli- gen Drücken an irgend einer Stelle der Muskeleylinder sieht man nieht einen dauernden Eindruck zurückbleiben, sondern der Muskel zeigt vielmehr einen Wulst, welcher sich all- mälig wieder verliert, so dass sich die ursprüngliche Form an der gedrückten Stelle vollkommen wieder herstellt. Im günstigsten Falle sieht man aber auch an den isolirten Muskelbündeln der Frösche ein Hin- und Herwogen der con- traetilen Substanz eintreten, wobei 'bald eine wulstige An- schwellung mit verschiedener Geschwindigkeit in der Längs- richtung unter dem Sarkolemm fortrollt, bald eine wackelnde Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 811 Bewegung in der Querrichtung der Cylinder eintritt. Der Entdecker dieser äusserst zierlichen Erscheinung ist Bow- man, der die wellenartigen Bewegungen zuerst an den Muskeln niederer Thiere, namentlich der Insecten, beobach- tete. Später wurden dieselben noch von vielen anderen Hi- stologen bestätigt, so vonRemak und in jüngster Zeit auch von Berlin, Brücke u. A. m. Die wellenartige Verschiebung der Theilchen in der con- tractilen Substanz macht so sehr den Eindruck der Bewegung einer Flüssigkeit, dass diejenigen, welche bei der Meinung beharrten, die contraetile Substanz sei ein fester Körper, selbst auf den Gedanken gekommen sind, dieselbe rühre von dem Eindringen des Wassers in das Innere der Muskeley- linder her. Die wulstigen Erhebungen sollten danach nur von dem Fortschreiten eines Wassertropfens herrühren, mit welchem sich der Muskel fortschreitend imbibire, oder sie sollten der Ausdruck jener fortschreitenden Quellung selbst sein. Gegen diese Auffassung ist von vornherein zu bemer- ken, dass sie schon deswegen unrichtig ist, weil alle Mus- kelun die Bewegungen zeigen können, ohne den Zusatz einer Flüssigkeit zum Präparat, und dass die längere Dauer der- selben bei der Benetzung der Muskelfasern immer noch nicht beweist, dass nothwendig auch Flüssigkeit in solcher Menge indie Letztere eindringe, sondern dass vielmehr die flüssige Umgebung den Muskel längere Zeit vor dem Absterben schütze. j Zum genaueren Studium der genannten Bewegungsformen eiguen sich vorzugsweise die Muskeln der Inseeten, am besten die Beinmuskeln der Hydrophilen, bei welchen auch Brücke seine ersten Beobachtungen anstellte. Unter besonders gün- stigen Umständen, und bei sehr vorsichtiger Präparation sieht man zwar Alles auch eben so gut an den Muskeln der Frösche oder der Säugethiere, in den meisten Fällen kom- men aber die isolirten Primitivbündel, namentlich der letz- teren, erst in einem sehr veränderten Zustande zur Ansicht. Wie Remak ist es aber auch mir gelungen, an den Fasern des Diap hragma’s vom Kaninchen ganz dasselbe zu ‚sehen 812 W. Kühne: wie an den Insectenmuskeln; man muss dabei vom Glück begünstigt werden, da es vorkommen kann, dass diese Mus- keln der höheren Thiere nicht selten eine ganz erstaunlich lange Zeit nach dem Tode noch vollständig erregbar bleiben. Der frühe Eintritt der Todtenstarre ist der einzige Grund, weshalb die Details der Contraetion nicht an den Muskeln der höheren Thiere in der Deutlichkeit, wie bei den tiefer stehenden Thierklassen untersucht werden können. Die frischen Beinmuskeln der Hydrophilen zeigen bei jeder Art der Präparation noch lange Zeit nach der Isoli- rung ein wellenartiges Spiel von Bewegungen in zwei For- men, solchen, welche in der Länge, und solchen, welche in der Quere über den Muskeleylinder sich ausdehnen. Die- selben sind so constant und so leicht zu beobachten, dass bier kaum mehr hinzuzufügen ist. Nur die lange Dauer der- selben hat zu der falschen Annahme Anlass gegeben, dass die Bewegung auch an nicht mehr erregbaren, todten Mus- keln vorkomme. Nirgends sieht man deutlicher die scharfe Grenze, welche zwischen dem Verlust der Erregbarkeit, dem Eintritt der Todtenstarre und dem lebendigen Zustande liegt, als hier. Die unerregbaren, todtenstarren Primitivbündel stechen durch ihre runzelige Form und ihre dunkle und trübe Färbung so sehr von den klaren, straffen, noch erregbaren Fasern ab, dass man leicht sehen kann, wie nur die Letz- teren Bewegungen zeigen, während jene auch bei jeder Art der Reizung ganz in Ruhe bleiben. Elektrische oder che- mische Reizung der isolirten Primitivbündel zeigt, dass solche Bündel, welche jene scheinbar spontanen Bewegungen dar- bieten, noch vollkommen erregbar sind, und dass anderer- seits diejenigen, welche auf die künstlichen Reize nicht mehr reagiren, überhaupt ganz bewegungslos bleiben. Wenn hiernach die wellenartigen Bewegungen eng an den lebenden Zustand der contractilen Substanz geknüpft er- scheinen, und schon darin eine Garantie liegt, dass dieselben gleichbedeutend mit der wirklichen Contraetion der Mus- keln seien, so wird diese Anschauung noch ungemein unter- stützt durch die Möglichkeit, dieselben an allen Muskeln 'bei Untersuchu ngen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 813 gewissen Reizungen zum Vorschein bringen zu können. Bei der gewöhnlichen Reizung des Muskels mittelst des erregten Nerven, oder bei heftigen direeten ‚elektrischen 'Reizungen scheint die Contraction zu rasch vor sich zu gehen, als dass man dieselbe in ihre einzelnen Phasen auflösen könnte. So wie aber durch Schwächung der Muskeln, sei es durch Dehnung oder durch Ermüdung, die Contraction langsamer zu verlaufen beginnt, kann auch mit dem blossen Auge überall jenes Fortschreiten in Form von wulstigen Anschwellungen beobachtet werden, wie es oben in dem Abschnitt über die idiomusculäre Contraetion näher erörtert worden ist. Ich habe ausserdem mittelst der chemischen Reizung an dem iso- lirten Sartorius eines sehr kleinen Frosches sehr gut schen können, wie die Contraetion auch hier in ihrer Art und Weise ganz mit den bei den Inseetenmuskeln so klaren Bewegungs- formen übereinstimmt. Der ganz frische Muskel wurde zu dem Ende ohne Wasserzusatz unter ein Deckgläschen auf einen Objectträger gelegt, so dass nur das breite obere Ende mit dem nackten Querschnitte unbedeckt blieb. Den mitt- leren Theil betrachtete ich hierauf bei 200 facher Vergrösse- rung. So wie nun ein mit Ammoniak befeuchteter Baumwollen- pfropf in die Nähe des Quersehnitts gebracht wurde, begann der Muskel zu zucken und eine dicht gedrängte Reihe von waulstigen Erhebungen lief mit äusserster Geschwindigkeit über jedes einzelne Primitivbündel weg, worauf nach Ent- fernung der reizenden Dämpfe der Zustand der Ruhe zurück- kehrte. Es scheint also, dass allen Contractionen, wie Schiff ebenfalls vermuthet, jener Modus der Bewegung zu Grunde liegt: Dass bei den scheinbar spontanen Bewegungen der Insectenmuskeln ebenfalls ein Reiz irgend welcher Art im Spiele sei, kann nicht bezweifelt werden. Sie nehmen meist da ihren Anfang, ‘wo das Muskelbündel irgend wie gezerrt, gedrückt oder verletzt wurde, und sind am stärksten, wenn auch nur von kurzer Dauer, wenn eine schwach erregende Flüssigkeit die Fasern umgiebt. So in ganz ungemein ver- dünnten Säuren, Alkalien oder Na Cl-Lösungen, mittelst wel- \ 814 W. Kühne: cher man auch die Erscheinungen sehr gut an frischen iso- lirten Primitivbündeln vom Frosch studiren kann, Die letz- teren zeigen in Salzsäure von 1 pro mille sofort eine kurz dauernde, schlangenartige Bewegung, werden dann plötzlich ganz undurehsichtig, womit das Stadium der Starre sich an- kündigt, um schliesslich wieder im höchsten Grade durch- sichtig zu werden, wegen der lösenden Eigenschaft ‚der 'ver- dünnten Säure. Die Möglichkeit einer wellenartigen Bewegung in der Weise, wie man sie in der contractilen Substanz beobachtet, ist oflenbar an einen flüssigen Zustand derselben geknüpft, und es wäre von grossem Interesse, wenn dieselbe bei jeder Art der Reizung nachgewiesen werden könnte. E. Weber hat indessen namentlich die Uebereinstimmung der Bow- man’schen Phänomene mit der gewöhnlichen Contraction, deswegen geleugnet, weil er bei der elektrischen Tetanisirung frischer Muskeln unter dem Mikroskop nichts der Art beob- achten könnte. In allen Fällen bleibt hier noch eine Lücke auszufüllen; es ist aber im höchsten ‚Grade wahrscheinlich, dass das Fortschreiten von Wülsten von einem Punkte zum anderen nur deshalb von Weber nicht hervorgerufen wer- den konnte, weil er in seinen Versuchen alle Punkte der Primitivbündel zugleich erregte, indem er ‚die Elektroden an beiden Enden der Bündel anlegte. Ohne Zuziehung ‚des Mi- kroskops ist es aber leicht, das Wellenspiel auch an einem gespannten 'Sartorius zu sehen, dessen unteres oder ‚oberes Ende in einer Ausdehnung von 1—2 Mm. mittelst gerade hin- reichender Induetionsschläge gereizt wird. Die Gontraction der Muskeln mag nun in allen Fällen auf der in Rede stehenden Bewegungsform beruhen oder nicht, sicher ist es, dass jeder lebende Muskel im Gegensatz zum starren und unzweifelhaft festen, dieselbe darbieten kann. Die Wellenbewegung ist unzweifelhaft, wie überhaupt jede Contraction an eine ausserordentliche Verschiebbarkeit der Theilchen geknüpft, welche ‚so gross sein muss, dass sie mit dem Begrifi des Flüssigen vollkommen zusammenfällt. Köl- liker meint zwar, dass es den Begrifl des Flüssigen ganz Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 815 willkürlich ausdehnen hiesse, wenn man die contraetile Sub- stanz nicht als einen festen Körper betrachten wolle, man könnte darauf aber antworten, dass die entgegenstehende Behauptung dem Begriff des festen eine übermässige Aus- dehnung gebe. Die contractile Substanz kann im Gegentheil nur flüssig gedacht werden, da es eben keinen festen Körper von den elastischen Eigenschaften derselben giebt, und da es leicht ist nachzuweisen, dass sich dieselbe in den beiden wesentlichsten Punkten wie ein flüssiger Körper verhält. Sie besitzt eine vollkommene Beweglichkeit ihrer Theilchen und nimmt in Folge davon jede Form an, welche ihr durch den Einfluss der Schwere zukommt. Auch dürfte es inner- halb der Grenzen der Möglichkeit liegen, einen mit Flüssig- keit gefüllten elastischen ‘Schlauch herzustellen, welcher die- selben elastischen Eigenschaften, wie der Muskel 'besässe. Brücke hat darauf aufmerksam gemacht, dass ein contra- hirter Muskel z. B. das Herz in der Systole nicht wie ein harter, fester Körper sich verhalte, sondern eine weiche Masse darstelle, welche je nach ihrer Anordnung bei der Dauer der Contraction in einer Gleichgewichtslage verharre, wie er nur unter dem Einfluss der Schwere entstehen könne. Man hat sich demnach ‚die Contraction der Muskeln so zu denken, dass eine Umlagerung entstehe, bei welcher die Flüssigkeitstheilchen ihre ursprünglichen Oerter verlassen, um sich nach dem Aufhören der Kraft, durch welche sie in die neue Lage kamen, so anzuordnen, wie sie ihrem Ge- wichte nach zu liegen kommen müssen. ‘Ein Muskel kehrt darum ‚ohne das Zuthun äusserer Kräfte nach einer einmali- gen Contraetion nie wieder in seinen vorigen Zustand zurück, sondern er verharrt in seiner Gleichgewichtslage, welche durch den blossen Anschein kaum von dem contrahirten Zu- stande zu unterscheiden ist. Man könnte in vielen Fällen denken, dass seine Ausdehnung durch die Reibung verhin- dert werde, welche er auf einer festen "Unterlage erfährt. Legt man aber einen Sartorius auf Quecksilber und lässt man ihn dort durch einen einzigen Inductionsschlag in seiner ganzen Ausdehnung zucken, so wird derselbe sich nach dem 816 W, Kühne: Aufhören der Reizung zwar um ein Geringes wieder aus- dehnen, ohne künstliche weitere Dehnung aber. fortwährend den Anschein eines schwach: tetanisirten Muskels behalten. Ruht hingegen der Muskel nicht, sondern hängt er senkrecht herab, so scheint er von selbst aus dem contrahirten Zu- stande in den erschlafften zurückzusinken. Es ist aber klar, dass er in diesem Falle nur seine frühere Gestalt verlor durch die eigene ‘Schwere. Ist die contractile Substanz flüs- sig, so kann es nun schliesslich nicht auffallen, dass eine Gerinnung derselben einen so grossen Unterschied hervor- bringen könne, wie den zwischen starren und noch erreg- baren Muskeln. Die Möglichkeit der Mischung der contrac- tilen Substanz mit verdünnten Salzlösungen gewährt ferner eine Garantie für die flüssige Natur derselben. Es nützt zu niehts: sie halbflüssig — festweich, oder sonst wie in zwei- felhafter Weise zu benennen, der Unterschied zwischen star- ren und noch erregbaren oder contrahirten Muskeln