ARCHIV FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. HERAUSGEGEBEN von D*. CARL BOGISLAUS REICHERT, PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES ‚KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS , MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND, FHOFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LARORA- TORIUM#, MITOLIED DER KÜNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN. FORTSETZUNG VON REIL'S, REIL’S UND AUTENRIETH'S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1860. Mit einundzwanzig K eln, LE.bP 216: VERLAG vox VEIT ET COMP ya Dar an MOaIN co sau 2 FR, h KARIONGE JAHAN Bas 10) " ul a . en fi aaa j re ar Pi 4 w—r kassiere ar rung ar PER erden Fr rn Kt ra Kar are men 5 ed ame u 21 ao RUE m: Aal or and Er Wu EL ana B: VISchWRDANGES iu m f at giant “ yh 41aV. un DALKAT Ev w Inhalt. Seite Ueber das Vorkommen yon Leucin, Tyrosin und anderen Um- satzstoffen im menschlichen Körper bei Krankheiten. Von Dr. 2 HE IT Here . len far al ıen 1 Bemerkungen zur Leucin- und Tyrosinfrage. Von Dr. J. ren! 46 Ueber die mikroskopischen Verhältnisse der Nasenschleimhaut ver- schiedener Thiere und des Menschen. Von Dr. Hoyerin War- schaun. (Hierzu Taf. T.A. Fig. I’nnd 2.) . 0... 0... 50 Beschreibung einer Brachiopodenlarve. Von Fritz Müller in Desterro (Brasilien). (Hierzu Tafel 1.B. Fig. 1-3.) .... 72 Beiträge zur Haemodynamik. Von Dr. Heinrich Jacobson, DRK Arzt zu KODigsberg 1. Pr , . on no. 3 u. 0, « 80 Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer Er Flusskrebse und ibr Verhalten beim Schalenwechsel.e. Von A. Baur. (Hierzu yes ag ge 0 ERTLÄTERE . . 113 Erwiederung auf die im \ Schlusshefte des Müller’schen Dane gegen mich gerichtete Abhandlung E. Weber’s über Muskel- reizbarkeit. Von A. W. Volkmann ...... v2... 145 Ueber das Vorkommen eines einzigen Hodens bei Centropus medius Müll. und Centropus affınis Horsf. Von Dr. H. A. Bern- stein in Gadok auf Java. (Hierzu Taf. IV) ....... 161 Untersuchungen über die Einwirkung des Pfeilgiftes auf die mo- torischen Nerven. Von A. v. Bezold, Professor in Jena . . 168 Ueber Blutaustritt und Aneurysmenbildung durch Parasiten bedingt. Von Louis Waldenburg... ... 22. .e... „”... 190 Ueber den elektrischen Geschmack. Von Dr. J. Rösönthal in WA ee 217 Ueber die Muskeln und Nerven der Nematoden. Von Dr. A. Behneider. (Hierzu Taf. V.). .. 2... u aD. JOSE Bemerkungen über Mermis. Von A, Schneider. (Hierzu Taf. VI.) 243 Ueber die Fortpflanzungsgesehwindigkeit der Muskelzuekung. Vor- läufige Mittheilung von Dr. Ch. Aeby, Privatdocent in Basel Ueber eine einfache Methode die Herzbewegung bei Vögeln lange Zeit direct zu beobachten. (Briefliche Mittheilung an Prof. du Bois-Reymond.) Von Prof. Rudolph Wagner . ... Ueber den Stillstand des Herzens durch Vagusreizung. Von Julius Budge in Greifswald... .. - Re. - m . Anmerkung zu vorstehendem Aufsatz. Von E.duBois-Reymond Notiz zur Geschichte des künstlichen Diabetes. Von Dr. W. Kühne Ueber die chemischen Muskelreize. Von Dr. Schelske. (Aus den Verhandlungen des naturhist.-medie. Vereins zu Heidelberg.) Das Neben-Thränenbein. Von Prof. Mayer in Bonn... .. Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten, Von Franz Leydig in Tübingen. (Hierzu Taf. VII., VIII. u. IX.) Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven und ihre Bedeutung für die Irritabilitätsfrage. Von Dr. W. Kühne. . Ueber eine optische Erscheinung an dem Sehnengewebe. Von Dr. med. ©. Mettenheimer in Frankfurt a. M. (Hierzu Taf. X. Hip. 1-5:) ur „oder e us ae een ee ee OEMETE Ueber eine eigenthümliche Art von Querstreifung an den Muskeln der Anneliden. Von Dr. med. C. Mettenheimer in Frank- furt a. M. (Hierzu Taf. X. Fig. 6-11). :... . .. ... Ueber die Nachweisung der Gallensäuren und die Umwandlung derselben in der Blutbahn. Von Dr. J. Neukomm .... Untersuchungen über die Einwirkung des amerikanischen Pfeil- giftes (Curare) auf das Nervensystem. Von Albertv. Bezold, Professor, in Jena. Zweite Abhandlung ». .. x». ..% Berichtigung. Von Dr. A. Schneider... ..... “.e Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. Von Dr. Otto Dei- ters, Privatdocenten an der Universität Bonn. (Hierzu Taf. XI. Senn STIL.) 2, =) = une 124 12:10: 101 0 02002 Ale Bee AREWE Zur Kenntniss der Hemikrania. Von E. du Bois- : Ueber die feinere Structur der Lobi olfactorii der Säugethiere. Von RT IN re NE nun Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. De Dr. W. KENRIGH es 2 EEE EEE 5 Zusatz zur vorstehenden a des Hrn. Dr. W. Kühne. VonnBeichewtne in 0 denen 20.8 $, A. nn m De Physiologische Untersuchungen über die quantitativen Veränderun- gen der Wärmeproduction. Von Dr. Liebermeister, Assistenz- arzte der medicinischen Klinik und Privatdocenten an der Uni- versität Tübingen ...... Ueber das Porret’sche Phänomen am Muskel. Von Dr. W. Kühne Ueber das Photographiren von Myographioncurven. (Briefliche Mit- Seite 253 255 257 261 261 263 264 265 315 354 361 364 387 408 ‚409 461 469 477 517 520 542 Trier Seite theilung an Herrn E.. du Bois-Reymond). Von Prof. Hei- denhain in: Breslauonan namen i Vera lea Ana) lie. 542 Ueber die angeblichen Nervenfaser-Endplexus im Stratum nerveum der Darmschleimhaut, (Briefliche Mittheilung an Hrn.Reichert). Von H. Hoyer in Warschau. . „2.2... bene 543 Zusatz zur vorstehenden Mittheilung.‘ Von Reichert ..,. 544 Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes von Petromy- zon fluriatilis L. Von Prof. Dr. E. Reissner in Dorpat. (Hierzu BEERUV und XV). . See te ae .. 545 Physiologische Untersuchungen über die quantitativen Veränderun- gen der Wärmeproduction. Von Dr. Liebermeister, Assi- stenzarzte der medicinischen Klinik und Privatdocenten an der Universität Tübingen. (Fortsetzung) . 2». 2.2.2... . 589 Der Brusttheil der unteren Hohlader des Menschen. Von Prof. H. Luschka in Tübingen. (Hierzu Taf. XVL) ...... 624 Abänderung des Stenson’schen Versuches für Vorlesungen. Von E. du Bois-Reymond..... Me A 0 Mittheilungen aus dem physiologischen Institute zu Breslau. Her- ausgegeben von Prof. Dr. Rudolf Heidenhain. . ... . 644 I. Abhandlung. Zur Kenntniss der Gallenabsonderung. Von Dr. V. Friedländer und Dr, C. Barisch. (Mitgetheilt IESRRLE LEINE ic ze . 646 ]I. Abhandlung. Ueber die Bewegung fester, in Flüssigkeiten suspendirter Körper unter dem Einfluss des elektrischen Stroms. Von Theodor Jürgensen aus Flensburg . . 673 III. Abbandlung. Zur Theorie der Magenverdauung. Von med. stud. Davidson und med. Dr. Dieterich. (Mitge- Diele you. Heidenhain.) .ı. „mus EN. 688 Untersuchungen über den Tonus der willkürlichen Muskeln. Von P. J. Brondgeest. (Auszug aus: Önderzoekingen over den tonus der willekeurige spieren. Academisch gs enz. OT ME er ent CENT EN e . . 703 Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. Von A. W. BEmannıs sen, n. » .,. Bus ueles he, sec, ee, J0D Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. Von Dr. G. R. Wagener, Gehülfe am anatomischen Museum zu Berlin, (Bierzu Taf. XV. und XVIIL) 2. N...» ar 2erte1 768 Untersuchungen über die Leitung der Erregung im Nerven. Von Dr. Hermann Munk in Berlin... .. . . 798 Ueber den Schwanzstachel des Löwen. Von Fe, Doyle. N 820 Ueber die Ossification. Von N. Lieberkühn. (Hierzu Taf. XX. a) Eee a fe a 1A le ne 824 Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Meerschweinchens ((avia “ Seite cobaya). Von C B. Reichert. (Auszug aus den Vorträgen in der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, am 23. Jannar und 25. October 1860.) . 2... rs 2 847 Ueber das angebliche Fehlen der unipolaren Zuckung bei dem Schliessungsinductionsschlage. (Anmerkung zu S. 806 dieses Bandes.) Von E, du Bois-Reymond.. » 2... ..%.2..857 # E. du Bois-Reymond: Ueber das angebliche u. s: w. 857 e Ueber das angebliche Fehlen der unipolaren Zuekung bei dem Schliessungsinductionsschlage. R (Anmerkung zu S. 306 dieses Bandes.) Von E. pu Bois-Reymonp, “Hr. Pflüger sagt in seinen „Untersuchungen über die Physiologie des Elektrotonus“ (S. 51.121. 410), dass „nach seiner Entdeckung der Schliessungsinductionsschlag der unipolaren Wirkung entbehre.* Dieser Ausspruch könnte die irrige Mei- nung erwecken, als habe ich, als mir die unipolaren Zuckun- gen zuerst aufstiessen, versäumt mich zu unterrichten, wie sich der Schliessungsschlag in Bezug darauf verhalte, oder bei denen, die sich erinnern, dass man die primäre Kette nicht öffnen kann, ohne sie vorher geschlossen zu haben, als habe ich dem Schliessungsschlage fälschlich eine unipolare Wirkung zuge- schrieben. Mindestens dürften mit Hrn. Funke (Lehrbuch der Physiologie u. s. w. 3. Aufl. Bd. I. S. 663) Mehrere wün- schen, den Widerspruch aufgeklärt zu sehen, der hier zwischen Hrn. Pflüger’s und meinen Angaben zu bestehen scheint, Die Sache ist einfach die, dass Hr. Pflüger sich des Mag- netelektromotors bediente, dessen dichtgewickelte primäre Rolle über 100 Windungen zu haben pflegt, ich dagegen, wie in mei- nem Werke gesagt ist (Untersuchungen u. s. w. Bd. I. $. 429. 426), der daselbst S. 447 beschriebenen Inductionsvorrichtung, deren primäre Rolle auf 313 Mm. Länge nur 32 Windungen besitzt. Der Extrastrom verzögerte demgemäss in meinem Falle die Entstehung des primären Stromes und schwächte folg- ‚ lich den Schliessungsschlag viel weniger als an dem Magnet- elektromotor (Untersuchungen u. s. w. Bd. II. Abth. I. S. 405. 406). Dies spricht sich unter Anderem darin aus, dass an mei- 858 E.du Bois-Reymond: Ueber das angebliche u. 8. w. ner Vorriehtung bei subjeetiv-physiologischer Prüfung der Schliessungs- und Oeffnungsschlag als nahe gleich stark em- pfunden werden, während am Magnetelektromotor der Sehlies- sungsschlag bekanntlich fast unwahrnehmbar ist. Es kann da- her auch leicht kommen, dass am Magnetelektromotor die Ab- gleichungseurve der bei offenem und einseitig abgeleiteten seeundären Kreise in den Boden abfliessenden Elektrieität in keinem Augenblicke des Schliessungsvorganges die erforderliche Höhe ihrer Ordinaten und Steilheit ihrer Elemente erreiche, damit unipolare Zuckung stattfinde. Keinesweges aber entbehrt der Schliessungsschlag grundsätzlich der unipolaren Wirkung, Vielmehr wird Hrn. Pflüger’s Angabe erst dann anfangen richtig zu sein, wenn unter sonst gegebenen Umständen das Potential der primären Rolle auf sich selbst einen solchen Werth erlangt, dass auch in den ersten Augenblicken nach der Sehliessung die jenem Potential umgekehrt proportionale Steil- heit der Curve, in der das Potential der primären Rolle auf die secundäre anwächst, eine gewisse Grösse nicht) überschreitet (Vgl. Helmholtz in Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1851. Bd. LXXXIM. 8.505). An vielen Induetionsvorrichtungen ist diese Bedingung unter den gewöhnlichen Umständen der Ver- suche in der That erfüll. Man wird aber in jedem einzelnen Falle sich stets erst überzeugen müssen, dass und innerhalb welcher Grenzen der elektromotorischen Kraft im primären Kreise, des Potentials der primären auf die secundäre Rolle u. 5. w. dies der Fall sei, ehe man sich des Schliessungsin- duetionsschlages ohne Furcht vor unipolaren Wirkungen bedient. ——— Druckfehler. S. 667 Z. 10 v. u. soll es concay statt convex heissen. Berlin, Druck der Gebr. Unger'schen Hofbuchdruckerei. Ueber das Vorkommen von Leucin, Tyrosin und anderen Umsatzstoffen im menschlichen Körper bei Krankheiten, Von Dr. J. NEUKONM. 'Die Bildung organischer Formen geht mit einer Aenderung der chemischen Constitution der Materie Hand in Hand; mit dem ersten Auffreten 'prägender Kräfte machen sich zugleich auch eigenthümliche chemische Affinitäten geltend. ' Der Ge- websstofl ist daher kein einfacher Niederschlag aus einer vor- gebildeten (Eiweiss-) Lösung, wie der Krystall, er bildet sich erst bei der Prägung der Form; formende Kräfte treten aber nach unserer bisherigen Erfahrung nur auf innerhalb einer schon gebildeten Form. ’ Hat nun auch die Untersuchung gelehrt, dass die Bildungs- stätte organischer Formen immer gewisse chemische Verbin- dungen, wobei namentlich Eiweissstoffe nicht fehlen dürfen, enthalten müsse, so sind uns doch’ die Beziehungen zwischen letzteren und dem organisirten Niederschlage noch gänzlich un- bekannt. Soweit der 'Hüllstoff der organischen Gewebe einer isolirten Untersuchung unterworfen werden konnte, hat man ihn nie mit dem Eiweiss identisch gefunden; der Inhalt der Gewebselemente differirt in den meisten Fällen von der Zu- sammensetzung der Bildungsflüssigkeit, zeigt häufig ganz eigen- thümliche chemische Verbindungen, 80 dass man versucht wor- den ist, gewisse Blementartheile als besondere Werkstätten eigenthümlieher Stoffbildung zu betrachten. Während bei der einen Olasse organischer Wesen die form- Beichert’« u, du Bols-Reymond's Archiv, 1800. 1 > J. Neukomm: bildenden Stoffe erst als Endproducte der chemischen Lebens- thätigkeit hervorgehen, werden der anderen Reihe der Orga- nismen die Materialien ihres Baues schon zubereitet darge- boten. Traten beim vegetabilischen Lebensprocesse die Elemente des Wassers und der Luft unter periodischer Abscheidung von Sauerstoff zu immer complicirteren Verbindungen zusammen, wobei die alte Form gleichsam zur Bildungsstätte für die Be- standtheile der neuen wird, so sehen wir umgekehrt in den thierischen Stoffwechsel sehr zusammengesetzte Verbindungen eintreten, aus diesen unter beständiger Aufnahme von Sauer- stoff theils neue Formen sich bilden, theils die Bestandtheile der alten sich erneuern, und schliesslich als Endproducte der Stoffmetamorphose Körper weggehen, welche entweder schon einfache, binäre Verbindungen der Atome sind, oder leicht in dieselben zerfallen. Liegt also im Allgemeinen dem thierischen Stoffwechsel ein. Oxydationsprocess; za Grunde, so unterscheidet er sich doch von jedem anderen Verbrennungsprocesse derselben or- ganischen Verbindungen wesentlich dadurch, dass in demsel- ben gewisse gestaltgebende Kräfte auftreten, welche, indem sie eine eigenthümliche Specificität der Gewebe bewirken, zu gewissen eigenthümlichen Stoffeombinationen, denen wieder besondere Umsatzproducte entsprechen, Anlass geben. Mögen nun auch im physiologischen Zustande des Orga- nismus die in verschiedenen specifischen Geweben auftreten- den Producte der Stoffmetamorphose eine solche gegenseitige Ausgleichung finden, dass schliesslich immer dieselben Excret- stoffe zum Vorschein kommen, so wird ‚dieses Verhältniss jedenfalls nicht mehr eintreten, wenn in Folge von allgemeinen oder localen Krankheiten gewisse Verbindungen. nicht mehr oder mangelhaft gebildet werden, andere in abnormer Menge sich im Organismus anhäufen, und in dieser Beziehung können Untersuchungen von Gewebs- nnd Exeretflüssigkeiten selbst für die praktische Mediein dadurch Werth bekommen, als sie wichtige Aufschlüsse über die Erkraukung der Organe zu ge- ben vermögen. Ueber das Vorkommen von Leuein, Tyrosin u. s. w. 3 Unsere Kenntnisse vom thierischen ‚Stoffwechsel sind frei- lich noch sehr lückenhaft und werden es auch so lange bleiben, als es uns noch nicht gelungen sein wird, zu zeigen, in wel- chen Gewichtsverhältnissen die in denselben eintretenden C, H, N, ©, S und vielleicht auch P Atome sich zusammen grup- piren, welche Veränderungen dieser Atomeomplex bei der Bildung der Gewebe eingeht, welche Atome und in welchem quantitativen Verhältnisse sich bei der Bildung der Membranen, Fasern, Röhren u. s. w. der Gewebe betheiligen, welche be- sonderen Stoffeombinationen sich in. den 'specifischen Gewebs- substanzen bilden, welche Umsatzproducte und‘ in welcher Reihenfolge beim Zerfall der Säfte und. Gewebe ‚auftreten, welche qualitative und quantitative Beschaffenheit die Excret- stoffe jedesmal besitzen. Man hat zwar gesucht auf analytischem Wege das Räthsel zu lösen, indem man die in den Organismus eintretenden Stoffe, zu welchen wir die Eiweisskörper und: vielleicht auch die Fette zu zählen haben, mit. verschiedenen Oxydationsmitteln behan- delte. Man; erhielt so aus Eiweiss zwei genau bestimmbare organische „ Verbindungen, Leuein und Tyrosin, vielleicht un- mittelbare Spaltungsproduete, bei weiter gehender Zersetzung aber nur neben Ammoniak eine Reihe füchtiger Fettsäuren und Benzoesäure, auf anderem Wege auch neben einem gelben, wenig gekannten Körper Zuckersäure und Oxalsäure. ' Die oor- ganisirten, Fasern, Lamellen u. s. w. bildenden Gewebsstofle gaben nur Leuein, einige (leimgebende Gewebe); auch noch Glyein. ‚Aus den Fetten erhielt man durchweg saure Produete, meist dieselben, die sich auch durch weitgehende ‚Oxydation des Eiweisses erhalten liessen. Die verschiedenen in den Geweben und Organen des Kör- pers auftretenden Stofleombinationen, die man. theils als. beson- dere Modifieationen des Eiweisses, theils aber auch ‚als ent- schiedene Oxydationsproducte betrachtet, liessen sich bisher nicht künstlich erhalten; selbst die einem französischen Che- miker gelungen sein sollende Darstellung des Harnstofles aus Eiweiss müssen wir als unriehtig ‚betrachten, indem wir auf dem angegebenen Wege nicht Harnstoff, sondern Benzoesäure ı1* 4 I. Neukomm: erhielten und eine Verwechselung dieser mit salpetersaurem Harnstoff in dem französischen Falle 'stattgefunden zu haben scheint. Von den künstlichen Zersetzungsprodueten der Proteinstofle wurden gerade die wichtigsten, Leuein und Tyrosin, lange Zeit im Thierkörper vermisst; erst den vereinten Bemühungen Stae- deler’s und Frerichs’ ist es gelungen, diese beiden Körper zuerst in der pathologischen Leber des Menschen unzweifel- haft nachzuweisen, während sie in der gesunden Leber von Menschen und Thieren nicht anzutreffen waren.') Dieser er- sten Untersuchung folgten alsbald weitere, in zwei folgenden Abhandlungen*) niedergelegte, worin das Vorkommen der er- wähnten Stoffe in der Milz, im Pankreas und seinem Saft, in den Speicheldrüsen und dem Speichel, den Lymphdrüsen, der Thy- reoidea, Thymus, Gehirn-, Muskel- und Lungensubstanz, im Blut, Harn, Darminhalt von Menschen und Thieren, theils im gesunden, theils im kranken Zustande besprochen wurde. Angeregt ‘durch ‘diese in der Physiologie des thierischen Stoffwechsels Epoche machende Entdeckung sind dann sowohl durch die unermüdlichen weiteren Forschungen der genannten Gelehrten, als auch durch andere auf diesem Gebiete thätige Forscher (Cloetta, Virchow, Gorup-Besanez, W. Mül- ler u. A.) die einmal erhaltenen Resultate theils bestätigt, theils erweitert, theils aber auch, indem zugleich auf andere Körper bei der Untersuchung Rücksicht genömmen wurde, schon be- kannte Produete des Stoffwechsels an bisher noch nicht ge- wohnten Orten angetroffen; selbst weitere neue Verbindungen entdeekt worden, Seit der Publication der eitirten Abhandlung von Staedeler und Freriehssind die Untersuchungen derselben sehr erheblich fortgeschritten; es sind die Organe von Repräsentanten aus sämmtlichen ' Thierclassen, so wie menschliche Organe und 1) Mittheilungen der naturf. Gesellschaft in Zürich. Bd. III. 445. 2) Wiener medicin. Wochenschrift. 1854. No. 30. — Mittheil. d. naturforsch, Gesellsch. in Zürich. Bd. IV. 30. Ueber das Vorkommen von Leuein, Tyrosin u. s. w. 5 Säfte in grosser Zahl bei den verschiedensten Krankheiten un- tersucht ‘worden. Wünschenswerth blieb es nur noch, eine vergleichende Un- tersuechung sämmtlicher Organe eines und desselben Individuums bei verschiedenen Krankheiten vorzunehmen, um so mit grös- serer Sicherheit die aufgefundenen Resultate mit der Natur der Krankheit in Beziehung bringen zu können. Die Anregung zu diesen vergleichenden Untersuehungen erhielt ich zunächst von Herrn Professor Staedeler, so wie denn auch alle Arbeiten in seinem Laboratorium ausgeführt worden sind; das Material stammt aus der Klinik des Herrn Professor Lebert. Beiden Herren, welche mich durch ihren Rath und ihre reiche Erfahrung vielfach unterstützten, spreche ich hiermit meinen innigsten Dank aus. Sollte der angedeutete Zweck erreicht und namentlich die Resultate auch für Andere nutzbar gemacht werden, so schien es vor Allem nothwendig zu sein, den Verlauf der Krankheit und die wichtigsten pathologisch-anatomischen Veränderungen an der Leiche kurz anzugeben. Der Umfang der Arbeit ist dadurch sehr vergrössert, die Uebersichtlichkeit in gleichem Maasse benachtheiligt worden; ein Resume aus dem Gegebenen mit einzelnen sich daran knüpfenden Schlussfolgerungen soll daher den Schluss der Abhandlung bilden. Mitunter, namentlich in der wärmeren Jahreszeit, waren ausführliche Untersuchungen der sämmtlichen Organe nicht durchführbar, weshalb wir uns damit begnügen mussten, einige, zuweilen auch nur eins der wichtigsten Organe in Arbeit zu nehmen. Methode der Untersuchung, Von den immer innerhalb der‘ ersten 24 Stunden aus der Leiche genommenen Organen wurde ein hinlänglich grosses Stück, höchstens '/, bis ”, Pfund, fein zerrieben und mit dem ein- bis zweifachen Volum Weingeist 12 Stunden, zuweilen auch länger, in einem verschlossenen Kolben stehen gelassen, Mit- telst Durchpressen durch einen Leinwandlappen wurden her- 6 J. Neukomm: nach die gelösten Materien von dem festen Rückstande ge- trennt, jene meist noch einmal durch Papier filtrirt und dann sogleich auf dem Wasserbade zum Syrup verdampft; die wäh- rend des Eindampfens sich ausscheidenden Gerinnsel: wurden durch wiederholte Filtration ‚oder Coliren dureh Leinwand ge- trennt. Der durch diese Operation erhaltene Syrup schied nicht selten sehon beim Erkalten Leucin in den bekannten Kugel- gestalten aus, nach eintägigem Stehen auch Nadelbüschel von Tyrosin, wenn diese Körper überhaupt vorhanden, waren. In zweifelhaften Fällen, oder um die genannten Körper reiner darzustellen, oder auch um gleichzeitig noch auf andere Stoffe zu prüfen, wurde der Syrup wieder in Wasser-gelöst, die Lö- sung mit neutr. essigsaurem Bleioxyd gefällt, der sogleich durch Filtration getrennte Niederschlag nicht weiter berücksichtigt, das Filtrat dagegen mit bas, essigsaurem Bleioxyd versetzt. Nach mehrstündigem Stehen wurden die gefällten Stoffe, die wir künftig einfach den Bleiniederschlag nennen wollen, durch Filtration von den flüssigen getrennt und beide nun gesondert untersucht. Es wurde nämlich aus beiden, nachdem vorher der Bleiniederschlag in Wasser suspendirt worden, durch Einleiten von Schwefelwasserstoffgas das Blei als Schwefelblei ausgefällt, abfiltrirt und die Lösungen auf dem Wasserbade zum Syrup verdampft. In demjenigen Theile, welcher die nicht durch Bleiessig fällbaren Stoffe enthielt, fanden sich Leucin, Tyrosin, Krea- tin, Harnstoff, Zucker, im Bleiniederschlage Inosit, unter Umständen, namentlich wenn die zum zerriebenen Gewebe. ge- setzte Weingeistmenge zu gering war, um die etwa in den Säften gelöste Harnsäure auszufällen, auch kleine Mengen von diesem Körper. Die Nachweisung der einzelnen Stoffe geschah auf; folgende Weise: Zur Erkennung des Leucin’s diente immer’ die eigen- thümliehe Form seines Niederschlages, welche durch das Mi- kroskop erkannt wurde, zudem sein Verhalten beim Erhitzen im Glasrohr, Ueber das Vorkommen von Leuecin, Tyrosin u. s. w. f/ Tyrosin, obsehon durch seine charakteristischen 'Nieder- schlagsformen hinlänglich kenntlich, suchten wir immer ‚wo möglich zu isoliren und zur bekannten Piria’schen Reaction zu verwenden; dureh Behandlung mit, kohlensaurem Ammoniak wurde einer allfälligen Verwechselung mit. Gyps vorgebogen. Kreatin und Kreatinin waren immer leicht durch ihre eigenthümliche Krystallform zu erkennen, ausserdem durch ihr Verhalten gegen Chlorzink. In manchen Fällen wurde die Ausscheidung, dieser Körper durch die Gegenwart hygroskopischer essigsaurer Salze gehindert. Zur Entfernung dieser wurde dann meistens so verfahren, dass man aus der. weingeistigen Lösung des jene Salze enthaltenden Syrups die mit der ‚Essigsäure verbundenen Basen durch eine frisch bereitete Mischung von verdünnter Schwefelsäure und Weingeist, als schwefelsaure Salze grössten- theils ausfällte und die abfiltrirte Flüssigkeit, die natürlich keine freie Schwefelsäure enthalten durfte, wieder zum Syrup ver- dampfte. Zur Prüfung auf Harnstoff und Zucker wurde meist der durch die Bleibehandlung erhaltene Syrup noch einmal mit absolutem Alkohol ausgezogen, die alkalische Lösung zum Syrup verdampft und zu einem Theil desselben concentrirte Salpetersäure gesetzt. Bei Anwesenheit von Harnstoff bildete sich ein krystallinischer Niederschlag von salpetersaurem Harn- stoff, in welchem die Anwesenheit des Harnstoffs ausser der eigenthümlichen Form der Krystalle in den meisten Fällen noch dadurch constatirt wurde, dass man ihn mittelst Zer- setzung der salpetersauren Verbindung durch kohlensauren Baryt isolirte. Die Zuckerbestimmung geschah nach Staedeler’s Me- thode') mittelst Anwendung getrennter Lösungen von Kupfer- 1) Da noch in nenerer Zeit so häufig ungenaue Zuckerbestimmun- gen ausgeführt und so vielfach von anderen Methoden, die keineswegs an Sicherheit der Trommer'schen gleichkommen, die Rede gewesen ist, so halte ich es nicht für überflüssig, das Detail dieser Methode näher anzugeben. Die Kupferoxydlösung enthält 1 pCt. met, Kupfer (=1,25 pCt. 8 H BROT I. Neukomm: oxyd, “Kali und Weinsteinsäure, da einerseits bei der alten Trommier’schen Probe, wo nur eine Kupferoxyd- und Kali- lösung zur zuekerhaltigen Flüssigkeit" gesetzt werden, die Reae- tion durch Ausscheidung von Kupferoxyd häufig “undeutlich wird, "anderseits ‘die Fehling’sche Mischung, einige Zeit 'ge- stahden ‚leicht zu" Irrthum Anlass’ giebt: Erhielten" wir auf Zusatz eines Theiles des auf die angeführte‘ Weise erhaltenen Syrups zur alkalischen Kupferoxydlösung beim "Kochen einen Niederschlag von Kupferoxydul, so konnten wir ziemlich sicher auf die Anwesenheit von Zucker schliessen, da in dem genann- ten Syrup 'Harnsäure, Allantoin, welches nach Staedeler’s Beobachtungen ebenfalls die alkalische Kupferoxydlösung re- Kupferoxyd), die Kalilösung 1l5pCt. käufliches Kalihydrat, die Weinsäurelösung 37,5pCt. krystallisirte Weinsäure. Die Lösungen werden in etwas weithalsigeu Medieingläsern aufbewahrt, durch deren Körk enge Pipetten ‘gesteckt sind, welche man mit einer Marke ver- sieht, welche bei der Kupferoxyd- und bei der Kalilösung 10.C0C ‚au- zeigt, bei der Weinsäurelösung 2 CC. Die, Vermischung dieser Flüs- sigkeiten ist bei der angegebenen Einrichtung in wenigen Augenblicken ausgeführt, und man hat den Vortheil, eine Probeflüssigkeit zu besitzen, die durch blosses Kochen ohne Zucker niemals Kupferoxyd absetzt, denn auch die Weinsäure erhält sich bei dieser Concentration "sehr lange unzersetzt, und sollte eine vorläufige Probe die bereits ‚begon- nene Zersetzung anzeigen, so ist nur nöthig, (die Weinsäurelösung durch eine neue zu ersetzen, was in wenigen Minuten geschehen kann. 4 Vor Anstellung der Probe verdünnt man die gemischten Lösungen Hit dem gleichen Volum Wasser, erhitzt bis nahe zum Sieden und setzt tropfenweise die auf Zucker zu prüfende Flüssigkeit zu, so’ dass Kupfer ‘im ‚ Ueberschusse vorhanden bleibt. Das; sich EEE Kupferoxydul zeigt dann mit nur ganz seltenen Ausnahmen eine schöne, tiefrothe Farbe. Bei der Untersuchung von nicht diabetischem Harn kann der Fall eintreten, dass bei Gegenwart sehr kleiner Zuckermengen sich Kein Kupferoxydul ausscheidet, sondern die Lösung beim Kochen nur trübe und bei refleetirtem Licht undurchsichtig grasgrün wird. " Ielr bin noch damit beschäftigt, diese merkwürdige Reaction aufzuklären und werde demnächst darüber berichten; vorläufig bemerke ich nur, dass dieselbe von grösserem Harnstoff- oder Kochsalzgehalt nicht herrührt, siemuss einem Extractivstoff zugeschrieben werden, der durch Bleiessig nicht entfernt werden kann, . Ueber das Vorkommen ‚von ‚Leuein, Tyrosin u. s. w. 9 dueirt und. andere ähnlich wirkende Körper nicht mehr vor- handen sein konnten. !) . Der Inosit liess sich immer in den bekannten spröden, blättrigen Krystallen von schief-prismatischer Form dadurch erhalten, dass wir eine concentrirte wässerige Lösung dessel- ben, die natürlich auch noch andere Stoffe enthalten konnte, bis zur bleibenden Trübung mit absolutem Alkohol versetzten und einige Tage stehen liessen. Schon nach 12 Stunden konnte man in der nun wieder klaren Lösung einen Krystallnieder- schlag wahrnehmen. Die ausgeschiedenen Krystalle wurden, um eine Verwechslung mit Gyps oder saurem oxalsauren Na- tron, welches sich einigemal auf ähnliche Weise wie der Inosit niederschlug, zu vermeiden, theils durch das Verhalten beim Verbrennen im Glasrohr, theils bei der bekannten Behandlung mit Salpetersäure, Ammoniak und Chlorcaleium als Inosit er- kannt. Zur Auffindung der Harnsäure bedurfte es in den mei- sten Fällen einer nochmaligen Ausziehung der von der Wein- geistlösung abgepressten Gewebssubstanzen mit Wasser. In diesem wässrigen Auszuge wurde dann, nachdem vorher amorphe Materien durch neutr. essigsaures Blejoxyd entfernt worden, die Harnsäure durch bas. essigsaures Bleioxyd gefällt, der Blei- niederschlag in. Wasser suspendirt, mit Schwefelwasserstoff zer- setzt und die %om Schwefelblei nach vorherigem Erhitzen ab- filtrirte Flüssigkeit auf dem Wasserbade zur starken Coneen- tration eingedampft. Meist schied sich dann beim Stehen in der Kälte die Harnsäure krystallinisch aus; die Murexidreaction bestätigte sie immer als solche. Häufig wurde neben Harnsäure ein amorpher, in braunen Körnchen oder Kügelchen sich niederschlagender Körper ge- funden, welcher beim Abdampfen mit Salpetersäure [einen gel- ben Fleck hinterliess; also Xanthin oder Hypoxanthin. Eine vollständige Trennung dieser Körper gelang bisher nicht; wir führen sie in dem Folgenden als Xanthin auf. 1) Auch vom Leuein hat Bödeker angegeben, dass es die al kalische Kupferoxydlösung reducire, indessen ist mir diese Reduetion bei wiederholten Versuchen nicht vorgekommen. 10 I. Neukomm: Dieses in allgemeinen Zügen der Gang, dern wir bei ‘den nachstehenden Untersuchungen einzuschlagen bemüht waren; zahlreiche unwesentliche Modificationen unseres Verfahrens an- zugeben, würde die Grösse dieser Abhandlung zu sehr aus- dehnen. Ergebnisse bei speciellen Krankheitsfällen. I. Typhus. Erster Fall. Ausgesprochener, ziemlich intensiver Typhus bei einem kräf- tigen jungen Mann, Tod in der dritten Woche, Diffuse Tuber- kelablagerung in beiden Lungenspitzen, zum Theil schon in Erweichung begriffen; Schwellung und Ulceration der solitären und agminirten Follikel des Ileum und der‘ Follikel des Dick- darms, meist mit tiefer Schorfbildung; Verschwärung der Schleim- haut des Wurmfortsatzes; starke lee der Lymphdrüsen des Mesenterium. Die Leber ist gross, auf dem Durchschnitt von. blassbraunem lehmartigen Ansehen, die ‘Milz bedeutend ausgedehnt, das dunkelviolettrothe Gewebe ziemlich fest, das Gefässnetz der Nieren stark injieirt. a) Leber: Reaction neutral, geringe Ammoniakentwicke- lung bei Zusatz von Kalilauge zu einer Probe des zerriebenen Gewebes. Im weingeistigen Auszuge viel Leucin, weniger Tyrosin, auf Harnstoff und Zucker nicht geprüft. Der Blei- niederschlag enthält geringe Mengen Xanthip und Harn- säure neben Gypskrystallen. b) Milz: enthält Leuein und Tyrosin in beträchtlicher Quantität. x e) Nieren: Reaction des Gewebes neutral, Ammoniaksalze nachweisbar, Leuein und Tyrosin in mässiger Menge ; Inosit und Harnsäure nicht zu finden. d) Lungen: Gewebe neutral reagirend, bei Kalizusatz ziem- lich starke Ammoniakentwieklung; Leuein und Tyrosin in geringer Menge; viele Krystalle von Ammoniaksalzen. e) Herzmuskel: enthält Leucin und Kreatin in be- trächtlicher Menge; Harnsäure und Inosit nicht nachweisbar. Zweiter Fall. i Ein 17jähriger Metzger zeigte während der ersten: 14 Tage Ueber das Vorkommen von Leuein, Tyrosin u. s. w. 11 die Erscheinungen eines Typhus mittlerer Intensität; im Laufe der dritten Woche ‚gesellten, sich zu der schon bestehenden Diarrhoe mehrere copiöse Darmblutungen; blauviolette Flecke deuteten auch auf Blutaustritt in’s Unterhautzellgewebe; der Kranke bekam Delirien, die Diarrhoe hörte auf, unter schnel- lem Verfall der Kräfte trat am 22. Tage der Krankheit der Tod ein. Section 12 Stunden nach dem Tode bei mittlerer Tempera- tur. Das Blut ist dünnflüssig, dunkelroth, entwickelt aus den Gefässen ‚tretend Gasblasen. Leber, Milz und Nieren zeigen im. Inneren und unter‘ ihren fibrösen Ueberzügen eine Menge lufthaltiger Lücken, gleich einem Stück Käse, Gehirn und Mus- keln bieten nichts Aehnliches dar; die Lungen sind grössten- theils lufthaltig, das Lebergewebe von gleichmässig lehmartiger Färbung, leicht zu zerreiben, das Milzparenchym weich, mehrere Blutextravasate darbietend. Im Ileum Geschwüre mit Schwel- lung der umgebenden Schleimhaut, Mesenterialdrüsen stark: ge- schwollen mit weicher dunkelvioletter Pulpa. a) Blut: aus den Carotiden gesammelt, schwach sauer rea- girend, nicht gerinnend. Der weingeistige Auszug enthält an- sebnliche Mengen Leuecin, Tyrosin nicht nachzuweisen, b) Leber: der Gewebssaft reagirt schwach sauer, entwickelt Ammoniak bei Zusatz von Kalilauge; der Weingeistauszug des Gewebes zeigt nach Entfernung der durch Bleiacetat fällbaren Stoffe beinahe reines Leucein und Tyrosin in grosser Menge. Dritter Fall, Ein kräftiger Mann von 30 Jahren erliegt am Ende der zweiten Woche ziemlich, intensiven Typhuserscheinungen. Im Darm zeigen sich geringe Veränderungen; einzelne Follikel der wenig sonst geschwollenen und nicht sehr hyperämischen Peyer’schen Plaques sind geborsten, wodurch die Oberfläche der letzteren ein reticuläres Ansehen erhält; die Mesenterial- drüsen sind nicht merklich vergrössert; das Lebergewebe ist entfärbt, lehmfarben, die Milz sehr blutreich, geschwollen , viel pulpöse Substanz enthaltend, a) Leber. Die durch Weingeist extrahirten Materien sind sehr beträchtlich und enthalten reichlich Leuein und Tyro- sin; durch basisch essigsaures Bleioxyd lässt sich daraus ein Körper fällen, welcher in der syrupösen Mutterlauge in brau- nen, oft mehrfach zusammengruppirten Kugeln sich niederschlägt; jsolirt bildet er ein braunes, in kaltem Wasser schwer, in heis- sem leicht Jösliches Pulver; aus seinem : Verhalten gegen Sal- 12 J. Neukomm: petersäure zu schliessen, scheint er dem Atomicomplex Hypoxan- thin, Xanthin, Harnsäure anzugehören. b) Milz: zeigt eine weit geringere Menge extraetiver Ma- terien als die Leber; ‚sie enthalten mässige Mengen Leuein und Tyrosin. Vierter Fall, betreffend eine 30jährige Kranke, welche nach mehrwöchent- lieher Dauer eines schweren Typhus 5 Monate lang an tiefem Deeubitus der rechten Glutaealgegend und. hinteren Seite des Oberschenkels darniederlag, bei kräftiger Kost und längerer Anwendung von China, später Eisenmitteln, sich längere Zeit wieder zu erholen schien, dann aber doch unter hydro-anämi- sehen Erscheinungen zu Grunde ging. In der Leiche zeigen sich noch alle Spuren eines intens typhösen Processes. Im Ileum ist an der Stelle der gehäuften Follikel die Museularis blosgelegt, theilweise mit Granulationen bedeckt, welche die Form von Zotten haben; die Gefässnetze der umgebenden Schleimhaut sind stark injieirt. Das Leber- gewebe ist von fester Consistenz, die Zellen enthalten wenig Fett; die ziemlich grosse Milz zeigt ebenfalls rein festes Gewebe, dunkelrothe Färbung; die malpighischen Körperchen sind auf- fallend stark entwickelt und geben als hirsekorngrosse Knöt- chen dem Milzdurchschnitte ein gesprenkeltes Ansehen (Sa- gomilz). a) In der Leber findet sich Leuein, aber kein Tyrosin; Harnstoff kann nicht nachgewiesen werden, auf Zucker nicht geprüft. b) Milz. Ein auf gleiche Weise wie bei der Leber behan- deltes Stück Milzgewebe giebt ziemlich reichliche Mengen von Leuein und Tyrosin. Fünfter Fall. Die Kranke ist 19 Jahre alt, Seidenwinderin, zeigt in der ° ersten Woche ihrer Krankheit Delirien mit grosser Aufregung und Unruhe, nimmt dabei sichtlich, ohne dass profuse Auslee- rungen eingetreten wären, an Körpergewicht und Kräften ab und stirbt erschöpft am Ende der zweiten Woche. In der Leiche findet man 15 Stunden nach dem Tode das Gehirn ziemlich normal, im Arachnoidealraum viel Flüssigkeit, diese bereits fehlend in der Pleura- und Perikardiumhöhle, das Blut, dunkel geröthet, halb geronnen, ohne feste Fibrincoagula, im Dünndarm mehrere Spulwürmer, Hyperämie der Schleim- haut ohne Schwellung, nur die unterste P. Plaque ist leicht Ueber das Vorkommen von Lenein, Tyrosin u. s. w. 13 geschwollen und theilweise uleerirt. Das an ist we- nig verändert, stellenweise gelblich entfärbt, die Galle gelbbraun dünnfüssig, die Milz nieht vergrössert, ihr Gewebe fest, dun- kelviolett, an der Luft hochroth werdend; die Ohrspeicheldrü- sen sind geschwollen, hyperämisch, von Biter durchtränkt. a) Im Gehirn lassen sich weder Leuein, noch Kreatin oder Kreatinin oder Harnstoff nachweisen, wohl aber geringe Men- gen Inosit. Cholestearin und die übrigen Fette scheinen reich- lich vorhanden zu sein. b) Muskelgewebe (vom Pectoralis und Serratus anticus) enthält Harnsäure und in. auffallender Menge Kreatinin neben etwas Kreatin; Harnstoff oder, Leucin sind nicht zu finden. c) Lungen geben etwas Harnsäure, kein Leucin. | d) Leber. Im Bleiniederschlage findet sich‘ wieder‘ der oben (dritter Fall) erwähnte Körper, welcher durch die Form seines Niederschlages sich wesentlich vom Xanthin unterschei- det; ausserdem enthält die Leber Leucin, kein Tyrosin, eben so wenig Zucker. ‚ €) Milz, enthält Leuein und Tyrosin,in mässiger Menge. f) Parotis, liefert auffallend viel Leuein und Tyrosin. g) Nieren. Auch dieses Organ ist reich an beiden K'ör- pern, auf Inosit wurde vergebens gesucht. ‚h) Blut... Im Weingeistauszug etwas Harnstoff, kein Leuein. i) Galle, wird auf Leuein mit negativem Erfolge geprüft. IIL.. Pleuritis mit Cerebralerscheinungen. Ein kräftiger Mann von 44 Jahren kam mit den Erschei- nungen einer rechtseitigen Pleuritis in’s Spital; nach einigen Tagen traten auch auf der linken Seite die Zeichen ‚einer Ent- zündung der Pleura mit Erguss auf, es stellten sich Delirien ein, welche bald einen faribunden Charakter annahmen, dann in Depressionserscheinungen übergingen und in wenigen Tagen mit dem Tode endigten. bei der 10 Stunden nach dem Tode vorgenommenen Section zeigten sich Spuren alter Blutextravasate (rostfarbene Flecken) an den Gehirnhäuten, ein nussgrosser Erweichungsheerd an der Basis des linken vorderen Gehirnlappens. Die rechte Lunge adhärirt durch zahlreiche Bindegewebsstränge an der Brust- wand; in der linken Thoraxhöhle findet sieh neben starker Ge- 14 J. Neukomm: fässfülle der Pleurablätter ein reichlichet Erguss ‚mit faserstoffi- gen Pseudomembranen. Die Leber ist von gleichmässiger, röthlich brauner (lehmartiger Färbung, die meisten Zellen ent- halten grosse Fettropfen. Die Milz ist vergrössert,, 16 Cm. lang, 9 breit, 2'/2 dick, das Gewebe sehr weich, mit vielen Blutextravasaten. Sonst keine abnormen Veränderungen. a) Leber (allein untersucht), zeigt einen grossen Reichthum extractiver Materien, darunter beträchtliche Mengen Leuein und Tyrosin; auch der unter I., dritter Fall, a) erwähnte braune Körper ist ziemlich reichlich vorhanden. III. Lähmung des Rückenmarks in Folge von Wirbeleiterung. f Ein corpulenter Bäcker von 23 Jahren, schon seit,6 Mo- naten Schmerz in der Lendengegend beim Bücken wahrneh- mend, ‘empfindet plötzlich nach einem etwas ungewohnten Sprunge einen heftigen, stechenden Schmerz in derselben Ge- gend, auf welchen nach 2 Tagen Schmerzen in den unteren Extremitäten mit dem Gefühl von Eingeschlafensein folgen. 4 Tage nach dem Zufall zeigt der Kranke heftige Schmerzen längs des ganzen Rückgrats, vollkommene Gefühls- und, Bewe- gungslosigkeit der Beine bis zur Leistengegend; der Harn kann nieht entleert werden, der Katheterismus ist unempfindlich, die Stuhlausleerungen sind unwillkürlich. In den folgenden Tagen werden auch die Bauchdecken und ein Theil der Thoraxwand unempfindlich, während die Athembewegungen ungestört blei- ben; in der Nacht des letzten Tages (acht Tage nach dem Zu- fall) traten zeitweise Delirien ein, und der Kranke stirbt gegen Morgen unter komatösen Erscheinungen. Bei der Section findet man den linken Querfortsatz. des Ill. Lendenwirbels cariös, Eiter im linken Sacrolumbalmuskel und in der Scheide des Psoas, im Wirbelcanal vom Steissbein bis zum VII. Halswirbel, zwischen dem Knochen und der harten Haut; die Rückenmarkshäute sind stark. hyperämisch, , das Rückenmark selbst ohne auffallende Veränderung, blutreich und besonders in der oberen Lendengegend sehr weich. Lunge, Leber und Milz sind blutreich. a) Lunge: enthält viel Ammoniaksalze, Leuein in mitt- rer (Quantität, kein Tyrosin, etwas Harnsäure. b) Leber: kein Ammoniak nachweisbar; beträchtliche Men- gen extractiver Materien mit viel Leucin und Tyrosin; Zucker und Harnstoff nicht nachzuweisen. ce) Milz: Ammoniaksalze nicht vorhanden, Leucin und Tyrosin reichlich, kein Harnstoff oder Zucker. Peber das Vorkommen von, Leuein, Tyrosin u. s. w. 15 ‚„d). Nieren: kein. Ammoniak, die extractiven Materien) be- trächtlich mit mittleren Mengen Leucin und Tyrosin; auf andere Stoffe nicht geprüft. e) Herz: Ammoniaksalze nachweisbar, wenig extractive Ma- terien, enthalten Leucin und Kreatin. IV. Blutarmuth als Folge mangelhafter Ernährung. Erster Fall. Ein 44jähriger. Baumwollenweber, in ziemlich ärmlichen Verhältnissen lebend, früher nie bedeutend krank, zeigt seit einem ‚Jahr leicht ikterischen Teint, bald eintretende Ermattung bei der Arbeit; seit 6 Monaten leidet er ‚öfters an Diarrhöe, welche in den letzten 4 Wochen anhaltender und sehr profus geworden sein soll, während zugleich Mattigkeitsgefühl und Schwäche ihm selbst Stehen und Gehen erschwerten. Der unter diesen Verhältnissen am 19. Juni in's Spital auf- enommene Kranke zeigt eine mittlere Körpergrösse, eine blasse, Feicht in’s Ikterische spielende Farbe mit schlaffer Beschaffen- heit der Haut, wenig kräftige Musculatur, eine kaum über das Knabenalter vorgeschrittene geistige und körperliche, namentlich auch geschlechtliche Entwicklung. Der kleine schwache ‚Puls, die bisweilen blasende Systole, die sausenden Geräusche in den Jugularvenen werden als Symptome der Anämie gedeutet. Die Respirationsorgane erscheinen normal, Gefühl von Beengung. Während Appetit und Nahrungseinnahme regelmässig sind, sind die Ausleerungen diarrhoisch, 2—3 Mal täglich; der Harn ist hellgelb, klar, ohne nachweisbare abnorme Bestandtheile. Ueber Schmerzen ‚klagt der Kranke niemals. l In den nächsten 14 Tagen sistirt unter dem Gebrauch einer Eskalhei animalischen Kost und adstringirender Mittel die iarrhoe, aber das Allgemeinbefinden bleibt sich gleich. Der Kranke verbringt einen grossen Theil des Tages im Bette, beim Aufstehen klagt er über ein Gefühl von Schwere und Eng- brüstigkeit; Druck auf die Herzgrube soll etwas schmerzhaft sein. Gegen Abend zeigt sich Oedem an den unteren Extremi- täten. Im Laufe von 2 Monaten wird der Kranke trotz einer tonisch-analeptischen Behandlung und ohne dass eine öftere Untersuchung irgend eine Localkrankheit entdecken lässt, im- mer mehr marastisch, die Esslust schwindet und der Tod er- folgt Mitte August. Die Leichenuntersuchung ergiebt Nichts, was in irgend einer Art das Leiden aufklären könnte. Blutmangel in den meisten Drganen, blassgelbliche Entfärbung mit. leichter seröser Infil- tration der Gewebe, besonders der Muskeln, des Gehirns, der Drüsen; etwas gemehrte Flüssigkeit in den serösen Höhlen. 16 7. Neukomm: 4 u, Die nähere mikroskopische und chemische Untersuchung der einzelnen Organe ergiebt Folgendes: eg a) Leber: von normaler Grösse, blasser, röthlich brauner Farbe, ziemlich fester Consistenz. Die Leberzellen zeigen nur theilweise einen dunkel granulirten Inhalt mit einzelnen 'grös- seren Körnchen oder auch Fetttröpfchen; viele sind blass, meist jedoch mit, noch. deutlichem Kern, zerfallen leicht, ‚und; man sieht viele freie Kerne neben Zellendetritus. — Durch Ein- dampfen des weingeistigen Auszuges wird eine braune syrup- artige Masse erhalten, in welcher sich nach 12stündigem Stehen Leucin und Tyrosin, beide in beträchtlicher ‚Menge ausge- schieden haben; nachdem die durch Bleizucker und Bleiessig fällbaren Stoffe entfernt worden, bleibt beinahe eine reine Lö- sung von Leucein und Tyrosin zurück. b) Nieren: Gewebe von blassröthlicher in’s geibliche spie- lender Färbung. Die Harncanälchen zerfallen leicht in Detritus; die Epithelialzellen sind wenig verändert, blass. Der Gewebs- saft reagirt neutral. Neben beträchtlichen‘ Mengen Lewein und Tyrosin kann auch etwas Inosit gewonnen werden. e) Milz: vergrössert, Gewebe weich, viel pulpöse dunkel- rothe Masse enthaltend, der Saft‘ reagirt neutral. Im’ weingei- stigen Auszuge viel Leucin und Tyrosin; die durch Blei- essig gefällten Stoffe blieben. unberücksichtigt. d) Lungen: der linke obere Lappen ist ödematös infiltrirt, sonst erscheint das Gewebe ganz normal, enthält ebenfalls reichlich Leucin und Tyrosin; die Materien des Bleinieder- sehlages sind sehr gering. \ e) Pankreas: der Saft des Gewebes reagirt neutral, hat eine dünne, viseöse Beschaffenheit, wird auch ‚durch ‚Erhitzen und Entfernung der ausgeschiedenen Gerinnsel nieht ganz klar, enthält ebenfalls sehr viel Leuein und Tyrosin; die Sub- stanzen des Bleiniederschlages geben einen geringen Rückstand, Zweiter Fall. Die Krankheit scheint auch hier mit Verdauungsstörungen, zeitweise auftretender Diarrhoe begonnen zu haben. Die Kranke ist 53 Jahre alt, Landarbeiterin, lebte in gedrückten Verhält- nissen; sie sieht kachektisch aus, zeigt Oedem des subeutanen Ueber das Vorkommen von Leuein, Tyrosin u. s. w. 17 Zellgewebes, Aseites, kein Fieber. Der Harn ist hellgelb, von 1010 bis 1015 spec. Gew. Bei der anatomischen Untersuchung findet man die Flüssig- keiten in den serösen Höhlen der Brust und des Abdomen ge- mehrt, die Organe blass entfärbt. Herz und Gefässe enthalten höchst geringe Mengen Blut, nur aus den Venen der unteren Extremitäten lassen sich einige Unzen erhalten. Das Herz ist sehr contrahirt, seine Wandungen verhältnissmässig dick, sein Lumen klein, die Muskelfasern feinkörnig infiltrirt. Das Le- bergewebe ziemlich fest, blassbraun, die Zellen mit deutlichem Kern und gleichmässig feinkörnigem Inhalt, Die Galle gelb braun, dünnflüssig. Die Milz von mittlerer Grösse, fester, dun- kelrother Pulpa. Nieren und Nebennieren wenig verändert; die solitären Follikel des Dieckdarms sehr hervorstehend, a) Blut, 90 Grm. bei der Section gesammelt, dünnflüssig, alkalisch reagirend; es lässt sich darin Harnsäure, etwas Kreatin und Leucin nachweisen. \ b) Milz. Extractive Materien gering, enthalten Leucin, Tyrosin; Harnsäure ist nicht zu entdecken. Im Aetherauszug des von Weingeist und Wasser befreiten Gewebes findet sich Cholestearin. ec) Leber, enthält Leuein und Tyrosin in beträchtlicher Menge; auf Zucker wurde mit negativem Erfolge geprüft. Im Bleiniederschlage findet sich viel Xanthin neben etwas Harn- säure. d) Nieren, enthalten viel Leuein und Tyrosin; auf Harnsäure und Inosit wurde nieht Rücksieht genommen. e) Herzmuskel, giebt Leucin und Kreatin in beträcht- licher Quantität; die Materien des Bleiniederschlags gering. f) Gehirn. Im Weingeistauszug finden sich Leucin, Kreatin, Inosit; auf Cholestearin und andere Fette wurde nicht geprüft. V. Tubereulose. Erster Fall. Eine 17jährige Seidenwinderin kommt im December unter den Erscheinungen einer vorgeschrittenen Lungentuberculose in's Spital. Der Verlauf der Krankheit, welche schon vor 6 Monaten ihren Anfan genommen haben soll, bietet nichts Besonderes dar. Die Kranke stirbt nach 8 Tagen unter den Symptomen grosser Dyspnoe mit starkem Fieber. Reichert's u. du Bols-Reymond's Archiv. 1860, 2 18 J. Neukomm: Bei der 15 Stunden nach dem Tode gemachten Section fin- det man das Gehirn und seine Hüllen blutreich, beide Lungen mit der Thoraxwand verwachsen, im linken oberen Lungen- lappen eine hühnereigrosse Caverne, das umgebende Lungen- gewebe grösstentheils tuberculös infiltrirt, fest, mit zerstreuten kleineren, erbsen- bis haselnussgrossen Excavationen. Der un- tere linke Lappen enthält in seinem lufthaltigen Gewebe zahl- reiche Miliartuberkel. Der rechte obere Lappen ist stellen- weise geschrumpft, im Uebrigen ödematös, an den vorderen Rändern emphysematös, der mittlere zeigt kleinere Oavernen, der untere ist meist gesund. Die Bronchialdrüsen‘ sind ge- schwollen, dunkelviolett. Das Herz enthält breiiges, dunkel- rothes Blut. Die Leber ist fettreich, von muskatartiger Schnitt- fläche, trocken, blutarm, grosse Fetttropfen in den Leberzellen. Die Milz ziemlich ausgedehnt, mit festem, dunkelrothem Gewebe. Im Magen finden sich einige Spulwürmer. Die Geschleehtsorgane sind wenig entwickelt. a) Gehirn: neben Leuein und Kreatin enthält es Ino- sit in auffallender Quantität. - b) Herzmuskel: enthält dieselben Bestandtheile wie das Gehirn; Inosit kaum nachweisbar. e) Lungengewebe: (grösstentheils tubereulös infiltrirt), entwickelt Ammoniak bei Zusatz von Kali. Die durch Wein- geist extrahirten Materien in geringer Menge, enthalten reieh- lich Ammoniaksalze neben Leuein in ziemlicher Menge. d) Leber: enthält Leucin, Tyrosin zeigt sich weit spär- licher; durch Salpetersäure lassen sich winzige Mengen von salpetersaurem Harnstoff erhalten. e) Milz: enthält Leuein und Tyrosin in mässiger Menge; die durch basisch essigsaures Bleioxyd gefällten Stoffe in höchst geringer Menge. f) Nieren: Leuein ziemlich reichlich, Tyrosin spärli- cher: Ammoniaksalze nachweisbar. Im Bleiniederschlage Harn- säure und Xanthin. Zweiter Fall, eine 3öjährige Frau betreffend, bietet das Eigenthümliche, dass die Krankheit während der Schwangerschaft verläuft, mit Hel- kose des Larynx complieirt ist. Die Erscheinungen des letzte- ren Leidens, Heiserkeit, Schmerzen beim Sprechen und Schlin- gen, zeitweise Erstickungsanfälle, waren im Anfange während mehrerer Monate vorherrschend; dabei nahm die Kranke zu- Ueber das Vorkommen von Leuein, Tyrosin u. s. w. 19 sehends an Kräften ab, gegen Ende der Krankheit entwiekelten sich Soorpilze auf der Mundschleimhaut. Die Geburt verlief normal, mit lebendem Kind. Nach derselben grosse Erschöpfung, die Athembeschwerden anfangs geringer; dabei anhaltendes Fie- ber, schneller Verfall der Kräfte, Tod nach 14 Tagen. Bei der anatomischen Untersuchung findet man Ulceration der, Larynxsehleimhaut mit, theilweiser Zerstörung der Epi- . ‚glottis, ‚Epithelialwucherung an der Zungenwurzel, in beiden Lungenspitzen ein verschrumpftes, stark pigmentirtes Gewebe mit kleineren von breiigkäsiger Masse gefüllten Excavationen, die übrigen, lufthaltigen Lungenpartien mit grauen, miliaren Tuberkeln durchsäet, den Darmkanal wenig verändert, die Le- ber blutarm, mit lehmartig entfärbtem: Gewebe, die Milz ver- grössert, reich an pulpöser Substanz. Im weingeistigen Auszug der Leber, welcher einen be- trächtlichen festen Rückstand giebt, finden sich reichliche Men- gen von Leuein und Tyrosin; die Prüfung auf Harnstoff mit eoncentrirter Salpetersäure ergiebt ein negatives Resultat. Dritter Fall. Die 19jährige Kranke, Fabrikarbeiterin, fühlt: sich schon seit 5 Monaten zeitweise unwohl; vor 14 Tagen, traten, Er- scheinungen einer Affection des Bauchfells ein und machten Patientin bettlägerig. Unter anhaltendem intensivem Fieber, Appetitlosigkeit, Diarrhoe tritt schneller Verfall der Kräfte ein und der Tod erfolgt nach drei Wochen. In den letzten Tagen ist der Harn auffallend dunkelbraun gefärbt, sonst klar, sauer, ohne Eiweiss. Auf Zusatz von concentrirter Salzsäure scheiden . sich nach 12stündigein Stehen eigenthümlich spiessförmige, blau- violett gefärbte Harnsäurekrystalle aus, und an der Oberfläche des trüblichen Harns zeigt sich ein blaues Häutehen. Das durch Salzsäure bewirkte Sediment giebt gewaschen und ge- troeknet an Aether einen schön violetten Farbstoff ab, während ein brauner in kaltem Weingeist löslicher und ein blauer, da- von nicht aufgenommener, zurückbleibt. Der anatomische Befund (14 Stunden nach dem Tode) ist folgender: Gehirn blutleer, Cerebrospinalflüssigkeit reichlich, in den, serösen Höhlen der Brust wenig Flüssigkeit, in beiden Lungenspitzen disseminirte, traubige, nicht erweichte Tuberkeln; Herzmuseulatur weich, schlafl, Herzblut gut geronnen. Abdo- minalhöhle mit übelriechenden Gasen gefüllt, an der Oberfläche der Däürme Fäcalstofle, Im ganzen Umfange des Peritonaeum finden sich zerstreute erbsen- bis bohnengrosse pustelartige Knoten aus gelblich-käsigem Gewebe, oder auch plaqueartig ausgebreitete ulcerirte Stellen. Das Peritonaeum ist, verdickt, die Oberflächen der Leber und Milz mit dem Diaphragma und 9% “ 20 J. Neukomm: Magen, sowie die Darmschlingen unter sich verwachsen. Die Intestinalschleimhaut ist mit Ausnahme von zwei Stellen im Diekdarm, wo sie von aussen her durchbrochen ist, nicht we- sentlich verändert. Lebergewebe blutleer , schlaff, gelbbraun tingirt, die Zellen blass, ohne scharfe Conturen, feinkörnig in- filtrirt, einzelne enthalten Fetttröpfehen. Galle braun, syrup- artig. Milzgewebe weich, hellviolett, die Epithelien der Harn- canälchen körnig infiltrirt, die Kerne bei Essigsäurezusatz . deutlich. a) Blut, schwach alkalisch, enthält einzelne Fibrincoagula. Es findet sich darin Leucin in beträchtlicher Menge, etwas Tyrosin, Harnstoff und Harnsäure. b) Leber. Der Weingeist, verbunden mit einem nachträg- lichen Wasserauszug, ist auffallend gelb gefärbt, liefert Ty- rosin in reichlicher Quantität, Leuein, Xanthin u. s. w. Spuren von Harnsäure, e) Galle. Nach Fällung der Gallensäuren und Farbstoffe mit Bleiessig bleibt Leucin neben einem anderen in Weingeist schwer löslichen, krystallinischen Körper. d) Milz, enthält reichliche Mengen Leucin, wenig Ty- rosin, etwas Xanthin. VI. Acuter Gelenkrheumatismus. Die Dauer dieser Krankheit, bei einem kräftig gebauten, 40jährigen Schmiede, ist genau 14 Tage, Neben mehr oder weniger starken, in verschiedenen Gelenken abwechselnd auf- tretenden Schmerzen, fast constantem Schweiss, besteht ein con- - tinuirliches Fieber mit einer 'Temperatursteigerung auf 39—40°C. (in der Achselhöhle gemessen) und einer Pulsbeschleunigung zwischen 80 und 100. Am Abend des letzten Tages, 3 Stunden vor dem Tode, zeigt das Thermometer die auffallende Höhe von 41° C.; in der Nacht delirirt der Kranke öfters und stirbt gegen Morgen. Der Harn zeigte während der ganzen Krank- heit wenig auffallende Veränderungen, bei einer täglichen Quan- tität von 1000—1500 CC. und einem Gewicht von 1020 bis 1027. Von Arzneimitteln wurden dem Kranken vom sechsten Tage an 12—16 Gran schwefelsaures Chinin täglich gegeben, am 12. und 13. Tage war ausgesetzt worden. Bei der Section lassen sich wesentliche pathologische Ver- änderungen in keinem Organe entdecken. Am meisten ver- ändert erscheint noch das Blut; es bildet eine halbgeronnene dunkelrothe Masse im Herzen und den grossen Gefässstämmen, die Intima und das Endokardium kirschroth imbibirend; an der hinteren Oberfläche des Herzens zeigen sich unter dem Perikar- Ueber das Vorkommen von Leuein, Tyrosin u. s. w. 21 dium einzelne hirsekorngrosse Ekehymosen. In den meisten Gelenken findet man eine ziemlich klare, bernsteingelbe Syno- via, in welcher einzelne Faserstofflocken und Eiterkörperchen zu entdecken sind; nur im rechten Schultergelenk ist die Sy- novia trübe und enthält eine ziemliche Menge Eiterzellen. Die Synovialmembran und der Gelenkknorpel sind überall intact. a) Blut: rührt von einem Aderlass her, welcher zwei Stun- den vor dem Tode gemacht worden ist. Die Untersuchung auf Leuein und Tyrosin ergiebt ein negatives Resultat; dagegen lassen sich mit Salpetersäure beträchtliche Mengen salpeter- sauren Harnstoffes ausfällen. Die Menge des rein darge- stellten, nachher wieder als salpetersaure Verbindung gefällten Harnstoffes mit der Quantität des angewandten Blutes ver- glichen, ergab einen ungefähren Procentgehalt von 0,01. (Die Zahl ist wegen der bedeutenden Verluste offenbar viel zu klein.) b) Gehirn: enthält reichliche Mengen Inosit, daneben Leuein und Kreatin; Harnstoff lässt sich nicht nachweisen, e) Leber: viel Leucin und Tyrosin; die Gegenwart von Zucker und Harnstoff nicht zu constatiren. VII. Herzkrankheit. Die Kranke, eine 35jährige Frau, wurde schon vor einem Jahr von Apoplexie mit linksseitiger Hemiplegie, die zum Theil noch jetzt in der oberen Extremität fortbesteht, befallen. Das wesentlichste Symptom des Herzleidens ist Stauung im Venen- system mit grosser Dyspnoe. Oedem der unteren Extremitäten. er stark eiweisshaltige Harn ist meist tief gelbbraun gefärbt, und enthält öfters bei saurer Reaction ein starkes Sediment von harnsaurem Ammoniak. Die anatomische Untersuchung ergiebt ausser einer apoplektischen Narbe in der rechten Gehirnhemi- sphäre wesentliche Veränderungen im Klappenapparat des Her- zens, welche in einer Verdickung und Schrumpfung des einen Zipfels der Mitralklappe, in Auflagerungen (aus Fettzellen ge- bildet) auf die Ränder der Aortaklappen bestehen, neben gleich- zeitiger Hypertrophie der Wände des linken Ventrikels und Er- weiterung des linken Vorhofes, auf dessen Innenseite man unter , dem Endokardium grössere und kleinere Knochenplättchen (eine Art verkalkten Bindegewebes) antrifft. Die Leber zeigt eine eigenthümliche, rauhe, körnige Oberfläche; das Gewebe ist zähe, trocken, zeigt auf dem Durchschnitt das gesprenkelte Ansehen der sogenannten Muskatleber; die Leberzellen sind blass, fein granulirt, enthalten wenig Fett, häufig trifft man zwischen den- selben kernhaltige Fasern; in den Gallengängen wenig ocher- gelbe Galle. Die Milz ist normal, die Lunge blutreich, 22 I. Neukomm: Die chemische Untersuchung der Leber ergab Leuein, Tyrosin und Harnsäure; Zucker und Harnstoff wurden nicht gefunden. VII. Syphiliskachexie. Eine 47 Jahre alte, sehr abgemagerte Weberin kommt mit den Erscheinungen einer beträchtlichen Flüssigkeitsansammlung im Abdomen und mässigem Oedem der Beine in’s Spital. Eine vertiefte Narbe auf der linken Stirn, die eingefallene Nase, das grösstentheils zerstörte Gaumensegel, eine beträchtliche Kno- chenauftreibung an der reehten Tibia deuten auf einen früheren tertiär-sypbilitischen ‚Process, welcher nach den Aussagen der Kranken schon im 22. Jahre die Knochen ergriff. Kreislaufs- störungen sollen erst seit einem Jahr sich bemerkbar gemacht haben. Fieber besteht nicht; der Harn ist klar, hellgelb, von 1020 sp. Gew., sauer, enthält kein Eiweiss. Ziemlich intenser Darmkatarrh. Zur Erleichterung der Kranken werden aus der Bauchhöhle 10 Litres Flüssigkeit entleert. Nach der Punction schneller Verfall der Kräfte, zeitweise Erbrechen, Tod nach 6 Tagen. | Der anatomische Befund (16 Stunden nach dem Tode) er- gab bezüglich der Knochenaffeetionen am Stirnbein und der knöchernen Nasenscheidewand vollständige Vernarbung und Ueberhäutung, an der Tibia Osteophytenbildung. Beide Lungen sind durch reichliche Bindegewebsmassen. mit der Thoraxwand verwachsen, übrigens lufthaltig und gesund; das Herz von nor- maler Grösse, wenig Flüssigkeit im Perikardialsacke, auf der Innenseite der Aorta atheromatöse Flecken, zum Theil mit Kalk- einlagerung, die Aortaklappen steif und verdickt. Der fibröse Ueberzug der Leber bildet ein mächtiges Bindegewebsstratum, welches einerseits mit dem Zwerchfell und dem Nierenzellge- webe fest verwachsen ist, anderseits mit einem sehr entwickel- ten Bindegewebsmaschenwerk des Leberparenchyms zusammen- hängt, wodurch dieses Organ beträchtlich zusammengeschnürt wird. Diese interstitielle Bindegewebswucherung zeigt sich in- dessen nur zwischen grösseren Leberpartien, keineswegs gleich- mässig zwischen den einzelnen Läppchen; das granulirte An- sehen der kirrhotischen Leber fehlt vollkommen. Die Leber- zellen sind gut erhalten, mit blassem, einige grössere, gelbliche Körnchen enthaltenden Inhalt und deutlichen Kernen. Auch der fibröse Ueberzug der Milz ist verdiekt und bildet Adhärenzen ' mit der Leber und dem Bauchfell. Auffallend ist die grosse Dimension der Milz (16 Cm. Länge, 11 Breite, 4,5 Dicke) gegen- über der Leber (22 Cm. Länge, 14 Breite, 5 Dicke). Die Bauch- höhle ist mit einer trüben, eiterhaltigen Flüssigkeit ausgefüllt, das Peritonaeum der vorderen Bauchwand zeigt fleckenartige, entzündliche Röthung. Im Mesenterium finden sich zwei hüh- Ueber das Vorkommen ‘von Leucin, Tyrosin u. s, w. 23 nereigrosse Geschwülste aus festem fasrigen Bindegewebe; die eine ist knorpelartig hart, ihr Centrum erweicht und enthält deutliche Krebszellen. Die Schleimhaut der Vagina ist in ein weiches zellen- und gefässreiches Krebsgewebe umgewandelt, welches am Muttermunde weiche, papilläre Exerescenzen bildet. a) Flüssigkeit aus der Bauchhöhle, während des Le- bens entleert: reagirt alkalisch, spec. Gew. 1015. 100 Theile enthalten... . 97,62 Wasser, 2,53 feste Bestandtheile. Unter den letzteren finden sich Albumin (1,13pCt.), Zucker (0,3pCt.) und Harnsäure; Harnstoff nicht nachzuweisen. b) Gehirn: liefert eine ziemlich geringe Menge durch Wein- geist ausziehbarer Stoffe, sie enthalten Kreatin, Leuein, Harnstoff: die Gegenwart des Inosits ist nicht sicher zu con- statiren. e) Herz, giebt ebenfalls eine geringe Menge extractiver Materien, darunter Kreatin, Harnstoff, Harnsäure und Xanthin in geringer Quantität. d) Leber: enthält Leucin in mässiger Menge, wenig Ty- rosin, keinen Zucker, etwas Harnsäure, e) Milz: liefert Leuein und Tyrosin in ansehnlicher Quantität; die durch basisch essigsaures Bleioxyd gefällten Stoffe sind sehr gering, sämmtlich amorph, namentlich ist die Gegenwart der Harnsäure nicht zu constatiren. f) Nieren: kein Leuein und Tyrosin zu entdecken, eben so wenig lässt sich Harnstoff nachweisen, dagegen in erhebli- cher Menge Inosit. IX. Krebskachexie, Erster Fall. Der Kranke, ein 54jähriger Mann, leidet schon seit 2 Mo- naten an Verdauungsstörungen, in den letzten Wochen der Krankheit stellt sich nach jeder Mahlzeit Erbrechen ein; äus- serste Abmagerung. Zwei Tage vollkommener Anorexie gehen dem Tode vorher. Die wahrnehmbaren pathologischen Veränderungen an der Leiche (14 Stunden nach dem Tode) redueiren sich hauptsäch- lich auf eine gürtelförmig um den Magenausgang liegende und denselben bis zur Weite eines Federkieles verengende Krebsge- schw ulst, welche die Magenwand bis auf 1 Centimeter verdickt, 24 J. Neukomm: aus festem fibrösem Gewebe mit eingestreuten blassen Krebs- zellen besteht. Die Aussenfläche des Magens ist nicht verän- dert, die innere grösstentheils von der Schleimhaut bedeckt, nur an einer beschränkten Stelle uleerirt. Die Leber ist auf- fallend klein, ihr Gewebe von fester Consistenz, tief braun ge- färbt, ziemlich blutreich; die Milz ist klein, nicht sehr bluthaltig, die Pulpa gegen das Balkengewebe zurücktretend. a) Leber: nach Entfernung aller durch Bleiacetat fällbaren Stoffe wird eine sehr geringe Menge extractiver Substanz er- halten, in welcher weder Leuein noch Tyrosin nachweisbar sind, auch eine Prüfung auf Harnstoff fällt negativ aus; die Zuekerprobe wurde nicht gemacht. b) Milz: die aus ihrem Gewebe erhaltenen Materien sind im Ganzen nicht beträchtlich, enthalten aber doch ansehnliche Mengen von Leucin und Tyrosin. Zweiter Fall. Blasenkrebs bei einem 45 jährigen Mann. Die ersten Zeichen des Leidens, Gefühl von Druck und Schmerzen im Hypogastrium, von Zeit zu Zeit Blutabgang durch den Harn, sind schon vor 3 Monaten eingetreten; in den letzten 6 Wochen schnelle Ab- magerung, öfters eintretendes Blutharnen, Erscheinen einer klei- nen knotigen Vorragung durch die gespannten Bauchdecken in der Nabelgegend, später leichte oberflächliche Uleeration des Knotens. Schmerzen im Allgemeinen nicht bedeutend, äusser- ster Marasmus, vollkommene Anorexie in den letzten Tagen. Tod nach 3monatlicher offener Krankheit. Seetion 11 Stunden nach dem Tode. Hauptsitz der carci- nomatösen Ablagerungen ist die hintere Blasenwand, wel- che bis 2 Centimeter Dicke erreicht und aus skirrhotischem Krebsgewebe, in welchem schon das blosse Auge deutliche Zellennester entdeckt, gebildet wird. Die Neubildung scheint ursprünglich dem Peritonaeum angehört zu haben, ist wenigstens auch über andere Flächen dieser Membran in grösseren und kleineren Knoten verbreitet. Die Leber ist von mässiger Grösse, fester Consistenz, stark braun gefärbt, ziemlich blutreich, die Milz klein, arm an pulpöser Substanz; im Uebrigen normale Verhältnisse. a) Leber: giebt verhältnissmässig wenig durch Weingeist ausziehbare Stoffe, unter denen auch nach wiederholten Ope- rationen nur etwas Leucin, kein Tyrosin zu entdecken ist. Nach Entfernung des angeschossenen Leueins bleibt eine dünne syrupöse Masse, in welcher sich einzelne grosse, weisse, pris- Ueber das Vorkommen von Leuein, Tyrosin u. s. w. 25 matische Krystalle niederschlagen, die der Form nach für Tau- rin gehalten werden mussten, auf dem Platinblech vollständig unter dem Geruch nach verbranntem Haar verbrennen; das Material reichte leider zu einer genaueren Prüfung nicht aus. b) Milz: enthält Leucin und Tyrosin, neben wenig durch Bleiessig nicht fällbaren Stoffen. Dritter Fall. Krebs der Pleura. Pathologisch ist dieser Fall dadurch interessant, dass die Krankheit mit den Erscheinungen einer Pleuraentzündung beginnt, innerhalb 6 Wochen zu bedeutenden Krebsablagerungen führt und mit einer acuten, croupösen Ent- zündung der Bronchialschleimhaut endet. _Der Kranke, ein 40jähriger Mann, ist nicht auffallend abgemagert. Im ganzen Umfange der Pleura (parietalis und pulmonalis) zeigen sich klei- nere und grössere Krebsknoten mit ziemlich. festem Gewebe und dem charakteristischen Krebssaft; die mikroskopische Un- tersuchung lässt überdies über die Natur der Neubildung kei- nen Zweifel zu. Die rechte Lunge ist durch einen bedeutenden Pleuraerguss eomprimirt, die Luftröhre und Bronchien sind durch ein röhrenartiges Fibringerinnsel ausgekleidet, die dar- unter liegende Schleimhaut durch die strotzend gefüllten Ge- fäsenetze intens geröthet; in den übrigen Körpertheilen keine auflallenden Veränderungen. a) Krebsknoten: weil hier in seltener Reinheit zu be- kommen, auf Leucin und Tyrosin untersucht. Das Resultat ist ein positives, die Quantität, in der beide Körper vorkommen, eine mittlere. b) Leber. In diesem Organ kann nur Leucin, kein Ty- rosin, eben so wenig Zucker nachgewiesen werden; auch Harn- säure und Inosit werden nicht darin gefunden. X. Plötzlicher Tod in Folge von Gehirnanämie, Eine 23jährige Seidenweberin kommt nach vorherigem vier- wöchentlichem Kranksein am 30. October angeblich als Typhus in’s Spital. Sie sieht anämisch aus und leidet an Darmkatarrh. Nach 10 Tagen lässt die Diarrhoe nach, die Kranke scheint sich zu erholen, als sie plötzlich am 14. November beim Auf- sitzen im Bett zusammensinkt und stirbt, nachdem sie einige Stunden vorher noch mit Appetit gefrühstückt hatte. Die Section ergab grosse Anämie und Blässe des Gehirns, Verwachsung beider Dluzennberääkhön mit der Brustwand durch Bindegewebsstränge, Im Dickdarm ragten die solitären 26 J. Neukomm: Follikel'als hirsekorngrosse Knötchen auffallend über die Schleim- hautfläche hervor und gegen das Coecum hin zeigten sich ein- zelne kleinere Geschwürchen. Die Leber war von brauner Farbe mit. deutlichen Leberinselchen, also ziemlich normal, die Milz etwas geschwollen, mit dunkelrother, reichlicher Pulpa. ' Das noch flüssige Blut (die Section wurde früh gemacht); gerann schnell an der Luft. a) Blut, aus der Carotis interna und der Arteria verte- bralis gesammelt. Kein Leuein und Tyrosin, auf Harnstoff mit negativem Erfolge geprüft; Zucker in verhältnissmässig reich- licher Menge nachzuweisen, b) Leber. Durch Ausfällen aller durch Bleiessig fällbaren Stoffe wird aus dem weingeistigen Leberauszuge ein stark braun gefärbter Syrup erhalten, welcher nie krystallinische Abschei- dungen zeigt, von welchem dagegen ‚höchst geringe Mengen un- sere Kupferlösung augenblicklich redueiren; der Syrup schmeckt auch deutlich süss. Zucker., Aus dem Bleiniederschlage, las- sen sich Harnsäure und andere der: Harnsäure verwandte Körper als braune Kügelchen gewinnen. e). Milz: viel Leucin, Tyrosin nur in geringer Quan- tität, kein Zucker. d) Lungen: bei gleicher Behandlung ‘wie bei den anderen Objecten ist nur Leucin zu erhalten. - e) Nieren: Leucin, kein Harnstoff oder Zucker. Die Extractsubstanzen überhaupt wie bei den Lungen in geringer Menge vorhanden. XI. Säuferwahnsinn. Das Individuum ist ein 3öjähriger, kräftiger Mann, schon seit mehreren Jahren Gehülfe in einer Weinbandlung, wo. er sich dem heimlichen Trunke ergeben hatte. Die Krankheit be- gann vor 10 Tagen mit allgemeiner Verstimmung, gastrischen Erscheinungen, ohne Fieber; bald zeigten sich einzelne‘deliri- rende Vorstellungen, keine eigentlichen Sinneshallueinationen, welehe schliesslich in tobende Delirien übergingen, unter denen schnell der Tod eintrat. Die Section (12 Stunden nach dem Tode) ergiebt in keinem Organe wesentliche Veränderungen. Das Blut ist dünnflüssig, bildet keine Gerinnsel im Herzen; die Öerebrospinalflüssigkeit ziemlich reichlich. Die Leber zeigt stellenweise, besonders nahe der Oberfläche, eine Entfärbung aus dem Tiefbraunen in’s Gelb- Ueber das Vorkommen von Leuein, Tyrosin u. s. w. 27 bräunliche und enthält hier ziemlich viel Fett in den Zellen. Das Milzgewebe ist mässig fest, dunkelroth. a) Blut, etwa 1 Pfund aus den grossen Gefässstämmen gesammelt; dünnflüssig, dunkelroth, grünlich durchscheinend, schwach alkalisch; enthält Harnsäurein auffallender Quanti- tät, etwas Xanthin, keinen Inosit, Harnstoff ebenfalls be- deutend; Leuein lässt sich nicht sicher constatiren, die Zucker- probe fällt negativ aus. b) Gehirn (100 Grm): in dem weingeistigen Auszuge fin- den sich Leucin, Kreatin, Inosit; auch Cholestearin ist in ansehnlicher Menge zugegen. e) Leber: weingeistiger und wässeriger Auszug geben einen stark braun gefärbten Syrup; derselbe giebt bei weiterer Behandlung Xanthin (keine Harnsäure), etwas Leuein, Zucker, y d) Milz: liefert Leuein und Tyrosin in mässiger Menge; in Bleiniederschlag ist weder Harnsäure noch Inosit nachzu- weisen, e) Nieren: Leuein und Tyrosin in geringerer Quantität als in der Milz bei gleichem Gewicht. der angewandten Sub- stanz; nur Spuren von Harnsäure, kein Inosit. f) Harn: eine Untersuchung desselben auf Leuein, Tyro- sin, Inosit fällt negativ aus. YIL Bright’sche Nierenkrankheit. Erster Fall, betrifft einen 32jährigen, kräftigen Bierbrauer, welcher nach längerem latenten Verlaufe seines Nierenleidens plötzlich mit den Erscheinungen einer acuten Lungencongestion (grosser Dyspnoe, Husten mit Auswurf schleimig-wässriger, blutig tin- irter Massen, Cyanose im Gesieht, Fieber) in’s Spital kommt. ährend eines Stägigen "Aufenthaltes nimmt, zwar die febrile Aufregung etwas ab, aber die Brusterscheinungen, welche im- mer mehr den Charakter eines acuten Oedems annehmen, stei- ern sich, der Kranke ist sehr unruhig, klagt über heftige Shmerzen in den Gliedern; mehrmals tritt starker Schwindel mit grosser, beinahe au Lähmung grenzender Ermattung ein, ts werden gallige, schleimig-wässrige Massen erbrochen. Der Harn ist im Anfang hochroth, mit Sediment von harnsauren Salzen, später wird er mehr gelbbraun, ohne Sediment von 28 *ı J. Neukomm: Harnsalzen; stets enthält er beträchtliche Mengen Eiweiss und blasse, mehr röhrenartige Exsudateylinder neben Blutkörper- chen. Drei Stunden vor dem plötzlich eintretenden Tode war noch bei vollkommenem Bewusstsein des Kranken ein Aderlass gemacht worden. Die anatomische Untersuchung, 18 Stunden nach dem Tode, zeigt auffallend teigige Consistenz des Gehirns, vermehrtes Se- rum im Herzbeutel, bindegewebige Adhärenzen in der rechten Pleurahöhle, die Schleimhaut der Trachea und Bronchien sehr hyperämisch mit ödematöser Schwellung im Larynx, die Lun- gen lufthaltig, blutreich, mit Oedem im rechten oberen Lappen, dieMilz blutreich, einen haselnussgrossen hämorrhagischen Heerd enthaltend, die Nieren von normaler Grösse, in den Harncanäl- chen körniger Zerfall der Epithelien, zum Theil fettig degene- rirte Exsudatmassen, grosse Gefässfülle um die Canälchen. a) Erbrochenes von Morgen nüchtern: grünlich-braune, schleimige Massen, ohne Speisereste, neutral reagirend, bei Zu- satz von Kali Ammoniak entwickelnd.. Leuein darin in be- trächtlicher Menge nachzuweisen, die Prüfung auf Zucker und Harnstoff fällt negativ aus. b) Aderlassblut: reagirt alkalisch, entwickelt kein Am- moniak bei Kalizusatz; es lassen sich darin geringe Mengen Harnstoff, kein Leuein entdecken; auf Zucker wurde nicht geprüft. 4 e) Lungen: das zerriebene Gewebe reagirt neutral, ent- wickelt kein Ammoniak bei Zusatz von Kali. Unter den durch Weingeist ausgezogenen Stoffen lassen sich Leucin, geringe Mengen von Harnstoff, etwas Inosit und Oxalsäure (aus dem Bleiniederschlag auf gleiche Weise wie Inosit als saures Natronsalz gewonnen), nachweisen. d) Nieren: neutral reagirend, schwache Ammoniakentwick- lung bei Zusatz von Kali. Leuein und Tyrosin in beträcht- licher Menge, oxalsaures Natron wie in den Lungen; ge- ringe Mengen von Harnsäure und Xanthin. e) Leber: Gewebe neutral, keine Ammoniaksalze nach- weisbar. Aus dem Weingeistauszuge wird nach Ausfällung aller durch Bleiessig fällbaren Stoffe ein stark braun gefärbter Syrup erhalten, welcher auch bei längerem Stehen keine geformten Niederschläge zeigt; in der alkalischen Kupferlösung bewirken schon kleine Mengen eine augenblickliche Reduction des Kupfer- Ueber das Vorkommen von Leuein, Tyrosin u. s. w. 29 oxyds: Zueker. Mit salpetersaurem Quecksilberoxyd entsteht in der Lösung dieses Syrups ein ziemlich copiöser Niederschlag, in welchem sich jedoch weder Harnstoff, noch Leuein nachwei- sen lassen. Im Bleiniederschlage werden etwas Harnsäure und Inosit gefunden. f) Pankreas: neutral. Im Weingeistauszug viel amorphe Substanzen, zum Theil schmieriges Fett; nach Entfernung dieser durch Bleiacetat werden beträchtliche Mengen Leuein und Tyrosin neben verhältnissmässig wenig amorphen Materien erhalten. g) Milz: neutrale Reaction, kein Ammoniak. Der wein- geistige Auszug giebt nach Behandlung mit Blei einen dünnen, hellen, honigartigen Syrup mit viel Leucin und Tyrosin. h) Herzmuskel: neutral, kein Ammoniak.‘ Leucin und etwas Inosit nachzuweisen, die Prüfung auf Harnstoff und Zucker fällt negativ aus; Kreatin zeigt sich ebenfalls nicht. Zweiter Fall. Der Anfang der Krankheit bei einem 34jährigen Steinbre- cher, welcher Beruf indessen erst seit 1'/, Jahren betrieben wurde, lässt sich auf 6 Monate zurückführen. Schon frühe zeig- ten sich hydropische Erscheinungen, öfters Anfälle von Schwin- del, später auch Erbrechen. Der Harn zeigte während der äwöchentlichen Beobachtungszeit meist eine verminderte Quan- tität (500 bis 1000 CC. täglich) und ein geringes specifisches Gewicht, 1005—1010), enthielt reichlich Eiweiss und lange so- lide Faserstoffeylinder, von denen einzelne als weisse, 1MM und darüber lange Fädchen mit blossem Auge sichtbar waren; bei mehrstündigem Stehen zeigte sich meist auch ein Sediment von Harnsäurekrystallen. Oedem des Unterhautzellgewebes, zeit- weise Anfälle von Beengung, Schwindel, Kopfschmerz, im An- fang ziemlich hartnäckiges Erbrechen bildeten die vorragend- sten Krankheitserscheinungen; plötzlich eintretende Convulsio- nen mit Uebergang in Koma machten dem Leben innerhalb 36 Stunden ein Ende. Die 17 Stunden nach dem Tode gemachte Leichenöffnung ergab eine Meningealapoplexie an der Oberfläche der linken Hemisphäre des grossen Gehirns in einer Ausdehnung von 5 bis 6 Quadratcentimetern, bedeutende Mengen seröser Frıkesig- keit in den Pleurahöhlen und im Peritonaealsack, das Lungen- gewebe überall lufthaltig, etwas ödematös infiltrirt, das Herz umfangreich, namentlich die linke Ventrikelwand stark ent- wickelt, die Klappen normal, das Herzblut dunkelroth, dünn- 30 J. Neukomm: breiig, die Leber wenig verändert, die Milz blutreich, die‘Nie- ren von normaler Grösse, auf dem Durchschnitt zwischen Streifen blassgelb entfärbten Gewebes stark injieirte Gefässe zeigend, die Harnkanälchen theils mit körnig infiltrirten Epi- thelzellen gefüllt, theils ohne Epithel aus der blossen Membrana propria gebildet. a) Harn, während des Lebens gelassen: speciell auf In osit untersucht: das Resultat ist ein positives, die gefundene Menge jedoch nieht beträchtlich. b) Blut, aus dem rechten Herzen und der unteren Hohl- vene gesammelt, etwa 3 Unzen: entwickelt Ammoniak bei Kali- zusatz; es werden darin Harnstoff in ziemlicher Menge, kein Leuein oder Inosit, dagegen etwas Harnsäure gefunden. e) Blut, durch Schröpfköpfe aus der Nierengegend wäh- rend des Lebens entzogen: enthält ebenfalls reichlich Harn - stoff, kein Leuein, auf Harnsäure nicht geprüft, auf Zucker mit negativem Resultat. d) Flüssigkeit aus der Brusthöhle: stark eiweisshal- tig, schwach alkalisch, von 1012 spee. Gewicht, ausser einzelnen Epithelzellen und Blutkörperchen ohne morphotische Elemente; enthält reichliche Mengen Harnstoff und Harnsäure. Inosit nicht gefunden, auch kein Leuein. e) Flüssigkeit aus der Bauchhöhle: von 1012 spec. Gewicht, nach Fäcalstoffen riechend und schwach sauer reagi- rend. Die filtrirte Flüssigkeit scheidet, wie dieses auch bei d) der Fall war, beim Stehen an der Luft Fibringerinnsel aus. Die Resultate der chemischen Untersuchung sind dieselben wie bei d). f) Gehirn: deutliche Ammoniakentwieklung bei Zusatz von Kalilauge zu einer Probe des zerriebenen Gewebes. Im Wein- geistauszuge werden Inosit in reichlicher Menge, Kreatin, Leucin, etwas Harnstoff, kein Zucker gefunden. g) Leber: in dem Saft ihres Gewebes lässt sich ebenfalls Ammoniak nachweisen; ausserdem enthält derselbe reichlich Zucker, spärliche Mengen Leuein, kein Tyrosin, etwas Harnsäure: auf Harnstoff nicht geprüft. h) Milz; enthält viel Leucin und Tyrosin. i) Nieren: Ammoniaksalze nachweisbar, daneben Harn- Ueber das Vorkommen von Leuein, Tyrosin u. s. w. 31 stoff, wenig Leucin, noch weniger Tyrosin; Inosit lässt sich nicht mit Sicherheit auffinden. k) Nebennieren lassen im spirituösen Auszuge nur etwas Leuein entdecken. Dritter Fall. Nierenerkrankung nach Scharlach bei einem 12jährigen Knaben, welcher unter ziemlich vorgeschrittenen hydropischen Erscheinungen zu unserer Beobachtung kommt, schlecht genährt ist und an Darmkatarrh leidet. Der Harn ist stark eiweiss- haltig und enthält Faserstofleylinder. Bei der Section findet man das Unterhautzellgewebe eifrig infiltrirt, die Nieren von normaler Grösse, ihre Oorticalsubstanz von blassgelblicher Farbe, die Epithelien in den Harncanälchen in körnigem Zerfall. a) Nieren: enthalten in dem weingeistigen Auszuge ihres Gewebes Leucin, kein Tyrosin, dagegen Inosit in ansehn- licher Menge. b) Lungen: ihr Gewebe entwickelt Ammoniak bei Zusatz von Kalilauge, zeigt Leucin in geringer Menge; auf Harn- stoff, Inosit, wurde nicht geprüft. c) Leber: enthält Ammoniaksalze und Leuein, im Blei- niederschlage Xanthin; auf Harnstoff und Zucker nicht un- tersucht. d) Milz:giebt Leucin und Tyrosin in ansehnlieher Menge. e) Herz: Leucin und Kreatin neben Ammoniaksalzen nachweisbar; die Materien des Bleiniederschlages blieben un- berücksichtigt. h } XII. Diabetes mellitus. Ein 29jähriger Zimmermann, bisher immer gesund und in guten Verhältnissen lebend, fühlt sich zuerst im Herbst 1856 unwobl, Ein beständiges Gefühl von Mattigkeit, häufiges Be- dürfniss zu trinken und dem entsprechend öftere und copiösere Harnentleerungen waren die Anfangserscheinungen der Krank- heit. Der Appetit war nicht vermindert, aber der Kranke klagte, dass ihm die Speisen keine Kräfte mehr geben. ‚Seine früheren Lebensverhältnisse waren günstige, die Nahrung kei- neswegs ungenügend. Schon zweimal einer längeren Spitalbe- handlung theilhaftig, kommt er am 11. September 1857 zu un- serer Beobachtung. Obgleich von kräftiger Körperanlage, sind doch die Weich- 32 J. Neukomm: wi! theile etwas eingefallen, die Bewegungen wenig energisch; Verdauungs-, Athmungs- und Kreislaufsorgane zeigen keine auffallend abnormen Erscheinungen, gemehrter Durst. Eine quantitative Untersuchung der täglichen Zuckeraus- scheidung ergiebt Folgendes: (Die Zahlen sind die Summen von zwei Bestimmungen täg- lich; in der Columne 1. steht der Beobachtungstag, in 2. die tägliche Harnmenge in Cubikcentimetern, in 3. die tägliche Zuckermengsih Grammen.) 1. Bei gemischter Kost, bestehend in 125 Grm. Brod, 250 Grm. Karto/feln oder Reis, 125 Grm. Käse, 375 Grm. Fleisch, 900 CC. Suppe mit geringen Mengen Amylaceen, 800 CC. Kaffee mit Milch, 600 CC. Rothwein, 2000—4000 CC. Wasser. Der Harn ist hell, blassgelb, das spec. Gewicht schwan- kend zwischen 1030—1040, die Reaction sauer. 1. 2. 3. 18. September | 5900 | 471,0 19, .u0y, 5300 426,9 a0. ak 5750 465,8 BER 6650 507,4 Daily 6750 501,7 nz, 6500 510,8 Mil) #5 7300 628,3 2 ar 6000 490,1 Mittel 6268 © [177 500,25 2. Brod und Kartoffeln durch 250 Grm. grünes Gemüse substi- tuirt, Käse durch ebensoviel Fleisch; 2000—2500 CC, Wasser täglich getrunken. F Das specifische Gewicht des Harns 1035—1040, die Reac- tion sauer. Ueber das Vorkommen von Leuein, Tyrosin u. s. w. 33 1. we‘ | 83: 26. September 4100 264,4 ge 4150 323,9 Br 4850 390,7 age 5000 359,0 en | 5050 364,2 1. October | 5700 452,9 Are 5250 396,3 Mittel 4871 364,48 3..Zu der unter 2. angegebenen Kost kommen noch 125 Grm. Brod; daneben wird Natrum bicarbonicum von 2 Drachmen stei- gend bis auf 6 täglich in. 1.bis 1'/,tk Wasser gelöst, verordnet. Der Durst ist stärker als an den Beobachtungstagen, unter 2., 2000—3000 CC. Wasser täglich getrunken. ' Der Harn zeigt 1034—1040 spec. Gewicht, reagirt meist neu- tral oder schwach sauer, selten alkalisch, immer ist er leicht getrübt, ohne beim Stehen ein Sediment zu bilden. 1. 2. 3. 5. October. | 5300 421,7 Ds; | 5350 412,0 naar 5150 353,8 8.3.0, 5050 381,6 He, 5000 360,0 j0.0 % 4500 319,2 10 5200 370,5 12,0 5850 413,0 12. Eu92 7550 507,6 14.70 7650 518,5 15, v0n34 5350 402,1 22. 6650 470,6 - ddr: 5600 409,1 Mittel . 5707 | 410,74 Beichert's u, du Bols-Reymond's Archiv. 1860, 3 34 J. Neukomm: Bei dieser Versuchsreihe wurden auch zugleich die täglich ausgeschiedenen Harnstoffmengen einer quantitativen Bestim- mung nach Liebig’s Methode unterworfen. Als Mittelzahl aus 26 Bestimmungen erhielten wir 59,75 Grm. Harnstoff pro Tag. Ein Controlversuch in der Art angestellt, dass aus 100C0C. Harn nach Abscheidung der Phosphorsäure durch Barythydrat aller Harnstoff mit salpetersaurem Quecksilberoxyd ausgefällt, der Niederschlag abfiltrirt, mit barythaltigem Wasser gewaschen, in Wasser gewaschen, mit Schwefelwasserstoff zersetzt, die so er- haltene Lösung wieder auf 100 CC. eingeengt und davon 10 CC. zur Harnstoffbestimmung verwandt wurden, ergab. als Mittel- zahl aus 2 Versuchen 53 Grm. Harnstoff pro Tag. Dabei ist zu bemerken, dass bei den Versuchen mit reinem Harn das Chlor nicht berücksichtigt, dagegen die Correetion, welche bei nicht 2pCt. Harnstoff enthaltendem Harn nach Liebig nöthig ist, gemacht wurde. 4. Vermehrung der stickstoffhaltigen Nahrung , bei möglichster Ausschliessung der Amylaceen. 650 Grm. Fleisch nebst 2 Eiern, 250 Grm. grünes Gemüse, 900 CC. Fleischbrühe mit wenig Amy- laceen, 800 CC. Kaffee mit Milch, 600CC. Wein, daneben Fer- rum reduclum steigend von 3 mal täglich 3—8 Gran. Der Kranke trinkt bedeutend weniger Wasser, 1000.CC. in 24 Stunden. Der Harn ist klar, hellgelb, sauer, von 1034—1038 spee. Gewicht. 1. 2. 3. 4. November. 3200 177,2 5. ei 3050 176,9 7. 5 3050 199,8 8. ® 2750 178,8 10. n 3000 162,3 Mittel 3010 179,00 Als mittlere tägliche Harnstoffmenge fanden wir in den 5 Beobachtungen 63,59 Grm. Ueber das Vorkommen von Lenein, Tyrosin u. s. w. 35 5. Die gleiche Kost wie unter 4., wozu jedoch noch 125 Grm. Brod täglich kommen. Spec. Gewicht des Harns 1035—1039. 1. 2. 3. 11. November 3450 232,3 Pen 3700 249,0 ET 2700 139,6 IS: ande 3400 179,4 TEEN 3400 217,8 apa: | 3200 208,1 Mittel 3308 204,36 Die nahe Beziehung, in welcher der im Körper an mehreren Orten vorkommende Inosit zum Traubenzucker steht, ver- anlasste uns, auch auf jenen ersteren im diabetischen Harne zu suchen. 500 CC. wurden auf !/, Volum eingedampft, dann mit neutr. essigsaurem Bleioxyd gefällt, der Niederschlag abfiltrirt und “ das Filtrat mit bas. essigsaurem Bleioxyd versetzt. Der nach 12stündigem Stehen entstandene Niederschlag gesammelt, ge- waschen, mit Schwefelwasserstofl' zersetzt, die Lösung bedeu- tend eingeengt, ein "Theil des noch darin enthaltenen Chlors durch neutr. essigsaures Bleioxyd entfernt und die vom Blei befreite, dann bedeutend concentrirte Lösung mit absolutem Weingeist bis zur bleibenden Trübung vermischt. Nach meh- reren Tagen hatten sich neben amorpher Materie farrenkraut- ähnlich gruppirte, spröde Krystallblättchen von schiefprismati- scher Form ausgeschieden; ihr.Verhalten beim Verbrennen im Glasrohr und bei der Behandlung mit Salpetersäure, Ammoniak und Chlorealeium liessen sie hinlänglich als Inosit erkennen. Am 4. Dec. 1857 verlässt der Kranke das Spital, um am 16. Januar 1858 wiederzukehren; er war während seiner Ab- wesenheit bedeutend heruntergekommen und zeigte beim Ein- tritt alle Erscheinungen einer ausgesprochenen Lungentuber- eulose. Die Krankheit verlief ziemlich schnell und machte am 3*r 36 I. Neukomm: ie 10. April seinem Leben ein Ende. Die abnorme Zuckersecre- tion dauerte bis zum Tode fort; re Bestimmungen wurden nicht gemacht, Von den bei der Section auiehebere Theilen wurden un- tersucht:*) a) Harn: 118 Grm. aus der Blase gesammelt, von widri- gem Geruch, alkalischer Reaction. Die mit Weingeist gemischte Flüssigkeit wird nach Verflüchtigung desselben mit Blei behan- delt und nach Entfernung aller durch Bleiessig fällbaren Stoffe zum Syrup verdampft, dieser auf ein bestimmtes Volum ge- bracht ergab bei einer quantitativen Bestimmung 2,5 pCt. Zucker; mit Salpetersäure liess sich darin kein Harnstoff ausfällen. b) Nieren: das Gewebe wurde zerrieben, mit Weingeist versetzt, nach 2tägigem Stehen die Weingeistlösung abgepresst und der Rückstand mehrmals mit Wasser ausgewaschen. ‚Aus der .wie unter a) behandelten Lösung konnten Zucker (zu 0,12pOt.), ansehnliche Mengen Leuein und Tyrosin sowie Inosit in nachweisbarer Quantität erhalten werden. e) Blut: zeigte einen Zuckergehalt von 0,09pCt., Leuein nicht zu entdecken; im Bleiniederschlage fand sich Harnsäure in beträchtlicher Menge, kein Inosit. - - d) Leber: der Auszug ihres Gewebes erschien sehr zucker- reich, eine quantitative Bestimmung ergab indessen keine ge- nauen Resultate, indem sich beim Kochen mit der Kupferlö- sung nicht reines rothes Kupferoxydul, sondern ein lehmartig gefärbter, schwer filtrirbarer Niederschlag, ausschied. Neben Zucker konnten weder Leuein noch Tyrosin, gefunden. werden. Im Bleiniederschlag zeigte sich .Xanthin mit Spuren von Harnsäure, kein Inosit. e) Milz: ‚enthält Leucin und Tyrosin in Peiehlieher Menge; Zucker war nicht nachzuweisen, Die Substanzen des Bleiniederschlages konnten nicht untersucht werden. 1) Die anatomische Beschreibung kann ich leider nicht ‚geben, in- dem ich verhindert war, der Leichenöffnung selbst beizuwohnen; die einzelnen Objecte wurden indessen sogleich nach der BR Weise mit Weingeist versetzt. Ueber das Vorkommen yon Leucin, Tyrosin u. s. w. 37 f) Pankreas: auf gleiche Weise wie die übrigen Organe behandelt, konnte darin Zucker in verhältnissmässig geringer Menge neben Leuein und Tyrosin, nachgewiesen werden. Die ‚durch. bas. essigsaures Blei niedergeschlagenen, Materien waren höchst gering und wurden nicht weiter untersucht. g) Hoden: die aus dem zerriebenen Gewebe. ausgepresste weingeistige Lösung war sehr zuckerreich (0,2pCt.), enthielt ausserdem neben viel Kochsalz etwas Leucin. __h) Lungen: das mit Weingeist, 2 mal mit Wasser unter Erwärmen ausgezogene Gewebe ergab reichliche Mengen Leu- ein und etwas Tyrosin, keinen nachweisbaren Zucker; im Bleiniederschlag fand sich Harnsäure. ‚\) Gehirn: zeigte keinen Zucker, Inosit dagegen in sehr beträchtlicher Quantität; ausserdem liess sich Kreatin, kein Leuein nachweisen. k) Herzmuskel: enthielt ebenfalls keinen Zucker in nach- weisbarer Menge, auch Kreatin liess sich nicht entdecken, da- gegen etwas Leucin und Inosit. l) Wadenmuskel: die Zuckerprobe fiel ebenfalls negätiv aus, Leucin war in geringer Menge erhältlich; im Bleinieder- schlage fand sich Harnsäure, kein Inosit. Auf Zucker wurden noch geprüft nach dem unter a) ange- benen Verfahren: m) Die Augenflüssigkeit und Glaskörper mit posi- tivem Resultat. n) Die Flüssigkeit aus dem Perikardium, wie die Augenflüssigkeit sehr zuckerreich, die Reaction war ziem- lich rein und ergab 0,17 pCt. Zucker. 0) Die Flüssigkeit aus der Bauchhöhle, sehr übelrie- chend; ‘dienach der Bleibehandlung erhaltene Lösung entwickelte beim Kochen mit”der alkalischen Kupferlösung reichlich Ammo- niak; das ausgeschiedene Kupferoxydul war lehmfarben, schwer fültrirbar,, daher nicht ‚genau zu bestimmen, p) Galle: war ebenfalls zuck erhaltig. Zweiter Fall. Der Kranke ist 30 Jahr alt, Drechsler, verheirathete sich 38 J. Neukomm! \ im 26. Jahr und lebte seither seinem Beruf in mässig bemittel- ten Verhältnissen; die Nahrung war grösstentheils vegetabilisch. Seit 4 Monaten fühlt er sich zur Arbeit weniger kräftig, nach und nach stellte sich häufiger Durst und bei reichlicherem Trinken auch häufigeres Harnlassen ein. Eine besondere Ver- anlassung, der Krankheit ist nieht aufzufinden; sie wurde schon früher als solche erkannt und seit 7 Wochen Amylaceen mög- lichst vermieden. Ueber die Zuckersecretion ergab sich Folgendes: 1. Die tägliche Nahrung besteht in 375 Grm. Fleisch, 125 Grm. Käse, 1—2 Eiern, 250 Grm. grünem Gemüse, 500 CC. Suppe, 800 CC. Kaffee mit Milch, 400 CC. Wein, 2000—2500 CC. Wasser. Pulsschläge 64—72, Athemzüge 12—16 in der Minute, die Körpertemperatur (in der Achselhöhle gemessen) 36—36,7° C. ohne constante Abendexacerbationen und Morgenremissionen. Meist eine Stuhlentleerung täglich. Der Harn ist hellgelb, sauer, von 1031—1033 spec. Gew. beim Tagharn, 1034—1036 beim Nachtharn, (In den folgenden Tabellen haben die Zahlen 1, 2 und 3 die gleiche Bedeutung wie im ersten Fall.) 1. 2. 8. 15. Januar 6000 382,9 16,4, 6150 382,7 17. >> 6300 357,8 18. es 5950 349,2 Mittel 6100 368,0 2. Zu der unter 1. angegebenen Kost kommen noch 125 Grm. Fleisch, 125 Grm. Käse, 2 Eier, 400 CC. Wein; dagegen wer- den nur 1500—2000 CC. Wasser täglich getrunken. In den letzten Versuchstagen blieb von dem verordneten Fleisch aus Mangel an Appetit etwas übrig. Puls, Athem und Körpertemperatur wie bei 1., Stuhlentleerungen öfters mehrere Tage retardirt. Der Harn reagirt meist sauer, das sp. Gew. des Tagharns Ueber das Vorkommen von Leuein, Tyrosin u. s. w. 39 schwankt zwischen 1029 bis 1032, steigt nur am 24. Januar auf 1036, beim Nachtharn zwischen 1030 bis 1034, am 24. Ja- nuar 1038. 1. 2. 3. ana 5150 1...,949;5 2. , 5700 280,7 2.0, 5650 278,2 23, 5, In/5150 293,9 Ball ol, 4300 954,9 3500|, 5250 972,5 PEN 5000 224,8 cl, 4450 191,0 Mittel 5081 255,6 3. Gleiche Kost wie unter 2. Fleisch und Käse wurde nicht aufgegessen, Wasser in sehr variabler Menge getrunken, 1000 bis 1500 CC, täglich. Ausserdem wurden 8 Grm. Ferrum re- duet. pr. Tag gegeben. Der Harn reagirt nicht sauer, sp. Gew. 1029—1035 beim Tagbarn, 1031-1037 beim Nachtharn. 1. | | 3. 28. Januar | 5250 | 233,9 9.01, 3850 176,8 U |4 ...4800 273,7 u 5200 395,3 1. Februar 5300 312,1 ann; 4150 25055 Mittel 4758 262,0 Aus den Versuchsreihen beider Fälle ergiebt sich: l. Bei vermehrter Ausscheidung von Zucker durch die Nieren ist in der Regel auch das Volum des Harns (aus den 40 J. Neukomm: Beobachtungen mehrerer Tage zusammen genommen) gemehrt, es wird mehr‘ Wasser aufgenommen, doch nicht in dem Maasse, dass sich das specifische Gewicht constant erhielte. 2. Ersatz der amylonreichen Nahrung durch amylonarme, namentlich aber durch Proteinstoffe, vermindert die Zuckeraus- scheidung. (Erster Fall, 2 und 4.) 3. Eine, Steigerung der Proteinstoffnahrung vermindert die Zuckersecretion (erster Fall, 4., zweiter Fall, 2,), der Harn- stoff zeigt sich dagegen in vermehrter Quantität. (Erst. Fall, 4.) 4. Das von Mialhe gegen Diabetes mellitus empfohlene Natr. bicarbonie., von welchem‘ er so auffallende Wirkungen mittheilt,!) vermindert die Zuckersecretion nicht, dürfte im Ge- gentheil, da es in grösseren Gaben genommen, den Durst stei- gert, die Beschwerden und vielleicht auch die Intensität der Krankheit nicht unbedeutend vermehren. 3. Das Ferr. reduct., welches im ersten Falle die Ausschei- dung des Zuckers zu vermindern schien, zeigt diese Wirkung im zweiten nicht. XIV. Exsudatflüssigkeiten und Eiter. Erster Fall. ’ Schnell entstandenes massenhaftes serösesExsudat der rechten Pleurahöhle bei einem kräftigen 24jährigen Eisenbahnarbeiter. Die durch dasselbe bewirkten Athmungs- und Kreislaufsstörun- gen machten die künstliche Entleerung nothwendig. Die entleerte Flüssigkeit, über 2000 CC., ist von gelblieher Farbe, ziemlich klar, opalisirend, enthält keine morphologischen Elemente als wenig Blutzellen und Epithelien der Pleura. Beim Stehen an der Luft scheiden sich aus der filtrirten Flüssigkeit Fibringerinnsel aus; dieselbe reagirt alkalisch, hat 1019 spec. Gewicht. In 100 Theilen Flüssigkeit fanden sich: Wasser 7.1.7 ne feste Bestandtheile . 6,14 100,00 1) Mialhe, Chimie, appl. & la pbysiol. et & la therap. Paris 1856. p. 79 et suiv. Ueber das Vorkommen von Leuein, Tyrosin u. #®. w. 41 + Die letzteren bestanden aus: Eiweiss... . olnlshnelentl 490 Extractivstoffen '. ...0,48 Unorg. Salzen... .., 0,76 | 6,14 Unter. den als. Extractivstoffe aufgeführten Bestandtheilen liessen sich Harnstoff. und Harnsäure/in ansehnlicher, Menge auffnden. Zweiter Fall. Alte, seit einem Jahr bestehende Flüssigkeitsansammlung in der Brusthöhle; die Section ‘weist eine alte Perikarditis, Ver- wachsung des Herzens mit dem Parietalblatte des Perikardium nach. In dep rechten Pleurahöhle finden sich etwa 2 Litres Flüssigkeit, links nur halb so viel. Die Flüssigkeit ist hell, bernsteingelb, alkalisch, ohne Gerinnsel, bildet jedoch solehe beim Stehen an der Luft. Eine qualitative Untersuchung,. namentlich in Bezug auf extractive Materien, ergab Zucker und Harnstoff; Harnsäure konnte nicht nachgewiesen werden. Dritter Fall. Flüssigkeitsansammlung in der Bauchhöhle bei einer herz- kranken, 35jährigen Frau. Im Leben zeigten sich die Erschei- nungen der Stauung im Venensystem; der Harn war stark eiweisshaltig, die tägliche Quantität kleiner als im Normalzu- stande, das spec. Gewicht im. Mittel 1020, Die Section ergab Insufficienz der Mitralklappe mit Stenose des gleichnamigen * Orificium und Hypertrophie des linken Ventrikels. a) Flüssigkeit während 'des Lebens’ entleert. Dieselbe ist hell, schwach gelblich gefärbt, reagirt neutral, scheidet beim Stehen an der Luft Fibringerinnsel aus; spec. Gewicht 1021. Ihre Bestandtheile sind: Wassar. 4% 11 44,,,06,17, Feste Stoffe. .......3483 i 100,00 Die letzteren bestehen aus: Albumin\ nr 102,96 Extractivstoffen . 0,11 Unorg. Salzen. ., . 0,76 3,83 42 J. Neukomm: Eine qualitative Untersuchung der als Extractivstoffe ange- führten organischen Bestandtheile wies Zucker, Harnstoff, Harnsäure und Xanthin nach. b) Flüssigkeit bei der Leichenöffnung gesammelt (die Bauch- höhle hatte sich nach der künstlichen Entleerung wieder be- trächtlich angefüllt), ist wie die frühere beschaffen, von 1013 spec. Gewicht, enthält keinen nachweisbaren Zucker mehr, wohl aber Harnstoff und Harnsäure. Vierter Fall. Hydroceleflüssigkeit, allmählig sich ansammelnd: bei einem. bejahrten Mann, durch Punction entleert. Die Flüssig- keit ist schwach bernsteingelb, reagirt alkalisch, von 1009 sp. Gew. ; in dem niedergesunkenen Sediment finden sich aufgeblähte Epithelzellen und Spermatozoen. 100 Theile enthalten: Wässer! ..ndmsısim98;3% feste Stoffe . . „16 100,00 Der feste Rückstand besteht aus: Albumin „12%. 28.20;,54 Extractivstoffen . 0,31 Unorg. Salzen . . 0,78 1,65 Unter den als Extracetivstoffe angeführten Bestandtheilen liessen sich Harnstoff und Harnsäure in erheblicher Menge nachweisen, die Zuckerprobe fiel negativ aus. Fünfter Fall. Ansammlung von Eiter in der rechten Brusthöhle, Durch- bruch desselben in die Lunge und wiederholte Entleerung grosser Quantitäten unter Hustenanfällen. Die Krankheit be- gann als acute Pleuritis Lei einer seit 5 Monaten schwangeren Frau, zog sich unter den Erscheinungen eines beträchtlichen Pleuraergusses mit febriler Aufregung Monate lang hin und führte endlich zum Tode. Der Eiterheerd nahm einen grossen Theil der rechten Brusthöhle, vom Zwerchfell bis zur 2. Rippe in Beschlag, die rechte Lunge war beträchtlich comprimirt, ent- hielt Miliartuberkeln; an zwei Stellen hatte der Eiter die Rip- penzwischenräume durchbrochen und sich unter die äusseren Muskelschichten ergossen, Ueber das Vorkommen von Leucin, Tyrosin u. s. w. 45 Die während des Lebens entleerten Massen enthielten ausser Eiterzellen keine anderen Formbestandtheile, in der durch Ver- mischen mit dem gleichen Volum Weingeist erhaltenen Lösung fand sich Leucin und Tyrosin in ansehnlicher Menge, Harn- stoff oder Zucker waren nicht nachzuweisen. Rückblick und Folgerungen. Aus dem Mitgetheilten ergiebt sich über das Vorkommen der einzelnen Stoffe, welche eine nähere Berücksichtigung er- hielten, Folgendes: Leuein fand sich im Nerven- und Muskelgewebe, in den verschiedenen drüsigen Organen, in zellenbilden- den Blastemen beinahe constant vor, spärlicher und seltener im Blute, niemals in serösen Exsudaten und Transsudaten. Tyrosin, zwar ein häufiger Begleiter des Leueins, hat dennoch nicht selten immer gefehlt, so in der Gehirn- und Mus- kelsubstanz. Beide Körper fanden sich dagegen constant in der Milz, im Pankreas, sehr häufig in den Nieren, seltener in den Lungen; in entzündeten Organen, im Eiter, in Krebs- geschwülsten fehlten sie ebenfalls nicht. Es lässt sich nach dem Angeführten ein gewisser Zusam- menhang zwischen dem Auftreten der in Rede stehenden Kör- per und den eigentlich zellbildenden und zellumbildenden Or- ganen und Geweben nicht verkennen und der Schluss sich wohl rechtfertigen, dass diese beiden Körper keinem Organe als specifische Umsatzproducte zukommen, dass sie vielmehr da in grösster Menge sich bilden, wo eine reichliche Neubildung und rasche Auflösung, oder auch ein Zerfall der Elementartheile der Gewebe, be- sonders aber der zelligen Elemente stattfindet. Möglich, dass die physiologischen Bildungsheerde unserer Körper sich auf wenige Organe beschränken, möglich auch, dass sie an einem anderen Orte eine weitere Verwendung und schnelle Zersetzung erleiden; im kranken Organismus scheinen nieht nur ihre Bildungsstätten eich bisweilen zu vermehren, 44 J. Neukomm: sondern auch‘ die Bedingungen 'zu ihrer Asien oftmals| zu mangeln. \ Eigenthümlich , ist jedenfalls‘. das, Verhalten‘, der Kia Dieses Organ; in einzelnen Fällen sehr reich an den erwähnten Zersetzungsproducten, ; bot. dieselben ‚in, anderen entweder gar nicht, oder nur Leucin allein und in geringer Menge dar; in 4 der letzteren Fälle wurde dagegen Zucker in beträchtlicher Menge vorgefunden, während er in den übrigen stets fehlte. Kreatin müssen wir'als einen dem Nerven-und Muskel- gewebe. eigenthümlichen, | specifischen./Umsatzstoff ‚betrachten, Viel spärlicher als die aufgezählten Verbindungen fanden sich in ‚den festen Geweben Harnsäure und Harnstoff, wäh- rend‘,diese ‚beiden Körper im Blute beinahe constant anzutreffen waren. Unter Umständen, so namentlich‘bei Krankheiten des harnabsondernden‘ Apparates,. bei. den als 'Fieber'‚bezeichneten Anomalien .des. Stoffwechsels u. a. scheinen sich dieselben in grösserer, Quantität; darin anzuhäufen;, es kann daher. auch,ihr ziemlich constantes Auftreten in serösen Exsudaten und Trans- sudaten ‚nicht ‚befremden. Ueber die Art und. Weise, der ;Bil- dung ‚dieser Körper besitzen. wir noch..keine Beer That- sachen. Zucker fanden wir,.den Fall. von Diabetes mellitus ausge- nommen, nur in der Leberund im Blute, einige Mal: auch in Transsudaten; er’ scheint in: ersterem ‘Organe: ‚gebildet. ‚zu werden. . Die Bedingungen, unter (denen' er, hier, entsteht, sind noch keineswegs klar; ‚eine interessante. Beziehung "zwischen dem ‚Vorkommen von Zucker und demjenigen ‚von. Leuein:und Tyrosin in der Leber wurde ‚oben angegeben. Der Inosit scheint mehrere’ Bildungsheerde zu haben; am rejchlichsten fand. er sich im. Gehirn, spärlicher im Herzmuskel, zuweilen in, ansehnlicher Menge in den. Nieren, Zucker, und: ‚Inosit ‚sind. bekanntlich. auch „Produete‘, des pflauzlichen ‚Stoffwechsels. W „Hiermit mag. ‚beschlossen. werden, was sich Ai Pa lässt, auf speeielle, Ergebnisse näher. einzugehen ‚würde unnütze. Wiederholung sein. \ Dem ‚Streben unserer heutigen‘ Wissenschaft, dag compli- Ueber das Vorkommen von Leuein, Tyrosin u. s. w. 45 eirte Ensemble des organischen Lebensprocesses auf einfachere, unserer Beobachtung und Berechnung leichter zugängliche, elementare Vorgänge zurückzuführen, waren auch die wenigen hier mitgetheilten Beobachtungen entsprossen. Mögen ‚immerhin‘ die Hülfsmittel , welche uns |hiebei über- haupt zu Gebote stehen, die mikroskopische Anatomie, die che- mische Analyse und das physiologische Experiment, noch viel zu wünschen übrig lassen, mögen ferner die Resultate, welche die Wissenschaft bis jetzt zu Tage gefördert, für das Bedürfniss der medicinischen Praxis noch lange nicht ausreichen, und, wie man sich ausdrückt, der materielle Nutzen derselben noch ge- ring anzuschlagen sein, so dürfte doch die Ueberzeugung immer mehr Boden gewinnen, dass nur aus einer genauen Kenntniss der morphologischen, der chemischen und physikalischen Vor- gänge, welche das materielle Substrat unseres Organismus dar- bietet, die Bedingungen sich werden ableiten lassen, unter denen Störungen der normalen Lebensthätigkeit möglieh und wieder ansgleichbar sind. "Der Medicin kommt es zu, sich’ die Wege klar zu machen, welche 'zur‘ Lösung der’ einzelnen Fragen führen, sie hat’ die Hülfsmittel zu suchen und anzuwenden, welche ‘ihr in ihrem Streben dienlich sein können.‘ Weder’ die Chemie noch irgend eine andere Naturwissenschäft werden sich ausschliesslich ‘zu Zwecken’ der Heilkunde'hergeben, wer'aber uhter den’ Medici- nern es nicht‘ verschmäht, sich mit 'den positiven‘ Brrungen- schaften ‚der 'ehemisch=physikalischen" Forschung | bekannt zu machen, ‘wer die' Mühe nicht scheut, 'die Eigenschaften" der Ma- terie, ihr eigenthümliches' Verhalten, "wenn 'sie' BestandtHeil des Organismus wird, durch eigene Anschauung ’und' Versuche und an der Hand tüchtiger Chemiker kennen zw'lernen, wird zwar nieht von hente auf morgen die Ursache einer Krankheit oder ein neues Heilmittel entdecken, aber indem er muthig auf dem mrühsamen 'aber sicheren Wege der Beobachtung und des Ver- suelis fortschreitet, Materialien für ein Gebäude sammeln, dessen Fundament zwar gelegt ist, dessen‘ Ausbau aber noch Genera- tionen’ erfordert. 46 J. Neukomm: Bemerkungen zur Leuein- und Tyrosinfrage. Von Dr. J. NEUKOMM. Vorstehende Arbeit war bereits zum Druck 'abgesandt, als die zweite Auflage des Handbuches der physiologischen Chemie von Lehmann erschien, worin einige von unseren Untersu- ehungen, welche theilweise schon im Februar vorigen Jahres als Inauguraldissertation gedruckt worden sind, sich mit er- wähnt finden, Es konnte uns natürlich nur freuen, wenn ein in der phy- siologisch-chemischen Literatur so rühmlichst bekannter Ge- lehrter, wie Hr. Lehmann es ist, unsere Arbeit einer näheren Berücksichtigung werth fand; befremden musste es uns aber im höchsten Grade, wenn er uns hinterher ganz unverholen bemerkt, was eigentlich das Vorkommen von Leuein und Ty- rosin in thierischen Geweben betreffe, so sei an der ganzen Sache nicht viel; Niemand habe bisher bewiesen, dass die frag- lichen Körper wirklich Producte des thierischen Stoffwechsels seien (wie Hr. Lehmann dies für Kreatin, Harnstoff, Zucker, Inosit u, s. w. entschieden zugiebt), es sei vielmehr wahrschein- lich, dass sich dieselben erst in Folge des complieirten Verfah- rens bei ihrer Darstellung aus gewissen eiweissartigen Körpern bilden, ja sogar nur dann erst gefunden werden, wenn die thie- rischen Gewebe angefangen haben, in Fäulniss überzugehen. Seine weitausgehenden Behauptungen stützt Hr. Lehmann namentlich darauf, dass es ihm nicht gelungen sei, die genann- ten Körper zu erhalten, wenn er die frischen Organe in sie- dendes Wasser warf, eine Zeit lang kochte und dann erst zer- rieb und mit Weingeist digerirte. Beim Kochen mussten sich natürlich die in Rede stehenden Stoffe im Wasser lösen, und Bemerkungen zur Leuein- und Tyrosinfrage. 47 wenn auch dieses zugleich mit dem Weingeistauszuge untersucht sein sollte, so war hier kaum ein günstiges Resultat zu erwar- ten, da beim Kochen thierischer Organe mit Wasser sich soviel Leim und extractive Materien bilden, dass es schwer wird, aus der sehr bedeutenden Menge des gallertartigen oder 'hygrosko- pischen Syrups eine krystallinische Ausscheidung zu erhalten. Die von Staedeler schon vor Jahren empfohlene, einfache und auch nach unseren Erfahrungen höchst zweckmässige Me- thode (sorgfältiges Zerreiben der frischen Gewebe unter Zusatz von Glaspulver, Mischen der zerriebenen Masse mit etwa dem doppelten Volum Weingeist, Abpressen der Flüssigkeit, Behan- deln derselben mit Bleiessig u. s. w., wie oben: mitgetheilt wurde), erwähnt Hr. Lehmann in seinem Werke nirgends vollständig, empfiehlt dagegen statt des ganz indifferenten Wein- geistes Kreosotwasser und Holzessig und statt des Zerreibens der Gewebe, wodurch eine vollständige Trennung der Elemen- tartheile bewirkt wird, ein Zerstückeln derselben mittelst eines Hackemessers. Schliesslich fügt er noch die Bemerkung bei, dass der Weingeist für dergleichen Untersuchungen zu kost- spielig wäre, Wir wollen uns hier nicht in eine ‘weitere Kritik dieser Me- thode einlassen, sind aber der Ansicht, dass man zur Constati- rung der Wahrheit auf dem Gebiete der Zoochemie einige Un- zen Weingeist, deren Werth ja kaum nennenswerth ist, nicht berücksichtigen dürfe, Sind wir also der festen Ueberzeugung, mit möglichster Vor- sicht und mittelst eines einfachen, wenig eingreifenden und schnell zum Ziele führenden Verfahrens unsere Untersuchungen angestellt zu haben, so fällt uns ferner noch auf, warum Hr. Lehmann nur für Leuein und Tyrosin so serupulöse Umsicht an, den Tag legt, warum er dieses nicht auch für andere Um- satzproducte der thierischen Gewebe thut, die doch durch äbn- liche und fast immer complicirtere Verfahrungsweisen gewonnen werden. In dieser Beziehung könnte der Zucker der Leber angeführt werden, von dem doch nachgewiesen ist, dass er sich auch nach dem Tode noch eine Zeit lJang,in dem Organ fort- erzeugt, den noch Niemand rein dargestellt, Niemand einer Ele- 48 I. Nenkomm: mentaranalyse' unterworfen ‘hat, ‘wie dieses doch auf dan- kenswerthe Weise von Staedeler für Leuein und Tyrosin ge- sehehen ist. Der Umstand, dass diese beiden Körper auf verschiedene Weise künstlich aus Proteinstoffen erhalten werden können, kann wohl keinen Grund dafür abgeben, 'ihre Bildung im le- benden Körper unwahrscheinlich zu machen, um so mehr, als Hr. Lehmann selbst zugiebt, dass die chemischen Processe innerhalb des Organismus denselben Gesetzen folgen, wie aus serhalb desselben. Werden ‘nicht Ameisensäure, Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure auf ähnliche Weise künstlich aus Proteinstoffen erzeugt, und doch führt sie Hr. Lehmann un- bedenklich unter den Produeten des normalen Stoffwechsels an, obschon sie meist durch Destillation mittels Schwefelsäure aus den thierischen Theilen erhalten werden, einer Säure, welche bekanntlich unter gewissen Umständen gerade’jene flüchtigen Producte aus den Thierstoffen künstlich zu bilden vermag? Wenn Leuein und Tyrosin bei gewissen Krankheiten sich in grösserer Menge in den Organen finden, so kann dieses doch nur ein Beweis dafür sein, dass der chemische Stoffumsatz eine Steigeruug oder irgendwo eine Beschränkung erfahren habe, indem wir ja ähnliche Verhältnisse auch für den Harn- stoff, Zucker und noch viele andere Erzeugnisse der Stoffme- tamorphose finden. Eben so wenig dürfte eine andere Ein- wendung (die Hr. Lehmann ebenfalls zu’ machen geneigt scheint), Geltung haben, dass die in Frage stehenden Stoffe während der Abkühlung der Leiche durch Fäulniss entstehen. In diesem Falle würden wohl nicht verschiedene ‘Organe aus derselben Leiche genommen, Leuein und Tyrosin theils' gar nicht, theils in grosser Menge zeigen, oder dasselbe Organ’ unter denselben Umständen aus verschiedenen Leichen genommen, das eine Mal einen reichlichen Gehalt an den beiden Stoffen, das andere Mal keine Spur davon zeigen. Um endlich noch auf das Vorkommen der fraglichen Stoffe im gesunden Zustande zurückzukommen, so wurden alle Or- gane, welche im Züricher Laboratorium untersucht worden sind, stets ganz frisch von dem eben getödteten Thiere genommen, Bemerkungen zur Leucin- und Tyrosinfrage. 49 es kann daher, wo in solehen Fällen Leuein oder Tyrosin ge- funden wurde, die Bildung desselben niemals einem Fäulniss- process, der während des Erkaltens stattfand, zugeschrieben werden. Um indessen noch einmal einen schlagenden Beweis zu liefern, dass die Bildung jener Körper beim normalen Stoff- wechsel stattfindet, haben wir etwa den vierten Theil einer Ochsenmilz, die eben aus dem’geschlachteten Thiere kam, noch warm mit Glaspulver zerrieben, mit Weingeist zu einem dün- nen Brei angerührt und die abgepresste und filtrirte Flüssigkeit auf dem Wasserbade verdunstet. Der syrupförmige Rückstand wurde noch einmal in absolutem Alkohol gelöst, die Lösung verdampft, der Rückstand mit Wasser aufgenommen, und durch ein leinenes Läppehen colirt. Die wässrige Flüssigkeit wurde darauf mit Bleiessig gefällt, das Filtrat mittelst Schwefelwasser- stoff entbleit und zur Syrupconsistenz verdampft. Nach kurzer Zeit schoss Leucin in reichlicher Menge und zwar begleitet von den schönen Krystallformen des Kreatinins, das bisher noch nicht in der Milz gefunden worden ist. Die ganze Operation hat nicht mehr als 4 Stunden in An- spruch genommen und ein Jeder wird zugeben müssen, dass in dieser Zeit keine Fäulniss eintreten konnte; von einer Fäul- niss der Proteinsubstanzen kann auch um so weniger die Rede sein, da ja dieselben sammt den Fermentstoffen durch Wein- geist coagulirt wurden. Da es nur darum zu thun ist, die Wahrheit an’s Licht zu bringen, dann aber auch das als wahr Erkannte nicht durch blosses Anzweifeln abschwächen zu lassen, so fordern wir Hrn. Lehmann auf, diesen Versuch zu wiederholen, und sobald er seine Ansichten dadurch modificirt haben wird, dieses öffentlich in einem verbreiteten Organ bekannt zu machen, Wir glau- ben, dass sich Hr. Lehmann um so mehr dazu veranlasst se- hen wird, da es sich hier nicht um eine persönliche Angele- genheit, sondern um eine für die Wissenschaft wichtige 'That- sache handelt. Beicher's u, du Bols-Reymond's Archiv. 1860, "4 50 Hoyer: Ueber die mikroskopischen Verhältnisse der Na- senschleimhaut verschiedener Thiere und des Menschen. Von Dr. HoyEr in Warschau. (Hierzu Taf. I. A., Fig. 1 und 2.) In der Absicht, der von mir veröffentlichten Arbeit über die mikroskopischen Verhältnisse der Froschzunge einen. kurzen Auszug aus meiner als Inaugural-Dissertation gedruckten Ab- handlung über die Structurverhältnisse der Nasenschleimhaut !) anzuschliessen, unterwarf ich meine dort zusammengestellten Untersuchungen einer neuen Revision, und war.dabei ‚bereits auf mehrere von mir begangene Irrthümer gestossen, als ‚ich die neue Ausgabe des Handbuches der Gewebelehre von Köl- liker?) in die Hände bekam und mit Erstaunen wahrnahm, dass Kölliker die Untersuchungen M. Schultze’s?°) als voll- ständig richtig anerkennt und das früher von ihm bezweifeltet) Vorhandensein von besonderen „Riechzellen“, so wie auch den Zusammenhang der Olfactoriusfasern mit diesen Zellen als fast völlig bewiesen annimmt. Diese Aenderung der Ansieht. nicht _ weniger, als. die von Kölliker meinen und den Seeberg’schen®) Resultaten gegenüber mit aller Sicherheit hervorgehobene..Be- }) De tunicae mucosae narium structura. Berol. 1857. 1) Handbuch der Gewebelehre des Menschen. Von A. Kölliker. 3. Aufl. Leipzig 1859. 3) Im Monatsbericht der Berl, Akademie. Novbr. 1856. 4) „Ausbreitung der Nerven in der Geruchsschleimhaut von Pla- giostomen“. In den Verhandlungen der physikalisch-medieinischen Ge- sellschaft in Würzburg. 10. Band. 1858. 2) Disquisitiones mieroscopicae de textura membranae pituitariae nasi. Dorpati Livonor. 1856. Ueber die mikroskopischen Verhältnisse der Nasenschleimhaut u.s.w. 5] hauptung. von dem Vorhandensein gewisser weiterhin zu er- wähnender Thatsachen bewogen mich, mit erneuertem Fleisse _ den Gegenstand zu untersuchen. Die gefundenen Thatsachen lasse ich nachfolgen; von der Anführung der früher aufgestell- ten Sätze stehe ich ab, weil sich die Verhältnisse in manchen Beziehungen vielfach anders gestalten; ich bekenne hier von vorn herein frei und offen, dass ich mich in mancher Bezie- hung geirrt, namentlich in Aufstellung negativer Behauptungen zu unvorsichtig gewesen bin; an dem Positiven jedoch, das ich beobachtet, halte ich fest. Es wäre zu weitläuftig, wollte ich hier nochmals die ver- schiedenen über den betreffenden Gegenstand veröffentlichten Arbeiten durchgehen. Eine übersichtliche Zusammenstellung aller verschiedenen und übereinstimmenden Beobachtungen fin- det sich in der erwähnten neuen Ausgabe des Handbuches der Gewebelehre von Kölliker. Die neuesten darin erwähnten Arbeiten von M. Schultze über die Nasenschleimhaut habe ich kennen zu lernen leider keine Gelegenheit gehabt. Meine Untersuchungen über die Nasenschleimhaut bezogen sich diesmal gleichfalls auf die des Menschen, des Schaafes, Kalbes, Kaniuchens, Meerschweinchens und des Frosches, doch habe ich mich leider, durch Umstände besonderer Art gezwun- gen, wesentlich auf die Nasen des Kaninchens und des Fro- sches beschränken müssen, und konnte mithin den Beobach- tungen nicht die Ausdehnung geben und alle die Einzelheiten der Untersuchung unterziehen, deren genaue Kenntniss nöthig ist, um der Arbeit die gehörige Abrundung zu geben. Bei den angeführten Säugethieren habe ich mich jetzt über zeugt, dass die eigentliche Regio olfactoria wohl zu unterschei- den ist von der der sogenannten Schneider’schen Membran. Die Grenze ist an den Seitenwänden der Nase ziemlich be- stimmt durch anatomische Merkmale markirt und beim Kanin- chen und Meerschweinchen durch verschiedene Färbung’ deutlich in die Augen fallend, während an der Scheidewand der Nase ein continuirlicher Uebergang des einen Theiles in den anderen stattfindet und der Unterschied nur durch die verschiedene Fär- bung sich kund ‚giebt. Beim Kaninchen und Meerschweinchen 4* 52 Hoyer: ist die Färbung der Regio olfactoria gelblich ‘braun, beim Schaafe und Kalbe blassgelb bis in’s Bräunliehgelbe oder Grau- gelbe zuweilen übergehend. Die Schleimhaut der Regio olfac- toria oder die eigentliche Riechhaut nimmt die hinteren und oberen Theile der Nasenwandungen ein, bekleidet die sich hier vorfindenden eigentlichen Muscheln der Seiteı iwände und den entsprechenden Theil der Nasenscheidewand und der Nasendecke und geht nahe am Rande der Muscheln (besonders nach vorn zu), an der Scheidewand und nach dem Boden der Nasenlhöhle zu in die gewöhnliche Nasenschleimhaut über, welche wesent- lich den vorderen Theil der Nase bekleidet; dieser Theil zeigt bei Kaninchen und Meerschweinchen einen stark lamellösen Bau, so dass die der Luft dargebotene Schleimhaut sehr stark an Oberflächenausdehnung gewinnt und man deshalb sich leicht verleiten lassen könnte, diese Gegend für die eigentliche Riech- gegend zu halten, wenn es nicht feststände, dass die Olfacto- riusfasern sich auf dem hinteren Theile, der eigentlichen Regio olfactoria verbreiten, während hier nur zahlreiche Aeste des N. trigeminus vorkommen, Beim Menschen ist eine solche schon anatomisch angedeutete Scheidung nicht nachweisbar; die Schleimhaut erscheint in dem oberen, der Lamina eribrosa be- nachbarten und ziemlich beschränkten Theile zwar blasser, zu- weilen sogar etwas gelblich gefärbt, doch lassen sich hier die Unterschiede nie so deutlich beobachten, vielleicht aus dem Grunde, weil man die menschliche Nasenschleimhaut erst viele Stunden nach dem Tode zur Beobachtung bekommt. Aus die- sem Grunde, wie ich glaube, ist es mir bis jetzt nicht gelun- gen, so bestimmte Beobachtungen zu machen, wie bei den Säu- gethieren; auch liegt hierin die Ursache meiner früheren Irr- thümer, weil ich trotz wiederholter Untersuchungen keinen Unterschied wahrnehmen konnte zwischen dem Verhalten der oberen und mittleren Theile der Nase, und die hier gewonnenen Anschauungen auch auf die Nasen der Säugethiere übertrug Ich muss gestehen, dass es mir aus Mangel an guten Präpa- raten auch jetzt noch nicht gelungen ist, der Regio olfaet. bei Säugethieren analoge Verhältnisse an der menschlichen Nasen- schleimhaut aufzufinden; aber durch die Erfahrungen belehrt, Ueber die mikroskopischen Verhältnisse der Nasenschleimhaut u. s. w. 53 setze ich mein Urtheil darüber bis zur Ermittelung sicherer Thatsachen aus. — Der unterste vorderste Theil der Nasen- schleimhaut bietet wesentlich denselben Bau dar, wie die äus- serste Haut des Körpers. Beim Frosch lässt sich eine so strenge Trennung der Riech- haut und der gewöhnlichen Schleimhaut anatomisch nicht fest- stellen. Zwar werden wir sehen, dass auch hier ziemlich be- deutende Verschiedenheiten vorkommen, allein es giebt auch Stellen, wo gewissermaassen Riech- und gewöhnliche Schleim- haut mit einander vereinigt sind. Im Wesentlichen möchte ich jedoch die dreieckige Erhabenheit am Boden der Nasenhöhle als einen Haupttheil der eigentlichen Riechhaut beanspruchen. Was nun das Substrat der Riechhaut und der Schneider- sehen Membran anbetrifft, so halte ich wesentlich an meiner früheren Ansicht!) fest, dass nämlich sowohl beim Frosch als auch beim Säugethier der obere Theil des Stroma’s aus mehr gelatinösem, unreifem (Reichert) Bindegewebe bestehe, mit zahlreichen ovalen Bindegewebskörpern und einer schwachen Streifung; nach der Tiefe zu geht dasselbe allmählig in das stark streifige, lockige, mit undeutlich werdenden spindelförmigen Bindegewebskörpern versehene reife Bindegewebe über. Es lässt sich dies leicht erweisen an Querschnitten von der ge- wöhnlichen Schleimhaut der Säugethiere und des Frosches, wäh- rend die Beobachtung des gleichen Verhaltens in der eigentli- chen Riechhaut sehr erschwert ist, weil dort das Bindegewebe durch die zahlreichen dichtgedrängten Drüsen und die Ausbrei- tungen des N. olfactarius bedeutend in den Hintergrund tritt. Das Nähere hierüber wird bei der Besprechung der Nerven er- örtert werden. Das Epithel an der Riechhaut und das an der gewöhnlichen Sehleimhaut ist von wesentlich verschiedener Beschaffenheit, wie ich mich jetzt überzeugt. Bei den Säugethieren besitzen die Zellen der Schleimhaut (wie wir sie der Kürze wegen be- zeichnen wollen) deutliche Cilien, die der Riechhaut entbehren sie! Die Zellen der Riechhaut sind um die Hälfte länger, als )) A. a. 0, 54 Hoyer: die der Schleimhaut! ‚Sie sind schmaler, dunkler, feiner gra* nulirt. Dass sie nur einfach und nicht geschichtet sind, dass sie von der freien Fläche bis zum Substrat herabreichen, brauche ich nicht mehr zu beweisen; einmal verweise ich in dieser Beziehung auf meine Arbeit über die Nasenschleimhaut, ‚ wo ich die Gründe ausführlich entwickelt habe, und 'anderer- seits ist dies auch von so bedeutenden Forschern, wie Kölli- ker und Schultze!) anerkannt. Anders ist es mit den Zel- len der Schleimhaut. Kölliker?) hebt ausdrücklich hervor, dass er sich abermals von der Schichtung dieses Epithels deut- lich überzeugt habe; er fand bei Säugethieren oben an der freien Fläche cylindrisch-conische Zellen, unten am Substrat mehr spindelförmige kurze Zellen. Diese Beobachtung "habe ich allerdings auch gemacht, sowohl an Querschnitten von Na- senschleimhäuten, die in Chromsänure erhärtet waren, als auch an Schnitten frischer oder durch 24 Stunden in sehr dünner Chromsäurelösung macerirter Schleimhäute vom Menschen und Säugethier; allein ich kann nicht umhin, besonders hervorzu- heben, dass alle Zellen, sowohl die kurzen tieferliegenden, als auch die langen flimmernden Oylinderzellen mittels ihres zu- gespitzten dem Substrate zugekehrten Endes an die Grenzfläche des Substrates angeheftet sind, und dass somit die Bezeichnung „geschichtetes Cylinderepithel“ dafür nicht recht passend ge- wählt ist. Die tieferen Zellen haben verschiedene Grössen und Formen; sie sind theils kürzer, theils länger, zum Theil mehr kolbenförmig, zum Theil mehr oval oder selbst spindelförmig. Man beobachtet sie am Rande feiner Schleimhautstückehen aus frischen oder mehrere Tage mit sehr verdünnter Chromsäure- lösung behandelter Nasen, wo durch leichten Druck auf ‘das Deckgläschen die oberen langen Cylinderzellen vom Substrat sich abgelöst haben. Wie ich glaube, sind es die „Ersatzzel- len“ für die sich losstossenden in der Rückbildung begriffenen eilientragenden Cylinderzellen. Einen Umstand will ich hier noch’ erwähnen, der auch in 1) A. 2. 0. 2) Gewebelehre. 1859. Ueber die mikroskopischen Verhältnisse der Nasenschleimhaut u. s. w. 55 anderer Beziehung wichtig ist, nämlich dass es mir zu wieder- holten Malen, sowohl beim Säugethier, als auch beim Frosch gelungen ist, Querschnitte von Nasenschleimhäuten zu erhalten, wo die Zellen der einen Art dicht neben denen der anderen Art zur Beobachtung kamen, d. h. die Zellen der Riechhaut bei ihrem Uebergange in die Zellen der Schleimhaut. Das Substrat war natürlich nahe der Uebergangsstelle unter beiden Zellenarten von derselben Beschaffenheit und nahm die noch zu beschreibenden Verschiedenheiten erst nach allmähligem Ueber- gange an. Die Zellen selbst waren nicht schroff von einander abgegrenzt, aber der Uebergang war ein sehr schneller, durch einige wenige Zellen in Uebergangsformen vermittelter; an den Basen beider Zellenarten konnte man keine wesentlichen Un- terschiede wahrnehmen. ‚Was ‘nun jene wichtige Behauptung anbetrifft, dass die Zel- len-auf der Riechhaut zweierlei Art seien, einfache Oylinder- zellen und Riechzellen (Schultze)!) — d.h. lange eylindrisch- eonische Zellen mit langem mehrfach 'getheiltem Fortsatz und in der Mitte einem ovalen Kern und ganz schmalen Zellen, 'be- stehend aus einem ovalen Kern in der Mitte, einem feinen mit varieösen Anschwellungen versehenen Fortsatz nach dem Sub- strat zu und einem wenig breiteren Fortsatz nach der freien Fläche, auf dem bei Säugethieren und Vögeln ein feines Stäb- chen, bei Fröschen sehr lange äusserst zarte Cilien aufsitzen sollen — so muss ich zunächst Kölliker widersprechen, wenn er vermuthet, dass es mir nicht gelungen sei, die‘ gehörige Ohromsäurelösung zu erlangen, in welcher sich diese „Riech- zellen“ erhalten. Ich habe diese Zellen schon früher vielfach beobachtet und untersucht, und auch jetzt habe ich sie mir stets nach Belieben dargestellt (in Chromsäurelösungen von 1:2000 bis 2500; stärkere Lösungen sind ungeeignet); allein auch jetzt habe ich mich noch nicht überzeugen können, dass es normale Erscheinungen seien. Ich will hier nicht wiederholen, was ich in meiner früheren Arbeit?) und bei Besprechung der Epithe- 1) Schultze und Kölliker, a. a. OÖ. »)A.»0, 56 aaa lialzellen der Froschzunge (dieses Archiv 1859 p, 505 fi) über den Einfluss der Chromsäure gesagt; ich hebe hier nur zwei Umstände hervor, dass nämlich durch den Einfluss der Chrom- säure die Zellen bedeutend schrumpfen und dass der Quer- schnitt der Cylinderzellen der Nase kein einfach runder, son- dern ein ovaler sei, so dass es meist von der Lage der Zellen abhängt, ob sie schmal oder breit erscheinen. Bei meinen wie- derholten Untersuchungen habe ich sehr schöne „Riechzellen“ mit varicösen Fortsätzen u. s. w. häufig genug selbst zu sehen und anderen Beobachtern zu zeigen Gelegenheit gehabt; dane- ben gab es aber auch zahlreiche auffallende Beispiele, wo ganz schmale Zellen mit vielen den „Riechzellen“ vindieirten Eigen- schaften durch Rollen um ihre Längsaxe sich plötzlich in ge- wöhnliche breite Cylinderzellen der Riechhaut verwandelten. Eben so habe ich mich ebenfalls wiederholt überzeugt, dass scheinbar einfache Cylinderzellen mit mehrfachen oder mehr- fach getheilten Fortsätzen durch gleiches Rollen als Bündel von Zellen sich erweisen, deren jede mit einem einfachen Fortsatze versehen war. Freilich gelingt es nicht immer, die Zellen zum Rollen zu bringen, namentlich wenn wenig Flüssigkeit unter dem Deckgläschen vorhanden ist; meiner Meinung nach wäre aber eher so zu schliessen, dass, wenn in sehr vielen Fällen die schmalen, so wie die mehrfach geschwänzten Zellen sich als optische Täuschung erweisen, es wahrscheinlich sei, dass auch bei den übrigen etwas Aehnliches: vorliege, als wie zu behaupten, dass die wenigen Zellen, welche selbst beim Rollen etwas schmaler erscheinen, als wie die übrigen, eine besondere Art von Zellen darstellen. ' Wenden wir uns zudem stäbehenförmigen Fortsatzan den „Riechzellen‘‘ der Säugethiere und desMenschen und den aus- serordentlich langen Cilien an den „‚Riechzellen‘‘ vom Frosch.!) Die letzteren habe ich an dem Epithel gewisser Theile der Nasenschleimhaut vom Frosch, besonders an denen der drei- eckigen Erhabenheit auf dem Grunde der Nasenhöhle, an fri- schen Schnitten deutlich beobachtet. Es scheinen an denselben })M. Schultze, a, a. O, Ueber die mikroskopischen Verhältnisse der Nasenschleimhaut u. s. w. 57 Zellen zweierlei Cilien vorhanden zu sein, längere und kür- zere; die ersteren zeigten eine langsamere, peitschenförmige Bewegung, welche sehr bald aufhörte, während die letzteren ihre lehhaften Schwingungen längere Zeit fortsetzten. In Humor aqueus erhalten sich die Cilien am besten, von gewöhnlichem Wasser werden sie sehr schnell, jedoch nicht sofort zerstört. Anden Chromsäurepräparaten waren die Cilien meist vernichtet; an den Stellen, wo sie sich erhalten haben, war es nicht gut möglich nachzuweisen, dass die Cilien allein den schmalen Zellen (‚‚Riechzellen“) aufsitzen, indem bei der Bemühung, die Zellen zu isoliren, regelmässig eine Verstümmelung der Cilien erfolgte; Rudimente derselben glaube ich aber ziemlich deut- lich auf den Enden der breiten Zellen gesehen zu haben. Eben so wenig Glück hatte ich beim Aufsuchen der von Sehultze gefundenen Stäbehen an dem peripherischen Fort- satz der ‚‚Riechzellen‘“ von Säugethieren. Ueberall da, wo ich sie an durch stark verdünnte Chromsäurelösung, isolirten Zellen zu sehen glaubte, stellten sie sich durch vorsichtiges Rollen als optische Täuschung heraus. Fast regelmässig be- obachtete ich sie aber an Schnittchen frischer Riechhaut. Ich sah ganz deutlich Stäbchen über den scharfen Saum, den die freien Enden der Zellen bildeten, in regelmässigen Zwischen- räumen von einander hervorragen, und zwar fanden sie sich regelmässig an ‘der Stelle des Saumes, wo die Enden zweier breiten Zellen sich berührten, so dass nichts einfacher schien, als die Annahme, dass diese Stäbchen den zwischen den brei- ten Zellenenden befindlichen peripherischen Fortsätzen der „Riechzellen‘“ angehörten. Bei schärferer Beobachtung über- zeugte ich mich aber, dass diese Erscheinung, die jeder Unbe- fangene an Schnitten frischer Riechhaut sowohl bei Befeuch- tung mit Humor aqueus, als auch, und zwar noch besser, bei Anwendung von Wasser, leicht beobachten kann, eine optische Täuschung sei. Der wasserhelle Inhalt der Zellen nämlich tritt, wie bereits anderweitig vielfach beobachtet, in Form eines runden Bläschens oder Kügelchens aus der Zelle heraus; die- ses Bläschen wird bei den Zellen der Riechhaut als solches nur mit Mühe erkannt, weil es das Licht zu wenig bricht; nur 58 Hoyer: an der Stelle, wo zwei benachbarte Bläschen sich berühren, wird das Licht anders gebrochen, die, Stelle erscheint dunkler und stellt sich als zarter Faden dar. Bei sorgfältiger Beob- achtung, bei Veränderung der Richtung des durchfallenden Liehtes und Abschwächung desselben durch das Diaphragma, Anwendung stärkerer Vergrösserung und sonstiger Mittel zur Erkennung sehr durchsichtiger zarter Objecte, gelingt es; auch den freien Theil des Bläschens zu sehen, das‘ Bläschen als solches zu erkennen’ und die ganze Erscheinung’ in ihrem wah- ren Verhältniss zu ergründen. ‘Nimmt man Zellen von einem frisch getödteten Thiere mit Wasser oder Humor aqueus 'un- ter das Mikroskop (bedeckt mit einem dünnen Deckgläschen), so sieht man diese Bläschen anfangs nicht, allmälig kommen sie aber zum Vorschein und werden grösser und grösser,‘ die scheinbaren Stäbchen nehmen an Länge zu. Dieselbe Beob- achtung machte ich an den Zellen verschiedener Schleimhäute, besonders aber an den langen Zellen aus der Froschnase, nach- dem die Cilien geschwunden waren. Eine andere, auf ähnlichen Ursachen beruhende, jedoch’ et- was anders sich darstellende, mit aller ‘Sicherheit von mir"be- obachtete Erscheinung ist folgende: Macht man feine Falten- sehnitte der Riechhaut von frischen Chromsäurepräparaten und bedeckt sie ganz lose mit einem dünnen Deckgläschen, so dass die Zellen am Substrat hängen‘ bleiben "und mit ihren freien Enden den Rand der Falte bilden, so beobachtet man einen geraden regelmässigen scharfen Saum ohne’ jede Hervor- ragung; ‘ist jedoch das Deckgläschen etwas schwer oder übt man einen ganz leisen Druck auf dasselbe aus, so erblickt man plötzlich den vorher scharfen Saum mit stäbehenartigen PFort- sätzen in regelmässigen Entfernungen von einander (etwa ‘der Breite einer Zelle entsprechend) bedeckt; sie sind 'alle ziemlich gleich kurz. Verstärkt man während der Beobachtung den Druck ganz allmählig, so sieht man, wie diese Stäbehen 'bis zu einer gewissen Grenze, wo die Zellen vom Substrat sich 'zu lösen beginnen, sich verlängern und auch einwenig breiter werden nach ihrer Basis zu. Die ganze Erscheinung: stellt sieh dem Untersuchenden ganz so dar, 'als'‘obder 'festere Ueber die mikroskopischen Verhältnisse'der Nasenschleimbaut u. s. w. 59 Inhalt der Zellen aus denselben durch Druck herausgepresst werde; auch lässt sich dafür schwer eine andere Erklärung ge- ben. Die Zellen, welche ich isolirt zur Beobachtung bekam, und die wirklich eine Art Fortsatz an ihrem freien Ende zeig- ten, schienen mir meist sölche zu sein, aus‘ denen der Inhalt theilweise herausgepresst war; dieselben haben mich auch auf die oben beschriebene Beobachtung hingeleitet. Zur Wieder- holung derselben muss man’ die Rieehhaut‘ in einer Chrom- säurelösung von 1: 1200—1500 mehrere Tage lang liegen las- sen, doch wird es wegen der Veränderlichkeit der Wirkungen der Chromsäure auf die Zellen meist vom Zufall abhängen, ob der geronnene Zellinhalt die gehörige Consistenz hat, damit die Erscheinung mit aller Evidenz zu Stande komme. Auf die verschiedenen Beobachtungen, ‘welche man an den Zellen noch machen kann, auf die Verrückung der Kerne und selbst deren Heräustreten aus den Zellen ‚bei Chromsäureanwendung, und die daraus resultirenden verschiedenen Zellenformen will ich hier weiter nicht eingehen. Die Länge der Zellen der Regio olfactoria beim Kaninchen beträgt 0,05 par. Lin., die der Zellen auf der Schneider’schen Membran 0,033 par. Lin. Uebergehend zu den Drüsen, muss ich vor Allem einen Irr- thum berichtigen, den ich mir in"meiner früheren Arbeit habe zu Schulden kommen lassen. Weil ich die Bowman’schen Drüsen auf der Regio olfaetoria der Säugethiere nicht erkannt, so schloss ich, dass solche überhaupt nicht existirten. Die Ur- sache der Verkennung des Drüsenbaues lag darin, dass ich die Drüsen nicht an frischen Schnitten, sondern an @uerschnitten von itı Chromsäurelösung erhärteten Schleimhäuten der‘ Nase untersucht habe. Die Chromsäure aber verändert die Drüsen- zellen in verschiedener Weise und deshalb hielt ich den Inhalt der Bowman‘scheni Drüsen, die ich’ allerdings auch früher sehon oft genug‘ beobachtete, für veräindertes Cylinderepithel. Die Bowman’schen Drüsen bilden kolbenförmige Schläuche, die mit ihrem schmalen‘ Ende an der Grenze des Schleimhaut- substrates münden, mit dem sackförmigen Theile dagegen tief in das Substrat hineinragen. Sie sind jedoch im gewöhnlichen Zustande nicht ganz gerade gestreckt, sondern verlaufen ein .. 60 Hoyer: klein wenig geschlängelt. Namentlich beobachtete ich sehr oft, dass das untere blinde Ende eine starke Biegung machte. Da nun ausserdem diese Drüsen sehr dieht an einander gedrängt und über die ganze Regio olfactoria verbreitet sind, so be- kommt man ‚auf Querschnitten, zumal man nur selten senkrecht schneiden kann, Bilder von zahlreichen kleinen Drüsen mit geraden Ausführungsgängen, an deren Ende einige wenige rnndliche und ovale, grössere und kleinere Acini Aufsitzen. Diese Bilder haben mich auch neuerdings mehrmals getäuscht, bis ich diekere Querschnittchen machte und nun die Drüsen als einfache Schläuche erkannte. ‘Sowohl an frischen (jedoch nur hin und wieder dazu disponirten), als auch an kurze Zeit mit Chromsäurelösung behandelten Präparaten wird bei ge- wöhnlichen Schnitten schon durch den geringsten Druck der Inhalt der Drüsen theilweise oder ganz herausgepresst, und von diesem Umstande mag es herrühren, dass Kölliker die Drü- sen so abbildet,') als ob ihr Epithel über das Substrat hinaus hervorrage und bis an den freien Saum des Epithels heran- reiche; ich fand, dass bei möglichst vermindertem Druck das Drüsenepithel über die Grenze des Substrates nicht hinausgehe, wie bei allen übrigen Drüsen; übte ich aber einen leisen Druck aus, der allmälig verstärkt wurde, so presste ich die Zellen entweder isolirt oder im Zusammenhange und mit Beibehaltung der Drüsenform theilweise oder ganz aus dem Substrate her- aus, wobei sehr häufig Bilder zum Vorschein kamen, wie sie von Kölliker dargestellt werden. Die Zellen lassen in vielen Fällen in der Mitte der Drüse einen schmalen Ausführungsgang erkennen. Sie haben eine rundlich polygonale Form, deutlichen . Kern und einen aus feinen gelben Körnchen bestehenden In- ‚halt, wodurch die braungelbe Färbung der Regio olfactoria bei den Säugetbieren bedingt wird. Der Schlauch, aus welchem die Zellen herausgepresst sind, kann häufig in dem Substrat noch deutlich erkannt werden. — Ein, wie ich glaube, sehr wichtiger Umstand, von dem ich mich an Querschnitten so- wohl, als auch an gewöhnlichen Schnitten überzeugt habe, ist 1) Gewebelehre, Fig. 353, Ueber die mikroskopischen Verhältnisse der Nasenschleimhaut u. s. w. 6] der, dass die Bowman’schen Drüsen nur da sich finden, wo die langen Zellen der Riechhaut vorkommen, während die drü- senlosen oder mit gewöhnlichen Schleimdrüsen versehenen Theile nur das gewöhnliche eilientragende Cylinderepithel besitzen. Nie sah ich bei Säugethieren beide Drüsenarten mit einander gemischt, Ein ähnliches Verhältniss fand ich in der Frosch- nase, von deren Schleimhaut ich wiederholt sehr schöne Quer- schnitte bekam, wo ich den Uebergang der langen Zellen in die gewöhnlichen kurzen deutlich beobachten konnte. Hier fan- den sich dieht unterhalb der langen Zellen die von mir!) be- schriebenen follikelartigen, mit rundlichen Zellen angefüllten Drüsen und häufig unterhalb dieser die gewöhnlichen Schleim- drüsen; wo aber die ersteren Drüsen aufhörten und entweder nur die Sehleimdrüsen oder überhaupt keine Drüsen sich fan- den, da gingen die langen Zellen in die gewöhnlichen Cylin- derzellen über. Die follikelartigen Drüsen beim Frosch er- scheinen an frischen Schnitten in Folge des Druckes, oder an in Chromsäurelösung macerirten Präparaten in Folge der Chrom- säurewirkung oval oder kolbenförmig gestaltet und, wenn’ sie aus dem Substrat herausgetreten und frei geworden sind, was schon durch den leisesten Druck und selbst durch einfache Maceration sehr leicht erfolgt, so stellen sie sich wegen der an ihnen festhaftenden langen Cylinderzellen als Bündel solcher Zellen dar, wie sie Eckhard unter Fig. 8 seiner Abhandlung?) abbildet; derselbe hielt sie auch richtiger Weise für Drüsen, während Max Schultze°) sie als Bündel von „Riechzellen“ ansieht. Ich bin geneigt, die Follikel nicht für geschlossene zu halten, sondern glaube, dass sie eine kleine rundliche Ausfüh- rungsöffnung besitzen. Ihrem Vorkommen, ihrem aus rundli- ehen Zellen bestehenden Inhalte und endlich der der Schlauch- form sich annähernden Gestalt nach sind sie wesentlich als den Bowman’schen Drüsen der Säugethiere entsprechende Bildungen anzusehen. — Die Bowman’schen Drüsen besitzen 1) A. 2) A. 3) A. 62 Hoyer: eine Länge von etwa. 0,15 par. Lin., eine Breite von 0,02 par. Lin., die Zellen. derselben haben einen Durchmesser ‚von ‚0,005 par. Lin. Was die Sehleimdrüsen der Nasenschleimhaut sowohl vom Menschen als auch von den Säugethieren und ‘vom Frosch an- betrifft, so habe ich mich bisher der allgemein angenommenen Ansicht angeschlossen, ‚dieselben seien acinöse Drüsen, wo..die Acini den Ausführungsgängen dicht, ansitzen; Theilungen. der Ausführungsgänge hatte ich nicht beobachtet, ‚sondern nur ge- funden, dass zuweilen (an gewissen 'Theilen, besonders am un- teren Rande der Muscheln stets) mehrere Ausführungsgänge ganzer Drüsen zu einem Gange’ sich, vereinigen.‘ |Schon. früher hatten mich Untersuchungen an ‚frischen 'Sehleimhautstücken über die aecinöse Natur der Drüsen ‘zweifelhaft gemacht; und in’ der letzten Zeit bekam ich beivder Untersuchung einer fri- schen Nasenschleimhaut vom. Menschen zufällig ein feines Schleimhautfältehen zu Gesicht, ‚wo sich mehrere Drüsen’ kei- neswegs als acinöse, sondern als einfache, sehr lange, stark ge- wundene Schläuche darstellten nach Art ‚der. Schweissdrüsen. Die Bogen und Schlingen, die.ich zu sehen bekam, ‚und die gänzliche Abwesenheit jedes Acinus konnten keinen Zweifel in mir aufkommen lassen; mehrere: wiederholte Untersuchungen an'derselben Nase. und zu, derselben Zeit hatten den gleichen Erfolg. Ich konnte. deutlich erkennen, dass jede Drüse aus einem einzigen Ausführungsgange bestand, der sich‘ als gleich- breiter langer Schlauch in die Tiefe erstreckte und durch ‚viel- fache Schlängelung eine ziemlich bedeutende Drüse darstellte. Spätere Untersuchungen gaben mir. (nicht ‚dieselben ‚günstigen Resultate, weil theils die Präparate nicht 'so durchsichtig: waren, theils die Schlängelungen nicht so. deutlich. hervortraten, die bildeten Schlingen vielmehr. als Aeini sich. darstellten. Durch Zusatz einer kleinen Spur von Kalilösung konnte zwar das Präparat durchsichtiger gemacht werden, allein. die deutlichen Windungen bekam ich nicht mehr so zu sehen; doch hatten die beobachteten Acini so verschiedene Grössen, so verschiedene Formen, zeigten oft so sehr in die Länge gezogene Gestalten, dass man über ihre acinöse Beschaffenheit. sehr wohl.inZweifel Ueber die mikroskopischen Verhältnisse'der Nasenschleimhaut u. s.w. 63 gerathen konnte... Dasselbe war der Fall bei meinen Untersu- chungen .der. Sehneider’schen Haut von Säugethieren; allein durch Gunst der Verhältnisse machte ich auch hier eine Beob- achtung, die sehr für die Schlauchform sprach. An einem Fal- tenschnittehen nämlich von einem etwa 8 Tage alten Chrom- säurepräparat gelang es mir, durch einen leichten Druck auf das Deckgläschen das Epithel der Schläuche in grosser Aus- dehnung im Zusammenhange aus dem Substrat herauszupressen; es stellte sich dar’ in Form von langen, einfachen, gleichmässi- gen, aus einem einfachen kurzen 'Cylinderepithel bestehenden Röhren... Aehnliches, wieich bei den Drüsen in der menschlieheu Schleimhaut beschrieben, kann man bei Schleimhäuten aus der Froschnase, besonders wenn man sie von der; Rückseite un- tersucht, beobachten. Dass schlauchförmige gewundene grosse Drüsen auf, Querschnitten durch die Schleimhant als acinöse sich. darstellen müssen, ist klar; doch sieht man. neben den runden. Acini (völligen Querschnitten des Schlauches), ovale und selbst sehr lang ausgedehnte Aeini, die man als Längs- sehnitte des Ausführungsganges betrachten müsste, wenn sie nieht. der Schleimhautoberfläche meist parallel wären. In‘meiner früheren Abhandlung!) habe ich eines. Falles er- wähnt, wo. es mir gelungen ist, deutliche Cilienbewegung inner- halb ‚der gewöhnlichen Schleimdrüsen des Frosches nachzu- weisen; ich sah nämlich einmal, wie ein Paar Luftbläschen innerhalb der scheinbaren Acini in lebhaft rotirender Bewegung sich befanden und hin. und: her geworfen wurden. In neuerer Zeit-habe ich mehrfach beobachtet, dass sehr kurze Cylinder- zellen von der Form, wie sie in den Schleimdrüsen vorkommen, mit-deutlichen Cilien versehen waren; ' ob es wirklich Zellen aus. den Drüsen gewesen ‚sind, kann ich nicht mit Bestimmtheit behaupten, obschon an Schnitten. von frischen und von Chrom- säurepräparaten die Zellen in reichlichem Masse aus den. Drü- sen heraustreten, Ueber das, Vorkommen von. Bowman’schen Drüsen in der menschlichen Nase wage. ich. vorläufig nicht, ein Urtheil | aus- 4) Ar. 0, 64 Hoyer: zusprechen, da es mir bis jetzt noch nicht einmal gelungen ist, eine der Regio olfactoria der Säugethiere entsprechende Gegend in der menschlichen Nase sicher nachzuweisen. Zwar fand ich an Querschnitten von dieht unterhalb der Siebbeinplatte fort- genommenen Schleimhautstückchen neugeborner Kinder lange gerade Schläuche, die tief unten im Substrat ein wenig gewun- den endeten (auf den Muscheln derselben Nasen fanden sich die gewöhnlichen aeinösen (?) Drüsen), allein sie waren mit kurzem Cylinderepithel ausgekleidet; an Schnittchen derselben Gegend von erwachsenen Menschen glaube ich Aehnliches ge- sehen zu haben, doch fehlte es mir an Zeit und an guten Prä- paraten, um diese Beobachtung genauer festzustellen. Mit der Untersuchung der Olfactoriusfasern beim Menschen, Säugethier und Frosch habe ich mich diesmal etwas sorgfältiger beschäftigt, doch reichen meine bisher erlangten Resultate nieht hin, um ein competentes Urtheil über die wahre Beschaffenheit desselben mir zu gestatten. Ueberall, wo ich die Olfactorius- äste beobachtet habe, zeigten sie im Wesentlichen dasselbe Aussehen. Die in ihnen enthaltenen Nervenfasern lassen sich als solche nur schwer erkennen. Sie besitzen im Allgemeinen eine Breite von 0,0033 par. Lin., können nur sehr schwer aus- einandergezerrt und isolirt werden. Ihr Inhalt erscheint im frischen Zustande als ein homogener, aus einer grauweissen durchschimmernden, sehr fein granulirten Masse bestehender. Bei Zusatz von Essigsäure zeigen sich darin eine grosse Menge oval-stäbchenförmigen Kerne, die in der Richtung der Längs- axe des Nerven in ziemlich gleichen Entfernungen von einan- der angeordnet sind; noch deutlicher treten-dieselben bei Zu- satz von deluirter Kalilösung zum Vorschein, wo der Nerv sehr hell und durchsichtig wird. An dem abgerissenen oder abgeschnittenen Ende des Nervenästchens tritt der Inhalt der Fasern in Form einer globösen gelatinösen Masse heraus, wie man sie im Inneren der Fasern findet; meine Beobachtungen reichen nicht aus, um sicher bestimmen zu können, ob die stäb- chenförmigen Kerne mit ausgetreten seien oder nicht, ob die- selben dem Nerveninhalt angehören, oder der Nervenscheide; ich vermuthe nur, dass die Kerne, falls sie dem Inhalt ange- Ueber die mikroskopischen Verhältnisse der Nasenschleimhaut u. s. w. 65 en, doch an der Peripherie desselben und unmittelbar unter er Scheide liegen, weil ich da, wo ich isolirte Fasern zu be- obachten Gelegenheit hatte, oder wo ich an Nervenästehen selbst einzelne Fasern ihre gerade Richtung verändern, schräg über dasselbe weggehen und dann wieder in gerader Richtung verlaufen salı, gefunden habe, dass die Kerne, wenn nicht in- nerhalb der Scheide selbst, so doch dicht an der Innenfläche derselben liegen. Die feinen Ausläufer, welche einige Beob- achter an den Kernen (Zellen?) gesehen haben wollen, und die nach Erichsen!) mit den Ausläufern der benachbarten Kerne anastomosiren und die Fasern netzförmig umspinnen sollen, halte ich für eine optische Täuschung, erzeugt durch quere Faltungen der Scheide in Folge der durch die ange- wandten Chemikalien bedingten Quellung. — Die feinsten Ver- zweigungen des Nerven habe jch nicht zu präpariren vermocht; was ich darüber gefunden habe, ist theils an Querschnitten, theils an frischen Schnitten beobachtet. — Erwähnen muss ich noch, dass ich mehrmals beim Schaaf, Kaninchen, Meerschwein- chen und beim Frosch an den Olfactoriusästehen feine mark- haltige Fasern beobachtet habe; beim Frosch ist dies nichts Seltenes, da man stets neben den Olfaetoriusfasern deutlich ein: fach contourirte, schmalere und‘ breitere Nervenfasern in der eigentlichen Riechhaut sieht, wo dieselben auch häufig zu en- den scheinen; selten finden sie sich dagegen bei den zuerst er- wähnten T'hieren, wo sie zwar mit den Hauptästen des N. ol- factor, verlaufen (ob sie auch innerhalb derselben gelegen ha- ben, ‘kann ich nicht sicher bestimmen), aber "nicht in’der Riechhaut zu endigen, sondern in die Schneider’sche Haut überzugehen scheinen; in einem herauspräparirten Aestchen je- doch vom’Schaaf sah ich deutlich eine zarte varieöge Faser, wie sie im Gehirn vorkommt; dieselbe änderte innerhalb des Aesteliens plötzlich ihre gerade Richtung, lief schräg über die übrigen Nervenfasern fort, um zuletzt wieder ihren geraden Lauf anzunehmen; sie hatte eine durch deutliche Contouren I) De textura nervi olfactorii ejusque ramorum. Auctore Joanhe Erichsen. Diss. inaug. Dorpati Livonor, 1857. Beichert's u, du Bols-Reymond's Archiv. 1860. [a 66 Hoyer: markirte Scheide und an derselben solche Kerne, wie sie die übrigen Olfactoriusfasern zeigen; ein Uebergang derselben in eine wirkliche Olfactoriusfaser war, so weit.ich ste beobachten konnte, nicht vorhanden. Ich bemühte mich zu ermitteln, ob sich nicht zuweilen ein Uebergang der Olfaetoriusfasern in solehe varicöse oder selbst in einfach contourirte Fasern nachweisen liesse, um so die Natur der ersteren zu ermitteln, doch ‚war meine Mühe bisher vergebens. Der Grund, weshalb die peripherischen Endigungen des Olfactorius so schwer nachzuweisen sind, liegt in dem Um- stande, dass derselbe in seiner äusseren Beschaffenheit sich so wenig gegen die übrigen Gewebe markirt. Es ist durchaus nicht leicht, innerhalb von Querschnitten erhärteter Schleimhäute oder innerhalb frischer Schnitte den Olfactorius zu entdecken; denn er besitzt eine grosse Aehnlichkeit mit dem Bindegewebe vermöge seiner Streifung, des fein granulirten Aussehens und der länglichen Kerne, und macht den grösseren Theil des Sub- strates der eigentlichen Riechhaut aus. Erst bei wiederholten Beobachtungen wird man im Stande sein, die Olfactoriusäste und deren Verzweigungen sofort wieder zu erkennen, indem der Nerv etwas homogener erscheint, als das umgebende Bin- degewebe, und durch eine scharfe, ziemlich deutliche Contour von dem letzteren sich abscheidet. Untersuchen wir zuerst die Erscheinungen, welehe sich an Querschnitten von in Chromsäurelösung erhärteten !) Schleim- häuten darstellen. Ein grosser Unterschied stellt sich zunächst heraus, je nach der Richtung, in welcher die Schleimhaut ge- schnitten wird, ob parallel zum Verlaufe der Olfactoriusäste oder senkrecht auf dieselben. Schneidet man parallel, was man am leichtesten an der Riechhaut der Säugethiere genau. bestim- men kann, so findet man bei oberflächlicher Betrachtung des Objectes d. h. am freien Saum der Membran das Epithel, dann scharf gegen dasselbe abgegrenzt das Substrat, in welchem der Oberfläche zunächst die Bowman’schen Drüsen liegen, und 1) Das Präparat muss der Einwirkung der Chromsäure längere Zeit ausgesetzt gewesen sein, damit der Nerv vom Bindegewebe; sich deutlich unterscheiden lasse, Ueber die mikroskopischen Verhältnisse der Nasenschleimhaut u. s.w. 67 » za unterst, nach der Anheftungsstelle der Haut zu, erscheint das Substrat aus streifigem Bindegewebe mit Kernen bestehend: Untersucht man genauer, so findet man, dass das scheinbare Bindegewebe aus verschiedenen scheinbaren Schichten besteht, aus mehr gelblichen und aus blasseren helleren. Die gelblichen Schichten überwiegen meist, sind nach unten zu’ breiter, die oberen, d. h. die der freien Fläche der Membran näher gele- genen sind schmaler; man sieht, dass die oberen schmaleren Schichten Abzweigungen der unteren breiteren sind, und dass jene wieder schmalere Zweige abgeben, die schräg’ zur freien Schleimhautoberfläche hinaufsteigen und, fortwährend Aeste ab- gebend, zwischen die Drüsen eintreten. “Diese gelblichen Schichten sind homogener, als die anderen, bestehen aus einer fein granulirten Masse mit länglich ovalen Kernen und sind aus nicht deutlich sich markirenden blassen Fasern zusammen- gesetzt; die helleren Schichten zeigen eine mehr lockige Strei- fang und nur bei Zusatz von Essigsäure treten schmale spin- delförmige Körper darin zum Vorschein. Die gelblichen Schichten sind nun die Olfaetoriusäste mit ihren Verzweigun- gen, die blassen dagegen sind ein einfaches Bindegewebe. Wenn man genau darauf achtet, ‘welcher Theil des Schnittes der dem Siebbeine zugerichtete und welcher der der peripheri- schen Nervenausbreitung entsprechende ist, so wird man sich überzeugen, dass die Aestehen vom centralen Ende des HMaupt- astes abgehen und ebeiso wieder die kleineren Zweige, und dass dieselben in der Richtung der peripherischen Ausbreitung schräg zur freien Schleimhautoberfläche emporsteigen. Diese Beobachtungen lassen sich ziemlich leieht wiederholen. "Unend- lich schwer ist es aber, die wahre Endigung der Nervenfasern darzulegen. Ich habe an guten eben beschriebenen Quer- schnitten die Verzweigungen der Olfactoriusästchen bis ziemlich weit hinauf zwischen die Drüsen verfolgt, ja bis zur Bildung der letzten Zweiglein; die Olfactoriusfasern konnte ich noch ziemlich deutlich in sehr dünnen Zweigen erkennen, ebenso die Kerne; in den letzten Enden war es jedoch nicht mehr möglich, denn dieselben sind fein gestreift, breiten sich büschelförmig aus und man sieht von den Nerven zuletzt nichts mehr, als 5* 68 Hoyer: eine feine Streifung, die in einen schmalen hellen Saum an der Grenze des Substrates verschwindet; den Saum halte ich für den Querschnitt einer Basement membrane, eines an Bin- degewebskörperchen armen Theiles des Substrates, welcher eine bestimmte Grenze bildet zwischen letzterem und dem Epithel. Etwas Genaueres über das Verhalten des allerletzten Nerven- endes in dem Saume habe ich trotz aller Anstrengung nicht ermitteln können; ich vermuthe nur, dass die Olfactoriusfasern in feinere Fasern getheilt an jenem Saum blind endigen, weil ich etwas dergleichen zuweilen gesehen zu haben glaube, vor Täuschungen aber durchaus nicht sicher gewesen bin. Durch den Saum hindurchtretende Fasern habe ich durchaus nieht wahrgenommen; eben so wenig ist es mir gelungen, an der feinen Streifung (feinen Fäserchen?) zarte varicöse Auschwel- lungen wahrzunehmen, wie sie Schultze beschreibt, !) Macht man nun von demselben Präparate, das man zur An- fertigung der eben beschriebenen Theile benutzt hat, Quer- schnitte senkrecht auf den Nervenlauf, so erhält man eine ganz andere Ansicht, ein ganz anderes Bild. Man sieht darin die Querschnitte der Olfaetoriusstämme und zwar zu unterst die grösseren, nach oben zu die kleineren; sie nehmen zusammen den grössten Theil des Substrates ein und lassen für das Biu- degewebe nur wenig Raum; sie unterscheiden ‚sich von letz- terem durch eine gelbliche Tinetion und einen homogenen fein granulirten Inhalt, mit hin und wieder darin zerstreuten kleinen rundlichen Kernen. Zuweilen gelingt es zu beobachten, dass der Inhalt durch von der ganzen Nervenscheide ausgehende sehr zarte Scheidewände in zahlreiche unregelmässig polygonale Theile getrennt wird; die Kerne scheinen nur theilweise in oder an, diesen Scheidewänden zu liegen. Am leichtesten lassen sich dem Nervenlaufe parallele (Querschnitte an der Riechhaut ' der Kaniuchen, Meerschweinchen, des Schaafes und wohl auch vom Menschen machen, schwer jedoch vom Frosch, weil: sich dort die Richtung des Nervenverlaufes nur sehr schwer treffen lässt. Dennoch habe ich auch von der Froschnase sehr schöne 4), A. a. O, Ueber die mikroskopischen Verhältnisse der Nasenschleimhant u. s.w. 69 Schnitte angefertigt und daselbst ein wesentlich gleiches Ver- halten der Olfactoriusverzweigungen gefunden; auch überzeugte ich mich, dass die letzteren nur da vorkommen, wo auch die follikelartigen Drüsen und die langen Cylinderzellen zu beob- achten sind, während ‚bei den Säugern die letzten Enden der Olfactoriusäste auch noch auf den Beginn der Schneider- schen Haut übergingen, aber dort sieh sehr schnell verloren. Auf der Schneider’schen Haut im Uebrigen, so wie beim Frosch an den mit gewöhnlichen Zellen bedeckten Theilen fin- den sich nur Fasern des N. trigeminus, die ich beim Frosch mehrmals blind endigend gesehen zu haben glaube; doch kann man eine solehe Annahme bei Querschnitten nie mit Sicherheit stellen. — Auf gewöhnlichen Schnitten von frischer Riechbaut macht man wesentlich gleiche Beobachtungen. Bei den von mir untersuchten Säugethiernasen erschienen die Bowman’- schen Drüsen, von oben gesehen, geordnet in Reihen, indem die dazwischen verlaufenden Olfactoriusäste sie in solche Rei- hen scheiden. Die Erkennung der letzteren ist hier erschwert, da sie in der Tiefe liegen und auch durch keine besondere Färbung von den übrigen Geweben geschieden sind; bei eini- ger Uebung werden sie jedoch auch hier wahrgenommen, da sie mehr blassgrau sind, homogen erscheinen und nach dem peripherischen Laufe hin sich verzweigen. Man kann die Ver- zweigungen auch hier ziemlich weit und bis nahe an die Grenze des Substrates verfolgen, zuletzt verschwinden sie aber in dem stark streifigen Bindegewebe. Um sie von letzterem zu schei- den, müsste man ein besonderes Reagens auf Nervensubstanz besitzen; Kali caustic. lässt zwar die grossen Stämmcehen deut- lieh hervortreten, für die Erkenntniss der letzten Enden ist es aber oline Nutzen. - Wesentlich gleiche Verhältnisse findet man ferner in der Riechhaut des Frosches, wenn man sie auf frischen Faltenschnitten untersucht. Daneben zeigen sich darin noch verschiedene kernhaltige Fasern, die durch zahlreiche Anastomosen ein ziemlich engmaschiges Netzwerk bilden. An- fangs glaubte ich darin die wahre Endigung der Olfaetorius- faserıı gefunden zu haben, bis ich mich später von der Unrich- tigkeit dieser Ansicht überzeugte.' Es sind, wie ich jetzt glaube, 70 j Hoyer: einfache Verdichtungen der Grundsubstanz, ‚undeutlich hervor- tretende Bindegewebskörper. Die ganze Erscheinung stellt sich übrigeus so dar, wie der von Billroth!) gezeichnete „„Nerven- plexus aus der Schlundschleimhaut der Wassersalamander“. Fassen wir die Resultate der Untersuchungen kurz zusam- men, so ergiebt sich daraus ungefähr Folgendes: An der Na- senschleimhaut der Säugethiere und ‚der Frösche lassen sich zwei Abtheilungen von verschiedener Function und von ver- schiedener Struetur nachweisen, die eigentliche Riechhaut und die gewöhnliche Schleimhaut der Schneider’schen Membran. In der ersteren finden sich hauptsächlich die Verzweigungen des Riechnerven, während in der letzteren wesentlich nur Fasern des. N. trigeminus vorkommen. Die Riechhaut ist bedeckt mit sehr langen, schmalen Cylinderzellen, die bei den Säugethieren f eilienlos sind, bei den Fröschen dagegen ungewöhnlich lange feine, peitschenartig schwingende Cilien besitzen; während auf der gewöhnlichen Schleimhaut kürzere, breitere, mit kurzen leb- haft, schwingenden Cilien versehene Cylinderzellen aufsitzen, zwischen deren angehefteten schmalen Enden ovale und spin- delförmige Ersatzzellen gleichzeitig dem Substrate anhaften, Die Riechhaut der Säugethiere enthält zahlreiche dichtgedrängte, einfache schlauchförmige Drüsen, die mit polygonalen gelblich granulirten Zellen ausgekleidet sind; es sind die sogenannten Bowman’schen Drüsen; beim Frosche finden sich analoge Bil- dungen, rundliche und kolbenähnliche, mit runden Zellen aus- gefüllte Follikel. Die Schleimhaut dagegen ist mit zahlreichen, scheinbar acinösen, wie ich jedoch gefunden zu haben glaube, aus langen gewundenen Schläuchen, die mit Cylinderepithel ausgekleidet sind, bestehenden Drüsen versehen. Sowohl. bei der Riech- als bei der gewöhnlichen Schleimhaut findet sich eine scharfe Grenze zwischen Substrat und Epithel. — Der N. olfactorius hat eine wesentlich andere Textur, als die meisten 1) Einige Beobachtungen über das ausgedehnte Vorkommen von Nervenanastomosen im Traetus intestinalis. Müller”s Archiv, 1858. Taf, VI, Fig. 1. Ueber die mikroskopischen Verhältnisse der Nasenschleimhant u. s. w. 71 anderen peripherischen Nerven; er lässt sich nur schwer in Fa- sern zerlegen, die einen homogenen, fein granulirten Inhalt be- sitzen, und in deren Innerem oder in der Scheide kurze stäb- chenartige, zahlreiche, kernartige Bildungen enthalten sind. Ich habe Theilung der Olfaetoriusstämmehen in immer feinere Aest- chen beobachtet und den schrägen Verlauf der letzteren bis an die Grenze zwischen Epithel und Substrat verfolgt; etwas Be- stimmtes über ihre wirkliche Endigung vermochte ich nicht zu finden. R Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Querschnitt durch die Riechhaut vom Kaninchen an der Uebergangsstelle in die Schneider’sche Membran. A. Cilienlose Zellen der Riechhaut. B. Cilientragende Zellen der Schleimhaut mit Spindelzellen an der Anheftungsstelle. ©. Schicht der Bowman’schen Drüsen. D. Gewnndener (scheinbar acinöser) Drüsenschlauch der Schneider’schen Haut. F, Olfactoriusstämmehen, mit dazwischen befindlichem Binde- gewebe; zahlreiche Aestchen steigen davon schräg durch die Bowman’sche Drüsenschicht zur Oberfläche auf und verlieren sich dicht unter dem Epithel in der ziem- lich glashellen Begrenzung des Substrates. Fig. 2. Querschnitt durch einen Theil der Froschnase. aa. Lange Zellen der Riechhaut mit sehr langen Cilien (die frisch zu sehen sind). b. Kurze Zellen der gewöhnlichen Schleimhaut mit kurzen Cilien, ‚ c,c,c. Kurze rundliche und kolbige Drüsenschläuche mit rund- lichen Zellen als Inhalt, theils im Substrat unter den langen Zellen der Riechhaut liegend, tbeils zwischen die Zellen selbst eingedrungen, d.d. Scheinbar acinöse (in der Tbat schlauchförmige) mit Cy- linderepithel ausgekleidete Drüsen. e,0,e, Substrat unter den langen Zellen, sehr geschrumpft, ent- haltend. Querschnitte von Gefässen, ferner schwarzes Pigment und die runden Drüsenschläuche, ® 11,8. Nervenstämmehen, die sich in jenem Substrat dicht unter den Zellen verlieren, und zwar auch in einer Art Ba- sement membrane. 72 Fritz Müller: Beschreibung einer Brachiopodenlarve. Von Frrrz MÜLLER in Desterro (Brasilien). (Hierzu Taf. I.B. Fig. 1—3.) Die Formwandlungen ‚der niederen 'Thiere haben in den letz- ten Jahrzehenden zu den. Lieblingsgegenständen, zoologischer Forschung gehört, und selten wohl hat ein Gegenstand dank- barer, mit einer reicheren Fülle derüberraschendsten Eutdek- kungen die auf ihn gewandte Mühe belohnt. Für die Mehr- zahl der grösseren T'hiere liegen jetzt, Dank diesen vielseitigen Bemühungen unserer Zeitgenossen, wenigstens die Grundzüge ihres Entwicklungsganges oflen, und bietet, auch der Ausbau im Einzelnen der Zukunft noch ein reiches Feld für anziehende Untersuchungen, so bleiben doch kaum noch wenige Gruppen übrig, über deren frühere Zustände nicht wenigstens Andeutun- gen oder wahrscheinliche Vermuthungen vorhanden wären. Jedenfalls die: wichtigste unter diesen in Bezug auf Entwick- lung noch im tiefsten Dunkel liegenden Gruppen ist, trotz ihrer spärlichen Vertretung in der lebenden "Thierwelt, die der Brachiopoden. k Mit freudiger Ueberrasehung begrüsste ich daher den An- blick einer unverkennbaren Brachiopodenlarve, eines um so unerwarteteren Fundes, als mir erwachsene Brachiopoden un- seres Meeres noch nicht bekannt sind.!) Ich eile, dies erste Bruchstück aus der Formenreihe der Brachiopodenentwicklung 1) Hier die Bemerkung, dass ich neuerdings von dem Verfasser obenstehenden Aufsatzes ein Stückchen einer bei Desterro gefundenen Pinna-Schale zugesandt erhielt, an welchem die Bauchschale einer Orania oder verwandten Brachiopode angeheftet war. Max Schultze, Beschreibung einer Brachiopodenlarve. 73 zur Kenntniss der Zoologen zu bringen, hoffend, dass es fer- neren Nachforschungen gelingen werde, die früheren und spä- teren Schicksale des interessanten Thierchens aufzuklären. Um sich zunächst ein vorläufiges Bild der allgemeinen Um- risse desselben’ zu machen, ‘denke man sich ein zweiklappiges fast kreisrundes Muschelehen von 0,4 Mm. Durchmesser; die Schalen vollkommen gleichseitig, aber ungleich; eine grössere, schwach gewölbte Rückenschale, welche ringsum die ganz flache, hinten (am Schlussrand) ausgebuchtete Bauchschale über- ragt; an der Stelle des Schlosses ‘eine quer-ovale Platte zwi- schen den Schalen. Mantel rings offen. Im Umkreis der Schalen ragen fünf Paar derber Borsten vor, unter denen das vierte nach hinten geriehtete durch Länge und Stärke sich aus- zeichnet, und die mit Ausnahme des fünften hintersten im Mantel der Bauchschale wurzeln. Eine Reihe zarterer haarförmiger Borsten entspringt jederseits dem Mantel der Rückenschale und krümmt sich bogig nach unten über die Bauchschale, — Das Thier ist, wie die Schale, vollkommen symmetrisch in’ Bezug auf eine durch die Mitte des Hinterrandes senkrecht auf diesen gelegte Ebene. Der eigentliche Leib, rundlich im Umriss, nimmt die Mitte der hinteren Schalenhälfte ein; ein weiter fla- schenförmiger Magen, daneben zwei Gehörblasen, nach vorn zwei dunkle Augenflecke fallen daran zunächst in’s Auge. Die vordere Schalenhälfte füllen vier Paar eylindrischer Arme, zwi- schen denen vorn ein unpaarer rundlicher Knopf und hinter diesem der Mund zu sehen ist. Auf gemeinsamem Stiele aus der Tiefe vorgeschoben reiten sich die Arme strahlig um den Mund aus und mit Hülfe ihres reichen Flimmerkleides schwimmt das hier langsam umher. Zur näheren Betrachtung der einzelnen Theile übergehend, so sind beide Schalen sehr dünn, biegsam, blass hornfarbig, ziemlich durchsichtig. Die Rückenschale überragt rings die Bauchschale; sie ist flach schildförmig gewölbt, 0,41 Mm. breit, 0,38 Min. lang. Ein ziemlich genaues Bild ihres Umfanges er- hält man, wenn man über derselben Geraden, der grössten Breite der Schale, vorn einen Halbkreis, hinten eine Ellipse beschreibt, deren Achsen sich wie 6:7 verhalten. Die Bauch- 74 io Fritz Müller: schale, 0,3 Min, lang, 0,38:Mm. breit, istganz flach; ihre Rän- der laufen bei',dem ruhenden Thiere, denen der ‚Rückenschale in einer. Entfernung ‚von ‚etwa 0,02 Mm. parallel, — mit Aus- nahme des Hinterrandes, an dem 'sich eine. flache Ausbucht fin- det, wodurch hier die Entfernung. der Schalenränder ‚auf 0,05 Mm. steigt. Der Rand der Bauehschale erscheint inJeiner Breite von etwa 0,025 Mm. dunkler, mehr, oder ‚weniger röth- lich braun gefärbt. Mit ihrem. Hinterrande dem ausgebuchteten Hinterrande der Bauchschale anliegend, gewahrt man zwischen’ den Schalen ‚eine querovale Platte, 0,06 Mm. lang, 0,11 Mm. breit, ‚mit dunk- lerem,, oft braunröthlich gefärbtem, 'ringförmigem Rande. Sie haftet an der Bauchschale, deren Bewegungen sie folgt, und steht mit der Rückensehale nur durch Muskeln in Verbindung. Der die Schalen auskleidende rings offene Mantel ist in der Mitte beider Schalen sehr dünn und so bildet sich hier ein scharf umschriebenes "helles Feld, dessen Breite etwa °/s von der der Rückenschale beträgt, und innerhalb dessen das ruhende Thier geborgen liegt. Dies helle Feld ist umgeben von einem minder durchsichtigen wulstigen Saume von etwa 0,04 Mm. Breite, in welchem ich einige Male (in der Rückensehale) ra- diär verlaufende einfache oder am Ende gablige, nach innen offene, nach aussen geschlossene Canäle bemerkte. In diesem verdickten Saume wurzeln Borsten von zweierlei Art: stärkere, hornfarbige, wagerecht aus der Schale vorste- hende und zartere, haarförmige, farblose, die sich bogig um den entgegengesetzten Schalenrand krümmen. Im» Mantel der Bauchschale finden sich vier Paar Borsten der ersten Art, die der beiden vordersten Paare sind etwa 0,15 Mm. lang und in der Ruhe nach vorn und etwas nach: innen gerichtet, wobei die Spitzen der beiden vordersten sich kreuzen; die des dritten Paares, das an der breitesten Stelle der Schale entspringt, wen- den. sich ‚nach ‚aussen und etwas: nach hinten, sind nur.0,09Mm. lang und überragen kaum den Rand der Bauchschale. Alle sind ganzrandig und. ‚leicht Sförmig gebogen. Weit ansehnlicher sind die Borsten des vierten Paares, sie entspringen-etwa 1Mm, vom. Hinterrande der Bauchschale und reichlich. eben so weit Beschreibung einer Bracbiopodenlarve. 