wird damit weder grösser noch kleiner. In diesen ist die con- tractile Substanz als eine sehr coneentrirte Lösung von Bi- weisskörpern anzusehen — in jenen als ein festes Gerinnsel. Die Ursachen des Uebergangs aus dem flüssigen in den festen Zustand sind Aufgaben ‚der chemischen Untersuchung. V. Ueber das Vorkommen wahrer Muskeln bei den niedersten Thieren. Wer die Muskelbewegung in allen Einzelheiten so ver- folgt, wie es zuvor geschildert wurde, wird sich des Gedan- kens nieht erwehren 'können, dieselbe sei im’ Grunde‘ ganz gleich mit der bekannten Bewegung der Amoeben oder der Sarkode Dujardin’s., Das Sarkolemm umschliesst eine flüs- sige Masse, welche dieht und in regelmässiger‘ Anordnung mit kleinen, festen Körpern, den Disdiaklasten Brücke’s, erfüllt ist, und diese Flüssigkeit besitzt die Fähigkeit, Be- wegungen nach allen möglichen Richtungen einzugehen, vor- zugsweise aber so, dass das Primitivbündel an Breite um so viel zunimmt, als es’ an Länge verkürzt wird. Die Volum- verminderung, welche die contraetile ‘Substanz bei der Mus- Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 817 kelaetion erfahren soll, ist jedenfalls so ausserordentlich ge- ring, dass man der Vermuthung Schiff’s beizupflichten 'ge- neigt ist, wonach dieselbe möglicherweise nur auf Rechnung der in dem Muskel selbst enthaltenen Gase zu schieben wäre, und die ganze Bewegung eines Muskels würde demnach nur auf ein Hin- und Herwallen der contractilen Substanz zurück- zuführen sein. Dem äusseren Anschein nach scheint dieses Phänomen sich genau in den Amoeben zu wiederholen. Man sieht gleichsam einen freien Tropfen jener Materie im umgebenden Wasser sich umherwälzen, welcher aus einer uneingekapselten Flüssigkeit besteht, die sich nicht mit Wasser mischt, und welche kleine feste Körper in unregel- mässiger Anordnung eingestreut enthält. Ohne sichtbare äussere Veranlassung ist der Tropfen in fortwährender Be- wegung begriffen, und wir schreiben das Hin- und Herströ- men im Inneren der Masse, das bald kuglige Zusammen- ballen, bald das Ausstrecken langer bruchartiger Aussackun- gen dem Willen eines thierischen Individuums zu. Alle diese Bewegungen gehen ebenfalls in der Art vor sich, dass das Volum der Hauptmasse um eben so viel abnimmt, als es an irgend einer Stelle durch die Aussackungen verliert, sie scheinen das vollkommene Analogon zu der Bewegung des Muskelceylinders darzustellen, mit einer Abweichung von der regelmässigen Form, welche das Muskelbündel allein geeignet macht, zu mechanischen Arbeitsleistungen zu dienen. ' Um eine weitere Uebereinstimmung zwischen der contrae- tilen Substanz und der der Amoeben aufzudecken, stellte ich mir die Frage, ob die Sarkode reizbar sei im Sinne der Muskelirritabilität, und ob dieselbe gerinnen, todtenstarr wer- den könne, wie die in dem Sarkolemm eingeschlossene Flüs- sigkeit. Die Amoeben, welche ich zu den folgenden Versuchen verwendete, fand ich in reichlicher Menge in dem grünen, schwammigen Bodensatze eines Meerwasseraquariums des Herrn Coste, welches zur Demonstrirung der künstlichen Austernzucht im Oollöge de France diente. Ich hob mit einer Pincette den Bodensatz heraus und verwahrte diesen in ein- 818 W, Kühne: zelnen nur gegen Staub locker geschützten Gläsern, auf deren Boden sich der ‘Schlamm von neuem ’ablagerte. ‚Mit einer spitz ausgezogenen Glasröhre war es mir dann leicht, einen Tropfen Wasser vom Boden emporzuheben, welchen ich auf einen Objeetträger übertrug. Unter dem Mikroskop zeigte sich in derselben eine grosse Menge vegetabilischer Zuthaten, Pilze, Algen u. s. w., und in der Menge eines gewöhnlichen Tropfens stets etwa 20—30 Amoeben, welche als Amoeba diffluens (Dujardin) erkannt werden konnten. Die Grösse die- ser Geschöpfe wechselt sehr. Ich sah einzelne von der Grösse der Froschblutkörperchen, andere aber auch, welche den vierten Theil des Sehfeldes einnahmen, Genaue Grös- senbestimmungen konnten begreiflicherweise nicht gemacht werden, da die Amoeben durch ihre stets wechselnde Gestalt sich der Messung entziehen. Wie früher gezeigt wurde, - besitzt die Muskelsubstanz die Fähigkeit, auch ohne Vermittlung der Nerven auf den Reiz elektrischer Stromesschwankungen Bewegungen einzugehen, und es war darum auch für die sogenannte freie contractile Substanz der Amoeben die Frage, ob dieselbe ebenfalls auf die Ströme des Inductionsapparats reagire. Ich brachte zu dem Ende einen Tropfen des Meerwassers, welcher. viele Amoeben enthielt, nach dem Vorgange E. Weber’s auf einen mit unterbrochener Spiegelbelegung versehnen Objectträger, so dass das Wasser eine leitende Schicht zwischen den bei- den Amalgamplatten bildete. Dasselbe wurde sodann mit einem‘ dünnen Deckgläschen bedeckt, das jederseits auf die Enden der Spiegelfolie zu liegen kam. Der Schlittenelektro- motor ‚diente: mir als Reizquelle, die Drähte der secundären Spirale zu beiden Seiten des Objectträgers endigten mittelst isolirt in den Tisch des Mikroskops eingelassener Federn, welche jede für sich wieder die Metallschichten des Objeect- trägers berührten. Zwischen dem Inductionsapparat, der durch 2 kleine Grove’sche Ketten in Arbeit gesetzt wurde, und dem Mikroskop befand sich eine gut leitende Neben- schliessung, nach deren Hinwegräumung die Inductiousschläge erst durch das Präparat hindurchtreten konnten. Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 819 Ich hatte mir gedacht, dass die Amoeben, im Falle sie sich reizbar zeigen sollten, durch die Tetanisirung mittelst der Wechselströme des Induetionsapparates plötzlich einen dem Tetanus der Muskeln analogen Zustand zeigen müssten, so dass die unregelmässig gestalteten, und mit Fortsätzen nach allen Richtungen besetzten Massen plötzlich die Form einer Kugel annehmen würden. In Wahrheit sah ich indes- sen Nichts von Alledem. Die Amoeben, welche in Bewegung begriffen waren, bald hierher, bald dorthin ihre Arme aus- streckten, setzten diese Manöver ganz ruhig fort; wenn’ die Nebenschliessung beseitigt wurde und wenn eine dicht ge- drängte Reihe von Induetionsschlägen durch das Präparat hindurchging. Ja ich konnte die Stärke der letzteren durch Uebereinanderschieben der Inductionsrollen so weit vergrös- sern,; dass beim Berühren des Wassertropfens mit der Spitze des Fingers ein unerträglicher, stechender Schmerz entstand, ohne dass die Amoeben. auch nur die leiseste Spur einer Reaction zeigten, Diejenigen, welche sich in Ruhe oder in sehr träger Bewegung befanden, schienen dabei nicht zu stär- keren Anstrengungen angeregt zu werden, während die emsig mit dem Ausstrecken bruchartiger Fortsätze beschäftigten Geschöpfe ohne Störung dieses Spiel weiter fortsetzten. Obgleich diese gänzliche Fruchtlosigkeit der elektrischen Reizung wenig Aussicht gewährte die vermutheten Beziehun- gen zwischen der Muskelsubstanz und der contractilen Ma- terie der Amoeben zu bestätigen, so wollte ich doch nicht allein bei dieser Art der Reizung stehen bleiben, sondern auch den Einfluss der chemischen Reize und der speeifischen’ Muskelgifte prüfen. Die Unterschiede mehrten sich dadurch indessen noch ganz bedeutend, da ich sogleich fand, dass die äusserst verdünnte Salzsäure, welche auf den Muskel so ener- gisch wirkt, und in kurzer Zeit Tetanus, Starre und schliess- lich eine gänzliche Zerstörung des Sarkolemminhalts herbei- führt, nicht die mindeste Einwirkung auf die Amoeben be- sitzt; Ich habe dieselben in HOl von 1 bis 0,1 pCt. stundenlang aufbewahrt, ohne dass die Bewegungen dadurch beeinträch- tigt worden wären, und ohne dass Veränderungen ia der 820 W. Kühne: Durchsiehtigkeit oder der Consistenz der Sarkode darauf folgten. Eins der energischsten Muskelgifte ferner, das’ Rho- dankalium, dessen einprocentige Lösung die Muskeln sofort erstarren macht, erwies sich eben so wie die Salzsäure voll- kommen wirkungslos für die bewegliche Amoebenmasse, ja nicht einmal Lösungen von 4pCt. äusserten einen irgend be- merkenswerthen Einfluss. Nach diesen Beobachtungen kann also von einer Reizbar- keit dieser Geschöpfe in dem gewöhnlichen Sinne nicht die Rede sein: das qualitativ wirksame Reizmittel ist noch zu finden. ‘Versuche, welche ich mit Alkalien anstellte, zeigten mir, dass die Amoeben in nur einigermaassen concentrirten Lösungen rasch die Bewegungen einstellten und sich dann auflösten. So wenig Aehnlichkeit die Sarkodenmasse in alle den Haupteigenschaften mit den Muskeln zeigt, so sehr muss es überraschen, dass sie mit dieser die Fähigkeit der Gerin- nung theilt, wie'es scheint sogar der spontanen Coagulation. Jeder, der sich mit der Beobachtung dieser Geschöpfe ein- mal beschäftigt hat, wird wissen, dass es auch Amoeben in sogenanntem abgestorbenen Zustande giebt, in welchem sie ihrer Fortsätze meist beraubt und zu Kugeln zusammen ge- zogen unbeweglich daliegen. In diesem Zustande scheinen sie härter zu sein und besitzen dann stärkere Contouren, eine Veränderung, welche man auch an einem vorher in Bewe- gung befindlichen Individuum allmälig eintreten sehen kann. Dieselben Zustände sind es auch wohl, welche zu der Mei- nung Anlass gegeben haben, die contractile Substanz sei hier mit einer Membran umschlossen. Es ist immer misslich, Gewebstheile durch verschiedene Reagentien zur Anschauung zu bringen, bevor man weiss, inwiefern dieselben nicht an und für sich Differenzirungen einer homogenen Masse her- vorrufen können, und es ist darum auf den Nachweis der Amoebenmembran, welcher auf der Behandlung mit Reagen- tien beruht, nicht viel zu geben. Mir scheint die Abwesen- heit einer Membran dadurch ganz besonders wahrscheinlich, weil man häufig 2 und mehrere Individuen so vollständig in einander fliessen sieht, dass später niemals eine Trennung Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 82] wieder stattfindet." Ebenso umschliessen: dieselben sehr oft fremde Körper, welche sie ganz in sich einverleiben, und welche später an den Bewegungen nicht Theil nehmend, bald hier bald dort in ‘der Masse zerstreut liegen. Nicht selten fliessen zwei Amoeben in einander, welche mit verschiedenärti- gem'fremden Körpern, kleinen gelben! und grünen: Körnchen erfüllt sind, und man sieht dann auch diese, auf's Innigste mit einander sich vermischen. Wie hierbei ‚eine Membran sieh verhalten: solle, ist mir unklar, und es scheint mir viel richtiger, daraus auf die, Abwesenheit einer 'solehen zu schliessen. Die Bilder, welche zur Aufstellung einer’ Mem- bran geführt haben, scheinen: der erstarrten Basliölle zuge- schrieben werden zu müssen. " Wenn es nach dem Gesagten erhellt, dass die Sarkode eine freiwillige Gerinnung därbietet, ‚so, dürfen wir vermu- then, dass dieselbe ‘durch. die Wärme , begünstigt: wer- den könne. Kocht man in einem. Probirröhrchen: Meer- wasser, das viele Amoeben enthält und, ‚betrachtet man sieh. dann ‘den Bodensatz bei. .300 facher. Vergrösserung unter. dem Mikroskop, so findet man in der, That nur die geronnenen Formen der Sarkode, alle Bewegungen haben aufgehört. ‘Ganz dasselbe beobachtet man beim: Erwärmen der Infusion nach der früher ‚mitgetheilten. Methode! im Oel- bade, bei allen‘ Temperäturen bis auf 40° herab, ‚Ist: die Demperatur der Flüssigkeit in dem; Probirröhrchen gerade bis auf 40° gestiegen, so findet man alle Amoehen "bewe- gungslos, und: meist kugelig zusammengeballt.. Diese, Tem- peratur ist indessen durchaus nicht genau diejenige; 'beil wel- eher die Sarkode ‚offenbar gerinnt, vielmehr liegt, dieselbe tiefer, nämlich. bei :35°:C. Zwischen ‚30 und 34° GC. findet man‘die Amoeben immer: noch in lebhafter, ja vielleicht so- gar iu 'vermehrter Bewegung, so wie aber die Temperatur 34° ©, übersteigt nnd 35% erreicht, findet man sie alle obne Bewegung, erstarrt, kugelig und mit starken Contouren, die ganze Masse dabei bräunlich getrübt, in welchem, Zustande man sie auch noch‘ amı anderen, Wage findet, Die, Sarkode BReichert» u. du Bolb-Roytmpnd's Archiv, ‚1959, 53 822 i W. Kühne: kann also wärmestarr werden, wie der. Muskel, nur tritt.die Starre hier schon bei 35° C. ein. Da die Infusion, welche die Amoeben onkhiehl auch mit zahlreichen anderen Infusorien erfüllt war, so konnte mir nieht entgehen, dass alle die verschiedenen Behandlungen bemerkenswerth ‘verschiedene Einflüsse auf dieselben ‚ausüb- ten: Beim Durchleiten von Inductionsströmen sah ich viele Thiere sterben und zerplatzen, während beim Erwärmen auf 35° C. die gegen den elektrischen Reiz stumpfen Amoeben ihre Bewegungen einstellten, dagegen aber andere Infusorien dieselben: munter fortsetzten. Nur die contractilen- Fäden einiger Rhizopoden; welche‘ mit Recht als gleichbedeutend mit Dujardin’s Sarkode angesehen werden, verhielten' sich so wie die‘ Amoeben. ' Sie schrumpften gerade bei 35° zu kugeligen Warzen zusammen. Das Einziehen und Ausstrecken ging aber ruhig vor sich, in Salzsäure von 1—0,1% und in Rhodankaliumlösung von 1-4 pCt.'und die stärksten Ströme des Inductionsapparates erzeugten keine Veränderung in die- ser Erscheinung. Besonders oft konnte ich diese Thatsachen bestätigen an der Varietät von Actinophrys sol, der Actinophrys marina (Duj.). Der eigenthümliche Einfluss starker Inductiongsöhlige auf viele Infusorien ist bekannt. Die Thiere zerplatzen oder zerfliessen und sterben plötzlich ab, und es ist in (der That seltsam, dass man nur mit: Widerstreben' anjeine eigene Reizbarkeit dieser Geschöpfe hat denken mögen, son- dern die genannten Erscheinungen vielmehr auf die Wirkung der Elektrolyse hat beziehen wollen. Trotzdem kann! man sich sehr leicht überzeugen, dass es mit der’ elektrolytischen Zersetzung der'Infusorien nicht weit her ist, daselbst eine Kette von 6—8 Grove’schen ‘Elementen, welche man mit Einschaltung der auf dem Objeetträger befindlichen Infusion schliesst, 'erst nach langer Zeit: dem Leben der Infusorien gefährlich wird. Nur bei der Schliessung. der Kette ‚sieht man’ dieselben plötzlich zusammenfahren, dann einige heftige Bewegungen machen; während der Dauer des ‚Stromes aber gewahrt man Nichts auflallendes, geschweige denn ein so Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 823 plötzliches Zerplatzen, wie bei den Schlägen des Schlitten- elektromotors. Es ist vorläufig noch die Aufgabe der Zoo- tomen, die einzelnen zahlreichen Species der Infusorien mit Hülfe de elektrischen Reizung zu durchmustern, ich muss mich darauf beschränken anzugeben, welche Thiere mir zufällig die angegebenen Erscheinungen darboten, da meine Untersuchungen vorzugsweise nur auf eine Species, nämlich die Vorticellen gerichtet waren, welche leicht bei der Expe- perimentaluntersuchung für die niedersten Thiere Das wer- den könnten, was der Frosch in einer anderen Sphäre re- präsentirt. Durch ziemlich kräftige Inductionsschläge (erhal- ten durch den Schlittenelektromotor, dessen Rollen zur Hälfte über einander geschoben waren und dessen Kettein 2? Gro- ve’schen Elementen bestand) sah ich heftige Bewegungen entstehen, denen bruchartige Aussackungen und schliesslich vollständiges Zerplatzen folgte, bei Opalina (aus dem Mast- darm der Frösche), bei Ploesconia patella, Parameeium, Di- leptus folium, Trichoda angulata und Kerona mytilus. Bei mässigen Strömen konnte ich es meist dahin bringen, dass die Thiere nach dem ersten heftigen Ruck beim Oeffnen der Nebenschliessung ganz ruhig in eine Art von Tetanus sämmt- licher Muskeln liegen blieben, wenn sie nieht durch die Flimmerbewegung weiter befördert wurden, auf welche die Ströme absolut gar keinen Einfluss haben. Wurden die Schläge verstärkt, so bildeten sich bald Einschnürungen, und trat dann irgendwo aus der Körperbegrenzung ein Bruch aus. In diesem Zustande konnten viele Thiere noch lange umher- sehwimmen, wenn die Nebenschliessung wieder eingeschaltet wurde und das Thier vor weiteren Angriffen geschützt blieb. Nur bei längerer Dauer der sehr kräftigen Ströme zerfliesst das ganze Thier zu einem unförmigen Brei, in welchem dann hie und da die Flimmerbewegung noch eine Zeit lang fort- dauern kann. Beiden Räderthierchen sah ich indessen Nichts der Art vor sich gehen, sie fielen in Tetanus und starben darin augenscheinlich ab, ohne zu zerfliessen. Auf ganz nie- dere Phierformen, wie z. B. Monas (aus dem faulenden Fleisch- wasser erhalten) und auf die Vibrionen haben die Inductions- 53* 824 W. Kühne: schläge eben so wenig Einfluss, wie auf die vegetabilischen Schwärmsporen, welche ihre Bewegungen unbekümmert um das heftigste Kreuzfeuer der Wechselströme fortsetzen. Auch an ‘den |Gregarinen aus den Geschlechtstheilen dr Regen- würmer sah ich keine Erfolge der elektrischen Reizung, ich will’ aber nicht behaupten, dass sie nicht reizbar seien, \da die Bewegungen überhaupt sehr rasch erloschen,’ nachdem ich sie auf den Objectträger geschafft hatte. Die Vorticellen sind es, welche recht eigentlich das, ‚pas- sende Präparat zur Anstellung derartiger Versuche, abgeben, Ihre langen contractilen Stiele und die mannichfachen Bewe- gungen der Glocke selbst ‘machen sie ganz besonders dazu geeignet, wozu.noch die grosse Annehmlichkeit kommt, dass man das. Thier fest an einem Punkte bewahren kaun, wäh- rend die nicht an anderen Körpern angehefteten Infusorien ein |beständiges Nachjagen unter dem Mikroskop nöthig ma- chen. Zur Auffindung der Vorticellen suchte ich’ die einzel- nen Wurzeln von Wasserlinsen bei schwacher Vergrösserung ab, und isolirte' dann mit der Scheere ein kleines Stück der Wurzel, das gerade mit einer reichen Traube der Thierchen besetzt war. Das Stückchen wurde dann auf den mit: Spie- gelfolie zu beiden Seiten belegten Objeetträger in die rein gläserne Lücke gebracht, ein starker Wassertropfen 'hinzu- gefügt, (das Ganze mit einem Deckglase bedeckt und bei 300facher Vergrösseaung betrachtet, während die Drähte der Inductionsrolle mit der stromzuführenden Objectplatte in leitender Verbindung standen. Der Schlittenelektromotor wurde durch 2 Grove’sche Elemente getrieben nnd die Rol- len waren bis zur Berührung an einander geschoben. Ich suchte nun einen Augenblick, in welchem möglichst viele Vorticellen mit ausgestreckten Stielen dalagen, um mit den Mundwimpern ihre Nahrung aufzufangen, Jetzt räumte ich plötzlich die! Nebenschliessung im Kreise der secundären Rolle weg und: hatte nun das Vergnügen, plötzlich alle Vor- ticellen ihre Stiele spiralig zusammenrollen und festgebannt an der Pflanzenwurzel angeheftet zu sehen, wobei auch die Glocke sich kugelförmig zusammenballte und: die Mundwim- Untersuchungen tiber Bewegungen und Veränderungen n. s. w. 825 pern eingeschlagen blieben. Wurde jetzt der Reiz sogleich abgesperrt, so dehnten sich alle Stiele in langsamen Schrau- bentouren wieder aus, die Mundwimpern kamen wieder zum Vorschein und'die ‚alte Gefrässigkeit kehrte zurück, so. dass Nichts die Gewalt ahnen liess, welche vorher die. Thiere anbeweglich meinem Willen unterwarf. Liess ich dagegen die Ströme längere Zeit durch das Präparat gehen, 'so roll- ten sich die Fäden auch während des Tetanisirens augen- scheinlich der Ermüdung wegen wieder aus einander und die Thiere zuckten nur von: Zeit zu Zeit ein ‚wenig, zusammen, konnten aber wieder ganz’ an ihren: Anheftungspunkt mit der. Glocke herangezogen werden, wenn die Reizung durch wei- teres Ueberschieben der seeundären . Inductionsspirale über die primäre verstärkt wurde. Bei so, bedeutenden: Strömen starben die Vorticellen denn auch schliesslich ab, aus der Glocke wurden bruchartige Aussackungen hervorgetrieben, bis dieselbe ganz zerfloss’und nur noch die, wenn man will, kopflosen Schwänze in dichten Spiralen zusammen gerollt an der Wasserlinsenwurzel sitzen blieben. Es ist aus den anatomischen ' Untersuchungen bekannt, dass der Stiel der Vorticellen aus einer feinen elastischen Röhre besteht, in welcher ein blasser: Faden in’ steilen und wenigen Windungen der ganzen Länge nach verläuft, beider- seits oben und unten fest an den Anheftungspunkt des Thieres und an den Körper, die Glocke, geknüpft. ' Mit welchem Rechte man die musculöse Natur dieses Fadens hat leugnen wollen, ist mir unbekannt, da es äusserst wahrscheinlich. ist, dass derselbe den wirklichen Muskel und die umgebende Masse eine Art von Sarkolemm darstelle. Eine: Art von Querstreifung in der Weise, wie sie Leydig in seinem Lehr- buche mit frappirender Klarheit abbildet, habe ich an dem inneren Faden selbst nicht mit den vorzüglichsten Systemen Amieci’s wahrnehmen "können, eine Andeutung irgend: wel- cher Structur entstand nur bisweilen durch Reibungen und Faltungen, welche mitunter vorkamen, “Obgleich kein Grund vorliegt, bei einem so auffallend contractilen Organ die mus- eulöse Beschaffenheit zu läugnen, 80 giebt andererseits aber 826 W. Kühme: auch die etwaige Querstreifung kein Kriterium für ‚dieselben ab. Man’ müsste in solchen Fällen bestimmt angeben; welehe Definition einem Muskel zukomme, was bisher meines. Wis- sens' nirgends geschehen ist, Bemühen wir ‚uns darum vor allen Dingen'zu zeigen, in wie fern der Stiel-der Vortieellen mit den Dingen übereinstimmt, welche bisher ohne/Widerrede, als Muskeln anerkannt wurden: Da die Vorticellen dureh Cöontractionen des Stiels stets; ihr Unbehagen ausdrücken, wenn: ihnen etwas in die -Quere kommt, so wenn’ ein gefährliches Räderthierchen oder andere grössere T'hiere auf sie zuschwimmen, so wäre es.denkbar, dass die Inductionsströme ihnen eine unangenehme 'Empfit- dung verursacht hätten, bei welcher sie indireet,: ohne dass der Strom direct die contractilen' Organe erregt habe, eine andere Lage vorgezogen hätten, ‚ Ich‘ war dieser‘ Meinung sehr nahe, als ich sah, dass solche Stiele, von: denen die Glocke zufällig’abgerissen war, entweder spiralig zusammen- gerollt oder stark gestreckt dalagen und beim Durchschlagen der Inductionsströme keinerlei Bewegungen zeigten. Der Zu: fall führte mir aber bald ein Thierchen zu, dessen. Stiel in der Mitte geknickt war, und an welchem: der innere, Faden mehrfache Unterbrechungen: zeigte. Aus eigenem. Willen konnte das: Thier nun immer nur den Stiel von. der Glocke bis zur Knickung zusammenrollen, während, der Theil von der Knickung bis zur Anheftungsstelle nieht-an der, Bewegung Theil' nahm, und\stets in’ derselben: Lage blieb, Ich galva- nisirte darauf das Präparat und sah bei derjenigen Strom- stärke, bei welcher: zuerst auch die Nachbarn. des. Thieres mitzuckten,'nur den dem Willen des Thieres. unterworfenen Theil’ des Thieres sich zusamimenrollen, als ich aber, durch Annähern der: Inductionsrollen den Reiz verstärkte, zuckte jetzt auch der ändere Theil des Stieles mit. In. diesem Falle war also ein Theil des Stieles unabhängig von dem Thiere gereizt, worauf er mit Bewegung geantwortet hatte, und fer- ner fand sich ‚die interessante Erscheinung, dass das mit der Glocke der: Vorticelle: aus, dem Zusammenhange, gerathene Ende bedeutend an Erregbarkeit eingebüsst hatte, Die Glocke Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 827 der Vorticelle stellt demnach ‚eine. Art von Kopf vor, von welchem allein der Wille ausgeht, und auch: die Ernährung des Stieles dürfte nur von, diesem Theile aus möglich sein. Um den Versuch ‚noch! entscheidender zu, machen, übte ich mich später die Vorticellen zu köpfen. Man sucht sich zu dem Ende eine Wasserlinse aus, deren Wurzel recht dicht damit übersät ist, und schneidet mit einem, scharfen Scalpell dicht neben der Wurzel her, am besten so, dass man. plötz- lieh auf die Glasplatte hackt. Uebung und genaue Beobach- tung, lehren den richtigen Moment‘ kennen, wo die meisten Thierchen mit gestreckten Stielen: von der’ Wurzel abstehen: in diesem Augenblicke schlägt man zu. ‘Natürlich sind die meisten Thiere durch rasches Zurückfahren dem, Hiebe ent- gangen, nach einigen Versuchen findet man aber immer ein- zelne, welche ihren Kopf verloren. Bedeckt man jetzt nach der Benetzung mit mehr Wasser das Präparat mit dem Deck- gläschen, und lässt man.'nun wieder die Inductionsströme bindurchgehen, so sieht man; dass auch die ‚kopflosen: Stiele zusammenfahren, Die ‚elektrische Reizung muss möglichst rasch nach dem Köpfen vorgenommen werden, da die kopflosen. Stiele sehr bald ihre Erregbarkeit, einbüssen' und auch von selbst, wviel- leicht wegen der Berührung des. Inneren mit dem. Wasser, sich ganz langsam zusammenrollen, meist so, dass die durch- siehtige Hülle das obere Ende des inneren Fadens ‚iu be- trächtlicher Länge als.ein, leeres Rohr überragt., In. diesem Zustande ist der: innere Faden unzweifelhaft. todtenstarr. Später tritt sogar eine Lösung der Todtenstarre ein, wobei sich der ganze Stiel wieder langsam gerade streckt, bis, end- lich der innere Faden ganz zu verschwinden scheint, und nur noch das blosse Rohr übrig bleibt, welches man’ nur bei ge- dämpfter oder schräger "Beleuchtung