75 von der Mittellinie; während die gerade Entfernung, ihrer Spitze von der Wurzel 0,3 Mm. beträgt, bilden sie einen nach aussen gewölbten Bogen von 0,07 Mm. Höhe. Dem gleichförmig brei- ten Stiele folgt etwa zu Ende des ersten Viertels ihrer Länge eine spindelförmige 0,02 Mm. breite Verdiekung, von der aus sich die. Borste' allmälig verjüngt, bis zu der wieder sanft aus- wärts gebogenen Spitze: In ihrem Endtheile und in mehr als der Hälfte ihrer Länge ist die Borste am Aussenrande und seitlich mit kurzen hinterwärts gerichteten Dornen oder Zähn- chen besetzt. , In. der Ruhe sind diese Borsten meist gerade hinterwärts, bisweilen mehr nach aussen, seltener so.nach innen gerichtet, dass ihre Spitzen sich kreuzen. Zwischen dem zwei- ten und dritten Paare der eben beschriebenen; Borsten finden sich zwei Paar Borsten der zweiten Art. Nur das; fünfte und hinterste Paar der stärkeren Borsten gehört der Rückenschale an, liegt zwischen ‚den Borsten des vierten Paares, ist hinterwärts gerichtet und entspricht in Grösse und Form den beiden vorderen Paaren der Bauchschale. Desto zahlreicher sind in. der. Rückenschale die- Borsten der zweiten Art; sie bilden jederseits eine dem Rande in einer Entfernung von etwa 0,07 Mm. parallel laufende Reihe;; vorn bleibt zwi- schen den beiden vordersten Borsten ein freier Raum von 1 Mm,, während die hintersten den grossen Borsten des vierten Paares gegenüber entspringen. Ihre Zahl steigt auf 30 bis 40, sie sind haarförmig, ganzrandig, farblos, elastisch, die mittelsten läng- sten etwa 0,2 Mm. lang. Unter dem Rande der Bauchschale vorgetreten, biegen sie sich um diesen nach unten und innen. Die beiden hintersten sieht man bisweilen neben den stärkeren Borsten des fünften Paares wagerecht nach hinten ragen. Der eigentliche L,eib des Thieres (der fälschlich sogenannte Eingeweidesack), nimmt den grössten Theil: von der hinteren Hälfte des hellen Mittelfeldes ein, ist vorn abgerundet und mit seiner ganzen oberen und unteren Fläche den Schalen. ange- heftet. Die Musenlatur, die neben dieser, Anheftung an den Leib des Thieres die einzige Verbindung der Schalen. bildet, ist mir wicht ganz klar, geworden; ein breites Muskelpaar, das an den vorderen Ecken des Leibes von der Rückenschale ent- 76 Fritz Müller: springt und nach hinten zur Bauchschale geht, ‘sowie ein 'schma- leres von den Seiten der «uerovalen Platte nach’ aussen und etwas nach vorn zur Rückenschale gehendes Muskelpaar schei- nen die wesentlichsten für die Bewegungen der Schalen. Sie lassen sich nicht füglich als „Schliessmuskeln“ "bezeichnen, 'da die Schalen, durch die Platte aus einander gehalten, stets nahe- zu gleiche Entfernung von einander zu bewahren scheinen; ein- seitig wirkend, drehen sie die Bauchsehale (weit seltener, wenn diese gegen andere Körper gestützt ist, sieht man Drehung der Rückenschale), und durch gleichzeitige Wirkung der beidersei- tigen Muskeln wird die Bauchschale nach vorn gesehoben. Die vordere Hälfte des hellen Feldes ist ziemlich vollstän- dig gefüllt durch die vier Paar Arme, die in der Ruhe knie- förmig gebogen sind, so dass das Knie nach hinten, die Spitze wieder nach vorne sieht; seltener ist das hinterste Paar zu bei- den Seiten des Leibes nach hinten geschlagen. Sie werden ge- tragen von einem in der Ruhe auf ein Minimum verkürzten gemeinsamen Stiel, der in einem ansehnlichen querovalen Knopf von 0,05 Mm. Breite endet. Dieser pflegt sieh dicht an den Vorderrand des hellen Feldes zu legen, und ist nament- lich in seiner vorderen Hälfte dunkler bräunlich roth gefärbt. An der Bauchfläche des Armstieles liegt der wulstig umrandete Mund, dessen Form je nach seinen verschiedenen Oontraetions- zuständen sehr wechselt; er erscheint enger oder weiter, 'als Quer- oder Längsspalte, besonders oft auch Tförmig, d.h. be- grenzt von drei nach vorn convexen Bogen, einem vorderen unpaaren und zwei kleineren hinteren. Um den Mund sind nun die Arme in einer von vorn und oben nach hinten und unten geneigten Ebene geordnet, so dass also das vorderste Paar nach der Rücken-, das hinterste unter dem Munde und nach der Bauchschale zu liegt. Sie sind von gleicher Grösse, cylindrisch, etwa 0,03 Mm. diek und 0,15 Mm. lang, scheinen hohl zu sein und sind mit (ihrem Durchmesser an Länge fast gleichkommenden) Flimmercilien bekleidet, Vom Munde aus läuft ein musculöser Schlund im Armstiele gerade nach hinten und tritt in einen die ganze Länge der Lei- beshöhle einnehmenden, weiten, hinten flaschenförmig verbrei- Beschreibung einer Brachiopodenlarve. 77 terten Magen, der blass dottergelb. gefärbt und im Gegensatze zu dem. ganzen übrigen Thiere, undurchsichtig ist: . Man sieht in ihm grosse Zellen von .0,006.Mm. Durchmesser und auf seiner Bauchseite mehr oder weniger ausgeprägte ‚rundliche braune Flecken von kleinzelligem Gefüge ‚(künftige Leber?). Ein Darm liess sich nicht auffinden, vielmehr erschien der Ma- gen rings geschlossen, Von. Gesehlecehtsorganen und: Gefässsystem war ebenfalls keine Spur zu, entdecken; Herzen sind daher schwerlich‘ vor- handen, da sie sich ‘durch ihre Pulsationen hätten verrathen müssen. j Seitlich, doch mehr.der Rückenfläche genähert, liegt jeder- seits nahe der Vorderecke des Leibes ein dunkel ‚schwarzbrauner Augenfleck von ..ovalerı Form (Durchmesser 0,015. und 0,013 Mm.), dessen längerer. Durchmesser ‚schief, nach, ‚hinten und aussen ‘gerichtet ist. . Zu den Seiten'des Magens und über denselben (der Rückenschale zu) liegen zwei ansehnliche Ge- hörblasen. von 0,04Mm. Durchmesser, in denen man, 20 bis 30. Otolithen (von etwa 0,002 Mm.) in. lebhafter tanzender Be- wegung ‚erblickt. . Das Nervensystem scheint schon. | deutlich ausgeprägt zu sein, ist aber nur dann bruchstück weise, wahr- zunehmen, wenn. es gelingt, durch Drehen des: Deckgläschens die Schalen ohne zu grosse Verletzung des 'Thieres aus einan- der zu ‚schieben; ich verspare die Mittheilung meiner fragmenta- rischen Beobachtungen, bis sich mir aus ihnen ein. zusammen- hängendes, durch wiederholte Prüfung gesichertes Bild gestaltet, Da der Schwerpunkt des auf die Kante gestellten 'Thieres in. die Rückenschale fällt, sieht man es fast immer auf dieser Dehale liegen; auch beim Schwimmen scheint ‚sie stets die ‚un- tere zu sein. Das Schwimmen geschieht durch die Flimmer- bewegung ‚der die Arme bekleidenden Cilien; die Arme wer- den zu diesem Behufe aus der. Schale vorgesehoben, ‚strecken sich ‚und breiten sich strahlig um den Mund aus. Dass. dabei der Mund vorausgehe;, würde ich, , als selbstverständlieh, nicht erwähnen, hätte man nicht neuerdings. den ‚seltsamen Gedanken gehabt, bei den. Brachiopoden das Vorn; und Hinten nach der Lage nieht des; Mundes, sondern; des Afters zu bestimmen. — 78 Fritz Müller: Häufiger als das Schwimmen hat man Gelegenheit, das sonder- bare Kriechen des Thieres zu beobachten, welches durch ab- wechselndes Drehen der Bauchschale nach rechts und links be- wirkt wird. Dabei schiebt sich das Thier namentlich durch Anstemmen der starken Borsten des vierten Paares vorwärts. Gleichzeitig werden, wenn die Bauchschale z. B. sich nach links dreht, die um den linken Rand derselben sich’ krümmenden haarförmigen Borsten der Rückenschale durch ‘den gegen sie drückenden Schalenrand gestreckt, um bei der folgenden Dre- hung nach rechts in ihre Ruhelage zurück zu schnellen und so, Algenfäden u. dgl. umfassend, das Tbhier festzuhalten. — Die Arme liegen bei diesen Drehungen der Bauchschale ruhig in der Rückenschale. Däss nun unser Thier nur den Brachiopoden angereiht wer- den könne, wird nach der gegebenen Beschreibung keiner wei- teren Erörterung bedürfen. Der erste Eindruck, dass es eine Larve sei, den mir später verschiedene Gründe zweifelhaft machten, bestätigte sich schliesslich dureh einige Fortschritte der Entwicklung an denselben Thieren, die ich in der eben beschriebenen Form beobachtet hatte. Sie beschränken‘ sich auf den kurzen Zeitraum von 'ein bis zwei Tagen, nach wel- cher Zeit die Thiere starben, geben aber immerhin einige An- deutungen für den weiteren Gang der Entwicklung. Die quer- ovale Platte tritt unter der bis zum Vorderrande‘ der Rücken- schale vorgeschobenen Bauchsehale vor, beginnt sich nach’ hinten zu verlängern und ein faseriges Ansehen zu zeigen (Stiel?); sie folgt, nach wie vor, den Bewegungen’ der Bauchschale; — hinten und rechts vom Magen ausgehend, ‚und sofort sich nach vorn wendend, tritt ein anscheinend noch blind geschlossener Darm auf, die erste Störung der vollkommenen Symmetrie; ein feinzelliges Gewebe erscheint vorn in der Leibeshöhle zu den Seiten des Magens und verhindert‘ die Otolithen ‘von der Bauchseite aus zu sehen; — der Magen wird darehsichtiger und lebhaftes Flimmern in denselben sichtbar. Alle beobachteten Exemplare (und ich konnte mir einige Wochen hindurch täglich‘ wenigstens einige verschaffen): waren von ganz gleicher Grösse, "Dass grössere nicht vorkommen, Beschreibung einer Brachiöpodenlarve. 79 erklärt sich aus den eben erwähnten Veränderungen, die auf ein nahes Festsetzen hinweisen; der Mangel jüngerer Formen mag vielleicht daher rühren, dass sie bis dahin in der Schale der Mutter verweilen. Dies die bis jetzt beobachteten T'hatsachen. Wenn schon sie im Allgemeinen mehr geeignet scheinen, die Neugierde’ zu wecken als zu befriedigen, Fragen anzuregen als zu lösen, — so lassen sich immerhin schon einige Folgerungen aus ihnen herleiten. Zunächst ergiebt sich, dass der Theil des Brachiopoden- leibes, der in der Larve Augen und (ehörblasen trägt, in wel- chem sieh also die Centraltheile. des Nervensystems mit Grund vermuthen lassen, nicht wohl als blosser ‚„‚Eingeweidesack‘ be- zeichnet werden kann. Ferner beantwortet sich definitiv die Frage nach dem Vorn und Hinten, Oben und Unten der Brachiopoden und zwar zu Gunsten der herkömmlichen Terminologie und gegen die von C. Vogt vertretene Ansicht, der sich mit Hintenansetzung aller übrigen Organe durch die Lage des Afters hat leiten und ver- leiten lassen. Hätte der eifrige Vertreter des Individualismus auch diesen Thieren ihr Recht werden lassen, nach ihrer eige- nen individuellen Natur und nicht nach einer vagen Analogie mit den Muscheln gelagert zn werden, so würde er schwerlich dem After diesen Vorrang vor dem Munde eingeräumt haben, so wenig als bei Gasteropoden und anderen mit seitlichem After versehenen Thieren. ‚Die Bedeutung, unserer Larve für die systematische Stellung der Brachiopoden, näher zu erörtern, muss ich mich enthalten, da ieh, die neueren Forschungen: über Bryozoen. nur‘ durch Jahresberichte ‚kenne und. ich selbst ‚nur, wenige Formen der- selben ziemlich oberflächlich untersucht habe.‘; Dem Eindruck des ersten Anblicks folgend würde gewiss Jeder, der unser Thier lebend zwischen lebenden Muschellarven und Cellularien gesehen, ibm, olıne Bedenken seine: Stelle zur Seite des letz- teren anweisen, , Was dabei zunächst als ähnlich !in’s Auge fällt, die kreisförmig gestellten Tentakel, steht in auffallendem Gegensatz zu der Armbildung der erwachsenen Braehiöpoden. 80 Heinrich Jacobson: Aber ob überhaupt unser Thier. als Larve einer, der bekannten Brachiopodenformen angehört, und nicht vielmehr: dem ‚noch unbekannten Repräsentanten einer neuen. Gruppe mit! kreisför- mig gestellten Armen, die dann in ähnlicher. Weise den ‚Mee- resbryozoen mit Tentakelkranz entsprechen würde, wie die gewöhnlichen Brachiopoden den ‚zweiarmigen Bryozoen des süssen Wassers? Desterro, Ende März 1859. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Brachiopodenlarve aus dem Meere von Santa Catarina, mit zurückgezogenen Armen; Durchmesser 0,4 Mm, Fig. 2. Dieselbe schwimmend. Fig. 3. ‚Ein Stück der, Borste B, Beiträge zur Haemodynamık. Von DR. HEINRICH JACOBSON, u prakt. Arzte zu Königsberg i. Pr. I Ueber Poiseuille’s Gesetz. Eine experimentelle Prüfung, ob das Gesetz, das Poiseuille für die Bewegung der Flüssigkeiten in Röhren von sehr klei- nem Durchmesser entdeckt hat, allgemein gültig sei, ist bisher nieht unternommen worden. Poiseuille behielt sich eine Aus- dehnung seiner Beobachtungen nach dieser Richtung hin vor, ') hat aber — soviel mir bekannt — bisher nichts darüber veröf- fentlieht. Die zur Prüfung seines Gesetzes gewählte Commission der Pariser Akademie bestätigte es für Capillaren von 0,13 bis 0,27 Mm. Durchmesser. Die Ursache des Widerspruchs, in 1) Memoires presentes ete. t. IX. p. 523. Berner, Beiträge zur Haemodynamik. 81 dem’ dasselbe mit den Angaben der Hydrauliker steht, wurde entweder in. der grösseren Weite der von ihnen angewendeten Röhren. oder darin gesucht, dass sie ausserhalb. der Grenze für die Länge liegen ‚sollten, aufıdie Poise uille aufmerksam ge- macht hatte. Erst dureh Hagen’s neuere Untersuchungen !) über den Einfluss der Temperatur auf die Bewegung des, Wassers sind jene Angaben widerlegt worden. Seine Relation zwischen der‘ Druckhöhe A, (d. i. der Höhe der Wassersäule im ‚Reser- voir über‘ der Ausflussöffnung der Röhre), und. .der.Geschwin- digkeit der Strömung e, lässt mit grosser Wahrscheinlielkeit auf, die Gültigkeit‘ .des Poiseuille’schen ‚Gesetzes auch, für weitere Röhren: schliessen. Um» /einen directen Beweis hiefür zu geben, muss iodash in innerhalb der Röhre selbst wirkende Druck, nicht A, bestimmt werden. Ist nun p° der Druck am Anfang einer gleich weiten Röhre, orihr Radius, Z!.ihre Länge, ce. die mitt- lere Ausflussgesehwindigkeit, A eine Fasstande so soll nach Poiseuille sein, ab 1 . ! »° = er c 2 oder wenn H° die Höhe einer dem Drucke p° entsprechenden Flüssigkeitsäule, D die Diehtigkeit derselben bedeutet, DH?’ = Köge. j vidrav Dieselbe Relation wird nicht nur gar den Druck am Anfang der Röhre, sondern auch an jedem Querschnitt derselben in beliebigem Abstande x vom Anfang gelten müssen, vorausge- setzt, dass der Druck eine lineare Function von x ist, so dass also allgemein I-r gDH=kı—gse ist. "Zur Prüfung dieses Gesetzes habe ich die folgenden’ Beob- achtungen an Röhren angestellt, welche nahe‘ gleiche Weite mit denen hatten, an denen Gerstner und Girard zu einer durchaus abweichenden Relation gelangt waren. Sie übertrafen ws 1) Abhuhdiongen der Akademie.der Wiskenschaftenzu Berlin, 1854- Keicherts u, du Bols-Reymond's Archiv. 1860, 6 82 Heinrich Jacobson: die weitesten der von Poiseuille gewählten Röhren etwa 2 bis 5 mal im Durchmesser. Seine Methode, so ausserordentlich ge- nau sie für die geringen Geschwindigkeiten in Capillaren ist, lässt sich für grössere nieht mehr mit Vortheil benutzen. Ich liess destillirtes und sorgsam filtrirtes Wasser aus einem Reservoir, in dem das Niveau constant erhalten wurde, in die Röhren einströmen. Das Reservoir war für Versuche mit ge- ringem Druck ein etwa 450 Mm. hohes, 270 Mm. weites Glas, für höheren Druck ein etwa 1 Met. hohes und 240 Mm. weites Zinkgefäss, in dessen oberer Hälfte zwei einander gegenüber- stehende Fenster zur Beobachung des Niveau’s eingefügt waren. Um letzteres constant zu erhalten, bediente ich mich, wenn während derselben Versuchsreihe die Druekhöhe häufiger und in bestimmten Verhältnissen variirt werden sollte, eines schwim- menden Hebers. „Bei dem von Hagen empfohlenen Ver- fahren gelang es mir nicht, Schwankungen der Oberfläche zu verhüten, während sie bei diesem durchaus ruhig erschien. Wo die Druckhöhe nur selten geändert werden durfte, habe ich über den Rand des gefüllten Gefässes aus einem daneben stehenden Behälter einen horizontalen Strom geleitet, so dass das Wasser stets überfloss. Diese einfachste Art, ein constantes Niveau zu erzeugen, ist der vorigen, wie allen anderen, bei denen ein verticaler Zufluss stattfindet, deshalb vorzuziehen, weil der Stoss des herabfallenden Wassers vermieden wird, der die Oberfläche der Flüssigkeit mehr oder minder erschüttert. Von den drei Röhren, an denen ich die Bewegung des Wassers beobachtete, sind die beiden engeren (A und B) aus | einer grossen Anzahl stärkerer Glasröhren ausgesucht, von möglichst kreisförmigem Querschnitt, durch einen Quecksilber- faden als nahe gleich weit in ihrer ganzen Ausdehnung ge- prüft. Die weiteste (C), eine Messingröhre, war über einen eylindrischen Stahldorn gezogen und ausgeschliffen. Ich hatte zu einem anderen Zweck mehrere gleich weite Röhren ziehen lassen, und überzeugte mich durch die grosse Uebereinstimmung der Beobachtungen an denselben, so wie durch Vergleich ihrer Durchmesser an verschiedenen Stücken, dass sie sehr nahe cy- lindrisch waren, Die Durchmesser wurden sowohl mikrome- Beiträge zur Haemodynamik. 83 trisch als aus dem Gewicht einer die Röhren füllenden Was- sersäule ermittelt, das auf einer '/, Milligr. deutlich angebenden Wage bestimmt wurde. Ich habe die Resultate der Wägung zu Grunde gelegt, weil sie den mittleren Durchmesser der ganzen Röhre geben, der hier allein in Betracht kommt. Ob die Längen passend gewählt waren, konnte sich erst aus den Versuchen selbst ergeben, da Erfahrungen hierüber für diese Durchmesser nicht existiren. Die Verbindung der Röhren mit dem Reservoir geschah mit- tels einer Messingplatte, die eine starke, mit Schraubengewinde versehene Hülse trug. Die Röhren waren an ihrem einen Ende von einem Messingeonus umgeben, der in diese Hülse einge- schliffen war und so hineinpasste, dass die Einmündungsstelle so genau als möglich in der Ebene der inneren Wand des Ge- fässes lag. Ich hatte hierauf besonders deshalb geachtet, weil nach den Angaben der Hydrauliker durch einen Vorsprung an dieser Stelle die Strömung verändert wird. In Poiseuille’s Apparat gab das Manometer an dem mit comprimirter Luft gefüllten Ballon auch den Druck am Anfang der Röhre (p°) an; denn dieser pflanzte sich ungeschwächt aus dem Ballon in die Röhre hinein fort. Nur an der Uebergangs- stelle der capillaren Röhre f in die weitere d!) ist eine geringe Veränderung des Druckes möglich, aber nicht wahrscheinlich, In meinem Apparat hingegen ist p° erheblich geringer als die Druckhöhe h im Reservoir. Da es direct nicht beobachtet wer- den kann, muss es aus der Relation En bestimmt werden. Um p möglichst nahe dem Anfang der Röhre zu messen, liess ich ihre und des sie umgebenden Conus obere Wand in einem Abstande von nur 9,2 Mm. vom Anfang durchbohren., Der Bohrcanal communieirte mit einem in der Hülse befindli- chen, in dem eine gerade Glasröhre eingekittet war. Damit die Oefinungen beider genau zusammenfallen, war dem Conus dureh ein Häkchen an seiner unteren Wand, das in einen klei- nen Ausschnitt der Hülse eingrifl, eine unveränderliche Stellung gegeben. 1) 8, Mömoires pr&sentes etc. Ibidem, Fig. 3. 6* 84 Heinrich Jacobson: ‚An. .deri/Röhre,,(C) würde .p, aueh. in grösserer Entfernung (37,3. Mm.. vom Anfange)ı und ausserdem. an zwei Stellen ihres Verlaufs gemessen, . Durch Aufstellung des, Apparats ‚auf einer festen Platte und,sichere Unterstützung ‚der Röhren. (für, deren möglichst horizontale Lage. gesorgt wurde) war. äusseren Er- schütterungen der Flüssigkeit, vorgebeugt. ; Die Temperatur, .der. bedeutenden Wassermenge, die ich; in Gebrauch zog, constant zu erhalten, ‚hätte grössere Vorrichtun- ‚gen ‚erfordert, als. sie ‚mir zu Gebote ‚standen. . Rüy meinen Zweck genügte es, sie am Anfang und Ende‘.jedes, Versuchs an einem ‚an der Oberfläche, des Wassers im Reservoir. ‚und vor der. Ausflussöffnung befindlichen. Thermometer zu: bestimmen. Die unten angegebenen Temperaturen sind ‚die ‚hieraus, berech- neten Mittelwerthe, Mitunter traf.es sich'-auch,. dass ‚sie ,wäh- rend einer ganzen; Versuchsreihe constant. blieb, da die Masse der. Flüssigkeit gross genug, war,'um geringen. Schwankungen der äusseren Temperatur, nur, Jangsam ‚zu folgen, Die Höhe. der, Wassersäule im Manometer! ist, um ‘die! ca- pillare Steighöhe, grösser ‚als das | gesuchte /A,, ‚Derein- fachste ‘Weg, die letztere für. die ungleich . weiten Manometer- röhren zu ermitteln, schien: mir, vor, jedem: Versuch‘ die, Was- serhöhe in ihnen: mit. der, Niveauhöhe (h), während ‚die Aus- flussöffnung ‚geschlossen‘ und ‚die Flüssigkeit im Gleichgewicht war, zu vergleichen. ol Meine Beobachtung begann. ‚daher damit, diese Hölten ‚mit dem Fernrohr zu messen. Dann öffnete ich die Röhre und den Krahn des schwimmenden Hebers und erhielt während der Strömung ıdası:Manometer in der gemessenen Höhe: Nachdem mehrere Minuten--hindurch das Niveau: coristant'geblieben, also ein.stätionärer Zustand der Bewegung eingetreten''war, schob ich«mit' dem Pendelschlage »der ‘Uhr mittels einer 'leicht verschiebbaren Platte ein ‚Gefäss unter den Strahl, so 'nahe'als möglich ‚unter den -Rand der Röhre. : Aus dem Gewicht des auf- gefangenen ‚Wassers wurde mit Hülfe der von Hangen gegebenen Werthe für’ die. Dichtigkeit: des .destillirten ı Wassers "bei. ver- schiedenen Temperaturen!) die Ausflussgeschwindigkeit berechnet. 1) Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1855. Beiträge zur Haemodynamik. 85 Da die Ausflusszeiten 'meist.4—15 Minuten betrugen, war der durch das. Hin- und Herschieben,, des; Gefässes entste- hende Fehler ausserordentlich gering. Einen Beweis dafür mögen folgende Beispiele geben. Es flossen in. 4 Minuten bei derselben a und gleichem. Druck aus’ (CO) aus: ' 1087,'Grm.. 6.©16 1087,2°, 11 80 ostya in 5 Minuten bei einer anderen Versuchsreihe- g73,80.100 O,TDE 978,4 978,3 in 10.Minuten aus (A) 1985,8 1286,0 | 1286,1 Auch bei der engsten Röhre (A) habe ieh durch das freie Ergiessen des Strahls in die Luft keine Unregelmässigkeit der Bewegung entstehen‘ sehen, wie sie Poiseuille bei Capil- laren, die nicht unter Wasser münden, bemerkte. In nachstehender: Tabelle habe ich einen Theil meiner Be- obachtungen bei 10°—20° C. zusammengestellt.') Es sind für jede die Mittelwerthe von H und‘c ausi& Versuchen berechnet. Die H entsprechenden Werthe von /—x. ed: für die Röhre (4). 3 (a) I-2=541l »> Mut; (b)\ = 509,0 0 für (B) A aallins | (a) =508,9 lornV ab ea use): =42,8 a do är(C ; ii Beobachtungen bei constantem Niveau. (A) o = 0,5769 Mu. ; (a) I= 552,3 Mm. (6) 1=518,2 Mm. H H | c | Temp. H | c | Temp. Mm. |". |” c. Mm, | 1m. | co 511,8 808,93) 16°,8 494,3 804,8 | 15°,4 428,9 665,28) 16°,6 1. 479,6 770,23|,15°,1 409,0 640,93) 162,6, 442,7\712,06| 15°,1 308,0 07,61 1698 391,11631,74| 15°,1 1) Ich werdö sie später vonständig mittheilen. 86 j Heinrich Jacobson: (B) e= 1,1470 Mm. (a) != 518,1 Mn. 75) I=437Mm. H | c Temp. H [4 Temp. Mm. | Mm. c. ae Mm, ©. 406,7 972,05 I 336,5 |1027,30| 12°,2 356,9 854,06 11° 312,5 | 965,90) 12°,2 324,7 788,75, 11°,6 234,8 | 802,54) 17°,0 { 167,9 | 597,61| 18°,9 107,1 | 396,79) 20°,2 (€) 0 = 1,4328 Mm. u! ‚1=620,4Mm, ‚; ‚1, H ce Temp. Mn, 1 mm. TO We, 214,9 | 787,76 | 13%,4 195,6 | 724,96 | 13°%,4 191,0 | 702,65 | 13%,4 172,6 | 650,25 | 15°%,6 154,6 ' 590,09 | 15°%,8 15138" 1.581,57: | 15%,8 108,9 |.424,82 | 16°%,7 Vergleicht man die aus diesen und aus Poiseuille’s Be- obachtungen mittelst seiner Relation berechneten Werthe der Constante k und redueirt beide (zum Vergleich mit Hagen’s später anzuführenden Resultaten) auf preussische Zolle, so er- giebt sich: Für die Röhre (A) (a) 16°8) %= 0,000034240"y = 0,000034896”g o 16°,6} _0,0000345681 4 16,3) = 0,000034488”g (b) 154) .0,000035472"g -0,000035960"g 15°,1 | .0,000035904'g = 0,000035752”g Beiträge zur Haemodynamik. 87 Für die Röhre (B) (a) RE k = 0,000041320”g = .0,000041256”g 11°6) =0,000040648”g (b) 1 =0,000038472"g 12°,2 JS =.0,000038048”g 17°) =0,000084384"g 18°,9) = 0,000033016”g 20°2) =.0,000031720”g Für die Röhre (C) k = 0,000036720”g 15°,4 | = 0,000036320”g = 0,000036584"y 15°,6) =0,000035728”y = 0,000035264”g o ’ 2» } = 0,000035136"g 16°7) =0,000034504"g Nach Poiseuille 0° ) k=0,000055488"g 10° ) = 0,000041448”g 11°,5) = 0,000039176”g 12°,5) = 0,000038600"g 14° ) =0,000036632”g 15°,5) =0,000035232”g 16°,5) = 0,000034328”g 18°,9) =0,000032352"4 20°,5) = 0,000031072"g. " Diese Uebereinstimmung genügt, um die Gültigkeit von Poiseuille’s Gesetz auch für weite Röhren fest- zustellen. Da nach demselben die Geschwindigkeit proportional dem Quadrat des Radius ist, so kann eine Flüssigkeit sich nicht wie ein fester Körper, dessen Theilchen gleiche Geschwindig- keit haben, und der nur an seiner Berührungsfläche mit der Wand Reibung erfährt, durch eine Röhre bewegen, wie es die 88 ‘Heinrich Jacobson: Hydrauliker allgemein annalımen. Poisenille deutet nur in wenigen Worten die Vorstellung ‚an, die er für die wahrschein- lichste hält und aus der Bewegung‘ des Blutes entnommen hat, ohne aus ihr sein, Gesetz abzuleiten. , ‚Er sagt: „On sait, en effet, ainsi que l’ont fait voir Haller et Spal- lanzani, comme 'on peut s’en assurer soi-möme en examinant le mouvement du sang a Vaide du miceroscope, soit dans les vais- seaux vivants des bafraciens, soit dans ceux des mammiferes, que la vitesse des divers filets finides, depuis l’axe du vaisseau vers les parois, est loin d’&tre la‘ meme. Cette vitesse est & son maximum dans l’axe du vaisseau; elle diminue au fur et ä mesure qu’on -s’approche des parois: ainsi la vitesse, tout pres des parois, est, d’une lenteur, extröme. Ce moyen d’exa- miner le mouvement des liquides dans les tubes de petits dia- mötres devrait ötre.employ& par,les.hydraulieiens; ils y pui- seraient des donnees qu’il leur est impossible de trouver ailleurs.“ Die theoretische Entwicklung seines Gesetzes, die allein zu einer Einsicht- in. das, innere Wesen dieser Bewegung führen kann, ist bisher nicht veröffentlicht worden. Herr Professor Neumann pflegt dieselbe in seinen Vorträgen tiber Hydrody- namik zu geben und hat Imir\ gestattet, (sie/hier anzuschliessen. Eine Flüssigkeit bewegt sich durch eine horizontal liegende, ey- lindrische Röhre. Die'Richtung) der Bewegung soll parallel der Axe der Röhre (der z-Axe) sein, (alle auf concentrischen Schichten befindlichen Theilchen der Flüssigkeit sollen gleiche Geschwindigkeit haben. x’ sei die Entfernung eines Querschnitts vom Anfang der Röhre, r die Entfernung eines Punktes auf dersel- ben von der Axe, p der Druck aneiner beliebigen Stelle, v die Ge- schwindigkeit, D die Dichtigkeit. ' Die ‚Voraussetzung ist dem- nach, ‚dass. ‚allein von. abhängig. ist. und ‚die Richtung 'von zı hat; daraus ‘folgt, dass p' allein von 'z.-abhängig \stu“r'o" Die Kräfte, die auf ein zonenförmiges Element..dei «Flüs- sigkeit, dessen ‚Masse = 277 Dr dr da, einwirken, sind Druck und o Inizei b "Die Druckkräfte sind: 2zr drp und — 2 r dr Ir+3 + er P ae) or Pr positiven Riehtung der x-Achse), also ihre mehr Beiträge zur .Haemodynamik. 89 dp = Aa ndrde Die Reibung, die zwei benachbarte Flüssigkeitsschichten auf einander ausüben, sei proportional der Differenz ihrer Geschwin- diekeitens dann wird die Zone, deren"Geschwindigkeit u, von der nächst‘ inneren zurück gehalten"mit der Kraft: an erde” (wo n eine Constante) und von der nächst folgenden beschleunigt mit der Kraft: „A du) gt \ f „4 } # alr af | a2 iur Er ale url dh | (eh) Die a: ist REN Fnndedat ng; — "Es ist also die-Bewegutgs-Gleichung der Elementar-Zöne: u! du 4(e7,) N. idp dr 20 Drdrda „== Iurdedann dee dr a ham. His | .najl &“) du dp Ar: ERLERNTE 1 oder Da ing Tor „N Es sei nun, wie es auch bei den Beobachtungen geschehen, ein stationärer Zustand der Bewegung en d. h. “= 0, mithin r Da die ‚rechte Seite unabhängig von z ist,, so kann p nur eine lineare Function von « sein, die, wenn (P) der Druck der Atmosphäre, p° den Druck ‘am Anfang der Röhre bedeutet, die Fonm haben wird: =P+p°+p'x. Tritt die Flüssigkeit am Ende ‚der Röhre — wie in unserem Kal. — frei in die Luft aus, so ist für «=! ’ o 90 Heinrich Jacobson: o G p 2 u und daraus aln a p° j Äe: 2—_ a+ßlogr 4 rt =u 2) Da die Röhre vollständig mit Wasser gefüllt ist, muss die Con- stante 3=0 sein, da sonst für r=0, d.h, für den Axenfaden des Flüssigkeitseylinders, u= & werden würde, Es ist also a— Fr zu 3) « wird aus den an der Röhrenwand stattfindenden Bedin- gungen bestimmt. Für den allgemeinsten Fall, dass eine Rei- bung zwischen Röhrenwand und Flüssigkeit vorhanden ist, dass ferner die Wand selbst eine Geschwindigkeit v hat, wirkt auf ein Element vom Volumen dodr in der äussersten ihr anlie- genden Flüssigkeitsschicht, deren Geschwindigkeit u sei, die Reibungskraft: du | — du) Ddodr = do Je(o- DE wenn & die Reibungsconstante zwischen Flüssigkeit und Wand ist. Da aber nicht == » sein kann, muss = du € (v-u = Nas sein. In’ unserem speciellen Fall nun, wo v»=0, ist also die Grenz- bedingung, dass für r=R (dem Badıns der Röhre) Daraus ergiebt sich durch Substitution von « und = (für r=R) aus Gleichung 3) «= (i +3) E R? | n und u= Zlr(i +2)-") 4) Benetzt die Flüssigkeit die Wand, so befindet sich nach der allgemeinen Annahme ihre äusserste Schicht in Ruhe, d. h. «=»; für diesen Fall ist also =7, Rn) 5) Beiträge zur Haemodynamik. 9 Für «, die Geschwindigkeit an einer beliebigen Stelle des Querschnitts, die sich nicht beobachten lässt, führen wir c, die mittlere Ausflussgeschwindigkeit, ein. Dann erhalten wir aus dem in der Zeiteinheit ausgeflossenen Flüssigkeitsvolum R nn c=2n Jurar R?p° 6 Fr 7 Dies ist Poiseuille’s Gesetz. Aus den oben ermittelten Werthen von k ergiebt sich also unmittelbar, da k=8n, der Reibungs-Coefficient für, Wasser bei verschiedenen Temperaturen. Ueber die Grenze, innerhalb deren das Gesetz gilt, ;wis- sen wir nur, dass sie von Durchmesser, Länge, Temperatur und Druckhöhe abhänge; in welcher Weise ist unbekannt. Aus einer Untersuchung, die ich zur Ermittlung ‚dieses Ver- hältnisses begonnen, entnehme ich, dass bei Temperaturen zwischen 18° und 25° C. die Grenze überschritten war: für die Röhren (B) und (C) bei A=600 Min. e = 2,648 Mm. ih: für (D) Een ] bei = 121 Mm. o = 4,025 Mm. TE für (E) [ Is ] vei »= 102m. Dagegen galt das Gesetz für dieselben Druckhöhen bei nie- deren Temperaturen. Die Schwankungen und die Trübung des ausströmenden Strahls, die Hagen bemerkte, sobald das Maximum des ersten Schenkels seiner Geschwindigkeits-Curve, das mit der Grenze zusammenfällt, erreicht wurde, habe ich zwar häufig — nament- lich bei erwärmtem Wasser — beobachtet, kann ‚sie jedoch nicht für ein Kriterium der Grenze halten. Ich sah den Strahl vollkommen klar und durchsichtig auch ausserhalb derselben. Ob sie in dem Aufhören der der Axe parallelen Riehtung der Bewegung begründet ist, liesse sich feststellen, wenn man den Druck innerhalb desselben (Querschnitts in werschiedenen Ent- fernungen von der Axe messen könnte, wozu ich keinen Weg sehe. Durch zahlreiche Messungen bei sehr verschiedenen Druckhöhen und Temperaturen habe ich mich überzeugt, dass 92 Heinrich Jacobson: der Druck ‚in. der Röhre auch dann eine‘lineare Fune! tion. von .», bleibt, wenn. Poiseuille’s ‚Gesetz! nieht mehr gilt. Dieses Resultat scheint mir nieht dafür. zw spre< chen, dass ‚der ‘Eintritt einer -wirbelförmigen’' Bewegung ‘den Flüssigkeit die Ursache der Grenze sei. Sind =’ und =” die Abstände der Punkte, an denen die Drucke p’ und p’’ gemessen wurden, vom Anfang der Röhre, so war innerhalb der Grenze z, B. für ‚die Röhre (C) , Bios d58 onars l-z' ” 2729Mm. . ins 321,8, 2; ” en (ul Sr Ä Tori a REN . pi 202 +4 ausserhalb der Grenze 1) für (C) 7 BIS 2 Pr = 00,3 * 946 e=.1201,3 Mni: £ | Y . = 9468 50,465 c= 176,1 " —T 2 210,2 h = 600 — 800 Mm. = amol0| e= 367 2) für (D) 1 3 , TE | me ‚331,0 = 0,661 h gast p'’ 500,6 am a = 0,664 : Kar EN Fr RR: 183658, 145, h = 800-400 Mn. e = 6924 Sa 3) für (E) ü pi 383,5 ji Fr „ufp ; 272,9 b = 0,653 an ABER 7 BA er 376,2 . r® — = 0,662 h= 800-400 Nm Tal 4 ne Luie 0,673 342,1 anal 151,2 p = — — = 0,661 sb" Agussı 228,6 0? Beiträge zur Haemodynamik. 95 Die für (0) "beigefügten "Werthe der Geschwindigkeit zeigen, dass Poiseuille’s Gesetz nicht mehr galt. Die Ueberein- stimmüng des Verhältnisses der’ Drucke mit dem der Entfer- nungen der Querschnitte, an denen sie gemessen würden, vom Ende der Röhren, war trotzdem eben so gross, wie innerhalb der Grenze. Ueber die Beziehung zwischen der Druckhöhe (k) im Reservoir und’ der Geschwindigkeit habe ich an der Röhre (6) bei variablem Niveau Beobachtungen angestellt, in- dem ‘ich entweder allein An einem vor'dem gläsernen Reservoir befindlichen, 'vertical gestellten Maassstabe gleichzeitig mit dem Dernrohr (die Niyeauhöhe:(h) ablas/und ‚die bewegliche ‚Platte zum Auffangen \des. Strahls: mittels» einer ' Handhabe ‚hin- und zurückschob ‚oder ‚häufiger » mit Hülfe eines’ zweiten ‚ ‚Beob- achters, »b Die Anwendung eines variablen Niveau’s hatte den vor 708, dass ich eine vollständige Reihe von Versuchen bei ver- schiedenen Druckhöhen in viel kürzerer Zeit und däher weit hänfiger bei eonstanter Temperatur ausführen konnte. Wegen der grossen Weite des Reservöir's im Verhältnis zu den Röh- ren war die" Senkung der Oberfläche während des Versuchs ein'so geringer Theil der ganzen Druckhöhe, dass das arith- metische Mittel zwischen derselben. am Anfang und Ende des Versuchs für die wirkende Druckhöhe angenommen werden durfte. ‘Die AusHusszeit betrug 2--3 Minuten. ; II. Beobachtungen bei yariablem Niveau, 1 | 2 | 3, | 4 h | e | Temp | »| ei [wen hr Iiüe Iremp. | h | c | Temp. 302 9778,30 reserg 85 994,2'764,82 Iass.l 753, Mn 260,1.688.35 214,9 580,781 446,9 1271,8 712’26 IF ‚1662 'o61 225.3 614,51(15°,21169,7 47256117 ; 1 245,4.664,35 \205,9576.25 16°, 183,21533,50 130,5 377,52 206,6 578,92 16°,5 ‚162,91475, a 156,942 | j | 178,6. 514, 11 1126,6 381, 50, | | 1151,5,448,85 fe N | 1233 Ilse | | | 94 Heinrich Jacobson: Diese Beobachtungen lassen sich unter der Form darstellen: h=sc+te? » Die Methode der kleinsten Quadrate ergiebt nämlich als Werthe der Constanten s und £ aus 1) s= 0,2817 t =.0,0001396 2) = 0,2999 = 0,0001248 3) = 0,2696 = 0,0001526 4). = 0,2752 =0,0001401 Die Einführung dieser Constante giebt unregelmässige Dif- ferenzen der berechneten von den beobachteten Werthen von h, deren grösste og beträgt. Diese liegt aber bei der An- wendung eines variablen Niveau’s und so geringer Druckhöhe noch innerhalb der Grenzen der Beobachtungsfehler. Der Ausdruck, durch den Hagen seine neueren Beobach- tungen darstellt h=zr+sc+ttid enthält das von e unabhängige Glied r; dessen er bei früheren Versuchen, bei denen die Röhren unter Wasser mündeten, nicht bedurfte. Es soll nach ihm der Einfluss der Capillar-Erschei- nungen, die durch das Ausströmen des Strahls in die Luft ent- stehen, darstellen. Meine bisherigen Beobachtungen _ fordern diese Annahme nieht. — Hagen fand ferner den Ooöfficienten en (e-«)? wo 3 eine neue Constante, « die Dicke einer der Röhrenwand f - U y : anliegenden, ruhenden Wasserschicht Ser etwa sein soll. Seine Werthe der Constanten # sind:') 0°C) 3 = 0,000064633 6°,5) = 0,000038374 11%,5) = 0,000033203 12°,5) =0,000032417 14°,0) = 0,000031070 16°,5) = 0,000029175 18°,9) = 0,000027540 20°,5) = 0,000026524 1) Ich habe sie theilweise aus seinem Temperatur-Coöfficienten be- rechnet, Beiträge zur Haemodynamik. 95 Will man nach der in der Hydraulik üblichen Anschauung die Druckhöhe () in eine Widerstandshöhe (w), die zur Ueberwindung der Reibung der Flüssigkeit innerhalb der Röhre verwendet wird, und in eine Geschwindigkeitshöhe zer- legen, die die Bewegung hervorbringt, so wäre Hagen’s Schluss, es seı das zweite Glied seiner Relation l se= Tr =» gerechtfertigt, wenn nachgewiesen werden kann, dass das dritte Glied ic? keinen Theil von » enthält. Da jedoch Hagen den Coöfficienten £ nicht definiren konnte, so war die allgemeine Annahme, dass w= ac + be?, nicht widerlegt, so unwahrscheinlich sie auch geworden war. Durch die direete Beobachtung des Druckes p innerhalb der Röhre (siehe meine Beobachtungsreihe I.) ist dies geschehen; denn dieser Druck ist identisch mit dem, was man unter dem unklaren Begriff Widerstandshöhe zu verstehen pflegt. Es ist also Ü v=p=krze In Uebereinstimmung hiermit ergiebt aber auch die Be- rechnung von w aus der Beobachtungsreihe II., dass die Hy- pothese jener ruhenden Wasserschicht «, die Hagen selbst zweifelhaft erschien, nicht gerechtfertigt sei. Setze ich nämlich die von mir gefundenen Werthe von sh, so erhalte ich aus 1) k=0,00003564 (15°,4 C.) aus 2) = 0,00003794 (12°,8) j aus 3) = 0,00003411 (16°,5) aus 4) = 0,00003482 (16°,4) d. I. Werthe der Reibungs-Constante, ‚die mit den oben ermit- telten so nahe übereinstimmen, dass die Differenz nur von Be- obachtungsfehlern herrühren kann. F Berückeichtigt man, dass Hagen Brunnenwaässer ‚ dessen Reibungscoöfficient wegen des Salzgehaltes etwas abwich, an- gewandt, während Poiseuille und ich destillirtes Wasser, dass die Temperatur nur nach Poiseuille’s Methode constant zu 96 Heinrich Jacobson: erhalten war, während sie nach Hagen’s’ Verfahren bei jeder Versuehsreihe so variirte, dass die, gleichen Temperaturen zu- gehörigen Geschwindigkeiten nur durch graphische Darstellung, nieht ’durch direete Beobachtung gefunden werden’konnten, 'so wird auch die Differenz zwischen % und Hagen’s Constante & nicht auffällig erscheinen. Seit Volkmann’s Untersuchungen über Haemodynamik ist die Strömung durch gerade Röhren in der Physiologie häufig — namentlich von Ludwig, Fick und Donders — disceu- tirt worden. Allgemein ist bisher die unrichtige Relation w=ac+bec? zu Grunde gelegt und auf die Blutbewesung an- gewandt. Sowohl Poiseuille’s Gesetz als Hagen’s wichtige Untersuchung wurde als nur für Capillaren und sehr enge Röhren gültig vorausgesetzt, obwohl die letztere sich auf Durch- messer bezog, die den von Volkmann in Betracht gezogenen sehr nahe lagen. Der Unterschied der Niveauhöhe (h) von dem Druck, der in Poiseuille's Apparat die Strömung erzeugt, in Bezug auf ihr Verhältniss zur Geschwindigkeit ist bisher übersehen. Donders!) glaukt dadurch, dass er » als die Summe des an der Eintrittsstelle‘der Flüssigkeit stattfindenden und des Reibungswiderstandes innerhalb ‚der Röhre auffasst, bewiesen zu haben, dass jene Relation für «selbst für engere Röhren gelte, für, die, Volkmann ‚sie ungültig gefunden, ‚‚Ist auch ‚dieselbe, wie Donders ‚mit Recht bemerkt, eine rein em- pirische und die Vorstellung von dem Widerstande in bewegten Flüssigkeiten, durch die man sie zu begründen suchte, eine willkürliche, so ist! es doch gewiss noch willkürlicher, dem » eine ganz andere Deutung zu geben, als 'es'nun einmal hat, abgesehen davon, dass diese Deutung gleichfalls auf einer irr- thümlichen Auffassung des. Widerstandes beruht: Mit den Prin- eipien der Mechanik sind: Donders’” Definitionen:?) > „Geschwindigkeit = lebendige Kraft = Arbeit‘ “ Triebkraft = Arbeit‘+ Arbeitsvermögen „u nicht im Belang: Jene complieirten Erscheinungen, die Volk- 1) Ne, für die holländischen Beiträge. Bd. I. Beft 1. 2) Donders: Physiologie des Menschen. I. Band. S. 61 und 68 (zweite Auflage.) i asT sib Beiträge‘ zur Haemodynamik. 97 mann!) beobachtete, sind nicht durch das Prineip der Erhaltung der lebendigen Kraft erklärt, durch das Donders die Räthsel der Mechanik des Kreislaufs gelöst glaubt, während es bisher nicht ausgereicht hat, weit einfachere Probleme der Hydrody- namik zu lösen. Ludwig?) bestreitet die Annahme, dass der Druck an allen Stellen eines senkrecht durch den Strom geführten Querschnitts derselbe sei, giebt aber selbst an, dass, bei genügender Länge der Röhre, der Flüssigkeit beigemengte, sichtbare Theilchen sich parallel der Axe und geradlinig bewegen, was doch bei ungleicher Vertheilung des Drucks mithin auch innerhalb des- selben Quersehnitts stattfindender Strömung nicht möglich wäre. Seine mit Stefan?) unternommenen Messungen sind nicht im Stande, diese allgemeine Annahme, die — wie wir gesehn — auch theoretisch motivirt ist, zu erschüttern. Das von der Wand nach der Axe zu geführte Manometer, dessen sie sich be- dienten, muss die Richtung der Bewegung ändern, Wirbel er- zeugen und kann daher den bei unbehinderter Strömung statt- findenden Druck nicht angeben. Die von ihnen beobachtete Senkung lässt sich — wie mir scheint — aus Daniel Ber- noullis*) Untersuchungen über den Einfluss eines in den Strom eingeführten Diaphragma — (denn als solches kann man ja wohl das Manometer ansehn) — auf den Druck erklären. Zu einer, Definition des Coöffieienten tin der Relation! zwi- schen A und ce reichen bisher weder Theorie noch Beobachtung aus. Unter denselben Voraussetzungen über die innere Rei- bung der Flüssigkeiten, ‚wie für Poiseuille’s Gesetz, führt die Theorie zu der Gleichung: wenn man den Verlust an lebendiger Kraft unbeach- 1) Volkmann, Haemodynamik, Cap.3 und Donders in Mül- ler’s Archiv. 1856. Heft 5. +2) Ludwig, Lehrbuch der Physiologie. Bd. 2, 8.57 (zweite Aull.). 3) Sitzungsberichte der Wiener Akademie. Bd. 32. 4) D, Bernoulli, Hydrodynamien. Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1860, 7 98 Heinrich Jacobson: tet lässt, der beim Rintritt der Flüssigkeit aus dem Reservoir in die Röhre entsteht. Geht man zur Berech- nung desselben von der Hypothese aus, dass der Strahl sich hier — wie beim Eintritt in eine Ansatzröhre — contra- hire, darauf wieder ausbreite und an die Wand anlege, so wird der Coöfficient von e=14(67), wo y den Contractions- Y Coäfficienten bedeutet. Führt man Newton’s Werthe, von y ein, so wird er: für enge Oefinungen = 1,18 (y=0,7) für weitere .....=1,41 (7=0,6) Nach meinen Beobachtungen (II) ergiebt sich der entsprechende Coäfficient gt für die Röhre (C): aus 1) 1,37 — aus 2) 1,22 — aus 3) 1,49 — aus 4) 1,37. Hagen fand für ein und dieselbe Röhre z. B. (4), deren Durch- messer der meinigen (C) am nächsten liegt, gleichfalls Abwei chungen von 1,23 bis 1,57 zwischen den Temperaturen 5 bis 20° C. Er erklärt dieselben nicht durch den Einfluss der Tem- peratur, sondern durch die Abhängigkeit des Geschwindigkeits- Coöfficienten (K) von der Druckhöhe 1, den er bei weiteren Röhren mit abnehmendem % von 0,82—0,7 sich verringern sah, während er bei Temperatur- Unterschieden von 4°—72° con- stant blieb. Es ist nun 1, = 1+ (=); den von mir gefundenen Wer- then 1,22—1,47 entsprächen demnach A = 0,82 bis 0,90. Inner- halb derselben Grenzen liegen auch die an engen Ansatz- ıöhren bestimmten Werthe von X. Der Verlust an lebendiger Kraft an der Eintrittsstelle scheint demnach nahe derselbe zu sein, ob die Strömung durch ein Ansatzrohr oder eine längere Röhre erfolgt. Dass der Geschwindigkeits- Coöffieient eine Function der Druckhöhe (A) sei, ist mir nach Beobachtungen, die ich zur Prüfung der von Volkmann!) über das Verhältniss von 4 zu dem Druck am Aufang der Röhre (p°) angestellten unternahm, 1) Volkmann, Haemodynamik. Cap. 1, Beiträge zur Haemodynamik. +99 wahrscheinlich. An den bezeichneten 4 Röhren, deren. Durch- messer und Längen sehr verschieden, habe ich p 9,2Mm. von der EBintrittsstelle der Flüssigkeit stets an demselben, oben beschriebenen Manometer ‘bestimmt. Um bei gleicher Tiempe- ratur “eine grössere Reihe von Beobachtungen 'ausführen zu können, wurde das Niveau im Reservoir statt mit, dem Fern- rohr schneller an einem Manometer abgelesen, das seitlich in gleicher Höhe mit der Einmündungsstelle der Röhre angebracht, und dessen capillare Steighöhe bestimmt war. Der hydrody- namische Druck, den dieses Manometer angiebt, ist zwar um die Grösse .() (wo Q der Querschnitt des Röhrenlumens, q der des Reservoirs) geringer als %. Im vorliegenden Falle ist aber diese Differenz so gering, dass beide gleichgesetzt wer- den dürfen. Bei den engeren Röhren ist sie etwa zo (4) (B) Pen e”| (E) e=0,8769 Mm. | e= 1,1470 Mn. | o=2,648 Mm. | o=4,025 Mm. hr Bulsiandk => | h vi "N h a N Harn BR He BE GA | p° m ö In: | ni p | 1, P p° | FA p° (a) | (a) _1=552,3 Mm. . 7=518,1 Mp. | 1=1078,7 Mm. | = 1021,6 Mm. 862 |799,7.1,077 758 1631,4:1,194 |840,720,711,165 1865 |638,711,354 787 733, 4 1073 712 596,7 1,193 717,616,911,162 | 612 461, 11,327 714 668,1 1,068 520 151,93,150 ,610,527,1 1,157 423. 1324.91.302 660 ‚620,2 4,064 110,2 360,1 1,110 325 254,311,278 613 1577,3,4,061 | | 1 lazaag 1,202 212 |166,511,273 540 |‘ de ann 1362,304,4,1,189 | | 12: 511,2486,5 11,050 1=437 Mu. 220 232,8 1,17 178 er ae 480 1579 1,048 414 1345,811,197| 810 1592,3|1,367 414 396,811.043 |311 az v.180 209 256,0 1,164 741 522,7 1,360 Ze 260 29 2250 37 1,7 «) ) 240 1207. v Y 158 210,182,411,151 | —— re. 4=518,1 Mm. 95, \194'8 4,155, I; 1411, 1304,211,348 4 547,711,130 | 192 168,3 1,14 0 | 311 |234,1|1,328 527,3.1,130 163 145.9 1,117 | 2111162,411,299 di 64,117 | 428 LE I „180, \128,914,291 3 1107| 8. Ihgz..Na3311,304 ten \127,51102 1,250 | ji Nlloena 110 | 88. 11,250 am huisl nal 66.11,227 100 Heinrich Jacobson: % und p°, das aus p berechnet wurde, sind in dem Mass meiner Scala angegeben, für die der Abstand zweier Theilstriche = 0,4084 paris. Linien ist. Die durch einen Strich getrennten Beobachtungen sind bei gleicher Temperatur gemacht. Ich fand also abweichend von Volkmann, dass auch bei engen Röhren ;s mit % abnimmt und es scheint dies sowohl innerhalb als ausserhalb der Grenze des Poiseuille’schen Gesetzes zu gelten, Meine Resultate über den Einfluss der Länge, des Durch- messers der Röhre, der Temperatur auf den Verlust an leben- diger Kraft an der Einströmungsstelle der Flüssigkeit werde ich in dem dritten Beitrag mittheilen. II. Ueber die Bewegung einer Flüssigkeit in verzweigten Röhren. Das Gesetz, dem die Strömung in verzweigten Bahnen folgt, ist unbekannt; Beobachtungen, aus dem es abgeleitet werden könnte, sind nicht vorhanden. Wenn die folgende Untersuchung nur einige allgemeine Gesichtspunkte zur Beurtheilung dieser eomplieirten Erscheinung bietet, 80 ist ihr Zweck erfüllt. Sie so weit auszudehnen, dass sie einer Theorie zur Grundlage dienen könnte, haben mich bisher die mechanischen Schwierig- keiten gehindert, mit denen eine exacte Construetion verzweig- ter Röhrensysteme verknüpft ist. Eine solche erfordert vor Allem, dass an der Kreuzungsstelle der einzelnen Strombahnen keine Unebenheit der Wand die Bewegung der Flüssigkeit störe. Diese Bedingung ist für den einfachsten Fall, den ich hier behandle, die Kreuzung zweier Röhren, in folgender Weise erfüllt worden: In den starken Messingring (R), dessen horizontalen Durch- schnitt Figur 1. zeigt, wurden vier genau gleich lange und weite, ‚sorgfältig ausgeschliffene Messingröhren so eingefügt, dass ihre Mündungen in seiner inneren Fläche und in dersel- Beiträge zur Haemodynamik. 101 Fig. 2. Fig. 1. ben Ebene lagen. In die Oeffnung des Ringes war. das Stück (0) (Fig. 2) eingeschliffen und durch 4 Stahlspindeln beiden eine feste Verbindung ‚gesichert. Darauf wurden die beiden gegen- überliegenden Röhren (A) und (B) mittels Durchbohrung von 0 inmeinander geführt und dem Böhrcanal: (a 5) dieselbe Weite gegeben. Durch die Röhre (A B) wurde ein gerader Messing- draht gezogen, ‚der den Canal (ab) genau schloss. Um ihn unverrückbar za fixiren, wurden auf ihn zwei Platten. (ce) und (d) geschoben, mit den beiden gleich grossen Platten (e) und (N), die an der Röhre (A B) befestigt waren, durch Schrauben verbunden und angelöthet. Durch diesen Draht hindurch ge- schah die zweite Durchbohrung von (0), die die Röhren (C) und (D) vereinigte. Dass sie durch die Mitte des Drahts ge- 102 Heinrich Jacobson; gangen, die beiden Canäle (a 5) und («’b') sich,also in der- selben Ebene kreuzten, zeigte die Besichtigung der herausge- zogenen Theile des Drahts, die zugleich zum Verschluss der Schenkel (A) und (B) an der Kreuzungsstelle bei den Versu- chen dienten. Ausser dem rechtwinkligen Röhrenkreuz (Fig. 1) liess ich zwei andere von denselben Dimensionen, bei denen die Durch- kreuzung unter / 30° und / 45° stattfand, in derselben Weise anfertigen. Die Länge von (A B) und (CD) betrug 620,4Mm., ihr mittlerer Durchmesser 2,3656 Mm. Die Platten (e) und (/) waren so ausgeschnitten, dass der untere Rand der Röhre frei hervorragte, um den Einfluss der Capillarität, der sich an der Platte trotz Bestreichen mit Fett bemerkbar machte, zu beseitigen. Zur Unterstützung der Röhre diente eine mit Stellschrauben versehene Platte, mit einer Ver- tiefung in der Mitte, in die der Messingring R genau hinein- passte. Mittels einer auf 0 aufgesetzten Libelle liess sich der Röhre eine horizontale Lage geben. Die übrige Anordnung des Apparats, sowie die Beobach- tungsmethode war dieselbe, wie ich sie für die Strömung durch eine gerade Röhre angewandt habe. Da bei Druckhöhen bis zu 1 Met., die mir zu Gebote standen, schon geringe Erschüt- terungen der Oberfläche der Flüssigkeit im Druckgefäss ein Schwanken und stossweises Ausfliessen ’des Strahls, namentlich in den Seitenzweigen, bewirken, so habe ich hier gewöhnlich das Niveau durch seitliches 'Zuströmen zu dem übervollen 'Ge- fäss constant erhalten. An demselben waren in bestimmten Abständen 8 Hülsen befestigt, in die der 'Conus der Röhre CD eimgefügt werden konnte, Der Schlitten, auf dem die Ge- fässe zum: Auffangen der Strahlen bewegt wurden, lief in zwei Armen aus, um das bei den Winkeln ‚90°, 135°, :150° seitlich ausfliessende Wasser aufzunehmen. Ich‘ lasse zuvörderst meine Beobachtungen über den Ein- Aluss: des Winkels, unter dem der Strom sich theilt, auf die Summe der mittleren Ausflussgeschwindigkeiten der beiden Par- tialströme folgen. “ Beiträge zur. Haemodynamik. t03 (A) ist an der Kreuzungsstelle (0) geschlossen. Der Strom geht durch € und zerfällt bei (0) in einen Theil, der in der- selben geraden Richtung durch (D) und einen anderen, der sich durch den Seitenzweig (B) fortsetzt. ((') sei die Ausfluss- menge aus (D), (0"”) aus (B), v’ und v” die entsprechenden Ausflussgeschwindigkeiten, k die Druekhöhe im Reservoir. Die Summen der in ‚gleichen Zeiten, bei gleicher Druckhöhe * und Temperatur unter verschiedenem Theilungswinkel («) aus- geflossenen Quantitäten sind durch eine Klammer verbunden; h in dem (Beitrag I.) erwähnten Mass meiner Scala angegeben. Fat @+0" 45° 30557 gem 874 J135° 30643 150° 30470 | 300 45900 815.) 45° 46148 90° 46268 130° 40626 Br Nino: 40446 | 30° 44423 7 45 5 900 44550 | 30° 41294 745 90° 41634 | 90° 33187 (45° 20480 135° 20400 \ ) \ 45° 17600 135° 17670 | Bit \ | | | 104 Heinrich Jacobson: BI 00a 0/40” „27 30° 17444 Gran) 887 } 90° 17250 | "80° 17540 m. AS: 90° 17390 | og 30° 12271 228 | 45° 1241 | [135° 8400 t a }150° 8350 Ist auch der Fehler, der Messung von % und der Zeitzäh- lung so gering, dass er eine genauere Uebereinstimmung der Beobachtungen zuliesse, so liegt doch eine wesentliche Fehler- quelle darin, dass das Wasser während einer Versuchsreihe nicht immer frei von mechanisch beigemengten Körperchen er- halten werden kann, die an der Kreuzungsstelle der engen Röhren leicht haften bleiben. Geringe Unregelmässigkeiten des Ausflusses sind ‘daher hier häufiger als bei der Strömung durch eine gerade Röhre und erklären wohl die gefundene Differenz, die nur zweimal über 05 beträgt. Es ist demnach: „die Summe der mittleren Ausflussgeschwin- „digkeiten (»"+v') der beiden Partialströme „unabhängig von dem Theilungs- Winkel.“ "Für das Verhältniss Beiträge zur Haemodynamik. v 105 zw erhielt ich nachstehende Werthebei Temperaturen von 12° bis 18°. I nun Min. „29% 135° | 150° h=958 0789| ,_ 0:7; ES [son 29 ver 0,569 0559 — en; ‚733 0,626 | ...)0,569 0,55 ld N EN 5 E55 h=889 70,788 0,732 ‚609 ei Aosss 0,780 |1=889,5 Jozat = josos) _ 2» SS TERTER 0,727 |®= 0,610 ol X0,558 = 8595 los Te: 0,608|% = ss1/000 5 566 | = 854) 5,556 -859 (0,785|11=888 Joan — 0,617 0,570 en m 0,736 0,618 a 7072 10,563 h=859 = (ons a ‚617 = zul 572|n= zul 564 Ber aısa fi a 0,721 | 2868,5 ir 0,598 0,582 0776 0 0730 |1\=8638 10,614, 5/0582, _ 99570584 5 Sa ni 1732| = 861,3 0,618)? "880,502 |" = 880,581 = (07m un a a nn 0593| 10,582 n=815 \orre|_ 862,5 (0,730 0,607 en H u fan 219), - 817,8 20,609 |h = 560,0,569 Ih = 560 0,562 BT ie” 0715 "10,613 0,571 0,560 5 jo,71 | (0,614 0,783 (0723| — 07a |h=81a I 726 | = 789,9 m h=810 | Oro 0,728 789,7 10,621 K=760 10,763 |4=7555 (0,732 | = 01,5 (0008 =765,7 jozu = 758,5 ,0 „7331 = 760,3 0.600 =758,2 \0,265|_ = 748,5 0,736 Dia h 0,782 D, u I: 077; |=745 90,731 07745 70,612 = So (0,231 0,612 ‚772° 0,731 0788 h=676,5 jo ! 0,730 0,781 , h= Ms EL FRER PIRRROREIRN, 6765 \0,779 0,710 0,781 h= 561 10706 0,73. 0,709 h=568 \orr2| | 0,772 106 Heinrich Jacobson: Das Verbältniss ‚der, Geschwindigkeiten war in zahlreichen Beobachtungen so constant für Z 150° um den geringen Unter- schied von höchstens nn kleiner als für / 135°, dass ich dies nicht für zufällig halten möchte, wenn auch die Werthe für die ‘einzelnen Winkel unter einander mehr abweichen. Ueber den Einfluss der Temperatur sind meine Versuche noch zu lückenhaft. Ich entnehme ihnen folgendes Beispiel: 230° Temp. | 7 28°5.C. | 0,813 0,803 22° | 007 0,800 |, 0,773 11%6 om 0,770 Die Geschwindigkeit des Partialstroms habe ich aus meinen Beobachtungen nicht als trigonometrische Function des Thei- lungswinkels («) ableiten können. Dieselben genügen etwa fol- gendem Ausdruck: a7 er „= 0,350 4 0,150e"% woraus e" _ a0 Follbge Fr v' 0,650 — 0,150e —* Danach ist: | 135° | 150° | } «= 30° | 45° | 90° Mu I Mom berechnet: = 9782 0,719 | 0,615 | 0,573: | 0,564 Um jedoch zu einer sicheren Interpolationsformel zu ge- langen, wird es nothwendig sein, eine grössere Anzahl von Winkeln zu untersuchen. Durch abwechselndes Oeffnen und Versehliessen der Röhre AB an der Kreuzungsstelle liess sich die Bewegung in Beiträge zur Haemodynamik. 107 einer geraden Strombahn CD mit der in einer ver- zweigten vergleichen. 0 sei die Ausflüssquantität aus der ersteren. Für die in einer horizontalen Reihe der nachfolgenden Tabelle befindlichen Be- obachtungen war. die Temperatur constant geblieben. Fe Ze — | | ) | U " h 0 | Q + Q | _ + 0" Li 0 | ans | 30738 0,786 30° 960 23996 30039 | 0798 | 90° 58 | aa ro Or | 7 \A5° 885 1530 | 18360 0,834 150° 36 | 1538 | 19062" | 0,808 30° 68 | 15236 | 18282 0,833 135° u U u 0812 90° 63 | 17 | 2 | 088 | 150° 600 19362 | 22767 0,846 135° 7 ae | 29322 0,829 45° 461 16467 | 19337 080° 22 14310 16609 0861 | 30° 345 15288 | 18082. | 085 | 30° 37 | 18 | 17085 | 088 90° Der Apparat gestattet ferner einen Vergleich der Strömung in gerader Bahn mit der in einer knieförmig unter ver- schiedenen Winkeln gebogenen, Der Schenkel D konnte freilich nur am Ende, nicht an der Kreuzungsstelle selbst geschlossen werden, so dass der Strom an seiner Ablenkungsstelle nicht überall von der Wand der Röhre, sondern an einer Seite von der in D’ruhenden Wasser- säule begrenzt ist. Dies scheint jedoch nach meinen Versuchen ohne Einfluss zu sein. Ich überzeugte mich nämlich, dass so- wohl für die gerade als die verzweigte Strömung die Resultate dieselben bleiben, wenn ich die Drähte aus dem Canal AB entfernte und ihn an seinen Enden schloss. Liess ich nun die Strömung unter / CoB oder CoA=3=2R - « erfolgen, so ver- hielten sich die Ausflussmengen zu denen für #=2%, d.h. für die Strömung in gerader Röhre, in folgender Weise: 108 Heinrich Jacobson: Verhältniss h ß Ausflussmengen derselben BE are A u un N, ME Lore u an cn (ar TER Nahe 0, AR) age (135° 18737 1) 6 80° 19262 Yo 150° 13630 3 es äh 15288 90° 12000 150° 14613 | ER 15917 | 180° 17992 150° 13397 180° 14992 Ce Han | = m ee, 2 [°.] Kie} - Beiträge zur Haemodynamik. 109 ‘Der Verlust an lebendiger Kraft, der durch die Disconti- nuität der Bahn entsteht, ist demnach für grössere Druckhöhen nicht bedeutend. Er wächst, je mehr die Bahn sich von der geraden entfernt — und wie es scheint — analog dem durch Ansatzröhren erzeugten — bei Verminderung der Druckhöhe h. Den Druck innerhalb der verzweig- Fig. 3. ten Röhren habe ich an den in der Fig. 1 bezeichneten Punkten p, p', p", p", p"" gemessen. Die 4 letzteren sind gleichweit (38,4 Mm.) von dem Kreuzungspunkte o entfernt, p’ (36,8 Mm ) von der Eintrittsstelle der Flüssigkeit aus dem Reservoir in die Röhre (©). Die Befestigung der Manometer ist in Fig. 3 in senkrechtem Durchschnitt = dargestellt; für je 3 correspondirende Stellen der 3 Röhrenkreuze war das- selbe Manometer bestimmt. Ich werde die Druckwerthe gleichlautend mit den Stellen bezeichnen, an denen sie ge- messen wurden, die entsprechenden für die Strömung durch eine gerade Röhre P, P’, P" und den Strom durch C bis zur Theilung in o den Haupt- strom nennen, l. Die Erweiterung der Strombahn, durch Eröffnung eines Seitenzweiges bewirkt, unter welchem Winkel derselbe auch abgehen möge, eine erhebliche Verminderung des Drucks. 2. Der Druck sinkt im Hauptstrom um so mehr, je kleiner der Theilungswinkel («) und zwar mehr in der Nähe seiner Theilung als seines Ursprungs. Während die Abnabme von p’ auch für die kleineren Win- kel-Intervalle von 45° zu 30° und von 150°, zu 135° stets deutlich hervortrat, fielen die Werthe von p für dieselben häufig zusammen, und lagen immer für die grösseren Intervalle ein- ander näher, Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass wie 110 Heinrich Jacobson: die Summe der. Gesehwindigkeiten auch der Druck an dem Anfang der Röhrensysteme unabhängig von « sei. Um Tem- peratur-Differenzen, die von erheblichem Einfluss auf den Ver- lauf der Druckeurven sind, möglichst auszuschliessen, habe ich gewöhnlich 'die.Drucke bei Z45° und 135°, bei 230° und 150° mit einander verglichen, da diese unmittelbar hinterein- ander: sich beobachten liessen, E «=309 | «=150° «=45° | «= 909 || «= 135 ° ».le|Plur..e Bu | 2 |. P\» I | I 896 |616 | 186 | 638 | 243 | 837 !or2/ıss|| 626 | 215 | 631 | 232 887 |610\ 184 631 | 240 1879 "607187 | 619 213 | 626 | 230 879. 605 |182|| 627 | 237,861 |596/183 | 610 | 209 | 613 | 285 839 587 1175| 611 | 232 | 7631540116609 1548 198 763 |536 |462)| 547 | 210 | 751 [528 168) 531 | 187 | 534 | 196 751 527|159| 539 | 206 | | [ri | ll ı 3. Das Verhältniss der Drucke in den Partialströmen zu " "„ einander (ins Ei) wächst mit dem Theilungswinkel («) ana- pP P 3 log dem der Geschwindigkeiten. Da für die höchste Druckhöhe (%), die ich anwenden konnte, p”' nur 128 betrug, so war der Einfluss der Beobachtungsfehler zu gross, um den Werth dieses Verhältnisses genau feststellen zu können. Geringe Schwankungen der Wassersäulen in den Manometern sind bei hohem Druck, wenn auch die Strömung durchaus eontinuirlich ist, nicht zu vermeiden, und — wie mir scheint — in einer wirbelförmigen Bewegung der Flüssigkeit, die sich von der Theilungsstelle aus mehr oder minder weit iu die verschiedenen Zweige hineinerstreckt, begründet. Sie sind häufiger und mitunter bis 2 Mm. gross bei « = 90°bis 150°. Die folgenden Werthe sind verschiedenen Beobachtungen entnom- men, die bei Temperaturen von 12 bis 20° C. gemacht sind. Beiträge zur Haemodynamik. ni Des Faeen | «=30° . ! Pr 2 In" 135° | 167 1280,766 149 115.0,77 132) 99 0,75 162 122.0,753| “2 105 0,766 "167 ‚176 1165 162 149 164) 105 135 } Versuche mit geringerer Druckhöhe, bei denen keine Schwan- 0,566 | 147° 0,567 5,574 |0,573 0,582 167 ‚139 ‚114, 150 U 199 107 0, 196 104.0, 790, 870, 75 64 8| kungen der Manometer vorhanden waren, ergaben: «= 90° «=30° = U2 p" Ir" | Fu 96 | 74 | 0,770 also auch für 90° P_ | 07 pP | .. 63 | 0,60 “ nahe gleich ” =; ii Bi, 12} | p” Zur "besseren Uebersicht N "hier noch einige Beispiele folgen. Für die zu demselben % gehörigen Beobachtungen war die Temperatur dieselbe. h Elm p p p 139 308: I1rn582. I 175 | dc 160: Tori [pen = 587 10° | 465 117 "2.90% |...,599 204 180 101 | 150° | su 232 188. |. 97 2.l..B0° ||. 5% 160 149 113 Pe 7 187 166 93 135° | 534 196 |" 168 86 77: a TS eV Zum ET zu 135 7. 1.902. 1.420 158...|..143 82 [see 7 222 170 | 150 8 Mu, 327 ..]...115 104 75 135° 334 3a |°15 65 112 Heinrich Jacobson: Beiträge zur Haemodynamik. 4. In jedem Partialstrom ist die Geschwindigkeit propor- tional dem Druck. ; Die Anwendung von Poiseuille’s’Gesetz zur Berechnung der Reibungs-Constante ergab etwas zu grosse Werthe für die- selbe, wenn ich / vom Ursprung der Partialströme o aus rech- nete, vielleicht ı weil ‚dieselben ‚ bei den. gegebenen Tempera- turen 'nicht die’ für die Gültigkeit des’ Gesetzes’ erforderliche Länge hatten. | 5. Oeffnet man der Strömung alle 4 Schenkel des Kreuzes, so tritt constant eine so starke Verminderung des Drucks (p') im Hauptstrom ein, dass derselbe bedeutend ‚geringer wird als der Druck (p") in dem gerade fortgehenden Partialstrom. In den beiden seitlichen Theilströmen (A) und (B) ist der Druck gleich, wenn «=90°, und steigt mit abnehmendem « in (A), während er in (B) entsprechend sinkt. Strömung durch 3 Zweige. Strömung durch 2 Zweige. ’ n m Wl a a |» 90° | 850 | 575 | 128 | 162 | 67 | 67 868 | 587 | 130 | 165°) 68, 1:67 . m P 817 | 550 | 125 | 157 | 64 | 64 2 800 | 539 | 124 | 154 | 64 | 65 ya 705 | 479 114 | 137 |59 | 60 | 644 | 438 | 108 | 130 | 58 | 58 499 | 340 | 91 | 110 | 54 | 54 418 | %85 | 83 | 102 | 50 | 50 [ 874 | 595 | 135 | 167 | 68 | 68 || 626 | 212 | 187 105 752 | 506'| 122 | 147 | 63 | 63 | 534 | 187°| 164 | 92 45° | 891 | 602'| 131 | 162°) a8 | 67 | 628 | 195°] 174 122l 45° 728 | 500°! 124 | 120'| 83 | et J 30° .| 874 | 596 | 142 | 164 | 107 | 50 731 | 4921| 118 | 142] 95 | 47 | 00° Ich habe bisher vergeblich die Ursache dieser auffallenden Erscheinung gesucht. In einer Erweiterung des in mehrere Aeste sich spaltenden Strombettes und dadurch bewirkten plötz- lichen Umsetzung einer grossen Geschwindigkeit in eine ge- A. Baur: Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer u.s. w. 113 ringe kam die Druckverminderung nicht begründet sein, da sie dann auch bei der Theilung in zwei Aeste bemerkbar sein müsste. Um: den Verlauf der Druckcurven für verzweigte Röhren be- urtheilen zu.können, müssen mehr und näher liegende Punkte derselben als die erwähnten untersucht werden. Ich habe hier vorläafig die allgemeinen Resultate mitgetheilt und werde eine graphische Darstellung der Curven später geben. Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer der Flusskrebse und ıhr Verhalten beim Schalenwechsel. Von A. Baur. j 3 (Hierzu Taf. II. und III.) ‘Der Kiefermuskel der Krebse mit seiner‘ pinselförmigen Chitinsehne hat schon mehrfach die Aufmerksamkeit der Hi- stologen auf sich gezogen. Die grossen Primitivbündel des Muskels sind, wie Reichert gezeigt hat, das beste Object, um sich von dem continuirlichen Uebergang ‚der primitiven Muskelscheide in die Selmenstränge, somit von der bindegewe- bigen Natur des Sarkolemms zu überzeugen. In noch neuerer Zeit wurde die Sehne besonders, sofern sie Chitin enthält, hi- stologisch wichtig, es hat sich mit der Deutung dieses merk- würdigen Vorkommens die histologische Auflassung des Chi- tins aufs Innigste verknüpft. Dass diese Sehnen aus Chitin bestehen und mit dem äusseren Skelet des Kiefers unmittelbar zusammenhängen, musste in die Augen fallen und ‚schien daher ursprünglich unzweifelhaft, Die nächstliegende: und älteste Auffassung der Sache war die, dass die‘ Chitinsehne nichts als ein nach innen gehender Fortsatz der Schale, eine Dependenz des äusseren Skelets sei, welche die Form und die Leistung einer Sehne habe, ohne dem Gewebe ‚oder. der Substanz nach einer bindegewebigeu Sehne der Wirbelthiere zu entsprechen. Beichert's u. du Bols-Keymond's Archiv. 1860. 8 114 A. Baur: So wird die Sache von den meisten Zootomen z. B. Milne Edwards,') von Siebold?) dargestellt. Die Deutung des Chitins selbst, welches früher bekanntlich den Hornsubstanzen beigezählt wurde, war hiervon noch unabhängig. Auffallen musste aber, dass dieses Sebnenchitin beim Ansatz des Muskels allmählig weicher wird und mit echtem Bindegewebe continuir- lich zusammen zu hängen scheint. Dieses Verhalten wurde zu- erst von Leydig mit der Genese des Chitins in Verbindung gebracht. Leydig stellte die Chitinsehnen der Krebse den Seh- nen der Wirbelthiere gleich, sofern jene wie diese aus Bin- desubstanz bestehen, aus einer Bindesubstanz, welche in eigen- thümlicher Weise erhärten und sich verdichten könne; wie es bei den Wirbelthieren verknöcherte, so gebe es bei den Arthro- poden chitinisirte Sehnen. Der Vorgang des Chitinisirens wird jedoch nicht sowohl der Verknöcherung als der Verwandlung des Bindegewebes in elastisches Gewebe gleichgestellt. Die Hauptstütze für diese Ansicht ist eben der continuir- liche Uebergang des unzweifelhaften, weichen Bindegewe- bes im Muskel in die harte Substanz des Sehnenschaftes. Sofern nun dieser Schaft wieder mit der. äusseren Schale in Continuität steht, als unmittelbare Fortsetzung derselben er- scheint, konnte in der Chitinsehne eine histogenetische Bezie- hung gefunden werden, welche von Leydig auf das Gewebe des Arthropodenskelets ausgedehnt wurde. Wenn wirklich in der Sehne Bindegewebe und Chitin in eontinuirlichem Zu- sammenhang und allmähligem Uebergang zu einander auftreten, so ist die Consequenz, dass beide Substanzen als verwandt, das Chitin somit als ein Gewebe der Bindesubstanz anzu- sehen ist. So konnte Leydig') den Satz aussprechen, dass bei den Arthropoden die Sehnen gleich der äusseren Haut chi- tinisiren, oder, was dasselbe ist, Sehnen und äussere Bedeckung in gleicher Weise aus chitinisirter Bindesubstanz bestehen. Hierbei ist aber nicht zu vergessen, dass der Vorgang des Chi- 1) Histoire naturelle des Crustaces. t. I. p. 152. 2, Vergl. Anat. S. 421. 3) Müller’s Archiv, 1855, S, 395, Histoldgie, S. 139. a — Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer der Flusskrebse u.s.w. 115 tinisirens oder die Zurückführung des Chitins auf ein präexi- stirendes Gewebe nicht von dem äusseren Skelet auf die Sehne, sondern umgekehrt von denı Verhalten der Chitinsehne auf das gesammte Skelet übertragen wurde. Dies war nicht möglich, ohne der Deutung einen gewissen Zwang anzuthun. Die weiche Schicht unter der Krebsschale, welehe aus Molecularmasse und Kernen besteht und von Anderen als ein Epithelium angespro- chen wird, konnte zwar vielleicht mit demselben Recht als eine unreife Form der Bindesubstanz betrachtet werden. Wenn man aber von chitinisirten Sehnen spricht, so wird damit ein Uebergang der reifen Sehnensubstanz in Chitin, das Fehlen jener weichen, sonst das Bindegewebe und das Chitin trennen- den Sehieht, mithin jedenfalls ein anderes Verhalten vorausge- setzt, als beim Chitinisiren der äusseren Haut. Mehr als auf die Continuität beruft sich Leydig!) auf die Aehnlichkeit, welche zwischen den Chitinhäuten der Arthropoden und der Bindesub- stanz der Wirbelthiere, z. B. zwischen dem Hautdurchsehnitt eines Frosches und dem Flügeldurchschnitt eines Käfers stattfindet. Diese Aehnlichkeit betrifft zwei Punkte. Der eine davon, die Schichtung aus homogenen Lamellen, ist ein Strueturverhalten, das den verschiedensten Substanzen zukommen kann, über die Natur derselben nichts aussagt; der andere Punkt bezieht sich auf die Dextur: die Lücken der in Kali macerirten Chitinhaut zeigen mitunter eine lebhafte Uebereinstimmung mit den Binde- gewebskörperchen, während das Chitin selbst der Grundsubstanz des Bindegewebes in der Anordnung entspreche. Ueber die Frage, auf welche es bei diesem Vergleich vor Allem ankommt, ob nämlich die Porencanäle im Chitin überhaupt unter Bethei- ligung zelliger Elemente entstanden sind, hierüber sagt Ley- dig, dass ihm alle Erfahrungen abgehen. Der Leydig’schen Ansicht entgegengesetzt ist die von Häckel?) und Kölliker?) vertretene, wonach das Chitin der Ar- 1) Müller’s Archiv, 1855. S. 391. Histol. S. 29. 2) Müller’s Archiv, 1857, S. 514. 3) Verhandl, der phys. med, Ges. in Würzburg. Bad! VIIT. 1857. 8. 37. a g* 116 A. Banr: thropoden als das geformte, in Lamellen abgeschiedene Secret einer epithelialen Zellenschicht anzusehen "ist. Die Chitinhülle des Körpers hängt bekanntlich mit der gleich beschaffenen Intinsa des Darmes und der Drüsen continuirlich zusammen. Letztere war schon von Leydig nicht für verdiehtete Bindesubstanz, sondern für ein Ausscheidungsproduct des Epitheliums erklärt.') Die von Kölliker und Häckel gegebene Deutung hat vor der Leydig’schen das voraus, dass nicht histologisch sich ent- sprechende Bildungen getrennt, sondern das ganze Chitinskelet der Arthropoden unter einem gemeinschaftlichen Gesichtspunkt (dem der Cutieularbildung) zusammengefasst wird. Ist aber diese Auffassung richtig, so muss es als eine unveräusserliche Eigen- schaft des Chitins angesehen werden, dass es nur als Grenz- sehicht freier oder als Auskleidung nach innen gekehrter Ober- flächen auftreten kann. Gerade hiervon würde das Vor- kommen in der Sehne nach der bisherigen Ansicht eine Aus- nahme machen, sofern hier das Chitin als parenchymatische Substanz und in Continuität mit Bindegewebe auftreten soll. Bindesubstanz und Epithelialseeret haben wenigstens insofern Niehts mit einander gemein,?) eine Continuität beider ist aus dem Grunde nicht denkbar, weil eine Cuticularbildung von dem bindegewebigen Parenchym durch eine epithe- liale Zellenschicht getrennt sein muss, von deren Existenz das Auftreten der ersteren abhängt. Sollte die Auffassung ‘des Chitins als Cutieularbildung eines Epitheliums "durchgeführt werden, so musste vor allem der in der Chitinsehne liegende Widerspruch beseitigt werden, es musste in der Deutung der- selben ein anderer Weg eingeschlagen werden. Entweder die Continuität mit dem parenchymatischen Bindegewebe oder die Continuität mit dem äusseren Skelet musste sich als irrthüm- lich nachweisen lassen. In dem einen Fall wurde das schein- bare Chitin zu Bindegewebe, im anderen die scheinbare Sehne zu einem Fortsatz des äusseren Skeletes. 1) Müller’s Archiv, 1855. S. 445. 2) Vergl, Kölliker a, a. O. S. 97. Ueber den Ban der Chitinsehne am Kiefer der Flusskrebse n.s.w. 117 --Häckel versuchte die erste der beiden Möglichkeiten zu beweisen; er vindieirte der fraglichen Sehne die Eigenschaft eines Bindesubstanzgebildes, und stellt die von Reichert zu- erst hervorgehobene, bisher nicht angefochtene Continuität der- selben mit dem Kiefer in Frage. Die Gründe, welche Häckel') anführt, sind folgende. Die sogenannten chitinisirten Sehnen bestehen nach Auszug der Kalksalze aus grobstreifigem, leicht der Länge nach spalt- barem Bindegewebe, dessen Kernelemente völlig atrophirt scheinen und erstbeim UebergangindasweichereBinde- gewebe des Sarkolemms und Perimysiums deutlich werden, Der Mangel, der für die ächten Chitinsubstanzen charakteri- stischen Porencanälehen, Zellenabdrücke u. s. w. sowie einige, nicht genauer verfolgte, chemische Differenzen sprechen gegen eine Identität mit Chitin. Häckel hält deshalb die chitini- sirten Sehnen für eine Bindegewebsmodification, welche ausser der Kalkinfiltration noch eine eigenthümliche Härtung und Ver- dichtung der Grundsubstanz erfahren hat, ähnlich wie. &s beim elastischen Gewebe der Fall ist. Der Unterschied dieser Auf- fassung von der Leydig’schen lässt sich so ausdrücken. Wäh- rend nach Leydig in der Chitinsehne die bindegewebige Natur ‚des Chitins sich verräth, ist nach Häckel in einer solchen Sehne das Bindegewebe nur ausnahmsweise chitinähnlich ge- worden. Der eontinuirliche Uebergang des Sehnenbindegewebes in. den äusseren Chitinpanzer verträgt sich mit letzterer Ansicht nieht, und derselbe ist nach Häckel leicht zu widerlegen, Die (gewöhnlichen, nicht ehitinisirten) Sehnen setzen sich an.die bindegewebige Outisschicht an und ‚verlieren sich in derselben ; sie sind also von der Chitinbaut durch „die Chitinogenmem- bran“, die chitinbildende Schicht nothwendig getrennt. Aber gerade am Ansatz der verkalkten Chitinsehne an den Kiefer, um den es sich handelt, war es Häckel trotz vielfacher Ver- suche nicht möglich, die die Uebergangsstelle bezeichnende Zellenschieht zu sehen, obwohl man sie hier, als zur Regene- I) A. 0.0, 5, 548. 118 A. Baur: ration der Schale beim jährlichen Wechsel durchaus nothwen- dig, schon a priori als wirklich vorhanden voraussetzen müsse. Dass die Gründe, welche Häckel für die bindegewebige Natur der Chitinsehne einerseits. und für ihre Diseontinuität mit der Schale andererseits vorbringt, nieht eben überzeugend sind, braucht kaum bemerkt zu werden. Denn die Continuität mit dem Bindegewebe, woraus die Verwandtschaft abgeleitet wird, ist eben so a priori bejaht, wie die Continuität mit der Schale, an der bisher Niemand zweifelte, auf Grund einer apriorischen Voraussetzung verneint. Hiervon zunächst abgesehen lässt sich die Controverse auf folgende Fragen redueiren. Hängt die sogenannte chitinisirte Sehne mit der Schale des Kiefers, oder hängt sie mit dem wei- chen Bindegewebe des Muskels continuirlich zusammen, oder ist die Verbindung nach der einen wie nach der anderen Seite eine eontinuirliche? Im ersten Fall wird man die Sehne für einen Fortsatz des Chitinskelets, im zweiten für einen chitinähnlich gewordenen Bindegewebsstrang halten müssen. Nur im dritten Fall, wenn der Zusammenhang nach beiden Seiten sich als eontinuirlich herausgestellt hat, kann, wie oben gesagt ist, die Sehne zugleich als ein Beleg dafür gelten, dass das Chitin als solches ein Gebilde der Bindesubstanz ist. Diese Frage kann selbstverständlich erst in Betracht kommen, wenn über die bei- den anderen entschieden ist. In’ dem Zustand, in welehem die Ohitinsehnen des Krebses gewöhnlich zur Untersuchung kommen, wird man immer ge- neigt sein, eine Öontinuität nach beiden Seiten anzunehmen, Eine bestimmte Entscheidung kann bei der mikroskopischen Untersuchung schwierig, ja unmöglich scheinen. Es giebt aber ein naheliegendes Hülfsmittel, wodurch sich das Continuitätsver- halten und damit die histologische Natur der fraglichen Sehnen- substanz mit aller Bestimmtheit entscheiden lässt. Es ist dies die Beobachtung ihres Verhaltens beim Schalenwechsel. Die periodische Regeneration ist eine integrirende Eigen- schaft der skeletbildenden Substanz der Arthropoden. Die Be- theiligung oder Niehtbetheiligung an derselben ist ein wichtiges Kriterium dafür, ob eine zweifelhafte Substanz aus Chitin. be- Per Ueber den Ban der Chitinsehne am Kiefer der Flusskrebsen.s w. 119 » steht oder nicht; zu gleicher Zeit giebt die Häutung über die Continuität Aufschluss. Wenn die Sehne mit der Schale eon- tinuirlich zusammenhängt, so muss sie mit derselben sich ab- stossen und regeneriren. Hat aber die Sehne an der Regene- ration keinen Antheil, so muss es irgendwo eine Stelle geben wo beim Schalenwechsel der Kiefer von der Sehne sich trennt; damit ist unmittelbar eine Discontinuität gegeben, wie sie auch Häckel aus eben dieser Voraussetzung ableitet. Eine bestimmte Beobachtung über das Verhalten der pinsel- förmigen Chitinsehne des Kiefermuskels bei der Häutung konnte ich nirgends angegeben finden. Reaumur,') der den Schalenwechsel der Krebse zuerst und mit ausgezeichneter Genauigkeit am lebenden Thier beobachtet und beschrieben hat, sagt von dem abgeworfenen Skelet unter Anderem: „Revoyons la d&pouille que l’Eerevisse vient d’aban- donner; on la prendrait elle-m&me pour une autre Ecrevisse; il ne Iui en manque rien & l’exterieur... Si on l’examine plus en detail, on est surpris du nombre des pieces de ce squelet, A qui il ne manque rien de ce que l’Ecrevisse a de cartilagineux et d’osseux...“ Er fügt hinzu, dass auch der platte Knorpel, welehen man im Scheerenmuskel finde, sich mitten aus dem Fleisch auslöse und im Zusammenhang mit der Schale abge- worfen werde (se degage du milieu des chairs et reste at- tache a V’ecaille qui eouvrait la jambe.) Diese Knorpelplatte Reaumur’s dient dem Ansatz des Scheerenmuskels, wie die Obitinsehne am Kiefer dem des Kiefermuskels, und verhält sich zu letzterer wie eine mitten im Muskel befindliche Aponeurose zu einer freien, strangförmigen Sehne, sie hat aber keinen zu- sammengesetzten Bau und zeigt sich als einfache Duplieatur des » Chitinüberzugs mit» platt aneinander liegenden Wandungen. Die Cbitinsehne des grossen Kiefermuskels wird von Reaumur I) Sur les diverses Reproductions qui se font dans les Ecrevisses, les Omars, les Crabes, etc, et entre autres sur celles de leurs Jambes et de leurs Ecailles, M&moires de l’Academie des Sciences. 1712. p. 226, und: Observations sur la mue des Ecrevisses, Ibidem, 1718. p- 263, 120 A. Baur: > nicht erwähnt, sie fehlt auch auf der Abbildung, die ‚er von dem Inneren einer in toto abgeworfenen Krebsschale giebt. Milne Edwards!) hat in Bezug auf die ‚Häutung.'den Beobachtungen Reaumur’s Nichts hinzugefügt. Er. sagt über die Chitinsehnen im Allgemeinen, dass im Inneren: des Körpers sich gewisse solide Theile (parties solides) finden, an. welche sieh die Muskeln befestigen, dass dieses nur Dependenzen der allgemeinen Bedeckung seien, welche die Funetion von Sehnen haben, aber der Schale gleichen und mit ihr zusammenhängen. Leydig und Kölliker haben bei der Deutung der ‚Chi- tinhäute den Regenerationsprocess nicht berücksichtigt: Häckel?) ist der einzige, der auf die Wichtigkeit dieses Vorganges; mit einigen Worten hinweist, ‘ohne ihn: selbst beobachtet zu haben, Seine ausdrückliche Angabe, dass die Chitinsehne des Kiefer- muskels nicht mit der Schale jährlich abgeworfen und regene- rirt werde, woraus dann. weiter auf die Verschiedenheit beider geschlossen wird, kann daher nur. als Vermuthung angesehen werden. Diesen sich zum: Theil -widersprechenden, immerhin unbe- stimmten Angaben gegenüber dürfte ‘es. vielleicht am Platze sein, eine einfache Beobachtung in Erinnerung zu, brin- gen, mittelst welcher ‚sieh leicht eonstatiren lässt, ‚dass die Chitinsehnen, die des Kiefermuskels so gut wie die in .der Scheere, wirklich Theile des äusseren Skeletes sind, indem sie nämlich zugleich mit der Schale und in Continuität mit derselben bei der jedesmaligen Häutung abge- worfen und regenerirt werden. Durebsucht man eine grössere Anzahl ‚Flusskrebse zu. der Zeit, wo sie gewöhnlich ihre Schale wechseln, ‚so findet man darunter immer solche, welche über der neuen, weichen Schale noch die alte, der Abstossung bestimmte, mit sich tragen. Man kann sich dann von jedem Skelettheile gewissermassen ein Duplicat verschaffen, d. h. man kann die alte, nur lose anlie- gende und zerbrechliche Schale von der darunter liegenden 1).Asall 0. 8. 6,55, 152. 2) A. a. O, S. 528, 544. Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer der Flusskrebse u. s.w. 12] neuen, ihre Form genau. wiederholenden, leicht trennen. _1so- lirt man an einem. solchen Krebse ‚den Kiefermuskel, so: dass einerseits der Muskel mit dem Rückentheil des Cephalothorax, andererseits die Sehne mit dem Kiefer in Verbindung, bleibt, und versucht man jetzt, an letzterem den alten Chitinüberzug zu lösen, was in der Regel leicht gelingt, so sieht man, dass im Zusammenhang. mit dem‘ Chitinüberzug des Kiefers auch das ganze Obitinskelet der; pinselförmigen Sehue sich abstösst. Dies geschieht nicht etwa so, dass der Muskel dabei seine Sehne einbüsst, sondern, wie unter der alten Chitinbekleidung des Kiefers eine neue, aber. noch weiche schon gebildet sich vorfindet, so ist. an der Stelle der abgestossenen oder ausgezo- genen, harten Sehne') eine neue, ebenfalls noch weiche Sehne mit dem neuen Skelet, des Kiefers in Verbindung., Der neue Ueberzug des Kiefers entspricht in..der Form und Seulptur auf's. Genaueste dem abgeworfenen ; die neue Sehne gleicht der alten, abgesehen von der Consistenz, ebenfalls, weicht aber in einem Punkte scheinbar von ihr ab. Diese ist nämlich stab- förmig, anscheinend solid, jene ist röhrenförmig, und so lange beide noch in Verbindung, die künstliche Auslösung noch nieht vorgenommen, ‚steckt umgekehrt, ‘wie, an ‘der. äusse- ren. Schale ‚die alte Sehne in der Röhre der‘ neuen, noch weichen. Zieht man am Kiefer, so lässt sich 'aus dieser lose anliegenden Röhre das ganze, zum Abwerfen reife Chitinskelet 1) Sehne ist hier überall im allgemeinsten Sinn als Verbindungs- stück zwischen Muskel und Mandibel genommen, ohne über.die Structur oder Substanz damit etwas auszusagen. Wie, sich erst aus dem Fol- genden ergiebt, besteht dieser Theil aus einem. bleibenden bindegewe- bigen und einem der Regeneration unterworfenen Chitintheil. Bei der Häutung fällt der Unterschied des noch weichen Chitins vom Binde- gewebe nicht in die Augen, sondern nur der Gegensatz zwischen dem harten weissen Kalkstab uud. der weichen durchscheinenden Hülle db, der mit ueuem Chitin versehenen Sehne. ı In: diesem Sinne sind die der Kürze wegen gebrauchten Worte: alte Sehne und nene Sehne zu verstehen, Streng genommen bedeutet alte Sehne abgestossenes Chitinskelet der Sehne und neue Sehne soviel als Sehne mit neuem Chitinskelet. Letztere Bezeichnung ist auch bei der Erklärung der Abbildung gebraucht. 122 A. Baur: der Sehne herausziehen. Es bleibt dabei im Zusammenhangmit der Schale des Kiefers und wiederholt in. der Form eines gestielten Pinsels die Gestalt der ganzen Sehne. Dies zwingt zu der Annahme, dass die Sehne einer Häutung unterliegt, soweit sie überhaupt als chitinhaltig oder chitinisirt angesehen wird. Dass an der Regeneration der Schale nicht nur alle Vor- sprünge und Duplicaturen, die sie oft weit in’s Innere, z. B. um das Nervensystem herum, bildet, sondern von inneren Theilen auch die Auskleidung des ganzen Darmcanals Theil nimmt, ist bekannt.') Dieser Vorgang ist deshalb weriger auf- fallend, weil die Intima des Darmes gerade so eine Grenz- sehieht einer inneren Höhle zu bildet, wie die Schale nach aussen, und weil beide, die äussere Schale und die Intima des Darmes, nach Art einer Einstülpung unmittelbar in einander übergehen ; bei der Chitinsehne findet sich ein ähnliches Ver- hältniss, wenigstens der bisherigen Ansicht und dem Augen- schein nach, nicht. Wir haben also hier ein Beispiel, wie die Abstossung und Regeneration bis in die letzten Struetur- theile eines verhältnissmässig umfangreichen, den ganzen Thorax senkrecht durchsetzenden, scheinbar soliden und complieirten Organes eingreift, in welchem wir als einer offenbaren Sehne keine Hohlgebilde vermuthen, in welchem daher das Chitin nicht als Auskleidung, sondern als wesentlich constituirende Substanz aufzutreten scheint. Dennoch regenerirt sich die Sehne, wir sehen also vor unseren Augen eine Art paren- chymatischer Häutung erfolgen; ein Vorgang, gewiss eigen- thümlich genug, um zu einer genaueren Analyse aufzufordern. So überraschend auf den ersten Anblick die Sache sein könnte, als ebenso einfach, ja nothwendig ergiebt sie sich aus der ein- mal erkannten Structur. Wir untersuchen zunächst die Structur der Sehne mit Bezug auf die des ganzen Skelets und dann die Beschaffenheit der in beide eingehenden Substanzen. Aus der Beobachtung, welche in Fig. 1 und: 2 darzustellen 1) Die Beobachtung, dass die Zähne des Magens sich häuten, hat zuerst Van Helmont gemacht und Geoffroy bestätigt. Reaumur a. a. O. 1712. S. 239. Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer der Flusskrebse u. s.w.. 123 versucht wurde, ergiebt sich zunächst, dass die Chitinsehne des Kiefermuskels nach der Häutung nicht, wie man glauben könnte, ein solider Stab, sondern von Hause aus eine Röhre ist, in welche sich der neue Chitinüberzug der Haut als Auskleidung fortsetzt, gerade wie es vom Magen und Darmcanal bekannt ist. Da die Häutung sich nicht bloss auf den Schaft der Sehne, sondern bis in deren feinste pinselförmige Endäste erstreckt, so folgt unmittelbar, dass die Sehne in alle ihre Verästelungen hohl sein muss. Die Sehne erscheint aber nur vorübergehend zur Zeit des Schalenwechsels als Hohlkörper. Nach Ausstos- sung des alten Chitinskelets legen sich die Wandungen der Chitinröhre dieht aneinander, alsbald erhärtet das Chitin durch Kalkaufnahme, die Röhre wird dadurch in dem zusammengefal- teten Zustand für immer fixirt. So hat die Sehne kurz nach der Häutung wieder dasselbe Ansehen eines soliden, kalkhal- tigen, büschelförmig verzweigten Stabes oder Stranges bekom- men, das sie vorher hatte, bis sich bei der nächsten Häutung derselbe Vorgang wiederholt. Auch der abgestossene, schein- " bar solide Chitinstab ist daher ursprünglich hohl. An ihm, wie an der Sehne für gewöhnlich, ist nur in dem zur Hälfte äus- serst dünnhäutigen Trichter, den das Insertionsende-am Kiefer bildet, so wie darin, dass man von der Spitze dieses Trichters zuweilen mit einer sehr feinen Nadel in den Schaft der Sehne eindringen kann, die Spur des früheren Hohlseins zu erkennen. An der allgemeinen Bedeckung des Flusskrebses unter- scheidet man, wie Häckel genau beschrieben hat, folgende Bestandtheile. Zunächst lässt sie sich trennen in zwei Häute: eine nach aussen gekehrte Chitinlage, die bald dünn, bald dick, bald durch Kalk gehärtet, bald weich und biegsam ist, immer aber aus homogenen, geschiehteten Lamellen besteht, und in eine nach innen gewendete, echt birrdegewebige Haut, welche mit der Bindesubstanz innerer Theile in Continuität steht. Die Ursache der leichten Trennbarkeit dieser beiden Schichten; be- sonders nach Einwirkung der Siedhitze oder des Alkohols liegt darin, dass zwischen beiden eine dritte, weiche und leicht zer- störbare Schicht ausgebreitet liegt, welche, so dünn sie auch jet, doch überall und constant das Ohitin und die Bindesubstanz 124 A. Baur: trennt, so dass von einer Öontinuität beider nicht die Rede sein kann. Diese sogenannte Zellenschicht, vielleicht riehtiger kern- haltige Schicht, ‘besteht aus einer einfachen Lage regelmässig und ziemlich dicht stehender Kerne, umgeben: von dunkel- und feinkörniger Zwischensubstanz. Isolirt ist diese Schicht nicht darstellbar; sie hängt bald der Chitin- bald der Bindegewebs- haut in Fragmenten an. Zur Zeit des Schalenwechsels, wo sie vorzugsweise in Thätigkeit, ist sie auch besonders‘ deutlich, besteht jedoch auch dann nur aus einer einfachen Lage von Kernen. Es zeigt sich in diesem Stadium, dass von dieser Schielht die Bildung der Chitinlamellen ausgeht, weil zwischen dieselbe und die vorhandene Chitinhaut die neue sich einschiebt, so dass immer die jüngste Chitinlamelle jener. kernhaltigen Lage unmittelbar aufliegt. Es folgt daraus, dass man. sie als die eigentlich chitinbildende Schicht anzusehen hat. Die Bindegewebshaut darunter, die in ihrer Dicke äusserst variabel, hat zur Chitinbildung keine Beziehung, sie dient der chitinbil- denden Schicht einfach als Substrat. Die Abstossung und der Wiederersatz der Chitinlamellen ist nieht, wie z. B. bei den Zellenschichten -einer Epidermis, con- tinuirlich und unmerklich, sondern erfolgt stossweise, mit pe- riodischen Unterbrechungen, d, h. fällt als sogenannte Häutung unmittelbar in die Augen, Junge Chitinlamellen, die sich .da, wo das Skelet hart ist, dureh ihre Weichheit unterscheiden, finden sich nicht als constante Bestandtheile des Hautskeletes, sondern nur vorübergehepd ‚zu einer bestimmten Zeit, unter den alten. Dies ist die Vorbereitung der Häutung; sie selbst be- steht dann nur noch darin, dass die schon ersetzte Chitinhaut abgeworfen wird. In der Zusammensetzung der Haut des Flusskrebses bringt daher der Schalenwechsel keine andere Ver- änderung hervor, als dass der Chitinüberzug sich vorher ver- doppelt. Eine einfache oder doppelte Chitinhaut, ‚eine..chitin- bildende Schicht und ein bindegewebiges Substrat bilden ‚also zu jeder Zeit die integrivenden Bestandtheile der allgemeinen Bedeekung. Die Chitinsehne des Kiefermuskels besteht, wie schon. die gröbere Untersuchung ergiebt, aus dem (der Masse nach über- Ueber den Bau der Chitinsehne am Riefer der Flusskrebse u.s.w. 125 wiegenden) sogenannten ehitinisirten und dem nicht chitinisirten Theil, ersterer von letzterem umgeben ungefähr wie ein Röh- renknochen von seinem Periost. Da das Chitin der Sehne in Continuität mit der Schale abgeworfen und wieder ersetzt wird, so ist zu erwarten, dass ausser dem Chitin auch die übrigen Schichten der allgemeinen Bedeckung sich in der Sehne wie- derfinden werden. Wenn die Sehne röhrenförmig ist und als Einstülpung der äusseren Haut zu betrachten, so müssen die Sehichten der letzteren in der Sehne sich coneentrisch umge- ben und sie müssen von aussen nach innen in umgekehrter Ordnung auf einander folgen. Es muss das älteste, bei der Häutung abgestossene Chitin die Mitte, die der Häutung nicht unterworfene Schicht die Peripherie der Röhre einnehmen. Ein Querschnitt aus dem Schaft der Sehne zeigt für gewöhnlich unter dem Mikroskop zwei concentrische, jedoch unregelmäs- sige, wie zusammengedrückte Ringe, entsprechend dem Durch- schnitt einer bis zum Verschwinden des Lumens eomprimirten Röhre. Der innere Ring hat daher nieht ein kreisförmiges, offenes, sondern ein spaltförmiges oder beinahe lineäres, unre- gelmässig gezacktes Lumen. Beide Ringe sind scharf gegen- einander abgegrenzt, der innere sehr dunkel contourirt. Dem (Gewebe nach ist der äussere Ring als Bindesubstanz daran er- kennbar, dass er der Länge nach fein wellig gestreift ist, auf Zusatz von Essigsäure sich aufhellt und Kerne zeigt. Der in- nere Ring, ausgezeichnet concentrisch und radial gestreift, homogen, stark lichtbrechend, gegen Essigsäure und Kali un- veränderlich und ohne eine Spur von Kernen, entspricht dem Querschnitt einer geschichteten, bis zum Verschwinden des Lu- mens zusammengefalteten Chitinröhre. In diesen beiden, gegen einander scharf abgegrenzten und in ibrer Textur wie in den chemischen und physikalischen Eigenschaften von einander we- ‚sentlich verschiedenen Substanzringen sind die Schichten eines Durchschnittes durch die allgemeine Bedeckung ohne weiteres, nur in veränderter Anordnung wieder zu erkennen, und. beim Ansatz der Sehne‘ an den Kiefer hängen diese einander ent- sprechenden Schichten unmittelbar zusammen. Was am Kiefer die harte, zahnartig geformte Schale, ist in der Sehne das cen- 126 A. Baur: trale, aus Chitin bestehende Skelet, was dort die weiche binde- gewebige Unterlage, wird hier zur bindegewebigen Umhüllung. Dies erklärt sich, sobald man sich vergegenwärtigt, dass der Kiefer gerade so eine zahnartig nach aussen prominirende, wie die Sehne eine röhrenförmig nach innen tretende Duplieatur der allgemeinen Bedeckung ist, und beide unmittelbar an einander grenzen. Wie in der äusseren Haut, ist auf dem Sehnendureli- sehnitt zwischen Chitin- und Bindesubstanzring die chitinbil- dende Schicht als ein sie trennender, dunkel körniger Streifen, noch leichter aber, wenn man die abgezogene bindegewebige Hülle von der inneren Fläche betrachtet, als eine continuirliche, * epitheliumartige Lage von Kernen und moleeulärer Zwischen- masse zu erkennen. Zur Zeit der Häutung ist, wie in der Schale, so in der Sehne, die Zahl der Schichten um eine vermehrt. In diesem Stadium ist auf dem Querschnitt, der in Fig. 3 dargestellt ist, zwischen die chitinbildende Schicht und den alten zusammen- gerunzelten Chitinring ein neuer eingeschoben, der jenen lose umgjiebt, noch weniger starke Runzeln und ein weites Lumen hat. Umgekehrt wie an der Haut liegt auch hier wieder das abgestossene Chitin nach innen von dem neugebildeten, das seinerseits nach aussen von der chitinbildenden Schicht und der bindegewebigen Hülle umgeben ist. Nehmen wir dies zusam- men mit dem, was bei der Häutung direct sich beobachten lässt, dass nämlich in Verbindung mit dem alten Chitinüberzug des Kiefers ein der Form der ganzen Sehne entsprechender Chitinstab aus der Axe derselben sich herausziehen lässt, so folgt, dass die weiche Röhre, welche die neue Sehne vorstellt, aus zwei, oder, wenn man will, drei Schichten bestehen muss, der bleibenden bindegewebigen Umhüllung nach aussen, der neuen noch weichen Chitinauskleidung nach innen und’ der sie bedingenden chitinbildenden Schicht dazwischen. Legt man eine solche frisch gehäutete Sehne in Spiritus oder einen Augenblick in kochendes Wasser, so lassen sich zwei von diesen Schichten mit Leichtigkeit isoliren, während die dritte mikroskopisch nachweisbar ist. Nach der Abstossung des alten Chitins hat also die Sehne wieder ganz dieselbe Zusammensetzung, wie vor Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer der Flusskrebse u.s.w. 127 der Häutung, und zu jeder Zeit entsprechen die Bestandtheile derselben genau denen der äusseren Haut, und die einander entsprechenden Schichten der Haut und der Sehne hängen con- tinwirlich zusammen. Der Schaft der Sehne ist daher nichts anderes, als eine röhrenförmige Fortsetzung oder Einstülpung der allgemeinen Bedeckung mit allen ihr zukommenden Be- standtheilen. Nun ist aber die Sehne des Kiefermuskels nicht einfach, sondern gegen den Muskel hin pinselförmig verästelt. Wie gezeigt worden ist, erstreckt sich die Regeneration des Chitins auch auf dieses büschelförmige Muskelende. Alle die aus der Verästelung hervorgegangenen secundären, tertiären u. Ss. w. Sehnenzweige, in welche der Schaft sich auflöst, sind demnaclı hohl und von Chitinröhren ausgekleidet, welche mit der Röhre des Hauptsehnenstammes zusammenhängen. Dies folgt unmittel- bar daraus, dass das bei der Häutung abgestossene Chitin- skelet die Form der ganzen Sehne bis an den Muskel hin wie- derholt. Die Sehne verhält sich an der Stelle ihrer Veräste- lung ungefähr wie ein dicker Tracheenstamm, der sich in eine Menge feiner Aeste auflöst. Indem der Hauptstamm im Ver- hältuiss zu den feinen Endästen ziemlich dick ist, daher bei der Häutung ein entsprechend weites Lumen hat, so erklärt sich, wie durch den Schaft hierbei sämmtliches Chitin sich aus- ziehen lässt oder auf natürlichem Wege ausgestossen wird. Wie sich erwarten lässt, hat jedes der kleinen Sehnenstäbchen, in welche die Sehne sich durch dichotomische Verästelung auf- löst, ganz dieselbe röhrenförmige Structur und dieselbe Schich- tenzusammensetzung wie der Sehnenschaft. An Querschnitten, durelı den oberen Theil der Sehne, kann man sich hiervon überzeugen. Hier ist nur der Unterschied, dass man statt eines einzigen Obitinringes- eine Menge kleinerer Ringe ne- ben einander findet, und während am Sehaft der Chitintheil über den bindegewebigen Theil der Röhre überwiegt, nimmt gegen den Muskel hiu die Masse des Chitins im Verhältniss zur Bindesubstanz ab, Die Röhren sind zwar zahlreicher, aber verhältnissmässig. von sehr viel geringerem Durchmesser und dünnerer Wanduug. Zugleich hängen die bindegewebigen 128 A, Baur: Hüllen der einzelnen Chitinröhren unter einander locker zu- sammen. So kommt es, dass man an Querschnitten, durch das büschelförmige Ende der Sehne geführt, eine grosse "Anzahl kleiner und zarter, aber noch immer höchst charakteristischer Chitinringe wie in einem gemeinschaftlichen Bindegewebsstromaä unregelmässig zerstreut findet. Jeder der zierlich gekräuselten und scharf contourirten Ringe ist von der Bindesubstanz dureh eine chitinbildende Schicht getrennt, und ist zur Zeit der Häu- tufig doppelt. Dies dürfte genügen, um zu beweisen, dass die Schiehten des äusseren Skelets auch in den feinsten Veräste- lungen der Sehne in derselben röhrigen und concentrischen Anordnung und in demselben Verhältnisse zu "einander sich wiederfinden. Der Chitingehalt der Sehne reicht, wie man am deutlichsten bei der Häutung sieht, in jedem einzelnen Theil nur bis an den Anfang der Muskelsubstanz. Nur wegen der ungleichen Länge der Muskelbündel greifen Muskelfasern und Chitinstäbe scheinbar durcheinander. Mit dem Anfang der Muskelsubstanz hört das Chitin und nit ihm die chitinbildende Schicht auf. Es bleibt von den Chitinstäben nur die bindegewebige Umhül- lung und diese hängt mit der Bindesubstanz des Muskelparen- chyms zusammen. Auf Quersehnitten, durch‘ das Sehnen- ende des Muskels geführt, werden indem bindegewebigen Stroma, das jetzt natürlich durchsehnittene Muskeleylinder um- schliesst, die Chitinringe, je weiter nach oben, um so spar- samer und verschwinden zuletzt ganz. Hiermit ist dann das gewöhnliche Bild eines Muskeldurchschnitts gegeben. Das Verhalten der Sehne beim Ansatz des Muskels wurde bis- her folgendermassen beschrieben: die aus weichem Bindegewebe bestehenden Scheiden der grossen primitiven Muskelbündel gehen eontinuirlich in die harte (ehitinisirte) Sehnenfaser über, oder letztere entfaltet sich bei der Verbindung mit dem Muskel, in- dem sie weich wird, zu einem eylinderförmigen Sack, der’ die primitive Scheide heisst. Nach dem Gesagten ist diese Dar- stellung dahin zu ändern, dass von den drei "beschriebenen Schichten eines Sehnenzweigchens die äussere bindegewebige es ist, welche gegen den Muskel hin sich trichterförmig erweitert und, | | Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer der Flussktebse u.s.w. 129 indem sie einen quergestreiften Muskeleylinder enthält, zum Sarkolemm geworden ist, oder umgekehrt, nach der Schale hin, dass die primitive Muskelscheide, indem sie trichterförmig ver- jüngt in einen Sehnenstrang sich fortsetzt, dabei nicht erhärtet, ehitinisirt, sondern hohl bleibt und statt mit Muskelmasse au- gefüllt, von einer Chitinröhre ausgekleidet ist. Die Chitinröhre der Sehnenästchen ‘wird dem Muskel zu immer dünnwandiger und hört mit scharfem Rande auf. Die Muskelbündel endigen bekanntlich der Sehne zu kegelförmig abgestumpft. Diesen Muskelenden sich anpassend, zwischen sie etwas hineingreifend oder sie umfassend, erweitern sich die Chitinröhrehen, ehe sie aufhören, in Form eines unregelmässigen, meist schiefen Trich- ters oder Spatens. Die so beschaffenen, äusserst zarten Endi- gungen der Chitinröhren lassen sich an dem bei der Häutung abgeworfenen Chitinpinsel nachweisen. Die zarte Beschaffen- heit der zuletzt zu einem glasartig durchsichtigen, kaum mehr gestreiften Häutchen sich verdünnenden Chitinauskleidung er- klärt, wie man zu der Ansicht kam, dass das Chitin allmählig in das weiche Bindegewebe des Sarkolemma übergehe. Eine solche Continuität des Chitins mit Bindegewebe, oder, was das- selbe sagt, eine Chitinisirung, Erhärtung des Bindegewebes vom Muskel nach der Sehne hin findet in Wahrheit nicht statt. Soweit das Chitin sich erstreckt, so weit reicht auch die die Re- generation desselben bedingende chitinbildende Schicht; dureh dieselbe ist der Natur der Sache nach das Chitin von der sie umgebenden Bindesubstanz getrennt; noch um die Enden der Muskelbündel, soweit. Chitinröhren zwischen sie eingreifen, ist dieselbe mit Bestimmtheit nachzuweisen. Die Continuität zwi- schen Chitin und Bindesubstanz, welche an der Schale im Gro- ben zu bemerken, erhält sich also in der Sehne bis in ihre letzten Structurtheile. Nur in der Feinheit derselben ist der Grund für den scheinbar continuirlichen Zusammenhang zu suchen. !) 1) Der Ansatz der Muskeln an das Chitinskelet der Arthropoden ist, wie auch Häckel hervorhebt, allgemein so, dass das Bindegewebe des Muskels mit der bindegewebigen Unterlage des Chitinpanzers iu Continuität steht. Diess zeigt sich z. B. am Kiefermuskel, da wo er Beichert's u. du Bols-Reymond's Archiv. 1860, 9 130 - A. Baur: Die Ansicht, welche in der Sehne chitinisirte Bindesubstanz als Ausnahme statuirt, bedarf nach (dem Gesagten wohl kaum mehr einer Widerlegung. Der Chitingehalt der Sehne hat seinen Grund nicht in einer genetischen Beziehung ‘des Chitins, son- dern lediglich in der bisher nicht bekannten Structar. Das Chitin der Sehne hat, abgesehen von der Häutung, alle Eigenschaften des Chitins der Schale: es zeigt auf dem Querschnitt dieselbe Schiehtung aus homogenen Lamellen, dieselbe Resistenz gegen chemische Agentien,. dieselbe stellenweise Imprägnirung mit Kalksalzen, von welcher die Insertionsstelle am Kiefer, gerade wie die Gelenkstellen des Panzers, constant frei bleibt. Nur von der Innenfläche des Rückenschildes entspringt. Ist das Bindege- webe des Muskels vor dem Ansatz in einen Strang verlängert, so ha- ben wir ächte, aus reiner Bindesubstanz bestehende Sehnen, wie sie im Flusskrebs ebenfalls vorkommen. Denken wir uns aber in eine solche Sehne hinein auch von aussen her das Chitin der Schale ver- längert, und lassen wir diesen Fortsatz dichotomisch sich verästeln, so haben wir das Bild einer pinselförmigen Chitinsehne. Hierbei greift also die Substanz des Skelets in die Zusammensetzung einer Sehne mit ein. Das Verhältniss des Chitins zur Bindesubstanz ist in beiden Fällen dasselbe. Die beiden Substanzen sind durch die chitinbildende Schicht getrennt. Verstehen wir unter der Insertionsfläche eben diese Grenze zwischen Chitin und Bindesubstanz, so besteht die Eigenthüm- lichkeit der Muskeln mit Chitinsehnen in Bezug auf Ansatz darin, dass diese Grenze nicht an irgend einer Stelle des Querschnittes, z. B. am Uebergang in den Kiefer sich findet, sondern in der ganzen Län- genausdehnung der Selıne und ihrer Aeste an der Peripherie des röh- renförmigen Chitinfortsatzes hin sich erstreckt. Der mechanische Be- festigungspunkt der Sehne am Kiefer fällt also mit der Insertion in histo- logischem Sinn, mit der Stelle des Zusammenhangs zwischen Chitin und Bindesubstanz nicht zusammen. Letztere ist wie überall durch eine von Natur weiche und zerreissliche Schicht gebildet. Wäre auf den Punkt, auf welchen der Zug des Muskels sich concentrirt, zugleich die durch eine weiche Masse gebildete Grenze zwischen Chitin und Binde- substanz beschränkt, so könnte die Festigkeit des Muskels nur eine geringe sein. Nun ist aber die Fläche, auf welche sich jene Schicht in der Sehne erstreckt, eine verhältnissmässig sehr grosse und der Zug- richtung parallele. Offenbar ist es dieser Art der Vertheilung des an sich schwachen Zusammenhangs zwischen Bindegewebe und Chitin zu- zuschreiben, dass der Kiefermuskel durch auffallende Cohäsion mit dem Skelet sich auszeichnet. Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer der Flusskrebse u.s.w. 131 eine Eigenthümlichkeit zeigt das Sehnenchitin zum Unterschied von der Substanz anderer Skelettheile, und diese war es wohl, welche zur Annahme chitinisirter Sehnensubstanz be- sonders Veranlassung gab. Untersucht man einen der Chi- tinstäbe auf dem Längsschnitt bei stärkerer Vergrösserung, so zeigt sich eine sehr ausgesprochene Längsstreifung und das Chitin lässt sich diesen Streifen entlang ziemlich leicht in grö- bere und feinere Fasern spalten. Beides sind Eigenschaften, die man an Chitintheilen nicht gewohnt ist zu finden und die auf Aehnlichkeit mit Bindegewebe bezogen werden könnten. Es weicht zwar die grobe, dunkle unf fast geradlinige Strei- fung des Chitins von der zarten und gelockten Streifung der umgebenden Bindesubstanz bedeutend ab, es muss auch die Unveränderlichkeit jener Streifen gegen Essigsäure und Kali und der vollständige Mangel der Kerne sogleich auffallen. Dennoch kann dieses Verhalten, wie es durch Leydig und Häckel geschehen ist, für die Ansicht vorgebracht werden, wonach der mittlere Theil durch Chitinisirung, Verdichtung des peripherischen, weichen Bindegewebes unter Veränderung seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften, Schwinden der Kerne, hervorgegangen wäre. Es kann hierfür auch, wie es von den genannten Autoren geschehen ist, die Analogie der elastischen Substanz, die in ähnlicher Weise im Bindegewebe auftritt, angeführt werden, Der Nachweis der durch die ganze Sehne zwischen Chitin und Bindegewebe sich erstreckenden ebitin- bildenden Schicht und der damit zusammenhängenden completen Häutang ist an sich schon im Stande, jene Analogie zu zer- stören. Es kann überdies jene Texturähnlichkeit des Chitins mit Bindegewebe, die Streifung und Spaltbarkeit, aus den all- gemeinen Eigenschaften des Chitins, zusammengenommen mit der besonderen Structur der Selhne, erklärt werden. Wie überall wird in der Sehne das Chitin schichtweise ge- bildet. Die Lamellen bilden zusammen eine Röhre. Der Ring, den man auf dem Querschnitt findet, hat eine hierauf zu be- ziehende, concentrische Streifung. Die neue Ohitinröhre, welche sich bei dem jedesmaligen Skeletwechsel bildet, umschliesst die alte, ist daher weiter als diese, ihr Lumen entspricht dem 9° 132 A. Baur: Durchmesser der alten, welche ihrerseits kein offenes Lumen mehr hat. Ist die alte Sehne ausgestossen, so.redueirt sich das Lumen und der ganze Durchmesser. der neuen Röhre, ihre Wandungen legen sich, vorzugsweise von zwei Seiten, dicht an einander. Dies geschieht, indem die noch weiche, kalkleere Röhre der Länge nach in regelmässige Falten sich legt. Da- durch bekommt der Querschnitt seine zierlich gekräuselte Con- tour, und die Wellen desselben entsprechen den Streifen des Längsschnitte. Hat sich so die ursprünglich. glatte Röhre zu einem gerieften, etwas plattgedrückten Strange zu- sammengelegt, dann erst erfolgt die Imprägnirung, die Stei- fung durch Kalk. Die Sehne wird in ihrer neuen Gestalt bleis bend fixirt. Die Streifung und Längsspaltbarkeit, welche die Sehne von da an zeigt, lässt sich zur Evidenz auf eine Faltung homogener, concentrischer Lamellen zurückführen. Der Vorgang der Faltung ergiebt sich direet aus der Beob- achtung. Dass diese Faltung vielleicht unter dem Einfluss des Muskelzuges zu Stande kommt, liegt nahe zu vermuthen. Häckel hat dem Chitin der Sehne „die sonst so charakte- ristischen Porencanäle“ abgesprochen. : Auf dem Längsschnitt zeigt sich auch keine Spur davon, man sieht hier eben nur die besprochenen Faltenzüge; der Querschnitt aber zeigt neben den concentrischen, der Schiehtung angehörigen Streifen eine eben so deutliche, oder noch mehr in die Augen fallende radiale Sehattirung, es ist dieselbe wie sie an anderen Stellen des Chitinskelets auf dem Durchschnitt, also senkrecht auf die Oberfläche sich findet und überall auf durchsetzende Porenca- näle bezogen wird. An dem Sehnenchitin, überzeugt man sich, dass die radialen Streifen hier nicht von Porencanälen her- rühren. Vielmehr coineidiren sie mit den wellenförmigen Run- zeln der Ränder, welche sie auf dem Querschnitt verbinden, rühren also daher, dass die an der Oberfläche siehtbaren Fal- ten durch die ganze Dicke gehen, alle Lamellen in gleicher Weise betreffen, und dass die Reihen der quer durchschnittenen Falten optisch als radiale Streifen zusammenwirken. Der Um- stand, dass diese Streifung von der Dieke des Schnittes ab- hängt, auf den feinsten Schnittchen fast verschwindet, spricht Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer der Flusskrebse u.s.w. 133 für die Riehtigkeit dieser Deutung. Ohne das Vorkommen der Poreneanäle in Zweifel zu ziehen, dürfte] wenigstens die Frage aufgeworfen werden, ob nicht auch an anderen Stellen die auf Porencanäle bezogene Streifung eine ähnliche Erklärung zu- lasse, wie sie in dem Chitin der Sehne gefordert ist. Da hier Poreneanäle mit Bestimmtheit fehlen, so können sie keinenfalls als eine wesentliche Eigenschaft der Chitinhäute betrachtet werden. Ebenso verhält es sich mit dem Mangel der sogenannten Zellenabdrücke, auf welchen, als eine Abweichung vom Chitin, Häckel’sich ebenfalls beruft. Die zellige Zeichnung fehlt in dem Chitin der Sehne, wie sie an vielen Stellen des Haut- panzers fehlen kann oder einer anderen Zeichnung Platz macht, ein Beweis, dass dieses Aussehen nicht dem Chitin als gene- tische Eigenschaft, sondern dem in der Seulptur des äusseren Skelets mannigfach sich aussprechenden Gepräge der Thier- gattung oder Species angehört. Das Fehlen der Zellenabdrücke und Porencanäle in dem Chitin der Sehne beweist also eine Verschiedenheit von der Substanz des übrigen Skelets so we- nig als die Längsstreifung und Spaltbarkeit eine Verwandtschaft mit Bindegewebe. 2 Fassen wir das, was sich über die Structur der Chitinsehne und über die Beschaffenheit der sie eonstituirenden Substanzen ergeben hat, zusammen, so ist es Folgendes. Die sogenannte Chitinsehne ist ein nach innen gehender, ursprünglich röhrenförmiger, zu einem soliden Stab oder Strang zusammengelegter, pinsel- förmig verästelter Theil der allgemeinen Bedeckung. Die Sehne enthält sämmtliche Schichten des äus- seren Skelets in umgekehrter, concentrischer An- ordnung. Dabei hängt das Chitin der äusseren Schale mit dem inneren Chitinskelet der Sehne, die bindegewebige Unterlage der Schale mit der binde- gewebigen Umhüllung der Sehne, und diese nur mit dem Bindegewebe des Muskels continuirlich zu- sammen, Das Chitinskelet der Sehne wird bei der Häutung 134 A. Baur: wie die äussere Schale regenerirt, und als Ganzes im Zusammenhang mit der Krebsschale abgeworfen- Die Häutung erstreckt sich bis in die feinsten, an die Muskelbündel grenzenden Endäste, Continuität zwischen Chitin und Bindesubstanz findet sich nicht. Bis in die feinsten Aeste ist, wie überall im Skelet, zwischen beiden Bestandtheilen die chitinbildende Schicht ausgebreitet. Das Chitin der Sehne unterscheidet sich von dem des übrigen Skelets nicht. Die scheinbar fibrilläre Beschaffenheit, die Längsstreifung und Spaltbarkeit, rührt her vor der nach der Ausstossung des alten und von der Erhärtung des neuen Chitins erfolgen- den Zusammenfaltung der aus homogenen Lamellen geschichteten Chitinröhre. Wir haben auf die Bedeutung, welche den Chitinsehnen für die Gesammtauffassung des Chitins zugeschrieben wurde, schon im Anfang hingewiesen, es wurde gezeigt, wie sie als Stütze für die Leydig’sche und als Einwurf gegen die von Kölli- ker vertretene Ansieht betrachtet werden mussten. Es hat sich nun ergeben, dass diese Sehnen keineswegs in ihrer Substanz eine histologische Ausnahme, sondern als Sehnen eine Aus- nahme in der Struetur machen, dass sie im Uebrigen nur als ein eigenthümlich construirter Skelettheil aufzufassen sind, dass sofern sie ursprünglich hohl sind, das Chitin aueh hier nicht als parenchymatische Substanz, sondern als Bekleidung einer freien Fläche auftritt. Daraus folgt weiter, dass die Chitin- sehnen nicht mehr wie bisher als Beleg für eine be- stimmte Beziehung zwischen Chitin und Bindesubstanz ange- führt werden können, da diese Beziehung jedenfalls dieselbe ist wie überall im Skelet, dass dagegen das, was über die Ent- stehung und morphologische Auffassung des Chitins am Skelet überhaupt für richtig befunden ist, sich ohne Weiteres muss auch auf das Chitin der Sehne übertragen lassen. Endlich ist klar, dass, nachdem chitinisirte Sehnen im histologischen Sinne wegfallen, die Ansicht, welche in dem Chitin das Ausschei- dungsproduet eines Epitheliums sieht, vor derjenigen, welche Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer der Flusskrebse u.s.w. 135 dasselbe zu den Geweben der Bindesubstanz rechnet, aus den schon oben angeführten Gründen ungleich den Vorzug verdient. Wenn wir dennoch die erstere Auffassung nieht ohne Wei- teres adoptiren, sondern auf Grund der vorausgegangenen Un- tersuchung die beiden Ansichten noch einmal gegen einander halten, so geschieht es deshalb, weil die gemachten Beobach- tungen einige Gesichtspunkte geben dürften, welche bisher nicht genügend hervorgehoben, und vielleicht zur morphologischen Charakterisirung derChitinhäuteetwas beizutragen im Standesind. Wir finden in der Sehne des Kiefermuskels ein unzweifel- haftes Chitingebilde, ein Chitingebilde, das aber in einigen Be- ziehungen auffallend von anderen Skelettheilen abweicht. In- sofern ist uns die Sehne ein Mittel, um die Grenzen zu be- stimmen, innerhalb welcher das Chitin überhaupt variiren kann, ohne aufzuhören Chitin zu sein, oder mit anderen Worten, um die mehr zufälligen Eigenschaften von den überall wiederkeh- renden zu trennen, Da das Chitin der Sehne in allen anderen Beziehungen, im Bau und in der Bildung mit dem Chitin der Schale überein- stimmt, sich aber dadurch unterscheidet, dass es nicht Poren- eanäle und eine zellige Zeichnung, vielmehr Längsstreifung und Spaltbarkeit besitzt, so werden wir Porencanäle wie Fal- tenzüge, eine zellige, streifige, oder wieimmer be- schaffene Sculptur der Oberfläche als accidentelle, mit dem zoologischen Charaeter des Thieres oder der speciellen Function eines Skelettheiles zusammenhängende, mit beiden va- rürende Bigenschaften von den in dem Bau und der Bildung selbst begründeten und darum unveräusserlichen Merkmalen zu trennen haben. Dies sind eben diejenigen, welche auch die scheinbar differente Chitinsehne mit dem übrigen Skelet ge- mein hat, und sie reduciren sich nach dem Gesagten darauf, dass das Chitin immer als Grenzhaut auftritt, dass es aus einer wechselnden Anzahl homogener, überein- ander geschichteter Lamellen mit der bekannten Re- #istenz gegen chemische Agentien zusammengesetzt, und constant begleitet ist von einer weichen und dünnen, aus einer einfachen Lage von Kernen und 136 A. Baur: moleculärer Zwischenmasse bestehenden Unterlage. Da von letzterer nachgewiesenermassen die suecessive Bildung der Lamellen sowohl wie die periodische Regeneration der ganzen Haut ausgeht, so muss mit diesem Verhalten zugleich der genetische Charakter der Chitinhaut gegeben sein. Wie derselbe festzustellen ist, hängt ab von dem Verhält- niss, das man zwischen den Chitinlamellen und der darunter liegenden kernhaltigen Schicht anzunehmen geneigt ist. Hier sind zwei Fälle möglich. Entweder das Chitin ent- steht nach Art eines Gewebes durch allmählige Umwandlung jener Schicht, die dann als unreifes Chitin anzusehen wäre, oder das Chitin ist als zugehörige Grenzhaut in seiner Ent- stehung von der darunter liegenden weichen Schicht unmittel- bar abhängig, also direet von ihr gebildet. Betrachten wir die erste der beiden Möglichkeiten, so müsste nach dieser Voraussetzung die weiche, kernhaltige ‘Schicht, weil wir annehmen, dass sie die erste Bildungsstufe des Chi- tins ist, successiv mit allen ihren Bestandtheilen in die einzel- nen Chitinlamellen sich verwandeln; sie stände zu dem Chitin- panzer in demselben Verhältniss, wie die weiche Schieht unter dem Periost zu der geschichteten Knochensubstanz, eine Pa- rallele, welche z. B. v. Siebold!) gezogen hat und welche auch der Leydig’schen Ansicht zu Grunde liegt. Jede Chi- tinlamelle besässe hiernach eine eigene, auf die Formelemente der weichen Schicht zurückführbare Textur, wie eine solche einer Knochenlamelle zukommt. Wäre dies richtig, so müss- ten die Bestandtheile der kernhaltigen Schicht in den darauf folgenden Chitinlamellen sich noch vorfinden, wenn sie auch in den schon älteren allmählig in einer homogenen Masse unter- gegangen wären, mit anderen Worten, es müssten wenigstens die jüngsten Schichten untereinander eine morphologische Um- wandlungsreihe bilden. Die homogene Beschaffenheit der Chi- tinlamellen spricht an sich noch nicht gegen eine solche Ent- stehung, denn auch z. B. im Bindegewebe sehen wir glashelle Membranen als Endglieder der histologischen Ausbildung auf- 1) Vergl. Anat. S. 421. Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer der Flusskrebse u.s.w. 137 treten. Die Frage ist, darf das Chitin solchen Membranen gleichgestellt werden. Aus der bestimmten Beobachtung, dass, wie man beim Auftreten der ersten Chitinhaut an Embryonen von Krebsen, wie bei der späteren Regeneration ihrer Schale sieht, das Chitin als eben gebildete oder tiefste Schicht die- selbe homogene Beschaffenheit hat, wie als oberflächlichste, in der Abstossung begriffene; daraus, dass in der jüngsten so we- nig als in der ältesten Schicht sich jemals Kerne oder deren Reste eingeschlossen finden, dass vielmehr die kernhaltige Schicht constant und auch bei der Regeneration nur eine einfache Lage ist: daraus folgt, dass die Lamellen der Chitinhaut weder unter sich, noch mit der kernhaltigen Schicht in einer histologischen Reihe liegen, sondern alle von derselben in gleichem Grade verschieden sind. Die kernhaltige Schicht darf also nicht als unreifes Cbitin angesehen werden, wie eine mikroskopisch ähn- liche Substanz als unreifes Bindegewebe gedeutet werden könnte. Das Chitin bildet sich überhaupt nicht wie ein Gewebe und eine Textur kommt seinen Lamellen im strengen Sinne nicht zu. Dies sind die Gründe, warum wir glauben, dass die Zurück- führung des Chitins auf Bindegewebe nicht nur mit dem Ver- halten der Chitinsehnen, sondern mit dem der Chitinhäute überhaupt sich nicht verträgt. Es bleibt die zweite Möglichkeit der Auffassung übrig, wo- nach die Chitinlamellen als unmittelbar gebildet von der dar- unter liegenden Schicht, das Chitin im Allgemeinen als ein " Ausscheidungsproduet oder wenigstens als eine Extracellular- substanz zu betrachten ist. Es ist dies die von Häckel und Kölliker aufgestellte Ansicht. Ohne die wesentliche Aufklärung, welche dieselbe über die Natur der Chitinhäute gegeben hat, zu verkennen, erlauben wir uns nur dagegen einige Bedenken zu erheben, wenn das Chitin innerhalb dieser einmal feststehen- den Auffassung bald als erhärtetes Secret oder einseitige Zel- lenausscheidung, bald als secundäre Zellmembran, bald endlich als Cutieularbildung eines Epitheliums!) bezeichnet wird, Beden- ken, welche übrigens schon von Reichert?) ausgesprochen sind. I) Vergl. Häckel und Kölliker a. d. a. O. 2) Müller’s Archiv, 1857. Jahresbericht $. 12, 138 A. Baur: Als Ausscheidungsproducte von Zellen oder als Extracellu- larsubstanzen werden jetzt Bildungen verschiedener Art zusam- mengefasst. Wir kennen als solche die Cellulosekapsel der Pflanzenzellt selbst, und die dünne die Pflanzenzellen an der Oberfläche überziehende Cutieula, die Intercellularsubstanz der thierischen Gewebe, die flüssigen oder festeren, wirklichen, von Epithelien gelieferten Seerete, und endlich die an den Epithel- zellen selbst auftretenden, oft hautartig zusammenhängenden Verdiekungen in Form feiner, gestreifter Säume, Letztere wur- den vorzugsweise mit dem der Pflanzenanatomie angehörigen Namen Cuticula bezeichnet und dann die Bezeichnung Outicu- larbildung auf die Chitinhäute ausgedehnt. Wenn wir das Chitin zunächst allgemein als Extracellular- substanz ansehen und damit unter eine so Verschiedenes um- fassende Kategorie stellen, so haben wir die Verpfliehtung, die Punkte aufzusuchen, durch welche es sich von den anderen Bildungen unterscheidet, ehe wir es mit einer derselben und diese wieder unter einander zusammenwerfen. Wir stellen uns also die Aufgabe, die Chitinhäute gegenüber den anderen ihrer Natur nach bekannten Extracellularsubstanzen zu charakteri- siren. Dabei muss sich ergeben, ob wir für die Chitinhäute als eigenthümliche Bildung Unterschiede genug übrig behalten, oder ob sie mit einer der genannten Bildungen morphologisch zu- sammenfallen. Vom morphologischen Standpunkt ist festzuhalten, dass die Chitinhaut als äusseres Skelet an dem Gesammtbau des Kör- pers und der Structur einzelner Organe, wie wir gesehen ha- ben, selbst bis in’s Einzelne participirt. Die Chitinhaut kann also den Charakter eines morphologischen Bestandtheiles nie aufgeben. Gegen die Bezeichnung als Secret ist einzuwenden, dass wir unter Secreten eben diejenigen Stoffe verstehen, welche durch den Stoffwechsel aus dem morphologischen Verband aus- geschlossen sind. Ehe wir die Chitinhäute mit Cuticularbildungen d. h. ver- diekten Säumen der Epithelzellen zusammenstellen dürfen, muss die Frage beantwortet sein, ob wir der Beobachtung gegen- über Recht haben, die chitinbildende Schieht ein Epithelium zu nennen, Die weitere Frage, ob es, dies vorausgesetzt, erlaubt Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer der Flusskrebse u.s.w. 139 ist, die so untergeordnete, für den morphologischen Charakter der Epithelien nicht zu verwerthende Erscheinung der gestreif- ten Säume auf eine so typische Bildung, wie der Chitinpanzer ist, zu übertragen, lassen wir dahingestellt. Die Entscheidung darüber, ob die chitinbildende Schicht ein Epithelium zu nennen, wird verschieden ausfallen, je nachdem man die Grenzen des Epitheliums weiter oder enger zieht. Dass die chitinbildende Schicht, wenn wir von Zellmembranen oder der Isolirbarkeit einzelner Zellen absehen, die Bestand- theile einer einfachen Zellenlage enthält, steht fest. Ist aber nach unseren jetzigen Vorstellungen nicht ein wesentliches Er- forderniss für die Annahme eines Epitheliums das Abgegrenzt- sein oder die Isolirbarkeit der einzelnen Zellen? Geben wir dieses Merkmal auf, so bleibt für den Charakter des Epithe- liums nur noch die Bekleidung freier Flächen, und es handelt sich eben darum, ob die Bekleidung der freien Flächen bei den Arthropoden in derselben Weise wie z. B. bei Wirbelthieren, d. h. durch. ein Epithelium, oder in anderer Weise geschehe. Sicher ist, dass die chitinbildende Schicht nicht in einzelne Zellen sich zerlegen lässt, nicht nothwendig eine zellige Ak- grenzung zeigt, und dass auch da, wo in der Chitinhaut eine zellige Zeichnung auftritt, es weder durch mechanische noch chemische Mittel gelingt, dieselbe in Zellen entsprechende Fel- der zu zerlegen, welche dann die einzelnen verdickten Säume der Epithelialzellen wären. Wir glauben daher, dass eben diese Continuität, welche sich an der Chitinhaut wie an der chitin- bildenden Schicht in gleicher Weise wahrnehmen lässt — mit dem Unterschied, dass erstere eine chemisch und mechanisch höchst resistente Membran, letztere eine weiche und dünne, schon durch Wasser zerstörbare Masse darstellt — dass diese Continuität eine Eigenschaft ist, die bei der Charakterisirung nicht vernachlässigt werden darf, dass eine Eigenthümlichkeit des Ohitinskelets darin liegt, dass es nicht zu derjenigen histo- logischen Sonderung gekommen ist, vermöge der wir an Haut- und Schleimhautüberzügen anderer Thiere Zellen isoliren, und ein Epithelium annehmen. ') I) Es folgt hieraus, dass es nicht erlaubt ist, Anhänge des Chitin- panzers, wie Haare und Schuppen u,s, w. auf einzelne ausgewachsene 140 A. Baur: Das Gesagte dürfte es rechtfertigen, wenn wir die Zerlegung des Chitinskelets in Epithelzellen mit einseitig verdickter Mem- bran, die Bezeichnung des Chitins als einseitige Ausscheidung für eine nicht ganz dem Sachverhalt entsprechende halten. Wir glauben dabei stehen bleiben zu müssen, wenn wir die Chitin- haut als eontinuirliche, aus homogenen Lamellen zusammenge- setzte, chemisch resistente Haut und die chitinbildende Schieht als eontinuirlichen, nicht weiter zerlegbaren Zelleneomplex er- kannt haben. Bringen wir, wie wir es müssen, beide in Be- ziehung zu einander, so dürften zunächst Chitinpanzer und chi- tinbildende Schicht als zusammengehörige Theile eines morpho- logischen Ganzen, der skeletbildenden Schicht des Arthropo- denkörpers, und in dieser das Chitin als gemeinschaftliche, geschichtete Membran .oder Kapsel eines das Körperparenchym überall begrenzenden, histologisch nicht weiter ie Zellencomplexes zu bezeichnen sein. Wir denken uns dabei immer die skeletbildende Schicht als allseitige Begrenzung des Körperparenchyms an der gesammten Gliederung des Körpers sowohl, wie an der Structur seiner einzelnen Theile partieipi- rend. Eine weitere Reduction dieser Schicht, die nieht mög- lich ist durch Zerlegung in histologische Bestandtheile, kann also nur geschehen durch‘ Reduction des gesammten Körper- baues. Wir können die chitinbildende Schicht uns immer mehr vereinfachen und schliesslich auch auf eine Zelle zurückführen, aber nur indem wir gleichzeitig das gesammte Körperparenehym redueiren. Wenn wir das Chitin als Umhüllung einer einzelnen Zelle betrachten, so haben wir in dieser Zelle das gesammte Körper- parenchym implieite enthalten, und das Chitin behält seinen Charakter als allseitige Umhüllung auch dann noch, ' Indem wir so redueiren, gehen wir nicht auf die histologische Bildung, Zellen zurückzuführen, wie es von Semper und Häckel geschehen ist. Sie sind vielmehr Auswüchse oder Structurtheile der ganzen Schicht, wobei es nur von der Grösse abhängt, wie viele Kerne. der chitinbildenden Schicht in einen solchen Fortsatz eingehen. Die fein- sten Haare enthalten in ihrer centralen ebitinbildenden Eiati gar keinen Kern mehr. h hi Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer der Flusskrebse u.s.w. 141 sondern auf die morphologische Entwickelung des Gesammt- baues zurück. Es ergiebt sich zugleich aus dieser Betrachtung, dass die Chitinhaut ihr Analogon finden kann in der Membran oder Kapsel einer Eizelle, vorausgesetzt, dass diese Hülle von der letzteren selbst gebildet ist. Wir sehen in dem Chitin unzweifelhaft eine Extracellular- substanz, welche an dem Gesammtbau des Körpers und selbst der feinsten Structur seiner Organe sich betheiligt, eine Extra- eellularsubstanz, welche am entwickelten Thier nicht einer Zelle angehört, sondern einem Complex, einem Multiplum von Zellen von Anfang an gemeinschaftlich ist. Durch ersteren Charakter unterscheidet sich das Chitin von. Seereten jeder Art, durch letzteren einerseits von der Cellulosekapsel der Pflanzenzelle, andererseits von der Intercellularsubstanz thierischer Gewebe. Eine Vergleiehung der Chitinhaut mit der Cellulosekaspel der Pflanzenzellen, wie sie schon von Häckel, wenn auch in eiwas anderem Sinne!) angestellt wurde, ist insofern lehrreich, als sie zeigt, wie auch hier eine als Ausscheidung .betrachtete Membran an der Structur sich wesentlich betheiligt. Auch die auf suecessive Bildung zu beziehende Schichtung findet sich hier wieder. Der Hauptunterschied ist vom morphologischen Standpunkt immer der genannte, dass nämlich die Kapsel in der Pflanze immer nur einer einzelnen Zelle angehört. Mit der Intercellularsubstanz thierischer Gewebe wurde das Ohitin von Kölliker?) zusammengestellt. Auf die Nothwen- digkeit beide Bildungen zu unterscheiden, ist schon von Rei- chert?) hingewiesen worden. Die Intercellularsubstanz eines Gewebes geht mit ihren Zellen einen gemeinschaftlichen Bil- dungsgang ein, steht in einem morphologischen Verband mit ihnen, den wir eben ein Gewebe nennen. Es liegt in der Natur dieses Verbandes, dass, wie wir z. B. am Knorpelge- webe sehen, beim Wachsthum des Ganzen die Intercellularsub- Stanz einer continuirlichen Vermehrung, eines Wachsthums durch Intussusception fähig ist; und wir müssen daraus schliessen, dass die Extracellularsubstanz im beständigen Stoffverkehr mit ihren Zellen bleibt. In solchem Verband. steht die Chitinhaut mit.der ehitinbildenden Schicht nicht. Der Unterschied zeigt sich eben in der Art des Wachsthums und der damit zusam- menhängenden, eigenthümlichen Erscheinung der Häutung. Das Wachsthum einer Ohitinhaut in die Dicke erfolgt durch Apposition von Lamellen; die einmal gebildeten Lamellen sind nicht fähig, durch Intussusception zu wachsen. Die Chitinhaut ist also nicht im Stande, als solche dem Wachsthum des Kör- pers oder eines Organs zu folgen, gondern nur, indem sie ab- 1) Häckel vergleicht nämlich a, a. O. S. 529 die skeletbildende Schicht als Chitinogengewebe mit dem Pflanzengewebe. 2) A. a, 0. 8. 96 Mi. 3) Müller’s Archiv, 1857; Jahresbericht S. 12— 15. 142 A. Baur: geworfen und total durch eine umfangreichere ersetzt wird. Die Häutung ist also nicht eine Erscheinung, des Stoffwechsels in der Chitinhaut an sich, sondern ein Phänomen des Wachs- thums, das auf die Vergrösserung der Organe zu beziehen ist, als deren Structurtheil das Chitin auftritt. Dass die Häutung mit dem Wachsthum des ganzen Thieres zusammenhängt, ist eine bekannte Sache und folgt schon aus der Beobachtung, dass sie um so häufiger, je rascher das Wachsthum, dass sie aufhört, wenn das Wachsthum eines Arthropoden .beendigt ist. Milne Edwards erklärt die Nothwendigkeit der Häu- tung der Crustaceen mit den Worten: „car si l’animal ne changeait souvent de peau, l’enveloppe solide qui le renferme opposerait bientöt des obstacles invineibles A son accroissement.‘* Dass diese Erklärung nicht vollkommen genügend, dürfte dar- aus hervorgehen, dass auch weiche Chitinbäute der Häutung unterliegen, und wir andererseits z. B. in den Knochen eine starre Substanz haben, welche ein continuirliches Wachs- thum zeigt. Eine mehr befriedigende Erklärung des Phänomens der Häu- tung hat schon Reaumur gegeben. Er sagte: „l’Ecerevisse se de- pouille tous les ans par ce qu’elle croit et que son habit ne croit pas.“ Reaumur gründete diese Vermuthung auf eine von ihm gemachte Beobachtung. Er wies durch Messung nach, dass jeder Theil eines gehäuteten Krebses beträchtlich umfangreicher ist, als die Schale, die er verlassen hat, und machte auch auf die Häutung als eine allgemeine Eigenschaft des Arthropoden- skelets aufmerksam. Man sieht aus der hierauf bezüglichen Stelle,') dass schon Reaumur nicht nur die Häutung aus der 1) Memoires de l’Academie des Sciences. 1718. S. 271: „On ne voit pas non plus qu'elle (la nouvelle &caille) augmente dans la suite en €paisseur; peut-etre möme ne croit elle plus en aucun autre sens et que de lä vient que les Ecrevisses sont contraintes 4 muer tous les ans. Leur habit devient trop court et trop £troit; il les gene, il faut qu'elles le quittent. Cette conjecture parait fortifite par une obser- vation que j’ai faite. J’ai remarque que chaque partie d'une Ecrevisse qui amue& depuis peu est considerablement plus grande en tout sens, que le fourrean qu'elle a quitte, J’ai mesure des cornes ou antennes et des jambes et les fourreaux ot les unes et les autres avaient &te logees, et j’y ai trouv& une grande difference. J'ai trouv& qu’elles sur- passaient au moins d’un cinqui&me la longueur de l’£tui qu’elles avaient abandonne. Il s’ensuit que l’aceroissement d'une Ecrevisse se fait assez lentement; car elle n’a crü dans chaque annee que de ce que le vo- lume de la nouvelle &caille surpasse celui de l’®caille qui a &te quittee quelques jours auparavant. Au reste c'est une chose commune aux Ecrevisses avec quantit® d’Inseetes, de se depouiller tous les ans, sans parler de la plupart des Inseetes qui se metamorphosent, ä qui il arrive m&me dans les &tats qui precedent un changement de figure, de se depouiller d’une peau. Les Araignees quittent leurs peaux et cette mue ressemble assez a celle des Ecerevisses. — Enfin 's’il est sür que la premiere peau, que l’epiderme de la plupart des animaux n’ait m Ueber den Bau der Chitinsehne am’ Kiefer der Flusskrebse tı.s.w. 143 Unfähigkeit der Chitinbedeekung, mit dem Körper zu wachsen, erklärt, sondern auch auf Grund dieser Erklärung die Häutung als einen Beweis dafür angesehen hat, dass jene Substanz keine Organisation besitze. Gemäss der damaligen Ansicht von der Bildung der Epidermis verglich er die Häutung der Arthropo- den mit der beständigen Abschuppung einer Epidermis. Nach- dem in der Epidermis ein Gewebe erkannt war, wurde Anfangs ein ähnliches in der Bedeckung der Arthropoden vermuthet.!) Wenn heutzutage ein Vergleich weder in diesem Sinne noch in dem ursprünglichen Reaumur’s mehr zugegeben werden kann, so behält doch das, was Reaumur aus der totalen Häu- tung der Krebse geschlossen hat, seinen vollen Werth auch dann, wenn wir in Folge der mikroskopischen Untersuchung das Chitin nicht, wie die Epidermis, in Zellen zerlegen, sondern in seiner Bildung auf Zellen beziehen. Nennen wir es Extracellu- larsubstanz, Zellenhülle oder Zellenexcret, wir müssen es immer noch als der Häutung unterworfen, eines eontinuirlichen Wachs- thums nicht fähig, von den mit den Zellen in organisirtem Ver- band stehenden, ein Gewebe bildenden Substanzen unter- scheiden. Wir finden also, dass die Chitinhaut eine Bildung eigen- thümlicher Art ist, welche morphologisch von der Intercellular- substanz eines Gewebes eben so bestimmt zu trennen ist, wie von einem blossen Secret oder einer accidentellen Outieular- bildung. Das Unterscheidende liegt, wenn wir zusammenfassen, darin, dass das Chitin als gemeinschaftliche, schichtweise ge- bildete Extracellularsubstanz eines das Körperparenchym all- seitig begrenzenden Zellencomplexes au dem Gesammtbau des Körpers und der Structur einzelner Theile sich wesentlich be- theiligt, ohne mit den Zellen, von denen seine Bildung abhängt, einen eigentlichen Texturverband einzugehen. Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf den Gang der Untersuchung zurück. Sie hatte es zunächst mit der Bestim- mung eines zweifelhaften Chitingebildes, der Chitinsehne, zu hun. Die Häutung, als das am meisten in die Augen fallende Phänomen, war es, wovon wir ausgingen, Die Häutung steht wieder in nothwendiger Beziehung einerseits dazu, dass das Chitin nur als Bekleidung freier Flächen auftritt und in’s In- nere des Leibes nur als Hohlgebilde und Dependenz der äus- seren Bedeckung dringen kann, andererseits im Zusammenhang _ mit der eigenthümlichen Entstehung und dem eigenthümlichen Wachsthum, vermöge deren das Chitin nicht als parenchyma- aucune organisation, qu'il ne soit qu’un suc £paissi comme le pensent tous les anatomistes; cet &piderme ne syauroit croitre, nous ne scau- rions eroitre nous mömes, sans nous en deponiller.; Cette depouille se fait par parties et non pas tout ü la fois comme celle des Kerevisses pres que notre Epiderme est plus mince et plus fragile que le leur.“ 1) Vergl. z. B. V, Carus, System der thier, Morphol. S. 93. 144 A. Baur: Ueber den Bau der Chitinsehne am Kiefer u. s. w: tische Substanz oder Gewebe auftreten kann. An die Beob- achtung der Häutung reihte sich daher die Structur der Sehne als Hohlgebilde und Theil des Chitinskelets, sowie die gene- tische Uebereinstimmung des Chitins der Sehne mit dem der Schale nothwendig an. Insofern ist die Chitinsehne der beste Beleg dafür, wie alle die angeführten Grundeigenschaften des Chitins auf's Innigste verknüpft sind, keine derselben verloren gehen kann, so lange wir überhaupt ein ächtes Chitingebilde vor uns haben. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Rechte Hälfte des Cephalothorax eines in der Häutung begriflenen Flusskrebses, dicht hinter der Mandibel durchgeschnitten und 6 mal vergrössert, am das Verhalten der Chitinsehne des Kiefer- muskels bei der Häutung zu zeigen. Die Kinnlade ist aus ihrer alten Schale herausgezogen und damit die Sehne an ihrem alten Chitinskelet etwas zurückgestreift. > A Rückenschild unter Bildung einer Duplicatur in das den Kiefer tragende Integument der Bauchseite übergehend. a Alte Schale. a’ Cutis mit neuer Schale. B Mandibel von hinten gesehen. b Alte Schale derselben. b’ Mandibel mit neuer Schale, C Pinselförmige Sehne des Kiefermuskels. ce Altes Chitinskelet. ec’ Sehne mit neuem Chitinskelet, das vorige röhren- förmig umfassend. Beide e und ce’ trichterförmig in das alte und neue Inte- gument der Bauchseite übergehend. Man sieht an der ganzen Figur den continuirlichen Zusammen- bang aller mit a, b, ce, sowie aller mit a’, b’, e' bezeichneten Thaile. Fig. 2. Das ganze, in der vorigen Figur nur zum kleineren Theil sichtbare, pinselförmige Chitinskelet, wie es zur Zeit derHäutung aus der röhrenförmipen Sehne sich herausziehen lässt und im Zusammen- hang mit der Schale abgeworfen wird; 12 mal vergrössert. Fig. 3. Querschnitt durch den Schaft der in der Häutung begrif- fenen Sehne, 120 mal vergrössert. a Bindegewebige Umhüllung. b Chitinbildende Schicht, angedeutet. ce Alte, in Falten gelegte Chitinröhre. e’ Neue, noch fast glatte Chitinröhre. Pac Fig. 4. Ansatz eines Sehnenästchens an ein Muskelbündel, bei 300maliger Vergrösserung. a Bindegewebige Hülle, in das Sarkolemma sich fort- setzend, ausgekleidet von der b Chitinbildenden Schicht. © Endverzweigung einer Chitinröhre. Nach unten sind die Schichten a und b entfernt. Chitin und chitinbildende Schicht hören bei f auf, während das Bindegewebe in das Sarkolemma- sich fortsetzt. A. W. Volkmann: Erwiederung auf E. Weber’s Abhandlung. 145 Erwiederung auf die im Schlusshefte des Müller- schen Archivs gegen mich gerichtete Abhandlung E. Weber’s über Muskelreizbarkeit. Von A. W. VOLKMAnN. Ich habe gegen die von E. Weber angestellten Muskel- versuche ein Bedenken erhoben, welches für die Theorie der Muskelreizbarkeit zu wichtig ist, als dass die Frage über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit desselben auf die Dauer unent- schieden bleiben dürfte. Weber begründet seine Elasticitätslehre auf Versuche, in welchen er den lothreceht aufgehängten Muskel durch Anhän- gung eines Gewichts erst verlängert und dann reizt, um auf diese Weise zu ermitteln, welche Länge der thätige Muskel unter dem Einflusse einer bestimmten Zugkraft habe. Er be- hauptet, es sei gleichgültig, ob man, wie angegeben verfahre, oder ob man dem Muskel die dem Reize vorausgehende und unter den natürlichen Verhältnissen nicht vorkommende Reckung erspare. Ich dagegen behaupte und glaube bewiesen zu haben, dass dies nicht gleichgültig sei. Wenn ich nämlich vergleichende Versuche anstelle, in denen ich einmal dem angehängten Ge- wicht gestatte, den Muskel vor Anwendung des Reizes zu deh- nen und dadurch über sein natürliches ‚Mass zu. verlängern (a Methode), das andere Mal dagegen eine solche Dehnung mittels einer unter dem Gewichte angebrachten Stütze verhin- dere (b Methode), so erhalte ich für die Länge des verkürzten und belasteten Muskels constant verschiedene Werthe und zwar bei Anwendung der 5 Methode, welche‘ die unnatür- liche Reckung des Muskels vermeidet, constant kleinere. Beichert's u. du Bols-Reymond's Archiv. 1860, 10 146 A. W. Volkmann: Weber bietet nun alles auf, um diese, die Gültigkeit seiner Folgerungen wesentlich beschränkende Differenz, als nicht be- stehend darzustellen. Ich will auf die Gründe, die er gegen die Zulässigkeit meiner bisherigen Versuche erhoben und meine ausführliche Erwiederung in Müller’s Archiv 1858 8. 215 nicht zurückkommen, sondern nur auf die Einwürfe kurz antworten, die er mir in seinem letzten Aufsatze gemacht hat. Weber glaubt einen neuen, tief eingreifenden Fehler meiner Versuche darin zu finden, dass ich den Muskel nicht durch Tetanisiren in gleichförmig fortdauernde Zusammenziehung, sondern durch einen Inductionsschlag in momentane Zuckung versetzt habe. Obschon ich die Behauptung, dass Zuckungs- versuche in der von mir behandelten Frage unangemessen seien, entschieden in Abrede stelle, so will ich doch, um Weitläuftig- keiten zu vermeiden, von jeder Erörterung hierüber absehen, Erörterungen, welche nach Allem, was Helmholtz für das Verständniss der Zuckungscurve gethan, ohnehin überflüssig sein dürften. Dagegen ist hervorzuheben, dass ich die Mus- keln nicht blos durch Inductionsschläge, sondern auch durch Tetanisiren gereizt habe (z. B. in allen meinen e und e Ver- suchen) und dass sich nicht blos in zuckenden, sondern auch in anhaltend contrahirten Muskeln die oben erörterte Differenz der @ und 5 Methode sehr constant herausgestellt hat. Aber Weber will auch die Versuche, welche ich an tetanisirten Muskeln angestellt habe, nicht gelten lassen und zwar deshalb nicht, weil ich das Gewicht am unteren Ende des Muskels durch Binden befestigt und wahrscheinlich durch Einschnüren der ‚Faserenden die Function der. Fasern im Ganzen ge- stört habe. Hiernach reducirt sich die Weber’sche Opposition auf den Vorwurf, dass ich das Gewicht in unzulässiger Weise am’Mus- kel befestigt, ein Vorwurf, der entweder gar nicht zur Sache gehört, oder zu behaupten beabsichtigt, es sei der von mir wahrgenommene Längenunterschied der « und 5 Muskeln ein künstlieher und eben nur durch die fehlerhafte Befestigung der Gewichte hervorgerufener. Die Unhaltbarkeit eines solchen Einwurfs ergiebt sich sogleich, wenn man bedenkt, dass ich | | | | | . | | | | Erwiederung auf E. Webers letzte Abhandlung. 147 unter allen Umständen,‘also bei Anwendung der a Me- thode eben so wohl als bei Benutzung der 5 Methode, das Ge- wicht durch Binden am Muskel befestigt hatte. Unmöglich kann das, was in den ursächlichen Bedingungen sich gleich ist, der Grund dessen sein, was in den Folgen sich ungleich ist. Vielmehr muss der Längenunterschied der a und 5 Muskeln von irgend welcher Verschiedenheit der Causalbedingungen ab- hängen, und da die a und 5 Versuche nur darin von einander abweichen, dass der eine Muskel durch das ihm angebundene Gewicht eine Reckung erfahren, der andere dagegen nicht, so kann auch jener Längenunterschied nur hierauf bezogen werden. So einleuchtend dies ist, so habe ich doch den Einwurf Weber’s noch einer experimentellen Prüfung unterwerfen wollen. Im Nachstehenden theile ich ein Paar Versuchsreihen mit, in welchen die Muskeln tetanisirt und die Gewichte an denselben durch einen Haken befestigt wurden. Versuchsreihe I. Die Versuche werden am Zungenmuskel des Frosches an- gestellt, nachdem derselbe an seiner Eintrittsstelle in die Zunge abgeschnitten worden ist. Am oberen Ende ist derselbe mit- tels der Glottis aufgehangen und durch das untere Ende ist der eine Schenkel eines Sförmigen, Hakens geführt, dessen zweiter Schenkel zum Anhängen des Gewichtes, ‚dient. ‚Nach- dem diese Vorbereitungsmassregeln getroffen worden, stellte ich Reizversuche an, theils am unbelasteten Muskel, theils am be- lasteten, und zwar die am belasteten abwechselnd nach der a und 5 Methode, um die Wirkungen: beider vergleichen zu kön- nen. Als elektrische Apparate benutzte ich ein Bunsen’sches Element und den Schlitten von du Bois. — In nachstehender Tabelle finden sich unter der Rubrik „Versuchsmethode“ dieje- nigen Versuche, welche am unbelasteten Muskel angestellt wur- den, mit bezeichnet. 10* 148 A. W. Volkmann: Versuchs- > Länge des Muskels Versuch hthode arg Fe Atide a Grm. Mm. Mm. 1 u 0 28,7 95 2 b 10 28,8 17,3 3 a 10 40,1 22,9 4 b 10 28,2 20,5 5 u 0 27,9. 13,2 6 b 10 28,3 21,9 7 a 10 40,0 28,0 8 b 10 28,4 24,8 9 u 0 28,0 13,3 10 b 10 27,7 26,6 1 a 10 41,2 35,2 12 b 10 28,7 27,9 13 u 0 28,2 15,0 14 b 5 29,0 25,1 15 = 5 38,5 29,0 16 b 5 28,7 26,3 17 u 0 27,8 15,8 18 & 5 28,2 26,5 19 a 5 38,0 31,0 20 b 5 28,3 27,5 21 u 0 28,3 17,3 Nach Ausgleichung der Ermüdungseinflüsse kommt man auf folgende Werthe: Berechnung der Versuchsreibe I. Ermüdungsstufe Länge (des thätigen Muskels der — —— Versuche unbelastet b Methode a Methode Mm. Mm, Mm. 3 11,35 18,90 22,9 7 13,25 23,35 28,0 11 14,15 27,25 35,2 15 15,40 25,7 29,0 19 15 | 270 31,0 im Mittel: 14,16 | 24,45 29,22 Erwiederung auf E. Weber’s letzte Abhandlung. 149 Es ist also der Einfluss der Versuchsmethode auf die Länge des belasteten thätigen Muskels, trotz der Anwendung des Weber’schen Hakens ein sehr auffälliger. Auch ist zur Nach- weisung desselben die Ausgleichung der Ermüdungseinflüsse nicht nothwendig. Man braucht nur die Länge, welche der Muskel in einem 5 Versuche hat, mit der Länge zu verglei- chen, welche er in einem unmittelbar vorhergehenden a Ver- suche hatte, so findet man, dass der 5 Muskel jedes Mal der kürzere ist. Diese grössere Kürze des 5 Muskels hat aber zu Gunsten meiner Behauptung doppelte Beweiskraft, weil eben in Folge der Ermüdungseinflüsse die Länge desselben grösser als die des a Muskels sein sollte. Versuchsreihe II. Die Versuche sind wieder am M. hyoglossus des Frosches und genau unter denselben Bedingungen wie in der. vorigen Reihe angestellt worden. v h Versuchs- | eu | Länge des Muskels su elastun — on methode | 5 | daledälle) date Grm. Mm. Mm. 1 u 0 23,0 10 2 b 10 28,3 15,9 3 a 10 34,8 18,05 4 b 10 29,0 17,25 5 u 0 28,3 11,8 6 b 10 28,5 17,8 7 a 10 35,25 19,95 8 b 10 28,9 19,3 9 u 0 28,1 12,9 10 b 10 28,1 19,4 1 a 10 35,6 21,8 12 ‚b 10 28,35 20,95 13 u 0 27,79 14,25 a b 10 28,0 22,5 15 a 10 35,9 29,6 16 b 10 28,4 25,3 _ er = o & - 15,3 150 A. W: Volkmann: _ Versuchs- | Länge des Muskels Versuch Belastung "| ————— Bine ruhend: ı | thätig Grm. Mm. Mm, 18 b 10 | 28,5 OT 19 a 10 35,5 32,4 20 b 10 | 28,8 28,5 21 u 0 23,0 17,1 22 b 5 28,75 25,4 23 a 5 34,25 30,25 24 b 5 28,9 26,9 25 u 0 23,5 17,75 “3 b 5 29,0 27,6 27 a 5 34,2 | 31,5 = b 5 29,5 28,5 2 u 0 29,7 | 20,1 Nach‘ Ausgleichung der Ermüdungseinflüsse erhält'man fol- gende Werthe: Ermüdungsstufe Länge des thätigen Muskels im — en —— Versuch unbelastet | 6 Methode | «a Methode Mm. Mm. Mm. 3 10,90 16,58 18,05 7 12,35 18,55 19,95 11 13,58 20,18 21,80 15 14,78 23,90 29,60 19 16,20 27,80 32,40 23 17,43 26,15 30,25 27 18,93 28,10 31,50 im, ‚Mittel: 14,88 23,04 26,21 Vorstehende Versuche bestätigen die früher von mir: ange- stellten vollständig und beweisen also, dass der Längenunter- schied der a und 5 Muskeln, dessen; constantes |Dasein ich nieht blos mittels flüchtiger, sondern auch mittels anhaltender Reize gefunden, durch mein Anbinden der Gewichte am unter- sten Muskelende nieht hervorgebracht worden war. Da dieser Nachweis wohl nur Wenigen unerwartet kommen dürfte, so Erwiederung auf E. Weber’s letzte Abhandlung. 151 unterlasse ich es, von den vielen entsprechenden Versuchen die ich angestellt habe, noch mehrere vorzulegen, und gehe zur Beschreibung einer Versuchsreihe von weiter reichendem In- teresse über. Versuchsreihe II. Die zum Versuche benutzten Muskeln sind diesmal nicht die von Weber empfohlenen Hyoglossi, sondern die Geniohyoidei des Frosches. Die Muskeln werden so präparirt, dass sie einer- seits mit dem Zungenbeine und durch dieses mit dem Kehl- kopfe, andererseits mit der Symphyse der beiden Unterkiefer- stücken in Verbindung bleiben. Sie werden also nicht, wie die Hyoglossi an der Zungenwurzel, durchgeschnitten, was den eontractilen Fasern kaum förderlicher sein dürfte als das ver- pönte Anbinden ‚der Gewichte, und gewähren für die Befesti- gung des Muskels am Myographion geeignete Haltpunkte, , Die Glottis dient nämlich zum Aufhängen des Präparates, wie bei Weber, während das Gewicht (in den nachstehenden Versu- chen = 15 Gramm) mittels eines Hakens, welchen ich zwischen den beiden Geniohyoideis hindurehführe, an dem, Kinnstück des Unterkiefers angehangen wird. Auf diese Weise wird nicht nur jede Verletzung des Muskels vermieden, sondern auch dafür gesorgt, dass alle Bündel desselben mit gleicher Kraft vom Gewicht gedehnt werden und ihrerseits dasselbe mit glei- cher Kraft emporheben.') Ich mache nun «a und 5 Versuche am tetanisirten Muskel und benutze das Kymographion zum Aufzeichnen der Muskel- 1) Dass Weber bei Anwendung seines Hakens an die ungleich- mässige Spannung der Muskelbündel nicht gedacht, ist auffallend und zwar um so mehr, als der Hyoglossus, mit welchem er operirte, aus zwei besonderen, nur lose verbundenen Bäuchen besteht. In fünf Versuchen , unter sechs$ welche ich ebenfalls mit dem Zungenmuskel anstellte, ergab sich, dass die Leistungsfähigkeit desselben beim Anlıaken des Gewichtes merklich geringer ausfiel, als beim An- binden! Werden die Muskelkräfte durch das Anbinden der Gewichte geschwächt, so werden sie durch das Anhaken derselben nur theil- weise ausgenutzt, und allem Anschein nach ist der Kraftverlust in erztercm Falle grösser als in ersterem, 152 A. W. Volkmannı curven. Von den beiden in Vergleich zu stellenden Versuchen stelle ich den nach der a Methode - zuerst an, den nach der b Methode zu zweit, und zwar in der Weise, dass ich das Punctum fixum des Muskels, also die Glottis, während der Parallelversuche nicht verändere. Da nun der « Muskel durch das angehängte Gewicht verlängert wird, der 5 Muskel dagegen nicht, so ist begreiflich, dass die « Curve tiefer unten am Cy- linder des Kymographions, die b Curve umgekehrt höher oben be- ginnen muss. Beide Curven sind also von vorn herein ge- trennt, müssen aber, wenn Weber’s Behauptung richtig ist, in ihren Scheitelpunkten zusammenfliessen, oder vielmehr schliess- lich sich kreuzen. Denn da die 5 Curve, als die zu zweit ge- zogene, von der Ermüdung stärker influenzirt ist, und da die Längen der thätigen Muskeln mit der Ermüdung wachsen, so muss die 5 Curve im Maximum der Contraetion tiefer stehen als die @ Curve. Die nachstehenden Versuche genügen diesen Anforderungen durchaus nicht, denn die b Curve bleibt trotz der grösseren Ermüdungseinflüsse beständig über der « Curve. Dagegen be- stätigen die Curven die Richtigkeit meiner Behauptung in einer Weise, die alle noch übrigen Zweifel beseitigen dürfte. Sie sind deshalb so werthvoll, weil sie nieht blos das Endresultat der contractilen Bewegung, sondern den gesammten Bewegungs- vorgang im Verlaufe der Zeit kennen lehren. Wir werden die Länge des thätigen Muskels nicht blos im Maximum der Verkürzung, d. h. also am Schlusse der Contractionsperiode messen, sondern wir werden sie auch während der Dauer der- selben, an verschiedenen Punkten der Curve bestimmen. Na- türlich steht die Länge, welche der Muskel im Momente der grössten Verkürzung annimmt, in einem gesetzlichen Zusammen- hange mit sämmtlichen Längenveränderungen, die im Verlaufe der Zeit zu Stande kommen, und folglich entscheidet auch die Gesammtheit der Längenmessungen im Ablaufe der Contrac- tionsperiode über die Glaubwürdigkeit der einen Messung im Maximum der Verkürzung. Das Ergebniss meiner ‘Versuche ist in nachstehender Ta- belle enthalten, zu deren Verständniss ich Folgendes bemerke. Erwiederung auf E. Weber's letzte Abhandlung. 153 Die Tabelle enthält 10 senkrechte Columnen. Die erste der- selben bezeichnet die Nummer des Versuches, die zweite die in Anwendung genommene Versuchsmethode, die 8 letzten aber geben darüber Aufschluss, wie sich die Länge des Muskels im Verlaufe der Zeit und zwar in gleichen Intervallen von '/, Se- cunde verändert haben. Als Masseinheit ist auch hier das Mil- limeter benutzt worden. = 3 | Angabe der Muskellängen für die Zeitabschnitte 12 2 — S = | 0" 0,5" 1,0" 1,5" an 2,5" | gr 3,5" 1 a | 39,25 | 23,75 | 22,15 | 21,55 21,25 | 21,15 | 20,95 | 20,90 2 | 5. |.31,25 | 20,00 | 19,55 | 19,40 | 19,40. |. 19,40.| 19,35. | 19,35 3 | a |39,25 | 26,85 | 24,95 | 24,55 | 24,25 | 23,95 | 23,85 | 23,90 4 b | 31,25 | 21,55 | 20,75 | 20,75 | 20,75 | 20,75 | 20,85 | 21,00 5 a |39,25 | 28,45 | 26,70 | 26,10 | 25,75 | 25,75 | 25,75 | 25,75 6 b 131,75 | 23,55 | 22,80 | 22,75 | 22,75 | 22,75 | 22,75 | 22,75 7 a 39,25 | 29,90 | 28,25 | 27,70 | 27,55 | 27,50 | 27,50 | 27,50 8 b .| 31,95 | 25,00.| 24,25 | 24,25.| 24,25 | 24,25 | 24,25 | 24,25 9 a | 39,25 | 31,25 | 29,70 | 29,25 | 29,05 | 28,95 | 29,00 10 | b | 33,85 | 27,65 | 26,50 | 26,25 | 26,25 |, 26,20:| 26,25 | Die Tabelle lehrt unmittelbar, dass der « Muskel im Maximum der Contraetion merklich länger ist, als der 4 Muskel im nächst- folgenden Versuche, eine Thatsache, die bei den ansehnlichen Ermüdungseinflüssen doppelt in’s Gewicht fällt. Untersuchen wir jetzt, wie diese vorwiegende Länge des a Muskels zu dem gesetzlichen Gange der Curven passe, Subtrahirt man die Länge des b Muskels in einem gege- benen Zeitmomente von der Länge des « Muskels in demsel- ben Zeitmomente, so erhält man den Längenunterschied beider =, welcher nach Weber im Verlaufe der Muskelcontraction ausgeglichen werden soll, und welcher also mit der Zeit immer kleiner werden müsste, Bezeichnen wir den grösseren Längen- unterschied in einem ersten Zeitmomente mit w, und den klei- neren im zweiten Zeitmomente mit «', so erfahren wir durch die Subtraetion u-w wie viel die Differenz in einem gegebenen Zeitintervall kleiner ‘geworden. Sei nun u—w'=a, so belehrt 154 A. W. Volkmann: uns der Bruch , um den wie vielsten Theil die zwischen dem a und 5 Muskel bestehende Längendifferenz im Verlaufe von 0,5" geringer geworden. So lange also ein echter Bruch bleibt, ist der Längenunterschied der beiden Muskeln nur theil- weise beseitigt. Erst wenn die theilweise Beseitigung eine vollständige, also &=1 wird, werden die ungleichen Längen zu gleichen. Hieraus folgt: dass die Ausgleichung des Längenunterschiedes, weleher zwischen/dem a und 5 Muskel anfänglich besteht, nur dann möglich ist, wenn der Bruch = im Ablaufe der Zeit immer grös- ser wird, Mit Rücksicht hierauf habe ich die Erfahrungen der dritten Versuchsreihe zu einer Berechnung der Brüche 1 u benutzt und die gefundenen Werthe in nachstehender Tabelle zusammengestellt. Versuch Angabe der Zeiten für die Werthe der Brüche 0" 0:9% 1" 1,9” 9" a BU 3,5" 1 und 2 0,531 0,307 0,4173 0,139 0,054 0,086 0,031 3 und A 0,337 0,208 0,095 0,079 0,086 0,063 0,033 5 und 6 0347 0,204 0,141 0,104 0,00 0,00 0,00 7 und 8 0,329 0,184 0,138 0,043 0,015 0,00 0,00 9 und 10 0,333 0,111 0,062 ‚0,066 ‚0,017 0,00 0,00 Der Bruch - wird also im Ablaufe der Zeit nicht grösser, sondern kleiner, und ist die Abnahme desselben so constant und bedeutend, dass die Vermuthung, sie sei eine zufällige, um so weniger aufkommen kann, als ich bei Wieder- holung des Versuches ganz entsprechende Resultate erhielt, Mit dieser Erfahrung ist die Behauptung Weber’s: der Län- genunterschied des ruhenden a und 5 Muskels werde durch Anwendung anhaltender Reize ausgeglichen, nicht: vereinbar, Es ist also eine vollkommengesicherte Thatsache, dass im Maximum der Contraetion die Länge des a. Muskels grösser ist, als die Länge des b Muskels, mag man flüchtig reizen oder anhaltend, mag man das Gewicht Erwiederung auf E. Weber's letzte Abhandlung. 155 anbinden oder anhaken. Nur sind die Längenunterschiede zwischen den a und 54 Muskeln bei Anwendung anhaltender Reize merklich geringer und unter ungünstigen Umständen bis- weilen so unbedeutend, dass sie sich hinter den Versuchsfehlern verstecken, ein Fall der meinem Gegner in einer nur aus sehr wenigen Fällen bestehenden Versuchsreihe (beiläufig der ein- zigen, die er zu Gunsten seiner Ansicht aufzuweisen hat) zu- fälliger Weise vorgekommen ist, Weber begnügt sich nun ‚nieht damit, die Gültigkeit der von inir angestellten Versuche in. Abrede zu stellen, sondern kommt ‚schliesslich zu dem ‚Klimax, dass sie die Richtigkeit seiner Angaben evident bestätigen. Er hält es daher auch für überflüssig, die einzige, wegen der geringen Anzahl der Beob- achtungen unzureichende und wegen nachweislicher Irrungen verdächtige Versuchsreihe, mit welcher er früher gegen mich zu Felde gezogen, auch nur um eine zu vermehren, und stützt sich lediglich auf meine Versuche. So gern ich meinem Geg- ner in diesem Theile seiner Opposition Schritt für Schritt fol- gen möchte, so glaube ich doch im Interesse des Lesers mich auf einige sehr kurze Andeutungen beschränken zu müssen. Ich halte mich also an den stark aecentuirten. Schluss der Kritik, in welchem ausgeführt wird, dass von meinen 14 langen Versuchsreihen nur die zweite Hälfte der letzten brauchbar sei, indem ich nur in dieser tetanisirt und gleichzeitig das Gewicht durch einen Haken: am -Muskel befestigt habe, und dass (diese allein zulässigen Versuche die Weber’sche Lehre bestätigen. — Hierzu bemerke ich: 1) Die zweite Hälfte meiner 14. Versuchsreihe beweist, dass Jie Längen der belasteten und gereizten Muskeln, je nach An- wendung der a und 5b Methode. verschiedene Werthe anneh- men, nämlich bei Anwendung der letzteren kleinere.) Dem- nach bestätigt die zweite Hälfte der 14. Versuchsreihe nichts anderes ala meine Behauptung. Die Art, ‚wie Weber die- 1) In der Tabelle, welche Weber S. 547 vorlegt, ist dies Ver- hähniss höchst sinnstörend umgekehrt worden, indem unter der Rubrik der a Muskeln die kleinen Längen statt der grossen eingetragen sind, 156 A. W. Volkmann: selbe zu seinen Gunsten auszubeuten sucht, ist die, dass er die kleineren Längen der 5 Muskeln von. den grösseren der a Mus- keln subtrahirt und auf die Kleinheit der absoluten Unter- schiede aufmerksam macht! Als ob’es sich um die Grösse der Unterschiede und nicht vielmehr darum handelte, ob überhaupt Unterschiede da sind, welche durch die Gleichheit ihrer Richtung auf das Vorhandensein 'einer constanten und des- halb beachtenswerthen Ursache bestimmt hinweisen?‘ Dass die in Frage stehenden Längenunterschiede in den an sich kleinen und in Folge des Tetanisirens noch stark verkürzten Frosch- muskelchen absolut genommen keine grossen sein können, 'ver- steht sich von selbst, aber eben weil es sich nur um die rela- tiven Grössen handeln konnte, hatte ich in meiner Abhandlung die Verhältnisse der Längen berechnet. Hierzu sagt Weber: „da bei diesen Betrachtungen‘ die Differenzen, nicht die geome- trischen Verhältnisse der a und’ Mnskeln, welche Volkmann in seiner Tabelle gegeben hat, in Betracht kommen, so habe ich erstere diesen letzteren substituirt.‘“ — Das Unzulässige dieser Substitution liegt auf der Hand. 2) Fällt das Gewicht der Weber’schen Betrachtung da- durch in Nichts zusammen, dass er sich über die Art und Weise, wie ich den 14. Versuch angestellt: habe, getäuscht hat. Ich befestige das Gewieht am Muskel immer durch eine Li- gatur, weil nur dadurch Sicherheit gegeben ist, dass ‘alle Bün- del desselben gleichmässig zur Wirkung kommen. Nur’ im 12. und 13. Versuche habe ich ausnahmsweise mein gewöhnliches Verfahren aufgegeben, weil ich an einem und demselben Mus- kel und in continuirlich wechselnden Versuchen gegen Weber zeigen wollte, dass die Differenzen der a und 5 Methode nicht blos eintreten, wenn man das Gewieht nahe an der Spitze der Zunge befestigt, wie ich gethan, sondern auch, wenn man es unfern der Zungenwurzel anbringt, was mein Gegner als Grund- bedingung eines gültigen Versuchs aufgestellt hatte. Unter diesen Umständen war die Anbindung des Gewichtes auf der Seite der Zungenwurzel nicht möglich, da sie den func- tionellen Zusammenhang der oberen und. unteren Hälfte des Muskels vernichtet haben würde. Nachdem ich bei Beschrei- Erwiederung auf E. Weber’s letzte Abhandlung. 157 bung des ersten und zweiten Versuches angegeben, dass ich den Muskel am Federhalter anbände (a. a. O. S. 227 und 231), hielt ich es für ausreichend, im 12. und 13. Versuche zu be- merken, dass ich in diesen beiden Fällen mich des W eber’- schen Hakens bedienen würde, ohne im 14. Versuch ausdrück- lich anzuführen, dass ich nach Erreichung meiner speeiellen Zwecke zu der im Allgemeinen benutzten, unstreitig zweck- mässigeren Versuchsmethode zurückkehren würde. Kurz ich habe im 14. Versuche das Gewicht nicht durch einen Haken am Muskel befestigt, wie Weber 8. 545 ver- muthet, S. 547 und 552 als Thatsache hinstellt und bei Begründung seiner Folgerungen als Gegebenes voraussetzt. In Folge dieses Missverständnisses beweist Weber aus meiner 14. Versuchsreihe, in welcher ich den angeblich einfluss- reichen Fehler, das Gewicht anzubinden, statt es anzuhaken, wirklich gemacht habe, dass Versuche, wenn sie nur fehlerfrei durchgeführt werden, die von ihm aufgestellten Behauptungen evident bestätigen. An den Beweis, dass die mit « und d bezeichneten Ver- suchsmethollen die Längen der thätigen Muskeln allerdings be- einflussen, schliesst sich die Frage nach den Ursachen dieses Einflusses. Ich glaube hierüber einige Aufschlüsse geben zu können, welche für die Lehre der Muskelreizbarkeit ein allge- meineres Interesse haben. Die Länge des belasteten Muskels im Maximum der Con- träction ist der Effect zweier Bewegungen, einer contractilen, in Folge des Reizes, und einer expansiven, in Folge der Bela- stung. Es könnte nun scheinen, die Länge des Muskels müsste bei anhaltendem Reize einen von der @ und b Methode unab- hängigen, bestimmten Werth haben, einen Werth nämlich, welcher gegeben ist durch die Länge, welche der unbelastete Muskel unter. dem Einflusse eines constanten Reizes, als den Grenz- werth der Verkürzung, annimmt; und durch die Verlängerung, welche die contrahirte Faser dadurch erfährt, dass ein ihr an- hängendes Gewicht ‚sie um ein gewisses, den elastischen Kräften entsprechendes Mass ausdehnt. Aber die Verhältnisse sind doclı andere, indem sowohl jene vom Reiz bedingte Länge, ale 158 A: W. Volkmann: diese durch das Gewicht bewirkte ZZ wieder abhängig von der Zeit sind. Um von der letzten Function zuerst zu sprechen, so hatte schon Weber darauf hingewiesen, dass die Dehnbarkeit des Muskels unter dem Einflusse der Erregung wachse und die von mir gezogenen Muskeleurven beweisen, dass diese Veränderung der Dehnbarkeit in tetanisirten Muskeln nicht plötzlich, son- dern allmählig und verhältnissmässig langsam zu Stande komme. In Folge dieses Umstandes wird die vom Gewichte bedingte Expansion der Fasern mit der Zeit immer ansehnlicher, und indem die Zuwüchse der Dehnung weit über die zeitlichen Grenzen der Contractionsperiode des Muskels hinausreichen, muss die Summe dieser Zuwüchse mit der Dauer der Contrac- tion nothwendig wachsen. “Nun braucht aber der a Muskel zur Durchführung der Contraction mehr Zeit als der & Muskel und muss daher im Maximum der Cöntraetion auch mehr gedehnt sein. — Dass aber der a Muskel mehr Zeit brauche als der b Muskel, ergiebt sich aus den von mir gezogenen Curven mit grösster Bestimmtheit. Die zum Maximum contractionis gehö- rigen Abseissen haben im « Muskel immer höhere”Werthe als im 'b Muskel, ein Verhältniss, welches auch in der oben mitge- theilten Versuchsreihe III. sich deutlich ausspricht. Betrachtet man die Länge eines belasteten thätigen Muskels als eine zweigliederige Grösse =/+d, wo dann A die vom Reize geforderte Länge des unbelasteten Muskels (nach Weber die natürliche Länge des thätigen Müskels) und d die von der Zugkraft bedingte Verlängerung bezeichnet, so wäre mit Vor- stehendem erwiesen, dass Jim «@ Muskel grösser als im 5 Mas- kel ist, und bliebe nur noch zu untersuchen, wie sich der Werth ı in beiden gestaltet. Bekanntlich hat Weber die Verkürzung, welche ein Muskel unter dem Einflusse eines anhaltenden Reizes erfährt, mit'der- jenigen eines elastischen Körpers z. B. eines Eisendrahtes unter der Einwirkung‘ einer constanten Kälte verglichen, und 'ange- nommen, dass in beiden Fällen die Formveränderung durch die elastischen Kräfte vermittelt werde. Diese Ansicht hat viel für sich, nur ist zu beachten, dass zwar der Draht unter Erwiederung auf E. Weber’s letzte Abhandlung. 