wahrnimmt. ‚Der Stiel der Vorticellen verhält. ‚sich also ‚ganz wie ein Froschmuskel, er kann durch den Reiz elektrischer Stromes- schwankungen, auch isolirt, von dem übrigen Thiere,; zum Zucken, ja selbst zur tetanischen Verkürzung gebracht ‚wer- den, ‘Beim Nachlassen der Reizung dehnt ‚er sich langsam 838 i and w. Kühne: % nl wieder ‘aus, ich niuss’aber bemerken, dass er isolirt' nie’ wie- der’ 3o straff wird, wie wenn die Vorticelle noch daran sitzt, sondern immer eine mehr gekrümmte' Stellung einnimmt. Die chemische Reizung der’ Infusorien ist im» Grunde gleichbedeutend mit einer Vergiftung, da’ man genöthigt ist die Zuführung'der Reizmittel so vorzunehmen, dass man’ sie in einen Tropfen der Lösungen hineinsetzt. Bekanntlich'ster- ben auch'die Vorticellen in den meisten 'Salzlösungen rasch ab,'und es ist darum wenig Gewicht darauf zu legen," dass sie z.B. auch in verdünnten Lösungen eines hervorragenden Muskelgiftes, des Rhodankalium's, sich rasch zusammenrol- len und in’einen Zustand‘der' Starre übergehen, da sie in Lösungen von'Kochsalz sich eben so verhalten. Mit Alka- lien, selbst mit’sehr verdünnten Laugen behandelt, sieht man die‘ Vorticellen' fast augenblicklich zerfliessen. Die Wirkung einer sehr verdünnten Säure ist dagegen charakteristischer und analog'der Erscheinung, welche noch erregbare Muskel- primitivbündel vom Frosch dabei’ zeigen. Setzt man’ einem Infusionstropfen, in welchem sich Vorticellen befinden, einen Tropfen 100 fach verdünnter Salzsäure zu, so eontrahiren sich die Stiele augenblicklich, die Fäden im Inneren der Stielröhre werden dann trübe und viel''deutlicher, ‘offenbar starr, und hierauf beginnt die Säure die’contractile Substanz zu lösen, wobei ’die contraetilen Fäden wieder ganz ‘durchsichtig wer- den und’der ganze Stiel durch die Blastieität der Hülle sich wieder gerade streckt, 'um bis zum Verschwinden durchsich- tig zu'werden. Die Glocke reisst dabei meist ab und''geht ebenfalls ihrem Untergange entgegen. Das. erste Zusammen- fahren beim Zusatz der Säure kann eine Contraction sein, die Annahme’ bleibt aber so lange zweifelhaft, als nicht er- wiesen ist, dass dasselbe’ nieht nur auf dem raschen Eintritt der Starre beruht.‘ Ich finde’ dieselbe indessen deshalb schon wahrscheinlich, weil'man die’ Vorticellenstiele z. B. durch Ammoniakdämpfe 'sich 'eontrahiren' und später wieder er- schlaffen sehen 'kann, ‘worauf sie noch von neuem "einige Contraetionen zeigen können. Man breitet zu dem Ende auf den Objeetträger eine dicht mit Vorticellen besetzte Lemna Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen u. s. w. 829 aus und fährt damit über einen’ Teller, auf dem’ sich etwas NH3 befindet, hin und her. Besieht man das Präparat jetzt mit dem ‘Mikroskop, so sind‘ alle Stiele stark zusammenge- zogen und allmälig erst verlassen die Thiere diese ‚Stellung wieder. ' Früher oder: später ‘bleiben sie’ dann aber doch re- gungslos liegen, um der Starre zu verfallen, was; bedeutend beschleunigt werden kann, wenn: man die Ammoniakdämpfe etwas länger einwirken lässt. Sehr bemerkenswerth' ist die ‘Wirkung eines Muskelgiftes, des Veratrin’s. Dieser‘ Körper ist in destillirtem Wasser so wenig löslich, dass er gemeinhin als unlöslich' bezeichnet wird. "Nichtsdestoweniger sterben aber die‘ Vorticellen in einem wässrigen’ Veratrinaufguss ohne Ausnahme, und zwar unter denselben Erscheinungen, 'wie ein eben so 'behandelter Frösehmuskel!. Die’ Stiele ziehen sich langsam zusammen und werden exquisit starr, ‘indem der innere Faden stärker lichtbrechend und in Folge davon viel ‘deutlicher wird. An- dere Gifte, 'wie das Strychnin, dessen wässrige Lösung eben- falls 80 unendlich wenig der Substanz enthält, dass an eine besondere endosmotische Einwirkung eben so wenig, wie bei dem Verätrin zu denken ist,’ tödten' die Vorticellen ebenfalls; aber ünter ganz anderen Erscheinungen. Die’ Thiere ver- fallen erst spät in die’Starre, verlieren‘ vielmehr ‘nur ihre Erregbärkeit und liegen ‘gerade gestreckt,‘ ‚aber mit: fort- dauertder Wimperbewegung, ruhig’ da.“ In diesem Zustande bewirken auch die stärksten Inductionsschläge keine Bewe- gung mehr. Wie das Strychnin 'hier wirke, ist nicht ganz klar, es scheint die Erregbarkeit einfach zu vernichten, ohne die Starre gleichzeitig herbeizuführen. Merkwürdiger Weise wirkt dagegen das Curare auch in ganz:concentrirter Lösung hier gar nieht. Ich habe die Vorticellen in einem braunen Brei von 'Ourare mit Wasser stundenlang in’ Bewegung blei- ben sehen, während ich mit’ dem auf dem Öbjeetträger be- findlichen Tropfen binterher‘2 grosse Frösche vergiften konnte. Wenn man annimmt, ‘dass das Curare nur auf irgend einen Theil des Nervensystems 'wirRe, so mag man sich seine Wir- kungslosigkeit daraus erklären, dass die Vorticellen keine 830 W. Kühne: Nerven‘ haben. Die Wirkung der: Gifte bei den! niederen Thieren wird aber noch manche ungeahnte Dinge aufdecken, Ich brauche 'bei dieser‘ ‚Gelegenheit nur zu erwähnen, dass die’ mit Nerven reichlich‘ beschenkten' Insecten gar nicht von Curare' affieirt- werden. Ein ‚anderes Beispiel der Art liefert uns das Upasantiar,' das: bei: den höheren Thieren eine 80 ausserordentliche Wirkung; auf die Muskeln | ausübt, ‚die'Stiel- muskeln der Vorticellen hingegen durchaus nicht beeinträch- tigt, während der Tropfen ‘der Lösung dieses Giftes, in dem die‘ Vorticellen lange: unbelästigt 'verweilten, hinreicht; um mehr als 10 Frösche dem sicheren: Tode zu überliefern, Eine vollkommene Gleichheit der Froschmuskeln mit'den Stielmuskeln: der: Vorticellen 'existirt: also’ nicht. . Vielleicht existirt‘ dieselbe aber auch.nicht einmal: zwischen, ganz nahe stehenden Speeies, ein Umstand, der durch die'sorgfältige Ausdehnung: der chemischen Reizung gewiss. zu Tage treten müsste. Einige Hauptverhältnisse reichen aber hin, um durch- greifende Beziehungen gewisser Organe erkennen zu; lassen, und: wenn ‚ich. nach, diesen experimentellen‘ Untersuchungen die ‚Stiele der Vorticellen für wahre Muskeln erklären muss, so geschieht das auf Grund der Uebereinstimmung, in der’ Reizbarkeit und‘einer ‘grossen Aehnlichkeit in der Wir- kung einzelner Gifte, ‚wie‘ z. B. des Veratrins; Eben so sehr liegt aber ferner eine‘ grosse Aehnlichkeit in der Erstarrung: Wir können freilich aus: den Vorticellenstielen. keine Muskel- flüssigkeit' auspressen; welche hinterher gerinnt, wir. können aber zeigen, dass die Vorticellenmuskeln unter denselben Umständen ‚dauernd das’ Ansehen der starren Muskeln an- nehmen: können, 'wie die der Frösche. Schon. das Ammoniak und die verdünnte Salzsäure lehrten uns dies; und wir brau- chen nicht‘ zu ‚befürchten, die Starre mit einer‘ Contraction verwechselt zu haben, da. die Lichtbrechung des starren und des contrahirten’ Stielmuskels augenscheinlich verschieden ist. Die Erstarrung setzt einen: flüssigen Zustand. voraus, und dass ‚der contractile innere Faden der Vorticellenstiele flüssig sei, müsste demnach versucht, werden zu zeigen. Ich habe dafür erstens den Grund, dass ‚mir die Möglichkeit der Con- Untersuchungen über Bewegungen’ und Veränderungen u. s. w. 831 traetion ebenfalls an einen’ flüssigen Zustand gebunden zu sein scheint und zweitens eine Beobachtung, welche ich zufällig machte. : Eine Vorticelle wär an einer Wurzel mit dem Ende des Stieles angeheftet, während die Glocke von: einer anderen aufliegenden Zemna- Wurzel in,einiger Entfernung davon ’fest- gehalten wurde, ‚so dass das Thier in. einer gezwungenen festen Lage im‘ gespannten Zustande verharren musste... In der Mitte des Stielmuskels konnte ich nun: erkennen, dass das Thier alle möglichen Anstrengungen machte, ‘um ‚sich aus dieser Lage zu; befreien. Ich sah ein beständiges Aluf- und’ Abwallen des inneren schleimigen Fadens mit den zierlichsten wellenartigen Bewegungen verknüpft, welche sich in jedem einzelrien. Theile der, Breite: ‚des Muskelecylinders ohne Betheiligung, der, röhrenförmigen Umhüllung, kundgab, Bei einer sehr klaren ‚100fachen. Vergrösserung eines Ami- ci’schen Systems gewährte die Erscheinung durchaus den An- bliek eines: in wellenartiger Bewegung, begriffenen, schmalen Inseetenmuskels, wodurch ‚die‘ Ueberzeugung- bei. ‚mir. noch mehr befestigt wurde, dass auch dieser scheinbar solide-Fa: den aus; einer Flüssigkeit ‚bestehe... Es ist sogar die Mög- lichkeit vorhanden, dass diese flüssige Masse ganz eng’ mit einer. Membran, einem wahren. Sarkolemm umgeben sei, ‚so dass die röhrenförmige äussere ‚Scheide. dadurch die Bedeu- tung einer Fascie oder einer Scheide wie, an dem M. rectus abdominis des Menschen ‚erhielte, Endlich habe ich nun noch den plötzlichen Eintritt. der Starre ‚in. den ‚Stielmuskeln' der. Vorticellen‘ mit Hülfe ‚der Wärme zu bestimmen gesucht, ‚undidabei allerdings eine über- raschende ‚Uebereinstimmung ‚mit/. der eontraetilen ‚Substanz der. ‚Frösche. gefunden. Der. Stielmuskel wird genau..bei 40°. C, todtenstarr, 'bei höheren Temperaturen vielleicht sogar noch „wärmestarr*, d, /h. noch starrer durch weitere Gerin- nungen anderer Eiweisskörper. Wasserlinsen ‚welche in, Menge mit Vorticellen. besetzt waren, wurden zuerst. mit, schwacher Vergrösserung beob- achtet, um den lebendigen Zustand der Thiere zu: constatiren, und hieraufi mit istwas Wasser. in ein Probirröhrchen 'gethan, 832 w "= Wi Kühne: +) das mit’ eingestecktem Thermometer im: Oelbade erwärmt wurde. Die Folge davon’ ist, dass’ die Thiere auch ‚schon über' 35° innerhalb’ einiger Zeit absterben und erstarren. \ Bei 38 und 39° kann man'sie ‘aber immer 10—15 Minuten lang erhalten, ohne‘ dass sie ‘sterben, vielmehr ‚scheinen‘ sie dann besonders lebhaft zu' werden. "Eine herausgezogene Wurzel zeigt dann Haufen von sich lebhaft tummelnden Individuen. Augenblicklich aber , so wievdie 'Temperatur 40° erreicht, findet 'man sie alle todt ‘und: bewegungslos, die Stiele mit ihren 'Windungen 'eng an einander und'starr, wobei die in- neren 'contractilen Fäden 'eminent deutlich erscheinen. ‚In diesem Zustande verweilen sie längere Zeit, bis endlich‘ die Lösung der Starre eintritt, indem die Muskeln wieder undeut- lich’ werden, ‘die Stiele sich 'strecken und) die Glocke abfällt. Genug die Vorticellen erstarren plötzlich bei derselben Tem- peratur, wie die Muskeln der Frösche. Nach den’diesen Abhandlungen vorangegangenen Andeu- tungen 'kann es nicht meine Absicht sein, eine 'erschöpfende Darstellung’ der Physiologie der Muskelbewegung der Infu- sorien zu geben. Die angeführte kleine Zahl von Thatsachen wird genügen, um vorläufig übersehen zulassen, dass. die experimentelle Untersuchung auch auf diesem. Gebiete neben der reinen’Beobachtung einhergehen kann. ' Nur einen Punkt möchte -ieh noch 'berühren, der mir von besonderem‘ Interesse zu sein scheint, und welcher die Fortpflanzung der Bewegung in den’ Muskeln betrifft. | ‚Ob die Vorticellen Nerven besitzen‘, ist wohl sehr zwei- felhaft:' von der Glocke bis zum Ende’ des Stiels' läuft ge- wiss’kein Nerv herab, wollte man’ dort einen annehmen, so wäre ‘dies eine reine, durch Nichts gestützte "Hypothese. Von’ welcher Stelle die Contraction ausgehe, kann'nicht zwei- feihaft‘ sein,’ da nur 'von 'der'Glocke' aus’ der"Wille des Thieres wirkt, mithin also wöhl auch von der Glocke aus der erste Anfang der’ Contraction beginnen muss. Im 'All- gemeinen geschieht das Zusammenschnellen ‘der’ Stiele so rasch, dass man nicht übersehen kann, wo der Process sei- nen Anfang nimmt, ‘der gleichmässig in allen’ Punkten zu- Untersuchungen über Bewegungen und' Veränderungen u. s.'w. 833 gleich 'einzutreten ‚scheint. Czermak hat zwar empfohlen, dem Wasser eine’ sehr verdünnte Sublimatlösung zuzusetzen, um damit die Bewegungen zu verlangsamen; ich konnte. da- mit nur erreichen, dass das Abwickeln der conträhirt'ge- wesenen Stiele bei ‚der Erschlaffung langsamer: geschah, während die Contraction selbst /nicht merklich verlangsamt wurde. Der‘'Sublimat erzeugt später eine Erstarrung,, und deshalb kann es’ kommen, dass der untere Theil’des Stiels z. B. sich ‘nicht mehr bewegt, während ‚der obere Theil; dann noch 'schwache Contractionen: darbietet, ‚welche zwar nicht an’Geschwindigkeit verloren haben, wohl aber weniger ener- gisch sind, so dass 'keine vollständige Aufrollung zu Stande kommt. j i ©» Da’ das Erschlaffen der Stiele nicht mit:der Geschwindig- keit geschieht, wie die Contraction, so kann man.allerdings häufig sehen, dass das Thier ‚bald das 'Glockenende des Stieles zuerst ausrollt, bald das haftende, ‚ja !sehr häufig bleibt es längere Zeit in einem solchen Zustande liegen, ‚so dass man vollkommen lebhafte Vorticellen findet, bei wel- chen der Stiel an der Haftstelle aufgerollt ist, von’ da'bis zur Glocke aber gestreckt, oder bei welchen der Stiel an der Glocke in einigen Windungen zusammengedreht ist, während von da bis zur Haftstelle der: Stiel’ gerade gestreckt liegt. Ich habe indessen auch: beii (der Contraction gesehen: dass nur das Haftende sich verkürzte, und umgekehrt, dass nur der der Glocke nahe Theil ‚auf eine kurze Strecke 'zusam- mengerollt' würde. In keinem: Falle konnte ich aber erken- nen, ob diese locale Contraction immer: von’ der'Glöcke nach dem anderen Ende fortging. | Sieher: ist nur, dass: der Stiel ohne Nervenvermittlung von: einem: Ende zum anderen con- trahirt werden kann, und es muss unsere besondere Auf- merksamkeit erregen, dass das Thier durch einen erschlafften Theil hindurch, einen weiter von seinem '„Motorium* (?) 'ent- fernt liegenden Abschnitt zu beherrschen vermag, eben 80 wie es auffallen muss, dass es durch einen contrabirten Theil hindurch einen entfernteren Theil, der. ebenfalls contrahirt war, erschlaffen lassen kann. Der innere Molecularvorgang 834 w. Kühne: Untersuchnngen über Bewegungen u. 8. 'w. zeigt sich hier’ so unendlich'eomplicirt, dass seine Enthüllung wohl als eine würdige Aufgabe‘ menschlichen Scharfsinns hingestellt werden (darf. Ob alle Bewegungen der Vorticellen oder überhaupt der entwickelteren Infusorien von einer wahren Muskelsubstanz abzuleiten sind, das muss als eine unerledigte Frage 'betrach- tet werden. ' Mir scheint es nicht unwahrscheinlich, dass einige Bewegungen an gewissen Körpertheilen, wie Dujar- din ’voraussetzte, von einer (der 'Sarkode ähnlichen Substanz herrühren. Die Erwärmung auf 35° 0. giebt ein Mittel an die Hand, dies zu entscheiden, dabei dem Vorkommen von Sarkode die dadurch bewirkten Bewegungen zur Ruhe’ ge- bracht werden müssen. In mehreren Versuchen schien es mir, "als ob manche Bewegungen an gewissen Theilen der Vortieellenglocke aufhörten; jedenfalls wird die Wimperbe- wegung'schon bei 35° C©. bedeutend beeinträchtigt. Ob die Bewegung aller Flimmereilien hierauf beruht, weiss ich nicht, man kann sich 'aber sehr leicht überzeugen, dass von 2 Hälf- ten’einer Froschzunge, auf welchen man vorher die Bewe- gung der Flimmerzellen eonstatirte, diejenige sehr bald gar keine Bewegung mehr zeigt, welche in Wasser von 35° €. kurze Zeit verweilte, während die im'kalten Wasser bewahrte noch sehr: lange das Phänomen darbietet: Vielleicht steht hiermit: die Beobachtung von Billroth im Zusammenhange, welcher Flimmerzellen sah, die von Zeit zu Zeit langsam alle Cilien in’ sich hineinzogen, so dass das Flimmern ge- hemmt wurde. Ein ganz ähnliches Aussehen: bieten die auf 35° erwärmten Präparate dar. don Die Bewegungen der Sarkode und die Flimmerbewegung!) nebst der: der: Samenfäden ‘sind nach‘ Allem‘ Angeführten 1) Virehow’s Entdeckung. über die Wiederbelebung der Flim- werzellen mittelst Alkalien ‚scheint zwar auf eine Reizbarkeit im Sinne der Muskelirritabilität zu denten., Die Differenz ist aber in anderer Beziehung sehr bedeutend, da die energischsten Muskelreize, die sehr verdünnten Säuren, sowie das Ammoniak, wie ich mich mehrfach überzeugte, keine ie oder Beschleunigung der Flimmerbewegung hervorrufen. Otto Funke: Ueber die Reaetion der Nervensubstanz. 835 durchaus von. ‚den wahren Muskelbewegungen zu trennen. Die’ letztere 'muss dagegen als ein Attribut aller thierischen Wesen, vom Menschen bis auf die Infusorien hinab, betrach- tet werden. Paris, den 10. August 1859. Ueber die Reaction der Nervensubstanz. Von Orro FÜNkE,') vr "Die mannichfachen fruchtreichen Untersuchungen, welche in’ neuerer und neuester Zeit zur Lösung des wichtigsten thierisch -physiologischen ‘Problems, der ‚Frage nach dem Wesen der Nerven- und -Muskelthätigkeit, ‘oder: wenigstens zur Beschaffung einer exacten Unterlage für eine künftige Lösung desselben angestellt worden sind, ‚haben eine über- raschende vielseitige Analogie in dem physikalischen, che- mischen und physiologischen Verhalten‘des Muskels und des Nerven econstatirt. ‘Ich erinnere an’ die vollständige Ueber- einstimmung des elektromotorischen Verhaltens beider Ge- bilde in der Ruhe und in der 'Phätigkeit, an die gleiche in- nige Beziehung der .elektromotorischen Kraftentwicklung zur Leistungsfähigkeit bei beiden. | Ich erinnere ferner an das im Wesentliehen übereinstimmende Verhalten beider gegen: die als Reize bezeichneten Agentien, welches’ freilich: nur‘ dann als Beweis für die in Rede stehende Analogie in Betracht kommt, ‘wenn, ‘wie es jetzt ernstlich den: Anschein: gewinnt, nach langem für und wider geführten Kampfe die Existenz einer selbständigen Muskelirritabilität zweifellos erwiesen 1) Von Hrn, Prof. Funke aus den Berichten der Kön. Sächs, Ge- sellschaft der Wissenschaften (Mathematisch-physische Classe. Sitzung sm 13, August 1859. S. 161 fl.) zum Abdruck witgetheilt, 836 Otto Funke: wird. Ich’ erinnere 'endlich an die mannichfache chemische Uebereinstimmung: beider, welche sich theils in der fast: voll- ständigen Identität: der Producte:'ihres lebendigen: Stoffwech- sels, soweit diese durch Untersuchungen des Parenebymsaftes von Nerven und Muskeln festgestellt ‘sind, ausspricht,.theils durch die bei beiden nachgewiesene Coincidenz des Verlustes der Leistungsfähigkeit mit der spontanen Gerinnung eines eiweissartigen Bestandtheils bestätigt wird, u. s. w. Eben diese chemische Analogie ist es, für welche die von mir be- obachteten Thatsachen einen neuen Beleg liefern, indem sie für die Nerven ein gleiches Verhalten darthun, wie es durch die interessanten Untersuchungen du Bois-Reymond’s vor Kurzem in Betreff der Bildung von reis Säure für den Mus- kel dargethan worden ist. Bisher hatte man, gestützt auf-Liebig’s epochemachende Arbeit über die Constitution: des Muskelparenchymsaftes, all- gemein’ angenommen, die 'Milchsäure. sei ein. constanter. Be- standtheil des’ lebendigen 'Muskels, ein stetiges ‚Erzeugniss seines Ernährungsstoffwechsels; zahlreiche, weitgreifende Fol- gerungen in Betreff des Muskelchemismus, elektrochemische Hypothesen sind ‘auf diese’ vermeintlich unzweifelhafte, That- sache gegründet ‚worden.‘ Es musste daher'nothwendig in hohem Grade'überraschen, als du: Bois!) mit’untadelhafter Schärfe den Beweis führte, ‚dass der normale Muskel; so. lange er lebt, d. h.'so«langel'er leistungsfähig ist, "neutral oderigar schwach 'alkalisch reagirt, dass 'er'im Leben nur nach vor- (ausgegangenen erschöpfenden Ueberanstrengungen eine; saure Reaction annimmt, dass (dagegen die nach Liebigs’ Methode aus dem’ todten Fleische 'darstellbare freie Säure ein Produet der ‘beginnenden Fäulniss des Muskels ist; indem der neutrale oder alkalische Muskel, sobald die das Ende. seines Lebens bezeichnende Todtenstarre sich wieder zu lösen beginnt, (d.h. 1) E. du Bois-Reymond, de Fibrae muscularis Reactione, ut Chemiecis visa est, aecida, Commentatio. Berolini 1859,40. und: Ueber die angeblich saure Reaction des Muskelfleisches. RSELANERG 'd.' Berl, Akad., März 1859, S, 288, Ueber die Reaction der Nervensubstanz. 837 sobald das erste Stadium der fauligen Zersetzung eintritt, saure Reaction annimmt. Die Ergebnisse der neueren sorgfältigen Studien über die chemische Constitution der Nervensubstanz, insbesondere der von v. Bibra und: W. Müller ‘gelieferte Nachweis, dass unter den Extractivstoffen derselben ausser Kreatin, ‚Inosit, Hypoxanthin (Sarkin) auch Milchsäure in’ erheblichen Mengen auftritt, die Beobachtung von M. Schultze, dass das elek- trische Organ des Zitterrochens im frischen Zustande con- stant'saure Reaction zeigt, mussten den Gedanken nahe legen, dass die Nervensubstanz in Bezug’ auf ihre Säuerung und die Bedingungen der Bildung freier Säure vielleicht vollkommen mit der Muskelsubstanz übereinstimme. Ich unternahm zur Bestätigung oder Widerlegung dieser Vermuthung eine Reihe von‘ Parallelversuchen zu denen du Bois’ und fand ‚durch dieselben: meine Erwartung bestätigt: (die Nervensubstanz zeigt sowohl in den grösseren peripherischen Nervenstäimmen als in den Centralorganen , Rückenmark und Gehirn, wäh- rend des Lebens im Zustand der Ruhevneutrale Reaction, wird dagegen wie der Muskel einestheils durch erschöpfende Thätigkeit, anderntheils in Folge der nach dem Tode eintretenden Zersetzungen sauer.‘ "Die Beweise für diesen Satz liefern folgende Versuchsre- sultate. Um die Reaction der ruhenden Nervensubstanz zu prüfen, kam es darauf an, eine Tödtungsart für: die Ver- suchsthiere zu wählen, welche: keine Nervenanstrengungen als Vorläufer des Todes mit'sich bringt. Begreiflicherweise musste: daher eben s0 wohl ‘von der Decapitation, als der Verblutung, welche unter fallsuchtartigen 'Zuckungen zum Tode führt, als von ‘der Application solcher Gifte, welche tetanische Krämpfe herbeiführen, abgesehen werden, Da auch der tödtlichen Opiumnarkose nicht selten heftige Krämpfe vorhergehen, da ferner bei Chloroformtod an die, wenn auch fern liegende Möglichkeit zu denken war, dass die notorisch aus dem Ohloroform im Blut sich bildende Ameisensäure eine saure Reaction des Nervenparenchyms bedingen könnte, wählte ich endlich das amerikanische Pfeilgift, obwohl diese Reichert» u, du Bols-Beymond's Archiv. 1859. 54 838 Otto Funke: Wahl durchaus nicht so unbedenklich ist, wie in dem Falle, wo es sich um Tödtung ohne Muskelanstrengung handelt. Mit Urari vergiftete Thiere sterben allerdings ohne Krämpfe, allein diese Ruhe kann: sehr wohl;ausschliesslich Folge der verloren gegangenen Herrschaft der ‚Nerven über die Mus- keln: bei vollständiger Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Nerven in den Stämmen und Centralorganen sein, wie ich durch meine eigenen Versuche (s. diese Ber. 1859.8. 1) wahrscheinlich gemacht zu haben glaube. Es ist daher denk- bar, dass nach Urarivergiftung jeder mögliche Grad von An- strengung der Nerven eintritt und nur wegen des unterbro- chenen Nerv-Muskelverhältnisses nicht mehr zur Erscheinung kommen kann. Indessen ist dies nur eine Möglichkeit, keine Wahrscheinlichkeit; vermeidet man jede Irritation der ver- gifteten Thiere, so liegt kein Grund zu der Vermuthung vor, dass ohne äussere Anregung spontaner Tetanus der Nerven entstehen könnte. Ich vergiftete also Frösche und Kaninchen mit grossen Dosen Urari, und begann die Untersuchung bei letzteren, wenn. der Stillstand der Respiration und des Herzschlages sicher den Eintritt des allgemeinen Todes bezeugte, bei Frö- schen, wo solche Todesmerkmale fehlen, kurze Zeit nach dem vollständigen Erlöschen‘ der Reflexe. Freilich musste ich bei Fröschen, an denen mir der Multiplicator noch 24 Stunden nach der Vergiftung Zeichen ‘der erhaltenen Lei- stungsfähigkeit der Nerven geliefert hatte, immer gewärtig sein,. durch die folgenden Operationen ‚eine Erregung der sensibeln und motorischen Nerven unvermeidlich herbeizu- führen. Zu den bezeichneten Zeitpunkten brach ich möglichst schnell den Rückgratscanal auf und nahm das Rückenmark heraus, nachdem ich bei Kaninchen vorher durch Eröffnung der Jugularvenen und Schenkelvenen für eine möglichst voll- ständige Entleerung des Blutes gesorgt hatte. Das heraus- genommene Rückenmark wurde von seinen Häuten frei präparirt, mit Wasser von anhängendem Blut befreit, vor- sichtig auf Fliesspapier getrocknet und nun mit einer ‚sorg- fältig gereinigten Scheere ein Querschnitt angelegt. Die Ueber die Reaction der Nervensubstanz. 