159 dem Einflusse einer eonstanten Kälte, nicht aber der Muskel unter der Einwirkung eines eonstanten Reizes eine Grösse von bestimmtem Werthe annimmt. Derselbe Reiz, welcher die Ver- "kürzung des Muskels veranlasst, zieht chemische Veränderungen nach sich, welche den Oontraetionsvorgang alsbald schwächen und schliesslich ganz aufheben. Bei Anwendung der a Me- thode müssen die Nachtheile zu langer Reizung sich geltend machen. Denn das Beseitigen der Reckung, welche der a Mus- kel erlitten, kostet Kräfte, und erst von dem Momente an, wo der Muskel die Länge wieder gewonnen, die er von vorn her- ein schon hatte, kann die Wirkung des Reizes dem Zwecke der Verkürzung zu Gute kommen. Unter diesen Umständen ist eine gewisse, von der a Methode ausgehende Beeinträchti- gung der Contraction ganz unvermeidlich und kann nur frag- lich 'sein, ob sie den Werth A, d.h. die Länge des unbelasteten thätigen Muskels in merklicher Weise ändere? ' Bei Ausmessung der in Versuchsreihe III. gegebenen Cur- ven hat sich bereits gefunden, wie viel Zeit der tetanisirte a Muskel bedarf, um seine durch Dehnung vergrösserte Länge auf derenvursprüngliches Mass zurück zu führen, nämlich: in Versuch 1: 0,107 Secunden ” ” 3: 0,177 ” ” ” 5: 0,194 ” „ ” 7:.0,243 ” pr sy98.t0jaf5 shi im Mittel: 0,179 Secunden. Es kommt also nur darauf an, am unbelasteten Muskel zu un- tersuchen, ob eine Erregung, welche 0,179” anhält, ohne die Verkürzung zu fördern, die Wirkung eines constanten Reizes beeinträchtige? Um hierüber Aufschluss zu bekommen, expe- rimentirte ich in folgender Weise: ‚Ich verhinderte die Verkürzung des tetanisirten Muskels zeitweilig dadurch, dass ich den an seinem unteren Ende an- gebundenen Pederhalter durch eine Klemme fixirte, welche nach dem Prineip der chirurgischen Compressionspincetten gearbeitet war, Ein Druck auf die federnden Schenkel der Pincette öf- were diese und gestattete dem Muskel die bis dahin verhinderte ’ 160 A. W. Volkmann: Erwiederung auf E. Weber’s Abhandlung. Verkürzung auszuführen. — Weiter ist an meinem Myographion der Apparat angebracht, mit Hülfe dessen Helmholtz die Dauer der latenten Reizung zu bestimmen lehrte, und ich kann also auch die Dauer der Stromwirkung, welche für den Con- tractionsact nutzlos verloren geht, genau messen. Um den Ein- fluss, welchen. die zeitweilige Hemmung des tetanisirten Mus- kels auf den Werth } asuübt, beurtheilen zu können, mussten Versuche mit Hemmung und ohne Hemmung abwechselnd an- gestellt werden. Denn nur dadurch, dass jeder Versuch mit Hemmung, eingeschlossen war von zwei Versuchen ohne Hem- mung, liessen sich die Ermüdungseinflüsse ausgleichen, welche in jeder Versuchsreihe fortschreitend zunehmen und eine un- mittelbare Vergleichung zeitlich verschiedener Fälle nicht zu- lassen. In nachstehender Tabelle ist die Ausgleichung der Ermü- dungseinflüsse, in so weit dieselben von der Reihefolge der Versuche abhängen, schon ausgeführt. Ich bezeichne mit 2 die Länge des thätigen Muskels, wenn die Contraction keine vor- läufige Hemmung und also auch keine vermeidbare Abschwä- chung erlitten, mit A’ dagegen die Länge desselben, wo. der eine wie der andere dieser Umstände allerdings stattgefunden, und mit ı die Dauer der Zeit, während welcher der Reiz wirkte, ehe noch die Verkürzung des Muskels ihren Anfang nahm. —- Nicht unbemerkt bleibe, dass der: Zungenmuskel des Frosches, mit welchem ich operirte, eine’ Länge von 27 Millim. besass. Länge des unbelasteten thätigen Muskels Ermüdungsstufe k 2 t I 86 Mm. 9,5. Mm. 0,094 See, Il. RI. 0 rad 0,108, „ II. 10,02 „ iu, . 0,402. „ IV. 11720, Klar = 0,162 „, v. a 3 TREO, 0,302 „ im Mittel 10,29 Mm. 11,0 Mm. 0,211 Sec. Man sieht hieraus, dass auch ein ‚sehr wenig; anhaltender Reiz, nämlich ein 0,211” fortgesetztes Tetanisiren den Muskel ermüde und durch Abschwächung der eontractilen ‚Kräfte eine grössere Länge desselben im Momente der schliesslichen Ver- HB. A. Bernstein: Ueber das Vorkommen u, s. w. 161 bedinge. Indem nun die a Methode es mit sich bringt, ss der Muskel ungefähr eben so lange, genauer während ", tetanisirt wird, ‚bevor er die ihm ursprünglich zukom- mende Länge wieder gewinnt, muss annäherungsweise dieselbe Ermüdung und in Folge dieser dieselbe Beschränkung des Con- tractionsvorganges zu Stande kommen. Wenn man also die Länge des thätigen Muskels als eine zweigliederige Grösse =-}+ J auflasst, so ist der Werth der- selben im a Muskel deshalb grösser als im d Muskel, weil 0 durch die längere Einwirkung der Zugkraft und A durch Be- sehränkung der Contraetion, iu Folge der Ermüdung, eine Ver- grösserung ‚erfahren hat. Nach allem Mitgetheilten bleibt es dabei, dass die mit a und b bezeichneten Versuchsmethoden nicht zu gleichen Re- sultaten führen. Indem nun Weber in seinen Versuchen aus- schliesslich die erste Methode benutzte, d. h. den Muskel: vor der Reizung einer gewaltsamen Reckung aussetzte, so sind die Resultate, zu: welchen er gelangte, nicht geeignet, über die Dehnbarkeit und die elastischen Kräfte solcher Muskeln, welche, wie die in ihren natürlichen Verhältnissen befindlichen, keine Reckung erfahren, Aufschlüsse zu geben. Ueber das Vorkommen eines einzigen Hodens bei Centropus medius Müll. und Centropus affinis Horsf. Von Dr. H. A. BERNSTEIN in Gadok auf Java. (Hierzu Taf. IV.) Von der bei den Wirbelthieren geltenden Regel, betreflend das Vorkommen zweier Hoden, war bisher nur eine Aus- nahme bekannt. Unter den Fischen nämlich.zeiehnen sich, den Beichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1860. 11 162 H. A. Bernstein: Untersuchungen Joh. Müller’s zu Folge, die Myxinoide (Hyperotrita Müll.) durch die Entwiekelung von nur einem, in eine lange Bauchfellfalte an der rechten Seite des Darmge- kröses gelegenen Testikel aus. Dieser einen Ausnahme kann ich eine zweite hinzufügen. Bei den beiden Java’schen Arten der Gattung Centropus ist nämlich ebenfalls nur der rechte Hoden vorhanden, wovon ich mich durch wiederholte an 13 In- dividuen von Centropus affinis und einem C. medius vorgenom- mene Untersuchungen überzeugt habe. Es ist daher hier nicht die Rede von einer zufälligen, individuellen Missbildung, son- dern von einer den genannten Vögeln eigenthümlichen Anomalie. Bei beiden Arten befindet sich der Hode auf der rechten Seite der Vena cava inferior und bedeckt im Zustande seiner höchsten Entwicklung die obere Hälfte der rechten Niere. Bei C. affinis ist er rundlich oval, 13 Mm. lang und 11 Mm. dick; bei dem etwas grösseren C. medius dagegen fand ich ihn läng- lich oval, 16 Mm. lang und 9 Mm. dick. An seinem hinteren Rande, etwas nach innen zu, befindet sich der schmale, läng- liche Nebenhode, welcher an seinem unteren Ende, am unteren Rande des Hodens, in das Vas deferens übergeht. Dieses ist an seinem Ursprunge von verhältnissmässig bedeutender Stärke und zeigt hier ausserdem verschiedene Anschwellungen. Es läuft längs der inneren Seite des rechten Harnleiters und mit diesem durch Zellgewebe verbunden über die Vorderfläche der rechten Niere, tritt an dem unteren Rande derselben über ersteren hin und wendet sich nun ausserhalb, d. h. rechts und in einigem Abstande von demselben zur Cloake hin. Sein Ende zeigt wiederum mehrfache Windungen, sowie unmittelbar an der Stelle, wo er durch die Wand der Cloake hindurchtritt, eine kleine Anschwellung, welche jedoch, wie sich bei näherer Untersuchung zeigte, ebenfalls durch einige Windungen des Samenleiters gebildet ist. Der linke Hode fehlt gänzlich. Dagegen ist ein, obschon im Verhältniss zum rechten nur unvollkommen entwickelter linker Samenleiter vorhanden, dessen Abdominalende kolbig aufgetrieben ist und sich dicht an die linke Nebenniere anlegt. Die Papillen, mit welchen die Samenleiter in die Oloake Ueber das Vorkommen eines einzigen Hodens u. s. w. 163 en, sind von ansehnlicher Grösse. Bei C. affinis ist die te 9,5 Mm. lang und an ihrer Basis 3 Mm. breit, die linke nur 6 Mm. lang und 2 Mm. breit. Bei dem einzigen von mir untersuchten C. medius fand ich diese Papillen etwas kleiner, nämlich die rechte nur 6 Mm. lang und 2 Mm. breit, die linke dagegen 4,5 Mm. lang und 1,5 Mm. breit; möglich, dass sie noch nicht ihre höchste Entwickelung erreicht hatten. Erwähnenswerth dürfte noch der Umstand sein, dass ich im rechten -Samenleiter, zumal in den Windungen in der Nähe der ‚ Cloake stets Samenkörperehen in Menge gefunden habe, im linken dagegen — wie bei dem Fehlen des Hodens zu erwar- ten war — niemals. Alle von mir untersuchten Individuen waren in der Brutzeit gefangen und befanden sich daher ihre Geschlechtstheile mehr oder weniger im Zustande der höchsten Entwiekelung. ; Bei dieser abweichenden und merkwürdigen Bildung der männlichen Genitalien war ich verlangend ein Weibchen zu untersuchen. Doch bei aller Mühe, die ich mir gab, wollte es mir lange nicht glücken, ein solches zu erhalten, was mich um so mehr wunderte, als beinahe alle von mir untersuchten Indi- viduen dieser versteckt lebenden Vögel am Neste gefangen oder geschossen, und doch alle Männchen waren. ° Dies gab mir Veranlassung zu der interessanten Entdeckung, dass bei diesen Thieren, gegen die Gewohnheit der meisten Vögel, die Männ- ehien, wenigstens über Tag, das Brütgeschäft besorgen. Wel- chen Antheil die Weibchen daran nehmen, ob diese vielleicht bei Nacht brüten, habe ich noch nicht beobachten können. Bei Tag fand ich, wie gesagt, stets das Männchen brütend, wäh- rend das einzige, endlich in meine Hände gekommene Weib- chen, des Morgens früh in einer am Neste aufgestellten Schlinge gefangen war. In meiner Erwartung, dass vielleicht auch die weiblichen Geschlechtstheile etwas besonderes darbieten möchten, sah ich mich jedoch getäuscht. Wie beinahe bei allen Vögeln, fand ich auch bei dem von mir untersuchten weiblichen C. affinis mar den linken Eierstock entwickelt, welcher sich gerade in der Periode seiner höchsten Entwickelung befand und daher gegen 41° 164 H. A. Bernstein: 13 Mm. lang und 10 Mm. breit war. Das Ostium abdominale des Eileiters, welches eine trichterförmige Gestalt hat, fand ich offen, so dass ich ohne Mühe eine Sonde tief in den Eileiter einbringen konnte. Das Ostium vaginale dagegen fand ich ge- schlossen. Es befindet sich in einer Falte der Cloake und ist von einer ringförmigen Duplieatur der Schleimhaut derselben umgeben. Eine ähnliche, nur ungleich kleinere Falte befindet sich auch auf der rechten Seite, doch war es mir nicht mög- lich, ein Rudiment eines rechten Eileiters wahrzunehmen. Was nun endlich die Cloake betrifft, so ist ihre Grenze gegen den Mastdarm äusserlich durch eine leichte Einschnürung um ihren bedeutenderen Umfang, inwendig dagegen durch eine kleine Querfalte angedeutet. Unterhalb der letzteren befindet sich eine zweite, jedoch nur am hinteren Theile der Cloake deutlich sichtbare Querfalte, welche zunächst die schräg nach aussen und unten gerichteten Wandungen der Harnleiter und seitlich sich abwärts wendend auch die Papillen der Samen- leiter, resp. das Orificium vaginale des Eileiters bedeckt. Eine dritte, unterhalb der Oeffnungen der Geschlechtstheile gelegene Falte endlich bedeckt den Eingang in die wenig. entwickelte Bursa Fabrieii. Der untere Theil der Cloake zeigt eigenthüm- liche Verhältnisse, Er ist nämlich gleichsam von aussen nach innen umgestülpt und bildet somit, da sein Umfang nach unten schmäler wird, einen in das Lumen des weiter oben gelegenen Cloakentheiles hineinragenden, abgestumpften Kegel, dessen oberer Rand (der eigentliche Anus) in der Nähe der Oeffnun- gen der Geschlechtstheile zu liegen kommt. In Folge des er- wähnten geringeren Umfanges dieses eingestülpten Endstückes der Cloake ist dasselbe rings von einem freien Zwischenraume umgeben, der jedoch durch 2 seitliche, sich von der Hinterwand der Cloake zum Rande ihres umgestülpten Endstücks ziehende Stränge in zwei ungleiche Abtheilungen, eine grössere vordere und eine kleinere hintere getheilt ist. In letzterer liegen für gewöhnlich die Papillen der Samenleiter. An der Abdominal- seite des umgestülpten Cloakentheiles bemerkt man beim Männ- chen eine ziemlich starke, warzenähnliche Erhabenheit als Ru- diment eines Penis, ähnlich wie wir ihn bei mehreren grossen Ueber das Vorkommen eines einzigen Hodens u. s. w. 165 Raub- und Sumpfvögeln finden. An frisch getödteten Thieren get er bläulich roth gefärbt, welche Färbung durch ein feines Netz venöser Gefässe hervorgebracht wird. Das würde einiger- massen an die Corpora cavernosa der Säugethiere erinnern, und die Möglichkeit einer Erection annehmen lassen, während zwei seitlich an denselben sich ansetzende Muskelbündel die Bestim- mung zu haben scheinen, ihn tiefer zur Anusöffnung hinab zu ziehen. Auch habe ich in der That bei einem in der Paarungs- zeit geschossenen Individuum das Penisrudiment und eiren Theil des nach innen umgestülpten Cloakentheiles aus dem Anus herausragend oder hängend gefunden. Auf der hinteren Seite der Cloake, unmittelbar am Ende des umgestülpten Theiles, d. h. des eigentlichen Anus, befindet sich eine ähnliche, doch viel kleinere warzenähnliche Erhabenheit und unterhalb. der- selben eine kleine Grube, in welche das an der gegenüberlie- genden Seite der Cloake befindliche Penisrudiment zu liegen kommt. Beim Weibchen findet sich an Stelle des letzteren eine sehr unbedeutende Erhabenheit. Von den übrigen Organen bietet die Luftröhre durch das Vorkommen zweier Larynges bronchiales ein besonderes Inter- esse dar. Von den den oberen Kehlkopf bildenden Knorpeln hat der Körper der Cartilago thyreoidea, der ganz allein die vordere Hälfte des Larynx bildet, die gewöhnliche Gestalt eines gleiehschenkligen Dreiecks, dessen abgerundete Spitze nach oben gerichtet ist. Seine Oberfläche ist frei von Leisten und sonstigen Erhabenheiten, während die Seiten leicht ausgebuchtet und etwas nach hinten umgebogen sind. Die beiden, den un- tersten Theil der hinteren Hälfte des Larynx bildenden Hörner des Schildknorpels haben eine halbmondförmige Gestalt und sind seitlich mit dem Körper desselben durch Bandmasse eng verbunden. Zwischen ihren hinteren (inneren) Enden liegt die kleine längliche Cart. ericoidea, die an ihrer oberen Hälfte auf jeder Seite eine Gelenkfläche für die Cartil. arytaenoideae zeigt. Diese haben die Gestalt eines an den Spitzen abgerundeten Halbmondes und sind auf ihrer äusseren Seite leicht ausgehöhlt. An der Spitze jeder dieser beiden Knorpel befindet sich eine kleine Cart. Santoriniana, welche ich stets knorplig, die an- 166 H. A. Bernstein: deren dagegen in halb verknöchertem Zustaiude gefunden habe. Die Luftröhre bildet eine, beinahe durchgängig gleich weite, nur an ihrem oberen Ende etwas breitere, hinten leicht abge- plattete Röhre. Bei dem von mir untersuchten Centropus me- dius zählte ich 55 Ringe, bei C. affinis meistens einige weniger, nämlieh 51-54. Mit Ausnahme der beiden ersten, unmittelbar auf den oberen Kehlkopf folgenden, sind alle diese Ringe auch auf der hinteren Seite vollkommen geschlossen. Interessant endlich ist, wie schon bemerkt, das Vorkommen zweier La- rynges bronchiales. Der untere Theil der Luftröhre nämlich geht unmittelbar in die Bronchen über, welche aus halben, an ihrer inneren Seite durch eine Membran, Membrana tym- paniformis interna, geschlossenen Ringen bestehen. Nach un- ten werden beide Bronchen allmählig breiter und: bilden endlich die erwähnten Bronchialkehlköpfe. Zwischen die- sen und dem letzten Luftröhrenringe liegen bei C. medius rechts 17, links 15 (halbe) Ringe, während bei €. affinis ihre Zahl meistens etwas geringer ist, nämlich 14—15 rechts, 12—13 links. Ihre Anzahl ist daher nicht immer gleich. Auf dem letzten der erwähnten, nach unten eoncaven Halbringe (obere Bronchial- bogen) folgt ein besonders starker, beinahe ganz gerader d. h. weder nach oben noch nach unten concaver Bogen und auf diesen ein schon etwas kürzerer, nach oben concaver. Diese drei Bogen sind auf der Aussenseite durch eine feine elastische Membran, Membrana tympaniformis externa, unter einander verbunden, auf der Innenseite dagegen durch die vorhin er- wähnte, hier besonders dünne und elastische, nach unten, d.h. den Lungen zu, durch einen dicken Querwulst begrenzte Meın- brana tympaniformis interna geschlossen. Auf die Weise wird von den erwähnten drei Bogen je ein Larynx bronchialis ge- bildet. Auf den letzten dieser drei Bogen folgen, bevor der Bronchus in die Lunge tritt, rechts noch 10, links 9 allmählig kleiner werdende und nach innen durch eine Membran — die über jenen vorhin genannten Querwulst sich fortsetzende Mem- brana tympaniformis interna — geschlossene Halbringe (untere Bronchialbogen), deren Anzahl jedoch nicht selten Schwan- kungen unterworfen ist. Ueber das Vorkommen eines einzigen Hodens n. s. w. 167 Was die übrige Anatomie dieser Vögel betrifft, so will ich dieselbe in einer besonderen Abhandlung, die im 21. Theile der Zeitschrift der naturforschenden Gesellschaft in Batavia (Natuurkundige tydschrift voor Neederlandsch Indie) nächstens er- scheinen wird, ausführlich behandeln. Bemerken will ich hier noch, dass das Skelet sich unter Anderem durch die geringe Anzahl Rückenwirbel, deren nur 6 vorhanden sind, auszeich- net, sowie in Folge davon nur 4 wahre Rippenpaare sich finden. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Männliche Geschlechtstheile von Centropus affınis Horst. in natürlicher Grösse. . Der rechte Hoden. . Nebenhoden. . Rechtes Vas deferens. . Dessen Papille (nach oben gebogen). . Linkes Vas deferens, . Dessen Papille, . Nebennieren. . Mündungen der Harnleiter. i. Mündung der Bursa Fabricii. . Cloake (von vorn durchschnitten). . Das umgestülpte Endstück desselben. . Penisrudiment (darchschnitten). . Die Vertiefung, in welche bei geschlossener Cloake das Penisrudiment zu liegen kommt. o. Die kleine Erhabenheit darüber. Fig. 2. Männliche Geschlechtstheile von Centropus medius Müll. in natürlicher Grösse. a—o wie bei Fig. 1. Fig. 3. Die Cloake von Centr. medius Müll. (von binten durch- schnitten). . Papille des linken Vas deferens. . Papille des rechten Vas deferens. . Mündungen der Harnleiter. . Cloake. . Das umgestülpte Endstück derselben. f. Das Penisrudiment. Fig. 4. Luftröhre von Centropus medius Müll. in natürlicher Grösse, von der Hinterseite. B_r „vn mneocaeec» eo sea ee = 168 A. v. Bezold: . Larynx superior. a . Trachea. ; m { Rechter Bronchus. r . Linker Bronchus. . Rechte Lunge. Linke Lunge. . Cartilago thyreoidea. . Cornua derselben. . Cartilago crieoidea. . Cartilag. arytaenoideae. ee. Cartilag. Santorinianae. f. Membrana tympaniformis interna. gg. Laryng. bronchiales. Fig. 5. Unteres Ende der Luftröhre von Centrop. medius Müll. von vorn gesehen. a. Rechter Bronchus. b. Linker Bronchus. e. Linker Larynx bronchialis d. Membrana tympaniformis externa. = (23 © sec 5EganaN> Untersuchungen über die Einwirkung des Pfeil- siftes auf die motorischen Nerven. Von A. v. BEZOLD, Professor in Jena. Ich habe im Laufe der letzten Monate eine Reihe von Ver- suchen angestellt, in der Absicht, die Veränderungen, welche das Pfeilgift durch seine Einwirkung auf die Endigungen und auf die Stämme der motorischen Nerven in den letzteren her- vorruft, nach einer bestimmten Richtung genauer zu erforschen, Obgleich diese Versuchsreihe keinen Anspruch auf Abrun- dung und Abgeschlossenheit machen kann, erlaube ich mir doch Untersuchungen über die Einwirkung des Pfeilgiftes u. s. w. 169 die Resultate, zu welchen ich durch meine Versuche gelangte, hier zu veröffentlichen, da ich durch äussere Umstände verhin- dert bin, dieselben in nächster Zeit weiter auszudehnen, Ich habe mir zunächst die Aufgabe gestellt, zu prüfen, ob und welche Veränderungen der zeitliche Verlauf der Muskel- zuekungen, entweder nach directer, oder nach indirecter Erre- gung, in demjenigen Zeitraume erfahre, in welchem das Pfeil- gift durch das Blut zu den Muskeln gelangt und hier jene von Bernard und Kölliker zuerst genauer untersuchte lähmende Einwirkung auf die intramuscularen Nerven zu äussern beginnt. Zu diesem ‘Behufe bediente ich mich des von Helmholtz angegebenen graphischen Verfahrens zur Messung der zeitlichen Verhältnisse, welche bei der Muskelverkürzung und bei der Fortpflanzung der Erregung im Nerven in’s Spiel kommen. Ich vergiftete nämlich Frösche mit geringen Mengen ameri- kanischen Pfeilgiftes, wartete den Zeitpunkt ab, wo die Bewe- gungen der vergifteten Thiere mühsam und schwerfällig wur- den, tödtete söfort das Thier und präparirte mit möglichster Schnelligkeit den M. gastroenemius nebst dem N. ischiadieus der einen Seite. Das Nervmuskelpräparat wurde nun sogleich am Helmholtz’schen Myographion befestigt; der Muskel wurde entweder direct oder vom Nerven aus elektrisch erregt und zeich- nete die Curve seiner Verkürzung auf einem berussten Glas- eylinder, welcher sich 3 Mal in der Secunde um die eigene Axe drehte. Die Reizung geschah bei einer Reihe von Versuchen durch den Oefinungsinductionsschlag der seeundären Spirale des du Bois’schen Schlittenapparates; bei einer anderen Versuchsreihe durch Schliessung eines absteigenden Stromes im Nerven in der Weise, dass derselbe Vorgang, durch welchen Helmholtz bei seinen Versuchen den Strom in der primären Spirale des Magnetelektromotors: unterbrechen liess, zu einer gegebenen Zeit eine sehr gute Nebenschliessung zum Nerven öffnete. Zu einer gegebenen Zeit erfolgte auf diese Weise eine sehr schnelle Zunahme ‚der Dichtigkeit eines im Nerven kreisenden höchst schwachen absteigenden Stromes; und dieser plötzliche Zuwachs 170 A.v. Bezold: der Stromdichte im Nerven diente in der zweiten Reihe von Versuchen als Reiz. Um die Curven, welche man auf die angegebene Weise durch die Zuckungen der vergifteten Muskeln erzielt, mit denjenigen möglichst vergleichbar zu machen, welche durch die Verkür- zungen unvergifteter Muskeln erhalten werden, liess ich jeder einzelnen Versuchsreihe, die ich mit den Muskeln eines vergif- teten Thieres anstellte, eine ganz ähnliche Reihe von Versuchen mit den Muskeln eines unvergifteten Thieres unter. übrigens möglichst gleichen Bedingungen folgen. Die Curven zweier auf diese Weise zusammengehörigen Versuchsreihen wurden mit einander verglichen. In mehreren Fällen verfuhr ich so, dass ich bei einem Frosche die Arteria und Vena iliaca der einen Seite unterband, sofort M. gastroenemius und N. ischia- dieus derselben Seite präparirte, von dem Thiere abtrennte und diesen Muskel die Curven seiner Zuekungen nach directer und nach indireceter Reizung zeichnen liess. Hierauf vergiftete ich dasselbe Thier, und machte die gleichen Versuche an dem ver- gifteten Gastroenemius, so dass in diesen Fällen der vergiftete und der unvergiftete Muskel einem und demselben Thiere an- gehörten. In allen Versuchen dieser Art, deren Resultate ich in Folgendem anführen werde, geschah die indirecte Reizung der Muskeln durch die Erregung des N. ischiadieus an einer Stelle, die 1—1,2 Cm. oberhalb der Eintrittsstelle des Nerven in den Muskel sich befand. Die Nervenstrecke innerhalb der beiden Elektroden mass !/,—1 Cm. Der Nerv selbst war bis an die Austrittsstelle aus dem Wirbelcanal freipräparirt. Die Reizelektroden bestanden aus Zinkdrähten. Bei den Versuchen mit indireeter Erregung zeigte sich nun, dass die Muskeln derjenigen Thiere, die bei den ersten Anzei- chen der eingetretenen Vergiftung getödtet worden waren, noch dasselbe Zuckungsmaximum besassen, wie unvergiftete Muskeln; dass aber bei einem gewissen weiter vorgerückten Stadium der Vergiftung das Maximum der Zuckung, die man durch die stärkste Erregung des Nerven erhalten konnte, sehr plötzlich abnahm, worauf dann sehr bald ein Zeitpunkt eintrat, in dem Untersuchungen über die Einwirkung des Pfeilgiftes u. s. w. 171 auch die stärkste Erregung des Nerven keine Spur von Con- traetion mehr erzeugte. Oft gelang es mir an einem und dem- selben Muskel die sämmtlichen Stadien der Vergiftung mittels des Myographions zu verfolgen, indem auch an dem ausge- sehnittenen Gastrocnemius die Vergiftung rasch fortschreitet, wofern nur vor der Tödtung des Thieres eine hinreichende Menge des Giftes in das Blut des Muskels gelangt war. An den Curven, welche auf Glaspapier fixirt wurden, habe ich die Länge der Abscisse gemessen, welche dem Zeitraum entspricht, der zwischen dem Augenblick der Reizung und dem Beginn der Verkürzung des Muskels verfliesst. Ebenso habe ich in den meisten Fällen den Werth derjenigen Abseisse be- stimmt, welche zwischen dem Punkte der ersten Erhebung und jenem Punkte sich befindet, in welchem die Zuckungsceurve zum ersten Male wieder die Abscisse schneidet. Ich habe demnach die Zeit bestimmt, welche verfliesst zwi- schen dem Augenblieke der Reizung und dem Beginn der Zuckung; ich habe ferner die Zeitdauer jeder einzelnen Zuckung gemessen, beim vergifteten und beim unvergifteten Muskel, nach directer sowie nach indirecter Reizung. Im Folgenden gebe ich zunächst eine Uebersicht über die Zahlen, welche ich durch die directe Messung der angegebenen Curvenstücke erhielt. Tabelle I. Reizung vom Nerven aus mittels des Oeffnungs- inductionsschlages der secundären Spirale. Beginn der Vergif- tung. Zuckungsmaximum des vergifteten Muskels gleich dem Zuckungsmaximum des unvergifteten Muskels. Belastung der Muskeln äusserst gering. Die zu einander gehörigen Versuche sind mit gleichen Zahlen bezeichnet. 172 A. v. Bezold: Länge der Abscisse ent- Länge der Abseisse ent- | sprechend dem Zeitraum sprechend dem Zeitraum | Zwischen dem Beginn zwischen Reizung und | der Zuekung und dem Mo- Beginn der Zuckung mente, wo der Muskel zur in Millimetern. natürlichen Länge zurück- gekehrt in Cm. Vergiftet Unvergiftet | Vergiftet Unvergiftet T. 1; g 7,9 2. 9 7,6 8,2—8,6 8,2-8,6 3. 9,5 7,9 4. 9,4 7,9 5: 9,5 IL. 1 8,5 7,9 2 8,5 2,5 3 9,0 7,5 8,6—9 8,6 4 9,1 er 5 9,0 7,9 11. 1 9,9 7,7 8,6 84 2 7,6 8,4 IV. 8» g 7,5 2. 9,2 7,6 3. 9,5 7,7 8,95—8,6 8,4—8,5 4. 10 9. 9,5 6. 10 Y..rd. 10 8 84 8,4 2. 9,5 8 8,4 84 Ich begnüge mich mit der Anführung dieser Versuche, deren Anzahl ich noch bedeutend vermehren könnte. Alle Versuche dieser Art, welche ich anstellte, ergaben ein vollkommen ana- loges Resultat. Tabelle II. Spätere Stadien der Vergiftung. Indirecte Rei- zung durch Oeffnungsinduetionsschläge. Das Zuckungsmaxi- mum ist bereits mehr oder weniger gesunken. Die nachfolgen- Untersuchungen über die Einwirkung des Pfeilgiftes u. s. w. 173 den Zahlen gehören sämmtlich Curven an, die durch vergiftete Muskeln gezeichnet sind. Abseissenlänge | entsprechend der Zeit zwi- schen Reizung und Beginn der Zuckung in Millimetern. rap 12,2 IL. 1. 10,1 2. 11,0 5 11,0 D.da 15 2. 15,5 DVäsnit. 11,5 2. 15,0 ol 0 15,0 en 9,5 ?. 10 3. 13 wm 'T 10 2. 16 3. 13,2 4. 14,5 Abscissenlänge zwischen der ersten Erhebung und dem ersten Schneidepunkt der Zuckungsceurye mit der Abscisse in Cm. 9,2 10,2 11,3 11,8 10 12,2 8,4 10,0 Um die Zahlen, welche in der letzten Tabelle enthalten sind, vergleichbar zu machen, musste ich durch schwache Rei- zungen kleine ungefähr mit den angeführten, an Höhe gleiche Zuckungscurven von den Muskeln unvergifteter Thiere, zeichnen lassen, Ich fand, wie man schon aus Helmholtz’ Versuchen vermuthen kann, auch hier grössere Werthe für die Abseissen zwischen Reizung und Beginn der Zuckung, als bei den Maxi- malzuckungen unvergifteter Muskeln. Nach diesen Versuchen entspricht die Grösse von 9,5 Mm. beim unvergifteten Muskel der Zubl 15—16 bei den Zuckungen der vergifteten; die Grösse von 8—9 Mm, beim unvergifteten Thier der Zahl 11,0—13 Min. 174 A. v. Bezold: beim vergifteten. Ausserdem zeigt es sich, dass der Zeitraum zwischen Beginn der Verkürzung und der Rückkehr zur ur- sprünglichen Länge bei diesen kleineren Zuckungen unvergif- teter Muskeln, durch Abscissenwerthe von 8$—8,4 Cm. gemes- sen wird. Es folgt nunmehr eine Uebersicht über die Abscissenwerthe, welche den Zeitraum zwischen Reizung und Anfang der Ver- kürzung anzeigen, bei denjenigen Curven, welche durch Rei- . zung mittelst Schliessung des absteigenden Stromes im Nerven erhalten wurden. Wie ich in einer vorläufigen Mittheilung') angegeben habe, und wie ich später weitläufiger ausführen werde, sind die Schliessung des absteigenden und die Oeffnung des absteigenden Stromes allein diejenigen elektrischen Reize, welche man bei Untersuchungen über die Fortpflanzungsge- schwindigkeit der Erregung im Nerven mit den Reizungen durch Inductionsschläge vergleichen kann; denn allein in diesen bei- den Fällen findet der erregende Vorgang an der unteren Elek- trode statt; allein in diesen beiden Fällen stellen sich der Fort- pflanzung der Reizung im Nerven keine besonderen Wider- stände entgegen. Auch hier werde ich wieder diejenigen Versuche, bei denen das normale einfache Zuckungsmaximum erreicht oder (da die Schliessung des absteigenden Stromes gewöhnlich tetanische Zuckung erzeugt) überschritten wurde, von jenen gesondert darstellen, bei denen die Verkürzung des Muskels unter dem normalen Zuckungsmaximum verblieb. Tabelle III. Reizung durch Schliessung des absteigenden Stromes im Nerven (erste und zweite Stufe des Pflüger’schen Zuckungsgesetzes) erzeugt. Normales Zuckungsmaximum er- reicht, oder tetanische Zuckung. Ort der Erregung 1—1,2Cm. oberhalb des Eintritts des N. ischiadieus in den M. gastroc- nemius. 1) Siehe Medicinische Centralzeitung No. 25 vom 26. März 1859. Untersuchungen über die Einwirkung des Pfeilgiftes u. s. w. 175 Msenweritie entsprechend dem Zeitraum zwischen Schliessung des Stromes und Beginn der Zuckung in Mm. Vergiftete | Unvergiftete Muskeln B: 1. 9,5 7,9 2 10,5 I. 1. 15,0 35 . ı Oygue P 8,8 2: 9,5 7,5 3. 9,0 Tabelle IV. Reizung dürch Schliessung eines absteigenden Stromes im Nerven erzeugt. Vorgerückte Stadien der Vergif- tung. Verkürzungsmaximum des Muskels hat abgenommen. Zuckungen der unvergifteten Muskeln von gleicher Höhe mit den Zuckungen der vergifteten, durch schwache Reizung erzeugt. — = Abseissenwerthe entsprechend dem Zeitraum zwischen Schliessung des Stromes und Beginn der Verkürzung in Mm. Vergiftete | Unvergiftete Muskeln I. 25,0 9,5 II. 17,2 8,5 11,2 8,2 10,2 8,3 er | = x. a 2] Tabelle VI. Direete Erregung der vergifteten und unver- ‚ gifteten Muskeln durch Induetionsschläge, Maximalzuckungen. 176 "A. vw. Bezold: Abseissenwerthe entsprechend der Zeit zwischen Reizung und Beginn der Verkürzung in Millimetern. Vergiftete Unvergiftete Muskeln T. 1. 6 6,0 2 5,9 6,0 II, r. 6,1 6,0 2. 6,0 6,0 IIT. 1. 5,8 5,9 IV. 1. 6,1 6,1 Die vergifteten Muskeln befanden sich theilweise im frü- heren, theilweise im letzten Stadium der Vergiftung. Der Ver- lauf der durch directe Reize erzeugten Curven war genau der gleiche beim vergifteten und unyvergifteten‘Muskel. Die durch directe Reize erzeugten Zuckungen ver- gifteter Muskeln beginnen demnach eben so schnell nach Einwirkung des Reizes und zeigen denselben zeitlichen Verlauf, als die durch ähnlichen Reiz er- zeugte Zuckungen unvergifteter Muskeln. Diese letzte Versuchsreihe enthält die Bestätigung einer Erfahrung Pflüger’s. Letzterer zeigte mir bereits vor 1'/, Jahren zwei Curven, durch direete Reizung eines vergifteten und eines unvergifteten Gastroenemius erzeugt, welche voll- kommene Congruenz ihres Verlaufes darboten. Die, ‚Wieder- holung und Veröffentlichung dieses Versuchs war zur Ausfüh- rung des Planes, welcher dieser Arbeit zu Grunde liegt, durch- aus nothwendig. Fragt man nun vor Allem nach der Zeit, welche die Rei- zung bedarf, um sich von einer 1,2 Cm. oberhalb des Muskels gelegenen Nervenstrecke zu dem Muskel selbst fortzupflanzen und hier den Vorgang der Zuckung zu erzeugen, und ver- gleicht man die Werthe für die Abscissenlänge, durch welche jene Zeit gemessen wird beim vergifteten und beim unvergif- teten Muskel, so sieht man sofort, dass diese Werthe beim ver- + Untersuchungen über die Einwirkung des Pfeilgiftes u. s. w. 177 gifteten Muskel durchgängig und zwar theilweise um ein Be- deutendes grösser sind als bei dem unvergifteten, Man sieht sogleich, dass bei den vergifteten Muskeln eine längere Zeit verfliesst vom Augenblicke der Erregung, bis zu dem Augenblicke, wo der zuckungserregende Vorgang sich vom Nerven aus bis zum Muskel durch die intramusculären Zweige fortgepflanzt hat. Zieht man von den Abscissenwerthen, die den Zeitraum zwischen der indireeten Erregung und dem Beginn der Zuckung messen, diejenigen Werthe ab, welche die Zeit zwischen der direeten Reizung und den Beginn der Verkürzung anzeigen, so erhält man sowohl beim vergifteten als bei dem unvergifteten Thiere die direct mit einander vergleichbaren Werthe für die Zeit, welche nöthig war, damit die Erregung sich von einer 1—1,2 Cm. oberhalb des Muskels gelegenen Nervenstelle bis zu den Endverzweigungen des Nerven im Muskel fortpflanzte und vom Nerven auf den Muskel übertragen wurde. Die Differenz der Abscissenwerthe bei der directen und in- direeten Reizung ist aber als richtiges Mass für diese Zeit bloss in den Versuchen zu betrachten, wo das Zuckungsmaximum nach der indirecten Erregung erhalten wurde. In den Fällen, wo dies nicht geschah, giebt diese Differenz, da die Curven nach directer Reizung immer das Zuckungsmaximum besassen, einen grösseren Zeitraum, als den, der zur einfachen Fortlei- tung des Reizes zum Muskel nöthig ist, an. Ich besitze leider keine mit den niedrigen Curven in directer Reizung direct ver- gleichbare durch unmittelbare Reizung des Muskels erzeugten Curven von gleicher Höhe; demnach sind die Zahlenwerthe, in C und D der folgenden Uebersicht enthalten sind, ich um 1—2 Mm. zu hoch gegriffen. Allein trotzdem bt uns die Zusammenstellung dieser Zahlen ein der Wahr- heit nicht zu fernes Bild, da die Abseissenwerthe der von den vergifteten und unvergifteten Muskeln gezeichneten niedrigen Curven so beträchtlich von einander abweichen, dass der Fehler nicht allzusehr die aus der Vergleichung dieser Zahlen zu zie- henden Folgerungen stört, Reichert's u. du Bols-Keymond's Archiv. 1860. 12 178 A. v. Bezold:, Tabelle VI. Uebersicht über die Differenzen der Abseissen- werthe, welche die Zeit zwischen Reizung und Beginn der Zuckung angeben, nach Erregung des Nerven und nach direeter Erregung beim vergifteten und beim unvergifteten Muskel. A. Erregung durch Oeffnungsinductionsschläge. Zuckungs- maximum normal. Vergiftet Unvergiftet 203 1,5 3 1,6 3,5 1,5 3,4 1,5 3,5 I. 235 1,5 2,5 1,5 3,0 1,5 2% 1,5 3,0 1,5 DR 0 1,5 1,7 Iv..730 1,5 3,2 1,6 3,5 1,7 4,0 3,5 4,0 | V. 40 2,0 3,5 2,0 B. Erregung durch die Schliessung des abstöigälid n Stromes. Zuekungsmaximum unverändert. ee „" Vergiftet Unvergiftet 1. 35 1,5 4,5 1,5 IL 90 2,5 I. 23,8 3,5 1,5 3,0 Untersuchungen über die Einwirkung des Pfeilgiftes u. s. w. 179 C. Reizung durch Oeffnungsinductionsschläge, Zuckungs- maximum vermindert. Vergiftet Unvergiftet i.1vr6,2 Ige 41 153,5 5,0 5,0 Im. 90 9,5 IV. 90 von 45 9,0 VL. 35 4,0 7,0 vn 40 10 vn. 72 8,5 D. Reizung durch Schliessung des absteigenden Stromes. Zuckungsmaximum vermindert. Vergiftet _Unvergiftet L. 9 3,5 U...343 2,5 I. 52 2,2 4,2 2,3 ni IV. 185 1,5 E vV. 125 a VL 155 3,1 vu. 105 3,2 10,5 Vor allem ist zu bemerken, dass die durchweg grösseren Differenzen in den Fällen der Reizung durch den absteigenden Strom davon herrühren, dass die Schliessung des absteigenden Stromes auch bei solehen Nervmuskelpräparaten Zuckung erzeugte, die durch das Gift schon soweit aflieirt waren, dass 12* 180 » "As v. Bezold: die stärksten Oeffnungsinductionsschläge, deren ich mich be- diente, nicht mehr als wirksame Reize dienten. Ich bediente mich relativ schwacher Induectionsströme, da ich mich vor dem Eintritte unipolarer Wirkungen bei grösserer Vermehrung ihrer Stärke fürchtete. Die Schliessung des absteigenden Stromes von einer Stärke, welche der ersten und zweiten Stufe des Pflüger’schen Zuckungsgesetzes entspricht, ist ohnedies ein sehr heftiger Ner- venreiz und mittels desselben konnten auch noch bei ziemlich weit fortgeschrittener Vergiftung vom Nerven aus brauchbare Zuckungen erhalten werden, ohne dass man irgend eine stö- rende Nebenwirkung auf eine vom Strom nicht direet durch- flossene Nervenstrecke zu fürchten hatte. Von der Abwesen- heit irgend welcher unipolaren Wirkungen überzeugte ich mich, wie dies natürlich ist, in jedem einzelnen Falle. Der Umfang des rotirenden Cylinders betrug 8,2 Mm., der- selbe bewegte sich in einer Seeunde 8 mal um seine eigene Achse. Eine Secunde entspricht demnach bei unseren Versu- chen der Länge von 656 Mm., oder auch 1 Mm. unserer Ta- bellen bedeutet 555 00015 Secunden. Als Mass für den Zeitraum, der zwischen der unmittelbaren Erregung des Mus- kels und dem Augenbliek liegt, wo er sich zu verkürzen be- ginnt, erhielten wir demnach sowohl beim vergifteten als beim unvergifteten Thier im Durchschnitt die Grösse von 0,0092 Se- eunden. Diese Zahl stimmt mit den von Helmholtz angege- benen sehr gut überein. Ferner beträgt die Zeit, die nöthig ist, damit die Reizung von einer 1—1,2 Cm. oberhalb des Muskels gelegenen Nerven- strecke sich bis zum Muskel fortpflanze (die Differenz der Abseissen der direeten und indireeten Reizung) bei den unver- gifteten Muskeln im Minimum 0,0023 Secunden, im Maximum (wenn. wir die nöthige Correetur wegen der verschiedenen Zuckungshöhe anbringen) ungefähr 0,004 Secunden. Beim ver- gifteten Thier dagegen finden wir für dieselben Zeiträume im Anfange der Giftwirkung d.h, in den Fällen, wo das normale Uutersuchungen über die Einwirkung des Pfeilgiftes u. s. w. 181 Zuckungsmaximum noch erreicht wird, die Grösse von 0,0046 bis 0,014 Secunden. Die Geschwindigkeit, mit welcher die Erregung vom Nerven auf den Muskel übertragen wird, wird nach diesen Versuchen demnach im Anfange der Einwirkung 'des Giftes bereits auf die Hälfte, ja auf den vierten Theil des ursprünglichen Wer- thes herabgesetzt, und diese bedeutende Verzögerung in der Fortpflanzung und Uebertragung der Erregung ist bemerkbar in einem Stadium, wo man durch die Nervenreizung noch das normale Maximum der Verkürzung des vergifteten Muskels er- zeugen kann. In dem späteren Stadium der Vergiftung finden wir noch grössere Werthe für die Zeitdauer der Fortpflanzung und Uebertragung des Reizes auf den Muskel. Die Zahlen, welche diese Zeitdauer in Secunden ausdrücken, schwanken in diesen letzteren Fällen zwischen 0,0076 und 0,026 Seeunden. Es kann demnach ‚die Geschwindigkeit der Uebertragung und Fortpflanzung des Reizes durch das Gift bis um das 6—7fache vermindert werden, ehe die Leitungsfähigkeit des Nerven total erlischt. Aus den vorhergehenden Versuchsreihen ergiebt sich dem- nach als vollkommen klares Resultat Folgendes: Die Einwirkung des Pfeilgiftes auf dieintramus- eularen Nerven. äussert sich in einer Verzögerung der Fortpflanzung und Uebertragung des Reizes von Nerv auf Muskel; in einer Verzögerung, die fortwäh- rend zunehmend miteiner fortwährend zunehmenden Abschwächung der Erregung während der Fortpflan- zung verbunden ist und auf diese Weise in eine all- mählige Vernichtung der Leitungsfähigkeitdes Ner- ven übergeht, Es musste mir sofort die Aehnlichkeit in dem Verhalten des vergifteten Nerven mit den Erscheinungen, die man an einem in elektrotonischen Zustand befindlichen Nerven wahrnimmt, auffallen. Wie ich später ausführlich darthun werde,') kann man durch }) Siehe Medicinische Oentralzeitung No. 25 vom'26, März 1859. 182 A. v. Bezold: den Einfluss des bestehenden Anelektrotonus oder in noch be- deutend stärkerem Masse durch den Einfluss eines vergehenden katelektrotonischen Zustandes in beliebigen Nervenstrecken Ver- änderungen erzeugen, die sich ebenfalls durch eine messbare, oft sehr bedeutende Verzögerung der Fortpflanzung von Reizen charakterisiren, und zwar ist, wie bei den vergifteten Mus- keln, diese Verzögerung der Fortpflanzung auch hier begleitet yon. einer mit dem Grade der Verzögerung in Verhältniss ste- henden Abschwächung der Erregung auf ihrem Wege. Um die Analogie festzustellen, war es aber vor Allem nö- thig, die in der letzten Zeit wieder durch die Versuche von Funke in den Vordergrund getretene Frage, ob denn das Pfeil- gift wirklich die Nervenprimitivröhren selbst oder nur, wie Funke will, gewisse Zwischenorgane zwischen Nerv und Mus- kel lähme, experimentell zu entscheiden. Denn in letzterem Falle würde die ganze Verlangsamung in der Fortpflanzung des Reizes auf Rechnung eines zwischen Nerv und Muskel ein- geschobenen hypothetischen Stückchens kommen, was weder Nery noch Muskel ist, im ersteren Falle dagegen würde sich der ganze Verlauf der Erscheinungen einfach ableiten aus einem allmähligen Ergriffenwerden der intramuscularen Nervenröhren durch das Gift, in einer immer grösseren Ausdehnung, so dass allmählig mehr und mehr Querschnitte des Nerven in jenen die Fortpflanzung der Reizung verzögernden, den Reiz selbst ‚ab- schwächenden Zustand übergehen, wie wir dies auch beim elek- trotonischen Zustande des Nerven vorfinden. ..Zu dem Ende war es wichtig zu erfahren, ob sich auch innerhalb der extramuscularen Nervenfasern eine messbare Ein- wirkung (des Pfeilgiftes nachweisen liesse, ‚eine Einwirkung ähn- lich derjenigen, welche wir bei den intramuseularen Nerven nachgewiesen haben. Zunächst untersuchte ich, ob die Fortpflanzungsgeschwindig- keit der Reizung im Stamme des Nervus ischiadieus zu derje- nigen Zeit eine nachweisbare Aenderung erleide, wo man das ‚Auftreten der Lähmung in den intramusceularen Nerven beob- achtet. Zu diesem Behufe ‚stellte ich mehrere Versuche ‚an. Ich Untersuchungen über die Einwirkung des Pfeilgiftes u. s. w. 183 vergiftete nämlich Frösche mit geringen Gaben des Giftes, prä- parirte, nachdem deutliche Spuren der Vergiftung sich ‚bei den Thieren eingestellt hatten, M. gastrocnemius und N. ischiadieus, und liess nun den Muskel möglichst congruente Curven auf dem Cylinder des Myographions aufzeichnen, indem ich bald durch Reizung einer entfernteren, bald durch Reizung, einer näheren Nervenstrecke Muskelzuckungen erzeugte. Dabei wurde, wie dies auch in den Versuchen von Helm- holtz der Fall war, die Reizung der entfernteren Stelle, der- jenigen der näheren vorausgeschickt. Auch hier folgten den Versuchen an vergifteten Muskeln sofort ganz unter ‚denselben Bedingungen angestellte Versuche an unvergifteten Muskeln, Als Beispiele gebe ich die Resultate der Messungen bei zwei Versuchsreihen, wo die mit einander verglichenen Curven voll- ständig congruent ausfielen. Tabelle VII. Reizung mittels des Oeffnungsinductions- schlages. | Abseissen entsprechend der Zeit zwischen Reizung und t | Renee eek | Beginn der Zuckung, ausgedrückt in Millimetern. Reizstellen | Reizung nahe vom Muskel | Reizung entfernt vom Muskel Vergiftet | Unvergiftet ‘| Vergiftet | ‚Unvergiftet 4,5 Cm. 38 | 7,8 10 | 9 u, 15 | 7,9 16 8,5 Auf 4,5 Cm. Nervenstrecke erhalten wir demnach eine Diffe- renz von 1,2 Mm. Auf 4 Cm. Nervenstrecke eine Differenz von] Min..sowohl beim vergifteten als beim unvergifteten Thiere. Dies entspricht im ersteren Falle ‚einer ‚Fortpflanzungsge- schwindigkeit von 24,54 Metern, im zweiten Falle einer Fort- pflanzungsgeschwindigkeit von 26,12 Metern in der Secunde, so- wohl im vergifteten Nerven als im unvergifteten. > Wir finden demnach, dass in demjenigen Stadium ‚der Ver- giftung; wo die intramuscularen Nerven dem Reize bereits einen beträchtlichen Widerstand entgegensetzen, die Nerven- stümume noch keine merkliche Verzögerung ‚der ‚Fortpflanzung 184 A. v. Bezold: des Reizes erkennen lassen. Es fragt sich nun weiter, ob eine’ derartige Verlangsamung in der Fortpflanzung der Erregung durch bedeutende Gaben des Giftes nach längerer Einwirkung in den Nervenstämmen selbst erzeugt werden könne. Um diese Frage zu entscheiden, wurde eine grössere Reihe von Versu- chen angestellt. Zu diesen letzteren bediente ich mich eines äusserst schnell und kräftig wirkenden Giftes, das mir von Herrn Professor du Bois zu diesem Zwecke gütigst überlassen wurde, und welches derselbe von Herrn Appun in Bunzlau bezogen hatte, Dieses Gift, in mässig grossen Gaben in einen Querschnitt durch den M. pectoralis gebracht, lähmte innerhalb 2—5 Minuten die damit behandelten Frösche vollständig, wäh- rend dasjenige Gift, welches ich in den früheren Versuchen be- nutzt, gewöhnlich erst nach 10—30 Minuten seine vollständig lähmende Wirkung entfaltet hatte. Ich verfuhr nun dermassen, dass ich bei einer grösseren Anzahl von Thieren durch Unter- bindung der Kniegefässe einer Seite die Blutzufuhr von dem M. gastrocnemius dieser Seite abhielt. Der Nervus tibialis wurde hierbei natürlich möglichst - geschont. Die operirten Frösche vergiftete ich hierauf mit starken Dosen des kräftig wirkenden Giftes, das, wie schon erwähnt, in eine Wunde des N. pectoralis gebracht wurde, Die Muskeln des unversehrten Unterschenkels waren in diesen Versuchen bereits nach 2 bis 4 Minuten vollständig motorisch gelähmt, während der andere Unterschenkel, der nach der Operation vollständig normal be- wegt wurde, noch mehrere Stunden nach der Vergiftung auf Reizung des Thieres, insbesondere aber auf Reizung der eigenen Bedeckungen Reflexbewegungen zeigte. Nach Verlauf von 3 bis 4 Stunden, oft schon nach 2 Stunden, wurden jedoch auch diese Bewegungen merkbar träge und schwerfällig, bis sie, wenn man lange genug, 3—5 Stunden, wartete, regelmässig ganz ausblieben. In Zwischenräumen von 1—3 Stunden nach Beibringung des Giftes wurden nun M. gastroenenius und N. ischiadieus der unterbundenen Seite freigelegt und zum Versuche am Myogra- phion verwandt. Hier verfuhr ich ganz in gleicher Weise, wie bei den zuletzt beschriebenen Versuchen. Ich reizte nämlich Untersuchungen über die Einwirkung des Pfeilgiftes u. s. w. 185 durch Induetionsschläge bald eine vom Muskel entfernte, bald eine dem Muskel nahe gelegene Nervenstrecke, liess den Mus- kel die eigene Verkürzung am rotirenden Apparate aufzeichnen und verglich die der näheren und entfernteren Reizung ange- hörigen Curven mit einander. Auch hier ging die Reizung der entfernteren Nervenstrecke derjenigen der näheren voraus. Bei mehreren Versuchen wurde regelmässig zwischen beiden Rei- zungen abgewechselt und wenn sich während dieser Zeit bei beiden Arten von Reizung durch die fortschreitende Vergiftung die Abseissenwerthe änderten, das Mittelder aus den entfernteren Reizungen mit dem Mittel der aus den näheren Reizungen sich ergebenden Werthe verglichen. Die Ergebnisse der vorstehenden Versuche finden sich in folgender Uebersicht. Tabelle VII. Reizung des vergifteten Nerven durch Induc- tionsschläge, bald nahe, bald entfernt vom Muskel. Reizung nahe bedeutet immer 1 Cm. oberhalb des Muskels. 3 | Abseissenwerthe für | Fort- | 2 den Zeitraum zwi- | er AaunBIEN: a 3 schen Reizung und . schwin nl ai = Beginn derZuckung. Erregungs- |in einer Se- nach der = stellen eunde ausge- Vergiftung 6 Reizung | Reizung „„ Nerven drückt in | zZ | nahe fern Metern 9,2 | | 75 \ 4Cm. | 15,9 2 Stunden 92 | 1. | 19,5 | 2; ol 4,5: 15,9 2 [2.037 | 1m. | 86 | | | 88 N a 78 | 194 | | Y ıv. 85 | 76...) N 86 | 76 | 186 A, v. Bezold: = Abseissenwerthe | Fort- | = ‚ sprechend dem Zeit- | untl Be L 5 ‚raum zwischen Rei- ; der beiden \schwindigkeit Zeit ” zung und Beginn | gereizten in einer Se- nach der 8 der Zuckung Nerven- eunde, aus- Vergiftung, .. F ’ & | Reizung | Reizung , strecken gedrückt in zZ nahe fern Metern. | ee 1 1 V. 10 | ı 86 38Cm. ° 16,5 | 14 Stunden | | | 84 | | vi. | 135 | 8,6 Prien, | 5797712 „ | 1..13;4 | | 1 vu. 11,5 | | 23,14) A | 145 | ı ae VI. 9 | 4 ” 26,18 14 „ | = aa | | IX. | | 123,9 Di9, 403 7,36 220 2, 99 | | x 114,4 j 8,6 12,2 ZN 12,3 4 '» 10 Zu diesen Tabellen muss ich Folgendes bemerken. Die Curven No, IX. und No, VII. gehörten Zuekungen an, die unter dem normalen Zuckungsmaximum blieben; die übrigen, wenigstens die durch die Reizung der entfernten Stelle erzeug- ten, zeigten das normale Zuckungsmaximum. Ferner waren in den Fällen No. V1., VII, VIIL, IX., X. die Höhen derjenigen Curven, die der Reizung der näheren Nervenstrecke entspra- chen, constant etwas niedriger, als diejenigen der durch den entfernten Reiz erzeugten Curven; ausserdem zeigten die er- steren ganz regelmässig einen etwas gestreckteren Verlauf, lauter Umstände, welche die Geschwindigkeit der Fortpflanzung eher etwas grösser als in Wirklichkeit erscheinen lassen, so Untersuchungen über die Einwirkung des Pfeilgiftes u. s. w. 187 dass die Schlüsse, die aus den Zahlen zu ziehen sind, ‚a fortiori bewiesen werden. Die Versuche waren bei einer Zimmertemperatur von 14 bis 15° C. angestellt worden, und alle Versuche, welche ich in derselben Zeit, an denselben Tagen an unvergifteten Fröschen zum Vergleiche anstellte, ergaben eine Fortpflanzungsgeschwin- digkeit der Reizung von 25—27 Metern in der Secunde im N. Ischiadieus. Die Frage, welche ‚wir früher aufwarfen, ob nämlich die Nervenprimitivfasern allmählig in ihrem ganzen Verlaufe von dem Gifte affieirt werden, kann demnach, wie Jeder aus den mitgetheilten Versuchen ersehen wird, als eine entschiedene be- trachtet werden. ; Wir haben ‚durch ‚die beiden angeführten Versuchsreihen ge- zeigt, dass das Pfeilgift im Anfange seiner Einwirkung, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung in den intramus- eularen Nerven herabsetze; dass daselbst Widerstände entste- hen, die sich dem Weiterschreiten der Erregung durch den Nerven verlangsamend und abschwächend entgegensetzen; dass im weiteren Verlaufe der Vergiftung diese Widerstände so sehr anwachsen, ‚dass die Reizung dieselben nicht mehr zu über- winden im Stande ist, ‚sondern erlischt, ehe ‚sie an das Ziel ge- langt; wir haben ‚gezeigt, dass das Gift dieselbe Ein- wirkung auf die Nervenstämme ‚übe, indem es auch hier eine Verminderungder Fortpflanzungsgeschwin- digkeit erzeugt, welche, nach den letzten bisherigen Versuchen wenigstens, auf den fünften Theil ihres ursprünglichen Werthes herabgesetzt werden kann. Das Gift übt demnach eine schädliche Einwirkung auf allen Querschnitten. aus, es übt diese Wirkung auf den Nerven selbst in grosser Ausdehnung aus, es übt jendlich diese Wirkung be- deutend leichter und schneller aus auf die intramuseularen Ner- venfasern, als auf die Primitivnervenfasern in ‚den ‚Stämmen. Wir können bis jetzt durchaus ‚nicht ‚wit Sicherheit ‚sagen, ob durch diese Einwirkung ‚des Giftes die unmittelbare Eirregbar- keit der Nervenfaser. selbst herabgesetzt werde; wir finden blos, ‚dass eine immer mehr zunehmende Unfähigkeit des Nerven 188 A. v. Bezold: erzeugt werde, den Reiz von der unmittelbar betroffenen Ner- venstrecke fortzupflanzen, eine Unfähigkeit des Nerven ähnlich derjenigen, welche wir an einer im Anelektrotonus befindlichen Nervenstrecke wahrnehmen; welche wir in ausnehmender Stärke wahrnehmen an einer Nervenstrecke, unmittelbar nachdem sie aus einem lange andauernden und stark ausgesprochenen Kat- elektrotonus zurückgekehrt ist. Es ist möglich, dass der Nerv, auch nachdenfi er durch das Pfeilgift die Fähigkeit eingebüsst hat, die Reizung auf beträcht- liehere Strecken fortzupflanzen, immer noch direet erregbar sei; d. h. dass durch irgend ein Reizmittel an der unmittelbar vom Reize betroffenen Stelle der Vorgang der Erregung entstehe, welcher sich aber nur um ein Minimum nach beiden Seiten hin auszubreiten vermag. Es ist demnach: bis jetzt die An- nahme unwiderlegbar, dass bei der direeten Reizung des ver- gifteten Muskels immer noch nervöse Theile, die unmittelbar an der Grenze zwischen Nery und Muskel sich befinden, und welche, nach der eben ausgesprochenen Mögliehkeit, mit den direct gereizten intramuseularen Nervenfasern in den Zustand der Erregung übergeführt werden, bei der grossen Nähe des Muskels diesen Vorgang der Erregung auf den Muskel noch zu übertragen im Stande seien, so dass die direete elektrische Er- regung der Muskelsubstanz bei vergifteten Thieren immer noch aus der Summe der Erregung von Nerv und Muskel zusam- mengesetzt wäre. Die chemische Erregung vergifteter Muskeln würde aller- dings in den seltensten Fällen, da sie gewöhnlich vom Muskel- querschnitt aus geschieht, diese Eintrittsstelle des Nerven in den Muskel treffen, und daher wird sich in diesen Fällen der Muskel gegen die Erregung meist so verhalten, wie ein seiner Nerven vollkommen beraubter. Es leuchtet ein, dass je kleiner im vergifteten Nerven die Strecke ist, durch welche der Reiz sich fortzupflanzen hat, desto geringer die Widerstände sein werden, welche derselbe auf seinem Wege zu durchlaufen hat, dass desto längere Zeit nach der Einwirkung des Giftes eine indirecte Erregung des Muskels möglich sein werde, Sehr lange Nervenstrecken da- Untersuchungen über die Einwirkung des Pfeilgiftes u. s. w. 189 gegen werden, auch wenn dieselben noch relativ wenig vom Gifte verändert sind, doch der Fortpflanzung der Erregung vom Centralorgane aus bereits beträchtliche Widerstände entgegen- zusetzen vermögen. Es stimmt daher, wie Jeder einsieht, die Anschauungsweise über die Art und Weise der Vergiftung, wie sie aus unseren Versuchen unmittelbar hervorgeht, sehr gut mit den Erfahrun- gen der früheren Experimentatoren (Bernard) überein, welche angeben (eine Angabe, die ich bestätigen kann), dass die hin- teren Extremitäten gewöhnlich früher von der vollständigen Lähmung befallen werden als die vorderen, und diese wieder früher als die Muskeln des Respirationsorganes, dass endlich das Herz, in welchem der Weg vom Centralorgane nach den Muskeln der kürzeste ist, viel später der läbmenden Wirkung des Pfeilgiftes anheimfällt, als die Muskeln des Stammes und der Extremitäten. Bekanntlich hat bereits Pflüger (Hemmungs-Nervensystem) eine Vermuthung über die Art und Weise, wie das Pfeilgift auf die Nerven einwirken möge, ausgesprochen, welche mit den Thatsachen, welche ich durch die Versuche festgestellt habe, auf das Vollständigste übereinstimmt. Ich werde am besten thun, seine dort ausgesprochene Vermuthung hier wörtlich ab- zudrucken. Er sagt (l. ec. S. 74-75): „Man kann indessen noch auf eine andere Vermuthung kom- men, welches die Ursache jenes sonderbaren Verhaltens des Herzens gegen das amerikanische Pfeilgift sei. Aus den Unter- suchungen von Kölliker ergiebt sich, dass das Gift den gan- zen Stamm des Nerven affieirt, aber, wie es scheint, um so intensiver, je peripherischer der Theil derselben ist. Daraus folgt, dass im Beginn der Vergiftung, so lange der Nerv noch nicht total zerstört ist, die Leitung in demselben einen um so grösseren Widerstand zu überwinden hat, je weiter sie sich nach der Peripherie fortpflanzt. Von der Grösse dieses Wider- standes, welche offenbar mit der Länge des Nerven sehr rasch und nicht proportional zunimmt, muss es also abhängen, ob eine Erregung den Muskel noch zu erreichen vermag oder be- reits vorher im Nerven erlischt. 190 "A. v. Bezold: Im Herzen können wir uns die Bahn der peripherischen Fasern fast beliebig kurz vorstellen, da keine entgegenstehen- den Thatsachen vorhanden sind. Wenn mithin die Ganglien- zelle dem vergifteten Nerven eine Innervationswelle zusendet, so wird die Erregung den Muskel noch hinreichend kräftig zu erreichen vermögen, weil der zu überwindende Leitungswider- stand mit dem sehr kleinen Factor der Nervenlänge multiplieirt erscheint. Innerhalb der kleinen Grenzen kann man ja die Function als proportional der Nervenlänge ansehen, während der totale Leitungswiderstand einer längeren Strecke allerdings ein bestimmtes Integral darstellt, dessen Element gleich ist dem Product aus dem variablen Leitungswiderstande in das Län- gendifferential des Nerven. Man müsste indessen, um diese Hypothese zu halten, noch zu der Annahme greifen, dass ein gegebenes sehr kleines Nervenstück erst beträchtlich lange Zeit nach der Vergiftung einen unendlich grossen Leitungswiderstand darbietet, was ja den Thatsachen durchaus nieht entgegen ist. Fernere Untersuchungen müssen ergeben, welche dieser An- schauungsweisen der Wahrheit am nächsten kommen, da diese aus den bis jetzt bekannten T’'hatsachen mit Bestimmtheit nicht erschlossen werden kann.“ Was die Funke’schen Versuche anbetrifft, welcher (siehe Be- richte über die Verhandlungen der Kgl. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, math. phys. Klasse. 1859. I. II. „Bei- träge zur Kenntniss der Wirkung des Urari und einiger an- derer Gifte“) gefunden hat, dass noch lange nach der Vergif- tung der Froschnerven durch Urari dieselben den Nerven- strom, die negative Schwankung, die elektrotonischen Zustände und zwar sowohl an den motorischen als an den sensiblen Nervenwurzeln, in einem ausgezeichneten Grade zeigen, so sind bis jetzt allerdings die Resultate, welche ich am Myogra- phion erhalten habe, in einem gewissen Widerspruch mit den seinigen, am Multiplieator beobachteten, in einem Widerspruche, den weitere Versuche aufklären müssen. Für die allgemeine Physiologie sind die Versuche, soweit ich sie bis jetzt besprochen habe, insofern, wie ich glaube, von einigem Interesse, als wir ein ganz neues, einer besonderen Ka- Untersuchungen über die Einwirkung des Pfeilgiftes u. s. w. 19] tegorie angehöriges Mittel durch dieselben kennen gelernt ha- ben, dureh welches wir im Stande sind, die Fortpflanzungsge- schwindigkeit der Reizung im Nerven beträchtlich herabzu- setzen. Wir wissen bis jetzt, dass Kälte dieselbe herabsetzt, wir wissen, dass der Zustand des Elektrotonus verzögernd auf die Fortpflanzung der Erregung wirkt, wir kennen nun ein chemisches Mittel, welches dieselben verzögernden Einflüsse auf die Fortpflanzung der Reizung im Nerven ausübt. Wir wissen zwar durchaus noch nicht, wie alle diese Einwirkungen genauer zu definiren sind, allein man sieht ein, dass durch eine allmälige Ausbreitung unserer Erfahrungen über die Bedingun- gen, von denen die Fortpflanzung und die Geschwindigkeit der- selben abhängt, sich der Weg anbahnen müsse zu den Versu- chen, die Natur der Fortpflanzung der Erregung direct zu er- gründen. Zum Schlusse will ich noch auf einen Umstand aufmerksam machen, welcher sich in all den Fällen, wo wir eine beträcht- liche Verminderung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit beob- achten, bis jetzt regelmässig gezeigt hat, und welcher sich auch bei den vorliegenden Versuchen vorfindet. Es hat sich nämlich gezeigt, dass durch die Einwirkung des Pfeilgiftes auf die intramuscularen Nervenfa- sern der zeitliche Verlauf der Zuckung nach indi- recter Reizung verändert und zwar bedeutend ver- zögert wird. Durehmustert man nämlich die Tabelle II., so findet sich, dass die Abseissenwerthe, welche die Zeitdauer bezeichnen, deren der Muskel zur Verkürzung und Rückkehr zur früheren Länge bedarf, beim vergifteten Muskel bedeutend grösser aus- fielen als, beim unvergifteten. Eine unmittelbare Anschauung der von den vergifteten Mus- köln gezeichneten Curven ergiebt, dass diese viel gestreckter in ihrem Verlaufe sind, als alle Curven gleicher Höhe von unver- gifteten Muskeln gezeichnet. Diese Verzögerung der einzelnen Verklirzungsstadien des Muskels nach indireeter Reizung macht sich sofort bemerkbar, sobald die Vergiftung so weit vorge- schriften idt, dass das normale Zuckungsmaximum nicht mehr 192 A. v. Bezold: erreicht wird. Bei diesen Zuckungen verfliessen vom Anfang der Verkürzung bis zur Rückkehr zur früheren Länge im Durchschnitte 0,13—0,23 Secunden,' während die kleineren Zuckungen unvergifteter Muskeln diese Stadien innerhalb 0,10 bis 0,14 Secunden zurücklegen. r Auf der anderen Seite finden wir, dass bei noch so weit vorge- schrittener Vergiftung dieZuckungen vergifteter und unvergifteter Muskeln nach directer Erregung mit einander congruent sind. Innerhalb der Muskeln kann also, so scheint es, die Ursache für'die Verzögerung des zeitlichen Verlaufs der Zuekung nicht liegen. Wir müssen die Ursache in den Verhältnissen des vergifteten Ner- ven suchen. Wenn dies aber der Fall ist, so ist es, wie es scheint, nothwendig anzunehmen, dass der Vorgang der Erre- gung im Nerven nicht ein momentaner, im Verhältniss zur Zeit- dauer der Zuckung der Zeit nach verschwindender sei, da sonst der zeitliche Verlauf der Beschleunigungen, welche der Nerv dem Muskel zusendet, sich durch den Zustand des Nerven nicht messbar ändern könnte, falls nur überhaupt noch beschleu- nigende Kräfte, welche die Zusammenziehung des Muskels be- dingen, von dem Nerven auf den Muskel übertragen werden. Es liegt vielmehr äusserst nahe, sich vorzustellen, dass der Vor- gang selbst der sogenannten einfachen Erregung gewissermassen aus einer Reihe von Stössen bestehe, die mit allerdings grosser Schnelligkeit in einer bestimmten Stärke auf einander folgend dureh den Nerven zum Muskel hinabeilen, und hier in dersel- ben Aufeinanderfolge eine unmittelbar auf einander folgende Reihe von Beschleunigungen erzeugen, in Folge deren der Muskel sich verkürzt. Lassen wir nun Einflüsse wie Kälte, elektrische Ströme, Einflüsse chemischer Art auf die Nerven ein- wirken, und gerathen die Moleeüle im Inneren des Nervenrohres in einen Zustand grösserer Widerstandsfähigkeit, ohne dass der Muskel eine analoge Veränderung erleidet, wie dies doch bei der Einwirkung des Pfeilgiftes der Fall zu sein scheint, so würde aus einer Verzögerung des zeitlichen Verlaufs der Erregung im Nerven während der Fortpflanzung des Reizes ganz einfach und ungezwungen die Verzögerung im zeitlichen Verlaufe der Mus- kelzuckung sich ableiten lassen; denn nothwendiger Weise hängt Untersuchungen über die Einwirkung des Pfeilgiftes u, s. w. 1983 der zeitliche Verlauf der Zuckung mit der Form. der Reizungs- welle im Nerven innig zusammen. Die Erscheinungen beim Elektrotonus scheinen, wie ich später noch. ausführlich mit- theilen werde, ebenfalls für diese, schon von Helmholtz als wahrscheinlich aufgestellte Ansicht zu sprechen. Aber als vollständig erhärtet ist diese Annahme noch nicht anzusehen, so viel Gewicht auch die an den vergifteten Mus- keln beobachteten Thatsachen ihr zu geben scheinen. Denn wir dürfen durchaus nicht annehmen, dass die Rei- zungsvorgänge, welche in den einzelnen Nervenprimitivfasern entstehen, alle gleichzeitig zum Muskel anlangen, da jedenfalls die Reizungen verschieden lange Wege zu durchlaufen haben, ehe sie in die einzelnen Muskelprimitivbündel gelangen. Die einzelnen Muskelprimitivbündel eines grösseren Muskels werden daher im Allgemeinen bei indireeter Reizung ungleichzeitig er- regt, und zwar werden die Zeiten der Erregung der einzelnen Bündel um so mehr von einander abweichen, je mehr die Fort- pfanzung in den intramuscularen Nervenfasern verlangsamt wird. Es werden demnach die Beschleunigungen, welche der Gesammtmuskel bei der einfachen Reizung ws Ne aus erleidet, der Zeit nach um so mehr aus einander lieg 0, um so langsamer auf einander folgen, je mehr Widerstände im intra- museularen Nerven sich der Fortpflanzung der Erregung gegen- überstellen. Eine Verzögerung im zeitlichen Verlaufe der Zuekung wird hieraus nothwendigerweise, folgen. Ferner hängt der zeitliche Verlauf der Muskelzuckung nach indirecter Reizung von der Geschwindigkeit ab, mit welcher die Erregung in den Muskelprimitivbündeln sich fortpflanzt, da, wie wir wissen, nur an gewissen Stellen ihres Verlaufes die Muskelprimitivbündel Nerven und mithin den Reiz empfangen. Es ist demnach erstens zu beweisen, dass die Verlangsamung der Fortpflanzung in den intramuscularen Nervenfasern bei der Vergiftung nicht ausreiche, um die beobachtete Verzögerung im ichen Verlaufe der Muskelzuckung zu erklären, es ist zwei- tens darzutlun, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Rei- zung .im Muskel durch die Einwirkung des Pfeilgiftes nicht oder wenigstens nicht erheblich geändert werde. Erst dann, Keichert's u. du Bols-Keymond's Archiv. 1860, 13 194 A. v. Bezold: Untersuchungen über die Einwirkung u. s. w. wenn dies geschehen, können die an den Muskeln beobachteten Thatsachen als Beweis für die von uns angenommene Natur der Erregung gelten. Resume. 1. Durch die Einwirkung des Pfeilgiftes (Urari, Curare, Woorara) auf die motorischen Nerven wird die Gesehwindig- keit, mit welcher sich die Erregung innerhalb derselben fort- pflanzt, herabgesetzt. 2. Diese Verlangsamung der Fortpflanzung tritt ein durch die Einwirkung des Giftes viel früher in den intramuscularen Nerven, bedeutend langsamer und später und bei grossen Ga- ben des Giftes in den motorischen Nervenfasern der Stämme. 3. Die durch den Einfluss des Pfeilgiftes erzeugte Ver- langsamung der Fortpflanzung wächst mit fortschreitender Ver- giftung mehr und mehr; sie ist mit einer stetig zutehmen- den Abschwächung der Erregung während der Fortpflanzung verbunden, sie geht endlich über in eine totale Unfähigkeit des Nerven, Erregungen, die innerhalb desselben geschehen, weiter fortzupflanzen. 4. Als die grösste Verminderung der Fortpflanzungsge- schwindigkeit im Nerven haben wir die Herabsetzung der Fort- pflanzungsgeschwindigkeit im Stamme des N. ischiadieus von 26 auf 5,5 Meter in der Secunde beobachtet. 5. Der zeitliche Verlauf der Muskelverkürzung nach di- recter Erregung wird durch die Einwirkung des Pfeilgiftes nicht geändert. 6. Der zeitliche Verlauf der Muskelverkürzung nach Erre- gung des Nerven wird mit zunehmender Verlangsamung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit durch die Einwirkung des Pfeil- giftes bis um das doppelte verzögert. Die vorstehende Untersuchung wurde im Laboratorium der Universität zu Berlin ausgeführt, dessen Räumlichkeiten und Apparate mir Herr Prof. du Bois-Reymond gütigst zur Be- nutzung überlassen hatte. Ich ergreife die Gelegenheit, um demselben meinen innigsten Dank hierfür auszudrücken. Jena, am 4. November 1359. Louis Waldenburg: Ueber Blutaustritt u. s. w. 195 Ueber Blutaustritt und Aneurysmenbildung durch Parasiten ‚bedingt. Von Louıs WALDENBURG. Die inneren Organe der Frösche beherbergen vielerlei Kysten, Am häufigsten von diesen sind die rundwurmhaltigen, welche ich in der bei weitem grösseren Hälfte aller Frösche, die ich untersuchte, sowohl Rana esculenta als temporaria, fand. Sie gehören gewöhnlich den Häuten des Darmeanals an, ihr Lieblingssitz ist zwischen der Mucosa und Muscularis des Ma- gens, auch wohl die Muscularis selbst, so‘ dass sie als kleine ° dunkelbraune Punkte äusserlich am Magen hervorsehimme Seltener begegnet man ihnen im Mesenterium, noch | innerhalb der Leber. Die Kysten haben meist eine li sen- oder nierenförmige Gestalt, ihre Grösse schwankt zwischen '/,—1/,!". Sie sind von einer Bindegewebsmembran umgeben, die bald ein fibrilläres Gefüge zeigt, bald nur aus jungen Zellen und einer nieht faserigen, hyalinen Grundsubstanz besteht. Der Inhalt der Kyste ist eine braune, unter dem Mikroskope bei durch- fallendem Lichte gelb und zum Theil röthlich erscheinende Masse, welche der Kyste die Farbe giebt. Ihre Consistenz ist entweder hart und brüchig oder wachsartig, so dass sie sich mit dem Deckgläschen platt drücken lässt. Bald ist die ganze Masse gleichmässig gefärbt, baJd, und zwar am häufigsten, theilt sie sich in einen breiten, gelben Rand und ein braunes oder rothes Centrum, welches beim Druck sich isolirt und für sich mit einer fibrillären, oft bindegewebigen Membran umgeben ist; bald endlich zeigt die Masse einen geschichteten Bau, s0 dass sie beim Druck in mehrere, etwa drei bis vier, concen- 13* 196 Louis Waldenburg: trische, nach innen dunklere Schichten mit faseriger Umhüllung zerfällt. Diese Masse, in welcher der Rundwurm eingebettet liegt, habe ich als Blut erkannt. Darauf geleitet wurde ich zuerst durch eine 0,25”' lange Kyste von ovaler Gestalt, die ich an dem Dünndarm ‚eines Frosches fand. Dieselbe erschien von dunkelbrauner Farbe, unter dem Mikroskope bei durchfallendem Lichte etwa gelbroth. Ihre Membran bestand aus zartem, jun- gen Bindegewebe, in welchem reichliche geschwänzte Zellen und Kerne, aber keine Spur von Faserung wahrgenommen wurde. Ihr Inhalt, von der bei der Kyste selbst beschriebenen Farbe, war weich und liess sich leicht platt drücken. Er bot in seiner ganzen Masse, am Centrum, wie an der Peripherie, ein gleiches Aussehn dar; überall war er aus feinen Körnehen zusammengesetzt. Die Körnchen lagen grösstentheils so grup- pirt, dass sie den Inhalt runder Zellen mit theilweise zerstörter Zellmembran und nicht mehr sichtbarem Zellkerne bildeten. Darunter befanden sich noch Zellen mit unversehrter Membran, die nur ein fein granulirtes Aussehen hatten, und worin ein- zelne is olirte Körnchen noch nicht zu unterscheiden waren. Das ganze Bild machte vollkommen den Eindruck von ge- “ schrumpften farblosen und entfärbten rothen Blutkörperchen, die in der fettigen Degeneration begriffen sind. Die, Farbe war diffus über das Ganze verbreitet. Einen Wurm habe ich in der Kyste nicht wahrgenommen. Dies hindert indess nicht, wie wir später auseinandersetzen wollen, dass die Kapsel dennoch einem Wurm ihren Ursprung verdankt, und ich un- terwarf daher den Inhalt der Rundwurmkysten einer genaueren Untersuchung. Dieser Inhalt ergiebt sich in den meisten Fällen ebenfalls vorzugsweise aus Körnchen zusammengesetzt, die sich bei Be- handlung mit Aether als Fetttröpfehen ausweisen. Sehr oft erkennt man daneben zahlreiche krystallinische Tafeln von Cho- lesterin, die sich in Aether lösen und sich bei dessen Ver- dampfung überall auf dem Objectglase wieder als Krystalle niederschlagen. Nach Ausziehen des Fettes zeigt die Grund- masse ein schwammig poröses Aussehen; beim Druck treten Ueber Blutaustritt und Aneurysmenbildung durch Parasiten bedingt. 197 oft unregelmässige Fasern hervor, oft auch erscheint die Masse wie von feinen Canälchen durchsetzt. Dasselbe Aussehen ge- währt häufig schon eine nicht mit Aether behandelte Kapsel, besonders deren am Rande befindliche gelbe Substanz. Man erkennt dann ebenfalls beim Druck jene Fasern und dazwischen wenige Fetttröpfehen eingestreut; wahrscheinlich ist in diesem Falle das übrige Fett schon zur Resorptien' gelangt. In sehr vielen Fällen sind derartige Fasern und Canäle im Inhalt der Kyste nicht wahrzunehmen, und dieselbe bietet dann neben den Fetttröpfchen und etwaigen Krystallen ein ganz homogenes An- sehen dar. Der Farbstoff, der, wie bereits angegeben, zwischen rotb, braun und gelb schwankt, ist gewöhnlich diffus über ‚die ganze Substanz verbreitet; häufig jedoch erscheinen, besonders im dunklen Centrum, braune, amorphe Pigmentkügelchen. In anderen Fällen endlich sind zahlreiche Hämatoidinkrystalle sichtbar, ‘von gelber durchsichtiger bis rubinrother Farbe, meist in sehr kleinen Prismen oder in etwas grösseren, schmalen rhombischen Säulen, welche letztere zuweilen in einem Büschel zusammensitzen. Diese Krystalle sind gegen Reagentien sehr resistent, in Schwefelsäure lösen sie sich nur ganz almählig, Jene diffus gelb gefärbte Masse, weniger die braune, erblasst schnell durch Kali, eben so wirkt concentrirte Schwefelsäure ‚nieht nur auf die gelbe, sondern meist auch auf die rothe und braune Farbe. Diese Eigenschaften des Kysteninhalts machen es wahr- scheinlich, dass- derselbe in der ‘That in Veränderung be- grifienes Blut sei. Die poröse Grundsubstanz wäre dann ge- ronnenes Fibrin, und die Fasern und Canäle zum Theil der Ausdruck von Falten, zum Theil vielleicht die von Roki- tansky als Oanalisation beschriebene Umwandlung des Throm- bus, Die gewöhnlich platte Gestalt der Nematodenkysten möchte aueh nicht ganz unwichtig sein, indem diese auf einen ursprünglich weichen Inhalt, der durch den Druck der ihn um- schliessenden Membranen abgeplattet werden konnte, hinweist. Eben so sind die später zu erklärenden, häufig in der Um- gebung der Nematodenkapseln ausgestreuten braunen Pigment- massen von Bedeutung, 198 Louis Waldenburg: Ausser dem "beschriebenen Inhalt schliesst die Kyste ‚den Rundwurm ein. Derselbe liegt meistens an der inneren Fläche der Kapsel und hat eine solche Länge, ‚dass er bald ungefähr 2/,, bald nahezu den ganzen Kystenumfang einnimmt, bald. end- lich denselben bei weitem überragt, so dass an einem Abschnitt des Randes der Schwanztheil neben dem Kopfe des Wurmes gelagert ist. In diesen Fällen sieht man: bei einem gelinden Drucke den Wurm vermittelst seines‘ Kopfes und spitzen Schwanzes die vorliegenden: Theile nebst: dem Bindegewebe der Membran mit ausserordentlicher Gewandtheit bei Seite drängen, was ihm dennoch nur sehr langsam gelingt. "Endlich nach langer Mühe kommt er, oft noch besudelt von der. Masse, die er passirte, zum Vorschein, und sobald er sich erst ganz befreit, bewegt er sich in den schnellsten Windungen, ähnlich einer Mückenlarve, so dass er immer unter dem Deckgläschen verschwindet und schwer zur Beobachtung festgehalten werden kann. An dem Munde des Rundwurms habe ich meistens deut- lich drei Lippen wahrnehmen können, so dass derselbe also zur Gattung Ascaris gehören würde. Vom Munde läuft eine lange Speiseröhre bis zum eylindrischen Schlundkopf, wo der Darmcanal beginnt, der sich an der Spitze des Schwanzes öffnet. Der Schwanz selbst ist in einen Haken umgebogen, Geschlechtstheile sind nieht wahrzunehmen, zu welcher bekann- ten Species das Thier heranwächst, lässt sich demnach noch nicht bestimmen. Der Wurm nimmt zwar am häufigsten den Umfang der Kyste ein, jedoch ist diese Lage keineswegs constant. Zu- weilen liegt er gefaltet an einer Seite des Randes; zuweilen gehört er dem Rande überhaupt nicht an, sondern liegt‘ ge- krümmt oder zusammengerollt mitten in der Kyste, und zwar häufig so, dass er um das dunkle Centrum herum gelagert ist, und darüber hinaus sich in spiraligen Windungen fortsetzt. Sobald wirklich ein lebender Wurm in der Kyste vorhanden ist, erkennt man ihn, wenn er, um sich bewegen zu können, zu fest in der Kyste eingekittet liegt, doch immer an dem deut- lichen Darmcanal. Oft jedoch bemerkt-man nur einen hellen Streifen ungefähr von der Form und Grösse eines Rundwurms Ueber Blutaustritt und Aneurysmenbildung durch Parasiten bedingt. 199 dieht unter der Bindegewebsmembran, oder auch von der Gegend des Centrums beginnend und spiralig nach dem Rande verlau- fend. Derselbe, wenn auch meist an Länge und Breite einem Rundwurm ähnlich, ist in seinen Grenzen verwischt, man kann weder einen deutlichen Anfang noch ein deutliches Ende wahr- nehmen, noch weniger lässt sich ein Darmcanal erkennen, Dieser wurmartige, durch seine helle Farbe von der übrigen Masse hervortretende Streifen ist es, was Gros als erste Ent- wicklungsstufe des Nematods bezeichnet. Hierauf unter An- derem gründet derselbe seine Theorie, dass die Nematoden erst in der Kyste entstehen, und zwar aus eingekapselten Opalinen und Distomen. (Bulletin de la Societ& imperiale des, Natural. de Moscou, 1855.) Jenen hellen Streifen bezeichnet er mit „une espece, de vers N&matoides,“ und er hat Recht, denn der- selbe ist kein Wurm, sondern nur einem solchen ähnlich. Ich konnte mich in der That überzeugen, dass ein Wurm nicht vor handen.war. Wenn die Kyste gedrückt wurde, zerbrach sie immer so, dass der wurmähnliche Streifen mit der übrigen Masse zerfiel, und dass dann oft genug die Spur eines Wurms überhaupt verwischt wurde. Eine Anzahl solcher Kysten mit wurmähnlichen, hellen Körpern legte ich in Alkohol; am an- deren Tage fand ich die Masse gleichförmig, und keine Spur von einem wurmähnliehen Körper war mehr vorhanden; offen- bar war der Alkohol in die Kysten eingedrungen und hatte eine gleichmässige Vertheilung des Inhalts bewirkt. Es ist, mir un- zweifelhaft, dass jener wurmartige helle Streifen nur die La- gerstätte des Wurms andeutet, dass der Wurm selbst aber be- reits aus der Kapsel entwichen sei, und dass dureh die Härte der Masse sich die Lücke, die er verlassen, nicht ganz ausge- glichen hat, wodurch diese Stelle heller erscheint. Daraus er- klärt es sich, dass bei jenem Streifen die Grenzen verwischt sind, dass kein Darmcanal sichtbar ist, dass er mit der übri- gen Masse beim Druck zerfällt und undeutlich wird, dass end- lich jede Spur desselben durch Alkohol verschwindet. Man könnte auch annehmen, dass der Wurm in der Masse bereits untergegangen ist, was auch viele der genannten Erscheinungen bedingen. würde, was. aber die .hellere Farbe des Streifens 200 Louis Waldenburg: schwerlich erklären könnte. Meine Vermuthung möchte durch Fälle folgender Art noch bestätigt werden. Eine ovale Kyste von !/,'”” Länge, '/,"' Breite, umgeben von einer Membran aus jungem Bindegewebe, worin nur Zellen und noch keine Spur von Faserung der Intercellularsubstanz zu erkennen waren, enthielt auf der einen Seite eine andere, der genannten Binde- . gewebsmembran dieht anliegende, nierenförmige Kyste, wie wir sie vorher beschrieben, von dunklerer Farbe, umgeben von einer fibrillären Bindegewebsmembran. In dieser letzten Kyste wand sich ein heller Streifen mit sowohl seitlich als nach den Enden unbestimmten Grenzen und verlor sich an dem inneren Rande, um mich so auszudrücken, im Hilus der nierenförmigen Kyste, wo die Membran auf eine Streeke unterbrochen war. Ausserhalb der Kyste, an deren innerem Rande, eingeschlossen in der grossen Kapsel lag ein gekrümmter Wurm in einer spärlichen, hellen Masse, den Kopf dem Hilus der inneren Kyste zugekehrt. Dass in diesem Falle die innere Kapsel älter ist, lässt sich aus den Membranen erkennen. Es sind nur zwei Möglichkeiten, entweder kam der Wurm von aussen und legt sich an die ältere Kyste an, oder der Wurm kam aus der Kyste selbst, blieb aber, statt sich weiter zu bewegen, neben ihr lie- gen; in beiden Fällen wurde durch Erregung einer Entzündung eine neue Bindegewebsmembran zu Stande gebracht. Der helle, wurmähnliche Streifen, der sich bis zum Flilus, wo die Mem- bran durchbrochen war, fortsetzte, und der, wie ich mich’ über- zeugen konnte, entschieden kein Wurm war, macht den letzten Fall wahrscheinlicher. Es kommen aber auch zuweilen Kysten vor, wo das Cen- trum einen deutlichen Rundwurm, und auch die Randpartie einen solchen enthält. In diesem Falle hat sich unzweifelhaft der Wurm des Randes um die vorher bestehende mittlere Kyste, d. i. das Centrum, herumgelagert und wurde daselbst einge- kapselt. Es hat dann nämlich das Centrum immer eine eigene Membran. Diese Anlagerung des Rundwurms an schon be- stehende Kysten zeigt sich besonders auch darin, dass wir zu- weilen Nematoden am Rande solcher Kysten antreffen, die nicht denselben beschriebenen Inhalt darbieten, sondern ein anderes Ueber Bintaustritt und Aneurysmenbildung durch Parasiten bedingt. 201 Entozoon, z.B. degenerirtes Trematod enthalten. Andererseits finden sich zahlreiche Kapseln mit allen Eigenschaften der Ne- matodenkysten, in denen keine Spur eines Rundwurms vorhan- den ist. Wenden wir uns nun zu den übrigen Kysten, welche in den Organen der Bauchhöhle der Frösche ihren Sitz haben, so fin- den wir Entozoen der verschiedensten Gattungen daselbst ein- gekapselt. Am häufigsten, jedoch bei weitem nicht so häufig wie Rundwürmer fand ich Holostoma urnigerum, welches ge- faltet oder auch spiralig gewunden in einer Bindegewebskapsel liegt. Die Cysten, welche ein lebendes Holostoma urnigerum enthalten, haften allen Organen der Brust und des Bauches an: dem Magen und Darm, dem Mesenterium, der Leber, den Nie- ren, den Geschlechtsorganen, dem Herzen, den Lungen, ferner der Bauchwand, der Wirbelsäule und selbst den Nerven und grossen Gefässen. Sogar innerhalb der Leber, den Nieren, den Bauchmuskeln, ja zwischen den Muskeln der Extremitäten lie- gen sie eingebettet. Seltener als Holostoma urnigerum sah ich lebende Distomen, noch seltener Opalinen enkystirt und zwar meistens an den unteren Partieen des Darmcanals, besonders am Reetum und Dünndarm, auch im Mesenterium. Häufiger beobachtet man eingekapselte Gregarinen. Die Trematoden veranlassen, indem sie innerhalb ihrer Kap- seln degegeriren, meist kuglige, von Bindegewebe umschlossene Kysten, von derselben Grösse, Farbe und Consistenz, wie die rundwurmhaltigen. Sie finden sich gewöhnlich in solchen Bröschen, wo zugleich zahlreiche lebende Trematoden einge- kapselt sind, und dann oft haufenweise in allen Organen der Bauch- und ‚Brusthöhle. In einigen sind die Entozoen nach ihrer Gattung zu erkennen, in den meisten jedoch sind diesel- ben grösstentheils schon degenerirt, und nur einzeln noch vor- handene Organe weisen auf ein zerstörtes Thier hin. So be- obachtet man zuweilen grosse, spiralige Gefüsse des Trema- toden, häufiger zusammenhängende Hautstücke, theilweise zer- fallen und gefaltet, #0 dass sie oft das Aussehen von breiten Oanälen mit davon abgehenden Seitencanälchen darbieten. Da- neben erscheint ein feinkörniger Detritus, dessen Körnchen 202 Louis Waldenburg: sich durch ihr Verhalten gegen Aether, ferner durch eine\ge- wisse Unregelmässigkeit wesentlich von den: Fetttröpfehen ‘der rundwurmhaltigen Kysten unterscheiden. Zwischen den mehr unregelmässig gestalteten Körnchen liegen regelmässigere, ‚die ebenfalls sich nicht als Fett erweisen, sondern wahrscheinlich die Reste der Excrete des Thieres sind. ' Diese Excrete sind beim lebenden Thiere — ich betrachte hier besonders Holo- stoma urnigerum — Körner ‚von verschiedener Grösse, von denen die kleineren durch Schwefelsäure. und Salpetersäure nieht angegriffen, die grösseren dadurch ‚unter Kohlensäure- Entwickelung so weit aufgelöst werden, dass auch von ihnen nur kleine Körnchen zurückbleiben. Wahrscheinlich werden auch bei der Degeneration des Thieres die Excrete auf jene kleinen, selbst in den stärksten Säuren unlöslichen Körnchen reduecirt; durch Zusatz von Schwefelsäure oder Salpetersäure entwickelt sich nämlich aus den. die degenerirten Entozoen ent- haltenden Kysten keine Kohlensäure. Die Farbe, welche meist diffus, oft aber auch an amorphes Pigment gebunden ist, stimmt ganz mit der der rundwurmhaltigen Kysten überein, nur dass sie häufig, jedoch nicht regelmässig, durch Kali tief dunkel wird. Wird nun durch die Farbe die Aehnlichkeit mit den Nematodenkysten schon bedeutend, so wird dieselbe noch da- dureh gesteigert, dass hier ebenfalls der Kysteninhalt in meh- rere Schichten, sehr oft sogar auch in ein dunkleg, Centrum und eine hellere Randpartie zerfällt. Die Schichtung ‚der Masse findet ihre leichte Erklärung in der gefalteten oder spiraligen Lage des Wurms, in welcher man ihn sehon beim Leben in- nerhalb der Kapsel beobachtet. Wie aber verhält es sich mit der Farbe? Aus dem Farbstoff besonders haben wir den In- halt der Nematodenkysten als Blut erwiesen, und nun begegnen wir einem ähnlichen und vielleicht ganz gleichen Farbstoff bei Kysten mit einem ganz anderen Ursprung. Sind wir noch be- rechtigt, dennoch die Füllungsmasse der Rundwurmkapseln für Blut zu halten? Ich glaube, dass dies kein Hinderniss dar- bietet. Die Möglichkeit liegt vielmehr sehr nahe, dass die Tre- matoden schon beim Leben einen dem Blut ähnlichen Farbstoff besitzen, der dann bei der Schrumpfung des Thieres concen- Ueber Blutaustritt und Aneurysmenbildung durch Parasiten bedingt. 203 trirter hervortritt. Ja, die Vermuthung ist sogar nicht unwahr- seheinlich, dass die Entozoen ihren Farbstoff vielleicht dem Blute ihres Wirthes selbst verdanken. Ich untersuchte mehrere in ihren Kysten noch ‚lebende Hotostomata urnigera und fand eine dunkelbraune bis rothe, meist‘ körnige Masse im Darm- eanal angehäuft und sich darin peristaltisch bewegend, während der übrige Körper nur wenig gefärbt erschien. Innerhalb jener dunkelbraunen Masse, welche durch Schwefelsäure hell’ wurde, fand sich auch ameorphes rothes Pigment von derselben Be- schaffenheit, wie das aus Blut hervorgegangene. Man trifft die Holostomen oft so in ihrer Kapsel gelagert, dass ihr Körper zusammengerollt und der grösste Theil der dunkel gefärbten Masse an einem einzigen Punkte des Darmcanals eoncentrirt ist. Diese Stelle, wo der Farbstoff schon beim Leben des Wurmes aufgespeichert wurde, bildet dann bei der Degeneration der Kyste das dunkle Centrum, während die übrige, wegen der Windung des Wurms geschichtete Masse bei weitem heller ge- färbt ist. Dass gerade der färbende Stoff sich im Darmeanal des lebenden Thieres befindet, von dem er wahrscheinlich durch Diffusion zum übrigen Körper gelangt, scheint die Vermuthung zu begünstigen, dass der Farbstoff dem Entozoon von aussen durch die Nahrung komme und wahrscheinlich vom Blut her- rübre. Lieberkühn' beschreibt in Müller’s Archiv 1854. 5. 349 kolbenförmige, gelbrothe Körperchen, welche auf der Sehleimhaut der Harnblase mancher Hechte aufsitzen und Pso- rospermien enthalten. G. Meissner hatte unabhängig in den- selben Körperchen Hämatoidinkrystalle gefunden (a. a. O. 5. 350.). ‘Diese Körperchen sollen keine Kystenmembran be- sitzen. Es ist fast gewiss, dass es gregarinenartige Thiere sind, die sich in Psorospermien umwandeln. Die Haematoidinkry- stalle und die gelbrothe Färbung rühren wahrscheinlich von veränderten Blute her, welches die Thiere beim Leben in sich aufgenommen haben. Indess mögen wir nun eine selbständige, dem Blutfarb- to ähnliche Substanz in den Entozoen annehmen, mögen wir dieselbe dem Blute ihrer Wirthe zuschreiben: immerhin kann die Aehnlichkeit des Farbstoffs in den Trematodenkysten den 204 Lonis Waldenburg: Ursprung der innerhalb der Nematodenkysten enthaltenen Masse aus Blut nicht widerlegen. Bot der Vergleich der Rundwurm- mit den Trematoden- kysten in Betreff unserer Behauptung, dass erstere Blut ent- halten, Schwierigkeiten dar, so ist dafür ein anderer Vergleich mit unzweifelbaften Blutkysten im Stande unsere Ansicht zu bekräftigen. In Müller’s Archiv 1341 (8. 451—453) beschrieb Remak Hornfäden, die er im Mesenterium der Frösche fand. Ich habe dieselben einer näheren Untersuchung unterworfen. Sie sind von verschiedener Grösse und erreichen selbst eine Länge von mehreren Linien, sie kommen sowohl im Mesenterium als im Magen und Darmcanal vor. Sehr oft sieht man sie vom Me- senterium in den Darmcanal übergehen. Bei den grösseren Fäden des Mesenteriums beobachtete ich oft schon mit blossem Auge, dass sie im Verlauf der Gefässe liegen; nnter dem Mi- kroskope wird dies bestätigt. Man bemerkt dann nämlich einen Hornfaden von der von Remak beschriebenen Form dunkel- braun gefärbt in einer gelben bis braunen, hohleylindrisch ihn um- gebenden Masse liegen und diese überall von einer Bindege- websmembran umkleidet, so dass ein vollständig geschlossenes Rohr um den Hornfaden gebildet wird. Zuweilen sieht man beide Enden des Rohrs sich in Gefässe fortsetzen; oft jedoch bemerkt man an dem einen, meist etwas breiteren Ende keine Verbindung mit einem Gefässe, während von dem anderen Ende eine Arterie gewöhnlich knieförmig: abgeht, ‚oder zwei Arterien daselbst gabelförmig nach verschiedenen Richtungen verlaufen. Während die Breite des Hornfadens ungefähr ?/;,"' beträgt, ist die Breite des ihn umgebenden Rohres etwa !/g0'", und das eine oder die beiden vom peripherischen Ende abge- henden Gefässe sind ungefähr gleich oder etwas schmäler als der Hornfaden. In vielen Fällen endlich, besonders in den Häuten des Darmeanals und wo die Fäden kurz sind, findet man sie innerhalb jener gelben Masse von einer Kystenmem- bran eingeschlossen, ohne dass man davon abgehende Gefässe an dem einen oder dem anderen Ende bemerkt. Betrachten wir zuerst die mit Gefässen zusammenhängenden Ueber Blutaustrittund Aneurysmenbildung durch Parasiten bedingt. 205 Hornfäden, so ist es sicher, dass das Rohr, worin die Fäden liegen, das erweiterte Arterienrohr, und dass die gelbe Masse, worin der Hornfaden eingebettet liegt, ein Tbrombus ist. Die Erklärung liegt nahe, dass jene Hornfäden fremde, von aussen kommende Körper, wahrscheinlich Borsten irgend eines Thieres sind, welche auf irgend eine Weise in den Blutlauf des Fro- sches gelangten. An jener Stelle der Blutgefässe blieb die Borste stecken, entweder wegen zu grosser Enge des Gefässes, oder weil dasselbe eine Biegung macht, an welcher die lange, steife Borste nicht vorüber kann, oder endlich, weil dort zwei engere Gefässe gabelförmig abgehen und der Hornfaden am Theilungspunkte in seiner Bewegung gehemmt wurde. Durch das Stoeken der Borste im Gefässe und das dadtirch bewirkte Hinderniss für den Blutabfluss erweitert sich die Arterie an dieser Stelle und bewirkt ein Aneurysma verum, meist ein An- eurysma verum eylindrieum. Oft stösst der Hornfaden mit sei- nem Ende gegen die Arterienwand, indem er, um durch einen schief abgehenden Ast durchzukommen, selbst in eine sehiefe Stellung durch das in dieser Richtung strömende Blut gebracht wird. Da seine Länge das Durchgehen dennoch nicht gestattet, so wird der Faden in querer oder schiefer Richtung iu dem Arterienrohr eingezwängt, und es bildet sich ein mehr unregelmässiges, theilweise sackförmiges, sehr breites, wahres Aneurysma. In vielen Fällen trifft man zwei Hornfäden iu demselben Rohre, indem, wenn mehrere fremde Körper sich in der Cireulation befinden, der eine natürlich da am leichtesten stecken bleibt, wo durch das Stocken des anderen schon frü- her ein grösseres Hinderniss bewirkt ist. Man findet dann beide Fäden parallel neben einander liegen, oder auch oft sich kreuzen, In dem letzteren Falle ist das Aneurysma nicht regel- mässig cylindrisch, sondern unregelmässig ausgebuchtet, wo der quere Faden gegen die Arterienwände stösst. Durch das Hin- derniss der Blutströmung, das entstandene Aneurysma, und ganz besonders durch den fremden Körper, der überdies mit zahl- reichen seitlichen Haken besetzt ist, gerinnt natürlich das Blut, und das Aneurysma füllt sich mit einem Thrombus, in dessen Mitte sich der Hornfaden befindet. : Der Thrombus organisint 206 Louis Waldenburg: sich an seiner Oberfläche und wird mit Bindegewebe, aueh gegen die zu- und ablaufenden Gefässe hin, verschlossen. Der Throm- bus geht seine Metamorphose ein und ergiebt so jene gelbe Masse, von welcher der Hornfaden umkleidet ist. Der Ge- fässstamm obliterirt allmählig, wo er durch den Thrombus dem Blutstrom entzogen wird, und so kommt es, dass man bald an dem einen, bald an beiden Enden den Zusammenhang mit Ge- fässen nicht erkennen kann, und dass man oft den den Horm- faden einschliessenden Thrombus als eine lose, am Gewebe lie gende Kyste antrifft. Die gelbe Masse, von der, da sie in den Gefässen selbst ihren Sitz hat, wohl Niemand zweifeln wird, dass sie verän- dertes Blut sei, sieht dem Inhalt der Nematodenkysten voll- kommen ähnlich. Die Hornfadenkyste, um mich so auszu- drücken, ist ziemlich resistent, da ihr der innere, feste Faden als Halt dient; jedoch gelingt es durch Druck, einen Theil der gelben Masse, nebst der Bindegewebsmembran zu trennen, wo- bei dann der Hornfaden an seinem einen Ende von seiner Um- kleidung entblösst wird. Die gelbe Thrombusmasse erscheint dann bald ganz mit Fetttröpfehen erfüllt, bald-sind dieselben nur in geringer Quantität vorhanden, indem das übrige Fett wahrscheinlich bereits resorbirt ist. Oft sind spärliche Chole- sterinkrystalle im T’hrombus zerstreut. Innerhalb der gelben Masse findet man häufig braunes, amorphes Pigment angehäuft. Der Thrombus erblasst durch Schwefelsäure schnell, auch Kali macht besonders die gelbe Substanz heller. Wir sehen also in allen Stücken die Uebereinstimmung dieses Thrombus mit dem Inhalt der Nematodenkysten und können dadurch unsere An- nahme, dass letztere Blut enthalten, unterstützen, Rings herum in der Umgebung des Hornfadenthrombus fin- den wir sehr häufig braunes Pigment in das gesunde Gewebe eingestreut. Dasselbe bemerken wir auch ziemlich oft in der Nähe der Nematodenkyste. In beiden Fällen glaube ieh dies so erklären zu können, dass durch kleine Rupturen des erwei- terten und dadurch sowohl wie durch den Reiz des fremden Körpers lädirten Gefässes geringe Quantitäten Bluts ausgetre- ten sind, die sich in Pigment umsetzten. Ueber Blutäustritt und Aneurysmenbildung durch Parasiten bedingt. 207 Die Hornfadenthromben im Mesenterium zeigen, besonders wenn sie lang oder in grösserer Anzahl vorhanden sind, in ihrer Umgebung eine Reihe von Kysten. Die Menge derselben ist häufig eine sehr reiche, ich zählte einmal gegen zwanzig, Die Kysten sind meist kuglig, oft jedoch ziemlich unregelmäs- sig, von verschiedener Grösse, sie variiren etwa zwischen !/y, und '/,,”" im Durchmesser. Sie sind von einer Bindegewebs- membran umgeben und haben denselben gelben, oft mit brau- nem Pigment untermischten Inhalt, wie der Thrombus selbst. Sie reagiren gleich auf Kali und Schwefelsäure und enthalten ebenfalls Fetttröpfehen. Häufig zeigen sie die bei den Nema- todenkysten erwähnte Faserung und Canalisation, die hier oft zierlich, netzförmig auftritt. Ziehen wir die Nematoden- und Gregarinenkapseln, die zuweilen ihnen beigemischt sind, ab, so glaube ich, dass sie reine Blutkysten seien. Sieben derselben sah ich einmal dem den Hornfaden einschliessenden aneurys- matischen Arterienrohr dicht ansitzen, theils sogar von der Ge- fässscheide umgeben. Wenn auch nirgends das Arterienrohr eine Oeflnung zeigte, durch welche sich der Thrombus in den Kysteninhalt fortsetzte, so glaube ich doch annehmen zu kön- nen, dass jene Kysten durch grössere Extravasate aus dem er- weiterten Arterienrohr sich gebildet haben. Die Oeffnung, durch welche die Hämörrhagie erfolgte, kann sich leicht wieder geschlossen haben. Die Kysten wären also abgekapselte Aneu- rysmata spuria eircumseripta. Die beschriebenen Cysten haften nicht nur der vom Horn- faden verstopften Arterie selbst an, sondern befinden sich auch in der Umgegend derselben im Verlaufe anderer mit ihr zu- sammenhängender Gefässe, und zwar sitzen sie entweder an diesen als falsche Aneurysmen, oder, wie ich einige Mal sah, bilden sie an ihrem Ende eine Erweiterung, also ein Aneu- rysma verum, über welches hinaus das Gefäss sich nicht weiter verfolgen liess, Die Entstehung dieser Blutkysten oder Aneurysmen lässt sich leicht erklären. Die Verstopfung nämlich einer Arterie oder mehrerer —- denn wir sehen, dass jene Kysten am häu- figsten mit mehreren Hornfäden combinirt sind — bewirkt 208 Louis Waldenburg: einen hohen Druck nicht nur in den betroffenen, sondern auch in den seitlichen Gefässen, indem durch letztere jetzt eine grös- sere Menge Blut durchgedrängt wird. Die Gefässe können sich dem gesteigerten Druck nicht aceommodiren, es entstehen einerseits in ihren Wandungen Rupturen und Hämorrhagien, und das. ausgetretene Blut wird enkystirt, andererseits erwei- tert sich das Gefässrohr ‚ es kommt ein Aneurysma verum zu Stande, worin ebenfalls das Blut gerinnt, während das damit zusammenhängende Gefäss obliteriren kann. , Kehren wir nun zu den Nematodenkysten; zurück, so finden wir, wie die Beschreibung lehrte, den Inhalt derselben über- einstimmend mit der Umhüllungsmasse des Hornfadens und mit dem Inhalt der den Hornfaden umgebenden Blasen, ein Um- stand, der den letzten Zweifel über die Blutnatur der Rund- wurmkapseln zu beseitigen vermag. Wir können sogar noch einen Schritt weiter gehen und auch einen gleichen Ursprung für beide beanspruchen. Die Nematoden gelangen auf irgend eine Weise in das eirculirende Blut des Frosches. Dass. sie hineinkommen können, wird um so weniger auffallend erschei- nen, wenn selbst starre Borsten ihren Weg hinein finden. Auch ist es nichts Neues, dass Entozoen im Blute vorhanden sind. Valentin entdeckte bereits 1341 Amöben im Blute von Salmo fario (Müller’s Archiv 1841), A. F. J. Mayer fand im Froschblut eine Amoebe, die er Amoeba rotatoria nannte, welche von Siebold jedoch nicht für ein Thier, sondern für eine irgendwie in’s Blut gelangte undulirende Membran erklärt (v. Siebold über undulirende Membranen in der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. IH. S. 362); im Blute der Re- genwürmer erkannte N, Lieberkühn ebenfalls eine reichliche Anzahl Amöben (Evolution des Gregarines par N. Lieber- kühn, p. 15; Academie royale de Belgique, T. XXVI des Memoires couronnes et Mem. des Savants trangers). Im Pfort- aderblut des Menschen hat Bilharz in Cairo ein lebendes Distom, Disi. haematobium, entdeckt (Siebold und Kölli- ker’s Zeitschrift für wissenschaft. Zoologie. Bd. IV.). Ne- matoden sind zwar noch nicht im Blute vorgefunden worden, aber dies bat seinen natürlichen Grund darin, dass sie nicht Ueber Blutaustritt und Anenrysmenbildung durch Parasiten bedingt. 209 im Blute zu verharren, sondern vermittelst der Circulation an einen ihrer Entwickelung günstigen Ort geführt zu werden be- stimmt sind. Für den geeignetsten Ort ihres Eintritts in die Gefässe möchte ich beiden Fröschen die Lunge, bei den Fischen die Kiemen halten. Auf den Kiemen des Schleies, der in seiner Bauchhöhle gleichfalls viele Nematoden in ähnlichen Kysten, wie der Frosch, beherbergt, habe ich einige kleine, sich lebhaft bewegende und zusammenrollende Nematoden mit noch niebt deutlich entwickelten Organen vorgefunden. Die Nematoden gelangen in’s Herz, von dort in die Arte- rien, und da sie geschmeidiger und dünner sind, werden sie weiter in den Körper hineingetrieben, und bleiben in vielen Fällen vielleicht in den Capillaren stecken. Deshalb trifft man ihre Kysten selten im Mesenterium, hier kann man meistens noch ihren Zusammenhang mit den Gefässen nachweisen; am häufigsten begegnet man ihnen dagegen in den Membranen des Darmeanals, wo man sie indess nur selten mit einem grösseren Gefässe zusammenhängen sieht, und zuweilen auch in der Le- ber. Die Bildung der Kysten lässt sich einfach auf folgende Weise erklären: In den feineren Arterien angekommen, oder oft vielleicht erst in den Capillaren, bilden die Rundwürmer gleich den Hornfäden Aneurysmen. Durch den Druck, auch wohl durch den Stoss des Kopfes oder den Stich des spitzen Schwanzes bewirken sie gewiss leicht Ruptur der Gefässe, da- durch Blutausfluss und Aneurysmata' spuria vel traumatica, wo freilich das Trauma, gegen den gewöhnlichen Vorgang, nicht von aussen nach innen, sondern von innen nach aussen ein- wirkte. In dem Aneurysma bildet sich ein Thrombus, in wel- chem oder um welchen der Rundwurm sich lagert. In dem letzten Falle, wo der Wurm den Thrombus umgiebt, schlägt sich eine neue Thrombusschicht um den Rundwurm nieder, und wir erhalten dadurch die so häufige Form der Nematodenky- sten, welche aus einem selbständigen Centrum und einer um das- selbe gelagerten Schicht, die den Rundwurm einschliesst, besteht. Auch die Fälle, wo die Kyste aus mehreren Schichten zusam- mengeselzt ist, erklären sich leicht aus den nach einander fol- genden Niederschlägen neuer Thrombusinassen, Der Wurm, Kelcherts u, du Bols-Reymond's Archiv. 1860, 14 210 Louis Waldenburg: nachdem er. das Aneurysma und dadurch einen Thrombus ver- ursacht, braucht an dieser Stelle nicht zu verbleiben, er kann sofort sieh einen neuen Ort aufsuchen, und so kann ein Wurm meh- rere Blutkysten erzeugen, ohne sie zu bewohnen. Es mögen auf diese Weise die so reichlichen leeren Blutkysten, die keine Spur eines Wurms enthalten, entstanden sein, abgesehen, von den Fällen, wo der Rundwurm seine Kyste, nachdeın. er. sie eine Zeit lang bewohnt, verlässt, und wo er, wie wir bereits gesehen, oft die Spur seiner Lagerstätte zurücklässt. Endlich könnten auch, ebenso wie bei den Hornfädenkysten, durch den vermehrten Druck sieh spontane Aneurysmen bilden und da- durch die Zahl der leeren Blutkysten noch vermehrt werden. Umgekehrt kann auch ein Rundwurm zu einer schon gebilde- ten Nematoden-, oder auch Gregarinenkyste, die an derselben Stelle vorkommt und wahrscheinlich ähnlich an den Gefässen entsteht, gelangen, sich daselbst herumlagern und auf diese Weise die Entstehung von Kysten mit zwei Rundwürmern oder Gregarinenkysten mit einem Rundwurm am Rande bewirken, Verlassen wir nun die Nematodenkysten. Was am meisten hierbei unsere Aufmerksamkeit auf sich zog, waren die durch die Rundwürmer bedingten Blutextrayasate und Aneurysmen; sehen wir nun zu, ‚ob nicht auch. andere Entozoen ähnliche Kysten hervorbringen. In der Milz verschiedener Thiere fand Kölliker (Mitthei- lungen der Züricher naturforschenden Gesellschaft, Juni 1347) blutkörperhaltige Zellen und Pigmenthaufen, die er für verän- derte Blutextravasate hielt. In der Milz der Fische sind diese Extravasate in Blasen, welche den Gefässen anhängen, einge- schlossen. Er hielt die Extravasate für eine physiologische Erscheinung und schloss daraus, dass die Milz ein Organ sei, in dem die Blutkörperchen massenhaft zu Grunde gehen. Ecker trat dieser Behauptung Kölliker’s bei (Henle’s und Pfeufer’s Zeitschrift für rat. Med. 1847). Gerlach ent- scheidet sich dem gegenüber dahin, dass die Milz eine Bildungs- stätte für Blutkörperchen sei, dass die Blutkörperchen in jenen Heerden entständen und von dort in’s Blut übergingen. (Hen- le’s und Pfeufer’s Zeitschr. 1848; mit einigen Modificationen ’ Ueber Blutaustritt und Anenrysmenbildung durch Parasiten bedingt. 211 in Gerlach’s Gewebelehre).. Remäk tritt den genannten Forschern entgegen (Müller’s Archiv 1852, wo er zugleich die vollständige Literatur über diesen Gegenstand angiebt, S, 115—118). Er beschreibt runde Blutgerinnsel als Leichen- erscheinung und läugnet das Vorkonimen blutkörperhaltiger Zellen im lebenden Organismus. Die Pigmenthaufen weist er als etwas Pathologisches nach. Er spricht sich dagegen aus, dass dieselben Blutextravasate seien, will sie vielmehr aus ver- änderten Parenchymzellen, beim Frosch aus Fettzellen herleiten. Was für uns aber besonders wichtig ist, er entdeckt in den Pigmentblasen der Fische, nicht nur in der Milz, sondern auch in Leber und Nieren Psorospermien. Sowohl in den Schleien fand er dieselben, als ganz besonders in den Plötzen, deren Pigmentfollikel „fast immer deutliche ungeschwänzte Psoro- spermien in beträchtlicher Menge enthalten, die ohne alle nach- weisbare Ordnung zwischen den pigmentkugelhaltigen Zellen liegen.“ Kölliker nahm seinen Ausspruch, dass die Pig- mentkugeln der Milz eine physiologische Bedeutung haben, zurück und lässt dieselben als pathologisch gelten; dagegen hält er die Ansicht von den blutkörperhaltigen Zellen und den Pigmentkugeln als Extravasaten fest. In dem letzteren sind ihm auch die Meisten beigetreten; auch Virchow erkennt die Extravasate an und erklärt die blutkörperhaltigen Zellen so, dass Blutkörperchen von aussen in die präexistirenden Zellen hineingelangen. " Leydig hält die Pigmentblasen in der Milz der Fische für sequivalent den Malpighi’schen Körperchen der Säugethiere. Ich kann mich nach meinen Untersuchungen der am mei- sten herrschenden Ansicht anschliessen. Dass die Pigment- blasen nichts Physiologisches, sondern etwas Krankhaftes sind, das wird am besten durch die Fälle bewiesen, in denen man sie gänzlich vermisst. In einem kleinen, etwa 3 langen Sehlei fand ich keine Spur von Pigmentfollikeln, eben so wenig in einigen Barschen. Auch kommen die Follikel nieht der Milz allein, sondern auch der Leber, den Nieren und selbst den Peritonealblättern zu. Es scheint mir ferner unzweifelhaft, dass die Pigmenthaufen, wenigstens bei den Nischen, wo sie 14° 212 Lonis Waldenburg: in’Membranen eingeschlossen, den Gefässen ansitzen, Extra- vasate sind. ‘Ihr ganzes Aussehen, ihre Aehnlichkeit mit Blut- körperchen, zu denen fast sichtbare Uebergänge vorhanden sind; ihr Sitz an den Gefässen und in der Gefässscheide, ja ihr'häu- figer Zusammenhang mit dem Gefässlumen selbst, alles drängt zu dieser Ansicht hin. Extravasate finden also statt, und zwar nicht aus physiologischer Ursache, sondern durch irgend eine pathologische Bedingung. Welehes ist nun der Grund zum Blutaustritt? Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage ist schon von Remak geliefert worden, nämlich durch die Entdeckung der Psorospermien in jenen Follikeln. Ich habe Remak’s Beobachtungen ‘wiederholt und habe sie nicht nur beim Schlei und Plötz bestätigt gefunden, sondern habe auch in den Milzfollikeln der Barsche und Hechte, wo Remak die Psorospermien nicht erwähnt, dieselben nicht vermisst. Es zweifelt jetzt wohl Niemand mehr daran, dass die Psorosper- mien von Gregarinen und gregarinenartigen Amoeben stammen und diese Thiere wieder zu erzeugen bestimmt sind. Das Vor- handensein von Psorospermien in jenen Follikeln deutet also mit Gewissheit auf ein Entozoon, aus dem sie entstanden sind. Es handelt sich demnach nur um die Frage: ist die Amoebe oder Gregarine in die vorher schon bestehende Pigmentblase eingewandert? oder hat sich das Extravasat erst, nachdem das Thier sich bereits an jener Stelle festgesetzt hatte, gebildet, ist das Entozoon die Ursache des Extravasats? Würden die Pigmentfollikel schon vor dem Eintritt der Entozoen bestanden haben, so wäre es wirklich unerklärlich, dass die unbewaflne- ten Thierchen sich gerade in die harten Follikel ihren Weg babnten und sich nicht: lieber indem weichen Parenchym' zu ihrer weiteren Entwickelung niederliessen. Wir müssten näm- lich in dem letzten Falle zugleich annehmen, dass; die Thier- chen nicht in den Gefässen, sondern im Parenchym selber wan- derten; denn sobald man sie im Blute enthalten sein lässt, könnte man auch nieht die Bildung von Extravasaten oder Aneurysmen in Abrede stellen. In der:Milz der Fische, die ich untersuchte, habe ich aber nie Psorospermien entfernt von den Gefässen im Parenchym selbst angetroffen. Auch sind die Ueber Blutanstritt und Aneurysmenbildung durch Parasiten bedingt. 213 Gefässe gewiss der natürlichste Weg, auf dem die Thiere in die verschiedenen Organe, Milz, Leber, Nieren, Peritoneum ge- langen können. Bei einem Fische, Salmo fario, hat Valentin lebende Amöben im Blute entdeckt, und es ist wahrscheinlich — denselben zu untersuchen hatte ich keine Gelegenheit —, dass er, wie die übrigen Fische, ebenfalls psorospermienhaltige Pigmentfollikel in. der Milz einschliesse, Ebenso scheint es fast unzweifelhaft, dass auch andere Fische zu einer gewissen Zeit gregarinenartige Thiere im Blute beherbergen. Es ist na- türlich nur ein glücklicher Zufall, wenn man die Thiere in dem Momente, wo sie noch nicht enkystirt sind, im Blute über- rascht. Haben ja andere Beobachter auch im Salmo fario ‚die schon entdeckte Amöbe nicht wiederfinden können, wie z. B. N. Lieberkühn (Evolution des Gregarines p. 18). Indessen, wenn man auch nicht die lebenden Amöben selbst im Blute der Fische anzutreffen Gelegenheit hat, so findet man doch häufig Psorospermienbehälter, also die weitere Entwickelungs- stufe dieser Thiere, an der inneren Gefässwand festsitzen. Auch Remak erwähnt einen solehen Fall aus den Nieren des Schlei’s mit folgenden Worten (a. a. OÖ. 8.145): „In einem Falle fand ich an einem diekwandigen Blutgefässe von !/,,"' Durchmesser gegenüber einem Pigmentfollikel ein mit.der Ge- fässwand verwachsenes Bläschen von ca. !/,,'”", das von unge- schwänzten Psorospermien ganz erfüllt war.‘ Fügt man zu diesen Thatsachen noch hinzu, dass dje Fol- likel zuweilen dicht gedrängt neben einander Psorospermien und ausserdem nur wenig Pigmentkügelchen enthalten, so wird man vollends von der Ansicht abgelenkt, als seien die Thiere von aussen in die präexistirenden Pigmentblasen hineingelangt. Es scheint mir demnach mehr als wahrscheinlich zu sein, dass die Amöben durch den Blutstrom in Milz, Leber, Nieren, Pe- ritoneum fortgeführt werden, sich. dort an den Gefüssen fest- setzen und sowohl dureh den Druck gegen die Gefässwand, als auch durch die Hemmung des Blutstroms Aneurysmen und Blutextravasate erzeugen. Schon Kölliker bemerkt, dass die Pigmentblasen sich wie „pathologische Aneurysmata spuria“ ausnehmen (Kölliker, Gewebelehre 1859, $. 462.). In der 214 Louis Waldenburg: That werden solche Aneurysmata spuria entstehen, wenn durch den Druck des Entozoon gegen die Gefässwand dieselbe lädirt und dadurch Blutaustritt in die Gefässscheide bewirkt wird, Es bilden ‘sich auf diese Weise nicht nur sackförmige Aneu- rysmen, also die genannten Pigmentblasen, sondern das Blut diffluirt oft auch zwischen die Gefässscheide und das Gefäss und ergiebt eine Art von Aneurysma dissecans. Wenn nun das Blut in dem letzteren gerinnt, so resultiren daraus die so über- aus häufigen Befunde von langen Blutstreifen innerhalb der Gefässscheide.e. Aber nicht nur falsche, sondern auch wahre Aneurysmen kommen zu Stande. In der Leber des Sehlei’s fand ich ein breites Gefäss mit dicken Wandungen sackförmig erweitert; das sackförmige, wahre Aneurysma enthielt Pigment- kugeln und Psorospermien. Die sackförmige Erweiterung war von dem Gefässlumen durch eine dünne, faserige, nach innen convexe, also das Gefässlumen verengende Membran abge- schlossen. Vielleicht regenerirt sich aus dieser Membran eine neue Gefässwand, so dass auf diese Weise ebenfalls eine von aussen der unverletzt erscheinenden Gefässwand ansitzende Kyste hergestellt wird. Es ist möglich, dass auch noch eine zweite Art des Blut- verbrauchs durch die in Psorospermien sich umwandelnden Thiere zu Stande kommt, in der Weise, dass dieselben beim Leben Blut in sich aufnehmen, welches sich weiter in Pigment umsetzt. Dies machte es erklärlich, dass die Psorospermien sowohl in der Mitte als am Rande des Pigmentfollikels zer- strent liegen. Auch die Fälle, worin die Kysten ganz mit Pso- rospermien erfüllt sind und im Inneren nur wenig Pigment enthalten, scheinen darauf hinzudeuten. Zuweilen traf ich solche Psorospermienkysten mit wenig Pigment im Inneren, aussen von einer braunen Pigmentschicht umgeben; in diesem Falle würden sich also beide Arten des Blutverbrauchs, die Aufnahme von Blut in den Thierkörper einerseits, das Gerin- nen von Blut in dem durch das Entozoon gebildete Aneurysma andererseits vereinen. Man trifft aber auch Kysten an den Gefässen, die nur Pso- rospermien enthalten, anderentheils solche, in denen man nichts Ueber Blutaustritt und Aneurysmenbildung durch Parasiten bedingt. 215 als Pigmentkugeln wahrnehmen kann. Aus ersterem geht nun hervor, dass die psorospermienbildenden Thiere sich so in den Gefässen lagern können, dass sie, ohne Blutgerinnung zu be- wirken, für sich enkystirt werden. Besonders in der Leber aber findet man häufig, dagegen in der Milz nur äusserst sel- ten, solche nicht pigmentirte Psorospermienkysten. Vielleicht stammen dieselben hier nieht allein aus den Gefässen, sondern auch aus den Gallengängen, deren Lauf die Follikel ebenfalls folgen. Was endlich die nur Pigmentkugeln und keine Pso- rospermien enthaltenden Blasen anbetrifft, so erklärt sich ihre Bildung auf gleiche Weise wie bei den Nematodenkysten: so- wohl kaun ein Entozoon mehrere Aneurysmen erzeugen, die es nicht zu bewohnen braucht, indem es dieselben, bevor es zur Enkystirung kommt, verlässt; als auch können durch den gehinderten Blutausfluss und den dadurch erzeugten hohen Druck viele spontane Aneurysmen und Rupturen bedingt wer- den. Endlich will ich noch bemerken, dass man sehr häufig die Psorospermien nur schwer aus der Pigmentmasse heraus- erkennt. Vollends ihre Vorstufen, besonders wenn die ganze Masse mit Blutfarbstoff diffundirt ist, bieten eine solche Aehn- liehkeit mit anderen Zellen und Körnchen dar, dass man oft nicht zu unterscheiden vermag, ob Psorospermienbehälter in den Follikeln vorhanden sind oder nicht. So viel von den Pigmentblasen der Fische. In den Frö- schen liegen die Pigmentmassen im Parenchym der Milz zer- streut und sind vom Lauf der Gefässe unabhängig. Psorosper- mien habe ich nirgends darin erkannt. Wahrscheinlich sind diese Pigmentmassen, die hier auch nieht in Blasen einge- schlossen sind, ganz anderer Art wie bei den Fischen; vielleicht sind es nicht einmal Extravasate, sondern nähern sich mehr der von Remak gegebenen Erklärung. — Säugethiere habe ich nieht näher untersucht. Im Peritoneum, auch wohl in der Leber der Frösche finden sich Gregarinenkysten, die ebenfalls Pigment enthalten. ' Diese haben wahrscheinlich gleichen Ursprung wie die eben beschrie- benen Follikel der Fische. Verschieden von den Blutextravasaten, die durch den Auf- 216 Louis Waldenburg: Weber Blutaustritt u. s, w. enthalt der Entozoen in den Gefässen gleichzeitig mitder En- kystirung derselben entstehen, sind die nachträglich durch das Wachsen der schon gebildeten Kysten und die dadurch bewirk- ten Verletzungen anstossender Gefässe erregten Blutausflüsse. So erwähnt Rokitansky, dass bei Echinococcus hepatis des Menschen in seltenen Fällen Bluterguss aus eröffneten benach- barten Gefässen in den Akephalokystensack erfolge. Virchow beschreibt folgenden Fall von Echinococcus hepatis des Men- schen (Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie. 1847, Ueber pathologische Pigmente $. 427): ‚In einem Falle, von dem ich Zeichnung und Präparat bewahre, zeigte sich im Umfange des Sackes an einem Punkte, wo man die durch’ den Druck atrophirende Lebersubstanz in ihrem allmäligen Ver- schwinden leicht verfolgen konnte, eine intensiv zinnoberrothe Stelle von ziemlich bedeutendem Umfange, welche bei genauerer Betrachtung aus höchst eigenthümlichen, verhältnissmässig. brei- ten, bald netzförmigen Anastomosen, bald kreisförmigen und concentrische Figuren bildenden Linien zusammengesetzt ward. Diese Linien bestanden ganz aus ausserordentlich grossen, gelbrothen Krystallen des bekannten Pigments. Leider liess sich weder die Identität jener Linien mit obliterirten Blutge- fässen, noch mit verstopften Gallengängen nachweisen, obwohl man sich bei der Beobachtung des Präparats nicht enthalten konnte, sie auf eins dieser beiden Elemente zurückzuführen. Fassen wir nun die Hauptmomente dieses Aufsatzes in einige kurze Sätze zusammen: 1. Die Nematodenkysten der Frösche enthalten verändertes Blut, indem die in die Gefässe eingewanderten Rundwürmer Extravasate, mit welchen sie zugleich eingekapselt werden, be- wirken. 2. Die im Mesenterium und in den Darmhäuten der Frösche vorkommenden Hornfäden sind fremde, von aussen in die Cir- eulation des Frosches gelangte Körper; sie liegen in wahren, von ihnen erzeugten Aneurysmen der Blutgefässe, von einem Thrombus umgeben und sind zugleich die Ursache der zahl- reichen, in ihrer Nähe befindlichen kleinen Kysten, die eben- falls als abgekapselte Aneurysmen anzusehen sind, J. Rosenthal: Ueber den elektrischen Geschmack. 217 3. Die den Gefässen anhaftenden Pigmentfollikel in Milz, Leber und Nieren der Fische, welche auch Psorospermien ent- halten, sind gleiehfalls Aneurysmen, "welche durch die in den Gefässen befindlichen psorospermienbildenden Thiere bewirkt wurden. Die obige Abhandlung ist eine Ergänzung meiner im ver- gangenen Jahre von der hiesigen medieinischen Facultät ge- krönten. Preisarbeit. Weiteres aus: dieser letzteren behalte ich mir für eine spä- tere Gelegenheit vor. Ueber den elektrischen Geschmack. Von Dr. J. ROSENTHAL in Berlin. Die Thatsache, dass jeder Nerv durch den elektrischen Strom erregt, auf die nämliche Weise reagire,: als wenn er durch seinen sogenannten „adäquaten“ Reiz erregt würde, ist von jeher als eine der Hauptstützen der Lehre von den speei- fischen Energieen angesehen worden. Die Gegner dieser Lehre haben sich daher stets bemüht, jene Thatsachen zu bestreiten, und, sei es durch theoretische Betrachtungen, sei es durch Ge- genversuche, ihre Beweiskraft zu vernichten. ‘Schon in den ältesten Zeiten des Galvanismus sind vielfache Zeugnisse für die elektrische Erregung der Sinnesnerven gesammelt, welche wir bier nieht aufzuzählen brauchen, indem wir auf die aus- führliche Zusammenstellung in du Bois’ Untersuchungen Bd. I. 8. 339—358 verweisen, Nichtsdestoweniger ‚sind alle diese Zeugnisse angezweifelt worden, und selbst‘ Versuche, welche jeder auf der Stelle mit den geringsten Mitteln anstellen kann, sind nicht geglaubt worden. Das berühmte Sulzer’sche Ex- periment, welches von Volta sogleich als eine. Wirkung der 218 J. Rosenthal: Elektrieität auf den Geschmacksnerven erklärt wurde, haben Viele auf elektrolytischem Wege zu erklären versucht, indem sie annehmen, die Ursache ‘der Geschmaeksempfindung sei nicht die Einwirkung des elektrischen ‘Stromes 'auf den Ge- schmacksnerven, sondern die durch Zersetzung der Mundflüs- sigkeiten freigewordene Säure oder Basis. Auch E. H. Weber tritt dieser Erklärung bei und beruft sich zur Begründung der- selben auf einen Versuch des bekannten Jatrophysikers Hey- denreich, wodurch nachgewiesen werden soll, dass wirklich an dem positiven Pol eines die Zunge durchfliessenden Stro- mes Säure, am negativen Alkali frei würde. Denn als Hey- denreich den positiven Draht einer zehnplattigen Säule mit blauem, den negativen mit rothem Lackmuspapier umwickelte, und dann erst an die Zunge anlegte, wurde das blaue Lack- muspapier, während der saure Geschmack empfunden wurde, blässer; „dass es sich röthete, verhinderte die alkalische Be- schaffenheit der Mundflüssigkeit, Das rothe Papier aber wurde schnell blau und zwar viel schneller, als wenn die galvanische Säule nicht geschlossen war, wo es in längerer Zeit durch die schwache Alkalescenz der Säfte des Mundes allerdings auch blau, aber schwächer blau wurde.“') ‘Was in aller Welt soll dieser Versuch beweisen? Dass der elektrische Strom'die Salze der Mundflüssigkeit zersetze, daran zweifelt Niemand, dass aber frei werdende Säure oder Basis die Ursache des Geschmacks sei, beweist er nicht, denn es kam nicht ein Mal zur Röthung des blauen Lackmuspapiers, da die wenige frei werdende Säure sogleich von dem Alkali des Mundsaftes neutralisirt wurde, Es ist aber sehr wohl bekannt, dass höchst verdünnte Säuren, welche ganz und gar nicht auf die Geschmacksorgane wirken, so dass man sie nicht von destillirtem Wasser unterscheiden kann, schon Lackmuspapier intensiv röthen; wie kann man also behaupten wollen, freie Säure sei Ursache des empfundenen Geschmacks gewesen, wenn das Lackmuspapier nicht einmal schwach roth wurde. 1) E. H. Weber, Art. Tastsinn in Wagner's Handwörterbuch, S. 39. des’ Separatabdrucks., Ueber den elektrischen Geschmack. 219 Es ist wirklich auffallend, wie eine Frage, die so leicht zu entscheiden ist, so lange hat streitig sein ‘'können, da sie doch wegen ihrer Beziehung zur Lehre von den specifischen Ener- gieen wohl verdient, endgültig entschieden zu werden. Sind die an der Zungenoberfläche abgeschiedenen Säuren und Basen Ursache der Geschmacksempfindung, so muss dieselbe fehlen, wenn man den Strom so durch die Zunge leitet, dass diese Abscheidung vermieden wird. Da nämlich die Abscheidung freier Säure und freien Alkali’s nicht innerhalb des Elektroly- ten selbst, sondern nur an der Grenze der Elektrolyte und me- tallischen Elektroden stattfindet, so wird die elektrolytische Er- klärung der Geschmacksempfindung unhaltbar, sobald dieselbe auch wahrgenommen wird, wenn die Zunge nieht unmittelbar Metall berührt, sondern zwischen Zunge und Metall irgend ein feuchter Leiter eingeschaltet wird. Dergleichen Beobachtungen finden sich schon in der Literatur verzeichnet und sind ange- führt bei du Bois, Untersuchungen u. s. w. Bd. I. S. 287, Anm. 2. Die erste rührt von Monro her, welcher den: elek- trischen Geschmack auch empfand, wenn er zwischen Metall und Zunge Stücke rohen oder gekochten Fleisches brachte, die andere von Volta selbst, welcher eine Kette von mehreren Personen bilden liess, so dass die eine immer mit ihrem Fin- ger die Zunge der anderen berührte; wenn dann ein Strom in der Richtung vom Finger zur Zunge ging, empfanden alle den sauren Geschmack. Endlich kann man den von Weber an- gezogenen Versuch Heydenreich’s selbst als hierher gehörig betrachten und aus ibm gerade das Gegentheil von dem ablei- ten, was er beweisen soll. Wenn man nämlich den positiven Pol einer galvanischen Kette mit blauem Lackmuspapier um- wickelt, welches um zu leiten, mit destillirtem Wasser getränkt ist, und diesen Pol dann an die Zungenspitze legt, so wird in der ersten Zeit nach der Schliessung nur an der dem Metall zugewandten Seite des Lackmuspapiers freie Säure auftreten, sieht an der Zunge. Davon kann man sich überzeugen, wenn man den Strom nicht zu lange: geschlossen lässt; man. sieht dann auf der dem Metall zugewandten Seite des Lackmuspa- piers einen rothen Fleck entstehen, während es auf der entge- 220 J. Rosenthal; gengesetzten Seite noch vollkommen: blau ‚erscheint. Dennoch empfindet‘ man den ‘sauren Geschmack ‚sofort im Moment der Schliessung. Danach wäre es also schon ausgemacht, dass das Auftreten freier Säure oder freien Alkali’s an der Zunge zur Entstehung des elektrischen Geschmacks nicht nothwendig ist. Bei. der Wichtigkeit jedoch, welche dieser Gegenstand für die Lehre von den specifischen Energieen hat, schien es mir nieht, unan- gemessen, den Versuch mit allen möglichen Cautelen zu wie- derholen, um dadurch eine endgültige Entscheidung herbeizu- führen. Ich ‘ordnete den Versuch folgendermassen an: die Pole einer 1—4elementigen Daniell’schen Kette ‘wurden mit Zink- platten verbunden, welche in zwei kleinen, mit Zinkvitriollö- sung gefüllten Gefässchen standen. Letztere waren durch 'he- berförmige Röhren mit zwei anderen Gefässen verbunden, von denen das eine mit gesättigter Kochsalzlösung, das andere mit destillirtem Wasser gefüllt war. Aus letzterem ragte ein eben- falls mit destillirtem Wasser getränkter Fliesspapierbausch her- vor. Wurde 'nun die eine Hand in die Kochsalzlösung 'ge- taucht, und mit der Zungenspitze der 'Fliesspapierbausch 'be- rührt, so ging der Strom entweder von der Zunge zum Bausch oder umgekehrt, was man durch einen im Kreise befindlichen Stromwender in seiner Gewalt hatte, Wenn 'man auf den Fliesspapierbausch ein Stückchen blaues und ein Stückchen rothes 'Lackmuspapier derart legt, dass die Zunge beide berührt, so bemerkt man Folgendes: Das blaue Papier bleibt unverändert und das rothe wird bei der Berüh- rung durch die Alkalescenz des Mundsaftes schwach gebläut. Mag nun der Strom in der einen oder anderen Richtung hindurchgehen, die Farbe beider Papiere wird nicht geändert; wir sind also berechtigt zu sagen, dass an der Grenze von Zunge und Wasser ‘keine merkliche ‘Spur ‚einer Säure ‚oder einer Basis frei wird. Dennoch'ist die Geschmacksempfindung recht lebhaft, und zwar als deutlich sauer zu bezeichnen, wenn der Strom‘ vom Bausch in die Zungenspitze eintritt, als weniger bestimmt‘ charakterisirt aber‘ brennend (alkalisch), ‘wenn.der Strom die entgegengesetzte Richtung hat. Ueber den elektrischen Geschmack. 221 Folgendes wäre noch hinzuzufügen, das bei diesen Versu- chen bemerkt wurde, Der saure Geschmack war nicht nur intensiver, sondern er trat auch augenblicklich mit der Schlies- sung des Stromes ein, während der alkalische mehr allmählig sich entwickelte. Ebenso pflegte der saure Geschmack auch nach der Oefinung des Stromes noch kurze Zeit anzudauern, während der alkalische schnell verschwand. Kehrte man den Strom plötzlich um, so war das Verhältniss dasselbe, der al- kalische Geschmack machte dem sauren stets momentan Platz, während der saure ganz allmählig in den alkalischen überging. Ohne mich weiter auf die Betrachtung dieser Thatsachen ein- zulassen, welche vielleicht mit der an motorischen Nerven be- kannten Modification der Erregbarkeit parallel zu stellen sind, will ich nur bemerken, dass es mir niemals gelungen ist, die Umkehrung des Geschmacks bei Oeffnung des Stromes, von welcher Ritter spricht, ') wahrzunehmen. j Aus diesen Versuchen würde demnach hervorgehen, dass die Abscheidung freier Säure oder freien Alkali’s an der Ober- fläche der Zunge keine Bedingung für das Zustandekommen der Geschmacksempfindung ist: ‘Es könnte jedoch der Einwand erhoben werden, wie durch die Untersuchungen du Bois- Reymond’s nachgewiesen worden sei, dass an der Grenze zweier Elektrolyte Polarisation stattfinde, dass also auch die Abscheidung freier Säure oder freien Alkali’s an der Grenze von Zunge und Fliesspapierbausch (der ja mit destillirtem Wasser getränkt war), wahrscheinlich sei. Obgleich nun, wenn dies in merklicher Weise stattgefunden hätte, das Lackmuspa- pier eine Farbenänderung hätte zeigen müssen, so wollen wir uns doch nach Mitteln umsehen, auch diesen Einwand zu be- seitigen. Wiederum finden ‘wir schon aus den ältesten Zeiten des Galvanismus Angaben, welche auch diesen Einwand beseitigen, indem sie darthun, dass die Beschaffenheit der Flüssigkeit, welche die Zunge berührt; ohne Einfluss auf die Wahrnehmung des Geschmacks ist. Ich meine Volta’s Versuch mit der al- 1) Deitrüge u. s, w. 3. 4. St. S. 161. 222 9. Rosenthal: kalischen Flüssigkeit im zinnernen Becher, welcher von Pfaff bestätigt worden ist.!) Auch ich habe den Versuch in ver- schiedenen‘ Formen wiederholt und muss ihn bestätigen. Eine alkalische Flüssigkeit schmeckt sauer, wenn aus ihr ein elek- trischer Strom zur Zunge hingeleitet wird. Dass hier nur das Durchströmtsein der Geschmaeksnerven Ursache des sauren Geschmacks sein kann, ist wohl nieht zu läugnen. Ich habe dem Einwurfe von der Polarisation an der Grenze ungleichartiger Elektrolyte auch noch auf andere Weise zu be- gegnen gesucht. Zunächst ist klar, dass wenn man in: der früher beschriebenen Anordnung den ‚Fliesspapierbausch statt des destillirten Wassers mit seinem eigenen Speichel tränkt, jener Einwand nicht mehr stichhaltig ist. Trotzdem aber wird man den Geschmack naeh. wie vor empfinden. Sodann habe ich noch folgenden Versuch angestellt: Von zwei Personen fasst die eine den positiven, die andere den negativen Pol einer Kette mit befeuchteter Hand und: dann berühren ‚sich beide mit ihren Zungenspitzen; dann empfindet die Person, welche den negativen Pol hält, den sauren, die andere den alkalischen Ge- schmack. Dieser Versuch ist, wie auch alle vorhergehenden, von mehreren unbefangenen Personen mit. constantem Erfolg wiederholt worden. Hier befinden sich beide Personen unter ganz gleichen Bedingungen bis auf die Richtung des Stroms in ihren Zungen. Diese ist in beiden entgegengesetzt, und beide haben entgegengesetzte Empfindungen, obgleich ihre Zungen sich berühren, also dieselbe capillare Flüssigkeitsschicht die eine wie die andere bedeckt. So wäre denn der Satz, dass der Geschmacksnerv auf die Erregung durch den elektrischen Strom mit seiner specifischen Energie reagirt, gegen die dagegen gemachten Einwürfe gesi- chert. _Von dem Sehnerven ist dasselbe,schon durch Ritter’s und Purkinje’s Versuche unzweifelhaft festgestellt, ebenso wie es für sämmtliche Gefühlsnerven feststeht, Ich habe auch versucht, die Angaben Ritter’s und Anderer über die Wir- 1) A. Volta's neuere Untersuchungen über den Galvanismus. In Briefen an Gren in Ritter’s, Beiträgen. 3, u. 4, Stück, S. 1. Ueber den elektrischen Geschmack. 233 kung elektrischer Ströme auf den Gehör- und den Geruchs- nerven zu prüfen, aber leider ohne Erfolg. Ich versuchte dem Akustikus den Strom durch Wasser zuzuleiten, welches ich in den äusseren Gehörgang brachte, aber ich hörte dabei auch ohne Strom ein solches Geräusch, dass es mir unmöglich war zu entscheiden, ob der Strom eine Gehörsempfindung verur- sachte. Ebenso liess ich mir die Nasenhöhlen nach der von E. H. Weber angegebenen Methode mit Wasser füllen, um . Olfactorius den Strom zuzuleiten, aber ich kann nicht sa- ” dass ich dabei etwas roch. Jedenfalls ist der heftige Schmerz, welchen man dabei empfindet, der Auffassung einer Geruehsempfindung, wenn eine solche vorhanden, eben nicht günstig.) Wie dem auch sei, die Thatsache, dass Gefühls-, Seh- und Geschmaeksnerven durch den elektrischen Strom ‚erregt, jeder mit seiner specifischen Energie reagirt, scheint mir gesichert genug, um; auf sie gestützt die Lehre von den specifischen Euergieen überhaupt aufrecht zu erhalten, welche mit: Unrecht von vielen Seiten angegriffen worden |ist. 1) Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, dass der Verlust .des „Geruchs beim Anfüllen der Nase mit Wasser, welchen E. H. Weber entdeckte, kein Hinderniss sein kann, welchem der negative Erfolg unseres Versuchs zuzuschreiben wäre, da dem Strom ja der Weg zu den tiefer liegenden Stellen des Olfactorius offen steht, auf welche doch das Wasser keinen Einfluss haben kann. 224 i A. Schneider: Ueber die Muskeln und Nerven der Nematoden, Von Dr. A. SCHNEIDER. ® (Hierzu Taf. V.) Bevor wir den eigentlichen Gegenstand dieses Aufsatzes behandeln, wollen wir einige Bemerkungen zu einem schon früher veröffentlichten „über die*Seitenlinien und das Gefäss- system der Nematoden‘ (dieses Archiv 1858, S. 426) voraus- schicken. !) Wie ich aus Leuekart’s Jahresbericht für 1856 ersehe, hat bereits Huxley (Leetures on general natural history. Me- dical times and gazette 1856. Vol. XII. und XII. S. 385) die Existenz eines Gefässsystems der Nematoden behauptet. Er stützt sich auf eine Beobachtung an Ascariden aus der Scholle. Es ist mir leider das Original nicht zugänglich, aber doch wage ich die Vermuthung, dass die Ascaris Huxley’s Dac- nitis esuriensist. Diese Species ist nämlich in den Schollen äus- serst gemein und zeigt das Gefässsystem samnıt Ausmündung gerade besonders deutlich.) Eine andere Beschreibung und 1) Die Gelegenheit, eine grössere Anzahl Species von Nematoden vergleichend zu untersuchen, verdanke ich der Güte des Herrn Prof. Peters. 2) In neuerer Zeit habe ich wieder Gelegenheit zur Beobachtung von Dacnitis in frischem Zustande gehabt, und mich überzeugt, dass die von mir gegebene Abbildung einer kleinen Verbesserung bedarf. Der einspringende Winkel (Müller’s Archiv 1858, Tafel XV. Fig. 8), welchen das Seitenfeld macht, ist nicht vorhanden, der nach der Rückenseite gekehrte Rand des Seitenfeldes läuft ohne Einbiegung continuirlich fort, Es begleitet eben nur die Substanz des Seitenfeldes die Gefässe zum ausführenden Gang. Ueber die Muskeln und Nerven der Nematoden. 225 Abbildung des Gefässsystems eines Nematoden habe ich 'gefun- den bei Davaine (Recherches sur l’anguillule du ble nielle. Paris. 1857. S. 26 und Taf. II. Fig. 7.). Davaine hat an Anguillula graminearam Dies. ein einziges durch die Länge des Thieres verlaufendes Gefäss gesehen, welches er ganz in der Weise beschreibt, wie man es eben bei vielen durchsichtigen Nematoden findet. Den Ausführungsgang hat er wohl erkannt, nicht die Verbindung desselben mit den Gefässen, er ver- et vielmehr, dass derselbe aus dem Darm entspringe. Endlich stellt auch Gegenbaur in den seitdem erschienenen dzügen der vergleichenden Anatomie“ .(S. 174.) das Ex- eretionsorgan der Nematoden mit ‚dem‘ Wassergefässsystem der Würmer zusammen, lediglich gestützt auf die schön früher bekannten Thatsachen. In allen diesen Publicationen ist je- doch noch nirgends die constante Lage der Gefässe; in der Mitte des Seitenfeldes und der fundamentale Unterschied: der Seitenfelder und Medianlinien erwähnt. Bisher hatte ich nur die mehr typischen Formen: der Ne- matoden in Betracht gezogen, Ascaris, Filaria, Ozyuris, Stron- gylus und die Verwandten. Da sind immer eine Rücken- und Bauchlinie, zwei symmetrisch gelegene Seitenfelder und vier Muskelfelder. Wir betrachteten den Fall, in welchem die Mus- kel- und Seitenfelder gleich breit sind, jedes ein Sechstheil:des Leibesumfanges einnehmend, als den typischen. _Die Zahl .die- ser typischen Formen hat sich seitdem bedeutend vermehrt. Wir wollen uns, aber, diesmal mehr mit den Abweichungen beschäftigen und versuchen, die bis jetzt bekannten Modifica- tionen auf den Typus zurück zu führen. 1. Das Seitenfeld kann breiter werden als ein Muskelfeld. Dieser Fall tritt ein bei Ozyuris curcula R. und. bei Filaria onata Zeder, Agamonema ovala D iesing., ein geschlechtsloser Rundwurm, der wahrscheinlich nicht zu Filaria zu rechnen ist. 2. Das Seitenfeld fehlt ganz, die Medianlinien sind vor- handen, Dieser Fall ist zuerst, durch die Untersuchung von J. Ebertli bekannt geworden (Zeitschr, f. w. Z. Bd. X. Bei- träge zur Anatomie und Physiologie des Trichocephalus dispar) an Trichocephalus dispar, Wenn man nämlich die ‚inneren Nelehert's u, du Bols-Ieymond's Archiv. 1560. 15 396 A. Schneider: Vorsprünge seiner Zellschicht, als Bauch- und Rückenlinie be- trachten kann. 3. Ausser den Seitenfeldern kann auch die Rückenlinie schwinden. Es bleibt nur die Bauchlinie. So bei Gordius. Ich glaube nämlich, dass der von Meissner beschriebene Bauchnervenstrang als die Bauchlinie betrachtet werden muss (Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. VII. Taf. III. Fig. 7.). 4. Neben den zwei Hauptmedianlinien der Rücken- und Bauch- linie treten noch secundäre Medianlinien auf. Dies habe is bei Prosthecosacter inflezus (Diesing) beobachtet. Dieser matod ist sonst ganz symmetrisch gebaut, mit deutlichen Seiten- feldern, Rücken- und Bauchlinie. Jedes der vier Muskelfelder ist aber noch einmal durch eine besondere Linie getheilt. (Taf. V. Fig. 4.) 5. Die seeundären Medianlinien treten nicht zugleich au der Rücken- und Bauchfläche auf, sondern nur an der Bauch- fläche. Die Rückenfläche hat nur die eine Hauptmedianlinie. Dies ist bei Mermis nigrescens und albicans. Ich verweise da- bei auf die Abbildungen bei Meissner, welche ich für M. nigrescens bestätigen kann, wenn ich auch in der Deutung von ihm abweiche. Dieser Fall ist bei Mermis noch dadurch verwickelter, dass die Seitenfelder nicht genau lateral Rn sondern etwas der Rückenlinie genähert. 6. Es können sich die Medianlinien in den verschiede- nen Leibesabschnitten verschieden verhalten. So sind nach Eberth bei Trichocephalus dispar die Medianlinien in der vor- deren dünnen Leibeshälfte sehr breit und deutlich und fehlen im hinteren Leibestheile ganz. Obgleich die Nematoden in diesen morphologischen Bezie- hungen noch wenig bekannt sind, so glaubte ich doch den Ver- such machen zu müssen, die verschiedenen Beobachtungen in dieser Weise zusammenzustellen. Gehen wir nun zur Structur der Muskelfelder über. Wir wollen zuerst unsere eigene Ansicht darüber entwickeln, um dann in ‘der Kritik der abweichenden leichter verständlich zu sein. Ich kenne bis jetzt zwei Hauptmodificationen der Muskel- Ueber die Muskeln und Nerven der Nematoden, 227 structur bei den Nematoden, die zwar in einander übergehen, aber in ihren Extremen sich so wesentlich unterscheiden, dass ich auch Namen dafür vorschlagen möchte: Wir wollen die Nematoden unterscheiden in Platymyarier und Cölomyarier: Schneidet man einen Platymyarier der Länge nach auf und betrachtet die innere Fläche der Leibeswand, so sieht man, dass das Muskelfeld von dicht aneinander stossenden spindel- migen oder, wenn man will, rhomboidalen Feldehen besetzt Die Längsdiagonale der Feldchen liegt in der Länge Thieres. In der Mitte eines jeden liegt ein Kern oder es egen viele Kerne darauf zerstreut. Essind dies offenbar die Muskelzellen. Sind die Thiere dünnwandig, so 'erkennt man auf den Feldchen regelmässige Längsstreifen, welche offenbar von Streifen einer stärker lichtbrechenden Substanz ‚herrühren, die in einer schwächer brechenden eingebettet liegen. Man kann sich z. B. von diesen Beobachtungen leicht überzeugen, wenn man Ascaris acuminata mit einem Rasirmesser der Länge nach aufschneidet, und die Leibeswand aufgerollt unter einem Deckglas betrachtet. Aber diese rhomboidalen Feldchen sind noch nicht die ganzen Muskelzellen. Der Theil, welcher bei der Flächenansicht meist entgeht, wird erst an Quer- schnitten sichtbar. Von Ascaris acuminata lassen sich sehr schwer Querschnitte herstellen, es ist mir aber doch einmal gelungen. Man sieht dann zuerst, dass der Muskel eine ge- wisse Dicke hat, die Feldehen markiren sich als einzelne Segmente, welche an der Haut anliegen. Auf jedem Segmente tun sitzt eine Blase fest, welche eine eigene Membran: besitzt und einen Inhalt, der bald durchsichtig und homogen, bald körnig und fäserig ist Es wird sich später zeigen, dass diese Blase jedenfalls zur Zelle gehört. Jede Muskelzelle besteht also aus zwei Theilen, dem streifigen und dem blasigen. Der blasige Theil sitzt auf dem eigentlich museulösen wie ein Polster auf seiner Unterlage, er ist viel zarter und zerstör- barer durch mechanische Gewalt und lässt sich deshalb leicht abstreifen. Doch bleibt er in Spiritus unversehrt, auch nach dem Trocknen nimmt er beim Aufweichen seine frühere Ge- stalt wieder an, 15* 2328 A. Schneider: Ich muss hier überhaupt bemerken, dass die Muskeln der Nematoden sich im frischen Zustande wenig zur Untersuchung eignen, da sie zu zäh und elastisch sind. Beim Behandeln mit Weingeist und Chromsäure werden sie nur spröder, be- wahren aber, wie es scheint, auf das Vollständigste ihre Struc- tur. : Exemplare, die wohl 50 Jahre in Weingeist lagen, sind noch wie frisch. Von jener Blase gehen nun auch Ausläufer aus, welche mit einer dreieckigen Basis beginnen und quer nach der Rücken- und Bauchlinie verlaufen, dort mit dem von der an- deren Seite kommenden sich vereinigen und so auf der Rücken- oder Bauchlinie einen Strang bilden. Nicht allemal entstehen solche Querfasern. Es giebt viele Nematoden, die keine Spur davon zeigen, z. B. Pelodytes strongyloides und viele mit ihm verwandten. Die Zahl der Querfasern, die von einem Feldchen entspringen, kann sehr verschieden sein. Bei kleinen und ganz durchsichtigen Nematoden bieten die Muskelstreifen ein ganz eigenthümliches Bild. Es gehen näm- lich feine parallele Streifen von der Medianlinie bis zur Grenze des Seitenfeldes. Die Streifen zweier benachbarter Muskelfel- der bilden mit der zwischenliegenden Medianlinie einen gleichen spitzen Winkel, die Spitze des Winkels nach vorn gerichtet. Um es kurz auszudrücken, zwei Muskelfelder geben das Bild einer Feder, deren Schaft die Medianlinie ist. Untersucht man aber die Fläche des Muskelfeldes genau, so findet man aucli die zarten, trennenden Linien für die rhomboidalen Muskel- zellen und den Kern in der Mitte. Die Streifung geht aber im Ganzen darüber weg, als ob sie durch die einzelnen Zellen- säume nicht unterbrochen würde. Dies Verhalten zeigt z. B. die Gattung Pelodytes, aus welcher ich es von Pelodytes stron- gyloides (Fig. 12) abgebildet habe. An Ascaris acuminata ist die Streifung nicht mehr so regelmässig, obgleich die Streifen im Allgemeinen auch diesem Gesetz folgen. Sie keilen sich mehr aus und schon die Streifen einer Zelle stossen unter spitzen Winkeln zusammen. Platymyarier mit so dicken Mus- keln wie z. B. Spiroptera oblusa lassen keine regelmässige Ueber die Muskeln und Nerven der Nematoden. 229 Streifung erkennen. Ausser den schon erwähnten gehören zu den Platymyariern sämmtliche Ozyuris. Schon bei den Platymyariern bemerkt man, dass die aneinander stossenden Ränder der einzelnen Feldchen etwas nach innen vor- springen. Namentlich an den Spitzen der Zellen haben die Quer- schnitte eine napfförmige Gestalt. Damit ist ein Uebergang zu der zweiten Modification gegeben. Der streifige Theil der Zelle umwächst allmählig den blasigen. Er bildet eine tiefe inne, welche nach der inneren Seite offen ist, die innere Seite kann endlich auch geschlossen sein, dann bildet der Muskel ein geschlossenes Rohr. Nur an der Mitte tritt das, was wir den blasigen Theil nannten, frei keraus, um den bekannten Querstrang zu bilden, der nach der Medianlinie geht. An sei- ner Austrittsstelle liegt auch der Kern.') Nematoden mit solcher Muskelstruetur nenne ‘ich Cölo- myarier. Es ist klar, dass die Querschnitte der Muskeln bei einem Cölomyarier sehr verschiedene Bilder geben müssen, je nachdem der Schnitt durch den röhrenförmigen oder den mitt- leren nicht geschlossenen Theil geht. Cölomyarier sind z.B. As- caris myslar, marginala, acus, megalocephala, mucronata etc. Filaria Cucullanus, Daenitis und viele andere. Diese von uns aufgestellte Reihe der Muskelgebilde soll nichts anderes sagen, als dass sich durch Vergleichung ver- schiedener Thiere der Uebergang der einen in die andere Form nachweisen lässt. Bei einem einzelnen Thiere lässt sich ein solcher Uebergang weder durch Beobachtung nachweisen, noch aus dieser Reihe erschliessen. 80 weit nun die Muskelstructur der Nematoden sich von der bisher bekannten anderer T’hiere zu entfernen scheint, so ist eine Aehnlichkeit doch klar. Es hat z. B. Leydig an Muskelzellen einen Gegensatz zwischen Mark- und Rindensub- stanz als ziemlich allgemein angenommen. Hier entspräche der ge Theil der Marksubstanz der streifigen der Rindensub- 1) Der en ist jedoch nicht die einzige Form, welche die blasige Substanz annimmt, ich erwähne sie nur vorläufig als die be- kannteste. Später wollen wir die verschiedenen Formen derselben weiter in Betracht ziehen, 230 A, Schneider: stanz.ı ‘Unter der Voraussetzung, dass beide Substanzen. in ihrer Entstehung einer Zelle angehören, was sich nicht direet beobachten lässt, aber dem allgemeinen Eindruck nach wahr- scheinlich ist, hätten ‘wir "hier. das, Beispiel einer Zelle, welche Min 'gleichmässig, sondern ‚nur theilweise eine Ver- wandlung; in contractile Rindensubstanz erfahren hat., Zwi- schen beiden Substanzen kann eine scharfe, Grenze oder ein allmähliger Uebergang sein. Man‘ kann'noch fragen, ‚ob, unsere Streifen den Querstreifen anderer Muskeln’ ohne. Weiteres gleich- zusetzen.sind. Dafür spricht, ‚dass sie nachweisbar von ab- wechselnden Schichten verschiedener Substanz herrüliren. . Da- gegen: könnte sprechen, ‚dass die Streifen ‚nicht der Quere, son- dern ‘der Länge der Zelle nach verlaufen. ‘ Darauf möchte jedoch weniger Werth zu. legen, sein, die Frage ist vielmehr deshalb nicht zu entscheiden, weil man nicht weiss, in welcher Richtung und ob überhaupt nur in einer bestimmten Richtung sich die einzelnen Zellen contrahiren, . Die Modificationen in der Ausbildung und Gestalt ‚der Cö- lomyarier-Muskeln sind sehr zahlreich. Im Allgemeinen sind die Muskelzellen — worunter wir jetzt den contractilen Theil ver- stehen wollen — spindelförmige platte Körper, welche mit ihrer schmalen Kante nach der Haut zu gerichtet und meist an ihr festgewachsen sind. Manchmal aber liegt die äussere Kante theilweise zwischen den benachbarten Zellen eingekeilt, ‚ohne die Haut zu erreichen. Die äussere Kante ist fast eine gerade Linie, die innere Kante ist: es allein, die die spindelförmige Contur giebt, indem sie in der Mitte 'allmählig in den Quer- fortsatz übergeht. Die Länge der Zellen ist sehr verschieden bei den grossen Ascariden, bis zul”, bei anderen viel kleiner. Da zu jeder Zelle ein Kern gehört, so müssen die Kerne bei einer Ansicht von der inneren Fläche um so. dichter stehen, je kürzer die Zellen sind. Ein solches auffallendes Beispiel habe ich von Filaria eystica abgebildet. (Taf. V. Fig. 8.) Sehr verschieden wird sich das Bild eines Querschnittes ausnehmen, je nachdem die beiden Blätter, aus welchen gewis- sermassen jede Zelle besteht, einander genähert sind. _Bald ist ein grosser Zwischenraum vorhanden, bald sind 'sie ganz an Ueber die Muskeln und Nerven der Nematoden, 231 einander gelegt, so dass für die Marksubstanz kein Raum mehr ist, z. B. bei Prosthecosacter inflerus, die beiden Blätter kön- nen am inneren Rand durch die ganze Länge der Zelle ge- trennt oder auch durch die ganze Länge verwachsen sein. Bei dem erwähnten Prosthecosaeter sind sie so verwachsen, dass man nicht mehr sieht, wo die Querfortsätze heraustreten, Zahllos sind aber die Modificationen der Marksubstanz. Will man sie in ihrer complieirtesten Gestalt kennen lernen, so muss man sie an den grösseren Ascariden aufsuchen, be- sonders an dem Theil, welcher vor der Vulva liegt, wo ihre freie Entwicklung nicht durch den Druck der Generationsor- gane gehemmt wird. Beim Austritt aus dem: Muskel schwillt die Substanz blasenförmig an. Es sind die bekannten gestielten Bläschen, welche man oft beschrieben und ihrer Function nach zu deuten gesucht hat. Von dieser Blase geht dann ein Quer- fortsatz nach der Medianlinie ab, ein anderer geht nach dem Darm. Jeder dieser Fortsätze kann wieder sich theilen, seiner- seits blasige Anschwellungen bilden, oder Streifen und Lamellen fortsenden, welche mit benachbarten sich vereinigen. Auf diese Weise entsteht das Gewebe, welches bei den genannten As- eariden den Raum zwischen Muskeln und Darm erfüllt. An dem Theile, wo die Generationsorgane liegen, fallen zumeist nur die (Querfortsätze in’s Auge, aber die Bläschen fehlen nicht, sie sind nur zusammengedrückt. Die Fortsätze nach den Medianlinien sind bei manchen Ne- matoden weniger deutlich und ausgesprochen als die nach dem Darm. Von den mannichfaltigen Formen dieses Gewebes will ieh nur zwei besondere Fälle herausheben. Bei Filaria eystica tritt die Marksubstanz in Gestalt einer Blase auf, Die benach- barten Blasen stossen an einander und da in jeder Blase der Zellkern liegt, so wird man dadurch auffällig an die Zellsehicht erinnert, welche bei Gordius und Chordodes pilosus die Lei- beshöhle. erfüllt, um so mehr. als keineswegs jede Blase einen Querfortsatz nach der Medianlinie sendet. Ein merk- wärdiger Fall ist bei Prosthecosacter; dort sind die Mus- kelzellen scheinbar vollständig röhrenförmig geschlossen, Die darauf festsitzenden Fasern, die sonst ganz mit den Fasern an- 232 A. Schneider: derer Nematoden übereinstimmen, gehen nur zum Theil’ zur Hauptmedianlinie, zum grösseren Theil verschmelzen sie unter einander. Die Kerne, die in allen mir sonst bekannten Fällen in dem von Rindensubstanz umgebenen Theil der Marksub- stanz liegen, sind hier in die Fortsätze ausgetreten. Wer den eigenthümlichen Bau des Zellgewebes kennt, welches den Leib des Gordius erfüllt, der wird wohl bemerken, worauf ich mit der Anführung dieser beiden Fälle hinziele. Man wird sich jetzt von neuem fragen müssen, ob jene Zellen der Gordien nicht angemessener für Marksubstanz der Muskeln zu halten sind, als für Analoga eines Darms, wofür sie Meissner ge- halten hat. Es wäre möglich, dass die Rindensubstanz sich so weit abschliesst, dass die Marksubstanz schein- bar die Form einer selbständigen Zelle annimmt, bei Gordius eine runde Form und bei Prosthecosaeter ‘die Faserform. Nur in einem Punkte ist in der hier aufgestellten Analogie der Zellsehieht von Gordius mit der Marksubstanz ein Sprung. Es liegt nämlich bei Gordius nicht eine einfache, sondern eine mehrfache Zellschicht auf den Muskeln. Wäre die Zellschicht einfach, so würde sich |der Fall von Gordius ganz ungezwun- gen an den von Filaria eystica anschliessen. Um die Analogie mit Sicherheit festzuhalten, müsste man wenigstens eine Ver- bindung der inneren Zellschicht mit den Muskeln nachweisen können. Eine solche scheint aber nicht stattzufinden. Wir können deshalb unsere Analogie vorläufig nur als möglich hinstellen. Bei dieser Darstellung ‘der Muskelstruetur der Nema- toden haben wir eine Anzahl von Fällen nicht berücksichtigt, die sich in das hier entwickelte Schema nicht bringen‘ lassen, Nämlich die in neuerer Zeit so genau‘ bekannt gewordenen Muskeln von Mermis, Gordius und Trichocephalus. Aus gründ- licher Untersuchung frischer Exemplare sind mir nur die Mus- keln von Hermis, speciell von Mermis nigrescens ‚bekannt. Meissner giebt bei Mermis nigrescens und albicans an (Sieb. und Kölliker’s Ztsehr. V. 8. 214 und VI. 8. 18), dass die Muskelschicht aus parallel stehenden dünnen Bändern bestehe, welche; 'mit einer Seite an der Haut festsitzend, ununterbrochen durch die ganze Länge des Thieres verlaufen. Jedes Band be- Ueber die Muskeln und Nerven der Nematoden. 233 steht wieder aus feineren Fibrillen. ‘Diese Struetur kann ich bestätigen, nur glaube ich nicht, dass man mit Bestimmtheit nachweisen kann, dass jedes Band ununterbrochen vom Kopf zum Schwanz verläuft. Wenn man ein Stück der Hautmus- eulatur in Natronlauge macerirt, so isoliren sich die Bänder leicht, man erhält aber Bänder von 'sehr begrenzter Länge, welche an beiden Seiten ganz spitz zulaufen. „Sind dies auch nur Kunstproduete, so beweisen sie doch eher, dass der Ver- lauf nicht so ununterbrochen ist, als Meissner geglaubt hat. Sonst kann man aber nicht wahrnehmen, dass jedes so isolirte Band aus einer Duplicatur besteht oder dass zwei Bänder ur- sprünglich an einander liegen. Fs fehlt also jeder wesentliche Vergleichungspunkt mit den Cölomyariern. Aber auch mit den Platymyariern bieten sie keinen Vergleich dar. Die Querfa- sern, welehe Meissner äls Nerven beschreibt und mit einem terminalen Dreieck auf den Muskeln aufsitzen lässt, lassen ’sich noch am leichtesten in unsere Reihe unterbringen, nämlich zur Marksubstanz. Meissner selbst parallelisirt sie mit den oben erörterten Querfasern der Cölomyarier (Siebold und Kölli- ker’s Zeitschrift. VII. S. 27.). Auch die Kerne der Muskeln vermissen wir bei Mermis ganz. Möglich, dass sie unterge- gangen sind, wie zuweilen bei Muskeln höherer Thiere. Eben so wenig als bei Mermis kann man bei Gordius sagen, in welche der von uns aufgestellten Typen die Muskeln gehören, Viel- leicht müssen wir alle diese Muskeln als eine neue dritte Klasse aufstellen und die Zwischenglieder, die sie mit der Reihe der anderen verbindet, noch suchen. "Mehr Hoffnung ist vorhanden, die Muskeln von Trichoce- phalus sich näher an eine der erwähnten Typen anschliessen zu sehen. Obgleich Eberth’s genaue Untersuchungen nichts davon melden und eher die vollständige Uebereinstimmung mit der Structur von Mermis darlegen, so ist doch die Untersuchung von Trichocephalus wegen der geringen Dicke der Muskelschicht zu schwierig, als dass man die Frage für ganz abgeschlossen halten dürfte. Eberth beschreibt auf den Muskeln des Trichocephalus dispar eine gleichmässige epithel- artige Zellschicht. Diese Schicht kommt nicht allen Trichoce- 234 " A. Schneider: phalen zu. An sehr gut erhaltenen Weingeistexemplaren von T. ungusculatus. sehe ich nur in gewissen grösseren Zwischen- räumen deutliche Kerne, wie man sie bei Flächenansichten der Muskelschicht auch anderer Nematoden erkennt, die man somit wohl als die Kerne der Muskelzellen betrachten darf.') Schon oben haben wir erwähnt, dass. die Querfortsätze der Marksubstanz ‚sich theilweise an die Medianlinie festsetzen, . Die von zwei benachbarten Muskelfeldern stammenden verei- nigen sich auf der Medianlinie und bilden dort einen eigenen Längsstrang, der manchmal nur lose auf der Medianlinie auf- sitzt, Die Medianlinie der grösseren Ascariden besteht ‚aus eirfem Gewebe von Längsfasern und homogener Substanz, wel- ches sich fast, an das Bindegewebe der höheren Thiere ‚an- schliesst. Ursprünglich mögen die Medianlinien immer aus einer einfachen Zellreihe entstehen, als solche erkennt man sie wenigstens deutlich bei jungen Ozyuris spirotheca, ‘In .der Medianlinie von Ascaris megalocephala. verlaufen sehr. häufig ausgezeichnete Fasern in Ziekzackform. Ich erwähne sie, da sie vielleicht einmal für einen Nervenstrang erklärt werden möchten. Doch fehlen alle Kriterien einer solchen. Die neueren wichtigsten Beschreibungen der Nematoden- muskeln haben wir oben erwähnt. Von den älteren ‚Schriftstel- lern betrachtet Rudolphi (Hist. nat. Entoz. Vol. I. p. 218) nicht bloss die häutigen Muskeln als solche, sondern auch die Seiten- und Medianlinien, die gesammte Haut- und Marksub- stanz. Otto (1816) schied die Medianlinie aus. Besonders gelang es auch Bojanus und nach ihm Cloquet, den Un- terschied der Längslinien von den Muskeln zu beweisen, Die Querlinien der Haut hielten sie zwar immer noch für Muskeln, allein den eigenthümlichen. Bau der Marksubstanz, die (Quer- stränge und Bläschen erkannten sie deutlich. Siebold be- schrieb wieder die Querstränge als Muskeln und darin folgte 1) Man kann bei vielen Nematoden leicht zu der Ansicht kommen, dass die innere Fläche der Muskelschicht von einem Epithelium bedeckt sei. Der Uterus dehnt sich nämlich so aus, dass seine dünne Wandung fest an der Muskelschicht anliegt. Wie überraschend diese Täuschung sein kann und wie man ihr entgeht, will ich nicht weiter ausführen. Ueber die Muskeln und Nerven der Nematoden. 235 ihm noch in neuester Zeit Clapar&de (De la formation et de la fecondation des oeufs chez les vers nematodes. Geneve 1859. p- 25). Die oben erwähnten Kerne der Muskeln beschreibt auch Claparede als zu den Muskeln gehörig. Wie sich un- sere Ansicht zu den jetzt erwähnten verhält, ist wohl nicht mehr nöthig aus einander zu setzen. Eigenthümlich ist aber die Ansicht Walter’s über. den Bau und die Entwicklungsgeschichte der Muskeln bei Ozyuris ornata. ‚Derselbe betrachtete, die Muskeln des genannten Ne- matoden als vier Längsmuskeln (Sieb. und Kölliker’s Zeit- schr. Bd. VIII. S. 174). Jeder stellt einen Schlauch dar von einer umschliessenden Membran — Sarkolemma — und einem zähflüssigen Inhalte gebildet. Durch Anschneiden des Thieres und längere directe Einwirkung des Wassers zerfällt der Inhalt in Querplättchen und eine homogene Grundsubstanz, er ge- winnt dadurch eine „den quergestreiften Muskelfasern höherer Thiere ähnliche Beschaffenheit.“ Es ist aus der ganzen Dar- stellung Walter ’s ersichtlich, dass er einige sehr naheliegende und gewiss äusserst nützliche Hülfsmittel der Untersuchung nicht angewandt hat, nämlich die Längs- und Querschnitte, Er würde gewiss erkannt haben, dass seine Oxyuris ornata (Platymya- rier in unserem Sinne) mit deutlichen, rhomboidalen Muskel- zellen, Kernen, Marksubstanz etc. versehen ist, dass seine Querplätt- chen nur wellenförmige Contractionszustände der platten Mus- keln sind und dass die zarten Streifen, welche er (Fig. 6) ab- bildet, nicht zum Corium, sondern zum Muskel gehören.!) Im Jugendzustand soll nun die homogene Substanz dieser vier Muskelschläuche beim Anschneiden nicht in Querplättchen zer- fallen, sondern in Gestalt von Tropfen herausquellen, welche einen bläschenartigen Kern nebst Kernkörper enthalten. Da- mit glaubt Walter den Beweis zu führen, dass die Muskel- PER 1) Trotz Walter's und Anderer Bemühungen herrscht über die speciüschen Unterschiede der Nematoden, die unsere einheimischen Batrachier bewohnen, noch ein gewisses Dunkel. Es ist nicht der Ort, daranf einzugehen. Seit Walter das Männchen zu Ozyuris or- nata übereinstimmend mit Oxryuris ornata mas. Duj. publieirt hat, bin ich erst sicher über seine Species, und glaube mir auch jetzt ein Uribeil über seine anatomischen Angaben erlauben zu dürfen, 236 A. Schneider: schläuche ursprünglich aus der Dujardin-Ecker’schen Sar- kode bestehen. Seine Sarkode unterscheidet sich aber wieder wesentlich dadurch, dass sie Kerne einschliesst. Walter hätte also keinen Grund, sie Sarkode zu nennen, da ja eben jene Forscher für solche Gebilde, welche jede Spur cellularer Zu- sammensetzung vermissen lassen, die Bezeichnung Sarkode auf- stellten. Abgesehen davon muss ich es dahingestellt sein las- sen, ob das, was Walter beschreibt, Stadien der Entwicklung sind. Dass die von uns beschriebenen Muskeln wirklich solche sind, darin stimmen, wie man sieht, alle Autoren überein. Abweichend sind aber die Ansichten über die physiologische Bedeutung der Marksubstanz. Dass siemit den Längsmuskeln identisch sein könne, haben wir schon zurückgewiesen, eben so wenig lässt sich beweisen, dass sie eine eigene Art Muskeln repräsentire. Nun hat man aber noch zwei andere Bedeutun- gen der Marksubstanz beigelegt. Die Einen erklären sie näm- lich für Gefässe, Bojanus (Enthelminthica, Isis 1821), Clo- quet (Anatomie des vers intestinaux) und Diesing. Bojanus und Cloquet, welche sie sehr genau beschrieben haben, erken- nen allerdings an, dass sie ein Lumen weder in den Bläschen noch den Quersträngen finden konnten. Bei unseren jetzigen verbesserten Mitteln ist auch keins zu finden. Ihre Ansicht ist schon von Siebold (vergl. Anatomie S. 118) wiederlegt wor- den, man kann sie wohl als ganz aufgegeben betrachten. Andere haben die Querfortsätze der Marksubstanz für Ner- ven erklärt. Meissner beobachtete an Mermis einen hoch entwickelten Ganglienring um den Oesophagus, von welchen er eine Verbindung mit zwei oder drei durch die ganze Länge des Thieres verlaufenden Strängen erkannte. Von den Strän- gen entspringen Querfasasrn, welche sich mit einer dreieckigen Erweiterung (terminales Dreieck) an die Muskeln und die Ein- geweide ansetzen. Da der centrale Ring deutlich alle Merk- male eines Nervencentrums darbot, so mussten die davon ab- gehenden Stränge und Fasern wohl sicher das peripherische Nervensystem sein. Wir wollen in dem folgenden Aufsatz das Nervensystem von Mermis näher untersuchen. Aber auch bei den Ascariden schien es Meissner nun kaum mehr fraglich (Siebold und Kölliker’s Zeitschr. VII. S. 27), dass jene Ueber die Muskeln und Nerven der Nematoden. 237 Querfasern, welche sich an die Muskeln ansetzen, für Nerven zu halten seien. Wie das dazu gehörige centrale Nervensystem und seine Verbindung mit den Querfasern beschaffen sei, liess Meissner unbe ührt. Es traten aber Ansichten auf, welche auf die seinige gestützt, die Lücke zu ergänzen suchten. Nach Wedl (Sitzungsberiehte der Wiener Akademie. 1855. Bd. 17.) besitzt das Nervensystem der Nematoden allgemein zwei Centralorgane, ein Gehirn bestehend aus Zellen, welche den Oesophagus umgeben, und ein Afterganglion. Beide sind durch Ganglienzellketten verbunden. Es liegen nämlich auf der Bauch- und Rückenfläche, unmittelbar auf den Muskeln, mehrere Reifen von Ganglienzellen, welche dadurch Ketten bilden, dass jede Zelle durch Ausläufer mit dem. vor- und rückwärts gelegenen Glied seiner Reihe verbunden ist. Von den Ganglienzellen treten die Nervenfasern ab. Das Hirn der Nematoden ist nach ihm im Allgemeinen nicht so ausgebildet, als bei Mermis. Wedl zeichnet dasselbe von Hedruris androphora als einen streifigen Ring. Zwischen den Ansichten Meissner’s und Wedl’s besteht ein grosser Unterschied. Wedl’s Gan- glienzellen sind offenbar Meissner’s terminale Dreiecke, bei Wedl ist central was bei Meissner peripherisch. Die Kerne von Wedl’s Ganglienzellen haben wir als Muskelkerne be- trachtet und seine Zellen nur als Theile der gesammten Mus- kelzelle. Die kettenartige Verbindung der angeblichen Gan- glien fällt also von selbst weg. Der Zusammenhang der Quer- fasern mit den Medianlinien, sowie die Medianlinie selbst, sind von ihm nicht berücksichtigt. Auf den Ring um den Oeso- phagus kommen wir später zurück. Wieder anders lässt Walter das Nervensystem der Ne- matoden, speciell von Ozyuris ornata, gebaut sein (Walter l. e. pag. 182). Nach ihm ist eine Kopfganglienmasse oder Hirn und eine Afterganglienmasse vorhanden. Das Hirn be- steht aus einem Ring um den Oesophagus, dessen unterer Theil gangliös, dessen oberer faserig ist, und aus unmittelbar damit verbundenen zwei vorderen und zwei hinteren Ganglien. Die Afterganglienmasse ist die grössere, „Es zeigen sich darin fünf Ganglienmassen, zwei grosse birnförmige seitlich und unterhalb , ee) 238 A.Schneider: des letzten Darmendes, zwei kleine kuglige am Seitenrande und eine grosse nierenförmige am unteren (hinteren?) Rande des Reetums gelegene, und ist durch die die beiden oberen birn- förmigen Ganglien vereinigende Brücke solehermassen der un- terste Theil des Rectums von einem wahren Afterringe um- geben.“ Von dem Gehirn verlaufen nach dem Schwanzende drei peripherische Nervenstämme, aus denen transversale Seitenäste nach Muskeln und anderen Organen entspringen. Sowohl das Hirn als auch die Afterganglienmasse habe ich weder bei Ozyuris ornala, noch bei einem anderen Nematoden finden können. Walter hebt selbst hervor, welche Mühe es koste, seine Ganglien zu sehen. Wer die Region, wo das Hirn lie- gen soll, kennt, wird überhaupt bezweifeln, ob man mit einiger Sicherheit eine genaue Beschreibung desselben entwerfen kann. Um den Mastdarm liegen allerdings mehrere grosse birnförmige Zellen, jede mit einem deutlichen Kern, wie sie z. B. Clapa- rede (De la formation des oeufs etc. Taf. VI. 1 und 2) von Ascaris mucronata abbildet. Ich kann aber selbst bei starker Vergrösserung keine kleineren Zellen darin erkennen. Die drei Längsnervenstämme Walter’s sind bei Ozyuris or- nata gewiss nicht vorhanden. Allerdings sind Stränge da, von welchen Fasern ausgehen, aber nur zwei, die auf der Rücken- und Bauchlinie liegen, die Stränge nämlich, an welche sich nach unserer Darstellung die Querfortsätze der Marksubstanz ansetzen. ! So weit nun auch diese Schriftsteller unter sich und von unserer Ansicht abweichen, so ist doch klar, dass ihr periphe- risches Nervensystem mit unserer Marksubstanz identisch ist. Es ist nicht zu leugnen, dass, wer die Marksubstanz nur an kleinen Nematoden oder an Mermis kennt, wohl geneigt sein kann, dieselbe für Nerven zu halten. Bei Betrachtung der grösseren Ascariden wird man aber schwerlich auf diese An- sicht kommen. Alle die verschiedenen Ausläufer, Fasern und Bläschen müsste man, da sie morphologisch ganz identisch sind, nothwendig mit zum Nervensystem rechnen. Wir erhiel- ten dann in einzelnen Fällen ein Nervensystem, welches das Ufer # Ueber die Muskeln und Nerven der Nematoden. 239 Muskelsystem an Masse weit übertrifft, ein solches würde ohne Beispiele im ganzen Thierreiche sein. Es ist diese Deutung der Marksubstanz bekanntlich schon früher die herrschende gewesen und nicht etwa in Vergessen- heit gerathen, sondern mit vollem Bewusstsein verlassen wor- den. Otto (Magazin der Gesellsehaft naturforschender Freunde 1816. S, 225), der sie zuerst aufstellte, hatte noch keine deut- liche Vorstellung vom Bau dieser Substanz. Bojanus er- kannte aber, dass die Querfortsätze in die Bläschen übergehen, und dass aus diesen wieder Fortsätze nach dem Darme ent- springen; er war deshalb eher geneigt, das Ganze für Gefässe zu halten, als für Nerven. Cloquet ist nicht so klar in sei- ner Ansicht gewesen, es ist schwer ibn zu verstehen. Er hält offenbar die Querfortsätze theils für Nerven, theils für Ge- fässe, Siebold (s. dessen vergleichende Anatomie der wirbel- losen Thiere S. 125), dem gewiss eine ausgebreitete Kenntniss der Nematoden zu Gebote stand, spricht sich aber ausdrücklich gegen die Deutung der Querfasern als Nerven aus, Hält man die Querfasern für Nerven, so ist es eine’ natür- liche Consequenz, dass der Strang, welehber durch ihre Verei- nigung auf der Medianlinie entsteht, der Stamm ist. Ja die Deutung des Ganzen als Nervensystem wird dadurch wesentlich gestützt. Dieser Strang ist zwar constant mit der Medianlinie verwachsen, muss aber davon wohl unterschieden werden. Er gehört zur Marksubstanz, die Medianlinie ist ein Fortsatz der körnigen Schicht zwischen Muskeln und Haut. Die früheren Schriftsteller haben diesen Unterschied nieht berücksichtigt, sie lassen die Querfasern einfach von den Medianlinien entsprin- gen. Die einen, wie Otto und Cloquet, halten die Median- linien für Nervenstämme, die anderen, wie Bojanus und v. Sie- bold, erklären sich dagegen. Wir haben unsererseits keinen Grund, dem Strang oder der Medianlinie selbst die Bedeutung eines Nervenstanımes beizulegen. Haben wir aber bei den Nematoden keine Spur eines Ner- vensyters? Es ist schon oben der Ring um den Oesophagus erwähnt worden, welchen Wedl von Hedruris androphora ab- bildet. Auch Lieberkühn (Müller’s Archiv 18558. 317) 240 ' A. Schneider! giebt die Beschreibung und Abbildung eines. solchen Ringes von einem Nematoden aus der Ente. Wir haben denselben bei einer grossen Anzahl von Nematoden wieder gefunden und geben eine Abbildung desselben bei Pelodytes strongyloides. Hier wird der Ring gebildet durch einen Strang, der zuerst quer über den Oesophagus auf der Rückseite liegt, dann sich jederseits nach hinten und unten zieht, so dass die beiden En- den in der Nähe des Gefässporus zusammenstossen. s Der Beweis, dass dieser Ring Nervencentralorgan ist, ‚lässt sich nicht streng führen. Ob er Ganglien enthält, konnte ich eben so wenig als Lieberkühn entscheiden. Zur Entschei- dung dürfte es vielleicht führen, wenn man Fasern von dem- selben zu einem Sinnesorgan verfolgen könnte. Die bei’ den Nematoden gewöhnlich vorkommenden Papillen sind jedoch kein geeignetes Object dazu. Geeigneter würde der Enoplus quadridentatus (Berlin, Müller’s Archiv 1853. S.431.) sein, der einzige Nematod, an dem man bis jetzt Augen gefunden hat, Ehe wir dieseFrage verlassen, möchte ich noch auf ein System von Fasern aufmerksam machen, welches man an Ascaris lumbri- coides findet. Zwischen Muskel und Haut findet man bei allen Nematoden eine mehr oder weniger deutliche körnige Schicht. Von dieser Schicht lassen sich die Muskeln, wenn man die Tbiere längere Zeit in Weingeist oder chromsauren Kali auf- bewahrt hat, ablösen, so dass sie selbst auf der Haut unversehrt liegen bleibt. Dann erkennt man darin gewisse regelmässige, in ziemlich grossen Abständen verlaufende Fasern (Fig. 10.). An den Medianlinien sind sie wie scharf abgeschnitten. _ In einer Wellenlinie steigen sie nach den Seitenfeldern auf und werden in der dunkeln Substanz derselben undeutlich. Jenseits des Seitenfeldes steigen sie in einem fast congruenten Bogen nieder bis zur anderen Medianlinie. Manchmal laufen zwei be- nachbarte Fasern fast parallel; solche kreuzen sich im Seiten- felde, die vordere wird nun die hintere der beiden. Andere Fasern verlaufen in ziemlich gerader Linie von der Median- linie zum Seitenfelde. Auch‘ setzt sich nicht jede Faser jen- seits des Seitenfeldes wieder fort. Bei stärkerer Vergrösserung sieht man die Fasern als glatte, wohl abgegrenzte; ‚etwas strei- a - Ueber: die Müskeln und Nerven der Nematoden. 