839 Prüfung der Reaction desselben nahm ich in der von du Bois befolgten Weise vor, indem ich ihn gegen Lackmuspapier und zwar, wo es sich um zweifelhafte Reaction handelte, gegen die Berührungsgränze eines rothen und blauen Lack- muspapierstreifens andrückte; da Rückenmark und Nerven weit ärmer an Parenchymsaft als Muskeln sind, muss man die Berührung so lange unterhalten, bis die Flüssigkeit Zeit , gehabt hat, sich in das Papier zu imbibiren und die Reac- tion auch auf der Unterfläche zum Vorschein kommt, wo sie reiner erscheint, nicht gestört durch anhaftende Partikelchen von Nervenmark. In allen untersuchten Fällen fand ich die Reaction des frischen Rückenmarks nach Urarivergiftung an jedem beliebigen Querschnitt neutral, den Reactionsfleck in der Regel von jener violetten Färbung, von deren Deutung für eine neutrale Reaction du Bois ausführlich gehandelt hat. Nur einmal fand ich hei einem sehr scheuen, vor der Vergiftung daher stark agitirten Kaninchen eine Reaction, bei welcher ich zweifelhaft war, ob sie nicht bereits für eine schwach saure anzusprechen sei. Der Reactionsfleck er- schien in allen Fällen ziemlich gleichförmig gefärbt; ich habe keine deutlichen und constanten Färbungsunterschiede des eentralen, der Berühringsfläche der grauen Substanz ent- „sprechenden Theils gegen den peripherischen wahrnehmen können; graue und weisse Substanz zu prüfen ist wenigstens beim Rückenmark eine missliche Aufgabe. Bewahrt man nun das ausgeschnittene Rückenmark vor Verdunstung ge- schützt auf, und prüft von Zeit zu Zeit auf's Neue die Reac- tion, 80 sieht man in derselben Weise wie bei den Muskeln eine Säuerung eintreten, die Säuerung eine Zeit lang zu- nehmen und dann mit eintretendem Fäulnissgeruch in alka- lische Reaction übergehen. Genaue Zeitangaben über die Eintrittszeit und die Dauer der Säuerung kann ich nicht mit- theilen. Bei Kaninchen fand ich 18—20 Stunden nach der Vergiftung stets deutlich. saure Reaction, meist schon ziem- lich intensiv ausgeprägt, am zweiten Tage war dieselbe in der Regel ebenfalls noch vorhanden, am dritten aber immer Fäulnies und alkalische Reaction vorhanden, das Rücken- 54* 840 Otto Funke: mark im Zerfliessen zu einem stinkenden Brei begriffen. An sehr heissen Tagen war schon am zweiten Tage der Ueber- gang bemerkbar. _Als ich bei einem Frosche das Rücken- mark 22 Stunden nach der Vergiftung erst herausschnitt, fand ich die Reaction desselben und ebenso die der Muskeln noch vollständig neutral, während die Reaction des unmitel- bar nach der Vergiftung herausgeschnittenen und ausserhalb des Körpers aufbewahrten Rückenmarks um diese ‚Zeit auch bei Fröschen stets sauer gefunden wurde. Dieser, Befund ist nicht ohne Interesse, und war besonders bei der von mir vertretenen Ansicht, dass das Urari auf die Stämme der Nerven nicht direct Jähmend wirkt, vorher zu sagen. So gut bei Fröschen die Nerven, wenn sie unversehrt innerhalb, des Körpers bleiben, noch 24 Stunden nach Urarivergiftung am Multiplicator ‘einen Nervenstrom von unveränderter Stärke und auf Reizung eine negative Schwankung von eher gestei- gerter als herabgesetzter Grösse zeigen, eben so gut, werden sie so lange Zeit die dem leistungsfähigen Nerv zukommende neutrale Reaction beibehalten, Ich habe denselben Versuch mit gleichem Erfolg wiederholt. Misslicher als vom Rückenmark ist von den noch trock- neren Nervenstämmen eine deutliche Reaction zu erhal- ten; indessen gelingt es doch, wenn man den Nery oberhalb des angelegten Querschnittes mit der Pincette zusammen- drückt und den so hervorgepressten ‚Querschnittwulst hinrei- chend lange gegen das Lackmuspapier drückt. Ich habe auf diese Weise von frisch nach der Urarivergiftung herausge- schnittenen Ischiadicusstämmen niemals eine saure Reaction, sondern stets einen schwach violetten Fleck, den ich mit du Bois als Zeichen einer neutralen Reaction anspreche, er- halten. Dagegen habe ich am anderen Tage an dem im feuchten Raume aufbewahrten Nerven wiederholt eine un- verkennbare saure Reaction wahrgenommen. Nach diesen Thatsachen stehe ich nicht an, für die Nerven den gleichen Satz, wie für die Muskeln auszusprechen, dass sieim Leben, sobald keine anstrengende Thätigkeit vorausgegangen, neu- tral reagiren, nach dem Tode aber in Folge einer chemischen Ueber die Reaction der Nervensubstanz. 841 Zersetzung sauer werden. Höchst wahrscheinlich beginnt auch bei ihnen der Säuerungsprocess mit dem Verluste der Leistungsfähigkeit, welcher sich freilich nicht durch ein so leieht eontrolirbares Merkmal, wie bei den Muskeln durch die Todtenstarre und das Aufhören der Contractionen beur- kundet. Es war von Interesse, zu untersuchen, ob höhere Tem- peraturen denselben auffallenden Einfluss auf den Säue- rungsprocess der Nerven ausüben, wie ihn du Bois für die Muskeln ermittelt hat, ob also auch die Nerven bei einer Temperatur von 45—50° C. schnell sauer werden, auf Ein- wirkung von Siedehitze aber für immer neutral bleiben oder gar alkalisch werden. Ich habe mit dem Rückenmark von Kaninchen du Bois’ Versuche wiederholt, dabei aber inso- fern etwas abweichende Ergebnisse erhalten, als ich zwar eine deutliche Säuerung des neutralen Marks durch 5—10 Mi- nuten lange Einwirkung höherer Temperaturen (Eintauchen in erwärmtes Wasser) beobachtete, aber dieselbe, ja sogar eine etwas intensivere Säuerung durch Siedehitze wie durch Temperaturen von 45—-50° eintreten gah: besonders war am anderen Tage nach diesem Versuch eine intensivere saure Reaction des der Siedehitze ausgesetzten Rückenmarkstücks unzweifelhaft. Ueber diesen Unterschied zwischen Nerven und Muskeln lässt sich nur vermuthungsweise etwas aussagen. du Bois selbst findet den gesottenen Muskel alkalischer als den rohen frischen Muskel, glaubt aber auf directe Versuche hin nicht annehmen zu dürfen, dass die stärkere Alkalescenz durch Freiwerden von Alkali bei der Coagulation eines Al- baminats durch die Siedehitze bedingt sei. du Bois’ Ver- suche sind dieser Annahme allerdings nicht günstig; allein trotzdem ‚möchte ich doch noch an die Erklärung glauben, da dieselbe so nahe gelegt wird durch die bei zoochemischen Arbeiten täglich zu constatirende Thatsache, dass an Natron- albuminat reiche Flüssigkeiten nach dem Coaguliren stärker alkalisch reagiren als vorher, oder wieder alkalisch werden, wenn man sie vorher genau neutralisirt hat, wie ich dies besonders auflallend und oft bei hydropischen Transsudaten 842 Otto Funke: beobachtet habe. Da es nun aber auf der anderen ‚Seite eben so sicher Albuminate giebt, deren neutrale Lösungen beider Coagulation sauer werden, wie dies Lehmann für die Lösungen des Hämatokrystallins erwiesen hat, wie dies wahrscheinlich‘ auch. beim Coaguliren frischer Blutzellenin- haltlösung eintritt, so ist an die Möglichkeit zu denken, dass unter den noch sehr ungenau gekannten Proteinkörpern der Nervensubstanz. ‚einer ist, ‚welcher dieselbe Eigenschaft hat und.so die saure Reaction des gekochten Rückenmarks be- dingt. » Doch ist dies, wie gesagt, nur eine Vermuthung; im Allgemeinen dürfte vorläufig. der in Rede stehende Unter- schied zwischen Nerven und Muskeln ohne grossen Be- lang sein. Ich gehe zu denjenigen Versuchen über, welche bestimmt waren zu beweisen, dass auch die Nerven bei intensiver lebendiger Thätigkeit freie Säure bilden, wie die Muskeln. Um Rückenmark und Nerven vor der Reactions- prüfung einer möglichst heftigen erschöpfenden Anstrengung auszusetzen, vergiftete ich Frösche und Kaninchen mit star- ken Gaben Strychnin,, und liess die Thiere nach eingetretener Intoxieation theils durch die spontanen Tetanusanfälle sich erschöpfen, theils unterhielt ich dieselben auf refleetorischem Wege, indem ich wiederholt in kurzen Intervallen das Rücken- mark von der Rückenhaut aus mit starken Inductionsströmen bis zur Erschöpfung tetanisirte. Nachdem so bei Kaninchen während der Anfälle der Tod erfolgt war, oder nachdem ich die vollkommen erschöpften Frösche decapitirt‘ hatte, nahm ich wie vorher schnell’ das Rückenmark heraus und prüfte die Reaction frischer Querschnitte. ' Ich fand dieselben con- stant deutlich, meist stark sauer. Beiläufig bemerkt, konnte diese saure Reaction nicht etwa‘ von einer von aussen in das Mark imbibirten Flüssigkeit herrühren (eine Voraus- setzung, welche wohl überhaupt kaum statthaft ist), da die Spinalflüssigkeit stets stark alkalisch reagirte, besonders bei Fröschen. In gleicher Weise fand ich den Querschnitt des Ischiadieusstammes bei Fröschen und Kaninchen un- zweifelhaft sauer. Hier könnte nun eher an eine Imbibition Ueber die Reaction der Nervensubstanz. 843 post mortem gedacht werden, da die Ischiadiei rings in sauer gewordene Muskeln eingebettet liegen, und es schien: für diese Annahme wirklich der Umstand zu sprechen, dass ich bei Kaninchen auch die äussere Oberfläche des Nerven sauer fand, und Lackmuspapier, welches ich nach Herausschnei- dung des Nerven mit dem Zellgewebe des Interstitiums, wo er gelegen, in Berührung brachte, sich deutlich roth färbte. Da aber die Oberflächen der Muskeln an andern Stellen, wo keine Nervenstämme gelegen, nicht deutlich sauer reagirten, möchte ich viel eher glauben, dass die im Nervenstamm durch den anhaltenden Tetanus gebildete Säure durch die Scheiden hindurch in das umgebende Zellgewebe sich imbibirt habe, als umgekehrt. Jedenfalls sprechen die Beobachtuhgen am Rückenmark für eine genuine Säuerung des Nerven. Ein sehr instruetiver Versuch ist folgender. Ich band einen kräftigen grossen Frosch auf den du Bois’schen Froschträger, durchschnitt auf der linken Seite desselben dicht an der Mittellinie sämmtliche Wurzeln des linken Ischia- dieus, brachte dann Strychnin unter die Rückenhaut, und tetanjsirte nun wie vorher nach eingetretener Intoxication bis zur Erschöpfung: der linke Ischiadieus konnte an dem Te- tanus natürlich keinen Theil nehmen. Nach Beendigung der Reizung fand ich wie vorher das Rückenmark und ebenso den rechten Ischiadieus stark sauer reagirend, den lin- ken dagegen neutral. Ich glaube somit, dass kein Zweifel übrig bleibt, dass die Nerven auch in dieser Beziehung den Muskeln sich analog verhalten, bei anstrengender Thä- tigkeit saure Reaction annehmen. Die stark saure Reaction, welche M. Schultze constant in den elektrischen Organen frisch getödteter Zitterrochen fand, mag wohl ihre Entstehung ebenfalls einer dem Tode vorhergehenden er- schöpfenden Anstrengung dieses Nervenapparates durch Ent- ladungen verdanken. Ueber die Natur der freien Säure, welche im Nerven nach dem Tode und nach Ueberanstrengung auftritt, ‚habe ich keine direeten Versuche angestellt; da indessen, wie er- wähnt, Milchsäure im Nervensaft sicher nachgewiesen ist, da 844 Otto Funke: die rothen Reactionsflecke auf dem’Laekmuspapier nicht ver- gänglich waren, ist im höchsten Grade wahrscheinlich, ‘dass die unter den genannten Verhältnissen auftretende Säure der Nervensubstanz Milchsäure ist, eben so wahrscheinlich als beiden’ Muskeln. Eben so wenig habe ich direete That- sachen oder plausible Vermuthungen über die Quellen der fraglichen Milchsäure und ‘den chemischen Hergang ihrer Entstehung. ‘Es lässt sich erwarten, dass auch hierin Ana- logie zwischen Muskel und Nerv herrscht; wenn aber du Bois die Säuerung des Muskels mit. Recht den Gährungs- vorgängen als nahe: verwandt anreiht, so ist: damit leider so gut wie nichts erklärt. Eine! Frage von grossem Interesse ist noch die: ist die Säurebildung nach dem Tode und im Leben durch Ueberan- strengung derselbe Process? Eine bestimmte Antwort ist nieht möglich, es liegt aber auch kein Grund vor, an der Identität beider Vorgänge zu zweifeln, ohne dass: man nöthig hat, die Säurebildung im Leben als Product eines durch die übermässige Thätigkeit bedingten partiellen Todes der Ner- vensubstanz zu betrachten, eine Vermuthung, welche du Bois für den Muskel eben so scharf widerlegt hat, als die entge- gengesetzte Vermuthung,: dass die mit Säurebildung ver- knüpfte Todtenstarre des Muskels als letzte lebendige Con- traction aufzufassen sei. Es ist sehr wohl denkbar, dass die im Leben durch die Thätigkeit bedingte Zersetzung der Mus- kel- und Nervenelemente, ‚mit der fauligen Zersetzung nach dem’ Tode in ihren Producten trotz der Verschiedenheit der Ursachen übereinstimmt. Es knüpft sich hieran noch eine weitere Betrachtung. Es ist sehr. wahrscheinlich, dass: im Leben nicht bloss bei übermässigen Anstrengungen Säure gebildet wird; sondern bei jeder Thätigkeit, dass nur (die bei mässiger Arbeit gebildete geringe, Säuremenge aus irgend welchem Grunde nicht zur Wahrnehmung kommt. Es liegt nun sehr nahe, die. Nichtwahrnehmbarkeit geringer Säure- mengen im Leben von einer Sättigung derselben durch das aus dem Blut stammende Alkali des; Parenchymsaftes her- zuleiten. Es scheint mir aber auch noch an’ eine andere Ueber die Reaction der Nervensnbstanz. 