241 fige Bänder, welehe dann und wann einen kurzen Astiabgeben (Fig. 11.). Sie liegen in einem wandungslosen Canal, in der körnigen Schicht eingeschlossen, so dass sie den Canal nicht ganz ausfüllen. Man kann die Bänder isoliren, ‚sie sind fester als die umgebende Substanz. Bei Ascaris megalocephala sieht man immer nur röthliche Canäle von ähnlichem Verlaufe, wahr- scheinlich reisst man bei der mühsamen . Präparation die Bänder heraus und lässt nur die Lücken zurück. Ich gestehe, dass ich wohl geneigt war, diese Fasern für Nerven zu halten. Ich untersuchte, ob sich dieselben an ‚die Papillen verfolgen liessen, welche bei Ascaris lumbricoides etwa in gleicher Höhe mit dem Gefässporus am Seitenrande die Haut durchsetzen. Alle Mühe war aber vergeblich. Ebenso war es unmöglich, sie in die Medianlinie zu verfolgen, obgleich man die Median- linie recht gut isoliren und untersuchen kann. Sind es Ner- ven, sind es Gefässe, oder auch keins von beiden? Diese Fra- gen lassen sich bis jetzt nicht entscheiden. Da es aber so be- stimmt umschriebene Gebilde von so gesetzmässigem Verlaufe sind, so dürften sie wohl einer weiteren Beachtung werth sein. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Querschnitt von Ascaris marginata. Cölomyarier: (schwache Vergrösserung.) a. Seitenfeld. b, Bläschen der Marksubstanz. q. Querfortsätze der Marksubstanz. ın. Muskel. 1, Medianlinie. d. Darm, Fig. 2. Querschnitt von Ascaris megalocephala. Cölomyarier, (Vergr. 350.) m und q wie in Fig. 1. n. Kern des Muskels. k. Körnige Schicht zwischen Haut und Muskel, Fig. 3. Stück eines Muskels von Ascaris megalocephala von der Seite gesehen. (Vergr. 350.) Koichert'« u, du Bois-Keymond's Archiv. 1860, 16 242 A. Schneider: Ueber die Muskeln und Nerven der Nematoden. m und b wie oben. Man sieht hier die Streifen des Muskels sich auf das Bläschen fortsetzen, ein Fall, den ich selten beobachtet habe. Fig. 4. Querschnitt von Prosthecosacter inflexus. (Vergr. 120.) /’. Secundäre Medianlinien. Man sieht die Fasern und Kerne der Marksubstanz. ; Fig. 5. Querschnitt von Spiroptera obtusa. Cölomyarier. (Ver- grösserung 350.) b und m wie oben. Fig. 6. Querfortsätze der Marksubstanz und Ansätze an die Me- dianlinie von Ascaris maculosa. (Vergr. 250.) Fig. 7. Medianlinie von Oxyuris spirotheca aus Zellen bestehend, daneben die Muskeln. (Vergr. 350.) Fig. 8. Filaria cystica R. A. Bläschen aus der Marksubstanz, nebst den Kernen. Die darunter liegenden Muskeln sind weggelassen. B. Querdurchschnitt eines Muskels, um den Zusammenhang von Muskel, Bläschen und Kern zu zeigen. Fig. 9. Spiroptera obtusa. Muskelzellen von der inneren Fläche gesehen. Jede Zelle mit vielen Kernen. (Vergr. 120.) Fig. 10. Fasersystem der körnigen Schicht von Ascaris lumbri- coides. Die Lippen sind abgeschnitten, die Haut in der Rückenlinie aufgeschnitten und die Muskeln entfernt. p- Gefässporus. pp. Papillen. f. Fasern. Schwache Vergrösserung. Fig. 11. Stück einer solchen Faser. (Vergr. 350.) Fig. 12. Kopf von Pelodytes strongyloides. Platymyarier. Sei- tenfeld und Muskelfeld gleich gross. Der Mund sechslippig. a,l,m,p wie oben. v. Gefäss. z. Zellen, welche am Porus sitzen. (Vergr. 350.) A. Schneider: Bemerkungen über Mermis., 243 Bemerkungen über Mermis, Von Dr. A. SCHNEIDER. (Hierzu Taf. VI.) Die Geschichte der jetzigen Ordnung Gordiacea Sieb. hat bereits Meissner (Siebold’s und Kölliker’s Zeitschrift Bd. VII. S. 1 u. ff.) genau auseinander gesetzt. Es war vorzüglich die grosse Aehnlichkeit in der Lebensgeschichte, welche Siebold veranlasste, die beiden Genera Gordius und Mermis in dieser Ordnung zu vereinigen. Obgleich der Bau derselben damals nur unvollkommen vorlag, so bemerkte doch Siebold, dass Mermis näher mit den Nematoden verwandt sei als Gordius. Durch Meissner machte die Kenntniss dieser Thiere einen schnellen und grossen Fort- schritt. Meissner zog die Berechtigung der Ordnung selbst nicht in Frage, er bestätigte das schon von Siebold als cha- rakteristisches Merkmal hervorgehobene Fehlen des Afters und fügte das Fehlen des Darmeanals als neues gemeinsames Merk- mal hinzu. Allein wenn man von diesen beiden Merkmalen absieht, so geht aus Meissner’s Untersuchungen doch eher hervor, dass in allen übrigen Punkten die beiden Genera ganz verschieden sind. Der Kopf von Mermis ist mit Papillen besetzt, der Kopf von Gordius nicht. Die Vulva liegt bei Mermis mehr in der Mitte des Thieres, bei Gordius in der Schwanzspitze. Der Eierstock theilt sich demzufolge bei Mermis in zwei Aeste, welche symmetrisch nach hinten und vorn liegen; bei Gordius laufen die beiden Aeste parallel nach vorn. Das Männchen von Mermis (albicans) hat eine ungetheilte Schwanzspitze mit mehreren Papillenreihen und zwei Spieula; das Männchen von Gordius einen gegabelten Schwanz, keine Papillen, sondern 16* 9244 A, Schneider: Stacheln und keine Spieula. Mermis hat Seitenfelder, Gordius hat keine. Mermis hat vier Medianlinien, Gordius eine.!) Von dem eigenthümlichen Verdauungsapparat der Mermis ist bei Gordius keine Spur. Ich werde auch zu zeigen versuchen, dass man Mermis einen Darmcanal geradezu nicht absprechen kann. Es bleibt also schliesslich kein gemeinsames Merkmal als der Mangel des Afters, ein Charakter, der offenbar in sonst ganz verschiedenen Unterabtheilungen vorkommen kann. Will man die übrigen Nematoden mit Ausschluss von Gordius und Mermis als eine homogene Familie, etwa Strongyloidea Leu- kart (Nachträge und Berichtigungen zu v. d. Hoeven’s Lehr- buch der Zoologie) betrachten, so muss man wenigstens drei Familien, Strongyloidea, Mermithea und Gordicea unterscheiden. Ich schlage diese Eintheilung keineswegs definitiv vor, glaube vielmehr, dass die Sirongyloidea noch weiter zerfällt werden müssen. Diese Betrachtungen mögen es rechtfertigen, dass wir im weiteren Verlauf der Untersuchung es unterlassen, Analo- gien zwischen Gordius und Mermis aufzusuchen. Die folgenden Bemerkungen stützen sich fast ausschliesslich auf die Untersuchung von Mermis nigrescens , sie werden vor- züglich nur die Punkte berühren, in welchen ich von Meiss- ner abweiche. Da Meissner von Mermis nigrescens nur we- nige Exemplare untersuchen konnte und seine Ansichten we- sentlich an M. albicans gebildet sind, bedaure ich, dass mir von letzterem nur ein gutes Spiritusexemplar zu Gebote stand. Nach Meissner (l. ec. $S. 11) stehen am Kopfe von M. nigres- cens sechs Papillen. Es sind sechs trichterförmige Lücken der Haut, in welche eben so viel Papillen aus dem Inneren hinein- ragen. Die Form der Papillen finde ich ganz gleich, es sind aber nicht sechs, sondern vier. Allerdings kann der Anschein von sechs Papillen entstehen, aber durch zwei Gebilde ganz anderer Art. Genau lateral nämlich liegt jederseits eine ellip- tische flache, wahrscheinlich mit Flüssigkeit gefüllte Blase. Sie wird nach aussen von der Haut, nach innen von der dar- 1) Es ist für den Zweck dieser Zusammenstellung gleichgültig, ob man die Organe Medianlinien oder Nervenstämme nennt. Bemerkungen über Mermis. 9245 unter liegenden Körnchenschicht begrenzt. Dreht man das Thier so, dass die Blase dem Beschauer gerade die Fläche zukehrt, so ist die Begrenzung deutlich, wendet die: Blase die schmale Seite zu, so ist sie weniger deutlich und ihre obere Spitze kann den Schein einer Papille geben. Alles das wird vollständig klar, wenn man den Kopf dicht hin- ter den Papillen quer durchschneide. Man übersieht dann alle vier Papillen und die Querschnitte der beiden Blasen, deren innerer Rand sich wie ein kleiner Saugnapf ausnimmt. Weiter giebt Meissner an, dass die Mundöffnung von einem schmalen Ringe umgeben ist, einer ringförmigen Lücke der Haut, in welche die innere Masse hineinragt. Dieser Ring soll sich von allen Seiten wie zwei aus dem Inneren in die Haut ragende Papillen ausnehmen. In der That sind es aber auch zwei Papillen, kein Ring, Man kann sich davon durch wiederholtes Drehen des Kopfes und auch bei der Ansicht von oben überzeugen. Diese zwei Papillen stehen lateral und un- terscheiden sich von den vier erwähnten, dass an ihnen die Hautdurchbohrung mehr röhrenförmig und von einer körnigen Masse erfüllt ist, während an den anderen die Durchbohrung trichterförmig und von einem homogenen Kegel erfüllt ist. An einem Spiritusexemplare sehe ich, dass bei Mermis al- bieans die Stellung und der Bau der Papillen ein ganz anderer ist, und daks Meissner’s Beschreibung wohl das Richtige ge- troffen hat. Als Seeretionsorgane beschreibt Meissner drei mit gros- sen kernhaltigen Zellen erfüllte Schläuche, welche auf Corium- wülsten festgeheftet durch die ganze Länge des Thieres ver- laufen. Auf dem bauchständigen Schlauch liegt ein (Bauch- nerven-) Strang, der sich mit seitlichen Zweigen in seine Un- terlage etwas einsenkt, so dass sich zwischen je zwei Zweigen eine Zelle hervorbaucht. Die Angaben über die Lage dieser Organe und die nähere Beschreibung des bauchständigen Schlauches und Stranges erkenne ich vollkommen an. Doch kann ich die Bezeichnung als Schläuche nicht billigen. Au keinem derselben finde ich eine irgendwie deutliche umschlies- 346 A. Schneider: sende Membran. Sodann will ich versuchen zu zeigen, wie man diese Organe unterscheiden kann. Nur zwei, die mehr lateral stehenden, die wir Seitenfelder nennen, sind auf Coriumwülsten festgeheftet. Unter den drit- ten, der Bauchlinie, geht das Corium glatt weg. Die Wülste sind sehr deutlich an Querschnitten, wir haben davon eine Ab- bildung gegeben (Fig. 16). Die Substanz der Seitenfelder umfasste dieselben wie eine Rinne einen Stab. An den reifen Mermis sind die Kerne der Seitenfelder stark lichtbrechend und die Grenzen der Zellen nieht immer deutlich. An: Mermithenlarven aus Locusta erkannte man sowohl die Bläschenform ‘der Kerne, als auch die Grenzen der Zellen auf das Deutlichste, ' Die Anordnung der Kerne in den Seitenfeldern ist verschieden von der in der Bauchlinie. An den Seitenfeldern unterscheidet man jederseits eine Reihe grösserer Kerne und dazwischen. etwa zwei Reihen kleinerer. Die Kerne der Bauchlinie sind alle gleich gross, man kann sie fast als eine Reihe betrachten, eine Reihe, deren Glieder ‘abwechselnd ein wenig nach rechts und links gestellt sind, wie dies auch Meissner gut abgebildet hat. Noch in anderer Beziehung zeigt sich die Verschiedenheit der Bauchlinie und der Seitenfelder sehr hervorstechend. Wir müssen noch einmal an die eigenthümliche Organisation von Mermis erinnern. Auf der Rückseite ist eine Linie, welche die Muskeln trennt, die Rückenlinie — Meissner’s Rücken- nervenstrang — auf der Bauchseite die Bauchlinie — Meiss- ner’s bauchständiger Schlauch, Diese beiden betrachten wir als den Haupt-Medianlinien der Nematoden entsprechend. Es sind ferner die beiden Seitenfelder, welche seitlich aber etwas näher der Rückenlinie stehen. Durch zwei andere Linien, se- eundäre Medianlinien nach unserer Auffassung, ist die Muskel- schicht jederseits zwischen der Bauchlinie' und dem Seitenfeld nochmals getheilt. Entfernt‘ man nun den ganzen Inhalt (des Leibes, dass nur der Hauteylinder zurückbleibt, welchen man der Länge nach spalten und aufrollen kann, so sieht: man auf der inneren Fläche des Corium ein System von Linien. Zu- erst entsprechend den Medianlinien, sowohl den Hauptmedian- linien als den secundären Längslinien, die von einer Ver- Bemerkungen über Mermis. 247 = dickung des Corium herrühren, ‘Dann den beiden Coriumwül- sten der Seitenfelder entsprechend zwei Längsbänder. Da- zwischen verlaufen Querlinien von der Grenze des Längs- bandes zu den Medianlinien und von einer ‚Medianlinie zur anderen. Die nebenstehende Figur wird dies alles deutlich ) 'a | ) I | u Fe \ mm «bb MM, er machen, aa bedeuten die Coriumwülste der Seitenfelder, d die Rückenlinien, ab die Bauchlinie, mm die secundären Median- linien. _Das verschiedene Verhalten der Bauchlinie und. der Seitenfelder ist einleuchtend. Die Bauchlinie verhält sich ganz wie die anderen Medianlinien. Wenn man die Abbildungen, welche Meissner vom cen- tralen Nervensystem der beiden Mermis giebt, vergleicht, so muss es auffallen, dass sie so erheblich von einander ab- weichen. Allerdings beschreibt Meissner von beiden zwei vordere und zwei hintere Kopfganglien und ein Rücken- und Bauchganglion, die zusammen den Schlundring bilden. Nach der Abbildung ist der Anblick des Ganzen aber sehr ver- schieden. Meissner erklärt dies dadurch, dass bei Mermis migrescens eine feste Haut vorhanden ist, welche die Ganglien zusammenhält, bei Mermis albicans die Haut dünn und leichter zerreissbar, wodurch die Ganglien aus einander treten. Man kann dies sogenannte Hirn bei Mermis nigrescens leicht präpariren, Man schneidet ein Stück des Vorderendes ab und drückt mit dem Messerrücken langsam von hinten. ‚In dieser Weise habe ‚ich. es in. einer beträchtlichen :Zahl beobachtet, muss aber bekennen, dass es mir nie das von Meissner ge- zeichnete Bild darbot. Es ist ein Körper, welcher vorn schmal, nach hinten allmählig in eine kuglige Anschwellung übergeht Aus der Anschwellung tritt, wieder ein dünner Strang hervor. 248 WA, Schneider: Dieses’ ganze Gebilde umschliesst den von der Mundöffnung ausgehenden 'Oesophaguscanal. In seiner äusseren "Gestalt gleicht es'ganz dem Oesophagus vieler anderen Nematoden und wir wollen zeigen, dass man es auch mit mehr Recht für den Oesophagus als für das Hirn halten kann. Die Einschnürun- gen zu Ganglienkörpern, welche Meissner daran abbildet, haben wir nie finden können. Es ist nach aussen immer dreh- rund, in welchen Flüssigkeiten (Wasser, chromsaures Kali, Essigsäure) wir es auch untersuchten. Ich muss vermuthen, dass Meissner die Einschnürungen durch irgend ein anderes, von ihm unerwähntes, Reagens erhalten hat. Das Ganze besteht aus einer äusseren festen Haut, darin liegen dichtgedrängt deutliche Zellen mit Nucleus und Nucleolus, nach vorn werden die Zellen sparsamer, man sieht nur eine homo- gene Substanz. Im Centrum des Bulbus liegt quer ein dunk- lerer elliptischer Körper aus kleinen Kugeln bestehend, von welchen man aber nicht behaupten kann, dass es Zellen sind. Auf der Aussenfläche des Bulbus setzen sich vier faserige Stränge an, die mit den Zellen in keiner Weise zusammen- hängen, wie man überhaupt an den Zellen keinerlei Ausläufer erkennt. "Wir können also in dieser Structur keine Aehnlich- keit mit der eines Nervencentralorganes erkennen. Der Oesophagus der Nematoden ist allerdings immer anders gebaut. Siebold beschreibt ihn als aus drei länglichen Mus- kelmassen zusammengesetzt, welche durch Längsnäthe verbun- den einen dreiseitigen Canal umschliessen. ‘Man kann ihn aber noch allgemeiner auffassen als eine homogene Masse von einer äusseren Haut begrenzt und im Inneren einen festen Canal von drei- oder sechseckigem Querschnitt umschliessend, Meist strah- len nun von den Wänden des Canals verzweigte Balken einer festen Substanz nach der Haut aus; es wird dadurch das mus- kelähnliche Bild hervorgebracht. Diese Balken können aber auch fehlen, z. B. bei Leptodera flezilis und Strongylus auricu- laris. Bei diesen beiden liegen nun auch in der homogenen Substanz und zwar im Bulbus ein oder mehrere grosse Kerne mit Kernkörpern. Wenn wir sehen, dass der Oesophagus aus einer homogenen Masse mit Kernen bestehen kann, so wird Bemerkungen: über Mermis. 249 die Annahme weniger gewagt erscheinen, dass er auch viele Zellen in seiner Substanz umschliessen kann, wie bei MH. ni- grescens, dass also auch von dieser Seite die Deutung des frag- liehen Organs sich rechtfertigen lässt. Aus dem Bulbus tritt der Oesophaguscanal hervor, von einer dünnen Schicht homogener Substanz — ‘Schlauch wenn man will — umgeben. Er legt sich dann, in gewissen Ab- ständen Anschwellungen bildend, an den sogenannten Fettkör- per Meissner’s an, und verläuft an demselben in grossen Windungen, bis er blind endet. | Meissner hat an diesem Schlauche einen sehr merkwürdigen: Bau beschrieben. Der Oesophaguscanal ist nach ihm ein Halbcanal, eine Rinne, wel- cher in einem von schwammig-gallertiger Substanz erfüllten Sehlauche liegt. Die Anschwellungen des Schlauches sind Höhlungen, die durch Einstülpungen desselben entstehen. Der Canal durchbohrt sie nicht. Ihre Oeffnung; führt auch nicht in die Leibeshöhle, sondern in den Fettkörper. Es umgiebt nämlich eine zweite Membran den Schlauch, welche über jeder Oefinung zu einem Canal sich auszieht, der sich an den Fett- körper ansetzt. Diesen Bau fand Meissner gleich bei Mer- mis albicans und nigrescens, bei letzterer nur in kleinerem Massstabe ausgeführt. Von dieser Darstellung muss ich zuerst darin abweichen, dass ich den Canal für ein geschlossenes Rohr, nicht für eine Rinne halte. An Längsansichten lässt sich das nicht entschei- den, ich habe aber Querschnitte desselben und zwar gerade an Mermis albicans auf das Deutlichste als kreisförmig erkannt. An den geschlechtsreifen Exemplaren von Mermis nigrescens sieht der Canal meist wie ein plattes Band aus. Es ist anzu- nehmen, dass er zusammengefallen ist. Den Bau der Anschwellungen finde ich viel einfacher als Meissner, In jeder Anschwellung liegt ein länglich runder fester Körper, ein kernartiges Gebilde, um welches sich eine dunkle, körnige Masse abgelagert hat. Weder eine Höhlung noch eine Oeflnung kann ich daran finden, eben so wenig den Canal zum, Fettkörper. Der Oesophagusschlauch ist bei den ausgewanderten ge- 250 A. Schneider: schlechtsreifen Thieren vergleichsweise eingeschrumpft, ganz anders nimmt. er sich an Larven aus. Ich habe deren beob- achtet aus Zocusta. Der Schlauch ist prall mit einer homoge- nen Substanz erfüllt, in welcher in unregelmässigen Abständen sehr grosse bläschenförmige Kerne mit Kernkörpern liegen.!) Dass die kernartigen Gebilde der Anschwellungen aus diesen wahren Kernen entstehen, ist wohl zu vermuthen, Um Meiss- nmer’s Ansicht noch aufrecht zu erhalten, könnte man anneh- men, dass diese Kerne sich ‚eben zu Magenhöhlen metamor- phosiren. Man kennt bis jetzt freilich eine solche Metamor- phose von Kernen noch nicht und bei Mermis nigrescens findet sie auch sicher nicht statt. Der Fettkörper Meissner’s gleicht seinem Aussehen nach vollkommen dem Darmeanal' eines Nematoden | und wenn auch kein Lumen desselben vorhanden zu sein scheint, so kann man ihn doch ‚wohl als ein Analogon des Darmes be- trachten. Das blinde Ende des Oesophaguscanales habe ich nicht gefunden, doch glaube ich nicht, dass in diese Angabe Meissner's ein Zweifel zu setzen ist. Ein After ist bei Mermis nicht vorhanden. Doch ist die Stelle wenigstens bezeichnet, nämlich durch jene kleine Haut- erhebung, welche sich auf der Bauchseite kurz vor dem Schwanz- ende befindet, da, wo gewöhnlich der After der Nematoden zu liegen pflegt.?) Meissner betrachtet sie als die Stelle, auf welcher der Schwanzstachel der Larve gesessen hat. Dieser 1) Man kann durch diesen Bau an den Oesophagus von Tri- chocephalus, Trichosoma, Trichina erinnert werden. Auch da um- giebt ein Schlauch mit eingestreuten Zellen, wofür sie Eberth, oder wohl besser Kerne, wofür sie Virchow bei Trichina (Archiv für path. Anat. Bd. XVIII. S. 339) hält, den Canal des Oesophagus. Da aber nach Eberth der Canal nur in einer Rinne des Schlauchs liegt, auch Leuckart (Wiegmann’s Archiv. Jahresbericht für 1858) den Canal und den Schlauch als zwei getrennte Gebilde betrachtet, so lässt sich einstweilen keine Parallele ziehen. 2) Wahrscheinlich hat auch Siebold diese Papille für den After gehalten (vergl, Anatomie d. wirbellosen Thiere S. 130 Anmerk.) „In den verschiedenen Mermis-Arten lassen sich Mund, Schlund und After ganz 'gut unterscheiden.“ Bemerkungen über Mermis. 351 Stachel sitzt aber immer auf der äussersten Schwanzspitze, und es ist nicht abzusehen, warum nach der Häutung, bei welcher der Stachel als ein Hauttheil abgeworfen wird, der Ansatz- punkt desselben so weit nach vorn rücken sollte. Wir hätten nach dieser Auffassung bei Mermis sämmtliche Theile des Verdauungsapparats der Nematoden wiedergefunden, mit Ausnahme des Mastdarms. Das Eigenthümliche von Mer- mis besteht darin, dass der Oesophagus sich nicht in den Darm öffnet, sondern neben demselben verlaufend blind endigt, dass auch ferner der Darm nicht nach aussen führt. Eine kurze Betrachtung wird dies Verhalten des Oesopha- gus weniger auffallend erscheinen lassen. Das Gewebe des Darms und des Oesophagus ist immer ganz verschieden, beide Organe treten in Communication‘, ohne dass die Gewebe in einander übergehen. Nun ist schon bekannt (Siebold vergl. Anatomie S. 130), dass sich der Darm blindsackartig über diese Communicationsstelle nach vorn fortsetzt. Es kann aber auch der Oesophagus sich weit nach hinten blindsackartig ver- längern, die Oeffnung in den Darm kommt dann seitlich zu liegen, Oesophagus und Darm laufen ein gutes Stück neben einander. Ich habe dies Verhalten bei Ascaris rigida R. beobachtet. Um die Aehnlichkeit mit Mermis vollständig zu machen, fehlte nur, dass die seitliche Oeffnung wegfiele. Das peripherische Nervensystem Meissner’s haben wir schon wiederholt als morphologisch unserer Märksubstanz entsprechend betrachtet. Da wir auch hier keinen Zusammen- hang der auf den Medianlinien liegenden Längsstränge mit einem Centralorgan nachweisen können, so fällt damit die we- sentlichste Stütze für die physiologische Deutung derselben als Nerven weg. Meissner beschreibt das peripherische Nervensystem von M. albicans und nigrescens sehr verschieden. Bei jenem sind vier Hauptstämme, bei diesem nur zwei vorhanden. Auch aus Meissner’s Beschreibung geht hervor, dass bei beiden Mer- mis gleichmässig vier Medianlinien vorhanden sind, eine Rücken-, eine Bauchlinie und zwei secundäre Bauchlinien. Nach unserer Auffassung sind bei Mermis albicans die Längsstränge und die 252 A. Schneider: Bemerkungen über Mermis. Querfasern auf allen vier Linien deutlich vorhanden, bei M. nigrescens nur auf den beiden Hauptmedianlinien. Spuren er- kennt man übrigens auch bei letzterer auf den secundären Me- dianlinien. Wollte man die Meissner’schen Nervenstämme anerkennen, so wäre es jedenfalls auffallend, dass in zwei nahestehenden Species die Anlage des wichtigsten Systems so verschieden sein sollte. Erklärung der Abbildungen. Tafel VI. Fig. 13. Oesophagus von Mermis nigrescens. i. Dunkler elliptischer Körper im Inneren des Bulbus. e. Kanal des Oesophagus. d. Darm (Fettkörper). Fig. 14. Stück des hinteren schlauchartigen T'heiles des Oesopha- gus einer Mermislarve aus Locusta. Fig. 15. Dasselbe einer geschlechtsreifen M. nigrescens. nn. Kerngebilde (Meissner’s Magenhöhle). Fig. 16, Querschnitt der Haut von M.nigrescens, um die beiden Coriumwälste zu zeigen, auf welchen die Seitenfelder sitzen Fig. 17. Kopf von M. nigrescens. Von oben gesehen. 0. Mund. p- die vier hinteren conischen Papillen. p’. die zwei Papillen am Mund. x. Querschnitt durch den vorderen Theil der seitlichen Blasen. Fig. 18. Seitenfeld von M. nigrescens. ‚Ch. Aeby: Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit u. s. w. 253 Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Muskelzuckung. Vorläufige Mittheilung von Dr. CH. ArBy, Privatdocent in Basel. Nachdem früher, gestützt auf mikroskopische Beobachtungen, von Ed. Weber eine vielleicht gleichzeitige Contraction sämmtlicher Abschnitte einer gereizten Muskelfaser ‘war. be- hauptet worden, wurden in neuerer Zeit die Stimmen immer zahlreicher, welche sich zu Gunsten einer wellenförmig fort- schreitenden Bewegung aussprechen, ohne dass jedoch ein di- recter Beweis hierfür wäre geliefert worden. Vermittelst eines neuen, eigens hierzu construirten Apparates, habe ich versucht, die schwebende Frage experimentell zu lösen, und ich erlaube mir hiermit, die bisher gewonnenen Resultate vorläufig zu ver- öffentlichen. Die Beschreibung des Apparates muss der. defi- nitiven Arbeit vorbehalten bleiben. Die Versuche wurden sämmtlich am Frosch und zwar mit einem der parallelfaserigen Adductoren des Oberschenkels angestellt. Ich verwendete zunächst Muskeln, an denen durch Vergif- tung mit Wurali der Einfluss der Nerven, wenn auch nicht, wie ja vielfach bezweifelt wird, in ihren letzten Endigungen, doch jedenfalls in den Stämmen eliminirt war. Der an dem einen Ende vermittelst eines möglich schwachen Inductionsschlages gereizte Muskel zeigte in der That eine an der zunächst affı- eirten Stelle beginnende und von da aus über die entfernteren Theile successiv sich verbreitende Verkürzung. Die Fortpflan- zungsgeschwindigkeit selbst muss eine verhältnissmässig kleine genannt werden, indem sie im Mittel für die Secunde 1 Meter wohl nicht erreicht, jedenfalls aber nicht überschreitet. Ich verzichte vor der Hand auf genaue Zahlenangaben, da die Reihe 954 Ch. Aeby: Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit u. s. 'w. meiner Versuche bis jetzt noch zu klein ist. Die angegebene Grösse gilt indessen nur für möglichst frisch und unmittelbar nach eingetretener vollständiger Vergiftung untersuchte Mus- keln, da jede Verringerung ihrer Lebensenergie auch mit einer Verminderung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Ver- kürzung verknüpft zu sein scheint. Ziemlich rasch sinkt sie bei ausgeschnittenen und der freien Luft ausgesetzten Muskeln, dagegen nur langsam bei solchen, die in ungestörtem Zusam- menhange mit dem Körper belassen wurden. Im ersteren Falle fand ich nach 2—3 Stunden die Geschwindigkeit in der Regel auf '/;—'/, der ursprünglichen verändert, im letzteren dagegen war sie selbst am vierten Tage nach der Vergiftung noch kaum auf die Hälfte gesunken. — Gewiss überraschend ist die Thatsache, dass diesen vergifteten Muskeln die unver gifteten sich in jeder Beziehung durchaus gleich zu verhalten scheinen, wenigstens erhielt ich in den bisherigen Versuchs- reihen genau dieselben Zahlenwerthe. Dies veranlasste mich, die Muskelverkürzung zu prüfen, wenn sie durch Reizung des Nervenstammes war erzielt worden. Auch hier stellte sich heraus, dass die Contraction nicht eine an allen Stellen gleich- zeitige, sondern vielmehr eine successive ist und zwar schien sie mir von der Endausbreitung der Nervenzweige auszugehen, bei dem erwälnten Muskel also von seinen beiden Enden gegen die Mitte, beim Gastroknemius vom unteren zum oberen Ende fortzuschreiten. Ich enthalte mich vorerst noch jeder bestimm- ten Angabe über diesen Punkt, der in vielen Beziehungen je- denfalls unsere volle Beachtung verdient. Gern benutze ich diese Gelegenheit, Herrn Prof. du Bois- Reymond öffentlich meinen wärmsten Dank auszusprechen für die vielfache Förderung, welche mir von seiner Seite sowohl bei der Herstellung des Apparates als auch bei den ersten Ver- suchen zu Theil geworden ist. Rudolph Wagner: Ueber eine einfache Methode u. s. w. 255 Ueber eine einfache Methode die Herzbewegung bei Vögeln lange Zeit direct zu beobachten. (Briefliche Mittheilung an Prof. du Bois-Reymond.) Von Prof. RuDOLPH WAGNER. Göttingen, den 9. Februar 1860. Sie haben in Ihrem Archiv Heft IV. des vorigen Jahrgangs einen Aufsatz von Dr. Einbrodt aus Moscau über den Ein- fluss der Nervi vagi auf die Herzbewegung bei Vögeln ab- drucken lassen, der sich auch auf frühere Untersuchungen von mir bezieht.') Ich habe die vor 6 und 7 Jahren angefangene Arbeit diesen Winter wieder in meinen praktischen Uebungen vornehmen lassen wollen, als ich bald nach Beginn der Vor- lesungen heftig erkrankte und noch jetzt das Zimmer zu hüten genöthigt bin. Ich fürchte, dass ich nun auf diese Experimente über die Innervation des Herzens zunächst nicht mehr zurück- kommen werde, obwohl mir eine ziemliche Masse. Collectaneen vorliegen und sich die Versuche auf die vier Wirbelthier- klassen ausdehnten. Diese bedürfen, insofern sie auf elektri- schen Reizversuchen beruhen, vorzüglich einer Revision, da man damals die nothwendigen Cautelen noch nicht so genau ‚kannte, wie jetzt. Obwohl ich den Sympatbicusstamm vom be- nachbarten Vagus möglichst isolirte, so bezweifle ich doch nicht, dass die Reizung des ersteren nicht ohne Wirkung auf den letz- teren war. Wie ich mich denn im vorigen Jahre überzeugte, dass auch an den Köpfen von hingerichteten Menschen elek- trische Reizung des wohlisolirten herabhängenden Endes des Vagus Erweiterung der Pupille hervorruft, wenn auch in ge- I) Nachrichten von der Königl. Gesellsch. d. Wissensch. 1854, Nr. 8. 10. April, wieder abgedrackt in meinen neurologischen Unter- suchungen. 1854. S. 215, 256 Rudolph Wagner: Ueber eine einfache Methode u. 8. w. ringerem Grade, als durch Reizung des abgeschnittenen Stam- mes des Halssympathicus, der doch allein die Erweiterungs- fasern der Pupille des Auges beherrscht. Bei elektrischer Reizung des peripherischen Stammes des Vagus am Halse bei Vögeln mit dem Schlittenapparat habe ich später auch öfter Stillstand des Herzens beobachtet, jedoch nie so energisch und dauernd als bei Säugethieren oder gar bei kaltblütigen Wirbelthieren. Aber davon wollte ich eigentlich nicht reden, sondern von der Methode, das Herz zu beobachten. Allerdings kann man sich bei Vögeln, wie auch Herr Ein- brodt angiebt, der Acupuncturnadeln wegen der Dicke des grossen Brustmuskels nicht bedienen. Er wandte die Auscul- tation an. Seit einer Reihe von Jahren bediene ich mich aber schon für meine Vorlesungen, wie für Versuche, der Bloslegung des Herzens bei Vögeln, so dass man dessen Bewegung auf das Schönste Stunden lang beobachten und jeden Versuch anstellen kann. Ich weiss nicht, ob diese Methode anderwärts auch be- kannt ist, theile sie aber jedenfalls mit, da man hier die Bewe- gung am blosgelegten Herzen ohne künstliche Respiration so schön längere Zeit Vielen zeigen kann. Die Tauben (deren ich mich in der Regel bediente) werden mit Flügeln und Füssen an vier Haken oder Nägel eines Brettes auf dem Rücken liegend mit Bändern festgebunden, nachdem die Federn auf der Brust und dem Bauche ausgerupft sind. Hierauf mache ich einen Längsschnitt unterhalb des Brustbeins bis gegen den After und vom oberen Ende des Schnitts zwei Querschnitte am Rand des Brustbeins bis zu den Rippen; dann kann man das Brustbein aufheben und mit den Fingern (Zeigefinger) geht man über Leber und Magen zum Herzen und löst überall die das- selbe umgebenden Membranen der daselbst liegenden Luftzelle. Die Blutung bei dieser Operation ist äusserst gering, Man kann dann vom Brette aus zwei hölzerne Stützen so anbringen, dass das untere Ende des Brustbeins emporgehoben wird. Die Thiere vertragen dies in der Regel sehr gut. Man kann das Herz mit den Fingern comprimiren und, wie gesagt, die raschen, vibrirenden Bewegungen Stunden lang beobachten und: vielerlei Julius Budge: Ueber den Stillstand des Herzens u. s. w. 257 Versuche anstellen. Man überzeugt sich, dass bei elektrischen Vagusreizungen oft noch schwach vibrirende, wühlende Bewe- gungen des Herzens vorhanden sind, während man durch die Auseultation keine eigentlichen Schläge mehr wahrnimmt. Ueber den Stillstand des Herzens durch Vagus- reizung, Von . JuLius BuDGE in Greifswald. Im 4. Hefte des Jahrgangs 1859 dieses Archivs $. 439 ist eine Abhandlung: ,‚‚Ueber den Einfluss der N. vagi auf die Herzbewegung bei Vögeln von Dr. Einbrodt aus Moskau“ abgedruckt, welche auf Anregung und unter Leitung des Herrn du Bois-Reymond entstanden ist. — In einer Anmerkung 8. 430 theilt der Verfasser die Entdeckung des Herzstillstandes durch Vagusreizung unbedingt dem Herrn E. Weber zu und bestreitet meinen Antheil daran vollständig. Ich habe nun zwar bereits wiederholt die Unrichtigkeit dieser Annahme nachge- wiesen, vgl. z. B. Archiv für phys. Heilk. X. S. 354, und es wäre billig gewesen, dem Publicum auch die Beweisstücke vor- zulegen, welche für mich sprechen und nicht die gegentheiligen allein. Da dies nicht geschehen, so muss ich zu meiner Ver- theidigung Folgendes erwiedern. Es ist von jeher in der Wissenschaft Sitte gewesen, dass wenn zwei Forscher selbständig und unabhängig von ein- ander dieselbe Entdeckung ungefähr um dieselbe Zeit gemacht haben, diese auch beiden gleichmässig zuerkannt wurde. Ich bin nun sehr wohl im Stande, die Selbständigkeit meiner Ent- deckung durch äussere und innere Gründe nachzuweisen, wie ich auch schon früher wiederholt gethan habe. Die Thatsache ist allerdings von Herrn Weber eher in Italien, von mir aber eher in Deutschland als von ihm durch den Druck publieirt Reichert» u, du Bols-Reymond's Archiv. 18600, 17 258 Julius Budg.e: worden. Oeffentlich vor Anderen habe ich sie wahrscheinlich noch eher als Herr Weber gezeigt, jedenfalls nicht später. Im September 1845 hatten die Herrn Gebrüder Weber in einer italienischen Naturforscherversammlung den Versuch vor- getragen. Die italienische Zeitschrift, in welcher Berieht davon gegeben ist, Annali di medieina, hat in Deutschland sehr we- nig Verbreitung, wurde wenigstens bis vor 3 Jahren auf der Universität Bonn gar nicht gehalten. Es war auch von jener Weber’schen Mittheilung bis zur Mitte des Jahres 1346 in Bonn und sonst in Deutschland Nichts bekannt geworden. Schon im Winter 1345 hatte ich fast sämmtlichen Professoren und Docenten der medicinischen Faecultät in Bonn den Ver- such gezeigt, nachdem ich ihn mit Studirenden den ganzen Sommer 1345 hindurch ungemein oft angestellt hatte. Im Jahre 1846 machte ich die Herren Pirogoff aus Petersburg und Remak aus Berlin, die beide auf einer grösseren wissenschaft- lichen Reise begriffen waren, mit meinem Versuch bekannt. Keiner von Allen erwähnte, dass derselbe durch irgend einen anderen Forscher publieirt worden wäre. Allen war er voll- ständig neu. In einem Briefe schrieb ich dem verstorbenen Johannes Müller davon, der diese briefliche Mittheilung in seinem Archiv abdrucken liess. Wäre dieser Versuch in der wissenschaftlichen Welt bekannt gewesen, so hätte sicher auch Müller davon gehört und dann gewiss nicht angestanden, dies in einer Anmerkung anzudeuten, was aber nicht der Fall ist. — Ich bin überzeugt, indem ich auf alle die Ehrenmänner mich berufe, welche ich oben angegeben und in meinen ver- schiedenen früheren Publicationen genannt habe, dass Niemand von ibnen heute noch meine Aussage in Abrede stellen wird, weil sie wahr ist. Ich habe schon im Jahre 1846 an Herrn Wunderlich in Tübingen wegen der Abhandlung geschrieben, welche später in dessen Archiv abgedruckt wurde. Was ich also in Gegenwart ehrenwerther Lehrer der Mediein in Deutschland mindestens eben so früh bekannt gemacht und vor vielen meiner Zuhörer schon Monate lang vor der We- ber’schen Publication gezeigt habe, das muss eben die Geltung Ueber den Stillstand des Herzens durch Vagusreizung. 259 haben, als das, was Herr Weber im fremden Lande vor ita- lienischen Naturforschern eröffnete. Eine Anzeige der Weber’schen Mittheilungen findet sich zwar schon im Januarheft 1846 der Archives generales. Dieses gelangte aber erst im Mai desselben Jahres nach Bonn, nach- dem meine Versuche dem Drucke schon längst übergeben wa- ren, was ich thatsächlich nachweisen kann. Mit einiger Liebe zur Gerechtigkeit und frei von einem be- kannten, vielverbreiteten Gemüthsaffeete, kann man nicht an- ders urtheilen, als dass die Beobaehtung über den Stillstand des Herzens durch Vagusreizung eben so gut von mir als von Herrn E. Weber herrührt, ja ich werde gleich zeigen, dass die von Letzterem nur zum Theile richtig war. Die Mehrzahl der deutschen Forscher ist auch darin gleichen Sinnes und in Frankreich und England fällt es Niemanden anders ein. Wenn ich nun durch äussere Gründe meine Berechtigung dargethan habe, so sind die inneren nieht minder beachtens- werth, Ich hatte im Jahre 1841 und 1842 bereits Beobach- tungen über den Einfluss des verlängerten Marks auf das Herz angestellt und veröffentlicht (siehe meine Unters. über d. Ner- vensystem. Frankfurt 1841, 1842. Hft. I. S. 131, II. 8. 3 #.). Diese Versuche waren mit schwächeren Reizen, theils chemi- schen, theils elektrischen angestellt und zwar bei Thieren nach dem Tode, und nachdem ich Mittel angewandt hatte, welche die Herzschläge sehr vermindern, wie Sublimat. Das Resultat dieser Versuche war, dass durch Reizung des verlängerten Marks unter den angegebenen Umständen die Herzschläge ver- mehrt werden, ja oft wieder eintreten, wenn sie verschwunden waren. In neuerdings angestellten Versuchen mit Sublimat kann ich das frühere Ergebniss vollkommen bestätigen (vgl. G. Joseph, hydrarg. bichlor. corrosivum quid in respiratione eordisque actione eflieiat. Gryph. 1858.). Auch unser Autor hat p. 455 eine ähnliche Beobachtung mitgetheilt. Er fand nämlich sowohl nach dem Stillstande des Herzens bei fort- dauernder Reizung als auch unmittelbar nach Unterbrechung des Tetanisirens die Zahl der Herzschläge beträchtlich höher, als vor der Reizung. Es ist dies vollständig analog meinen 17° 260 Julius Budge: Ueber den Stillstand des Herzens u. 5, w. Beobachtungen und beruht nur auf einer Abnahme der Thätig- keit der Medulla oblongata. Der Verfasser scheint zu glauben, dass bei Reizung von den N. vagi aus dies niemals eintrete. Dies ist nicht richtig. Wenn man den N. vagus durchschnei- det und später sein peripherisches Ende, dessen Erregbarkeit allmählig sinkt, reizt, so bemerkt man dasselbe Phänomen, wie ich mit Herrn Waller in Gegenwart des Herrn Prof. Fisher aus Cambridge gesehen und auch veröffentlicht habe (s. Fro- riep’s Tagesber. 1851. No. 415. p. 315. 3). Ein paar Jahre später (1845) erhielt ich einen von Herrn Fessel, der damals in Bonn war, jetzt in Cöln Mechanieus ist, angefertigten Rotationsapparat durch meinen Schüler Dr. Hittorf. Ich beschäftigte mich sogleich mit meinem ge- wohnten Gegenstande, den ich unterdessen auch nicht liegen gelassen hatte, was gewiss nichts Auffallendes hat. Dagegen hat Herr Weber weder vor noch nach dieser Zeit viviseeto- rische Experimente angestellt, und was er von solchen in sei- ner im Uebrigen vortrefllichen Abhandlung in dem Wagner- schen Handwörterbuche angiebt, ist, ausser der einen That- sache, durchweg unrichtig. Es gehören nämlich in diese Ka- tegorie noch 3 andere Experimente von ihm: 1) giebt er an, der Stillstand des Herzens erfolge nicht, wenn nur ein N. vagus gereizt werde, während, wie ich bei meiner ersten Pu- blication bereits gezeigt habe, die entgegenstehende Thatsache die richtige und allgemein anerkannte ist; 2) glaubte Herr Weber durch Reizung des N. sympathieus am Bulbus aortae Vermehrung der Herzschläge bewirkt zu haben, und gründete darauf seine Theorie von den zwei verschiedenen Nervenein- richtungen — der hemmenden durch den N. vagus und der.die Thätigkeit vermehrenden durch den N. sympathicus und die Ganglien. — Aber an dieser Stelle liegt gar kein Zweig des N. sympathieus beim Frosche, die vermehrte Pulsation rührt vielmehr nur davon her, dass die elektrische Flüssigkeit durch das Blut auf die Musculatur des Herzens überging, was bei Induetionselektrieität sehr leicht geschehen kann. Schneidet man den Bulbus durch und damit auch den vermeintlichen Ast des N. sympathicus, so hat man dieselbe Wirkung wie vorher. 3) Die Angabe, dass Reizung des N. oculomotorius auch die W. Kühne: Notiz zur Geschichte des künstlichen Diabetes. 261 Pupille erweitern könne, habe ich ebenso vollkommen wider- legt (s. Fror. Tagesber. 1. c. p. 311.). Am Sehlusse dieser meiner zur Vertheidigung dienenden Bemerkungen mache ich noch auf einen Irrthum in der Ab- handlung des Herrn Einbrodt aufmerksam. Er glaubt, dass Vögel die Operation der Vagus-Durchschneidung länger über- leben als Säugethiere, was in dieser Allgemeinheit nicht richtig ist. Sehr junge Vögel sterben mitunter schon nach 10 Minu- ten, alte Hunde sah ich sogar zuweilen länger als eine, selbst zwei Wochen leben. J. Müller spricht in der von dem Ver- fasser angezogenen Stelle nicht von Säugethieren überhaupt, son- dern blos von Kaninchen, dass diese eher sterben als Vögel, und darin hatte er vollständig Recht.') Notiz zur Geschichte des künstlichen Diabetes. Vou Dr. W. Künune, In dem neuesten Werke von M. Schiff „Untersuchungen über die Zuckerbildung in der Leber und den Einfluss des Nervensystems auf die Erregung des Diabetes“ Würzburg 1859, befindet sich S. 74 Folgendes über die Entdeckung des künst- liehen Diabetes bei Fröschen: 1) Hrn. Einbrodt's Anmerkung hat zum Zweck, den neuerdings in Frankreich erhobenen Ansprüchen an die Entdeckung der Vagus- wirkung auf das Herz zu Gunsten der deutschen Physiologen entgegen- zutreten,. Demgemäss werden darin die Bekanntmachungen über diesen Gegenstand der Zeitfolge nach angeführt. Hr. Budge wird dabei ganz einfach an der, laut seinen eigenen Angaben ihm zukommenden zweiten Stelle, nach Hrn. Ed. Weber, genannt. Mit keiner Silbe berührt Hr, Einbrodt die Frage nach der Selbständigkeit der Beobachtungen der Hrn. Budge und Claude Bernard. Dass Hr. Einbrodtaber Hrn. Budge als zweiten Bekanntmacher nennt, könnte eher #0 ausgelegt werden, als anerkenne er die Selbständigkeit seiner Versuche, denn als läugne er sie. Hrn. Budge’s Klage, „Hr. Ein» brodt bestreite seinen Antheil an der fraglichen Entdeckung voll- ständig“, ist nur dann verständlich, wenn man annimmt, der Unter- schied zwischen Priorität und Selbstündigkeit habe Hrn. Budge nicht deutlich vorgeschwebt, E. d, B.-R. 262 W. Kühne: Notiz zur Geschichte des küustlichen Diabetes. „So weit waren meine Untersuchungen im Herbste 1855 während meines kurzen Aufenthaltes in Göttingen gediehen., Herrn Hofrath Wagner, der mir vier der hierzu benutzten Frösche und die nöthigen Reagentien überlassen, und der mir eine Zeit lang in den Räumen des dortigen physiologischen Instituts zu arbeiten gestattete, sei bei dieser Gelegenheit mein verbindlichster Dank ausgesprochen. Auffallend ist es nur, dass etwa °/, Jahre nach meiner Abreise von Göttingen aus demselben physiologischen Institute eine Herrn Wagner ge- widmete und unter ihm ausgearbeitete Dissertation von F. W. Kühne aus Hamburg hervorging, in welcher der Diabetesstich bei Fröschen als eine nagelneue Entdeckung des Verfassers be- handelt wird. Herr Kühne kannte übrigens damals nur den Stich am verlängerten Mark, wie ich ihn in Göttingen mehr- mals ausgeführt und vorgezeigt hatte, und er suchte mit, vielem Fleiss genau die Stelle des Centralnervensystems zu bestimmen und zu umgrenzen, von welcher aus nach seiner Operations- methode Diabetes erzeugt werden kann.“ Herr Hofrath R. Wagner ermächtigt mich in einem aus Göttingen datirten Briefe in Bezug hierauf zu erklären, dass er nicht das Geringste von Herrn Schiff’s angeblicher Ent- deckung in Göttingen gesehen oder gehört habe, weder von Herrn Schiff selbst, noch von Anderen, und dass ihm jene Versuche so lange unbekannt geblieben, bis sie nach der Pu- blieation meiner Dissertation (Ueber künstlichen Diabetes bei Fröschen. Inaugural-Dissertation von F. W. Kühne. Göttingen 1856) durch Herrn Hofrath Berthold der Societät der Wis- senschaften zu Göttingen mitgetheilt worden seien. Ich selbst habe hierzu noch Das hinzuzufügen, dass ich mieh während der Zeit, wo Herr Schiff in Göttingen war, in Ham- burg aufhielt, und dass ich später vollkommen selbständig auf die naheliegende Idee kam, den Bernard’schen Diabetes- stich bei Frösehen auszuführen. Herr Hofrath Wagner hatte hieran so wenig Antheil als Herr Schiff. Trotzdem bedaure ich, dass ich damals keine gedruckte Mittheilung des Herrn Schiff über die Entdeckung des künstlichen Diabetes bei Frö- schen ceitiren konnte, da mir durch dessen Bruder, Herrn Hugo Schiff, nach dem Bekanntwerden meiner Versuche in dem Wöhler’schen Laboratorium, mündliche Mittheilungen über die in Rede stehenden älteren Beobachtungen gemacht wurden. Ich muss daher die formelle Priorität in dieser Sache für mich in Anspruch nehmen. Die Angaben des Herrn Schiff über die Erzeugung. des künstlichen Diabetes durch Verletzung anderer Theile des Cen- tralner vensystems, als der im verlängerten Mark gelegenen, kann ich auch neueren Versuchen zu Folge für die Frösche nicht bestätigen. Zahlreiche Versuche an höheren Wirbelthieren, de- nen ich beiwohnte, schlugen ebenfalls fehl. Paris, den 1. Februar 1860. Sehelske: Ueber die chemischen Muskelreize. 263 Ueber die chemischen Muskelreize. Von DR. SCHELSEE. (Aus den Verhandlungen des naturhist.-medie. Vereins zu Heidelberg.) In Bezug auf eine Arbeit des Dr. Kühne „über direete und indireeteMuskelreize mittelst chemischer Agentien“ in Reichert’s und duBois-Reymond’s Archiv, Jahrgang 1859, unternahm Dr. Schelske gemeinschaftlich mit Dr. Wundt eine Prüfung der Angaben Kühne’s. Die Resultate dieser Untersuchung sind kurz folgende: 1. Säuren: Salzsäure, Salpetersäure und Chromsäure be- wirken noch in grosser Verdünnung vom Muskelquerschnitt aus Zuekung; Salpetersäure ebenso vom Nerven aus, Salzsäure und Chromsäure dagegen nur concentrirt, in grosser Verdünnung aber wirken beide noch nach vorangegangenem Digeriren mit Muskelsubstanz. — Essigsäure bewirkt weder vom Nerv noch Muskel aus Zuckung, der Dampf der concentrirten Säure eine nachhaltige Runzelung des Muskels bei directer Einwirkung auf diesen. — Öxalsäure, Weinsäure und Milchsäure geben vom Ner- ven und Muskel aus Zuckung, Gerbsäure lässt beide unerregt. 2. Alkalien: Kali bewirkt vom Muskel und Nerven aus Zuckung. Ammoniakdämpfe wirken bei kurzer Annäherung auf den Muskel weder, noch auf den Nerven. Sobald der Nerv jedoch auszutrocknen beginnt, erregen die Dämpfe vom Nerv aus Zuckungen, welche beim Befeuchten desselben wieder ver- schwinden, mit jedem neuen Austrocknen wiederholt sich die Erscheinung. Liquor. amm. caust. bewirkt nicht Zuckungen, d en runzeln sich die damit befeuchteten Gewebe, Muskel u erv sowohl, wie Haut und Bindegewebe. — Die Dämpfe ana bei längerer Einwirkung dieselben Formveränderungen ervor, 3. Alkalisalze geben vom Nerv und Muskel aus noch in ziemlich verdünnten Lösungen Zuekung. 4. Salze der schweren Metalle (Eisenchlorid, Chlor- zink, Zinkvitriol, Kupfervitriol, Sublimat, salpetersaures Silber- oxyd, neutrales essigsaures Bleioxyd) bewirken hinlänglich eon- eentrirt, sämmtlich vom Nerven aus Tetanus, die meisten aber erst nach einer Einwirkung von 3 bis 5 Minuten; auf den Muskelquerschnitt Fe aieni, bewirken alle baldige Zuckung, mit Ausnahme des Sublimat. 5. Einige organische Stoffe. Glycerin giebt weder vom Nerven noch Muskel aus Zuckung, Alcohol dagegen von beiden. Die Dämpfe des Kreosot zerstören den Muskel sehr rasch, ‚oline ihn zur Zuckung zu bringen, vom Nerven aus er- hält man durch dieselben bisweilen Zuekungen. Zur Prüfung der chemischen Reize vom Nerven aus wurde 264 Mayer: Das Neben-Thränenbein, der stromführende Froschschenkel, vom Muskel aus die mm. ga- stroenemius, tibialis ant. und post. des Frosches verwandt. Gastroenemius und tibialis geben stets nur vom obern Ende aus Zuckung, sartorius von beiden Enden; dabei wuchs mei- stens die Stärke seiner Zuckung mit der Annäherung des Quer- schnittes an die Mitte des Muskels. Aus diesen Untersuchungen geht hervor, dass die Behaup- tung Kühne’s, dass einige chemische Reize nur vom Muskel, andere nur vom Nerven aus wirksam (woraus er einen Be- weis für die Muskelirritabilität zu ziehen sucht), nicht richtig ist; die chemischen Reize wirken, mit Ausnahme des Sublimat und Kreosot (wo andere Erklärungsweise nahe liegt) entweder vom Muskel und Nerven oder von keinem von beiden erregend. Gegen Kühne’s Ansicht für die selbstständige Erregbarkeit des Muskels spricht sogar die zuletzt angeführte Thatsache: dass die Zuckung des Muskels vom Muskel aus gegen den Eintritt des Nerven in denselben hin vergrössert wird, — Das Neben-Thränenbein. Von Prof. MAYER in Bonn, Es hat in Heft 3. Jahrgang 1858 dieses Archivs Herr Prof. Luschka seine Entdeckung eines Neben-Thränenbeins be- sprochen. Es scheinen demselben meine früher bekannt ge- machten Angaben über ein Neben-Thränenbein nicht bekannt geworden zu sein ($. Ueber das Auge der Cetaceen, nebst Be- merkungen über das Auge des Menschen und der Thiere. Bonn bei Henry und Cohen 1852). Es heisst daselbst Seite 52: „Beim Menschen variirt der unter dem Boden der Augenhöhle liegende Nasentheil des Thränenbeins sehr und zeigt mehr oder weniger Cellulae lacrymales. Ein besonderes Zwickelbein (Rousseau) findet sich bisweilen hier; selbst ein zweites (Beelard). Bisweilen ist ein kleiner Facialtheil halbge- trennt vorhanden.“ Auch habe ich an diesem Orte die bisher noch nicht vollständige vergleichende Anatomie des 'Thränen- beins eingeschaltet und über meine Entdeckung des sonderbar geformten früher geleugneten Thränenbeins des Elephanten be- richtet. Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir auch die Be- merkung in Bezug der trefflichen Arbeit des Prof. Luschka über den Nervus phrenieus, dass ich (Ueber Gehirn etc. Bonn bei Marcus. 1833) meine Untersuchungen über den zweifachen Ursprung des Nervus phrenieus, aus einer sensorischen und mo- torischen Wurzel des vierten Halsnerven nämlich, bekannt ge- macht, welche Entdeckung wohl auf den vitalen Charakter dieses Nerven ein Licht werfen dürfte. Franz Leydig: Ueber Geruchs- und Gehörorgane n. s. w. 265 i Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Inseeten. Von Franz, LExDIG in, Tübingen. (Hierzu Taf. VII, VIII und. IX.) Gegenwärtiges erscheint als Fortsetzung des Aufsatzes: „Zur Anatomie der Insecten“, welchen ich im vorigen Jahr- gang dieses Archivs veröffentlichte. Bezüglich der hier abzu- handelnden Sinnesorgane glaube ich neue Thatsachen gewonnen zu haben, mit deren Hülfe wir vielleicht auf diesem wenig klaren Gebiete nach und nach festere Gesichtspunkte erlangen. Ich wünsche, dass folgende Mittheilungen eine beifällige Aufnahme finden und da sie noch sehr erweiterungsfähig sind, Anlass zu neuen Untersuchungen werden mögen. \ I. l, Die Antennen sind zum, Theil Tastorgane. Die Frage nach der eigentlichen Function der Antennen bei Inseeten und Krebsen ist als eine zwar oft besprochene, aber noch nieht befriedigend gelöste zu betrachten; und’ ob- schon auch meine Untersuchungen weit davon entfernt sind, dieselbe vollkommen zu erledigen, so bin ich doch im ‘Stande, den Gegenstand morphologischerseits bis auf einen gewissen Grad einzuengen, worin ein freundlicher Leser immerhin einen gewissen Fortschritt zu erblicken nicht abgeneigt sein wird. Bekanntlich ist das ‚„‚Gefühl“ mit dem Begriff eines Thieres durchaus verbunden, und es hat dasselbe seinen Sitz über die ganze Oberfläche des Geschöpfes hin. An besonderen Haut- stellen ist dieser Sinn zugeschärfter, wodurch dergleichen Orte zu Tastorganen werden. So hat denn in früher Zeit schon die Beobachtung des Thun und Treibens der Gliederthiere darauf geführt, in den gewöhnlichen Bewegungsgliedern, den End- Relcbert'# u, du Bols-Reymond's Archiv. 1860, 18 266 Franz Leydig: spitzen der Beine, eine Localisirung des Tastgefühls anzu- nehmen. Ich habe durch meine Mittheilungen über das Ver- halten der Neryen im Tarsus der Insecten dieser physiologi- schen Auffassung eine anatomische Grundlage gegeben,') indem ich zeigte, dass die Nerven in den Tarsusgliedern, nachdem sie sich zertheilt haben, in Ganglien anschwellen und dann jenseits derselben ihr eigentliches Ende an die Basis langer Haare heften, so dass man füglich von wahren, mit Nerven ausgerüsteten Tastborsten der Beine sprechen kann. Gleich- wie nun aber bei höheren Thieren der Sinn des Getastes nicht bloss an den Enden der Extremitäten, sondern auch z. B. an den Lippen concentrirt sein kann, so_ treffen wir ganz entspre- chende Verhältnisse, bei den Arthropoden, und auch in diesem Punkte glaube ich zuerst specielle Befunde geliefert zu ‚haben. Ich verweise auf die,eitirte, Abhandlung, in, welcher mit: Hin- bliek auf die Mundtheile von verschiedenen Insecten darge- legt wurde, wie ‚gewisse, dabei übrigens gewöhnlich aussehende Haare der Haut ‚mit; Nerven in. direeter Beziehung stehen, ‚so dass die letzteren unterhalb, der. ‚Basis ‚des ‚Haares ‚mit gan- gliöser Anschwellung enden, mit anderen Worten, dass auch an den Mundtheilen echte Tastborsten zugegen seien. Am längsten aber’ wohl‘sieht man in den Antennen die Organe des, Tastsinnes ‚und, durch, die hergebrachte Bezeich- nung „Fühlhörner, Fühlfäden‘,. werden sie auch gewissermassen dazu gestempelt... ‚Gründe für diese Anschauung 'sind die That- sache, dass unmittelbar. vom Gehirn kommende Nerven in sie eintreten, sowie die tastenden Bewegungen, welche, die An- tennen. am. lebenden Thier bei gewissen Arten. ausführen. Hierauf ‚gerichtete Studien, ‚habeu ‚mir die, weitere Kenntniss er- schlossen, dass auch an den Antennen echte Tastborsten vor- kommen, d.h. einfach zugespitzte oder gefiederte Haare, von gewöhnlichem, ‚höchstens etwas blasserem Aussehen, welche mit ihrer Wurzel ’einem gangliösen Nerven. aufsitzen. An den meist dunklen, hartschaligen Fühlern ausgebildeter Insecten, und diekpanzeriger Krebse habe ieh zwar den Zusammeuhang) der beiden besagten Theile, noch. nicht ‚wahrgenommen,,,,sondern 1) Dieses Archiv 1859. $.62. Taf /1V. Fig. 87. Ueber Geruchs- und Gehörorgane'der Krebse und Insecten. 267 eigentlich nur die Anwesenheit ganglionärer Elemente in den Enden der Antennen ‘und das Dasein der Borsten; aber nach der Analogie mit durchsichtigen Inseetenlarven und zarteren Krebsen, bei denen ein derartiger Zusammenhang sogar ver- hältnissmässig. leicht dem Beobachter sich darbietet, darf man gewiss auch das gleiche Verhalten für die ihr Inneres sehr verbergenden Antennen der übrigen Gliederthiere mit Fug und Recht annehmen. Nach meiner bisherigen Erfahrung sind unter den Krebsen die Daphniden und Phyllopoden das allergünstigste Object; ihre vorderen oder kleinen Antennen tragen allgemein ausser den nachher zur Sprache kommenden speeifischen Cylindern noch eine oder'mehrere spitz zugehende, blass gerandete Borsten, zu denen ‘ein Nerv mit terminaler Ganglienkugel herangeht. Man möge zu diesem Behufe ausser meiner Abhandlung über Artemia und Branchipus in der Zeit- sehrift für; wissensch. Zool. 1851 (8. 292, Taf. VIII. Fig. $.), noch meine jüngst erschienene „‚Naturgeschichte der Daphniden“ vergleichen, wo diese „Fühlfäden‘‘ oder ,‚zugespitzten Einzel- borsten‘“ mit den Nervenenden von den verschiedensten Arten abgebildet und beschrieben sind. Schon um vieles schwieriger wird die Untersuchung bei dickhäutigeren Krebsen, z. B, bei Asellus aquaticus und Gammarus puler; doch darf man noch mit ziemlicher Sicherheit (Fig. 4) blasse, zweizeilig gefiederte (b), von den anderen dornartigen, dunkel gerandeten Fortsätzen (#) der Cuticula gut unterscheidbare Fäden als die mit Ner- ven ausgestatteten Tastborsten ansehen. \ Bei ausgebildeten In- seeten sind in der Regel die Antennen zu dunkel, um klare Bilder zu erhalten, wohl aber gestatten die weichhäutigeren Larven, namentlich solche, welche im Wasser leben, eine Ein- sicht in den Zusammenhang von Borsten und Nerven. Mir diente unter anderem die Larve des Dylicus marginalis hierzu, bei welcher die Antennen durchscheinend genug sind, um die in sie aufsteigenden Nerven, wenigstens streckenweise, verfol- gen zu können, Weit günstiger müssen die Larven der kleinen Wasserkäfer, wie sie mir leider gerade nicht zu Gebote stan- den, für solche ‚Forschungen sein, Das Ergebniss; welches ich daher aus meinen früheren Ar- 18° 268 ‚Franz Leydig: beiten. ‚sowohl,!/als auch aus den vorstehenden Mittheilungen ableite, ist: dieses; dass ‚an. den Antennen der: /Arthropoden ausser. jenen. Haaren, welche: die | Natur einfacher Hautaus- wüchse haben ‚und an ihrer Wurzel über einem Cutieulareanal stehen,.durch: die eine Fortsetzung der Matrix, man könnte sagen, eine Papille gegen das Haar’ aufsteigt, noch Tastbor- sten besitzen, d. h. einfach zugespitzte oder gefiederte, Haare, welehe. an ihrer Basis, mit einem Nervenende zusammenhängen. Da. nun, die gleichen ‚Elemente mit derselben nervösen Aus- rüstung, auch. an 'den', verschiedensten Hautstellen sich finden und, man mag die morphologischen: Verhältnisse überlegen, wie man will, wir doch schwerlich auf etwas Anderes schliessen können, alsı dass man es mit‘ Tastorganen 'zu thun habe, ‚so nehme ich. für ausgemacht an und’ benutze. es zum Ausgangs- punkt anderer Erörterungen, dass die-in den Antennen allge- mein vorhandenen Nerven theilweise an ihrem peripherischen Ende mit. Borsten ausgerüstet sind, durch welche‘ die; Tastem- pfindung ‚vermittelt wird.') 1) Der Stand unserer Kenntnisse über den feineren Bau der Haut bei Arthropoden und Weichthieren scheint mir zu gestatten, gewisse Parallelen zwischen den Haarigen Auswüchsen beider zu ziehen, die ich hier auszusprechen nicht unterlassen möchte. Ich habe früber bei Lymnaeus stagnalis ‚geseben (Hist: d. M. u,.d; Th,;S. 106), dass die Epidermis der Tentakeln, der Rand des Fusses ausser den sich bewe- genden Flimmerhaaren in Abständen stehende unbewegliche Borsten besitze. Eine ähnliche Beobachtung meldet später auch Clapar&de von Neritina fluviatilis; bei Planorbis carinatus, den ich noch jüngst hier- auf &eprüft habe, ‚erkenne ich abermals,) dass zwischen den Flimuier- haareu ;unbewegliche 'Borsten sich zeigen und bemerke insbesondere, dass an der Spitze der Tentakeln solche starre Borsten gehäuft stehen, und länger sind als an der übrigen Haut des Fühlers, Ich betrachte nun diese unbeweglichen, zwischen die Flimmerhaare eingestreuten Borsten für die’Analoga der Tastborsten der Arthropoden und stelle andererseits ‚die Flimmerhaare der obigen Mollusken den Elementen des gewöhnlichen Haarbesatzes der Arthropoden gegenüber,. ohne mich dadurch ‚absehrecken ‚zu. lassen, dass die einen das Vermögen der selbstständigen Bewegung besitzen, halte diese Verschiedenheit vielmehr, nur für eine Consequenz der den beiden Thiergruppen zu Grunde lie- genden Typen. Bei den Schnecken'ist die Haut weich, durchweg con- | traetil amd ihre gewöhnlichen Auswüchse (die Flimmerhaare)' sind eben- Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten. 269 or) 2. Die Autennen sind ferner der Sitz’einer,anderen speeifischen Sinnesempfindung, höchst wahrschein- lich des Geruchs, Schon das im Voranstehenden von den Füssen und Mund- theilen Gesagte konnte zeigen, dass auch bei den Arthropoden; gleichwie bei den höheren Thieren Organe, welche zum’ Tasten dienen, gar wohl noch mit einer zweiten Function zugleich be- traut sein können. Und dies leitet uns zu der weiteren Er- wägung, ob nicht auch die Antennen neben dem Tasten viel- leicht noch eine andere Sinnesempfindung besitzen. Allerdings haben‘ schon Entomologen des vorigen Jahrhunderts, wie Reaumur und Rösel, die Antennen als Geruchswerkzeuge angesehen, ' wieder Andere wollten sie als Gehörorgane be- trachtet wissen; doch gebrach es an eigentlichen anatomischen Nachweisen. Man sah eben, dass viele Inseeten unzweifelhaft scharf riechen, manche auch 'gut hören und da sich keine an- deren Organe des Geruchssinnes oder des Gehörs wollten er- mitteln lassen, so blieb man bei den Antennen stehen und deu- tete sie in obigen: Sinn. Der erste, welcher dieser Annahme durch Untersuchung des feineren Baues der Antennen eine Stütze zu geben suchte, ist bekanntlich Erichson, indem er zeigte, dass gewisse (übri- gens schon über" zehn Jahre vorher von Duges gekannte) Gruben sich sehr allgemein auf den so verschieden geformten Antennen der Insecten, mit Ausnahme der Gelenkglieder, fin- den. Man könne diese Bildung als eine 'eigenthümliche mit der Function der ‘Fühler in engster Beziehung stehende an- sehen, Zwar vermochte Niemand wahrzunehmen, dass Nerven an die Grübchen herantreten, aber man glaubte doch so viel falls beweglich; bei Insecten, Krebsen u. s. w. ist im Gegentheil die Haut erstarrt, panzerartig, und mit ihr haben auch die Haare die active Be- wegungsfähigkeit eingebüsst. Au der Egelart Branchiobdella finde ich am Vorderrand des Kopfes eine Anzahl heller, starrer Borsten (freilich nur bei gewisser Lage sichtbar), die vielleicht ebenfalls in die Reihe der Tastborsten mit der Zeit gestellt werden können. TV Franz Leydig: folgern zu dürfen, dass eine mit zahlreichen Grübehen über- säete Haut zur Aufnahme riechender Stofle besonders geeignet sei, zumal die Grübehen. unten durch eine zarte Membran ge- schlossen seien und auch kleine, da und dort aus dem Grunde der Grübehen sich ‚erhebende Wärzchen die Natur von -Ge- ruchspapillen haben konnten... Nach, Erichson hat ferner Burmeister die Fühlerfächer der Lamellicornier \untersucht und sich, so viel ich mich ‚erinnere (die Originalabhandlung ') steht mir nicht mehr zu. Gebote),.in ähnlicher Weise ausge- sprochen. . Ich. besah‘ mir früher die Gruben von verschiedenen Inseeten?) und.da, es, mir ‚schien, als ob solche Organe anı ganzen übrigen. Körper fehlen, so äusserte ich mich ebenfalls: man dürfe der, Vermuthung Raumi'geben, dass man..es ‚mit einem speeifischen Sinnesorgan zu thun habe, und aus Mangel an 'bestimmteren physiologischen Anhaltspunkten möchte vor der Hand noch am; ehesten. auf ein’ Geruchsorgan gerathen werden. ‘Doch konnte ich schon ‘damals ‚zw. bemerken nicht unterlassen, dass ich ganz ähnliche Vertiefungen auch am Brust- schild der Lampyris splendidula beobachtet habe, was immerhin die ausschliesslich specifische Natur, welche die Gruben für die Antennen in Anspruch nehmen sollten, in.etwas vermin- derte. Dazu gesellte sich die bereits von Anderen gemachte Beobachtung, dass die anscheinenden Papillen dureh stufenweise Uebergänge zu wirklichen Haaren auswuchsen., Später‘ als ich über. .Nervenendigungen ‚in ‚den ‚Antennen der. Inseeten nach- forschte ®), ‚erweiterte sich meine’ Kenntniss durch Wiederauf- | nahme ‘der Untersuchung an den Fühlerblättern. des. Maikäfers dahin, dass die Gruben! mit. den Ausmündungen. stärkerer! Po- reneanäle der Cuticula. in Beziehung stehen, Was mich meine neuesten, Studien ‚darüber ‚gelehrt haben, will ich in 'Folgendem, zusammenstellen. 1) Beobachtungen über ‚den feineren Bau des Fübhlerfächers den, Lamellicornier als eines muthmasslichen Geruchswerkzenges; in. der Zeitung für Zoologie von d’Alton und,Burmeister. 'Bdi1.. No. 7. 1848. 2) Lehrb. d. Hist,: d, Menschen n. d. Thiere, S. 219. | 3) Dieses Archiv, 1859: Zur Anatomie der Insecten, Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Inseeten. 971 a.. Die Gruben oder Poren der Antennen. Die Krebse anlangend, so finden sich an dein inneren Füh- lerpaar ‘des Flüsskrebses (Astacus luviatilis) markirte: Stellen in der Cuticula der einzelnen Glieder (Fig. 3 b.). Es'sind Ver- tiefangen der Haut, immer mehrere auf einem Glied, und sie werden besonders deutlich; wenn.die Antenne einen Tag lang in Kalilauge gelegen hat. Sie sind nichts Specifisches für den bezeichneten Körpertheil, derin ich sehe sie auch auf der Haut der palpenähnlichen Anhänge - der Kaufüsse, während sie an dem äusseren oder längeren Fühlerpaar sogar zu fehlen scheinen. " Bei einem Pagurus aus'Bahia (Weingeistexemplar)' besässen die Segmente desinneren Fühlerpaares ebenfalls die Hautgruben, aus den einen ragten Haare hervor, aus den anderen nicht; beide- mal zeigten sie 'sich als erweiterte, Enden der Poreneanäle, Ausserdem salı man noch etwas anders geartete Gruben (Fig. 2b), die um vieles grösser, dabei borstenlos, sind, und einem sehr weiten Hautcanal angehören. Die Haut der Antennen von. Scolopendra‘ (Lithobius) forficata hat ebenfalls die grubenartigen Eintiefungen, welche genauer genommen nur Mündungen stärkerer, an ihrer inneren Oeflnung ebenso erweiterter Hautcanäle sind. Die Gruben wer- den zahlreicher gegen die unteren Glieder der. Antennen: hin und sind auch an der Haut des Kopfes vorhanden. Secolo- pendra electrica und. die grosse Scolopendra morsitans zeigen nicht minder sehr zahlreiche Hautgruben, aus denen zum Theil sehr deutlich je eine Haarborste hervorragt. Die untersuchten Insecten betreffend, 80) will ich zunächst abermals ohne begleitende allgemeinere Betrachtungen das Thatsächliche aneinander reihen, Bei den Käfern, deren letzte Antennenglieder hellbraun sind: und dabei blattartig 'ver- breitert (Lamellicornier), fallen ‚auf diesen Blättern die'.so zahlreichen Gruben am schönsten in die Augen, so z. B. bei Metolontha vulyaris, M. fullo, Rhizotrogus solstitialis, und kön- nen hier am ehesteir auf ihr näheres‘ Verhalten geprüft werden; schon etwas meh ‚Schwierigkeit setzen dunkelbraune oder schwarze Antenhien,| wid 2 B. die der: Hoplid| squamosa, wo 272 Franz Leydig: die Gruben als kleine helle Flecken von der dunklen Haut- fläche abstechen; noch widerstrebender sind stark diekhäutige Fühler z. B. die des Lucanus cervus. Ich habe, wie das fast herkömmlich ‘geworden, wieder‘den gemeinen Maikäfer (Melo- lontha vulgaris) zum Ausgangspunkt genommen (Fig. 10.): Hier stehen ‘die Gruben‘ sehr‘ dicht beisammen, sind übrigens untereinander nicht gleich, sondern verschieden gross und: zei- gen, von der Fläche angesehen, drei Ringe, über deren Bedeu- tang man allerdings nicht auf den ersten Blick ein sicheres Urtheil fällen kann, sondern‘ erst nach’ und nach, wobei sich denn zuletzt die Ueberzeugung feststellt, dass der äussere Ring (a) der Rand der grubenförmigen Eintiefung ist, dass ferner der: mittlere (b) einen Ringwall oder eine kraterartige Erhebung innerhalb der Grube bezeichnet und dass endlich der innerste, kleinste Ring (e)' auf das eigentliche Ende eines stärkeren Cu- tieularcanales (d), der in der inneren Erhebung aufhört, 'zu be- ziehen‘sei. Ist'man in der Untersuchung so weit vorgeschrit- ten, so muss man über zwei andere Fragen in's Reine zu gelangen suchen, wovon die erste lautet: geht über die Grube nochieine zarte, deckelartige Membran weg? Ich muss dieses verneinen, denn sowohl das sorgfältige Studium der Fläche (durch wech- selnde Focaleinstellung und veränderte Beleuchtung), sowie senkrechte Schnitte, ‘welche ‚sich verhältnissmässig sehr‘ leicht machen lassen, sprechen dafür, dass die Gruben völlig’.offen und unbedeckt sind. Die zweite schwieriger zu lösende Frage ist die, ob der in der kraterartigen Erhebung aufhörende Canal frei ausmündet, oder ‘ob die Oeffnung desselben nach aussen geschlossen sei." Ich gestehe, dass ich, um hierin mir ‚eine be- stimmte Ansicht ‘zu verschaffen, längere Zeit nöthig| hatte, glaube jetzt aber behaupten zu dürfen, dass der Canal nicht mit der Aussenwelt zusammenhängt, sondern an dieser Stelle geschlossen ist und: zwar durch ein kleines, helles Knötchen, das an manchen Gruben (e) zu einem kurzen Dorn'sich ver- grössert. Bei einiger Achtsamkeit auf den freien Rand der Antennenblätter bemerkt man. nämlich, abgesehen. von den Zacken, welche ‘das Profil der zelligen ‚Sculptur erzeugt, ein- zelne kleine, helle Dornspitzen, und bei Durchmusterung der Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Inseeten. 273 Fläche mit sehr starker Vergrösserung (Kellner Syst. 2 Oe. 2) kann man sich überzeugen, dass diese Dornen aus der Tiefe der. Gruben, d. h, aus: der Mitte des Ringwalles kommen. Die Dornen oder’ Kegel sind blass und so kurz, dass sie nur um weniges über den Krater der Grubeihinausragen. Da man nun. einerseits: aus eben so ‚beschaffenen' Gruben anstatt des winzigen ıDornes. ‚kräftige Haarborsten hervorragen sieht, so nehme ich andererseits an, dass die blassen kurzeri Dornen an den meisten Gruben zu denjenigen kleinen Knötchen herabsin- ken, welche die Mündung des Hauteanales nach aussen ab- sperren. — Melolontha fullo, von dem’ ich ein lange getrock- netes Exemplar untersuchte, besitzt die grössten mir 'bekannten Gruben, welche sich von denen des gewöhnlichen Maikäfers besonders dadurch unterscheiden, ‚dass der innerste Ring um vieles weiter ist. Ich muss übrigens auch den letzteren für das Lumen des Hautcanales erklären; der mittlere Ring; 'eben- falls um vieles‘ umfänglicher als bei Melolontha vulgaris, ist die Contur der Erhebung innerhalb der Grube, ‚derjenige Theil, in dem der Hautcanal, der dritte oder innerste Ring beginnt. Die häufig schwarzen, hartschaligen Fühler 'auderer Käfer sind nicht selten, wie schon bemerkt, der Untersuchung sehr unbequem, so dass man am frischen Thier öfters kaum erfah- ren kann, ob Gruben da sind. Bei Hydrophilus piceus z. B., ja selbst an den kegelförmig verdickten Endgliedern des ganz kleinen Hydr. scarabaeoides erging es mir so, nicht minder bei Elater haematodes, während man an den hellbraunen Basal- gliedern der Antennen genannter Schwimmkäfer leicht die kleinen Gruben erkennt, welche deutlich nach "unten in einen Hautcanal sich fortsetzen. In Canadabalsam | aufbe- wahrte Antennen hellen sich übrigens mit der Zeit/so auf, dass ieh gegenwärtig auch bei den bezeichneten Käfern die hier immer einen Dorn besitzenden‘ Gruben der Endglieder wahr- zunehmen vermag. Hingegen sind für. die Untersuchung empfehlenswerth die Wasserkäfer, wie Dytieus, Acilius u. 8. w., namentlich um über die Gestaltungsverhältnisse der Gruben sich" zu unterrichten; 974 Franz Leydig: die Antennen sind am lebenden Thier ‘sehon durchscheinend und werden es natürlich in Canadabalsam noch mehr. Bese- hen wir uns z, B. Acilius sulcatus, so‘ zeigt sich‘ unschwer, dass die Antennenglieder ‘gegen ihre obere Gelenkstelle meh- rere grosse, aus einander stehende Gruben besitzen, aus'denen je ein kurzer Kegel hervorragt; um diese grossen Gruben zieht sich dann ein Trupp vier- bis sechsmal kleinerer'Gruben. ‘Die grossen Gruben sind esnun, die sich ganz besonders zum Studium eignen. Jede derselben senkt sich unter pokalartiger Gestal- tung so tief in dieCutieula ein, dass’unter ihr kaum mehr ein Aequivalent des bei’ den anderen vorhandenen Porencanales zu unterscheiden ist; aus dem Grunde der Eintiefung erhebt sich durch Aufwärtsstülpung der Grubenwand, ähnlich‘ dem Boden 'einer Weinflasche, eine Art Warze, und dieser sitzt dann als Verlängerung der aus der Grube herausragende Kegel auf. Die truppweise stehenden kleinen Gruben zeigen von der Fläche ‘gesehen einen hellen Ring mit punktförmigem Centrum, dann in der‘ Tiefe einen zweiten Ring. Wüsste man nicht schon von anderen Stellen her die Linien zu deuten, so ‚hätte man jetzt gleich nebenan auf dem scheinbaren senkrechten Sehnitt der Cutieula ‘die erklärenden Bilder zur Hand (vergl. Fig. 11.). Hier zeigen sich nämlich ziemlich starke, die ‚Cuti- cula durchsetzende Canäle von welligen Rändern und oben so- wohl wie unten: leicht schüsselförmig verbreitert, was eben die beiden Ringe in der Flächenansicht bedingt. Der: centrale kleine Fleck entspricht einem den Canal ‘oben abschliessenden Knötchen, welches bei den vereinzelt mehr nach'hinten 'ste- henden Grübchen. in einen kleinen hellen Dorn übergeht und auch da und dort zu. einer langen, zugespitzten ' Borste ‘sich umwandelt. An den Antennen ‘der Larve von Dyticus marginalis finden sich über die einzelnen Glieder zerstreut grössere "Gruben, um welche rings herum die Cutieula ein eigenthümlich sehrundiges Aussehen hat. So zählt man an dem auf das Basalglied fol- gende Glied bei gewisser Lage der Antennen drei grössere Gruben; eine viel kleinere Grube ist noch ausserdem nach der Wurzel des Gliedes hiu zugegen. Das vierte Glied lässt dann Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Iusecten. 275 bei der eben einmal angenommenen Lage nur eine einzige mit- telgrosse Grube erblicken, während wieder an dem vorletzten Gliede drei sichtbar sind, von denen die am weitesten vorn liegende die umfänglichste des ganzen Fühlhornes ist. Eine besondere Aufmerksamkeit’ nehmen unter den Hyme- nopteren mit Rücksicht auf die hier uns interessirende Or- ganisation die Schlupfwespen in Anspruch, Ich habe von ihnen die Gattungen Ichneumon, Ephialtes tuberculatus und Ophion ventrieosus untersucht (Fig. 8). ‘Alle haben an ihren vielglie- drigen, im Leben fortwährend vibrirenden Antennen ausser den gewöhnliehen kleinen Gruben, welche die Wurzel. der Haare umgeben, noch auf den ersten Blick sehr specifisch aussehende, scharf markirte, längliche Gebilde, die sich bei näherer‘ Be- trachtung wie schmale, mit starker wulstartiger Einfassung ver- sehene Spalten ausnehmen. Dann bemerkt man aber auch noch, dass zu jeder Spalte in der Tiefe der Cuticula ein kräftig beschatteter grosser Ring gehört, von dem sich schnell erken- nen lässt, dass er eine Oeffnung an der Unterfläche der Cu- tieula vorstellt, mit anderen Worten, den Beginn eines Raumes anzeigt, der die Cuticula durchsetzend nach oben zwar in der Längenriehtung sich bedeutend verbreitert, aber zugleich im @Querdurchmesser sich sehr verengt, so dass dann eben seine anscheinende Mündung an der Oberfläche die erwähnte schmale Längsspalte ist. Schöne Präparate verfertigt man sich dadurch, dass man die in Kalilauge erweichten ‘und dann wieder abge- trockneten Antennen in Canadabalsam aufbewahrt, wodurch die Bilder sehr rein werden. — Bienen- und Wespenarten besitzen nur gewöhnliche Gruben. Die Dipteren anlangend, so habe ich von Musca vomito- ria nähere Kenntniss genommen und hier abermals eine neue und beachtenswerthe Abänderung’im Verhalten der Gruben ge- funden. Bekanntlich besteht die Antenne hier aus einem’kur- zen Basalglied und einem längeren kolbigen Abschnitt; von dem Wurzelglied weg geht eine langbehaarte Geissel („Fühler- borste‘). ı Die Geissel ermangelt der’ Gruben ; in’ ihrem Inneren lindet sich kein Nerv, sondern nar ein Blutraum und Tracheen. Hingegen das kolbige Endglied ist init zweierlei Gruben über- 276 ' Franz Leydig: sät, von denen: die ‚einen sehr dicht gestellt‘sind und, indem sie als ‚helle Flecken von der dunklen Haut/abstechen (Fig. 9a), die. gewöhnliche Art repräsentiren; sie sind: meist klein, doch stehen dazwischen andere, welche doppelte Grösse haben. Die zweite| Art‘ Gruben, welche eigentlich 'riehtiger Säckehen zu nennen wären, zeigen einen von den vorigen ganz verschie- denen Habitüs (Fig. 9b.) und sind dabei in einer verhältniss- mässig sehr beschränkten Anzahl: (vielleicht 40—50 in einer Antenne) zugegen. Vor allem fallen: sie durch ihre Grösse auf, dann ‚dadurch, dass ihre Oeffnung an: der Haut einen Borsten- kranz zeigt, am meisten aber, durch den Umstand, dass sie im isolirten Zustande als. weit nach innen gebuchtete Säcke sich zu erkennen geben, die unten völlig geschlossen, in ihren Um- rissen an manche Drüsenformen: erinnern können. ' Zu’ jedem Säckchen gehört eine ihr‘ innig anhaftende Zone eylindrischer Zellen. Von der Innenfläche des Säckchens erheben sich blasse, hohle Kegel, und dass ihre Höhlung sich 'gegen die Matrix’ der Cutieula hin, öffnet, sieht man bestimmt an isolirten oder eini- germassen frei liegenden Säcken. Diese gebuchteten Räume sind wieder unter) sich sehr verschieden gross, die umfänglich- sten messen. 0,0257—0,0314"' im ‚Durchmesser; die Oefinung an der Cutieula‘ beträgt gewöhnlich »0,0057'". Was den: übri- gen Inhalt des Antennenkolbens betrifft, so entwickelt der Nerv ein starkes Ganglion, aus: dem wieder ein peripherisches Ner- vengeflecht hervorgeht, von dem ich erkannt zu haben’ glaube, dass. die letzten Ausläufer sich in die je ein Säckchen umgren- zenden Zellen verlieren, — Endlich möchte ich bezüglich der Präparation noch vorbringen, dass an der frischen Antenne die Säcke keineswegs leicht in die Augen springen, wohl aber an Objeeten, die einige Zeit in Kalilauge gelegen haben.oder in Canadabalsam aufbewahrt wurden. ‘Au solchen hat man'sich vor Allem zurecht zu finden, ! Unter den Orthopteren‘ sieht man an den langen, bor- stenförmigen Antennen: der Locusta viridissima zahlreiche Gru- ben, aber.nur von. der gewöhnlichen Art und immer mit einem Dorn! versehen. Ebenso bei Acridium coerulescens. ' Bei einem anderen Geradflügler, der. Forficula auricularia, finden‘ sich an Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten.. 277 jedem Glied in der Nähe des Gelenkrandes einige Gruben, die nichts von einem Haar oder Dorn enthalten. Um auch noch auf zwei andere Inseetenordnungen Bezug zu nehmen, so ‚bieten die mir vorgelegenen Neuropteren und Hemipteren keine besonderen Abweichungen dar. An He- merobius stehen zwischen den Reihen der eine Borste tragen- den Gruben noch vereinzelte haarlose Gruben. ' Bei den mehr oder weniger durchseheinenden Antennen der Larven von Eplie- mera, Agrion und Aeschna ist das Wurzelglied ohne Grube, sonst steht an jedem Glied zunächst des Gelenkes eine solche, dann an der Spitze des Endgliedes. - Bei Ephemera wollen sie gesucht sein, schärfer treten sie an den zwei übrigen Larven hervor. Diese vereinzelten Gruben sind ohne Dorn. — Die Hemipterengattungen Lygaeus apterus und Pentatoma prasinum zeigen an den Antennen nur solche Gruben, welche aus ihrer Mitte ein Haar hervorgehen lassen. So weit meine Erfahrungen. Unterdessen hät auch ein französischer Beobachter, Lesp&s!), eine ausführliche Arbeit über dieselben Bildungen veröffentlicht, aber, wie gesagt wer- den darf, fragliche Organe nieht wenig verkannt 'und'irrthüm- lieh gedeutet. Er glaubt namentlich beim Maikäfer nachweisen zu können, dass jede der Gruben ein Gehörorgan mit einem Öbtolithen vorstellt; 'er lässt die Grube von einer zarten Mem- bran überspannt sein’ und verlegt dahinter ein Säckchen, wel- ches ausser einer dieken Flüssigkeit einen soliden Körper, d.h. einen Hörstein einschliesse. - Zu jedem dieser Gehörorgane gehe ein Nerv und so wäre denn allerdings eine grosse Analogie mit dem Gelhörorgan verschiedener wirbelloser Thiere gegeben. Allein diese Deutung beruht auf falscher Auslegung des Ge- sehenen: man kann sich durch Besichtigung ‘der Flächen und auf senkrechten Schnitten überall davon überzeugen, dass die Gruben von keiner Membran überspannt' sind, ferner eben so bestimmt davon, dass in der Grube kein Bläschen liegt, son- dern was Lesp&s dafür nimmt, ist eine innere papilläre Er- 1) Mömoire sur Vappureil’ auditif des Inseetes, Annal. d. Sciene. natur, 1858, 278 Franz Leydis: hebung, und was drittens den „Otolithen‘ anbetrifft, ‚so wird von genanntem Autor ‚der. innerste ‚Ring ‚als Hörstein angese- hen, während‘, doch. . dieser centrale Fleck entweder. auf die oberste ‚Lichtung des Hautcanales, ‚oder ‚auf das den Canal oben abschliessende Knötehen oder. den kurzen Dorn (in: sei+ nem scheinbaren ‚Querschnitt) zu beziehen: ist. Im völligen Gegensatz zu. Lesp&s fasse ich. daher auf Grund ‚obiger Mittheilungen meine ‚Ansicht über das: Morpho- logische besagter Organe nochmals in\Folgenden zusammen.!) Die Gruben anı den Fühlern ‘der. Inseeten sind: 1. offene, unbedeckte Eintiefungen der ‚Cuticula. 2. Im Wesentlichen durchaus nicht verschieden von dem er- weiterten Ende, ‚welches auch. sonst‘ bei «den»Arthropoden die starken Hautcanäle‘ zeigen, ja. sie sind \in: vielen Fällen ‚mit ihnen durchaus identisch. 3. Diese Identität geht ferner so weit, dass auch aus ihrer Mitte ein Haar hervorkommt, welches‘ gewissermassen als Ver- schluss dem ‚Hautcanal aufsitzt. 4. Eine anscheinend specifische Natur. können. die Gruben dadurch annehmen, ‚dass; wie dies bei ‚gewissen: Lamellicor- niern geschieht, sie ihren (Umfang, sehr vergrössern und: zudem fast völlig haarlos sind, wobei indessen. das in ihnen wurzelnde Haar oder der. Dorn nur, winzig, klein geworden ist, gewisser- massen, nur. zu ‚einem: kleinen ‘den Hautcanal: zudeckenden Knötchen herabgesunken erscheint. Die Weite der Gruben:in den angedeuteten Fällen lässt sich»als eine einfache Fölge«der Umbildung der Antennen denken. ‚Oder.ist es so unwalhr- scheinlich, dass an den sich sehr verbreiternden : Antennenblät- tern; des Maikäfers die Oeffnung der’Hautcanäle damit gleichen Schritt halten und eben’ deswegen. wieder. bei Melolontha: fullo abermals weiter sind als bei: Melolontha vulgaris? 5. Am ‚meisten ‚eigenartig sind die „Gruben“ auf dem Füh- 1) Die Irrthümer in der Lespes’schen Arbeit sind auch berich- tigt worden von Clapar&de in einer Abhandlung, welche ebenfalls in den Ann. d. Sc. natur. steht. Ich kann mir das betreffende Heft (auf der Wübinger Bibliothek fehlen die Annales) im Augenblick nicht beschaffen, muss mich daher beschränken, darauf hinzuweisen, Ueber Geruehs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten. 279 lern der Schlupfwespen, wo sie fast: den Charakter von. geräu- ınigen Höhlen innerhalb der Cuticula,haben und.oben ander Haut eine schmale, von starkem Wall umsäumte Rinne zeigen, auch nie, ein. Haar,.aus sich. hervorgehen lassen. : Hingegen können die sehr grossen ‚Einbuchtungen ‚auf den Antennen von Husca vomitoria ohne Zwang als. sehr ‚vergrösserte. und zu- sammengellossene gewöhnliche Gruben angesehen werden, ‚die dem entsprechend ‚nieht wie die einfachen "ein. ‚einziges Haar einschliessen, sondern eine. Menge derselben. An den vom’ frischen‘ ‚Thier untersuchten Gruben nimmt, was ich schon an einem. anderen. Orte «bervorhob, ‚eine. der Wand. sehr fest’ anhaftende ‘Luftkugel das Innere ein und ver- leiht.dem Ganzen: ein besonderes : Aussehen, was ebenfalls zu Täuschungen Veranlassung «geben. kann... Bei auflallendem Licht heben sich. solche lufterfüllte Gruben (an dem mit Wasser benetzten Präparat) unter der Form silberglänzender Flecken sehön ab, Ausser Lesp&s. hat ein Engländer, Hicks,!) die Gruben der Antennen studirt, freilich in der Meinung, etwas ganz Neues gefunden zu haben; erst amı Ende seiner Arbeit erfährt er von! einem Anderen , dass Erichson ‚bereits. 'vor ‚10. Jahren über diese Organe, eine, Schrift, herausgegeben habe, \ Der. Verfasser mutlimasst zwar auch. in den „Poren“ ein Analogon der Ge- hörwerkzeuge, aber. was die Auffassung des: thatsächlichen Ver- haltens ‚betriflt, so ist seine Schrift um vieles richtiger ‚als .die- jenige des französischen Beobachters. und stimmt in Manchem ganz mit dem überein, ‚was ich wahrnahm; in, Vielem indessen gehen unsere. Wabrnelimungen. auch. weit auseinander. , Den Hautcanal der Gruben nimmt ‚er für einen rückwärts. verbrei- terten Sack, der sich den Poren anschliesse; er sei mit Flüs- sigkeit gefüllt und erhalte jedesmal vom Küblernerven' ein Aestchen. Ohne auf die übrigen Dinge, in denen wir von einander abweichen, Bezug nehmen zu wollen, muss ich mich doch ‚gegen die allgemeine Richtigkeit der letzteren Angabe, nenn I) „On a new structure in the antennae of insects“, Transact Linn, soe; of London, XXI; 1857. 280 ‘Franz Leydig: dass jede Grube von einem ‘Nerven versorgt werde, erklären. Könnte sie bestätigt werden, so müsste den Gruben’ an'sich eine grössere Wichtigkeit zugestanden werden, als ich‘ dies im Sinn habe; denn meine Erfahrungen erlauben mir 'nur'anzu- nehmen, dass‘ "gewisse Gruben, d. h.'solche, aus denen '‘die nachher zu besprechenden Kegel, ‘Dornen oder Zäpfchen her- vorragen, das Ende eines’ Nerven erhalten. Auch muss ich ge- stehen, ‚dass mir ‘die‘ von’ Hicks angewendete Präparations- weise durch Aufbewahren der Antennen in Canadabalsam sehr verdächtig ist und mir: wenigstens keine Resultate gegeben hat; im''besten Falle unterscheidet man noch den immerhin schon sehr veränderten Nervenstamm, aber sehen wollen, dass dessen Endzweige die mehr oder minder zahlreichen Gruben aufsuchen, halte ich an Antennen, die zuvor gebleicht ‘und dann in 'ge- nannten Balsam: gelegt ‘werden, geradezu für unmöglich. Nicht einmal die doch chitinisirten Ausführungsgänge ‘der einzelligen Hautdrüsen bleiben erkennbar! Diese Frage kann meines Er- achtens nur an frischen. oder mit schwacher Lösung von’ Kali biehr. behandelten Antennen gelöst werden und hängt wesent- lich zusammen mit der Untersuchung der vorhin schon erwähn- ten Zapfen und Kegel, welche an den Antennen sitzen und von mir-für specifische' Bildungen angesprochen werden. "Wer mit dem Verhalten der Matrix der Cuticula zu ‘den starken Hant- canälen noch nicht näher vertraut ist, kann auch dadurch 'ge- täuscht werden, dass er die zarten Fortsätze dieser Matrix in die Canäle hinein für Nerven nimmt. Ich habe bereits in mei- nem Aufsatz „zum feineren Bau ‘der: Arthropoden“ in Fig. 9 eine Abbildung dieses Verhaltens von’ der Haut des Zulus ter- restris nach Essigsäurezusatz gegeben und finde, dass man die‘ gleichen Bilder an’den Antennen 'und Palpen bei Anwendung von Canadabalsam leicht erhält. b. ‚Die Zapfen und Kegel der Antennen. Es'sind nahezu zehn Jahre, dass ich an den Fühlern der Phyllopoden!) eigenthümliche helleRöhrchen beschrieben habe, 1) Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 1851, S. 292, Taf. VIII. Fig. 8: Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten. 281 nach welchen sich das Ende des Antennennerven wendet, nach- dem er vorher sich mit Ganglienkugeln verbunden; später sah ich dieselben Organe bei den Daphniden') und jüngsthin?) konnfe ich sie nicht nur von letztgenannter Thiergruppe aus- führlich schildern, sondern auch anzeigen, dass entsprechende Körper bei Isopoden und Myriapoden anzutreffen seien, Diese Wahrnehmungen dienten zur Grundlage der weiteren Beobachtungen, welche ich jetzt vorzulegen habe, wobei noch vorausgeschickt werden muss, dass auch 1857 von la Val- lette®) an den Antennen des Gammarus hierher gehörige neue Organe entdeckt hat, ohne zwar die Verwandtschaft mit den von mir bei den Phyllopoden beschriebenen Bildungen zu er- kennen. Obschon bezüglich der Isopoden und Myriapoden bereits in der citirten „Naturgeschichte der Daphniden“ sich die ge- naueren Angaben finden, so will ich doch hier noch einmal darauf zurückkommen, da die dort fehlenden Abbildungen der gegenwärtigen Abhandlung beigefügt sind. Ausserdem bemerke ich gleich schon jetzt, dass die eigenartigen Bildungen sich noch bei anderen Arthropoden, Krebsen sowohl als auch In- secten finden, somit weit verbreitet sind und eine allgemeine Bedeutung haben, Mit am leichtesten macht man die Bekanntschaft der abzu- handelnden Organe bei der Wasserassel (Asellus aquaticus). Den vier Endgliedern der kürzeren Fühlhörner (Fig. 4) sitzt ausser den gewöhnlichen Haarborsten an je einem Glied ein eigenthümlicher blasser Körper (ec) auf, von ovaleylindrischer Gestalt und gestielt. Der Stiel hat ebenso dunkle Conturen wie die gewöhnlichen Borsten, während der Körper viel blas- ser und entschieden von zarterer Beschaffenheit ist als die Haare. Der eigentliche Körper hat in der Mitte einen leichten Absatz und eine markirte Endspitze oder Endknöpfchen, aus der ich mehrmals einige ganz kurze, äusserst blasse Füd- 1) Lehrb. d. Histol, d. Menschen u, d, Thiere, S. 212. 2) Naturgesch. der Daphniden (Crustacea cladocera), Tüb. 1860. 3) De Gammaro puteano. Dissert. inaug. 1857. Heichert's u, du Bois-Reymond's Archiv. 1860, 19 282 Franz Leydig: chen hervorragen sah. Die Nerven, zu denen besagte Organe als peripherische Apparate gehören, sind etwas schwierig, zu verfolgen, doch habe ich gesehen, dass der sehr blasse, Nerv der Antennen zu jedem Organ einen Ast abschiekt, dem man bis in den Stiel herein (bei sehr starker Vergrösserung, und gedämpfter Beleuchtung) nachgehen kann, woran sich alsdann im eigentlichen Körper des Organs eine zart- und kleinblasige Substanz anschliesst. Kurz vor seinem Eintritt in den Stiel wird der Nerv von einer gelappten, blasszelligen Masse umge- ben, welche man für das Ganglion halten darf, obschon hierin die Bilder nie von solcher Klarheit sind, als dies bei den Daphniden der Fall ist. Junge, noch wenig pigmentirte Thiere sind selbstverständlich den stark gefärbten Individuen bei die- sen Beobachtungen vorzuziehen; auch ist es gut, einen Tropfen Weingeist dem Wasser zuzusetzen, wodurch der vorher äus- serst blasse Nerv etwas schärfere Linien annimmt. _ Bei ganz jungen, der Bruttasche des Weibchens entnommenen Thieren haben die beiden hinteren oder kürzeren Fühler je nur ‚einen einzigen der beschriebenen Körper und zwar am ‚Endglied, etwas unterhalb der Spitze auf einem seitlichen Vorsprung; junge, aber schon frei herum schwimmende Thiere besitzen auch an dem vorletzten Glied das besagte Organ und endlich bei den erwachsenen Individuen sind vier Antennenglieder damit ausgestattet. Die Gattung Gammarus zeigt an den Antennen zweierlei Anhänge von specifischer Art, welche beide von la Vallette zuerst aufgefunden hat. Die einen sind denen des Asellus durchaus ähnlich, nur etwas länger und schmäler, übrigens viel zahlreicher als die der Wasserassel. Ihre Länge nimmt nach der Wurzel der Antenne hin ab. Die Anhänge der zweiten Art sind jederseits nur in der Dreizahl vorhanden und zwar steht am vierten, fünften und sechsten Wurzelglied der langen Antennen ein solcher Körper, an dem man ebenfalls den Stiel und den eigentlichen Körper unterscheidet. Ersterer ist wieder dunkelrandig, letzterer, namentlich gegen das Ende zu, sehr blass. Der Körperist nicht blasie, sondern eine platte Scheibe, die vom Stiel weg sich gegen die Antennen krümmt und an Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Inseeten. 283 ihrer Oberfläche zarte, gebogene Sculpturstreifen hat. Im In- neren des frischen Körpers sieht man ein blass granuläres Ge- bilde, das von nervöser Natur sein könnte. Im Uebrigen ver- weise ich auf die Abhandlung von la Vallette’s und meine Schrift. An einer in Weingeist liegenden Caprella linearis Latr. vermag ieh noch mit aller Schärfe die specifischen Cylinder, wie sie eben an Asellus und Gammarus nach lebenden Exem- plaren geschildert wurden, zu erkennen; sie sind zwar körnig getrübt, aber sonst gut erhalten. Sie zeigen sich um ein Er- kleckliches länger als bei obigen Krebsen und. sind dabei schmäler, auch fehlt ihnen eine zarte, ungefähr auf halber Höhe ihres Längendurchmessers befindliche Einkerbung nicht. Nur die längeren Antennen besitzen solche Organe und zwar an dem kleingliedrigen Endtheil (Geissel), allwo an jedem Absatz zugleich mit.den gewöhnlichen Borsten 1—2 dieser Cylinder sieh bemerklich machen. Auch die Oniseiden scheinen der fraglichen Organe nicht ganz zu entbehren. Von den einzelnen Antennengliedern. des Oniscus murarius habe ich mir zwar keine cylindrischen von den Borsten verschiedenen Körper angemerkt, aber das End- glied selber, welches nach‘ der Spitze zu ein weiches, helles Aussehen annimmt, während es sonst gleich der übrigen An- tennenfläche stark dunkel sich zeigt, verlängert sich in einen Zapfen von eigenthümlicher Beschaffenheit, dessen Haut scharf längsgestrichelt und damit zusammenhängend am Vorderrand gezähnelt ist. Die Stricheluug kann sowohl von einer. Falten- bildung als auch einer bleibenden Furchung, der Oberfläche herrühren. Einen ‘ähnlichen Zapfen am langen Endglied der Antenne sehe ich bei Armadillo cinereus Panz., aber ausser- dem noch seitwärts zwischen gewöhnlichen Borsten stumpfere, kürzere Kegel, welche stark nach vorne geneigt sind. Mit einer gewissen Spannung ging ich an die Untersuchung unseres Rlusskrebses (Astacus fluviatilis), da zu vermuthen war, dass ähnliche Organe sich nicht nur auch hier finden, sondern wahrscheinlich eine noch stärkere Entwicklung, als bei den bisher ‚erwähnten "Thieren ‚darbieten würden. Ferner konnte 19* 284 Franz Leydig: “= man schon aus vorgemeldeten Erfahrungen ableiten, dass nicht alle Fühler mit den specifischen Cylindern würden ausgestattet sein, sondern nur gewisse Stellen des einen Paares. Und diese Vermuthungen bestätigten sich vollkommen. Das äussere Füh- lerpaar, welches einfach ist und von bedeutender Länge, zeigt keine Spur der gesuchten Organe, sondern besitzt nur die ge- wöhnlichen, zum Theil befiederten Borsten. Anders verhält sich das innere Fühlerpaar. Dasselbe ist bekanntlich um vieles kürzer als das äussere und zweispaltig; der eine Ast— es ist der äussere — übertrifft den anderen etwas an Länge und Dicke und dieser trägt in Menge die Organe, denen ich nachspähte, während der innere Ast derselben ermangelt und sich demnach wie das grosse Antennenpaar verhält. Bezeich- neter Fühlfaden hat 19 Glieder und vom neunten Glied an, von unten her gerechnet, trägt jedes Segment (Fig. 3) zwei dicht beisammenstehende Büschel der specifischen Cylinder (ec). Acht Cylinder sind vielleicht die höchste Zahl an einem Glied; gegen das Ende des Fühlfadens scheint sich ihre Zahl wieder zu verringern. Dass zugleich mit ihnen die gewöhnlichen Bor- sten vorhanden sind, braucht wohl kaum eigens erwähnt zu werden. Die Cylinder, von hellem, farblosem Aussehen, ste- chen von den braunen Gliedern der Antennen bedeutend ab und obschon sie um vieles länger und dicker sind als jene des Asellus, Gammarus und Caprella, so ist im Wesentlichen doch ihr Bau der gleiche. Die untere Partie erscheint dunkel ge- randet, im Inneren bei ganz frischem Zustande wasserklar und später vacuolär oder körnig. Die obere Partie hat eine um vieles blassere und zartere Wand und das Ende des Cylinders verursacht dem Beobachter Zweifel, insofern man an dem einen Organ eine Oeffnung zu sehen glaubt, während an dem anderen aussen ein Knöpfehen sitzt, dem nach einwärts ein stempelartiges Gebilde entspricht. Jeder Cylinder knickt sich an der stärker chitinisirten Hälfte einmal ein, und da sich auch das letzte, zartberandete Drittheil etwas abstuft, so könnte man hier drei Abschnitte an einem Organ zählen. Es wäre wohl der Mühe werth, eine grössere Anzahl hö- herer Krebse auf den Bau ihrer Antennen zu durchmustern; Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten. 285 ich habe nur noch eine Krabbe von Port Natal (Telphusa perlata) und einen unbestimmten Pagurus aus Bahia, beides Weingeistexemplare, geprüft und auch da schon Erwähnenswer- thes gefunden. So sitzen wieder bei Telphusa perlata auf den äusseren Antennen, welche hier von sehr verkürzter Art sind, nur gewöhnliche Borsten; hingegen erscheinen die inneren ge- gabelten Fühler mit den eigenthümlichen Cylindern ausgestat- tet; und wie beim Flusskrebs ist es lediglich der äussere, breitere, in zahlreiche Ringel sich gliedernde Arm, welcher an fast allen Segmenten durch einen Büschel der besagten Organe ausgezeichnet ist. Der andere Arm weist nur gewöhnliche Borsten auf. Die specifischen Cylinder waren so gut erhalten, dass die untere dunkel gerandete Hälfte von der, oberen zarten sich noch wohl abzeichnete, sowie auch sichtbar war, dass das ganze Gebilde nicht einfach eylindrisch, sondern in der Mitte etwas verbreitert sei und darauf sich wieder sachte zuspitze. — Bei dem Pagurus erreichten die Organe eine ganz ungewöhnliche Grösse, indem sie über 1"' Länge hatten. Ich habe davon zwei Abbildungen gegeben; die eine, Fig. 1, stellt die ganze innere Antenne sehr gering vergrössert vor, die an- dere, Fig. 2, zwei Glieder mit den Büscheln der Cylinder in starker Vergrösserung. An der ersten Figur sieht man, dass die Cylinder nur dem einen Arm der gegabelten Antenne an- gehören; die andere Figur giebt die eigentliche Form der Cy- linder. Der Inhalt derselben war durch den Weingeist zum Theil eine bröckliche Masse geworden; das freie Ende ging in eine Art Stift aus. Aus der Gruppe der Myriapoden hatte ich früher (Na- turgesch, d. Daph.) einen jungen Julus — er mochte zu Iulus pulchellus Koch gehören —- untersucht, dessen Fühler am Endglied vier Cylinder besitzen, welche sich auf den ersten Blick von den umstehenden Haaren unterscheiden und den Bil- dungen, wie wir sie bisher im Auge hatten, entsprechen. Sie sind am Ende etwas zugespitzt und hier schärfer gezeichnet, also mit einer Art Endknopf versehen, aus welchem in dem abgeschnittenen und leichtem Druck ausgesetzten Fühler eine blasskörnige Substanz in geringer Menge hervorquillt. Ausser 386 ! "Franz Leydig: diesen vier geknöpften Cylindern stehen noch zwischen‘ den’ Borsten des letzten und vorletzten Gliedes Gebilde, ‘welche zwar ohne Endknopf, im übrigen aber entschieden von ähnli- cher Natur sind, wie die vier endständigen Zapfen. Die bei- gegebene Fig. 6 ist von Julus terrestris genommen; die Haut der vier Organe (a) erscheint in mehreren Längsreihen- fein quergeriefelt, und auch hier glaube ich bemerkt zu haben, dass die Cylinder an der Spitze geöffnet seien oder vielleicht rich- tiger, dass das eigentliche Ende sich nach innen einstülpe und damit das innere Knötchen erzeuge. — Ganz ähnlich’ sind die vier Zapfen bei Polydesmus,t) nur scheinen sie hier etwas spar- riger zu stehen; das freie Ende verhält sich wie bei Zulus und macht den Eindruck, als ob eine Oeffnung da wäre. Eine in Weingeist aufbewahrte Glomeris ovalis habe ich nur oberflächlich angesehen, aber doch mit Sicherheit bemerken können, dass auch hier am Endglied der Antennen eine An- zahl, es schienen abermals vier, dunkler Kegel sich finden, die von den gewöhnlichen Borsten sich auf das Bestimmteste un- terscheiden. Sehr deutlich sind die Kegel wieder bei den Skolopen- dren und namentlich bei Scolopendra (Lithobius) forficata. Nieht nur das Endglied zunächst seiner ‚Spitze besitzt, umge- ben von den gewöhnlichen hornbraunen Borsten, eine Gruppe heller, etwas zugeschärfter Cylinder, fünf an der Zahl, sowie etwas weiter nach hinten am gleichen Gliede noch -drei stumpf endigende Cylinder, sondern nach der ganzen Länge der viel- gliedrigen Antenne (Fig. 5) steht in der Nähe des Gelenkran- 1) Die Art war am meisten dem P, macilentus (Koch, Crustaceen Deutschlands) vergleichbar und fand sich unter der eingetrockneten Algendecke eines leeren Tümpels, was vielleicht auch der Grund war, dass einzelne parasitische Gebilde, wahrscheinlich pflanzlicher Natur, sowohl den Antennen, als auch anderen Körperstellen ansassen und bei der ersten Wahrnehmung, insofern sie an den Antennen ‚haften, verleiten können, in ihnen Organe zu erblicken, welche in die Reihe der besagten Cylinder gehören. Es sind helle, ovale Schläuche, mit klarzelligem Inhalt, welche in gewisser Beziehung an die bei Asellus und anderen Wasserthieren sich findenden und amöbenartige Brut lie- fernden Schläuche erinnern. t Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten. 287 des und zwar leicht unterscheidbar von den braunen Hornbor- sten ein farbloser, schwach gekrümmter, stumpf endigender Zäpfen (ä), dessen Verwandtschaft mit den bisher geschilder- ten Bildungen Niemand wird in Abrede stellen können. — Etwas schwieriger zu untersuchen ist Scolopendra electrica, sie istauch von der vorigen Art verschieden organisirt. Die eylin- drischen Körper, von heller und stumpfer Art, stehen zwar am Endglied der Antennen zwischen ‘den Borsten sehr zahlreich, aber sie sind kurz (nur 0,0057” lang) und werden an den rückwärts folgenden Gliedern noch kürzer, so dass sie zuletzt kleine, aus Gruben hervorragende Zapfen vorstellen, die förm- lich aufgesucht sein wollen, wenn man sie kennen lernen will. Ganz Aehnliches zeigt die grosse Scolopendra morsitans, indem auch bei ihr die Oylinder zwar sehr zahlreich, aber nicht län- ger als bei $. electrica sind. In der Klasse der Insecten sind keineswegs alle Arten für, diese Studien gleich brauchbar und man wird bei gar man- chen sich kaum zu sagen getrauen, welche Elemente des Haar- besatzes der Antennen die Analoga der specifischen Kegel, wie sie.im obigen von den Krebsen angezeigt wurden, sein mögen. Dass aber auch hier dieselbe Organisation durchgreift, lehren hinwieder andere Gruppen sehr deutlich. So z. B. unter den Hymenopteren die Bienen und Wespen. Ich hatte Vespa gallica Fabr. vor mir, deren orangegelbe Antennen in der zweiten Hälfte eine kurze, dichte Behaarung besitzen; aus die- ser nun heben sich in auffälliger Weise kegelförmige Körper ab (etwa 0,0057" lang), welche ein gewisses helleres und wei- cheres Ende haben. Dann unterscheidet man zweitens noch viel schmälere Stäbehen, welche ebenfalls eine von den Haaren des Pelzes merklich verschiedene Natur kundgeben. Bei For- miea rufa zerfällt der Haarbesatz, wenigstens an den letzteren Antennengliedern, abermals in dreierlei Elemente: in die dicht stehenden Härchen des Pelzes, zweitens indie um vieles dicke- ren, helleren und stumpf geendigten Kegel und drittens in stäbohenförmige Haare vom Habitus der Kegel, nur um vieles schmächtiger. Im Wesentlichen ganz. dieselben Structurver- 288 Franz Leydig: hältnisse bieten Apis mellißca, Megachile caementaria und Bom- bus dar. Sehr empfehlenswerth sind ferner aus der Ordnung der Le- pidopteren einzelne Abend- und Nachtfalter. An den dunk- len borstenförmigen Fühlern der Catocala nupta z.B. kommen folgende verschiedene Hautfortsätze zur Beobachtung: 1) Schüpp- chen, 2) lange, geradeaus stehend, estarke Borsten, 3) um vieles kürzere und schwächere, nach vorne gekrümmte Haare, und endlich 4) kegelförmige Gebilde, welche zweifelsohne in die Kategorie der obigen specifischen Körper gehören, und zwar erinnert die Weise, wie sie über die Antenne vertheilt sind, lebhaft an gewisse Krustenthiere. Das Endglied der Antenne nämlich trägt einen grossen Kegel von dunklem hornigem Aussehen, dann die nächstfolgenden Glieder ebenfalls je einen von 0,0057—0,00856'’ langen, dessen besondere Form man auf der Fig. 12 erkennen mag. Die Kegel erstrecken sich weit nach hinten, denn ich kann sie bis über die Hälfte der Antenne hinaus verfolgen. — Besonders schön ist ein Präparat, welches ich von einer frischen Acherontia atropos in Canada- balsam aufbewahrt habe. Die Antenne zerfällt in Ringel, welche breiter als hoch sind; an der einen Seite deckt ein diehter Beleg von Schüppchen die Segmente, während die grös- sere von Schüppchen freie Fläche einen zierlichen Haarbesatz hat. (Jedes Haar kommt aus einer Grube, mit denen bei ge- wisser, die Haare grösstentheils verschwinden lassender Focal- einstellung, die Haut übersäet erscheint.) Man erkennt nun aber wieder an jedem Antennenglied sehr deutlich 1) die gewöhn- lichen, in Masse vorhandenen Haare, welche spitz zulaufen und alle nach vorn gekrümmt sind; 2) in der Nähe des hinteren Gelenkrandes in bestimmter Lagerung einige cylindrische Stäbe, welche nicht gebogen sind, sondern geradeaus stehen, auch nicht spitz zulaufen, sondern stumpf aufhören; am meisten aber markirt sich 3) je am Vorderrand eines Segmentes ein eigen- thümlicher Kegel, dessen Breite an der Basis 0,0057" beträgt, die Länge 0,01142’””. Es ist im Inneren hohl und seine Cuti- eula ist hellbraun gefärbt. Auch bei Käfern, deren Antennen dem ersten Blick nur Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten. 289 eine gleichförmige Behaarung zu erkennen geben, findet man bei näherem Zusehen eine ähnliche Differenzirung des Haarüberzuges. Ich führe in dieser Beziehung z. B. den Sca- rabaeus sylvalicus an, bei welchem die dichte Behaarung der Antennenblätter der Hauptmasse nach aus zugespitzten, bräun- lichen, gekrümmten Borsten besteht, zwischen denen aber wie- der um vieles kleinere, helle und stumpf geendigte Zäpfchen oder Cylinder sichtbar sind. Aehnlich verhält sich Aphodius fimetarius; das Gleiche gewahre ich an Käfern mit anderen Antennenformen, so z. B. bei Hydrophilus scarabaeoides und den grösseren Arten H. caraboides und H. piceus; überall sieht man zwischen den zugespitzten längeren Borsten kurze Kegel stehen, welche bei gedrungenerem Aussehen stumpf endigen. Dyticus marginalis und Acilius sulcatus zeigen namentlich am Endglied, an der helleren und etwas weicheren Spitze mehrere Kegel, die man unmöglich den gewöhnlichen Haaren einreihen kann; jeder Kegel geht in ein blasses, weiches Knöpfchen aus, während sie nach ihrer übrigen Länge ziemlich derbhäutig sind. Dieselben Theile machen sich auch an den Larven der ge- nannten Wasserkäfer deutlich; so besetzen sie bei der Larve von Dyticus marginalis in geringer Zahl das lange, vorletzte Glied und insbesondere wieder die Spitze des Endgliedes, wo um ihre Basis herum die Cuticula auch noch eine markirte Seulptur zeigt. Ueberhaupt möchten im Wasser lebende Lar- ven günstige Objecte werden, durch deren Untersuchung sich noeh manches für unseren Zweck gewinnen lässt. Eine ‚der allergemeinsten ist z.B. die Larve von Culez pipiens, an deren dunkeln, mit fein querwelliger Sculptur versehenen, schwarz- braunen Antennen von den ebenso gefärbten Fiederborsten ein kegelförmiges Gebilde absticht, welches an der Spitze der An- tenne stehend zwar in seiner unteren Hälfte an der allgemeinen dunklen Färbung Theil nimmt, aber in seinem zweiten (0,014"' längeren) Abschnitt hell und farblos ist und eine gewisse zar- tere Beschaffenheit an den Tag legt. Auch an einer kleinen Libellenlarve') machte sich am letzten Glied der sechsgliedri- 3) Ich kann sie nicht näher bezeichnen. Sie war 4" lang, hatte 390 el DE a Deyalgrd,dru -ndomoeQd ande ’ gen Antennen’ ein’speeifischer Kolben sehr bemerklich; er sass seitwärts dem’ Glied an, und an die entsprechenden Organe'bei Krebsen 'erinnernd, war er gänzlich von den einzeln stehenden Borsten verschieden. Ausgebildete Neuropteren, Orthopteren und Hemip- teren lassen die hier besprochene Differenzirung des Haarbe- satzes weniger scharf hervortreten. Bei Locusta viridissima 2. B. besetzen ausser kurzen Dornen noch lange zugespitzte, nach vorn gerichtete Haare die Fühler und zwischen ihnen stehen andere, mehr stabähnliche, ebenfalls hornbraune Aus- wüchse, welche stumpf endigen und nach aussen gekehrt sind. Forficula auricularia zeigt ebenfalls mancherlei 'Borsten, grös- sere, kleinere, zum Theil nach vorn gerichtete, zum Theil fast wagerecht abstehend; manche haben das Aussehen kurzer, heller, stumpfer ‘Stäbehen. Diese Angaben sind von. frischen 'Thieren genommen, es wäre aber möglich, ‚dass in Canadabal- sam’ aufbewahrte Antennen eine bessere Einsicht gewähren; an einem solchen Präparat wenigstens, welches ich mirıvon Hemerobius perla angefertigt habe, sieht man, dass die Haare bestimmt in zwei Gruppen sich scheiden. Die einen und zwar die gewöhnlichen, in Menge vorhandenen, an jedem Antennen- glied mehrere Reihe bildenden, sind dunkel gefärbte, nach vorn) gerichtete Haare; die‘anderen, von blassem; farblosem» Ausse- hen, fast wagerecht nach aussen stehend, sitzen blos zu vieren in der Nähe des vorderen Gelenkrandes, wozu noch ein oder zwei eben solche, ‘nur viel kürzere Borsten kommen und''am Endglied‘ der Antenne haben sie'sich zu drei oder vier Paaren vermehrt. Die bisherigen Mittheilungen geben, wie ich glaube, 'hin- länglichen 'Beleg''zu dem Satz, dass an den ‚Antennen der. Ar- thropoden: sehr allgemein eigenartige, von dem gewöhnlichen Haarbesatz verschiedene Kegel, Cylinder und Stäbe vorkom- men. ' Beiden Krebsen fällt diese ihre 'specifische Natur am die drei Schwanzkiemen und die Maske an der Unterseite des Kopfes. Sehr'häufig im Juli. ©: f t car Kol (A Ueber Geruchs- und Gehörorgahe der Krebse und Insecten. 291 leichtesten indie Augen, weniger bei den Inseeten, und wer, um (die "Antennen zu erforschen, mit ausgebildeten, in der Luft lebenden Inseeten beginnt, wird schwerlich gleich gewahr wer- den, dass gedachte Oylinder oder Kegel nicht mit den gewöhn- lichen Haaren zusammengeworfen werden können. Es sind auch in der That fast alle Beobachter daran vorbeigegangen, indem sie ihre Aufmerksamkeit blos auf die Gruben, als wären diese die Hauptsache, richteten, und nur Lespe&s, obschon er ebenfalls die Gruben speciell in’s Auge fasst, hat doch neben- bei den Eindruck empfangen, dass an den Antennen der In- secten ausser den‘ feineren und stärkeren Haaren noch eigen- thümliche Kegel zugegen seien. (,‚Ce sont des sortes de cönes eourts tres-transparents, ‚et qui semblent mous, des especes de papilles probablement taetiles.‘“) Bei den Krebsen ferner sind auch diejenigen Anhangsgebilde der Antennen, die mir ‚die Tastempfindung zu vermitteln scheinen, von den anderen, wel- chen ich eine davon verschiedene specifische Sinnesempfindung zuweise, leicht zuunterscheiden; schwieriger ist dies zum Theil wieder bei den Insecten, doch zeigt sich auch hier oft genug die Trennung des Haarbesatzes in die gewöhnlichen Haare, in die Tastborsten oder Stäbchen andererseits, sowie drittens in die uns hier beschäftigenden Kegel.') Ihr Zusammenhang mit Nervenenden wurde theils unmittelbar beobachtet, theils ‚der Analogie nach angenommen, und dass bei letzterem Verfahren nicht zu viel geschlossen‘ wurde, zeigen neben Anderem, wor- über unten nähere ‚Auskunft folgen wird, die häufig viel gün- stigeren Palpen, bei welchen auch‘ an Inseeten der Zusammen- hang dieser Organe mit Nerven in unzweifelhafter Weise ge- sehen wird. Hinsichtlich des feineren Baues der Kegel, Zapfen ete, ver- weise ich auf die obigen Einzelbeschreibungen; für selbstver- ständlich halte ich es, dass die Weichheit oder Härte ihrer Conturen mit dem Aufenthalt im Wasser ‘oder in der Luft, Trateherrs m I) Um Missverständnisse zu vermeiden, bemerke ich, dass ich in m. Naturgesch. d. Daphniden auch diese Organe durchaus „Tastbor- sten“ genannt habe, jedoch (S. 42) mit der ausdrücklichen Erklärung, „damit ihre physiolögische Bedeutung nicht bestimmen zu wollen.“ 292 Franz Leydig: sowie damit, ob die Haut des Thieres mehr oder minder ver- kalkt ist, in einer gewissen Wechselbeziehung steht und mache hier nur noch einmal darauf aufmerksam, dass wenn das Thier zwei Paar Antennen besitzt (Krebse), mit fraglichen Organen alsdann nur das eine Paar ausgerüstet erscheint. Versuchen wir jetzt der Qualität der Sinnesempfindung, als deren theilweise Unterlage obige Kegel gelten mögen, näher zu kommen! Bei unseren gegenwärtigen Kenntnissen und Dar- stellungen über die Sinnesorgane der Gliederthiere darf von vornherein wohl angenommen werden, dass in jedem Beob- achter, der auf die Beantwortung dieser Frage sich einlässt, der Ideengang dahin führt, an zweierlei Apparate, an ein Ge- hörsorgan oder ein Geruchsorgan zu denken. Die besprochenen Organe auf die Schallempfindung zu beziehen, hätte darin einen gewissen Grund, dass dieselben und namentlich bei Daphniden und Phyliopoden eine entfernte Verwandtschaft mit den eigen- thümlichen Stäben haben, welche aus dem Ganglion des „‚Ohrs“ bei Heuschrecken und Grillen bekannt sind, wie ich denn die- sen Vergleich schon an mehreren Orten 'vorgebracht habe. Dann träte der Fall ein, dass obschon ich mit den obigen Au- toren dieses Gegenstandes morphologischerseits zum Theil in hartem Widerspruche stehe, dennoch, wenn es sich um die Function der Antennen handelt, ihnen zuzustimmen, also in den Antennen die Gehörorgane zu erblicken hätte. Allein schon der Gedanke, dass zwar vor der Hand nur bei Heuschrecken und Grillen ein Organ nachgewiesen ist, das für ein Ohr zu gelten Anspruch machen kann, ohne in den Antennen zu lie- gen, dass aber gar wohl bei anderen Inseeten entsprechende Apparate noch aufgefunden werden können, müsste zur Vor- sicht auffordern. Dazu kommt nun aber, dass, wie ich in der zweiten Abtheilung dieses Aufsatzes mitzutheilen habe, auch bei anderen Insectenordnungen ein dem Acusticus der Heu- schrecken und Grillen histologisch ganz gleicher Nerv sich findet, wir demnach thatsächlich gezwungen sind, den Vergleich der speeifischen Kegel an den Antennen mit den Stäbchen im Acustieus der Orthopteren fallen zu lassen. Dies ist wichtig genug, denn der Kreis unserer Forschung ist sofort enger ‚ge- Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten. 293 a zogen und wir können ernsthafter die Frage aufwerfen, ob nieht die besagten Organe der Sitz des Geruchsinnes seien. Vom morphologischen Gebiete her wüsste ich keinen Grund, der gerade gegen eine solche Annahme sprechen würde, viel- mehr dürfte man zu Gunsten derselbeh anführen, dass am Ge- ruchsorgan der Wirbelthiere die Enden der Geruchsnerven eben- falls in stäbchenförmige Gebilde ausgehen. Doch möchten allerdings physiologische Erfahrungen, sobald wir deren zu Hülfe rufen können, uns eine verstärkte Befugniss geben, den Geruchsinn in die Antennen zu verlegen. Und da wäre viel- leicht anzuführen, dass wenn wir auf lebende Inseeten achtsam sind, die Bewegungen ihrer Antennen nicht nur den Eindruck von Tastbewegungen machen, sondern auch wie wenn die Thiere mit ihren Antennen die sie umgebende Luft sowohl, wie feste Körper beriechen wollten. Dies fällt z. B. an Ameisen, Wespen u. dergl. sehr in die Augen, oder auch bei Lamelli- corniern, welche sich zum Auffliegen vorbereiten und ihre entfalteten Antennenblätter prüfend in die Luft strecken. Auch giebt es noch einen direeten, hierauf gerichteten Versuch.') Es hatten nämlich manche Autoren früher nach der Analogie mit den luftathmenden Wirbelthieren die Geruchswerkzeuge der Insecten am Anfang des Respirationsapparates gesucht und demgemäss an die Mündungen des Tracheensystemes verlegt. Bringt man indessen nach Bergmann und Leuckart ein Aethertröpfchen auf der Spitze einer Nadel den Luftlöchern noch so nahe, niemals bemerkt man ein Zeichen, dass eine Geruchsempfindung stattgefunden habe. Anders aber ist es, sobald man dasselbe dem Kopf nähert. Augenblicklich bewe- gen sich die Antennen und strecken sich, wie zu näherer Prü- fung der riechenden Substanz entgegen. Somit machen nach meinem Dafürhalten die aufgeführten, dem Bau und dem Leben der Antennen entnommenen That- sachen die Annahme in hohem Grade wahrscheinlich, dass die Antennen nicht blos der Sitz einer gewöhnlichen Tastempfin- 1) Bergmannund Leuckart, Vergleichende Physiologie. S, 453, 294 Franz Leydigs ' 7 dung seien, sondern auch einer specifischen Empfindung, und zwar der des Geruchs,. 3. Die Palpen scheinen mit den Antennen die glei- chen oder mindestens höchst ähnliche physiologi- sche Leistungen zu haben. : Bei verschiedenen Insecten habe ich ausser den Antennen auch ihre Palpen näher betrachtet und bemerkt, dass beiderlei Organe im Wesentlichen der Structur nahezu übereinstimmen. Die Palpen des gemeinen Maikäfers z. B. zeigen eine helle, weichere, scharf von dem übrigen Theil abgesetzte Kuppe,') auf der schwach gelbliche, stark entwickelte Kegel stehen, welche obne Zweifel in eine Reihe mit den Antennenkegeln (Geruchszapfen) zusammenzurücken sind. , Die Cutieula ‘der Palpen ist von vereinzelten grösseren Canälen durehbohrt, die an ihrem ‘oberen, einen kurzen Dorn ‚einschliessenden. Ende kaum merklich erweitert sind. Ganz. ähnlich verhält sich be- züglich der Kegel und der Hautcanäle Ahizotrogus solstitialis, Auch bei Lucanus cervus sind am. Ende der Palpen die Ke- gel vorhanden und stechen hier, sowie. ihre hellere, wei- chere Umgebung von den sonst tiefschwarzen, harten Palpen lebhaft ab. Bei Hydrophilus caraboides sind‘ nieht nur gut ausgebildete Kegel an der Spitze wahrzunehmen, sondern. hier sieht man auch am Basalglied stattliche „Gruben“, welche zum Theil truppweise beisammenstehen. Ganz besonders lohnend und wichtig. für die Erkenntniss, dass die Kegel unmittelbar das Nervenende aufnehmen, war mir Staphylinus erythropterus (Fig. 16). Der. vorquellende ‚Gipfel der braunen Palpen ist wieder hell’ und farblos; ‚ebenso sind die hier sitzenden Kegel beschaffen und nur der ‚Hauteanal derselben erscheint dunkelbraun. Nach leichtem Druck sinkt übrigens der gewölbte Gipfel leicht ein 'und ‚dann. nimmt,das Ende der Palpe ein vertieftes Aussehen an. Nieht nur an Pal- pen, welche weiteren Eingriffen unterworfen wurden, sondern 1) Nur an ganz frischen Palpen ist die helle, gewölbte Kuppe zu- gegen; sie sinkt nach Druck und dergl. leicht ein und dann 'erscheint das Ende der Palpe quer abgestutzt. Ueber Geruchs- und Gehörorgane.der,;Krebse und Insecten. 295 ‚bereits‘, an. „ganz ‚frischen sieht mau nun. in klaren Umrissen, ‚dass 'von dem im, braunen, verdiekten Abschnitt des Endgliedes ‚liegenden ‚Ganglion an je einen Kegel ein Nery (a): herantritt und .da; die Zahl der Kegel keine sehr‘ grosse. ist, so; kann fast jeder der einzelnen Nerven von seinem Austritt aus dem Gan- glion bis; zur Wurzel des Hautcanales, über den der Kegel sitzt, überbliekt werden. ‚Die Palpen von Acilius sulcatus: (Fig..15) und Dyticus mar- ginalis, ‚welche ich sowohl am ‚lebenden. Thier) als auch nach Präparaten in Canadabalsam studirt ‚habe, zeigen ‚an: ihrem Ende ‚mehrere leicht geschweifte helle Felder, wo die Sculptur bei. Acilius in eigenthümliche scharf conturirte Höckerchen ‚aus- geht, die bei Dyticus zu; deutlichen kegelförmigen Körpern: sieh ‚vergrössern. :;, Weiter ‚nach. hinten zieht im Bogen eine Reihe langer ‚Borsten über die, Palpe herüber,; wovon jede unter sich einen, ‚ziemlich ‚geräumigen Hautcanal: hat. _An der frischen unyerletzten Palpe sieht man im, hintersten noch lichteren Theil den Nerven gut, ;weiter‘ nach vorne verwehrt aber die dunkle Cuticula denselben zu verfolgen; ‚au der zerschnittenen Palpe indessen lässt-sich doch so viel feststellen, dass nicht nur gegen die zuletzt erwähnten Borsten, sondern auch ‚gegen die hellen Felder Endzüge_ von. nervöser Substanz sich wenden. — ‚Die Larve,yon Dylicus marginalis verhält sich so., Am Endglied der ‚vorderen ‚langen Palpen , stehen ‚innerhalb, eines. hellen Hofes ‚mehrere kurze Kegel, dann ungefähr aus ‚der Mitte des Gliedes geht eine lange, gewöhnliche Borste ab; am dritten Glied ‚(von der. Spitze her, gezählt) sitzen abermals einige starke Borsten,, aber am sechsten oder Basalglied erblickt man am Gliede selbst und zwar fast an der Wurzel, eine grosse Grube mit ‚schrundiger, Umgebung. , Besagtes Basalglied trägt auch noch. einen seitlichen, unpaaren ,.. dunklen Vorsprung,; der an seiner Spitze kleine Kegel und ‚an. seiner ‚Wurzel eine Grube Wendet man dem die Palpe durchziehenden Nerv en_seine keit zu, 80 überzeugt man sich dayon „dass ‚zwar au und Kegel die Nerven herangehen, aber keineswegs rube, er; Und ‚da es immer ein Hauptpunkt, bleiben wird, sich davon, zu überzeugen , dass die Kegel peripherische An- 296 Franz Leydig: hangsgebilde der Nerven sind, so sei’auch noch auf die Ho- nigbiene aufmerksam gemacht, bei der das Endglied der Palpen durchsichtig genug ist, um sehen zu lassen, wie der Nerv nach den an der Spitze stehenden kegelförmigen Körpern verläuft und zuvor eine ganglionäre Anschwellung entwickelt. Um nun endlich noch ein Beispiel davon vorzuführen, wie gross die Verwandtschaft zwischen Palpen und Antennen sein könne, weise ich auf die Antennen der Maikäferlarve (Engerling) hin (Fig. 14). Hier fallen an dem braunen, walzig verdickten letzten Glied vier helle Felder auf, die scharf ab- gesetzt sind (d), eine im Allgemeinen rundliche Gestalt haben, kaum nennenswerth vertieft, und eine etwas sich vorwölbende Basis zeigen. Betrachtet man die Felder genauer, so bemerkt man auf der hellen, durch eine scharfe Grenzlinie von der braunen Cuticula geschiedenen Haut kleine glänzende Höcker- chen, die nicht gerade dicht stehen und der übrigen Haut der Antennen fehlen. Unterhalb dieser wie fensterartig eingefügten hellen Haut erspäht das Auge eine blasszellige Zeichnung, un- gefähr so, als sähe man auf die Endflächen einer Gruppe von zarten Cylinderzellen und bald macht man die Wahrnehmung, dass je ein Knötchen zu einem zelligen Körper darunter ge- hört, also beide in gleicher Zahl vorhanden sind. Die helle Haut, deren Auswüchse die Höckerchen sind, ist sehr dünn und reisst daher bei leichtem Druck auf die Antennen rasch ein, worauf dann eine ganglionäre Zellenmasse vorquillt. Die Spitze der Antenne ist ebenfalls hell, aber ohne die scharfe Demarcationslinie, und mit einer Gruppe kegelförmiger Gebilde besetzt, zu denen eine blassstreifige, durch die Haut durchschei- nende Zeichnung gehört. Die an den Antennenblättern des ausgebildeten Käfers so zahlreichen Gruben werden hier nur durch einige wenige zerstreut stehende ähnliche Organe reprä- sentirt. Der Rand der Grube erscheint niedriger als beim Käfer, weshalb denn auch die innere Erhebung um so stärker hervortritt. Wählt man jüngere Larven, an denen wegen g ös- serer Weichheit und Durchsichtigkeit der Haut der Blick in’s Innere der Antenne weiter dringt, so lässt sich beobachten, dass in das Endglied zwei Nervenstämmchen eintreten und Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten. 997 darauf ein Ganglion bilden, das auf die vorgemeldeten Höcker- chen und Kegel direeten Bezug nimmt, mit anderen Worten, das mit seinen letzten eylindrischen Ganglienzellen unterhalb der hellen Felder der Haut zu liegen kommt und andererseits die Kegel versorgt. — Die Kieferpalpen obiger Larve haben, abgesehen von dem Mangel der vier speeifischen Felder der Antennen, mit diesen fast den gleichen Bau: am hellen Ende eine Gruppe von Kegeln, zu denen im Inneren streifige Züge (nervöser Natur) gehen; sonst über die Haut vertheilt einige Gruben, ganz von der Art, wie an den Antennen. Das Resultat, welches ich aus den aufgezählten Beobach- tungen ziehe, ist demnach dieses. Die Hautcanäle der Palpen können sich an den Enden ebenso erweitern, wie an den An- tennen; zweitens besitzen die Palpen dieselben mit Nerven zu- sammenhängenden Haare, welche ich für die Träger der Tast- empfindung erklärt habe, und endlich drittens sind auch jene Kegel zugegen, die ich mit der Geruchsempfindung in Verbin- dung bringe und von denen hier zum Theil sehr klar vorliegt, dass sie das Ende vom Nerven aufnehmen. Somit ist auch der Schluss einigermassen begründet, dass die Funetion der Palpen eine von jener der Antennen kaum verschiedene sein wird. Diese Verwandtschaft zwischen Antennen und Palpen, meine ich, macht sich auch ohne Anwendung des Mikroskops dem Beobachter bemerklich, und es giebt schon ältere Beob- achter, wie Lyonnet, Knoch u. A., welche den Geruchsinn in die Palpen verlegten. Anhang: Ablagerung einer harnsauren Substanzin die Antennen der Schmetterlinge. Ueber die Antennen der Tagfalter habe ich noch eine bis- her wenig beachtete Thatsache vorzubringen, die, obschon sie mit der uns hier beschäftigenden Frage wahrscheinlich nichts hat, doch eine fernere Berücksichtigung verdient. In e nämlich, zu der sich die Fühler allmählig oder verdicken, befindet sich eine concrementartige Sub- ‚in Pulverform; sie ist von Farbe weiss oder gelbweiss wie Kalkmilch und in ansehnlicher Menge zugegen. In Kali- Beichert'« u, du Bols-Reymond's Archiv. 1860, 20 298 - Franz Leydig: lauge löst sie sich, ebenso in Essigsäure, unter, schwacher Gasentwickelung, worauf in der Lösung schöne blättrige Kry- stallrosetten anschiessen. Mein College Schlossberger, den ich um eine genauere Untersuchung bat, überzeugte sich, dass die Krystalle aus Harnsäure bestehen. Man kann, um diese Substanz zu erhalten, längst getrocknete Schmetterlinge an- wenden, ja gerade an solchen die Art und Weise, wie sie zum Fühler sich verhält, gut erkennen. Zu diesem Behuf lasse man die Antennen etwas in Wasser erweichen und schneide darauf den Kolben mit einer feinen Scheere nach der Länge entzwei; man sieht jetzt (bei auffallendem Licht und geringer 'Vergrös- serung), wie besagte Substanz in Form einer weissglänzenden Masse die ganze Innenfläche der Antenne auskleidet (Fig. 13), und sich noch weit, in die Antenne selbst hinab erstreckt, Nach Auflösung der Substanz in Kalilauge bleibt eine. blass- granuläre Punktmasse zurück, in der helle Kerne noch zu un- terscheiden sind, und man darf wohl in Anbetracht dessen, was über die Lage der anorganischen Materie zur Haut vorge- bracht wurde, annehmen, dass die rückständige, blassgranuläre Punktmasse die Matrix der Cuticula vorstellt. Da ferner diese in continuirlichem Zusammenhang mit dem „Fettkörper‘‘ steht, so wäre obiges Vorkommniss ein weiteres Beispiel zu. den; von mir beschriebenen Fällen, wo bei Insecten und Myriapoden (Locusta viridissima, Declicus verruceivorus, Menopon pallidum, Lampyris splendidula, Iulus terrestris) Coneremente solcher Sub- stanz im Fettkörper abgelagert erscheinen. Die Schmetterlinge, welche ich untersuchte, waren: Argynnis aglaia, Pieris bras- sicae, Vanessa urticae, Papilio machaon, Apatura iris, Lycaena adonis.') Da die Fühler des schönen schmetterlingsähnlichen Netz- 1) Der einzige Schriftsteller, bei dem ich etwas über obigen Ge- genstand finde, ist Treviranus (Erscheinungen und Gesetze des or- ganischen Lebens, Bd. II, S. 104). Derselbe kennt aus den „Fühl- hörnern der Tagschmetterlinge eine weisse, halbflüssige Materie, welche aus kleinen runden, der Farbe nach dem Kalke ähnlichen Theilen be- steht“; sie gleiche iım ‘Aeusseren der Materie, die in den Hörsäcken der Frösche befindlich ist. Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten. 999 flüglers Ascalaphus italicus bekanntlich ebenfalls in einen Knopf ausgehen, so sah ich nach, ob sich vielleicht auch hier die be- schriebene Substanz finde, erbielt jedoch ein negatives Resultat. II. l» Nachweis eines Organes bei Koleopteren und Dipteren, welches dem „Ohr“ der Orthopteren entspricht. Vor sechs Jahren habe ich mich mit jenem Organ der Acri- diden näher befasst, welches man seit dem Vorgang von Joh. Müller als Gehörwerkzeug betrachtet, wobei ich denn natür- lich auch der entsprechenden, durch v. Siebold entdeckten Bildung bei den Locustiden und Achetiden meine Aufmerksam- keit zuwandte. Vergl. hierüber meine Abhandlung: „Zum fei- neren Bau der Arthropoden“, in Müller’s Archiv f. Anat. u. Phys. 1855. S. 399. Am Schlusse der dort über das Ohr der Orthopteren gegebenen Mittheilungen musste ich bekennen, dass ich leider, trotz manchen Versuches, auch an anderen In- secten und Spinnen ein Gehörorgan aufzufinden, solches nicht erreicht habe; obschon es doch von vorn herein sehr unwahr- scheinlich erscheinen durfte, dass nur eine kleine Gruppe der Inseeten ausschliesslich mit einem derartigen Organ ausgestattet sein sollte. Ich habe jetzt in dieser Angelegenheit einen Schritt vorwärts gethan und befinde mich in der angenehmen Lage anzeigen zu können, dass sich das so lange vermisste Organ auch noch bei anderen Ordnungen von Insecten gefunden hat. In Folge meiner Studien über die Antennen der Arthropo- den war ich auch mit den unten’ eitirten Arbeiten von Hicks!) bekannt geworden, welche mir ein freundlicher Göttinger Col- 1) „On a new’organ in insects“ byJohn Braxton Hicks, Journ. of the Proceedings of the ‘Linnean society, Zoology I., 1857 und „Eurther remarks on the organs found on the bases of the halteres an g# of insects“ by J. B. Hicks, Transactions of the Linnean society of London, Vol. XXIT., 1857. Vergl. auch Gerstäcker’s Bericht über die wissensch, Beistungen im Gebiete der Entomologie während des Jahres 1857. 20* 300 Franz Leydig: lege aus der dortigen Bibliothek verschafft hatte; und sie wur- den die Veranlassung, dass ich meine nach dieser Richtung abzielenden früheren Bestrebungen wieder aufnahm. Der ge- nannte englische Beobachter erzählt nämlich, dass er von Mr. Purkiss angeregt, die Halteren der Zweiflügler und die Basis der Flügel verschiedener Inseeten untersucht habe, und da sei er auf eigenthümliche Bläschen gestossen, zu denen ein Nery gehe; er vermuthet, dass dieses Organ dem Geruchsinn als Substrat diene. Ich muss nun von meiner Seite zum vor- aus erklären, dass ich mit Hicks eigentlich nur darin zusam- mentreffe, dass in der Basis der Halteren, sowie in der Wurzel der Flügel eine Bildung speeifischer Art vorhanden sei; was aber den Bau und die Structur des Organes betrifft, so weiche ich bedeutend ab. Auch kann ich nicht unterlassen, schon jetzt bemerklich zu machen, dass man mit der von Hicks be- folgten Untersuchungsmethode jene Theile, welche die Haupt- sache bilden und zu weiteren Vergleichungen die Stütze liefern, schlechterdings nicht sehen kann. Ein Uebelstand war es für mich, dass die Zeit, in der ich das.zu schildernde Organ gewahr wurde, in den Spätherbst fiel und ich daher in der sehr vorgerückten Jahreszeit nur we- niger Inseeten mehr habhaft werden konnte. Mein ganzes le- bendes Material beschränkte sich fast nur auf einige Fliegen und eine Anzahl von Wasserkäfern, wozu als glücklicher Fund mitten im Winter (26. Januar) drei frische Maikäfer kamen. Einstweilen vermag ich daher nur an zwei Ordnungen, den Koleopteren und Dipteren, den genauen Nachweis für das Dasein des „‚Gehörorganes“ zu führen; für die Hymenopteren, Neuropteren und Hemipteren kann ich vor der Hand die’Exi- stenz des Organes nach trockenen Exemplaren blos wahrschein- lich machen. ‘Was ich sah, ist Folgendes: An der Wurzel der Hinterflügel bei Dyticus marginalis und zwar auf dem braun chitinisirten Streifen, welcher als „Sub- costalvene“ (von Anderen als „Subecostalnerv‘‘) bezeichnet wird, erblickt man einen Trupp stärkerer Hautcanäle (Fig. 13 a.), Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten. 301 deren innere Mündung umfänglicher als die äussere ist!) und wo zugleich innerhalb der äusseren Oeffnung eine winzige Erhebung zu liegen scheint. In die Subeostalvene herein tritt in Beglei- tung einer Trachee ein starker Nerv, der in der Gegend, wo die äussere Haut von den Canälen durchbohrt ist, in ein läng- liches Ganglion anschwillt (b). Von dem Ganglion lösen sich zahlreiche, gegen 20, nervöse Züge ab, mit der Richtung nach derjenigen Gegend, wo die Hautcanäle sichtbar sind, und was von grösster Bedeutung wird, die Ausstrahlungen des Gan- glions besitzen in ihrem Inneren dieselben eigenartigen Stäbchen oder Stifte, welche aus der Endverbreitung des Hörnerven bei den obigen Orthopteren bekannt sind. Dies wäre im allgemeinsten Umriss der Bau des Or- ganes; sehen wir uns noch etwas näher die Einzelnheiten an! Das längliche Ganglion zeigt ziemlich grosse Ganglienkugeln und es scheint, als ob alle den Charakter von bipolaren ter- minalen Elementen haben. Deutlicher kommt dies zur Ansicht in den mit den Stäben ausgestatteten Abzweigungen des Gan- glions, Jede derselben besteht aus einer zarten Hülle oder Neurilemm, mit zerstreut liegenden rundlieben Kernen; dann aus zwei eingeschlossenen Nervenfasern, wovon jede eine bi- polare Ganglienkugel zwischen sich aufnimmt, alsdann in einen zartpulverigen Streifen ausgeht und in diesem das speecifische Stäbehen beherbergt. Die Stäbchen selber sind scharf gerandet, hell, brechen das Licht ziemlich stark, haben ein konisches, abgesetztes Vorderende, während sie nach hinten zugespitzt sich verlieren. Auch sei bemerkt, dass man an dem gangliösen Apparat dreierlei Kerne wohl unterscheidet, nämlich die gros- sen runden der Ganglienzellen, dann die kleinen rundlichen des Neurilemms und drittens längliche, welche der fibrillären Ner- vensubstanz angehören. Das Ganglion selbst erscheint von zahlreichen Tracheen durchzogen; und zur späteren Würdigung 3) In der Flächenansicht sieht man daher erstens einen grösseren äusseren Ring, welcher die innere Mündung bezeichnet, dann zweitens einen um vieles kleineren, welcher der äusseren Mündung entspricht and drittens innerhalb des vorhergehenden einen kleinen Punkt, wel- cher auf die den Canal oben abschliessende Warze zu beziehen ist, ! 302 Franz Leydig:' der Hautcanäle sei hier gleich hervorgehoben, dass die Canäle um vieles zahlreicher sind, als die vom Ganglion sich abzwei- genden, mit den Stäben versehenen Züge, Es ist keineswegs so ganz leicht, den Sachbestand, wie er eben geschildert wurde, sich vorzuführen, sondern erfordert einige Uebung. Hat man ja selbst von gewisser Seite die Exi- stenz der Stäbehen am Gehörnerven ‚der Heuschrecken. ge- leugnet, wo doch die Zergliederung mit weit weniger Schwie- rigkeiten zu kämpfen hat. Das Verfahren, welches ich zuletzt für das noch am ehesten zuverlässige erprobt habe, ist dieses. Man mache sich vor Allem an dem abgeschnittenen Flügel mit der Stelle der Subeostalvene vertraut, wo die Hautcanäle lie- gen; dann schneide man von der isolirten ,,Vene“ die bezeich- nete Partie weg und betrachte sie bei geringerer und stärkerer Vergrösserung. Es kann jetzt die gegenseitige Lagerung der Theile zu einander beobachtet werden: zunächst unter der von den Canälen durchbrochenen Haut liegt die ganglionäre Ent- faltung der in die Subcostalvene hereingetretenen Nerven, da- hinter der Tracheenstamm, . Um nun aber den ganglionären Abschnitt des Nerven für sich zu gewinnen, suche ich ander Durchsehnittsstelle der Subeostalvene den Nerven zu fassen (man wähle zu diesem Handgriff eine dunkle Unterlage!) und ziehe ihn vorsichtig aus der „Vene“ heraus, worauf man dann'ein Bild erhält, wie es in Fig. 13 abgezeichnet ist.. Mitunter sah ich an solchen Präparaten, dass das Ganglion von dem’ unter ihm liegenden Tracheenstamm einen bleibenden Eindruck, eine Art Furche, erhalten hatte, An Acilius sulcatus erkennt man im Wesentlichen dasselbe, was ich als Ergebniss meiner Untersuchungen des Dyticus mar- ginalis‘) im Vorstehenden mitgetheilt habe. Die „Subeostal- vene‘‘ zeigt an der Wurzel den Trupp der Hautcanäle und auch hier ist die untere oder innere Oefinung. des. einzelnen Canales weiter als die äussere. Der Nerv schwillt zum Gan- glion an und entsendet gegen die Haut die Aeste, welche in 1) Auch an. Hydrophilus piceus habe ich nachträglich die Stäbchen in ‚den Nervenenden wahrgenommen. Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten. 303 ihrem Ende die eigenthümlichen Stäbe enthalten. Es hat von vorn herein eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass solche die Stäbehen einschliessenden Nervenenden in nächster Nähe der Hauteanäle liegen mögen, doch konnte ich dies weder bei Dy- ticus noch bei Acilius feststellen. An Melolontha vulgaris hin- gegen glaubeich an der vom lebenden Thier genommenen Sub- costalvene mit Sicherheit zu sehen, dass das, das Stäbchen ein- schliessende, Nervenende gerade unterhalb der Hautcanäle zu liegen komme; und überhaupt schien es hier so innig demselben anzuhängen, dass die Stäbchen beim Herausziehen des Nerven nicht diesem folgen, sondern abreissen und zurückbleiben; wenig- stens trat dieser Fall an den drei mir zu Gebote stehenden Exemplaren ein. Noch habe ich als besonderen Unterschied zwischen den obigen Wasserkäfern und dem Maikäfer heraus- zubeben, dass bei Melolontha vulgaris (Fig. 17) die gangliöse Nervenpartie durchaus nicht das kurze gedrungene Ansehen hat, wie ich es von Dyticus dargestellt habe, sondern der Nerv läuft, allmählig an Dicke abnehmend, gleichmässig aus und entsendet dabei die büschelförmig gruppirten, ganglionären Streifen zu den markirten Hautstellen. Es mag dieses abwei- chende Verhalten in directem Zusammenhang mit der Lagerung der Hauteanäle (d) selber stehen, die ebenfalls nicht auf einen abgeschlossenen Trupp sich häufen, sondern einen weithin ge- dehnten Längszug bilden. Deutlich ist ferner beim Maikäfer wahrzunehmen, dass ein grosser Blutraum (a) die Nervenent- faltung umgiebt.') Ich halte es für recht wohl möglich, dass man an manchen kleinen Käferarten einer derartigen umständlichen Behandlungs- weise, wie, sie oben angedeutet wurde, gar nicht bedarf, son-" dern dass die Subeostalvenen durchsichtig genug sind, um so- wohl die Form und den Verlauf des Nerven, sowie die Lage- 1) Aehnlich verhielt sich der Nerv auch bei Lucanus cervus; auch möchte ich noch anmerken, dass ausser dem innerbalb der Subcostal- vene verlaufenden Nerven noch weiter nach hinten ein zweiter Nerv, ebenfalls in Begleitung einer Trachee, in den Flügel eintritt, wie ich z. B. an Telephorus dispar (Weingeistexemplar) unzweifelhaft sehen kann, 304 Franz Leydig: , \. rung der Stäbchen an dem einfach abgeschnittenen Flügel deut- lich zu sehen; ‚doch hat die Jahreszeit bis jetzt nicht erlaubt, die hierzu passenden Arten ausfindig zu machen. Eine kleine lebende Coceinella bipunctata z. B., von der ich mir etwas ver- sprochen hatte, besass innerhalb der Wurzel der Flügel so viel Fettkörper, dass man der Stelle, wo fragliches Organ zu. liegen hatte, wenig abgewinnen, ja eigentlich ‘nur die. Lage der Hautcanäle erblicken konnte. Einige in Weingeist aufbewahrte Käfer prüfte ich ebenfalls auf die besagten Structurverhältnisse, will aber zunächst davon Umgang nehmen, um die Befunde bei lebenden Dipteren hier anzuschliessen. Die Arten: Eristalis lenax, Musca vomitoria. und M, dome- slica, Scatophaga slercoraria standen mir zur Verfügung. Das Gehörorgan erscheint bier in der Basis der Halteren unter- gebracht. Die Cutieula der letzteren zeigt an der Wurzel drei specifisch geartete Platten (Fig. 19a.) oder Wülste, die bei flüchtiger Besichtigung den Eindruck machen, ‚als ob sie aus Querreihen von Bläschen mit dazwischen geschobenen Härchen beständen, doch kommt man bei schärferem Beschauen bald zur Ueberzeugung, dass man es auch hier mit Räumen in der Cutieula zu thun habe, welche nur nach innen geöffnet, nach aussen aber geschlossen sind (Fig. 20 e.). Als ich mich nun weiter davon vergewissert hatte, dass ein starker (bei Eristalis tenaz 0,014” breiter) Nerv an die Wurzel der Halteren her- antrete, und bald darauf inne wurde, dass die Primitivfasern desselben innerhalb der angeschwollenen Basis der Halteren grosse, schöne Ganglienkugeln aufnehmen (Fig. 20 a.), musste ich im Zusammenhalt mit der eigenthümlich modifieirten Quti- cula vermuthen, dass auch die specifischen Stäbehen nicht feh- len würden, um. so das Organ mit dem der Käfer zusammen- stellen zu können. Die ersten Versuche jedoch, der Stäbchen ansichtig zu werden, fielen nicht günstig aus; nachdem ich in- dessen vielleicht ein Dutzend Halteren auf die verschiedenste Weise behandelte, kamen zu meiner Freude die gesuchten Ge- bilde zur Anschauung, Ich erzielte dies Resultat zuerst ‚an einer Haltere, die vom lebenden Thier abgeschnitten, einige Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten. 305 Minuten in'schwachem Zuckerwasser gelegen hatte und dann einem methodischen Druck ausgesetzt wurde: es quollen darauf die schönsten Stäbe hervor. Fortgesetzte Untersuchungen tha- ten dann weiter dar, dass je eine Nervenröhre, nachdem sie die Ganglienkugel hinter sich hat, in ein Anfangs schmäleres, dann kolbig verdicktes, blassgranuläres Ende ausgeht und dass innerhalb eines solchen Endbalkens je ein durch Form und Lichtbrechung sehr ausgezeichnetes Stäbchen liegt (Fig. 20b.). Die auf solche Weise ausgestatteten Nervenenden wenden sich gegen die markirte Hautstelle. Die tracheale Begleitung, welche das entsprechende Organ bei den Orthopteren und Koleopteren hat, wird hier ersetzt durch die enorm grosse Tracheenblase, welche zu beiden Seiten den Raum des Hinterleibes einnimmt und sich bis zur Wurzel der Halteren erstreckt. Als ich die specifischen Stifte von Eristalis tenar mit Si- eherheit isolirt vor mir gehabt hatte, gelang es, sie auch bei allen den oben genannten Zweiflüglern aus der Wurzel der Halteren herauszufördern, so bei Husca domestica, M. vo- mitoria, Scatophaga stercoraria. Ihre Grösse scheint in einem gewissen Verhältniss zur Grösse des Thieres zu stehen; we- nigstens waren jene der Eristalis stattlicher als die der anderen Zweiflügler, Die Musca vomitoria, welche ich am längsten, bis in den Winter hinein, immer wieder untersuchen konnte, bot mir noch die Erscheinung dar, dass die Stifte selber von zweierlei Art seien, was höchst wahrscheinlich auch bei den übrigen namhaft gemachten Dipteren der Fall ist, von mir aber dazumal, wo ich nur die Auffindung der Stifte überhaupt an- strebte, übersehen worden. In den Nervenenden der Musca vomitoria scheiden sich die Stifte nämlich (Fig. 19 bei b) in eine schlanke, längere Sorte mit spitzem Kopf und in kürzere diekere, die mit rundlichem Kopf abschliesst, und diese beider- lei Arten sind nicht etwa durch einander gemischt, sondern werden zu verschiedenen Paqueten zusammengefasst, derart, dass die schlankere Sorte zu ungefähr einem Dutzend beisammen- steht und eine wohl abgesonderte Gruppe bildet, während die diekeren in ungleich grösserer Anzahl eine andere Partie des Ganglions besetzen. Noch ist es ferner als etwas Allgemeines 306 Franz Leydig: zu bezeichnen, dass das Ganglion bei-allen genannten Fliegen von etlichem braunen Pigment umsponnen war, sowie ich auch im Hinblick auf den übrigen Inhalt der Halteren erwähnen will, dass in der rundlichen Endanschwellung derselben ausser Tracheen sich Klumpen oder Balken von Zellen finden, ‘welche einem „Fettkörper‘“ ohne Fett entsprechen. Was nun die Untersuchungen von Hicks anlangt, so: hat derselbe die Form und Lage der markirten Hautstellen an den Schwingkolben von Rhingia rostrata und anderen Dipteren ge- nau beschrieben, nur ist seine Bezeichnung „Bläschen (vesieles)“ für solehe nach innen offene Räume schwerlich passend. Unser Autor weiss, dass ein starker Nerv in die Halteren geht, doch all’ das, was ich über Endigung und specifische Elemente des Nerven mittheilte, lag ausser dem Bereich des englischen Beobachters. Er scheint auch der Meinung zu sein, dass von diesem Nerven ein Ast durch den Schaft der Halteren auf- steige, was ich ganz in Abrede stellen muss; wahrscheinlich wurde eine Art eines inneren stützenden Stranges (der bei Eristalis tenaz. von der Haut her entsteht) für einen Nerven gehalten. Hier auch noch einmal ein Wort über die Methode, die Hicks insbesondere für die Darstellung des fraglichen Organs an der Basis der Flügel in Gebrauch gezogen hat. Er behandelt die Flügel mit Terpentinspiritus und schliesst sie dann in Canadabalsam ein, nachdem sie wohl auch zuvor mit Chlor gebleicht wurden. Nach meiner Erfahrung gelingt es dadurch allerdings die Hauteanäle (die Hicks auch für die Flügel ‚‚Bläschen“ nennt) gut zur Ansicht zu bringen, aber das feinere Verhalten des Nerven wird aller sonstigen Nach- forschung entrüekt; höchstens dass man den Nerven in seinem zusammengeschrumpften, granulären Zustand überhaupt‘ noch erblickt, geschweige denn von den Elementen noch‘ etwas sehen wollen! Unser Autor zeichnet daher auf seinen Figuren, ohne eine Ahnung von der so complieirten Bildung zu‘haben, ein- fache Linien, welche die Nerven bedeuten sollen und zu den „Bläschen“ gehen. Zur Beantwortung der Frage, in wie weit die noch übrigen Ordnungen der Inseeten mit besagten Organen ausgerüstet ‘sein Ueber Geruchs- und Gebörorgane der Krebse und Insecten. 307 mögen, will ich als vorläufigen Beitrag einige Beobachtungen herzählen, die verschiedenen in Weingeist ‚aufbewahrten In- seeten entnommen wurden, Ausser den oben genannten Käfern sah ich die Hauteanäle der Subcostalvene der Hinterflügel bei Cicindela hybrida, Scarabaeus stercorarius, Lamia teztor, Sta- phylinus erylhropterus, Telephorus dispar, ') wobei ich zweierlei bemerken möchte. Erstens sind bei verschiedenen dieser Käfer z. B. bei Cicindela, Lamia die Hauteanäle unter sich sehr ver- schieden gross, so dass innerhalb eines Trupps einzelne um vieles umfänglichere stehen. Dann zweitens nicht bloss auf der Subeostalvene kommen die Canäle vor, sondern auch an anderen hinter der Subeostalvene gelegenen „Adern“ der Flügel trifft man auf vereinzelte, zu deren Sichtbarmachung allerdings der Canadabalsam ein gutes Mittel ist; ich nenne namentlich Staphylinus erythropterus, Telephorus dispar und Acilius sul- eatus, bei welchen mir solche zerstreute ‚‚Gruben“ auffielen. Die gehäuften Canäle liegen gewöhnlich der Wurzel der Sub- eostalvene zunächst, so bei Acilius eine Gruppe hart an der Basis der Flügel, eine zweite etwas weiter nach aussen; bei anderen ziehen sie sich in einen mehr oder weniger langen Streifen aus, wobei sie auch hier zuletzt sehr vereinzelt zu ste- hen kommen (Telephorus dispar, Lamia textor). Aus der Ord- nang der Hymenopteren besah ich mir eine Tenthredo und einen Ichneumon gracilicornis, welche beide nicht bloss an der Basis der Hinterflügel, sondern auch der der Vorderflügel die Gruppen der Hautcanäle zeigten. Dasselbe erkenne ich bei zwei Neuropteren, bei Aeschna grandis und einem Hemerobius; eine schwache Andeutung bei Nepa cinerea (Hemipteren). Na- türlich lege ich auf diese Befunde einen nur untergeordneten Werth, da ich es für durchaus nöthig halte, dass an frischen Inseeten durch Auffinden des Nerven und seiner specifischen Endigungsweise die Existenz des in Rede stehenden Organes immer erst festzustellen ist. Denn, obschon im Allgemeinen 1) Auch der Nerr und seine wie gefiederte Zertheilung liess sich an verschiedenen dieser Käfer mit Beihülfe der Kalilauge noch gut sehen, die Stäbchen jedoch konnte ich nicht mehr zur Ansicht bringen. 308 Franz Leydig: die Canäle durch ihre truppweise Häufung die Stelle anzeigen, wo der Gehörnerv sich entfaltet, so hat sich mir doch schon soviel ergeben, dass keineswegs zu jedem Canal ein Endzweig des Nerven gehört, sondern bei der grossen Zahl der Canäle gehen sehr viele von ihnen leer aus; auch ist in Anschlag zu bringen, dass sie auch sonst da und dort vereinzelt vorkamen, wo kein Nerv vorhanden ist, und überhaupt in eine Kategorie mit den anderen, stärkere oder schwächere Haare über sich 'tra- genden Hautcanälen gehören. Somit muss ich es noch für eine offene Frage erklären, ob nicht bloss die Wurzel der Hinter- flügel, sondern auch die Vorderflügel solche Organe einschliessen können, wie dies z. B. bei den genannten Hymenopteren, im Falle die Gruppen der Hautcanäle sichere Anzeigen davon wären, der Fall sein müsste. Bei obigen Käfern habe ich zwar, wie schon früher, in den Flügeldecken deutlich mehrere Längsnerven gesehen, welche neben den Hauptstämmen der Tracheen verlaufen, aber kein „Ohr“; das gleiche negative Resultat erhielt ich an den Vorderflügeln der Dipteren; weder bei Eristalis tenax, noch bei Husca vomitoria gewahre ich etwas von den Canälen, dem Ganglion und Nervenstäbchen, obschon auch hier unschwer zu beobachten ist, dass in die Flügel ein Nerv herein tritt. Immerhin darf man nicht aus den Augen verlieren, dass es keineswegs ohne alle Analogie wäre, wenn in der That bei manchen Arten das Organ an den‘vier Flü- geln vorkäme, denn auch die Augen sind ja bei vielen Ar- tbropoden nicht auf Ein Paar beschränkt, sondern: können in Mehrzahl vorhanden sein, ganz abgesehen von den Verhält- nissen bei tiefer stehenden Wirbellosen. Um Irrungen vorzubeugen, mag es passend sein, hier noch darauf aufmerksam zu machen, dass bei den Käfern in’ der Wurzel der häutigen Flügel, also auch um den Nerven herum, und selbst darüber hinaus, dieselben einzelligen Drüsen vor- kommen, welche ich!) aus den verschiedensten Körpergegenden beschrieben habe. Dass sie auch in den Flügeldecken zugegen seien, hatte ich bereits a. a. O. von Hydrophilus caraboides, 1), Zur Anatomie der Insecten; dieses Arch. 1859. Ueber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten. 309 Dytieus marginalis, Meloe proscarabaeus, angegeben; jetzt kann ich von Melolontha vulgaris, Lucanus cervus, Hydrophilus cara- boides, Dyticus marginalis, Scarabaeus stercorarius, Staphylinus erythropterus u. A. mittheilen, dass die Drüsen nicht bloss in den Flügeldecken vorhanden sind, sondern auch im Inneren der häutigen Flügel nieht vermisst werden. Sie können möglicher- weise zu Verwechslungen Anlass geben. Fassen wir jetzt aus vorgemeldeten Beobachtungen das Er- gebniss zusammen, so mag es so lauten. Es findet sich in der Basis der Flügel bei den Koleopteren, sowie in der Wurzel der Schwingkolben bei Dipteren ein Organ, welches dem „Ohr“ der Örthopteren in den Grundzügen vollkommen entspricht. Das- selbe besteht: 1) aus einem Nerven, der nach dem Sehnerven der diekste des Körpers ist und sich an gedachten Stellen zu einem Gan- glion entfaltet, dessen bipolare Elemente in ihrem kolbig an- geschwollenen Ende speeifische Körper (Stäbchen, Stift- chen) einschliessen. Nach meiner Ansicht können’ diese letz- teren Gebilde morphologisch mit keiner anderen Bildung ver- glichen werden, als mit den Stäben und Krystallkegeln im Auge der Arthropoden; beide sind eigenthümlichke Umwand- lungen der Nervensubstanz am peripherischen Ende des Seh- und Hörnerven. Es lässt sich sogar diese Zusammenstellung der Stäbe des Acusticus mit denen des Optieus auch bis zu Einzelheiten rechtfertigen. So berücksichtige man, dass in bei- den Fällen‘) die Endverbreitung des Nerven durch Scheiden, welche mit rundlichen Kernen versehen sind, zu einzelnen Ab- theilungen sich sondert; dann dassdasKöpfchen an den Stäben des Acustieus (z. B. Locusta viridissima), ähnlich wie die Krystall- kegel des Optieus nicht einfach abgerundet, sondern mit meh- reren regelmässigen, gewölbten Kanten versehen sich zeigt. Kurz es herrscht zwischen der peripherischen Entfaltung der beiden Nerven trotz der vielen sonstigen Verschiedenheiten dennoch im Grundplan eine unverkennbare Aehnlichkeit, und 1) Ich bitte hierzu m. Abbildungen des Arthropodenauges in dies. Archiv, 1865, Taf, XVII. zu vergleichen. 310 Franz Leydig: nach meinem Dafürhalten darf. hinwiederum diese Verwandt- schaft auf der einen und Verschiedenheit auf der anderen Seite uns auch darin bestärken, dass. besagtes Organ: der In- secten einem dem Auge an Complicirtheit der Bildung zunächst stehenden Sinne, also dem Gehörsinn diene, — Zur weiteren Ausrüstung des Gehörapparates gehört 2) eine grössere Trachee, welche dem Ganglion dicht anliegt und nicht selten in eine weite Blase anschwillt. Ganz besonders ansehnlich ist die Blase bei den obigen Zweiflüglern. Endlich 3) erscheint immer die äussere Haut (Cuticula) an der Stelle, wo das Ende des Nerven sich ausbreitet, besonders markirt. Die Acrididen z. B. zeigen hier Verdiekungen mit bienenwabenähnlichen, nach innen geöffneten Räumen, ähnliche Höhlungen die Dipteren. Bei den Koleopteren tragen die Räume deutlicher den Charakter ansehnlicher Hautcanäle an sich, die sich ganz ähnlich wie die gleichen Bildungen an den Antennen und Palpen oben und unten erweitern; das obere Ende ist nicht frei geöffnet, sondern durch eine winzige Warze geschlossen, auf der sich auch wohl (z. B. bei Melolontha vul- garis an den äusseren Canälen der ‚„‚Subeostalvene‘) ein klei- ner Dorn erhebt, bis weiterhin mit dem Auswachsen des, letz- teren zu einer stattlichen Borste auch der Canal die Bedeutung eines gewöhnlichen Cutieularcanales angenommen hat. 2. Das muthmassliche Gehörorgan der Daphniden, Die von dem feineren Bau des Acusticus \der Inseeten er- worbene Erfahrung setzt mich in den Stand, über einen von mir bei den Daphniden aufgefundenen Nerven, welcher: sich durch eine eigenartige Endverbreitung auszeichnet, eine be- stimmtere Ansicht zu äussern, als es zu der Zeit möglich war, in der ich mich mit den genannten Krebsen beschäftigte. Es kommt bei den Daphniden allgemein ein starker Nerv vor, der seitlich aus dem Gehirn entspringend, in die Höhe, steigt, um unter der Haut des Kopfes mit einem Ganglion zu enden, und die Beschaffenheit dieser terminalen Ganglienzellen macht es mir im höchsten Grade wahrscheinlich, dass unser Nery ‚den Ueber Geruchs- und Gehörorgane. der Krebse und Insecten. 311 Gehörnerven vorstellen möge. Ich erkannte zuerst bei Daphni« longispina Ldg. in dem Lager der terminalen Ganglienkugeln des gedachten Nerven eigenthümliche, meist sigmaförmig. ge- bogene Streifen von stark lichtbrechender Natur und war an- fänglich geneigt, sie für Kunstproducte zu halten. Später als ich an dem gleichen Nerven bei Sida erystallina und Lynceus lamellatus mit völliger Klarheit bestimmen konnte, dass es sich um specifische Elemente innerhalb der Endzellen handle, musste ich auch die beregten Streifen bei Daplinia longispina für na- türliehe Bildungen gelten lassen. Bezüglich der Einzelheiten erlaube ich auf meine Naturgeschichte der Daphniden, Tübin- gen 1860 zu verweisen. Indem ich mir dort die Frage stellte, ob wohl ein Gehör- organ.in dem Kreis der Sinneswerkzeuge dieser Thiere liege, hatte ich nach dem. damaligen. Stand der Kenntnisse sowohl die sog. Tastantennen, als auch den zuletzt erwähnten Nerven in Betraeht zu ziehen. Bezüglich der Tastantennen durfte kaum beanstandet werden, dass diese Organe. Sinneswerkzeuge: vor- stellen, und ieh machte insbesondere auf gewisse Analogien “ aufmerksam, die zwischen jenem Organ und dem Ohr der In- secten (Örthopteren) obwalten, fügte jedoch schon. damals: bei, dass vielleicht ein anderer Nerv durch die Art seiner Endver- breitung den „Tastantennen“ diesen Rang streitig machen könne. Dies ist nun eben derselbe Nerv, den ich jetzt, nachdem für die „geknöpften Endborsten‘ der sog. Tastantennen, wie oben auseinandergesetzt wurde, die Analoga auch an den Antennen anderer Krebse und Insecten nachgewiesen sind. und zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit als Geruchswerkzeuge erklärt werden können, für den Hörnerven der Daphniden mit mehr Be- tonung als dazumal anspreche. Und um die Gründe hierfür noch einmal auf eine Stelle zu vereinigen, so sind es folgende. Der fragliche Nery gehört zu den stärksten der vom Gehirn entspringenden Nerven; er endet an der Haut und versorgt keine Muskeln, er kann somit nur der Sensation dienen. Wel- cher? Für die gewöhnliche Gefühlsempfindung sind zugespitzte Haare bestimmt, welche Ganglienzellen sammt Nerven an ihrer Basis haben, s0 die vereinzelten zugespitzten ‚blassen Borsten, 312 Franz Leydig: „Fühlfäden“, an den Tast- und Ruderantennen; mit der Ge- ruchsempfindung darf man die „geknöpften‘“ Borsten des ersten Antennenpaares als betraut ansehen. Weil nun ein Sehorgan nicht in Frage kommen kann, so bleibt lediglich übrig, an ein Gehörorgan zu denken, und da der besagte Nerv mit dem Aecusticus der Inseeten nicht bloss das Ganglion, sondern auch speeifische, das Licht stark brechende und in ihrer Natur an die Gehörstäbchen der Insecten erinnernde Elemente besitzt, so ist vom morphologischen Standpunkt aus der von mir ein- gehaltenen Schlussfolgerung eine gewisse Richtigkeit eher zu- zugestehen als abzusprechen, Für den Fall, dass man sich etwa bei Zyneeus lamellatus daran stossen wollte, es besitze ja nicht allein der zum Kopf- schild gehendeNerv in seiner Endplatte die eigenartigen Elemente, sondern auch ein anderer Nerv, welcher das Schnabelende auf- sucht, weise dieselbe Endplatte und dieselben Körper auf, be- merke ich, dass ich darin so wenig einen gültigen Einwurf ge- gen meine Deutung erblieken würde, als wenn sich heraus- stellen sollte, dass bei den Inseceten das „Ohr‘“ in mehreren Paaren vorhanden sei. Tübingen, im Februar 1360. Erklärung der Abbildungen. Tafel VII. Fig. 1. Innere Antenne vom Pagurus (Spee.?) aus Bahia, sehr schwach vergrössert. a. Die sehr langen specifischen Organe (Geruchszapfen), nur den äusseren Arm der Antenne besetzend, Fig. 2. Zwei der schmäleren Glieder des äusseren Armes der vorigen Antenne, ungefähr 200mal vergr. ; a Gewöhnliches Haar, auf einem Hautcanal stehend. b. Modifieirter und erweiterter Hautcanal. ce. Die specifischen Organe (Geruchszapfen); einige vollstän- dig, die übrigen abgeschnitten. Fig. 3. Glied vom äusseren Aste des inneren Fühlerpaars vom Flusskrebs (Astacus fluviatilis), ungefähr 300mal vergr. a. Gewöhnliches Haar. Weber Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insecten. 313 b. Modificirter stärkerer Hautcanal, den „Gruben“ an den Antennen der Insecten eutsprechend; die dichte Punk- tirung auf der übrigen Hautfläche stellt die Mündungen der feinen Porencanäle dar. e. Zwei Büschel der specifischen cylinderförmigen Organe (Geruchszapfen). Fig. 4. Endglieder eines der kürzeren Fühlhörner von der Was- serassel (Asellus aquaticus), ungefähr 600mal vergr. a. Gewöhnliche (nicht mit Nerven zusammenhängende) Haare. b. Tastborste (mit Nerven an der Basis). c. Specifische Cylinder (Geruchszapfen). d. Nerven. Fig. 5. Zwei Antennenglieder von Lithobius forficatus, 300 mal a. Speeifische Cylinder (Geruchszapfen). Fig. 6. Ende eines Fühlers von Iulus terrestris, ungefähr 600mal vergr. - a. Vier specifische Organe (Geruchszapfen) an der Spitze; dahinter am folgenden Glied unterscheidet man auch noch ausser den Haaren mehrere verwandte Cylinder. Tafel VIII. Fig. 7. Endspitze eines Fühlers von Formica rufa, 300mal vergr. Man sieht am Rande ausser den Elementen des Haarbesatzes noch die stärkeren, in Abständen stehenden Cylinder (Geruchszapfen); auf der helleren Fläche des Fühlers machen sich Gruben bemerklich. Fig. 8. Von der Antenne einer Schlupfwespe (Ophion ventricosus), 300mal vergr. Zwischen den Borsten mit ihren Hautcanälen fallen die grossen, eigenthümlich ausgebildeten Gruben in die Augen, Fig. 9. Von der Antenne der Musca vomitoria, 600mal vergr. a. Stück der Cutieula mit den Borsten und den Gruben. b. Drei der grossen taschenförmigen Eintiefungen in verschie- dener Einstellung und Lage; die am meisten rechts ge- legene kehrt das blinde Ende nach oben, Fig. 10. Antennenlamelle des Maikäfers (Melolontha vulgaris), 600 mal vergr. Die sechs unteren Gruben von der Fläche gesehen, die sechs oberen von der Seite; schräge Beleuchtung, a. Rand der Grube. b. Innerer Ringwall. €. Lichtung des Hautcanales. d. Hauteanal nach der Länge geschen. e. Dornen, welche in Gruben wurzeln. Fig. 11, Von den Antennen des Acilius sulcatus, 600mal vergr. Präparat in Canadabalsam. Beichert's u, du Bols-Reymond's Archiv. 1860. 21 314 Franz Leydig: Ueber Geruchs- und Gehörorgane u. s: w. a. Cuticula, b. Matrix der Cuticula. Man übersieht deutlich, wie sich die Gruben, die Hautcanäle und die in ihnen wurzelnden Dornen zu einander verhalten, Fig. 12. Antenne der Catocala nupla, 300mal vergr. a. Die eylindrischen Organe (Geruchszapfen). b. Schuppen. Fig. 13. Fühlerkolben eines Tagfalters (Argynnis aglaia), der Länge nach geöffnet, bei auffallendem Licht und ungefähr 80 mal vergr. a. Die continuirliche Lage anorganischer Substänz unter der Haut. Tafel IX. Fig. 14. Endglied der Antenne von der Larve (Engerling) der Melolontha vulgaris, 300 mal vergr. a. Nerven. b. Tracheen. e. Gruben mit innerem Ringwall. d. Helle Felder, an welehen die Nerven enden. e. Kegel, zu denen ebenfalls Nerven gehen. Fig. 15. Endglied einer Palpe von Acilius sulcatus, Vergr. 300. Fig. 16. Endspitze einer Palpe von Staphylinus erythropterus, Vergr. 600. a. Die zu den Kegeln gehenden Nerven. Fig. 17. Sogenannte Subcostalvene der Hinterflügel vom Maikäfer (Melolontha vulgaris), Vergr, ungefähr. 160, a. Blutraum, b. Nerv. e. Trachee. d. Hautcanäle, von oben gesehen. Fig. 18. Hautstück der „Subcostalvene“, sowie Nerv und Tra- chee derselben im isolirten Zustande von Dytieus marginalis, Vergr. 300. a. Canäle der Haut, b. Gangliöse Entfaltung des Nerven, sammt den eigenthüm- lichen (Gehör-) Stäbchen. Fig. 19... Schwingkolben und Nerv desselben von Musca vomiloria, Vergr. 600. aa. Markirte Hautstellen der Haltere. b. Ganglion des Nerven mit zwei Arten von (Gehör-) Stäbchen, Fig. 20. Endstück vom Halterennerven der Eristalis tenaz, Vergr. 600. _ a. Nervenfasern mit bipolaren. Ganglienkugeln. b. Gehör-Stäbchen, ©. Outicula im senkrechten Schnitt, W. Kühne: Ueber die chemische Reizung der Muskeln u.s.w. 315 Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven und ihre Bedeutung für die Irritabilitäts- frage. Von Dr. W. Künne. Seit: dem Erscheinen meiner Untersuchungen über .directe und indirecte Muskelreizung mittelst chemischer Agentien, aus denen ich eine Anregung zum Studium der ‚Irritabilitätsfrage entnahm, sind über denselben Gegenstand neue Angaben ver- öffentlicht, welche in dem thatsächlichen Theile den meinigen widersprechen. Hauptsächlich wird der von mir aufgestellte Satz bestritten, dass Muskel und Nery sich zu denselben che- mischen Reizen verschieden verhalten. Die Herren Wundt und Schelske (Verhandlungen des naturhist,-mediein. Vereins zu Heidelberg. Ueber die chemischen Muskelreize. Von Dr. Schelske)!) suchen zu dem Ende nachzuweisen, dass erstens meine Behauptung nicht richtig sei, dass einzelne Lösungen nur in concentrirtem Zustande erregend auf die Nerven wir- ken, während sie selbst in äusserster Verdünnung vom Muskel- querschnitt noch Zuckungen, hervorrufen, und dass zweitens kein chemischer Körper existire, der nicht entweder gleichzeitig ein Reiz für beide Organe sei, oder den Nerven sowohl als den Muskel ganz unerregt lasse. Ich werde mich bemühen, diese Widersprüche so viel als möglich zu lösen, wo mir dies nieht möglich ist, vermag, ich nichts Besseres zu thun, als die Physiologen, welche diesem Gebiete näher stehen, einzuladen, diese Versuche entweder selbst zu wiederholen, oder sie sich bei mir anzusehen, indem ich jeder Zeit mit Vergnügen bereit bin, Alles ad oculos zu wie- derholen. 1) 8. oben 8, 268. 21* 316 W. Kühne: 1. Die Wirkung der Salzsäure., Der erste Versuch, wel- chen ich angeführt zum Belege für meine erste Behauptung, besteht darin, dass ich einen Nerven in sehr verdünnte Salz- säure eintauchte, und hierbei keine Zuckungen in den Muskeln eintreten sah. Dieselbe Säure bewirkte aber nach der flüch- tigsten Berührung mit dem Muskelquerschnitt bei directer Rei- zung eine kräftige Zuckung. Die Herren Wundt und Schelske scheinen die Richtig- keit dieses Versuchs zuzugeben, sie behaupten aber, dass die Salzsäure in grosser Verdünnung auch auf den Nerven erre- gend wirke, wenn man sie vorher mit Muskelstückehen dige- rirt habe. Unglücklicher Weise fehlt dieser Angabe Alles, was nöthig ist, um sie controlirbar zu machen, denn es ist nicht nur nicht angegeben, wie verdünnt die Salzsäure gewesen sei, sondern zweitens auch nicht, wie lange die Digestion mit der Muskelsubstanz fortgesetzt werden müsse, um eine wirksame Lösung zu erhalten. Diesem Umstande muss ich es zuschrei- ben, dass es mir unmöglich war, den Versuch zu bestätigen. Ich nahm Salzsäure von 5 bis 1 pro Mille, digerirte sie mit klein geschnittenen frischen Froschmuskeln 1—24 Stunden lang, filtrirte, und tauchte den Nerven höchst erregbarer Nervmus- kelpräparate hinein. Niemals sah ich hiernach Zuckungen ein- treten, der Nerv starb in dem Gebräu allmählig ab, ohne je in den erregten Zustand zu gerathen. Zu allen Versuchen wurde eine Mischung von 1 Theil Muskeln und 10 Theilen Säure benutzt. Temperatur 15° C. Ebenso erfolglos waren zahlreiche andere Versuche, bei welchen die grössten Va- riationen in der relativen Menge der Säure und der Fleisch- stückchen vorgenommen wurden. Ich kann nicht annehmen, dass irgend eine grobe Täuschung der Behauptung der Herren Wundt und Schelske zu Grunde liege, sondern ich muss die Erfolglosigkeit meiner Bemühungen lediglich ihrer unvollkommenen Mittheilung der Thatsache Schuld geben, und ich sehe deshalb ganz von der Richtigkeit ihrer Beobachtung ab. Soll der Versuch aber irgend einen Sinn haben, so muss er darthun, dass bei der directen Reizung der Muskeln mit verdünnter Salzsäure, eine Lösung. entstehe, Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 317 welehe nicht die contraetile Substanz, sondern die intramuseu= laren Nerven errege. Für Jeden, der die momentane Zuckung eines Sartorius nach der flüchtigsten Berührung 'seines Quer- schnitts mit 1000fach verdünnter Salzsäure einmal gesehen, wird diese Auslegung gewiss wenig Einladendes haben, denn wie soll man sich denken, dass im Augenblicke der Berührung eines minimalen Theiles der Muskelmasse mit dem Spiegel der Flüs- sigkeit eine neue Lösung zu Stande komme, die ihrerseits erst befähigt wäre, erregend auf die intramusceularen Nerven zu wirken. Lässt man ferner die Irritabilitätsfrage der Muskeln gänzlich aus dem Spiele, so kommt man mit den Herren Wundtund Schelske auf die nicht minder ungereimte .Vor- stellung, dass also die erregende Flüssigkeit ‚als solche gar nicht auf den Muskel wirke, sondern erst, nachdem sie'mit der eontraetilen Substanz eine zweite, verschiedene, und nunmehr erst wirksame Mischung eingegangen sei. Wenn man sich be- müht die Dinge möglichst schief anzusehen, so könnte man wohl auf derartige Ideen kommen, in dem Falle, dass der Mus- kel erst nach längerer Berührung mit der verdünnten Säure zuckte. Die Thatsache ist aber, wie gesagt, anders. Der Mus- kel zuekt augenblicklich, so wie sein Querschnitt von der Säure benetzt wird. Von neuem muss ich darum wieder betonen, dass Salzsäure nur in concentrirtem Zustande ein Nervenreiz ist, während sie noch in 1000facher Verdünnung erregend auf den Muskel wirkt. Verdünnte Salzsäure mit Muskelsubstanz digerirt ist ein ganz anderer Körper, oder welcher Chemiker würde sich erlauben, eine Syntoninlösung für Salzsäure zu erklären? Ausser der eben erwähnten Angabe über die physiologische Wirkung der Salzsäure führen die Herren Wundt und Schelske noch eine Anzahl anderer Säuren auf. Bei keiner bemerken sie etwas über die Concentration, denn nur bei der Salpetersäure und der Chromsäure reden sie von einem: eoncentrirten und verdünnten Zustande, woraus allein man keine Andeutung über den wahren Procentgehalt entnehmen kann: Um 80 mehr fühle jeh mich verpflichtet, meine Versuche in dieser Richtung weiter auszudehnen, als es bisher geschehen, zugleich in der Ueber- 318 | W. Kühne; zeugung, dass es endlich Zeit sein dürfte, den chemischen Reiz- versuchen ihren Platz in der Physiologie einzuräumen. 