845 Möglichkeit gedacht werden zu müssen; welche zugleich eine Erklärung für den auffallenden Umstand böte, dass der Be- ginn der spontanen Säuerung nach dem Tode mit der Tod- tenstarre des Muskels zusammenfällt, und welche ferner die Säuerung durch die Thätigkeit und nach dem Tode zusam- menbrächte. Die nächste Erklärung jener Coineidenz von Todtenstarre und Säuerung kann doch nur darin gesucht werden, dass mit dem Eintritt der Todtenstarre ein Moment in’ Wegfall kommt, welches vorher entweder. die Bildung oder die Anhäufung der gebildeten freien Säure hindert. Nun wissen wir, dass die Todtenstarre das Ende der elektromo- torischen Wirksamkeit des Muskels bezeichnet, es ist daher wohl möglich, dass sowohl im Leben 'als nach dem Tode eine stetige Umsetzung gewisser Muskel- und Nervenelemente in Milchsäure stattfindet, dass aber die gebildete Säure durch die im Muskel und Nerven ‘selbst erzeugten elektrischen Ströme elektrolytisch zerstört wird. Da würde sich die Säuerung nach dem Tode einfach aus dem Erlöschen der elektromotorischen Wirksamkeit erklären, die Säuerung durch die starke Anstrengung aber vielleicht aus der im Thätig- keitszustand erwiesenermaassen "eintretenden Herabsetzung der elektromotorischen Wirksamkeit. Es kam darauf an, diese hypothetische Anschauung experimentell zu prüfen; ich habe in diesem Sinn einige Versuche angestellt, kann aber noch nicht sagen, dass ich bis jetzt durch dieselben zu einem entscheidenden Resultat gelangt bin. ‘Ich glaube mich zwar überzeugt zu haben, dass durch starke constante Ströme Milchsäure frei und in Verbindung mit Alkali leicht elektro- Iytisch zerstört wird; aber darin. liegt kein entscheidender Beweis, wenn auch der Einwand, dass die Muskel- und Ner- venströme zu schwach für solche Wirkungen seien, nicht von Belang ist, da wir Grund haben, diesen Strömen in unmit- telbarer Umgebung der elektromotorischen Molekeln eine ganz ausserordentliche Dichtigkeit zu vindieiren. Ein directer Versuch, von dem ich Aufschluss hoffte, war folgender. Ich schnitt die beiden Gastroknemii und beide Ischiadici eines durch Urari vrrgifteten Frosches zu einer Zeit, wo erstere 846 E. du Bois-Reymond: anfıngen in den Zustand der Starre überzugehen, aus, über- zeugte mich, dass alle vier noch neutral reagirten, brachte sie dann unter eine kleine Glasglocke so, dass je ein Ga- stroknemius und ein Ischiadicus auf den Elektroden eines galvanischen Elementes lagen, die anderen aber, vollkommen isolirt waren, und liess nun durch erstere 14—20: Stunden lang einen constanten Strom gehen. Wird die im Muskel und Nerv gebildete Milchsäure elektrolytisch zerstört, so war zu erwarten, dass nachdem in allen vier Gebilden mit dem Erlöschen der eignen Stromentwicklung das die Säuerung vereitelnde Agens weggefallen war, eben diese Säuerung in .dem nicht vom constanten Strom durchlaufenen Muskel und Nerv sich zeigen musste, während sie in dem anderen Mus- kel und Nerv, in denen der künstliche Strom die elektroly- sirende Wirkung des erloschenen eigenen fortsetzte, ausblieb. In der That habe ich nun einige Male Unterschiede zu Gun- sten dieser Voraussetzung gefunden, aber so geringe, ‚dass ich kein entscheidendes Gewicht darauf zu legen wage, um so mehr, als ich in anderen Fällen keinen Unterschied wahr- nehmen konnte. Ich behalte mir vor, wenn fortgesetzte Ver- suche günstigere Ergebnisse liefern sollten, auf diesen Punkt zurückzukommen. 4 Bemerkungen über die Reaction der elektrischen Organe und der Muskeln. Von E. pu Boıs-REeymonp. 1 Die ausgezeichnete Schrift von Hrn. Max Schultze über den Bau der elektrischen Organe enthält folgende An- gaben: „Die electrischen Organe lebender Zitterrochen reagiren deutlich sauer. Trocknes blaues Lackmuspapier auf eine frische Schnittfläche der Organe gedrückt, färbt sich ausnahmslos roth. Die Farbenverän- derung tritt auch beim Auflegen ausgeschnittener Stückchen ein und Bemerkungen über die Reaction der elektrischen Organe u. 8. w. 847 zeigt sich ebenfalls bei Organen ‚bereits abgestorbener Fische, denen durch ‚Reizung des eleetrischen.. Lappens des, Hirns, kein electrischer Schlag mehr entlockt werden kann. ' Drückt man Stücke des sehr saf- tigen Organes zwischen den Fingern oder in einem Leinwandsäckehen aus, so giebt die abtropfende Flüssigkeit dieselbe Reaction. Diese Flüssigkeit in einem Uhrglase gesammelt, gerinnt wenigstens innerhalb der ersten Stunde nicht. Auch zeigten die electrischen Organe un- verletzter Fische zu einer Zeit, wo die Muskeln in Todtenstarre lagen, so viel ich beobachten konnte, keine Veränderung im Vergleich mit den Organen lebender Tbiere.. Wäscht man kleingeschnittene frische electrische Organe mit destillirttem Wasser aus, so erhält man eine fast farblose, von wenig beigemischtem Blute kaum röthlich gefärbte, trübe, stark schäumende, dickliche, doch nicht fadenziehende Flüssig- keit von deutlich saurer Reaction.“ 1) Ich selbst habe einige Beobachtungen über die Reaction des Organes vom Malapterurus gemacht. Schon bei Gelegenheit des Todes des grössten der drei Fische der ersten Sendung, deren Geschichte ich in der öffentlichen Sitzung der Akademie am 28. Januar 1858 erzählte,?) unterliess ich nicht, die Reaction des Organes zu prüfen. Doch geschah dies erst, als seit dem Tode des Fisches mindestens 30 Stunden verflossen waren. Der Fisch hatte zwar diese Zeit in einer Temperatur von nur wenigen Graden über Null zugebracht, und das Organ zeigte noch lange nachher secundär-elektromotorische Er- scheinungen, die auf die Erhaltung des Lebenszustandes in gewissem Grade deuten.) Ich zog es jedoch damals vor, as Ergebniss, zu dem ich gelangte, neutrale Reaction des Organes nämlich nach Art der Muskeln, mit Stillschweigen zu übergehen. Am 3. Mai d. J. ward abermals ein Malapterurus. Beni- nensis, von einer zweiten, im Juliund August 1858 durch die Güte der Hrn. Bence Jones und Goodsir an mich gelangten Sendung stammend, in meinem Aquarium todt ge- unden.. Das Organ schlug weder mehr bei Berührung der Haut durch Reflex, noch bei elektrischer Reizung seines Ner- ven; doch war es noch vollkommen frisch. Jede Schnitt- Näche des Organes reagirte neutral in der Art, wie frischer Muskelquerschnitt, So war auch das Verhalten noch nach 24 Stunden. Am dritten Tage dagegen war das Organ deut- lich sauer geworden. Die Yethn Fleckt verschwanden nicht beim Trocknen. Am vierten Tage war das Organ in offener Fäulniss, und reagirte alkalisch. Die Temperatur schwankte um 15° C. 1) Zur Kenntniss der electrischen Organe der Fische. Besonders abgedruckt aus dem 4. und 5. Bande der Abhandlungen der Naturfor- schenden Gesellschaft in Halle, Zweite Abtkeilung. Torpedo. Halle 1859. 40. S. 27. 2) Monatsberichte der K. Preuss, Akademie der Wissenschaften. 1858. S. 89, 3) Ebendaselbst S. 106. 848 E!du Bois-Reymond: An dem frischen Organ am ersten Tage prüfte ich die Wirkung höherer Temperaturgrade auf die Reaction.‘ Es zeigte sich, dass ein Aufenthalt von 5’ in Wasser von 40 bis 50° €., der beiläufig die Consistenz des Organes ganz unver- ändert zu lassen scheint, die Reaction aus der neutralen in die saure verwandelt. Es gehörte aber zum Hervortreten der letzteren eine viel längere Berührung mit dem blauen oder violetten Lackmuspapier, als beiFroschmuskeln, die auf 40° C. erwärmt worden sind. Ein anderer Unterschied von den Froschmuskeln bestand darin, dass die Organstücke, obschon sie dünne, rasch von der Hitze zu durchdringende Streifen darstellten,!) auch durch 2’ langen Aufenthalt in der Sied- hitze, welche gleichfalls nicht seiner Wärmestarre des Organes Aehnliches herbeiführt, sauer wurden. In dieser Hinsicht stimmt also das elektrische Organ mit der Nervensubstanz überein, welche gleichfalls, wie Hr. Funke gezeigt hat,?) durch die Siedhitze sauer wird. Während aber Hr. Funke die Nervensubstanz durch die Siedhitze noch saurer werden lässt, als durch die Temperatur von 40—50°, glaube ich er- kannt zu haben, dass in dem Fall des gesottenen Organes die saure Reaction eine minder ausgesprochene ist, als in dem Fall des nur bis 40 oder 50° erhitzten: worin man eine An- deutung des von mir bei den Muskeln beobachteten Verhaltens sehen könnte. Da das Organ des Malapterurus in diesem Falle sowohl mit der Zeit von selbst als auch sofort durch die Hitze sauer wurde, so kann man, wie mir scheint, nicht sagen, dass dasselbe vielleicht zu schlecht genährt gewesen sei, um die nach Hrn. Schultze’s Angabe dem elektrischen Or- gan eigentlich zukommende saure Reaction zu zeigen. Eben so wenig ist daran zu denken, dass diese Reaction bereits durch ammoniakalische Fäulniss verdeckt gewesen sei, denn es war erstens viel zu früh nach dem Tode, es fehlte zwei- tens an allen Zeichen der Fäulniss, und es würde drittens dabei unverständlich bleiben, wie das Organ sich selbst über- lassen oder höheren Temperaturgraden ausgesetzt sauer wurde. Da es nun höchst unwahrscheinlich ist, dass das elektrische Organ von Malapterurus im frischen Zustande neutral, das von Torpedo aber sauer reagire, so ist wohl die beste Annahme die bereits von Hrn. en dass das elektrische Or- gan, ähnlich dem Muskel nach meiner, und dem Nerven nach Hrn. Funke’s Beobachtung, sich bei dauernder heftiger Lei- stung säuere. In der That kann man sich leicht denken, dass die Zitterrochen von dem Augenblick des Fanges an, bis sie in die Hände des Experimentators gelangen, einer Menge 1) Monatsberichte a. a. O. S. 307. 2) S. oben S. 841. 1) S, oben $. 848, Bsmerkungen über die Reaction der elektrischen Organe u. s. w, 849 von Kränkungen ausgesetzt sind, ‘welche sie nicht verfehlen jederzeit mit Schlägen zu beantworten, so dass sie sich gleichsam von selbst in den Fall meiner bis zur Erschöpfung tetanisirten Hunde, Kaninchen oder Frösche versetzen. 2. In Bezug auf die Säuerung der Muskeln durch die Zu- sammenziehung schreibt mir Hr. Professor Schwann aus Löwen vom 21. August d. J.: „Ich danke Ihnen sehr für die freundliche Uebersendung Ihrer neuesten Abbandluug über die Reaction der Muskeln, und beeile mich, Ihnen ein darauf bezügliches Factum mitzutheilen, welches Sie gewiss interessiren wird. Die Entwickelung der Säure ist offenbar die Ur- sache, weshalb frisch geschlachtetes Fleisch weniger mürbe ist, als solches, das ein paar Tage gelegen hat. Hören Sie was mir vorge- kommen ist. Ich war bei einem Freunde auf einem benachbarten Landgute. Es wurden viele Gäste zu der Eröffnung der Jagd und dem dabei stattfindenden Essen eingeladen. Da aber der Tag der Jagderöffnung zu spät war bekannt gemacht worden, so konnten die Antworten der Eingeladenen nicht zeitig genug einlaufen, um darnach das Essen einzurichten. Es hiess also: Nöthigenfalls ist der Hühner- hof reichlich genug versehen, um auszuhelfen. Ich machte die Bemer- kung, dass frisch geschlachtete Thiere nicht sofort gebraten werden könnten, weil sie nicht mürbe sind; worauf mein Freund Folgendes antwortete: „Es giebt allerdings ein Mittel, diesem Uebelstande abzu- „helfen und das Fleisch mürbe zu machen, aber es ist zu grausam, „als dass ich esanwenden möchte. Es besteht darin: Man giesst dem „lebenden Huhn mit Gewalt einen Löffel Essig in, den Mund, bringt „es dann in ein verschlossenes Zimmer, worin nichts Zerbrechliches ist, „namentlich keine Glasscheiben, und jagt es darin herum bis zur gänz- „lichen Ermüdung des Thiers. Wenn man alsdann das Thier sogleich „schlachtet, so ist das Fleisch sehr mürbe.“ Sie sehen also, dass die Köchinnen Ihrer Entdeckung zuvorgekommen sind und wissen, dass die Säure das Fleisch mürbe macht und dass diese Säure durch hef- tige Anstrengung der Muskeln am lebenden Thier hervorgerufen werde. Es ist jedenfalls interessant zu sehen, wie die wissenschaftliche For- schung Verfahrungsweisen erklärt, auf welche die blosse Erfahrung des gewöhnlichen Lebens schon geführt hatte. Ich glaube, dass die mit- getheilte Thätsache als Bestätigung Ihrer schönen Versuche über die Reaction der Muskeln Interesse für Sie haben wird.“ Wie ich vernehme, herrscht im Inneren von Chile auf den Haciendas ebenfalls die Sitte, die Hühner, auf die der Rei- sende BonEhalch als einzige Fleischkost angewiesen ist, durch Umherjagen und wiederholte Steinwürfe zu Tode zu hetzen. Sollte das Vorkommen derselben Sitte in Chile und in Belgien auf einen gemeinsamen spanischen Ursprung deuten? x 3. ‚ Unter dem Titel: „Ueber die angeblich saure Reac- tion des Muskelfleisches* hat Hr. v. Liebig in den Annalen der Chemie und Pharmacie (1859. Bd. OXI. 850 Edu Bois-Reymond: 3.357.) sich über meine ‘denselben Titel führende Abhand- lung in den Monatsberichten der Akademie (März 1859. 