2. Salpetersäure. Nach den Versuchen von Eckhard und meinen früheren Beobachtungen wirkt diese Säure nicht in grosser Verdünnung auf den Nerven, Mit einiger. Sicher- heit erhält man nur Zuckungen, wenn der Nerv. des stromprü- fenden Froschschenkels in eine Säure von 15pOt. eingetaucht wird. Ich habe mich jedoch neuerdings überzeugt, dass es an hinreichend erregbaren Präparaten. (im Winter) auch mit Sal- petersäure von 10—7 und sogar 6 und 5pCt. gelingt, vom Querschnitt des Nerven’ aus, namentlich nach längerer Berüh- rung, Zuckungen hervorzubringen. Die bis auf 4pÜOt. ver- dünnte Säure erwies sich für alle Theile des Ischiadieus un- wirksam. Der Versuch wurde an vier verschiedenen Fröschen wiederholt, also an 8 Präparaten, von denen 6 auf’den Reiz des eigenen Nervenstromes zuekten. Viel weniger gelingt es mit noch verdünnteren Säuren Contractionen hervorzurufen, Ausnahmslos aber zuckt jeder Sartorius vom Frosch bei Be- rührung seines Querschnitts mit NO® von 0,5pCt., und auch mit NO® von 0,2pCt. bleibt die Zuckung fast nie aus. In der Angabe der Herren Wundt und Schelske, dass NO> in grosser Verdünnung sowohl auf den Nerven als auf den Muskel: wirke, ist also die Hauptsache — die Differenz von 50 und 2 pro Mille — übersehen. 3. Chromsäure, Neuere Beobachtungen über die Wir- kung der Chromsäure haben mir gezeigt, dass es entgegen meiner früheren Angabe, welche sich nur auf eine kleine Zahl von Versuchen stützte, nicht selten gelingt, durch Eintauchen des Nerven in Chromsäure Zuckungen in den dazu gehörigen Muskeln: zu bewirken. Die äusserste Grenze der Verdünnung scheint bei 5 pCt. zu liegen, mit verdünnteren Lösungen ver- mochte ich keine Zuckungen vom Nerven aus hervorzurufen. Vom ‚ Muskelquerschnitt aus entsteht ausnahmslos Zuckung, durch Cr 0° von 0 ‚5öpCt.. Verdünntere Lösungen wirken nicht mehr. Bei der Reizung vom Nerven aus stirbt der. Nery, na- mentlich in eoncentrirten Lösungen, zuweilen rasch ‚ab, ohne we Zuckung. Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 319 4. Essigsäure. An der Luft zerflossene 'krystallisirte Essigsäure erzeugte bei Berührung mit dem Querschnitt des Nerven in der Regel eine schwache Zuckung. Dasselbe wurde auch in einzelnen Fällen beobachtet mit 1 Th. der festen Säure und 1 Th. Wasser. Die stärker verdünnte Säure wirkte aber nie erregend auf den Nerven, obwohl derselbe sehr rasch darin abstarb. Vom Muskelquerschnitt aus erzeugt die Säure in allen Cöncentrationsgraden bis zu einem Gehalte von 6pCt. ausnahms- los Zuekung. Essigsäure von 5pCt. wirkt nicht immer sicher, jedoch zuckt der Muskel stark, wenn sein Querschnitt den Dämpfen der concentrirten Säure ausgesetzt wird. Die Zuckungen vom Nerven aus haben die Herren Wundt und Schelske nicht gesehen. Vielleicht waren dieselben zu schwach, so dass sie sie deshalb übersahen, oder auch ihre Säure war nicht eoncentrirt genug. Die Zuckung vom Muskel aus nennen die Herren Wundt und Schelske keine Zuckung, sondern eine nachhaltige Runzelung. Am Sartorius’ gehen dieser nachhaltigen Runzelung, bei vorsiehtiger Berührung mit den Dämpfen der Essigsäure stets einzelne stossende Zuekun- gen vorauf. Dafür, dass die Herren Wundt und Schelske die Zuekungen nach Berührung des Muskelquerschnitts mit‘ ver- dünnter Essigsäure nicht gesehen, steht mir im Augenblicke keine Erklärung zu Gebote. 5. Oxalsäure. Wie ich schon früher angegeben, wirkt diese Säure von allen am wenigsten sicher, Es bedurfte darum einer sehr grossen Versuchsreihe, um den Procentgehalt der Lösungen annähernd zu bestimmen, welehe erregend auf Nerv und Muskel wirken. Aus diesem Grunde sind die folgenden Angaben nicht als ganz genau zu betrachten. Die Zuckungen vom Nerven aus sah ich nur eintreten bei Lösungen, welche über 10pCt. der Säure enthielten, wogegen Zuckungen vom Muskel- querschnitt aus gesehen wurden beim Benetzen mit wässrigen Lösungen von 0,5 und 0,4pCt. 6. Weinsäure bewirkt regelmässig Zuckung vom ‘Nerven aus in Lösungen, die nicht verdünnter sind als 20pCt., aber auch Lösungen von 10pCt, können mitunter vom Neryenquer- schnitt aus erregend wirken. Verdünntere Lösungen sind ganz 320 . W. Kühne: unwirksam und wirken nur noch. bei .directer, Muskelreizung, so von 10pCt,—5pCt. ab bis 1pCt. — Bei 0,5pCt. ist der Er- folg. unsicher. 7. Milchsäure. Meinen früheren Angaben über die Wir- kung dieser Säure habe ich nichts Neues hinzuzufügen, da in der jüngsten Zeit angestellte Versuche die schon publicirten Resultate nur bestätigt haben. Wenn die Herren Wundt und Schelske angeben, dass die Milchsäure sowohl vom Nerven als vom Muskel aus Zuckungen errege, so gilt dies nur für einen ganz bestimmten Concentrationsgrad, da, wie ich gezeigt, die ganz concentrirte Säure nur bei indirecter, nicht bei di- recter Reizung wirkt, während umgekehrt die mit dem gleichen Volum Wasser verdünnte Säure nur vom Muskelquerschnitt, nicht vom Nerven aus Contractionen hervorruft. 8. Gerbsäure wirkt nach den Herren Wundt und Schelske nicht erregend, weder auf den Nerven noch auf den Muskel. Die Beobachtung ist vollkommen richtig und ich kann sie nach vielen Versuchen für alle Concentrationsgrade der wässrigen Lösung bestätigen. ') Alle neueren Beobachtungen haben nach dem Vorhergehen- den also bestätigt, dass die Säuren nur in concentrirtem Zu- stande von den motorischen Nerven aus wirken, während sie in verdünntem Zustande unwirksam sind, wo sie als sehr ener- gische direete Muskelreize betrachtet werden müssen. Den Werth der Einwendungen der Herren Wundt und Schelske mag darum Jeder selbst ermessen, der den Gegenstand aus eigener Anschauung kennt. In Bezug auf die Wirkung der Alkalien scheinen die Herren Wundt und Schelske mit mir übereinzustimmen, obwohl sie auch hier keine genaueren Beobachtungen über den Concentra- tionsgrad angestellt zu haben scheinen. Das Letztere ist übri- gens für die Wirkung des Kali’s und des Natrons minder wichtig, als bei den Säuren, da hier Nerv und Muskel, wie ich schon früher angegeben, sich gleich verhalten. Ganz anders x 1) Nach längerem Eintauchen des ganzen Sartorius entstehen je- doch schwache Zuckungen. Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 321 äussern sie sich jedoch über die Wirkung des Ammoniaks. Sie behaupten, bei kurzer Annäherung seiner Dämpfe wirke das- selbe weder auf den Nerven noch auf den Muskel, sobald aber der Nery auszutrocknen beginne, solle es Zuckungen hervor- rufen, bei direeter Berührung mit dem Muskel hingegen nur eine nachhaltige Runzelung erzeugen, eine Eigenthümlichkeit, welche die contractile Substanz. mit der Haut und dem Binde- gewebe theile. Im Widerspruche mit diesen Aeusserungen, noch mehr aber auch im Widerspruche mit meinen Augaben über die Wirkung des Ammoniaks, behauptet ferner Funke,!) dass dieser Körper ebensowohl ein Reiz für den Nerven sei, wie für den Muskel. Da Funke seine Beobachtungen zum Gegenstande eines längeren Vortrags in der Königl. sächs. Ge- sellschaft der Wissenschaften gemacht, und bei dieser Gelegen- heit gleich im Voraus eine lebhafte Protestation gegen meine Begründung der Irritabilitätslehre erlassen hat, so wird man es nicht unbillig finden, wenn ich hier ausführlicher auf die Ver- suche mit dem Ammoniak zurückkomme. Funke bedient sich des folgenden Verfahrens, um Zuekun- gen mit dem Ammoniak vom Nerven aus zur Anschauung zu bringen. Er befestigt den stromprüfenden Froschschenkel an den Zehen, so dass der Unterschenkel nach zweimaliger recht- winkliger Biegung im Fuss senkrecht herabhängt. Wenn man oun den mit einem Querschnitt versehenen Nerven in Ammo- niakflüssigkeit eintaucht, so soll bei erregbaren Präparaten eine rasche Zuckung erfolgen und hierauf soll der Schenkel nach dem Eintauchen einer längeren Nervenstrecke, durch tetanische Contraetion langsam aus der senkrechten Lage in eine andere Stellung gerathen, wobei er sich unter einem Winkel von 20 bis 40° aufrichtet. Ebenso langsam soll der Schenkel nachher wieder zur senkrechten Lage zurückkehren. Die Erklärung, welehe ich dieser Wirkung des Ammoniaks vom Nerven aus zu geben versucht, indem ich annahm, dass die Dämpfe des Ammoniaks direct auf die Muskeln der ) ate gewirkt 1) O. Funke, Berichte der math. phys. Classe der Gesellsch. d. Wissenschaften, 1859. 1: 322 W. Kühne: hätten, verwirft Funke, erstens weil’er denselben Erfolg’ er- hielt, wenn er die Ammoniakdämpfe von dem Schenkel! ganz absperrte, und zweitens weil die Aufriehtung des Schenkels nicht eintrat, wenn er die Dämpfe direct auf das Präparat ein- wirken liess, ohne den Nerven in die Flüssigkeit einzutauchen. Im Gegensatze hierzu habe ich in meiner ersten Mittheilung die Angabe Eckhard’s bestätigt, dass das Ammoniak nicht erregend auf den Nerven wirke, und da ich gleichzeitig den ausserordentlichen Einfluss des dampfförmigen Ammoniaks auf den Muskel bei direeter Reizung kennen lernte, so war ich vollkommen im Rechte, wenn ich die früheren Resultate Hum- boldt’s auf diesen Umstand zurückzuführen suchte. Man ersieht aus Humboldt’s Untersuchungen leider nieht genau, mit welchen Präparaten er experimentirte, es ist aber 'sehr wahrscheinlich, dass er sich des zu jener Zeit üblichen galva- nischen Präparats bediente, für welches die von mir versuchte Erklärungsweise, wie mir eigens dazu angestellte Versuche lehrten, allerdings sehr plausibel erscheint. Wenn Funke neuerdings versichert, dass seine früheren Versuche ausschliess- lich am Unterschenkel mit dem daran hängenden Nerven an- gestellt worden seien, so wird er doch damit auch nicht läugnen können, dass er früher wenigstens die Muskeln nicht vor der Einwirkung des flüchtigen Ammoniaks geschützt habe, und insofern passt‘ meine Deutung seiner Versuche immer noch. Im Augenblicke jedoch handelt es sich hierum nicht mehr, denn Funke behauptet jetzt, dass die Contractionen doch ein- treten, wenn auch keine Ammoniakdämpfe an die Muskeln ge- langten. Ich muss gestehen, dass ich bei der Beschreibung, welche Funke giebt, recht lebhaft an das Bild erinnert wurde, das mir nach seiner Methode befestigte Präparate bei directer Reizung mit Ammoniak oft geboten hatten. Obgleich mir durch die vielfache Wiederholung und Demonstrirung meiner Ver- suche die Vorthei eile jener Lage des Froschschenkels aueh frü- her nicht e sind, so halte ich mich doch für verpflich- Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 323 . Wie ich schon früher angegeben, ist die direete Berührung der Ammoniakdämpfe mit den grossen Muskeln des Unter- schenkels wegen ihrer dieken Aponeurosen weniger zu fürch- ten, so dass man die Unwirksamkeit des Ammoniaks beim Ein- tauchen des Nerven auch allenfalls ohne weitere Vorsicht an dem stromprüfenden Schenkel zeigen könnte. Auch hierauf muss ich noch heute beharren, denn es dürfte schwer sein, eine Zuckung in dem abgeschnittenen Unterschenkel oder in dem isolirten Gastroknemius zu erkennen, wenn man auch ohne alle Vorsicht den Sehenkelnerven einfach in NH3 taucht. Wird der Schenkel aber mit den Zehen in der von Funke angegebenen Weise aufgehängt, so wird man eine Bewegung dureh directe Einwirkung der Dämpfe viel eher bemerken, weil die zarten und nur mit sehr dünnem Bindegewebe über- zogenen Muskeln des Fusses allein schon einen bemerkenswer- then Einfluss auf die Lage des hängenden Unterschenkels aus- üben, wovon man sich durch direetes schwaches elektrisches Tetanisiren des Fusses sehr leicht überzeugen kann, Wenn Funke aber behauptet, dass ein solches Präparat „constant“ beim Eintauchen des Nerven in Ammoniak den von ihm be- schriebenen Tetanus zeige, so muss ich ihm trotzdem und alle- dem widersprechen. Die Erscheinung, tritt: bisweilen ein, durchaus aber nicht immer, und zwar tritt sie eben so leicht ein, wenn der Nerv im Knie abgeschnitten ist, am: besten, wenn das Gefäss mit Ammoniak längere Zeit unter dem Prä- parat stehen bleibt, oder wenn man einen damit benetzten Schwamm nahe an die Fussmuseulatur hält. Ich glaube aus der Darstellung der Funke’schen Versuche entnehmen zu dürfen, dass er trotz meiner Warnung vor der Flüchtigkeit des Ammoniaks dennoch die Versuche in nicht unbeträchtlicher An- zahl ohne Absperrung der Muskeln vor den Dämpfen anstellte, Ich vermuthe, dass dies in mehreren seiner Versuche darin 394 W. Kühne: seinen Grund hatte, dass er den Nerven auf die Aussenseite des Glases leitete, wo er denselben fest anklebte, Wie Funke selbst zugesteht, ist die Kraftentwicklung bei diesem Tetanus ausserordentlich gering, und ich selbst kann hinzufü- gen, dass die Aufrichtung des Schenkels durch Ankleben des Nerven an einen festen Körper leicht zu verhindern ist. Es lohnt sich kaum der Mühe, bei diesen Versuchen länger stehen zu bleiben, da es hier auf eine durchaus exacte Form derselben ankommt, ohne welche eine bündige Aufklärung ganz unmöglich ist. Ich gehe deshalb sogleich zu den Versuchen über, die mit der Vorsicht angestellt werden, dass keine Am- moniakdämpfe die contraetile Substanz, den Muskel selbst er- reichen konnten. Funke giebt an, dass die Erscheinung in diesem Falle ganz dieselbe sei, und überlässt es dem Leser, bei der Kürze seiner Angaben auf guten Glauben anzunehmen, dass er die Muskeln wirklich absolut geschützt habe. Ich nehme mir die Freiheit dies nicht zu glauben, und zwar nur deshalb nicht, weil Funke gar kein Kriterium angegeben, durch welches er sich davon überzeugte. Da wir nicht wissen, ob er selbst hierüber vollkommen gewiss war, wie viel weni- ger wird er beanspruchen können, dass wir uns mit seiner An- gabe beruhigen, um so weniger, als er nicht einmal hinzufügt, wie er es denn eigentlich angefangen, den Nerven allein mit dem Ammoniak in Berührung zu bringen. Niemand, der dem Gange der streitigen Frage gefolgt ist, kann bezweifeln, dass hierin das einzig Entscheidende liegt, dass alle anderen Argumente diesem Umstande gegenüber fast ohne alle Bedeutung sind. Und hier gerade beginnt Funke wortkarg zu werden! Meine Versuche sind in folgender Weise ausgeführt, Der stromprüfende Froschschenkel befand sich innerhalb einer ge- räumigen Glasglocke, welche mittelst ihres mit Fett bestriche- nen Randes tuftdicht auf eine mattgeschliffene Glastafel aufge- setzt werden konnt Die Glastafel war in zwei Hälften ge- schieden, w' - lurch ihre ebenfalls mit Fett bestrichenen Ränder ‚an einander geschoben werden konnten. Zum Durchtritt des Nerven waren ferner die Ränder der Glasplatten Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 325 An zwei. einander entsprechenden Stellen mit einem kleinen halbkreisförmigen Ausschnitt versehen. Vor Anstellung des Versuchs wurde die hierdurch beim Aneinanderschieben der Glasplatten gebildete kreisförmige Oeffnung fest mit Schweine- schmalz verschlossen, dann die Platten sanft aus einander ge- zogen und un der Nerv mit Vorsicht in den einen Ausschnitt hineingedrückt. Durch ‚Anschieben der anderen Platte gelang es dann leicht, ohne Beschädigung des Nerven den musculösen Theil des Präparats in einen vollkommen getrennten Raum von dem. übrigen centralen Nervenende zu versetzen. Der Schenkel selbst wurde mit Hülfe eines die Klemmpincette tra- genden Statives in der von Funke angegebenen Weise auf- gehängt, und zwar in einer solchen Höhe, ‚dass der in der Glasglocke zugleich befindliche Theil des Nerven nicht gespannt wurde, so dass keine Behinderung der‘ Bewegung eintreten konnte, Um ‘jede etwaige Lagenveränderung des Schenkels genau beobachten zu können, stiess ich ferner durch: die seh- nigen Massen des Kniegelenks eine lange Insectennadel, deren Spitze bei jeder Bewegung des Schenkels vor einer Millimeter- theilung frei auf- und niederstieg. Mit Hülfe dieser Vorrich- tung, gelang. es mir nun vollständig, den Schenkel: vor jeder Berührung mit den Ammoniakdämpfen zu bewahren, wovon ich mich durch einen an demselben Stativ so dicht als möglich neben dem Präparat angekitteten und in Salzsäure getauchten Glasstab überzeugte. Ausserdem überzeugte ich mich, dass die Erregbarkeit des Nerven durch die Umgebung mit Fett an der Stelle seines Durchtritts zwischen den Glasplatten nicht abge- nommen hatte. Dasselbe Minimum der elektrischen. Reizung, das vor dem Zusammenschieben der Glasplatten zur Erzeugung von Zuckungen genügte, reichte auch 'hinterher. noch ‚aus, und ebenso traten regelmässig Zuckungen im Schenkel ein, wenn ich irgend einen erregend wirkenden chemischen Körper, Kali, NO», NaCl oder concentrirtes Glycerin auf den draussen be- findlichen Nerven einwirken liess. Der ganze Apparat ruhte auf einem gewöhnlichen Dreifusse, in dessen der Nerv senkrecht‘ ‚herabhing.. .. Ich habe den Ner nun den Dümpfen ‚des Ammoniaks; ausgesetzt, ibn mit seinem Quer- 326 W. Kühne: schnitte allein, oder auch in grösserer Ausdehnung rasch und langsam in verdünntes und ganz concentrirtes NH? eingetaucht, aber niemals danach eine Zuekung, noch weniger Tetanus in dem Schenkel eintreten sehen. Die Nadel blieb in allen Versuchen ruhig auf dem Punkte der Scala stehen, wo sie sich vor der Behandlung des Nerven mit dem Mittel befand. Kurz das Ammoniak ruft, wenn es auf den Nerven allein wirkt, keine Zuckung und überhaupt keine Muskelcontraetionen hervor. Alle diese Versuche wurden so lange fortgesetzt, bis der direet behandelte Theil des Nerven seine Erregbarkeit für mechanische und elektrische Reize völlig eingebüsst hatte. Ich bin bereit, diesen Versuch an jedem beliebigen Frosche Jedermann zu zeigen! Wenn es nach diesen, wie mir scheint, vorwurfsfreien Ver- suchen überhaupt nicht mehr zu bezweifeln ist, dass das Am- moniak für den normalen Nerven kein Reiz ist, wobei ich zum Ueberfluss noch hinzufügen kann, dassauch der undurchschnit- tene Nerv, der mit dem Rückenmarke noch zusammenhängt, sich darin nicht anders verhält, so entsteht nun eine andere Frage, ob es überhaupt Veränderungen in dem Nerven gebe, welche ihn befähigen, durch Berührung mit NH? in den erreg- ten Zustand überzugehen. Die Herren Wundt und Schelske behaupten, dass der Nerv durch Vertrocknen in einen solchen Zustand verfalle, Auch hierüber habe ich eine grössere Reihe von Versuchen angestellt, welche mich indessen zu einem ganz anderen Re- sultat geführt haben. Ich hing je zwei Nervmuskelpräparate von demselben Frosche in der soeben geschilderten Weise unter Glasglocken auf, benetzte die Wände der letzteren inwendig gehörig mit Wasser und liess die Nerven allein in die freie Luft hervorragen, so dass sie der allmähligen Austrocknung unterlagen. In der Regel stellten sich hierauf ziemlich gleich- zeitig in beiden Schenkeln nach 5— 10 Minuten schwache Zuckungen ein, die allmählig in immer heftigere Convulsionen übergingen. In manchen Fällen sah ich aber auch die Zuckun- gen ausbleiben, und hier konnte ich dann sehr schön’ die’ Be- obachtungen von Harless bestätigen, dass oft der allerge- Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 327 ringste mechanische Reiz, das Berühren mit einer Nadel, oder auch nur eine Erschütterung des Tisches genügte, um die eigen- thümlichen Convulsionen hervorzurufen. Viele derartige Ver- suche Su mich, dass zwei Präparate von. demselben Frosche, ı e auf demselben Tische neben einander standen, sich hinsichtlich der genannten Erscheinungen fast gleich ver- hielten. Ich wartete nun ab, bis in einem der Präparate die ersten Spuren der Zuckung auftraten, und näherte dann plötz- lich dem Nerven des zweiten Schenkels ein Gefäss mit Am- moniak, welches ich so darunter setzte, dass nicht die Flüssig- keit, sondern nur die Dämpfe‘in dauernder Berührung mit dem Nerven blieben. Ausnahmslos blieben die Bewegungen in die- sem Präparate ganz aus, während das andere in immer stär- kere Zuckungen verfiel. Wurde später auch jener Nerv mit NB?-Dämpfen behandelt, so hörten die Zuckungen fast augen- blieklich auf. Nieht anders fielen die Versuche ans, wenn die Nerven gleich in die gesättigte Ammoniakflüssigkeit selbst ein- getaucht wurden, nicht anders, wenn ich sie in die beliebig verdünnte Lösung senkte. Ich habe ferner dieselben. Versuche angestellt, als mir der Zufall solche Präparate zuführte, in denen die Zuckungen erst durch einen bestimmbaren äusseren Einfluss erfolgten, und habe auch an diesen nur gesehen, dass NH? die Nerven rasch vernichtet, ohne Contraetionen hervor- zurufen. Demnach kann ich nur annehmen, dass die Herren Wundt und Schelske diejenigen Zuckungen, welche durch das Vertrocknen des Nerven an und für sich entstehen, für eine durch das NH? bedingte Erschei- nung genommen haben. Höchst wahrscheinlich berubt ihre Angabe auf diesem Irrthum, denn sie erwähnen nichts, woraus sich entnehmen liesse, wie sie sich gegen diesen Einwand zu schützen suchten, der bei diesen Versuchen doch als die ge- fährlichste Klippe. zu. allererst berücksichtigt. werden ‚muss, Die Bemerkung von Harless, dass das NH? fast augenblick- lich die durch Austrocknen des Nerven einmal eingeleiteten Bewegungen aufhebt, findet in dem Mitgetheilten ihre Bestäti- gung. — Die Herren Wundt und Schelske haben hingegen ganz richtig ‚beobachtet, dass die Zuckungen. wiederkehreu, 328 W. Kühne: wenn man den Nerven auch nach der Berührung mit den NH? . Dämpfen wieder befeuchtet, und ihn dann von neuem aus- trocknen lässt. Hieraus geht zugleich hervor, dass die Dämpfe des NH? bei nicht zu langer Einwirkung keine völlige Zerstö- rung des Nerven herbeiführen. Die Hemmung der Bewegung muss darum anders gedeutet werden, als durch das bisher ver- muthete rasche Absterben des Nerven. Vielleicht liegt hierin zugleich der Schlüssel zur Erklärung der auffallenden Unwirk- samkeit des Ammoniaks als Nervenreiz. Beim allmähligen Vertrocknen des Nerven an der Luft geht derselbe, wie gezeigt, nicht in einen Zustand über, in welchem er für NH# erregbar wird. Es schien mir von Interesse, auch andere Zustände des Nerven hierauf zu prüfen, und ich be- diente mich zu dem Ende zunächst der Steigerung der Erreg- barkeit an der negativen Elektrode des elektrotonischen Ner- ven. Der Nerv des stromprüfenden Froschschenkels wurde wie immer durch die Glasplatten gezogen, und nach dem Vor- gange Pflüger’s über zwei unpolarisirbare Elektroden einer constanten Kette gelegt. Den Strom wählte ich zuerst abstei- gend, constatirte mittelst einer zweiten Kette und des Rheo- chords die Erhöhung der Erregbarkeit auf der myopolaren Strecke und tauchte dann eine dicht an der negativen Elektrode geformte Sehlinge des Nerven in ganz gesättigtes NH®. Auch hier trat nie Zuckung ein, vielmehr zeigte sich der Nerv augen- blicklich vernichtet, so dass erneuertes Schliessen der star- ken, aus 8 Grove’schen Elementen bestehenden constan- ten Kette ganz gleichgültig für die Muskeln blieb. Der- selbe Versuch wurde an anderen Präparaten später auf der centropolaren Strecke bei aufsteigendem Strome angestellt, ganz mit demselben Erfolge. Schliesslich habe ich nun auch noch solche Präparate un- tersucht, welche nach einfacher Durchschneidung des Nerven in Tetanus verfielen, wozu die kalte Jahreszeit hinreichend Gelegenheit bot. Wie jetzt allgemein bekannt, findet man die- sen Zustand bei solchen Fröschen, welche nach längerem Auf- enthalt in der Kälte plötzlich in die Zimmerwärme gebracht werden. Durchschneidung des Nerven ruft bei ihnen einen Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 329 länger dauernden Tetanus aller Muskeln hervor, nach dessen Beruhigung jeder neue Querschnitt oder überhaupt jeder belie- bige andere Reiz wieder eine ganze Reihe von stürmischen Be- wegungen ‚auslöst. Nach der Beruhigung des ersten tetani- schen Anfall. ist der Nerv’ so erregbar, dass die Präparate auf jede blosse Berührung mit Zuckung antworten, und an solehen Präparaten sieht man auch regelmässig die Zuckung ohne Metalle, sowie das Zucken auf, den Reiz des eigenen Nervenstromes eintreten. An solchen Präparaten kann man nun in der That bisweilen Zuckungen durch Einwirkung von NH? auf den Nerven, und zwar auf diesen allein, eintreten sehen, denn es ist mir mehrere Male vorgekommen, dass sölehe Schenkel, nachdem der erste tetanische Anfall vorüber war, bei Berührung des Nervengquersehnittes mit Ammoniak ‚von vielen verschiedenen Concentrationsgraden, leise Zuckungen in den Zehen, mitunter auch Zuckungen in allen Muskeln, zeigten. In sehr vielen Fällen blieb die Erscheinung aber auch aus, und ausnahmslos kann man den einmal im Gange befindlichen Tetanus, einerlei, ob er durch Reizung des Quersehnitts mit dem NH?# selbst, oder aus sonst irgend einer Ursache entstan- den, durch die Einwirkung der NH3 Dämpfe beruhigen, ob- gleich er dann später nicht selten von neuem wiederkehrt. Dass Eintauchen des Nerven in concentrirtes NH3 die Convul- sionen sofort und für immer aufhebt, kann nicht auffallen, da der Nerv sofort vernichtet wird, Das letzterwähnte Verhalten des Nerven kann nun gewiss nicht so aufgefasst werden, dass dadurch das NH? für ‚alle Male zum Nervenreiz zu stempeln sei, denn ‚sonst müssten wir uns bequemen, alle Sätze der Nervenphysiologie einfach um- zustossen. Wollten wir nach dem Verhalten an und für sieh tetanischer Präparate schliessen, so wäre jede Berührung, auch die mit einem Glasstabe, jede Benetzung mit irgend welcher Plüssigkeit, als Nervenreiz aufzufassen, so_ müssten ir nicht mehr annehmen, dass ein rascher Querschnitt. oder ein ein Induc- tionsschlag, sowie Schliessung und Oeffnung der Kette ı einfache Zuckungen, sondern dauernden Tetanus erzeugen. Bis zu einem Heichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1860, 22 ® 330 W. Kühne: gewissen Grade würden diese Consequenzen auch auf den im Vertrocknen begriffenen Nerven passen. 1 Die Unwirksamkeit des Ammoniaks, eines chemisch so aus- gezeichneten Körpers, lehrt uns auf’s Neue, wie sehr unsere Vorstellungen über die Reize noch in der Kindheit sind. Wenn in einem neueren Compendium der Physiologie die „‚behaup- tete“ Unwirksamkeit des NH? daraus erklärt wird, dass das- selbe besonders schwierig die Nervenhüllen durchdringe, so ist es wohl erlaubt, auf die Unwirksamkeit vom Querschnitte aus und auf die fast augenblickliche Vernichtung des Nerven beim Benetzen des natürlichen Längsschnittes nochmals: auf- merksam zu machen. Ich habe einen Nerven mit NH? benetzt und gleich darauf sein centrales Ende mit den stärksten Induc- tionsschlägen vergeblich tetanisirt, um die Schenkelmuüskeln zur Contraction zu bringen. Wenn das NH? von der Nasenschleim- haut, von der Zunge oder von Hautwunden aus die sensibeln Nerven erregt, so spricht dies eher für differente peripherische Endapparate jener Nerven, als für seine Eigenschaft als Ner- venreiz. Jedoch mag hier gleich zugegeben werden, dass wirk- lich die empfindenden Nervenstämme chemischen Reizen ge- genüber ein anderes Verhalten zeigen, als die motorischen, worüber bei einer anderen Gelegenheit ausführlich berichtet werden soll. So sehr die Herren Wundt und Schelske in ihrer Auf- fassung über die Wirkung des NH’ auf die Nerven von der meinigen abweichen, eben so sehr haben sie sich auch bemüht, meinen Angaben über den Einfluss dieses Körpers auf die Mus- kelnzu widersprechen. Offenbar ist es den Beobachtern in ihrem Eifer aber entgangen, dass sie damit selbst gerade den Satz bestätigen, welchen sie widerlegen wollten, das verschiedene Verhalten von Nerv und Muskel nämlich gegen denselben Körper. Die Herren Wundt und Schelske behaupten, das NH® wirkt wohl auf den Nerven, aber gar nicht erregend auf den Muskel. Kaun man eine grössere Verschiedenheit be- gehren? Ohne mich bei diesem psychologisch nicht uninteressanten Zwischenfall weiter aufzuhalten, sei es mir gestattet, auch auf Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 33] die Wirkung des NH? bei direeter Reizung etwas näher einzu- gehen, denn ausser den Herren Wundt und Schelske ist ja auch noch Herr Funke zu gleicher Zeit zufrieden zu stellen. Die ersteren experimentirten wahrscheinlich nicht an dem Sar- torius, wie ich vorgeschlagen, sondern am Gastroknemius und dem Tibialis, wenigstens erwähnen sie ihrer Beobachtungen am Sartorius nur ganz beiläufig. Ich brauche nicht von neuem auf den unzweckmässigen Bau der erstgenannten Muskeln auf- merksam zu machen, um so weniger, als ich die Vortheile des Sartorius bei Gelegenheit späterer Untersuchungen schon hin- reichend hervorgehoben. Ist meine Vermathung in Bezug auf die Methode richtig, so erklärt sich die Differenz allerdings hinreichend, welche zwischen den Herren Wundt und Schelske und mir eingetreten ist. Die Behauptung von Funke, dass der nach seiner Angabe senkrecht aufgehängte Unterschenkel durch Ammoniakdämpfe seine Lage nieht ändere, hat in dem Vorhergehenden schon ihre Erledigung gefunden. Merkwürdig bleibt es nur, dass Funke auch so wenig Erfolg gesehen, wenn er die Schenkel direet mit Ammoniak betupfte. Mir ist es ausnahmslos, namentlich beim Benetzen des Fusses mit NH?, gelungen, den Schenkel sich sehr stark aufrichten zu sehen. In meiner ersten Mittheilung über chemische Reizung habe ich behauptet, dass der Muskel sich im höchsten Grade em- pfindlich gegen Ammoniakdämpfe verhalte, dass er durch die- selben zu Zuckungen und zur tetanischen Verkürzung gebracht werden könne, Funke läugnet dies bis zu einem gewissen Grade, und nur mit Mühe kommt er von dem Wege ab, den die Herren Wundt und Schelske mit so vielem Erfolge be- treten. Er setzt sich zunächst in solche Bedingungen, unter welchen er freilich kaum die Wirkung des Ammoniaks auf den Muskel kennen lernen konnte. Zuerst betupft er den nicht isolirten Sartorius mit Ammoniak und findet, dass der Schen- kel keine «beachtenswerthe Lagenveränderung dadurch eingeht. Ich kann bei dieser Gelegenheit empfehlen, den Nerven des noch am Öberschenkel haftenden Sartorius zu durchschneiden, oder den Muskel möglichst local schwach zu tetanisiren, worauf 22” 332 W. Kühne: man die Lageveränderung des auf einer Platte ruhenden Schen- kels vielleicht auch unerwartet gering ausfallen sehen wird, Nach dem Betupfen des Muskels mit NH? beobachtet Funke denselben mit der Lupe und findet, dass er nichts von einem regulären Tetanus an sich habe, dass die Fasern geschlängelt seien, kurz, dass er ein unbefriedigendes Aussehen habe. Soll ich hiegegen abermals bemerken, dass die Methode verkehrt ist beim Studium der chemischen Reizung den Muskel. mit den Lösungen zu bestreichen, oder ganz darin unterzutauchen? Muss ich erst daran erinnern, dass man in diesem Falle so handelt, als wenn man zum Studium der mechanischen Reizung den Muskel mit einem Hammerschlage zermalmt? Um meine Angaben erklärlich zu finden, bekennt Funke schliesslich, dass er in der That den Sartorius habe isoliren und vom Querschnitt reizen müssen, Aber auch die heftigen Bewegungen, welche der Muskel nun bei Berührung mit den Dämpfen des Ammoniaks zeigte, machen ihm noch nicht den Eindruck des regulären Teetanus, denn der Muskel biegt sich dabei krumm, sogar meistens nach der der Hautseite zugewen- deten Fläche. Wieviel diese Einwände bedeuten, hätte Funke leicht selbst sehen können, wenn er einmal versucht hätte, den frei aufgehängten Sartorius elektrisch zu tetanisiren. Verbindet man die Klemmpincette, an welcher der Muskel hängt, mit dem einen Ende der secundären Spirale eines Inductionsapparats, und lässt man das andere Ende der Rolle in ein Quecksilber- näpfehen tauchen, so kann man durch Berührung des Muskel- querschnitts mit dem Quecksilberspiegel denselben sehr leicht tetanisiren, und wird dann finden, dass er in der Regel sich nicht geradlinig verkürzt, sondern sehr häufig sich krümmt, so schön, wie man es bei der Behandlung mit NH’-Dämpfen nur sehen kann. Der Muskel kann sich ebenso zu den seltsamsten Formen zusammenkrümmen, wenn man ihn auf einen feuchten Papierstreifen legt, der die Verbindung zwischen den Enden der Induetionsspirale herstellt. Dieser Charakter der Muskel- bewegung bei der Reizung mit NH? zeigt also gar nichts’ so irreguläres, wie Funke meldet, und die Krümmung erfolgt durchaus nicht immer nach der Hautseite des Muskels, sie tritt Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 333 manchmal im entgegengesetzten Sinne ein, und kann auch ganz ausbleiben, so dass der Muskel sich geradlinig verkürzt. Uebrigens giebt Funke zu, dass der Muskel ausserdem doch auch wirkliche Zuckungen bei Behandlung mit NH? zeige, eine ruckweise Beschleunigung der Bewegung nämlich, und eine offenbare Zuekung, wenn man den Querschnitt mit der Flüssig- keit selbst berührt. Sehen wir uns nach den Beweisen um, welche Funke giebt, dass Das, was er beobachtete, Zuckungen gewesen seien oder nicht, so finden wir nichts, weder für die von ihm behaupteten Zuckungen, noch für dasjenige, was ihm wie eine irreguläre Schrumpfung erschienen. Folgendes bin ich geson- nen, als Belege für meine Behauptungen anzuführen: Ich lege dem Sartorius den Nerven eines stromprüfenden Froschschen- kels an, lasse den Schenkel auf den Glasplatten, wie oben, mit einer Glasglocke bedeckt ruhen, während der Muskel senk- recht herabhängt. Jedes Mal, wenn ich jetzt einen Hauch von Ammoniakdämpfen an den Muskel gelangen lasse, zuckt der- selbe mehrere Male hintereinander und der Schenkel secundär mit. Obgleich es nicht gelingt, bei der dauernden Verkürzung, welche der Muskel durch stärkere Einwirkung des Ammoniaks eingeht, seeundären Tetanus zu erhalten, so muss ich doch auch diesen Theil der Erscheinung, als eine dem Muskel, der contractilen Substanz, eigenthümliche Bewegung bezeichnen. Die von Funke für eine Schrumpfung gehaltene Verkürzung verschwindet nach einiger Zeit wieder und kann durch NH3- Dämpfe von neuem erzeugt werden. Ferner tritt sie nicht ein bei einem nicht mehr erregbaren Muskel, weder bei einem sol- chen, der noch nicht starr und darum noch alkalisch ist, noch bei einem starren Muskel. Man kann einen frei aufgehängten Sartorius durch Inductionsschläge zu Tode tetanisiren, bis er auf die stärksten Ströme nicht mehr reagirt. Zur selben Zeit hört er dann auch auf, irgend welche Formveränderung durch NHP-Dämpfe zu erleiden. Häufig behält der Muskel nach dieser Misshandlung noch einige beschränkte Stellen, wo noch eine Spur von Zuckungen sich zeigt, genau diese Stellen run- 334 W. Kühne: zeln sich dann unter der Einwirkung des dampfförmigen Am- moniaks. Trotz dieser Thatsachen, deren Aufsuchung für Funke vielleicht noch näher lag als für mich, meint derselbe, die starke Verkürzung des Muskels rühre in diesem Falle von einer Schrumpfung des Sarkolemms her. Ueber diesen Punkt kann selbstverständlich nicht gestritten werden, wenn Funke findet, dass das Sarkolemm sich dem, was Andere den con- tractilen Inhalt nennen, so ähnlich verhält, oder wenn er das, was Andere als eine Eigenschaft jenes eontractilen Inhalts an- sehen, für diesen läugnet, aber dafür dem Sarkolemm auf- bürdet. Die Lehre vom quergestreiften Sarkolemm, welche Funke vertheidigt,!) erhält dadurch eine ganz annehmbare Zugabe; die contractile Substanz erwartet nur noch, dass man sie zum intramuscularen Nerven mache, oder zu der als Zwi- schenglied dienenden Ganglienzelle,?) daun sind wir mit dem neuen Muskel fertig, der als Sarkolemm darüber gestülpt ist. Der Umstand, dass bei der dauernden Verkürzung des Muskels durch NH°-Dämpfe kein secundärer Tetanus zu er- zielen ist, kann aus mehrfachen Gründen nichts in dieser Frage entscheiden. Es ist erstens nicht unwahrscheinlich, dass manche chemische Erreger wirkliche dauernde Contraetionen hervor- rufen gegenüber unseren anderen Methoden, durch welche wir stets nur einen unterbrochenen Tetanus bewirken, auf welchen allein die Möglichkeit des secundären Tetanus beruht, und zweitens wissen wir nicht, ob die einzelnen Zuckungen, aus welchen sich möglicher Weise der Ammoniaktetanus zusammen- setzt, mächtig genug sind, ob die sie begleitende negative Schwankung des Muskelstroms überhaupt ausreicht, um den anliegenden Nerven in Erregung zu versetzen. Dass elek- trisches Tetanisiren in allen Fällen auch bei dem Sarto- rius einen Tetanus erzeugt, der secundären Tetanus hervorzu- bringen vermag, habe ich allerdings durch den Versuch selbst bestätigt gefunden, sowohl bei der Reizung des Nerven, wie 1) Funke. Lehrbuch der Physiologie. Bd. I. S. 515. 2) Funke a. a. O. Ueber Urari u. a. Gifte. S. 21. Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 335 bei direeter localer Reizung eines Endes des Muskels mit dem Minimum der Stromstärke. Dies Alles nöthigt jedoch nicht im mindesten zu der Annahme, dass die dauernde Verkürzung, welehe Ammoniakdämpfe bewirken, keine wirkliche Reaction der contractilen Substanz sei, da die Erscheinung gleichen Schritt hält mit dem Grade ihrer Erregbarkeit gegen andere Reizmittel. Der begünstigende Einfluss, den die Gegenwant eines Querschnittes dabei hat, ist ausserdem unverkennbar, ob- gleich auch der unverletzte Muskel, jedoch viel schwieriger und schwächer auf die Dämpfe des Ammoniaks reagirt. Ueber- dies mag in der chemischen Reizung vielleicht das einzige Mittel liegen, einen wahren Tetanus zu erzeugen, wenn man darunter eine ununterbrochene, dauernde Verkürzung versteht, Die Herren Wundt und Schelske, zu denen ich jetzt zurückkehre, finden die Erscheinung gleichbedeutend mit der Schrumpfung, welche Haut und Bindegewebe durch Ammoniak- dämpfe erfahren. Ich will mich nicht auf die Frage einlassen, in wie weit solche Erscheinungen durch die in der Haut und dem subentanen Bindegewebe enthaltenen Muskeln ihre Ur- sache haben könnten; ich empfehle nur einen Streifen Frosch- haut von der Form des Sartorius neben diesen Muskel zu hän- gen und beide Präparate mit Ammoniakdämpfen zu behandeln. Dies jedoch nur für Freunde von lebhaften Contrasten! Die Angabe der Herren Wundt und Schelske, dass der Muskel bei der ersten Biuwirkung der NH-Dämpfe keine Reaction zeige, stützt ‚sich vielleicht mehr auf die Beobachtung von Haut- streifen, als der Muskeln, ich bin darum genöthigt, auch hier- über noch einiges Thatsächliche beizubringen. In früheren Versuchen fand ich es hinreichend, die Nase über den Muskel zu bringen, um mich vom Gegentheil zu überzeugen. Die Beobachtung mittelst der Augen gilt mit Recht oder Unrecht für objectiver, und darum seien hier folgende Versuche aufgeführt: Ich hing den Sartorius, wie immer, an seinem unteren sehnigen Ende mittelst einer Klemmpincette auf, versah ihn am oberen herabhängenden Ende mit einem (Querschnitte, und brachte so nahe als möglich neben diesen einen «durch einen Stativ gehaltenen Glasstab, an welchem ein 336 W. Kühne: Tropfen eoncentrirter Salzsäure hing. Jetzt näherte ich‘ von unten her gegen den Muskel ein mit NH? gefülltes Gefäss. In dem Augenblicke, wo von dem Glasstabe ein feiner strei- fenförmiger Salmiaknebel herniederfiel, zuckte auch der Muskel. Bei einem zweiten Muskel stellte ich den Glasstab etwas hö- her, etwa in die Höhe des Hilus, und näherte mich auch hier allmählig von unten her mit dem NH®?. Diesmal zuckte der Muskel eine bemerkbare Zeit früher, als die Salmiaknebel an dem Glasstabe sichtbar wurden. Ich denke, ‘diese Versuche zeigen deutlich genug, dass der Muskel auch bei kurzer An- näherung der NH’-Dämpfe reagirt. Soviel über die Wirkung des Ammoniaks, von dem ich nur nochmals angeben kann, dass es kein Nervenreiz, aberein starker Muskelreiz ist. Die Wirkung der Metallsalze Nach den Herren Wundt und Schelske sollen die Salze der schweren Metalle (Fe Cl’, ZnCl, ZnOSO?, HgCl, AgO NO°, PbO Ac) hin- länglich concentrirt vom Nerven aus Tetanus hervorrufen, mei- stens aber erst nach Einwirkung von 3—5 Minuten. Die An- gabe ist neuerdings für das Pb O Ac, FeQl® und ZnOS0O® von den Herren Eulenburg und Ehrenhaus bestätigt, denen die Letzteren noch das FeOSO®? und das HgONO® ebenfalls als Nervenreize hinzufügen. Wenn ich in meiner ersten Mittheilung über chemische Reizung von der Unwirksamkeit der Metallsalze sprach und, zum Theil wenigstens, die älteren Beobachtungen Eckhard’s bestätigte, so übernahm ich damit selbstverständlich "keine Garantie für sämmtliche existirenden Salze der Metalle, ich glaube vielmehr ziemlich deutlich meine Abneigung ge- gen die Verallgemeinerung der Resultate Eekhard’s ausge- sprochen zu haben, indem ich die Wirksamkeit des’AgO NO> besprach, welche ich auf einen ganz anderen Grund als Eck- hard zurückzuführen suchte. Ich habe ferner ausdrücklich'er- wähnt, dass ich nur über das Verhalten des Cu 0 S03 ge- nauere Untersuchungen angestellt, bei welchen allein ich eine Bestimmung des zur Wirksamkeit nothwendigen Procentge- haltes vornahm. Um so erfreulicher ist es daher, dass nach- Ueber die chemische Reizung ‘der Muskeln und Nerven u. s. w. 337 träglich durch die Herren Eulenburg und Ehrenhaus das Verhalten des PbOAc und des FeCl? genauer studirt worden ist, über welehe ich früher nur unzulängliche Resultate an- führen konnte. Auf Veranlassung der genannten neueren Mittheilungen über die Wirkung der Metallsalze, bin ich bemüht gewesen, eben- falls durch neuere Beobachtung einen thatsächlichen Beitrag zur comparativen chemischen Reizung der Muskeln und Nerven zu liefern. Die Aufforderung hierzu lag theils mit darin, dass die Herrn Wundt und Schelske gar keine Untersuchungen über den Procentgehalt angestellt haben, sondern nur bei den ganz gesättigten Lösungen stehen geblieben zu sein scheinen, theils darin, dass die Flerren Eulenburg und Ehrenhaus keine Beobachtungen über den Einfluss der Metallsalze auf die Muskeln mitgetheilt haben. Die Lösungen der meisten Metallsalze wirken, wie schon gesagt, erregend auf den Nerven erst nach längerer Berührung, nach 3—5 und sogar 10 Minuten. Aus diesem Umstande er- wächst für die Anstellung der Versuche eine Vorsichtsmass- regel, welche nie vernachlässigt werden darf, wenn dieselben entscheidend sein sollen. Der Nerv muss nämlich vor dem Vertrocknen während dieser Zeit geschützt bleiben, entweder so, dass man ihn mit seiner ganzen Länge in die Lösungen einsenkt oder so, dass man ihn nur zum Theil eintaucht und das ganze Präparat in einen mit Wasserdämpfen gesättigten Raum bringt. Das Letztere ist vorzuziehen, deshalb, weil der Nerv, wenn er nur zum Theil eingetaucht ist, zu einem Ge- genversuche dienen kann, durch welchen der Beweis geführt werden muss, dass die entstandenen Zuckungen auch wirklich in einer Erregung der benetzten Strecken ihren Grund hatten. Die Zuekungen müssen in diesem Falle augenblicklich auf- hören, wenn man den Nerven einige Millimeter über dem Plüssigkeitsspiegel abschneidet. Ohne Beobachtung dieser Vor- siehtemassregeln mäche ich mich anheischig, Zuckungen mit jeder eoncentrirten Metallsalzlösung zu erhalten, namentlich wenn die Lösungen in einem Schälchen oder Uhrglase enthal- ten sind, dessen Wände der Nerv berührt, Nach einiger Zeit 338 W. Kühne: steigt in diesem Falle die Flüssigkeit zwischen dem Nerven und dem Glase in die Höhe, und setzt auf dem ersteren Kıy- stalle ab, wodurch derselbe in eine feste, hygroskopische Sub- stanz eingebettet wird. Da man weiss, dass feiner Sand, ‚Glas- pulver oder Filtrirpapier, kurz die allerindifferentesten Dinge, in welche der Nerv nur allmählig Wasser abgeben kann, unter solchen Bedingungen als Reize wirken können, so wird man in dieser Weise angestellten Versuchen wenig Beweiskraft bei- legen können. Ein ähnlicher Uebelstand kann eintreten, wenn der Nerv bis hart an den Muskel eingetaucht ist, wobei man sich ausserordentlich vor dem Emporklettern der Flüssigkeit an den Muskel selbst zu hüten hat. Ist der Nerv nur zum Theil eingetaucht, und das Präparat aber sonst nicht vor Ver- trocknung geschützt, so kann die nicht benetzte Nervenstrecke durch blosses Austrocknen zum Reiz für den Muskel werden, ein Fall, der häufig genug eintritt, wofür das Bestehenbleiben der Zuckungen nach dem Durchschneiden des Nerven den .Be- weis liefert. Wer die Versuche mit den Lösungen der Metall- salze noch nicht im feuchten Raume angestellt hat, wird über das lange Ausbleiben der Zuckungen und über die Unsicher- heit der Erfolge gewiss sehr erstaunt sein: der Unterschied in den Erscheinungen, je nach der mehr oder minder vorsichtigen Art des Experimentirens, ist hier so gross, dass man mit vol- lem Rechte den wenigsten Versuchen, welche bisher über die Metallsalze angestellt worden, eine wirkliche Beweiskraft zu- sprechen darf. Schliesslich ist für die Versuche mit concen- trirten Salzlösungen noch zu erwähnen, dass der Nerv nicht rasch auf die Flüssigkeit mit verschiedenen Punkten seiner Oberfläche herabfallen darf, denn in diesem Falle entsteht ‚eine Zuckung durch den Reiz des eigenen Nervenstroms, grade wie wenn man ihn auf die Oberfläche von Quecksilber fallen lässt. Etwas Aehnliches tritt wenigstens bei den gesättigten Lösungen, auf welchen der Nerv schwimmt, sehr leicht ein und nur das Ausbleiben der Zuckung nach plötzlicher Benetzung des Quer- schnitts, sowie rasches Eintauchen mit Hülfe eines angehäng- ten 'Glashakens sichert gegen die angeführten Täuschungen, Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 339 Nach diesen Vorbemerkungen mögen hier jetzt die Ver- suche selbst folgen. 1. Schwefelsaures Kupferoxyd. Die völlig gesättigten Lösungen dieses Salzes wirken nie erregend auf den normalen Nerven, derselbe stirbt darin ab ohne vorhergehende Zuckung. Der Erfolg ist derselbe, wenn eine Lösung von beliebiger Con- centration angewendet wird, Zuckungen können nur eintreten, wenn bei dem Versuche die vorhergenannten Vorsichtsmassre- geln ausser Acht gelassen werden. Vom Muskelquerschnitt aus erzeugt die Lösung in allen Coneentrationsgraden, bis zu einem Gehalte von 4pOt. hinab starke Zuckungen. Die Behauptung der Herren Wundt und Sehelske, dass dies Salz vom Nerven aus erregend wirke, kann nur durch die mangelhafte Ausführung ihrer Versuche oder durch die Benutzung an und für sich tetanischer Präpa- rate erklärt werden. Bei den letzteren, von welchen bei Ge- legenheit der Versuche mit dem Ammoniak ausführlicher die Rede war, erzeugt in der That jede Salzlösung Zuckungen, die aber nicht erst nach vielen Minuten eintreten, sondern in der Regel augenblicklich nach der ersten Berührung ‘des Quer- schnittes. 2. Schwefelsaures Eisenoxydul. Die Lösung dieses Salzes verhält sich zum Nerven gerade so, wie die vorherge- hende; sie wirkt in keinem Concentrationsgrade erregend. Wird der Versuch nicht im feuchten Raum angestellt, so treten die Zuckungen fast ausnahmslos, viel leichter als mit der Lö- sung des Kupfervitriols ein. Vielleicht erklärt sich hieraus das abweichende Resultat der Herren Eulenburg und Eh- renhaus, Vom Querschnitt des Sartorius erzeugt die Lösung des Eisenvitriols in allen Concentrationsgraden bis zu einem 'Ge- halte von 3 und 2pOt. starke Zuckungen. Es muss hierzu be- merkt werden, dass der angewandte Vitriol chemisch rein war, und durch wiederholtes Auswaschen mit Alkohol von jeder Spur freier Säure befreit war. Auch enthielt er kein Oxyd. — Der Bisenvitriol ist also ein ‚heftiger Reiz für den Muskel, ob- gleich er keine erregende Wirkung für den Nerven besitzt. 340 W. Kühne: Die letztere Thatsache scheint schon. Eckhard gekannt zu haben. 3. Eisenehlorid bewirkt unter allen Umständen vom Nerven aus Zuckungen, wenn die Lösung nicht verdünnter ist als bis zu 30 und 20pCt. ‘Vom Muskel aus erzeugt dasselbe in allen Concentrationsgraden Zuekung bis zu einer Verdünnung von 10 Theilen Wasser mit 0,1 Theilen der ganz gesättigten Auflösungen. Wird dieselbe Menge des Salzes mit 15 Theilen Wasser verdünnt, so erhält man eine Flüssigkeit, welche vom Muskelquerschnitt aus nicht mehr wirkt. 4. Schwefelsaures Zinkoxyd ist, wie die Herren Wundt, Schelske, Eulenburg und Ehrenhaus richtig angeben, ein Reiz für den Nerven. Die Zuckungen beginnen, namentlich in ganz ‚coneentrirten Lösungen, häufig sogleich nach dem Eintauchen und dauern längere Zeit fort. Ich fand die Lösung des Salzes bisweilen noch wirksam bei einem Ge- halte von 20pCt., verdünntere Lösungen gaben mir negative Resultate. Auf den Muskelquerschnitt angewandt, erzeugt die Lösung des Zinkvitriols in allen Coneentrationen Zuckung bis zu einem Gehalte von 1pCt. 5. Chlorzink scheint von allen Metallsalzen am hef- tigsten auf den Nerven zu wirken. Eine.dieke, syrupöse Lö- sung, so wie alle einigermassen concentrirte Lösungen erzeu- gen schon vom Querschnitt des Nerven aus heftige Zuckungen. Mit fortschreitender Verdünnung treten dieselben immer später ein,*jedoch ‘wirken Lösungen von 5pCt. noch immer erregend. Auch bei einem Gehalte von 4 und 5pCt. können bisweilen noch Zuckungen vom Nerven aus erhalten werden. Vom Muskelquerschnitt aus wirkt gerade die dicke, syrupöse Lösung am wenigsten, so dass bei der ersten Berührung die Zuekungen häufig ausbleiben, nach längerer Einwirkung folgen aber immer einzelne Contractionen. In etwas geringerer Con- centration erzeugt das Chlorzink jedoch ausnahmslos schon bei der flüchtigsten Berührung starke Zuckungen in dem Sartorius, selbst die Lösung von 1lpCt. steht‘ darin den coneentrirteren nicht nach. Bei weiterer Verdünnung wird sie auch’ für den Muskel unwirksam. Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 341 6. Neutrales essigsaures Bleioxyd. Nur die ganz eoneentrirte, völlig gesättigte Lösung dieses Salzes erzeugt Zuekungen vom Nerven aus, die jedoch gar nicht selten aus- bleiben. In meinen Versuchen dauerte es in der Regel 8—10, ja 15 Minuten, bis die von den Herren Eulenburg und Eh- renhaus geschilderten Contractionen eintraten. Die günstige Wirkung eines neuen, an dem eingetauchten Theile des Nerven angelegten Querschnitts habe ich bestätigen können. Wie die bisher genannten Salze, wirkt auch das essigsaure Bleioxyd vom Muskel aus bei directer Reizung sehr stark. Als unterste Concentrationsgrenze fand ich den Gehalt von 4 und 5pCt. 7. Basisch essigsaures Bleioxyd -- erhalten durch Sieden des vorigen Salzes mit Bleiglätte — wirkt ebenfalls nur in ganz gesättigter Lösung vom Nerven aus, aber auch nicht ohne Ausnahme. Lösungen, welche nur 10pCt. des krystalli- sirten Salzes enthalten, erzeugen niemals Zuckung nach Appl- cation auf den Nerven. In dieser Verdünnung ist die Flüssig- keit aber auch ein Muskelreiz, und selbst bei einem Gehalte von 2,5pOt. kann man noch Zuckungen bei Berührung des Muskelquerschnitts erhalten. Ganz sicher wirkt jedoch selbst hier nur eine Auflösung von 5pCt. 8. Salpetersaures Quecksilberoxydul. Die Angabe der Herren Eulenburg und Ehrenhaus, dass dieses Salz zu den Nervenreizen gehört, kann ich bestätigen. Selbstver- ständlich wirkt die Lösung auch noch in grosser Verdünnung auf den Muskel. Quantitative Bestimmungen schienen mir hier nicht am Platze, da die Lösung basisches Salz nach dem Ver- dünnen ausscheidet. Der offieinelle Zusatz von Salpetersäure kann natürlich bei solchen Versuchen, um welche es sich hier handelt, nicht benutzt werden. 9%. Queksilberchlorid wirkt niemals erregend vom Ner- ven aus, trotz der Herren Wundt und Schelske. Wie man zu diesem Irrthum hat kommen können, verstehe ich nicht, es sei denn, dass eine übersättigte Lösung angewendet worden, die im vollen Krystallisiren begriffen war. Taueht man einen Nerven in eine bei 15° völlig gesättigte Sublimatlösung ein, 342 W. Kühne: so stirbt derselbe sehr rasch ab, aber stets ohne begleitende Zuckungen der Muskeln. So wenig wie die gesättigte Lösung wirken auch alle beliebig verdünnten. Die Behauptung, dass der Sublimat auf den Muskel nicht wirke, ist theilweise rich- tig, denn seine Lösung erzeugt keine Zuckung bei der ersten Berührung mit dem Sartorius. Lässt man jedoch die Berüh- rung etwas länger fortdauern, so treten einzelne Zuckungen ein, welche sich bedeutend verstärken, wenn die Flüssigkeit den Muskel auch an einem Theile seiner Oberfläche erreicht. Nach dieser kurzen Mittheilung über die Wirkung einzelner Metallsalze muss ich nochmals auf die zuvor angedeuteten Missgriffe aufmerksam machen, durch welche die Uneinigkeit erklärlich werden kann, welche jetzt über diesen Gegenstand herrscht. Ein Theil der Salze wirkt zwar erregend auf die motorischen Nerven, ihr Einfluss ist aber ein sehr geringer und langsamer, so dass man sehr zufrieden sein kann, wenn man überhaupt eine Bewegung zu sehen bekommt. Der- jenige, weicher die Zuekungen z. B. mit dem essigsauren Blei- oxyde oder dem Zinkvitriol zeigen sollte, würde sicher in grosse Verlegenheit gerathen, wenn er den Versuch im feuch- ten Raume anstellt. Man muss bei dieser Form des Versuchs sehr lange warten und beständig aufmerken, um die schwachen Bewegungen nicht zu übersehen. Die von Funke vorgeschla- gene Weise der Aufhängung des Schenkels ist hier vor Allem zu empfehlen. Trotz der schwachen Wirkung vom Nerven aus wirken aber alle Metallsalze, wie es scheint, sehr heftig vom Muskelquerschnitt. Der Erfolg ist sehr verschieden, Hier tritt die Zuckung augenblicklich nach der flüchtigsten Berüh- rung in allen Fasern zugleich ein, während bei der indireeten Reizung eine lange Zeit bis zum Beginn der Bewegungen ver- streicht, und nach und nach in den verschiedenen Fasern auf- treten. Der Unterschied der zur Reizung nothwendigen Con- centrationen für die directe und indirecte Reizung ist ferner so gross, dass die Herren Wundt und Schelske vielleicht nicht ohne Absicht gerade bei den Metallsalzen überhaupt nichts davon erwähnen. Schliesslich mag denn auch nochmals her- vorgehoben werden, dass einige Salze, wie der Kupfer- und Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 343 Eisenvitriol, überhaupt gar nicht erregend auf den normalen Nerven wirken, obgleich sie natürlich bei tetanischen Präpa- raten das unterbrochene Spiel der Muskeln wieder in's Werk setzen können. Es bleibt mir jetzt noch übrig, in Kurzem einiger organi- selren Körper zu erwähnen, da die Herren Wundtund Schelske auch auf diesem Gebiete nicht Das haben sehen können, was ich angegeben. Glycerin soll nach ihrer Angabe weder auf den Nerven noch auf den Muskel wirken. Ich kann darauf nur erwidern, dass ich es sehr bedaure, wenn die Herren Wundt und Sehelske das Gegentheil nicht haben sehen können, dass ich aber trotzdem auch das Glycerin so anzuwenden weiss, dass keine Zuckung damit erreicht wird. Zu dem Ende braucht man nur den Nerven in verdünntes Glycerin, und den Muskel mit seinem äussersten Querschnitte in concentrirtes zu tauchen — dann hat man, was man begehrt. Was ich früher über die Wirkung des Glycerins mitgetheilt, kann ich nach zahlreichen und häufig öffentlich gezeigten Versuchen heute wiederholen. Nichts auf der Welt ist leichter, als durch concentrirtes Gly- eerin vom Nerven aus den heftigsten Tetanus zu erzeugen, nichts leichter als bei direeter Reizung mit verdünntem Glycerin den Muskel zucken zu sehen. Im Uebrigen habe ich bei an- deren Gelegenheiten schon genauere Mittheilungen über das Glycerin als. Reiz für den Muskel und den intramuseularen Nerven gemacht, so dass ich hier nicht weiter darauf zurück- zukommen brauche. Die Herren Wundt und Schelske mö- gen die Versuche genau so wiederholen, wie sie dieselben in meinen Arbeiten beschrieben finden, um richtigere Ansichten darüber zu bekommen. Ich meines Theils bin, wie gesagt, be- reit, Jedermann durch das Experiment selbst von der Richtig- keit meiner Angaben zu überzeugen. Alkohol erzeugt vom Nerven aus Zuckungen, wenn er wasserfrei ist. Die Zuckungen sind sehr heftig und beginnen sogleich. Wird der absolute Alkohol mit Wasser versetzt, so verliert er fast alle Wirkung. Ein Gemisch von 1 Vol. ab- An En 344 Ww. Kühne: solutem Alkohol und 1 Vol. Wasser‘ erregt den Nerven über- haupt nicht mehr, obwohl er sehr rasch darin abstirbt.!) Vom Muskelquerschnitt aus wirkt selbst der absolute Al- kohol sehr schwach. Die Zuckung tritt in der Regel erst ein nach längerer Berührung, oder beim Eintauchen grösserer Strecken. Es scheint, als wenn der verdünntere Alkohol etwas rascher wirkt. Die genannte Verdünnung mit gleichen Raum- theilen Wasser ist übrigens für den Muskel auch ohne Wirkung. Ich könnte schliesslich nun noch neuere Versuche über die Wirkung des Kreosots anführen, mit dem die Herren W undt und Schelske auch experimentirt haben. Die Unvollkommen- heit ihrer Mittheilungen, aus denen man nicht sieht, ob sie die meinigen bestätigen oder nicht, veranlasst mich jedoch, hiervon abzusehen, da ich ohne besonderen Zwang einmal Gesagtes nicht wiederholen will. Der lebhafte Widerspruch, welchen die Lehre von der Muskelirritabilität nach ihrer neueren Begründung bei Einigen gefunden hat, erheischt ein nochmaliges Eingehen ‘auf den Werth und die Beweiskraft der neu gefundenen Thatsachen. : Wenn man den Gang wissenschaftlicher Streitfragen beobachtet, so findet man, dass es eine der grössten Seltenheiten ist, dass die eine oder die andere der dabei betheiligten Persönlichkeiten von einer einmal gefassten Ueberzeugung abkommt. Aus die- sem Grunde beanspruchte ich mit dieser Mittheilung, nicht, meinen Gegnern einen Beweis von der Berechtigung meiner Auffassung zu liefern, sondern ich wünschte vielmehr nur den- jenigen, welche dem Gegenstande näher stehen, die Ueberzeu- gung zu verschaffen, dass ich meine Kräfte gewissenhaft an- gewandt, um das, was die Natur hier bietet, richtig zu beob- 1) Mit diesem Gemische kann man eine eigenthümliche Erschei- nung beobachten. Taucht man den Nerven hinein und zieht man ihn dann wieder heraus, so entsteht häufig ein äusserst heftiger Tetanus, der sofort aufhört, wenn man den Nerven wieder in die Flüssigkeit bringt. Man kann das mehrere Male wiederholen. Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s, w. 345 achten, und die Beobachtungen vorurtheilsfrei zu Schlüssen zu verwerthen. Der von mir hingestellte Satz, dass einige chemische Kör- per nur erregend auf den Muskel, nicht auf den Nerven wir- ken, andere nur umgekehrt, konnte von meiner Seite auch dies- mal nicht anders begründet werden, als es. geschehen ist. Wenn die Herren Wundt und Schelske einfach behaupten, dem sei nicht so, so glaube ich dem entgegen gezeigt zu ha- ben, dass sie selbst auf dasselbe Resultat hinauskommen. In einem Falle, Hämlich für das Quecksilberchlorid, geben sie es selbst zu mit dem Bemerken, dass dort eine andere Erklä- rungsweise nahe liege. Welcher Art diese Erklärung sei, da- von sagen sie kein Wort. Uebrigens ist das auch vollkommen gleichgültig, denn es handelt sich hier vor der Hand um gar keine Erklärung, sondern um ein Factum. Wie oben bemerkt, kann ich mit der Art und Weise, wie die Herren Wundt und Schelske zu demselben Resultate kommen, wie ich, nämlich. mit der Behauptung, dass NH® und HgCl nur vom Nerven, nicht vom Muskel aus wirken, nicht übereinstimmen. Streichen wir darum diese Versuche ganz, 'so muss ich dennoch jede Berechtigung zum Widerspruche läug- nen, so lange derselbe sich nieht auf eine: Widerlegung aller von mir aufgeführten Thatsachen stützt. ‚So habe ich nachge- wiesen, dass Kalkwasser niemals erregend auf den Nerven wirke, vo kelquerschnitt aber heftige Zuckungen erzeuge, was ich auch heute von neuem nach neuen Versuchen: bestäti- gen kann, Trotzdem diese eine 'Thatsache allein schon genü- gen würde, um den aufgestellten Satz zu berechtigen, hat sich Niemand die Mühe gegeben, den Versuch zu wiederholen. Wenn es nicht ein sinnloses Hin- und Herprobiren wäre, alle möglichen chemischen Körper: vergleichend auf Nerven und Muskeln anzuwenden, so: liesse sich gewiss sehr bald der Nach- weis führen, dass die Zahl der ähnlich wirkenden Körper ausser- ordentlich gross sei. Der Muskelquerschnitt verhält sich gegen die schwächsten chemischen Reagentien so erstaunlich 'empfind- lich im Vergleiche zum Nerven, dass man versucht'sein könnte, die eintretende Zuekung ‚aus der blossen' Berührung mit der Beichert's u, du Bol®-Reymond's Archiv. 1860, 23 346 W. Kühne: Flüssigkeit herzuleiten, wenn es nicht einige Körper gäbe, welche wirklich ohne Erfolg sind. Das Blut oder das Blut- serum jedes beliebigen Thieres erzeugt ausnahmslos vom Quer- sehnitt des Sartorius eine heftige Zuckung. Selbst das Blut des Frosches zeigt diese Wirkung, sowohl vor, wie während und nach der Gerinnung. Ausnahmslos tritt auch die Zuckung ein, wenn man das Serum des Frosches gegen die am Quer- schnitt zu Tage liegende contraetile Substanz führt. Aus die- sem Umstande erklärt es sich, warum ein Muskel so rasch un- tauglich zu den Versuchen wird, wenn er am Qüerschnitte bei der Präparation mit Blut verunreinigt worden ist, oder wenn er überhaupt auf einer blutigen Fläche gelegen. — Man mag sich bemühen eine ähnliche Wirkung vom Nerven aus zu er- zielen. Der Muskel rührt sich nieht, wenn man seine Nerven so lange, als man will, in Blut oder in Serum taucht. Was nun den Werth der vorliegenden Thatsachen für die Irritabilitätsfrage betrifft, so hat mieh namentlich Funke voll- kommen missverstanden, indem er meint und mir darin beizu- stimmen glaubt, dass die selbständige Reizbarkeit der Muskel- faser zugleich mit der Begründung des aufgestellten Satzes er- wiesen sei. Dieser Meinung bin ich nie gewesen, ich glaube vielmehr durch neuere Thhatsachen nur erwiesen zu haben, dass die Ansicht, es wirkten alle Reize ganz gleich auf den Nerven, wie auf den Muskel, nicht riehtig sei. Die Bedeutung dieses Umstandes für die Irritabilitätsfrage liegt nur darin, dass da- mit gerade die Stützen fallen, welche bisher der extremen neuristischen Ansicht allein zum Halte dienten. Ich wüsste in der That nichts, was zur Aufstellung der Nichtexistenz der Muskelirritabilität berechtigen könnte, als dieses. Wäre es richtig, dass alle Reize ganz gleich vom Nerven wie vom Muskel aus wirken, so könnte man sich allerdings zum Läug- nen der Irritabilität versucht fühlen, und zwar deshalb, weil Muskel und Nerv in vielen Dingen, bisher wenigstens, als sehr versch.eden gegolten. Wirkten die Reize auf den so verschie- denen Muskel genau so wie auf den Nerven, so konnte man annehmen, dass sie nur auf den intramuseularen Nerven wirk- ten, ohne dass der Muskel selbst dabei betheiligt sei. — Nur Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 347 aus diesem Grunde haben die genannten Thatsachen hier eine Bedeutung, einen Beweis für die Irritabilität schliessen sie nieht in sich, da noch eingewandt werden kann, dass der Nerv an seinem peripherischen Ende sich anders verhalte, als in den Stämmen. Wie Funke ferner hat meinen können, dass ich durch die chemischen Reizversuche an den mit Curare vergifteten Mus- keln einen Beweis für die Irritabilität habe geben wollen, ver- stehe ich nicht, da ich ausdrücklich von Anfang an bemerkt, dass mir der Beweis für die prätendirte Wirkungsweise dieses Giftes zu fehlen scheine Funke wird es mir aber trotzdem nicht verdenken, dass ich meine Versuche auch auf die vergif- teten Muskeln ausdehnte, da nur eben durch Versuche an den Muskeln selbst die Frage über die räthselhafte Wirkung des Pfeilgiftes gelöst werden kann. Jedenfalls bleiben die Resul- tate vorläufig als Facta stehen, einerlei, ob sie bis jetzt von Werth sind oder nicht. Uebrigens täuscht sich Funke, wenn er berichtet, ich gebe ihm jetzt zu, dass er etwas Neues zum Verständniss der Ourare-Wirkung beigetragen. Ich habe ihm in dieser Angelegenheit nie etwas bestritten, konnte ihm also auch später nichts zugeben. Was lässt sich nun BENTEBenlänee für die Irritabilitätslehre ganz ctögten Sprunges schuldig macht, indem man annimmt, dass der Nerv auf verschiedenen Theilen seiner Bahn grössere Unterschiede zeige, als die zwischen der leitenden und contractilen Faser vorauszusetzenden. Näher liegt es je- denfalls, die Ursache der Verschiedenheit in dem Nerven einer- seits und dem Muskel andererseits zu suchen. Sehen wir von dieser Frage ganz ab, so bleibt noch eine lange Reihe von an- deren Thatsachen übrig, welche unabweislich zur Sicherung der Irritabilitätslehre führen. 1, Die Zuekungen des Muskels bei directer Reizung, wäh- rend der Lähmung des Nerven durch den aufsteigenden con- stänten Strom, 23° 348 W. Kühne: Auch hiergegen hat Funke Bedenken, von denen er aber selbst zugiebt, dass sie nicht auf einem Factum fussen. ‚Er stellt sich nämlich vor, dass der Anelektrotonus dem Ner- ven vielleicht nicht die Reizbarkeit, sondern nur die Leitung raube, und dass deshalb ein Reiz an seiner äussersten Peri- pherie noch wirken könne, während er mehr nach dem Centrum zu, z. B. auf einer extramuscularen Strecke, ohne Wirkung sei. Der besondere Unterschied, welehen sich Funke dabei zwi- schen einem chemischen und einem anderen Reize denkt, ist mir nicht recht klar geworden. Das Missliche einer Vorstel- lung, welche ohne allen thatsächlichen Boden ist, einer beliebig aus der Luft gegriffenen Hypothese, zeigt sich hier überraschend deutlich. Welche Berechtigung giebt es, im Nerven eine Reiz- barkeit von der Leitung zu trennen? Was kennen wir An- deres am Nerven, als seine Leitung? Wenn wir einen Nerven als gereizt betrachten, so thun wir es doch nur deshalb, weil er einen beliebigen Anstoss fortgeleitet hat, sei es an den Mus- kel, sei es an das Rückenmark oder an den Multiplicator. — In unserem Falle ist es jedoch unnütz, hierüber zu rechten, da Facta vorliegen, welche beweisen, dass der anelektrotonische Theil des Nerven auch an der Peripherie, im Muskel, für che- mische Reize unzugänglich ist. Benetzt man den Sartorius da, wo er Nerven enthält, mit Glycerin, so zuckt er. Elektroto- nisirt man seinen Nerven durch den aufsteigenden Strom, so hören die Zuckungen augenblicklich auf. Es genügt, auf dieses Factum nochmals aufmerksam zu machen, um die Bedeutungs- losigkeit der Einwände Funke’s in’s klarste Licht zu setzen. — Entfernen wir uns nicht von den Thatsachen, die besser sind, als alle gekünstelten Möglichkeiten! Die Letzteren ha- ben nur dann Werth, wenn sie nicht ausgeplaudert werden, sondern Anlass zu neuen Versuchen und Beobachtungen geben. 2. Die Zuckung der Muskeln nach der Reizung eines ner- venfreien Abschnitts, eine Thatsache, welche jedenfalls den bis- her erhobenen Einwänden nicht unterliegt. 3. Der eigenthümliche Charakter der Zuckung, bei localer Reizung einzelner Muskelfasern durch solche Reize, welche nur Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 349 auf den Muskel und nicht auf den intramuseularen ‘Nerven wirken. !) Die Verschiedenheit der Zuckung nach localer Reizung, bei welcher das äusserste Ende des intramusenlaren Nerven mit erregt wird, beruht auf dem doppelsinnigen Leitungsvermögen der motorischen Nervenfaser. In Bezug auf den letzteren Satz, der noch nicht überall anerkannt wird, müssen zunächst neue Beweise gegeben werden, die hier um so mehr am Platze sein werden, als durch die nachstehenden Versuche der Nachweis geführt werden soll, dass einige chemische Agentien, wenn sie Zuekungen auch von nervenhaltigen Theilen der Muskeln her- vorrufen, doch nur die contractile Substanz erregen, nicht aber den mitgetroffenen Nerven. Der Versuch, welcher das doppelsinnige Leitungsvermögen der intramuscularen, motorischen Nervenfasern zeigen soll, und welchen ich bereits an einem anderen Orte mitgetheilt habe, ?) besteht kurz darin, dass der an seinem oberen Ende in zwei Zipfel gespaltene Sartorius allemal Zuckungen auf beiden Hälften zeigt, wenn einer der Zipfel an einer Stelle gereizt wird, wo er Nerven enthält, und zwar nur dann, wenn der Reiz zugleich wirksam für den Nerven ist, während die Zuckung auf eine Hälfte des Muskels beschränkt bleibt, wenn der Reiz nur das nervenlose Endstück trifft, oder der Art ist, dass er nur den Muskel, nicht aber den darin eingebetteten Nerven erregt. Die Erscheinung erklärt sich durch die Theilung der Nervenprimitivfasern an ihrer Peripherie, bei welcher die Ueber- fragung der Erregung von einer Hälfte des Muskels auf die andere mittelst einer beide Hälften versorgenden Primitivfaser l) Die Herren Wundt und Schelske meinen, dass eine von ihnen gefundene Thatsache besonders gegen die selbständige Reizbar- keit der Muskelfaser für chemische Agentien spreche. Die Zuckung soll nämlich bei Annäherung des Reizes gegen deu Neryeneintritt hin grösser ausfallen. Eigene Beobachtungen schienen ai den Sar- torius das Gegentheil zu ergeben. Hier kann jedoch selbstverständlich nur ein messender Versuch entscheiden, von dem in der viel eitirten Mittheilung nicht die Rede ist. Bei Reizen, welche sowobl auf den Nerven, wie auf den Muskel wirken, ist der Erfolg übrigens voraus- zuseben. 2) Monatsberichte der Berliner Akademie, 19. Mai 1859. S. 400. 350 W. Kühne: dat} zu ‚Stande kommt. Der Einwand, dass ‚die Zuckung beider Hälften durch doppelte Schlingenbildung der noch ungetheilten Nervenfaser bedingt sei, konnte bisher nur durch den mikros- kopischen Befund beseitigt werden. Eine sicherere experimen- telle Bestätigung dieser nur anatomisch begründeten Behauptun- gen mag hier zunächst Platz finden. Dass das Mitzucken einzelner Muskelprimitivbündel in der nicht direet gereizten Muskelhälfte nur von einer Uebertragung der Erregung durch Nerven herrühre, ist nicht zu bezwei- feln, da es nur durch Reize in nervenhaltigen Theilen des Muskels und nur durch Nervenreize erfolgt. _Derselbe Nachweis lässt sich aber auch auf andere Weise führen, wobei sich gleichzeitig kund giebt, dass die Erscheinung nicht durch Schlingen bedingt sei. Zu diesem Behufe wird der Sartorius eines möglichst gros- sen Frosches mit seinem bis zum Abgange vom Ischiadieus freipräparirten und dort abgeschnittenen Nerven isolirt, auf eine Glasplatte gelegt, während sein Nerv: zugleich vor Ver- trocknung geschützt, hart an der Eintrittsstelle in den Muskel die beiden Zinkelektroden einer sechsgliedrigen kleinen Gro- ve’schen Kette überbrückt. Sodann wird der Muskel an sei- nem oberen Ende mit einem scharfen Messer, 2—3 Millimeter weit vom inneren Rande in einer Ausdehnung von 7 Millime- tern, in zwei Zipfel gespalten und der schmälere Zipfel auf eine etwas niedrigere Glasplatte gelegt. Durchschneidet man jetzt mit einer Scheere diesen Theil des Muskels von oben nach unten, allmählig mit den Querschnitten vordringend, so erreicht man eine Grenze, bei welcher der Schnitt nicht allein Zuckungen in der direct getroffenen Hälfte des Muskels her- vorruft, sondern auch einzelne Fibern der anderen Hälfte mit zum Zucken bringt. Hat man gerade zum ersten Male dieses Zucken der anderen Hälfte bewirkt, so wird der constante Strom für den Nerven in aufsteigender Richtung geschlossen, und nun sogleich ein neuer Querschnitt angelegt. Diesmal zuckt nur die direet gereizte Hälfte des Muskels, die andere bleibt absolut in Ruhe. Nach der Oeffnung der Kette bringt ein neuer Querschnitt wieder Zuckungen auf beiden Seiten des Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 351 Sartorius hervor. Es ist klar, dass dieser Versuch die Abwe- senheit der Schlingen an den letzten Enden der intramusceu- laren Nerven beweist. Denn wären Schlingen zugegen, durch welche die mittelst des Schnitts bedingte Reizung auf den an- deren Zipfel des Sartorius übertragen. würde, so könnte die Lähmung des Nerven durch den Anelektrotonus die Reizung nieht verhindern, da ja der Schnitt an und für sich die Con- tinuität des Nerven zerstört, zugleich aber auch den vom Cen- trum abgelösten Nerven als Reiz dient. Die Richtigkeit dieser Argumentation kann durch zwei Gegenversuche dargethan wer- den. Man durchschneide einen Nerven hart am Muskel, wäh- rend er dicht daneben von dem starken aufsteigenden Strome durchflossen wird. Ohne Ausnahme tritt Zuckung ein. Man stelle ferner denselben Versuch, wie oben, am Sartorius an, aber rücke mit der Spaltung des Muskels bis dicht an den Hilus hinab, wo das Mikroskop vielfache Nervenschlingen zeigt. Legt man in diesem Falle 1 bis 2 Millimeter von der Spal- tungsstelle in der einen Hälfte Schnitte an, so zucken viele Fasern in der anderen Hälfte mit, gleichviel ob der Nerv durch den Anelektrotonus gelähmt worden oder nicht. Die. beiste- hende Figur wird das Verhältniss am besten erläutern.') I) A zeigt die Anordnung des Nerven als Schlinge, bei welcher der Strom in © das Zucken in M nicht verhindern kann, nach dem Sehmitte in 8. — B. Muskeln mit gabelig getheilten Nerven. Der Strom in © verbindert die Zuckung in M nach dem Schnitte $. 352 W. Kühne: b 10daJ Selbstverständlich zuekt trotz der Lähmung des Nerven die direct gereizte Muskelhälfte immer mit, da hier die contractile Substanz selbst mitgetroffen wird. Auch mittelst der chemi- schen Reizung lässt sich an recht grossen Präparaten dasselbe darthun, Man richte den Sartorius in der beschriebenen Weise her und lasse den Querschnitt des einen Zipfels, von welchem aus mit der Scheere zum ersten Male Zuckung auf dem ande- ren erzielt worden, in econcentrirtes Glycerin tauchen. Nach einiger Zeit beginnen Zuckungen in beiden Hälften des Mus- kels. Schliesst man jetzt den lähmenden Strom für den Ner- ven, so hören die Zuckungen augenblieklich auf. Während nun’ die Kette geschlossen bleibt, kehren dieselben nach und nach zurück, d. h. der constante Strom beherrscht sie nicht mehr vollkommen und es ist charakteristisch, dass sie mur in der direct gereizten Seite wiederkehren, während sie auf ‘der anderen Seite ausbleiben. Ich habe das Bestehenbleiben der Glyeerinzuckungen nach längerer Einwirkung dieses Agens auch während der Lähmung des Nerven so zu erklären ge- sucht, dass der intramuseulare Nerv dadurch allmählig, wenig- stens an den äussersten Enden, seine Continuität verliere. Der Versuch scheint dies zu bestätigen, denn es begreift sich, wie die Nervenprimitivfaser, deren einer secundärer Ast mit dem Glycerin in Berührung ist, während ihr anderer Ast die Rei- zung nach der anderen Muskelhälfte fortleitet, weit länger für die Muskelbündel jener Seite continuirlich bleibt, als die auf derselben Seite gelegenen. Wenn man über einen recht gros- sen Sartorius verfügt, kann man sogar den Fall eintreten se- hen, dass die Zuckungen, so lange sie noch auf dem Zipfel jenseits überhaupt eintreten, durch den elektrotonisirenden Nerv gehemmt werden, während sie zuletzt auch auf der direct gereizten Hälfte allmählig verlöschen. Der Muskel muss sehr gross sein, weil das Glycerin leicht durch Fortkriechen am Rande der Zipfel an beide Hälften gelangt, was man bald an der Verstärkung der Zuckungen erkennt. Die angeführten Versuche geben, wie gezeigt, sicheren Auf- schluss darüber, dass die Uebertragung von Zuckungen von einer Hälfte des Muskels auf die andere, wenn die Reizung Ueber die chemische Reizung der Muskeln und Nerven u. s. w. 353 nahe bei den Enden des Sartorius ausgeführt ‚wird, nicht durch Schlingen, ‚sondern durch die gabelförmige Theilung der Ner- venprimitivfasers verursacht werden. Wenn man nun einen Zipfel des Sartorius mit einem che- mischen Agens immer weiter vordringend, reizt, so ist mar sicher, dass dasselbe einmal das alleräusserste peripherische Ende des intramusculären Nerven treffen müsse. Sowie nun die Substanz ein Nervenreiz ist, haben wir auch ein Kriterium in den Zuckungen, welche auf dem anderen Zipfel eintreten, während wir beim Beschränktbleiben der Contractionen auf die direct benetzte Muskelhälfte wissen, dass nur eine Muskelrei- zung stattgefunden. Wegen der ausserordentlichen Mühe, che die Versuche mit sich bringen, habe ich nur einige Lö- In in diesem Sinne geprüft, und meine Vermuthungen, die ich seit der ersten Beschäftigung mit der chemischen Reizung gefasst hatte, vollkommen bestätigt gefunden. Eine Lösung von Kupfervitriol erzeugt z. B;. immer nur Zuckungen in der direct gereizten Muskelhälfte, ebenso die verdünnte Salzsäure, einerlei ob auf den frischen Querschnitt angewandt, der schon einmal durch die Scheere ausgebreitete Zuckungen erzeugt hatte, oder durch Eintauchen eines 'Theiles der Oberfläche. Kalilauge sowie Glycerin erzeugen dagegen Zuckungen auf beiden Zipfeln. Durch die Zuckungen, welche z. B. mit Kup- fervitriol oder verdünnter Salzsäure entstehen während der Lähmung des Nerven durch den constanten Strom, ‘wissen wir zwar, dass diese Lösungen Erreger für den Muskel sind, wir wissen aber nicht, ob sie nicht nebenbei doch auch noch den intramuseularen Nerven mit erregen. Dass diese Substanzen nur den Muskel, den intramuseularen Nerven ‚aber gar nicht erregen, wissen wir jetzt durch den letztangeführten Versuch, Ebenso bekommen wir nun auch Aufschluss darüber, dass 2. B. Kalilauge beide zugleich erregt. Die Kalireizung bei elektrotonisirtem Nerven zeigt sicher, dass der Muskel auch gereizt wird, der Versuch an dem gespaltenen Sartorius zeigt aber, dass das Kali den inträmuscularen Nerven mit erregt. Genug, alle Resultate vereinigen sich zu der unabweisbaren Annahme, dass der Muskel irritabel sei. Viel wichtiger ist es 354 ©. Mettenheimer: jedoch, dass es gelingt, den Muskel allein, ohne nervöses Zwi- schenglied zu reizen, wodurch allein man zu der richtigen Kenntniss dessen kommen wird, was dem Nerven und was dem Muskel eigen ist. Mögen die Gegner der Irritabilitäts- lehre strenge Kritik über die Beweise führen, mögen sie aber auch bedenken, dass es doch auch an ihnen ist, Beweise für das Gegentheil vorzubringen. Es ist kein Grund vorhanden, die Irritabilität zu leugnen, so lange kein Factum aufgewiesen werden kann, dass sich nicht durch diese Annahme erklären lässt. Der Versuch, die hier gegebenen Facta aus einer nicht erregbaren Muskelfaser zu erklären, würde mindestens hals- brecherisch sein, Paris, im März 1860. vn? Ueber eine optische Erscheinung an dem Sehnen- gewebe. Von Dr. med. ©. METTENHEIMER in Frankfurt a. M. (Hierzu Taf. X. Fig. 1—5.) Bei der mikroskopischen Untersuchung der getrockneten Achillessehne eines neugebornen Kindes fiel mir vor längerer Zeit schon auf, dass die Längsschnitte, zwischen zwei Nicol- schen Prismen, eine ganz eigenthümliche, regelmässige Ab- wechselung von dunklen und hellen Streifen darboten. Fortge- setzte, auch auf andere Sehnen in verschiedenem Zustand ausgedehnte Beobachtungen haben mich die Erscheinung nach und nach genauer kennen gelehrt, wie ich sie nun in dem Fol- genden zu beschreiben mir erlaube. In .dem zwischen zwei Nicol’schen Prismen verdunkel- tem Gesichtsfeld erscheint das Sehnengewebe, wie längst be- kannt ist, hell. Auf dem Querschnitt der Sehne bemerkt man in’ dem erleuchteten Bilde nichts Besonderes; es wechseln darin Ueber eine optische Erscheinung an dem Sehnengewebe. 355 etwas hellere mit dunkleren Stellen wolkenartig, ohne alle Re- gelmässigkeit. ‘Dagegen überrascht die Schönheit des Anblicks, welchen die Längsschnitte darbieten, sowohl der von der brei- ten, ‚als der von der schmalen Seite der Sehne entnommene, wenn man sich zur Anfertigung der Schnitte bandartig flache Sehnen, wie z. B. die des Muse, tibialis postieus wählt. Solche Sehnitte erscheinen nicht als einfach erleuchtete, mehr oder minder ausgesprochen farbige Flächen, sondern zeigen in regel- mässiger Abwechselung hellere und dunklere Streifen von etwa gleicher Breite, rechtwinklig auf die Längsachse der Seh- nenfasern gestellt. Innerhalb einer Kreisdrehung bietet sich die Erscheinung vier Mal in ihrer grössten Intensität dar; zwei u bei parallelen Prismen, dann sieht man bräunlich-gelbe ifen mit ganz hellen wechseln, zwei Mal bei gekreuzten Prismen, dann erscheinen die vorher bräunlichen Streifen bläu- lich, die vorher hellen dagegen schwarz, Bei dem Uebergang des einen Bildes in das andere spal- teten sich die bräunlichen oder die schwarzen Streifen, je nach- dem man vom erhellten oder verdunkelten Gesichtsfeld aus- geht, der Länge nach in zwei Hälften, die, indem zwischen ihnen ein heller Streif sichtbar wird, bei fortschreitender Dre- hung weiter und weiter auseinanderrücken., Dadurch müssen sich natürlich die beiden einander gegenüberliegenden Hälften zweier ursprünglich durch einen hellen Streif getrennten dunk- len Streifen nähern, bis sie sich endlich vereinigen und einen dunklen (bräunlichen oder schwarzen) 'Streif bilden, an der Stelle, wo vorher ein heller Streif war. In demselben Augen- blick hat der mit der beginnenden Spaltung, des dunklen Strei- fens entstehende helle Streif seine grösste Breite erreicht und füllt nun genau die Stelle aus, die, 90° weiter rückwärts ge- rechnet, ein dunkler Streif ausgefüllt hatte. Es ist nicht schwer, sich zu überzeugen, dass diese Strei- fenerscheinung durch die Structur der Sehne bedingt ist. Auf jedem Längsschnitt erscheint die Sehne aus parallelen Fasern zusammengesetzt, die einen wellenförmigen Verlauf haben. Diese Wellen der Faserzüge sind es, welche jene Erscheinung von regelmässiger (Querstreifung bei Anwendung des. Polarisations- 356 ©. Mettenheimer: apparates hervorbringen. Stellt man sich einen solchen dün- nen Längsschnitt einer Sehne als eine Schicht von Fasern vor, die in eine Folge von kleinen Wellen gebrochen ist, so er- scheint bei Anwendung des Polarisationsapparates immer die eine Abdachung der Wellen erhellt, wenn die andere verdun- kelt ist, und umgekehrt. Da nur eine Drehung von 90° erforderlich ist, um eine verdunkelte Wellenabdachung zu erhellen, oder eine erhellte zu verdunkeln, so ist der Schluss erlaubt, dass die beiden Ab- dachungen der Wellen einen Winkel von 90° mit einander bil- den. Ausdrücklich betone ich’ hier, dass nicht Wellenberg und Wellenthal, welche mechanisch genommen den grössten Gegen- satz im Verlauf der Sehnenfasern darstellen, die Stellen be- zeichnen, wo die dunklen Streifen am dunkelsten, die hel- len am hellsten erscheinen; diese Stellen liegen vielmehr in der Mitte zwischen den Extremen der grössten Lichtintensität und Lichtverminderung, und die Wellenabdachungen sind der eigentliche Sitz des Streifenphänomens,. Schon bei Anwendung eines einzigen, jenseits des Objects angebrachten Nicol’schen Prisma’s kann man, wenn man das Prisma bei günstiger Beleuchtung dreht, jenes Streifenphä- nomen in zarter Andeutung wahrnehmen. In voller Pracht erscheint es freilich erst, nachdem man den Polariseur hinzu- gefügt hat. Bei gewöhnlicher Beleuchtung entziehen sich die zarten Wellenbiegungen der Fasern, besonders an sehr dünnen Schnitten, oft der Beobachtung; man braucht dann nur ein Nicol’sches Prisma oder beide anzuwenden, um die Wellen der Faserzüge mit der grössten Deutlichkeit zu erkennen. Die Abweehselung von hellen und dunklen Streifen lässt sich schon bei schwachen Vergrösserungen wahrnehmen; ihr Verhältniss zu den Wellenbiegungen jedoch erst bei einer Vergrösserung von 270—300mal deutlich erkennen. Uebrigens vermuthe ich, dass diese Erscheinung, welche sich bei starken Vergrösserun- gen und Anwendung des polarisirten Lichtes so prachtvoll aus- nimmt, sich mit einer an den Sehnen schon mit blossem Auge erkennbaren Erscheinung in Beziehung bringen lässt, nämlich dem Irisiren derselben. Ueber eine optische Erscheinung an dem Sehnengewebe. 357 Die Sehnen kommen meist oder immer in entspanntem Zu- stand zur Beobachtung. Man bemerkt dann, dass ihre Ober- fläche fein gerunzelt ist, oder — um vorläufig jeden Erklä- rungsversuch auszuschliessen — dass die Oberfläche aus einer regelmässig abwechselnden Folge von matten (dunkleren) und glänzenden (hellen) Stellen besteht. Diese feine Streifung oder Runzelung der Oberfläche erkennt man z. B. sehr deutlich an den Bindegewebebalken der Dura mater und an der sehnigen Ausbreitung des Musc. psoas, die sich in lauter sehr dünne Sehnenstränge auflöst, anderer sehniger Ausbreitungen nicht zu gedenken. Die Sehnenfäden von den beiden angeführten Orten nommen, stellen natürliche Längssehnitte dar und lassen ohne ere Spaltung in dünnere Schichten des oben beschriebenen Streifenphänomen bei durebfallendem und polarisirtem Lichte ohne Schwierigkeit wahrnehmen. Es ist mir sehr wahrscheinlich, dass die Runzelung der Oberfläche der Sehnen, das Irisiren derselben, die mikrosko- pische Wellenbiegung der Faserzüge und das Streifenphänomen bei polarisirtem Lichte sich auf einen Grund zurückführen las- sen und als die katoptrischen und dioptrischen Ausdrücke der Blastieität der Sehnen aufzufassen sein möchten. In einigen Fällen ist es mir missglückt, die dunklen und hellen Streifen zur Anschauung zu bringen, nämlich bei sehr dünnen Sehnen- fädchen, nachdem sie einem sehr starken Druck ausgesetzt worden waren. Hier war auch der Faserverlauf ein geradlini- ger, und es bot die Sehne im verdunkelten Gesichtsfeld nur den Anblick einer farbig erleuchteten Fläche ohne Streifen dar. Wenn man an’ einer Leiche eine Sehne an einem ihrer In- sertionspunkte abschneidet, so schnurrt sie in der Richtung ihrer Länge zusammen und wird kleiner als sie vorher war. In diesem Zustand zeigt die Sehne die Kräuselung ihrer Faser- züge und bei Anwendung der Nicol’schen Prismen die Streifung. Beide Erscheinungen bleiben, wenn die Sehne’ ge- trocknet wird, Liegt sie dagegen einige Zeit in Wasser, so verliert sie ihre Blasticität und mit ihr die Fähigkeit, jene op- tische Erscheinung hervorzubringen. Auch die Verkalkung ist ein Zustand, in welchem das Seh- PN E 358 €. Mettenheimer: nengewebe zwar nicht die Fähigkeit, das Licht überhaupt zu polarisiren, wohl aber die Erscheinung die dunklen Querstreifen hervorzubringen, einbüsst. Dies muss ich wenigstens behaup- ten nach der Untersuchung verknöcherter Sehnen von Vögeln, sowie der harten Hirnhaut eines l1jährigen Kindes, deren Bindegewebebündel sich an sehr vielen Stellen in verkalktem Zustand befanden. Wo sich die Streifen finden, scheinen sie überall gleich re- gelmässig zu sein; sie sind aber durchaus nicht überall von gleicher Breite. Die feinste Streifung, die mir zur Beobach- tung kam, boten mir die brückenartig ausgespannten, einander durchkreuzenden Sehnenfaserbündel dar, welche man an der in- neren Fläche der harten Hirnhaut in der Nähe des Process. faleiformis antrifft. Dem entsprechend bemerkt man, wie be- reits angeführt, an der Oberfläche dieser feinen Bündel eine äusserst feine Runzelung, die verschwindet und wieder hervor- tritt, je nachdem man das Bündel anspannt oder sich zusam- menziehen lässt, Wer Sehnen öfter untersucht hat, dem ist es bekannt, dass sie von einem eng anliegenden Perineurium umgeben sind. In dieser zellgewebigen Hülle unterscheidet man leicht stärkere und schwächere Bündel, die in ziemlich regelmässiger Ab- wechselung rechtwinklig auf der Längsachse des Sehnenfaser- verlaufs stehen. Als ich noch im Unklaren war, auf welches Strueturverhältniss die vermittelst des Polarisationsapparats an Sehnenschnitten beobachteten Streifen zurückzuführen sein möchten, glaubte ich einen Augenblick in den querverlaufenden Bündeln der umschnürenden Bindegewebehülle eine Erklärung gefunden zu haben. Nach Entfernung dieser Hülle durch die Präparation konnte ich mich aber leicht überzeugen, dass die optische Erscheinung, die meine Neugierde erregt hatte, dem Gewebe der Sehne selbst angehören musste. Auch der Zweifel erwies sich als ungegründet, ob nicht die im polarisirten Licht auftretenden Querstreifen ein Ausdruck der Unebenheiten sein möchten, die das Messer bei Anfertigung feiner Schnitte immer hervorbringt. Mit Hülfe des Mikroskops lassen sich die Stellen, wo die Messerschneide aus der Ebene ”. < = Ueber eine’ optische Erscheinung 'an dem Sehnengewebe. 359 einer Faserschicht in die andere übergegangen ist, leicht auf- finden; nie bemerkt man aber, dass das Auftreten schwarzer oder brauner Streifen an solche Stellen geknüpft wäre, Noch schlagender sprieht gegen die Möglichkeit, diese Ansicht zu halten, der Umstand, dass an sehr dünnen, vom Messer nicht berührten Sehnen, die gleichsam natürliche Längsschnitte dar- stellen, die Erscheinung der dunklen Querstreifen im polarisir- tem Lichte mit aller nur wünschenswerthen Klarheit zu beob- achten ist. Es ist hier am Orte, eine ganz eigenthümliche Form des Sehnengewebes zu erwähnen, die ich beim violetten Seestern der Nordsee (Asteracanthion violaceus) aufgefunden habe. Die sackartigen Erweiterungen des Magens dieses Thieres werden bekanntlich durch je zwei sehr derbe, sehnige Häute an. die Wirbelsäule eines jeden Strahles befestigt. Ich meine die Häute, welche Tiedemann in seinem bekannten Werk Ta- fel VIII zz. von Asterias aurantiaca abbildet und von denen dieser exacte Forscher sagt: „es sind zwei weisse, sehnenartige Fasern oder Bänder, die von der Wirbelsäule entspringen und sich an den Magen inseriren, welche irrig für Nerven gehalten worden sind.“ Unter dem Mikroskope bemerkt man, dass diese Häute aus äusserst zarten, fein gekräuselten Fasern bestehen, und dass diese Fasern in regelmässiger Abwechselung dunklere und hel- lere Streifen bilden. Habe ich recht gesehen, was bei der grossen Feinheit der Fasern nicht so leicht ist, so stehen die Streifen hier nicht senkrecht auf der Längsachse der Fasern, hängen auch nicht mit der feinen Kräuselung der Fasern zu- sammen. Ich bin geneigt, die dunklen Streifen für den Aus- druck einer diehteren Zusammenhäufung von Bindegewebefa- sern zu halten, und habe versucht, mir die so eigenthümliche Art der Falten, wie wir sie an den Aponeurosen des Seesterns finden, dadurch zu erklären, dass diese sehnigen Ausbreitungen mit ihrem oberen Rande an einen sehr derben Sehnenfaden be- festigt sind, dessen Zusammenschnurren eine Runzelung der sehnigen Haut in einer der Längsachse ihrer Fasern parallelen Richtung bewirken muss, Die Anwendung des Polarisations- ” ie ” n C. Mettenheimer: Ueber eine optische Erscheinung u. s. w. apparates führte zu demselben Ergebniss, wie an den Längs- schnitten der Sehnen des Menschen: es zeigte sich eine Folge von regelmässig abwechselnden dunkeln und helleren Streifen, die hier nicht an die feinen Wellenbiegungen der Fasern, son- dern an die gröberen Colleetivwellen der sehnigen Haut ge- bunden sind. Erklärung der Abbildungen. Tafel X. Halbschematische Darstellung des mikroskopischen Verhaltens einer Sehne auf dem Längsschnitt bei Anwendung des Polarisations- apparates. Fig. 1. Die Prismen gekreuzt. Fig. 2. Die Prismen parallel. Fig. 3. Der Sehnenschnitt in einer Stellung der Prismen, welche zwischen beiden die Mitte hält. Die dunklen Streifen beginnen sich zu spalten. Ein Streif steht nicht ganz gerade, wie es häufig, vor- kommt, In allen Figuren bedeutet a die vordere, b die hintere Abdachung der Wellen. Fig. 4. Sehnige Haut zur Befestigung des Magens bei Astera- canthion violaceus. Man sieht die abwechselnden dunklen und hl Streifen der Haut. Bei a vereinigen sich zwei dunklere Streifen, was nicht ‚selten vorkommt. Fig. 5. Stück der Wirbelsäule von Asleracanthion, mit den beiden dreieckigen Sehnenhäuten, die sich an dem Magen befestigen. a. Die beiden Sehnenhäute. b. Die Wirbelsäule eines Strahles. ce. Die sehnigen Stränge, welche den oberen Rand der Seh- nenhäute bilden. . t. Magensack mit der Insertionsstelle der Sehnenhäute, ® C. Mettenheimer: Ueber eine eigenthümliche Art u. u. w. 361 Ueber eine eigenthümliche Art von Querstreifung an den Muskeln der Anneliden, Von Dr, med, C. METTENBEIMER in Frankfurt a. M. Fr (Hierzu, Taf. X. Fig. 6—11.) "Die Beobachtung, die ich mir erlauben will, hiermit den Histologen vorzulegen, machte ich zufällig, als ich mich mit der Anatomie des Nervensystems von Arenicola piscatorum be- schäftigte. Meine Aufmerksamkeit war eigentlich, wie gesagt, nieht auf den Bau der Muskeln dieses Thieres gerichtet; nach- dem ieh'aber bei Anfertigung anderer Präparate mehrmals zu- gleich ‘kleine Partieen der Längsmuskeln, ohne dass ich es vermeiden konnte, unter das Mikroskop bekommen hatte, musste eine feine Streifung, die sich an diesen Muskeln zeigte, meine Neugierde erregen. Die Primitivbündel des Längsmus- kels der Leibeshöhle und’ des Oesophagus sah ich wiederholt mit feinen Streifen bedeckt, die bald rechtwinklig, bald schief- winklig auf der Längsachse des Bündels standen, bald zwei Systeme schiefer Linien darstellten, die sich in der Achse des Bündels durchkreuzten.') Ich 'wiederhole, dass das Phänomen ein sehr zartes und nur bei günstiger Beleuchtung deutlich zu sehen war. Oft erschien mir‘ diese Streifung wie eine zarte, auf den Muskeln liegende ‘Schieht. — Ich habe diese Zeich- nung an isolirten Muskelprimitivbündeln, wie an ganzen Grup- pen derselben wahrgenommen; es kamen Bündel zur Beobach- tung, die in einem Theil ihres Verlaufs platt, im anderen ge- streift waren; andere waren der Breite nach zur Hälfte gestreift, zur Hälfte glatt; endlich gab es Bündel, welche stellenweise 1) Fig. 6—10. Beichert's u. du Bols-Koymond's Archiv, 1860. 24 Y „® 362 ©. Mettenheimer: schief-, stellenweise quergestreift waren. Ueberblickte ich grössere Muskelpartieen, so war die Streifung keineswegs gleichmässig verbreitet; grössere ungestreifte Erstreckungen wechselten mit gestreiften.') Die Thiere, an denen die Beobachtung gemaeht wurde, waren alle vivisecirt, theils unter süssem, theils unter salzigem Wasser, An Präparaten, die eine Zeit lang in Chromsäure oder in Weingeist gelegen hatten, liess sich die Streifung nicht mehr erkennen. Nach der Art ihres Vorkommens därf man diese Streifung wohl nicht als etwas den Annelidenmüuskeln bleibend Zukom- mendes ansehen; schon um deswillen möchte ich nicht wagen, das Phänomen ‘der bleibenden Querstreifung an. den Muskeln höherer Thiere zu parallelisiren. ' Die Muskeln der Würmer halte ich nach wie vor für, glatt; unter gewissen, noch näher festzustellenden Umständen, scheinen aber an ihnen feine Strei- fen aufzutreten, die als der Ausdruck gewisser vorübergehenden Vorgänge und Zustände im Muskel zu betrachten sein möchten. An dem Bindegewebe, wie es sich in der Nähe der grossen Gefässstämme und des Nervenstrangs bei Arenicol« findet, glaube ich eine Zeichnung bemerkt zu haben, die man viel- leicht mit: der Streifung. ‚der Muskeln verwechseln könnte. Diese durch den Verlauf paralleler Fasern hervorgebrachte Zeichnung ist aber viel gröber, als die Streifung, die ich von den Muskeln beschrieben habe. Es sei hier nebenbei angeführt, dass sich in dem die gros- sen Gefässe begleitenden Zellgewebe sehr viele isolirte glatte Muskelfaserzellen eingestreut finden.?) Nicht ganz selten sind diese Muskelfasern, denen jenes Zellgewebe seine Contraetilität verdanken mag, verästelt.?) Sie enthalten immer einie geringe Anzahl dunkler Körnchen. Bei einer Nereide, die ich gleichfalls lebend zur‘ Untersu- 1) Fig. 7, 8. 2) Fig. 11. 3) Fig. 11a. Ueber eine eigenthümliehe Art von Querstreifung u. s. w. 363 suchung bekam (Nereis succinea), habe ich die zarte Streifung der Muskeln mehrmals recht gut sehen können. Eine Längsstreifung, wie sie an den Muskeln der Wirbel- thiere die Primitivfibrillen hervorbringen, ist mir, dies möchte wohl nicht überflüssig, sein anzuführen, weder an den Muskeln von Arenicola, noch bei Nereis begegnet, wenn man nicht eine bis zwei die Längsachse bezeichnenden Linien, die ich in den Muskelbündeln des Oesophagus beobachtet, dafür gelten las- sen will.') Erklärung der Abbildungen. Fig. 6—9,. Theil des Längsmuskels von Arenicola piscatorum. Fig. 6. Mit zwei sich durchkreuzenden Systemen von Streifen. Fig. 7. Drei Bündel mit verschiedenen Formen von Streifen. Fig. 8. Eine Gruppe von Muskelbündeln, stellenweise gestreift, stellenweise glatt. 2 Fig. 9. Wellige, schief auf die Längsachse gerichtete Streifung. Fig. 10. Muskelbündel aus dem Oesophagus desselben Thieres. Querstreifung. Zwei dunklere Linien in der Längsachse, die mögli- cherweise als Andeutung einer Längsstreifung gelten könnten. Fig. Il. Muskelfaserzellen aus dem die grossen Gefässstämme begleitenden Bindegewebe. a. Beispiel einer verästelten, glatten Muskelfaserzelle: 1) Fig. 10. 24° 364 a \ 3. Neukomm: Ueber die Nachweisung der Gallensäuren und die Umwandlung, derselben in der Blutbahn. Von Dr. J. NEUKOMM. W. Kühne hat, gestützt auf eine Reihe von Versuchen, die Behauptung ausgesprochen, dass Gallensäuren, welche in die Blutbahn gelangen, keine Veränderung erleiden, und durch den Urin wieder aus dem Körper entfernt werden. Mit dieser Behauptung stehen die Beobachtungen anderer Forscher in Widerspruch, denen ee nach Galleninjectionen und bei entschiedenem Ieterus, wo der Harn reich an Galleupig- ment war, nicht, oder doch nur in wenigen Fällen gelang, die Anwesenheit von Gallensäuren zu constatiren. Auch Kühne und Hoppe gelangten bei Anwendung, der bisher üblichen Methode zu keinem positiven Resultat, wohl aber, wenn sie eine von Hoppe?) angegebene Methode benutz- ten, welche darin besteht, dass man den mit Kalkmilch aufge- kochten und filtrirten Harn mit einem Ueberschuss von Salz- säure einige Zeit kocht, und die auf Zusatz von Wasser sich bildende Abscheidung, welche Choloidinsäure enthalten müsste, zur Pettenkofer’schen Reaction benutzt. Auf hinreichende Genauigkeit kann aber auch diese Me- thode nicht Anspruch machen, da Kühne selbst zugesteht, dass es ihm nicht gelungen sei, '/ Grm. trockener Ochsen- galle, welche in 500 CC. Harn gelöst worden war, constant nachzuweisen, und das Vertrauen zu jenem Verfahren musste * vollends abgeschwächt werden, als Folwarezny°) mittheilte, 1) Virchow’s Archiv, XIV. 310, 2) Virchow’s Archiv, XIII. 101. 3) Zeitschrift d. Gesellschaft der Wiener Aerzte. 1859. No. 15. 4 ‚Ueber die Nachweisung der Gallensäuren u. s. w. 365 dass auch nach Hoppe’s Methode die Anwesenheit von Gal- lensäuren nicht zu constatiren sei. Durch diese widersprechenden Angaben sahen wir uns ver- anlasst, die Kühne’schen Versuche ’zu wiederholen und die Genauigkeit der Hoppe’schen Methode mit der bisher übli- chen, der Bleifällung, zu vergleichen. Wir dehnten unsere Versuche auf die Cholsäure und die Glykocholsäure aus, 'wäh- rend die Taurocholsäure, welche man noch nicht vollständig von der Glykocholsäure zu trennen vermag, ausgeschlossen bleiben musste. Die Cholsäure wandten wir als neutrales Am- moniaksalz, die Glykocholsäure als Natronsalz an. Um eine Vergleichung zwischen der dem Blut zugeführten und der mit dem Harn entleerten Gallensäuremenge anstellen zu können, schien es zunächst nothwendig, die Grenzen der Pettenkofer’schen Reaction festzustellen und die Intensität der Färbung bei verschiedenem Gehalt der Lösungen kennen zu lernen. ‚Stellten sich dabei feste Verhältnisse heraus, so war es leicht, die Quantität der in Lösung befindlichen Gallen- säuren durch Colorimetrie zu bestimmen. Wir vermischten die Gallensäurelösung (3 CC.) nach Pet- tenkofer’s Vorschrift portionsweise mit ?/, Vol. concentr. Schwefelsäure, setzten dann einen Tropfen einer 10proc. Zucker- solution hinzu und trugen Sorge, dass die verschiedenen Pro- ben stets nahezu dieselbe Temperatur annahmen. Am schön- sten tritt die Reaction bei einer Erwärmung der Lösung auf 70—75° C. ein. Bei dieser Behandlung gab eine wässrige Lösung, welche */6Proc, Cholsäure enthielt, eine schöne 'purpurviolette Fär- bung. Bei '/Proc. Gehalt war die Farbe purpurroth mit einem Stich in’s Violette, bei "/,, Proc. entstand nur noch eine schwach weinrothe Färbung, und bei: !/,,, Proc. wurde eine schwach gelbe Flüssigkeit erhalten, die auch bei längerem Stehen nicht roth wurde. — Die Lösungen der Glykocholsäure zeigten bei gleicher Concentration eine merkbar schwächere Far- benreaetion, ohne jedoch wesentlich verschiedene Resultate zu geben. Wir haben indessen nur die am besten gelungenen Fürbun- 366 J. Neukomm: gen angeführt, da auf dieselben die raschere oder: langsamere Mischung mit Schwefelsäure und die dabei unvermeidlichen Temperaturschwankungen von grossem Einfluss sind... Eine quantitative colorimetrische Bestimmung der Gallensäure ist daher mit Hülfe der Pettenkofer’schen Reaction nicht zu erzielen. Die Grenzen der Reaction werden bedeutend erweitert, wenn man jenes Verfahren etwas abändert. Wir beobachteten, dass ein einziger Tropfen einer '/,,proc. Cholsäure- oder Gly- kocholsäurelösung noch ein prachtvolles Purpurviolett liefert, wenn man denselben in einer Porcellanschale mit einen Tropfen verdünnter Schwefelsäure (1 Thl. HO, S0,-+4 Thle HO) und einer Spur Zuckerlösung vermischt und unter Umschwenken über einer kleinen Spirituslampe vorsichtig und gelinde' er- wärmt. Bei einigem Stehen der Probe nimmt die Farbe an Intensität ansehnlich zu. — Da 1 CC. nahezu 8 Tropfen ent- hält, so gelingt es also, auf diese Weise noch %/,.. Milligrm, Gallensäure mit voller Schärfe nachzuweisen. Eine grössere Concentration der Lösung ist natürlich nicht störend; bei stär- kerer Verdünnung hat man die zu prüfende Flüssigkeit zuvor auf einen oder einige Tropfen zu verdampfen. — 1CC, einer '/ıooproc. Lösung beider Säuren gab auf die angegebene Weise noch die herrlichste purpurviolette Färbung, während bei glei- cher Verdünnung und bei Anwendung von 3 CC. Lösung das gewöhnliche Pettenkofer’sche Verfahren ohne Resultat blieb, Gelang es nur auf die letztere Weise, das Vorbandensein von Gallensäuren zu constatiren, so werden wir dieses in dem Folgenden, der Kürze wegen, durch „Prüfung inder Por- eellanschale“ andeuten, Im Harn wirken andere Stoffe mehr oder weniger störend auf die Pettenkofer’sche Reaction ein. Der normale. Harn von Menschen und Hunden zeigt gewöhnlich, wenn er mit Schwefelsäure versetzt wird, an der Berührungsstelle "beider Schichten, einen schön weinrothen, öfter in's Violette spielenden Ring, und nach dem Umschütteln entsteht dann eine wein- rothe, nicht selten auch violettrothe Flüssigkeit, ohne dass man daraus auf die Anwesenheit von Gallensäuren schliessen dürfte, Ueber die Nachweisung der Gallensäuren u. s. w. 367 wie wir uns durch ‚mehrere Versuche. mit reinem Harn, den wir auf die unten angegebene Weise prüften, überzeugten. Harn, welchem */,„proc. Glykocholsäure. zugesetzt worden war, verhielt sich gegen Schwefelsäure und Zucker nicht an- ders als derselbe Harn ohne Gallensäure, bei alleinigem Zusatz von Schwefelsäure. Harn mit ?/ „Proc. Glykocholsäure gab bei Sehwefelsäure- und Zuekerzusatz eine leichte Trübung und nach dem Mischen eine dunkelweinrothe Lösung, in der das Roth lange Zeit vorherrschend blieb. Völlig unzweideutig war die Gallensäurereaction, als dem Harn '/,Proe. Glyköcholsäure zu- gesetzt worden war. Nachdem wir diese vorbereitenden Versuche gemacht hatten, wandten wir uns zur Prüfung, der Methode von Hoppe, ver- gliehen dieselbe darauf mit der Bleifällung und zogen endlich noch den ikterischen. Harn von Menschen und den Harn von Hunden nach Gallensäureinjection in den Kreis unserer Unter- suchung. I. Hoppe’s Methode zur Nachweisung von Gallen- säuren im Harn, 0,1Grm. krystallin. glykocholsaures Natron wurde in 500. CC. normalem Menschenharn gelöst, die klare Lösung mit Kalk- milch versetzt und während einer halben Stunde auf etwa ?/; des ursprünglichen Volums eingekocht, dann heiss filtrirt und das Filtrat auf ein kleineres Volum (etwa 50 CC.) verdampft. Darauf wurde eone. Salzsäure in reichlichem Ueberschuss zu- ‚gesetzt und die Flüssigkeit eine halbe Stunde lang im Kochen erhalten. Sie wurde stark rothbraun, und auf Zusatz der 6—Bfachen Menge Wassers schieden sich braune Flocken aus. Nach mehrstündigem Stehen wurden diese auf einem Filter ge- sammelt, gewaschen und getrocknet. Der Filterrückstand löste sich in starkem Weingeist mit Hinterlassung von etwas huminartiger Materie. Die tiefbraune Lösung wurde durch Kochen mit frisch 'geglühter Blutkohle vollkommen entfärbt, und beim Verdampfen des Filtrats hinter- blieb ein schwach gelblicher, schmieriger Rückstand, der in wenig natronhaltigem Wasser gelöst zur Pettenkofer’schen. 368 I. Neukomm: Reaction 'benutzt ‚wurde. Mit Schwefelsäure versetzt: färbte sich die Probe unter Abscheidung von braunen 'Flocken: röthlich braun, und die Farbe wurde auf Zuckerzusatz intensiver, ohne jedoch den für die Gallensäuren charakteristischen Farbenton anzunehmen. Wurde dagegen ein Theil der Lösung in einer Porcellan- schale auf einige Tropfen concentrirt, dann mit einem Tropfen Sehwefelsäure und einer Spur Zucker versetzt und gelinde er- wärmt, so trat wenigstens am Rande der Flüssigkeit eine‘pur- purviolette Färbung auf. Einer zweiten Harnprobe von 500 CC. wurden: 0,05:Grm. Glykocholsäure zugesetzt, und wie ‘das erste Mal verfahren. Die Resultate der einzelnen ‚Operationen waren: dieselben wie dort, aber bei Anstellung der Pettenkofer’schen Probe konnte weder auf die eine noch auf die 'andere‘ Weise die für die Gallensäuren charakteristische Färbung erhalten werden. Eine Wiederholung des Versuchs ergab dasselbe Resultat. Aus diesen Versuchen geht hervor, dass die Hoppe’sche Methode auch bei Anwendung nicht unbedeutender Mengen von Gallensäuren nur ein zweideutiges Resultat liefert und dass sie zur Nachweisung von kleinen Quantitäten ganz un- brauchbar ist. II. Abscheidung der Gallensäuren durch essigsaures Blei. Wir begannen damit, Versuche über die Fällbarkeit der'gal- lensauren Salze in wässriger Lösung anzustellen, und gingen dann zur Prüfung der. Harnlösungen über, Es stellte sich alsbald ‘heraus, dass es weit zweckmässiger sei, sogleich Bleiessig zur Fällung anzuwenden, statt wie üb- lich, neutrales und basisches Bleiacetat auf einander folgen zu lassen. Der Bleiniederschlag kann mit Schwefelwasserstoff zersetzt werden, das Schwefelblei hält dann aber‘ hartnäckig Gallensäuren zurück, zu deren Ausziehung die Anwendung von Weingeist erforderlich ist. Wir zogen in der Regel vor, den nach mehrstündigem Stehen gesammelten und gewasehenen Bleiniederschlag unter Zusatz von kohlensaurem Natron zur Ueber die Nachweisung‘ der Gallensäuren u. s. w. 369 Trockne zu verdampfen,; und‘ aus dem Rückstand das gallen- saure Natronmit absolutem Weingeist auszuziehen: Der Wein- geist wurde dann durch Abdampfen entfernt, und zur Reaction eine wässrige Lösung des Salzes angewandt. 1% .Wässrige Gallensäurelösungen. a. ' Cholsäure. 1) 0,03 Grm. Cholsäure (an Ammoniak gebunden) wurden in:1000 CC. Wasser gelöst und mit Bleiessig versetzt. Nach 12sfündigem Stehen ‘war die über (dem Niederschlag ruhende Flüssigkeit ziemlich‘ klar ‘und ‘wurde 'grösstentheils ‚mittelst eines Hebers abgezogen. Die auf einem Filter gesammelte Bleiverbindung gab, nachdem sie in das: Natronsalz verwandelt und mit Wasser auf 3 CC. verdünnt worden war, auf Zusatz von"2 CC. Schwefelsäure und etwas Zucker anfangs eine mil- chige Trübuug, später eine purpurrothe Färbung ohne harzige ‚Ausscheidung. ) 2) Wurden 0,02 Grm. Cholsäure in einem Liter Wasser ge- löst, mit Bleiessig gefällt und ‘die Bleiverbindung in das Na- tronsalz verwandelt, so trat in der 3 CC. betragenden Lösung auf Zusatz von etwas Zucker und 2.CC. Schwefelsäure nur eine weinrothe. Färbung ein.‘ — Als der Versuch wiederholt und die Lösung des Natronsalzes in der Porcellanschale ge- prüft wurde, zeigte sich eine prachtvoll purpurviolette Färbung. 3) Eine Lösung, welche 0,01 Grm. Cholsäure im Liter ent- hielt, gab mit Bleiessig noch eine Ausscheidung, welche sich nach 24stündigem Stehen beinahe: vollständig als Niederschlag zu Boden gesetzt hatte. Die daraus dargestellte Natronverbin- dung gab bei der Prüfung in der Porcellanschale eine intensiv purpurviolette Färbung. 4) 0,005 Grm. Cholsäure konnten, in einer gleichen Menge Wasser gelöst, aus dem Bleiniederschlag ebenso wie dort noch dureh eine schöne purpurviolette Farbe nachgewiesen werden. Nach diesen Versuchen lässt sich die‘ Cholsäure bei 200,000facher Verdünnung durch "Bleiessig in hinreichender Menge fällen, um 'sie'mit der grössten Sicherheit im Nieder- schlage nachzuweisen. Aus der ‚Intensität der Farbenreaction 370 "9. Neukomm: bei der vierten Probe ist übrigens zu schliessen, dass die Ver- dünnung eine noch viel beträchtlichere sein: kann, b. GlIykocholsäure. 1) Eine Lösung von glykocholsaurem Natron, welche 0,005 Grm. im Liter enthielt, gab mit bas. essigsaurem Blei eine milchige Ausscheidung, welche sich nach 24stündigem Stehen nur unvollständig. zu Boden setzte. Wurde ein Theil der Flüssigkeit abgezogen, der andere filtrirt, so gab der! auf dem Filter gesammelte und in Natronsalz verwandelte Blei- niederschlag auch nach unserem Verfahren keine Gallensäure- reaction. 2) Enthielten die mit Bleiessig versetzten 1000 CC. Lösung 0,01 Grm. Glykoeholsäure, so liess sich diese im Bleinieder- schlag auf die von uns angegebene Weise durch eine schwach purpurrothe Farbe nachweisen. 3) Die Färbung der wie im vorigen Versuch angestellten Reaction war intensiy purpurviolett, wenn die in 1000.CC, ge- löste Glykocholsäure 0,02 Grm. betrug. Demnach ist also die Glykocholsäure nicht ‘‚so. vollständig durch ‚Bleiessig fällbar, wie die Cholsäure; sie wird aber bei 100,000facher Verdünnung noch in der: Weise gefällt, dass: sie im Bleiniederschlag mit Sicherheit nachgewiesen werden kann, 2. Gallensäurehaltiger Harn. Nach den mitgetheilten Versuchen ist die Fällbarkeit der Gallensäuren durch Bleiessig viel vollständiger als man bisher irgend erwartet hat, und es war zu vermuthen, dass die Blei- fällung auch bei Harnlösungen zu einem guten, Resultate füh- ren müsse. Diese Voraussetzung hat sich vollkommen bestä- tigt, nur muss Sorge getragen werden, dass die vorhandenen anorganischen Salze vor der Bleifällung möglichst vollständig aus, dem Harn entfernt werden. Man erreicht diesen Zweck hinreichend, wenn man den Harn zum dicken Syrup verdampft, denselben mit gewöhnlichem Weingeist extrahirt, die weingei- stige Lösung von neuem verdampft und den Rückstand mit absolutem 'Weingeist auszieht. Ueber die Nachweisung der Gallensäuren u. s. w. 371 Die dadurch gewonnene, nunmehr ziemlich salzarme Lösung wird von Weingeist befreit, der Rückstand in wenig Wasser aufgenommen, die Lösung mit Bleiessig versetzt und der Nie- derschlag nach etwa 12stündigem Stehen gesammelt, gewaschen und zwischen Fliesspapier leicht abgetrocknet. Um andere dem Bleiniederschlage beigemengte Substanzen möglichst zu entfernen, zieht man das gallensaure Blei mit siesdendem Weingeist aus und verwandelt dasselbe, wie oben angegeben, in die Natronverbindung. Diese enthält neben den Gallensäuren immer noch kleine Mengen eines harzigen Harnbestandtheiles, welcher sich mit Schwefelsäure braunröthlich, zuweilen auch schwach blau oder violett und beim Erwärmen unter Zuekerzusatz roth- bis gelb- braun färbt. Selten ist diese Färbung so stark, dass dadurch die Gallenreaction verdeckt würde, und ist dieses bei einer vorläufigen Probe wirklich der Fall, so lassen sich die Gallen- säuren dadurch reiner erhalten, dass man sie aus der wässrigen Lösung des Natronsalzes noch einmal mit wenig Bleiessig fällt, den Niederschlag nach einigem Stehen sammelt und mit koh- lensaurem Natron zerlegt. Die folgenden Versuche werden die Zuverlässigkeit unserer Methode darthun, a. Cholsäure. 1) 500. CC, normalen Menschenharns wurden mit 0,01 Grm. an. Ammoniak gebundener Cholsäure gemischt und die Lösung in der oben angegebenen Weise weiter behandelt, Die erhal- tene Natronverbindung, in wenig Wasser gelöst und in einer Porcellanschale mit einigen Tropfen Schwefelsäure versetzt, gab anfangs eine lichte Trübung, hernach eine röthlichbraune Lö- sung, welche, mit einer Spur Zucker versetzt und gelinde er- wärmt, sich lebhaft purpurviolett färbte. 2) Zu einer gleich grossen Harnquantität wurden 0,005 Grm. Cholsäure gesetzt. Auch in diesem Falle konnte, in. gleicher Art wie im vorigen Versuche, die Gallensäure aus dem Blei- niederschlag durch eine schön purpurrothe Farbe nachgewiesen werden, 372 ! I. Neukomm: b. Glykocholsäure. 1) In gleicher Weise wie in den vorigen Versuchen wur- den 500 CC. Harn 0,01 Grm. Glykocholsäure als Natronsalz beigemischt und im Uebrigen wie dort verfahren. Die Säure war in der Probeflüssigkeit durch eine charakteristische pur- purviolette Farbe nachweisbar. 2) Ein zweiter Versuch mit 0,005 Grm. Glykocholsäure in 500 CC. Harn angestellt, zeigte ebenfalls noch durch eine deut- liche purpurrothe Färbung die Gegenwart von Gallensäure an. Aus diesen Versuchen ergiebt sich, dass die bisher übliche Methode zur Nachweisung der Gallensäuren im Harn mit Un- recht getadelt worden ist; sie führt zu überraschend scharfen Resultaten, wenn nur die Punkte, die wir besonders hervor- heben, Fällung durch Bleiessig, möglichste Entfernung der an- organischen Salze und Abänderung des gewöhnlichen Petten- kofer’schen Verfahrens, gehörig berücksichtigt werden. Nach dieser Methode gelang es, !/,o00u Proe. Glykocholsäure im Urin nachzuweisen, während dieses bei den nachHoppe’s Verfahren angestellten Versuchen bei !/;,Proe. kaum möglich war. Es ist daher jene Methode allein brauchbar, wenn es sich um die Nachweisung kleiner Gallensäuremengen handelt, Ja wir müssen hinzufügen, dass uns die Hoppe’sche Methode in allen Fällen unsicher und untauglich zu sein scheint. Durch Kochen des Harns mit cone. Salzsäure treten tief grei- fende Zersetzungen ein, es entsteht eine grössere Anzahl von Producten, und das Prüfungsobjecet besteht daher niemals aus Choloidinsäure, sondern aus einem Gemenge von Körpern, unter denen sich nur Choloidinsäure befinden kann. Ehe man aber eine solche Mischung zur Pettenkofer’schen Reaction benutzt, müsste man genau wissen, dass nicht mitunter Körper darin vorkommen, die durch Schwefelsäure und Zucker eben- falls geröthet werden. Schon aus Pettenkofer’s') Mittheilung wissen wir, dass das Eiweiss eine ganz ähnliche Reaction giebt, wie die Gallensäuren; dasselbe Verhalten nabm man 1) Ann. d. Chem. u. Pharm. LII. 90. | | | Ueber die Nachweisung der Gallensäuren u. s. w. 373 später bei der-Oelsäure wahr, und mehrere andere ölförmige und harzähnliche Substanzen schliessen sich dieser an.. Ganz besonders ausgezeichnet ist in dieser Hinsicht die Rieinöl- säurez sie verhält sich von allen Körpern, die wir prüften, den Gallensäuren am ähnlichsten. Sie löst sich mit gelber bis gelbbräunlicher Farbe in Schavefelsäure und liefert bei Zucker- zusatz und gelindem Erwärmen ein prachtvolles Purpurviolett. Vergleicht man 'Kühne’s Resultate ‚mit den von uns er- haltenen, so wird es’mehr als, wahrscheinlich , dass nur zu häufig’ durch. Schwefelsäure ‚sich roth färbende Körper ohne Weiteres für Gallensäure ‚gehalten ‚worden sind.« Die Petten- kofer’sche Reaction ‚soll ‚aber nur. als letztes: Beweismittel dienen,'sie ist ungenügend,. wenn. nicht! bereits andere triftige Gründe vorliegen, das Vorhandensein: von Gallensäuren im Un- tersuchungsobjeet anzunehmen. ‚Solche Gründe hat man, wenn man den in. Weingeist löslichen. Theil des Harnrückstandes mit Bleiessig, fällt, das Bleisalz in Weingeist auflöst und daraus ein bitter schmeckendes Natronsalz darstellt, nicht aber, wenn man den Harn durch Kochen mit cone. Salzsäure zersetzt und die sich abscheidenden in Weingeist löslichen Producte nach ihrer Entfärbung durch Kohle zur Pettenkofer’schen Reac- tion anwendet. Il. Das Verhalten der Gallensäuren in der ind Blutbahn. Es ist bekannt, dass der Harn bei Ikterus in allen Fällen, wo eine, ansehnliche Menge Pigment vorhanden war, von ver- schiedenen Forschern mit negativem Resultat auf Gallensäuren geprüft worden ist, während es gelang, in schwach pigmentir- tem Harn jene Säuren nachzuweisen. Diese Thatsache führte Städeler und Frerichs!) zu .der Vermuthung, dass die Gal- lenpigmente aus ‚den Gallensäuren: ihren ‚Ursprung nehmen dürften, und bei den bezüglichen Versuchen stellte es’sich her- aus, dass Sich in der "That die Gallensäuren durch Einwirkung von eonc, Schwefelsäure in Chromogene verwandeln lassen, 1) Mittheil, d. naturf, Gesellsch in Zürich, IV. 100, 374 J. Neukomm: die bei Berührung mit Luft sehr‘ rasch in tief blaue’ oder grüne Pigmente übergehen, welche gewisse Aehnlichkeit mit dem Gallenfarbstoff zeigen.‘) Die gleiche Umwandlung schien auch im Blute vor sich zu gehen, und es wurde nach der Injection von Gallensäuren mehrfach das Auftreten von wirklichem Gal- lenpigment im Urin constatirt. Miernach war es in der That sehr wahrscheinlich, dass die Gallenpigmente ihren Ursprung den in’s Blut getretenen Gallensäuren verdanken. Da nun in der Anfangs erwähnten Abhandlung W. Kühne eine Umwandlung der Gallensäuren im Blute ganz in Abrede stellt und behauptet, dass die demselben zugeführten Säuren durch den Harn wieder aus dem Körper entfernt werden, so schien es uns für die Physiologie sowohl als für die Pathologie von Interesse zu sein, theils durch Untersuchung von ikterischem Harn, theils durch Injectionsversuche an Thieren die Angaben Kühne’s einer weiteren Prüfung zu unterwerfen, In dem Folgenden theilen wir die Resultate der' angestell- ten Untersuchungen mit. a. Ikterischer Harn. 1) Etwa 500 CC. eines stark braun gefärbten, mit Salpeter- säure auf Gallenfarbstoff reagirenden Harns, welcher bei Ik- 1) Erlaubt es irgend die Menge der Substanz, die man auf Gal- lensäure zu untersuchen hat, so sollte man nie unterlassen, der Pet- tenkofer’schen Reaction diese zweite, bereits empfohlene, hinzuzu- fügen. Die Gallensäuren oder das gallensaure Salz wird mit einer kleinen Menge conc. Schwefelsäure übergossen, mässig erwärmt und dann Wasser zugesetzt. Die sich abscheidenden harzähnlichen Flocken trennt man von der Säure, spült sie einige Male mit etwas Wasser ab, ohne die Schwefelsäur evollständig fortzunehmen, und erhitzt sie in einer Porcellanschale über einer kleinen Lampe gelinde, bis Färbung eintritt. Nimmt man den Rückstand in ganz wenig Weingeist auf und ver- dampft die grüne Lösung unter Umschwenken, so bekleidet sich: die Innenfäche der Schale mit einem tief indigfarbenen Ueberzuge, auch wenn nur ganz wenig Säure angewandt worden ist. Sind der Gallen- säure fremde Stoffe beigemengt; oder lässt man die Schwefelsäure lange oder in zu hoher Temperatur einwirken, so erscheint der Pig- mentüberzug grün. Ueber die Nachweisung der Gallensäuren u. s. w. 375 terus' mit Verstopfung des Ductus choledochus gelassen worden war, wurde verdampft und zuerst‘ mit gewöhnlichem, dann nach nöchmäligem 'Eindampfen mit absolutem Weingeist aus- gezogen. Der nach dem Verdunsten des Weingeistes in wenig Wasser gelöste Rückstand trübfe sich und setzte nach mehr- stündigem Kochen braune Körnchen und Kügelchen ab, welche die Nanthinreaction gaben. Die wässrige Lösung wurde nun, wie früher ‚angegeben, mit Bleiessig versetzt. Die durch Auskochen des Niederschla- ges mit Weingeist erhaltenen Bleiverbindungen gaben, mit koh- lensaurem Natron behandelt, eine gelbliche, kratzend-bitterlich schmeekende Materie, welche in 5 CC. Wasser gelöst wurde; 3 CC. der Lösung gaben, nach Pettenkofer’s Angabe ge- prüft, eine gelbbraune Flüssigkeit, die auch bei längerem Ste- hen keinen Purpurton annahm ; die übrigen 2 CC. wurden auf einige Tropfen eoncentrirt und in der Porcellanschale mit einem Tropfen Schwefelsäure versetzt. Beim Erwärmen färbte sich die Probe röthlich braun und auf Zusatz von Zucker trat eine schöne purpurviolette Farbe auf. Demnach war also eine kleine Menge von Gallensäuren in diesem Harn vorhanden, aber zu unbedeutend, als dass sie sich dureh die gewöhnliche Pettenkofer’sche Probe hätte nach- weisen lassen. 2) 1200 CC. braunen Harns eines Ikterischen mit Cirrhose und Erweichung der Leber wurden auf gleiche ‚Weise wie im vorigen Fall behandelt. Der Bleiniederschlag war auffallend gelbbraun gefärbt, und die durch Auskochen desselben erhal- tene Weingeistlösung zeigte dieselbe Farbe; diese ging bei der Behandlung mit kohlensaurem Natron in hochroth über. Blut- kohle nahm den rothen Farbstoff aus der weingeistigen Lösung auf und beim Verdampfen hinterblieb ein nicht ganz unbeträcht- lieher gelbbrauner Rückstand. Da dieser durch unvöllständiges Auswaschen des Bleiniederschlages noch Harnstoff enthielt, so wurde er abermals mit wenig Bleiessig behandelt, und der nach l2stündigem Stehen gesammelte und sorgfältig gewäaschene Niederschlag mit kohlensaurem Natron zersetzt, Die in ge- ringer Menge erhaltene Natronverbindung bildete eine gelbliche 376 J. Neukomm: j seifenartig schmierige Substanz von kratzendem, kaum merklich bitterem Geschmack; in etwa 5.CC. Wasser aufgenommen ent- stand eine trübliche Lösung, von welcher 3 CC. mit etwas Zucker und 2 CC. Schwefelsäure vorsichtig gemischt, sich röth- lich braun färbten. Die: übrigen 2 CC. auf einige. Tropfen concentrirt'und in der Porcellanschale mit Schwefelsäure und einer Spur Zucker gelinde erwärmt, gaben eine deutliche pur- purrothe Farbe. Auch bei diesem Harn wurde also durch die gewöhnliche Pettenkofer’sche Reaction ein negatives, oder doch 'höch- stens sehr zweifelhaftes Resultat erhalten, während nach un- serem modifieirten Verfahren wenigstens. Spuren von Gallen- säuren unzweideutig nachweisbar waren. b. ‚Injeetionsversuche an Hunden, 1) Einem jungen, lebhaften, weiblichen Jagdhunde wurden 0,8 Grm. glykocholsaures Natron, in 10 CC. Wasser gelöst, in eine Cruralvene injieirt. Die Injeetion geschah’ äusserst lang- sam, so dass in einer Seeunde höchstens 1-2 Tropfen ‚aus der Spritze traten; vorher war aus der Vene eine der’ Injeetions- flüssigkeit gleichkommende Menge Blut entleert worden... Das; Thier wurde nicht mit Anästhetieis behandelt und befand sich nach der Operation munter. 12—15 Stunden nach der Einspritzung‘ "wurden 300 CC. Harn gelassen. Derselbe war hellgelb, schwach alkalisch, von 1014 spee. Gew. Auf Zusatz von conc. Schwefelsäure wurde er weinroth, die Farbe änderte sich nicht‘ bei Gegenwart von Zuckerlösung. Rohe concentrirte Salpetersäure erzeugte an der Berührungsschieht mit dem Harn einen schwach: rosenrothen Ring ohne Nüaneirung in Grün. Der zweite, 36:Stunden nach der Operation gelassene Harn betrug 400°CC., war gelb, reagirte sauer und zeigte 1027. sp. Gew. Gegen Schwefel- und Salpetersäure verhielt 'er sich’wie der erste. Beide Harnquantitäten wurden eingedampft, zusammen mit Weingeist ausgezogen und, wie: früher angegeben, weiter! be- handelt. Die durch Auskochen.des "Bleiniederschlages "mit Ueber die Nachweisung der Gallensäuren u. s. w. 377 Weingeist erhaltene Lösung wurde diesmal mit Schwefelwasser- stoff behandelt und hinterliess, von der geringen Menge Schwe- felblei abfiltrirt, wenig gelblichen, harzigen Rückstand. Wurde dieser in etwas Natron und Wasser gelöst und auf die ge- wöhnliche Weise mit Zucker und Schwefelsäure behandelt, so färbte er sich röthlich braun, ohne die geringste Andeutung von violett, wodurch also die Anwesenheit von Gallensäuren in irgend erheblicher Menge ausgeschlossen wird. 2) Vier Wochen später wurden demselben Hunde 1,5 Grm. glykoeholsaures Natron, in 12 GC. Wasser gelöst, in die linke Jugularvene, aus welcher vorher kein Blut entleert worden war, eingespritzt. In Folge eines Fehlers der Spritze geschah diesmal die Injection schneller als im vorigen Falle und stoss- weise, Das Thier war ätherisirt worden, erholte sich jedoch bald und trank dann 200CC. Wasser und einige Stunden nach- her eben so viel Milch; 15 Stunden nach der Operation ent- leerte es 580 CC. Harn, zeigte sich sehr furchtsam und ver- schmähte die hingestellte Nahrung. 16 Stunden später, ohne dass das Thier inzwischen etwas genossen hätte, wurden wie- der 550 CC. Harn gelassen, und von nun an war die Nahrungs- aufnahme wieder regelmässig. Der erste Harn war dunkelbraun, sauer, leicht getrübt und zeigte nach mehrstündigem Stehen ein grünliches Sediment, welehes durch das Mikroskop betrachtet, aus grün tingirten ‚kür- nig-wolkigen Massen bestand. Das auf einem Filter gesam- . melte, indessen nicht beträchtliche Sediment gab an Weingeist einen schön grünen Farbstoff ab, welcher mit Salpetersäure eine intensive Gallenfarbstoffreaetion zeigte. Der filtrirte Harn war grünlich-gelbbraun, von 1016 spee. Gew.; beim Erhitzen schied er rothbraune Flocken aus, welche auf Zusatz von wenig Essigsäure nicht gelöst wurden. Die von ihnen abfiltrirte Flüssigkeit war gelb, mit einem Stich in’s Grünliche, Rohe Salpetersäure erzeugte damit eine kaum wahrnehmbare Gallenfarbstoffreaction; mit conc. Schwefelsäure zeigte sie an der Berührungsstelle einen violettrothen Ring und beim vollständigen Mischen eine weinrothe Färbung, die sich auf Zusatz von Zucker nicht wesentlich änderte. Reichert» u, du Bois-Reymond's Archiv. 1860. 25 378 J. Neukomm: Der zweite Harn war gelb, mit einem Stich in schmutzig Braun-grün, sauer, von 1020 spec, Gew. Beim Kochen zeigte er nur lichte Trübung, welche bei schwacher Ansäuerung; mit Essigsäure anhielt. Salpetersäure gab eine deutliche Gallen- farbstoffreaction, cone. Schwefelsäure erzeugte an der Berüh- rungsschicht eine braunrothe Färbung, welche gegen die oben liegende Harnschicht in violett und blau überging; Zuckerzu- satz änderte diese Reaction nicht. Der: dritte Harn, 64 Stunden nach der Injection entleert, betrug 500 CC., war neutral, gelb, von 1013 spec. Gew., ohne Eiweiss; mit Salpetersäure gab er eine kaum merkbare Farb- stoffreaction, gegen Schwefelsäure verhielt er sich wie ‚der frühere. Der erste und zweite Harn wurde zusammen in zwei gleiche Theile getheilt, aus der einen Hälfte nach. der früheren Weise ein weingeistiges Extraet bereitet und dieses mit-Bleiessig be- handelt, die andere Hälfte wurde nach Hoppe’s Methode auf Gallensäuren geprüft. Der mit Weingeist ausgekochte und mit kohlensaurem Na- tron zersetzte Bleiniederschlag gab eine geringe Menge einer gelblichen, schmierigen Substanz ohne bitteren Geschmack, In 3CC. Wasser gelöst und vorsichtig mit Schwefelsäure zersetzt, trübte sich die Flüssigkeit, wurde an der Berührungsstelle mit der -unten liegenden Schwefelsäureschicht bläulich, weiter nach ‚unten violett und bräunlich, und beim völligen Mischen mit der Schwefelsäure und Zusatz von Zucker braungelb, mit einem Stich in’s Röthliche. Wurde als Gegenprobe etwas glykochol- saures Natron zugesetzt, so trat gleich eine purpurviolette Fär- bung ein. Die nach Hoppe’s Methode erhaltene Substanz, welche in- dessen höchst gering und kaum gelblich gefärbt war, eine fettig-schmierige Consistenz hatte und nicht bitter schmeckte, trübte sich, in etwas Natron und Wasser gelöst, auf Zusatz von Schwefelsäure und färbte sich schwach röthlich-braun und nach Zusatz von etwas Zucker mehr gelbbraun. In diesem Falle liessen sich also’bei vorsichtiger Anwen- Ueber die Nachweisung der Gallensäuren u. s, w. 379 dung, der üblichen Methoden keine Gallensäuren im Harn nach- weisen. 3) Demselben Hunde wurden 14 Tage nach dem zweiten Versuch 1,3 Grm. glykocholsaures Natron, in’ 9 CC. Wasser gelöst, durch die rechte Jugularvene, aus welcher vorher eine entsprechende Menge Blut entleert worden war, langsam bei- gebracht. Das Thier wurde ätherisirt; 4 Stunden nach der Injection trank es etwas Milch, erschien furchtsam und traurig. Innerhalb der ersten Stunden wurden 350 CC. Harn gelassen, und nach 24 Stunden, ohne dass inzwischen besondere Erschei- nungen sich gezeigt hätten, folgte eine zweite Entleerung. Der erste Harn war gelb, schwach alkalisch, von 1015 sp. Gew. Mit Salzsäure versetzt zeigte er eine schwache milchige Trübung, keine wahrnehmbare Farbenänderung; auch beim Ko- chen trübte er sich, und bei darauf folgender schwacher An- säuerung mit Essigsäure schieden sich einzelne Flöckchen aus, Mit Schwefelsäure gemischt färbte sich der Harn schwach vio- lett-röthlich bis bräunlich, ohne auf Zuckerzusatz diese Farben- reaction zu ändern. Der zweite Harn war ebenfalls gelb, schwach alkalisch, von 1015 spec. Gew., enthielt noch Spuren von Eiweiss, doch liess sich dieses nicht mehr in Flocken ausscheiden. Gegen Salpeter- und Schwefelsäure verhielt er sich wie der erste. Beide Harnmengen wurden auch. hier wieder getheilt, die eine Hälfte der Bleibehandlung unterworfen, die andere nach Hoppe’s Verfahren geprüft Die Ergebnisse gleichen denen im vorigen Versuch. Die Reaction wurde mit ganz eoncen- trirten Lösungen in der Porcellanschale gemacht. Es trat bei beiden Proben eine röthlich-braune Färbung ein, ohne jedoch etwas Charakteristisches zu zeigen. 4) Einem alten Metzgerhunde wurde eine Lösung von 2 Grm. krystallinischem glykocholsaurem Natron ‘in 12 CC. Wasser langsam in die rechte Jugularvene eingespritzt. Das Thier wurde ätherisirt, erholte sich jedoch schnell und frass an demselben Tage die ihm vorgelegte Nahrung. ' Die erste Harnentleerung erfolgte 40 Stunden nach der Operation. Der Harn betrug 700 CC., war tief gelb gefärbt, neutral, 25* 380 J. Neukomm: von 1040) spec. Gew., ohne Eiweiss; mit Salpetersäure, versetzt entwickelte er Gasblasen und es schied sich salpetersaurer Harnstoff aus, während eine Farbenänderung nicht bemerkbar war. ‚Mit Schwefelsäure färbte sich der Harn bräunlich roth, ohne auf Zuckerzusatz diese Farbe zu ändern. 350 CC. wurden nach der Hoppe’schen Methode auf Gal- lensäuren geprüft, die anderen 350 CC. der Bleibehandlung un- terworfen. Die im ersteren Falle nach dem Kochen mit Salz- säure auf Zusatz von Wasser abgeschiedenen Flocken. gaben, in Weingeist gelöst und mit Blutkohle entfärbt, eine schwach gelbliche, schmierige, nicht bitter schmeckende Materie, welche, in wenig natronhaltigem Wasser aufgenommen, bei der Probe in der Porcellanschale röthlich-braun wurde, während sich an den Wänden der Schale, von einzelnen braunen Körnchen aus- gehend, Spuren einer purpurrothen Farbe zeigten. Die nach der zweiten Behandlungsart aus dem Bleinieder- schlag mit heissem Wasser ausgezogenen Substanzen gaben, mit kohlensaurem Natron behandelt, eine gelbliche, seifenartig schmierige, nieht bitterlich schmeckende Materie, welche in etwa 5 CC. Wasser gelöst wurde, 3 CC. hiervon, ‚mit etwas Zucker und 2 CC. Schwefelsäure gemischt, färbten sich röth- lich braun, ohne dass jedoch die Farbe irgend etwas Charak- teristisches gezeigt hätte. Die übrigen 2 CC. auf einige Trop- fen concentrirt und in der Porcellanschale geprüft, zeigten eine röthlich-braune und hin und wieder an den Wänden der Schale eine schwach purpurrothe Farbe. Man kann also in diesem Falle die Gegenwart einer klei- nen Quantität Gallensäure als wahrscheinlich ansehen, 5) 14 Tage später wurden demselben Hunde 2,2 Grm, gly- kocholsaures Natron, in 14 CC. Wasser gelöst, langsam aber stossweise in die linke Jugularvene, ebenfalls nach vorheriger Blutentleerung, eingespritzt. Das auch diesmal ätherisirte Thier erholte sich ziemlich schnell, frass nach einer Stunde. etwas Reisbrei und schien nicht sehr affieirt zu sein. Aueh am fol- genden Tage wurde die vorgelegte Nahrung mit Gier ver- zehrt, an der Wundstelle zeigte sich eine Geschwulst, von in’s Ueber die Nachweisung der Gallensäuren u, s. w. 381 Unterhautzellgewebe getretenem Blut herrührend. 36 Stunden nach der Injection wurde der erste Harn gelassen. Derselbe mass 950 CC., war bräunlich-gelb, neutral, von 1045 spec. Gew., eiweisslos. Mit Salpetersäure zeigte er eine unzweideutige Gallenfarbstoffreaction, zugleich schied sich sal- petersaurer Harnstoff in grosser Menge ab. Schwefelsäure er- zeugte damit eine bräunlich-weinrothe Farbe, die sich durch Zucker nieht änderte. 475 CC. wurden nach der Hoppe’schen Methode ganz wie im vorigen Fall auf Gallensäuren geprüft, doch mit gänzlich negativem Resultat; der bei dieser Behandlung durch Kochen mit Kalkmilch erhaltene Kalkniederschlag war auffallend gelb- braun gefärbt und löste sich in verdünnter Salzsäure unter Ausscheidung von grünlich-gelben Flocken. Wurden diese auf einem Filter gesammelt, gewaschen, leicht getrocknet und mit Weingeist ausgekocht, so wurde eine grasgrüne Lösung erhal- ten, ‘welche mit Salpetersäure eine deutliche Gallenfarbstoff- reaction gab. g Die übrigen 475 CC. wurden der Bleibehandlung unterwor- fen. Die dabei erhaltene Probesubstanz war gelblich, seifen- artig schmierig, von leicht kratzendem Geschmack. Der Prüfung in der Porcellanschale unterzogen färbte- sie sich bläulich, dann bräunlich, zuletzt gelbbraun, also ohne Spuren von Gallen- säuren anzudeuten. 6) Einem kleinen, ziemlich bejahrten und sehr furchtsamen Spitzhunde wurde eine Lösung von 1 Grm. krystallin. glyko- cholsaurem Natron in 12 CC. Wasser in die rechte Jugular- vene langsam injieirt, nachdem vorher aus der Vene eine ent- sprechende Menge Blut entleert worden war. Das durch Aether bewusstlos gemachte Thier erholte ‘sich ziemlich langsam, schien jedoch durch die Injection nicht sehr affieirt und frass am Abend etwas Reisbrei. Nach 15 Stunden entleerte es 250.CC. Harn von hellgelber Farbe, neutraler Reaction und 1011 spec, Gew. Mit Salpetersäure gab derselbe keine Far- benrenetion, beim Kochen trübte er sich leicht, ohne dass sich jedoch bei schwacher Ansäuerung mit Essigsäure Flocken bil- 382 J. Neukomm: deten. Schwefelsäure erzeugte damit eine violettrothe Färbung, welche bei Zuckerzusatz und Erwärmen in Gelbbraun überging. Die ganze Quantität wurde der Bleibehandlung unterworfen, Die schliesslich erhaltene Probesubstanz war gelblich, schmie- rig, nicht bitter schmeckend, bei der Prüfung in der Porcellan- schale färbte sie sich mit Schwefelsäure allein schwach röth- lieh-braun, auf Zuckerzusatz und bei gelindem Erwärmen wurde die rothe Farbe vorherrschend und ging stellenweise in helles Purpurroth über. Der zweite Harn wurde 30 Stunden nach der Injection ge- lassen, er betrug 350 CC., reagirte neutral und hatte ein spec: Gew. von 1024, Gegen Salpeter- und Schwefelsäure verhielt er sich wie der erste. Der gleichen Behandlung, wie dieser unterworfen, wurde schliesslich eine gelbliche, schmierige Sub- stanz erhalten, welche bei der Probe in der Porcellanschale sich mit Schwefelsäure allein Anfangs bläulich, dann röthlich- braun färbte, ohne auf Zusatz von etwas Zucker diese Farbe zu ändern. — Es konnten also nach dieser Injection nur im ersten Harn Spuren von Gallensäuren gefunden werden. 7) Demselben Hunde wurden 14 Tage später abermals 1 Grm. in 11'CC. Wasser gelösten glykocholsauren Natrons in die linke Jugularvene, aus welcher vorber etwa 25 CC. Blut entleert worden waren, stossweise und ziemlich rasch injieirt. Das durch Aether anästhetisirte Thier erholte sich nur lang- sam und zeigte noch mehrere Stunden nach der Injection eine auffallend starke Speichelabsonderung. 20 Stunden später ent- leerte es 250 CC. Harn. Derselbe war hellgelb, sauer, von 1020 spec. Gew. Mit Salpetersäure versetzt trübte er sich schwach, und an der Berührungsstelle der Säure mit dem Harn erschien ein schwach rother Ring, welcher nach der Harnschicht zu in Grünblau überging, was auf etwas Gallenfarbstoff hin- deutete. Schwefelsäure erzeugte, mit dem Harn in Berührung gebracht, eine röthlich-braune, gegen die Harnschicht zu mehr violettrothe Farbe. Durch Kochen wurde er leicht getrübt und auf nachherigen Zusatz von etwas Essigsäure schieden sich wenige Flocken aus. Die zweite Harnentleerung erfolgte erst 64 Stunden nach Ueber die Nachweisung der Gallensäuren u. s. w. 383 der Operation, das Thier hatte bis d hit nur Wasser und et- was Milch als Nahrung bekommen. Der Harn betrug 220 CC., war hellgelb, sauer, von 1027 spec. Gew., im Uebrigen sich wie der erste verhaltend. Um die Gegenwart von Gallenfarbstoff unzweideutig dar- zuthun, wurden 100 CC. vom zweiten Harn mit’ Kalkmilch ge- kocht, der Kalkniederschlag auf einem Filter gesammelt, ge- waschen und dann in verdünnter Salzsäure gelöst, ‘worauf sich grünlich-gelbe ‚Flocken ausschieden, welche gesammelt, gewa- schen und 'etwas getrocknet, an Weingeist einen grasgrünen Farbstofi abgaben. Salpetersäure erzeugte in der weingeistigen Lösung eine deutliche Gallenfarbstoffreaction, & Der übrige Harn wurde sammt dem ersten mittelst der Blei- behandlung auf Gallensäuren geprüft. Die in der Porcellan- schale angestellte Probe gab nur eine röthlich-braune Färbung, { zeigte also nieht einmal Spuren von jenen Körpern an. Wirft man einen Rückblick auf die mitgetheilten Beobach- tungen, so ergiebt sich, dass bei Ikterus in der That Gallen- säuren in deutlich nachweisbarer Menge im Harn vorkommen, und es könnte demnach die Vermuthung leicht Boden gewin- nen, dass die dem Blut zugeführte Galle keine Veränderung erleide, sondern durch die Nieren wieder ausgeschieden werde. Diese Anschauung wird jedoch sogleich widerlegt, wenn man die Quantität berücksichtigt, in der die Gallensäuren wirklich im Harn gefunden werden. Das von uns eingeschlagene Ver- “ fahren gestattete, in 500 CC. Harn ‚noch 0,005 Grm. Gallen- \ säuren nachzuweisen (II. 2a, b), und die Reaction, die wir einmal bei Anwendung von 500 CC., das andere Mal von 1200 CC. ikterischen Harns erhielten, lässt mit Sicherheit schliessen, dass die darin vorhandene Gallensäure 5 Milligrm. nicht wesentlich überstieg; wären ansehnlichere Mengen vor- handen gewesen, so hätte die Pettenkofer’sche Reaction, auf die gewöhnliche Weise angestellt, noch zu einem Resultat führen müssen, was nicht der Fall war; nur in der Porcellan- schale konnte die Gegenwart von Gallensäure nachgewiesen 384 J. Neukomm: werden. — Die aufgefundene Quantität steht also in, gar kei- nem Verhältniss zur allensecretion, wenn diese auch bei Ik- terus eine beträchtliche Reduetion erleiden mag. Noch schlagender wird jene Anschauung vom unveränder- ten Uebergange der Gallensäuren in den Harn durch die Ver- suche an Thieren widerlegt. Unsere Injectionsversuche wur- den zum Theil mit 1 Grm., zum Theil mit 2 Grm. ‚glykochol- sauren Natrons angestellt. Der bei der Abscheidung aus dem Urin eintretende Verlust ist nicht nennenswerth, und will man auch annehmen, dass die Absonderung so langsam ‚vor sich gehe, dass während der ersten 2—3 Tage nach der Operation nur die Hälfte der eingeführten Gallensäuren in den Harn übergehe, so müssten: die Untersuchungsobjeete doch immerhin noch !/;—1 Grm. glykocholsaures Natron enthalten... In kei- nem Falle wurde aber ein bitterer Geschmäck der schliesslich erhaltenen Natronverbindungen wahrgenommen, in keinem Falle liess sich darin mit Hülfe des gewöhnlichen Pettenkofer’- schen Verfahrens Gallensäure mit einiger Sicherheit nachwei- sen und nur in zwei Fällen wurde bei der Prüfung in der Porcellanschale eine charakteristische Färbung wahrgenommen, Diese Thatsachen beweisen, dass die in’s Blut getretenen Gallensäuren nur spurweise in den Harn übergehen können, und es wird damit der Ausspruch von Kühne, „die Natron- verbindungen der Glykochol-, der Chol- und der Choloidinsäure verlassen, in die Veneninjieirt, den Körper des Thieres“ genügend widerlegt. Kühne hat sich mehrfach damit begnügt, direct mit dem, nöthigenfalls nur von Eiweiss befreiten Harn die Pettenkofer’sche Probe an- zustellen; offenbar hat in solchen Fällen eine Täuschung durch die vorhandenen Farb- und Extraetivstoffe stattgefunden, die, wie wir anführten, bei alleinigem Zusatz von Schwefelsäure zum Harn von Menschen und Hunden nicht selten zu rothen und selbst violetten Färbungen Veranlassung geben. Zuweilen enthält der Harn von Hunden, denen glykochol- saures Natron in’s Blut injieirt worden ist, bald grössere, bald kleinere Mengen von Gallenfarbstoff. Frerichs!) stellte 1) Klinik der Leberkrankheiten. S. 405. E SE Ueber die Nachweisung der Gallensäuren u. s. w, 385 29 Versuche an, unter denen 19 ein positives Resultat gaben. Gewöhnlich enthielt dann der Harn neben Eiweiss auch aufge- löstes Blutroth. Bei den von uns angestellten 7 Injectionsver- suchen trat einmal der Farbstoff in solcher Menge auf, dass er sich zum Theil in Flocken ausschied, in zwei anderen Fällen war nur gelöstes Pigment vorhanden, die übrigen Versuche führten zu einem negativen Resultat. In den von Kühne mit- getheilten Experimenten war neben den vermeintlichen Gallen- säuren stets Gallenfarbstoff vorhanden. Aus diesen ‚von ganz verschiedenen Seiten gemachten Be- obachtungen über Pigmentbildung bei Einführung von Gallen- säuren in’s Blut dürfte man schliessen, dass sich die Säuren der Galle, eben so wie auf künstlichem Wege, so auch in der Blutbahn in Chromogene und schliesslich in Farbstoffe ver- ndeln.. Indessen sind die beobachteten Ausnahmen nicht zu gering anzuschlagen; eine Umwandlung der Gallensäuren in Gallenpigment kann jedenfalls nur unter Zusammentreffen be- sonders günstiger Umstände stattfinden. Uns wollte es schei- nen, als ob dazu ein gewisser Grad von Irritation nothwendig sei, denn in drei von unseren Versuchen trat, das erste Mal bei zufälliger, die anderen Male bei absichtlicher stossweiser Injection, das Gallenpigment im Harn auf. Es fehlte uns an Hunden, um diese Versuche zu vervielfältigen. Kühne leugnet die Umwandlung der Gallensäuren in Gal- lenfarbstoff gänzlich, obgleich er uns eine grosse Zahl von Ver- suchen mittheilt, bei denen regelmässig nach Galleninjeetion Pigment im Harn auftrat. Er vertheidigt die Ansicht, dass aller Gallenfarbstoff vom Blutfarbstoff abstamme und zwar soll das beim Zerfallen der Blutkörperchen frei in Lösung gehende Hämatin eine Umwandlung in Gallenfarbstoff erleiden. Diese Ansicht erhielt aber durch das Experiment keine Stütze, denn als Kühne gelöstes Hämatin in die Venen injieirte, trat kein Gallenfarbstoff im Urin auf, während wenn er zur Injection gleichzeitig Hämatin und Gallensäure anwandte, die Bildung von Pigment beobachtet wurde. Kühne sieht sich daher auch gezwungen, den Gallensäuren einen besonderen, noch räthsel- haften Einfluss auf das gelöste Blutroth zuzuschreiben. 386 J-. Neukomm: Ueber die Nachweisung der Gallensäuren u.s.w. Wir ‘sind weit davon entfernt anzunehmen, dass das im Körper zu Grunde gehende Blutroth nicht zur Bildung von Gallenfarbstoff Veranlassung geben könne, obgleich dieses durch das Experiment noch nieht nachgewiesen ist. Auf der anderen Seite ist aber durch Kühne’s Versuche nicht widerlegt wor- den, dass auch die in die Blutbahn getretenen Gallensäuren unter Umständen in Gallenpigment übergehen können. Dass hier noch Lücken auszufüllen sind, ehe man diese Umwand- lung als fest begründet betrachten darf, hat schon Frerichs ausgesprochen; häufigere Wiederholung der Versuche und vor- urtheilsfreie Interpretation der erlangten Resultate ‘wird "uns allmählig zur Wahrheit führen. Wirft man endlich 'noch die Frage auf, welche Elimination die dem Blute zugeführte und nicht in Farbstoff umgewandelte Gallensäuren erleiden, so lässt sich dieselbe noch nicht mit Sicher- heit beantworten. Es wäre möglich, dass diese Stoffe, in’s Blut gebracht, nur das für sie speeifische Absonderungsorgan, die Leber, benützten, um wieder auszutreten, und dass bei ge- störtem Gallenabfluss andere Organe, so namentlich Speichel- drüsen und vielleicht auch das Pankreas, die Abscheidung über- nehmen. Wir schliessen das daraus, dass häufiger nach Gal- leninjection nicht nur eine starke Speichelabsonderung wahr- genommen wird, sondern die Thiere geben auch gar nieht selten, schon während des Injeetionsversuchs, durch Lecken mit der Zunge unzweideutige Zeichen einer widerwärtigen Ge- schmacksempfindung; ebenfalls ist es bekannt, dass Kranke bei beginnendermn Ikterus häufig einen bitteren Geschmack wahr- nehmen. Eine andere Möglichkeit, dass die in’s Blut injieirten Gallen- säuren, wie die ihnen so nahe verwandten sauren Bestandtheile der Fette, weiter oxydirt werden, lässt sich eben so wenig über- sehen, um so mehr, als Liebig schon vor längerer Zeit diese Ansicht für die normaler Weise aus dem Darm in’s Gefässsy- stem aufgenommenen Gallenstoffe geltend gemacht hat. Am Schlusse dieser Abhandlung sei mir erlaubt, Hrn. Prof. Städeler für die anregende Theilnabme,, welche er meiner Arbeit stets angedeihen liess, den innigsten Dank auszusprechen. A. v. Bezold: Untersuchungen über die Einwirkung u, s. w. 387 ya Untersuchungen über die Einwirkung des ameri- _ kanischen Pfeilgiftes (Curare) auf das Nervensystem, Von ALBERT v. BEZOLD. Professor in Jena. Zweite Abhandlung. Tech habe vor Kurzem in diesem Archiv eine Arbeit veröf- y fentlicht, welche den Zweck hatte, nachzuweisen, dass die Fort- pflanzung der Erregung in den motorischen Nerven des Fro- sches durch das amerikanische Pfeilgift eine nachweisbare Aenderung, und zwar Verlangsamung erleide, welche allmählig übergehe in eine Vernichtung der Fortpflanzungsfähigkeit des Nerven für den zuckungserregenden Vorgang. Ich führte da- selbst an, dass die Resultate meiner Versuche in einem ent- schiedenen Gegensatz mit den Folgerungen sich befänden, welche Funke (S. Beiträge zur Kenntniss der Wirkung des Urari und einiger anderer Gifte, Berichte über die Verhand- lungen der sächs. Gesellschaft der Wissenschaften. Math.-phys. Klasse. 1859. S. 1 ff.) aus seinen Versuchen über die Wir- kungen des amerikanischen Pfeilgiftes gezogen. . Das wesent- liche Ergebniss dieser Versuche besteht darin, dass, im Wider- spruch mit den früheren Angaben Bernard’s, Kölliker’s und (theilweise) Haber’s weder motorische noch sensible Nervenfasern, sie mögen im Rückenmark oder in den Nerven- #ämmen verlaufen, die Fähigkeit, in den Zustand der Erre- gung zu gerathen und denselben fortzuleiten, durch die Ein- wirkung des Pfeilgiftes einbüssen, ja dass, wenn man die Grösse der negativen Schwankung des Nervenstroms als Mass für die Grösse der Erregung des Nerven betrachtet, die Er- regbarkeit der sensiblen wie motorischen Nerven durch das Gift eher erhöht als herabgesetzt werde. “a 388 A. v. Bezold: Dieser Widerspruch forderte mich zu einer sorgfältigen experimentellen Kritik der hierher gehörigen Untersuchungen auf. Eine derartige Wiederholung der früheren Untersuchun- gen über diesen Gegenstand erschien mir um so unabweisbarer, als in Betreff der Frage, ob und in welcher Weise Nerven und Nervenendigungen vom Pfeilgifte verändert werden, eine wenig wünschenswerthe Mannichfaltigkeit der Angaben und Ansichten bei den verschiedenen Forschern besteht. Es sei mir erlaubt, zum Behufe der Einleitung mit ganz kurzen Worten auf die Widersprüche hinzuweisen, welche in den verschiedenen An- gaben der verschiedenen Schriftsteller über diesen Gegenstand zu Tage liegen. Die Thatsache steht fest, dass, das Pfeilgift,, wenn es ent- weder vom Blute aus, oder aus einer anderen Lösung zu den Muskeln gelangt, die functionelle Verknüpfung zwischen Muskel und Nerv in der Weise aufhebt, dass nach geschehener Ein- wirkung keine irgendwie gestaltete Erregung, welche den Nerven ausserhalb des Muskels trifft, den letzteren in den Zu- stand’der Thätigkeit zu versetzen vermag. Fest steht ferner die T'hatsache, dass Reize, welche den vergifteten Muskel un- mittelbar treffen, nach wie vor die Thätigkeit des Muskels herbeizuführen vermögen. Fest steht endlich die Thatsache, dass längere Zeit noch nach der Aufnahme des Giftes in das Blut, nachdem die Uebertragung der Erregung vom Nerven- stamm auf den Muskel bereits vollständig unmöglich ist, ‚die Erregbarkeit und Leitung der Erregung sowohl im Rücken- mark als in den Stämmen der Empfindungs- und Bewegungs- nerven noch keine: wesentliche und nachweisbare' Beeinträchti- gung erfahren haben, Unerledigt dagegen erscheint die Frage, ob und welche Veränderungen die motorischen Nervenfasern während ihres Verlaufes in den Nervenstämmen in Folge der fortschreitenden Vergiftung erleiden. Bernard (Lecons sur les effets des substanees toxiques et medicamenteuses) wird von seinen Erfahrungen zu dem Sehlusse bingeführt, dass die Bewegungsnerven ihre Eigenschaften (also offenbar die Erregbarkeit und Fortpflanzungsfähigkeit der Rei- Untersachungen über die Einwirkung des Curare u. s. w. 389 zung in Folge der Vergiftung von der Peripherie zum Centrum fortschreitend, einbüssen. ‘ Kölliker giebt an (Physiolog. Untersuchungen über die Wirkungen einiger Gifte), dass die motorischen Nerven in den Stämmen 3—4 Stunden nach Lähmung der letzten Nervenen- digungen durch die Einwirkung des Giftes vom Blute aus di- reet ihrer Erregbarkeit beraubt werden. Haber (Siehe dieses Archiv, Jahrgang 1859. Heft II.) be- streitet die Möglichkeit, durch Vergiftung eines Thieres vom Blute aus die Erregbarkeit und die Fortpflanzungsfähigkeit für den Reiz in den Nervenstämmen desselben erheblich herabzu- setzen oder zu vernichten. a Kölliker (10 neue Versuche mit Urari. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. IX. S. 434.) schiebt diese negativen Resultate Haber’s auf die niedrige Temperatur, bei welcher der letztere seine Vergiftungsversuche anstellte, und ‘besteht, wenigstens. für Versuche bei höherer Temperatur (18° :C.), auf die Richtigkeit seiner Angaben. Funke (l. c.) hebt hervor, dass die motorischen Nerven in den Nervenstämmen durch das Pfeilgift keineswegs ihre Erreg- barkeit verlieren, dass man im Gegentheil aus den Angaben des Multiplieators, der eine Verstärkung der negativen Schwan- kung bei vergifteten Nerven anzeige, eher auf eine Erhöhung, als auf eine Herabsetzung der Erregbarkeit in Folge der Ver- giftung schliessen müsse. Ich selbst glaube (Siehe dieses Archiv 1860. $. 185) nach- gewiesen zu haben, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung in den Nervenstimmen, durch die Vergiftung der letzteren vom Blute aus, um ein Erhebliches herabgesetzt wird, und ich habe die Vermuthung ausgesprochen, dass eben so wie bei den intramuscularen Nerven, diese Herabsetzung der Fort- pflanzungsgeschwindigkeit übergehe in eine totale Leitungsunfä- higkeit des vergifteten Nerven. Unerledigt scheint ferner die Frage, ob die Leitung der Erregung im Rückenmarke eine wesentliche Beein- trächtigung erfahre in Folge der Curarevergiftung. Ber- nard lebt diese Frage nieht besonders hervor. 390 A. v. Bezold: Kölliker theilt mit, dass die Leitung von Reflexen, nach dem Verlaufe einiger Stunden bei vergifteten Fröschen, deren eine Extremität der Einwirkung des Giftes nicht ausgesetzt ist, allmählig erheblich beeinträchtigt werde, und dass endlich nach 2—3 Stunden keine Reflexbewegungen mehr durch Reizung der Körperoberfläche erzeugt werden können. Er lässt es un- entschieden, ob dies Aufhören der Reflexbewegungen. durch eine Lähmung der sensiblen Nerven oder durch eine in Folge der Vergiftung entstandene Undurchgängigkeit des Rückenmarks für Reflexbewegung bedingt sei, neigt sich jedoch zu der An- sicht hin, dass es das Mark sei, dessen Thätigkeit in Folge der Einwirkung des Giftes allmählig 'erlahme, Haber hat eine ähnliche Unfähigkeit des Rückenmarkes, Reflexbewegungen zu vermitteln, in Folge der Curarevergiftung eintreten sehen, er giebt dagegen an, dass diese Wirkung 8 bis 10 Stunden nach Beibringung des Giftes eintrete. Funke, im Gegensatz zu den beiden. Letzteren, behauptet, dass eben so wenig wie die motorischen Fasern in den Ner- venstämmen, die im Marke verlaufenden Nerven und Ganglien durch das Curare unfähig gemacht würden, die Uebertragung der Reflexe zu vermitteln. Also auch in Bezug auf diese Frage findet man eine vollständige Abweichung der einzelnen Anga- ben von einander vor. Was endlich das Verhalten der sensiblen Fasern betrifft, so liegen hier von keiner Seite positive Angaben vor. Von keiner Seite ist gezeigt worden, dass die Gefühlsnerven einer nach- weisbaren Veränderung in Folge der Vergiftung durch Curare unterliegen. Für Funke ist die ihm nachgewiesene Erhöhung der negativen Schwankung ein Fingerzeig‘ dafür, dass das Pfeilgift in den sensiblen so gut wie in den motorischen Fa- sern eine Erhöhung der Erregbarkeit erzeuge, er sieht in dem von ibm beobachteten Verhalten beider Nervengattungen ein neues Anzeichen ihrer physiologischen Gleichheit, während Kölliker sowohl wie Bernard mit grosser Entschiedenheit auf die Erhaltung der Erregbarkeit in den Gefühlsnerven. als auf eine Thatsache hinweisen, die einen fundamentalen Unter- schied der Eigenschaften beider Fasergattungen darthun. Untersuchungen über die Einwirkung des Curare u. s. w. 391 Man hat den in der That überraschenden Erscheinungen, welche mit Curare vergiftete Thiere darbieten, von allen Seiten einen hohen Werth beigelegt und man hat Schlüsse aus. den- selben abgeleitet, die mit den wichtigsten Fragen der allge- meinen Muskel- und Nervenphysiologie in dem engsten Zusam- menhange stehen. Bei der gänzlichen Verschiedenheit des That- bestandes, welcher, wie wir gesehen haben, von den verschie- denen Forschern hergestellt wurde, ist es nicht wunderbar, dass wir Fragen von hoher Wichtigkeit je nach den Erschei- nungen, welchen von den einzelnen beobachtet wurden, bald in dem einen, bald in ganz entgegensetztem Sinne beantwortet finden. Man glaubte vor Allem in dem Pfeilgift ein Mittel entdeckt zu haben, welches das System der animalischen Museulatur von dem Systeme der motorischen Nerven fnnetionell vollstän- dig trenne, Man glaubte sich mit diesem Mittel sofort in den Besitz des unwidersprechlichen Beweises für die lang bestrit- tene und lang behauptete Muskelirritabilität gesetzt. Man weiss, dass Bernard diesen Schluss auf die selbständige Mus- kelreizbarkeit aus seinen Versuchen ohne Weiteres gezogen hat, während Kölliker, Anfangs schwankend, erst in der letzten Zeit nach dem Erscheinen der Haber’schen Arbeit, die volle Beweisfähigkeit der Vergiftungserscheinungen für diesen Satz unbedingt annahm. Man hatte allerdings in den Resultaten beider Forscher sehr verführerische Anhaltspunkte für diesen Satz. Wenn man fand, dass zuerst die zarten Verbindungen zwischen Nerv und Muskel, dann die zarten. Anfänge, der Nervenfasern im Marke und zuletzt die motorischen Fasern in den Stämmen ihrer Er- regbarkeit und Leitungsfähigkeit durch den Einfluss des Giftes beraubt wurden, so lag der Schluss sehr nahe, dass die Theile im Muskel, welche unter dem Einflusse des Giftes verändert würden, in der That die eigentlichen Nervenendigungen seien, und von hier ‚aus gelangte man allerdings mit einem kleinen Sprung leicht zum Schlusse, dass bei directer Erregung. der Curare-Muskeln die Zuckung ganz ohne Beihülfe von nervösen Theilen erzeugt werde, Man hatte demnach den gewünschten 392 A. v. Bezold: Beweis für eine selbständige Muskelreizbarkeit, einen Beweis, der, wie es schien, an Richtigkeit und Strenge nichts zu wün- schen übrig liess. Dagegen trat man von anderer Seite gegen die Gültigkeit dieser Schlussfolgerungen auf. Man bestritt vor Allem, wie dies durch Funke geschehen ist, die Richtigkeit der That- sache, dass nervöse Theile an irgend einem anderen Orte, als innerhalb von Muskeln, selbst nieht die feinen Anfänge im Mark, von dem Pfeilgifte irgendwie nachtheilig afficirt würden. Man glaubte gezeigt zu haben, dass die für den Zustand der Erregung charakteristischen Bewegungs-Erscheinungen des Ner- venstroms nicht im geringsten unter dem Einfluss dieses Giftes litten, dass dieselben im Gegentheile in ihrer Intensität wüchsen. Wie unwahrscheinlich sei es daher, dass das Gift die eigent- lichen Nervenendigungen im Muskel lähme. Wie viel mehr liege der Schluss nahe, auf einen zwischen Nervenendigung und Nervenzweig eingeschalteten Zwischenapparat im Muskel, wel- cher nicht die allgemeinen Eigenschaften der Nervenfasern theile, welcher Apparat durch das Pfeilgift gelähmt eine Auf- hebung des lebendigen Zusammenhanges zwischen Nervenfaser und dem noch mit funetionsfähigen Nervenendigungen verse- henen Muskels herstelle. Auf diese Weise sei ohne Annahme der Muskelirritabilität das Fortbestehen der direeten Erregbar- keit der vergifteten Muskeln erklärt. So hat man, wie man sieht, ohne Beihülfe des Mikroskops mit Hülfe einiger Milligramm Curare von Nerv und Muskel verschiedene Zwischenapparate entdeckt, eingeschoben zwischen Nerv und Muskel, man hat auch auf der anderen Seite mit Hülfe eines einzigen Stückehens Gift die so lange ohne Erfolg discutirte Frage nach der Muskelirritabilität entschieden; man hat fundamentale Unterschiede aufgefunden zwischen sensibeln und motorischen Nervenfasern, mit Hülfe dieses physiologi- schen Erkennungsmittels. Nicht genug: man glaubte mit Hülfe des Pfeilgiftes dargethan zu haben, dass das Herz sich ohne irgend welchen nervösen Einfluss eontrahire. — Noch ein Paar solcher Gifte und die ganze Physiologie ist umgestaltet. Es leuchtet ein, wie wichtig es unter so bewandten Um- Untersuchungen über die Einwirkung des Curare u. s. w. 398 ständen Sei, 'vor' Allem"den Thatbestand der‘ Vergiftungser- scheinungen in seinen 'wesentlichsten‘ Punkten klar und un- Frela herzustellen. Die Wiederholung der Versuche Fun- e’s, Bernard’s und Kölliker’s unter allen Cäutelen e- er Herstellung möglichst einfacher und gleichartiger Bedingangen war nothwendig." ' Eine’ Vereinbarkeit "zwischen den Angaben des Myographions, des Multiplieators und 'des Froschschenkels musste hergestellt werden. „Ich habe eine grössere Reihe von Versuchen zu diesem Zwecke unternommen. Ich vergiftete eine Anzahl von, Frö- schen, deren einer Unterschenkel nur noch mittelst Nerv und Sehne mit dem Oberschenkel zusammenhing, mit verschiedenen Dosen Pfeilgiftes, beobachtete die Vergiftungserscheinungen, welche eintraten nach \ verschieden langer ‚ Einwirkung des Giftes bei verschiedenen Temperaturen, denen ich die Frösche aussetzte., Ich hatte mein‘ Augenmerk hierbei besonders ge- richtet auf die Veränderungen der Erregbärkeitder mo- torischen Nervenfasern in den Stämmen, auf das elek- tromotorische Verhalten der vergifteten Nerven- stämme, auf die Veränderungen in der Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit des Rückenmarks, und endlich auf das Verhalten und die Dauer der Herzbeweguns nach der Vergiftung. Das Gift, dessen ich mich bei meinen Versuchen bediente, stammte von derselben Quelle, als jenes, däs ich bei meinen Versuchen über die Veränderung der Fortpflanzungsgeschwin- digkeit gebraucht hatte. Herr ‚Buchhändler Appun in Bunz- lan, bei welchem es käuflich zu haben ist, hatte es direct von seinem Sohne aus Guiana bezogen. Es ist von dunkelbrauner, fast, schwarzer Farbe, bietet einen muschligen, glänzenden Bruch dar und entwickelt den eigenthümlichen süsslichen Ge- ruch des Curare in hohem Masse. Die Vergiftung geschah durch Einbringen kleiner (1 Mgr.,—70 Mgr.) Stückchen, getaucht in eine wässrige Lösung, in eine Wunde des Muse. pectoralis. DieHautwunde wurde an jedem Thiere sorgfältigzugenäht. In den meisten Fällen, insbesondere wenn die Vergiftung bei höherer Temperatur geschah, trat die Aufhebung der willkürlichen Be- Reichert's u. du Bols-Reymond's Archiv, 1860. 26 394 A. v. Bezold: - wegungen innerhalb 2—5 Minuten vollständig ein. Wir haben es demnach mit einem sehr rasch wirkenden Gifte zu thun, 1. on der Dauer der Herzbewegungen nach der Vergiftung durch Curare. Ich gebe in Folgendem eine Uebersicht über meine Beob- achtungen in einer grösseren Anzahl von Versuchen. Dosis des Giftes. 2—3 Mgr. 2—3 3 2—3 2—3 2—3 2—3 20—30 Zeit nach Beibrin- gung des Giftes. Verhalten des Herzens. Schlägt schnell und kräftig. Schlägt noch kräftig. Schlägt nicht mehr. Schlägt noch. Schlägt noch schwach. Schlägt noch kräftig. Schlägt noch kräftig. Schlägt nicht mehr. n » ” Schlägt noch schwach und sehr langsam. Vorhöfe pulsiren noch schwach. Schlägt nicht mehr. Schlägt noch sehr schwach. Schlägt nicht mehr. Schlägt nicht mehr. Schlägt noch. Schlägt nicht mehr. Schlägt sehr schwach. Steht still in Systole. Schlägt sehr schwach und langsam. Vorhöfe pulsiren noch sehr schwach. Pulsirt schwach. Pulsirt schwach. Schlägt schnell und schwach. Pulsirt rasch aber schwach. Schlägt noch schwach. Schlägt schwach. Schlägt schwach. Schlägt äusserst schwach. Schlägt noch, aber langsam und schwach. Schlägt noch. Schlägt noch. Temperatur bei welcher das Gift einwirkte. 11—12°C. 11—12° 11—12° 6— 7° 6— 7° 6— 7° 6— 7° 7— 8° 7— 8° all 6— 7° 6— 7° 6— 7° 6— 7° 6— 7° 6— 7° 6— 7° 6— 7° 6— 7° 6— 7° 6— 7° 11—12° 11—12° 11—12° 11—12° 11—12° 11-12° 11—12° 11—12° 11—12° 11—12° 11—12° Untersuchungen über die Einwirkung des Curare u. s. w. 395 Dosis Zeit nach Temperatur Bari; Verhalten des Herzens. B weten Giftes. gung des das Gift ö Giftes. einwirkte. 70 Mgr 64h. | Schlägt noch. 11—12° C. 70 5 Schlägt noch. 11—12° 70 6 Schlägt noch sehr langsam. 11—12° 70 6 Schlägt noch sehr langsam. 11—12° 70 6 Schlägt noch. 11—12° 70 5 Schlägt noch. 11—12° 50 5 Schlägt noch. 110499 70 6 Schlägt nicht mehr. 15—16° 70 5 Schlägt nicht mehr, Diastole. | 15—16° 70 6 Schlägt noch sehr langsam und | 15—16° schwach. 70 5 Schlägt nicht mehr. 15—18° 30 7 Schlägt sehr langsam. 15—16° 70 5+ Schlägt nicht mehr. 15—18° 70 6 Schlägt nicht mehr. 15—18° Die obigen Ergebnisse zeigen, wie mir scheint, ganz un- zweideutig, dass das Pfeilgift einen, wenn auch langsamen, doch entschieden schädlichen Einfluss auf die Herzbewegungen aus- übe, Bei genauerer Durchmusterung sieht man unzweifelhaft, dass die Menge des Giftes und die Temperatur, ‘bei welcher dasselbe auf den Organismus einwirkt, hierbei einen wesentli- chen Einfluss besitze. Unter den 7 Fällen, wo mit einer sehr schwachen Dosis Gift vergiftet war, fanden wir ‚einen (wahrscheinlich zufällig), bei dem der Herzschlag nach 5 Stunden aufgehört hatte. In allen übrigen Fällen war der Herzschlag selbst noch 30 Stun- den nach der Vergiftung regelmässig und kraftvoll, Unter den Fällen der starken Vergiftung müssen wir meh- rere Abtheilungen besonders auflassen. 22-24 Stunden nach Beibringung des Giftes: Es finden sich. unter 8 Fällen 6, wo die Herzbewegungen vollständig, er- loschen waren; in den beiden, wo sie noch bestanden, waren dieselben sehr langsam und schwach geworden. 17—18 Stunden nach der Vergiftung: Es finden sich unter 6 Fällen (3, wo. die Herzbewegungen ganz oder theilweise 26* 396 A. v. Bezold; aufgehört hatten, und in den übrigen Fällen ebenfalls grosse Schwächung und Verlangsamung. 5—7 Stunden nach der Einbringung des Giftes: Es findet sich unter 17 Fällen starker Vergiftung bei einer Temperatur von 11—12° keiner, wo das Herz zum vollständigen Still- stande gebracht worden war, dagegen zeigt sich in allen diesen Fällen eine Abschwächung und Verlangsamung der Herzbewe- gungen. Indem Falle, wo das Gift bei einer Temperatur von 15 bis 13° einwirkte, finden sich dagegen unter 7 Fällen bei fünfen eine Aufhebung des Herzschlages nach Verlauf von 5 bis 7 Stunden, in den beiden übrigen eine sehr bedeutende Verlangsamung. Mit grosser Wahrscheinlichkeit lässt sich demnach aus den vorliegenden Versuchen der Schluss ziehen, dass die Herz- bewegungen durch das Curare eine wesentlicheschäd- liche Einwirkung erfahren, dass dieser schädliche Einfluss wächst mit der Menge des Giftes, mit der Zeit, während welcher es einwirktund mit der Tem- peratur, bei welcher es seine Einwirkung ausübt. 