3.,288) in einem Tone geäussert, zu dem ich nieht das Bei: spiel gegeben habe, und den ich mir nicht zum Muster neh- men werde. Meine erste Regung war, Hrn. v. Liebig’s An- griff ganz unbeantwortet zu lassen, und die Entscheidung zwischen ihm und mir ruhig der Zeit anheimzugeben. Persön- liche Rücksiehten, dieman aus dem Folgenden leicht begreifen wird, bestärkten mich in diesem Entschluss. Viele Freunde dringen indess in mich, ein Stillschweigen zu brechen, wel- ches als Anerkennung eines Unrechts auf meiner Seite ge- deutet werden könnte; und so nehme ich denn mit Wider- streben den Handschuh auf. Hrn. v. Liebig’s Streitschrift hat zwei Seiten, eine per- sönliche und eine sachliche. Hr. v. Liebig giebt zu, durch seinen Sohn Kenntniss von meinen Versuchen über die Reaction der Muskeln erhal- ten zu haben. Er behauptet aber, dies sei nicht Veranlas- sung zu den Versuchen gewesen, die er über denselben Ge- genstand angestellt habe, sondern er sei bereits von „den ver- schiedensten Seiten“ her auf seinen Irrthum aufmerksam ge- macht worden. Von der Art der Hrn. v. Liebig gemachten Mittheilungen hängt es alsdann ab, ob er das Recht hatte, die Thatsache in seinen „Chemischen Briefen“ so anzuführen, wie er gethan hat, nämlich als ob er dieselbe selbständig gefunden. Dies geht mich nicht weiter an, und ich enthalte mich dar- über jedes Urtheils. Ich werde aber zeigen, dass ich im Rechte war, als ich den Vorgang so darstellte, als habe Hr. v. Liebig die erste Nachricht seines Irrthums aus seines Sohnes Mittheilungen über meine Versuche geschöpft. Hr. v. Liebig beruft sich, um seine Aussage ‘zu erhär- ten, auf das Zeugniss seines Sohnes, ‘der in einem aus Rei- chenhall am 19. Juli 1859 zu diesem Zweck geschriebenen Briefe am Schluss sagt: „Da ich wusste, dass das Resultat“ (der von den Hrn, v, Liebig, Vater und Sohn, mit Hrn. Th. L. Bischoff angestellten Versuche) „meinen Freund Dubois interessiren würde, so theilte ich ihm dasselbe mit, und ich erinnere mich, dass er später in einem Brief an mich meine Aufmerksamkeit darauf richtete, dass in Bezug auf dieses Re- sultat seine Priorität in den chemischen Briefen nicht gewahrt sei. Da ich mir indessen bewusst war, dass meine Mittheilung die Versuche in Giessen nicht veranlasst hatte, so schien mir damals der Anspruch meines Freundes Dubois, an dem er- wähnten Orte besonders als der Eigenthümer der Beobach- tung angeführt zu werden, kaum hinlänglich begründet.“ Ich bin noch im Besitze meines damaligen Briefwechsels mit Hrn.. Georg v. Liebig, und es ergiebt sich daraus, dass ihn jetzt, beim Niederschreiben des Briefes an seinen Vater, sein Gedächtniss in mehrfacher Beziehung getäuscht Bemerkungen- über die Reaction der elektrischen Organe u. s. w. 851 hat, was leicht'zu entschuldigen ist, wenn man bedenkt, ein wie bewegtes Leben er während der neun Jahre geführt hat, die seit jenem für ibn vergleichwerse unbedeutenden Ereig- nisse verflossen sind. „Diesen Winter,“ schrieb mir Hr. G. v. Liebig aus Darm- stadt am 1. Mai 1851, „machte ich den Versuch auf die Reaction der frischen Muskeln“, von dem viel zwischen uns die Rede ge- wesen war, da meine der Lehre seines Vaters zuwiderlau- fende Angabe ihn sehr überrascht hatte. Es folgt die Be- schreibung seines Versuches. „Einige Zeit darauf“, fährt Hr. G. v. Liebig fort, „machte mein Vater mit Hülfe Bischoff’s in meiner Gegenwart Versuche zu demselben Zweck, auf folgende Art “u. 5. w. Ich machte hierauf Hrn. G. v. Liebig Vorwürfe, dass er mit seinem Vater und Hrn. Bischoff Versuche über einen Gegenstand unternehme, mit dessen Verfolgung ich, wie er wisse, beschäftigt sei. Darauf antwortete mir Hr. G. v. Lie- big aus Giessen am 27. Mai 1851: „Ieh sollte Dir eigentlich ernstlich böse sein über die Zumuthung, die Du mir machst, als ob ich mir fremdes, und zwar Dein geistiges Gut aneignen wollte. Die Ver- suche, die ich Dir mittheilte, geschahen blos zu meiner und meines Vaters Aufklärung und es fällt Niemand ein, etwas davon zu publiciren, da es auch für uns zu nichts führen würde. Ich dachte, die Sache würde Dich interessiren und theilte Dir daher die Resultate mit... Die chemischen Briefe“ (d. h. die dritte Auflage derselben) „sind fertig uud ich werde bald Dir und Müller ein Exemplar zuschicken, im Namen meines‘ Vaters.“ In der That erhielt ich dasselbe bald darauf, und fand darin, ohne meinen Namen, die Versuche angeführt, von de- nen mir Hr. G. v. Liebig erst eben noch geschrieben hatte, „sie geschähen blos zu seiner und seines Vaters Aufklä- rung, es falle Niemand ein, etwas davon zu publieiren und sich mein geistiges Eigenthum anzueignen.“ Hierüber zur Rede gestellt, gab Hr. G. v. Liebig aus Giessen am 26. September 1851 die ausweichende Antwort: „Ueber die Geschichte mit dem „Plagiat“ lass Dir nur vorher bemerken, dass ich überzeugt bin, dass Du mir oder meinem Vater keine mala fides gegen Dich unterlegst; das Uebrige wird sich bei mündlicher Besprechung leicht ausgleichen — Papier mit Erklärungen hin- und herzusenden, halte ich nur zur Hervorrufung neuer Missver- ständnisse dienlich und das Vertrauen störend.* Aus diesem Briefwechsel folgt unabweisbar, dass bis zum 26. September 1851, d. h. bis lange nach dem Er- scheinen der „Ohemischen Briefe“ Hr. G. v. Liebig meine Ansprüche an die streitige Thatsache unbedingt aner- katnte, was er jetzt läugnet, und dass er von anderen dar- über an seinen Vater er Mittheilungen nichts wusste, was er jetzt behauptet. Wäre letzteres der Fall gewesen, so hätte er, statt Jahmer Entschuldigungen, mir einfach geschrie- 852 Ei: du Bois-Reymond: ben, ich ‚täusche mich, 'wenn ich glaube, jene. 'Versuche ge- hörten mir; was ich für neu halte, sei in Giessen durch Hrn. Bence Jones und Hrn. Bischoff längst ‚bekannt: womit ja Alles zu Ende gewesen wäre. } Dies der Thatbestand. Die Schlüsse ‚daraus möge jeder selber ziehen, Den Meisten, glaube ich, wird es ‚schwer fal- len sich nicht zu wundern, dass Hr..G. v. Liebig monate- lang mit seinem Vater und Hrn, Bischoff wissenschaft- lich verkehren und mit ihnen Versuche über die Reaction der Muskeln anstellen konnte, ohne einen Wink zu erhalten, dass diese Versuche, die er als. Wiederholung der meinigen betrachtete, von jenen nicht so angesehen wurden; und dop- pelt unbegreiflich wird es alsdann erscheinen, dass, als ich Hrn. G.v. Liebig wegen der Stelle in den „Chemischen Brie- fen* in die Enge trieb, er nicht schon damals von seinem Vater die Auskunft erbat und erhielt, die jetzt Beide geben, und die nach Beider Aussage damals so nah lag wie jetzt. Was den sachlichen Theil von Hrn, v. Liebig’s Streit- schrift anlangt, so kann ich mich kurz fassen. Hr. v. Lie- big hat sich in der ersten Aufwallung offenbar nicht dazu erheben können, die persönliche und die wissenschaftliche Seite der Frage auseinander zu halten. Wer nichts als Hrn. v. Liebig’s Aufsatz gegen mich gelesen, müsste wahrlich glauben, meine Abhandlung enthalte „auf 38 enggedruck- ten Seiten“ nichts als die verspätete Reclamation wegen der Reaction der frischen Muskeln, eine hämische, und ‚vom Zaun’ gebrochene. Anspielung auf Hrn. v. Liebig’s Streit mit Berzelius über die Milchsäure, und einen Strom ‚son- stiger. „Invectiven* gegen Hrn. v, Liebig: so ‚nämlich scheint dieser Chemiker eine jede Erwähnung seiner Arbeiten oder Meinungen zu bezeichnen, die nicht von unterwürfiger Zustimmung überfliesst. . Hr. v. Liebig, der mir Schicklichkeit predigt, vergisst sich so weit, dass er seine eigenen älteren Versuche einen „Kehriehthaufen“ nennt, den ich ‚besser vor‘.der, Akademie der Wissenschaften nicht „umgewühlt“ hätte. Hr. v. Lie- big spottet über die Entdeckungen, die ich mit, Lackmus- papier mache (als ob es den Werth einer Thatsache schmä- lere, dass man zu ihrer Beobachtung nur einfacher Mittel be- darf); er versichert seinen chemischen Lesern auf guten Glauben, ich habe keinen Begriff vom Wesen einer chemi- schen Untersuehung, und jede Zeile, in der ich von chemi- schen Dingen rede, enthalte ein Verbrechen (als ob es als- dann nieht um so schlimmer für ihn sei, wenn ich ihn dennoch eines so gewichtigen Irrthums überführt habe); er begreift nicht, weshalb er die Reaction der lebenden Muskeln hätte berücksichtigen sollen (als ob er seine „Chemische Untersu- chung über das Fleisch“ nicht in dem vollen Wahne geführt hätte, er ermittele die Zusammensetzung der lebenden Mus- Bemerkungen über die Reaction der elektrischen Organe u. s. w. 853 keln); er behauptet, dass nicht er an seinem Irrthum Schuld sei, sondern der Zustand der Physiologie im Jahre 1847, in dem „man sich selbst über eine so einfache Sache nicht un- terrichten konnte,“ (als ob dies nicht, seitdem es Lackmuspa- pier giebt, jeder Student der Mediein gekonnt hätte, und als ob nicht bereits im Jahre 1844, als der thierische Körper in Giessen noch keine Milchsäure enthalten durfte, Hr. En- derlin in Hrn. v. Liebig’s Laboratorium richtig gefunden und in den Annalen der Chemie und Pharmacie gedruckt hätte, dass frisches Fleisch nie sauer reagirt, wie Hr. v. Lie- big, wenn er es vergessen, in meiner Abhandlung hätte lesen können); er wirft mir vor, ich betrachte die Milchsäure im absterbenden Muskel als „ein Product der Fäulniss“, während ich mit gutem Bedacht geschrieben habe, die Säure werde im Muskel erst zur Zeit der beginnenden Fäulniss frei u. s. w. Den Chemikern, denen die Monatsberichte der Akade- mie weniger zugänglich sein sollten, hat die Redaction des Journals für praktische Chemie durch..Abdruck des'gröss- ten Theiles meiner Abhandlung!) Gelegenheit gegeben, sich zu überzeugen, dass ausser den von Hrn. v. Liebig'bemerkten Punkten noch einige neue und vielleicht nicht ganz unbedeu- tende Beobachtungen, die Frucht dauernder Anstrengung, darin enthalten sind. Ich muss Hrn. v. Liebig, als Ge- schwornen über den Werth meiner Arbeit , wegen Befangen- heit ablehnen. Das Urtheil der Hrn. Funke, Kühne, Leh- mann?), Schwann, und noch mancher Anderen, dürfte eher das der Zukunft abspiegeln, welches vielleicht von der gründlichen Beseitigung des Irrthums, dass die freie Milch- säure schon im lebenden Muskel zugegen sei, den Anfang einer physiologischen Muskelchemie herschreiben wird. 1) Bd. LXXVI. S. 206. , ge 2) Handbuch der physiologischen Chemie, mit besonderer Berück- el der zoochemischen Dokimastik. 2. Aufl. Leipzig 1859. . 817. Zusatz zur Abhandlung des Hrn. Dr. Platner „Helmintho- logische ‚Beiträge. Be Seite 287 Zeile 15 won oben ist durch ein Missverständniss eine Stelle. weggelassen und dafür etwas hingesetzt worden, was nicht da- hin ‚gehört. Stätt „in' dieser Gegend selbst“ u. s. w. muss’ gelesen werden: ; j . 27 ‚Sehr. bald entziehen sich ‚diese Canäle ‚leider: der weiteren Be- obachtung, indem. die ‚darüber und darunter sich entwickelnden Theile sie verdeeken, Da die Entwicklung der Hodenkörperchen und deren Ausführungsgänge mit der Entwicklung dieser Canäle zu- sammenfällt, so kommen die Enden der ersteren oft auf die Enden (der letzteren zu "liegen, und es hat dann ganz den Anschein, als ».bildeten beide zusammen ein Ganzes, das sich von versehiedenen ‚ Seiten her, gegen ‚einander entwickelte.‘.!R. Leuckart hat dieses Bild ‚ebenfalls vor sich gehabt, und diesen Theil der Hodenkörper- „chen mit ihren. Ausführungsgängen für Dotterstöcke |genommen , ‚die . wirklichen Dotterstöcke aber als Keimstöcke beschrieben, Dagegen ist S. 286 Zeile 16 von unten zu lesen wie folgt: ;,.x In dieser Gegend selbst bemerkt man, wie am gestreckten Ende.des Samenbehälters kleine gewundene Canälchen heryorkömmen, welche mit den zunächst gelegenen Hodenkörperchen in Verbindung treten. “mild ’ Berichtigungen. | a eh een Zu der Abhandlung „über secundäre Modification der Nerven“ von W. Wundt : j S. 543 Z. 4 yon oben statt im lies dem. Sondbeekl S. 544 ZU 5'von oben statt ab steigenden lies au’tsteigenden,, Par In der Abhandlung „über den Verlauf der Gallengänge“ von J. Budge S. 656 Z. 8 von oben lies Fig. 8 statt Fig. 7. Berlin, Druck der Gebr, Unger’schen Hofbuchdruckerei. a ) 4 ke I Harn | Archio. f' Anat u Phuj: IE. Ledäng del N N T Hi R7 Inchio FAnat u Pryf 18633 - — LnaNnz Ann v7 Anal 1 hu]. £ ir Amt 1 Pf 1850 Er uyen wAtnber se Archiv £ Anat u Auf 833. 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