2. Von dem Einflusse der Vergiftung durch Curare auf die Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit des Rückenmarkes. Wie ich schon oben erwähnte, findet man bei den verschie- denen Forschern über diesen Gegenstand ganz von einander abweichende Angaben. Man erinnert sich, dass Kölliker ge- funden, dass das Rückenmark noch längere Zeit nach der Ver- giftung für Reflexerregungen durchgängig sei, dass es aber nach 3—4 Stunden die Fähigkeit, Reflexbewegungen zu vermitteln, vollständig einbüsse. Man weiss, dass Haber diese Aufhebung der Leitungsfähigkeit des Markes erst 7—8 Stunden nach dem Beibringen des Giftes eintreten sah, dass ferner Funke noch 24 Stunden nach der Vergiftung eine ungetrübte Reflexerreg- barkeit des Rückenmarks beobachtete. Endlich wird von M. Magron und Buisson angegeben (siehe Funke’s Jahres- berichtin Schmidt’s Jahrbüchern), dass wenn man das Curare Untersuchungen über die Einwirkung des Curare u. s. w. 397 von den Muskeln abhalte und direct auf das Rückenmark einwir- ken lasse, eineähnliche Erhöhung der Reizbarkeit des Markes hierdurch erzeugt werde, als durch ‚Strychnin. Ich habe die Verhältnisse der Reflexthätigkeit des Markes bei einer grossen Anzahl von vergifteten Fröschen sorgfältig beobachtet und habe folgende, stets in gleicher Weise wieder- kehrende Thatsache gesehen. Schneidet man bei einem Frosche den Blutkreislauf vom lin- ken Unterschenkel vollständig ab, und vergiftet darauf das Tbier, so erhält man längere Zeit nach der Vergiftung durch Reizung sowohl von Theilen der vergifteten als der unvergif- teten Körperoberfläche sehr regelmässige, schnell und in: hefti- ger Weise eintretende Streckungen oder Beugungen des. Un- terschenkels und des Fusses. Diese Reflexbewegungen tragen ungefähr 1—1'/, Stunden nach der Beibringung des Giftes einen krampfartigen Charakter an sieh, sowohl was die Energie als was die Regelmässigkeit ihres Auftretens anlangt. Sie, nehmen im Verlaufe von 3 bis 4 Stunden allmählig an Regelmässigkeit und Raschheit ab, werden träger, und nach dem Verfluss von 6—7 Stnnden gelingt es in den seltensten Fällen, noch: deut- liche Bewegungen auf Reizung, gleichviel ob vergifteter oder unvergifteter Körperstellen, zu erhalten. Auch die anhaltendste und stärkste elektrische Erregung des rechten N. ischiadieus an beliebigen Punkten seines Verlaufes ruft zuletzt auch nicht die Spur einer Bewegung im linken Unterschenkel hervor. Diess sind die regelmässigen Erscheinungen, wenn man eine Quantität von 20—70 Mgr. Curare zur Vergiftung anwendet, und wenn die vergifteten Frösche bei einer Temperatur von 7—11° ©. aufbewahrt wurden. Setzt, man die Thiere bei einer Temperatur von 18° C. dem Einflusse des Giftes aus, 0 laufen die Erscheinungen schneller ab und man findet dann schon nach 3— 4 Stunden die Durchgängigkeit des Rücken- markes für Reflexerregungen vollständig erloschen. In.all’ den beobachteten Fällen wurde, nachdem die beschriebenen Er- „scheinungen constatirt waren, die Erregbarkeit des linken N. ischiadicus an verschiedenen Stellen seines Verlaufes einer Prü- fang unterzogen, und es wurde in jedem Falle nachgewiesen, 398 Av Bezold: dass derselbe noch die Erregung gut auf den Muskel fortleitete. Die Fortpflanzungsfähigkeit für die Erregung war also in den motorischen Stämmen noch vorhanden, so dass man mit ‘einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit den Sitz des Hindernisses für die Reflexleitung in das vom Gifte veränderte Rückenmark verlegen muss. Ich habe ausserdem Curarelösun- gen direct auf das Rückenmark von Frösehen einwirken lassen, deren Herz vorher unterbunden war. Ich habe hierbei regel- mässig den Eintritt von allgemeinen tetanischen Krämpfen, ähn- lich, nur von geringerer Intensität, als die Strychninkrämpfe, beobachtet. Die Krämpfe brachen ungefähr 10 Minuten nach dem Beibringen der Giftlösung aus; sie entstanden bei jedem ‘ Versuch des Thieres, willkürliche Bewegungen auszuführen; sie waren die Antwort auf jeden Reiz, der auf die Hauttheile des Frosches angebracht wurde In Folge der Einwirkung des Curare auf den Organismus erleidet demnach das Rückenmark zuerst eine Erhöhung seiner Re- flexerregbarkeit, ähnlich wie durch Opium oder Stryehnin. Diese Erhöhung der Reflexerregbarkeit geht bei einer Temperatur von 7-—-11° C, nach 5 bis 7 Stunden, bei höherer Temperatur nach 2-4 Stun- den über in eine totale Unfähigkeit Reflexe zuleiten. 3. Von dem Einflusse der Curare-Vergiftung auf den Strom des ruhenden Nerven. In diesem Absehnitte will ich die Ergebnisse von Versuchen mittheilen, welche ich mit möglichster Sorgfalt und gewissen- hafter Anwendung aller nöthigen Cautelen mit Hülfe eines Sauerwald’schen Multiplicators von 30,000 Windungen und mit Benutzung von amalgamirtem Zinke in Zinkvitriollösung als Elektroden, die an Gleichartigkeit nichts zu wünschen übrig liessen, angestellt habe. Ich habe theils die Methode der Com- pensation, theils direete Vergleichung der vergifteten mit un- vergifteten Nerven, die in ähnlicher Weise präparirt und auf- gelegt wurden, angewandt. Ich theile eine Zusammenstellung „ der durch den ruhenden Nervenstrom des vergifteten und un- vergifteten Nerven erzeugten Ablenkungen der Nadel mit. Untersuchungen über die Einwirkung des Curare u. s. w, 399 z Zeit nach Beim Verfahren der Com- 3 Dosis | Bei- a ae pensation überwiegt der =. g des PEBERE das Gift vergiftete | unvergiftete >| 6iftes. Giftes, | einwirkte. um um An ; : Grade const. | Grade const. © | Mer. Stunden. | Grade Cels. Abl. bl. 2,28 ı 3 30 6-7 1. Spur r. 10—20 1 z a 1. 10-20 r, 15 3 40 5 10—12 1. 10 4 50 5 10—12 Gleichgew. L 30 5 3 6 10-12 5 10 1. 30 6 3 6 10—12 Fi 15 1. 10—12 7 3 6 10—12 Fer: 8 55 24 6— 7 30 9 55 24 6— 7 12 Pr Zeit nach Bei directer Vergleichung Pie Dosi Bei. | Temperatur Grösse B2 OBIB - bei welcher | der Ablenkung der Nadel a5| des |bringung | as Gift BB Giftes. des rei durch den 2 Gina oe if i F - vergifteten | unvergifteten n Mgr. Stunden. | Grade Cels. |Grade const. Abl, Grade const.Abl. r. 40 38 10 70 19 6— 7 135 34 11 70 19 6— 7 32 28 12 70 19 6— 7 24 26 13 70 5 10—12 40 40 14 70 6 10—12 38 38 15 70 64 10—12 26 30 16 70 64 10—12 40 40 1. 38 40 17 70 6} 10—12 1.46 45 | © 6 10—12 ur 2 19 40 7 10—12 50 40 20 70 4 10—12 48 27 2 0 u 2 22 10-12 SC) Mr; 22 70 24 10—12 40 40 n| m | ie 10-12 Beh 3 "u 70 7 18 1. 20 35 | m 8 18 30 35 1. 45 40 26 | 70 5 18 297 20 27) 40 64 | 18 35 30 400 rede: a ureeeeerr Es muss zu diesen Zahlen bemerkt werden, dass bei dem Verfahren der Compensation’immer zwei Nervenschlingen ein- ander gegenüber abgewogen wurden, 'so dass der eine Bausch von einem Punkte der Schlinge, der andere von beiden Quer- schnitten desselben Nerven berührt wurde. Bei der direeten Vergleiebung wurde immer ein peripherischer Theil des Nervus ischiadieus einfach angelegt. Der Querschnitt war hier immer über der Theilung, des N. in den N. tibialis und peronaeus angebracht. Man sieht ‚aus der Betrachtung der vorliegenden Zahlen, dass die vergifteteten Nerven im Durchschnitt eine höhere elektromotorische Wirksamkeit entfalten als die unvergifteten, wie sich dies besonders beim Verfahren der Compensation, herausstellt. Eine weitere und wichtigere Frage ist die nach dem Ver- halten der negativen Schwankung des ruhenden Nervenstromes. Wir werden diese Frage zu gleicher Zeit mit der Frage nach der Erregbarkeit der vergifteten motorischen Nervenfasern ab- handeln. : Beiläufig sei bemerkt, dass der Muskelstrom vonWvergifteten Thieren unter möglichst gleichen Bedingungen mit jenem un- vergifteter Thiere verglichen weder eine bemerkenswerthe Zu- nahme noch eine. irgendwie 'schätzbare Abnahme darbot. ©: 4. Von dem Einflusse der’ Vergiftung durch Curäre auf die Erregbarkeit der motorischen Nervenstämme und auf die Grösse der negativen Schwankung des Nervenstromes. - Ich. habe den Widerstreit der Angaben, welcher in Bezug auf die Veränderungen der Erregbarkeit der motorischen Ner- venfasern durch das Pfeilgift, unter den verschiedenen Schrift- stellern über diesen Gegenstand herrscht, bereits oben erörtert. Es ist noch von keinem der früheren Forscher eine direete messende Vergleichung der Erregbarkeit des vergifteten Isehia- dieus 2, B. an verschiedenen Stellen seines Verlaufes mit ‚der, Erregbarkeit eines, gleichen Verhältnissen der Reizung ausge- setzten unvergifteten ‘N. ischiadieus geliefert worden.': Und dach Dt Untersuchungen über die Einwirkung des Curare u. s. w. 401 ist dies der einzige richtige Weg, um! die Frage, nach dem Ein- Ausse der. Vergiftung auf die motorischen Nervenfasern in. den Stämmen unzweideutig zu beantworten, Ich habe eine derar- tige Vergleichung an einer grossen Anzahl von Fällen ausge- führt, und ich habe vollkommen unter einander übereinstim- mende Ergebnisse erhalten. Ich habe bei, einer ‚grossen Anzahl: von Fröschen, ‘deren einer Unterschenkel dem Einfluss der Vergiftung entzogen war, und welche mit verschieden grossen Dosen Pfeilgiftes vergiftet wurden, die Curve der Erregbarkeit des N. ischiadieus der un- terbundenen Seite in verschiedenen Zeiten nach der Vergiftung ‚verglichen ‚mit der‘Curve ‚der ‘Erregbarkeit im N. ischiadieus sBo gesunden Fröschen. Ich unterband bei den zu diesen Versuchen dienenden Thie- Te die A. und V. poplitea durch doppelte Ligaturen, durch- schnitt Haut und Weichtheile mit Ausnahme dieser beiden Ge- fässe und des N. tibialis und peronaeus vollständig in der Nähe des Kniegelenkes, so dass die Verbindung zwischen Ober- und Unterschenkel aus dem Femur,, den ‚beiden Nerven und den beiden unterbundenen Gefässen bestand. Sodann ver- giftete ich,die Thiere in der früher beschriebenen Weise, und brachte dieselben in einen mit Wasserdampf gesättigten Raum, dessen Temperatur nach Belieben variirt werden konnte. Nach Verlauf verschieden langer Zeiträume nach der Vergiftung prä- parirte ich den N. ischiadicus-mit dem Unterschenkel des ver- gifteten Thieres auf der unterbundenen Seite "gleichzeitig mit dem N. ischiadicus und, dem, Unterschenkel eines gesunden Frosches von gleicher Grösse; und brückte beide Nerven an entsprechenden Stellen ihres Verlaufes über die Elektroden der stromzuführenden Vorrichtung. Diese war mit der secundären Spirale eines’ du Bois’schen Schlittenapparates in Verbindung, dessen primäre Spirale abwechselnd von starken‘ und schwachen Strömen ‚(Helmholtz’sche Modification ‚des, Instrumentes) durchflossen wurde. Der Abstand der beiden Rollen, bei. wel+ chem die beiden Präparate zu zucken anfingen, wurde genau ermittelt und auf diese Weise wurden vom centralen Ende des am Austritte aus der Wirbelsäule abgeschnittenen Plexus ischia- 402 A. v. Bezold: dieus anfangend bis zur Einsenkung des N. tibialis’in den M. gastroknemius verschiedene Stellen im Verlaufe der beiden Nerven auf ihre Erregbarkeit direct verglichen. Die Zahlen, welche die Abstände der Rollen ausdrücken, geben uns in der folgenden Tabelle ein Bild von der Erregbarkeit des vergifte- ten und unvergifteten Nerven. Die folgende Tabelle ist nach dem Vorausgeschickten von selbst verständlich. A. Versuche bei 6—-7° C. Abstand der Rollen 5 ART [7] © em 22 „e|) 8 |Zeitnach | TO a8 ausgedrückt in Mm. a 2 o der Bei- | 38E3| Ort der Reizung bei welchem zuerst ERS Ro) bringung | 2 4.2 © NE zuckt der Muskel zZ ” ds | A228 S des des un- 8 a Giftes. | 2382 vergifteten|vergifteten E= soon A HESS Nerven | Nerven I. |55Mgr.| 24h. 6-7°C Am Querschnitt. 180 600 24Cm. unterhalb. 150 245 2 = 150 250 Bi, E 150 250 1.7095 18h. | 6-7°C. Am Querschnitt. 250 540 2 Cm. unterhalb. 220 460 u“, N 200 380 11.|70 „ 18h. 6°C. Am Querschnitt. 210 460 2Cm. unterhalb. 210 300 14 „ vom Muskel. 200 200 1 2 > » 200 200 IV.|70 „ 18h. 6°C Am Querschnitt. 520 280 24Cm. unterhalb. 280 280 3%, h 280 240 4, ® 270 260 Verhalten der negativen Stromesschwankung. Der vergiftete Nerv der nicht unterbundenen Seite verglichen mit einem gesunden Nerven unter gleichen Bedingungen der Erregung und Ableitung. Vergiftet Unvergiftet Be I. 7° neg. Schw. 5° neg. Schw. II. Eon den, ‘= a ET Yaal, en, Untersuchungen über die Einwirkung des Curare u. s. w. 403 SB, Versuche bei 10-12° C. Abstand der Rollen on ‚ o = = ausgedrückt in Mm. An. 3 x 2220| 8 f ‚ | bei welchem zuerst ER 5 Din SeBe Enge zuckt der Muskel »oa=| 5 am Nerven. { 2E08 A des | des un- N= 5 vergifteten |'vergifteten Aa Nerven Nerven 6 St. [10° | Querschnitt. 220 450 14 Cm. unterhalb. 230 300 4 n » 180 210 g x 170 180 +, 5 160 160 VI.; 70 | 6% „ |11° | Querschnitt. 130 400 1 Cm. unterhalb. 120 300 Y " 125 170 VII. | 70 | 64 „ | 10° | Querschnitt. 220 355 \ 1 Cm. unterhalb. 190 260 2 5 » 190 200 rt Eden ” 170 180 VUI| 70 |6 „ [10° | Querschnitt. 230 450 1 Cm. unterhalb, 230 260 are 2 220 260 ’ 8. 5 200 200 IX.) 40 |7 „| 11° | Querschnitt. 320 490 “ . 2 Cm. unterhalb. 260 360 ER h, 200 300 3er ir 5 200 240 x%.| 70 17°, |’11% | Querschnitt. 290 540 1 Cm. unterhalb, 270 460 3 5. ” 220 230 3 „ ” 210 210 4 » ” 210 210 XI. | 70 |6 „„ |12° | Querschnitt, 260 500 2 Cm. unterhalb. 240 340 3: FR 220 220 44 » 220 220 XIL | 70 | 64 „| 19° | Querschnitt. 140 380 2 Cm. unterhalb, 160 280 BD’, 2 140 180 Ban »„ 150 | 180 Abu 1 160 |. 170 xu 70 | 54 „| 13°.) Querschnitt. 140 | 300 | 2 Cm. unterhalb. 150 | 280 Be y 160 | 200 4 F4 170 | 200 44 » ” 180 180 404 A. v. Bezold: ar) Vergleiehung der Grösse der negativen Schwankung bei gleichen Bedingungen der Reizung und Ableitung. Vergiftet Bei V. 8° VIawig4° VII. 8° 6° I. 140 RL oa Unvergiftet » C. Versuche bei einer Temperatur von 16—18° 55% |=|s5 | Abstand der Rollen. No. | 8 ES Ort der Reizung. = |&85 R ver- 818 = Vergiftet re: xIV.| 70 | 5 St.) Querschnit. bei0 Mm.keineZuck.| 540 Mm. | 2 Cm. unterhalb. |„ „ = » | 280 „ Ba * 120 Mm. 210 „ | | en * 180 „ 210, XV. 70 | 6% „| Querschnitt. Keine Zuckung auch | 500 „ bei OMm. Abst. 1 Cm. unterhalb. |Keine Zuckung. 200 „ 205 » 40 Mm. 200 „ 24 » » 0 , 200 „ ” ” 80 n 195 » 4 » » 120 „ 190 „ xV1.| 70 | 7 ,, | Querschnitt. bei0 Mm.keineZuck.| 450 „ 24 Cm. unterhalb. 40 Mm. 320 „ 4 ” E2) 50 > 240 ” In » 80 „ 190 „ xVIl.| 70 | 8 „| Querschnitt. bei0Mm keine Zuck.) 380 „ 3 Cm. unterhalb, |,„ » = 260 „ r ss 20 Mm. 180 „ xvill.| 70 | 5 „| Querschnitt. O0 Mm. keine Zuck, | 380 „ 2 Cm. unterhalb. n > = 200 „ Bis: 5 60Mm, Beginn. d. Z.| 180 „ 35 „ 80Mm. 180 „ 4 „ » 120 „ 180 „ 5b» » 160 „ 180 „ xXIX.| 70 | 7 „| Querschnitt: 0Mm. keine Zuck. | 460 „ 2 Cm. unterhalb. 5 A 5 200 „ 2, » ” 10Mm. 180 „ 3» EL) 20 „ 160 » KR en 80 160 „ Dur, & 100 „ 160 „ Untersuchungen über die Einwirkung des Curare u. s. w. 405 8 &D a5 Abstand der Rollen, 35 Ort der Reizung. Ei # Unver- g = Vergiftet giftet 6St. | Querschnitt. ho 1 Cm. unterhalb. |0Mm.keineZuckung.| 380Mm. 'a 2,5% ” » ” ” 280 „ 30% ” ” ” » 200 „ 34 ”» ” » ” ” 190 ” Adi: a 80 Mm. 180 „, 4 „ »” 100 „ 170 „ 9» » 140 „ 160 „, Vergleichung der Grösse der negativen Schwankung unter gleichen Bedingungen der Ableitung und Erregung. Vergifteter Unvergifteter Nerv xIv. 8° 8° XV. 4—5° 10° xXVI. 5° 8° XVII 10° 6° 1 XVII. ” bei 100Mm, Abst.d. Rollen. 20° bei 100 Mm, Abst. d. Roll, 0 o 0.» ” » » 20 ’ » » ” ” ” > xx. 0 » 100 ” ” ” ” 6° ” 100 ” ” ” ” 6 Ich er in den vorstehenden Versuchen ein treues und klares Bild gegeben zu haben von der allmähligen Aenderung der Curve der Erregbarkeit in den motorischen Nerven in Folge der Vergiftung, und von den Aenderungen in der Grösse der iyen Schwankung des Nervenstroms, welche derselben pa- o ” 0 ” ” ” ” 16 ” 0 ” » ” ” ni ehen. Der Einwand, den Funke gegen die Versuche von Kölliker machte, dass nämlich die Austrocknung der frei liegenden Nerven auf der unterbundenen Seite die Ursache sein könne von der scheinbaren Vernichtung der Erregbarkeit in den motorischen Nervenfasern der Stämme, fällt hier offenbar weg, indem gerade diejenigen Stellen des Nerven, welche frei- Ingen, ihre normale Erregbarkeit in den meisten Fällen unge- bt beibehalten haben, und erst zu der Zeit eine allmäh- lige Abnahme derselben zeigen, wenn die Nervenstrecken, die dem Gifte ausgesetzt waren, ihre Erregbarkeit bereits vollstän- dig eingebüsst hatten. Man sieht, dass die Erregbarkeit des Nerven an den cen- tralen Stellen seines Verlaufes zuerst eine Abnahme darbietet, dass diese Abnahme der Erregbarkeit allmählig auch an den dem Muskel näheren Nervenstrecken eintritt, dass sie zuerst vollständig schwindet im Plexus, und dass allmählig auch die übrigen dem Gifte ausgesetzten Nervenstrecken ihre Erregbar- 406 b Auıw.Bezohd: mn sh keit verlieren. Diese Erscheinungen stehen in vollständiger Uebereinstimmung mit den Beobachtungen, welche ich früher mittheilte, über die Veränderungen nämlich der Fortpflanzungs- geschwindigkeit in den motorischen Nerven in Folge der Ein- wirkung des Pfeilgiftes. In der That, man musste Ergebnissen am Myographion ein derartiges Sinken € barkeit in den motorischen Stämmen voraussetzen. die durch das Gift veränderte Nervenstrecke ist, I Reizung zu durchlaufen. hat, desto grösser sind nach unserer Ansicht die ‘Widerstände, welche sich der Fortpflanzung der Erregung entgegensetzen. Das Sinken der Erregbarkeit muss daher deutlich werden zuerst an denjenigen Strecken des Ner- ven, welche vom Muskel durch die längste Strecke vergifteter Nervensubstanz getrennt sind. Dieses ist auch der thatsäch- liche Erfolg unserer Versuche. Die Herabsetzung und das Schwinden der Erregbarkeit der motorischen Nervenfasern in den Stämmen: durch‘ die Wirkung des Curare ist, wie die Versuche lehren, in hohem Maasse ab- hängig von der Temperatur, bei welcher die Vergiftung vor sich geht. Der schädliche Einfluss des Giftes macht sich, um so schneller und intensiver geltend, je höher die "Temperatur ist, bei welcher dasselbe durch das Blut auf die Nerven wirkt. Schon in dem Verhalten der Herzbewegungen und der Lei- tungsfähigkeit des Rückenmarks beobachteten wir diesen be- günstigenden Einfluss der Temperaturerhöhting auf den Verlauf der Vergiftung. a Was das Verhalten der negativen Schwankung: betrifft, so steigt die Intensität derselben zuerst in Folge der Vergiftung und sinkt später weit unter ihre normale Grösse. Woher die Erhöhung der negativen Stromesschwankung rühre, welche ich ebenso wie Funke ganz regelmässig beobachtete, und wie diese Erhöhung mit dem gleichzeitigen Sinken der Erregbarkeit des Nerven zusammenhänge, dies sind vorläufig vollständig räthsel- hafte Thatsachen. Das Sinken der negativen Schwankung in den Fällen, wo wir den vollständigen Verlust der Erregbarkeit im N. ischia- dicus beobachteten, ist uns dagegen ein neuer Beweis von dem innigen Zusammenhange, welcher beide Reihen von Erschei- nungen, den zuckungerregenden Vorgang und die negative Schwankung des Nervenstromes, verknüpft. Nach dem hier Auseinandergesetzten sind, wie mir scheint, die Schlussfolgerungen und die Betrachtungen, welche ich in meiner ersten Arbeit an die Thatsache knüpfte, dass sowohl in dem intramuscularen als extramuscularen Nerven die Fort- pflanzungsgeschwindigkeit des Nerven herabgesetzt werde, voll- ständig gerechtfertigt.. Die Annahme, dass durch die Vergif- tung ein Leitungswiderstand in den Nerven eingeführt werde, erklärt bis jetzt noch alle Erscheinungen der Vergiftung. Nicht gerechtfertigt ist der Schluss, als sei die Muskelirritabilität achungen über die Einwirkung des Curare u. s. w.‘ 407 Erscheinungen an dem. Nerven- und Muskelsystem vergifteter Thiere bewiesen, da durch nichts bewie- s die mit Curare vergifteten Muskeln ganz ohne ir- che Thätigkeit der motorischen Nervenendigungen in Erregung in Zuckung versetzt werden. Die Er- ie in allerneuester Zeit durch Kühne (siehe jerichte der kgl. Akad. d. Wissensch. zu Berlin, Ja- am Sartorius von Thieren gemacht sind, die mit giftet waren, deuten sogar darauf hin, dass bei der en Reizung von Curare-Muskeln immer noch eine der letzten Nervenendigungen im Muskel stattfinde. icht gerechtfertigt ist die Annahme von Zwischenorganen zwischen Nerv und Muskel, welche Funke aufgestellt hat, denn diese Annahme ist zur Erklärung. der Vergiftungserschei- nungen nicht im Geringsten nothwendig. Nicht gerechtfertigt ist die Aufstellung eines fundamentalen Unterschiedes zwischen Bewegungs- und Empfindungsnerven. Nimmt man nämlich an, dass das Curare die Fortpflanzung der Erregung und nicht die directe Erregbarkeit behindert, und zwar an den Stellen um so schneller, je mehr dieselben gün- stige Bedingungen für die Aufsaugung des Giftes darbieten, so ist klar, dass die sensiblen Nervenfasern eine ihre letzten En- digungen treffende Erregung noch so lange zum Rückenmark befördern werden, als die Stämme der Nerven noch nicht von dem Gifte verändert sind. Dass schliesslich die sensiblen Ner- ven eben so gut als die motorischen den schädlichen Einfluss des Giftes erfahren, dagegen spricht keine einzige Thatsache;; im Gegentheil ist diese Annahme eine ganz natürliche. . Ueber das Verhalten des Herzens habe ich mich schon in meinem ersten Aufsatz ausgesprochen. Auch hier werden durch die Annahme eines Leitungswiderstandes in dem vergifteten Nerven, welcher der Länge des betroffenen Nervenstücks pro- portional ist, sowohl die relativ lange Fortdauer der Herzbe- wegungen, als das baldige Erlöschen der Vaguswirkung vom Stamme desselben aus, erklärt. Zu der Annahme Bernard’s, dass das Herz sich ohne nervösen Einfluss zusammenziehe, liegt in den Vergiftungserscheinungen nicht der geringste Grund vor. Zuletzt will ich nur noch die Aufmerksamkeit auf den Um- stand hinrichten, dass die Erregbarkeit des Rückenmarks durch die Einwirkung des Pfeilgiftes eine Erhöhung, ähnlich wie durch Opium und Strychnin erleide. Wer denkt hier nicht so- fort an jene der französischen Akademie mitgetheilten Fälle von Tetanus traumaticus, wo die Krampfanfälle in Folge der Be- handlung mit Curare eher verstärkt als verhindert oder ge- heilt wurden? Resume. ‚ 1. Das amerikanische Pfeilgift übt, in das Blut gebracht, eine nachweisbare schädliche Wirkung auf die Herzbewegun- 408 A.'v. Bezold:' Untersuchungen über die in w gen, auf das Rückenmark, auf die motoniöckien Faserr Nervenstämmen aus. 2: Die Herzbewegungen werden längere oder Zeit nach dem Eintritt der Vergiftung sistirt. ville 3. Das Rückenmark erfährt durch die Einwirkung d - rare‘ im Anfang ‘eine Erhöhung seiner Reflexthäti weiteren Verlauf eine Herabsetzung und totale Ver) derselben. 4. Die Nervenstämme erfahren, 'in Folge der Ewirknnig des Pfeilgiftes, zuerst eine Hebung ihrer elektromotorischen Thätigkeit, und'insbesondere eine Erhöhung in der Grösse der negativen Stromesschwankung bei elektrischer Erregung. Diese letztere geht jedoch im weiteren Verlauf der Vergiftung über in eine bedeutende Herabsetzung. 5. Die motorischen Nervenstäimme erleiden’ in Folge (der Vergiftung durch‘ Curare eine Herabsetzung und endlich eine Verniehtung’ der Erregbarkeit, welche am sehnellsten ‘an’ den von den Muskeln entfernteren Theilen (des Nerven 'eintritt"(im Falle der Muskel nieht vom Gifte berührt wird). 6." Alle’ diese Binflüsse machen sich um so schneller und so ausgesprochener geltend, je ‘höher die Temperatur (Maxim: 18° C.) ist, bei welcher das Gift auf den Organismus wirkt. Jena, Anfangs März 1860. Berichligun 8. In dem Aufsatz „Bemerkungen über Mermis“ (d. Archiv 1860) findet sich'ein Irrtham, S, 250, Anmerkung 2 muss es am Schlusse des Citats e nielit „After“ sondern „Darmröhre‘“ heissen, ' Es fällt-somit ‚die in jener Anmerkung ausgesprochene Ver- muthung weg. ' Das Citat beweist nur, dass, uusere, Auflassung‘ des Verdauungsapparates mit der von Siebold wesentlich übereinstimmt und bleibt also immer von Wichtigkeit. Berlin, 25. April 1860. A, Schneider. Otto Deiters: Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 409 Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. Von Dr. Orro DEITERS, Privatdocenten an der Universität Bonn. (Hierzu Taf. XI., XII. und XIII.) Die nachfolgenden Mittheilangen machen noch keinen An- spruch darauf, eine vollständige Monographie der Schnecke des Vogelohres zu geben. Man wird von einer Arbeit, welche sich den eomplieirten Bau dieses Organes zum ersten Male mit ei- niger Vollständigkeit zu behandeln zur Aufgabe macht, um so weniger alle Details aufgeklärt erwarten, als sich schon geübte Untersucher mit durchaus negativem Erfolge an dem schwie- rigen Thema versucht haben. Ich nenne nur Claudius, der seine ganz resultatlosen Bemühungen oflen bekennt, und Leydig, des- sen wenige, leider durch voreilig schematisirende Bestrebungen vielfach beeinflusste Resultate sich kaum über den Standpunkt von Claudius erheben. Ich bin, sei es durch genauere Me- thode, sei es durch anhaltendere Bemühungen, glücklicher ge- wesen; es ist mir vor Allem gelungen, die Aequivalente des Corti'schen Organes und einzelner seiner Annexen mit ziemli- cher Vollständigkeit im Vogelohr demonstriren zu können. Die Objeete meiner Untersuchungen waren besonders die klei- neren Singvögel, Sperling, Goldammer u. s. w., die 'mir in be- liebiger Menge zu Gebote standen; ausserdem wurden vergli- chen: Huhn, Taube, Krähe, Elster, Eule, Falke a. A. Ich gebe den kleineren im Allgemeinen zum Studium den Vorzug. Bemerkenswerthe vergleichend-anatomische Verschiedenheiten sind mir bei den untersuchten Arten bis jetzt nicht bekannt geworden. Hinsichtlich der Präparation habe ich zu bemerken, dass Kelcherts u, du Bols-Reymond's Archiv, 1860, 27 410 f Otto Deiters: allerdings frische Präparate, mit Humor aqueus bereitet, zur Controle der durch das Reagens erhaltenen Bilder unum- gänglich nothwendig sind, dass man sich aber als regelmässiger Methode conservirender und erhärtender Flüssigkeiten zu be- dienen hat. Ich habe mich vor Allem der Chromsäure in den verschiedenen, immer genau zu bestimmenden Verdünnungen, des chromsauren und doppeltehromsauren Kali’s, des Holz- essigs, der Sublimatlösung bedient, die alle im Ganzen schöne Bilder liefern. Holzessig kann ich ganz besonders, freilich nicht für alle Verhältnisse empfehlen. Nach längerem Liegen in einer der genannten Flüssigkeiten erhalten sich nachher die Präparate in Glycerin recht gut. Man wird am besten thun, die ganz aus ihrer knöchernen Schale herausgenommene häu- tige Schnecke in die betreffende Flüssigkeit zu legen; die sehr rasche Vergänglichkeit der zarten inneren Gebilde macht dies nothwendig. Man mache dann Schnitte nach allen Richtungen, die freilich nicht ganz leicht zu erhalten sind, Zerzupfungsprä- parate, bemühe sich überhaupt, die hier in Betracht kommen- den Theile in allen möglichen Lagen zu sehen, da sich sonst ein übersichtliches Bild nicht erreichen lässt. Näheres brauche ich wohl nieht anzugeben, da Jeder, der die schwie- rige Untersuchung wiederholen will, erst nach langem Versuchen zu einem Resultat kommen wird, dann aber jedenfalls allmählig von selbst auf die für die Einzelheiten besten Methoden ge- führt wird. Unsere gegenwärtige Kenntniss vom Bau der Vogelschnecke basirt noch wesentlich auf den älteren Forschungen von Searpa, Treviranus, Tiedemann, Huschke, Windischmann; denen, wenn sie auch fast nur mit den gewöhnlichen Hülfs- mitteln der descriptiven Anatomie unternommen wurden, die spätere Zeit nichts Wesentliches hinzugefügt hat. Die knöcherne Schnecke bildet demgemäss einen kurzen, nur sehr wenig gebogenen, im Querschnitt rundlichen Canal. Zwei Oeffnungen setzen denselben einerseits mit der Pauken- höhle, andererseits mit dem Vorhof in Verbindung; eine dritte, feinere, der Schädelbasis zugekehrte, lässt den betreffenden Zweig des N. acusticus eintreten. Schon die ältesten Bearbeiter Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 411 des Vogelgehöres, Casserius, Perrault u. A. scheinen nicht nur diese Verhältnisse, sondern sogar schon eine Spur des häu- tigen Inhaltes dieses Knochencanales gekannt zu haben. Scarpa gab die erste genauere Beschreibung der häutigen Vogelschnecke. Die Grundlage derselben bildet ein knorpliges Gerüst, aus zwei soliden knorpligen Cylindern bestehend, welche an gegen- überstehenden Wänden des Knochencanales anliegend, diesen in seiner ganzen Länge durchziehen und ihn dadurch in zwei unvollkommen geschiedene Räume, Scala tympani und Scala vestibuli, theilen. An beiden Enden sind die Knorpeleylinder (Cylindri cartilaginei, Scarpa) verbunden und bilden in dieser Form ein Ganzes — den Knorpelrahmen. An der einen Seite ist die Verbindung in eine kolbige Erweiterung ausgedehnt. Die mittlere, beide Knorpel in ihrer ganzen Länge verbindende feine Membran, welche also die Trennung des Canals vollkom- men macht, scheint Scarpa nicht genau bekannt gewesen zu sein, wie ihm auch die Entscheidung, ob die Knorpel in ihrer ganzen Länge dem Knochen anliegen, unklar blieb. ‚Seine Angaben über eine Communication beider Scalen können da- her keinen Werth mehr beanspruchen. Ziemlich genau erkannte er dagegen schon den gröberen Verlauf des Nerven, der in den einen Knorpelschenkel, ungefähr in dessen Mitte eintritt, inner- halb desselben nach allen Seiten hin sich verbreitet und be- sonders nach der erwähnten kolbigen Erweiterung hin einen län- geren Ast abgiebt, der in deren Wand pinselförmig ausstrahlt. An der vorderen Grenze des Knorpels angekommen, scheinen die Nervenenden frei in die Flüssigkeit einzutreten, welche den inneren Raum des Schneckencanals ausfüllt. Genauere Anga- ben über die Nervenverhältnisse finden sich auch bei den auf Searpa folgenden Forschern nicht. Dagegen wurden die an- deren genannten Theile vielfach genauer bekannt. Tiedemann und Treviranus beschrieben die Form der Knorpel genauer, ihren dreieckigen Durchschnitt, die feine Membran, welche sie in der Mitte verbindet; Treviranus insbesondere zeigte, dass auch ausser diesen knorpligen Theilen der knöcherne Schnecken- anal eine häutige Auskleidung besitze, welche beiderseits von den Knorpeln ausgehend, in Form eines Daches über die eben 27 412 Otto Deiters: genannten Theile ausgespannt sei. Von diesen beiden Mem- branen ist die die Scala vestibuli überwölbende sehr gefäss- reich und in zahlreiche Querfalten gelegt. Treviranus liess in letztere die Endverzweigungen des Gehörnerven eintreten und gab ihnen mit Rücksicht auf ihre desfallsige funetionelle Be- deutung den Namen der Gehörblätter, Laminae auditoriae; die ganze Membran erhielt den Namen der Membr. vasculosa. Windischmann und Huschke vollendeten darauf das Bild, welches unseren gegenwärtigen Kenntnissen von der Vogel- schnecke entspricht; Windischmann, indem er einiges zur Kenntniss der Membr. vasculosa beitrug, ihre Verbindung mit dem Nerven leugnete, sie auch bei Thieren auffand, bei denen sie Treviranus vermisst hatte, indem er ferner die Gefäss- vertheilung in der Schnecke genauer bestimmte; Huschke, indem er auf eigenthümliche zahnartige Hervorragungen an dem einen der Knorpelschenkel aufmerksam machte, denen er den Namen der „Gehörzähne“ gab und deren Auffindung als der erste Anfang einer genaueren mikroskopischen Erkenntniss der hier in Betracht kommenden Theile anzusehen ist. Clau- dius und Leydig haben diese weiter fortzuführen gesucht; ich werde Leydig’s spärliche Angaben bei der Besprechung der Einzelnheiten zu erörtern haben. Indem ich diese nunmehr folgen lasse, unterscheide ich an der Vogelschnecke: 1. Das Knorpelgerüst [Knorpelrahmen mit der kol- bigen Erweiterung, (Lagena, Windischmann)] und das Tegmentum vasculosum‘), also die Theile, welche unmit- telbar dem Knochencanal anliegen. 2. Die Lamina fenestrata, eine ungefähr in der Höhe der Zähne quer durch die Scala vestibuli ausgespannte Mem- bran, welche einen Ansatzpunkt für die dem Corti’schen Organ der Säugethiere entsprechenden Gebilde abgiebt. 3. Die eylindrischen Körper — das eigentliche Aequi- valent des Corti’schen Organes. 1) So soll schon hier die Membrana vasculosa der Autoren, die Gehörblätter Treviranus’ benannt werden. Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 413 4. Die Membrana basilaris, welche die Verbindung beider Knorpelschenkel darstellt, mit den auf ihr liegenden Zellen. 5. Inhalt und zellige Auskleidung der Lagena. Erst nach Betrachtung dieser Verhältnisse können der Raum “der häutigen Schnecke im Ganzen und die Vertheilung des Schneekennerven erörtert werden. I Der Knorpelrahmen und das Tegmentum vasculosum. Die beiden Knorpelschenkel, welche zu einem Rahmen ver- bunden in eben angegebener Weise das Gerüst der häutigen Vogelschnecke abgeben, weichen in ihrer äusseren Configuration in jeder Hinsicht mehr von einander ab, als sich dies bei den Anatomen angegeben findet. Ganz abgesehen von dem Ver- hältniss der Schenkel zu functionell wichtigeren Theilen, den Zähnen, den Nerven, den ceylindrischen Körpern u. s. w. be- trifft diese Abweichung die Dieke, die Form des Querschnittes, den gleich zu beschreibenden mittleren Vorsprung jedes Schen- kels, zum Theil sogar die Biegung im Ganzen, Scarpa hat hier von einem oberen und unteren Schenkel gesprochen. Ich behalte diese Benennung der Bequemlichkeit halber bei und nenne also den oberen denjenigen Schenkel, in welchen der Nerv eintritt und welcher die Zähne und die eylindrischen Körper trägt, den unteren dagegen den gegen- überstehenden, in welchen der Haupteintritt der Gefässe statt- findet. Der obere Schenkel ist immer beträchtlich dieker.als der untere; auf dem Durchschnitt erscheint er nie, wie bei den Autoren angegeben, dreieckig, sondern die Figur ist immer eine unregelmässig viereckige (vgl. Fig. 1, Fig. 2... Man kann demnach an demselben eine obere, hintere, untere und vordere Kante unterscheiden, die auf dem Durchschnitt natürlich als eben so viele Winkel’ erscheinen. Von den Seiten, welche durch diese Kanten begrenzt werden, ist nur die hintere (von der hinteren und unteren Kante begrenzte) unregelmässig con- vex, die anderen alle mehr oder weniger eingebogen, Ein auf 414 Otto Deiters: die ganze Länge des Schenkels passendes Durchschnittsbild lässt sich, abgesehen von der nach der Spitze hin allmählig etwas abnehmenden Dicke, schon deswegen nicht geben, weil die Mitte desselben einen breiten, dreieckigen, dem gegenüber- stehenden Knorpel zugewendeten Vorsprung trägt, dessen stumpf- winklige Spitze gerade der Eintrittsstelle des Nerven entsprieht. Dieser Vorsprung gehört vorzüglich dem Theil des Knorpels an, welcher in die untere Kante ausläuf. Aus dem sehr stumpfen Winkel des Vorsprungs ergeben sich die sehr lang- sam aber constant wechselnden Durchschnittsbilder des ganzen Schenkels. Was die Biegung des Schenkels im Ganzen be- "trifft, so scheint sie der der knöchernen Schnecke ziemlich ge- nau zu entsprechen. Nur unmittelbar vor der Lagena finde ich eine kleine Einbuchtung, der eine gleiche am Knochencanal wohl nicht entspricht (Fig. 7 e.). Viel einfacher sind die Ver- hältnisse bei dem unteren Knorpelschenkel. Obschon auch dieser in seiner Mitte einen Vorsprung trägt, ist der Schenkel in seiner ganzen Länge viel gleichmässiger gebaut, so dass hier ein einzelner Durchschnitt viel eher den ganzen Knorpel reprä- sentiren kann. Der Grund dafür liegt darin, dass der Vor- sprung sich nicht wie bei dem oberen Schenkel ganz allmählig entwickelt, sondern mehr in Form eines spitzen Hakens auf der Mitte des Schenkels aufsitzt, der nach aussen und etwas nach oben gerichtet ist und den Gefässen zur Haupteintritts- stelle dient. Unmittelbar vor und hinter ihm ist der Schenkel etwas mehr eingebogen. Die Durchschnittsfigur des unteren Schenkels kann wirklich im Allgemeinen als dreieckig bezeichnet werden. Es ist dem- gemäss eine obere, untere und vordere Kante zu unterscheiden, Die etwas convexe hintere Fläche liegt zwischen der obe- ren und unteren Kante; die beiden anderen Flächen sind schwach concav. Die vordere Kante dient hier, wie bei dem oberen Schenkel, zum Ansatz der gestreiften Membrana basilaris. Man sieht aus der Abbildung (Fig. 1), dass diese Membran mit der zwischen vorderer und unterer Kante gelegenen Fläche einen fast rechten Winkel bildet, und man wird daraus allein die Ueberzeugung gewinnen, dass die Leydig’sche Durchschnitts- Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 415 figur (Histologie S. 275) einem Präparate unmöglich entnom- men sein kann. Die Verbindung beider Knorpelschenkel an der Spitze, welche der Lagena gegenübersteht, hat nur das Bemerkenswerthe, dass die dadurch entstehende quere Brücke nicht eine einfach rund- liche Begrenzung hat, sondern eine Einbuchtung zeigt (Fig. 7 d.). Verwickelter sind die Verhältnisse an der entgegengesetzten Seite, wo, wie schon angegeben, die Verbindung in die kol- bige Erweiterung ausgebuchtet ist, welche von Windisch- mann den Namen der Lagena (Flasche) erhalten hat. - Ueber die Art, wie die Knorpelschenkel zur Bildung der Lagena zu- sammentreten, geben die beigefügten Abbildungen, welche eine Reihe von Durchschnitten an der Uebergangsstelle darstellen, ein genügendes Bild (Fig. 13, 14, 15); man sieht daraus, dass nicht etwa gleichmässig die beiderseitigen oberen und unteren Kanten zusammentreten und einen Raum .darstellen, der ein- fach als eine Fortsetzung der übrigen Schnecke zu be- trachten wäre. Der Raum der Lagena ist wesentlich eine Fortsetzung der Scala vestibuli, mit deren Erweiterung, die Verengerung, Obliteration der Scala tympani gleichen Schritt hält. Der erste Anfang der Bildung der Lagena be- steht in einer Annäherung der beiderseitigen unteren Kanten, während die die Scala vestibuli umgrenzenden Partieen sich auch vergrössern, aber sich weit auseinanderbuchten und mit ihren Spitzen noch nicht zusammentreten (vgl. Fig. 13). In gleichem Verhältnisse, wie sich nun die Spitzen (oberen Kanten) einander nähern, weichen die mittleren Partieen weit aus ein- ander, 80 dass zuletzt ein grösserer Hohlraum entstanden ist, als einem Durchschnitt der Scala vestibuli entsprechen würde, Im Gegensatze dazu verbinden sich auf der unteren Seite nicht nur die unteren Kanten, sondern die ganzen einander zuge- kehrten Flächen, und verdrängen dadurch den Raum der Scala tympani in gleichem Verhältniss, als der Raum der Scala vestibuli sich vergrössert. Ich habe auf dies Verhältniss noch einmal zurückzukommen. Die obere Kante des oberen Schenkels bedarf noch einer gesonderten Beschreibung. Während alle übrigen Kanten ein- 416 Otto Deiters: fache, etwas abgestumpfte Linien darstellen, ist diese ausge- zeichnet durch eigenthümliche zahnartige Hervorragungen, die von Huschke entdeckten und benannten „Gehörzähne“. Diese, welche in Fig. #4, 5, 1, 2 versinnlicht sind, erheben sich in gerader, ziemlich steiler Richtung und nur ihre Spitze erscheint meist umgebogen, doch so wenig, dass man diese Biegung auch für künstlich ansehen kann. Grösse und Höhe dieser Zähne varürt bei den verschiedenen Thieren, so weit ich sie unter- suchte, ziemlich beträchtlich, so dass dabei die Zahl eine ver- hältnissmässig wenig veränderliche zu bleiben scheint. Nie stehen dieselben dieht gedrängt an einander, sondern immer bleibt zwischen je zweien ein freier Raum, der ungefähr der Ausdehnung eines Zahnes entspricht und in den, wie später an- gegeben wird, ein spitzer Fortsatz der Lamina fenestrata hin- einragt. Zahl und Grösse der Zähne sind aus diesem Grunde leicht zu bestimmen. Die Differenz dieser Zähne im Vergleich mit den ihnen wahrscheinlich entsprechenden der Säugethier- schnecke, liegt ausser dem Vorgebrachten noch darin, dass sie sich nicht etwa allmählig als ein Resultat einer ganzen Reihe wulstförmiger Erhebungen abgrenzen, sondern dass sie mit je- derseits glatter Grenze unmittelbar aus dem Boden des Knor- pelrahmens sich erheben. Sie scheinen demgemäss auch in histologischer Hinsicht von dem Knorpel, der ihnen den Ur- sprung giebt, nicht verschieden, und werden, wie dieser, im Ge- gensatze zu den gefässlosen Zähnen des Säugethierohres, voneinem Längsgefäss durchzogen. Auch ihre Festigkeit, Consistenz, ist keine so bedeutende, da der Druck des Deckgläschens sie sehr leicht aus der Lage bringt, und sie daher an Flächenpräpa- raten nicht immer deutlich zu Tage treten. Erwähnenswerthe Unterschiede der Zähne unter einander finde ich nur insofern, als dieselben in der Nähe der oberen Spitze der Schnecke all- mählig an Grösse abnehmen. Doch behält auch der letzte noch seine vollkommen charakteristische Gestalt. Der Lagena zunächst finde ich dies Verhältniss nicht, hier behält auch der letzte Zahn noch seine ganz unversehrte Form. Ueberhaupt aber ist die Symmetrie der einzelnen Zähne unter einander bei Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 417 weitem nicht so ausgesprochen, wie bei den entsprechenden Gebilden des Säugethierohres. Die Zwischenräume zwischen je zwei Zähnen erscheinen nieht ganz vollkommen vertieft, sondern auch sie sind etwas, wenn auch unvollkommen gewölbt. Der ganzeKnorpelrahmen, wie er eben geschildert wurde, istin seiner ganzen Ausdehnung von einem reichen Gefässnetz durchzo- gen, das hier in Canäle eingebettet ist, welehe auch nach Entfer- nung der Gefässe, also z.B. aufDurchschnitten, als charakteristisch geformte, scharf eontourirte Lücken zurückbleiben. Ueber die Anordnung der Gefässe geben Windischmann und Leydig verschiedene Angaben, die beide um deswillen, trotz der ge- ringen Schwierigkeit der Untersuchung, Misstrauen erregen dürfen, weil den Untersuchern wichtige Theile des Knorpel- rahmens und seiner Annexen theils ganz, theils der Haupt- sache nach unbekannt gewesen sind. Ich darf daher meine Ergebnisse diesen wohl entgegenstellen, trotzdem sie grössten- theils anderen Vögeln entnommen worden sind. Ein grosser Theil der Schwierigkeit des Verständnisses liegt hier in dem Umstande, dass bei den Gefässen die charakteristischen Eigen- schaften, welche sie zu Capillaren, Arterien oder Venen stem- peln, sehr gewöhnlich mehr oder minder modifieirt erscheinen. Bei den Capillaren, denn so wird man jedes Gefäss nennen müssen, welches nur einem Blutkörperchen den Durchtritt ge- stattet, zeigt sich meist nicht die gewöhnliche einfache, sondern eine beträchtlich verdickte Membrana propria, ohne dass aber hier schon mehrere Schichten zu unterscheiden wären. Bei den kleineren Arterien und Venen sind hier die charakteristischen Verschiedenheiten meist noch so unvollkommen ausgebildet, dass die histologische Unterscheidung schwierig ist. Viel- leicht wird sich hier aus Injeetionen mehr herleiten lassen. An dem mittleren Haken des unteren Schenkels (Fig. 7 bei a.) sehe ich zwei sehr verschieden grosse Gefüsse ein- resp. austreten, von denen ich in dem einen eine Arterie (Fig. 7 a.), in dem anderen (Fig. 7 e.) eine Vene vermuthe. Das kleinere derselben, welches ich für die Arterie halte, theilt sich, sowie 68 in dem Körper des Knorpelschenkels angekommen ist, in 418 Otto Deiters: zwei verschieden grosse und nach entgegengesetzter Richtung verlaufende Zweige. Der eine dieser Zweige verläuft mitten durch den Knorpel in der Richtung nach der Lagena zu, be- schreibt an der Grenze derselben einen grösseren Bogen und setzt sich dann, an Grösse etwas vermindert, in dem oberen Knorpelschenkel fort, auch hier ziemlich die Mitte desselben einhaltend. Er durchläuft dann den ganzen Schenkel bis zur Spitze, wo er mit dem entgegengesetzt kommenden (Fig. 71.) zusammentrifft. Als ein noch ziemlich beträchtlicher Ast tritt er dann aus dem Knorpel heraus, um, wie es scheint, in das Tegmentum vaseulosum einzutreten. Man kann auch, bis der Zusammenhang ganz genau festgestellt ist, das Gefäss h. (Fig. 7) als ein zweites in den Knorpel eintretendes ansehen. Während dieses Verlaufes gehen von diesem Gefäss eine Menge theils unregelmässig gestellter, theils in regelmässigen Abstän- den entspringender Aeste ab, welche schliesslich fast alle die Richtung nach dem Tegmentum vasculosum nehmen. Das Ge- nauere wird durch die Abbildung deutlich genug. Besondere Erwähnung verdienen nur diejenigen Aeste, welche im oberen Knorpel je an der Stelle eines Zahnes von dem Hauptgefäss abgehen. Diese treten an der hinteren Fläche eines Zahnes zu- nächst in die Höhe, durchbohren diesen und treten an der Spitze desselben wieder heraus. Zuweilen sind sie nicht vollständig in den Knorpel eingeschlossen, sondern liegen nur in einer Rinne an der hinteren Fläche eines Zahnes. Schon an der Basis eines Zahnes theilt sich dies Gefäss und giebt einen hinteren Zweig ab (Fig. 2i.), der aber schliesslich, eine Zeitlang noch zwischen Knorpel und Tegmentum vasculos. verlaufend, zuletzt in das letztere eintritt. Der andere Ast, welcher erst an der Spitze des Zahnes aus diesem heraustritt, theilt sich hier wieder in zwei Zweige, die von verschiedener Seite in das Tegmentum vasculosum eindringen und sich hier verästeln. Das zweite grössere Gefäss, welches an dem Haken des unteren Schenkels sichtbar wird, gehört nur sehr wenig dem Knorpel selbst an; es ist nur in dem Haken selbst vom Knor- pel eingeschlossen, tritt dann aber aus demselben heraus und Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 419 ‘ verläuft bogenförmig über die Grenze der Lagena in der in der Abbildung bezeichneten Weise sich nach oben gegen das Tegmentum vaseulosum wendend und in diesem sich verästelnd. Wenn das Gefäss erhalten ist, wird es immer dicht mit Blut gefüllt angetroffen; es steht wohl nichts entgegen, in demselben die Vene zu sehen. In ähnlicher Weise wie von den Gefässen wird der obere Knorpelschenkel von Canälen durchzogen, welche den Nerven in sich aufnehmen; das Genauere wird am besten bei der Be- schreibung des Nerven besprochen. An die Beschreibung der Knorpel an und für sich reihe ich die Betrachtung desjenigen Gebildes, welches gewöhnlich als Membr. vasculosa oder als Laminae auditoriae (Treviranus) bezeichnet wird. Man denkt sich bei diesem Namen, dass die Wände des Knochencanals an den Stellen, wo sie von den Knorpeln nicht berührt sind, von einer einfachen Membran ausgekleidet werden, die mit den beiderseitigen Spitzen der Knorpel verbunden auch als eine membranöse Ueberdachung dieser Knorpelbasis angesehen werden kann; die die Scala vestibuli in dieser Weise überwölbende Membran ist in regel- mässiger Weise gefaltet und gefässreich, und sie ist es, welche mit obigem Namen bezeichnet wird. Das Verhältniss ist nicht so einfach, als es hiernach scheinen könnte. Die sog. Membr. vasculosa ist keine einfache, gefaltete Membran, sondern ein dickes, dichtes Convolut von eigenthümlichen zelligen Theilen, die von einem engen Gefässnetz durchzogen werden. Man wird, da für diese Art der Gewebebildung ein histologischer Begriff eigentlich noch nicht existirt, am besten unbestimmt von einem vasculösen Dach, einem Tegmentum vasculosum @prechen, ! Fig. 1 giebt von diesem Gebilde einen Durchschnitt, der dessen bedeutende Dicke im Verhältniss zur übrigen häutigen Schnecke, sowie seine Zusammensetzung versinnlicht. Genauere Maasse würden zum Verständniss nichts beitragen. Die äussere Form des Tegmentum betreffend, so ist zuerst eine convexe obere Fläche zu unterscheiden, welehe der Knochenwand dicht anliegt, und welche fast‘ gar nicht gefaltet erscheint. Die Stellen, wo sich die obere Convexität nach innen umbiegt 420 Otto Deiters: (Fig. 1g.h.), gehen nicht direct von den beiderseitigen Spitzen der Knorpel aus, wie man sich dies von einer Membr. vascu- losa gedacht hatte, sondern liegen einerseits der hinteren, obe- ren Fläche des oberen Knorpels (Fig. 1 g.), andererseits der inneren des unteren Knorpels (Fig. 1 unter h.) auf. Zwischen diesen Stellen ragt die untere, regelmässiger gestaltete Fläche des Tegmentum frei in den Raum der Scala vestibuli herein. An dieser fällt zunächst eine tiefe, der Länge nach ungefähr in der Mitte verlaufende Furche (Fig. 1 über e.) auf. Ausser dieser ist die Substanz des Tegmentum allerdings in mehr oder minder regelmässige Querfalten gelegt, welche den Beobachtern zuerst aufgefallen sind, aber besonders deutlich werden, wenn das ganze Gebilde nur zum Theil erhalten ist. Schon aus diesem Grunde dürften sie nur dem unteren Theil des Ganzen angehören. Das weitere Verhalten macht dies noch deutlicher. In der Länge nämlich reicht das ganze Gebilde von der Spitze der Schnecke nur bis ‚zum Anfang der Lagena, so dass das knorplige Gerüst der letzten rings dem Knochen direct anliegt. Trotzdem erscheinen in der ganzen Länge der Lagena, von deren oberer Wand herabhängend, gefässreiche Trauben, dem Gewebe des Tegmentum durchaus entsprechend, und sich einer- seits direct in dieses, andererseits in das Epithel der Lagena fortsetzend. Da nun der Knorpel der Lagena als aus der Ver- einigung der oberen Kanten der Knorpelschenkel entstanden anzusehen ist, das Tegmentum vaseulosum aber zum grössten Theil über und hinter diesen Kanten liegt, so kann sein Fort- satz in die Lagena nur als seiner unteren Partie entsprechend an- gesehen werden. Er zeigt aber Quer- und Längsfalten sehr deutlich, die bei dem viel dünneren und spärlicheren Gewebe besonders deutlich zu Tage treten. In der Scala tympani findet sich kein Analogon dieses vas- eulösen Daches, sondern hier wird der Verschluss des häutigen Canales einfach durch das Periost der Knochenwand bewerk- stelligt, welches sich beiderseits an den Knorpel anschliesst. Die nächste Frage nach Betrachtung dieser gröberen Ver- hältnisse ist die nach dem histologischen Zusammenhang der beschriebenen Gebilde sowohl untereinander als mit der knö- Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 421 chernen Wand. Die Entscheidung, ob hier der Knochen direet an den Knorpel, an das Tegmentum vasculos., letzteres direct an den Knorpel stösst, oder ob die genannten Theile durch ein zwischenliegendes Bindegewebe verbunden werden, ist nicht eben leicht, und mehr aus theoretischen Gründen als aus der direeten Beobachtung herzuleiten. Diese Gründe liegen vor Allem in dem Umstande, dass die gedachten Theile so leicht E aus ihrer knöchernen Schale herauszunehmen sind, was bei einem innigen Uebergange nicht denkbar wäre, dann aber in ' der Thatsache, dass an manchen Stellen (Fig. 1 bei g.) zwi- schen Tegmentum vaseulos., Knochen und Knorpelgefässe be- obachtet werden, die ein sie tragendes bindegewebiges Gerüst durchaus verlangen. Letzteres lässt sich auch, wenn auch un- vollkommen, durch die Beobachtung nachweisen. Ueber das Periost der Scala tympani kann ich einstweilen noch nichts aussagen. Was die histologischen Verhältnisse der eben geschilderten Theile angeht, so hat man, indem man den Namen des Knorpel- ralımens ‘bis jetzt beibehielt, zugleich eine histologische Be- ‚stimmung gemacht. Indessen trifft von den gewöhnlichen Cha- rakteren des Knorpelgewebes bis jetzt eigentlich kein einziger zu. Die chemische Bestimmung ist noch nicht gemacht, und die morphologischen » Verhältnisse stimmen durchaus nicht. Man hat in histologischer Hinsicht eine Grundsubstanz zu un- terscheiden, mit eingelagerten kleinen zelligen Theilen. Die Grundsubstanz ist der des hyalinen Knorpels analog mit der Ausnahme, dass in derselben regelmässig faserige Züge sichtbar werden, die aber nicht im mindesten an diejenigen des Netzknorpels erinnern. Diese Faserzüge, die man theoretisch gern als Kunstproducte ansprechen würde, sind doch an man- chen Stellen, besonders der Lagena, in zu grosser Regelmäs- sigkeit angeordnet, als dass dies gerechtfertigt sein könnte. Die Zellen, welche die Grundsubstanz durchziehen, sind durch- weg sternförmig, klein, mit ihren Ausläufern anastomosirend und einen kleinen, rundlichen, immer scharf markirten Kern tragend, Versuche, die zelligen Theile nach För ster’s neuer Methode zu isoliren, haben mir noch kein befriedigendes Re- 4223 Otto Deiters: sultat ergeben. Jedenfalls haben die Zellen keine doppelte Membran. In chemischer Hinsicht habe ich das Gewebe noch nicht untersucht. Jedenfalls wird es der Mühe lohnen, das- selbe histologisch genauer zu bestimmen, um ihm unter der Gruppe der Bindesubstanzen eine bestimmtere Stelle anzu- weisen. Die Constituentien des Gewebes des Tegmentum vasculosum sind der Hauptsache nach schon genannt worden. Wir haben ein dichtgedrängtes zelliges Parenchym, von einem sehr reichen, verwickelten Gefässnetz getragen. Die Zellen, welche dies Parenchym zusammensetzen, sind ohne Zwischensubstanz dicht aneinander gefügt. Nur zerstreute, mit den Gefässen verlau- fende Bindegewebszüge scheinen zur Festigkeit des Ganzen beizutragen. Man kann sich darüber an Stellen, wo die Zellen entfernt sind, vergewissern. Die zelligen Theile sind in zwei bestimmt unterschiedene Gruppen zu sondern, die centralen, welche die Hauptmasse des Parenchyms bilden, und die peri- pberischen, welche in einfacher Zone die ganze Peripherie des Gebildes, die obere Convexität und die inneren Falten um- säumen. Die peripherischen sind einfache, dieht gedrängt ste- hende, entweder ganz hyalin oder nur sehr wenig körnige Zellen, von rundlicher, nicht platter Form, mit rundlichem, scharf contourirtem Kern. Man kann sie mit gleich zu beschrei- benden Zellen aus dem Inneren der Schnecke, auch wohl mit den Claudius’schen Zellen des’ Säugethierohres vergleichen, doch bleiben immer Unterschiede; als ein gewöhnliches Epithel dürfen sie nicht bezeichnet werden. Für die centralen, die Hauptmasse bildenden Zellen ist die Grösse, die gleichmässig körnige Beschaffenheit, der rundliche Kern charakteristisch; die Zellen hängen sehr fest aneinander, so dass sie sich schwer mit glatter Oberfläche isoliren; sie erhalten eben dadurch meist ein etwas polygonales Aussehen. Die körnige Beschaffenheit erscheint ebenso wohl an frischen, wie an durch die gewöhn- lichen Reagentien veränderten Präparaten. Verdünnte Essig- säure hellt sie nur wenig auf; Holzessigpräparate zeigen sie nur wenig, verändert. Die körnige Beschaffenheit lässt sich bis jetzt noch nicht auf charakteristisch geformte Bestandtheile Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 423 zurückführen. : Die Zellen haben fast keine Spur von flüssigem Inhalt; die körnigen Elemente desselben liegen daher so dicht und untrennbar auf einander, dass sie einer genaueren Unter- suchung noch nicht zugänglich sind. Pigmentirt sind sie nie. Ich kann nur eine Zellenformation‘ mit den genannten verglei- chen; es sind das die Zellen, welche die Hauptmasse der Stria vaseularis der Säugethierschnecke darstellen. Schon in meiner Arbeit über die Säugethierschnecke habe ich beide Theile als sich entsprechend bezeichnet und kann das hier nur wieder- holen; ausser den charakteristischen Zellen giebt auch die An- ordnung der Gefässe wohl einen Vergleichspunkt ab. In letzter Beziehung ist das Tegmentum vasculosum als ein Apparat auf- zufassen, geeignet, das Gebiet des Capillarstromes in engem Raum unverhältnissmässig zu vergrössern. Seine Gefässe ge- hören fast ausschliesslich den Capillaren an, die erst ausser- halb desselben an den vorhin bezeichneten Stellen weiteres Kaliber annehmen. Dieselben bilden ein sehr engmaschiges Netz, das aus der beigefügten Abbildung klar wird; an den unteren Falten finden sich schlingenförmige Umbiegungen, sonst eben keine charakteristischen Formen. Ich habe vorhin die Hauptgefässstämme der häutigen Schnecke, die das Material für die Gefässe des Tegmentum abgeben, als Arterie und Vene bezeichnet, ohne das 'stringent beweisen zu können; für den Fall, dass diese Auffassung falsch ist, würde die Gefässanord- nung im Tegmentum den sogenannten Wundernetzen einzurei- hen sein. Beide Auffassungen dürften für die physiologische Kunetion ziemlich auf dasselbe herauskommen. IL Die Lamina fenestrata, Mit der Beschreibung dieses Gebildee beginne ich die Be- sprechung der im Inneren der Scala vestibuli gelegenen Theile, also der an functioneller Wichtigkeit am höchsten stehenden. Man bat bisher fast ganz vergeblich nach ihnen gesucht. Ich bezeichne mit dem Namen der Lamina fenestrata eine bis jetzt durchaus ungekannte Membran, die von’den hierher- gehörigen Theilen der am leichtesten zu beobachtende ist, und 434 Otto Deiters: die in hohem Grade geeignet ist, das Interesse des Histologen wie des Physiologen zu erregen. Dieselbe ist in der Höhe der Zähne quer durch den Raum der Scala vestibuli ausge- spannt, beiderseitig befestigt und daher in ähnlicher Weise die Scala vestibuli in zwei Räume trennend, wie dies bei der Säuge- thierschnecke der Fall ist. Die Verschiedenheiten, die mir hin- sichtlich derselben bei den untersuchten Vogelarten aufgefallen sind, sind bis jetzt nur unwesentlich, und ich erwähne in ver- gleichend - anatomischer Hinsicht einstweilen nur, dass ich eine entsprechende Membran auch aus dem Gehörorgan der Batrachier kenne, denen man gemeinhin eine Schnecke ab- spricht. In histologischer Hinsicht reiht sich diese Lamelle in ihrer allgemeinen Form denjenigen Membranen nahe an, welche man in der Histologie bisher als „gefensterte Membranen“ zu be- zeichnen pflegt, ohne jedoch diesen durchaus.zu entsprechen. Charakteristisch ist die Regelmässigkeit der Oeffnungen und die hyaline, absolut structurlose Beschaffenheit der die Oeff- nungen trennenden Grundsubstanz, in der nichts an die faseri- gen Bildungen bekannter Gewebe erinnert. Wenn man daher in der Histologie die gefensterten Membranen, der Gefässe z. B., alsGeflechte anastomosirender elastischer Fasern, dieeben dadurch Zwischenräume zwischen sich lassen, bezeichnet, eine Auffas- sung, die aber wenigstens in allgemeiner Fassung sehr zu Zweifeln Anlass giebt, so gehört diese Lamelle nicht zu ihnen. Die Lanıina fenestrata bildet nicht etwa eine einfache durch- löcherte Lage, sondern sie erreicht durch mehrere über einan- der liegende, aber eng mit einander verbundene Schichten, be- sonders an gewissen Stellen, eine nicht unbedeutende Mächtig- keit. Nicht immer und an allen Stellen sind solche über einander liegende Lamellen eng mit einander verwachsen, je- denfalls aber sind die einzelnen Lagen nicht trennbar. Die Oeffnungen der einzelnen über einander liegenden Lagen fallen nur zum Theil zusammen, dann natürlich kurze Canäle bil- dend, zum Theil aber decken sie sich nur unvollkommen, so dass dann durch ein Loch die Zwischensubstanz einer unter- Untersuchungen ‘über die Schnecke der Vögel. 425 liegenden Lage gesehen werden kann, — In Rücksicht auf histologische Systematik kann ich dem Gesagten wenig mehr für jetzt hinzufügen. Ausser der vollkommenen Structurlosig- keit würde die ganz hyaline, sehr glänzende Beschaffenheit sie den Glashäuten einreihen. Doch steht dem die grosse Ver- gänglichkeit, sowie die geringe Resistenz gegen die meisten eingreifenderen Reagentien entgegen. Schon durch Wasser, noch mehr aber durch verdünnte Alkalien und Mineralsäuren, auch Essigsäure wird sie rasch zerstört. Ihr Verhalten gegen die vorhin genannten conservirenden Flüssigkeiten bezeichnet sie als verschieden von den anderen innerhalb der Scala vesti- buli gelegenen Theilen, den gleich zu beschreibenden eylindri- schen Körpern und den zelligen Theilen. Sie wird durch diese sehr wenig verändert, 'hält sich in’ stärkeren Concentrations- graden und bleibt auch in diesen durchaus homogen mit un- verändertem Glanze. Als bezeichnend für den histologischen Charakter kann vor der Hand nur noch der gewebliche Zusammenhang angeführt werden, in dem die Membran beiderseitig mit Theilen steht, die der Bindesubstanzgruppe angehören. Die Histogenese wird voraussichtlich bestimmtere Anhaltspunkte geben; ich habe noch keine Erfahrungen darüber. Ich will hier nicht unterlassen, theils möglicher Ver- wechselungen, theils vielleicht späterer Anhaltspunkte wegen, auf zwei Beobachtungen hinzudeuten, die häufig zu machen Gelegenheit ist. Die eine betrifft das Vorkommen über die ganze Membran hinziehender, nicht scharf eontourirter Faser- züge, die man aus diesem Grunde leicht für varicös halten kann, "Ich habe mich überzeugt, dass in solchen Fällen Theile, die dem überliegenden Tegmentum angehörten und durch die Präparation in abnorme Lage gebracht waren, diesen An- schein entweder so erzeugten, dass sie in Resten auf der L. fenestrata liegen blieben, oder nur Abdrücke auf derselben er- zeugten, Die zweite Beobachtung betrifft feine, glänzende Fäserchen, welche ich häufig über die Membran, von einem Loch zum anderen, verlaufen sehe, und deren Deutung mir noch nicht ge- Reichert's u. du Bols-Roymond's Archiv. 1860. 28 426 | Otto Deiters: lungen ist. "Vielleicht hat man es auch hier mit Abdrücken oder abgerissenen Kanten zu thun. Auch diese Fäserchen sind nieht scharf eontourirt, sondern haben ein etwas gezacktes Ansehn., Die genauere Beschreibung der eben im Allgemeinen cha® rakterisirten Lamelle hat vor Allem das Verhalten in der eigentlichen Schnecke und in der Lagena zu unterscheiden, welches hier ein durchaus verschiedenes ist. In der Schnecke selbst ist sie fast in der Höhe der Zähne der Art ausgespannt, dass sie dort zum Theil von den Zähnen selbst, zum grössten Theil aber von dem: die Zwischenräume zwischen zwei Zähnen begrenzenden Gewebe des Tegmentum vaseulosum seinen Ausgang nehmend, auf der entgegengesetzten Seite in entsprechender Weise nicht an. dem ‚Knorpel selbst, sondern an dem, Knorpel und Tegmentum verbindenden Binde- gewebe befestigt scheint. Den letzteren Umstand kann ich nieht ganz zweifellos hinstellen, da die Membran sich fast. nie auf beiden Seiten befestigt erhält und dann fast regelmässig au der Seite des oberen Knorpels hängen bleibt. In der Breite, welche der Membran auf diese, Weise zu- kommt, kann man den vorderen gross gezackten Anfangstheil (Fig. 3 a., Fig. 6.c.) die mittlere Kante zum Ansatz eines Theiles der cylindrischen Körper (Fig. 3 b., Fig. 6b.) und den ganz freien Theil unterscheiden (Fig. 3 .e., Fig. 6.a.). Der Anfangstheil, dem oberen Schenkel zunächst, beginnt mit einer ‚Reihe grosser, spitzer Zacken, welche an. Zahl den Zähnen entsprechen und demgemäss entsprechend grosse Bogen zwischen sich lassen. Eine jede solche Zacke (Fig. 3a., Fig. 5f.) passt in die Mitte des Zwischenraumes ‚zwischen zwei Zähnen , daselbst bis auf den Boden des Knorpels reichend, und zum “Theil hier, zum Theil an dem anstossenden Tegmentum vasculos. befestigt. Sie reisst hier leicht ab, so dass dann die Zacke weit in. die Höhe gehoben erscheint (Fig. 4, Fig. S.)- Die Mitte des Bogens reicht in der Höhe bis an die Spitze eines Zahnes, an dem sie auch befestigt scheint. Von.ibrer Ursprungsstelle an bis dahin, wo. die letzten eylindrischen Kör- per. (vgl, sogleich) ihren Ansatz haben, verändert die Membran ihren Dickendurchmesser stetig, wenn auch verhältnissmässig Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 497 gering; an dieser Ansatzstelle, der mittleren vorspringenden Kante (Fig. 3b.), ist der Durchmesser am beträchtlichsten. An Durchschnitten, die der Zartheit der Membran entsprechend, nie ein vollkommen normales Bild geben können, erscheinen die Verhältnisse wie in Fig. le., Fig. 2f.. Die dreieckige Form, die in allen meinen Durchschnitten sichtbar ist, halte ich nur zum Theil für wirkliche Durchschnittsform, zum anderen Theil aber für durch Faltung erzeugt. Die ganze Fläche, von dem Anfahgsbogen bis zu der mittleren Kante, dient den so- gleich zu beschreibenden eylindrischen Körpern zum Ansatz; an abgerissenen Exemplaren, markiren sich diese Ansätze nicht mehr. Die Kante selbst ist keine glatte Linie, sondern er- scheint nach Abreissung der Ansätze immer mehr oder weniger unregelmässig. Von der Kante bis nach aussen wird die Membran wieder dünner,’ zuletzt nur aus wenigen dünnen Lagen über einander zusammengesetzt, also auch wieder ein helleres, glänzenderes Aussehen erhaltend. Der jenseitige Ansatz scheint etwas tiefer zu stehen als der Beginn von dem oberen Knorpel, was auch bei dem Zusammenhangsverhältniss der Membran vorn mit den Zähnen und den cylindrischen Körpern leicht begreif- lich ist. Diese drei Regionen der Lamina fenestrata sind auch dureh die Anordnung und Form der Löcher hinlänglich charakterisirt. Aus der Abbildung wird dieser Unterschied deutlich (Fig. 3, Fig. 6.). Während die Löcher anfangs schmal, klein, länglich den Bogen umsäumen, dann etwas gedrängter, rundlicher‘ werden, unreselmässiger stehen, werden sie zuletzt wieder gross, länglich-rund, in sehr regelmässiger Reihenfolge auf einander folgend, manchmal so regelmässig, dass die Zwi- schensubstanz den Anschein regelmässig neben einander geleg- ter Bänder erhält. In der Lagena ist von den eben beschriebenen Verschieden- heiten nichts mehr wahrzunehmen, Die Lamina fenestrata hat hier ihre regelmässige Form ganz aufgegeben und löst sich auf in ein feinfaseriges Reticulum, mit kleinen, engen, dichtgedräng- ten, unregelmässigen Maschen, die von feinen, eylindrischen 28* 498 Otto Deiters: Bälkehen umgrenzt werden. Auch hier hat man’ es mit einem diehteren, voluminösen Netz, nicht mit einer einzigen ebenen Lage zu thun. Auch die gröbere Anordnung des: Netzes: hat in der Lagena eine andere Gestalt angenommen. Sie ist. hier nicht mehr gerade und straff durch den Raum der Lagena, aus- gespannt, sondern der unteren Wölbung der Lagena sich, nä- hernd, wird auch sie etwas gewölbt und tritt der zelligen, Aus- kleidung hier sehr nahe. Das Nähere, besonders mit Rücksicht auf die ihr auflie- genden Otolithen, bei Betrachtung der Lagena im Ganzen. III. Die ceylindrischen Körper. Der Einzige, der von den hier zu beschreibenden Gebilden eine Andeutung gesehen zu haben scheint, ist Leydig gewe- sen. ‚Nach seinen Angaben finden sich an den Stellen, wo die gestreifte Haut, welche beide Knorpelsehenkel der ganzen Länge nach verbindet, anden oberen Schenkel desRahmens angrenzt, äus- serst blasse, gallertige, eylindrische Zellen, die sich sehr schwer conserviren, sich gern im Zusammenhang, abheben‘ und dann auf der Fläche dieser Haut anscheinend helle Lücken zwischen den die Haut zusammensetzenden Theilen erscheinen lassen. Die beigefügten Zeichnungen vervollständigen diese unbestimm- ten Angaben durchaus, nicht. Die Apparate, auf die es hier ankommt, haben nicht allein’in der Form eine bedeutend grössere Mannichfaltigkeit, als ihnen Leydig, der nur einen kleinen Theil derselben unvollkommen gesehen hat, zuschreibt, es ist auch‘ der Ort, der von ihnen eingenommen wird, ein ganz anderer, Diese Theile, die hiermit den Namen „eylindrische Körper“ erhalten. sollen, sind zum Theil längliche, zum Theil ‚etwas gebogene eylindrische, solide Stäbe, mit entweder rundlichem, oder etwas eckigem Querschnitt, manche auch etwas abge- plattet, alle einen Kern tragend, sonst aber aller Merkmale einer Zelle entbehrend. Form, Lage, Zahl und Anheftung dieser sonderbaren, Ge- bilde veranschaulichen Fig. 2, Fig. 5, Fig. 6. w A. Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 429 " "Was zunächst die allgemeinsten Verhältnisse der Form an- geht, so ergiebt sich, dass wir es hier nicht wie bei der Säu- gethiersehnecke mit einer bestimmten Zahl ganz bestimmt ge- formter Gebilde zu thun haben, sondern die auf einem Punkt in viel grösserer Zahl und Unregelmässigkeit angehäuften Kör- per finden sich von dem geraden, langgestreckten Cylinder (Fig. 4e., Fig. 6d., Fig. 9b.) bis .zu einem in Quer- und Längsdurchmesser wenig verschiedenen, schief gestellten Ge- bilde, das sich unmittelbar an regelmässige, rundliche Zellen anschliesst. Wollen wir demnach die Theile bestimmter classificiren, so können wir zuerst die längsten, ziemlich gerade gerichteten Cy- linder unterscheiden. Diese bleiben sich in ihrem Querschnitt ihrer ganzen Länge nach ziemlich gleich. An isolirten Theilen zeigt sich dieser häufig als ein unregelmässig rundliches Lumen, dem vorderen Ansatz entsprechend. Dem oberen Ansatz zu- nächst plattet sich die Substanz plötzlich ab (Fig. 9b.) und diese dünnere Stelle heftet sich an die mittlere Kante der La- mina fenestrata (Fig. 6 b.). Indem nun eine Menge dieser Ge- bilde nicht nur neben einander liegen, sondern auch nach hin- ten an entsprechende eng anstossen, platten sie sich gegenseitig etwas ab, so dass die einzelnen Cylinder in situ einen etwas polygonalen Querschnitt zu haben scheinen. Solcher langge- streckter Oylinder finden sich mehre unregelmässige Reihen, von denen also die vordersten, untersten an die Kante der L. fenestrata selbst sich festheften. Die nächstoberen sind, ihrer 'Ansatzstelle entsprechend, natürlich etwas kürzer. Die an Grösse diesen zunächst folgenden zeichnen sich schon dadurch aus, dass ihr Längsdurchmesser nicht mehr die vollkommen gerade Richtung annimmt, sondern mehr oder we- niger gebogen erscheint, ohne dass aber Anfangs schon im Breitendurchmesser an Basis und Ansatz-eine wesentliche Ab- weichung zu bemerken wäre. Der Ansatz dieser Theile an die L: fenestrata geschieht ohne obere Abplattung. Die nächsten bis zu den kleinsten Oylindern sind eben nur durch ihre Grösse verschieden, sowie durch eine entweder ein- oder bei- derseitige Zuspitzung der Ansätze (Fig. 5 e,, Fig. 6e. u. A.). 430 Otto Deiters; Jedes dieser Gebilde trägt an seiner Basis einen ziemlich grossen, runden, scharf contourirten Kern mit kleinem punkt- förmigen Kernkörperchen. Die Analogie mit ähnlichen ‚Vor- kommnissen in der Säugethierschnecke darf nicht: verleiten, diese leicht zu beobachtenden Kerne als etwas ausserhalb. des Cylinders gelegenes zu betrachten. Sie liegen wirklich inner- halb derselben. Was nun Lage und Anheftung der Cylinder betrifit, ‚so wird dies Verhältniss von Leydig so auffallend unrichtig; an- gegeben, dass man zu dem Schlusse genöthigt wird, seine .dar- auf bezüglichen Abbildungen für durchaus schematisch und kei- nem Präparate entsprechend zu halten. Der Ausgang der Cylinder oder die Festheftung ihrer Basis befindet sich also nicht, wie Leydig zeichnet, an dem Ur- sprung der gestreiften, mittleren Membran (die ich als M. ba- silaris sogleich beschreiben werde, Fig. 2h., Fig. 7 g.), sondern auf dem oberen Knorpelschenkel selbst und zwar an der Stelle, wo die Zähne ihren Ursprung nehmen, und zum grossen Theil an den Zähnen selbst, Die Basis der Zähne, ihre ganze Höhe, sowie die etwas ge- wölbten Zwischenräume zwischen zwei Zähnen sind die betref- fenden Stellen. Fig, 2, 4, 5, 6 veranschaulichen dies Verhalten, Das genauere Verhalten ist hier so, dass die geraden, lang- gestreckten Cylinder von der Basis der Zähne und dem Zwi- schenraum zwischen zweien ausgehen, während an den Zähnen selbst vorzugsweise die kleineren, unregelmässiger geformten Cylinder befestigt sind. An dem unteren Theil eines Zahnes sitzen indessen auch schon grössere. Die Art, wie die Cylin- der hier befestigt sind, scheint mehr die eines blossen Ansatzes zu sein, nicht aber so, als wenn die beiderseitigen Substanzen, das Gewebe der Oylinder und das Gewebe des Kuorpels un- mittelbar in einander übergingen. Die Trennung geschieht sehr leicht und ohne dass ein Abdruck des Cylinders am Knor- pel oder gar ein Stück eines Cylinders hier hängen bliebe. Nie ist der Ansatz fester als die Substanz des Oylinders. Von ihrem Ansatz ausgehend ist die Richtung, welche die Cylinder Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 431 siehmen, eine durehaus verschiedene, zum Theil etwas, aufstei- gend, zum Theil horizontal, zum Theil sogar etwas nach ab- wärts gewandt; da die mittlere Kante der Lamina fenestrata ziemlich tief herabreicht (Fig. 1, 2.), so kann die aufsteigende Richtung selbst der untersten Oylinder nicht eben sehr bedeu- tend sein. Im Allgemeinen kann man daher die Richtung als eine nahezu horizontale und nur die der höchst stehenden als eine etwas nach abwärts gekehrte annehmen. Die Richtung muss indessen auch in derselben Fläche noch genauer bestimmt werden. Bei dem: grössten Theile der Cylinder, nämlich‘ bei allen geraden, langgestreckten, ist diese Richtung eine gerade nach vorn, also dem gegenüberstehenden (unteren) Knorpel- schenkel zugekehrte. Indem sich diese daher in mehreren nicht ganz regelmässigen Reihen hintereinander an der Lamina fenestrata befestigen, bilden sie mit deren Längsaxe einen nahezu reehten Winkel. Anders verhält es sich mit den ‚kleineren, etwas gebogenen Oylindern, welche an den. Seitentheilen der Zähne befestigt sind. Diese wenden sich, von hier ausgehend, gerade nach aussen, dem benachbarten Zahn zugekehrt. Es wird dadurch möglich, dass die untersten derartigen Cylinder, welche dem Knorpel vollständig aufliegen, wenn sie von be- nachbarten Zähnen ausgehen, sich mit ihrer der Basis entge- gengesetzten Spitze direct berühren (Fig. 6i.). Die Beobach- tung weist dies demnach auch von diesen und noch wohl den nächst oberen nach. Die anderen der kleinen Cylinder, welche auch nach aussen, aber auch zugleich etwas nach oben gerichtet sind, setzen sich an der L. fenestrata,etwas oberhalb ihrer vor- deren Grenzlinie fest, die grossen vorderen Bogen ziemlich ge- nau umsäumend (Fig. de., Fig. 6e) Auf die geschilderte Weise entsteht dann für die ganze Gruppe der eylindrischen Körper von der Fläche gesehen, das Bild, welches in Fig. 6 veranschaulicht wird. Man sieht daraus bei Vergleichung mit Durchschnittsbildern, dass sowohl die Zwischenräume zwischen zwei Zähnen, als auch der Suleus, der zwischen der vorderen Coneayität eines Zahnes und der Knorpelbasis bleibt, fast ganz von dem Parenchym der eylindrischen Körper ausgefüllt wird, und dass hier die einzelnen Gebilde 80. dicht gedrüngt stehen, dass 432 Otto Deiters: daneben durchaus kein Raum mehr übrig bleibt. Diese Ausfül- lung geschieht aber bis zum Rande des Knorpels, also bis’zur Membr. basilaris; sie wird in dem Raum, den die Cylinder bis dahin nicht ausfüllen, durch eine Gruppe grosser, dünnwandi- ger, hyaliner Zellen bewerkstelligt, welche unmittelbar unter den eylindrischen Körpern liegen und welche Fig.'2 g., Fig. 6g., Fig. 10e. verdeutlicht. An der Grenze des Knorpelschenkels reichen diese Zellen unmittelbar an die zelligen Theile, welche auf der Membr. basilaris liegen und welche sogleich näher be- trachtet werden. Die Eigenschaften der eben im Grossen geschilderten eylin- drischen Körper sind noch näher zu erörtern. Gegen ihre Deutung als Zellen, wenigstens in der einfachen Weise, wie sich das Leydig, der nur einen kleinen Theil der- selben unvollkommen gesehen hat, denkt, darf wohl pro- testirt werden. Ein persistirender Kern reicht nicht aus, ein Gebilde, wenn es auch einer einzigen Zelle seinen Ursprung verdankt, im fertigen Zustand noch einfach als Zelle zu be- zeichnen. Gegen die anatomische Deutung als Zelle spricht die Form, die bei den grösseren Cylindern deutliche Unter- scheidung in einen vorderen (rundlichen), einen oberen (platten) Theil, das an abgerissenen Exemplaren häufig deutliche Lumen, der gleichmässige ziemlich feste Inhalt. Natürlich bliebe der Nachweis zu liefern, dass diese Gebilde weiterer zelliger Func- tionen unfähig sind, ein Beweis, der vor der Hand noch nicht zu liefern ist; über die möglichen histologischen Veränderungen derselben ist mir eben so wenig wie ‚über ihre Genese über- haupt etwas bekannt geworden. Man hat an den Cylindern jedenfalls eine Hülle und einen Inhalt zu unterscheiden. Bei Behandlung mit verschieden eoncentrirten Reagentien wird es leicht die Membran 'an'der dann entstehenden Faltenbildung zu erkennen. Besonders sind hier Holzessigpräparate zu empfehlen. Wenn auch grössere Falten dann nicht hervortreten, wird doch ein fein gezacktes Aussehen des Randes unter diesen Umständen fast immer'be- merkt, was besonders, werm das Reagens den Inhalt zum Theil zerstört hat, leicht zu Verwechselungen Anlass geben kann, Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 433 Die Grenze zweier aneinander liegender cylindrischer ‚Körper gewährt in solchen Fällen leicht das Ansehen einer zwischen den Oylindern gelegenen etwas varieösen Faser. Die Membran kann jedenfalls nur als ausserordentlich fein, zart und nachgiebig angesehen werden. An Nachgiebigkeit scheint ihr ‘der Inhalt zu entsprechen, ‚der im übrigen noch nieht näher bestimmt‘ werden kann. ' Man hat ihn. jedenfalls anzunehmen, da Falten der äusseren Hülle eben so wie ein Lu- men des ganzen Gebildes verhältnissmässig leicht zu beobachten sind. Ganz dünnflüssig kann der Inhalt nicht sein, da trotz der feinen Membran die Cylinder so sehr gewöhnlich ihre nor- male Form behalten, selbst wenn sie, wie an manchen Durch- schnittspräparaten, ganz frei hängend gefunden werden. Sehr selten erscheinen die Cylinder in abnormer Biegung. Doch kommen diese vor, und schon aus dem Grunde kann der In- halt auch nicht ganz fest sein; dagegen spricht auch die sehr leichte Alteration und die sehr leieht sichtbaren Falten der Membran. ‘Man wird deshalb den Inhalt als eine: ziemlich eonsistente, gallertige Masse anzunehmen haben, die der Mem- bran eng anliegt, leichter wie diese zerstört wird. An den einzelnen cylindrischen Körpern finde ich in ihrem desfallsigen Verhalten keine nennenswerthen Unterschiede. Ueber die chemischen Verhältnisse derselben bin ich vor der Hand wenig mitzutheilen im Stande; das Verhalten gegen die oben genannten Conservationsflüssigkeiten giebt vor der Hand wenig Anhalt. Jedenfalls muss, nach diesen zu urtheilen, ihr Verhalten verschieden sein von der Lamina fenestrata, von der Membr. basilaris und vor Allem von den ihnen wahr- scheinlich entsprechenden Oorti’schen Fasern der Säugethier- schnecke, Ich erwähne also nur, dass sie von Wasser, Zuckerwasser, verdünnten Säuren und Alkalien leicht zerstört ‘werden, dass sie durch keine der genannten Conservationsflüssigkeiten in ihrer Substanz getrübt werden, dass sie durch Holzessig im Gegentheil aufquellen, heller, hyaliner werden, dass sie gegen Chromsäure und de msaures Kali sich" anders verhal- ten wie die L. ‚ indem sie meist schwächere Lösun- 434 Otto Deiters: gen verlangen und endlich, dass sie in einfach chromsaurem Kali, worin sich die L. fenestrata noch recht schön erhält, sehr bald zu Grunde gehen. Die vorhin erwähnten ‘Zellen, welche den: eylindrischen Körpern sich anschliessend den Raum zwischen diesen und der M. basilaris ausfüllen, unterscheiden: sich in den genannten Punkten von den Cylindern wenig (Fig. 10, Fig. 28.) Ihre Zahl ist keine regelmässig bestimmte, ihr hyaliner Inhalt schon vorhin erwähnt worden; ihre Grösse ist eine sehr verschiedene, die der M. basilaris zunächst liegenden sind die kleinsten, Es wäre mit wenigen Worten der Verhältnisse der eylindrischen Körper an den beiderseitigen Endpunkten der häutigen Schnecke zu gedenken. An beiden Seiten ist das Verhältniss hier so, dass die ganze Gruppe verschieden geformter: Cylinder in we- nige Reihen stetig an Grösse abnehmender Körper ausläuft, an deren letzte sich einerseits an der Spitze die Zellen der M. basilaris und die Epithelzellen des unteren Koorpels an- schliessen, andererseits aber die zellige Auskleidung der La- gena, deren später Erwähnung geschieht. Man vergleiche Fig. 5 und Fig. 12. IV. Die Membrana basilaris und die auf ihr liegenden Leydig’schen Zellen, Den Namen der Membrana basilaris kann man der Membran geben, welche die vorderen Kanten beider gegenüberstehender Knorpel in ihrer ganzen Länge verbindet. Ich betrachte dieselbe aber nicht genau als der M. basilaris der Säugethierschnecke, noch weniger aber der ganzen Lam. spir. membranacea entsprechend, und würde sie daher meiner gleich auseinanderzusetzenden An- schauung wegen als M. pectinata bezeichnen können. Dieselbe, wenn auch schwer im Zusammenhang zu erhalten, ist nächst dem Knorpelrahmen selbst der am längsten gekannte Theil‘ der Vogelschnecke; sie bildet ein äusserst zartes, straff gespanntes, durch regelmässige, etwas schräg Kae Längsstreifen cha- rakterisirtes Häutchen, das ‚ausser die se ‚noch nicht recht zu erklärenden Streifen keine And ‚einer Structur zeigt, Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 435 An der vorderen Kante, wie eben gesagt, befestigt, bildet die M. basilaris die unmittelbare Fortsetzung der oberen Fläche des oberen Knorpels; ihre Fläche steht demnach fast senkrecht zu der Richtung des in dem oberen Knorpel aufsteigenden Nerven (vgl. Fig. 13b.).: Die Art des beiderseitigen Ansatzes ist die eines unmittelbaren Ueberganges beider Gewebe; das Ende ist keine scharfe Linie. Die beiden Ansätze, besonders der an dem oberen Knorpel, sind fester als die Substanz der Membran |selbst; man findet hier viel seltener Trennungen, als man die Membran zerrissen und an dem einen und zum Theil auch dem anderen hängend antriflt. Falten finden sich ander Membran seltener und selbst an Durchsehnitten, an denen nur der obere Knorpel erhalten ist, behält sie meist ihre normale (Fig. 2b.) gezeiehnete Richtung Man darf daraus wohl auf eine vollkommene Elastieität und auch grössere Festigkeit schliessen, als gewöhnlich angenommen wird. — Die Strei- fen, welche das Charakteristische der Membran sind, ha- ben die in Fig. 7 g. gezeichnete schräge Richtung; ich sehe darin den Anfang einer spiraligen Tendenz der ganzen Mem- bran, Bei manchen Präparaten, besonders jungen Thieren, finde ich nahe dem Ansatz an dem unteren Knorpel die Strei- fen durch eine dünnere platte Stelle unterbrochen, deren Be- deutung mir noch: nieht: klar geworden ist. Ausser den Strei- fen zeigt die Membran keine Struetur. Man hat sich zu hüten, häufig auf ihr zu beobachtende Abdrücke und Kerne als ihr selbst angehörig anzusehen; sie gehören den auf ihr liegenden Zellen an. Während das Ende der Membran an der Spitze der Schnecke nichts Bemerkenswerthes bietet, bedarf ihr Verhält- niss zur Lagena näherer Erörterung. Sie wird hier, während sich die mittleren Kanten der Knorpelschenkel immer mehr nä- hero, immer schmäler, und, während die Scala tympani allmäh- lig rudimentär wird, ihrer Unterlage immer mehr genähert, bis sie dieser zuletzt aufliegt und mi ‚ihr. verwächst. In dem äus- sersten Theile der Lagena ist an Durchschnitten sowohl wie an Flächenpräparaten von ihr keine Spur mehr zu erkennen. Auch sprechen m obachtungen dagegen, dass sie hier zuletzt in der Art en sei, dass sie eine Communi- 436 Otto Deiters: cation beider 'Scalen vermittle; sie verwächst mit ihrer Unter- lage durchaus. £ I Ueber die histochemischen Verhältnisse der ‘M. basilaris kann jeh ‘noch nichts von Bedeutung mittheilen; jedenfalls sind’ die- selben hier leichter zu eruiren, indem sich die Membran auch in ganz indifferenten Medien leichter zur ‘Anschauung bringen und die nöthige Zeit erhalten lässt. . Ueber die zelligen Theile, welche der Membr. basilaris auf ihrer vestibularen Fläche aufliegen, hat'Leydig allein einige Mittheilungen gemacht. Leydig ist hier offenbar dureh das Streben, für Säugethiere und ‘Vögel leicht ‘vergleichbare Ge- sichtspunkte zu gewinnen, irre geleitet worden, indem er“drei regelmässige Zellenreihen beschreibt, jenseits der eylindrischen "Körper liegend und in ihrer: Form ganz an die Bilder erin- nernd, welche Leydig für das Säugethierohr als Corti’sche Zellen beschrieben hat. Letztere beruhten, wie ich in meiner Schrift über die Säugethierschnecke gezeigt habe, auf Verwech- selungen. Auch hier hat sich Leydig, aber weniger in ‘der Form und den Eigenschaften der Zellen, als'in der ‘Art ihrer Anordnung geirrt.. Jedenfalls hat 'er diese schwer zu erken- nenden Zellen zuerst gesehen und sie müssen'ihm zu Ehren die Leydig’schen Zeilen genannt werden. Nach meinen eigenen Untersuchungen stelle ich an die Spitze, dass die ganze Breite der M. basilaris nicht etwa von drei Reihen, sondern von einer dicht gedrängten Masse zelliger Theile bedeckt ist, die,‘ wenn sie auch einmal etwas regelmäs- siger-reihenweise geordnet ständen, doch wenigstens 6—8 und mehr solcher Reihen bilden würden. Regelmässig fehlt'in- dessen eine solche reihenweise Anordnung durchaus. Ich stelle ferner voran, dass sich hier zwei verschiedene Arten von zelligen Theilen zu unterscheiden scheinen, und 'nur in der einen ist Leydig’s Beschreibung wieder zu erkennen. Diese Leydig’schen Zellen erscheinen, von oben gesehen, als einfach rundliche, durch enge Aneinanderliegen auch wohl etwas polygonale Zellen mit mässig grossem Kern und kleinem Kernkörperchen. Der Inhalt erscheint dann nicht ganz homogen, sondern selbst bei ganz 4 ıen Präparaten meist Untersuchungen ‚über die Schnecke der Vögel. 437 etwas körnig. An: jeder derartigen Zelle sieht man dann an einer Stelle, meist der einen Seite zunächst liegend, einen läng- lichen, scheinbar etwas hakenförmig gekrümmten Wulst, schär- fer markirt und eigenthümlicher glänzend als die Zelle selbst und daher in dieser immer ziemlich scharf hervortretend. Es ist ziemlich schwer, das wahre Verhältniss dieses Wulstes zu erkenden, indem sich. die Zellen schwer ganz isoliren und sich zweekmässig auf die Seite legen, besonders aber weil die Zellen viel leichter zerstörbar sind, als der Wulst selbst, der sich dann zum Theil’ loslöst und als eine freie Spitze hervorsteht in der. Weise, wie es Leydig abbildet. — Die Ansicht von der Seite giebt aber sowohl über die Form der Zelle, als das Verhalten dieses Saumes bestimmtere Auskunft. Die Zellen sind nieht etwa ganz rund, sondern etwas länglich , der Art, dass sie mit einer allerdings stumpfen Spitze auf der M. basi- laris aufsitzen und dann gerade nach oben gerichtet sind. Der freie Theil trägt oben eine etwas breitere Fläche und auf dieser sitzt der eben genannte Wulst in Form eines länglichen Ver- diekungssaumes auf, durchaus an das Verhalten der Cylinder- epithelzellen ‚des Darmcanals erinnernd. Bei glücklichen Prä- paraten erkennt man diesen Saum nicht etwa als ein ganz ho- mogenes Gebilde, sondern, wieder dem Darmepithel vergleich- bar, bemerkt man darin eine feine, regelmässige Längsstreifung. Oefters, ‚besonders an Holzessigpräparaten, habe ich gesehen, dass an den Stellen der Längsstreifen des Saumes eine Tren- nung der Substanz eintrat, und nun der Saum in eine Reihe kleiner Cilien 'zerfiel, die der Zelle das Ansehn einer, aller- dings nicht flimmernden Flimmerzelle gaben (Vgl. Fig. 11). Leydig’s Schilderung ist dieser nicht unähnlieh, doch sind seine Zeiehnungen dem wirklichen Verhalten kaum entsprechend. "Zwischen den eben beschriebenen Be der Membran direct anliegend, sehe ich häufig nicht zu di u freie Kerne, Ich habe die Zellen, denen a "müssen, noch nicht s0 erkannt, um hier etwas Nä aussagen zu können. Die Analogie giebt, hier. zu naheliegenden Vermuthungen Veran- lassung, ö N |) 167 Air Alles Genageigilk nor für ‚die eigentliche’ Schnecke. ' In der 438 Otto Deiters: Lagena sind die Verhältnisse durchaus andere. Sie müssen ge- sondert besprochen werden, V. Der Raum der häutigen Schnecke im Ganzen und das In- nere der Lagena. Die Frage nach der möglichen Communication der beiden Scalen, in welche nach der gegebenen Beschreibung die häutige Schneeke durch die Knorpel und die Membr. basilaris getrennt wird, muss hier zunächst genauer erörtert werden. ‘Es sind zwei Möglichkeiten, welche eine solche‘ Communication be- werkstelligen könnten, in’s Auge zu fassen. Die eine wäre vermittelst der M. basilaris selbst. Die eben gegebene: Be- schreibung verwirft diese Möglichkeit. Beiderseits macht die gedachte Membran den Verschluss vollkommen; an der Spitze, in dem sie mit der Brücke sowohl, wie mit den gegenüberlie- genden Knorpeln innig verbunden bleibt, in der Lagena, in- dem sie sogar mit der die Scala tympani verdrängenden Unter- lage vollkommen verschmilzt. Die Communication beider Scalen lässt sich aber auch so denken, dass an irgend welcher Stelle-Knochen und Knorpel nicht dicht aneinander lägen und an eben derselben Stelle die deckenden Membranen (das Tegmentum vasculosum' oder die jenseitige Auskleidung der Scala tympani) eine solche Lücke nicht vollkommen verdeckten. Die Entscheidung ist hier schwer, und ein ganz positives Resultat bin ich ausser Stande zu geben, Ieh kenne drei Stellen, wo Knorpel und Knochen nicht ganz fest aneinander zu liegen scheinen. Die eine ist die Ge- gend des Hakens des unteren Knorpels (Fig. 7 a.), die andere eine kleine Einkerbung an der Spitze, wo beide Knorpel: ver- bunden werden (Fig. 7d.), die dritte eine ähnliche kleine Ein- kerbung an dem oberen Kor; ', unmittelbar an der Lagena (Fig. Te). An allen dreien ist mir eine Anordnung des Teg- mentum vasculosum, die 'eine Communication beider Scalen ermöglichte, nicht wahrscheinlich geworden. Von den auf diese Weise getrennten Scalen hat nur‘die obere, die Scala vestibuli hervorragendes Interesse. Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 439 Die Begrenzungen der Scala tympani sind schon angegeben worden, ebenso die Art, wie sie beim Uebergang in die Lagena rudimentär wird. Ein Epithel, welches in ihr die innere Fläche der Knorpel bedeckte, habe ich noch nicht wahrgenommen, wohl ‘aber in seltenen Fällen zellige Theile an. der unteren Fläche der Membr. basilaris, welche wohl als Epithel bezeich- net werden konnten. Zum grosser Theil wird der Raum der Scala tympani verkleinert durch die in denselben eingestülpte gangliöse Anschwellung, welche der N. cochleae bildet, sowie er die knöcherne Wand durchbohrt hat. Die innerhalb der eigentlichen. Scala vestibuli gelegenen Theile sind fast alle schon eingehender betrachtet worden, und es wäre nur noch des Epithels Erwähnung zu thun, welches die innere Auskleidung ‚des unteren. Knorpels bildet. Es ist dies eine einfache Lage kleiner rundlicher Zellen, diedurch das enge Aneinanderliegen etwas eylindrisch geforınt werden, und welche sich eng an die Leydig’schen Zellen der M. ba- silaris anschliessen, Letztere gehen noch etwas über die M. ba- silaris, wenigstens an manchen Stellen, hinauf, auch zur Aus- kleidung des Knorpels beitragend. Der ganze Raum der. Scala vestibuli wird beträchtlich ver- mindert dureh. ‚die, ziemlich tief in dieselbe ‚herabhängenden traubenförmigen Falten ‚des Tegmentum vasculosum. Die letz- teren hängen indess nicht so tief herab, dass sie die quer durch die Scala ausgespaunte Lamina fenestrata berühren. Die letz- tere trennt daher die Scala vestibuli in zwei nur durch die Löcher der Lamina communieirende Räume, einen von ihr und dem Teg- mentum und einen von ihr und der M. basilaris begrenzten Raum, Der letztere kann der Analogie mit der Säugethierschnecke gemäss als Scala ‚media bezeichnet werden, Beide Räume sind, wie aus den vorhergehenden Bestimmungen klar ist, von nur un- Br änge der Schnecke wech- t sich dieselben mit Flüssig- RE selnden Dimensionen. . Mau keit gefüllt. Die Lagena zeigt in jeder Bez 1g von der eben gege- benen Beschreibung abweichende Verhältnisse. Das. Gröbere ihrer Bildung ist schon angegeben, insbesondere der Umstand, 440 Otto Deiters: dass sie wesentlich als eine Fortsetzung der Scala vestibuli aufzufassen ist, während die in gleichem Verhältnisse allmäh- lig rudimentär werdende Scala tympani durchaus keine‘ erwäh- nenswerthen Verschiedenheiten zeigt. Hinsichtlich dieses letz- teren Umstandes ist nur das zu erwähnen, dass auch in diesem kleinen Raume (vgl. Fig. 14a.), wo die Beobachtung ganz leicht ist, von einer epithelialen Auskleidung nichts: wahrge- nommen wird. Vielleicht, dass demnach auch in: der eigentli- chen Schnecke die Scala tympani eines auskleidenden Epithels entbehrt. Im Uebrigen kann also bei der Betrachtung. der Lagena der kurze Raum der Scala tympani unberücksichtigt bleiben. R An der Uebergangsstelle der eigentlichen Schnecke in’ die Lagena bietet das knorplige Gerüst auf dem Durchschnitt ganz das Bild einer Stelle dar, die einen stark verlängerten Zahn trug, und ist von einer Stelle kurz vorher, wo ein: Zahn’ sitzt, nicht wesentlich verschieden. Man kann demnach das knorp- * lige Gerüst, wenigstens auf der einen Seite, als’ eine Reihe ver- längerter, zu einem Stück verwachsener Zähne. betrachten. Eine solche Vorstellung hat das Gute, dass man an der inneren Wand der Lagena auf der Seite, die dem oberen Knorpel ent- spricht, keine zahnartigen Hervorragungen erwarten" wird, Die Beobachtung weist solche auch nicht’ nach. ' Die Auskleidung der nach dieser Angabe glatten Wände der Lagena ist an den verschiedenen Stellen ihrer Länge so verschieden, dass neben Längsdurchschnitten hier nur eine ganze Reihe auf einander folgender Querdurchsehnitte ein Resultat geben kann. Wenn Leydig kurzweg angiebt, die Lagena sei von denselben Zellen ausgekleidet, welche in der eigentlichen Schnecke die Membr. basilaris bedeekten, so hat er wobl kaum diesem Theile ein eingehendes ‚Studium zugewendet. Man muss, um di ‘Sache klar zu machen, die untere Wand der Lagena, welche Lage der Membr. basil. entspricht und eine Strecke weit noch von dieser selbst repräsentirt wird, das ihr entgegengesetzte obere Dach und die beiden seitlichen Wände unterscheiden. Die obere Wand, oder das Dach schlechtweg, ist in seiner Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 441 ganzen Länge von der schon erwähnten Fortsetzung des Teg- mentum vasculosum ausgefüllt, welche oben am Knorpel be- festigt traubenförmige Falten bildet, die frei bis wenigstens in die Hälfte des Raumes der Lagena herabhängen. Fig. 12e. (Längsschnitt) und Fig. 14 b., Fig. 15 d. (Querschnitte) erläu- tern dies Verhalten. Ihr Habitus weicht demgemäss von dem des übrigen Tegmentum durchaus nicht ab, und nur die mehr faltige, traubige Anordnung mit den schlingenförmigen Capillar- verzweigungen ist charakteristisch und bezeichnet sie als dem unteren Theil des Tegmentum entsprechend, resp. eine Fort- setzung desselben darstellend. Die Trauben reichen nicht ganz bis in den äussersten Winkel, in welchem obere und untere Fläche der Lagena zusammen- kommen, sondern etwas vor diesem reihen sie sich an ein ein- faches Epithel von rundlichen, wenig charakteristischen Formen an, welches den Uebergang zu den charakteristischen Formen der unteren Fläche bildet. Auch in ihrer Breite wird die obere Fläche nur zum Theil und in ihrer Mitte von den Trau- ben des Tegmentum eingenommen. Auch hier bildet ein ein- faches Epithel den Uebergang zu den specifischen Zellenformen der Lagena. ie Bekleidung der seitlichen Flächen der Lagena, die also uneren Flächen der beiden Knorpelschenkel entsprechen, ht in der ganzen Ausdehnung der Lagena eine gleiche. » Verschiedenheiten werden hervorgerufen durch die sich eine Strecke weit in die Lagena fortsetzenden cylindrischen Körper und die Membrana basilaris. Beide letztgenannten Theile setzen sich ungefähr gleich weit in die Lagena fort, nicht ganz bis in die Hälfte derselben sich erstreckend, Das Verhalten wir« urch Fig. 14, Fig. 12 ver- anschaulich, Wie aus Fig. 14 « wird also bis dahin diejenige Seitenwand, welche Xnorpel entspricht, in dem grössten Theil ihrer Breite von einer Gruppe der ey- lindrischen Körper ausgefüllt. L ‚erstrecken sich nach vorn hier bis dicht an die M. basilaris, und die grossen aus der übrigen Schnecke beschriebenen Zellen, welche den Raum zwischen M. basilaris und den eylindrischen Körpern ausfüllen, Beicborts u, du Bols-Reymond's Archiv. 1860. 29 442 Otto Deiters: finden sich hier nieht. In der Höhe reichen die cylindrischen Körper hier bis über die Mitte der Seitenwand hinaus, und stossen hier an rundliche kleine Epithelzellen, welche sich di- rect an die Trauben des Tegmentum anreihen. Ich; finde in dieser Breitenausdehnung die Zahl der eylindrischen Körper nieht constant, ihre Grösse aber von vorn nach hinten, stetig abnehmend, so dass die längsten der M. basilaris zunächst ste- hen, sie nach hinten allmählig kleiner werden und ihr Ueber- gang in das Epithel fast unmerklieh geschieht.: Ihre Richtung ist hier immer eine ziemlich senkrechte, nach oben gerichtete; solehe regelmässige Variationen, wie ich sie aus der eigentli- chen Schnecke beschrieben habe, fanden sich hier nicht. Wäh- rend in der angegebenen Weise die eylindrischen Körper sich fast zur Mitte der Lagena herüberstrecken, nehmen sie alle stetig und gleichmässig an Grösse (d. h. an Höhe, nicht, an Breite) ab, so dass auch ein Längsschnitt durch die ganze La- gena, wenn er gerade die Gegend der cylindrischen Körper trifft, das Bild einer Reihe der Oylinder in regelmässig, abneh- mender Grösse zeigt (vgl. Fig. 12 a.). Dem binteren Theil der Lagena zugekelrt stossen die rudimentär gewordenen Cylinder hier direct an die auskleidenden Stachelzellen (Fig. 12). ih Die gegenüberstehende Wand der Lagena, also diejenige, welche der inneren Fläche des unteren Knorpelschenkels e spricht, trägt bis zu der Stelle, welche dem Ende der eyli ıdri- schen Körper gegenübersteht, ein einfaches Epithel von ‚etwas länglich geformten, jeder Art von Anhängen entbehrender Zellen. Dasselbe schliesst sich oben an das Tegmentum an, unten dagegen an die Leydig’schen Zellen der M. basilaris., Die letzteren zeigen innerhalb der Lagena keine wesentliche Abwei- chung von ihrem Yerhallazl innerhalb der eigentlichen Schnecke. Durchweg andere und ei enthümliche Verhältnisse zeigt die Auskleidung SeTgene an den Stellen, welche. keine eylindrischen Körper un e, Fortsetzung der M. basilaris mehr tragen. Alle Wände verhalten sich hier gleich, mit Aus- nahme der oberen, Be: bis fast in den äussersten Winkel die Trauben des Tegmentum trägt, und der äussersten Grenze der unteren Wand, welche hier einige wenige den ‚Uebergang Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 443 der Trauben in;.die ‚charakteristischen Zellen .der Lagena ver- mittelnde Epithelzellen zeigt. Fig. 15 stellt einen Durchschnitt dar, welcher diese ganzeStrecke repräsentirt. Die zellige Aus- kleidung ‚wird. hier ‚durch zwei verschiedene‘ Zellenarten.. ver- mittelt, ‚von, denen ich: bis jetzt nur die eine genauer zu. be- stimmen‘im Stande bin. _Der allgemeinen. Form nach. entspre: chen diese wohl gewöhnlichen Cylinderepithelzellen, die mit ihrer ‚unteren Spitze auf dem Knorpel aufstehen, mit ihrer brei- teren Basis, frei in, den Raum der Lagena ‘gerichtet sind. , Jede solche Zelle trägt an, dieser freien, Fläche (ein langes, an.gut erhaltenen Exemplaren ‚ziemlich starres Haar. . Diese Haare sind im Ganzen nicht. schwer zu erhalten, nur ihre ganze Länge ‚erhält sich nicht leicht; man findet es.sogar. meist, noch ziemlich lang, wenn die Zelle selbst schon zum grossen Theil zerstört ist, ‚Beide Theile können ‚also chemiseh nieht, identisch sein. . Die, Richtung . des; Haares ist; meist eine gerade nach aussen gekehrte, selten gewunden oder liegend. ' Bewegungen habe ich an denselben nie gesehen, Die genannten Zellen ste- hen, wenn auch nur eine Lage bildend, doch immer so. dicht gedrängt neben einander; dass der Anschein: eines Flimmerepi- thels durch die Haare ‚bei schlecht erhaltenen Exemplaren leicht ehen kann, Ihre, Befestigung ‚auf | dem Knorpel ist eine ich innige; sie sind nicht schwer in situ zu ‚erhalten, wischen diesen Ansätzen je zwei benachbarter Zellen finde regelmässige einfache Lage kernartiger Gebilde ‚auf lie weitere Untersuchung das Hauptaugenmerk zu richten haben wird, In, manchen Fällen fand ich an diesen kernartigen Theilen, deren zugehörige Zellmembran ich noch nicht hinlänglieh erkannt habe, nach beiden; Seiten hin abgehende, feine, Fort- sätze, von denen mir der dem Knorpel ‚zugekehrte manchmal yaricös zu sein, schien, ‚Die Unte ringe ‚Schwierigkeit, und ich, dieser Gebilde weiterer Forschung überlassen. In den auf die beschriebene Weise umgrenzten Raum der Lagena setzt sich, wie schon vorlin angegeben „auch, die La+ mina fenestrata allerdings in veränderter Weise. fort... Diese “ l dl ars Ds m “u N} „29 - iR alle weiteren: Verhältnisse 444 Otto Deiters: Veränderung bezieht sich auf ihre Construction sowohl, wie auf ihr Verbältniss zu dem Raum, den sie durchsetzt und auf die Theile, mit denen sie verbunden ist. Sie zeigt hier durch- aus nicht mehr die regelmässige Anordnung, die in der eigent- lichen Schnecke auffällt, die zum Theil grossen regelmässigen Löcher und die breite hyaline Zwischenmasse. Unregelmässige, dicht gedrängte, meist kleinere Löcher werden hier von feinen, eben so hyalinen Bälkehen umgrenzt, welche sich so mannich- fach verästeln, anastomosiren, dass ein durchaus verworrenes schwammartiges Gebilde entsteht, durch die im Verhältniss zu den feinen, hyalinen Bälkchen sehr entwickelten Maschen cha- rakterisitt. Nur ungefähr in der Mitte des Gewebes nimmt die Zwischensubstanz wohl den Anschein längerer, fächerförmig auseinandergehender schmaler Bänder an. Während in der eigentlichen Schnecke die Lamina fenestrata ziemlich gerade durch den Raum der Scala vestibuli ausge- spannt ist, nimmt sie in der Lagena eine gebogene Richtung an, der Art, dass sie die Wölbung der Seitenwände und der unteren Wand der Lagena wiedergiebt. Sie beschreibt demge- mäss einen charakteristisch geformten Bogen, der sich sehr nahe auf die eylindrischen Körper einerseits und auf die eben be- schriebenen Stachelzellen des hinteren Theils der Lagena her- absenkt. In dieser charakteristischen Lagerungsweise erhält sich die Membran auf Querdurchschnitten nicht eben schwer, schwerer aber in ihrer Befestigung, und ich darf nicht behaup- ten, die letztere mit vollkommener Sicherheit demonstriren zu können. Dem Verhalten in der eigentlichen Schnecke nach zu urtheilen, wird man sie als beiderseits neben den Trauben des Tegmentum an diesen selbst befestigt vermuthen müssen. Damit wäre aber blos die Befestigung der beiden Seitenwände demonstrirt. Nach der Analogie mit der eigentlichen Schnecke muss man aber auch an der ganzen unteren Fläche Ansätze unter ihr liegender Theile vermuthen. Für die innerhalb der Lagena befindlichen cylindrischen Körper ist mir eine solche Befestigung an der über ihnen liegenden Lamina fenestrata noch nicht zu beweisen gelungen. Auffallend ist das Verhältniss in den hinteren Theilen der Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 445 Lagena, welche von den eben beschriebenen Stachelzellen aus- gekleidet werden. Die Lamina fenestrata liegt hier mit ihrer unteren Fläche so nahe an den haarartigen Fortsätzen dieser Zellen, dass man unwillkürlich auf die Möglichkeit eines Zu- sammenhangs dieser beiden Theile geführt wird. Die immer abgebrochen erscheinenden Spitzen der Bälkchen an der unte- ren Fläche der Lamina verleiten zu solcher Annahme ganz be- sonders. Es versteht sich aber von selbst, dass ein solch wun- derbares Verhältniss nur aus einer ganzen Reihe bestimmt be- weisender Bilder würde hergeleitet werden können. Meine seitherigen Untersuchungen gestatten dies noch nicht; ich möchte indess auch die Aufmerksamkeit anderer Untersucher hiermit auf diesen Punkt hingeleitet haben. Während nun die untere Fläche der Lamina sich gewöhn- lich mit einer Menge unregelmässig abgeschnittener Bälkchen, die schon aus diesem Grunde einen Zusammenhang mit ande- ren Theilen vermuthen lassen, darstellt, erscheint die obere, den Trauben zugekehrte Fläche meist glatter. Die Zwischen- substanz, welche die Maschen trennt, hat sich hier zu einer dünnen, homogenen Schicht verdichtet, in der bei manchen Präparaten gar keine, bei anderen wenige Löcher wahrgenommen ge Auf dieser Fläche liegen in bestimmter Gruppirung 8 Otolithen auf, welche schon länger aus der Lagena be- kannt sind. Auf die Otolithen selbst gehe ich hier nicht nä- her ein. Sie liegen in einen bandartigen Streifen gruppirt, den schon Leydig genau charakterisirt hat und der hufeisenförmig gekrümmt in der Lagena schon mit blossem Auge erkannt wird. Die Convexität des Hufeisens entspricht dem Ende, die bei- den Schenkel den beiden Seitenwänden der Lagena. Die Otolithen liegen der Lamina fenestrata nicht ganz locker auf, sondern scheinen durch ein noch nicht näher be- stimmbares, eigenthümliches Gewebe zusammengehalten zu wer- den. An Präparaten, wo die Otholithen entfernt sind, erscheint dies Gewebe in Form feiner, hyaliner Fetzen, welche von der Lamina aus in den Raum der Lagena hineinragen. Die Otoli- then werden von den Trauben, welche über ihnen hängen, nicht berührt; es bleibt also auch in der Lagena ein beträcht- 446 Otto Deiterst"" U licher freier Raum, freilich 'nicht'so bedeutend, wie mä'&ieh ihn'bisher ‘gedacht hat; mit demselben Recht, wie in der eigent- liehen Schnecke, hat man en als mit Flüssigkeit erfüllt E= zusehen. VL Die Nervenverhältnisse. Nachdem der Schneckennerve ungefähr in der Mitte 'der Sehnecke' in den’ knöchernen Canal eingetreten ist, geht er nicht ganz direct in den Schenkel des Knorpelrahmens, wel- cher zu seiner Aufnahme bestimmt’ ist. Er bildet vorher eine, über, die Hälfte der Länge des Canals einnehmende, auch in ihrer Dieke nicht unbeträchtliche gangliöse Anschwellung, die ihrer mehr. conglobirten Anordnung wegen auf den Namen eines Ganglion eochleare Anspruch machen darf. Sie ist im Verhältniss beträchtlicher entwickelt als die Habenula ganglio- naris der Säugethierschnecke, der sie an Bedeutung sowohl, wie hinsichtlich der Structur vollständig entsprieht, “Ueber letztere füge ich demgemäss auch nichts weiteres bei. Ihre : Lage betreffend, so ist sie vor Allem ausserhalb des Knorpels gelegen. Nur beim Uebergang in die Lagena scheint mitunter auch ein Theil der gangliösen Elemente in den Knor- pel eingeschlossen zu werden. 'Schwieriger ist ihr Verhältniss zur Seala tympani, resp. der die letztere begrenzenden häutigen Auskleidung des Knochencanals. Der Regel nach scheint sie immer ausserhalb des Raumes der Scala. tympani gelegen und nur die häutige Begrenzung der letzteren in deren Raum vor- stülpend. Aus dem -Ganglion heraus ‘gehen eine ganze Reihe von Faserbündeln, ‘welehe nun direct in den Knorpel eintreten. Die Eintrittsstelle ist die untere Fläche des oberen Knorpels nahe der unteren Kante und es ergiebt sich daraus, dass die im Knorpel: weiter gehende Masse" der Nerven, um zu ‘der Stelle zu kommen, wo au dem Knorpel die M. basilaris ansitzt, eine fast senkrecht aufsteigende Richtung nehmen muss. "In der. Art zeigen‘es Fig. 1, Fig. 2, Fig. 13. "Während "dieses Aufsteigens'verästeln sich die grösseren Nervenbündel männich- Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 447 fach, verbinden sich unter einander, so dass dann eine ähn- liche Anordnung entsteht, wie sie von dem in der Lam. spiral. osseä verlaufenden Schneckennerven der Säugethiere bekannt ist. Deydig’s Abbildung dieses Verhältnisses ist nicht ganz genau, kann es auch nicht sein, da sie- ein Flächenprä- Dirt darstellt, der eben gegebenen Beschreibung gemäss aber diese Anordnung nur an einem’ glücklichen Längsschnitt sicht- bar werden kann. Die Plexus liegen weit enger an einander, als es Leydig zeichnet. - "In dieser Art sich verhaltend nähern sich die Fasern des Nerven der mittleren Kante des Knorpels an der Stelle, wo die M. basilaris ansitzt; in dichter Reihe treten hier die ver- einzelten Fasern an die Oberfläche des Knorpels, ihre dunklen Contouren bis hierher behaltend. Leydig lässt sie hier eine kleine Anschwellung (eine winzige Gaänglienkugel!) tragen, wovon ich nichts sehe. Ueber das weitere Verhalten der Ner- ven in der eigentlichen Schnecke kann ich noch nichts Be- stiinmtes aussagen. Nach Leydig sollen sie nicht über das Knorpelstratum "heraus gehen. Meine Präparate zeigen bis jetzt nur sö viel, dass die Nerven auf jeden Fall’ weiter gehen und in die Scala vestibuli treten. Ueber das weitere Verhal- ten hoffe ich in einer folgenden Arbeit'bald berichten zu können. "Von den Bündeln, in welche sich der in den Knorpel ge- tretene Nerv sondert, nimmt ein grösseres eine von den an- deren abweichende Richtung, indem es sich zur Lagena wendet. In dem Knorpel der Lagena strahlt dieses nun in der bekann- ten pinselförmigen Anordnung aus, welche schon Scarpa und alle auf ihn folgenden beschrieben haben. Das Genauere des Verhältnisses hier ist verschieden in dem vorderen Theile der Lagena, welcher noch cylindrische Körper führt, und in der eigentlichen Lagena, die von den Stachelzellen ausgeklei- det ist." In dem ersteren Theil „bleibt die grössere Masse der ' Nerven‘ in der Mitte des Koorpels, seine Richtung einbaltend; ‘geht also eigentlich nur vorbei; nur ein Zweig, der dem einen Ansatz der M. basilaris entspricht, wendet sich hier nach oben‘zür inneren Oberfläche des Knorpels, ‚verhält sich also wesentlich wie die Bündel in der eigentlichen Schnecke, 448 Otto Deiters: Es versteht sich demnach von selbst, dass alle Querdurch- schnitte der Lagena bis zu dieser Stelle nur diese Bündel mit ganz längsverlaufenden aufsteigenden Fasern zeigen können, wäh- rend alle anderen schief durchschnitten erscheinen müssen. (Vgl. Fig. 14 e.) Anders verhält es sich mit dem hinteren Theile der La- gena, welcher die Hauptmasse der Nervenbündel erhält. Hier nehmen alle Nervenfasern allmählig eine der inneren Ober- fläche des Knorpels zugewendete Richtung an. An allen Stellen, welche von den beschriebenen Stachelzellen ausge- kleidet sind, treten Nervenfasern, etwas feiner auslaufend, an die innere Oberfläche. Da nun die Stellen den grössten Theil des inneren Umfanges der Lagena einnehmen, so versteht sich von selbst, dass ein Theil der Nervenfasern noch innerhalb des Knorpels einen weiten Bogen beschreiben muss, um von der unteren Fläche, von wo er ausgeht, bis fast an das Gewölbe der Lagena zu kommen, um hier erst an die Oberfläche zu treten (Fig. 15). Je weiter von oben entfernt, desto kleiner wird dieser Bogen, und an der unteren Wand, die vorn der Membr. basilaris entspricht, treten die Nerven ziemlich direct nach oben. An allen diesen Stellen ist es leicht, die dunkeln Nerven- fasern etwas verfeinert bis an den äussersten Rand der inneren Oberfläche treten zu sehen, Ueber ihren weiteren Verlauf bin ich hier eben so wenig wie in der eigentlichen Schnecke schon zu ganz bestimmten Resultaten gekommen. Einige zerstreute Beobachtungen sind deshalb kaum der Mühe werth anzuführen. Nur das soll er- wähnt sein, dass ich häufig bei abgehobenem Epithel feine va- rieöse Fäserchen von dem Boden des Knorpels sich erheben sehe, die ich für die direeten Fortsetzungen der dunkelrandi- gen Nervenfasern halte. Eben so wie bei den Nerven der eigentlichen Schnecke lässt die Analogie einen Zusammenhang solcher Fäserchen hier mit Zellen auf der M. basilaris, in der Lagena mit zelligen Theilen aus deren Auskleidung leicht ver- muthen. Die Beobachtung sagt darüber noch nichts. Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 449 Vo. Vergleichend-anatomische Folgerungen. Die Zurückführung aller beschriebenen Theile der Vogel- schnecke auf entsprechende der Säugethiere stösst auf grosse Schwierigkeiten und dürfte überhaupt bei weitem nicht in allen Punkten möglich sein. Jedenfalls wird der Versuch gemacht werden müssen, auch in abweichend geformten Theilen Ver- wandtes wieder zu erkennen, ein Versuch der aber nur dann einige Ausbeute versprechen kann, wenn neben den Ergebnissen der Beobachtung auch den Anforderungen einer gesunden Logik Rechnung getragen wird. Man wird sich vor Allem davor zulhüten haben, aus der Thatsache, dass die Vogelschnecke im Allgemeinen eine rudimentäre Säugethierschnecke repräsentirt, den voreiligen Sehluss zu ziehen, dass auch alle Einzelnheiten immer nach diesem selben Princip gebaut sein müssen, man wird im Gegentheil fest- halten müssen, dass trotzdem in der Vogelschnecke manches voll- kommener entwickelt sein kann, was im Verhältniss dazu bei den Säugethieren nur rudimentär erscheint. Man muss an dieser Möglichkeit festhalten, so lange die Function der betreffenden Theile sich nicht über den Bereich der Hypothese erhoben hat. Der einzige Weg, auf dem hier die vergleichende Forschung ganz sichere Resultate würde gewinnen können, die Entwick- lungsgeschichte ist noch nicht so betreten, dass er benutzt wer- den könnte, Ich selbst habe noch keine Erfahrung darüber. Man wird sich also vor der Hand an die Ergebnisse der ferti- gen Bildung halten müssen. Es lässt sich indessen auch hier schon einige Sicherheit erreichen, wenn man immer nur aus einer Reihe von zusammenstimmenden Ergebnissen einen neuen Gesichtspunkt erschliessen will und dazu nicht etwa eine ver- einzelte Thatsache für ausreichend hält. Das letztere wird nur in solchen Fällen gestattet sein, wenn es sich um Theile han- delt, die auf beiden Seiten vollkommen stimmen, und die über- haupt in histologischen Daten vereinzelt stehen. Indessen wird man sich auch hier immer nach unterstützenden Thatsachen umsehen müssen, Als letzten Hauptgesichtspunkt würde ich den aufstellen, dass man bei den schwierigst zu erforschenden 450 oh ohne Deiters tmumnlnwind Gebilden, auf entsprechende Theile besonders aus ihrer Lage und ihrem Verhältnisse zu denjenigen gröberen Theilen schliesse, welche man leicht als vollkommen übereinstimmend erkennt, und welche als functionell unwichtigere Theile und ao beim wichtigeren Theilen zur Stütze und‘ zum Ansatz zu’ dienen, nur unbedentende Verschiedenheiten erwarten lassen. "'w Ich gehe vor Allem von "einem Schema der Säugethier- schnecke aus. Um die Vergleichung leichter möglich zu machen; denke man’ sich den Canal der Säugethierschnecke als 'eine kurze, alles Wesentliche enthaltende, nur ‘wenig gewundene Röhre. Diese würde einem Modiolus anliegen, ohne ihn zu umkreisen. Der Modiolus wird also nur äls eine an der con- caven Seite der Röhre liegende Knochenauftreibung erscheinen, welche den Eintritt des Nerven vermittelt. | Inmitten dieses Canals ist eine feine Membran ausgespannt, jederseits ausgehend von einer im Durchschnitt dreieckig er- scheinenden Leiste. Die Leiste ist "einerseits theils knöchern, theils membranös, auf der anderen Seite fast nur 'membranös; Der membranöse. Theil, welcher sich direet in’ die Membran fortsetzt, entsteht aus dem von oben und unten kommehden Periost, welches im Ganzen die 'häutige Auskleidung des knö- öhernen Canales bildet. Die beiden Leisten sind einerseits 'die Lam. spir. ossea mit einem Theil der L. ag ande- rerseits das Ligamentum spirale. yegu Die gröberen Verhältnisse anlangend, so findet’ man alab einfache Schema im Vogelohr ziemlich vollkommen repräsentirt, Die Eintrittsstelle des Nerven mit dem hier etwas gewul- steten Knochen entspricht dem Modiolus, die beiden Knorpel- sehenkel den beiden gegenüberstehenden Leisten. "Die letzteren haben beim Vogel eine grössere‘ Selbstständigkeit "bewahrt. Die Embryologie wird vielleicht auch beim Säugethier Aehnli- ches nachweisen. Die erwähnten Theile werden durch so mannigfache zusam- mentreffende Umstände als morphologisch identisch bezeichnet, dass darüber eigentlich kein Wort ‘zu verlieren sein’ dürfte. Das Verhältniss zu den Zähnen; zu dem’eintretenden Nerven; Ya OF URN Jonny J it “50 Is oh Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 451 zu den inneren Sinnesapparaten, zu den verschiedenen Berüh- rungsmembranen u. S. w. soll daher nur genannt sein. Umso in- teressanter sind die hier obwaltenden histologischen Verschie- denheiten, welche ein sehr ausgezeichnetes Beispiel von Ver- tretung histogenetisch verwandter Gewebe an entsprechenden Orten verschiedener Thiergruppen abzugeben geeignet sind. Dem einfachen Knorpelrahmen des Vogelohres (denn bis zur näheren Bestimmung’ muss (das Gewebe den Namen des Knor- pels bewahren) entsprechen beim Säugethier Theile, ‘in denen Knochen, Bindegewebe, Gewebe der Zähne, sowie ganz struc- turlose Gebilde vertreten sind. Eine wichtigere Frage aber’ schliesst sich hier an, wie weit man in der Säugethierschnecke sich ‘die den Knorpelschenkeln entsprechende Partie zu denken habe. (Das Ligamentum 'spi- rale und der untere Knorpelschenkel können hier ganz ausser Frage bleiben.) Die Frage ist keine müssige, weil das Ver- ständniss der die Knorpel verbindenden‘ Membran, sowie der dem Corti’schen Organ entsprechenden Theile davon abhängt. Die Möglichkeiten für ‘den oberen’ Knorpelschenkel sind hier doppelt; entweder man denkt sieh ihn der Lam. spiralis nach vorn entsprechend bis zur Durchtrittsstelle des Nerven‘ (den Löchern und Rippen der Habenula perforata) oder aber bis zur Grenze der Zona peetinata. Für Beides-lassen sich Gründe an- geben. "Die meisten und wichtigsten Gründe in’s Auge fassend, hat man die die beiden‘ Knorpel verbindende M. basilaris nicht als das Analogon der Lam. spir. membranacea, wie es in den bis- herigen Angaben heisst, aufzufassen, sondern blos als das’ der Zona pectinata, und dem entsprechend repräsentirt die vordere Platte des Knorpelrahmens (die Habenula perforata' und die Habenula areuata (mihi). Die Gründe dafür liegen in der An- ordnung und Lage der Theile, welche dem Corti’schen Organe entsprechen, in dem ganzen Habitus der verbindenden M. ba- silaris, in den auf ihr ‚liegenden Zellen, "endlich in dem Um- stande, dass die Membran schliesslich ganz rudimentär wird, während der Nerv sich ganz besonders reich entfaltet. "Das letztere lässt’sich kaum denken yon einer Membran, die beim 452 Otto Deiters: Säugethier dem Hauptverbreitungsort ‘des Nerven (der "Habe- nula arcuata) entsprechen sollte. Der Grund dagegen aber liegt in dem Verhalten des Ner- ven, welcher beim Vogel unmittelbar vor der M. basilaris in die Seala vestibuli tritt. Die Art, wie er hier herantritt, ist, wie aus der Beschrei- bung klar, im Ganzen die, wie der Nerv beim Säugethier durch die Lamina ossea und den Anfang der L. membranacea ver- läuft. Indessen ist die Art seines Durchtritts wesentlich ver- schieden. Eine regelmässige Habenula perforata, wo die Ner- ven bündelweise ihren Durchtritt fänden, haben wir: hier nicht. Der Durchtritt geschieht einzeln und ohne eine nach Entfer- nung der Nerven sichtbare Lücke. Auch fehlt jede Spur der Rippen der Habenula perforata der Säugethiere. Der Durch- tritt des Nerven geschieht endlich hinter den eylindrischen Körpern, beim Säugethier vor dem Corti’schen Organ. Aus dem Vorgebrachten ergiebt sich für die Art des Ner- venverlaufes und Durchtritts eine so durehgreifende Verschie- denheit von dem entsprechenden Verhalten beim Säugethier, dass dasselbe kaum bei der obigen Entscheidung den Ausschlag geben dürfte. Ich bleibe also bei der ersten Annahme und halte die Membr. basilaris für der Zona pectinata entsprechend. Den wichtigsten und schwierigsten Theil für die Vergleichung geben hier diejenigen Gebilde ab, welche als die speciellen Sinnesapparate aufgefasst werden müssen und zu denen ich aus der eigentlichen Schnecke die eylindrischen Körper, die La- mina fenestrata und die zelligen Theile der M. basilaris rechne. Hinsichtlich der eylindrischen Körper braucht auch kaum bewiesen zu werden, dass sie dem Corti’schen Organ der Säu- ger entsprechen. Sie sind neben den Leydig’schen Zellen das einzige, was den Raum der Scala vestibuli zwischen den Zähnen, der Lamina fenestrata und der Membrana basilaris ein- nimmt. Ihre Eigenschaften, ihre Befestigung, ihre regelmässige Anordnung, alles giebt ihnen die erwähnte Stellung. — Die genauere Vergleichung verlangt aber noch mehr. ‘Man wird hier zur Aufstellung eines ganz allgemeinen Schema’s am besten vom Vogelohr ausgehen; man wird.dies Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 453 aus dem Grunde thun müssen, weil sich hier auf demselben Raum die zu vergleichenden Theile in viel grösserer Menge vorfinden. Wir finden demgemäss die hier in Betracht kommenden Theile als eine grössere Gruppe cylindrischer, stabförmiger Körper theils an, theils unter den Zähnen des oberen Knorpels befestigt, frei nach oben oder etwas nach unten stehend, mit ihrem anderen Ende theils aneinander, theils an einer oberen Membran befestigt, und in ihrer Gruppirung von den Zähnen an immer zellenähnlicher werdend, bis sie zuletzt an wirkliche grosse hyaline Zellen sich anreihen, welche dem eintretenden Nerven, resp. der Membr. basilaris zunächst gelegen sind. Es hält für den ersten Blick schwer, auf dieses Bild diejenigen Theile zu reduciren, welche man im Säuge- thierohr als Corti’sches Organ bezeichnet. Bei genauerer Ueber- legung kann 'man aber auch hier ähnliche Verhältnisse finden ; man wird aber dann eine Gruppe von Zellen morphologisch und functionell den Corti’schen Fasern näher stellen müssen, die man bisher noch nicht als an der Sinnesfunetion bethei- ligt angesehen hat. Es sind das die grossen, hyalinen (Clau- dius’schen) Zellen, welche zu beiden Seiten in ziemlicher Nähe zu den Corti’schen Fasern stehen, und die kaum mit einer anderen Zellenart, am ehesten aber noch mit den Zellen zu vergleichen sind, welche in der Vogelschnecke an die cy- lindrischen Körper stossen. Die vorderen Claudius’schen Zeilen, welche vom Anfang der aufsteigenden Corti’schen Fa- sern an nach hinten den ganzen von den Zähnen überwölbten Suleus ausfüllen und hier den oberen in den Gruben zwischen zwei benachbarten Zähnen liegenden Zellen nahe stehen, wür- den auch insofern den Anforderungen der Analogie Genüge leisten, als diese unmittelbar den Zähnen anliegende Theile verlangt. Die grösste Schwierigkeit bietet der Erklärung hier scheinbar der Bogen, unter dem im Säugethierohr beide Reihen © orti’scher Fasern zu einander gestellt sind. Man wird diesen im Vogelohr weniger vermissen, wenn man sich vergegenwär- tigt, dass das im Säugethierohr von diesen Bogen überwölbte Stück der M. basilaris, die Habenula arcuata, im Vogelohr ei- gentlich ganz radimentär ist, Denkt man sich dieses weg, 30 454 Otto Deiters: rücken die beiden Ansätze aneinander ynd wir erhalten, zwei sich dicht anliegende (hintereinander liegende) ziemlich in derselben Richtung nach oben gerichtete Fasern, Man hätte damit das Bild eines Theils der ‚cylindrischen Körper des Vogelohres. Mit, den speeifischen Zellen ‚der. Lam. spir. membr., des Säugethierohres lassen sich die Ley.dig’schen ‚Zellen, bis jetzt nicht vergleichen. Eher noch lassen sich für, die Lamina fenestrata Anhalts- punkte finden. Die ‚Charaktere dieser : Membran lassen sich morphologisch dahin bestimmen, dass sie in; der Höhe, der Zähne, theils an diesen selbst, theils am anliegenden ‚Gewebe befestigt, als eine wesentlich structurlose, gefensterte Membran. über den Raum der Scala media ausgespannt: ist, und den, ey- lindrischen Körpern zur Befestigung. dient. Wenn: man die Analoga dieser Charaktere in der Säugethierschnecke sucht, so wird man sich schwer entscheiden können, ob die Corti’sche Membran oder die Lamina velamentosa die verlangte ist. Beide nehmen an diesen Charakteren Theil und man wird daher, be- sonders auf die mehrfache Schichtung der L. fenestrata Rück- sieht nehmend, der Wahrheit am nächsten kommen, wenn man sich beide, die Membr. Cortii sowohl wiedie Lam, velamentosa im Vogelohr durch eine einzige mehrschichtige Membran reprä- sentirt denkt, welche eben die Lamina fenestrata ist. Ueber ‚das Tegmentum vasculosum ‚ist in, vergleichender Hinsicht schon gesprochen. Die ganze Anordnung der, Gefässe sowohl wie der zelligen Theile lässt sich bei, den Säugethieren in einem hier sehr untergeordneten, unvollkommen entwickelten Gebilde, der Stria vascularis,; wieder erkennen. — Weiter wird ein. vergleichendes Verfahren bis jetzt, nicht geführt, werden dürfen. Zum Verständniss der Lagena,; selbst hinsichtlich der ‚nicht mikroskopischen Verhältnisse, fehlen bisjetzt alle Anhaltspunkte. Ich halte es bis jetzt noch kaum für ‚angemessen, , dem Vorgebrachten einige, vergleichend-physiologische , Bemerkun- gen. hinzuzufügen. Einige liegen ziemlich nahe, ‚Ich nenne nur die abweichenden Verhältnisse der Zähne, ‚die hier wohl kaum bei der. Siuneswahrnehmung, betheiligt sein können; ‚die Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 455 physikalischen‘ ‚und ‚chemischen Verschiedenheiten der ‚eylin- drischen Körper. ihre, verschiedene ‘Anordnung, insbeson- dere... das ‚enge gruppenweise Aneinanderliegen derselben ws. w. Nur, einen Umstand. möchte ich besonders hervorhe- ben, der,vielleicht: in einer künftigen Theorie zu, benutzen ist. Ich meine das Lagerungsverhältniss des Nerven zu den cylin- drischen Körpern. Bis in die neueste Zeit hat man sich bei der Säugethierschnecke ‚bemüht, einen geweblichen Zusammen- hang zwischen den in die Scala vestibuli getretenen Endzwei- gen ‚des N. cochleae und den Corti’schen Fasern zu demon- striren. Man glaubte damit der. Theorie zu Hülfe zu kommen. Die neuesten mikroskopischen Untersuchungen haben diesen supponirten geweblichen Zusammenhang ‚widerlegt, und schon für die Säugethiere wurde es wahrscheinlich,’ dass ein. blosses Ameinanderliegen der Nerven an den’ specifischen Sinnes- apparäten die Sinneswahrnehmung ermöglichen könne, ‚Das ‚Verhalten der Vogelschnecke ist in dieser Hinsicht noch charakteristischer. Der. Durchtritt der Nervenfasern in die Scala vestibuli geschieht hier so weit! vor den eylindrischen Körpern, dass sie, um zu ihnen zu gelangen, eine vollkommen zurücklaufende Richtung würden annehmen müssen. So wenig zur Evidenz die Nervenverhältnisse bis jetzt eruirt sind, so lässt, sich schon ‚ein ‚so: auffallendes : Verhalten im. höchsten Grade als unwahrscheinlich‘ ı bezeichnen. ‚Alles spricht dafür, dass die Endigung des Nerven auf eine‘ freilich" noch unbe- kannte Weise in dem Zellenparenchym geschieht, welches die M, basi ilaris bedeckt. Ist dieses, wirklich der Fall, so stehen sie mit den eylindrischen Körpern nur. durelı die Zellen in mit- telbarer Continuität, welche. zwischen den ‚Oylindern und den Leydig’schen Zellen gelegen’ sind. ' Also wird hier schon ein wirkliches unmittelbares Anliegen der Nerven an den eylindri- schen Körpern unwahrscheinlich, wie viel mehr die Vorstellung der dem Corti'schen Organ entsprechenden Theile als wirkli- cher Nervenendigungen. Davon kann hier ‚schon. der physika- lischen und chemischen Higenschadan dieser Kör pn wegen gar keine Rede sein. Ich füge diesen spärlichen Bemerkungen einstweilen nichts 456 Otto Deiters: weiter hinzu; eine eingehende Verfolgung derselben bleibt für jetzt unmöglich; die wirklichen Nervenendigungen müssen erst bestimmter fixirt, die Eigenschaften der specifischen Sinnesap- parate noch genauer, als bis jetzt geschehen konnte, erforscht werden. Ich hoffe bald weitere Mittheilungen machen zu können. Erklärung der Abbildungen. Tafel XI. (Vergrösserung bei allen ungefähr 300, nur Fig. 7 bei schwacher Vergrösserung.) Fig. 1. Durchschnitt durch die ganze häutige Vogelschnecke, un- gefähr aus der Mitte derselben. a. Der obere Knorpel, in der Mitte das durehschnittene Ge- füss, aus dem der durch den Zahn zum Tegmentum abge- hende Zweig hervorgeht. Oben an dem Zahne etwas nach abwärts gerichtete eylindrische Körper, welche sich an die L. fenestrata (e) ansetzen; unter ihnen die grossen hyalinen Zellen, welche bis zur M. basilaris reichen. Die untere Kante (Winkel) des Knorpels ragt etwas weiter vor, als z. B. in Fig. 2; der Durchschnitt liegt also ziemlich nahe dem mitt- leren Vorsprung des Knorpels. b. Der untere Knorpel; auch in seiner Mitte ein Gefäss, wel- ches zum Tegmentum einen Zweig schickt. Die dreieckige Form hier ziemlich ausgesprochen; auf der oberen inneren Fläche ein Epithel. Zum Theil liegt dieser Fläche auch das Tegmentum auf, c. Membrana basilaris. d. Tegmentum vasculosum vollständig erhalten; deutlich sind die zwei Zellenarten, die glatte Rundung der oberen Fläche, die tiefe Furche der unteren. e. Lamina fenestrata im scheinbaren Durchschnitt. f. Leydig’sche Zellen auf der M. basilaris. Fig. 2. Durchschnitt des oberen Knorpels, auch der Mitte ziem- lich nahe. a. Der Knorpel. b. Seine vordere . Seine untere } Kante, . Seine hintere ! i Der Zahn durch die an ihm befestigten cylindrischen Körper verdeckt. Diese befestigt an f. der Lamina fenestrata; auch bier die dreieckige Form wohl eano Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 457 nur zum Theil Durchschnittsbild, zum anderen Theil wohl durch Falten erzeugt. Fast alle Präparate zeigen aber die- ses Bild. g. Die hyalinen Zellen unter den eylindrischen Körpern. h. Die Membr. basilaris. i. Gefäss, welches zum Zahne geht. k. Der im Knorpel aufsteigende Nerv. Fig. 3. Die Lamina fenestrata, wie sie in der eigentlichen Schnecke erscheint, a. Der vordere Theil mit den grossen Zacken. b. Die mittlere vorspringende Kante. ce. Der hintere freie Theil mit den grossen, regelmässig stehen- den Oeffnungen. Fig. 4. Längsschnitt durch ein Stück des oberen Knorpelschenkels. Der Schnitt ist so gefallen, dass er die Zähne der Länge nach durchschnitt und daher von diesen nur den vordersten Theil, von den eylindrischen Körpern nur die vorderen, gerade stehenden enthielt. Nur an dem am meisten nach links gelegenen Zahne sind einige der klei- neren schief stehenden Cylinder stehen geblieben. a. Der Knorpel mit dem mittleren Gefäss, aus dem zu den drei theilweise erhaltenen Zähnen (b) je ein kleines Gefäss anf- steigt. m €, Die geraden eylindrischen Körper. d. Die etwas in die Höhe gehobene und umgeschlagene La mina fenestrata, nur in ihrem vorderen Theil sichtbar, Fig. 5. Die Spitze des Knorpelrahmens mit. den inneren Ge- bilden, a. Oberer Knorpel. Die drei letzten Zähne sind erhalten mit den aufsteigenden Gefässen. Der Nerv ist nicht gezeichnet. b. Der untere Knorpel, e. Die beide Knorpel verbindende Brücke mit der Einkerbung d. Lamina fenestrata, ungefähr in derselben Weise erhalten wie in Fig. 4: e. Die schief stehenden an den Zähnen befestigten eylindrischen Körper, zum Theil sich in der Mitte berührend, zum Theil an L. fenestrata befestigt. ' Jenseits des letzten, noch en entwickelten Zahnes werden sie regelmässiger, Di lg kleiner und schliessen sich in der Länge zuletzt an das Epithel des gegenüberstehenden Knorpels an. . 6. Sämmtliche eylindrische Körper in ihrer Verbindung un- der und mit der darüber liegenden Lamina fenestrata, Die ruppe hat sich in toto vom Knorpel abgehoben. w. Lamina fenestrata. Hinterer freier Theil. b. Mittlere Kante der L. fenestrata. Helchert's u, du Bols-Koymond's Archiv. 1860. 30» = 458 oa Otto Deiters: Die vorderen Zacken der L. fenestrata. Die geraden ceylindrischen Körper; dieselben stehen in meh- reren Reihen hintereinander, aber so alternirend, dass die Ansätze benachbarter und hintereinander stehender das Bild ziemlich regelmässiger Polygone bieten; letztere können um so leichter mit Zellen verwechselt werden, als die Kerne der tiefer liegenden wirklichen Zellen leicht durch sie hindurch- schimmern. Die kleineren, unregelmässigeren, schief stehenden Oylinder. . Zwischenräume, welche zwei Zähnen entsprechen; von je einem solchen gehen nach beiden Seiten die Cylinder ab, theils mit den von der an''eren Seite kommenden bei i zu- sammenstossend, theils nach oben gewendet an der Lamina fenestrata sich befestigend. Die grossen hyalinen Zellen, welche unter den Cylindern gelegen sind. Tafel XII. Fig. 7. Der ganze Knorpelrahmen bei schwacher Vergrösserung, um die Anordnung der Gefässe zu zeigen. a, [o An dem mittleren Haken des unteren Knorpels eintretende Arterie; eine zweite bei h eintretend. Aus beiden gehen die Längsgefässe hervor, von denen beide Knorpelschenkel in ihrer ganzen Länge durchzogen sind; aus ihnen geben sowohl unregelmässig verlaufende Aeste ab, als bei b regelmässige an je einem Zahne in die Höhe tretende und von hier aus in das Tegmentum vascu- losum tretende. . Das grössere an dem Haken des unteren Knorpels sichtbare Gefäss (Vene); auch einen Bogen über dem Anfange der La- gena bildend, und einen Ast, zum Tegmentum gehörend, ab- gebend. Das weitere Verhalten bleibt noch zum Theil un- klar. Jedenfalls tritt an dem mittleren Vorsprung des obe- ren Knorpels kein Gefäss ein. d. Einkerbung an der Spitze der Schnecke. e. f. g Fig. Lamina fenestrata, von der Fläche gesehen. Fig. a. b. Einkerbung am Anfang der Lagena. l,agena mit den Gefäss- und NexuenneratelünBenu Membrana basilaris. 8. Der in der Lag&na befindliche engmaschige Theil de 9. Vereinzelte cylindrische Körper. Ein kürzerer. Langgestreckte, mit dem auch bei a. sichtbaren vordere platten Theil, * Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. 459 e. Deutlich sichtbares Lumen an der Basis eines langgestreck- ten Cylinders. d. Ein kurzer, unregelmässiger, schon mehr zellenähnlicher Cy- linder. Fig. 10. Die Gruppe der Cylinder und besonders der hyalinen Zellen, sowie des zelligen Parenchyms der Membr. basilaris, in toto von ihrer Befestigung abgehoben und von unten gesehen. a. Die zu unterst liegenden langen eylindrischen Körper; bei b. einige schiefgestellte Cylinder. e. Die Gruppe der unter den Cylindern gelegenen hyalinen Zellen; ihre bis zu den Zellen der M. basilaris stetig ab- nehmende Grösse ist bemerkenswerth. d, Zellen der M. basilaris (Leydig’sche Zellen?) von unten gesehen. Fig. 11. Die Leydig’schen Zellen. Bei a, b, ec eine Gruppe meist von oben gesehen. In jeder Zelle der immer ziemlich nach derselben Seite gerichtete Wulst sichtbar. b. zeigt einige der Zellen von der Seite, wo der Wulst als ein oberer gestreifter Verdickungssaum erscheint; bei ce. hat sich dieser Saum gelöst und steht als freie Borsten nach oben; entspricht ungefähr der Leydig’schen Zeichnung. a d. Einige dieser Zellen der Seite, nach Behandlung mit Holz- _ essig; der Saum hat sich in eine Reihe feiner Cilien zerfa- sert. —. Zwischen diesen Zellen einige freie Kerne, noclı nicht näher bestimmbar. ” Tafel XIII. Fig. 12, Längsdurchschnitt durch die Lagena. a. Die an Grösse stetig abnehmenden eylindrischen Körper. Der Schnitt ist etwas neben die Mitte gefallen, so dass diese ganze Reihe erhalten wurde. b. Der Nerve. e. Die die hintere Lagena auskleidenden Stachelzellen mit der Lage freier kernärtiger Theile unter ihnen. d. Fortsetzung der Lam. fenestrata in die Lagena; auf ihr Otolithen. e Lagena sich fortsetzenden Trauben des Tegmen- losum; in dem Winkel gehen sie in ein einfaches Epithel über, welches sich jenseits desselben an die Stachel- zellen anschliesst. b - 13. Durchschnitt durch die Gegend, wo die Knorpel eben gen haben, ihre Form zur Bildung der Lagena zu verändern. a. Der obere Knorpel; oben die zahnurtige Spitze. b. Der Nerv. 30* 460 Otto Deiters: Untersuchungen über die Schnecke der Vögel. © d. Die auf der unteren Seite schon vollkommene Verbindung beider Knorpel. M. basilaris; unter ihr die Scala tympani. e. Der untere Knorpel. In beiden Knorpeln rundliche Lücken für die Gefässe. Fig. 14. Durchschnitt durch die Lagena; weiter nach hinten als der vorhergehende. Die Scala tympani ist noch eben als ein sehr kleiner Raum bemerkbar; also auch M. basilaris und cylindrische Körper noch vorhanden. a. {<} Scala tympani; über ihr M.basilaris mit den Leydig’ schen Zellen. . Trauben des Tegmentum vasculosum, . Epithel, diejenige Seitenwand bedeckend, welche dem unte- ren Knorpel entspricht. d. Cylindrische Körper, e. Der Nerv; nur ein Zweig geht gerade nach oben, ist also ganz mit längslaufenden Fasern siebtbar, die anderen schief durchsebnitten. f. Lamina fenestrata. s Fig. 15. Durchschnitt durch den hinteren 'Theil der Lagena. Die Scala tympani ist ganz verstrichen; von der M. basilaris und den ey- lindrischen Körpern hier keine Spur mehr. Sa a. Der Nerv; alle Fasern gehen gegen die innere Obertiachihl wo sie, etwas zugespitzt, nicht weiter verfolgt werden kön- nen; sie müssen, da ihr Ausgangspunkt unten ist, zum Theil einen weiten Bogen beschreiben. . Die zellige Auskleidung der Lagena; deutlich ist die ein- schichtige Lage der Stachelzellen und dem Knorpel zunächst die einfache Lage kernartiger Gebilde (kleiner Zellen ?). . Die Lamina fenestrata (in situ), man sieht die unteren ab- gerissenen Bälkchen den Stacheln der eben erwähnten Zellen auffallend nahe stehen; man sieht ferner den oberen etwas compacteren Theil, auf dem die Otolithen aufliegen. Trauben des Tegmentum, beiderseits in ein einfaches Epithel übergehend, welches sich an die Stachelzellen unmittelbar anschliesst. E. du Bois-Reymond: Zur Kenntniss der Hemikrania. 461 Zur Kenntniss der Hemikrania. Von E. pu Boıs-ReymonD,. (Aus einem in der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde am 1. März 1859 gehaltenen Vortrage.) Seit den Arbeiten Johannes Müller’s über den Bell- schen Lehrsatz, über die Wechselwirkung empfindender und bewegender Nervenfäden in den Centralorganen, und über das Gesetz der peripherischen Erscheinung der Gefühlseindrücke ist in der Nervenphysiologie kaum etwas geschehen, was von einer 80 grossen und allgemeinen Bedeutung für die Pathologie zu werden verspräche, wie die neueren Entdeckungen über die vasomotorischen Nerven. "Wir wissen jetzt, was so lange nur Hypothese war, oder wenigstens nur mittelbar aus den Thatsachen folgte, dass die kleineren Arterien unter der Botmässigkeit motorischer Ner- venfäden stehen, welche für den Kopf in dem Halstheil des Sympathicus, für die übrigen Regionen, wenn man vom Frosch auf die höheren Wirbelthiere schliessen darf, in den vorderen Wurzeln verlaufen. Wir wissen, dass Erregung dieser Fäden Verengung, Zerschneidung derselben Erweiterung der Gefässe zur Folge hat. Der alte Satz, dass vom Herzen die Blutbe- wegung, von den Gefässen die Blutvertheilung abhange,') ist dergestalt zur Gewissheit gebracht. Schon hat diese Einsicht in dem Kampfe, der in diesem Augenblick zwischen der Neuro- und Cellular-Pathologie gefochten wird, eine ungemeine Wich- tigkeit erlangt. Wie so häufig, ist auch diesmal der Ausschlag nach der entgegengesetzten Seite von der erfolgt, wonach man ihn erwartet hätte. Die erweisliche Lähmung der Gefässnerven 1) Heule, Allgemeine Anatomie, Leipzig 1841, S. 512, 462 E. du Bois-Reymondı des Kopfes, obschon von einer ansehnlichen Störung der Blut- « und der Wärmevertheilung begleitet, zieht keine Störung der Ernährung nach sich; und durch den sinnreichen Versuch Snellen’s') ist auch sogleich der Widerspruch versöhnt, der zwischen dieser Thatsache und der Erfahrung Magendie’s über die Zerstörung des Augapfels nach Durchschneidung des Quintus bestand. Ich will Ihre Aufmerksamkeit. auf eine andere, im Vergleich hierzu freilich sehr unbedeutende Anwendung leiten, welche die Pathologie von der vasomotorischen Wirkung des Halstheiles des Sympathiecus machen kann, nämlich zur Erklärung eines Theiles der Krankheitsfälle, welche als „Migräne“ unter den kleinen Leiden des menschlichen Lebens eine so namhafte Rolle spielen. Meine Kenntniss der Migräne beruht auf Selbst- beobachtung. Seit etwa meinem zwanzigsten Jahre leide ich, obschon sonst ganz gesund, an Migräne. Alle drei bis vier Wochen bin ich einem Anfall ausgesetzt, der meist in Folge irgend einer Schädlichkeit, z. B. langen Fastens, einer ermüdenden Abendgesellschaft u. dgl. m., eintritt. In der Regel geht ihm Verstopfung voraus. Ich wache dann am anderen Morgen, bei gestörtem Gemeingefühl, mit einem leisen Schmerz in der rech- ten Schläfengegend auf, der, ohne die Mittellinie zu, über- schreiten, sich allmählig ausbreitet, um. Mittag seine Höhe zu erreichen, gegen Abend zu vergehen ‚pflegt. Während der Ruhe ist der Schmerz erträglich, bei der Bewegung aber wächst er zu betäubender Heftigkeit. Er nimmt zu durch alle Um- stände, welche den Blutdruck im Kopf erhöhen, beim Bücken, Husten u. 8. f. Er steigert sich synchron mit dem Puls der Schläfenarterie. Diese fühlt sich auf der kranken Seite wie ein harter Strang an, während sie links die normale Beschaffenheit hat. - Das Gesicht ist bleich und verfallen, das rechte Auge klein und geröthet. Auf der Höhe des Anfalls tritt, ‚wenn er heftig ist, Uebelkeit ein, doch ist es, soviel ich mich entsinne, 1) Donders und Berlin, Archiv für die Holländischen Beiträge. 1858. Bd. I. S. 206. \ Zur Kenntniss der Hemikrania. 463 nur einmal zum Erbrechen gekommen. Nähert sich der An- fall seinem Ende, so röthet sich das rechte Ohr unter lebhaf- tem Wärmegefühl, wie auch durch die Hand wahrnehmbarer Erhöhung der Temperatur. Schlaf kürzt häufig den Anfall be- deutend ab. Es hinterbleibt eine leichte gastrische Störung, auch ist am anderen Morgen manchmal eine Stelle der behaar- ten Kopthaut schmerzhaft. Eine gewisse Zeit nach dem Anfall kann ich mich ungestraft Schädlichkeiten aussetzen, die ihn mir vorher unfehlbar würden zugezogen haben. Im Sommer sind die Anfälle seltener als im Winter, auf Fussreisen bleiben sie ganz aus. Sie haben jetzt an Heftigkeit und Regelmässig- keit sehr nachgelassen im Vergleich zu einer früheren Zeit, wo ieh, bei geringer Rücksicht auf meine Gesundheit, noch Musse hatte, mich unausgesetzt grossen geistigen Anstrengungen hinzugeben. Kein Praktiker würde anstehen, dieses Krankheitsbild als das einer mässig heftigen, aber ächten Migräne gelten zu las- sen, denn in der That weicht dasselbe von den verschiedenen Beschreibungen der Migräne nicht weiter ab, als diese von ein- ander. Was aber die Erklärungen der Krankheit bei den ver- schiedenen Schriftstellern betrifft, so ist keine darunter, welche auf die näheren Umstände meines Falles passte. Die Migräne wird durchgehends als eine Neuralgie aufgefasst, deren anatomi- scher Sitz jedoch, zum Theil ohne klare Gründe, verschieden be- stimmt wird. ‘So versetzt Romberg!) diesen Sitz in’s Gehirn selbst, Tissot,?) dem Lebert?) folgt, in den ersten Ast des Quintus, Piorry) in die Augenblendung. Andral®) und Val- leix®) geben keine anatomische Definition der Migräne. 1) Lehrbuch der Nervenkrankheiten des Menschen. Dritte Aufl. Bd. 1. Berlin 1857. S. 211. 2) Trait& des Nerfs et de leurs Maladies, Paris 1783. t. II. p- II. p. 121. 3) Handbuch der praktischen Medicin. Tübingen 1859. S. 558. 4) Andral, Cours de Pathologie interne ete. 3ieme Edition. Bruxelles 1839. p. 382. Vergl. Comptes rendus etc. 19 Decembre 1859. t. XLIX. p. 987. 5) Ibidem, p. 380 et suiv. 6) Trait& des Nevralgies ou Aflections douloureuses des Nerfs, A Paris 1841, p. 149. 464 E. du Bois-Reymond: Von dem folgenden Erklärungsversuche der Erscheinungen, welche meine Migräne darbietet, schliesse ich die Periodieität des Leidens aus, die dasselbe mit vielen pathologischen und physiologischen Vorgängen im Nervensystem theilt. Es. ist überhaupt nicht meine Absicht, etwas’ über den letzten Grund des Uebels auszusagen. Ich will 'nieht einmal die dabei be- merkbare gastrische Störung berücksichtigen, die zu diesem letzten Grunde vermuthlich in naher Beziehung steht, sondern ich werde nur zwischen den subjectiven Erscheinungen und den beobachteten Störungen des Kreislaufes einen muthmasslichen Zusammenhang aufdecken, und den näheren Grund dieser Stö- rungen mit äusserster Wahrscheinlichkeit nachweisen. Ich behaupte nämlich, dass bei meiner Migräne Tetanus der Gefässmuskeln der leidenden Kopfhälfte, oder Tetanus im Gebiete des Halstheiles desrechten Sym- pathicus stattfinde. Der Zustand der Schläfenarterie, die Blutleere des Gesich- tes, die Eingesunkenheit des rechten Auges zeigen, dass die Gefässmuskeln der kranken Kopfhälfte, so weit sie der Beob- achtung zugänglich sind, dauernd zusammengezogen sind. Aus dem Zustand der A. ophthalmica schliessen wir auf einen gleichen Zustand der übrigen Aeste der Carotis interna und vermuthen denselben für die A. vertebralis, Aus den Schwankungen des Blutdruckes im Gehirn, die die Folge der nach Art tonischer Krämpfe stossweise sich verstär- kenden und wiederum nachlassenden Verkürzung der Gefäss- muskeln sein werden, können wir sogleich, wie in Wollaston’s Theorie der Seekrankheit;") den die Migräne begleitenden Brechreiz herleiten. Auf die nämliche Art würde sich viel- leicht das Flimmern vor den Augen, welches öfters bei Mi- gräne, wie auch nach dem Gebrauch der Digitalis,”) beob- 1) Philosophical Transactions et. For the Year 1810. P. I. p- 6; — Gilbert’s Annalen der Physik. 1812. Bd. XL. S. 37. 2) Purkinje, Neue Beiträge zur Kenntniss des Sehens in sub- jeetiver Hinsicht. Berlin 1825. S. 120. Zur Kenntniss der Hemikrania. 465 achtet wird, aus der Herabsetzung des Blutdruckes in der Seh- sinnsubstanz erklären. Wie dem auch sei, es ist ferner klar, woher die Röthung und die erhöhte Wärme in der Ohrgegend beim Nachlassen des Kopfschmerzes rühre. Es ist dieselbe Erscheinung, die man im warmen Zimmer nach dem Aufenthalt in der Kälte wahr- nimmt. Die glatten Muskeln ermüden natürlich gleich den quergestreiften. Lässt die Ursache nach, die die Gefäss- muskeln so lange in tonischen Krampf versetzte, so folgt auf die Ueberanstrengung ein Zustand der Ermattung, worin die Gewässwände dem Seitendruck mehr als sonst nachgeben. Die Folgen davon sind dieselben, als ob die vasomotorischen Nerven zerschnitten und der Tonus der Gefässmuskeln aufge- hoben wäre: Röthe und erhöhte Temperatur.') Ein Umstand in dem obigen Krankheitsbilde, der auch sonst in den Beschreibungen der Migräne niemals fehlt, stimmt frei- lich nicht mit unserer Theorie, nämlich die während des An- falls selber bereits bestehende Röthung der Augenschleimhaut der kranken Seite. Doch ist dies vielleicht so zu deuten, dass die Gefässmuskeln der Conjunetiva entweder früher ermüden, oder früher angefangen haben sich zusammenzuziehen als die der übrigen betheiligten Gefässe, Ein tonischer Krampf sämmtlicher Gefässmuskeln der einen Kopfhälfte kann in nichts seinen Grund haben, als in einer dauernden Erregung, einem Tetanus des Halstheiles des N. sym- pathieus derselben Seite. Der Sitz eines solchen Tetanus wiederum würde zu suchen sein in der entsprechenden Hälfte der von Budge und Waller sogenannten Regio eilio-spinalis des Rückenmarkes. Ich setze dabei voraus, was zwar meines Wissens noch nicht durch den Versuch erwiesen, aber wegen des Plexus vertebralis kaum zu bezweifeln ist, dass auch die Contraetionszustände der A. vertebralis von hier aus beherrscht werden. Es würde sich bei der beschriebenen Art der Migräne 1) Ich habe noch nicht Gelegenheit gehabt zu versuchen, ob wäh- rend des Anfalls die Temperatur in dem Ohr der leidenden Seite nie- driger ist al in dem der gesunden. 466 E. du Bois-Reymond: also gar nicht um ein Leiden des Gehirns oder der-Hirnnerven, sondern um ein solches der Schultergegend des Rückenmarkes handeln. ä Ich gebe zu, dass bis hierher die Schlussfolge locker und etwas willkürlich erscheinen kann. Allein ich bin, wie gesagt, in der Lage, ihr einen an Gewissheit grenzenden Grad von Wahrscheinlichkeit zu verleihen. Besteht wirklich, im Migräne-Anfall, bei mir ein Tetanus der vom Halstheil des rechten Sympathicus versehenen contrac- tilen Gebilde, so muss die Pupille der kranken Seite erweitert sein, Ein Blick in den Spiegel bei erster Gelegenheit, nach- dem ich auf diese Muthmassung verfallen war, zeigte mir, dass ich mich nicht getäuscht hatte. Doch ist es misslich, sich bei dieser Prüfung, ohne besondere Vorkehrungen, auf sein eigenes Urtheil zu verlassen. Das Hin- und Herwenden der Augen beim Vergleiche der Pupillen ist leicht mit einer Veränderung der Summe der Liehtmengen verbunden, die in beide Augen fallen, so dass man eine Veränderung in der Weite beider Pu- pillen leicht mit einem Unterschiede in der Weite beider ver- wechseln kann. Es traf sich aber vor einiger Zeit, dass ich während eines heftigen Anfalls den Besuch eines geübten Be- obachters, des Herrn Dr. Schacht, erhielt. Ohne ihm zu sagen, worum es sich handele, bat ich ihn meine Pupillen zu untersuchen, worauf er sogleich die des rechten Auges als die weitere bezeich- nete. Der Unterschied in der Weite beider Pupillen erschien umso beträchtlicher,” je beschatteter die Augen waren, ganz wie es bei dem Tetanisiren des Halstheiles des Sympathieus der Fall ist. Ich brauche nicht zu bemerken, dass ich ausserhalb der Anfälle ganz gleich weite Pupillen habe. Ich kann hinzufügen, dass, seitdem ich auf die Regio eilio- spinalis als den eigentlichen Sitz des Leidens aufmerksam ge- worden bin, ich die’ Dornfortsätze daselbst während und nach dem Anfalle beim Druck schmerzhaft gefunden habe. Danach ist es als ausgemacht anzusehen, dass bei mir in der Migräne Tetanus des Halstheiles des rechten Sympathieus stattfindet. Es kann sich nur noch darum: handeln, ob dieser Tetanus die Migräne, d. h. eine.dieselbe wesentlich ausma- Zur Kenntniss der Hemikrania. 467 chende Neuralgie nur begleite, oder ob er vielleicht die Mi- gräne selbst sei, d. h. die unmittelbare Ursache des Kopf- schmerzes enthalte. Die letztere Ansicht setzt voraus, dass man zugebe, der to- nische Krampf glatter Muskeln sei nieht minder schmerzhaft, als der der quergestreiften Muskeln im Wadenkrampf, dem Te- tanus beim elektrischen Tetanisiren u.'s. f£ Die Wehen des Uterus, die Kolik, erlauben keinen Zweifel an der Zulässig- keit dieser Annahme. Mit Hülfe derselben wird erklärlich, weshalb die Haut beim Fieberfrost schmerze. Und so ist leicht ersichtlich, dass, wenn die Gefässmuskeln auf der einen Seite des Kopfes im Tetanus begriffen sind, dies als halbseitiger Kopfschmerz empfunden werden könne. Dass ein so unem- pfindliches Thier, wie das Kaninchen, nicht schreit, wenn man das peripherische Ende des Halstheiles seines Sympathicus te- tanisirt, wird man nicht als Beweis für das Gegentheil anfüh- ren wollen. Auch die Wehen sind bei den Thieren nicht so schmerzhaft wie beim Menschen. Der Muskelschmerz beim Tetanus rührt vermuthlich her von dem Druck auf die innerhalb der Muskeln verbreiteten Gefühlsnerven. Dieser Druck, und folglich jener Schmerz, muss zunehmen, wenn die tetanischen Muskeln stärker ange- spannt werden, wie man dies beim Wadenkrampf erfährt, wenn man die Gastroknemien mittels der Antagonisten entweder, oder, bei unterstütztem Fussballen, mittels des Körpergewichtes dehnt. Dasselbe wird, bei Tetanus der Gefässmuskeln, durch gesteigerten Seitendruck des Blutes in den Gefässen bewirkt werden. So erklärt es sich also auch bei dieser Vorstellung, dass der Schmerz sich mit der Erhöhung des Blutdruckes im Kopfe steigere. Bei Annahme einer Neuralgie würde man sich, um dies zu deuten, wie in ähnlichen Fällen, z. B. beim Zahn- weh, bei Abscessen, zu denken haben, dass die empfindlicheren» Nerven den sonst nicht wahrgenommenen Druck der Gefüsse schmerzhaft verspüren. Doch scheint es, dem Gesagten zufolge, in meinem Falle kaum nöthig, noch nach einem anderen Grunde für den Kopf- schmerz, neben dem Tetanus der Gefässmuskeln, zu suchen. 468 E. du Bois-Reymond: Zur Kenntniss der Hemikrania. Ich bin übrigens weit entfernt zu glauben, dass alle und jede Migräne auf der bei mir nachgewiesenen Ursache beruhe. Ich habe vielmehr selber bereits Gelegenheit gehabt, sehr ausge- sprochene Fälle periodischen halbseitigen Kopfschmerzes zu beobachten, wo kein Unterschied in der Weite der Pupillen zu sehen war, also kein Inneryationsfehler im Bereich des Hals- theiles des einen Sympathicus stattzufinden schien. Seitdem ich die Praktiker unter meinen Bekannten auf den Gegenstand auf- merksam gemacht habe, ist denselben kein dem meinigen ähn- licher Fall vorgekommen, Eben so wenig gelingt es, einen solchen aus den Beschreibungen der Schriftsteller heraus zu er- kennen. Piorry hat zwar erwähntermassen die Migräne für eine Neuralgie der Iris erklärt, unter den Gründen aber, die er dafür beibringt, findet sich ein veränderter Durchmesser der Pupille nicht angeführt. In vielen, vielleicht den meisten Fällen, ist also wohl das Wesen der Migräne nach wie vor in einer Neuralgie zu suchen. Allein aus der Schaar früher unter diesem Namen begriffener Zufälle wird man nunmehr die hier erörterte Form als Hemi- krania sympathico-toniea auszuscheiden haben. Sonder- bar genug, wenn Kussmaul’s und Tenner’s Lehre richtig ist, welche den Grund mancher fallsüchtigen Zufälle in eine krampfhafte Zuschnürung sämmtlicher Kopfarterien setzt,') so würde sich meine Migräne von dieser Art der Epilepsie we- niger dem Wesen der dabei herrschenden Störung, als viel- mehr nur deren Grade und Ausdehnung nach unterscheiden. Heilbemühungen würden sich bei diesen Krankheitsformen, in Ermangelung anderer Indieationen, unstreitig eine Einwir- kung auf die Regio cilio-spinalis vorsetzen müssen, 1) Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere. Bd. III. 1857. S. 112—115. . . Ph. Owsiannikow: Ueber die feinere Structur u. s. w. 469 Ueber die feinere Structur der Lobı olfaetorii der Säugethiere, Von PH. OWSIANNIKOW. Zwei Endzwecke lassen sich an jedem thierischen Organe mus unterscheiden, die Erhaltung seines eigenen Lebens und die der Gattung. Beide Zwecke sind auf’s Innigste mit dem Nahrungserwerb verbunden, dieser aber wird begünstigt durch die grössere oder geringere Ausbildung einzelner Theile des Thieres, angepasst an ihr individuelles Leben. Der Raubvogel besitzt ein scharfes Auge, die Katze ein scharfes Gehör, der Hund eine feine Nase, der Mensch ein ausgebildetes, grosses Gehirn. ‘Während bei Thieren die stärkere Ausbildung einzel- ner Sinne und der mit ihnen verbundenen Gehirnpartieen, die- selben bei Aufsuchung der Nahrung oft zu sogenannten instinct- mässigen Handlungen veränlasst, ist die Selbsterhaltung des Menschen auf die Thätigkeit des grossen Gehirns vorzüglich angewiesen. Von diesem Gesichtspunkte aus war für mich die Un- tersuchung der Lobi olfactorii einiger Thiere, sowohl in Bezie- hung auf dieForm und Grösse, als auch auf die innere Structur, von grossem Interesse. Ferner war ich dazu veranlasst durch die Meinungen einzelner Physiologen, welche die aus den Lobi olfactorii ausgehenden Fasern bald für eine Art von Bindege- webe hielten, bald in ihnen eine so abweichende Structur von anderen Nervenfäden entdeckten, dass sie denselben die Nerven- thätigkeit absprachen. Selbst einer der grössten Physiologen unserer Zeit stellte die Frage auf, ob nicht der in der Nasen- schleimhaut sich verbreitende Ast des Trigeminus an der Ge- ruchsempfindung betheiligt sei. In diesen Zeilen übergehe ich die Grösse der Lobi olfac- 470 Ph. Owsiannikow:- torii, ebenso das Gewicht derselben; welches bei den verschie- denen Thieren im Verhältnisse zu dem grossen Gehirn, nach meinen Messungen und Wägungen, ein sehr verschiedenes ist. Je mehr das Leben des Thieres von dem Geruchssinn abhän- gig ist, desto entwickelter sind die Lobi olfactorii. Beim Men- schen spielen sie eine sehr geringe Rolle; sie sind bei ihm am wenigsten entwickelt. Die Form der Geruchskolben ist eine ovale und erinnert uns sehr an eine Bohne oder Niere. Das Herauspräpariren derselben ist sehr schwierig; es muss sehr vorsichtig geschehen und gelingt eher bei jungen Thieren, weil die Knochen weni- ger hart sind und leicht entfernt werden können. Sind dieselben herauspräparirt, so legt man sie in eine Chromsäurelösung oder in eine Lösung von doppeltchrom- saurem Kali. Will man die Elementartheile womöglich im Zusammenhange sehen, so sind die Präparate aus der Chrom- säurelösung, vorzuziehen, während zu der Untersuchung der Einzelheiten das doppeltchromsaure Kali bessere Resultate liefert. Wenn die Präparate schon so fest geworden sind, dass feine durchsichtige Plättehen daraus gefertigt werden können, so macht man einige Quer- und Längsschnitt. Um diese noch durchsichtiger zu machen, bediente ich mich des Glycerin, Aci- dum nitricum oder Schwefelsäure. Wenn auch die beiden letz- ten Lösungen vortreffliche Dienste bei der Untersuchung lei- sten, so ist Glycerin dennoch vorzuziehen, wenn die Schnitte längere Zeit aufbewahrt werden sollten. Sind. sie zu durch- sichtig, so fügt man etwas Wasser hinzu. Ich fange die Beschreibung mit einem Querschnitte an. In der Mitte des Schnittes sehen wir eine Oeffnung, die Höhle der Lobi olfaetorü. Ihre Länge und Breite correspon- dirt mit der Länge und Breite der Lobi olfactorii, die breiteste Stelle ist in der Mitte. Die Oentralhöhle ist bei allen’ Säuge- thieren, Fischen und Amphibien mit Cylinderepithelium besetzt, welches, in Beziehung auf die. Grösse der Zellen, bei verschie- denen Thieren keine bedeutenden Abweichungen darbietet« Ueber die feinere Structur der Lobi olfactorii der Säugethiere. 471 Diese Epithelialzellen besitzen im Allgemeinen die Form eines Trichters. y Beim Frosche sind sie 0,017 Mm. lang, 0,006—0,013 Mm. breit, Ochsen 0,022 „ „0,011 Mm. breit, bei jungen Schweinen 0,022, „ »: 0,006—80,008 Mm. breit. Bei den zuletzt genannten Thieren ist es mir am besten ge- lungen, das Verhältniss des dünnen Endes der Epithelialzelle zu dem Substrat der Lobi olfactorii zu verfolgen... An‘ den auf, die. bezeichnete Weise erhärteten Präparaten scheint es nämlich, als ob jede Epithelialzelle durch ihr dünnes Ende mit einem Faden des Substrates von der Breite von 0,001 Mm. eontinuirlicher. Verbindung stehe. - An der Verbindungsstelle findet sich eine längliche Anschwellung; diese giebt uns ein Bild, ‚als ob ein Röhrchen in das andere geschoben ist. Die einzelnen Fäden scheinen sich terner unter einem spitzen Winkel zu. verbinden, und in. die Bindegewebskörperchen, von. 0,002—0,004 Mm. im Durchmesser, überzugehen. Auch bei den. Fröschen habe ich unter gleichen Umständen die Verbin- dung der Epithelialzellen mit den. Bindegewebskörperchen ge- sehen. Ich muss dabei hervorheben, dass sich die Sache bei mit Chromsäure behandelten Präparaten so ausnimmt, wie ich es beschrieben habe. Es wäre aber wohl wünschenswerth, die besehriebenen Structurverbältnisse auch unter anderen Umstän- den und namentlich an frischen Präparaten nachweisen zu kön- nen. Die Epithelialzellen besitzen kleine Flimmerhaare. Gehen wir von den Epithelialzellen nach innen, in die Sub- stanz der Lobi olfactorii, so treffen wir auf. eine Sehicht, welche nur aus Bindegewebe und feinen Capillargefässen. be- steht. Hier finden sich keine Nervenelemente. Diese Schicht ist ganz von derselben Natur, wie jene, welche den Oentral- canal des Rückenmarks umgiebt. Diese Elemente bilden die erste Schicht, die die Central- höhle umgiebt, Die zweite, Schicht enthält hauptsächlich breite Nervenfa- sern, von 0,003 Mm., die fast parallel der Längsaxe der Höhle verlaufen, Bei einem Längsschnitte sieht man diese Fasern in starke Bündel gruppirt, bei einem Querschnitte erkennt man in 472 Ph. Owsiannikow: der Mitte jeder querdurchschnittenen Faser, den Cylinder axis. Blutgefässe sind hier sehr wenig, Nervenzellen gar nicht vor- handen. Von der äusseren Seite dieser Schicht trennen sieh kleine Bündel, die bei &rösseren Thieren, wie bei Hunden und Och- sen, an Längsschnitten mit blossem Auge, selbst an frischen Präparaten, deutlich zu sehen sind. Die Fasern gehen aus den Bündeln nach verschiedenen Seiten, werden feiner und verbin- den sich mit kleinen Nervenzellen von der Länge von 0,011 bis 0,013 Mm., 0,004—0,006 Mm. Breite. Diese Zellen, welche die dritte Schicht bilden, sind diesel- ben, die wir im Rückenmarke und im Gehirn als sogenannte „sensible“ Zellen kennen gelernt haben. Sie haben einen deut- lichen Kern, eine rundfiche, zuweilen etwas längliche Form und besitzen vier oder fünf ganz dünne Fortsätze. Mit anderen Worten heisst es, dass eine solche sensible Zelle mit vier oder fünf Nervenfäden in Verbindung steht. Nachdem die Fasern von einer Seite mit den Zellen sich verbunden haben, laufen »sie von der entgegengesetzten Seite aus denselben wieder her- aus und gehen zur Peripherie. Bei frischen Präparaten besitzt diese Schicht eine weisslich graue Farbe. Auch sind die Nervenfäden hier viel feiner als in der vorhergehenden Schicht, sie messen 0,002—0,001 Mm. Alle drei Schichten hängen sehr fest an einander. Die vierte Schicht trennt sich aber sehr leicht ab, sowohl an Chromsäure- präparaten als auch an frischen. Die Ursache davon ist ein überaus grosser Reichthum an Blutgefässen, die dem Beobachter als ziemlich dieke Stämme entgegentreten, besonders an der Grenzlinie der dritten Schicht. | Um die Gefässe deutlich zu sehen, habe ich dieselben mit Carmin gefärbt. Auch unterband ich bei lebendigen Thieren die Jugularvenen, um auf solche Weise eine künstliche Injec- tion der feinsten Gefässe mit Blutkörperchen zu erzielen. Man kann auch auf andere Weise zu diesem Ziel gelangen, wenn man z. B. die Thiere erdrosselt und eine Zeit lang mit dem Kopfe nach unten hängen lässt. Die feinen Nervenfasern der dritten Schicht überschreiten Ueber die feinere Structur der Lobi olfaetorii der Säugethiere. 473 meistens einzeln oder zu kleinen Bündeln gruppirt die Grenz- linie der vierten Schicht, werden dann noch feiner (0,0007 Mm.), besitzen aber noch ihr Nervenmark und erscheinen deshalb mit doppelten aber sehr feinen Conturen. In der vierten Schicht verbinden sie sich mit kleinen Ner- venzellen, die meistens alle bipolar sind, deren Länge gewöhn- lich 0,006 Mm. beträgt. Sobald die Fasern °4 dieser Schicht durchschritten haben, gruppiren sie sich zu mehr oder weniger starken Bündeln, die quer durchgeschnitten als runde, gleich- förmige Flecken von verschiedener Grösse sich ausnehmen. Die Bündel werden von Gefässen umsponnen und durch- setzt, so dass es im höchsten Grade schwer ist, dieselben zu zerfasern. Auch hier trifft man die bipolaren Nervenzellen an, Die Gefässe sind meistens so fein, dass sie keine Blutkör- perchen besitzen. Nicht selten haben die Bündel auf den Quer- schnitten die Form von Kolben, in derselben Weise, wie sie Leydig bei den Fischen gesehen hat. Die Art, wie die Fasern sich in Bündel gruppiren, lässt sich am deutlichsten an den Schnitten sehen, die den Lobi olfac- torii parallel gemacht sind. Es lässt sich auch nicht verschweigen, dass ich bei einigen grossen Thieren, z. B. bei Ochsen, in dieser Schicht unter einer Anzahl kleiner Zellen einzelne grössere gesehen habe. Diese Zellen finden sich aber selten, besitzen eine ziemlich bedeu- tende Anzahl nach allen Seiten hin gehender Fortsätze, die ich aber nie in dieke, sondern nur in feine Nervenfäden übergehen gesehen habe, In der vierten Schicht sind keine dieken Ner- venfasern vorhanden. Zuweilen sind die Durchschnitte der Blutgefässe den gros- sen Nervenzellen sehr ähnlich, weshalb als Zellen nervöser Natur nur diejenigen mit unumstösslicher Sicherheit bezeichnet werden können, deren Fortsätze in wirkliche Nervenfüden übergehen. In solehen Fällen, wo ein Gefäss Aehnlichkeit mit einer Nervenzelle hat, könnte ein feiner, kurz am Stamme durch- geschnittener Ast für den Kern der Zellen gehalten werden, Belcherl» u, du Bol-Reymond's Archiv. 1860, 3 474 Ph. Owsiannikow: z. B. a. stellt ein grosses, querdurchschnit- ANGER? tenes Blutgefäss vor, mit vielen Aesten. ® a b. ein kleines, welches an dem ersten dicht 2 abgeschnitten ist und unten liegt. So wird in dieser scheinbaren Zelle der Kern durch die Wandung des abgeschnittenen Stämmchens, das Kernkör- perchen dagegen durch das Lumen in dem Stämmcehen, oder noch täuschender durch ein sich dort befindendes Blutkörper- chen gebildet. Die Stämme der querdurehschnittenen Blutgefässe sind mei- stens viel dicker als die Nervenzellen. Die mit Glycerin befeuchteten Präparate geben besonders Veranlassung zur Verwechselung, indem die Gefässwandungen ein fein granulirtes Ansehn annehmen, welches dem Inhalte der Nervenzellen täuschend ähnlich ist. Die Gefässe werden durch Chromsäure eben so wie die Nervenzellen gelblich gefärbt. In der neuesten Zeit haben einige Beobachter den Carmin, welcher besonders die Nervenzellen färben soll, zum Auffinden R = J dieser Zellen vorgeschlagen. Nach meinen Beobach tungen ist er aber ein sehr trügerisches Mittel. Der Carmin färbt ausser den Nervenzellen noch viele andere Elemente, z. B. Gefässe, Blutkörperchen, Epithelialzel- len, Bindegewebe, Bindegewebskörperchen u. s. w. Nur die Nerven, wenn sie noch Nervenmark besitzen, werden nicht ge- färbt; der Cylinder axis, sobald er nackt ist, wird gefärbt. Es ist eine interessante T’hatsache, dass, nachdem die Fa- sern sich mit den Zellen verbunden und zu Bündeln gruppirt haben, einzelne von ihnen sich so dicht an einander legen, dass es scheint, als ob sie eine gemeinschaftliche Hülle erhalten hätten. Die meisten Beobachter halten die Geruchsnerven für mark- los; nach meinem Dafürhalten ist jener leichte, staubförmige Anflug, mit dem der Cylinder axis bedeckt ist, für das Nerven- mark anzusehen. Er verliert sich freilich bei weiterem Verlauf und scheint nichts Wesentliches bei der Nerventhätigkeit zu bilden. Ueber die feinere Structur der Lobi olfactorii der Säugethiere. 475 Die Olfactoriusfasern unterscheiden sich wesentlich von an- deren Nervenfasern; sie sind hell, bandartig, hängen sehr an einander und erinnern uns an die Fasern, die wir im Rücken- marke von Petromyzon kennen gelernt haben, sie müssen aber dennoch für wahre Nervenfäden gehalten werden, da ich auf’s Deutlichste ihren Zusammenhang mit den Zellen und dunkel- randigen Fasern der Lobi olfactorii gesehen habe. Die Olfactoriusfasern habe ich in der Schleimhaut gewöhn- lieh 0,006—0,008 Mm. breit gefunden. Kocht man dieselben längere Zeit in Wasser, angesäuert mit Acid. nitr., so reissen sie in der Weise, dass aus jeder Faser 5—8 und mehr kleine Härchen hervorragen, welche wohl nichts anderes sind, als Axeneylinder. Somit scheinen mehrere Nervenfäden eine ge- meinschaftliche dicke Hülle zu haben. Um die Endigung der Geruchsnerven in der Nasenschleim- haut zu verfolgen, verfuhr ich auf folgende Weise. Nachdem die Geruchskolben von dem äusseren Knochen abgetrennt wor- den, legte ich das Präparat in Chromsäurelösung. Nach ein paar Wochen verwendete ich dasselbe zur Anfertigung von Sehnitten durch die Schleimhaut. Da letztere bei jungen Thieren auf Knorpeln aufsitzt, und diese sich sehr gut schneiden las- sen, so gelingt es, an einzelnen durchsichtigen Präparaten, ‚die Fasern bis zu ihrem Ende zu verfolgen. Eine andere Methode ist folgende: Man legt die abpräparirten Lobi olfactorii und die von oben geöffnete Nasenhöhle in eine Lösung von chromsaurem Kali Nach 3—6 Tagen nimmt man das Präparat heraus und trennt ein Stückchen Nasenschleimhaut ab, und zwar so, dass man den aus den Lobi olfactorii heraustretenden Stamm mit blossen Augen sehen kann. Nun legt man diese Schleimhaut in reines Wasser und fügt einige Tropfen Acid. nitr. hinzu. Darauf, wenn das Präparat einige Minuten auf einer Spirituslampe ge- kocht hat, legt man dasselbe auf ein Glas und bedeckt es mit einem Deckgläschen. Durch diese Behandlungsweise wird die Schleimhaut so durchsichtig, dass man die Bündel des Olfactorius mit einer überraschenden Deutlichkeit hervortreten sieht. ‚Je weiter man 31" 476 Ph. Owsiannikow: Ueber die feinere Structur u. s. w. die Bündel von der Eintrittsstelle aus verfolgt hat, desto deut- licher sieht man die einzelnen Fasern. Endlich bemerkt man, dass die 0,006 Mm. breiten Fasern in einige feine, helle, nicht varicöse zerfallen. Um aber die feinen Fäden bis zu ihrem äusseren Ende besser sehen zu können, ist es gut, das Schleim- hautstückehen mit feinen Nadeln zu zerfasern, und dann erst bedeckt mit einem Deckgläschen der mikroskopischen Beob- achtung zu unterwerfen. Ich habe die Fasern an solchen Präparaten auf folgende Weise sich endigen gesehen. Einige Fasern schienen sich mit den an der Oberfläche be- findlichen langen Epithelialzellen zu verbinden, welche von vie- len Autoren mit Recht als Geruchszellen bezeichnet werden. Dieselben unterscheiden sich von anderen Epithelialzellen da- durch, dass sie lang und schmal sind. Ihr Kern sitzt mehr an ihrem Anfange und hat Aehnlichkeit mit einer Nervenzelle. Die Flimmerhaare, welche sehr blass, kurz und gerade sind, können nur in Humor aqueus gesehen werden, und zwar an ganz frischen Präparaten. Die eigentlichen Epithelialzellen der Nasenschleimhaut besitzen keine so regelmässige Stäbchenform, haben einen Kern mitten in der Zelle; die Flimmerhaare sind stark, lang, gekrümmt und widerstehen dem Wasser und der schwachen Säure. Andere Nervenfasern, nachdem sie sich mit Zellen verbun- den haben, welche den bipolaren Nervenzellen ähnlich sind, drängen sich zwischen die Epithelialzellen. Hier sollen sie, nach Untersuchungen von Ecker und Anderen, frei endi- gen. Obschon Ecker zu den tüchtigsten Beobachtern ge- hört, glaube ich in dieser Hinsicht ihm nicht beistimmen zu können. Ich habe diese Nervenfasern sehr oft mit kleinen, trichterförmigen Zellen, welche auch dünne, gerade Cilien 'hat- ten, sich verbinden sehen. Dort, wo die Zellen fehlten, waren sie unstreitig abgestossen. Ausserdem ist eine freie Endigung der Nervenfasern eines Sinnesorgans nach dem heutigen Stande der Wissenschaft nicht gut denkbar. Es muss ein Vermitt- lungsorgan zwischen der Aussenwelt und dem Nerven ange- nommen werden, W. Kühne: Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 477 Nachdem ich die Geruehsnerven von ihrem Anfange in den Lobi olfaetorii bis zu ihrem Ende in der Nasenschleimhaut verfolgt habe, muss ich noch folgende Bemerkungen zufügen. Zwischen dem rechten Lobus olfactorius und dem linken exi- stirt keine Commissur, eine solche scheint übrigens physiologisch »ieht nothwendig zu sein. Verfolgen wir die Fasern der zweiten Schicht aus den Lobi olfaetorii nach hinten, so sehen wir dieselben zum grossen Gehirn gehen und sich dort in kleinen Nervenzellen verlieren. Diese Fasern stellen also eine Verbindung; zwischen den Geruchszellen und dem grossen Gehirn dar. Schliesslich muss ich noch hinzufügen, dass ich in den Lobi olfaetorii keine einzige solehe Nervenzelle gesehen habe, die mit dem sogenannten sympathischen Aehnlichkeit gehabt hätte. Die Structur der Lobi olfaetorii habe ich bei versehiedenen Thieren untersucht: bei Ochsen, Kälbern, Schweinen, Hunden, Katzen, Hasen, Mäusen und Maulwürfen, überall habe ich die- selben Verhältnisse wiedergefunden. Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. Von Dr. W. Küunte. Das unter dem Namen Curare bekannte amerikanische Pfeil- gift nimmt in der jüngsten Geschichte der Physiologie einen #0 wichtigen Platz ein, dass die vorliegende Untersuchung keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Zahlreiche Arbeiten im Gebiete der Toxikologie haben schon früher gezeigt, zu welcher bedeutenden Rolle die Gifte in der Physiologie berufen sind, da ein guter Theil der Lehre von den Reflexen und der Thä- tigkeit des centralen Nervensystems auf dem Studium des Strychnins und der Narkotika beruht, Eine ähnliche Bedeu- 478 5 W. Kühne: tung hat im Augenblicke das Curare gewonnen, denn es ist unläugbar, dass fast die ganze neuere Entwicklung unserer Kenntnisse von dem motorischen Nerv-Muskelapparat in den letzten Arbeiten von Cl. Bernard und Kölliker über das Pfeilgift ihren Ursprung findet. Namentlich bezieht sich dies auf das jetzt allgemein so lebhaft hervortretende Interesse an der Irritabilitätsfrage, welches seinerseits eine ganze Literatur über das Curare hervorzurufen scheint. Die folgende Mitthei- lung soll hiervon keine Ausnahme machen, sie dürfte sich aber darin wesentlich von den bisher erschienenen Untersuchungen unterscheiden, dass hier die selbständige Reizbarkeit der Mus- kelfaser als auf anderem Wege bereits bewiesen vorausgesetzt wird, obgleich nicht geläugnet werden soll, dass die Beweis- kraft der Curare-Vergiftung für die Irritabilität die Frage bil- dete, von welcher anfangs ausgegangen wurde. Wenn Köl- liker, der erste mit Bernard übereinstimmende Forscher, seine Ansichten über die Wirkung des Giftes als besonders vorurtheilsfrei aufzunehmen bittet, weil ihm die Irritabilität noch für eine offene Frage gegolten habe, indem er die von Eckhard vorgebrachten angeblichen Gegenbeweise bestritt, so ist es vielleicht nicht unbillig für eine Untersuchung, welche unbekümmert um die Rettung der Muskelirritabilität zu Werke gegangen, ein ähnliches Wohlwollen zu beanspruchen. Es han- delt sich im Augenblicke nicht mehr ausschliesslich darum, ob die Curare-Vergiftung in dieser Hinsicht beweisend sei, sondern um die Verfolgung des ganzen geheimnissvollen Vorgangs, der durch das Gift in’s Werk gesetzt wird. Wenn man ein Thier auf irgend eine Weise mit Curare ver- giftet, so findet man dasselbe bekanntlich nach kurzer Zeit in einem Zustande vollkommener Lähmung. Reizung des Rücken- marks oder der Nerven erzeugt gar keine Bewegungen mehr, und nur solche Einflüsse, welche direct die Muskeln treffen, rufen Contractionen hervor. Dieser Erfolg der Vergiftung ist so allgemein bekannt und so vielfach bestätigt, dass uns nur die Erklärung der Erscheinung übrig bleibt. Für diejenigen, Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 479 welche geneigt sind, der Muskelfaser selbständige Reizbarkeit zuzuschreiben, wird es immer sehr einladend sein, auzunehmen, dass das Gift die Nerven in ihrer ganzen Ausdehnung beein- Alusse, während Andersgesinnte sich gern dem Zweifel über- lassen werden, ob das Gift nicht doch einen Theil der Nerven verschone, und zwar hauptsächlich die allerletzten im Muskel enthaltenen Ausstrahlungen. Im Anschlusse an diese beiden Ansehauungsweisen wird in dem Folgenden zuerst von dem Verhalten der intramuscularen Nerven, und später von dem der motorischen Stämme gehandelt werden. l. Vom Einflusse der Curare-Vergiftung auf die im Muskel liegenden Nerven. Schon Bernard und Kölliker haben das Bedürfniss ge- fühlt, durch Versuche wahrscheinlich zu machen, dass die Läh- mung der Nerven sich nicht auf die motorischen Stämme be- schränke, sondern auch bis in die intramuscularen Enden hinab wirke, Durchschneidung der Nerven zeigte, dass bei der Vergiftung an einen vom Rückenmark nach der Peripherie ausgehenden Vorgang nicht zu denken sei, und hierdurch ent- stand zugleich die Vermuthung, ob das Gift nicht gerade um- gekehrt von der Peripherie nach dem Centrum seine Wirkung entfalte., Weitere Versuche liessen darauf erkennen, dass die Nervenstämme längere Zeit vor der Lähmung bewahrt werden können, wenn dem Gifte durch Unterbindung der in den Mus- kel eintretenden Blutgefässe der Zutritt zu ihrer Peripherie ver- sperrt wurde. Jedenfalls liegt hierin der erste Grund für die Annahme, dass das Curare vorzugsweise solche Theile der Nerven lähme, welche im Inneren des Muskels liegen, während die Betheiligung der Stämme damit sogar zweifelhaft wird. Die Verwendung dieser Erfahrungen für die Irritabilitätslehre schliesst jedoch den leicht zu übersehenden Trugschluss in sich, dass die Lähmung der Nerven gerade bei den letzten intra- musenlaren Spitzen beginnen müsse, damit ein solches Aufstei- gen des Vorgangs von der Peripherie nach dem Centrum mög- lich werde. Um diese Klippe zu vermeiden, müssen wir uns begnügen, aus den bis hieher vorliegenden Thatsachen nur den 480 W. Kühne: Sehluss zu ziehen, dass das Curare- einen gewissen Abschnitt sämmtlicher im Muskel liegenden motorischen Nervenfasern leitungsunfähig mache, indem wir vor der Hand noch ganz davon absehen, ob die einmal erreichte Lähmung dieser Ge- bilde in. den Primitivfasern aufwärts bis in die Stämme vor- dringe. Bei diesem Stande der Dinge ist es natürlich, dass spätere Untersuchungen besonders auf das letzte peripherische Ner- venende Rücksicht genommen haben, und wir wären wahr- scheinlich mehr darüber aufgeklärt worden, wenn sich auch die Experimentirung gerade an diesen Theil gehalten hätte. In Wahrheit ist dies jedoch nur geschehen von Einem, von Ha- ber,'!) welcher unter Reichert’s Leitung das ganze Gebiet der Curare-Versuche einer erneuerten Prüfung unterzog. Haber hat unter sehr deutlicher Beziehung auf die Mitwirkung Rei- ehert’s auf eine schon von den ersten Beobachtern bemerkte Erscheinung besonderes Gewicht gelegt, nämlich auf die soge- nannten localen Zuckungen, welche die Muskeln mit Curare vergifteter Thiere bei direeter Reizung darbieten. Es ist dies ein Punkt, auf welchen hier genauer eingegangen werden muss, weil er von Anfang an zu Missverständnissen der verschieden- sten Art Anlass gegeben hat. Zuerst wurde behauptet, die vergifteten Muskeln zeigten eine grosse Geneigtheit zu bloss örtlichen auf die Reizstelle beschränkt bleibenden Contrac- tionen, während ausserdem bemerkt wurde, dass nur die Pri- mitivbündel zuckten, welche entweder mit den Elektroden, oder mit anderen Reizmitteln direct in Berührung gekommen. In meiner ersten Mittheilung über chemische Reizung bin ich be- müht gewesen, die erstere Angabe als irrig zu bezeichnen, und ich brauchte hier nieht von Neuem darauf hinzuweisen, wenn nicht von Seiten der Redaction dieses Archivs der Sinn meiner damaligen Beweisführung entstellt wäre durch eine Anmerkung, welche die zweite Erscheinung in Erinnerung bringt, wo von ihr gar nicht die Rede ist.?) Wie sehr übrigens die Zurück- 1) Siehe dieses Archiv. 1859. 1. Heft S. 98. 2) Myologische Untersuchungen von W. Kühne. Leipzig bei Veit & Co. 1860. 8. 32. Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 481 weisung der von Kölliker behaupteten Art localer Contrac- tionen früher am Platze war, erhellt jetzt aus der neuesten Angabe der mikroskopischen Anatomie dieses Autors, in wel- cher sich derselbe die viel besprochene Schiff’sche idiomuseu- läre Contraetion hier zu Nutze macht. An ein Missverständ- niss von meiner Seite ist nach diesen neueren Belegen nicht zu denken. Da dieser Gegenstand demnach für erledigt wer- den kann, so bleibt uns jetzt nur die andere Erscheinung übrig, nämlich das isolirte Zucken einzelner Primitivbündel bei localer Reizung der Muskeln. Die Thatsache ist von Haber auf Reichert’s, wie es scheint, ausdrücklichen Antrieb zu einem Beweise für die Läh- mung der allerletzten peripherischen Enden der intramus- eularen Nerven benutzt worden. Wie nachher gezeigt werden soll, ist sie indessen dazu durchaus nicht geeignet, vielmehr lässt sich mit grosser Leichtigkeit darthun, dass ein so scharfer Unterschied zwischen vergifteten und unvergifteten Muskeln gar nicht existirt. Es giebt Muskeln, welche auf grossen Strecken gar keine Nerven enthalten, wie z. B. der Sartorius der Frösche, und. diese geben von allen Stellen ihrer nervenlosen Endab- schnitte aus nie andere als locale Zuckungen, sobald die Ver- bindungslinie der Elektroden den Muskelprimitivbündeln parallel läuft. Aber nicht nur diese Abschnitte, sondern auch viele an- dere mitten zwischen dem intramuseularen Nervenknäuel gele- gene Stellen können bei demselben Verfahren ausschliesslich lo- eale Zuckungen darbieten, so dass die Zahl derjenigen Punkte, von welchen aus bei localer Reizung ausgebreitete Conträc- tionen entstehen, sich als ungemein klein herausstellt. Es giebt im Sartorius sogar nur eine einzige Stelle, deren locale Rei- zung Zuckung des ganzen Muskels hervorruft, und diese ent- spricht genau dem Eintritt seines Nerven. Alle anderen selbst nervenhaltigen Orte, an welche man die Elektroden wandern lässt, liefern immer nur mehr oder minder ausgebreitete Zuckungen. Belbstverständlich darf bei diesen Versuchen nur das Minimum der Stromdichte zur Reizung benutzt werden, da man sicher sein muss, dass nur die von den Elektroden be- 482 W. Kühne: rührten Muskelprimitivbündel von einer zur Zuckung hinrei- chenden Erregung betroffen wurden. Hiermit soll nun keineswegs geläugnet werden, dass der vergiftete Muskel sich in dieser Beziehung anders verhalte, es scheint nur, dass weder Haber noch Reichert das Verhalten normaler Muskeln recht vor Augen gestanden hat. Es ist richtig, dass der vergiftete Muskel, wie ich mich selbst oft überzeugt, bei dem Minimum der erforderlichen Reizung stets nur locale Zuckungen zeigt, und zwar auch bei Anlegung der Elektroden an die Theile des Sartorius, von welchen vor der Vergiftung ausgebreitete Zuckungen hervorgebracht werden konnten, und es ist ferner richtig, dass eine Ueberschreitung des Minimums der Reizung die Erscheinung nicht wesentlich beeinträchtigt. Allein es bleibt hier zu berücksichtigen, dass man bei vergifteten Muskeln viel dreister jenes Maass über- schreiten kann, weil die letzteren weit weniger erregbar sind als die unvergifteten, und deshalb die Stromeseurven von ge- ringerer Dichte minder gefährlich sind. Bedient man sich aber stärkerer Reizungen, so bleiben ausgebreitete Contraetionen auch hier nieht aus, und es ist immerhin ein glücklicher Zufall gewesen, wenn in den Haber’schen Versuchen das richtige Maass eingehalten wurde. Der Unterschied zwischen unvergifteten und vergifteten Muskeln besteht nach dem Angeführten also darin, dass die letzteren auch von nervenhaltigen Theilen aus bei sorgfältiger Ueberwachung der Stromstärken in locale Zuckungen ver- fallen. Viele Vorschriften liessen sich geben, um die Erschei- nung deutlich zur Anschauung zu bringen. Unter anderen lässt sich mittelst der mechanischen Reizung, durch Scheerenschnitte nämlich, zeigen, dass immer nur die Fasern, welche durch- schnitten werden, zucken, ferner dass chemische Reize, die auf die Nerven wie auf die Muskeln wirken, z. B. Kali, nur locale Zuckungen in demselben Sinne erzeugen, und endlich, dass der in einer früheren Abhandlung") beschriebene Versuch mit einem gespaltenen Sartorius des Frosches nach der Vergiftung durch 1) Myolog. Untersuch. $. 35, Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 483 Curare immer nur Zuckung der einen, dem direet gereizten Muskelzipfel entsprechenden Seite liefert. Um die Zuekungen fast nur eines einzigen Muskelprimitivbündels zu sehen, kann man sich der unipolaren Inductionszuckungen bedienen. Der Nerv des vergifteten Schenkels wird auf die Elektroden eines starken Inductionsapparats gelegt, während die Muskeln auf einer trockenen Glasplatte ruhen. Berührt man die letzteren irgendwo mit einer feinen Nadel, welche durch die Hand die leitende Verbindung mit dem Erdboden vermittelt, so sieht man eine äusserst schmale und flache feine Furche in der ganzen Länge des Muskels entstehen, welche gleich nach dem Entfer- nen der Nadel wieder verschwindet. Wie ganz anders die uni- polaren Zuckungen bei einem normalen Froschschenkel ausfal- len, ist bekannt. Mit dem Zugeständniss, dass ein Unterschied zwischen den Muskeln vor und nach der Vergiftung erkennbar sei, soll, wie schon bemerkt, nicht eingeräumt werden, dass gerade dieses Verhalten den schlagenden Beweis lieferte für die Lähmung der Verknüpfungsenden des motorischen Nerven mit dem Mus- kel. Dieser Gedanke beruht auf einer falschen Voraussetzung, welche Reichert aus seiner rein anatomischen Untersuchung der Nervenverbreitung in den Muskeln gezogen hat. Reichert findet in den intramuscularen Nerven ein Streben jeder einzel- nen Primitivfaser, mit recht vielen, womöglich mit alleu Mus- kelprimitivbündeln in Berührung zu treten, und er schliesst daraus, dass somit auch jede Nervenprimitivfaser mit jeder Muskelröhre in physiologisch wirksame Beziehung trete. Diese letztere Ansicht hat offenbar in den Versuchen über das Cu- . rare ihre erste Anwendung finden sollen. Sie ist aber nur eine Ansicht, und wir können uns nicht versagen, sie bei Seite zu lassen, um die immer viel werthvollere Beobachtung allein zu verwenden, Nehmen wir die Sache objectiv, ohne uns von den Nervenprimitivfasern etwas über ihre Gelüste nach Um- windung der Muskelfasern mittheilen zu lassen, so finden wir durchschnittlich nicht in allen einfachen Muskeln das von Reichert so umständlich geschilderte Bild, und ziehen wir dazu noch das Experiment zu Rathe, 80 zeigt sich, dass trotz 484 W. Kühne: dieser nahen Berührung jede Nervenprimitivfaser im erregten Zustande doch nur eine sehr kleine Anzahl von Muskelprimi- tivbündeln zum Zueken veranlasst. Der Umstand, dass schon Johannes Müller sehr gut wusste (Handbuch der Physiologie Bd. I. 4. Aufl. S. 554-535), wie einzelne Nervenfasern vom Stamme getrennt und isolirt von den übrigen gereizt nur. locale fibrilläre Zuckungen hervorrufen, überhebt mich einer ausführ- licheren Mittheilung meiner Versuche. Es ist sehr leieht, am Sartorius die fibrillären Zuckungen vom Nerven aus zu beob- achten. Der Nerv kann leicht in mehrere Aeste hart vor dem Eintritt in den Muskel aus einander gezerrt werden, so, dass man der Reihe nach durch meehanische, chemische, selbst schwache elektrische Reizung die verschiedensten Absehnitte des Muskels zucken sehen kann. Ausserdem könnten in einer frü- heren Abhandlung mitgetheilte Versuche!) über Neryenverbrei- tung in den Muskeln noch den Beweis liefern, dass auch die intramuseularen seeundären Stämmcehen nie den ganzen Muskel zur Contraction zu bringen vermögen. Diese Versuche, auf welche nur hingewiesen zu werden braucht, widerlegen zur Genüge die Ansicht, dass die Berüh- rung der Nervenprimitivfasern mit den Muskelprimitivbündeln, das Umwinden oder Anliegen dieser Theile von einander zu- gleich die Bedingung der physiologischen Verknüpfung erfülle; Es mag das für das Verhalten des Muskels oder des Nerven nicht gleichgültig sein, gewiss können wir aber schliessen, dass der erregte Nerv auf diesem Wege keine Veranlassung zur Zuckung des Muskels werden könne. Alles, was wir überhaupt wissen über die in den Nerven wirksamen Kräfte, führt darauf hin, dass ganz allgemein, bei Allem was Muskel heisst, der _ | Nerv irgend wo continuirlich in die contractile Substanz über- gehen müsse, wofür schon jetzt auch Analogieen mit den wir- bellosen Thieren sprechen. Der physiologische Versuch, verbunden mit dem von Rei- ehert gefundenen anatomischen Verhalten liefert vielleicht den besten Beweis zu Gunsten dieser Anschauung. Wir wissen 1) Myol. Untersuch. S. 90. Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 485 freilich schon, dass künstliches Anlegen eines erregten Nerven an den Muskel den letzteren nicht zur Zuckung bestimmt, der Versuch wird aber ziemlich roh erscheinen, wenn man sich z. B. das Analogon für die Secretion der Drüsen denkt. An- legen oder Umwickeln einer Drüse mit einer Arterie wird uns keine Seeretion liefern. In dem Falle, wo wir einen zerfaser- ten Nerven reizen und nur fibrilläre Zuckungen erhalten, haben wir aber nach Reichert einen erregten Nerven, der ähnlich den Capillaren in engster Continuität mit allen Muskelprimi- tivbündeln steht. Wenn sie nun trotzdem nicht alle zucken, sondern nur 5 oder 10 unter 500, so müssen wir hierin oflen- bar den wichtigsten Fingerzeig erblicken für eine specifische Endigungsweise, für das Durchtreten der Nerven durch das Sarkolemm, oder für irgend einen Zusammenhang durch Con- tinuität. Offenbar soll nach der Reichert’schen Ansicht das Ge- gentheil stattfinden, und in diesem Falle würde das Verhalten der vergifteten Muskeln unfehlbar den Beweis liefern, dass jede Zuekung ihren Grund haben müsse in einer direeten Erregung, ohne jegliche Nervenvermittlung. Der Versuch beweist hinge- gen nur, dass zwischen den intramuseularen Stämmcehen, ihren einzelnen Nervenprimitivfasern, und selbst den secundären aus Dheilungen hervorgegangenen Fasern, keine Communication mehr mit dem Muskel existirt. Es ist der bekannte Versuch, dass, nach der Vergiftung, Reizung des Nerven keine Zuckung mehr hervorruft, auf ein Muskelprimitivbündel und eine Nervenpri- mitivfaser übertragen, und hierin liegt zugleich der entschiedene Fortschritt, welcher damit erreicht worden. Dieselbe Anerkennung kann einer anderen Arbeit über das Ourare nicht gezollt werden, der Untersuchung von Funke, ') nämlich insonderheit nicht dem Theile ‚derselben, welcher sich mit dem Verhalten der intramuscularen Nerven beschäf- tigt, obgleieh sich der Autor gerade die Lösung dieser Frage vorgenommen hatte. Kunke hat auf Kölliker’s Anregung 1) Berichte der 'königl. Sächsischen Gesellsch. der Wissenschaften. 1859, 15, Januar. 486 W. Kühne: das elektromotorische Verhalten der Nervenstämme mit Curare vergifteter Thiere untersucht, und glaubt beweisen zu können, dass das Gift auf die Nervenstämme gar nicht lähmend wirke. Geben wir ihm,die Richtigkeit dieser Behauptung auch einst- weilen zu, so ist doch gar nicht einzusehen, wie daraus irgend etwas für den Zustand der intramuscularen Nervenenden ge- folgert werden kann. Es bleibt ganz unverständlich, wie Funke hat glauben können, der Frage überhaupt beikommen zu kön- nen, indem er sich bei seinen Versuchen von den im Muskel enthaltenen Nerven, auf die allein es ankam, absichtlich fern hielt, noch unbegreiflicher ist es aber, dass Funke bei dieser Methode der Forschung zu dem Schlusse kommt, die intramuscularen Nerven würden nicht gelähmt. Ist es gestattet aus seinen Versuchen überhaupt, wenn auch nur einen Wahr- scheinlichkeitsschluss zu ziehen, so lautet derselbe entschieden für das Gegentheil: Verhält sich der Nerv bis zu seinem Ein- tritte in den Muskel normal, und ruft seine Reizung doch keine Zuekung hervor, nun so muss der Grund in einem verschie- denen Verhalten des intramusceularen Endes, in einer Lähmung dieses Theiles liegen. Die Vorurtheile, in denen Funke be- fangen war, verschlossen ihm, wie es scheint, diese einfache Logik, er sieht sich auch gedrängt, eine verschiedene Einwir- kung des Giftes auf verschiedene Strecken der Nerven an- zunehmen, und setzt einen für das Curare empfindlichen Zwi- schenapparat voraus, an dessen peripherischem Ende er aber ganz willkürlich ein Stück anfügt, das sich verhalten soll wie der Nervenstamm. Wenn diese Annahme irgend welche Wahr- scheinlichkeit für sich hätte, so hat Funke selbst dafür ge- sorgt, ihr auch diesen Rest zu nehmen, indem er seinen ver- mutheten Zwischenapparat mit einer Ganglienzelle vergleicht. Kein Anatom hat bisher auch nur eine Andeutung wahrnehmen können, kein Physiolog wird sich hierdurch befriedigt fühlen, da ja Funke selbst sehr fest darauf besteht, dass alle Gan- glien des Rückenmarks nicht unter der Vergiftung leiden. Ge- nug, Funke hat eine grosse, mühsame Untersuchung ange- stellt, ‚welche ihn seinem, Ziele um keinen Schritt näher ge- bracht. Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 487 Ein Eingehen auf die im Vorstehenden besprochenen Ar- beiten über die Wirkung des Pfeilgiftes schien mir nothwendig, da ich selbst zugeben muss, dass mir die vorgebrachten Zweifel kaum hinlängliches Gewicht zu besitzen schienen, bevor mir die jetzt mitzutheilenden Thatsachen bekannt waren. In einer früheren Abhandlung!) habe ich ausführlich dar- zuthun versucht, wie die Erregbarkeit eines Muskels auf's engste zusammenhängt mit seiner Nervenverbreitung, und wie bei der directen elektrischen Muskelreizung die Mitwirkung der intra- muscularen Nerven deutlich erkannt werden kann. So wurde gefunden, dass ein parallel faseriger geradliniger Muskel, wie der Sartorius des Frosches, ganz constant eine bestimmte Curve der Erregbarkeit besitzt, dass nämlich die schwächsten Reize nur an der Stelle seines Nerveneintritts wirken, während weiter davon entfernt gelegene Orte elektrischer Stromesschwankungen von grösserer Dichte bedürfen, um in den erregten Zustand überzugehen. Der Muskel besitzt also nie in allen Punkten gleiche Erregbarkeit. Die Thatsache konnte nicht anders er- klärt werden, als durch das in den verschiedenen Abschnitten des Muskels relativ verschiedene Vorkommen der Nerven, iu- dem eine plötzliche Lähmung derselben durch den Anelektro- tonus unmittelbar den Beweis lieferte, dass der so von jegli- chem Nerveneinfluss befreite Muskel in allen Punkten gleiche Erregbarkeit erlangt. Wir wissen demnach jetzt, wie sich ein Muskel verhalten muss, wenn bei der Reizung die Nerven mitbetheiligt sind, und welche Erscheinungen umge- kehrt eintreten müssen, wenn die Nerven gänzlich ausgeschlos- sen sind. In diesem Umstande liegt ein Mittel zum Aufschluss über das Verhalten der intramuseularen Nerven nach der Ver- giftung mit Öurare. ' Bekanntlich bat J. Rosenthal nachgewiesen, dass von zwei Muskeln desselben Thieres stets derjenige erregbarer ist, welcher vor der Berührung mit dem Curare bewahrt blieb, als der, welcher der Vergiftung unterlag, und es lag nahe, diese Abnahme der Erregbarkeit nach der Curarevergiftung durch —— - 1) Myologische Untersuch. Ss, 81. 488 W. Kühne: die Entfernung der intramuseularen Nerven zu deuten. Schon die ersten Versuche an einem vergifteten Sartorius überzeugten mich jedoch, dass trotz der gesunkenen Erregbarkeit immer noch ein ähnliches Verhältniss zwischen nervenreichen, nerven- armen und nervenlosen Abschnitten besteht, wie bei den nor- malen Muskeln, und ich glaubte mit Recht diese im Wesent- lichen neue Thatsache zum Ausgange einer Untersuchung über die Wirkung des Pfeilgiftes machen zu dürfen. Der Leser möge entschuldigen, wenn auch hier erst mit der Darstellung neuer und eigener Versuche begonnen wird. Die ersten Versuche wurden mit sehr verschiedenen Sorten des Pfeilgiftes begonnen. Ich verwendete das früher von Hrn. - Kölliker benutzte Gift, dann eine Portion des von Hrn. Cl. Bernard mir überlassenen Curare und später, während meines kurzen Aufenthalts in Berlin wieder das Gift aus der Calebasse des Herrn E. du Bois-Reymond. Dem Letzteren sei bei dieser Gelegenheit wieder mein verbindlichster Dank gesagt für die wiederholte gütige Aufnahme in seinem Laboratorium. Nach Paris zurückgekehrt wurden alle früheren Versuche mit einer neuen Giftsorte wiederholt, und die ganzen ferneren Untersu- ehungen mit diesem fortgesetzt. Nur auf dieses Curare bezieht sich das in dem Folgenden Mitgetheilte, obgleich ich mich überzeugt habe, dass die übrigen Sorten in vielen wesentlichen Punkten ganz dieselbe Wirkung ausüben. Das letztverwendete Curare wurde mir von dem Reisenden Herrn E. Carrey gü- tigst überlassen, welcher es selbst von den an den Ufern des Orinoko lebenden Ticunas-Indianern an sich gebracht hatte. Leider ist über die Bereitung auch von diesem in grösserer Menge nach Europa gelangten Curare nichts zu erfahren ge- wesen, denn es scheint, dass die Eingebornen fortwährend ein Geheimniss daraus machen. Wie mir Herr Carrey mittheilt, versteht man unter Curare und seinen Synonymen in Amerika jedoch nur, was wir Gift nennen, so dass die verschiedensten Substanzen mit diesem Namen belegt werden. Auch soll das Wort selbst unter den Indianern kaum mehr gebräuchlich sein, da es dem spanischen Veneno hat Platz machen müssen. Man darf sich deshalb nicht wundern, wenn einzelne amerikanische Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 489 Pfeilgifte, die unter dem Namen Curare eireuliren, sehr ver- schiedene Wirkungen zeigen. Das von Herrn Boussingault mitgetheilte Pfeilgift z. B., so wie zwei jüngst unter den Na- men Vao und Cörowal hierher gelangte Sorten verhalten sich ganz ähnlich wie das Upas antiar. ‘Das von Herrn Carrey erhaltene Gift, welches sich in kleinen irdenen Töpfen als dicke eingetrocknete Kruste befindet, hat dagegen alle Eigenthüm- lichkeiten dessen, was wir Curare nennen, nur scheint es an Wirksamkeit alle übrigen benutzten Gifte zu übertreffen. Ich habe einen Versuch gemacht seine Wirksamkeit annähernd zu bestimmen, indem ich mir eine titrirte Lösung desselben berei- tete. 0,00002 Grm. davon reichen hin, um einen Frosch voll- kommen zu lähmen, man würde also mit einem Kilo 50 Mil- lionen Frösche vergiften können. Erwägt man, dass das Gift eine grosse Menge in Wasser unlöslicher und darum unwirk- samer Bestandtheile enthält, dass ferner der wässrige Auszug auch sehr viele unwesentliche Stoffe einschliesst, so kann man sich einen Begriff machen von der furchtbaren Gewalt des wirksamen Prineips. Alle in dem Folgenden aufgeführten Versuche wurden mit diesem Gifte angestellt, und zwar bediente ich mich, wo nichts Anderes ausdrücklich erwähnt ist, stets einer titrirten Lösung, welche in 0,1 Cub. Cent. 0,001 Gr. Curare, also eine Maximal- dose enthielt. Diese wurde zum Theil unter die Brusthaut, zum Theil auch unter die Bauchdecken in die Bauchhöhle mit- telst einer spitzen Glasröhre eingeführt. Vergiftet man auf diese Weise einen Frosch, so sinkt der- selbe schon nach wenigen Minuten zusammen und bleibt dann bewegungslos liegen. Tetanisiren des Rückenmarks oder der Nerven bringt dann keine Muskelbewegungen mehr hervor. In diesem Stadium wurde das Thier ausgeweidet, enthäutet, und nun der Sartorius präparirt, ohne irgend welche Verletzung, indem er nach unten und oben von seinen kurzen Sehnen be- grenzt blieb. Wenn man den so vergifteten Muskel dann auf zwei feine, 2 Mm. von einander entfernte Drahtelektroden legt, in senkrechter Richtung zun Verlauf der Primitivbündel, so ist es leicht, mit jeder Art der elektrischen Reizung nachzu- Relchert's u, du Bols-Reymond's Archiv. 1860, 32 490 W. Kühne: weisen, dass die Erregbarkeit am höchsten ist in der dem Ner- veneintritt entsprechenden Stelle, dass sie etwas geringer ist in einiger Entfernung davon, und dass sie endlich plötzlich sehr stark abnimmt in den nervenlosen Endabschnitten., Man kann dieses Verhalten mit jeder Art der elektrischen Reizung nachweisen, sowohl beim Tetanisiren mit abwechselnd gerich- teten Induetionsschlägen, wie mit der Schliessungszuckung durch den Strom einer constanten Kette, bei welcher die Reizung durch das Rheochord gemessen wird. Ferner kann man den Muskel in drei Stücke durch senkrechte Scheerenschnitte zer- schneiden, indem man Sorge trägt, dass das erste Stück den Hilus enthält, das zweite den gleichmässig von Nerven durch- zogenen Abschnitt, und das dritte den nervenlosen Theil. Bei dieser Methode ist es besonders zu empfehlen, den Muskel statt auf die Drahtelektroden, auf einen drei- oder vierfach zusam- mengelegten und etwas breiteren Streifen von Fliesspapier zu legen, der vorher mit‘ Zuckerwasser von 5pCt. durchfeuchtet worden. Sehr einfach kann man auf diese Weise den Versuch so einrichten, dass alle drei Stücke des Muskels von Strömen gleicher Dichte getroffen werden. Der Papierstreifen muss zu dem Ende gerade so durchfeuchtet sein, dass er, auf eine Glas- platte gelegt, diese in keiner grösseren Ausdehnung benetzt. Seine Enden werden auf zwei an die Glasplatte angekittete Kupferbleche gedrückt, welche mit dem Induetionsapparate oder den Polen der Kette in leitender Verbindung stehen. Liegen die Muskelstücke der Reihe nach hintereinander fest auf dem feuchten Papier auf, so werden sie mit diesem zugleich, das ebenfalls einen grossen Leitungswiderstand im Kreise bildet, wegen des überall gleichen Querschnitts von Strömen derselben Dichte durchflossen, und es ist also klar, dass wir in der Ent- fernung der seeundären Rolle des Induetionsapparats von der primären, oder in der Länge des zur Nebenschliessung einge- schalteten Neusilberdrahts am Rheochord, ein Maass für die Er- regbarkeit des Muskels besitzen. Auf diesem Wege können wir also bestimmt erkennen, dass der mit Curare vergiftete Muskel ähnlich dem normalen noch Punkte verschiedener Erregbarkeit besitzt. Ausserdem findet man aber, dass die Unterschiede Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 491 in den einzelnen Abschnitten bei weitem geringer sind, als dies im Allgemeinen bei den unvergifteten Sartorien der‘ Fall ist, namentlich beim Vergleich der verschiedenen mit mehr oder weniger Nerven versehenen Abschnitte, Da in dem genannten Verhalten der vergifteten Muskeln der ganze Schlüssel für die Betheiligung- der intramuscularen Ner- ven liegt, so war es wünschenswerth, den Vergleich mit den normalen Muskeln anzustellen. Hierzu wurde folgender: Weg eingeschlagen. Vor der Vergiftung. wurde die linke Arteria iliaca communis nach Entfernung des Kreuzbeines mit einem feinen Seidenfaden unterbunden, und da hierdurch allein nicht alle Bluteireulation im linken Schenkel aufgehoben werden kann, ausserdem noch ein starker: Fäden unter den Nerven, dem Plexus sacralis, und der Arterie durchzogen, den ich mit- telst einer von hinten nach. vorn quer durch den ganzen Frosch gestossenen Nadel zur Schlinge formte, welche dann, vorn zu- gezogen wurde, Vielleicht ist dies die einzige Methode, durch welche es gelingt ein Bein, namentlich den Oberschenkel, ganz vor. der Berührung; mit: dem. vergifteten Blute zu ‚bewahren. Nach vollzogener Unterbindung wurde das Tier vergiftet, und nachdem vollständige Lähmung eingetreten war, nun dieselbe Unterbindung auch auf der rechten Seite ausgeführt. ‘Es ist nothwendig, das’ letztere nie zu unterlassen, da man sonst zwei Muskeln verwenden würde, welche nieht streng. vergleichbar sind, Die Unterbjndung der. Blutgefässe ist von so grossem Einflusse auf die Muskeln, dass man sehr unrecht thun würde, den unvergifteten Schenkel für ganz normal im Gegensätze zum anderen zu halten, denn schon die oberflächliche Besichtigung lehrt, dass der erstere roth und mit Blutfarbstoff imbibirt ist, während der andere blass und normal erscheint. . Diese Uebel- stände verlieren ihre Bedeutung, wenn durch die Unterbindung der vergifteten Seite beide Muskeln in ‚dieselben ungünstigen Bedingungen gesetzt werden. Soviel ich bis. jetzt ‚ermitteln konnte, bedingt die Unterbindung des Blutgefässes anfangs eine schwache Steigerung der Erregbarkeit, und später ein rasch@res Schwinden derselben. Wie es scheint, ist dafür eine einmalige, wenn auch nur kurz dauernde Unterbindung der Arterie das 32* 49% w. Kühne: Wesentlichste, und damit verliert auch der Einwand "etwas an Bedeutung, dass die Muskeln in unserem Falle doch nicht absolut vergleichbar seien, weil die Blutgefässe des unvergif- teten Schenkels länger unterbunden gewesen seien, als die an- deren. Die zum Eintritt der vollständigen Vergiftung‘ noth- wendige Zeit ist so kurz,-dass dieser Umstand hier wohl ver- nachlässigt werden kann. Zudem geschah die Präparation des unvergifteten Sartorius, bei welcher das Bein unterhalb der Li- gatur getrennt wurde, immer eher, als die Isolirung auf der anderen Seite, in welcher die Veränderung der Gefässe dem- nach etwa um so viel länger hinterher anhielt, als vorher in der unvergifteten. Zwei auf die angegebene Weise vergleichbar gemachte Mus- keln, von denen immer der rechte der vergiftete, der linke den gesunden für die Folge bezeichnen soll, dienten zunächst wieder zu ganz demselben Versuche, welche soeben beschrieben wor- den. Was wir vermutheten, traf ein: Der rechte. war sowohl im ganzen minder erregbar als der linke, wie in seinen ein- zelnen nervenhaltigen Theilen, und namentlich war der Unter- schied am grössten in den den Hilus enthaltenden Abschnitten, oder wenn die Drahtelektroden diese Stelle einschlossen. Die beiden nervenlosen Endabschnitte erwiesen sich hingegen ohne Ausnahme als absolut gleich erregbar. Der Versuch fällt am zierlichsten und übersichtlichsten aus, wenn man beide Mus- keln so in drei Theile schneidet, dass das,erste Stück den un- teren, das dritte den oberen nervenlosen Abschnitt und das Mittelstück den ganzen nervenhaltigen Theil einschliesst. Ich lege beide Muskeln zu dem Ende dieht neben einander auf ein Stückchen feuchtes Fliesspapier und vollziehe die Theilung durch Scherenschnitte für beide zugleich. Da die Muskeln dem Papier ankleben, und ihre Stücke seitlich nicht aus der Lage kommen, so braucht man jetzt nur die drei Präparate mitsammt der Papierunterlage auf den in Zuckerwasser getränkten Strei- fen zu legen, und den Versuch auszuführen. Bei allmähliger Verstärkung der Reizung zuckt zuerst immer das Mittelstück des linken, dann das entsprechende des rechten Sartorius, später die beiden schmalen Spitzen der Muskelpyramide, genau gleich- Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 493 zeitig, und zuletzt ebenso die beiden breiten oberen Endstücke. Der Schluss, den wir hieraus ziehen, lautet: Durch die Ver- giftung mit dem Curare sinkt die Erregbarkeit der Muskeln für elektrische Reizung nur in den nervenhaltigen Theilen, die nervenlose reine contractile Substanz bleibt absolut unverändert. Es wäre unmöglich, über das Verhalten der intramuscularen Nerven nach der Vergiftung durch die hier eingeschlagene Me- thode Aufschluss zu bekommen, wenn die Muskelsubstanz selbst Veränderungen unterläge; wir müssen also ganz besonderes Gewicht darauf legen, dass sich die an und für sich nerven- losen Abschnitte des vergifteten Muskels gegen elektrische Rei- zung genau eben so verhalten, wie die eines gesunden Thieres. In der auch beim vergifteten Muskel deutlich ausgesprochenen höheren Erregbarkeit der 'nervenhaltigen Theile können wir darum jetzt unbedenklich eine Wahrscheinlichkeit sehen für das Verschontbleiben irgend eines Theiles der intramuscularen Nerven und zwar unzweifelhaft derjenigen Theile der Primitiv- fasern, welche mit der contractilen Substanz physiologisch ver- knüpft sind. Bis hierher finden wir jedoch nur eine Wahr- scheinlichkeit. Das Folgende soll uns Gewissheit darüber verschaffen. Wenn wir die Erregbarkeit einzelner Abschnitte des unver- gifteten und des vergifteten Sartorius einmal vergleichen kön- nen, so fällt es auch nicht schwer, denselben Versuch so an- zustellen, dass wir den gesunden durch eine andere Methode gleichzeitig seines Nerven berauben. Wie vollständig das letz- tere durch Anelektrotonisiren erreicht werden kann, ist in einer früheren Abhandlung gezeigt worden, und der Nachweis gege- ben, dass ein so behandelter Muskel in allen seinen Theilen gleiche Erregbarkeit erlangt. Für den Vergleich mit dem ver- gifteten Muskel verführ ich daher jetzt wieder ganz, wie oben angegeben, präparirte jedoch bei der Isolirung des linken ge- sunden Sartorius seinen Nerven bis zum Abgange vom Ischia- dieus mit. Zunächst wurden dann beide Muskeln dicht über ihrem Hilus auf die Drahtelektroden gelegt, und der Nerv des linken ausserdem hart vor seinem Eintritt in die Muskeln über die Zinkelektroden einer starken sechsgliedrigen constanten 494 7 W. Kühne: Grove’schen Kette gebrückt, deren Strom ihn nach. Willkür in aufsteigender Richtung durchfliessen konnte. Vorher über- zeugte ich mich, dass die direete Reizung der Muskeln den linken als erregbarer erkennen liess, indem die Länge ‘des im Neusilberrheochord eingeschalteten Drahtes bedeutend vermehrt werden musste, bis. der rechte zu zucken begann. Bei’ der Stellung des Rheochordschiebers, während welcher der vergif- tete Muskel auf Schliessung der Kette zu zucken begann, ver- fiel natürlich ‚der linke Muskel in die heftigsten Zuckungen. Jetzt schloss ich plötzlich den Kreis der starken constanten Grove’schen Säule, deren Strom nun den Nerven des letz- teren Muskels durchfloss. Schliessung der erregenden ‚schwa- chen Kette erzeugte nun ausschliesslich Zuekung des vergif- teten Muskels, während der andere, der vorher mächtig, mit- zuekte, sich ruhig verhielt, und erst nach Einschaltung grösserer Widerstände in dem Rheochord von neuem zu reagiren be- gann.. Aus diesem Versuche geht hervor, dass der. gesunde Muskel, dessen Nerven durch den Anelektrotonus gelähmt. wor- den, in seiner nervenreichsten Gegend minder erregbar ist, als der vergiftete. Da nun. der erstere das Verhalten eines voll- ständig von allem Nerveneinflusse befreiten Muskels darstellt, so. schliessen wir, dass in dem vergifteten, dessen contractile Substanz sich ‚gleich verhält, bei der Reizung noch etwas An- deres mitwirken müsse, und dieses können nur die letzten En- den der intramuscularen Nerven sein, die von der Wirkung des Curare verschont bleiben. Führt man den eben geschilderten Versuch so aus, dass die Muskeln statt mit ihrem Mittelstück mit den nervenlosen En- den die Elektroden der erregenden Kette verbinden, so zucken sie. beide zugleich, bei derselben Stellung des Rheochords, auch wenn der lähmende Strom den Nerven ‘des linken Muskels durchkreist. Sowie aber der erregende Strom ein Gebiet trifft, in welchem Nerven vorhanden sind, zeigt sich der linke Mus- kel immer erregbarer als der rechte, und das Verhältniss kehrt sich sofort um, sobald der Nerv des gesunden Sartorius bis in ‚seine Peripherie gelähmt wird. Der Versuch gelingt am besten, wenn man die Schliessung der Kette als ‚directen Reiz ver- Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 495 wendet, und wenn der Strom im Muskel’ absteigend ist, im intramuscularen Nerven folglich aufsteigend ist. Es ist ferner zu beachten, dass der lähmende Strom seine ganze Wirksam- keit erst recht entfaltet, wenn er vorher mehrere Male geöffnet und geschlossen worden, und wenn er möglichst lange den Nerven durchflossen. Weitere Einzelheiten über die Anstellung derartiger Ver- suche halte ich hier für unnöthig, da jeder Physiolog den Ge- brauch von Stromwendern, Schliessungs- und Oeffnungsvor- richtungen, sowie die Benutzung des Rheochords hinlänglich kennt; ich habe mich überzeugt, dass derselbe Versuch auch sehr gut bei Verwendung der Schliessungsinductionsschläge ausgeführt werden kann, denen man ebenfalls dieselbe Rich- tung, d.h. im Muskel absteigend, im Nerven aufsteigend, giebt. Die Entfernung der inducirten Drahtrolle von der indueirenden giebt bier das Maass, wie bei der Kette das Rheochord. Meine ferneren Bemühungen mussten darauf gerichtet sein, den Versuch nun auch so auszuführen, dass jede Art der Rei- zung, nicht nur die locale, sondern auch die des ganzen Mus- kels, stets den Unterschied der vergifteten und der ihrer Ner- ven beraubten gesunden Muskeln erkennen lassen konnte. Sehr einfach kann dies am Sartorius erreicht werden, indem man beide Muskeln auf den feuchten Papierstreifen bettet, den Nerven des linken über die Elektroden der starken constanten Kette legt, und nun die Muskeln durch einzelne Inductions- Sehliessungsschläge reizt. Zuerst zuckt stets beim Minimum der Reizung der linke Muskel. Man nähert jetzt die indueirte Dralitrolle, bis auch der rechte zuckt, Sowie dann die starke constante Kette zum Kreise geschlossen wird, hört der er- stere auf sich zu contrahiren, und beginnt erst wieder, wenn die Induetionsrollen um mehrere Centimeter, weiter ‚einander genähert werden. Selbstverständlich müssen die Muskeln auf dem Papierstreifen s0 gelagert werden, dass, sie von Strömen gleicher Dichte durchflossen werden, z. B, indem sie parallel nebeneinander liegen oder hintereinander, natürlich so, dass die Ströme auch gleiche Richtung in beiden haben, Es lassen sich liier mannichfache Modificationen angeben, s0 z, B, kann 496 W. Kühne: man von den Muskeln die beiden: nervenlosen- Endstücke.ab- schneiden, wobei man dann findet, dass die breiten unteren Muskelquadrate gerade zu zucken beginnen, wenn auch der unvergiftete nach Lähmung seines Nerven die ersten Zeichen der Erregung giebt. Endlich kann der Versuch so: ausgeführt werden, dass man die Sartorien mittelst zweier Serres fines- mit breitem ungezahntem Maule aufhängt, so dass die obere Klemme hart unter seinem Hilus fasst. Die untere lässt man auf die obere kurze Sehne wirken. Anfangs erzeugt der Druck der Serres fines Zuckungen, die sich jedoch bald verlieren. Um die Muskeln in dieser Lage elektrisch zu reizen, werden diese Klemmen mit Kupferdrähten verbunden, von welchen zwei her- abhängen, und in grösserer Länge in Quecksilber tauchen. Der Strom tritt durch einen der Quecksilbernäpfe ein, gelangt durch den ersten herabhängenden Draht in den ersten Muskel, von da durch die zweite im Stativ befestigte Klemme mittelst eines Kupferdrahtes in den zweiten Quecksilbernapf, durch welchen er mittelst des zweiten herabhängenden Drahtes in derselben Richtung in den anderen Muskel eintritt, um vonder letzten Klemme durch einen anderen Draht zum Apparat zurück- zukehren. In dieser Vorrichtung unterliegen beide Muskeln genau derselben Reizung, so dass alle angegebenen Versuche daran wiederholt werden können. ü Nicht ohne Grund wurde bisher stets nur der Sartorius des Frosches verwendet. Die Nervenausbreitung ist hier bekannt und die intramusculare Nervenstrecke verhältnissmässig sehr kurz, so dass eine vollständige Lähmung derselben bis an ihre äusserste Peripherie durch den Anelektrotonus leicht gelingt. Der Nerv ist ausserdem an seiner Eintrittsstelle in den ‘Mus- kel so dünn, dass schon eine viergliedrige Grove’sche Säule genügt, um Ströme von hinreichender Dichte für einen Nerven von so geringem Querschnitte zu liefern. Erst in der Folge habe ich mich überzeugt, dass der Vergleich vergifteter Mus- keln mit unvergifteten, deren Nerven auf anderem Wege’ ge- lähmt worden, auch am Gastroknemius der Frösche ausführbar ist. Zu dem Ende wurde der ganze Oberschenkel der Thiere mit einem unter dem Nervus ischiadieus durehgezogenen Faden Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 497 unterbunden, die Vergiftung ausgeführt, und später auch der zweite Schenkel in derselben Weise unterbunden. Es ist zweckmässig, hierzu nicht allzu grosse Frösche zu verwenden, da die vollständige Lähmung der Nerven des Gastroknemius mittelst des Stromes leichter zu erreichen ist. Die Muskeln wurden dann‘ von den enthäuteten Schenkeln isolirt, unten be- grenzt von. der dicken Achillessehne, oben von ihrem‘ Ansatze im Knie. Um'sie zu befestigen, wurden die in der vorhin ge- nannten stromzuführenden Vorrichtung: benutzten Serres fines durch Haken aus Kupferdraht ersetzt, ‘von welchen die zwei unteren dureh die’ Sehnen, die zwei oberen durch den abge- schabten‘ Unterschenkelknochen ‘gesteckt wurden. Die Kette, welche bestimmt ist, ‚den‘ Nerven: des linken, unvergifteten Gästroknemius zu lähmen, muss‘ 6—8 Grove’sche Elemente enthalten und’ mit ihren Elektroden bis hart an den Eintritt in den Muskel reichen. Auch hier kann’ durch aufsteigende, einzelne Inductionsschliessungsschläge, oder Schliessung einer schwachen constanten Kette leicht gezeigt werden, dass zuerst, wie längst durch Rosenthal bekannt, der linke erregbarer ist als der rechte. ‘Sobald aber der Nerv des letzteren gelähmt worden, ist der vergiftete erregbarer als der unvergiftete. Die Differenz beträgt an ‚dem gebräuchlichen Rheochord bei’ Be- nutzung eines Daniell’schen Elementes häufig 50 Ctm. des Neusilberdrahtes, welche mehr in die Nebenschliessung 'einge- schaltet werden müssen, bis der unvergiftete, aber mit gelähm- ten Nerven versorgte Gastroknemius zum Zucken kommt, so- bald der Rheochordschieber vorher so stand, dass der vergiftete Muskel gerade zu zucken begann, "Bei Verwendung der In- duetionssehläge ist die‘ nöthige Annäherung der Drahtrollen ebenfalls sehr beträchtlich. Schliesslich muss hier noch hinzu- gefügt werden, dass sämmtliche Versuche, bei denen es darauf ankommt, die Erregbarkeit des gesunden Muskels nach der Lähmung zu bestimmen, "höchst unsicher ausfallen, wenn man sich zur direeten Reizung des Tetanisirens "bedient. Die Ver- minderung der Erregbarkeit im Versuche am Nerven selbst haben mir gezeigt, dass Anelektrotonus durch'rasch auf ein- anderfolgende Schliessungen des Kettenstroms; ‘wie durch wirk- 498 W. Kühne: liches Tetanisiren mit dem Inductionsapparate weit ‘weniger hervortritt. Es scheint, als wenn hier eine dichtgedrängte Reihe von wiederholten Anstössen‘ endlich den elektrotonischen Zu- stand aufhebt oder verdrängt. Aus den hier mitgetheilten Versuchen geht zweifellos her- vor, dass nach der Vergiftung mit Curare, zur Zeit wo Rei- zung der Nerven keine Zuekung mehr hervorruft, und wo zwi- schen den intramuscularen, selbst seeundären, aus Theilungen entstandenen Nervenprimitivfasern keine physiologische Verbin- dung mehr existirt, doch noch ein auf die contractile Substanz wirksamer Rest der Nervenausbreitung leistungsunfähig, bleibt, wobei hinzugefügt werden muss, dass vom ersten Augenblick der Vergiftungserscheinung an sämmtliche Muskeln nur die von Haber hervorgehobenen localen Zuckungen darboten. An Stelle der früheren mehr oder weniger begründeten Zweifel können wir jetzt Gewissheit setzen: Der Curareversuch beweist entschieden nicht, ‘was daraus gefolgert wurde, nämlich die selbständige Reizbarkeit der Muskelfaser. Im Eingange dieser Untersuchung wurde gesagt, ‚dass wir die Verfolgung des ganzen hierher gehörigen Vorganges als Aufgabe betrachtet hätten. Wir schliessen darum hier nicht ab, um ein neues Räthsel in die Welt zu setzen, sondern be- ginnen hier eigentlich erst, um nun zu erfahren, woher es dann komme, dass trotz des Verschontbleibens der äussersten Spitzen der intramuseularen Nerven dennoch keine Zuckung auf Rei- zung der Nervenstämme erfolgt. Es würde sehr voreilig sein, aus dem bis hierher Mitgetheilten ohne Weiteres behaupten zu wollen, das Curare sei überhaupt nicht im Stande, auf die äussersten Enden der motorischen Nerven lähmend zu wirken. Die Vergiftung hatte in allen Versuchen nur wenige Minuten angehalten, wir müssen also jetzt untersuchen, ob bei längerer Berührung mit dem Gifte nicht andere Veränderungen eintreten. Diese Frage konnte durch die bisher eingeschlagene Methode nicht entschieden werden, denn bei Jängerer Dauer der Ver- giftung muss der unvergiftete Schenkel auch länger unterbun- den bleiben, und ich überzeugte mich bald, dass bei dieser Behandlung schon nach einer Stunde die Möglichkeit fast: ver- Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 499 loren geht, feinere Vergleiche der Erregbarkeit beider Muskeln anzustellen. Der Ausspruch, dass die Vergiftung im Anfange auf die letzten Enden der Nerven nicht wirke, stützt sich nur auf das Eintreten. der Zuckung bei mehr oder minder erheblichen elektrischen Reizen, welche bei einem gewissen Maximum immer Zuckung, erzeugen. Die Uebelstände, welche derartige Reize mit sich bringen, können vermieden werden durch ein anderes, in vieler Hinsicht: weit sichereres Verfahren, nämlich: durch die chemische Reizung. Unter den chemischen Körpern, welche nur für die Nerven Erreger sind, dagegen keine Wirkung auf den Muskel ausüben, gab es bis heute nur einen, das concentrirte Glycerin. Wie ich früher gezeigt habe, erregt dieser Körper von den am äus- sersten Ende eines Frosch-Sartorius angelegten Querschnitte niemals Zuckungen, während er an nervenhaltige Querschnitte applieirt, heftige Contractionen,. selbst Tetanus hervorruft. Wenn nun der Muskel nach der Öurarevergiftung noch wirk- same Nervenstrecken enthält, so musste er sich zu Glycerin wie im Normalzustande verhalten. Das Glycerin musste also das entscheidende chemische Mittel sein. Meine Erwartungen wurden jedoch in der auffallendsten Weise getäuscht. Als ich den ersten vergifteten Sartorius mit seinem äussersten nerven- losen Querschnitte das concentrirte Glycerin berühren liess, zuckte der Muskel sofort. Die reine contractile Substanz ver- hielt sich also anders nach. der Vergiftung, als vorher. Ich habe die Versuche zu allen Jahreszeiten wiederholt, und in den meisten Fällen dasselbe Resultat eintreten sehen. Folgten die Zuckungen nicht gleich nach der ersten Berührung, so tra- ten sie häufig doch nach einiger Zeit ein, kurz auch die .ner- venlose Muskelsubstanz wird von. dem Curare in einer be- stimmten. Weise. verändert, ') trotzdem sie sich gegen jede Art elektrischer Reizuug genau so, wie die eines gesunden Mus- kels desselben Thieres verhält. Die Thatsache scheint zu ge- 1) Hiermit mag zugleich das von mehreren Seiten behauptete spä- tere Eintreten der Todtenstarre in den vergifteten Muskeln zusammen- bängen. Ich selbst habe darüber nie zu eonstanten Resultaten kom- men können. 500 W. Kühne: nügen, um zu zeigen, dass wir durch die elektrische Reizme- thode allein nur einen Theil der Dinge erkennen können, die in Muskeln und Nerven vorgehen; unsere Kenntniss wird so lange unvollkommen sein, und jegliches Verallgemeinern der Resultate gefährlich bleiben, bis wir nicht über eine weit grös- sere Anzahl von 'Thatsachen verfügen können. Das Glycerin lässt uns also hier im Stiche, und vielleicht dürfte es in diesem Falle von Wichtigkeit sein, dass dieser Körper nur in ganz concentrirtem Zustande nicht auf normale Muskeln wirkt, im verdünnten dagegen zu den Muskelreizen zählt. Es ist hier nieht der Ort, auf diesen Gegenstand weiter einzugehen, nur die Bemerkung darf nicht verschwiegen wer- den, dass das concentrirte Glycerin unverkennbar, namentlich nach längerer Berührung, stärkere und länger andauernde Con- traetionen auslöst, wenn es auf einen nervenhaltigen Quersehnitt, als’ wenn es auf einen nervenlosen des vergifteten Sartorius einwirkt. R Ausser dem Glycerin giebt es noch andere Körper, welche nicht auf den Muskel, wohl aber auf den Nerven wirken, Nä- heres über diese Reihe chemischer Reize behalte ich mir für eine andere Gelegenheit vor, da hier nur von Einem gehandelt werden soll, der sich bis jetzt als der Geeignetste erwiesen. Eine gesättigte Lösung von Rohrzucker in Wasser bewirkt vom Nerven aus sehr bald heftige Zuckungen, denen der ausgepräg- teste Tetanus folgt. In Berührung mit einem nervenlosen Muskelquerschnitt erzeugt dieselbe Lösung gar keine Bewe- gungen, der Muskel vertrocknet über dem Flüssigkeitsspiegel allmählig, ohne die leiseste Spur vorausgehender Zuckungen. Ganz ebenso verhält sich der Muskel zu jeder anderen Zucker- lösung von jeder beliebigen Concentration. Der Zucker ist unter keinen Umständen ein Reiz für den Muskel, und nicht einmal das Einbetten nervenloser Muskelabschnitte in pulverisir- tem Zucker erzeugt Zuckungen. Wird der letztere Versuch hin- gegen mit einem nervenhaltigen Theile des Sartorius ausge- führt, oder nur ein nervenhaltiger Querschnitt mit der concen- trirten Lösung in Berührung gebracht, so treten bald Zuckungen, zuletzt Tetanus ein, welche bei geschickter Behandlung durch Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 501 Lähmung des Nerven mittelst des Anelektrotonus beseitigt wer- den können. Ein mit Curare vergifteter Muskel verhält sich gegen eon- centrirte und verdünnte Zuckerlösungen in seinen nervenlosen Abschnitten ganz wie ein normaler. Es treten keine Zuckun- gen ein, und die Versuche unterliegen mithin nicht den näm- lichen Einwänden, ‘wie die mit dem Glycerin. Keine Frage also, dass wir. hierin ein chemisches Mittel‘ besitzen für ‘das Verhalten der intramuscularen Nerven nach der Ourarevergif- tung. Was ich vermuthete, geschah, die vergifteten Muskeln zuckten, wenn ihre-nervenhaltigen Querschnitte die Zuckerlö- sung einige Zeit berührten, freilich viel schwächer als die nor- malen, und häufig nur von ganz bestimmten Querschnitten aus. Fast ohne. Ausnahme zuckten sie, wenn grössere Strecken der nervenhaltigen Abschnitte zugleich mit dem Syrup benetzt wur- den, während ebenfalls, wie bei den gesunden, keine Bewe- gungen eintraten, wenn das nervenlose Ende in weiterer Aus- dehnung eirigetaucht wurde. Ein neuer Beweis also, dass noch eine Betheiligung der Nerven nach der Vergiftung ‘vorhanden ist. Offenbar fallen die Zuckungen weniger stark aus, und beschränken sich mehr auf einzelne Muskelfasern, weil ein er- regtes Nervenende immer nur genau die dazu gehörigen Mus- kelprimitivbündel beeinflussen kann, während in den gesunden Muskeln jede Erregung einer äussersten peripherischen Spitze auf mehrere Muskelfasern wirken kann, durch die centripetale Leitung und Uebertragung mittelst der getheilten Nervenpri- mitivfasern. Begreiflich ist es ferner, dass der Zucker nur Bewegungen von den allerletzten Nervenenden auslösen kann; erregte er auch eine Nervenfaser etwas weiter nach dem Cen- trum zu, so würde dies ohne Erfolg bleiben, da die Vergif- tung eben die Communication von hier mit dem Muskel aufhebt. Diese Tbatsachen stehen in der vollkommensten Ueberein- stimmung mit den durch‘ die elektrische Reizung erlangten Resultaten. Wir gehen nun hier einen Schritt weiter, um zu sehen, ob nieht das Ourare dennoch zuletzt auf die allerletzten Enden der Nerven wirke. Dies ist der Fall. ‘Bei einer Ver- giftung mit 0,001°Gr. Curare, einer Maximaldose, da schon 502 W. Kühne: 0,00002: Gr. hinreichend sind, tritt dies aber erst nach ımehre- ren Stunden ein, durchschnittlich nach 2'/, Stunden, dann erst hören die Muskeln auf gegen die Zuckerlösung zu‘reagiren. Zur selben Zeit mögen jedoch noch Veränderungen mannich- facher Art vorgehen, denn zu dieser Zeit entspricht die Curve der Erregbarkeit des Sartorius sehr selten schon den. Voraus- setzungen. Ein geringes Uebergewicht der nervenhaltigen Ab- schnitte ist immer noch zu erkennen, Nach’ ganz colossalen Dosen des Giftes tritt dieser Zustand früher ein, ich muss: je- doch gestehen, dass es mir nicht gelungen ist, in solehen Prä- paraten die Erregbarkeitscurven zu entziffern, da es unmöglich war, constante Resultate zu erhalten. . Mit grosser Wahrschein- lichkeit glaube ich aber schliessen zu dürfen, dass die Curare- vergiftung und das darauf nicht erfolgende Zucken der Mus- keln nach Reizung der Nerven in einem solchen Stadium für die Irritabilitätslehre beweisend sei, d. h. dass lange Zeit nach der Vergiftung oder in kürzerer. Zeit nach colossalen ‚Dosen wirklich auch der letzte Rest der intramuscularen Nervenenden der Lähmung unterliegt. Diese Folgerung findet nach allem Angeführten keine Anwendung zur Erklärung des Ausbleibens der Zuekungen auf Reizung der Nerven unmittelbar nach ein- getretener Vergiftung. Der Grund hierfür muss in etwas An- derem liegen, da das äusserste peripherische Ende der Nerven so lange leistungsfähig bleibt, und Reizung der Nervenstämme schon wenige Augenblieke nach der Einführung des Curare erfolglos ist. Da die intramuseularen Nerven hierüber keinen Aufschluss gaben, so wenden wir uns an den übrigen Theil der Bahnen, welche den Muskel mit dem Motorium verbinden. 2. Vom Einflusse des Curare auf die motorischen Nervenstämme, Die Versuche von Bernard und Kölliker führten zu’ der Annahme, dass der Lähmungsvorgang in den Nerven von der Peripherie nach dem Centrum’ fortsehreite, und es blieb. nur noch die Frage übrig, ob das Curare auf die motorischen Ner- venstämme eben so wirke, wenn es nicht von der Peripherie, nieht von den Blutgefässen des Muskels aus zum Nerven Zu- Ueber die Wirkung ‚des amerikanischen Pfeilgiftes. 503 tritt fand. Namentlich Kölliker behauptet, dass das Gift nach längerer Zeit auch die Nervenstämme antaste, selbst wenn es nur durch Imbibition oder durch die den Ischiadicus beglei- tenden Blutgefässe dahin gelangen könne. Er stützt sich da- bei auf folgenden Versuch: Der Schenkel eines Frosches wurde mit Ausnahme des Nerven unterbunden, und der Unterschenkel unterhalb der Ligatur so abgeschnitten, dass er nur noch durch den Ischiadieus mit dem übrigen Frosche zusammenhing. Als nun das Thier vom Rücken aus mit Curare vergiftet worden, erzeugte nach eingetretener allgemeiner Lähmung Reizung des Nerven des präparirten Beines noch Zuckungen. Nach länge- rer Zeit jedoch blieben die Zuckungen aus, als der Nerv an solchen Stellen gereizt wurde, welche oberhalb der Ligatur la- gen und somit von dem vergifteten Blute gespeist werden konnten, während die Zuckung augenblicklich eintrat, wenn der Abschnitt des Nervenstamms gereizt wurde, welcher unter- halb der Ligatur die Verbindung mit dem Unterschenkel her- stellte. Kölliker fand ferner, dass von zwei möglichst in- differenten Salzlösungen, deren eine etwas Ourare enthielt, stets die letztere den eingetauchten Nervenstamm eines Nervmuskel- präparats schneller vernichtete, als die andere nicht mit dem Gifte versetzte. Beide Versuche sind von neueren Untersuchern nicht als beweisfähig anerkannt worden. Funke bemerkte, dass der Nerv eines unterbundenen Froschschenkels sich ähnlich ver- hielt, wenn der Frosch gar nicht vergiftet worden, weshalb er geneigt ist, das Absterben des Nerven bei dem gesunden Thiere aus einer schädlichen Wirkung der unter ihm liegenden Liga- tur, oder der angestellten erschöpfenden Reizversuche zu er- klären, während er meint, dass für das vergiftete Thier noch der allgemeine Tod hinzukomme, demzufolge der Nerv auch ohne die specifische Wirkung des Curare zu Grunde, gehen müsse, Der erste Binwand Funke’s verdient, offenbar einige Berücksichtigung, denn es ist richtig, dass der Kölliker’sehe Versuch ziemlich ebenso ausfällt, auch wenn der Frosch gar sicht vergiftet worden. Beim Abschnüren eines. ganzen Schen- kels mittelst des Fadens quetscht sich die Musculatur auf bei- 504 W. Kühne; den Seiten wulstig hervor, und der dazwischen liegende Nerv muss nothwendig stark gezerrt werden, selbst wenn der Faden ihn gar nieht berührt. Jedoch kann man diesen Uebelstand vermeiden, dadurch, dass man den Schenkelnerven vorher sorg- fältig präparirt, und dann erst die Ligatur anlegt, und im letz- teren Falle wird man freilich finden, dass der Verlust seiner Leistungsfähigkeit sehr viel langsamer eintritt. ‘Es ist leider unmöglich, diesen Versuch so anzustellen, ' dass man zwei Beine desselben Frosches mit ‘einander vergleicht, von de- nen beide denselben operativen Einflüssen unterliegen, wäh- rend nur der eine Nerv vergiftetes Blut erhielt. Der Vergleich muss darum an zwei verschiedenen Fröschen angestellt werden. Ich wählte dazu männliche Frösche von gleicher Grösse, welehe zur selben Zeit eingefangen waren, unterband bei’ beiden rasch hintereinander die Oberschenkel so hoch als möglich, nachdem die Nerven vorher sehr sorgfältig soweit 'isolirt worden, dass ich einen Guttaperchastreifen bequem darunter hindurehziehen konnte, und dann amputirte’ ich den Unterschenkel. ‘Nachdem einer der Frösche vergiftet worden, brachte ich sie beide auf einem Gestelle fixirt, das keine gefährliche Zerrung der Glie- der gestattete, in einen feuchten Raum, In allen diesen Ver- suchen war das Absterben der Nervenstämme bei den vergif- teten Fröschen unverkennbar, obgleich erst nach längerer Zeit, oft erst nach 8—10 Stunden (Temperatur 8° C.), während die Nerven der unvergifteten Thiere viel’ länger erregbar blieben. Anfangs fand ich auch immer, dass nur der in der Bauchhöhle liegende Theil gegen Reizungen unempfindlich war, während der -zwischen dem Ober- und Unterschenkel befindliche, frei zu Tage liegende Nerv noch im Besitze seiner ‚Erregbarkeit sich befand. Ich glaube, dass auch Funke dieses Verhalten nicht entgehen wird, wenn er statt der vorgebrachten Einwände sich entschliesst, weitere Versuche anzustellen. Ueberdies lässt sich das raschere Absterben der Nervenstämme bei vergifteten Thieren sehr gut beobachten, wenn man statt der Kölliker- schen Methode der Unterbindung die von Bernard anwendet, welcher den ganzen Frosch im Becken "unterbindet, nachdem er den Faden unter den in der Bauchhöhle liegenden Nerven- Ueber die Wirkung ‚des amerikanischen Pfeilgiftes. 505 plexus-durchgezögen. ı In diesem Falle riehtet die Ligatur, kei- nen so, grossen Schaden an und es ist darum: leicht, von zwei so behandelten, möglichst gleichen Fröschen, an, dem Verhalten der Nervenstämme bald den vergifteten zu erkennen, ‚ Bei dem unvergifteten hält die Leistungsfähigkeit der ‚Nerven. ‚unver- gleichlich viel länger an, obgleich die Thiere' schliesslich, auch an der Operation zu Grunde gehen. Der Einwand, Funke’s, dass bei der Vergiftung der allgemeine Tod hinzukomme, ist E2 ir nicht' recht klar geworden, Was heisst‘ das?. Wir wollen sehen, wie die einzelnen: Organe vom. Normalzustande abweichen, wenn: wir sie mit Curare. vergiften.. | Der, allge- meine Dod ist ‚erst die Folge davon, Am, wenigsten, dürfte dieser Einwand aber beim Curare passen, das die kaltblütigen Thiere bekanntlich gar nicht tödtet, sobald es nicht in ganz eolossalen Dosen gereicht wird. Und auch dann nur. erliegen die Thiere gänzlich, wenn. sie lange Zeit ‚hindurch der, Ver- troeknung. und ‚ähnlichen Schädlichkeiten. ausgesetzt, werden, Einem Frosche kann: man jede beliebige Dosis Curare geben, ohne dass das Herz aufhört zu schlagen, Die Circulation.-bleibt noch länger als 24 Stunden in den‘ Capillaren erkennbar. Giebt man z. B. nur 0,001 ‚Gr. so wie es: in. allen hier aufge- führten Versuchen geschah, so lebt der Frosch noch nach. acht Tagen, obwohl er keine Spur von Bewegungen ausführen kann, Er erstarrt nicht, er verfault nicht, und die Bluteirculation in den Schwimmhäuten ist im ‚besten Gange. . Der allgemeine Tod, den Funke voraussetzt, und als erklärendes Moment: be- nutzt, existirt also gar nicht. Wenn wir nun auch immerhin zugeben wollen, dass die Lähmung der Nervenstämme. durch das: Curare ‚ohne ‚Mitbe- theiligung ihrer Peripherie unsicher zu ‚bestimmen sei, 0 fehlt doch der Funke’schen Argumentation gegen die Bernard- Kölliker’sche Ansicht von der Wirkung des Giftes. bis hier- her die richtige Basis. Das ist doch jedenfalls eine. zweite Frage, die mit der ersten nichts zu thun hat. ' Das ‚Gift kann recht wohl, wenn es durch die Oapillaren der Muskeln an die Nervenperipherie gelangt, von hier aus den: ganzen ‚Nerven aufsteigend vernichten, ohne dass es, darum ebenso zu wirken Beichert's u, du Bols-Reymond's Archiv. 1800, 33 506 W. Kühne; braucht, ‘wenn es mit dem Nervenst amme allein in‘Beziehung tritt. "Wie es scheint, ist die Wirkung) in dem letzteren Falle sehr gering und geschieht sehr langsam, denn auch bei: directer Applieation auf den ausgeschnittenen Nervenstamm wird sie erst nach langer Zeit erkennbar. Wir können darum nicht an- nehmen, dass sich die so rasch eintretende Erfolglosigkeit der Nervenreizung nach der Vergiftung auf diesem Wege ‚erklä- ren lasse. N Auf diesem Felde glaubt nun Funke den entscheidenden Sehlag geführt zu‘ haben. Er untersuchte nach allen Regeln der Kunst bei einem auf gewöhnliche Weise mit Curare ver- gifteten Frosche die’ Nervenstämme auf ihr elektromotorisches Verhalten, und fand dasselbe ganz so wie bei normalen Nerven, d. h, den sog. ruhenden Nervenstrom in: derselben Richtung, die beiden Phasen des Elektrotonus, und endlieh bei Reizungen die negative Schwankung des Nervenstroms. Die: letztere Va- riation des Stromes soll ‘durchschnittlich stärker‘ ausgefallen sein, als bei normalen Nerven. Hieraus zieht Funke den Schluss, dass die Stämme ‘der Nerven unter der Curarevergif- tung nicht leiden, sondern ihre Erregbarkeit, wie im Normal- zustande, beibehalten. Wir finden keine weitere Begründung dieses letzteren über das Ziel 'hinausgegangenen Schlusses; Funke drückt nur im Voraus sein Entsetzen darüber.aus, wenn die von ihm am Multiplieator gemachten Beobachtungen nicht Das beweisen sollten, was er will. Er meint, das ganze römische Reich der Elektrophysiologie falle zusammen, wenn er diese Consequenz aus seinen Versuchen nicht ziehen dürfe. Wir bedauern sehr, diese kritiklose Naivetät michttheilen zu können, da sich durch andere Versuche zeigen lässt, dass die Nervenstämme, trotz ihres normalen elektromotorischen Verhaltens nach‘ der Ourarevergiftung dennoch ihre Erregbar- keit vollkommen einbüssen. Es geht daraus für Funke’ her- vor, dass die Vergrösserung der negativen Schwankung 'viel- leieht nicht so bedeutungslos ist, wenn auch in einem ganz: an- deren Sinne, als Funke will. Statt der von ihm eingeschla- genen Methode haben wir uns des Muskels selbst bedient, um Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 507 ‘Wenn man die Thiere mit einer sehr schwachen Dosis Ou- rare vergiftet, so tritt die Lähmung schr allmählig im Verlaufe mehrerer Stunden ein. Zuerst sind die willkürlichen Bewe- gungen äusserst schwach und hören schliesslich ganz auf. In dieser Zeit haben jedoch alle Nerven noch eine Wirkung auf die Muskeln, was man leicht an dem Eintritt schwacher Re- flexbewegungen auf Reizung der sensiblen Nerven erkennt. auch diese Aeusserungen der Nervenerregung werden im- schwächer, so dass sie zuletzt nur noch in einem leichten Pr. rn einzelner Muskeln bestehen. Untersucht man in allen diesen Stadien die Erregbarkeit eines herauspräparirten Ner- ven, der noch mit dem allmählig durch das Blut sich weiter vergiftenden Muskel zusammenhängt, so findet man, dass er auf allen seinen Strecken, nahe an der Peripherie sowohl, wie dieht an der Schnittfläche, gleiche Wirkung auf den Muskel ausübt. Von der normalen Erregbarkeitscurve sehen wir hier ab. Indem die Vergiftung fortschreitet, wird die Zuckung, welche auf Reizung des Nerven eintritt, schwächer, zuletzt nur fibrillär, und es ist dafür ganz gleichgültig, von welcher Stelle der Nerv dem Reize unterliegt. Schliesslich hört aber auch dies auf und die Reizung wirkt dann nur noch, wenn sie den Muskel direet erreicht, jede Stelle des Nerven verhält sich im erregten Zustande gleichgültig gegen das contractile Endorgan. Aus diesen allerdings negativen Erfolgen schliessen wir, dass der Lähmungsvorgang entweder bei den im Muskel lie- genden Nervenenden, oder auf allen, auch extramuscularen, Punkten zugleich beginnen müsse. Die erstere Annahme hat ohne Zweifel bei Berücksichtigung der älteren Versuche die grösste Wahrscheinlichkeit für sich, in jenen früheren Unter- suchungen von Bernard und Kölliker liegt aber nicht der Nachweis, dass der Lähmungsvorgang nach dem Centrum zu aufsteigend, auch die Nervenstämme erreiche. Zur Lösung dieser Frage lässt uns die Untersuchung gleich nach dem An- fange einer minimalen Vergiftung im Stich, und wir müssen darum ein anderes Verfahren einschlagen. Ein mit kleinen Dosen Ourare vergiftetes Thier kann sich bekanntlich nach einiger Zeit wieder erholen. Ein Frosch kommt ohne mensch- 33* 508 um W. Kühne: liche Beihülfe wieder zum Normalzustande zurück, und ‚ein ver- giftetes ‚warmblütiges Thier kann durch künstliebe Unterhaltung der -Respiration ebenfalls wieder hergestellt werden. Aus diesen Umständen liess sich schliessen, dass auch die Lähmung der Nerven nur vorübergehend sei, und dass dieselbe unter erhaltener Bluteirculation. bei, kaltblütigen. Thieren, deren Re- spiration durch die Haut für längere Zeit vor sich gehen kann, dann aufhören müsse, wenn entweder das Gift durch die Se- eretion aus dem Körper entfernt, oder wenn es innerhalb des- selben eine Zersetzung erlitten. Man konnte nun voraussehen, dass das Verschwinden der Lähmung, wohl in derselben Rei- henfolge in den verschiedenen Punkten ‚des Nerven ‚vor sich gehen würde, wie es eingetreten war., Wir: mussten, also. die Nerven solcher Thiere;untersuchen, welche nach der Vergiftung allmählig, zum Normalzustande; zurückkehrten. Für diese Versuche ist es nothwendig, die Thiere wirklich mit einer Minimaldose des Curare zu vergiften. Nach, vielem vorläufigen Probiren bin: ich schliesslich dazu gelangt, eine Dosis zu. finden, welehe mit einiger Sicherheit die Frösche nur für eine gewisse Zeit lähmt. Das hier benutzte Curare hat, mir in dieser Hinsicht ziemlich ‚constante Resultate gegeben. 0,00004 Gr. desselben unter die Haut eines Frosches von mitt- lerer Grösse gebracht, bewirken nach etwa. einer Stunde voll- ständige Lähmung. Um: diese Zeit bringt auch Tetanisiren des Rückenmarks gar keine Bewegungen mehr hervor. Durech- schnittlich befindet sich das Thier dann nach 24 Stunden noch in demselben Zustande, jedoch pflegen nur die ersten ‚schwa- chen Zuckungen wiederzukehren, wenn,man statt des Rücken- marks, die Nerven mit starken Inductionsschlägen. reizt. In diesem Stadium sind sie geeignet zur, Untersuchung. Ich vergiftete nun jedesmal sechs Frösche zu gleicher (Zeit mit 0,00004 Gr. Curare, und untersuchte ihre Nerven am fol- genden lage zur selben Stunde. In den Fällen, wo die Thiere- schon die erste Spur wiederkehrender Reflexbewegungen ‚dar- boten, war natürlich der Schenkelnery in seiner ganzen, Aus dehnung, erregbar, so dass die Behandlung, der. verschiedensten Punkte mit mässigen Inductionsschlägen die kräftigsten Zuckun- Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 509 gen zur Folge hatten. Ganz anders verhielten sich ‘hingegen die Nerven derjenigen, welche äusserlich' noch das Aussehen vollkommener Lähmung darboten. Hier fand ich in ‚den Ner- ven ein äusserst verschiedenes Verhalten, je nach der Anlegung der Blektroden an cenfrale und peripherische Pusikte. Die bemerkenswertheste Erscheinung ist zunächst die, dass man Frösche findet, deren Muskeln keinerlei Reizung des Ner- venstammes mit Zuckung beantworten, während bei localer Reizung ihrer nervenhaltigen Stellen, selbst mit dem Minimum der Stromdichte ausgebreitete Contractionen einträten.'' Für diesen Zustand der Vergiftung gelten. also die von’ Haber ver- wertheten localen Zuekungen nicht. Offetibar geht hieraus vielmehr: hervor, dass bei der Entgiftung die in den Muskel liegenden Nervenstämimchen zuerst ihre Erregbarkeit wieder gewinnen, Sind aber diese erregbar und bewirkt trotzdem Reizung der Nervenstämme keine Zuckung, so muss der Grund in diesen letzteren liegen. Die Stämme müssen gelähmt sein: Zum weiteren Beweise, dass dies wirklich der Fall sei, braucht man nur die Nerven etwas später zu untersuchen. Man findet dann, dass eitt mächtiger Inductionsschlag auf die dem Muskel nahe gelegenen Theile des Ischiadieus applieirt, eine Zuekung hervorruft, während dasselbe Verfahren vorher auf den Plexus- theil des Nerven ausgeführt, ganz ohne Erfolg war. Endlieh ist es gär nicht schwer, unter vielen Präparaten eine grössere Anzahl zu finden, von deren Nerven keinerlei Bewegungen @rzeugt werden können, wenn man den Plexus ischiadicas mit den heftigsten Schlägen des Inductionsapparats tetanisirt,; wäh- rend schon sehr geringe Reizungen von einer tiefer gelegenen Streeke heftige Zuckungen hervorrufen. Die Muskeln verhäl- ten sich hier natürlich ganz wie normale, d.h. sie zeigen aus- gebreitete Oontractionen bei locauler Reizung liter nervenhalti- gen Stellen. Der Theil der Nerven, welcher ausserhalb des Muskels liegt, lässt dann ferner das ganze Rücksehreiten der Lähmung auf das Deutlichste erkennen. Die ganze Strecke des Ischiadieus, von der Kniebeuge bis zam Austritt aus der Beckonhöhle 4, B. kann sieh vollständig wie'ein normaler Nerv verhalten. Schliessangen " und ‚Oeffnungen eines (dureh das 510 W. Kühne: Rheochord abgeschwächten Kettenstromes ‚sind jedesmal von Zuckungen des Gastroknemius begleitet, und. es: ist nicht unin- teressant, ‚dass dieser Theil des Nerven dann bereits. die nor- male Curve der Erregbarkeit besitzt, d. h. dass ‚schwächere Reizungen an peripherische Theile nicht mehr wirken, welche weiter oben Zuckung auslösen. Hart über die Stelle der höch- sten Erregbarkeit pflegt in solchem Stadium dieselbe wieder zu sinken, und man gelangt zuletzt an einen Punkt, von welchem aus ein heftiger Inductionsschlag nur eine einzige schwache Zuckung erzeugt, wenn man mit der Elektrode allmählig gegen das Rückenmark aufsteigt. Tetanisiren ist hier ohne Wirkung, denn, der Nerv ist erst nach längerer Zeit wieder im Stande, durch einen, folgenden ‚momentanen Reiz in den erregten Zu- stand überzugehen. Man kann also von solchen Stellen aus wohl einzelne Zuckungen, aber keinen. Tetanus hervorrufen. Führt man die Elektrode jetzt noch weiter gegen das Rücken- mark hinauf, so tritt gar keine Zuckung mehr ein, selbst wenn man.sich der stärksten Induetionsschläge oder anderer mächti- ger Reize bedient, die man vernünftiger Weise anwenden kann. Aus diesen Versuchen geht hervor, dass der Stamm des Nerven, selbst nach der Vergiftung mit minimalen Dosen, in seiner ganzen Ausdehnung gelähmt wird, und dass dieser. Zu- stand bei der Rückkehr zum Normalzustande allmählig von der Peripherie nach dem Centrum wieder verschwindet. Die That- sache, dass der Nerv, bevor er seine volle Erregbarkeit wie- der gewinnt, erst einen Zustand durchmacht, in welchem er nur in grossen zeitlichen Zwischenräumen zur Leistung befä- higt ist, scheint besonders bemerkenswerth. Hier muss er so- eben. die erste Spur seiner normalen Eigenschaften wieder. er- langt haben, da sie schon durch die erste Reizung wieder ver- nichtet wird. Ein innerer Stoffwechsel ohne Betheiligung der gewöhnlichen äusseren. Ernährungsflüssigkeiten muss ihm von neuem diese Spur von Leistungsfähigkeit wieder ertheilen. Zu ähnlichen ‚Betrachtungen wird man sich auch geneigt fühlen, wenn. man -an die Wiederkehr der Erregbarkeit eines isolirten Nerven denkt, der durch‘ starke erschöpfende Reize eine Zeit lang aufgehört hatte in Erregung, zu gerathen, Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 5tıt 80’ sicher die oben geschilderten Beobachtungen wiederholt werden können, wenn man es sich nicht ‘verdriessen, lassen will, eine hinlängliche Anzahl von Fröschen ‚zu. opfern, ‚und wenn man sich bemüht, eine Dosis des Giftes ausfindig zu machen), mittelst welcher man die Zeit des Eintretens der Er- seheinungen annähernd vorhersehen kann, so wünschenswerth schien es mir auch, dem Vorgange der Entgiftung 'aneinem einzigen Thiere bei unterhaltener Bluteirculation: nachzugehen. Bin Theil dieser Erscheinungen könnte auch den Einwand erleiden, dass die Isolirung der Nerven oder die Anlegung eines Quersehnitts dem Ritter-Valli’schen Gesetze, zufolge jene verschiedenen Erregbarkeitszustände auf ‘seinen verschiedenen Strecken erzeugt habe, obwohl damit dennoch schon zugegeben sein würde, dass der Nervenstamm eines vergifteten Thieres sich anders verhalte, als der eines gesunden, da ja das: centri- fugale Absterben ‘hier mit erstaunlicher Geschwindigkeit vor sich gegangen sein müsste. Funke würde vielleicht gerade hier sich an den allgemeinen Tod zur Erklärung anklammern, obgleich das Thier gerade im Begriffe steht, für das; blödeste Auge sein volles Leben wieder zu entfalten. Um mich hier nicht durch derartige, gewissen Naturen eigene Anschauungen mit durchwinden zu müssen, habe ich noch eine Anzahl von Versuchen angestellt,. in denen ich die Nerven solcher. Thiere untersuchte, welche ähnlichen allgemeinen Nachtheilen unter-, lagen, wie die durch das Curare in’s Werk ‚gesetzten. ‚Ich habe Fröschen stets gleichzeitig mit den vergifteten die Luft- röhre unterbunden, um die Lungenathmung auf, mechanischem Wege, statt durch die Vergiftung, zu beschränken. ‚Alle. diese Thiere befanden sich jedoch vortrefflich zur selben Zeit, wo.die vergifteten die erwähnten Erscheinungen darboten. Freilich habe ich die Vergleichsfrösche in’ noch weit ungünstigere. Be- divgungen gesetzt, indem ich ihnen jegliches Mittel. zur 'Ath- mung, selbst das der Haut, 'entzog, dadurch, dass, ich sie in (Quecksilber oder in ausgekochtes Wasser die ganze Zeit unter- tanehte, während welcher die übrigen unter den besten: äusseren Verhältnissen dem‘ Gifte unterlagen. Min. findet dann den Nerven noch in’ einem ‘#0 erregbaren Zustande auf allen Punk- 512 W. Kühnle: ten’ ihrer "Bahn, dass man ganz dävon abkomnit, (dem. Curare in kleinen Dosen noch eine andere Wirkung als die speeifische Lähmung der ‘motorischen Nerven zuzutrauen. Um nun aber auch allen in: dieser Richtung ‚denkbaren Einwänden zu begegnen (denn gewisse Köpfe sind gerade hier erfindungsreich), habe ich auch ‚die, Nerven solcher. ‚Frösche untersucht, deren Bluteireulation in den Muskeln erhalten blieb. Die Minimalvergiftung' wurde wie vorhin‘ ausgeführt, am folgenden Tage etwas zeitig der Nerv des möglichst grossen Frosches am Oberschenkel aufgesucht und ohne Verletzung und Druck der Gefässe, nach der Isolirung von seinem Binde- gewebe, auf einen feinen Guttaperchastreifen gelagert. . Ebenso wurde mit dem’ in der Bauchhöhle liegenden Theile. verfahren, nachdem die sämmtlichen Beckenknochen nebst den äusseren hinteren Bedeckungen entfernt waren. Der Nery der. anderen Seite wurde in gleicher Weise blosgelegt, am Austritte aus den Wirbelcanal aber abgeschnitten. Man wähle zu diesem. Ver- suche einen sehr grossen Frosch‘ und überzeuge sich. durch Besichtigung der Schwimmhaut mit dem Mikroskop, dass der Blutlauf ungestört. fortgeht. Sind alle diese Bedingungen auf das Günstigste erfüllt, so hat man das interessante Schauspiel, alle oben genannten Er- scheinungen der Wiederkehr der Erregbarkeit an demselben Nerven im Verlaufe von 1 bis 2 Stunden eintreten zu, sehen, Zuerst zucken die Muskeln nur local, dann in immer grösserer Ausdehnung bei localer Reizung, während der Nery gegen jeg- liehen Reiz stumpf bleibt. Bald erzeugt aber ein starker ‚In- duetionsschlag, ‘hart über der Kniebeuge angebracht, ‚eine schwache Zuckung, bis nach kurzem das Tetanisiren möglich wird. Zur. selben Zeit: bleibt alles in Ruhe, wenn der Plexus sacralis gereizt wird. Später fängt aber auch dieser Theil au erregbar zu werden, eben so wie früher der untere, kurz alles, was wir vorher von ‘den verschiedensten Präparaten zusammen- sahen, sehen wir hier an einem und demselben, nur in ‚ver- sehiedener Zeitfolge. Der Nerv, welcher vorher durchschnitten, giebt dieselben Resultate, nur tritt Alles etwas später ein, denn in diesem Zustaude scheint ‚sich wirklich das; centripetale Ab- Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 513 sterben nach dem Ritter- Valli’schen Gesetze rasch mit ein- zumischen. Die mitgetheilten Beobachtungen sind mit gutem Grunde angestellt: worden, da sich hiernach die wahre Wirkung des Pfeilgiftes enträthseln muss. Sie enthalten’ den Nachweis, dass diejenigen Nerven, welche sich'nach Funke im Besitze ihrer normalen 'elektrömotorischen Eigenschaften ‘befinden, vollkom- men unfähig sein können in den erregten Zustand überzugehen, ungeeignet, umden Muskel aus dem Zustande der Ruhe in den der Contraction überzuführen. Damit schliessen wir uns keineswegs einer ‘widerwärtigen Polemik gegen die grossen Leistungen auf ‚dem Gebiete der thierischen Elektrieität an, sondern wir finden darin vielmehr eine neue Anregung der Verkettung des elektromotorischen Verhaltens mit dem reichen Mechanismus auf die Spur zu kommen, welchen die Nerven und Muskeln in sich bergen. Es ist nicht die Schuld .des Ent- deckers der: thierisch-elektrischen Vorgänge, wenn Andere glauben, in ihnen liege Alles, was wir über die Zustände der Nerven und Muskeln erfahren können. Würde Funke be- haupten, ein Muskel, der alkalisch reagirt, sei immer im Stande, sich noch zu verkürzen? Oder wird er, da der umgekehrte Fall immer vorkommen kann, gleich die Consequenz ziehen, die Behauptung, ‚der lebende Muskel sei alkalisch, der leistungs- unfühige sauer, sei falech? Ganz in demselben Falle befindet sich Funke, wenn er nur die elektromötorischen Eigenschaf- ten der Nerven für ein absolutes Kriterium ihrer Erregbarkeit nimmt. Welche unzählige Vorgänge im Nerven können ge- dacht werden, die von keiner Aenderung der bis jetzt erkann- ten elektromotorischen Eigenschaften begleitet sind, und welehe ihn ‚dennoch das Vermögen rauben, 'Reizungen an den Muskel zu befördern. ‘Das Curare befindet sich in diesem Fälle, zum Sehaden derer, welche nicht im Stande sind, ‚mehrere Dinge zugleich ‘zu überschauen. Zum Schlusse fassen wir jetzt die vorliegenden Ergebnisse zusammen, um uns ‚eine Vorstellung von der Wirkung des Curare zu verschuflen, Das Gift wird dureh die Blutgefüsse resorbirt, und Jähmt zunächst einen dem äussersten Jinde der 514 W. Kühne: { intramuseularen‘Nerven sehr nahe liegenden Theil derselben. Die motorischen Nerven werden hierauf in ihrer ganzen Aus- dehnung von. der Peripherie nach dem Centrum fortschreitend gelähmt. Kommt ein Thier. aus der Lähmung zum‘ Normal- zustande zurück, so geschieht dies in derselben Weise und Reihefolge der einzelnen Nervenabschnitte, wie vorher‘ die Läh- mung eingetreten war. Längere Zeit nach der Vergiftung nimmt schliesslich auch das äusserste Ende der intramuscularen' Ner- ven an der Lähmung Theil, eben so ‘wie auch. die Nerven- stämme ohne Mitwirkung der Blüuteirculätion in den Muskeln, von den sie begleitenden Blutgefässen oder ihrer vergifteten Umgebung aus allmählig ihrer Leistungsfähigkeit beraubt wer- den können. Auf den ersten Blick scheint es sehr auffallend, dass die Nerven von unten nach oben fortschreitend der Lähmung un- terliegen, noch auffallender aber, dass sie an der alleräusser- sten Peripherie im Anfange verschont bleiben sollen. ‚Die Thatsachen sind jedoch einmal so, und wir vermögen’ nichts daran zu ändern. Das Letztere enthält einen neuen Hinweis dafür, die äusserste Peripherie der motorischen Nerven bei allen Thieren jenseits des Sarkolemms zu suchen, im Inneren der Muskelprimitivbündel. Dann aber würde sich leicht er- klären, wie das Curare, dessen Resorption durch andere als Blutgefässmembranen als äusserst schwierig erwiesen worden, erst nach längerer Zeit, oder nur‘ bei Vergiftung mit sehr grossen Dosen, an diesen Theil der Nerven zu gelangen ver- mag, der von einer schützenden Decke contractiler Substanz und des dichten Sarkolemms umgeben ist. Die Thatsache, dass die Lähmung‘ der Nerven mit Leichtigkeit nur eintritt, wenn ihm der Zutritt ‘in die Blutgefässe der Muskeln gestattet wird, dürfte ihren Grund darin haben, dass‘ die motorischen Nerven eben nur hier in besonders naher Beziehung'zur Blüt- eireulation treten, da die Stämme an allen übrigen Orten nur sehr spärlich mit Capillaren versehen sind. Der Blutwechsel im Muskel ist ohne Frage eins der wichtigsten Mittel‘für die Ernährung der motorischen Nerven in: ihrer ganzen’ 'Aus- dehnung. Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 515 Die Resultate der vorliegenden Untersuchung drängten da- zu, die Ernährung der Nerven mit in den Kreis unserer Ver- suche zu ziehen. Ich erinnere zunächst an das Experiment von Brown-S&quard, Unterbindet man die Blutgefässe eines Gliedes bei einem warmblütigen Tbiere, und isolirt man eine grössere Strecke des Nerven, den man am centralen Ende durchschneiden kann, so bringt Reizung des Nerven alsbald keine Bewegungen des Gliedes mehr hervor, obgleich die Mus- keln direet immer noch reizbar sind. Lässt man jetzt von Neuem Blut in das Glied treten, so wirkt der Nerv schon nach wenigen Minuten wieder. Da der Nerv bei diesem Versuche nur mit seinem intramuscularen Ende in verschiedene Bedin- gungen geräth, so glaubte ich früher mit Brown-Sequard nur in diesem Theile die Erklärung suchen zu müssen, in der Annahme, dass die Erregbarkeit des Nervenstammes die Unter- bindung überdaure. Dem ist jedoch nicht so, denn dieser Ver- such hat genau ‘denselben Erfolg, wie die Curarevergiftung, indem der Nervenstamm durch Behinderung der Blutzufuhr ebenfalls von der intramuseularen Ausbreitung aufsteigend die Erregbarkeit in ihrer ganzen Ausdehnung verliert. Der Beweis liegt in Folgendem: Ich klemmte bei Kanin- chen die Arteria und Vena cruralis mit einer Serre fine zu, umschlang die Muskeln des Oberschenkels mit zwei starken Sehlingen von Bindfaden, welche unter dem Nerven und den grossen Gefässen hinliefen. Der Nerv wurde so hoch als möglich durchschnitten, um Reflexbewegungen zu vermeiden, und bis an die Kniekehle freipräparirt. Nach einer Stunde etwa trat plötzlich keine Zuckung im Unterschenkel mehr ein, wenn ich den Nerven irgendwo mit den stärksten Inductions- schlägen reizte. Als ich nun die Klemme von den Blutge- füssen abnahm, zuckte der Schenkel wenige Minuten darauf wieder, wenn ich den Nerven dicht an der Kniekehle reizte, zuerst nur schwach und nur in ‚grösseren Zwischenräumen. Zur selben Zeit konnte gar keine Bewegung von einer höhe- ren Nervenstrecke erreicht werden. Etwas später trat aber auch hier die Erregbarkeit wieder ein, und dann konnte auch hier dasselbe Stadium grosser Erschöpfbarkeit erkannt werden, 516 Ii ninwRühneammiuW sdaU während tiefere Strecken sich schon wieder &anz''normal 'ver- hielten. Kurz der Versuch hat ganz genau denselben Erfolg; wie die Vergiftung mit dem’ Curare, denn auch hier verliert der Nerv von unten nach oben fortschreitend seine Erregbar- keit, um 'sie später in derselben Richtung wieder zu gewihnen! Es scheint sogar, als wenn das bei warmblütigen Thieren so rasch eintretende Absterben vom Centrum nach der Peripherie durch alleinige Erhaltung ‘des Blutkreislaufes in den Muskeln verhindert werden kann, .ja dass der schon am Centrum ‚ab&e- storbene Nerv durch einen von unten nach obeti' gehenden Vorgang seine Leistungsfähigkeit wieder gewinnen könne: Mit diesen Thatsachen steht die Wirkung des Curare im'voll= sten 'Einklange, und ‘die vorliegende Untersuchung wird uns befriedigen, went sie den besten Wunsch erfüllt, den wir 'hegen konnten, nämlich Klarheit statt neuer Räthsel in die Wissen- schaft einzuführen. Die Wirkung des Pfeilgiftes auf die sensiblen Nerven scheint eine ganz andere, als die auf die motorischen zu sein, Man könnte glauben, dass hierin der Beweis für eine füunda- mentale Verschiedenheit beider Arten von Nerven liege. Dem ist jedoch nieht so, denn für die Wirkung des Giftes muss’ vor allen Dingen das Endorgan der Nerven berücksichtigt werden, und namentlich wie der Nerv durch dieses zur Ernährung in Beziehung tritt. Es ist unzweifelhaft, dass hierin die sensiblen Nerven ganz anders versorgt sind, ‘und es würde darum vor:- eilig sein, auf Grund’ der Curareversuche Unterschiede in ihnen: und den 'motorisehen Stämmen: zu sehen. Ueber diese Frage müssen erst neue Versuche entscheiden, was bis heute existirt, spricht für das Gegentheil. Wenn wir hier nur die motorischen Nerven allein berücksichtigten, und auch diese nieht bis’in das Rückenmark hinein verfolgten, so geschah 'es nicht,‘ weil wir an der Möglichkeit der Untersuchung zweifelten ‚ sondern um derselben keine übermässige Ausdehnung zu geben. Wie im Gange der Arbeit‘ der auf die Irritabilitätsfrage ge- richtete Gesichtspunkt verschwand, so mögen auch ‚hier zum Schlusse die Folgerungen dafür jedem Einzelnen ‚überlassen bleiben; Der Begriff der Reizbarkeit wird in’demselben'Masse Ueber die Wirkung des amerikanischen Pfeilgiftes. 517 aus. der: Pliysiologie ‚verschwinden, wie) er>auf einem’ anderen Gebiete jetzt zum Ersatze der Lebenskraft die Weihung em- pfängt. . Jeder Körper ist reizbar, wenn man 'seine Fähigkeit gegen bestimmte Einflüsse in bestimmter "Weise ‘zu reagiren, mit diesem: Namen; ;bezeichnet. » Auf «mechanische ‘Reize leitet der Nery, der Muskel: verkürzt sich, die Zelle wuchert und das Atom, .z. B. des Jodstickstofts, explodirt. Da man vom‘ Ner- ven nicht verlangen wird, dass. er sich contrahire,. und vom Muskel nicht, dass’ er. explodire, ‚s0- wird man’ auch nicht be- anspruchen dürfen, dass der Jodstickstoff einmal wuchere. Dies wird zur. Genüge zeigen, wie viel oder wie wenig wir von der Irritabilität . halten, wenn sie zum. allgemeinen '‚specifischen Merkmal organiseher Körper gestempelt werden soll. Zusatz zur vorstehenden Abhandlung des Hrn. Dr. W. Kühne, Von Reichert. Der Herr. Verfasser bemerkt (S. 482), dass weder Haber noch ‚mir. das Verhalten normaler Muskeln bei Application eines Reizes im Bereiche der letzteren hinsichtlich der Aus- breituug der. Zuckungen recht!‚vor. Augen gestanden habe. In der That sind von Haber keine, diesen Gegenstand betreflende besondere, Untersuchungen angestellt. Das genauere Verhalten der, Zuekungen normaler, Muskeln. bei Reizung im nervenhalti- gen Theile, namentlich mit. Rücksicht auf die Frage, in: wel- ehem Umkreise die von einem bestimmten Punkte angeregten Zuskungen erfolgen, ist ‚meines Wissens auch nicht von an- deren Forschern, weder. für. einzelne Muskeln, noch.auf das gesetzliche Verhalten. in. den: Muskeln überkiaupt, genauer stu- dirt, worden. Bekannt aber ist es. Jange, und kann nicht allein bei Anwendung, elektrischer, ‚sondern auch ‚mechanischer und chemischer Reize. leicht constatirt werden, dass. die im! nerven- baltigen Theile des Muskels erregten Zuckungen stets über.die Muskeliasern, hinaus sich ausdehuen, die unmittelbar von den genannten Reizen. betroffen ‚werden, Dies ist die eine 'ge- sicherte Grundlage, von. welcher aus die in der Haber”schen Abhandlung. niedergelegten- -Schlussfolgerungen ausgegangen sind; es ist hierbei von ganz untergeordnetem Belange, in wel- 518 Reichert: chem Umkreise diese Ueberschreitung, ‘und welche Variationen bei: verschiedenen mehr oder weniger complieirten Muskeln stattbaben. Auch liegt es auf der Hand, ‚dass bei einer Rei- zung des Muskels in der Gegend, wo der für ihn allein be- stimmte Nerv eintritt, der ganze Muskel zucken werde. Bestätigt ist ferner von Herrn Kühne, ‘dass die durch Curare vergifteten Muskeln an jeder beliebigen Stelle, also auch da, wo die Nerven verlaufen, bei chemischen, mechani- schen und elektrischen Reizen nur in dem Bereiche zucken, in welehem die, irgend wo in ihrem Verlaufe von dem Reize un- mittelbar getroffenen Muskelfasern liegen. — Dies ist die zweite wichtige Thatsache, welche in der Haber’schen Ab- handlung für die Irritabilität'der Muskelfasern verwerthet wurde. Gleichwohl glaubt Herr Kühne nicht einräumen zu dür- fen, dass die angeführten Thatsachen, verbunden mit dem von mir beschriebenen Verhalten der Nervenfaserendigung in dem bekannten Hautmuskel des. Frosches hinreichende Beweise für die durch Curare herbeigeführte Lähmung der terminalen‘En- digung der Nervenfasern liefere. Die von Haber und mir gemachten Schlussfolgerungen sollen nämlich auf zwei falschen Voraussetzungen beruhen. Die eine Voraussetzung sei meine Angabe, dass die primitiven Stammfasern durch ihre Veräste- lung und durch den Verlauf der Aeste und Zweige ihre sichtbaren terminalen Fasern zu vielen, wo möglich allen Muskelfasern des untersuchten Muskels hinführen. Dieses ist selbstverständlich keine Voraussetzung; dieses ist vielmehr eine von mir beobachtete, morphologische Thatsache. Und wenn es auch vorkäme, dass bei zusammengesetzten Muskeln eine Modification dieses morphologischen Verhaltens auftrete, so.hat doch weder Herr Kühne, noch meines Wissens ein anderer Forscher Beobachtungen beigebracht, aus welchen her- vorginge, dass dieses Verhalten in ‘seiner allgemeinsten Fas- sung, d. h. dass die terminalen Fasern einer Stammfaser nicht zu einer einzigen, sondern zu mehreren Muskelfasern gehen, für andere Muskeln oder Muskelportionen keine Gültigkeit habe. Auf die dagegen sprechenden Versuche, welche angeblich mit Zusatz zur vorstehenden Abhandlung des Hrn. Dr. W. Kühne. 519 einzelnen Nervenfasern oder mit Zweigen derselben gemacht sein sollen, glaube ich nicht weiter eingehen zu dürfen. Die zweite Voraussetzung macht sich der Herr Verfasser gleichfalls willkürlich. Es wird mir die Ansicht unterlegt, als ob ich die Erregung der Muskelfasern durch die Nervenfaser an jeder beliebigen Stelle des Verlaufs der letzteren angenom- men hätte. ‘Wer meine Abhandlung liest, wird sich überzeu- gen, dass ich in Grundlage meiner Beobachtungen darauf ausging, nachzuweisen, wie die Verästelung und der Verlauf einer Stammfaser dazu diene, recht viele terminale Fasern einer 'Stammfaser über das Gebiet des Muskels zu verbreiten, und dass ferner die terminalen Fasern aller in den Muskel ein- tretenden Stammfasern nahezu dasselbe und zwar fast das ganze Gebiet des in Rede stehenden Muskels umfassen. 'Obschon ich nicht‘die Ansicht theile, dass diese terminalen Fasern: schliess- lich eontinuirlich in die angeblich flüssige, contractile Substanz übergehen, auch kaum zweifeln darf, dass sehr viele Morpholo- gen‘mit/mir übereinstimmen werden, so lehrt: doch meine Ab- handlung, dass der Gedanke, die Erregung der Muskelfasern finde indem ganzen Verlaufe ihrer Stammfasern: und ihrer Ver- ästelung statt, mir gänzlich fern gestanden hat. Zu einer dieser Ansicht entsprechenden morphologischen Vorrichtung bedurfte es keiner Verästelung der Nervenfasern und keiner dadurch herbeigeführten Vermehrung terminaler Fasern; dazu genügte eine einzige, ungetheilte, zwischen die einzelnen Muskelfa- sern des Muskels sich hindurchwindende Nervenfäser. "Was schliesslich die Beweiskräft der auf die Reizungsstelle beschränkten, ‚localisirten Zuckungen in den dureh Curare ver- gifteten Muskeln für dieIrritabilitätslehre, insbesondere für die Fol- gerung, betrifft, dass hierbei die Nervenmitwirkung ausgeschlos- sen sei, so dürften Hrn, K ühne’s Mittheilungen meines Erachtens mehr zu Gunsten, als gegen dieselbe sprechen. Die Folgerung würde unrichtig sein, ‚sobald nachzuweisen wäre, dass nur die terıminaleu Fäden allein erregbar. bleiben, die übrigen intramus- cularen Nervenfasern aber gelähmt seien; diesen Beweis hat der Hr, Verfasser nach meinem Dafürhalten nicht geliefert, 520 - Liebermeister: Physiologische Untersuchungen über die quantita- tiven Veränderungen der Wärmeproduction. Von Dr. LIEBERMEISTER. Assistenzarzte der medicinischen Klinik und Privatdocenten an der Universität Tübingen. Die nachfolgenden Untersuchungen wurden ursprünglich in klinischem Interesse unternommen. ‚Die Erfolge, welche bei der Anwendung energischer Wärmeentziehungen in fieberhaften Krankheiten beobachtet wurden, liessen: sich' nieht vollständig in Uebereinstimmung bringen mit den Resultaten der‘'Versuche an gesunden Thieren und Menschen, welche bisher bekannt ge- worden waren; diese letzteren endlich stimmten untereinander so wenig überein, dass ich den Entschluss fasste, auch an ge- sunden Menschen einige Versuche über diesen Gegenstand an- zustellen. Der Wunsch, die auffallenden Resultate der ersten Versuche auch auf anderem Wege zu bestätigen, so wie das Bestreben, weitere Vermuthungen, welche sich aus diesen Re- sultaten ergaben, durch direete Versuche zu prüfen, haben die- sen physiologischen Untersuchungen eine grössere Ausdehnung gegeben, als Anfangs beabsichtigt wurde, Vielleicht würde ich mich auch jetzt noch nicht entschlossen haben, die Untersu- chungen auf dem bisher erreichten Punkte abzubrechen, aber da mir in Tübingen die vortrefflichen Hülfsmittel, welche das Greifswalder Universitäts-Krankenhaus darbot, wenigstens in der nächsten Zeit nicht zu Gebote stehen. werden, so bin ich durch äussere Verhältnisse zu einem vorläufigen Abschlusse genöthigt. Vielleicht aber sind die bisher mit Sicherheit con- statirten Resultate nicht nur im Stande, in Betreff eines wich- tigen, bisher nur mangelhaft erforschten Punktes der mensch- Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 521 lichen Physiologie einige interessante Thatsachen zu liefern, sondern auch durch Darlegung eines bisher nicht betretenen Weges weitere Untersuchungen über denselben Gegenstand zu veranlassen, ‘Die hauptsächliehsten Resultate meiner Untersu- chungen habe ich 'bereits früher ') kurz angedeutet; seitdem sind dieselben durch erneuerte und umfänglichere Untersuchun- gen bestätigt und erweitert worden. Ich werde im Nachstehenden'nur diejenigen Untersuchungen mittheilen, welche sich auf den gesunden Menschen beziehen; die bei Fieberkranken erhaltenen, zum Theil wesentlich ab- weichenden Resultate, ‘die vorzugsweise pathologisches und the- rapeutisches Interesse darbieten, beabsichtige ich, sobald ich Gelegenheit gehabt haben werde, einige wesentliche Lücken in denselben auszufüllen, an einem anderen Orte zu veröffentlichen. Zu den "Temperaturbestimmungen dienten Thermometer, welche von Herrm Geissler in Berlin mit grosser Genauig- keit angefertigt waren; die Scalen derselben waren in Zehntel- grade getheilt, und bei hinreichender Uebung konnten Hun- dertelgrade abgelesen werden mit einem mittleren Fehler von ungefähr .0,°01 und einem Maximum des Fehlers von 0,°02. Nur, wenn das Ablesen sehr schnell oder in sehr ungünstiger Stellung geschehen musste, konnte der Fehler noch höher stei- gen, Die Angaben, welche sich auf die Temperatur des Was- sers beziehen, sind bis auf diesen beim Ablesen möglichen Fehler als genau zu betrachten; bei den Angaben über die Temperatur der geschlossenen Achselhöhle sind dagegen die möglichen Peller weit grösser. Ich werde bei einer anderen Gelegenheit auf die mannichfachen Fehlerquellen, welchen die Temperaturbestimmungen ati Menschen ausgesetzt sind, so wie auf die Mittel, durcli welche ein Theil derselben vermieden werden kann, ausführlicher zurückkommen. Vorläufig erwähne ich nur, dass, auch wenn eine Temperaturbestimmung in der Achselhöhle mit grosser Vorsicht und von einem geübten Be- obachter angestellt wird, Differenzen, welche 0,°2 nicht errei- chen, innerhalb der Fehlergrenzen liegen. Die Betrachtung 1} Die Regalirung der Wärmebildung bei den Thieren von con- stanter Temperatur. Deutsche Klinik 1859. Nr. 40, ltelchert'« u. du Bols-Roymond's Archiv, 1860. 34 522 Liebermeister: kleinerer Differenzen ist aber dennoch von einiger Wichtigkeit, weil dieselben, wenn sie bei durchaus unyeränderter Lage des Thermometers eintreten und bei zahlreichen Versuchen der Aus- schlag immer in gleichem Sinne erfolgt, zuweilen auf Vermu- thungen über die Wirkung verschiedener Agentien "führen, welehe durch weitere bei verstärkter Wirkung 'angestellte Ver- suche bestätigt werden. Alle Temperaturangaben beziehen sich, wenn ‚nieht aus- drücklich etwas Anderes erwähnt wird, auf Centesimalgrade. Die einzelnen benutzten Thermometer wurden innerhalb der in Betracht kommenden Grenzen zu wiederholten Malen auf das Genaueste unter einander verglichen; die Abweichungen der einzelnen Instrumente sind bei der Mittheilung der Beobach- tungen ausgeglichen worden., Die Bestimmungen der Tempe- ratur der Achselhöhle wurden in der Weise angestellt, dass das Thermometer in die linke Achselhöhle eingelegt, die Kugel desselben durch Andrücken des Oberarms an den Thorax ein- geschlossen und ungefähr von ö5.zu 5 Minuten der. Stand des Thermometers aufgezeichnet wurde. , Fand während mindestens 5 Minuten kein Steigen statt, so wurde vorausgesetzt, dass das Thermometer die der vollkommen geschlossenen Achselhöhle entsprechende Temperatur anzeige. Die bis zur Erreichung dieses Standes aufgezeichneten Temperaturangaben wurden als überflüssig bei der Mittheilung der Beobachtungen weggelassen. Im Allgemeinen blieb während der ganzen Dauer eines Ver- suchs das Thermometer in der vollkommen. geschlossenen Achselhöhle liegen; vor dem Einlegen desselben war gewöhn- lieh die Kleidung so angeordnet worden, dass ich im Stande war, ohne Wegnahme des Thermometers und ohne Störung des Verschlusses der Achselhöhle mich zu entkleiden; ebenso konnte ein oberflächliches Wiederankleiden ohne Wegnelimen des Thermometers stattfinden. Wenn in einzelnen Fällen. wäh- rend der Dauer einer Beobachtungsreihe das Thermometer aus der Achselhöhle entfernt wurde, so ist dies jedesmal besonders vermerkt. Alle Versuche, bei welchen die Versuchsperson nicht ge- nannt ist, wurden an mir selbst angestellt. Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 523 Erster Artikel. Ueber das Verhalten der Temperatur der geschlossenen Achselhöhle unter der Einwirkung von Wärmeentziehun- gen auf die äussere Haut. Zunächst werde ich die Versuche mittheilen, welche ich an- stellte, um zu untersuchen, welchen Einfluss eine durch kaltes Wasser bewirkte starke Abkühlung der Körperoberfläche auf die Temperatur tiefer gelegener Theile des Körpers ausübe. Es diente zu denselben eine Brausevorrichtung, welche eine beträchtliche Quantität von Wasser lieferte, die unter starkem Druck durch eine grosse Zahl von Oeffnungen hindurchgetrie- ben wurde. 1. Versuch, 14. Juni 1859, Morgens. Unmittelbar nach dem Erwachen und Aufstehen- wurde das Thermometer in die linke Achselhöhle eingelegt. Zeit Temperatur der geschlossenen Achselhöhle. 6h. 35’ 36,43 Auf dem Sopha liegend und lesend, 6h. 40’ 36,60 6h. 42' 36,70 Im Zimmer auf- und niedergehend. 6h,. 47’ 36,74 6h. 54° 36,80 6h, 55’ 36,85 Im Badezimmer entkleidet. 6h. 56’ 36,90 3 Minuten lang kalte Brause. Temperatur des Was- sers 20°,5. In den ersten Secunden Sinken des Thermometers in der Achselhöhle bis auf 36,86; dann schnelles Steigen. 6h. 59' 37,10 Ende der kalten Brause. TE, 37,22 Während des Abtrocknens. Zim- Th. 5 37,24 mertemperatur = 22°,4. 7h. 17 36,64 76..20° 36,72 Nach vorläußgem Ankleiden (öhne Th. + 36,81 Wegnahme des Thermometers). 7h 36,82 Etwa 500 CC. Kaflee, der kalt geworden ist, getrunken. Th. 40° 36,80 2. Versuch. 16. Juni, Nachmittag. Von 2h. bis 2"/, h, Mittagessen, nachher eine Tasse Kaffee; nachher ruhig sitzend und lesend. Zeit Pulsfrequenz Respirationsfrequenz a anal 4h. 8, 84 20 37,53 ae a A 37,57 4b. 166.184 19 37,60 4h.1® 85 19 37,60 PETE Te 22 37,60 34* 54. Liebermeister: ineigoloisv I Hinübergehen in’s Badezimmer. Das Thermometer auf einige Seeunden aus der Achselhöhle entfernt und sogleich wieder eingelegt; in der Zwischenzeit die Achselhöhle fortwährend ge schlossen. Zimmertemperatur = 199,7. Zeit Puls- Respirations- ‚Temperatur der ii frequenz frequenz Achselhölile 4h. 29% 83 13 37,60 Auskleiden ohne Mirgnahme des Thermometers. 4h. 33° = 37,64 4h. 34° 84 19 37,72 4h. 37° — _ 37,76 an FEN = 37,74 4h. 40‘ = => 37,78 7.Minuten lang kalte Brause. Temperatur des Was- sers = 17°,5. Anfangs, starkes Kältegefühl, während, der, letz- ten Rlknien mässiges Zittern. Während der ersten Minuten’ zeigt das Thermometer in der Achselhöhle dauernd 37°,50, in den letzten Minuten steigt dasselbe. 4b. 47° = = 37,90 Ende der Brause. Schon eine Minute nachher merkli- ches Sinken des Thermometers. Auskleiden ohne Entfernung desselben. ar An = = E Er Stehend oder langsam 5h. 11° 72 16 3792 gehend, Zimmertempe- 5h. 14° 70 16 37,30 ratur = 189,4. Am Abend desselben Tages wurde sowohl vor als auch nach dem Abendessen je eine Stunde lang die Puls- und Re- spirationsfrequenz, so wie die Temperatur der geschlossenen Achselhöhle beobachtet. Vor dem Abendessen ergab sich. als Mittel aus 7 Beobachtungen: 7h.—8h. 72 17 37,44, nach dem Abendessen als Mittel aus 7 „Beobachtungen: 94—104h. 75 15 37,0 Beide für die Temperatur, erhaltenen Zahlen liegen innerhalb der aus anderen Beobachtungsreihen für ‚die entsprechenden Tageszeiten unter gewöhnlichen Verhältnissen sich ergebenden Schwankungen; die Zahlen für die Pulsfrequenz sind vetwas niedriger, als das aus anderen Beobachtungen hervorgehende Mittel. In ‚beiden Versuchen zeigt sich übereinstimmend während der Einwirkung der kalten Brause ein geringes Steigen der Temperatur der geschlossenen Achselhöhle, welches beim ersten Versuch noch fortdauerte, so lange der unbekleidete Körper der Einwirkung der Luft ausgesetzt war, beim zweiten, Ver- * Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 525 suche aber unmittelbar nach Beendigung der Brause aufhörte. In beiden Fällen erfolgte nach dem Ankleiden ein Sinken der Temperatur der Achselhöhle; doch erreichte einige Zeit nach- ber die Temperatur wieder den unter gewöhnlichen Verhält- nissen bestehenden Grad. Die Pulsfrequenz zeigte sich beim zweiten Versuche nach der Einwirkung der Brause dauernd herabgesetzt. Der Zeitfolge nach schliesst sich an die vorstehenden Ver- suche ein Versuch an, den Herr Dr. Tütel, der damalige Unterarzt der medieinischen Klinik, zu unternehmen die Ge- fälligkeit hatte. Es war mir von Wichtigkeit, durch Versuche an einer anderen Person das an mir selbst gefundene Resultat bestätigt zu sehen, da nur dadurch etwaige individuelle Eigen- thümlichkeiten ausgeschlossen werden konnten. Herr Dr. Tü- tel war. mit den bei Temperaturbestimmungen nöthigen Vor- sichtsmassregeln durchaus bekannt. 3. Versuch.‘ 17.. Juni, Morgens. Versuchsperson: Dr. Tütel. Unmittelbar nach dem Erwachen und Aufstehen wurde das Thermometer eingelegt. Zeit Puls- Temperatur frequenz der Achselhöhle 5h. 11° 60 36,34 5b, 17 60 36,12) Im Sitzen. 5h.:28° 64 36,19 sh. 927 Idı 36.00 Nach dem Hinübergehen in's Bade- 2 zimmer. 5h. 2% br 36,20 5h.'32' _ 36,30 5>h. 88‘ — 36,30 Auskleiden ohne Wegnehmen des Thermömeters. 55, 40° 36,49 5%, Minute Jang kalte Brause; dabei heftiges Kälte- gefühl, starkes Zittern; das ‘Thermometer zeigt während der ganzen Dauer, ohne die geringste Abweichung, 36,49. f, * [TER ERBE 96,40, Nach leichtem Ankleiden ahne Weg- + eE 48 tn nehmen des Thermometers, im Stehen. Ch. Ai 36.25 Fortdanerndes Kältegefühl. ch, 36,00 6h. 12° _ 35,90] Nach der Rückkehr in's Wolmzimmer, 6b. 18° ” 35,95} im Sitzen. Das Kältegefühl verschwin- 6h, 27 _ 36,00] det allmählig. tz 36,15 ” ee 526 Liebermeister: Bei diesem Versuche erfolgte ebenso wie in den früheren nach dem Auskleiden ein auffallendes Steigen des Thermome- ters, eine Erscheinung, die mit später mitzutheilenden Beob- achtungen übereinstimmt; während der 5'/, Minute, lang; fort- gesetzten Einwirkung der kalten Brause stieg das Thermometer nicht mehr, behauptete aber trotz des intensiven Kältegefühles dauernd den erreichten Stand. Nach dem Ankleiden ‚zeigt'sich ein Sinken der Temperatur und namentlich ein sehr bedeuten- des Sinken der Pulsfrequenz, Es wurde mithin durch. diesen an einer anderen Person angestellten Versuch die, Thatsache bestätigt, dass während der Einwirkung der kalten, Brause kein Sinken der Temperatur der geschlossenen Achselhöhle stattfindet. 4. Versuch. 22. Juni, Abends. Um 73/, h. Abendessen. Zeit Puls Respiration Temperatur Im Wohnzimmer sitzend, lesend, RER 19 37,86), auchend;. etwas i ; gesteigertes 9h. 8° 86 16 37,33$ Wärmegefühl. Hinübergehen in’s Badezimmer und Auskleiden. 9h. 13° — —_ Ehe ch Eee + 5 N on 9h. 17‘ bis 9h. 24,7 Mi- E a0 = 55 Bonn nuten lang kalte Brause an Du = 2 3763 Anfangs geringes, später stärkeres Saar“ m ze >>“ /Kältegefühl mit Zittern. 9h. 32' _ 37,35) Während des Abtrocknens ; und: 9h. 36° — _ 37,25) Ankleidens. Im Wohnzimmer sitzend, lesend, rauchend; leicht gekleidet; ‚fort- 37.10) während behagliches Wärmege- 9h. 40° — 5: =" ie fühl. Gegen 10} h. etwas Schläf- 10h. 1 72 15 36,80) ‚ipkeit, daher um 10h, 51" Nie- Be ER erlegen auf das Sopha, die linke 10h..19°. 72 1“ 2 Schulter mit dem Thermometer Ser, FF, a „njin der Achselhöhle in die,Ecke u I en mu 36,50) nearnakt Fester Schlaf bis-1h. 56‘ ohne Wegnehmen des 'TFher- mometers, Ihz56 — —_ 36,43 Unmittelbar nach dem Erwachen. 2h. —' 84 18 36,28 2h. 12° 70 16 36,23]: a oa si 8'0|Sitzend. Der vorstehende Versuch 'ergiebt ein ähnliches Resultat’ wie die früheren. Die nach Beendigung des Versuches bis gegen 10 Uhr beobachteten Temperaturgrade entsprechen dem unter €“ Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 527 gewöhnlichen Verhältnissen sich ergebenden Mittel, die später erhaltenen Zahlen sind um ein Geringes niedriger. Die Tem- peratur, welche im. Augenblick des Erwachens aus festem Schlafe beobachtet wurde, ist höher, als die unter gewöhnli- ehen Verhältnissen unmittelbar nach dem Erwachen um dieselbe Zeit, beobachtete; ein geringes Sinken bald nach dem Erwächen tritt auch unter, normalen Verhältnissen zuweilen ein, Bei der Mittheilung der folgenden Versuche kann ich mich kürzer fassen. Der 5. Versuch wurde am Morgen des 24. Juni sogleich nach dem Aufstehen angestellt. Vor Beginn der Brause, wäh- rend ich mich vollständig entkleidet im Badezimmer aufhielt, schwankte der Stand des Thermometers während 15 Minuten zwischen 37,06 und. 37,00. ‚Während ‚der 6 Minuten lang dauernden Einwirkung der kalten Brause stieg die Temperatur in den ersten 3 Minuten auf 37,12 und blieb auf diesem Stande bis zu Ende derselben. Nach dem Ankleiden fand während 30 Minuten: ein Jangsames Sinken bis 36,53 statt. Die Puls- frequenz betrug vor der Brause im Mittel aus mehreren Zäh- lungen 74, nach derselben im Mittel 62. Der 6. Versuch, kurz vor dem Abendessen angestellt, er- nach dem Auskleiden bei ziemlich niedriger Temperatur des Badezimmers und deutlichem, von Zeit zu Zeit über den ganzen Körper sich verbreitendem Frösteln ein langsames Stei- son der Temperatur der Achselhöhle von 37,63 auf 37,98. ährend der Einwirkung der Brause, die 7'/; Minuten lang dauerte, stieg das Thermometer auf 38,02, blieb dann längere Zeit bei 38,00 stehen und sank gegen das Ende auf 37,91. Die Pulsfrequenz sank von 76,5 (Mittel aus mehreren Zählungen vor der Brause) auf 70. Der 7. Versuch wurde am 25. October, Morgens, sogleich nach dem Aufstehen angestellt. Die Temperatur des zur Brause dienenden Wassers betrug 8°, die der Luft im Badezimmer 109,5. Die Brause wurde wegen des äusserst intensiven Kälte- gefühls nur 1’/, Minute lang ertragen. Die Temperatur der rer Achselhöhle betrug vor der Brause nach dem ntkleiden 37,35, und schwankte während der Dauer der Brause zwischen 37,35 und 37,40. Alle bisher mitgetheilten Versuche zeigen übereinstimmend, dass unter der Einwirkung der bis zu einer Dauer von 7’/, Mi- nuten angewandten kalten Brause die Temperatur der geschlos- sengn Achselhöhle trotz der intensiven Wärmeentziehung ent- weder constänt bleibt, oder sogar eine geringe Steigerung er- “ 528 Liebermeister: igoloiard“ fährt, dass, aber unmittelbar nach 'erfolgtem Abtrocknen und Wiederankleiden ein Sinken' derselben stattfindet. Es erschien wichtig, zu untersuchen, ob, was kaum zu erwarten war, ein Steigen oder auch nur Constantbleiben der Temperatur der ge- schlossenen Achselhöhle auch dann stattfinde, wenn vorher auf künstliche Weise die Temperatur abnorm gesteigert ‘worden sei. Es wurde daher folgender Versuch angestellt. 8. Versuch. 25. Juni, Vormittag. Die Temperatur des Badezimmers war = 13°,7.... Das Ther- mometer in der Achselhöhle zeigte 37,50 und stieg nach dem Entkleiden aut 37,82. ‘Ohne Entfernung des Thermometers aus der Achselhöhle begab ich mich in ein heisses Bad, dessen Temperatur unmittelbar nach dem Einsteigen 38°,6 be- trug, und durch langsames Zulassen warmen Wassers allmählig bis'auf 40°,2 erhöht wurde. In diesem Bade blieb ich 15 Mi- puten. Dabei stellte sich, besonders wenn ich bis auf einen . kleinen Theil des Gesichtes unter Wasser getaucht war, ein sehr quälendes Gefühl von Beklemmung und eine Unrube ein, welche ein rubiges Verharren in dieser Lage im höchsten Grade erschwerte.: Die Respiration war sehr tief und erfolgte 20'mal in der Minute; die Pulsfrequenz stieg bis auf 137 Schläge; das Klopfen der Arterien war bei untergetauchten ‚Ohren ‘sehr laut. zu hören. Das, Thermometer in der. Achselhöhle zeigte Anfangs ein langsames, später ein schnelleres Steigen und er- reichte zu Ende des Bades 39,03, einige Seeunden nach dem Aussteigen 39,06. Unmittelbar nach dem Aussteigen wurde eine kalte Brause genommen, deren Temperatur 18°%,2 be- trug; dieselbe bewirkte nur ein angenehmes Gefühl von erfri- schender Kühlung. Die Temperatur der: Achselhöhle zeigte "/; bis.!/, Minute lang, den bisherigen |Stand. und fiel dann sehr schnell, so dass, nachdem die Brause 6'/, Minute gewährt hatte, das Thermometer nur noch 38,10 anzeigte, Die Pulsfrequenz betrug während der Brause 116. Unmittelbar nach dem Ab- trocknen und Ankleiden, 5!/, Minute nach Beendigung der Brause, betrug die Temperatur der Achselböhle 37,48, 3/,Stun- den später 37,00. Die Pulsfrequenz betrug 5 Minuten. nach Beendigung der Brause 92 Schläge, 52. Minuten nachher 78. Dieser Versuch zeigt, dass bei künstlich gesteigerter Kör- pertemperatur die kalte Brause auch für tiefer gelegene Theile als: ein schnelles Abkühlungsmittel wirkt, und dass diese ab- kühlende Wirkung schon‘ während der ersten Minute’ deutlich wird. In ganz‘ ähnlicher ‚Weise habe ich noch ein‘ Mal’ bei einer künstlichen Steigerang der Körpertemperatur bis nahe an 39° die kalte Brause angewandt, ‘und zwar mit dem gleichen w Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen n. s. w. 529 Erfolge. Der Versuch wird später in anderem Zusammenhange mitgetheilt werden. Der folgende Versuch liefert den Beweis, dass nicht das vorhergegangene warme Bad an sich, sondern nur die abnorme Steigerung der Körpertemperatur für 'den abkühlenden Erfolg der kalten Brause bestimmend war. 9, Versuch. 18. Februar 1860, Morgens. Um 7"/,h. Beginn eines Bades, dessen Temperatur dauernd nahe bei 36°,5 erhalten‘ wurde, Während der Dauer desselben zeigt das Thermometer in der Achselhöhle constant 37,10. Nach 14 Minuten Aussteigen aus dem Bade; die nasse Oberfläche des Körpers ist eine Minute lang der Luft ausgesetzt, deren Temperatur nur 10°,5 beträgt; starkes Kältegefühl; das Ther- mometer in der Achselhöble ‚zeigt 37,12. Dann 1!/, Minute lang kalte Brause, deren Temperatur = 2°,5. Sehr heftiges Kältegefühl. Während der Dauer der Brause bleibt die Tem- peratur der geschlossenen Achselhöhle constant = 37,12. Die Brause erregt heftigen Kopfschmerz auf dem Scheitel, der sieh später beim Untertauchen in das warme Bad schnell wieder verliert. Nach dem vollständigen Wiedereintauchen in das Bad von 36°—36°,5 steigt das Thermometer in der Achselhöble bis auf 37,22, sinkt aber nach kurzer Zeit wieder auf 37,18. Die- sen Stand behält dasselbe auch nach dem Aussteigen aus dem Bade unter Einwirkung der kalten Luft während einer Minute. An diese Mittheilungen schliesse ich einige Versuche an über die Wirkung des kalten Seebades, welche, da sie ganz ähnliche Resultate geben, zur Bestätigung und Verallgemeine- rung der bei Einwirkung der kalten Brause erhaltenen Resul- tate dienen können. 10. Versuch. 17. Juni 1859, Abends. Seebad in Wiek bei Greifswald. Der Himmel mit Wolken bezogen, während des Bades Re- gen. Nach dem Entkleiden im Badehäuschen,, in welchem die ‚ufttemperatur 14°,5 betrug, stieg das Thermometer in der Achselhöhle bis 37,65 und blieb längere Zeit auf dieser Höhe. Nach dem Oeffnen der Fallthür und dem Betreten der in das Wasser hinabführenden Treppe -zeigte, während in Folge der kälteren äusseren Luft mässiges Kältegefühl sich einstellte, das Thermometer in der Achselhöhle 37,75. Die Temperatur des Seewassers betrug 15°%,7. Bad von 4 Minuten. Während desselben äusserst intensives Kältegefühl. Fortwährend Schwim- men in der Lage auf dem Rücken oder auf der rechten Seite, während das Thermometer in der linken fest verschlossenen Achselhöhle gehalten wurde; nur auf Augenblicke behufs der Beobachtung des "Thermometers Stehen. : Das Thermometer “ stieg im Bade schnell bis auf 37,90, und. ‚behauptete diesen Stand bis zu Ende desselben. Nachher, im. Badehäuschen, durch dessen defeetes Dach der Regen hineinfloss, während langsamen Abtrocknens und Ankleidens, fiel dasselbe und zeigte 13 Minuten nach Beendigung des Bades 37,5, nach 21 Minuten 37,31.: Die Pulsfrequenz schwankte nach dem Bade zwischen 80 und 32, eine Viertelstunde nach demselben zwischen 84 und 88. — 1'/, Stunde nach Beendigung des Bades, nachdem ich bereits Eier, Butter und Brot gegessen und etwas Grög ge- trunken hatte, zeigte das Thermometer in der Achselhöhle’wäh- rend 15 Minuten 36,80 bis 36,90, ‘der Puls 80 Schläge. — Nachdem ich zu Fusse den Weg von einer Stunde bis nach Hause zurückgelegt hatte, betrug die Temperatur in der Ach- selhöhle während des Liegens im Bette (nach 11 Uhr) 36,62. 11. Versuch. Ein mir befreundeter College, Herr Dr. Klein, machte zu gleicher Zeit mit mir denselben Versuch. Nach dem Entkleiden blieb die Temperatur der geschlossenen Achselhöhle stationär bei 37,25, Nach dem Hineinsteigen in das Wasser trat ein plötzliches Sinken des Thermometers bis 36,30 ein, welches unzweifelhaft von dem in Folge nicht ganz sicheren Verschlusses der Achselhöhle stattfindenden Eindringen von Wasser in dieselbe abzuleiten war, um so mehr, als noch während des 4 Minuten dauernden Bades bei festem Andrückeir des Oberarmes ein Steigen bis 36,9, und nach dem Bade wäh- rend des Abtrocknens und Ankleidens ein weiteres Steigen bis 37,20 beobachtet wurde. 18 Minuten nach Beendigung des Bades zeigte das Thermometer noch 37,10, 1 Stunde und 9 Minuten nach dem Bade 36,54. Die Pulsfrequenz schwankte vor dem Bade zwischen 74 und 30, nach dem Bade zwischen 68 und 76. 12. Versuch. Am Nachmittag des 20. August 1859 machte ich einen äbnlichen Versuch bei einer bedeutend höheren Tem- peratur des Seewassers; ‘die Dauer des Bades betrug 13 Mi- nuten. Das Ergebniss war ebenfalls ein geringes Steigen der Temperatur der geschlossenen Achselhöhle während der Dauer des Bades. Nach dem Bade, während des Ankleidens ohne Wegnahme des T'hermometers, zerriss plötzlich, in Folge einer Erschütterung des Thermometers bei geneigter Stellung des Oberkörpers, der Quecksilberfaden in dem Scalentheile, Ein solches Reissen des Quecksilberfadens tritt bei den von mir benutzten Thermometern, auch wenn dieselben vollständig um- gekehrt werden, wegen des sehr geringen Lumens der Röhre nur selten ein, und ist, wenn es während ‚einer Beobachtungs- reihe stattfindet, an dem plötzlich erfolgenden und sehr. aus- giebigem Schwanken des T'hermometerstandes, das; mit kürzere oder, längere Zeit dauernder vollkommener Unveränderlichkeit desselben abwechselt, meistens sehr leicht zu erkennen, kann aber doch bei oberflächlicher Beobachtung, namentlich wenn 530 Liebermeister: y Physiologische Untersuchungen: über die Veränderungen u. s. w. 531 Temperaturbestimmungen an anderen Personen, z. B. an Kran- ken, gemacht werden, zu: sehr groben Irrthümern führen. Ob- wohl während der Dauer des Bades wahrscheinlich noch voll- kommene Integrität des Instrumentes vorhanden war, so kann ich den Beobachtungen doch nicht. volle, Sicherheit beilegen, und übergehe daher die specielle Mittheilung der erhaltenen Resultate. Es ergiebt sich 'aus’ den mitgetheilten Versuchen überein- stimmend, dass bei der Einwirkung kalten Wassers auf die Körperoberfläche eines gesunden und unter sonst normalen Verhältnissen sich befindenden Menschen während mässiger Dauer dieser Einwirkung niemals ein Sinken der Temperatur der geschlossenen Ach- selhöhle erfolgt. Bei den Versuchen ‚hatte es sich gezeigt, dass gewöhnlich schon unmittelbar nach dem Entkleiden ein Steigen des in die Achselhöhle eingelesten T’hermometers stattfand. Bei den er- sten Versuchen hatte ich diese Erscheidung von der beim Ent- kleiden stattfindenden Muskelbewegung abgeleitet, da aber die beobachteten Differenzen bedeutender waren, als die bei noch stärkeren Muskelbewegungen sich ergebende Temperatursteige- rung, und da auch bei denjenigen Versuchen, bei welchen ich mit Sorgfalt jede Muskelanstrengung vermied, jedesmal nach dem Entkleiden ein Steigen des T'hermometers sich zeigte, so vermuthete ich, dass die directe Berührung der Körperoberfläche mit Luft in ähnlicher Weise wirke, wie nach den bereits mit- getheilten Versuchen die Berührung mit kaltem Wasser. Ich stellte daher einige Versuche an, bei denen ausser dem Effect des Entkleidens auch der.des;Wiederankleidens ‚beobachtet und auf diese Weise der Einfluss nicht zu vermeidender körperli- cher Bewegung ausgeglichen werden konnte. Ich theile die- selben in extenso mit. Es wurde auch bei diesen Versuchen vor dem Einlegen ‚des Thermometers in die Achselhöhle die Kleidung so angeordnet, dass sie den Körper’ vollständig be- deckte, aber ohne Wegnahme des Thermometers oder Störung des Verschlusses der Achselhöhle. entfernt. ünd: wieder angelegt werden konnte. 13. Versuch. 24. Juni 1859, Abends. Um 7°/,h. Abendessen, nachher 1: Glas Bier; von 8'4 bis 532 Liebermeister: oloisydd 9%/, Uhr auf der: Krankenabtheilung beschäftigt." Nachher ru- hig sitzend, lesend, rauchend. Zimmertemperatur = 22°,8. Voll- ständig bekleidet; etwas erhöhtes Wärmegefühl. d Respi- Tem- FE ind ration peratur 10h. 38° 80 21 ..37,28 10h. 47° 78 21 37,08 10 3 Ei a3 V an 2 tm Zimmer 'auf- ıind niedergehend. 10h, 58‘ 80 20 37,16 Sitzend. Vollständig entkleidet; sitzend. Gelinde Kühle, kein Frösteln. 11h) 91% v76 20 37,22 2 Auf- und, niedergegangen;; ‚dabei in n n B: &; Ri ER Folge der Bewegung der Luft ein Zen: RT ’"“ sehr 'geringes Kältegefühl. 1lh. & 72 17 37,40 11h. 10° — — 37,45( Sitzend, lesend, rauchend; kein 11h. 12° — = 37,43 Kältegefühl. 11b. 14° 75 17 37,37 11h. 18° .— _ 37,39 Gehend; sehr geringes Kältegefühl. Aufenthalt im Nebenzimmer, in wel- } chem ein Fenster geöffnet und nur pe N = a: Pr ie durch den Vorhang verhängt ist. Tem- llh 28. — m 37.52 peratur der Luft in diesem Zimmer iı 3 >= = 17°,6; Temperatur der äusseren Luft = 11,6. ‚Sehr geringes Kältegefühl. Während .des Wiederankleidens. f Hemd, Schlafrock und Pantoffeln an- N - bs Sur gezogen; Unterschenkel nicht voll- ständig bedeckt. Dear BSD AR 11h, 35° — _ 37,30 11h. 39° — — 37'341 Gehend. 11h. 40° 76 17 37,16 Sitzend. . Ale 7, a = er = vr a 97 Langsam gehend. 11h. 48‘ 37,08 Sitzend, lesend, 440 cc. Wasser von 23°1 getrunken. ilb. 53°, — _ 37,00 11h. 57° 67 16 36,90 12h. #70 15 36,90 14. Versuch. August 1859, Abends. Um 7!/;h. Abendessen. Näehher sitzend, lesend, rauchend. Zimmertemperatur = 22°,4: Vollständig bekleidet; behagliches! Wärmegefühl. Zeit Puls et ration peratur Er 0, 70 16 36,75 9b. 13° 74 18 36,75 g9h.217 76 16 36,82 9h.23 we 36,84 Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u, s. w. 535 Aufgestanden, 440 CC. Wasser getrunken. Er Respi- Tem- ; Zeit Rals Fatlan peratur 9425! —_ 36,84 9.29 — == 36,80 9h. 39° 75 17 36,77 9b: 1424.01 —ı 36,80 9h..48'° — z= 86,80 9.530. — 23, 36,85 9h.. 56% — —_ 36,86 9h. 58° “ = v191186;86 Gänzlich entkleidet; kaum eine Spur von Kältegefühl, 10h. —' — _ 36,90) 10h. # 70 18 36,95 10h, ' — _ 36,98 )Sitzend. 10h. 13° 70 16 37,00 10h..18° ı— ver 36,90 Aufenthalt im Nebenzimmer, in, welchem zwei Fenster ge- öffnet und nur durch Vorhänge verhängt sind. Zimmertempe- ratur =20°,9; Temperatur der äusseren Luft = 17°,5. Fast kein Kältegefühl. 10.21 u] "Bi 10h..24 & 36,96 10h. 27°.,— _ 37,00 10h,29— 7 sıl3,3700 Vollständig wieder angekleidet. 10h. 36° . — — 36,84 105.39 — NL 10h. 41° 68 17 36,72 10h. 45° — 18 36,70 Ih 5 12 36,70 5 15. Versuch. 3. Mai 1860, Abends. Um 8h. Abendessen nnd 600--700°CC. Wein. Nachher ruhig sitzend, lesend, rauchend. Zimmertemperatur = 18°, Respi- Tem- ZA ale ration peratur Ih. 56° 88 15 36,70 r 10h. #3 — = 36,72 10h. 10° — "2 36,72 10h. 20° 87 14 36,74 101. 220 aus 36,70 106. 351 — — 36,720 10h, 39 — _ 36,62 Vollständig entkleidet; sitzend; kein Kältegefühl. R A — "136,63 105.45 — _ 36,70 Aufstehen, sehr langsames Gehen; gelindes Kältegefühl. 106, 46’ — - 36,72 ı0n. 49 — RR 534 Liebermeister: ioyd Puls Respi- Tem- Zeit 2 ration peratur 10h. 51° 80 14 36,83 ; 1a a 32 14 Be Sitzend, kaum etwas Kältegefühl. 11h 7 14 36,82 11h. 12° — —_ 36,82 r Aufenthalt im Nebenzimmer, ‘dessen E = 1 rz Fu E Temperatur =12°,5. Abwechselnd e ’o0o Stehend und sitzend. Kältegefühl; 1 — Hr $ = Er E Hu Gänsehaut; allmählig entstehendes ge- 11h 20 —_ we 37.10 ringes Zittern. u. E 11h. 26° — — 37,11 re «: Vollständig wieder ange- 11h. 30 37,12 nn 11h. 34° — — 37,02 Im. 2 ri r- a Fortwährend stehend oder langsam u > 11h 0 = 36,68 gehend, 116.46. — — 11.136,60 11h. 49° 80 15 36,52 Sıtzend. Zur richtigen Würdigung der drei letzten Versuche ist es erforderlich zu bemerken, dass Abends nach 9 Uhr unter ge- wöhnlichen Verhältnissen bei mir ein langsames Sinken der Temperatur der geschlossenen Achselhöhle stattzufinden pflegt. In jedem dieser Versuche zeigt sich ein Steigen der Tempera- tur der geschlossenen Achselhöhle unmittelbar nach dem voll- ständigen Entkleiden, ein Sinken nach dem Wiederankleiden, Berücksichtigen wir zugleich die bei den früher mitgetheilten Versuchen erhaltenen Resultate, so ist mit hinreichender Sicher- heit die Thatsache eonstatirt, dass die direete Berührung der Körperoberfläche mit Luft von 12!/, bis 22° eine Steigerung der Temperatur der geschlossenen Ach- selhöhle zur Folge hat; und. zwar scheint die Steigerung um so bedeutender zu sein, je niedriger innerhalb der ange- führten Grenzen die Temperatur der Luft, und je deutlicher das durch dieselbe hervorgerufene Kältegefühl ist. Die Ergebnisse der mitgetheilten Versuche befinden sich zum Theil anscheinend im Widerspruch mit fast allen Beob- achtungen, welche bisher von anderen Forschern mitgetheilt worden sind. Freilich scheint schon James QCurrie bei sei- nen Versuchen über die Einwirkung des kalten Wassers auf gesunde Menschen in einem einzelnen Falle eine durch die kalte Uebergiessung bewirkte Steigerung der Temperatur beob- achtet zu haben; auch sind die Resultate einiger Versuche, welche F. Hoppe an Thieren anstellte, durchaus im Einklange mit dem von uns Beobachteten. Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 535 Alle anderen Beobachtungen von Currie!) jedoch, ein Theil der Versuche von Hoppe®), namentlich aber die Reihen von Beobachtungen, welche Virchow®) an sich selbst und an an- deren Personen anstellte, endlich die Untersuchungen von Fleury*), Esmareh und Hjelt‘) scheinen übereinstimmend das Resultat zu ergeben, dass durch Berührung der Körper- oberfläche mit kaltem Wasser die Temperatur der tiefer gele- nen Körpertheile sehr bedeutend herabgesetzt werde. Meine oben mitgetheilten Versuche haben dagegen übereinstimmend gezeigt, dass bei mir selbst, wie auch bei anderen Individuen, so lange eine Wärmeentziehung, deren Intensität und Dauer innerhalb gewisser. Grenzen bleibt, auf die Körperoberfläche einwirkt, die Temperatur der Achselhöhle, wenn sie nicht vor- her abnorm gesteigert war, niemals sinkt, zuweilen aber um ein Geringes steigt. Unter diesen Umständen scheint mir kein anderer Ausweg möglich, als die Annahme, dass die Verschie- denheit der Versuchsmethode die Ursache der Verschiedenheit der Resultate sei. Ich muss freilich gestehen, dass es mir vor- eg nicht möglich ist, für alle einzelnen Fälle den genügen- den Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme beizubringen ; ich muss mich vielmehr darauf beschränken, diesen Nachweis für einzelne Fälle zu liefern, und für die übrigen wenigstens den Weg anzudeuten, auf welchem die Ursachen dieser Ver- schiedenheit der Resultate mit Wahrscheinlichkeit gefunden wer- den können. Ich mache zunächst darauf aufmerksam, dass bisher Currie der einzige Forscher war, der bei Menschen Untersuchungen anstellte über die Veränderungen, welche während der Dauer einer starken Wärmeentziehung von der Oberfläche aus die Temperatur des Inneren erlitt; auf diese Versuche werde ich später zurückkommen. Die übrigen angeführten Beobachter waren nicht im Stande, über die Veränderungen der Tempe- ratur des Inneren während der Einwirkung des kalten Was- sers irgend etwas auszusagen. Die Verschiedenheit der Re- sultate dieser Beobachter und der von mir beobachteten be- steht daher nur in dem Verhalten der Temperatur nach der 1) James Carrie, über die Wirkungen des kalten und warmen Wassers als eines Heilmittels im Fieber und in anderen Krankheiten u. w. Nach der 2. Ausgabe aus dem Englischen übersetzt von Dr. Chr. Fr. Michaelis, Leipzig 1801. 2) Dr, F. Hoppe, über den Einfluss des Wärmeverlustes anf die Eigentemperatur warmblütiger Thiere, Virchow, Archiv für path. Anat. u. 6, w. 11. Band. 1857. 9) Virchow, Physiologische Bemerkungen über das Seebaden, mit besonderer Rücksicht auf Misdroy. Archiv für pathol. Anatomie 15. Band. 1858. 4) Louis Fleury, Praktisch-kritische Abhandlung über die Was- serheilkunde, Debersetzt von Scharlan. Stettin 1853. 5) 8. Virchow a. a. O. 536 Liebermeister: Einwirkung des kalten Wassers. Naclı dieser Einwirkung und namentlich nach dem Wiederankleiden und nach erfolgter Wie- derherstellung eines behaglichen Wärmegefühls habe ich zwar jedesmal ein Sinken der Temperatur der geschlossenen’ Achsel- höhle. beobachtet; aber der niedrigste Grad, bis zu welchem das Thermometer innerhalb der ersten halben Stunde nach der Einwirkung des kalten Wassers sank, betrug bei: mir selbst 36°,53, bei dem Herrn Dr. Tütel 35°,90. Diese Temperatur- grade liegen innerhalb der Grenzen derjenigen Schwankungen, welche ich bei gesunden Menschen unter durchaus. gewöhnli- chen Aussenverhältnissen beobachtet habe. — Bei den Versu- chen von Fleury!) dagegen fand ein Sinken der Temperatur bis auf 34°, 32°,9, 39°,1 statt, bei. den Versuchen von Hjelt?) bis auf 34°, 32° und sogar bis auf 30°, bei den Versuchen von Virchow?) ein Sinken bis auf 34°. Alle diese Temperatur- grade sind weit niedriger, als die niedrigsten Grade, welche ich jemals bei Menschen unter irgend welchen Verhältnissen beob- achtet habe; doch muss ich erwähnen, dass ich noch nieht Ge- legenheit gehabt habe, Temperaturbestimmungen an Menschen zu machen, bei welchen durch excessive Einwirkung der Kälte pathologische Verhältnisse herbeigeführt worden waren. Betrachten wir die Methode der Temperaturbestimmung, deren sich die Beobachter bedient haben, so sehen: wir, dass häufig die Angaben über die angewandte Methode nicht der Art sind, dass sie den Verdacht grober Irrthümer beseitigen könn- ten. Fleury z. B. giebt, was Virchow als einen Mangel er- kennt, nicht genau genug an, „wie, namentlich nicht, wie lange die Messungen angestellt sind“, und Temperaturbestimmungen an Menschen, bei denen diese Angaben fehlen, haben im All- gemeinen keinen Anspruch auf Berücksichtigung. Für die Be- obachtungen von Virchow, welcher die Temperaturbestim- mungen in der Mundhöhle machte, gilt ein solcher Einwand nicht, und die von ihm gefundenen Zahlen sind als ‚die der ge- schlossenen Mundhöhle entsprechenden Temperaturgrade anzu- sehen. Aber dennoeh besteht in der Grösse der Differenz der Temperatur vor und nach der Einwirkung des kalten Wassers zwischen den Beobachtungen von Virchow und den von mir angestellten Versuchen eine grosse Verschiedenheit, die’ nur aus der Verschiedenheit der Versuchsmethode abgeleitet: wer- den kann. Virchow fand, dass die Temperatur der Mund- höhle nach dem Bade im Mittel aus 18 Beobachtungen üm 1°,59 niedriger war, als vor demselben. Aus den von mir an mir selbst und an Anderen angestellten Versuchen ergiebt sich Erniedrigung der Temperatur in der geschlossenen Achselhöhle nach der Einwirkung kalten Wassers im Mittel 0°,31, im Maxi- 1) A. a. 0. S. 83 fl, 11. bis 13, Versuch. 2) Virchow a..a. ©. S. 92. 3) A. a. O. Tabelle I. und II. Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 537 mum-0°,53.2) Die Verschiedenheit dieser Differenzen ist so gross, dass sie nicht auf Zufälligkeiten oder individuellen Eigen- thümlichkeiten beruhen kann; ich kann dieselben nur daraus herleiten, dass Virchow die der geschlossenen‘ Mundhöhle, ich die der geschlossenen Achselhöhle entsprechende Tempe- ratur beobachtete. Schon die einfache Betrachtung der Verhältnisse zeigt, dass die geschlossene Achselhöhle weit mehr den auf die Körper- oberfläche einwirkenden Einflüssen entzogen, also'mehr geeig- net ist, über die im Inneren des Körpers vorhandenen Tem- peraturverhältnisse Aufschluss zu geben, als die geschlossene Mundhöhle, in welcher das unter der Zunge liegende Thermo- meter durch Sehichten von weit geringerer Dicke von der Oberfläche getrennt ist. In einem einzelnen im zweiten Ar- tikel mitzutheilenden Falle zeigte sich mit Bestimmtheit, dass, während die ganze Körperoberfläche bis zum Kinn mit Wasser von 25° umgeben war, die Temperatur der‘ geschlossenen Mundhöhle um mehr als 1 Grad niedriger war, als die der chlossenen Achselhöhle. Berücksichtigen wir zugleich den mstand, auf welchen Lichtenfels und Fröhlich?) auf- merksam machen, dass nämlich in der Mundhöhle noch längere Zeit, nachdem dieselbe mit kalten Flüssigkeiten in Berührung rare ist, die Temperatur durch die directe Wirkung der ärmeentziehung sich erniedrigt zeigt, so erscheint es im höch- sten Grade wahrscheinlich, dass, obwohl Virchow „während des Bades den Mund fast immer geschlossen hielt und dureh die Nase athmete,“ dennoch „die Thermometer-Messungen im Munde kein genaues Maass der Körperwärme ergeben“, und dass namentlich die Verschiedenheit der von ihm in der Mund- höhle und der von mir in der Achselhöhle erhaltenen Resul- tate hauptsächlich auf der Verschiedenheit des Applicationsortes beruht. Völlige Sicherheit über diesen Gegenstand würde nur durch zahlreiche, unter möglichst verschiedenen Verhältnissen anzustellende vergleichende Untersuchungen über die Tempe- ratur der geschlossenen Mundhöhle und der geschlossenen Ach- selhöhle zu erlangen sein. Vorläufig will ich wenigstens nicht die Möglichkeit bestreiten, dass längere Dauer des Bades und niedrigere Temperatur des Badewassers von noch grösserem 1) Als Temperatur vor der Einwirkung ist für jeden Versuch die höchste der vor dem Entkleiden gefundenen Zahlen genommen, ‚oder, wenn diese nicht notirt waren, die höchste der nach dem Entkleiden vor der Einwirkung des Wassers beobachteten; als Temperatur nach der Einwirkung die niedrigste der in der ersten halben Stunde nach der Einwirkung des Wassers gefundenen Zahlen. Das auf diese Weise erhaltene „Mittel* ist daher jedenfalls noch etwas zu gross. 2) Beobachtungen über die Gesetze des Ganges der Pulsfrequenz und Körperwärme u. s, w. Denkschriften der K. Akademie der Wis senschaften. , Mathem,-naturw. Klasse. Dritter Band. | Wien 1862, Reichert's u. du Bols-Koymond's Archiv. 1860. 35 538 Liebermeister: Einflusse auf die nach dem Bade zu beobachtende Temperatur sein mögen, als die kräftigen Bewegungen im Seebade, durch welche „ein so erhebliches Moment der Regulation gegeben ist.* Virchow theilt (a. a ©. S. 78) Beobachtungen des Hrn. Dr. Albreeht mit, bei welchen die Tremperaturbestimmung in der Achselhöhle angestellt wurde, und welche ebenfalls eine sehr bedeutende Erniedrigung der Temperatur nach, dem Bade (im Mittel 1°,34) ergeben. Es wird angeführt, dass dieser Be- obachter „das Thermometer jedesmal eine constante Zeit, näm- lich 10 Minuten, liegen liess, und den Stand des Quecksilbers nach Ablauf dieser Zeit notirte.* Diese Angaben genügen, um über den Werth der Beobachtungen zu entscheiden. Vorläufig erwähne ich nur, dass ich nach zahlreichen. Versuchen die An- nahme für unrichtig halten muss, dass die Zahlenwerthe, welche erhalten werden, wenn man bei zwei verschiedenen Beobach- tungen dasselbe Thermometer während eines gleichen Zeitrau- mes in der Achselhöhle liegen lässt, immer untereinander ver- gleichbar seien; vielmehr ist ‚eine solche Vergleichbarkeit nur dann mit Sicherheit, vorauszusetzen, wenn dieser Zeitraum so gross ist, dass in jedem einzelnen Falle das Thermometer sei- nen höchsten Stand erreicht hat. Benutzt man Thermometer, die. überhaupt zur Bestimmung der Temperatur der Achselhöhle brauchbar sind, so hängt die Zeit, welche erforderlich ist, bis die Quecksilbersäule ihren höchsten Stand erreicht, weit weni- ger ab von der Dicke des Glases, oder von der (Quantität ‘des in der Thermometerkugel enthaltenen Quecksilbers, oder end- lich von der Temperatur, welche die Thermometerkugel vor dem Einlegen besass, als von dem Zustande der Haut der Achselhöhle, und zwar namentlich von der Temperatur und dem Blutreichthum, resp. der Geschwindigkeit der Bluteircu- lation in der Haut der Achselhöhle. Davon, dass ein jedes gutgearbeitete Thermometer sehr bald die Temperatur seiner Umgebung anzeigt, kann man sich leicht überzeugen, wenn- man die Kugel desselben in Wasser von beliebiger Temperatur eintaucht. In verhältnissmässig kurzer Zeit erreicht auch in der Achselhöhle das Thermometer seinen höchsten Stand, wenn man vor dem Einlegen desselben die Achselhöhle durch An- drücken des Oberarmes an den Thorax während längerer Zeit genau verschlossen gehalten hat; weit längere Zeit dagegen ist erforderlich, wenn die Achselhöhle vor dem Einlegen des Ther- mometers nicht geschlossen war, und namentlich, wenn durch Einwirkung kalter Luft oder kalten Wassers eine ungewöhn- lich starke Abkühlung der Haut der Achselhöhle stattgefunden hat; noch langsamer endlich erreicht das Thermometer seinen höchsten Stand, wenn zugleich, wie z. B. im Stadium algidum der Cholera, die Bluteireulation in der Haut der Achselhöhle sehr langsam von Statten geht. Auch Letzteres konnte ich durch ‚eigene Beobachtungen eonstatiren, und dieser oft zu we- nig beachtete Umstand ist die Ursache davon, dass die meisten Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen n. s. w. 539 der bei Cholerakranken in der Achselhöhle angestellten Tem- peraturmessungen durehaus keinen Schluss auf die im Inneren des Körpers bestehende Temperatur zulassen. 1) Die Ursache des gewöhnlich lange dauernden Steigens des in die Achsel- höhle eingelegten Thermometers ist also nicht darin zu suchen, dass etwa zur Ausgleichung der Temperatur der Haut: mit der des Quecksilbers in der Thermometerkugel sehr lange Zeit er- forderlich wäre, sondern hauptsächlich darin, dass beim Einle- gen dee Thermometers die Haut der Achselhöhle eine niedris gere Temperatur besitzt, als diejenige, welche sie nach der Umwandlung in eine geschlossene Höhle allmählig annimmt. Wenn man daher nach einem kalten Bade, während dessen die Haut der Achselhöhle in hohem Grade abgekühlt wurde, das Thermometer nur 10 Minuten lang liegen lässt, so ist ceteris paribus mit Sicherheit vorauszusetzen, dass nach Ablauf dieser Zeit die Angabe des T'hermometers viel weiter von dem der geschlossenen Achselhöhle entsprechenden Temperaturgrade entfernt wird, als wenn eine ungewöhnlich starke Abkühlung der Achselhöhle nicht stattgefunden hätte. — Der niedrigste von Hrn. Dr. Albrecht nach dem Bade beobachtete Thermo- meterstand betrug 34°,5, ist also immer noch um 0°,5 höher, als der niedrigste von Vircho w in der Mundhöhle: beobach- tete Temperaturgrad. Unter Berücksichtigung der eben aus- einandergesetzten Verhältnisse zeigen sich die Sehlüsse, welche diese Beobachtungen zulassen, nicht mehr im Widerspruch mit dem von mir Beobachteten. Wir vermissen aber dann freilich die von Virehow hervorgehobene, „unter ‘solchen Verhältnis- sen überraschende“ Uebereinstimmung mit den von ihm selbst erhaltenen Resultaten. Es sind unter den an Menschen angestellten Untersuchungen noch die oben erwähnten Versuche von ÖCurrie zu besprechen. Dieser Beobachter untersuchte die Temperatur der Mundhöhle eines Menschen, welcher 1 bis 3 Viertelstunden lang in ein mit Wasser von sehr niedriger Temperatur gefülltes Gefäss einge- taucht war, vor und während dieses Bades, und fand während der Dauer des Bades Temperaturgrade, welche zum Theil noch niedriger sind, als die von Virchow nach dem kalten Bade beobachteten. — Was Ourrie (Bd. I. $. 33) über seine Me- thode der Temperaturbestimmung angiebt, bietet nicht die. nö- thige Garantie dafür, dass bei seinen Beobachtungen wirklich die der geschlossenen Mundhöhle entsprechende Temperatur gefunden worden sei, und reicht nieht aus, um den Verdacht zu widerlegen, dass die notirten Angaben des T'hermometers häufig viel zu niedrig seien; ein solcher Verdacht wird vielmehr einigermassen bestätigt durch die Bemerkung desselben Beob- I) Ngl; auch die Anmerkung von Griesinger; Infeetionskrank- heiten in Virchow’s specieller Pathol, und ’I’herap. Erlangen 1857. . 396, 35* 540 Liebermeister: achters (Bd. I. S. 175), dass er nämlich im Froststadium' von Fieberanfällen - die Temperatur ‘unter der Zunge und: in der Achselhöhle = 92°, 93°, 94° Fahrenheit (=33°, 3—34°,4 ©.) gefunden habe... Da ausserdem, weil die Temperaturbestim- mungen in der Mundhöhle angestellt wurden, von denselben alles Das gilt, was über die Beobachtungen von Virchow an- gegeben wurde, so erscheint der Mangel an: Uebereinstim- mung zwischen den Resultaten von Ourrie und den von mir erhaltenen zum grössten Theil erklärt. Endlich habe ich noch die Versuche zu besprechen, welche an Thieren angestellt worden sind; ich übergehe vorläufig alle diejenigen Versuche als mit den meinigen nicht vergleichbar, bei welehen durch excessive Wärmeentziehungen Wirkungen erzielt wurden, welche ausserhalb -der physiologischen Grenzen liegen. Es sind daher nur die Versuche von F. Hoppe!) zu erwähnen, deren Resultate zum Theil sehr wohl mit dem von mir Beobachteten übereinstimmen, zum Theil aber damit im Widerspruch zu stehen scheinen. Hoppe bestimmte die Tem- peratur der zu den Versuchen dienenden Hunde durch Einfüh- rung des T'hermometers in das Rectum; und dieser Applica- tionsort ist ohne Zweifel noch besser geeignet, über die im Inneren des Körpers bestehende Temperatur Aufschluss zu ge- ben, als die geschlossene Achselhöhle.. Hoppe fand, wenn er Hunde in kaltes Wasser eintauchte, in allen Versuchen über- einstimmend, ‚dass nach der Eintauchung ein Sinken der Tem- peratur im Rectum eingetreten war. Dieses Sinken betrug in 4 Versuchen, bei welchen der Hund jedesmal eine halbe Mi- nute lang in Wasser von 9°—12° eingetaucht wurde, 0°,7 bis 1°,0. In anderen Versuchen, bei welchen noch stärkere Wär- meentziehungen angewandt wurden, war das beobachtete Sin- ken der Temperatur noch bedeutender; bei einem Hunde z. B. von 3 Kgr. Körpergewicht, dessen Temperatur im Reetum vor der Eintauchung =38°,93 gefunden wurde, betrug nach einer 4'!/, Minute lang fortgesetzten Eintauchung in Eiswasser die Temperatur im Reetum 34°,10 und sank nachträglieh noch auf 52°,80. Aehnliche Resultate wurden bei den anderen Ver- suchen erhalten. In keinem Versuche wurde, wie es scheint, während der Dauer der Eintauchung eine Temperäturbestim- mung gemacht. Diese Ergebnisse weichen von den von mir erhaltenen we- sentlich ab. Es ist aber wohl kaum zu: bezweifeln, dass Ein- tauchungen in Eiswasser, welche mehrere Minuten lang fortge- setzt werden, für Hunde schon in: die Reihe der excessiven Wärmeentziehungen fallen, deren Wirkungen einen Vergleich mit der Wirkung der von mir angewandten Wärmeentzie- hungen nicht mehr zulassen, Dass bei einem kleinen Hunde eine Eintauchung {in Eiswäasser, welche mehrere Minuten lang 1) A. a. 0, Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 54 fortgesetzt wird, schon excessive Wirkungen hervorbringen kann, während bei einem Menschen die Wirkung einer Ein- tauchung von gleicher Dauer wahrscheinlich noch innerhalb der physiologischen Grenzen liegen würde, ist leicht verständlich, wenn wir berücksichtigen, dass ein Hund von 3 Kgr. Körper- gewicht im Verhältnisse zum Volumen seines Körpers eine viel grössere Körperoberfläche besitzt, als ein Mensch von 5l oder 62 Kgr. Körpergewicht; dass daher Einwirkungen, welche den grössten Theil der Oberfläche treffen, bei sonst gleicher Inten- sität und gleicher Dauer auf einen solehen Hund verhältniss- mässig viel stärker einwirken, als auf einen Menschen. Auch bei der Beurtheilung der nach der Eintauchung in Wasser von 9°—12° erhaltenen Resultate sind diese Verhältnisse zu berück- sichtigen; doch hängt vielleicht ein Theil der Differenz von einer durch die Eintauchung bewirkten Veränderung in den Verhältnissen der Cireulation ab, die im folgenden Artikel häher erörtert werden soll. Andere Versuche von Hoppe bieten eine werthvolle Be- stätigung und Erweiterung der von mir erhaltenen Resultate dar. enn er, nachdem er einen Hund in kaltes Wasser ein- getaucht und dadurch die Temperatur im Rectum zum Sinken gebracht hatte, diesen Hund mit nassem Pelze der Luft aus- setzte, so wurde trotz der noch immer fortbestehenden Steige- rung des Wärmeverlustes, welche die Verdunstung des Was- sers auf der Körperoberfläche bewirken musste, in allen Fällen. ein Steigen der Temperatur des Reetum beobachtet. Gewöhn- lieh überstieg die Temperatur, so lange der Pelz noch nass war, den vor der Eintauchung beobachteten Grad; ‚sie sank aber wieder, sobald der Pelz trocken geworden war. Wurde nach dem Eintauchen der Hund in Kautschukdecken einge- wickelt und auf diese Weise die Verdunstung des Wassers. be- schränkt, so sank die Temperatur im Rectum sehr bedeutend, stieg aber wieder, sobald der Hund aus der Einwieklung be- freit und die lebhafte Verdunstung des Wassers auf der Kör- peroberfläche wieder eingeleitet war. Diese letzteren Versuche von Hoppe liefern den Beweis, dass in ähnlicher‘ Weise, wie ich es bei Menschen gefunden habe, auch bei Hunden eine Steigerung des Wärmeverlustes auf der Körperoberfläche, deren Intensität gewisse, noch nicht genau bestimmte Grenzen nicht überschreitet, niemals ein Sin- ken, häufig ein Steigen der Temperatur innerer Theile zur Folge habe. (Fortsetzung folgt.) 542 W. Kübne: Ueber das Porret’sche Phänomen am Muskel. ‚ Kleinere Mittheilungen. Veber das Porret’sche Phänomen am Muskel, Von Dr. W. Kühne. Wenn man einen dünnen Muskel mit parallelen Fasern über die Elektroden einer constanten Kette legt, so sieht man nach der ersten Schliessungszuckung sofort eine änsserst heftige Bewegung in der Rich- tung vom positiven Pole nach dem negativen eintreten. Eine dicht gedrängte Reihe wellenartiger Erhebungen fluthet während der Dauer des Stromes in allen Fasern nach dem negativen Pole, wobei die Mus- kelprimitirbündel am positiven Pole an Volumen ab, auf der anderen Elektrode zunehmen. Nach Oefinung der Kette fällt die Muskelmasse plötzlich zur positiven Elektrode zurück, Wird der Strom während der Dauer jener Bewegung plötzlich umgelegt, so ändert dieselbe eben so plötzlich ibre Richtung. Bleibt die Kette einige Zeit geschlossen, so hört sie allmählig auf, und nur beim Oeffnen tritt eine ruckartige Rückbewegung ein. Ernenertes Schliessen lässt die Erscheinung dann immer unvollkoınmener erkennen. Zur Zeit, wo überhaupt auch 'keine Schliessungszuckung mehr stattfindet, gewahrt das nnbewaffnete Auge während der Dauer des Stromes niehts mehr ‚von dem, was in dem Muskel vorgeht. Man sieht nur, dass die Fasern bei längerem Ge- schlossenbleiben der Kette am negativen Pole allmählig anschwellen, Wird dann wieder geöffnet, so markirt sich die Rückwärtsbewegung wieder als Oeffnungszuckung, die in diesem Stadium aber nur eintritt, wenn die Kette so lange geschlossen blieb, dass eine hinreichende Menge der eontracetilen Substanz an den negativen Pol befördert wer- den konnte. Tritt auch unter diesen Umständen keine Bewegung beim Oefinen mehr ein, so können die letzten Rückbewegungen noch bewirkt werden durch Umlegen des Stromes (Schliessung in entgegengesetzter Richtung). Zuletzt erreichen aber auch diese letzten Spuren ihr Ziel, in- dem die contractile Substanz am positiven Pole gerinnt, und am ne- gativen eine starke Aetzung Platz greift. Der Zusammenhang dieser Erscheinungen mit den von Porret entdeckten Bewegungen von Flüssigkeiten durch galvanische Ströme, ist augenscheinlich, ebenso wie ihre tiefe innere Beziehung zu dem, was wir Zuckung auf elektrischen Reiz nennen, wobei ich zunächst nur an die von Heidenhain beobachtete Wiedererweckung der' Er- regbarkeit der Muskeln durch starke constante Ströme erinnere. Ich sehe voraus, erst nach: einiger Zeit ausführlichere Mittheilung hierüber liefern zu können, namentlich über analoge Vorgänge im Ner- ven,!) im Anschlusse an die bekannten Modificationen der Erregbarkeit, und die Wirkung constanter Ströme überhaupt. Der Umstand, dass augenblicklich von so vielen Seiten der Einfluss constanter Ströme auf Nerven und Muskeln untersucht wird, mag dieser vorläufigen Notiz zur Rechtfertigung dienen. — Paris, im März 1860. 1 Ueber das Photographiren von Myographioncurven. (Briefliche Mittheilung an Herrn E. du Bois-Reymond, von Prof. Heidenhain in Breslau.) Heute hat mir Herr Funke eine aus den Berichten der Leipziger 1) Ich benutze diese Gelegenheit, um zu bemerken, dass, wenn eine Fortführung des Neryeninhaltes durch den Strom nachgewiesen würde, man nach der Quincke- schen Entdeckung darauf eine Erklärung des Stromzuwachses im Elektrotonus grün- den könnte. E.d. B.-R, FE 0 ul en nn u en u en ." Heidenhain:'Notiz, betreffend die photographische n. s. w. 543 Gesellschaft abgedruckte Mittheilung über die photographische Verviel- fältigung‘ der Myographioncurven zugeschickt, zu welcher ich Ihnen einige brauchbare Zusätze zu machen im Stande bin. ‚Ich habe bereits vor j Jahren in Halle die Photographie zur Erhaltung der in Russ gezeichneten Bilder angewandt, wobei ich mich in Bezug auf die pho- tographische Technik des Rathes des Herrn G. Wislicenus, jetzigen Privatdocenten der Chemie in Zürich, erfreute. Ich wende, wie Funke, zur Bereitung des empfindlichen Papieres salpetersaures Silberoxyd, zur Fixirung der Bilder unterschwefligsaures Natron an. Allein mein Verfahren zeichnet sich vor dem des Herrn Funke dadurch aus, dass es mir auf den erstem Grifl geglückt ist, ein Mittel zur Fixirung der Rassbilder auf dem Gläse zu finden und dann die Glasplatte beliebig oft zur Herstellung von Photographien verwenden zu können, wonach Funke vergeblich gesucht hat. Dieses Mittel besteht in dem Ueber- giessen der mit der Russzeichnung versehenen Seite der Glasplatte mit sehr dünnem Collodium. _Das gewöhnliche Collodium der Apotheken ist zu eonsistent. Ich verdünne dasselbe so lange durch Aether, bis es ganz dünnflüssig wird, und überfluthe dann die unter einem Winkel von 30—35° geneigt gehaltene Glasplatte, deren Kussseite n&türlich nach oben gekehrt ist, von ihrem oberen Rande aus mit der Flässigkeit. Diese läuft die sebiefe Ebene hinab, ohne eine Spur des Russes mit sich zu nehmen, und tropft von dem unteren Rande wieder ab. Was von der Flüssigkeit durch den Russ zurückgehalten wird, genügt, um it diesem, nach dem Verdampfen des Aethers, ein gegen äussere An- griffe hinreichend resistentes Häutchen auf dem Glase zu bilden. In diesem Zustande kann man die Glasplatte, beliebig lange aufbewahren, und mit Hülfe derselben beliebig viele photographische Bilder anferti- gen, wobei man die Russseite des Glases auf das empfindliche Papier legt, olne dass die Russzeichnung dadurch litte. Ich habe mir einen Rahmen, ähnlich ‚dem der Photographen, anfertigen lassen, in. welchem ich drei meiner Glasplatten gleichzeitig zur Photographie aufstellen kann, Wem daran liegt, statt der verkehrten photographischen Bilder ein riehtiges zu haben, der braucht nur das Papier, auf welchem die Curven durch unterschwefligsaures Natron fixirt sind, dadurch durch- sichtig zu machen, dass er dasselbe einige Zeit in gesehmolzenes chi- nesisches Wachs taucht und dann zwischen Fliesspapier bügelt: Die von der Hinterseite des Papieres aus gesehenen Curven erscheinen dann natürlich in der richtigen Lage. Ich Jarf noch hinzufügen, dass die Deutlichkeit der auf diese Weise erhaltenen Bilder gar Nichts zu wünschen übrig lässt, Ich hofte, ia späteren Arbeiten eine Reihe derartig aufbewahrter Bilder vorlegen zu können. Breslau, den 4. April 1860. Ueber die angeblichen Nervenfaser-Endplexus im Stratum nerveum der Darmschleimhaut, Briefliche Mittheilung an Hrn. Reichert von H. Hoyer in Warschau. Schliesslich habe ich Ihnen noch eine Mittheilung zu machen über die sogenannten Billroth’schen Nerven-Endplexus im Darm. Noch wälrend meines Aufenthaltes in Breslau hatte Hr. Prof. Heidenhain dio Freundlichkeit, mir ein bezügliehes, von Billroch selbst angefer- tigtes Präparat zu zeigen, in welchem ich schon damals die scheinba- ren sunstomosirenden Nervennetze als Kunstproducte bezeichnete. Im Verfolg meiner Arbeiten über die Nervenendigungen im Allgemeinen 544 H. Hoyer: Ueber die angeblichen Nervenfaser-Endplexus u. 8, w. habe ich meine Aufmerksamkeit auch dem Darmeanale zugewandt. Ich liess Darmstücke vom Kinde in Essigsäure quellen und erhärtete die- selben alsdann durch Einlegen in verdünnte Chromsäurelösung. Ich mochte nun durch die Submucosä Schnitte machen, in weleher Richtung ich nur wollte, so erhielt ich die schönsten scheinbaren Plexus, wie Billroth sie beschreibt, mit Anschwellungen an den Knotenpunkten und in diesen Anschwellungen zahlreiche kernartige Gebilde. Es ist jedoch sehr leicht, sich zu überzeugen, dass jene scheinbaren Nervenfaser- plexus aus künstlich veränderten Gefässcapillaren bestehen, die sich sehr stark zusammengezogen haben und mit geronnenem Blutplasma gefüllt sind, während die Blutkörperchen sich an jene Knotenpunkte zurückgezogen uhd daselbst angehäuft haben. Der Zusammenhang der veränderten Capillaren mit den feinsten Gefässen lässt sich ohne Schwierigkeit nachweisen. Die feinsten Gefässe selbst unterliegen solchen Veränderungen viel weniger als die Capillaren, wahrscheinlich wegen der besonderen Structur der Wandungen, und durch diesen Ge- gensatz kann man sich wohl verleiten lassen, die Capillaren den grauen Nervenfasern zuzuzählen. Ich beabsichtige, den Gegenstand einer wei- teren Uhtersuchung zu würdigen, namentlich injieirte Darmstücke der- selben Behandlung zu unterwerfen, um jene missglückten Beobaehtun- gen mit allen Mitteln der Wissenschaft aus dem Felde zu’ schlagen. Sollten in der That wirkliche Nervengeflechte im Darm existiren, so müssten sich dieselben in ganz anderer Weise manifestiren, als wie es Billroth beschreibt. Zusatz zur vorstehenden Mittheilung. Von Reichert. Herr Hoyer hat mir obige Beobachtung zu einer Zeit zugeschickt, als ihm meine Beobachtung über den betreffenden Gegenstand noch unbekannt geblieben war. Da ich die Billroth’schen Nervenfaser- Endplexus mit eingeschalteten einfachen Ganglienzellen injieirt habe, und auch darüber kein Zweifel sein kann, was Billroth in seinen überall verbreiteten Präparaten für Nervenfaser und Ganglienzelle ge- halten hat, so ist die Angelegenheit meines Erachtens vollständig ab- gemacht. Gleichwohl hat sie neuerdings eine ganz eigenthümliche Wendung genommen, die auch in meiner Abhandlung bereits vorge- sehen war. W. Manz verfolgte den Verlauf des N. sympathieus in der Darmwand und hat hier, wie es bereits von anderen Organen und auch vom Darmeanal durch Meissner bekannt ist, im Parenchym derselben, namentlich in der 'Tunica nervea, eine ziemlich grosse Zahl unregelmässig zerstreut liegender Ganglien im sympathischen Ner- vengeflecht vorgefunden (Ueber die Ganglien und Nerven des Darms, Aus den Verhandl. der naturf. Ges. zu Freiburg 1859. S. 68 ff.). Es liegt zu Tage, dass man dieses Nervengeflecht und seine Ganglien nicht mit den angeblichen Billroth'schen Nervenfaserplexus und seinen einfachen intereurrenten Ganglienzellen verwechseln darf. Dennoch geschieht es, und wo es nicht recht passt, da müssen nicht gekannte, fötale Zustände das zu retten suchen, was nicht zu halten ist. Auch Manz hat leider in Fig. IV, seiner Abhandlung ein Gan- glion aus dem Darm eines 2 Tage alten Kindes gezeichnet, das man auf den ersten Blick für ein Blutgefäss, theilweise mit Blutgerinnsel erfüllt, wiedererkennt. E. Reissner: Beiträge zur Kenntniss vom Bau u. s. w. 545 iv Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes von ‚Petromyzon Mwiatilis L. Br Von or Prof. Dr. E. REISSNER in Dorpat. (Hierzu Taf. XIV. und XV.) Längere Zeit hindurch mit Untersuchungen über die Structur der Centraltheile des Nervensystems der Wirbelthiere beschäf- tigt, entschloss ich mich endlich auch das Rückenmark. des Neunaugen vorzunehmen, von dem Owsiannikow so sehr die Deutlichkeit gerühmt hatte, mit der das Verhalten der Spi- nalnervenwurzeln und der longitudinalen Fasern zu den Ner- venzellen und der letzteren zu einander sich zeigen sollte.') In. den folgenden Blättern beabsichtige ich dasjenige mitzu- theilen, was ich hierüber zu beobachten vermochte; ich kann jedoch nicht unterlassen, die Bemerkung vorauszuschicken, dass meine Mittheilungen nicht den Anspruch machen, überall die mögliche Grenze der Beobachtung erreicht zu haben, vielmehr müssen gegenwärtig noch manche Lücken übrig bleiben, welche von anderen Forschern oder auch von ‚mir unter günstigeren Verhältnissen vielleicht schon in der nächsten Zukunft werden ausgefüllt werden. Dass ich dessen ungeachtet meine Unter- suchungen, 50 weit sie eben gediehen sind, der Oeffentlichkeit übergebe, wird darin seine Erklärung finden, dass ich sie zum Theil als vollkommen zuverlässig ansehe, zum Theil nicht weiter fortsetzen mag, weil ich bei anderen Thieren günstigere Umstände zur Lösung allgemeiner Fragen zu finden hoffe, und weil es hier am Orte mit grossen Schwierigkeiten verbunden ist, frische Neunaugen zu erhalten. 1) Disquisitiones microscopicae de medullae spinalis textura, im- primis in piscibus factitatae. Dorpati Livonorum, 1854. pag. 16 et 19, Reichert’s u. du Bols-Roymond's Archiv. 1860. 36 546 E. Reissner: Dere;® Die von der gewöhnlichen höchst auffallend abweichende bandartige Gestalt des Rückenmarkes von Pelromyzon fluvia- tilis L. findet sich nach J. Müller!) bei allen Cyelostomen wieder, und ist durch frühere Arbeiten, namentlich aber durch die Abbildungen von Querschnitten, welche Owsiannikow l und Stilling?) geliefert haben, hinreichend bekannt. Die un- tere Fläche des Rückenmarkes bildet in longitudinaler Riehtung eine flache mediane Furche, welche gegen das Gehirn hin völlig verschwindet und in ihrem Grunde nirgends eine Spur einer Fissur erkennen lässt. Entsprechend dieser Furche erhebt sich die obere Fläche in der Mitte am meisten und ermangelt eben- falls einer Fissur. Owsiannikow spricht bei der Beschrei- bung von Querschnitten des Rückenmarkes von Petromyzon so- wohl von einer „Fissura posterior“, als auch von einer „Fissura anterior“; *) beide existiren aber in der That nicht, wie sich in der Folge ergeben wird. — Nach aussen nimmt das Rücken- mark allmählig an Dieke ab und bildet endlich jederseits eine abgerundete Kante. Gegen das Gehirn hin wird es schmäler und dieker und nähert sich somit der cylindrischen Form, welche bei den übrigen Wirbelthieren mehr oder weniger vor- berrscht. Gegen das Schwanzende nimmt es sowohl an Breite, als auch an Dieke ab, scheint jedoch kein eigentliches Filum terminale und keine Cauda equina zu besitzen, da es wenig- stens noch einige Linien vor dem äussersten Schwanzende im Wesentlichen dieselbe Gestalt, wie etwa in der Mitte seiner Länge, und nur verminderte Dimensionen darbietet. Als Umhüllung des Rückenmarkes findet sich eine derbe, ziemlich steife, leicht glänzende Haut, die ich für die Pia mater ansehen muss. Sie besteht aus der Länge nach parallel 1) Vergleichende Neurologie der Myxinoiden. Abhandlungeu der königl. Akad. der Wissenschaften zu Berlin. Aus dem Jahre 1838, Berlin 1839. S. 176. 2) A. a O. Tab. III. Fig. 6. 3) Atlas mikroskopisch-anatomischer Abbildungen zu den neuen Untersuchungen über den Bau des Rückenmarks. Vierte Lieferung. Cassel 1859. Taf.28. Fig. 37. 39. 4) A. a. O. Seite 20. ey Beiträge zur Kenntniss vom Bau (des’Rückenmarkes u. s. w. 547 verlaufenden Bindegewebssträngen, ‚zwischen denen ‚hin und wieder, bald reichlicher, bald spärlicher, meist spindelförmige, bisweilen dreieckige, kleine Zellen ‚mit runden oder länglich- runden, granulirten Kernen, in denen nicht selten ein Pünkt- chen wie ein Kernkörperchen schärfer hervortritt, liegen. Von diesen Zellen laufen einfache oder sich theilende Fortsätze aus, welche bisweilen, von benachbarten Zellen kommend, mit ein- ander in Verbindung treten (Fig. 12.). — Blutgefässe, die auch noch an Chromsäurepräparaten oft mit einer oder mehreren Reihen von Blutkörperchen gefüllt angetroffen werden, ver- breiten sich in reichlichster Menge, namentlich an der inneren, demRückenmark zugewandten Fläche der Piamater; unter ihnen finden sich nicht selten solche, deren Durchmesser viel geringer als der der Blutkörperchen ist. Sie bestehen zum grossen Theil blos aus einer structurlosen Membran, an deren innerer Fläche länglichrunde oder spindelförmige Kerne liegen; oft haften auch äusserlich der Membran solche Kerne oder Zellen von der oben angegebenen Beschaffenheit an (Fig. 13). — An der Pia mater bemerkte ich zuweilen undeutliche, kreisförmige Conturen, welche vielleicht Reste eines Epithels darstellten. Die Dura mater lässt sich als zusammenhängende Haut von den Wandungen des Rückgratcanales abziehen und ist oben und an den Seiten durch einen weiten Zwischenraum, welcher der Dicke des Rückenmarkes ziemlich gleichkommt, von der Pia mater entfernt, hängt dagegen unten an manchen Stellen mit ihr zusammen. Der Zwischenraum zwischen der Pia mater und Dura mater wird von einem lockeren Gewebe ausgefüllt, das zum grössten Theil aus kugelförmigen oder durch gegenseitige Berührung polyedrischen Zellen besteht. Die Zellen haben nach meinen Messungen einen Durchmesser von 0,014" bis 0,033” und einen namentlich nach Zusatz von Kalilösung deutlich hervortretenden Kern, vielleicht auch ein Kernkörper- chen. An der inneren Fläche der Zellenmembranen sitzen meist zahlreiche Tropfen fettiger Beschaffenheit, welche durch Be- handlung mit Kali zum Theil schwinden und wahrscheinlich erst bei der Einwirkung der Chromsäure sich aus dem Zellen- inhalte ausgeschieden haben (Fig. 14). — Zwischen diesen 36* 548 E. Reissner: Zellen finden sich hin und wieder eine ‘geringe Menge einer streifigen Grundsubstanz in der Form schmaler Bänder und kleine spindelförmige oder dreieckige Zellen von ganz derselben Beschaffenheit, wie solche von den Zellen der Pia mater an- gegeben wurde. Stannius beschreibt die eben erwähnte Sub- stanz, welche er „eine grauliche, weiche, sulzige Masse“ nennt, mit folgenden Worten: „In einer zähen, formlosen Grundmasse finden sich grosse blasse Kugeln von !/—"/z0” Durchmesser. Sie sind sehr scharf eonturirt, kugelrund oder elliptisch, sehr elastisch, matt weiss. Sie enthalten bald einen grossen Kern mit Kernkörper, bald feinkörnige, gelb oder schwarz pigmen- tirte Substanz oder grössere Tropfen, wie Oeltropfen aussehend. In der Grundmasse entwickeln sich in spindelförmige Fasern ausgezogene körnchenhaltige Kerne.') An den Stellen, an welchen die Spinalnerven aus den Oeft- nungen des Rückgratcanales, die den Foramina intervertebralia entsprechen, hervorkommen und zum Rückenmark treten, wer- den Canäle zu ihrer Aufnahme gebildet, indem die Dura mater sich bis zur Pia mater einstülpt und mit ihr verwachsen ist. Durch diese Canäle verlaufen die Fasern der oberen („hinteren“) und unteren („vorderen“) Wurzeln zu einem Bündel vereinigt bis zum äussersten Rande des Rückenmarkes, weichen dann als obere und untere Wurzelbündel, in denen die Fasern gleich- zeitig nach vorn und hinten divergiren, auseinander. Sie liegen nun hart auf der Pia mater auf bis zu den Stellen, an welchen sie, die Pia mater durchbohrend, direet in's Rückenmark ein- treten. Dieses Verhalten der Spinalnervenwurzeln, welche im-+ mer sehr fein sind und an der Eintrittsstelle in das Rücken- mark aus einer einfachen Schicht neben einander liegender Fasern zu bestehen scheinen, erklärt wohl unter Berücksichti- gung der Steifheit der Pia mater zur Genüge die Schwierig- keit, das Rückenmark von Pelromyzon so zu isoliren, dass dem- selben noch die Spinalnerven anhangen. Löst man die Pia mater nicht ab, so gelangt man leichter dazu, jedoch. bleiben 1) Handbuch der Zootomie. Zweiter Theil. Die Wirbelthiere, Zweite ‚Auflage. Erstes Heft: Zootomie der Fische. Berlin, 1854. S..126. Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s. w. 549 auch dann die Spinalnerven oft in den Durchtrittsöffnungen des Rückgrateanales zurück. Bei der Untersuchung von Querschnitten des erhärteten!) Rückenmarkes sieht man, dass die Begrenzung der grauen Masse einigermassen dem Umfange des ganzen Rückenmarkes entspricht und von sog. vorderen und hinteren Hörnern, wie solehe bei höheren Wirbelthieren gewöhnlich vorkommen, hier Nichts existirt. Die graue Masse bildet vielmehr einen quer verlaufenden, in der Mitte geknickten Streifen, ‚der ungefähr gleichweit vom oberen und vom unteren Rande, oder, genauer weniger weit vom letzteren entfernt ist und nach ‚aussen ‚hin lange die seitlichen Ränder des Rückenmarks nicht. erreicht. In der Mitte des Querschnitts erscheint dieser Streif der grauen Masse von ziemlich beträchtlicher Breite, nach. aussen ver- schmälert er sich alsbald bedeutend und nimmt darauf allmählig wieder eine grössere Breite an, um endlich abgerundet oder etwas zugespitzt ungefähr zwischen dem zweiten und letzten Drittel einer Hälfte zu enden. Von der verdickten Mitte des Streifes erstreckt sich eine allmählig breiter werdende Fort- ' setzung der grauen Masse bis zum unteren Rande des Schnittes herab (Fig. 1n.). Nach Owsiannikow’s Abbildung?) sollte man meinen, dass die graue Masse unmittelbar neben der Mitte am breitesten sei und dann nach aussen hin allmählig abnehme; ich kann hierin Owsiannikow eben so wenig beistimmen, wie darin, dass die innere Gruppe von sog. Müller’schen Fa- sern rings von grauer Masse umschlossen werde. Am deut- lichsten zeigt sich die Abgrenzung der grauen ‚Masse gegen die weisse, wie ich sie geschildert habe, im Schwanztheil des Rückenmarkes, in welchem die Müller’schen Fasern wenig oder gar nicht von den umgebenden Fasern an Durchmesser abweichen; die von der Mitte der grauen Masse ausgehende 1) Ueber die von mir befolgte Untersuchungsmethode werde ich an einem anderen Orte Ausführlicheres mittheilen; hier genüge die Bemvrkung, dass sie eine Combination der von Hannover, Clarke und Gerlach gemachten Angaben ist. 2) A. a. 0. Tab. IIL Fig. VI, 550 E. Reissner: Fortsetzung zur unteren Fläche des Rückenmarkes hat hier eine beträchtliche Breite. In dieser Fortsetzung der grauen Masse finde ich weder am Schwanztheil des Rückenmarkes, noch an anderen Stellen desselben irgend eine Andeutung einer Spalte (Fissura inferior s. anterior), vielmehr hängt dieselbe mit der umgebenden weissen Masse eben so innig zusammen, als die beiden Bestandtheile des Rückenmarkes überhaupt mit eitiander verbunden sind. Nach der entgegengesetzten Richtung sieht man häufig von der Mitte der grauen Masse einen feinen Streifen gerade zum oberen Rande des Schnittes verlaufen, gleichsam als wäre hier das Rückenmark durch eine senkrechte Scheidewand unter der Gestalt einer feinen Lamelle in zwei Hälften geschieden (Fig. 11.). Allein eine derartige, von vorn nach hinten sich erstreckende Scheidewand kann nicht vorhan- den sein, da man kaum seltener Querschnitte zu beobachten Gelegenheit hat, in denen jede Spur eines solchen Streifen vermisst wird. Ich sehe daher keinen anderen Answeg, als anzuneh- men, dass eine Abgrenzung zwischen den beiden Hälften des Rückenmarkes über dem Oentralcanal bloss dadurch zu Stande komme, dass von der grauen Masse, welche den Centralcanal umgiebt, einzelne Bindegewebsfasern oder Bündel senkrecht zur oberen Fläche des Rückenmarkes aufsteigen. Diese An- nahme wird ausser Zweifel gesetzt durch die Beobachtung, dass an horizontalen Längsschnitten sich eine entsprechende Reihe grosser Punkte zeigt und an verticalen Längsschnitten, welche den Centralcanal enthalten, ganz besonders zahlreiche faden- förmige Ausläufer oder Fasern wahrgenommen werden, welche von der grauen Masse und vielleicht von den hier reichlich vorhandenen Bindegewebszellen ausgehen. Aber diese Aus- läufer gehen von der grauen Masse sowohl nach oben, als auch nach unten, obgleich unterhalb des Centraleanales an Quer- schnitten ein solcher einfacher, halbirender Streif in der Regel nicht wahrgenommen wird. Dagegen ist zuzugeben, dass in der unterhalb des Centralcanales liegenden grauen Masse eine mehr oder weniger senkrecht absteigende Streifung, welche wenig- stens zum Theil auf jene Ausläufer bezogen werden ‚dürfte, deutlich wahrgenommen werden kann; bisweilen sieht man auch Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s w. 55] von dem Epithel ausgehend einen oder selbst zwei bald sich verschmälernde Streifen, welche mit dem über dem Central- eanal befindlichen identisch zu sein scheinen. Einen Zusam- menhang dieses letzten Streifens oder der Fortsetzung der grauen Masse zur unteren Fläche des Rückenmarkes mit der Pia mater habe ich nie entdecken können. Wenn man auf einen Quer- schnitt, welcher den oberen Streifen mit genügender Deutlich- keit erkennen lässt, einen Druck ausübt, so ereignet es sich nicht selten, dass hin und wieder Lücken zwischen dem Strei- fen und der angrenzenden weissen Masse auftreten, jedoch habe ich sie nie zu einer zusammenhängenden, bis zur oberen Fläche desRückenmarkes reichenden Spalte sich erweitern sehen und kann überhaupt hierin noch keinen Grund zur Annahme einer Fis- sura longitudinalis superior s. posterior finden, da Spalten hier nur künstlich hervorgebracht werden können. Den Centralcanal finde ich im mittleren Theil des Rückenmarkes von länglichrundem oder eiförmigem Umfange (Pig. 1a.); im letzteren Fall ist das spitze Ende nach oben, das stumpfe nach unten gekehrt. Am hinteren und am vor- deren Ende des Rückenmarkes erscheint der Centralcanal kreis- förmig. In den mittleren Theilen des Rückenmarkes bestimmte ich seinen grösseren Durchmesser zu 0,0076''—0,0104', seinen kleineren zu 0,003”—0,0061'"; Owsiannikow giebt als Durchmesser des Centralcanales mit der Epithelialschicht über- haupt 0,0075‘, ohne diese 0,0037“ an,') Stilling sagt, in- dem er sich auf das höchste, von Owsiannikow mitgetheilte Maass bezieht, dass er den Canal auch grösser, bis zu 0,0086’ fand.*) — Der Oentralcanal, rings von grauer Masse umgeben, liegt an den meisten Stellen der unteren Fläche des Rücken- marks näher als der oberen und nähert sich blos gegen das Gehirn hin der letzteren mehr. — Die Epithelialzellen, welche den ÖOentralcanal umgeben, sind abgestumpfte Kegel und wen- den ihre schmalen Enden nach innen, die breiten nach aussen; erstere bilden in ihrer normalen Länge einen zusammenhängen- 1) A. a. O. Seite 20. 2) Neue Untersuchungen über den Bau des Rückenmarks. Cassel 1859 Seite 27. 552 E. Reissner: den inneren scharfen Saum, letztere enthalten einen runden, fein granulirten Kern. Innerhalb des Oentraleanales fand ich sehr häufig einen im Querschnitt: kreisförmig begrenzt erscheinenden Strang, der, 0,0015’ im Durchmesser haltend, einem Achsencylinder sehr ähnlich aussieht und höchstens etwas stärker liehtbrechend ist (Fig. 1b.). Da dieser Strang, wenn ich ihn überhaupt zu Ge- sicht bekam, stets von derselben Gestalt war, und nicht ein- mal jene Formverschiedenheiten darbot, welche die Axencylin- der an Chromsäurepräparaten so häufig zeigen, kann ich nicht annehmen, dass er gleichbedeutend sei mit den unregelmässigen Massen, welche den Centralcanal bisweilen vollständig oder zum Theil erfüllen und im Rückenmark anderer Thiere oder des Menschen von mehreren Forschern erwähnt worden sind. Stilling erklärt einen derartigen Inhalt des Centralcanales für abgestossene Epithelialzellen oder Blutkörpercken,!) Bidder und Kupffer für gerounenes Eiweiss der Oerebrospinalflüssig- keit.?) Wenngleich ich gern zugebe, dass diese Substanzen alle dazu beitragen können, den Centralcanal auszufüllen, so muss ich doch die Betheiligung der Epithelialzellen und Blut- körperchen an der Zusammensetzung des von mir erwähnten Stranges auf das Bestimmteste in Abrede stellen. Sollte der Strang weiter nichts sein als ein Gerinnungsproduet der Gere- brospinalflüssigkeit, so würde die regelmässige, constante Ge- stalt höchst auffallend erscheinen, wenngleich sie in reducirtem Massstabe dem Lumen des Centraleanales einigermassen ent- spricht; auch müsste man dann annehmen, dass die chemische Beschaffenheit der Cerebrospinalflüssigkeit gleich oder sehr nahe verwandt wäre der Substanz, welche die Axencylinder bildet. Man könnte gegen den Strang als einen präformirten einwen- den, dass er an Querschnitten nicht immer wahrzunehmen sei; wenn man aber bedenkt, dass der Strang einen viel geringeren Durchmesser besitzt, als der Centralcanal und ganz frei in demselben liegt, wird man einräumen müssen, dass er bei der 1) A. a. 0. S. 19. 2) Untersuchungen über die Textur des Rückenmarks und die Ent- wickelung seiner Formelemente. Leipzig 1857. S. 42. Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s, w. 553 Anfertigung ‚sehr dünner Quersehnitte leicht verloren gehen könne, wie denn auch, wenigstens am Rückenmark von Petro- myzon, in querdurchschnittenen Nervenfasern der Axencylinder bisweilen vermisst wird und man in einem solchen Fall anneh- men muss, dass er beim Schneiden herausgefallen sei. — Um über diesen Strang, auf den ich weiter unten wieder zurück- kommen werde, zu einem Abschluss zu gelangen, würde es ohne Zweifel sehr förderlich sein, wenn man wüsste, wo und wie er anfängt und endigt; allein hierüber weiss ich weiter niehts mitzutheilen, als dass ich ihn sowohl in der Mitte des Rückenmarkes, als auch in den vorderen und hinteren Theilen immer von demselben Ansehen vorgefunden habe. Die graue Masse besteht aus einer feiner granulirten oder deutlicher punktirten, hin und wieder streifigen Substanz, und aus Zellen von verschiedener Grösee und Bedeutung. Die Streifung der Substanz findet sich namentlich in der Fortsetzung der grauen Masse, welche vom Centraleanal zur unteren Fläche des Rückenmarkes herabgeht, und wird hier bedingt theils durch gerade, theils durch divergirend herablaufende Linien, welche letztere bisweilen von anderen in gekreuzter Richtung ge- schnitten werden. Diese Linien haben höchst wahrscheinlich nicht alle eine gleiche Bedeutung; ich vermuthe nämlich, dass sie zum Theil Ausläufer von Bindegewebszellen, vielleicht auch von den Epithelialzellen, welche den Centraleanal umgeben, sind, zum Theil feinen Nervenfasern oder Axencylindern ent- sprechen. Eine stärkere Punktirung tritt immer nur spärlich auf und rührt höchst wahrscheinlich von vereinzelten longitu- dinal verlaufenden, querdurchschnittenen Nervenfasern oder de- ren Axencylinder her; auf solche kann jedoch die feine Gra- nulation nicht zurückgeführt werden: sie ist jedenfalls eine Eigenthümlichkeit der Grundsubstanz, entweder eine normale oder eine durch die vorausgegangene Behandlung hervorge- rufene, Unter den Zellen lassen sich an den meisten Stellen des Rückenmarkes mit Leichtigkeit vier Arten unterscheiden. Zellen von den bedeutendsten Dimensionen finden sich an zwei ver- schiedenen Stellen; ich will sie als mittlere und äussere 554 E. Reissner: grosse Nervenzellen bezeichnen. Die mittleren grossen Nervenzellen liegen immer im oberen Rande der grauen Masse, bald über der Contour desselben hervorragend, bald tiefer in die graue Masse eingesenkt, gewöhnlich etwas zur Seite von der Mittellinie, selten gerade in der Mitte oder etwas weiter nach aussen (Fig. 1d.). Meist enthält ein Querschnitt des Rückenmarkes nur eine derartige Zelle, bisweilen aber auch zwei und dann gewöhnlich eine auf jeder Seite der Mittellinie; letzteres fand ich häufig im vorderen, einige Male aber auch im hinteren Theil des Rückenmarkes. In Querschnitten aus den mittleren Theilen zeigten die Zellen einen längeren Durch- messer von 0,0150'—0,0225 und einen kürzeren von 0,0127” bis 0,0153"; ersterer entspricht der Breite, letzterer der Dicke der Zellen; jener liegt meist wagerecht, höchst selten nur schräg oder gar senkrecht, dieser meist senkrecht im Verhält- niss zum ganzen Rückenmark. Der meist länglicehrunde oder eiförmige Umriss der Zellen im Querschnitt erscheint mitunter an einer oder mehreren Stellen wie mit einem scharfen’ Aus- schnitt versehen; solche unregelmässige Formen, die im Ganzen selten auftreten, schreibe ich der Einwirkung der Chromsäure zu und bemerke noch, dass den Ausschnitten Lücken zwischen den Zellen und der umgebenden Masse entsprechen. Eine Zellenmembran ist nicht nachweisbar, die Substanz der Zellen erscheint fein granulirt und wird durch Carmin lebhaft roth gefärbt. Der Zellenkern, gewöhnlich längliehrund, 0,0087 — 0,012“‘ im Durchmesser haltend, ist ursprünglich wohl immer homogen, in Chromsäurepräparaten meist mit mehr oder we- niger zahlreichen Körnchen und einem in der Regel deutlichen, runden Kernkörperchen versehen. An recht dünnen Schnitten nimmt sich der Kern, der gar nicht selten unregelmässig ver- schrumpft angetroffen wird, heller aus, als die umgebende Sub- stanz der Zelle. Nur höchst selten bemerkte ich in Quer- schnitten einen wagerecht nach aussen oder senkrecht nach.oben gehenden Fortsatz, dessen Länge höchstens dem grösseren Durchmesser der Zelle gleichkam; in der Regel fehlen solehe Fortsätze. Stilling sagt von diesen Zellen: „die grauen Hin- terhörner sind gewissermassen nur durch diese Nervenzellen bei Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s. w. 555 Petromyzon repräsentirt,“!) wofür mir jedoch nicht hinreichende Gründe vorzuliegen scheinen. Die äusseren grossen Nervenzellen liegen in den äus- seren, erweiterten Enden der grauen Masse und bilden meist den überwiegenden Bestandtheil derselben (Fig. 1 ff.); bisweilen aber fehlen sie hier auch ganz, was namentlich an Querschnit- ten des hinteren Endes des Rückenmarkes wahrgenommen wird. Aber auch in den mittleren Theilen des Rückenmarkes ist ihre Menge sehr variabel, bisweilen sieht man in einem Querschnitt auf einer Seite 4, 5—6 grosse Nervenzellen, und auf der an- deren vielleicht nur eine oder gar keine. Sind sie zu mehreren vorhanden, so nehmen sie entweder bloss die äusserste Ecke der grauen Masse ein oder dehnen sich von da an auch noch längs des oberen oder unteren Randes der grauen Masse mehr oder weniger weit nach innen, gewöhnlich aber nicht weiter als bis zu der nächsten inneren Müller’schen Faser. Ihr längster Durchmesser liegt meist wagerecht, selten senkrecht oder in irgend einer schiefen Richtung im Verhältniss zum gan- zen Rückenmark. In Bezug auf ihre Gestalt lässt sich im Allgemeinen nur sagen, dass sie fast immer langgestreckt, sehr häufig spindelförmig oder unregelmässig drei-, vier-, fünf- oder sechseckig ist. Gewöhnlich findet man in Querschnitten meh- rere Fortsätze, bis sechs von eiuer Zelle ausgehend; sie sind jedoch in den meisten Fällen nur über kurze Strecken zu ver- folgen, Bei der bedeutenden Grösse der Zellen ist es kaum möglich, aus der Untersuchung von Querschnitten allein die eigentliche Anzahl der Fortsätze zu ermitteln, da man nie weiss, wie viel von irgend einer Zelle beim Schneiden verloren ge- gangen ist; ausserdem werden durch die Einwirkung der Chrom- säure nicht selten Formen hervorgerufen, welche die Vermu- thung erregen, dass an gewissen Stellen Fortsätze erscheinen, die in der That nicht existiren. Die mittleren grossen Nerven- zellen liefern, wie bereits oben angedeutet wurde, am entschie- densten den Beweis, dass solche Formen häufig nur der Ein- wirkung der Chromsäure zuzuschreiben sind. — Abgesehen von 1) A. a. 0. 8. 849, 556 E. Reissner: der verschiedenen Gestalt und’ Lagerung bieten die äusseren grossen Nervenzellen eine vollständige Uebereinstimmung mit den mittleren dar, wenigstens habe ich keine wahrnehmbare Verschiedenheit entdecken können. Ihre Länge beträgt 0,015’ bis 0,025‘, ihre Breite 0,0055‘'—0,0075''; ihre Kerne haben einen längeren Durchmesser von 0,0066’"—0,010'' und einen kürzeren von 0,0051''—0,0076'; das Kernkörperchen misst 0,0020 —-0,0025‘ im Durchmesser. Owsiannikow bestimmt die Breite dieser Zellen zu 0,007'', die Länge zu 0,011'.") Stilling sagt: „So finden wir bei Petromyzon in den grauen Vorderhörnern Nervenzellen von '/o0”' oder !/j50' bis 4/5" im grössten Durchmesser, die sogenannten spindelförmigen Zellen ;*®) den Durchmesser der Kerne giebt er zu !490"' bis !/g,'", die Kernkörperchen zu "/ıso0 bis !/300', selbst !/g5,''' an. Was nun die von diesen grossen Nervenzellen ausgehenden Fortsätze im Besonderen betrifft, so sagt Owsiannikow über sie: „Ab unaquaque cellula, id quod plane animadvertere possumus, una fibra ad partem anteriorem, altera ad posticam porrigitur, quo facto ambae e medulla spinali proveniunt, nervi spinalis radiees appellatae,* und weiter: „Praeterea e quavis cellula tertius oritur ramulus, qui ad alteram medullae partem transgressus, uni ex cellulis hie positis conjungitur.“ Unter mehr als 300 wohlgelungenen Querschnitten aus verschiedenen Stellen des Rückenmarkes habe ich nieht einen zu untersuchen Gelegenheit gehabt, der der eben mitgetheilten Schilderung voll- kommen entsprochen hätte. Am häufigsten sind die Fortsätze der Zellen so kurz abgebrochen, dass man aus Querschnitten über ihren weiteren Verlauf nichts ermitteln kaun; man darf daher annehmen, dass derselbe in den meisten Fällen. die transversale Richtung nicht genau einhält. Aber es kommen doch auch Fälle vor, in denen die Fortsätze über längere Strecken in einem Querschnitt erhalten sind. Ich beobachtete öfter ganz unzweifelhaft, dass von einer der grossen Nerven- zellen ein Fortsatz nach aussen und unten gegen den unteren Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s. w. 557 Rand des Schnittes sich erstreckte (Fig. 11., Fig. 2e., Fig. 3h.). Ein soleher Fortsatz verschmälerte sich meist allmählig so sehr, dass er nicht bis zum entsprechenden Rande verfolgt werden konnte; jedoch möchte ich glauben, dass diese bedeutende Ver- schmälerung häufig bloss durch das Schneiden hervorgerufen ist. Den nach aussen und unten strebenden Zellenfortsätzen sieht man nicht selten einige Axeneylinder der unteren Ner- venwurzeln entgegenkommen, ohne dass die einen in die an- deren übergingen (Fig. 2e.g.). Nur ein einziges Mal ist es mir möglich gewesen, einen Zellenfortsatz bis über den unteren Rand hinaus, also bis in eine Wurzelfaser zu verfolgen (Fig. 3h.). Das ist das Aeusserste, was ich über den Zusammen- harıg der grossen Nervenzellen mit den unteren Spinalnerven- wurzeln beobachtet habe. Dieses wenig befriedigende Resultat schreibe ich besonders dem Umstande zu, dass man bei Anfer- tigung von Querschnitten es zum Theil dem Zufall überlassen muss, ob man gerade die Eintrittsstelle der Wurzeln treffen werde, oder, wenn dem so ist, dass dann auch ‘die eintretenden Wurzelfasern genau die Querrichtung verfolgen. Nach meinen Untersuchungen muss also für Petromyzon‘ die Behauptung, dass jede Faser jeder vorderen oder unteren Spinalwurzel mit einer grossen Nervenzelle in Verbindung trete, so wahrschein- lich sie auch immerhin sein mag, noch erst bewiesen werden. Mitunter habe ich grosse Nervenzellen beobachtet, von denen mehr als ein 'Fortsatz nach der oben bezeichneten Richtung abging; allein da diese Fortsätze immer nur kurz waren, wage ich es nicht zu behaupten, dass sie ‚alle in Wurzelfasern über- zugehen bestimmt seien, Zweitens sah ich zu wiederholten Malen von den grossen Nervenzellen je einen Fortsatz nach unten und innen verlaufen; nur selten ist es mir aber gelungen, ihn ‘bis über die Mitte des Rückenmarkes zu verfolgen (Fig. 3i.), und nie bis zu einer grossen Nervenzelle der anderen Hälfte. Gewöhnlich gehen diese Fortsätze unter ‘die inneren Müller"schen Fasern ‘weg, selten schlängeln sie sich zwischen dieselben hindurch (Fig. 3 1.) und nie sah ich sie über den Centralcanal' verlaufen. ‘Wenn sie überhaupt an einem Querschnitt existirten, konnte ich meist 558 E. Reissner; von derselben Zelle keinen zweiten Fortsatz in grösserer Aus- dehnung verfolgen; in einigen Fällen habe ich mich jedoch mit völliger Sicherheit davon überzeugt, dass nach innen und unten und nach aussen und unten gehende Fortsätze von einer und derselben Zelle entspringen können (Fig. 3 f. i. h,, Fig. 2d. e.f.). Ich bin der Ansicht, dass dieses Verhalten das normale ist und nur der bedeutenden Grösse der Zellen und des unregelmässi- gen Verlaufes der Fortsätze wegen selten in einem und. .dem- selben Querschnitt zur Beobachtung kommt. — Häufig findet man unter den Müller’schen Fasern von einer Seite zur an- deren verlaufende, bald kürzere, bald längere Axencylinder, deren Zusammenhang mit Nervenzellen aber nicht mehr erkannt werden kann. Sie sii ıe Zweifel gleichbedeutend ‚mit den eben erwähnten Fortsätzen der Zellen und können wie diese als Fasern der vorderen Commissur bezeichnet werden. Drittens beobachtete ich sehr häufig, namentlich an Quer- schnitten aus dem hinteren Theile des Rückenmarkes, dass Axencylinder von dem äusseren Rande der grauen Masse ent- weder gerade nach aussen oder nach aussen und oben, oder nach aussen und unten. verlaufen (Fig. 3g.g’ g'); gewöhnlich hören auch sie schon in grösserer oder geringerer Entfernung vom Rande des Schnittes auf, -bisweilen sah ich sie aber sehr nahe an diesen herantreten, In einigen Fällen überzeugte ich mich, dass sie Fortsätze der grossen Nervenzellen sind (Fig: 3g.). Ueber ihr weiteres Verhalten kann ich nur die Vermu- thung aussprechen, dass sie in die longitudinale Richtung über- gehen dürften; es fehlt mir jedoch ‚hierfür jede auch bloss an- deutende Wahrnehmung. Ueber diese Fasern, die jedenfalls nervöser Natur sind, finde ich weder bei Owsiannikow.noch bei Stilling irgend eine Angabe. Soll ich sie nach den Be- obachtungen über den Bau des Rückenmarkes anderer Thiere oder des Menschen beurtheilen, so gehören sie offenbar zu dem sogenannten radiären Fasersystem, das von allen Anatomen, welche sich mit der Untersuchung des Rückenmarkes beschäf- tigt haben, wahrgenommen worden ist, aber nicht immer eine gleiche Deutung erfahren hat. Bidder und Kupffer erklären Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u, s. w. 559 es für -Bindegewebe,'!) Clarke für Gefässe,’) Lenhossek bezeichnet es als Systema nervosum radiale und „als den eigent- lichen eentralen Theil’ des Plexus nervosus piae: matris Pur- kynei“;°?) nach Kölliker würde es durch Ausstrahlung der vorderen Nervenwurzelfasern gebildet sein und in directer Ver- bindung mit den longitudialen Fasern der Seitenstränge stehen;) Sehröder van der Kolk sagt hierüber: „Diese quer ausstrah- lenden Fasern sind also die Communiecationswege der vorderen und seitlichen Markbündel mit der grauen Substanz, oder viel- mehr mit den Ganglienzellen, aus denen die Nervenwurzeln entspringen.“°), Bei -Säugethieren bestehen in der That bis- weilen radiäre Ausstrahlungen von der grauen Masse bloss aus Blutgefässen oder aus solchen und Märchen Bindegewebe, häufig aber auch bloss’ aus Nervenfasern, von denen die eine oder die andere in unzweifelhafter Verbindung mit einer ‚der grossen Nervenzellen des Vorderhorns gesehen werden kann. Bei Pelromyzon fand ich in den Ausstrahlungen von Bindege- webe und Blutgefässen keine Spur, sondern nur Axencylinder oder Nervenzellenfortsätze, über deren weiteren Verlauf. ich Kölliker’s und Schröder van der Kolk’s Angaben als Hypothese gelten lassen mag. Fortsätze der grossen Nerven- zellen, welche sich entschieden nach oben gegen die: Eintritts- stelle der oberen Nervenwurzeln erstreekten, ‚habe ich niemals wahrgenommen, Kleinere Zellen, welche ich ebenfalls. für. Nervenzellen 1) A. a. 0.8.48, 2) Researches into the structure of the spinal Chord. Philoso- phical Transactions for the year MDCCCLI. Part II. London 1851, p- 615. 3) Neue Untersuchungen über den feineren Bau des centralen Ner- vensystems des Menschen. I. Medulla spinalis und deren 'Bulbus rha- ehiticus, 2. vermehrte Auflage. Wien 1858: Seite 41. 4) Handbuch der Gewebelehre des Menschen, Leipzig 1859. 8. .287. 5) Bau und Funetionen der Medulla spinalis und oblongata und nächste Ursache und rationelle Behandlung der Epilepsie. Aus den Holländischen übertragen von Dr, F. W. Theile. Braunschweig 1859. 8. 48, 560 E. Reissner: ansehen muss, finden sich in der ‚grauen Masse stets in be- trächtlieher Menge; sie liegen theils zwischen den ‚grossen äusseren Nervenzellen, theils erstrecken sie sich weiter nach innen bis in die Nähe des Centraleanales und treten vereinzelt auch in der Fortsetzung der grauen Masse zur unteren Fläche des Rückenmarkes auf. Sie haben eine’ Länge von 0,0062 — 0,0127‘ und eine Breite von 0,0060" 0,0102‘, Kerne von 0,0045" 0,0051‘ und Kernkörperchen von 0,0010‘ im Durch- messer. Mit den grossen äusseren Nervenzellen stimmen sie in den meisten Beziehungen überein; nur fand ich ihre Form überwiegend spindelförmig, ihre Fortsätze in geringerer Anzahl und von geringerer Breite, nach der Behandlung mit Carmin- lösung waren sie schwächer gefärbt, ohne diese heller als die grossen Nervenzellen (Fig. 1 g.). Es war mir auffallend, dass bisweilen weit entfernt von den grossen äusseren Nervenzellen eine kleine mit Kern und Kernkörperchen versehene Zelle, die also wohl nicht bloss ein Stück einer grossen sein konnte, so dunkel oder so intensiv gefärbt erschien als die grossen Ner- venzellen (Fig. 1p.). Ob hiernach unter den kleinen Nerven- zellen zwei Arten angenommen werden sollen, wage ich nicht zu entscheiden. Ueber die Fortsätze dieser Zellen habe ich ihrer geringen Dimensionen wegen nur wenig ermitteln können; innerhalb der grauen Masse liessen sie sich bisweilen ziemlich weit verfolgen, dagegen verschwanden sie fast immer sogleich, wenn sie in die weisse Masse gedrungen waren; nur einige wenige Male sah ich sie entschieden die Richtung gegen die Eintrittsstelle der hinteren Wurzeln nehmen und nur in einem einzigen Präparate konnte ich einen Fortsatz von einer kleinen Nervenzelle bis an die Peripherie des Rückenmarkes, an wel- cher eine obere oder hintere Wurzel hing, verfolgen (Fig. 6 e.). In einem anderen Fall sah ich einen Fortsatz einer kleinen Nervenzelle, welche in geringer Entfernung nach aussen von den inneren Müller’schen Fasern lag, längs des oberen Ran- des der grauen Substanz bis in die Nähe des Centraleanales verlaufen; er würde, in derselben Richtung fortschreitend, eine Faser der hinteren Commissur gebildet haben (Fig. 4e.d.). Owsiannikow und Stilling haben, wie es scheint, diese Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u, s. w. 561 kleinen Nervenzellen ganz übersehen; denn wollte ich anneh- men, dass sie dieselben mit den grossen äusseren Nervenzellen identificirt hätten, so würde die Zahl der Nervenzellen, welche in ihren Abbildungen enthalten sind, viel zu gering sein. Letz- teres gilt auch von der Abbildung, welehe Virchow geliefert hat,') obgleich er ausdrücklich auch kleinere Nervenzellen er- wähnt, indem er sagt: „Nach aussen in der grauen Substanz liegen vielstrahlige, nach vorn grössere, nach hinten kleinere und einfachere Zellen;“?) weiter oben aber heisst es: „Was wir bei uns graue Substanz nennen, das findet sich auch hier wieder zu beiden Seiten in der Gestalt je eines plattlänglichen Lappens, welcher. einzelne a: aber nur sehr we- nige, enthält, so dass man auf jeder eite des Querschnitts vielleicht nur 4—5 davon findet.“°) Owsiannikow, von dem ieh, wie bereits bemerkt wurde, annehmen muss, dass er die kleinen Nervenzellen, von denen höchst wahrscheinlich allein Fasern zu den oberen Wurzeln ausgehen, nicht gesehen hat, behauptet dessen ungeachtet, Fasern dieser Wurzeln in Ver- bindung mit Nervenzellen deutlich wahrgenommen zu haben ;t) da er aber von eben denselben Zellen auch die Fasern der un- teren Wurzeln entspringen lässt, was ich nie gefunden habe, so weiss ich meine Beobachtungen mit den seinen nicht in Einklang zu bringen. Owsiannikow bemerkte in einigen Fällen auch Fasern der hinteren Commissur, meint jedoch, dass sie nur deshalb über dem Centraleanal gelegen hätten, weil unter dem- selben der erforderliche Raum gefehlt hätte.°) Ich kann nicht umbin, zu gestehen, dass mir diese Deutung eine durchaus willkürliche und gezwungene zu sein scheint. Eine wirkliche obere Commissur habe ich an Querschnitten nicht beobachten können, dagegen sah ich mehrere Male mit völliger Deutlich- 1) Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Zweite, nen durchgesehene Auflage. Berlin 1859. Fig. 92. Seite 247, 2) A. a. 0. S. 248. 3) A. a. O. 8. 247. 4) A. a. 0.8.2. 5) A. a, 0. 8. 28, Beichert's u. du Bols-Roymond's Archiv, 1860. 37 562 E. Reissner: keit, dass Fortsätze der kleinen Nervenzellen die Richtung über den Centralecanal weg nehmen. Das entschiedenste Beispiel der Art habe ich genau nach der Natur gezeichnet (Fig. & e. d.): Hiernach halte ich mich für überzeugt, dass, wenn überhaupt eine obere Commissur vorkommt, sie durch Fortsätze der klei- nen und nicht der grossen äusseren Nervenzellen gebildet werde. — Nach dem über diese kleinen Zellen Mitgetheilten wird es keinem Zweifel weiter unterworfen sein können, dass sie wirklich Nervenzellen sind; ich will noch hinzufügen, dass, wenn man mit der Untersuchung des Rückenmarkes auf Quer- schnitten bis zur Medulla oblongata hinaufsteigt, man endlich Präparate erhält, in denen in einer continuirlichen Bogenlinie radiär stehende Zellen angetroffen werden, von denen die in- nersten sehr gross und entschieden Nervenzellen sind, und dass an sie sich unmittelbar kleinere Zellen schliessen, welche mit den oben beschriebenen völlig übereinstimmen, häufig aber sehr lange Fortsätze erkennen lassen; auf diese folgen abermals grosse Netvenzellen. So gelangt denn die im Rückenmark selbst ziemlieh unregelmässige Vertheilung der inneren und äusseren grossen und der kleinen Nervenzellen in der Medulla oblongata zu einer regelmässigen, reihweisen Anordnung. — tegen das hintere Ende des Rückenmarkes nehmen die grossen äusseren Nervenzellen an Menge ab und verschwinden endlich ganz, so dass dann die kleineren Nervenzellen allein oder mit den inneren grossen Nervenzellen zusammen in einem Quer- schnitt angetroffen werden. Da das Verschwinden der grossen äusseren ‚Nervenzellen an Stellen des Rückenmarkes, welche noch Nervenwurzeln abgeben, bedenklich erscheinen dürfte, könnte man auch annehmen, dass sie bei gleicher funetioneller Bedeutung hier in kleinen Dimensionen auftreten und so schwie- riger oder gar nicht mehr von den übrigen Nervenzellen un- terschieden werden können. In den mittleren Theilen des Rückenmarkes ereignet es sich gar"nicht selten, dass ein Quer- schnitt in der grauen Masse einer Hälfte bloss kleine Nerven- zellen darbietet. Als vierte Art von Zellen, welche in der grauen Masse angetroffen werden, sind die sogenannten Bindegewebskör- Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s. w. 563 perchen zu betrachten. Sie haben viel geringere Dimensionen als die kleinsten Nervenzellen, indem sie eine Länge von 0,0025'—0,0030 und eine Breite von 0,0015'”—0,0030' darbieten. Untersucht man sie an Querschnitten, ohne sie iso- lirt zu haben, so erkennt man in der Regel nur ihre Kerne, welche kreisförmig oder länglichrund von Gestalt und scharf eontourirt sind; in ihnen erkennt man zahlreiche kleine, dunkle Körnchen, unter denen hin und wieder eines sich durch etwas bedeutendere Grösse oder stärkeres Lichtbrechungsver- mögen wie ein Kernkörperchen ausnimmt. Wenn man die graue Masse eines Querschnittes zerzupft hat, bisweilen aber auch ohne Weiteres, kann man sich davon überzeugen, dass die eben ge- schilderten Kerne in Zellen enthalten sind, deren Umfang den der Kerne nur wenig übertrifft und gewöhnlich spindelförmig ist; von den Enden der Zellen gehen oft feine, linienartige Fortsätze aus, an denen durch Carmin keine Färbung wahrge- nommen werden konnte. In vielen Fällen ist es mir gar nicht möglich gewesen, die Contouren der Zellen selbst wahrzuneh- men; es hatte vielmehr das Aussehen, als lägen die Kerne frei in der Grundsubstanz; nach der üblichen Anschauung wird man dann annehmen dürfen, dass die Zellen selbst mit der Grundsubstanz völlig verschmolzen seien und bloss die Kerne ihre Selbständigkeit bewahrt hätten. — Diese Bindegewebs- körperchen liegen am dichtesten in der Umgebung, der epithe- lialen Auskleidung des Centralcanales, namentlich am oberen äusseren Umfange desselben, wodurch die Umgebung des Cen- tralcanales oft eine fast regelmässig dreieckige Begrenzung zeigt; übrigens muss ich gestehen, dass ich die Kerne der Epithelial- zellen von denen der Bindegewebskörper nicht zu unterscheiden verstehe. Sollte man darin eine Berechtigung finden, die ausser den kegelförmigen, weiter oben beschriebenen Zellen dem Cen- tralcanal zunächst liegenden Körper zum Epithel zu ziehen, so wüsste ich dagegen keinen strieten Beweis anzuyführen. Ausser an der angegebenen Stelle finden sich nun auch noch die Bin- degewebskörper fast durch die ganze graue Masse in reichlich- ster Menge verbreitet; nur in der Fortsetzung, welche vom Centralcanal zur unteren Fläche des Rückenmarkes herabsteigt, 37* 564 E. Reissner: sind sie spärlicher vorhanden, oder fehlen auch ganz. — Ow- siannikow beschreibt die Zellen, welche er zum Bindegewebe rechnet, ganz und gar nieht, sondern sagt eben; nur, dass welehe vorhanden und mit feinen Fasern, die die graue Masse nach verschiedenen Richtungen durchsetzen, verbunden: seien. Wenn er angiebt, dass die Bindegewebskörper besonders reich- lieh die Müller’schen Fasern umgeben („eircum: cellulas ner- veas fibrasque Müllerianas ingenti numero conferta*),') so muss ich das insofern beschränken, als es nur für die Fasern gilt, welche theilweise von der grauen Masse begrenzt werden, und auch da sind die Bindegewebskörper nicht zahlreicher als an anderen Stellen; zwischen den Müller’schen Fasern selbst. habe ich keine Bindegewebskörper bemerkt, wohl aber zahl- reiche feinere Nervenfasern, deren Durchschnitte bei flüchtiger Beobachtung allenfalls: für Bindegewebskörper gehalten werden könnten. Aus dem: Voranstehenden ergiebt sich zur Genüge, dass ich der zuerst durch Bid.der zur Geltung gebrachten Behauptnng, dass die graue Masse des Rückenmarkes zu einem Theile aus Bindegewebe bestehe, in welche Nervenzellen und Nervenfa- sern eingelagert seien, unbedingt beistimme. Dennoch muss ich hervorheben, dass gegenwärtig die Frage, ob irgend welche in der grauen Masse vorkommende Fasern und Zellen Binde- gewebs- oder. Nervenfasern und Bindegewebskörper oder Ner- venzellen seien, noch nicht in allen Fällen mit Sicherheit wird beantwortet werden können, weil wir bis jetzt noch eine: viel zu wenig umfassende Kenntniss von den Verschiedenheiten be sitzen, welche sowohl die Nervenfasern und Nervenzellen, als auch die Bindegewebskörper entweder bloss im Körper. des Menschen, geschweige denn in dem der Thiere darzubieten ver- mögen. Das einzige, über jeden Zweifel erhabene Kriterium, um eine Zelle oder Faser als Nervenzelle oder Nervenfaser an- zusprechen, wäre der Nachweis des Zusammenhanges. dieser Theile mit unzweifelhaften, d. h. markhaltigen Nervenfasern; allein so klar diese Forderung gestellt sein mag, so unmöglich ) A, 0.8.24 Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes n. s. w. 565 seheint es, mit unseren gegenwärtigen Hülfsmitteln derselben nachzukommen, und wir würden jedenfalls in Irrthümer ver- fallen, wollten wir alle Zellen und Fasern, bei denen ein sol- cher Zusammenhang zur Zeit sich nicht demonstriren lässt und vielleicht auch gar nicht besteht, als nervige Bestandtheile strei- chen, Der allein unter den obwaltenden Verhältnissen offen bleibende Weg, um zum Ziel zu gelangen, scheint mir der zu sein, dass sowohl beim Menschen alle einzelnen Theile des ganzen Nervensystems, als auch das Nervensystem der Thiere, namentlich der Wirbelthiere, einer eingehenderen Untersuchung unterworfen werden, als es bisher geschehen ist. Ich bin der Ueberzeugung, dass man auf diesem Wege bald sichere Grund- lagen der Entscheidung gewinnen wird. — Wenn ich oben mit Bestimmtheit gewisse Zellen als Bindegewebskörper angespro- chen habe, so ist das namentlich im Hinblick auf vergleichend- histologische Beobachtungen geschehen. Es giebt Thiere (z. B. Mus musculus),') bei denen alle markhaltigen Fasern der Spinalnerven in ihren primitiven Seheiden sog. Kerne oder Bindegewebskörper enthalten; dieselben Körper mit unverän- derten Eigenschaften treten auch in der weissen Masse des Rückenmarkes und endlich auch in der grauen Masse auf; auch beim Menschen kommen Nerven mit solchen f’asern vor z. B. der Nervus oculomotorius.?) Bei Petromyzon habe ich nun zwar in den Spinalnerven keine kernhaltigen primitiven Scheiden beobachten können, allein die als Bindegewebskörper bezeichneten Zellen der grauen Masse stimmen so sehr mit den Kernen an den primitiven Nervenfaserscheiden der Maus und des Menschen überein, und gleichen den Zellen der Pia mater bis auf die etwas geringere Grösse so sehr, dass ihre Identität keinem Zweifel weiter unterworfen bleibt. So sicher ich überzeugt bin, dass die eben besprochenen Zeilen zum Bindegewebe gehören, eben so bestimmt muss ich 1) Ueber das Rückenmark der Maus sollen demnächst ausführ- lichere Mittheilungen durch die Inauguraldissertation des Dr. Boch- mann gemacht werden. 2) Ueber die Beschaffenheit des Nervus oculomotorius werde ich binnen Kurzem hoffentlich weitere Aufschlüsse geben können. 566 E. Reissner: behaupten, dass alle übrigen Zellen der grauen Masse (natür- lich mit- Ausschluss der Epithelialzellen‘ des Centraleanales) Nervenzellen sind. Ich habe unter Berücksichtigung der Grös- sen- und Längenverhältnisse drei Arten von Nervenzellen un- terschieden; ebenso viele nimmt Jaeubowitsch!) an, ich kann mich: jedoch nicht in Uebereinstimmung mit seinen Be- nennungen erklären, weil dieselben Urtheile einschliessen, welche mir weit über die gesicherten histologischen Beobachtungen binauszugehen scheinen Am ehesten liessen sich vielleicht noch die Namen: „Bewegungs-*“ und „Empfindungszellen“ recht- fertigen; den ersteren könnten die äusseren grossen, den letz- teren die kleinen Nervenzellen im Rückenmark des Petromyzon zugezählt werden. Sollen nun die inneren grossen Nerven- zellen als sympathische bezeichnet werden? Dafür wüsste ich ganz und gar keinen Grund und halte es für passender, sie so lange als Nervenzellen ‚sui generis anzusehen, bis wir über ihre Verbindungen und Analogieen bei anderen Thieren näheren Aufschluss erhalten haben werden, Die graue Masse des Rückenmarkes wird mit Ausnahme der von ihrer Mitte ausgehenden Fortsetzung, welche nach un- ten den Umfang erreicht, allseitig von longitudinalen Fa- sern umgeben. Diese bilden aber im frischen Rückenmark keine weisse, sondern eine farblose Masse, dennoch habe ich den Namen „weisse Masse“ öfter gebraucht. In Querschnitten zeigen sich natürlich bloss die Durchsehnitte der longitudinalen Fasern und zwar sind dieselben von sehr verschiedenem Durch- messer. Die stärksten Fasern, welche bereits J. Müller beschrieben und abgebildet?) und Owsiannikow Müller’sche Fasern genannt hat, liegen einmal in zwei Gruppen von: je 6 bis 8 vereint unmittelbar nach aussen von der vom Central- 1) Mittheilungen über die feinere Structur des Gehirns und Rücken markes. Breslau (1857). S. 2. 2) A. a. O0, S. 207. — Ueber den eigenthümlichen Bau des Ge- hörorganes bei den Oyelostomen, mit Bemerkungen über die ungleiche Ausbildung der Sinnesorgane bei den Myxinoiden. Abhandlungen der königl. Akad. der Wissenschaften zu Berlin. Aus dem Jahre 1837. Berlin 1838. Taf. III. Fig. 2. Beiträge zur Kenutniss vom Bau des Rückenmarkes u. s. w. 567 canal zur unteren Fläche des Rückenmarkes sich erstreckenden grauen Masse und stossen auch oben direet an die graue Masse, welche hier gleichsam durch die Fasern zurückgedrängt erscheint (Fig. 1 ec.).‘ Die Fasern einer Gruppe haben meist nicht alle denselben Durchmesser; häufig ist ihre Zahl auf bei- den Seiten nicht übereinstimmend, dagegen bleibt sie sich gleich durch grössere Strecken des Rückenmarkes, vielleicht sogar durch die ganze Länge desselben. Zwischen ihnen finden sich zahlreiche feine und sehr feine Fasern, aber keine graue Masse; letztere dringt höchstens zwischen die ihr zunächst gelegenen Fasern hinein. Eben solche oder etwas schwächere Fasern liegen ferner über dem äusseren Ende der grauen Masse, ge- wöhnlich in geringerer Zahl, 2—3; endlich finden sie sich, doch meist schon von viel geringerem Durchmesser, zerstreut im ganzen äusseren Abschnitt des Rückenmarkes und erstrecken sich von hier längs der unteren Fläche bis in die Nähe der safe erwähnten Gruppen. — Gegen das hintere Ende des Rückenmarkes nehmen alle diese Fasern an Durchmesser ab und können zuletzt von den übrigen Fasern nicht mehr unter- schieden werden; nach vorne bleiben sie unverändert an Stärke und gehen so in das Gehirn hinein. Owsiannikow giebt den Durchmesser der Müller ’schen Fasern im Schwanz zu 0,0037", in der Mitte des Rückenmarkes zu 0,0113" und in dem vorderen Ende zu 0,022” an;!) Stilling, welcher 8— 10 Fasern in den inneren Gruppen ‚zählt, bestimmt ihren Durchmesser auf Y/3,—"/30‘';?) ich fand an Querschnitten aus den mittleren Theilen des Rückenmarkes in den inneren Grup- peu Durchmesser von 0,00765'"—0,0230”, Wie die Müller- schen Fasern im Schwanztheil des Rückenmarkes beginnen und wie sie im Gehirn enden, habe ich nicht ermittelt oder nicht ermitteln können. Owsiannikow meint, dass sie nicht vom äusseren Umfange des Rückenmarkes, sondern in seinem In- neren von grossen Nervenzellen (im Schwanztheil) entspringen, in der Medulla oblongata in grosse runde Nervenzellen über- 1) A. 0.58. 21 2) A. 2.0. 8, 836. 568 E. Reissner! geben und während ihres Verlaufes, durch das Rückenmark in bestimmten Zwischenräumen von eingeschobenen Nervenzellen unterbrochen werden.') Abgesehen von dem Verhalten der Fasern in der Medulla oblongata, welches ich nicht untersucht habe, ist Owsiannikow’s Meinung nicht richtig. Er glaubt sie aber durch folgende Angaben gerechtfertigt zu haben: „Porro a nobis nonnulla observata sunt segmenta transversa, in quibus lacunae, fibris Muellerianis destinatae, non fibra- rum ipsarum segmentis transversis, sed cellulis rotundis, quarum nueleos’ atque nucleolos plane cognoscere poteramus, erant impletae. Praecipue ad posteriorem medullae spinalis finem pro fibris cellulas majores invenimus, quarum latitudinem de- mum ulteriore ad caput decursu adauctam animadvertere lieuit.* An den Stellen, an welchen die Müller’schen Fasern (d. h. die der inneren Gruppen) liegen, finden sich niemals Nerven- zellen, wohl aber häufig über ihnen und von ihnen durch eine schmale Schicht grauer Masse getrennt; es sind die oben als innere grosse Nervenzellen aufgeführten. Wenn man aus einem Stück des Rückenmarkes unmittelbar auf einander folgende Querschnitte anfertigt und sie der Reihe nach untersucht, so findet man, dass in einem Querschnitt z. B. auf einer Seite eine grosse Nervenzelle neben der Mittellinie, über den Mül- ler’schen Fasern, bloss dureh eine dünne Lage grauer Masse von ihnen getrennt, liegt, im folgenden Querschnitt fehlt auf derselben Seite eine solche Zelle, statt ihrer ist vielleicht auf der anderen Seite eine vorhanden; in dieser Weise sieht man bei weiterer Prüfung der Querschnitte einen fortwährenden Wechsel in dem Auftreten und Verschwinden der grossen Ner- venzellen. Ich vermuthe, dass Owsiannikow hierdurch ver- anlasst worden ist zu glauben, dass die grossen Nervenzellen an die Stelle der einen oder der anderen Müller’schen Faser rückten oder dass diese von jenen unterbrochen würden. Allein dem ist nicht so; wenn man die Müller’sehen Fasern (ieh spreche immer nur von denen der inneren Gruppen) zählt, kann man sich leicht überzeugen, dass ihre Zahl in auf einander fol- 1) A. a 0.S. 21. 22. Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s. w. 569 genden Querschnitten sich gleich bleibt, mögen über ihnen grosse Nervenzellen vorhanden sein oder nicht. Im Schwanz- theil des Rückenmarkes sind die inneren grossen Nervenzellen in der That etwas reichlicher vorhanden und näher zusammen- gerückt, aber auch hier ist, wenigstens so lange die Müller- schen Fasern sich noch von den umgebenden unterscheiden lassen, durchaus keine Beziehung der Fasern zu den Zellen nachzuweisen, ja es sind beide Theile vielmehr hier durch eine viel dickere Schicht grauer Masse von einander geschieden. Die inneren grossen Nervenzellen sind aber auch dann noch vorhanden, wenn die Müller’schen Fasern sich nicht mehr durch ihren Umfang vor den umgebenden auszeichnen. Eben- so wenig als bei den inneren Müller’schen Fasern habe ich jemals bei den sonst vorkommenden in ihrem Lumen statt eines Axencylinders eine Nervenzelle wahrgenommen. Aus meinen Untersuchungen von (Querschnitten und Längssehnitten, von welchen letzteren später noch die Rede sein wird, habe ich die Ueberzeugung gewonnen, dass die Müller’schen Fasern ohne Unterbrechung die ganze Länge des Rückenmarkes durchzie- hen; wobei ich jedoch immer noch einräume, dass sie im Ge- hirn von Nervenzellen ausgehen und vielleicht auch im Schwanz- theil an solehen enden mögen; an letzterem Orte sind es dann aber höchst wahrscheinlich andere Zellenals die inneren grossen. An allen übrigen Stellen des Rückenmarkes sind die Fa- sern von geringerem Durchmesser, höchstens 0,00”’ breit, da- bei aber variiren sie immer noch sehr bedeutend. Im vorderen Theil des Rückenmarkes bemerkt man, dass über der Mitte der grauen Masse breitere Fasern in reichlicher Menge vorhan- den sind und bogenförmig von jeder Seite her durch eine An- häufung feinerer Fasern, welche von der grauen Masse bis zur oberen Fläche des Rückenmarkes reicht, umschlossen wird. Alle bisher erwähnten Fasern zeigen ein deutliches, meist kreisförmiges Lumen und in demselben einen Axencylinder, der im (uerschnitt am häufigsten kreisförmig oder halbmond- förmig, bisweilen elliptisch oder viereckig oder auch ganz un- regelmässig erscheint, und fast immer bei Weitem das Lumen der respectiven Faser nicht ausfüllt; es kamen mir jedoch auch 570 E. Reissner: Fälle vor, in denen der Axeneylinder das ganze Lumen der Fasern einnahm, und zwar ereignete sich dieses nicht blos bei schmäleren, sondern auch bei den stärksten Fasern; ich beob- achtete es z. B. einmal in fast allen Müller’schen Fasern der inneren Gruppe. Wenn die Axencylinder dem Lumen der Faser an Umfang zurückstehen, sieht man nicht selten feine, bisweilen sich theilende Fäden von den Axencylindern zur in- neren Wandung der Fasern ausgespannt (Fig. 11.). Ich kann diese Fäden für nichts Anderes halten, äls für Bildungen, welche durch die Einwirkung der Chromsäure entstanden sind. In einigen Präparaten bemerkte ich an den Axencylindern der Müller’schen Fasern, dass ihr Centrum, ziemlich scharf um- schrieben, eine dunkle Färbung besass (Fig. 11.); dasselbe ist auch von Owsiannikow!) beobachtet worden. Da jedoch diese Erscheinung im Ganzen nur selten auftrat, glaube ich ihr keine weitere Bedeutung zuschreiben zu dürfen und bin vielmehr geneigt, sie auch ayf Rechnung des Erhärtungsmittels zu setzen. Ausser den bisher erwähnten Fasern mit ihren Axeneylin- dern finden sich immer noch: sehr viele feine Axeneylinder, die dicht von der Substanz umfasst werden, welche die Wan- dungen der übrigen Fasern bildet oder sie unter einander ver- bindet; es ist ganz dasselbe Bild, welches quer durchschnittene elastische Fasern im Bindegewebe darbieten. Derartige Axen- eylinder kommen überaus zahlreich in allen Theilen des Rücken- markes, welche der weissen Masse höherer Wirbelthiere ent- sprechen, hin und wieder auch in der grauen Masse, und be- sonders zahlreich und fast allein an der Oberfläche des Rücken- markes vor. Dass es wirklich Axencylinder und nicht etwa elastische Fasern sind, schliesse ich daraus, dass sie durch Carmin ganz ebenso gefärbt werden, wie unzweifelhafte Axen- eylinder, und dass im Rückenmark von Petromyzon überhaupt keine elastischen Fasern, wie weiter unten gezeigt werden soll, vorkommen. In neuerer Zeit scheint man nach dem Vorgange von Bidder 1) A. a. 0. S. 21: | a . Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s. w. 571 und Kupffer') im Allgemeinen geneigt zu sein, die Nerven- fasern in solche, welche eine Hülle besitzen, und in solehe, die derselben entbehren, zu unterscheiden; für eine derartige Eintheilung hat sich z. B. auch M. Schultze'entschieden.?) Ein Unterschied in der Umhüllung der Nervenfasern besteht nun auch jedenfalls; davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man einen Querschnitt aus der weissen Masse des Rücken- markes mit einem Querschnitt eines Spinalnerven vergleicht. Im letzteren Fall erkennt man freilich an den Stellen, an. wel- chen benachbarte Nervenfasern sich unmittelbar berühren, auch nur eine einfache Substanzlage, welche der Ausdruck der Wan- dungen der einen und der anderen Faser ist. Wo dagegen zwischen den Fasern Zwischenräume bleiben, sieht man na- mentlich an Präparaten, die mit Carmin behandelt worden sind, dass die Wandungen, welche intensiv roth gefärbt sind, vor der Ausfüllungsmasse, die heller gefärbt erscheint, ihre Selbst- ständigkeit bewahren. In der weissen Masse des Rückenmarkes ist dagegen von einer solchen Abgrenzung nichts zu erkennen: sie entspricht vollkommen der von Bidder und Kupffer ge- gebenen Beschreibung.’) Ein anderer Umstand ist die Isolirt- heit der Fasern der peripherischen Nerven, während die Fa- sern des Rückenmarkes gar nicht oder nur höchst unvollständig getrennt werden können. In letzterer Hinsicht habe ich es vergebens versucht, durch Behandlung des in Chromsäure er- härteten Rückenmarkes von Petromyzon mit verschiedenen Stoffen eine Zerlegung in einzelne Fasern zu ermöglichen. Kalilösung von verschiedener Concentration, sowohl kalt als warm angewandt, liess das Rückenmark nur noch leichter in kleine Stücke zerbröckeln, als dies schon beim Zerzupfen eines bloss in Chromsäure aufgehobenen Präparates geschieht. Schwe- fel- und Salpetersäure gaben kein günstiges Resultat. An meisten schien noch längere Zeit fortgesetzte Maceration in ver- 1) A. a, 0. 8. 25. 2) Observationes de retinae structura penitiori. Bonnae 1859. p. 22. 3) A. a, 0.8. 38, 572 E. Reissner: dünnter Essigsäure, welche ich auf Moleschott’s Empfeh- lung’) in Anwendung zog, leisten zu wollen, indem dadurch das Rückenmark sich wenigstens in bandartige Streifen zerle- gen liess uud nicht so leicht der Quere nach zerriss. Eine nähere Untersuchung der erhaltenen Streifen lehrte jedoch, dass Axeneylinder, gröbere und feinere, allerdings in ‘grosser Menge frei geworden waren, aber vollständige Fasern, etwa mit solehen Scheiden, wie sie aus Spinalnerven so leicht dar- zustellen sind, konnte ich durchaus nicht erhalten. Es ist übri- gens nicht immer so einfach, einen Axeneylinder bestimmt als solchen zu erkennen und nicht etwa für eine ganze Faser zu halten, zumal bei Petromyzon die Nervenfasern und die Axen- eylinder so sehr variable Dimensionen darbieten. Bei dem Zer- . zupfen der weissen Masse des Rückenmarkes werden die Axeneylinder mitunter in longitudinaler Richtung so ge- knickt, dass der Anschein entsteht, als hätte man eine Faser mit einem feinen Axencylinder vor sich. Kann man die Un- tersuchung über grössere Strecken ausdehnen, 'so lässt sich in der Regel die Wahrheit sicher constatiren. An den Enden der isolirten Streifen erkennt man nicht die geringste Spur eines Zerfalls in einzelne Fasern; es ragen blos Axeneylinder in grosser Menge aus ihnen hervor. Ich bin demnach auch der Ueberzeugung, dass die Wandung der Fasern des Rückenmar- kes eine andere ist, als z. B. die der Spinalnervenfasern ; dem- nach finde ich in dieser Abweichung keinen Grund, zwei Arten von Fasern als wesentlich verschieden einander gegenüberzu- stellen. Die Bedenken, welche ich gegen eine solche Unter- scheidung erhebe, beruhen vorzugsweise auf genetischer Basis. Bidder hat durch gemeinschaftliche Beobachtungen mit Rei- chert bereits im Jahre 1847 gezeigt, dass die Fasern periphe- rischer Nerven (des N. trigeminus) in der Weise entstehen, „dass in einer anfangs ganz gleichmässigen, mit gewissen For- men des Bindegewebes übereinstimmenden Grundmasse Röhren oder Canäle ausgehöhlt werden.“*?) Es besitzen also die Fa- 1) Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen. Jahrg. 1859. 2) Zur Lehre von dem Verhältniss der Ganglienkörper zu den Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s. w. 573 sern bei ihrem ersten Auftreten noch keine von der ganzen Masse, in welcher die Bildung vor sich geht, geschiedene Wan- dung, die als Scheide bezeichnet werden könnte; letztere ge- winnt erst später dadurch ihre Selbständigkeit, dass „in der Grundmasse Trennungen vor sich gehen, wodurch die jene Röhren umgebenden Substanzen sich unter einander und von der etwa als Rest unverbraucht gebliebenen Bindesubstanz ab- grenzen.“ Auf einer früheren Entwickelungsstufe stimmen mit- hin die peripherischen Fasern mit den Fasern des völlig aus- gebildeten Rückenmarkes ganz überein; wenn nun auch später dadurch eine Differenz eintritt, dass in dem einen Fall aus dem Bindegewebe sich eine selbständige Scheide sondert, welche die Isolirbarkeit der Faser bedingt, in dem anderen diese weitere Entwickelung unterbleibt, so kann ich darin eben weiter nichts sehen als verschiedene Entwiekelungsstufen einer und derselben Anlage. Mag die Umhüllung der Nervenfasern selbständig werden oder unselbständig bleiben, sie ist immer nur ein accessorisches Gebilde, das zu dem Hauptbestandtheil der Fa- sern, den Axeneylindern, vom morphologischen Standpunkte aus eine gleichgültige Stellung einnimmt. Nach den gegen- wärtigen Erfahrungen kann eine Nervenfaser in dem gewöhn- lichen Sinne nicht mehr als ein Formelement angesehen wer- den; sie ist vielmehr ‚ein zusammengesetztes Gebilde, dessen Wandung gar nicht zum Nervengewebe gehört. Es erscheint daher unstatthaft für die Nervenfasern, deren speeifische Natur jedenfalls im nervigen Bestandtheil steckt, eine Unterscheidung nach Modificationen unwesentlicher Theile vorzunehmen. Da- gegen kann die Unterscheidung von. markhaltigen und mark- losen Nervenfasern. wenigstens so, lange für berechtigt ange- sehen werden, als die Vermuthung. Bidders, dass das Mark von. den Nervenzellen geliefert werde,') keine Widerlegung ge- funden hat, Nervenfasern. Leipzig 1847. S. 59. — Die abweichenden Angaben, welche Kölliker (Handbuch der Gewebelehre des Menschen. Dritte Auflage. Leipzig 1859. S. 346) über die Entwickelung der Nerven giebt, bis ich ‚ausser Stande zu vertreten. 1) A. a. O. 8,62, 574 E. Reissner: Nach den interessanten Beobachtungen, welche Stannius über das Nervensystem von Petromyzon gemacht hat, würden bei diesem Fisch gar keine markhaltigen Nervenfasern vor- kommen.!) Bei meinen Untersuchungen ist mir nun zwar auch nichts begegnet, was als Nervenmark angesehen werden könnte, dagegen verdient es jedenfalls Beachtung, dass in einem. und demselben Präparate einmal sehr zahlreiche Nervenfasern exi- stiren, deren Axencylinder einen viel geringeren Raum ein- nehmen, als die respectiven Fasern, dann aber auch ebenso viele Nervenfasern angetroffen werden, deren Axeneylinder dem Durchmesser der Fasern gleichkommen. Für Ersteres könnte man eine Erklärung in der Zusammenziehung finden, welche die Chromsäure auf nervige Bestandtheile ausübt. Aber dann wäre nicht einzusehen, wie Letzteres gleichzeitig bestehen könnte. Bei dem Mangel von Beobachtungen an frischen Ner- ven des Petromyzon mag es mir gestattet sein, zur Beseitigung des eben angedeuteten Widerspruches an die Möglichkeit zu er- innern, dass das Mark in den Nervenfasern von Petromyzon vielleicht bloss nicht, wie bei anderen Wirbelthieren eine ölige Beschaffenheit, sondern eine mehr wässrige besitze. Zwischen den longitudinalen Fasern treten hin und. wieder Nervenzellen auf, welche an Form und Grösse meist mit den oben beschriebenen kleinen Nervenzellen genau übereinstimmen, selten aber auch grösser sind und fast die Dimensionen der grossen äusseren Nervenzellen der grauen Masse erreichen. Derartige Zellen kommen auf einem Querschnitt gewöhnlich ganz vereinzelt, bisweilen aber auch zu zweien oder dreien vor. Am häufigsten bemerkte ich eine solche Zelle ganz nahe dem äusseren Rande des Rückenmarkes (Fig. 1m., Fig. 5b.); öfter befand sich eine weiter ab vom äusseren Rande, entweder auf dem halben Wege zwischen diesem Rande und der grauen Masse oder dieser oder jenem näher. Nur einmal sah’ich eine Zelle über dem Centraleanal, gerade in der Mittellinie, fast in der Mitte zwischen dem oberen Rande der grauen Masse und 1) Nachrichten von der G. A. Universität'und der Königl. Gesell- schaft der Wissenschaften zu Göttingen. No. 8. 6. Mai 1850. S.'90.' 91. Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s. w. 575 dem oberen Rande des Rückenmarkes. Selten fand ich auch noch eine Zelle zwischen den inneren Müller’schen Fasern. In manchen Fällen waren die Fortsätze, welche von diesen Zellen ausgingen, über grosse Strecken zu verfolgen; nament- lich sah ich das an den Zellen, welche zwischen dem äusseren Rande des Rückenmarkes und dem äusseren Ende der grauen Masse sich befanden (Fig. 5 b.c.). Owsiannikow erwähnt diese Zellen nicht und Stilling bemerkt ausdrücklich: „Bei Petromyzon, der Lachsforelle u. A. habe ich Nervenzellen in den weissen Strängen nicht mit absoluter Sicherheit, so wie bei anderen auffinden können.“!) Nichtsdestoweniger sind diese Zellen gar nicht ‚selten an Querschnitten zu beobachten, und muss ich namentlich behaupten, dass ihr Vorkommen in der Nähe des äusseren Randes des Rückenmarkes beinahe constant ist. Ueber die Beziehungen, welche diese Zellen zum ganzen Rückenmark haben mögen, lässt sich zur Zeit kaum eine Ver- muthung aussprechen. Zwischen den Querdurchsehnitten der longitudinalen Fasern bemerkt man ausser hin und wieder der Schnittläche nach ver- laufenden verschiedenen Axencylindern auch noch eine bald mehr, bald weniger deutlich ausgesprochene Streifung, deren Riehtung im Allgemeinen radiär von der grauen Masse zu der Oberfläche des Rückenmarkes hin geht. Wie diese Streifung zu deuten sei, kann ich nicht mit Sicherheit angeben; ich möchte jedoch glauben, dass zu ihrem Zustandekommen verschiedene Momente beitragen: ‘einmal könnte 'sie wenigstens theilweise auf sehr feine, zwischen die longitudinalen Fasern hindurch- streichende Axeneylinder zu beziehen sein, dann die Beschaf- fenheit des Bindegewebes zwischen den Nervenfasern angeben, ferner als durch das Schneiden hervorgerufen angesehen werden und endlich wenigstens mitunter als optisches Trugbild gelten. Wenngleich durch diese Bemerkungen nichts gewonnen zu sein scheint, so muss ich noch hinzufügen, dass ich die Möglich- keit, es würde die Streifung durch elastische Fasern bedingt, ausschliesse. Bidder nimmt im Rückenmark elastische und 1) A, 0.0. 8. 851. 576 E. Reissner Ar m spirale Fasern an;!) ich kann ihm hierin nieht beistimmen. Das einzig sichere Kriterium, um die Gegenwart von elasti- schen oder spiralen Fasern zu constatiren, ist, so viel mir be- kannt, ihre Resistenz gegen erwärmte Kalilösung, welche an- dere, etwa mit ihnen zu verwechselnde Gewebstheile bald ra- scher, bald langsamer auflöst oder wenigstens unsichtbar macht. Ich habe daher zu wiederholten Malen sowohl Längs- als Querschnitte und längere Stücke des ganzen Rückenmarkes der Einwirkung einer Kalilösung mit gleichzeitigem Erwärmen un- terworfen. Eine Zeit lang liessen sich dann noch die Nerven- zellen und die Axeneylinder erkennen; später verwandelte sich Alles in eine leimartige, gelbliche Masse, welche durch Druck ein maschiges Aussehn annahm. Noch weiter fortgesetztes Er- wärmen unter Zusatz von neuer Kalilösung brachte die Masse zum Zerfliessen. Von elastischen oder spiralen Fasern konnte während dieses ganzen Vorganges keine Spur entdeckt werden. Blutgefässe habe ich sowohl bei der Beobachtung vom Querschnitten, als auch bei der von Längsschnitten im Rücken- mark selbst nur in sehr geringer Menge wahrgenommen, reich- licher treten sie dagegen in der Medulla oblongata auf und können dann mit Leichtigkeit meist schon daran erkannt wer- den, dass sie noch Blutkörperehen enthalten, Ihre schlaffen Wandungen sind sehr zart, bilden meist Falten und werden von Carmin nicht sehr intensiv gefarbt. Die geringe Menge von Blutgefässen im Rückenmark von Petromyzson war mir höchst auffallend, da ich das abweichende Verhalten an dem Rückenmark anderer Thiere sehr wohl kenne und die Behand- lung der Präparate mit Terpenthinöl besser als irgend eine bis jetzt angewandte Methode die Blutgefässe als solche erkennen lässt. Demnach muss ich bei meiner Behauptung beharren und kann dem nicht beistimmen, was Owsiannikow sagt: „Denique per totam medullae spinalis telam cellulosam 'permulta vasa sanguifera inveniuntur.“?) Um über das Verhalten der das Rückenmark bildenden 1) Unters. über die Textur des Rückenmarkes. $S. 45. 2)A.2.0.8. 2. Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s. w. 577 nach ihrer Längsrichtung eine Kenntniss zu gewinnen, ver- dient vor Allem bemerkt zu werden, dass das Rückenmark von Pelromyzon in seiner ganzen Dicke, welche mit Ausnahme des vorderen Endes sehr gering ist, zur mikroskopischen Un- tersuchung verwandt werden kann. Längsschnitte nach der horizontalen Ebene habe ich darum auch noch anzufertigen mich bemüht, muss jedoch gestehen, dass sie mir nur theilweise gelungen sind und im Ganzen nur wenig mehr erkennen lies- sen, als das Rückenmark in seiner ganzen Dieke. Viel leichter und von wünschenswerthester Feinheit lassen sich dagegen Längsschnitte in verticaler Ebene anfertigen. An einem Stück des in ganzer Dicke vorliegenden, durch Terpenthinöl durchsichtig gemachten Rückenmarkes erkennt man in der Mitte den Oentralecanal, dessen Lumen scharf be- grenzt und in zolllangen Strecken an Breite unverändert er- scheint. Er bildet mit seiner nächsten Umgebung einen breiten, longitudinalen Streifen, der sich vor dem übrigen Rückenmark durch seine Dunkelheit auszeichnet. Bisweilen erkennt man schon an solchen Präparaten den Strang, welchen ich oben als im Centralcanal liegend angegeben habe; an Längsschnitten, welche den Centralcanal enthalten, kann er oft in unveränder- ter Gestalt über sehr grosse Strecken verfolgt ‘werden (Fig. 10b.) und muss dann jeden Zweifel’ über seine normale Exi- stenz beseitigen. An Stücken des Rückenmarkes von ursprünglicher Dicke sieht man zu beiden Seiten des Oentralcanales einen breiten, sehr lichten Streifen, welcher der inneren Gruppe von Mül- ler’schen Fasern entspricht, indem die schmale Lage von grauer Masse, welche über diese Fasern sich vom Centralcanal nach aussen erstreckt, und die über, unter und zwischen den Fasern der Gruppe liegenden, feinen, longitudinalen Fasern die Durch- siehtigkeit nur wenig beschränken und bei der angegebenen Untersuchungsweise durch Verstellung des Focus des Mikro- skops völlig zurücktreten können. Aendert man dagegen die Einstellung, #0 kann man sich wenigstens davon überzeugen, dass die genannten Theile an der in Rede stehenden Stelle vorhanden sind, In dem lichten Streifen erkennt’man bei ge- Reichert's u, du Bols-Roymond's Archiv. 1860. 38 578 E. Reissner: sß eigneter Stellung des Focus sehr deutlich die grossen Nerven- zellen, welche ich früher als innere bezeichnet habe. Sie zei- gen meist kreisförmige oder kurz elliptische Contouren, deren längster Durchmesser im letzteren Fall gewöhnlich die longi- tudinale Richtung verfolgt. Owsiannikow!') und Stilling?) haben recht gute Abbildungen von ihnen geliefert. Bisweilen liegen diese Zellen mit ihrem längsten Durchmesser quer, was besonders häufig im vorderen und hinteren Theile des Rücken- markes zur Beobachtung kam. Von dem vorderen und hin- teren Ende der Zellen geht meist ein starker Fortsatz aus, der mit unbedeutender Verschmälerung sich häufig in gerader Rich- tung nach vorn und hinten über Strecken verfolgen lässt, welche den längsten Durchmesser der Zellen um das Zwei- und Dreifache übertreffen. Niemals bemerkte ich jedoch, dass diese Fortsätze sich verästelten und in directe Verbindung mit anderen Zellen gelangten, was Owsiannikow als einmalige Beobachtung angiebt.°) Häufig weicht die Fortsetzung von der geraden Richtung‘ etwas nach aussen ab, selten geht we- nigstens einer wagerecht nach aussen. Nur einmal sah ich drei Fortsätze von einer solchen Zelle entspringen; zwei verliefen in- gerader Richtung nach vorn und hinten, der dritte, von der- selben Breite als die beiden anderen, erstreckte sich nach aussen. Der starken Fortsätze wegen lässt sich der längste Durchmes- ser der Zellen, welcher ihrer absoluten Länge entspricht, nicht genau angeben, doch können die gefundenen Maasse von 0,018‘ bis 0,033" wenigstens als annähernd genau betrachtet werden. Owsiannikow sagt in der Beschreibung der Längsschnitte: „Cellularum rotundarum maximae 0,026‘ par., earum nuelei 0,015", nueleoli 0,005‘ sunt, minores 0,015“, nuclei 0,007’ sunt.“ i Nach aussen von dem lichten Streifen folgt jederseits ein meist etwas breiterer dunkler Streif, vor dem bis zum äusseren Rande des Rückenmarkes die Substanz wieder durchsichtiger erscheint. Dieser breite dunkle Streif entspricht dem äusseren 1) A. a. O. Tab. II. Fig. III. 2) A. a. O. Tab. XXIX. Fig. 5. 3) A. a. 0. S. 20. Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s. w. 579 verdickten Theile der grauen Masse mit den zahlreichen gros- sen, äusseren Nervenzellen in derselben und zeigt sich nach innen und nach aussen scharf abgesetzt, indem sowohl hier als dort Müller’sche Fasern über und unter der grauen Masse liegen; die scharfe Begrenzung kommt daher in der That nicht der grauen Masse allein zu, die vielmehr mit ihren grossen und kleinen Nervenzellen bald mehr, bald weniger nach der einen und der anderen Seite hinübergreift (Fig. 7). In diesem seitlichen dunklen Streifen treten vor Allem die grossen Ner- venzellen hervor. Sie haben meist eine spindelförmige Gestalt und liegen überwiegend mit ihrem Längsdurchmesser quer; dazwischen kommen aber auch solche vor, deren Längsdurch- messer die longitudinale oder eine schräge Richtung einnimmt (e.—e’ ec"). Die kleinen Nervenzellen werden bei der Unter- suchung des Rückenmarkes in ganzer Dicke gewöhnlich über- sehen, indem sie theils von den grossen Nervenzellen verdeckt werden, theils ihrer helleren Beschaffenheit wegen überhaupt schwieriger wahrzunehmen sind. An dünnen Längsschnitten in wagerechter Ebene zeigen sie sich dagegen ganz unzweifel- haft (dd.) Was nun die Fortsätze dieser Zellen anbetrifft, so sieht man sie in grosser Menge nach innen und aussen die Grenze des dunklen Streifens überschreiten. Von den nach aussen gehenden Fortsätzen habe ich sehr häufig solche mit aller Deutlichkeit wahrgenommen, welche eine weite Strecke ganz gerade oder wenig schräg oder wellig verliefen und dann, entweder nahe dem äusseren Rande oder weiter von diesem entfernt, plötzlich aufhörten, meist wie abgerissen. Ich glaube mit Sicherheit annehmen zu dürfen, dass sie zum grossen Theil auf dem Wege zu den oberen und unteren Wurzeln entweder wirklich abgerissen waren oder blos dem Auge sich entzogen, weil die Aufänge der Wurzeln in ganz anderen Ebenen liegen als die graue Masse der dunklen Streifen. Diejenigen Fort- sätze aber, welche sich dem äusseren Rande des Rückenmarkes bedeutend nähern, können unmöglich zu den Wurzeln in directer Beziehung stehen und entsprechen den bei der Betrachtung der (Juerschnitte erwähnten radiären Fasern, welche, wie kaum zu bezweifeln, in die longitudinale Richtung übergehen. Wenn 38* 580 E. Reissner: ich bereits oben, als von den Querschnitten die Rede war, des häufigen Vorkommens von Nervenzellen nahe dem äusseren Rande des Rückenmarkes und zwischen diesem und dem äus- seren Ende der grauen Masse habe Erwähnung thun müssen, so gewinnt man doch erst bei der Untersuchung des ganzen Rückenmarkes eine vollständige Kenntniss von ihrer Anord- nung. An manchen Stellen des Rückenmarkes sieht man nahe dem äusseren Rande eine Zelle hinter der anderen, an anderen Stellen lassen sie grössere Zwischenräume zwischen sich frei. In den meisten Fällen gleichen diese Zellen vollkommen. den kleineren Zellen der grauen Masse, in einigen wenigen dage- gen hatten sie viel bedeutendere Dimensionen und standen den grossen Zellen nicht nach. Ich bin daher zweifelhaft, ob sie ihrer specifischen Bedeutung nach zu den kleinen oder zu den grossen Nervenzellen gezählt werden sollen, oder ob diese und jene soweit die Grenze der grauen Masse überschreiten. Ow- siannikow hat ohne Zweifel.die Zellen, von denen eben die Rede ist, auch gesehen, scheint sie aber nur auf die oberen Wurzeln zu beziehen, was wenigstens zum grossen Theil nicht mit Recht geschehen kann; er sagt: „Secundum nervorum, qui radices posteriores constituunt, decursum gangliorum cellulae, latitudine 0,003‘ par., longitudine 0,005’ praeditae, subrotun- dae ac bipolares sunt poßitae.“') Statt nun von den nach innen gehenden Fortsätzen zu re- den, will ich vorher bemerken, dass der ganze Zwischenraum zwischen den beiden seitlichen dunklen Streifen von zahlreichen queren und verschiedenartig schrägen, oftsich kreuzenden Axen- eylindern durchsetzt wird. Stilling hat hiervon eine ziemlich gute Abbildung geliefert.‘) Einen Theil dieser Axeneylinder kann man mit Leichtigkeit als Fortsätze der Nervenzellen in den dunklen Streifen nachweisen, von anderen gelingt es nicht. Letzteres wird nicht weiter auflallen, wenn man sich erinnert, wie sehr die Fasern der unteren Commissur von der Ebene abweichen können, in welcher die grossen äusseren Nervenzel- len liegen. Dass die erwähnten Axencylinder aber wenigstens 1) A. 2.10.,8.17, Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s. w. 581 zum Theil der unteren Commissur angehören, wird nach dem über die Beschaffenheit der Querschnitte Mitgetheilten, und daraus, dass sie entschieden unter den Müller’schen Fasern liegen, nicht bezweifelt werden können. Ich bin aber auch der Ueberzeugung, dass ein anderer Theil der Axencylinder eine hintere Commissur bildet. Ueber ihre Lage zum Centralcanal kann man sich leicht durch veränderte Einstellung des Focus Gewissheit verschaffen und ihre Verbindungen mit kleinen Ner- venzellen treten bei der Untersuchung des ganzen Rückenmar- kes so häufig und so unzweideutig hervor, dass auch hierüber vollkommene Sicherheit gewonnen werden kann. Die Axen- eylinder der hinteren Commissur nähern sich viel seltener als die der vorderen der rein queren Richtung und kommen daher nicht wohl bei der Untersuehung von Querschnitten zur An- schauung. Aus ÖObigem erhellt zur Genüge, dass ich mit Bidder und Kupffer, welche „bei keinem Wirbelthiere“ eine obere oder hintere Commissur durch Nervenfasern zugeben, ') nicht übereinstimmen kann. Ausser den nach aussen und nach innen gehenden Fort- sätzen der Zellen in den seitlichen dunklen Streifen beobachtet man auch gar nicht selten nach vorn und nach hinten verlau- fende, aber meist nur kurze Fortsätze oder Zellen, von: denen sich nur nach vorn und nach hinten Fortsätze erstrecken. Ich bin aber nicht im Stande zu behaupten, dass das letztere Ver- halten ein normales ist. Owsiannikow meint, dass von den Nervenzellen ausser den queren Fortsätzen immer noch ein dritter zum Gehirn abgehe, also in longitudinaler Richtung, sich nach vorn erstrecke. Hiergegen muss ich besonders betonen, dass die Fortsätze dieser Richtung eben so oft nach hinten als nach vorn verlaufen. Den directen Uebergang dieser Fortsätze in die Fasern der weissen Masse, wie ihn. Owsiannikow zeichnet,?) habe ich nie beobachtet, denn wenngleich ich sehr häufig Fortsätze der Nervenzellen schräg in die weisse Masse ändringen sah, 80 entzogen sie sich doch immer sehr bald dem 3) A: a. O, Tab, IL Fig. III, e, 582 E. Reissner: Auge, noch bevor sie dort die rein-longitudinale Richtung ‚an- genommen hatten. Dass man an hinreichend feinen Längsschnitten in wage- rechter Ebene auch die Bindegewebskörper zur Anschauung be- kommt, bedarf kaum der Erwähnung. Längsschnitte, welche in einer senkrechten Ebene aus dem Rückenmark genommen werden, bieten der Untersuchung in sofern Vortheile, als sie bei bedeutender Länge von äusserster Dünnheit leicht dargestellt werden können, wenn man das Rückenmark von Peiromyzon, in eine ‘Spalte eines stärkeren Rückenmarkes eingeklemmt, mit diesem gleichzeitig schneidet. An solehen Schnitten kann man z. B. die Axeneylinder mit der grössten Deutlichkeit über Strecken von einem halben Zoll und mehr verfolgen. Nicht weniger klar bieten sich die Be- standtheile der grauen Masse dar und überhaupt sind diese Schnitte ganz ebenso instructiv als Querschnitte, was von Längsschnitten in einer wagerechten Ebene nicht in gleichem Maasse behauptet werden kann; wenigstens bin ich nicht im Stande gewesen, die letzteren ganz untadelhaft und in grösserer Anzahl nach einander aus einem und demselben Stück des Rückenmarkes herzustellen. — An senkrechten Längsschnitten kann man sich ebensa wie an den wagerechten von der eon- stanten, oben bereits erwähnten Beschaffenheit des Stranges in dem Centralcanale überzeugen. ‘Ferner zeigt sich sehr be- stimmt, dass die grossen inneren Nervenzellen immer über den Müller’schen Fasern der inneren Gruppe liegen und von ihnen noch durch eine dünne Lage grauer Masse getrennt wer- den (Fig. 9d.e., grosse Nervenzellen, b. eine Müller’sche Faser). Die nach vorn und nach hinten abgehenden Fortsätze der grossen Nervenzellen weichen von der longitudinalen Rich- tung meist etwas ab, indem sie schräg nach oben verlaufen, also eher sich von Müller’schen Fasern entfernen, als ihnen sich nähern. Ueber die graue Masse mit ihren verschiedenen Bestand- theilen wüsste ich nichts Besonderes anzuführen, dass nicht schon in den früheren Erörterungen erledigt wäre. Dagegen mag noch erwähnt werden, dass man an solehen Längsschnit- Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s. w. 583 ten gar nicht selten mitten in der weissen Masse, sowohl ‘über als unter der grauen, kleine Nervenzellen antrifft, von denen nach oben und nach unten, also gegen die Oberflächen des Rückenmarkes und gegen die graue Masse, Fortsätze auslau- fen, die theils den hinteren Wurzel-, theils den radiären Fa- sern angehören mögen (Fig. 8c.d.). Ausser den entschiedenen Fortsätzen von Nervenzellen sieht man noch von der grauen Masse, namentlich von der, welche den Centralcanal umgiebt, sehr zahlreiche gekrümmte Fasern von meist sehr geringem Durchmesser ausgehen: in manchen Fällen scheint‘ deren Zu- sammenbang mit den Bindegewebskörpern oder mit den Cylin- derzellen des Centralcanales kaum bezweifelt werden zu kön- nen, in anderen Fällen hat es vielmehr das Aussehen, als wenn sie von der Substanz, welche zwischen diesen Zellen liegt, ausgehen. Ich muss gestehen, .dass ich nicht im Stande bin mit absoluter Sicherheit zu sagen, welches Verhältniss das aus- schliesslich bestehende ist, oder ob beide angenommen werden sollen. Aus den oben im Speciellen mitgetheilten Untersuchungen ergeben sich folgende Resultate: - 1) Das Rückenmark von Petromyzon fluviatilis L. erscheint im frischen Zustande nicht weiss, sondern farblos und durch- sichtig. Dieses Aussehen rührt davon her, dass die longitudi- nalen Fasern, welche die graue Masse umgeben, kein derarti- ges Nervenmark besitzen wie die Fasern der weissen Masse bei den übrigen Wirbelthieren. Ob zwischen den Axencylin- dern und dem umhüllenden Bindegewebe gar keine dem Mark entsprechende Substanz existire, bleibt ferneren Untersuchungen vorbehalten, 2) Weder eine Fissura longitudinalis inferior, noch eine Pissura longitudinalis superior findet sich bei Petromyzon. Statt der letzteren bewirken von der grauen Masse, welche den Cen- tralcanal umgiebt, ausgehende Bindegewebsfasern eine Schei- dung in zwei Seitenhälften. 3) Die graue Masse entspricht in ihrer Umgrenzung eini- germassen der Form des ganzen Rückenmarkes und weicht 584 ; E. Reissner: wie diese von der Beschaffenheit des Rückenmarkes der mei- sten Wirbelthiere auffallend ab. Sie stellt ein plattes Band dar, welches in der Mitte, den Centralcanal umschliessend, und noch stärker in der äusseren Hälfte verdickt, zwischen diesen beiden Stellen am dünnsten ist. Von der Mitte der grauen Masse er- streckt sich bis zur unteren Fläche des Rückenmarkes eine breite Fortsetzung, und erzeugt so unterhalb des Centraleanales eine Scheidung in zwei Seitenhälften. 4) Der Centraleanal hat in den mittleren Theilen des Rückenmarkes ein ovales oder langrundes Lumen, dessen längster Durchmesser senkrecht zur Länge des Rückenmarkes liegt, in dem vorderen und hinteren Ende einen kreisförmigen Umfang. Er liegt immer der unteren Fläche des Rückenmar- kes näher als der oberen; am bedeutensten ist diese Verschie- denheit des Abstandes am hinteren Theile des Rückenmarkes. 5) Im Centralcanal findet sich constant ein Strang, der grosse Aehnlichkeit mit einem Axencylinder besitzt. 6) Die graue Masse besteht aus einer granulirt oder: ge- streift erscheinenden Grundsubstanz, in welcher, von dem Epi- thel des Centralcanales und von den Axencylindern abgesehen, vier Arten von Zellen liegen: a) die kleinsten finden sich 'allenthalben zerstreut und stim- men in ihrem optischen Verhalten mit den sog. Bindege- webskörpern vollständig überein; b) die Nervenzellen, stets von bedeutender Grösse und meist mit mehreren starken Fortsätzen versehen, lassen nach ihrer Beschaffenheit und Anordnung drei Arten unter- scheiden: «) grosse innere Nervenzellen, Sie liegen neben der Mittellinie im oberen Rande der grauen Masse, haben die Gestalt von abgeplatteten Kugeln und senden meist nach vorn und nach hinten je einen Fortsatz ab, wel- cher sich im’ weiteren Verlauf etwas nach aussen und oben wendet. Bisweilen kommt noch ein dritter Fort- satz vor, der gerade nach aussen verläuft, Mit den Müller’schen Fasern stehen sie in dem grössten mitt- Zur Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes u. s. w. 585 leren Theile des Rückenmarkes in durchaus keiner Beziehung. #) grosse äussere Nervenzellen. Sie haben sehr ver- schiedene Formen, meist aber langgestreckte, liegen im äusseren Abschnitt der grauen Masse und senden meh- rere Fortsätze, von denen ich höchstens 6 an einer Zelle beobachtet habe, aus. Die Fortsätze sind die Axeneylinder der Fasern, welche als untere Wurzeln aus dem Rückenmark hervortreten, die untere Com- missur bilden, als radiäre nach aussen verlaufen und höchst wahrscheinlich auch direet in die longitudinalen Fasern übergehen ; y) kleine Nervenzellen. An Gestalt gleichen sie den vorigen, an Grösse stehen sie ihnen bedeutend nach; sie sind heller, werden von Carmin weniger intensiv gefärbt und liegen theils zwischen den grossen Ner- ‚venzellen, theils mehr nach innen als diese. Ihre viel schwächeren Fortsätze gehen zur Eintrittsstelle der oberen Wurzel, bilden radiäre Fasern der hinteren Commissur. 7) Ausser den Nervenzellen der grauen Masse finden sich auch noch andere an vielen Stellen zwischen den longitudina- len Fasern. Am meisten eonstant sind diejenigen, welche ent- weder nahe dem äusseren Rande des Rückenmarkes oder zwi- schen diesem und dem äusseren Ende der grauen Masse ange- 'roffen werden. Sie liegen meist quer und senden ihre Fortsätze zunächst nach innen und nach aussen. 8) Weder die Commissurenfasern noch die Wurzelfasern erreichen die Nervenzellen als Norm in rein querer Richtung. 9) Die longitudinalen Fasern zeigen höchst auflallende Dif- ferenzen der Breite. Die stärksten, sog. Müller’sche Fasern, liegen in zwei Gruppen, jederseits eine aus 6—8 Fasern be- stehend, neben der Fortsetzung der grauen Masse, welche sich vom ÜOentraleanal zur unteren Fläche des Rückenmarkes er- streckt, ferner über und nach aussen von dem äusseren Ende der grauen Masse. Von den inneren Müller’schen Fasern lässt es sich unzweifelhaft nachweisen, dass sie continuirlich, 586 E. Reissner: aber nach hinten an Durchmesser abnehmend, die ganze Länge des Rückenmarkes durchziehen und, abgesehen von dem unbe- kannten Anfange und Ende, keine Verbindungen weder mit Nervenzellen noch mit Nervenfasern eingehen. Die Axeney- linder der Müller’schen, mitunter auch anderer, starker Fa- sern erscheinen im Querschnitt sehr unregelmässig, häufig ab- geplattet, halbmondförmig, und erfüllen nur selten das Lumen der Fasern. 10) Die Unterscheidung der Nervenfasern des Rückenmar- kes von denen der peripherischen Nerven ist aufzugeben, weil die primitive Scheide der letzteren nicht weniger ein accesso- risches Gebilde ist als die Umhüllung von Bindegewebe, welche die ersteren besitzen. Blutgefässe kommen im Rückenmark von Petromyzon fluviatilis sehr spärlich, in der Pia mater dagegen sehr reichlich vor. Dorpat, den 26. Mai 1860. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Querschnitt aus der Mitte des Rückenmarkes von Petro- myszon fluviatilis. a. Centralcanal, von kegelförmigen Epethelialzellen umgeben, b. Querschnitt des im Centralcanal liegenden Stranges. ec. Müller’sche Fasern der inneren Gruppe mit ihren Axen- eylindern. d. Eine der inneren grossen Nervenzellen. ee. Aeussere Müller’sche Fasern. ff, Aenssere grosse Nervenzellen. gg. Kleine Nervenzellen. h. Bindegewebskörper. i. Bindegewebsstrang, vom Centralcanal zur oberen Fläche des Rückenmarkes aufsteigend, k. Axencylinder der unteren Commissur, . Fortsatz einer grossen äusseren Nervenzelle, zur Eintritts- stelle der unteren Wurzeln verlaufend. om o. Nervenzellen zwischen den longitudinalen Fasern. . Fortsetzung der grauen Masse zur unteren Fläche des Rücken- markes. p- Eine kleine, dunkle Nervenzelle. Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Ktickenmarkes u. s. w. 587 Fig. 2. Desgleichen. a. Aeusseres Ende des Schnittes, dem seitlichen Rande des Rückenmarkes entsprechend. b. Eine der inneren Müller’schen Fasern. e. Die graue Masse im Umriss. d. Eine grosse äussere Nervenzelle mit zwei Fortsätzen, von denen der eine e, zur Insertionsstelle der unteren Wurzel, der andere f. zur unteren Commissur verläuft. g. Eine Faser der unteren Wurzel. Fig. 3. Desgleichen. a) Centralcanal. b. Aeusserer Rand das Rückenmarkes. ceeec. Innere Müller’sche Fasern. d. Graue Masse im Umriss. e. Eine äussere grosse Nervenzelle, von der g. ein Axenceylinder bis in die Nähe des Seitenrandes des Rückenmarkes verläuft. g’g' Aechnliche Axencylinder, deren Zusammenhang mit Nerven- zellen aber nicht beobachtet wurde. f. Eine äussere grosse Nervenzelle, von der zwei längere Fort- sätze oder Axeneylinder ausgehen, der eine h. wird zu einer Faser einer unteren Spinalnervenwurzel, der andere i. trägt zur Bildung der unteren Commissur bei, zu der auch kkl. als Axeneylinder ohne erkennbaren Zusammenhang mit Ner- venzellen gehören. Fig. 4. Desgleichen. ' a. Centralcanal. bb. Zwei innere Müller'sche Fasern im Durchschnitt. ce. Eine kleine Nervenzelle, von der d. ein Fortsatz wie zur Bildung einer oberen Commissur nach innen verläuft. Fig. 5. Desgleichen, a. Seitlicher Rand des Rückenmarkes. b. Eine hart an diesem Rande liegende Nervenzelle, von der e, ein langer Fortsatz gerade nach innen, d. ein kürzerer nach aussen und ein dritter d’ nach unten verläuft. Fig. 6. Desgleichen. ©. Oberer Rand des Rückenmarkes. 1. Eine kleine Nervenzelle mit g einem Fortsatze zur Insertionsstelle der oberen Spinalnerven- wurzeln, 588 E. Reissner: Beitfäge zur Kenntniss vom Bau u, s, w. Fig. 7. Theil eines horizontalen T:ängsschnittes vom Rückenmark des Petromyzon fluviatilis L. a. Eine innere (durchscheinende), b. eine äussere Müller’sche Faser, cc, Aeussere grosse Nervenzellen, deren Längsdurehmesser von links nach rechts geht; e'e” eben solche Zellen, mit von vorn nach hinten sich erstrecken- dem oder schräg liegendem Durchmesser, dd. Kleine Nervenzellen. e. Lücken neben den grossen Nervenzellen. Fig. 8. Verticaler Längsschnitt desselben Rückenmarkes. a. Der Raum‘, welchen die über der grauen liegende weisse Masse einnimmt. b. Der unter der grauen Masse liegende Abschnitt der weissen, In der grauen Masse liegen grosse und kleine Nervenzellen und Bindegewebskörperchen. e. Eine mitten in der weissen Masse oberhalb der grauen lie- gende Nervenzelle. d. Eine eben solche unterhalb der grauen Masse. e, Eine kleine Nervenzelle, deren Fortsatz sich nach oben, wahrscheinlich zu einer oberen Spinalnervenwurzel erstreckt. fff. Nach unten verlaufende Fortsätze der grossen Nervenzellen zu unteren Spinalnervenwurzeln oder zur unteren Commissur. gg. Lücken neben den grossen Nervenzellen, ohne Zweifel erst bei der Erhärtung des Rückenmarkes entstanden. k. Bindegewebskörperchen. ' Fig. 9. Verticaler Längsschnitt desselben Rückenmarkes. a. Eine Faser der oberhalb der grauen liegenden, weissen Masse. b. Eine innere Müller’sche Faser. ec. Graue Masse. de. Zwei innere grosse Nervenzellen, Fig. 10. Centraleanal aus dem Rückenmark von Petromyzon flu- viatilis L. a. Lumen desselben. b. Ein in demselben vorkommender Strang. Fig. 11. Querdurchsehnitt zweier Müller’schen Fasern, in denen von dem Axeneylinder, dessen Centrum dunkler ‚erscheint, einfache oder verästelte Fäden bis an die Höhlenwandung sich erstrecken. Fig. 12. Bindegewebskörper der Pia mater. Fig. 13. Ein Blutgefäss der Pia mater aus einem Chromsäure- präparat mit wohl erhaltenen Blutkörperchen. Fig. 14. Einige Zellen der zwischen Pia mater und Dura mater liegenden Substanz. Liebermeister: Physiologische Untersuchungen u. s. w. 589 Physiologische Untersuchungen über die quantita- tiven Veränderungen der Wärmeproduction. Von Dr. LIEBERMEISTER. Assistenzarzte der medieinischen Klinik und Privatdocenten an der Universität Tübingen. (Fortsetzung.) Zweiter Artikel. Ueber die quantitativen Veränderungen der Wärmepro- duetion unter der Einwirkung des kalten Bades und der kalten Luft, Als wichtigstes Resultat der im ersten Artikel mitgetheilten Untersuchungen habe ich bisher nur die Thhatsache constatirt, dass durch 'Wärmeentziehungen von der Haut aus, so lange die Intensität und die Dauer derselben innerhalb gewisser noch nieht näher erforschter Grenzen bleibt, die Temperatur der geschlossenen Achselhöhle bei gesunden Menschen, welche sich vorher unter normalen Temperaturverhältnissen be- fanden, niemals erniedrigt, in vielen Fällen: erhöht wird. Ich habe es vermieden, das für die Temperatur der geschlossenen Achselhöhle gefundene Resultat als ein für die Körpertem- peratur gültiges auszusprechen, weil meiner Ansicht nach in Folge der neueren Untersuchungen über die Temperaturtopo- graphie des tbierischen Körpers kaum noch, wie früher, von der „Körpertemperatur“ die Rede sein kann. Noch weniger schien ‚es mir erlaubt, aus den bisher mitgetheilten Untersu- chungen einen Schluss zu ziehen auf die quantitativen ‘Verän- derungen, welche die Wärmeproduetion in Folge der bespro- ebenen Einwirkungen erfährt. Und doch würden die Untersu- chungen erst dann Werth für die Physiologie besitzen, wenn 590 Liebermeister: dieselben über diese quantitativen Verhältnisse Aufschluss zu geben im Stande wären. Die Physik hat bereits begonnen, die Untersuchungen über die Quantität der Kräfte und über die bei den Uebertragungen und Umsetzungen der verschiedenen Formen der Kräfte zur Geltung kommenden Quantitätsverhält- nisse in den Vordergrund zu stellen; und ich zweifle nicht, dass, wie für die Chemie eine glänzende Aera begann, als die Untersuchungen sich hauptsächlich der Erforschung der quan- titativen Verhältnisse zuwandten, so auch für die Physik eine neue Aera beginnen werde, sobald einst der Begriff der Quan- tität der Kräfte und die Erforschung der quantitativen Verhält- nisse in allen physikalischen Diseiplinen volle Geltung erlangt haben wird. Diese neuere Richtung der physikalischen For- schung ist von grossem Einflusse auf die innerhalb der Phy- siologie auftretenden Richtungen gewesen; man muss sogar gerade den Physiologen das grosse Verdienst zusprechen, zu- erst in vollster Allgemeinheit die Bedeutung dieser neueren Richtung erkannt und die Probleme so wie die zu erwartenden Resultate dargelegt zu haben. Aber nichtsdestoweniger wur- den die Schwierigkeiten, welche die quantitative Erforschung der innerhalb der Organismen zur Geltung kommenden Kräfte darbietet, nicht unterschätzt, und leider sind diese Schwierig- keiten in den meisten Fällen der Art, dass wir uns vorläufig auf eine nach anerkannt falscher Methode ausgeführte Ab- schätzung dieser quantitativen Verhältnisse beschränken müssen, Vermittelst einer derartigen, in ihren Resultaten nur einen ge- wissen Grad von Wahrscheinlichkeit darbietenden Abschätzung zog schon Currie aus seinen Versuchen über die Wirkung des kalten Bades den Schluss, dass „die Wärme im Bad mit vierfach erhöhter Schnelle erzeugt werden musste“; in Folge einer solchen Abschätzung ist auch F. Hoppe der Ansicht, dass die Resultate seiner Versuche „mit den nöthigen theore- tischen Voraussetzungen über eine gut geregelte Heizung in den Organismen sehr wohl übereinstimmen.“ Auch mir drängte sich nach den über die Temperaturverhältnisse der geschlosse- nen Achselhöhle unter verschiedenen äusseren Einwirkungen gewonnenen Erfahrungen die Vermuthung auf, dass in Folge Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 591 _ der Einwirkung der Kälte auf die Körperoberfläche eine be- ‚deutende Steigerung der Wärmeproduction stattfinde. Aber wenn auch durch diese Annahme auf die einfachste Weise die Thatsache erklärt wird, dass bei einer verhältniss- mässig bedeutenden und lange dauernden Steigerung des Wärmeverlustes die Temperatur der geschlossenen Achselhöhle constant bleibt oder sogar steigt, so lässt sich doch nicht ver- kennen, dass gegen die Nothwendigkeit einer solchen Schluss- folgerung mancherlei Einwände möglich sind. Ich erwähne, mit Uebergehung vieler der möglichen, aber an sich unwahr- scheinliehen oder leicht zu widerlegenden Einwände, zunächst eine Annahme, welche, so lange sie nicht widerlegt ist, die Sicherheit der Schlussfolgerung in Frage stellen könnte. Wir wissen, dass das Blut in den verschiedenen Provinzen des Kör- pers und in den verschiedenen Gefässen sehr wesentliche Un- terschiede der Temperatur darbietet, dass namentlich im All- gemeinen das von der äusseren Oberfläche des Körpers und das von den Lungen zurückkehrende Blut eine niedrigere Tem- peratur, das aus inneren Organen zurückkehrende eine höhere Temperatur besitzt, als das von den entsprechenden Arterien zugeführte. Es wäre immerhin denkbar, dass in Folge der Einwirkung der Kälte auf die äussere Haut eine solche Ver- änderung in der Cireulation bewirkt würde, dass der Haut in der Achselhöhle grössere Quantitäten des aus inneren Organen zurückkehrenden oder geringere Quantitäten des von der Pe- ripberie zurückkehrenden. Blutes zugeführt und dadurch die Temperatur der geschlossenen Achselhöhle gesteigert würde. Dass in manchen Fällen Veränderungen der Cireulation von Einfluss sein können auf die Temperatur eines bestimmten Ortes, lässt sich nicht bezweifeln. Würde z. B. ein Mensch, bei dem man eine Temperaturbestimmung im Rectum anstellt, plötzlich mit kaltem Wasser übergossen, so würde die dadurch hervörgerufene Circulationsstörung allein hinreichen, um eine geringe, aber vielleicht doch bemerkbare Erniedrigung der Tem- peratur im Reetum herbeizuführen: das Rectum gehört zu den Stellen des Körpers, welche eine höhere Temperatur besitzen, als das in den Herzhöhlen enthaltene Blut (L. Fick); entsteht 592 Liebermeister: Big: in Folge einer plötzlichen Abkühlung eine Contraetion der Arterien der Haut, so muss eine grössere Quantität von Blut nach den inneren Organen ausweichen,!) und da die Tempe- ratur dieses Blutes geringer ist, als die Temperatur der inneren Organe, so muss in diesem Falle aus der Vermehrung der Blutzufuhr und der Circulationsgeschwindigkeit in den inneren Organen eine Abnahme der Temperatur derselben resultiren, Vielleicht war dieser Umstand nicht ganz ohne Einfluss auf die Resultate einiger der im ersten Artikel erwähnten Versuche von F. Hoppe; im dritten Artikel werde ich ein einzelnes Beispiel einer ähnlichen Wirkung mittheilen. — Die Annahme, dass durch eine Veränderung in den Verhältnissen der Cireu- lation ein Steigen der Temperatur der Achselhöhle bewirkt werden könnte, wäre freilich viel weniger wahrscheinlich und für sich allein wohl nicht zur Erklärung der Thatsachen aus- reichend. Wichtiger ist die Berücksichtigung eines anderen Verhält- nisses, welches jedenfalls bei der zu erörternden Frage wesent- lich in Betracht kommt, und bei dessen Besprechung es sich nur darum handeln kann, ob der Effect desselben gross genug sei, um ohne die Annahme einer gesteigerten Wärmeproduetion die beobachteten Thatsachen zu erklären. Es sind dies die durch Einwirkung der Kälte auf die äussere Haut sehr wesentlich modifieirten Verhältnisse der Temperatur und der Cireulation in der äusseren Haut, die durch Bergmann?) zuerst eine ge- nügende Würdigung erfahren haben. Die Quantität der in bestimmter Zeit von der Haut an das umgebende Medium ab- gegebenen Wärme ist ceteris paribus abhängig von der Tem- peraturdifferenz, welche zwischen der Haut und dem umge- benden Medium besteht. Die äusseren Schichten des Körpers 1) Dass eine solche „Intropulsion“ des Blutes unter gewissen Um- ständen stattfinden muss, ist nicht zu bestreiten; doch möchte ich der- selben allein jetzt nicht mehr so bedeutende Wirkungen auf die inne- ren Organe zuschreiben, als ich früher anzunehmen geneigt war. Vgl. meine Inauguraldissertation: De fluxione collaterali, Gryphiae 1856. 2) Nichtchemischer Beitrag zur Kritik der Lehre vom Calor ani- malis. J, Müller’s Archiv für Anat., Phys, u, s. w. Jahrg, 1845. ogische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 593 ıren durch eine energische Wärmeentziehung eine Tempe- erniedrigung, und diese T’emperaturerniedrigung wird um so bedeutender, da in Folge des Einflusses der Kälte die con- traetilen Elemente der Haut und‘ der Blutgefässe in Contrac- tionszustand versetzt und auf diese Weise die Cireulation in der Haut und dadurch die Wärmezufuhr von inneren Organen aus vermindert wird. In Folge dessen wird eine im ersten Momente der Einwirkung bestehende grosse Differenz zwischen der Temperatur der Haut und der Temperatur des umgeben- den Mediums nach kurzer Zeit herabgesetzt und der anfangs verhältnissmässig sehr bedeutende Wärmeverlust wesentlich ermässigt. Ohne das Bestehen einer solchen Regulirung des Wärmeverlustes würde es auch bei der Voraussetzung sehr grosser quantitativer Veränderungen der Wärmeproduction schwerlich begreiflich sein, dass trotz des überaus grossen Wechsels der Aussenverhältnisse die Temperatur im Inneren der „Thiere von constanter Temperatur“ nur geringen Schwan- kungen unterliegt. Bergmann ist geneigt, diesem „Mecha- nismus“ eine so grosse Wirksamkeit zuzuschreiben, dass’durch denselben „die Gleicherhaltung der inneren Temperatur des Körpers ohne eine beständige Anpassung der Wärmeerzeugung an jene die Wärmeableitung äusserlich bedingenden Momente erklärbar wird;* und es würde gewiss a priori nichts Stich- haltiges dagegen eingewendet werden können, wenn man an- nehmen wollte, dass bei der Einwirkung von kaltem Wasser Pe m kalter Luft auf die äussere Haut bald eine solche inderung des anfangs sehr bedeutenden Wärmeverlustes herbeigeführt werde, dass auch ohne Steigerung der Wärme- production ein Constantbleiben oder sogar ein Steigen der Tem- peratur in den tieferen Theilen die Folge dieser Einwirkung sein könnte, Hält doch einer derjenigen Physiolögen, welche am Entschiedensten die physikalische Richtung vertreten, es für möglich, die enormen Temperatursteigerungen bei fieberhaften Zuständen „abzuleiten aus verminderter Wärmeableitung, die, wenn sie in geeignetem Maasse einträte, selbst bei verminder- ter Verbrennung eine abnormere Steigerung der Temperatur zu Wege bringen könnte, Eine direete Entscheidung der Frage Heichert'« u. du Bols-Keymond's Archiv, 1860. Br 594 Liebermeister: at . könnte natürlich nur durch calorimetrische Versuche her- beigeführt werden.“ ?) a Calorimetrische Untersuehungen gehören bekanntlich zu den schwierigsten Aufgaben, welche die physikalische Forschung zu lösen hat. Physiologische ‘calorimetrische Untersuchungen sind selbst bei Thieren von geringerer Grösse so bedeutenden Schwierigkeiten unterworfen, dass seit den Untersuchungen von Dulong und Despretz keine Arbeiten in dieser Richtung unternommen worden sind. Bei Menschen anzustellende ge- naue calorimetrische Untersuchungen endlich würden enorme Hülfsmittel erfordern. Zur Entscheidung der Frage, ob durch die Einwirkung kalten Wassers auf die Körperoberfläche die Wär- meproduction gesteigert werde, sind aber vielleicht ge- naue quantitative Bestimmungen nicht erforderlich. Methoden, welche sehr grosse Fehlerquellen darbieten, können sichere Resultate liefern; dazu ist aber erforderlich, dass man die Grenzen kenne, welche die Fehler nicht überschreiten können, und dass die Differenz der zu vergleiehenden Resultate ausser- halb dieser Grenzen liege, Freilich liefert eine Methode, bei welcher die möglichen Fehler gering, sind, häufig Resultate, welche nach einer mit grösseren Fehlern behafteten Methode gar nicht zu erlangen sein würden. Es kam also darauf an zu untersuchen, ob die bei Einwirkung des kalten Wassers auf die äussere Haut etwa stattfindende Veränderung der: Wärme- production als so bedeutend sich herausstelle, dass die aus den Beobachtungen sich ergebende Differenz grösser als der mög- liche Fehler sei. In diesem Falle lieferte die angewandte Me- thode ein vollkommen sicheres Resultat; im anderen Falle konnte sich nur ergeben, dass die Methode zur Entscheidung der Frage ungenügend sei. Zunächst würde es wichtig sein, die Wärmequantitäten zu kennen, welche unter normalen Verhältnissen von den’ dem. Versuche unterworfenen Individuen produeirt werden. Zu.einer auch nur annähernd genauen directen Feststellung derselben 1) A. Fick, die medieinische Pbysik, Braunschweig 1860, S, 21% Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 595 fehlte mir jede Methode. Es ergiebt sich aber, wie zuerst Helmholtz!) gezeigt hat, aus einer überschlägigen Rechnung, welche einerseits auf die bei Thieren angestellten calorimetri- schen Untersuchungen von Dulong und Despretz, anderer- seits auf die zahlreichen Untersuchungen über die Quantität der von gesunden Menschen ausgeschiedenen Kohlensäure sich stützt, dass ein gesunder Mensch von 51—-62 Kgr. Körperge- wieht (innerhalb dieser Grenzen lag das Gewicht der Versuchs- personen) durchschnittlich in einer Minute eine Wärmequantität producirt, welche zwischen 1,2 und 1,7 Cal,?) liegt. © Da unter gewöhnlichen ‘Verhältnissen die Temperatur des Körpers an- nähernd constant bleibt, so ist der durchschnittliche Wärme- verlust genau gleich der durchschnittlich produeirten Quantität. Zuerst habe ich zwei sehr einfache Versuche angestellt, welche über die Quantität der Wärme, die während eines kal- ten Bades von der Körperoberfläche an das Wasser abgegeben wird, genügenden Aufschluss ertheilen. In eine kupferne Bade- wanne waren vorher möglichst genau 160 Litres Wasser ab- gemessen und der Wasserstand au mehreren Stellen der inneren Wand durch Einschnitte markirt worden. . Diese Wanne diente zu allen Versuchen, bei welchen die Kenntniss der Quantität des angewandten Wassers erforderlich war. 16. Versuch. 14. Juni 1859, Abend. Die Badewanne wurde bis zur Marke mit Wasser gefüllt; die Temperatur des Wassers betrug unmittelbar vor dem Ein- eigen in das Bad 20°,10, die Temperatur der Luft im Bade- Amer 19%,6. Die Temperatur der geschlossenen Achselhöhle I) Artikel „Wärme“ in der Berliner Encyclopädie u. s, w, Band 35.. 1846. 2) Als Wärmeeinheit (Calorie) ist im Folgenden diejenige Quan- Utät von Wärme verstanden, welche hinreicht, um die Temperatur von 1 Kilogramm Wasser um 1 Grad C. zu_ erhöhen. Ein Theil der Physiker und namentlich die Mehrzahl der Physiologen betrachtet als Wärmeeinheit diejenige Quantität, welche binreicht, um die Tempera- tar von 1 Gramm Wasser um 1 Grad zu erhöhen; es würde diese letztere Binheit tansendmal kleiner sein. Ich ziehe, dem anderen Theile der Physiker folgend, die grössere Einheit vor, weil ich da durch am Leichtesten übermässig grosse Zahlen vermeide, deren viel ziffrige Genauigkeit doch nur eine scheinbare sein‘ würde, 39* 596 Liebermeister: 0yT., wurde vor dem Bade (9 h. 42‘) = 37°,40, die Pulsfrequenz = 78, die Respirationsfrequenz=19 gefunden, Das Bad dauerte von 9h. 50° bis Ih. 59'/,‘. Während des Bades war sehr heftiges Kältegefühl vorhanden, und bald trat ein ziemlich starkes Zit- tern ein. Im Anfange war die Respiration sehr beschleunigt und tief, später wurde die Frequenz derselben normal, die ein- zelnen Athemzüge tief, unregelmässig und coupirt. _ Fortwäh- rend war der ganze Körper, so wie auch der Kopf bis auf einen Theil des Gesichtes unter Wasser getaucht. Gegen Ende des Bades sank das Thermometer in der Achselhöhle, welche durch festes Andrücken des Oberarmes an den Thorax vor dem Eindringen des Wassers möglichst geschützt wurde, um ein Geringes und zeigte beim Aussteigen 37°,30. Eine Viertel- stunde nach dem Bade, nach leichtem Ankleiden ohne Weg- nahme des Thermometers, während noch immer etwas Kälte- gefühl und Mattigkeit vorhanden war, zeigte das Thermometer in der Achselhöhle während 12 Minuten 36°,3—36°,9. Eine Stunde nach dem Bade betrug die Temperatur der Achselhöhle während des Sitzens im Zimmer, dessen Temperatur =11°,3 war, zwischen 36,50 und 36,62, Zahlen, welche um ein &- ringes niedriger sind, als das Mittel aus den unter gewöhnli- chen Verhältnissen um diese Tageszeit (gegen 11 Uhr Abends) beobachteten Temperaturgraden (dieses Mittel beträgt 36,87). Unmittelbar nach dem Aussteigen aus dem Bade betrug die Temperatur des Wassers 20°,60 und sank in den folgenden 30 Minuten bis 20°,48. (Am Morgen des folgenden Tages, 6!/,h., betrug die Temperatur des Wassers in der Wanne 19°,70). Daraus ergiebt sich, dass während einer halben Stunde in Folge der etwas niedrigeren Temperatur der Luft eine Ab- kühlung des Wassers von 0°,12 stattfand; für die 9"/, Minuten des Versuches würde sich also als notlıwendige Correction we- gen der Abkühlung des Wassers 0°,03.—0°,04 ergeben, und die Temperatur des Wassers würde zu Ende des Versuches, wenn keine Abkühlung erfolgt wäre, 20°,63 betragen haben. Die Temperatursteigerung, welche das Wasser durch die Wärme abgabe von der Körperoberfläche erfuhr, betrug mithin 0°,53, und die Quantität der an das Wasser abgegebenen Wärme =160. 0,53 = 84,8 Cal.!) Es ist dies nicht die ganze Quantität der von dem Körper während der Dauer des Versuches abge- gebenen Wärme, da die durch die kleine nicht untergetauchte 1) Ich habe hier, wie im Folgenden, die Temperaturveränderun- gen, welche die Wanne selbst erleidet, ganz ausser Acht gelassen, ob- wohl wegen der an vielen Stellen stattfindendeu unmittelbaren Berüh- rung der Körperoberfläche mit dem Metalle die Quantität der an letzteres abgegebenen und von demselben nur zum Theil dem Wasser mitgetheilten Wärme vielleicht nicht unbeträchtlich ist; die Berück- sichtigung dieses Fehlers würde hier wie in Folgendem eine Erhöhung der erlangten Werthe zur Folge haben. Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 597 Fläche des Gesichtes so wie die durch die Respiration an die Luft abgegebene Wärmequantität nicht bestimmt werden konnte. Als Grösse des Wärmeverlustes für eine Minute würden sich 8,9 Cal. ergeben, zu welcher Zahl die an die Luft abgegebene Wärme noch hinzuzufügen wäre. Der Wärmeverlust betrug also während dieser 9'/, Minuten (mein Körpergewicht schwankte zu dieser Zeit zwischen 5l und 51,5 Kgr.) etwa das Sechs- fache oder Siebenfache des mittleren normalen Wärmeverlustes. Ich theile noch einen Versuch mit, welcher in ähnlicher Weise wie der zuletzt beschriebene angestellt wurde. Da aber bei einer Temperatur des Wassers von 20°—21° ein so inten- sives Kältegefühl eintrat, dass ich ein Bad von dieser Tempe- ratur nur kurze Zeit zu ertragen vermochte, so stellte ich die- sen folgenden Versuch bei einer wesentlich höheren Temperatur an. Es war wegen der bedeutenden Differenz zwischen der Temperatur des Wassers und der umgebenden Luft vorauszu- sehen, dass während der Dauer des Versuches eine bedeutende Abkühlung stattfinden werde, deren Grad genau bekannt sein musste, wenn der daraus hervorgehende Fehler mit hinreichen- der Genauigkeit eliminirt werden sollte. Eine annähernd ge- naue Kenntniss und Correetion dieses Fehlers konnte dadurch erreicht werden, dass. n eine zweite in demselben Raume be- findliche der ersten d ir haus gleiche Wanne eben so viel Was- ser hineingelassen wurde, dessen Temperatur aber, analog der bei ähnlichen Untersuchungen gebräuchlichen Compensations- methode, zu Anfang des Versuches ungefähr um ‚so. viel höher war, als sie voraussichtlich zu Ende desselben niedriger sein ürde, als die Temperatur des Wassers in der ersten Wanne. a ich während des Versuches so weit unter Wasser getaucht war, dass nur ein kleiner Theil des Gesichtes sich ausser Wasser befand, so wär die durch Strahlung und Verdunstung sich abkühlende Oberfläche in beiden Wannen annähernd gleich. Bewegungen wurden während der Dauer des Bades nur so viel gemacht, als zum Zählen der Puls- und Respirationsfre- quenz vermittelst einer nur so weit als durchaus nöthig über die Oberfläche des Wassers gehaltenen kleinen Sanduhr nöthig waren, 17. Versuch. 15. Juni 1859, Nachmittag. Vor Beginn des Versuches zeigte das Thermometer in der 598 Liebermeister: Achselhöhle längere Zeit constant 37,60. Die Temperatur des Badewassers betrug unmittelbar vor dem Einsteigen 30,13. Die Dauer des Versuches war 35 Minuten. Die Pulsfrequenz betrug während des Bades anfangs 66, später 70. Die Re- spiration erfolgte sehr tief, anfangs’ 16, später 14 Mal in der Minute. Das Kältegefühl war ziemlich lebhaft; doch trat erst gegen Ende des Versuches mässiges Zittern ein. Beim Aus- steigen aus der Badewanne betrug die Temperatur in der Ach- selhöhle 37°,32, war also während der Dauer des Bades um 0°,28 gesunken. Unmittelbar nach dem Bade betrug die Puls- frequenz 70, die Respirationsfreqguenz 16. Die Temperatur der Achselhöhle war 37 Minuten nach Beendigung des Bades = 36°,75. 9 Minuten nach Beendigung des Bades zeigte das wohl um- gerührte Badewasser 29°,30; die Temperatur desselben war also um 0°,33 gefallen. Das Wasser in der zweiten Bade- wanne, dessen Temperatur unmittelbar vor Beginn des Ver- suches = 30°,50 gewesen war, zeigte, ebenso umgerührt, 9 Mi- nuten nach Beendigung des Versuches eine Temperatur von 29°,50; die Temperatur desselben war also in der gleichen Zeit um 1°,00 gefallen. Die Differenz der beiden Zahlen, welche das Sinken der Temperatur des Wassers in beiden Wannen ausdrücken, ergiebt die durch die Wärmeabgabe des Körpers bewirkte Steigerung der T’emperatur des Wassers, welche ohne die Wirkung der Abkühlung eingetreten sein würde. Dieselbe beträgt 0°,67. Die Quantität der Wärme, welche das Wasser während der Dauer des Bades d ın Körper entzog, ist also = 160 +» 0,67 = 107,2 Cal., oder, für eine Minute berechnet, =3,1 Cal. Der ganze Wärmeverlust ist noch um das Quan- tum grösser, welches von dem unbedeekten Theile des Ge- sichtes und von den Lungen an die Luft abgegeben wurde, Der Wärmeverlust im Bade von etwa 30° beträgt also mehr als das Doppelte des mittleren unter gewöhnlichen Verhäitnis- sen stattfindenden Wärmeverlustes. Aus diesen beiden Versuchen, welehe die Quantität der während der Dauer des Bades an das Wasser abgegebenen Wärme ohne wesentlichen Fehler bestimmen lassen, können wir freilich nicht in direeter Weise einen Schluss auf die Quantität der während der Dauer des Versuches producirten Wärme machen, da jedenfalls bei Weitem nicht die ganze Quan- tität der an das Wasser abgegebenen Wärme. während des Versuches producirt worden ist. Zwar war das Thermometer in der Achselhöhle während der Dauer des Bades in dem einen Versuche nur um 0°,1, in dem anderen um 0°,28 gesun- I I Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 599 ken,!) und dieses Verhalten liefert den Beweis, dass die Tem- peratur der tief gelegenen Körpertheile nicht bedeutend ernie- drigt en war; die Temperatur der oberflächlich gelegenen Schichten erlitt jedoch jedenfalls eine Erniedrigung, obwohl auch noch gegen Ende der Versuche, wie die Berührung der unter Wasser befindlichen Kugel eines Thermometers mit ir- gend einer Stelle der Körperoberfläche zeigte, die Temperatur der Haut weit höher war, als die Temperatur des Badewas- sers. Das, was ich bei Besprechung der im ersten Artikel mit- getheilten Versuche über die Differenzen gesagt habe, welche die Temperatur der Achselhöhle und die der Mundhöhle unter dergleichen Verhältnissen darbieten, scheint zu beweisen, dass diese Abkühlung der Oberfläche bis zu einer ziemlich bedeu- tenden Tiefe deutlich bemerkbar ist. Würden wir diese Ab- kühlung der Oberfläche vernachlässigen, so würden wir dem- selben Einwande Raum geben, welchen Liebig gegen die Re- sultate der Malsrilndßeineizire Untersuchungen von Dulong und Despretz machte; unserem Falle wäre der Fehler vielleicht so bedeuter ss das ganze Resultat in Frage ge- stellt würde. Um s den Ergebnissen unserer Versuche auf die Quantität vährend des kalten Bades produeirten Wärme zu bestimm en, würde es nöthig sein, für jeden Körper- theil genau den Grad der Abkühlung zu kennen, welche er im kalten Bade erleidet; und. die Unmöglichkeit, dieses Erforder- niss zu realisiren, ist die grosse Schwierigkeit, welche sich der Lösung der gestellten Aufgabe entgegenstellt. — Ich werde im Folgenden zwei verschiedene Methoden angeben, vermittelst welcher ich diese Schwierigkeit zu umgehen und zu sicheren Resultaten zu gelangen suchte. Die eine dieser Methoden war folgende: ‘Wenn es gelang, dem kalten Bade eine hinreichend lange Dauer zu geben und 1» Ob dieses Sinken des Ubermometers auf einem Sinken der Temperatur der Achselhöhle in Folge der zu lange fortgesetzten Wär- meentziehung oder auf einem Beobachtungsfehler berube, bin ich nicht im Stande zu entscheiden So sehr die Analogie der früheren und der späteren Versuche für das Letztere spricht, habe ich doch im Fol- genden Immer das Erstere vordusgesetzt, L ZEFE 600 Liebermeisters 000° während desselben von Zeit zu Zeit die Temperatur des Was- sers genau festzustellen, so konnte man die in den verschiede- nen Zeiträumen von der Körperoberfläche an das \ er ab- gegebenen Wärmequantitäten genau bestimmen. "Es war vor- auszusehen, dass sich dabei Folgendes herausstellen werde: in den ersten Zeitabschnitten musste die Temperatursteigerung, welche das Wasser erfuhr, verhältnissmässig sehr bedeutend sein, weil der Körperoberfläche eine grosse Quantität von Wärme entzogen wurde. Wenn aber die Abkühlung der Körperober- fläche einen gewissen Grad erreicht hatte und bis zu einer ge- wissen Tiefe fortgeschritten war, so musste, vorausgesetzt, dass die Teniperatur in einer grösseren Tiefe, z. B. in der Achselhöhle, keine weitere Veränderung erlitt, allmählig ein stationäres Verhältniss zwischen der Temperatur der verschiedenen Körpertheile eintreten, und wenn diese Grenze erreicht war, so konnte.nur noch so viel Wärme an das Wasser abgegeben werden, als in gleicher Zeit produeirt wurde. Wann dieses stationäre Verhältniss eintreten werde, ob nach einigen Minuten oder erst nach Stunden, ob. nicht, er Achselhöhle in nken werde, dar- Versuches waren zwei Personen erforderlich, eine, welche das kalte Bad nahm, eine andere, welche die Temperatur der Ach- selhöhle und des Wassers von Zeit zu Zeit notirte. Da ich selbst die letztere Rolle übernahm, so handelte es sich nur darum, Jemanden zu finden, welcher geneigt wäre, einige Zeit ruhig liegend im kalten Bade zuzubringen, eine Procedur, die im höchsten Grade unangenehm und vielleicht, obwohl schon von anderen Forschern mehrfach ausgeführt, nicht ganz ohne Gefahr war, der aber ausserdem genug Interesse an der Sache besässe, um, was unter diesen Verhältnissen die grösste Schwierigkeit darbietet, die Achselhöhle um das Thermometer so fest zu schliessen, dass ein Eindringen des Wassers voll- ständig verhindert würde. Herr E. Bertog, seit dem 1. Ja- nuar 1860 Unterarzt der medieinischen Klinik zu Greifswald, der an den mitgetheilten Untersuchungen ein grosses Interesse Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 601 nahm und sehr wohl die ganze Bedeutung der zu lösenden Frage \ verstand , erbot sich zu diesem, Versuche. Ich spreche für die wesentliche Unterstützung, welche er mir tehenden, so wie auch bei anderen Untersuchun- Eine Schwierigkeit, welche zum Theil deshalb so bedeutend war, weil die nachstehenden Fersuche im Winter angestellt wurden, bestand darin, dass, wenn auch durch vorhergegangene Heizung die Temperatur der Luft im Badezimmer annähernd auf die Höhe gebracht worden wäre, welche das anzuwendende Wasser besass, dennoch eine Abkühlung des Badewassers statt- finden musste, weil sowohl das Fenster als auch die nach Aussen stossende Wand des Baderaumes immer eine niedrigere Temperatur besassen als die Luft im Baderaume, und weil deshalb fortwährend eine lebhafte Verdunstung des Wassers in der Wanne und ein Niederschlag auf das Fenster und die Wand stattfand. Es stellte sich jedoch durch fortgesetzte Be- obachtung der Abkühlung des Badewassers heraus, dass die- selbe sehr gleichmässig von Statten ging, und dass die Schwan- kungen derselb nnerhalb der beim Ablesen der Temperatur stattfindenden agen. Man konnte daher mit durch Beobachtung der Ab- kühlung vor Fi ersuche der durch die Abkühlung verursachte Fehler mit hinreichender Sicherheit eliminirt wer- den könne. Zur ferneren Oontrolle diente eine zweite in dem- selben Raume befindliche Badewanne, welche mit der gleichen Quantität Wasser von annähernd gleicher Temperatur gefüllt war. Da aber diese letztere von dem zur Zeit des Versu- ches noch immer deutlich Wärme strahlenden Ofen entfernt, der Aussenwand des Raumes aber näher stand, so liess sich nicht, wie bei den im Sommer angestellten Versuchen, erwar- ten, dass die Abkühlung in beiden Wannen genau gleichen Schritt halten werde. Die Beobachtungen zeigen, dass in Folge der theilweisen Ausgleichung der Temperatur des Ofens und der Wand während der Dauer des Versuches die Abkühlung der ersten Wanne zu-, die der zweiten abnahm. Die Ueber- einstimmung der Beobachtungen mit diesen a priori vorauszu- 602 Liebermeister: 3 setzenden Verhältnissen bestätigt die Möglichkeit einer vollkom- men genügenden Oorreetion des aus der Abkühlung entsprin- genden Fehlers. — Die Aufzählung mancher anderer selbstver- ständlicher Vorsichtsmassregeln kann ich übergehen. va 18. Versuch. 21, Een - 1860, vor dem Mittagessen. Versuchsperson: Herr-E 8 g. Derselbe ist vollkommen gesund, hat während der letzte ochen sehr oft morgens früh eine kalte Brause (von 2°—6°) genommen. Sein Körpergewicht beträgt (unbekleidet) 61,95 Kgr. Zimmertemperatur zu Anfang des Versuches 20°,3, gegen Ende desselben 20°,0. Temperatur der äusseren Luft 3°,5. Zwei kupferne Badewannen von gleicher Grösse und Form sind mit je 160 Litres Wasser gefüllt, dessen Temperatur vor Beginn des Versuches vermittelst' genauer in einen Kork: ge- steckter und dadurch schwimmend erhaltener Thermometer be- obachtet wird; vor jeder Beobachtung wird das Wasser mit einem Stecken umgerührt. — Die Wanne II. steht weiter vom Ofen entfernt und der nach Aussen stossenden Wand des Ba- deraumes näher. N Zeit Temperatur des Wassers in Wanne I, » Wanne II. 12h. 57° 22,47 _ 1.h. 438% f ih. 12° 1h. 16‘ 1:h,+21' Ih. 25° 22,220 Mittelwerthi der Abkühlung wäl 0°,0089 0,0154 Vor dem Versuche sitzt Herr B., mit dem Thermometer iu der Achselhöhle, mit Hose, Pantoffeln und dem übergehängten Schlafrock bekleidet: Zeit Puls- Respirations- Temperatur der frequenz frequenz Achselhöhle 12h. 58° 74 16 37,40 1b. 4, — _ 37,50 h. 14° — — 37,53 1h. 18° 82 16 37,63 ih. 22", — — 37,60 ih. 25 — _ 37,55 Um 1 h. 26‘ Einsteigen in die Wanne I. In derselben liegt Herr B. mit dem Thermometer in der geschlossenen A chselhöhle, so dass nur das Gesicht vom Munde aufwärts nebst einem Theil des behaarten Kopfes über Wasser sich befindet, Vor jeder Beobachtung der Temperatur des Badewassers wird dasselbe möglichst vollständig umgerührt und durch Untersuchen der Temperatur an verschiedenen Stellen die Garantie für die gleich- mässige Verbreitung der Temperatur des Wassers zu erlangen gesucht. Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 603 Zeit 'Temperatur Temperatur des Badewassers der Achselhöhle ih. 27’ = 37,50 1h, 28° 22,45 37,60 Ihn3ı' „122,52 37,128. 1b. 34° _ 22,59 37,65 - Von 1h. 38° an werden die Tem- peraturbestimmungen in der Achsel- -höhle unbrauchbar; um ih. 38° drehte ich, um genauer ablesen zu können, am oberen Ende anfassend, Ih. 38° 22,70 36,8 das Thermometer leicht um seine 11.40 _ 36,9 (Längsachse und sah die Quecksil- ıh. 42° _ 36,95 (bersäule, welche bis dahin ungefähr 1b. 434° 22,78 — den früheren Stand zeigte, plötz- lich sinken und schnell bis 36,8 zu- rückgehen. Dieses plötzliche Sin- ken beruhte unzweifelhaft auf dem Eindringen von Wasserin die Ach- selhöhle. !) Um. Ih. 43° Aussteigen aus dem Bade, Die letzte Tempe- raturbestimmung des Badewassers (Ih, 43'/,‘) wurde erst nach Een. Umrühren gemacht. Nach Herr B. fast vollständig angekleidet war (1 h, 53'/,'), betrug seine Pulsfrequenz im Sitzen 56 Schläge in der Minute. Die Abkühlung des Wassers in beiden Wannen wurde noch einige Zeit hindurch beobachtet. S 1 Zeit Vemperatur des Wassers in Wanne I. Wanne II. 1h. 434° © 22,78 21,54 Ih. 51: ' ©. 22,70 21,45 th. 58° 22,60 21,36 3h. 19° 21,60 20,30 Mittelwerth der Abkühlung während 1 Minute: 0°,0124 0°,0130 Der Mittelwerth für die Abkühlung der Wanne II. hatte rg der Dauer des Versuches 0°,0151 betragen. Als Mittel für die Abkühlung des Badewassers während einer Mi- nute EuRebr sich durch Zusammenfassung der vor und nach dem Bade gefundenen Mittelwerthe 0°,0107. Wenp wir diesen Werth zur Correction der Temperatur des Wassers während der einzeluen Zeitabschnitte des Versuches zu Grunde legen, I) Auch ohne die direete Beobachtung des plötzlichen Sinkens würde eine in 4 Minuten erfolgende gleichmässige Erniedrigung der ee um 0°,85 für den vorliegenden Fall sich als eine Unmöglichkeit herausstellen. Setzen wir die mittlere Wärmecapaeität des ‚Körpers = 0,83 (s. den III. Artikel), so würden in 4Minuten 43 Cal, aus dem Körper verschwunden sein, während dus Wasser in derselben Zeit nur 24 Cal, aufgenommen hätte. 604 Liebermeister: so ergiebt sich ein kleiner Fehler, da zu Anfang des Versuches die Abkühlung etwas langsamer von Statten ging, als zu Ende desselben. In Folge dessen müssen die Zahlen, welche für die an das Wasser abgegebene Wärmequantität erhalten werden, zu Anfang des Versuches etwas zu gross, zu Ende desselben etwas zu klein ausfallen. Doch ist dieser Fehler zu unbedeu- tend, um einer Correction zu bedürfen. Berechnen wir die Quantität der Wärme, welche in den einzelnen Zeitabschnitten des Versuches an das Wasser abgege- ben wurde, so sehen wir, dass diese Quantität für gleiche Zeit- räume schon nach kurzer Zeit annähernd constant wird. Dauer Quantität der Wärme, E3 des die während 1 Minute an das Versuches Wasser abgegeben wurde 0'— 2° 21,0 Cal. gg, 54 , 5’ 8 4 5 12 RA 12717 nn 12 gal: Die Schwankungen, welche nach Verlauf von 2 Minuten noch vorhanden sind, liegen innerhalb der beim Bestimmen der Temperatur des Wassers unvermeidlichen Fehler, rn wir, wie es hinter der Columne geschehen ist, die beiden letzten Intervalle zusammen und berechnen die von der 8. bis zur 17. Minute in jeder Minute stattfindende Wärmeabgabe, so ist die Gleichmässigkeit der während der letzten 15 Minuten er- haltenen Resultate fast vollständig und, wenn wir die voraus- zusetzenden Schwankungen der zu findenden Werthe berück-. sichtigen, in hohem Grade überraschend. Die Temperaturbestimmungen in der Achselhöhle zeigen, dass bis zur 12. Minute des Versuches sicherlich keine Abküh- lung der inneren Körpertheile stattgefunden hatte. Die von der 12. bis zur 16. Minute abgelesenen Temperaturgrade sind unbrauchbar; aber das stetige Steigen des Thermometers nach wiederhergestelltem Verschlusse der Achselhöhle zeigt wenig- stens, dass auch in dieser Periode des Versuches eine bedeu- tende Erniedrigung der der geschlossenen Achselhöhle entspre- chenden Temperatur nicht stattgefunden hatte. Wir sehen daher aus der Zusammenstellung der in den einzelnen Intervallen des Versuches für gleiche Zeiten erhaltenen Werthe der Wärme- abgabe, dass bereits nach Verlauf von 2 Minuten jenes erwartete stationäre Verhältniss zwischen der Temperatur der verschiedenen Körpertheile vorhanden war, nach dessen Eintritt ein weiteres Erkalten des Körpers nicht mehr stattfindet; die Quantität der Wärme, welche während der letzten 15 Minuten des Versuches an das Wasser abgegeben wurde, muss daher während dieser 15 Minuten producirt worden sein, Die Wärmeproduction betrug also während dieser 15 Mi- nuten 77,8 Cal. und während jeder einzelnen Minute 5,3 Cal.; a Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 605 zu diesen Werthen wäre noch die Quantität hinzufügen, welche von dem unbedeckten Theile des Kopfes und von den Lungen an die Luft abgegeben wurde. Aber auch wenn wir diese letztere nicht bestimmbare Quaaiibt gänzlich unberücksichtigt lassen, so zeigt sich doch, dass die Wärmeproduction bei ru- higem Liegen im Bade von 9°—23° mehr als das Dreifache der unter gewöhnlichen Verhältnissen stattfindenden mittleren Production beträgt. j Herr Bertog erbot sich zu einer Wiederholung des Ver- suches. Damit aber der Versuch möglichst lange fortgesetzt könne, wurde Wasser von etwas höherer Temperatur angewandt. Zwar musste bei höherer Temperatur des Was- sers der durch die Abkühlung desselben während der Dauer des Versuches herbeigeführte Fehler weit bedeutender sein; ' doch hatte sich diese Abkühlung als eine so gleichmässig er- folgende gezeigt, dass sich voraussetzen liess, es werde auch bei stärkerer Abkühlung de rch herbeigeführte Fehler mit hinreichender Genauigkeit E. werden können. Zugleich wurde I diese Versuche die Vorsicht beobachtet, dass das in der Achselhöhle liegende Thermometer niemals berührt wurde; auf diese Weise konnte ein Eindringen von Wasser in die Achselhöhle, wie es. beim vorigen Versuche stattgefunden hatte, sicherer vermieden werden. 19. Versuch. 23. Februar 1860, Vormittags. Die Verhältnisse sind im Allgemeinen dieselben, wie beim 18. Versuche. ‘Die Zimmertemperatur beträgt zu Anfang des Versuches 18°,8, gegen Ende desselben 19°%,1, Die beiden Wannen haben denselben Stand, wie beim vorigen Versuche. Vor Beginn des Versuches wurde die Abkühlung des Wassers beobachtet. Zeit Temperatur des Wassers in Wanne I, Wanne II. il h. 51° 25,14 25,07 11h. 57° 25,04 24,90 12h, 1%’ 24,97 24,80 ® 12h. 5 24,90 24,73 12 b. 10° 24,82 24,60 12h, 13% 24,77 24,55 Mittelwerth der Abkühlung während 1 Minute: 0%,0164 0°,0231 Vor dem Versuche sitzt Herr B., vollständig entkleidet, mit dem Thermometer in der Achselhöhle. 5 = 606 Liebermeister: Puls- Respirations-- Temperatur der Zeit frequenz freqguenz Achselhöhle 12h. 2° 80 14 37,50 12h 6 — 5 37,60 1anlıdoeednn. (oiln Were real u A areo Einsteigen in die Wanne um 12h. 15‘, Lage in derselben wie beim vorigen Versuche. Temperatur Temperatur der Zeit des geschlossenen Badewassers Achselhöhle 12h. 16° _ 37,70 6} 12h. 17° 24,90 37,75 n 2 b; > se Ra Während der Dauer des Bades sehr 12h. 234 25.00 3772 intensives Kältegefühl; gegen Ende 5 45% 2 > desselben etwas Zittern, 13h. 26° 25,03 37,77 12h. 29° 25,04 37,88 12h. 314° 25,06 37,87 Herr B. ist wegen starker Ermüdung der Arme nicht mehr im Stande, die elhöhle geschlossen zu halten. 'hermometer wird entfernt und leich in die ze unter die Zunge gebracht; der Mund vorher und nachher geschlossen. 12h. 36‘ _ 36,30 Thermometer in der Mundhöble. 12h. 414° E 36,60 Ebenso. Um 12h. 41'/, Aussteigen aus der Badewanne; das in der Mundhöhle gehaltene Thermometer zeigt '/,—1 Minute nach dem Aussteigen 36,85. Das Wasser in beiden Wannen wird vorsichtig umgerührt, die Temperatur bestimmt und die Abkühlung weiter beobachtet; Temperatur des Wassers in 12h. 35° 25,08 = Ba Wanne I. Wanne II. 12h 43° 25,10 23,93 12h. 45' 25,03 23,88 1b. —t 24,77 23,59 Mittelwerth der Abkühlung während 1 Minute: 0°,0194 0°,020 Während der Dauer des Versuches hatte der Mittelwerth für die Abkühlung in Wanne II. 0°,021 betragen. Als Mittel aus den für die Abkühlung der Wanne I. vor und nach dem Versuche gefundenen Werthen ergiebt sich für 1 Minute 0°,0179. Auch. bei diesem Versuche ist der Umstand zu beobachten, dass, da wir bei der Berechnung der an das Wasser abgegebenen Quantitäten für die ganze Versuchsdauer dieses Mittel zu Grunde legen, die Resultate zu Anfang dieses Versuches um ein Geringes zu hoch, gegen Ende dessel- ben etwas zu niedrig ausfallen müssen. Da bei diesem Ver- Physiologische Untersuchungen über die. Veränderungen u. s. w. 607 suche. die Temperatur des Wassers verhältnissmässig häu- figer beobachtet wurde, so müssen wegen der Kleinheit der Zeitintervalle die Einzelresultate mit viel grösseren Fehlern be- haftet sein; eine annähernde Uebereinstimmung kann daher nur dann erwartet werden, wenn die kleineren Intervalle zu grösseren zusammengefasst werden. Ziehen wir je zwei der kleineren Intervalle zu einem grösseren zusammen, so ergeben sich die in der letzten Columne verzeichneten Werthe. Quantität der Wärme, Dauer des Versuchs die während 1 Minute an das # Wasser abgegeben wurde. 0 — ?' 15,4 Cal. lan a8 es 113 Car, is ı— 6‘ 4,3 seh Sa moia0b Sp—1l' 48, 11° — 140, aa WON? 14 —16% ea 164 —20' 3,3 1 20° — 264 EREE ‚Schon bei der Betrachtung der für die kleineren Intervalle efundenen Zahlen ergiebt sich, dass vielleicht nach 3°/,, jeden- falls vx nach 8'/, Minuten _die Gleichmässigkeit der für die einzelnen Intervalle gefundenen Werthe genügend ist, um den Schluss zuzulassen, dass; eine, weitere Abkühlung; des Körpers nicht mehr stattgefunden habe. Die Beobachtung der Tempe- ratar der geschlossenen Achselhöhle zeigt, dass während der ersten 16"/, Minuten des Versuches ein geringes Steigen der Temperatur tiefer gelegener Körpertheile stattfand, dessen Grösse ausserhalb der Fehlergrenzen liest; das stetig erfolgende Steigen des darauf unter die Zunge gebrachten Thermometers liefert den Beweis, s in den letzten 10 Minuten ein Sinken der Temperatur der Mundhöhle nicht mehr erfolgte; zugleich bestätigt diese letztere Beobachtung, auf welche ich schon im ersten Artikel hinwies, die Vermuthung, dass unter gewissen Umständen die Temperatur der ‘geschlossenen Mundhöhle we- sentlich niedriger sein könne, als die Temperatur der geschlos- senen Achselhöhle. Das beobachtete Steigen der Temperatur der geschlossenen Achselhöhle würde, wenn es in richtiger Weise verwerthet werden könnte, die für die Wärmeproduetion zu findenden Werthe noch vergrössern; sehen wir. ‚aber davon ab und vernachlässigen wir auch die Quantität der an die Luft abgegebenen Wärme, so zeigt der Versuch dennoch, dass in den letzten 18 Minuten 71,8 Cal., in jeder Minute 4,0 Cal. un wurden, dass also die im Bade von 25° produeirte ärmequantität weit mehr als doppelt so gross war, als der Mittelwerth der unter gewöhnlichen Verhältnissen producirten Quantität. Dass in diesem letzteren Versuche das annähernd stationäre Verhältnis dev Temperatur der verschiedenen Kör- 608 Liebermeister: pertheile später eintrat, als in dem vorigen Versuche, mag zum Theil auf der etwas no ratur des Wassers beruhen; doch zeigt die Betrachtung der Resultate, dass schon nach 2 Minuten die für die Wärmeabgabe in einer Minute gefun- denen Zahlen sich sehr dem Werthe nähern, welcher für 'die später eintretende gleichmässige Wärmeabgabe gefunden wurde. Auch der Umstand, dass die Quantität der produeirten Wärme nicht ganz so hoch ist, als die im vorigen Versuche gefundene, scheint zum Theil von der etwas höheren Temperatur des Wassers abzuhängen, und ich verweise in dieser Beziehung hauptsächlich auf die später folgende Vergleichung der Res tate des 16. und 17. Versuches, So wenig auch die bei den letzten beiden Versuchen ange- wandte Methode einen wesentlichen Einwand zulässt, so schien es mir doch von Wichtigkeit, da ähnliche Versuche an Men- schen bisher niemals ausgeführt worden waren und die Brauch- barkeit meiner Methode nur aus den Ergebnissen der Versuche selbst hervorging, eine Controlle derselben durch Anwendung einer anderen Methode zu versuchen. Eine etwaige Ueberein- stimmung der auf verschiedenem Wege erhaltenen Resultate war jedenfalls bei einer so wichtigen und schwierigen Frage sehr werthvoll. Namentlich aber beabsichtigte ich, eine Ver- werthung des 16. und 17. Versuchs möglich zu machen, da auf diese Weise nicht nur die Zahl der zur Entscheidung der Frage vorliegenden Versuche vermehrt wurde, sondern auch, da die- selben an einer anderen Versuchsperson angestellt worden waren, der Einfluss individueller Eigenthümlichkeiten ausge- schlossen werden konnte. Ich habe bereits in dem Früheren erwähnt, dass wir einen nach seiner Grösse bisher gar nicht ab- schätzbaren Fehler begehen würden, wenn wir die im 16. und 17. Versuche hinreichend genau bestimmte Quantität der an das Wasser abgegebenen Wärme vollständig auf Rechnung der während des Bades stattfindenden Wärmeproduction setzen wollten ; wenn es aber gelänge, die Grösse dieses Fehlers oder wenigstens die Grenzen, innerhalb deren derselbe liegt, zu be- stimmen, so würde es möglich sein, eine Correction desselben auszuführen. Dass die Temperatur der geschlossenen Achselhöhle durch eine nicht zu lange fortgesetzte und nieht zu intensive, Wärme- entziehung nicht herabgesetzt werde, war durch die bereits im Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 609 ersten Artikel mitgetheilten Versuche constatirt; über die Tiefe, bis zu welcher die oberflächlicher gelegenen Theile eine Ab- kühlung erfahren, so wie über den Grad dieser Abkühlung fehlte dagegen jede Vorstellung. Eine Annäherung zu einer Kenntniss dieser Verhältnisse war jedenfalls gegeben, wenn es gelang, mit einiger Sicherheit zu bestimmen, wie viele Wärme- einheiten nach einer solchen Wärmeentziehung der Körperober- Mäche zugeführt werden müssen, um die Temperatur aller ile des Körpers der im Inneren bestehenden Temperatur gleich zu machen. Es war diese Aufgabe dadurch zu lösen, dass, nachdem die Wärmeentziehung eingewirkt hatte, der ganze Körper in ein Bad eingetaacht wurde, dessen Temperatur gleich der im Inneren des een bestehenden Temperatur war, und in demselben so lange verblieb, bis die Temperatur der Ober- fläche genau der im Inneren bestehenden gleich geworden war; die "Beobachtung der dureh die Eintauchung herbeigeführ- ten Abkühlung des Wassers liess, unter Berücksichtigung der während der Dauer des Versuchs stattfindenden Wärme- production, jene gesuchte Grösse finden. Der Bedingung, dass Jie Temperatur der Oberfläche genau der im Inneren bestehen- den gleich werde, konnte in keinem Versuche vollkommen ge- nügt werden; daher sind die Resultate jedenfalls zu niedrig. 20. Versuch. 20. Februar 1860, Vormittag. Mein Körpergewicht betrug zur Zeit des Versuchs 51,5 Kgı. Temperatur des Badezimmers = 16°,2; Temperatur des zur Brause dienenden Wassers = 3°,8. In der Badewanne befanden sich 160 Litres warmen Was- sers, dessen Temperatur vermittelst eines darin schwimmenden Thermometers bestimmt wurde. Zuerst wurde immer 2 Minuten lang die kalte Brause genommen; dann stieg ich nach raschem Ab- streichen des kalten Wassers von der Haut und aus den Haa- ren in das warme Bad, in welchem ich, bis auf einen sehr kleinen Theil des Gesichtes untergetaucht, 2 Minuten lang, blieb; nach dem Aussteigen wurde die Temperatur des Badewassers bestimmt und dann dieselbe Reihenfolge wiederholt., ‚Die Ein- wirkung des kalten Wassers auf den Kopf bewirkte, wie in einem früheren Versuche, sehr heftige Schmerzen in der Schei- telgegend, die sich aber nach dem Untertauchen in das warme Wasser sogleich wieder verloren, Nelchert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1860. 40 610 Liebermeister: & Temperatur = des Badewassers 12h. 42° 35,50 2 Minuten lang kalte Brause, 2 Minuten lang warmes Bad. 12h. 47° 35,85 2 Minuten Brause, 2 Minuten Bad. 12 h. 5% 35,30 2 Minuten Brause, 2 Minuten Bad. 12. h. 57 34,80 Es musste behufs der Correction die spontane Abkühlung des Badewassers bestimmt werden; es wurde daher Wasser abgelassen und warmes Wasser hinzugefügt, bis die frühere Quantität und annähernd auch die frühere Temperatur wieder- hergestellt war. Vor jedem Ablesen der Temperatur wurde das Wasser umgerührt. Zei Temperatur * Zeit des Badewassers 1h, 1‘ 36,70 1h. 6 36,40 ) 1b. 11° 3615 | ; 1h. 16‘ 35,80 Spontane Abkühlung während 1h. 21° 35,45 5 Minuten = 09,30, 1 h. 26‘ 35,20 1h. 31° 34,90 1h. 36‘ 34,57 J Aus diesen Daten lässt sich das verlangte Resultat be- rechnen. Im ersten Falle z. B. betrug die Abkühlung in 5 Minuten 0°,65; die Differenz dieser Abkühlung und der spontan eintretenden entspricht der durch Eintauchen des Körpers während 2 Minuten bewirkten Abkühlung. Diese Differenz beträgt 0°,35, und das Product derselben in die Quantität des Badewassers ergiebt die Zahl der Wärmeeinhei- ten, welche der eingetauchte Körper dem Wasser entzog. Diese Zahl beträgt im 1. Falle 56 Cal. 22. Tal an, Bd im Mittel 42,7 Cal. Dieser Mittelwerth ist jedenfalls zu niedrig, da namentlich im 2. und 3. Falle die Temperatur des Wassers zu niedrig war. Zur Bestimmung der Wärmequantität, welche erforderlich ist, um nach der Einwirkung einer kalten Brause von 3°—4° die Temperatur der oberflächlichen Körpertheile so weit zu erhö- hen, dass sie annähernd die Temperatur im Inneren erreicht, würde ausserdem noch die Quantität der Wärme hinzuzufügen sein, welche während des zwei Minuten dauernden Bades pro- dueirt wurde. Wir werden daher sicher keinen Fehler begehen, wenn wir, uns an das Resultat des ersten Falles haltend, diese Quantität zu mehr als 56 Cal. annehmen. , Diese Quan- Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u, s. w. 611 tität würde hinreichen, um die Temperatur des ganzen Kör- Biendehgasbuleni um mehr als 1°,3 zu erhöhen. enn es gelänge, in ähnlicher Weise die Quantität der Wärme zu bestimmen, welche erforderlich ist, um dem aus mässig kalter Luft in das warme Bad übergehenden Körper annähernd eine gleichmässige der im Inneren bestehende gleiche Temperatur zu geben, so würden wir die Data besitzen, welche zu einer Verwerthung des 16. und 17. Versuches erforderlich _ sind. Die Differenz nämlich der Wärmequantitäten, welche einerseits der durch kaltes Wasser abgekühlte, andererseits der h Luft abgekühlte Körper dem warmen Badewasser ent- t, ist gleich der Wärmequantität, welche dem Körper ent- zogen wird, ohne durch die Production wieder ersetzt zu wer- den, wenn er aus der Luft in kaltes Wasser übergeht; ich werde diese zu findende Grösse in der Folge als die Quan- tität der Abkühlung bezeichnen. 21. Versuch. 22. Februar 1360, Vormittag. Zimmertemperatur =17°,9, Temperatur der äusseren Luft =2°,5. In der Badewanne befinden sich 160 Litres Wasser, dessen Temperatur beobachtet wird; vor jeder Beobachtung Umrühren. 5 Temperatur Zait des Wassers et ©: h a2 Spontane Abkühlung während 1 Minute 12h. 51 37,03 09.056 12h. 56° 36,76 FR Um 12h. 57 Einsteigen in das Bad, nachdem ich vorher 20 Minuten lang entkleidet gewesen war. Dauer des Bades bis Ih. 2%, ıh, 2 36,27 Etwa '/, Minute lang kalte Brause von 3°%,4, dann 3—3!/, Minute ein kaltes Bad von 20°,4, bis auf das Gesicht unterge- taucht. Schnelles Abtrocknen. Ih 7% 35,98 Um Ih, 7°/,‘ Einsteigen in’s warme Bad; Verweilen darin bis 1h. 13°, Ih. 13° 35,40 Ih 25, Iren Spontane Abkühlung während 1 Minute al _ (0 1h. 30' 34,52 =0",051. Ih, 34° 34,33 Setzen wir die während 1 Minute stattfindende Abkühlung des Badewassers für den einen Versuch = 0°,056, für den an- deren = 0,051, s0 ergiebt sich als Quantität der dem Wasser entzogenen Wärme beim Uebergange aus der Luft in das warme Wasser die Zahl von 24,6, beim Uebergange aus dem kalten Bade in das warme die Zahl von 48 Cal. Die letztere Zahl 40° 612 Liebermeister: stimmt unter Berücksichtigung der etwas veränderten Verhält- nisse hinreichend gut mit den aus dem 20. Versuche sich er- gebenden Werthen überein. In beiden Fällen wurde das warme Bad so lange fortge- setzt, bis die Temperatur der äusseren Haut annähernd die Temperatur des Wassers erreicht hatte; die Öontrolle dafür wurde dadurch erreicht, dass die Kugel des im Wasser schwim- menden Thermometers zwischen die Knie eingeklemmt und der momentane Effeet beobachtet wurde. In beiden Fällen sank gegen Ende des Bades das Thermometer zwischen den Knien nur noch um 0°,2; es war dies ein Beweis dafür, dass die Temperatur der Hautoberfläche noch um mehr als 09,2 nie- driger war, als die Temperatur des Wassers; da aber dieses Verhalten in beiden Fällen in gleicher Weise stattfand, so hat dasselbe auf die Grösse der Differenz der beiden gefun- denen Zahlen keinen wesentlichen Einfluss. Von Wichtigkeit ist es jedoch, dass wir die Verschieden- heit berücksichtigen, welche in Betreff der Wärmeproduetion während der Dauer des Bades stattfand; wäre die Quantität der während der Dauer des Bades producirten Wärme in bei- den Fällen gleich, so wäre dieselbe auf die Grösse der zu fin- denden Differenz ohne Einfluss; da aber wahrscheinlich nach Einwirkung des kalten Bades die Wärmeproduction einige Zeit hindurch eine grössere Intensität besass, als nach Einwirkung der kalten Luft, so ist wahrscheinlich der der (Quantität der Abkühlung entsprechende Werth um etwas grösser anzuneh- men, als die Differenz der gefundenen Zahlen. Die niedrige Temperatur des Badewassers endlich würde auf die Grösse der Differenz ohne wesentlichen Einfluss sein, wenn die Temperatur in beiden Fällen gleich gewesen wäre; da aber im letzteren Falle die Temperatur um etwa 0°,8 nie- driger war, als im ersten, so musste die Differenz beider Zah- len zu niedrig ausfallen. Wegen der beiden zuletzt angeführten Momente ist daher die 23,4 Cal. betragende Differenz der in den beiden Fällen gefundenen Werthe niedriger als die der Quantität der Abkülı- lung entsprechende Grösse. Wir können daher aus dem Ver-, suche nur das Resultat mit Sicherheit ableiten, dass die Quan- tität der Abkühlung beim Uebergang aus Luft von 17°,9 in Was- ser ‘von 20°,4 für einen Menschen von 51,5 Kgr. Körperge- wicht mehr als 23,4 Cal. beträgt. Vielleicht würden fortge- setzte Untersuchungen auch eine obere Grenze für diesen Werth festsetzen lassen; aber auch bei dieser Unbestimmtheit hat der- selbe in Verbindung mit den folgenden Betrachtungen einige Wichtigkeit. Aus dem 18. Versuche können wir die Quantität der Ab- kühlung, welche Herr Bertog erlitt, mit einiger Genanigkeit berechnen. Während des stationären Verhältnisses der Kör- pertemperatur, nach dessen Eintritt eine weitere Abkühlung Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 613 nicht mehr stattfand, betrug, abgesehen von der während der Dauer des Versuches jedenfalls annähernd eonstanten Wärme- abgabe an die Luft, die Wärmeproduction in einer Minute 5,3 Cal.; in den zwei ersten Minuten des Versuches waren aber 42 Cal. an das Wasser abgegeben worden; die Quantität der Abkühlung war also in diesem Versuche =31,4 Cal. — Im 19, Versuche betrug die Wärmeproduction während 1 Minute 4 Cal,; in den ersten 8'/, Minuten waren aber an das Wasser abgegeben worden 65,4 Oal., von denen während dieser 8'/, Minuten nur 34 Cal. produeirt sein konnten; die Quantität der Abkühlung betrug also 31,4 Cal., eine Zahl, deren, vollständig genaue Uebereinstimmung mit dem aus dem 18. Versuche be- rechneten Werthe gewiss nur zufällig ist. Es ist aber auch eine sehr gute Uebereinstimmung mit dem Werthe vorhanden, welcher im 21. Versuche auf ‘durchaus, verschiedenem Wege erhalten wurde. — Wir können daher die aus den Versuchen 18—21] übereinstimmend sich ergebende Grösse von un- gefähr 31 Cal. als die Quantität der Abkühlung betrach- ten, welche ein Mensch von 51,5 bis 62 Kgr. Körpergewieht beim Uebergange aus der Luft von 15°—20° in Wasser von 20°—25° erleidet. Wenden wir dieses Resultat auf den 16. Versuch an, so sind von den an das Wasser abgegebenen 84,8 Cal. etwa 31') als der Abkühlung entsprechend abzuziehen ; ausserdem fand aber auch noch ein Sinken der Temperatur der Achselhöhle um 0°,1 statt; setzen wir voraus, dass dieses Sinken der Tem- peratur der Achselhöhle einem gleichmässigen Sinken der Tem- Ba des ganzen Körpers entsprochen habe, so sind von dem ste noch ungefähr 4,3 Cal. abzuziehen; es bleiben dann für die Production während 9"/, Min. 49,5 Cal., oder'für jede Minute 5,2 Cal., eine Zahl, welche eine sehr bedeutende Steigerung der Wärmeproduction im kalten Bade beweist. — Wen- den wir das aus den letzten Versuchen hervorgehende Resultat auf den 17. Versuch an, so würde zunächst, da die Differenz zwischen der Temperatur des Badewassers und der Temperatur der Achselhöhle nur etwa die Hälfte der bei den früheren Ver- suchen stattfindenden betrug, auch die Quantität der Abküh- lung nur zu etwa 16 Cal. anzunehmen sein; dazu kommt aber noch die (Quantität, welche der Abkühlung der tieferen "Theile entspricht, und welche, vorausgesetzt, dass sie sich gleich- mässig auf alle Theile des Körpers erstreckt habe, ungefähr 12 Cal. betragen würde. Von den der Temperatursteigerung I) Ich vernachlässige die Verschiedenheit des Körpergewichtes der beiden Versuchspersonen (61—51,5 Kgr.), so wie die noch wichtigere Verschiedenheit der Körperoberfläche, da ich: nicht im Stande, bin, den Jadurch hervorgerufenen Fehler auch nur annähernd zu corrigiren ; es int klar, dass bei Berlicksichtigung dieses Fehlers die aus dem Ver- suche berechnete Wärmeproduction noch um ein Geringes steigen würde, 614 Liebermeister: des Wassers entsprechenden 107,2 Cal. würden also 28 auf die Abkühlung des Körpers, 70,2 auf die Wärmeproduction wäh- rend des 35 Minuten dauernden Bades kommen; die Wärme- production betrug mithin während einer Minute 2,3 Cal., eine Grösse, welche zwar bedeutend geringer ist, als die bei der Einwirkung kälteren Wassers gefundene, welche aber, nament- lich unter Berücksichtigung der nicht bestimmbaren an die Luft abgegebene Wärmequantität, auch für das Bad von etwa 30° eine Steigerung der Wärmeproduction mit Sicherheit erkennen lässt. Durch die übereinstimmenden Resultate sämmtlicher zur ca- lorimetrischen Bestimmung der Wärmeproduction unternomme- nen Versuche ist also nachgewiesen worden, dass bei ruhi- gem Liegen in einem Bade von 20°— 350° nicht nur der Wärmeverlust, sondern auch die Wärmeproduc- tion gesteigert ist, und zwar in so hohem Grade, dass in einem Bade von 20°— 23° die Wärmeproduc- tion das Dreifache bis Vierfache, in einem Bade von 30° das Doppelte der unter gewöhnlichen Ver- hältnissen stattfindenden mittleren Production be- trägt. Sämmtliche Versuchsmethoden sind mit grossen Feh- lern behaftet; aber aus dem Vorstehenden geht hervor, dass ich im Allgemeinen diejenigen Fehler, welche einer ge- nügenden Correetion nicht fähig waren, in der Weise berück- sichtigt habe, dass sie eine Verminderung, nicht aber eine Er- höhung des Resultates bewirken konnten. Ich habe daher die Ueberzeugung, dass Forscher, welche etwa in Zukunft nach weniger fehlerhaften Methoden arbeiten würden, für die Wärme- production im kalten Bade wohl noch höhere, sicherlich aber nicht geringere Werthe als die von mir gefundenen erhalten würden. Wie ich schon im Anfange dieses Artikels angedeutet habe, ist mir aus der Literatur keine Arbeit bekannt geworden, welche den Zweck gehabt hätte, durch directe Versuche die von einem Menschen unter gewissen Verhältnissen producirten Wärme- quantitäten zu bestimmen. Aber es finden sich vereinzelte in anderer Absicht angestellte Versuche, deren Data genau genug Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 615 angegeben sind, um eine Vergleichung mit den Resultaten der im Obigen mitgetheilten Versuche zuzulassen. Currie!) setzte einen 28jährigen gesunden Menschen in ein Gefäss, welches 170 Gallons (= 634 Litres) Wasser enthielt, dessen Temperatur gleich der der umgebenden und gewöhnlich durch Wind bewegten Luft war und bei den verschiedenen Versuchen 40°—44° Fahrenheit (=4°%,4—6°,6 C.) "betrug. Er hatte erwartet, dass nach dem Bade des Badewasser wenig oder gar nicht erwärmt sein werde, besonders da wegen des Win- des eine Abkühlung des Wassers hätte stattfinden müssen (a. a. ©. S. 329); er fand jedoch, dass die Temperatur des Bade- wassers nach einer Dauer des Versuches von 12 Minuten um beinahe 1° F. (= 0°,55 C.), nach einer Dauer von 45 Minuten um 3° F. (=1°,66 C.) zugenommen hatte. Diese Angaben eines, was die Mittheilung des Beobachteten aubetrifft, durch- aus zuverlässigen Schriftstellers erlauben eine Vergleichung mit dem, was ich bei Herrn Bertog und bei mir selbst gefunden habe. Die lange Dauer des Versuches, die sehr niedrige Tem- peratur des benutzten Badewassers gestatten sogar eine Erwei- terung der von mir gefundenen Resultate. Bei dem 45 Mi- nuten lang dauernden Versuche wurden von der Versuchsper- son 634 1,66 = 1052 Cal. an das Wasser abgegeben, also ungefähr so viel, als ein Mensch von mittlerem Körpergewicht innerhalb 10 Stunden ‘producirt; für 1 Minute betrug der Wärmeverlust, wenn wir von der an die Luft abgegebenen Wärmemenge ganz absehen, die enorme Quantität von 23,5 Cal. Wir können aber auch, unter Berücksichtigung der Resultate unserer Versuche über die Quantität der Abkühlung, aus den Daten des Versuches mit einiger Annäherung die Quantität der während des Versuches producirten Wärme berechnen. ‘Im 6. Experiment, bei welchem eine Versuchsdauer von ?/, Stan- den sta und die Temperatur des Wassers 40° F. (= 4°,4C.) betrug, sarık die Temperatur der Mundhöhle unter der Zunge, welche vor Beginn des Versuches 97° F. (= 36°,1 C.) betragen 1) Veber die Wirkungen des kalten und warmen Wassers. Bd. 1. Anbung 11. 616 Liebermeister! hatte, anfangs auf 92° F. (=33°,3 C.), blieb einige Minuten auf diesem niedrigem Stande und stieg dann wieder ohne 'Re- gelmässigkeit, so dass in der 22. Minute des Versuches das Thermometer in der Mundhöhle 96° F. (= 35°,5 C.) und zu Ende des Versuches 94° F. (= 34°,4 C.) zeigte. Trotz des ungeheuren Wärmeverlustes stand also das Thermometer in der Mundhöhle zu Ende des Versuches nur um 1°,7.C. tiefer, als.yor dem Beginn desselben, und auch diese Abnahme der Temperatur der Mundhöhle lässt noch nicht, wie ich in dem ersten Artikel gezeigt habe, auf eine eben so grosse Ernie- drigung der Temperatur der tiefer gelegenen Theile schliessen. 7 Versuchen wir die Quantität der während der Dauer des Versuches produeirten Wärme zu berechnen, so ist sicher die für einen Menschen von 51—62 Kgr. Körpergewicht und für ein Bad von 20°—-25° als Quantität der Abkühlung des Kör- pers gefundene Zahl von 31 Cal. viel zu gering. Aber selbst wenn wir diese Zahl vervierfachen und ausserdem noch 'an- nebmen, dass das Sinken der Temperatur in der Mundhöhle einem auch in den inneren Körpertheilen gleichmässig, statt- findenden Sinken entsprochen habe, so bleibt, abgesehen von der an die Luft abgegebenen Wärme, für die Wärmeproducetion in jeder Minute des 45 Minuten dauernden Bades die un- geheure Quantität von ungefähr 18 Cal. Wäre eine vollkom- mene Garantie vorhanden, dass bei der Beobachtung der Tem- peratursteigerung des Wassers, welche Currie nur nebenbei und ohne, derselben einen sonderlichen Werth beizulegen, vor- genommen zu haben scheint, kein Beobachtungsfehler vorge- kommen sei, so würde diese Beobachtung den Beweis liefern, dass in einem Bade von sehr niedriger Temperatur die Wärme- production mit einer solehen Intensität vor sich gehen kann, dass sie etwa das Zehnfache der unter gewöhnlichen Verhält- nissen stattfindenden mittleren Production beträgt. Jedenfalls aber hat Currie, wenn er annimmt, dass die Wärmeproduc- tion im kalten Bade „mit vierfach erhöhter Schnelle“ vor sich gehe, dieselbe eher zu niedrig als zu hoch geschätzt. ‚Andere Versuche, welche eine Vergleichung mit den oben mitge- Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 617 theilten zulassen, sind in grosser Zahl vonHoward Johnson) angestellt wörden. Dieser Forscher beschäftigte sich zwar haupt- sächlich mit der Erforschung der Wirkung verschiedener Pro- eeduren auf die Pulsfrequenz, aber er hat auch eine beträcht- liche Anzahl von Temperaturbestimmungen des: Badewassers vor und nach einem kalten Bade angestellt. „Die Versuche in Bezug auf die Erhöhung der Wasserwärme hat der Verfasser deshalb angestellt, weil er der Ansicht war, dass, je grösser die Kräftigkeit des Menschen sei, desto grösseren Einfluss müsse er auf die Erhöhung der T'emperatur des Wassers ausüben,“ Wenn die „Lebenskraft“ eines Menschen bedeutend sei, so werde „eben so viel neue, Wärme augenblicklich erzeugt, — der Körper wird so warm wie vorher — als das Wasser vom Körper empfangen hat, wenn aber die Lebenskraft vermindert ist, so wird der Wärmeverlust nicht so leicht ersetzt* u. s. w. (a. a. O. 8. 173). Der Verfasser berechnet nicht die Quan- tität der Wärme, welche an das Wasser abgegeben wurde, son- dern giebt nur das Volumen des Wassers und die Temperatur desselben vor und nach dem Bade an. Die einzelnen Tempe- raturbestimmungen scheinen mit sehr grossen Fehlern behaftet zu sein, doch ist die Zahl der Beobachtungen gross genug, um aus der Zusammenfassung derselben einigermassen sichere Mit- telwerthe erwarten zu dürfen; freilich sind einige der vom Ver- fasser angegebenen Mittelwerthe, vorausgesetzt, dass die deutsche Bearbeitung nicht Druckfehler enthält, falsch berechnet, und ich habe im Folgenden immer die von mir selbst aus den Ein- zelbeobachtungen. berechneten und ‚auf Centesimalgrade redu- eirten Mittelwerthe zu Grunde gelegt, Kine ‚Versuehsreibe. (16 Einzelversuche) ‘wurde an einem 20jährigen Menschen von 8. Stein Körpergewicht angestellt. Die Quantität des Wassers in der Badewanne betrug 15. Gal- lons (=56 Litres); jedes Bad dauerte 1'/, Minute, Die Tem- peratur des Badewassers lag bei den einzelnen Versuchen zwi- 1) Untersuchungen über die Wirkung des kalten Wassers auf den gesunden Körper, um seine Wirkung in Krankheiten festzustellen. Aus dem Englischen von Scharlau, Stettin 1852, 618 Liebermeister: schen 4°,2 und 16°,6 und betrug im Mittel 9°,66; die Tempe- ratursteigerung, welche das Wasser nach dem Bade zeigte, be- trug im Mittel aus den Versuchen 0°,88. Die Quantität der Wärme, welche während des Bades von dem Körper an das Wasser abgegeben worden war, betrug also 56 - 0,88 = 49,3 Cal. — Zu einer zweiten Reihe von 24 Versuchen diente ein 28jäh- riger 10'/; Stein schwerer Mann. Die Wassertemperatur be- trug vor dem Versuche im Mittel 7°,52, die Steigerung der- selben nach einem Bade von 1’, Minuten im Mittel 1°,07, die Quantität des Wassers, wie beim vorigen Versuche, 56 Litres. Die an das Wasser abgegebene Wärme betrug also im Mittel 59,9 Cal. — Die dritte Reihe von 13 Versuchen stellte‘der Verfasser an sich selbst an. Die Quantität des Wassers war gleich der bei den vorigen Versuchen; die Temperatur dessel- ben vor dem Versuche betrug im Mittel 6°,99, die Steigerung derselben nach dem Bade von 1‘, Minuten im Mittel 1°,04. Die Quantität der an das Wasser abgegebenen Wärme berech- net sich mithin zu 58,2 Cal. Bei der Beurtheilung dieser Versuche ist zunächst zu be- rücksichtigen, dass, da die Temperatur der umgebenden Luft nicht angegeben ist, eine Steigerung der Temperatur des Was- sers in der Zwischenzeit zwischen je zwei Beobachtungen unter dem Einflusse der Luft mit Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt werden kann, dass daher die für die Wärmeabgabe berechne- ten Werthe wahrscheinlich etwas zu hoch ausgefallen sind. — In unserem 18. Versuche betrug die Quantität der während der ersten 2 Minuten an das Wasser abgegebenen Wärme 42 Cal., in dem 19. Versuche 30,8 Cal. Die in den ersten 1}y, Minuten abgegebenen Quantitäten sind jedenfalls grösser als »/, der in 2 Minuten abgegebenen Menge. Unter Berücksich- tigung der grossen Verschiedenheiten des Körpergewichtes, der Körperoberfläche und der Temperatur des angewendeten Was- sers sind daher die Resultate der Johnson’schen Versuche vielleicht in genügender Uebereinstimmung mit unseren Resul- taten; jedenfalls aber zeigen diese bei niedriger Temperatur des Wassers angestellten Versuehe, dass der bei Berechnung Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 619 des Currie’schen Versuches zu Grunde gelegte Werth für die Quantität der Abkühlung nicht zu klein angenommen ist. Johnson hat auch Untersuchungen angestellt über die Temperatursteigerung, welche das Wasser erfährt, wenn ein Mensch, der vorher 1—21/, Stunden lang in nasse Tücher ein- gepackt gewesen war, oder 2'/,—4 Stunden in trockenen Tü- chern geschwitzt hatte, in ein kaltes Bad gebracht wurde. Da aber bei diesen Versuchen das Bad nur 1 Minute lang dauerte, auch die Versuchsperson, wie es scheint, nicht vollständig un- tergetaucht, sondern nur mit kaltem Wasser abgerieben wurde, so sind die Resultate nicht wohl zu einer Vergleichung ge- eignet. Von grösserem Interesse sind die Resultate, welche der Verfasser bei den Untersuchungen über die Temperaturzunahme des Wassers in Sitzbädern erhielt. Die Quantität des zum Sitzbade benutzten Wassers betrug in allen Versuchen 4 Gal- lons (=14,9 Litres); alle Versuche scheinen an demselben In- dividuum angestellt worden zu sein, dessen Körpergewicht 10%), Stein betrug. Von den 14 mitgetheilten Versuchen hat- ten 11 eine Dauer von 15 Minuten, 3 eine Dauer von einer halben Stunde. Die Temperatur des Wassers wurde während der 15 Minuten jedesmal nach Verlauf von 5 Minuten bestimmt, bei den drei länger dauernden Versuchen nach Ablauf von 15 Minuten nur noch einmal, bei 30 Minuten. Auch bei diesen Versuchen sind die Einzelresultate mit so auffallenden Beob- achtungsfehlern behaftet, dass nur durch Zusammenfassung möglichst vieler derselben ein gewisser Grad von Sicherheit des Resultates erreicht werden kann. Die drei bis zur Dauer von 30 Minuten fortgesetzten Versuche reichen für sich zur Erlangung einigermassen sicherer Mittelwerthe nicht aus; da aber das ni von 15 bis 30 Minuten 3mal grösser ist, s6 lassen die für dieses Intervall beobachteten Differenzen der Wassertemperatur eine grössere Genauigkeit erwarten, als die für die kleineren Intervalle gefundenen; ich werde daher in der folgenden Zusammenstellung, in welcher bis zur Dauer von 15 Minuten die Mittelwerthe aus 14 Einzelversuchen genom- 620 Liebermeister: PR men sind, für das Intervall von 15 bis 30 Minuten den Mittel- werth aus 3 Versuchen hinzufügen, Die Temperatur des, Wassers betrug im Mittel aus 14 Ver- suchen zu Anfang des Versuches 7°,59, nach. 5 Minuten: 9°,72, nach 10 Minuten 10°,8], nach 15 Minuten 11°,47. — Auch bei diesen Versuchen lässt sich eine Steigerung der Temperatur des Wassers unter dem: Einflusse der umgebenden Luft nicht ausschliessen. Die Resultate der Versuche sind folgende: Dauer Steigerung Quantität der Wärme, die des der Wassertemperatur während 1 Minute an das Versuches während des Intervalles Wasser abgegeben wurde, 0— 5° 2°,13 6,3 Cal. 510‘ 10a 2 32U, 10'—15° 0°,66 2,0 15’—30' 19,77 ‚BEER Da die Differenz der in den beiden letzten Intervallen er- haltenen Resultate jedenfalls innerhalb der Grenzen der Beob- achtungsfehler liegt, so ergiebt sich aus dieser Zusammenstel- lung mit einiger Wahrscheinliehkeit der Schluss, dass nach Verlauf von 10 Minuten auch bei einem Sitzbade die Quantität der an das Wasser abgegebenen Wärme für gleiche Zeiträume gleich werde. Leider liegen mir keine Beobachtungen über die Temperaturverhältnisse der Achselhöhle. während der Dauer eines Sitzbades vor. Doch ergiebt sich aus Versuchen, welche Böcker') mittheilt, dass die Temperatur der Mundhöhle wäh- rend der Dauer: eines kalten Sitzbades nicht erniedrigt wird. Dürften wir voraussetzen, dass in allen Theilen, welche von der mit dem Wasser in Berührung befindlichen Oberfläche weit genug entfernt sind, die Temperatur annähernd constant bliebe, so würde die in den letzten 20 Minuten abgegebene Wärme- quantität auf Rechnung der Wärmeproduetion zu setzen seit. Diese an das Wasser abgegebene Quantität beträgt mehr als s/, von derjenigen Wärmemenge, welche ein Mensch von dem angegebenen Körpergewicht in der gleichen Zeit unter gewöhn- 1) Ueber die Wirkung der Sitzbäder, der Brause und der nassen Einwieklung. Moleschott, Untersuchungen zur Naturlehre n, s. w. VI. Band. S. 71, XII. Tabelle. e Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 621 lichen Verhältnissen produeirt. “Berücksichtigen wir, dass die gesammte von der nieht mit Wasser in Berührung befindlichen Hautfläche, so wie die von den Lungen an die äussere Luft abgegebene Quantität nicht in Rechnung gezogen ist, so würde eine oberflächliche Veranschlagung eine durch das Sitzbad her- beigeführte gesteigerte Wärmeproduetion ergeben, deren Werth freilich vielleicht kaum das 1'/,fache der mittleren normalen Production betragen, also bei Weitem nicht die hohen Grade der für das kalte Vollbad nachgewiesenen Steigerung erreichen würde. Ueber die Temperaturzunahme, welche das zu einem Sitz- bade benutzte Wasser zeigt, hat auch Dr. L. Lehmann, !) derzeit Arzt der Wasserheilanstalt Rolandseck bei Bonn a. Rh., Versuche angestellt. Er fand als Mittel aus 17 Versuchen, die er an sich selbst anstellte, dass eine Quantität von 45 preuss, Pfunden Wasser, dessen Temperatur zu Anfang der Versuche 54—11° R. betrug, nach einer Dauer des Bades von einer Viertelstunde um 1°,6 R. erwärmt wurde. Es wurde bei die- sen Versuchen zugleich die T’emperaturzunahme, welche das Wasser durch Einwirkung der umgebenden Luft erlitt, be- rüeksichtigt und in Abzug gebracht. Aus diesen Daten be- rechnet sich die Quantität der während 15 Minuten an das Wasser abgegebenen ‚Wärme zu 42 Cal. Das Körpergewicht des Verfassers schwankte zwischen 58 und 59 Kgr. — Aus einer zweiten Versuchsreihe desselben Verfassers ?) gelit hervor, dass im Sitzbade, dessen Temperatur zu Anfang des Versuches 4,48%, R, betrug, die Quantität der während einer Viertel- stunde an das Wasser abgegebenen Wärme im Mittel aus 17 Versuchen =40 Cal. war, — Aus den’ Versuchen von John- son ergiebt sich als Mittel der während 15 Minuten an das Wasser ab enen Wärme die Quantität von 58 Cal., eine Zihl, die unter Berücksichtigung des verschiedenen Körperge- wichtes ‚der Versuchspersonen, so wie des Umstandes, dass 1) Ueber die Wirkung 12°—7°,7 R. warmer Sitzbäder. Archiv des Vereins für gemeinschaftliche Arbeiten. 1. Band, 4, Heft. 1854. 2) Archiv des Vereins f. g. A. 2. Bänd, 1iHeft. 1856. 622 Liebermeister; Johnson den Einfluss der umgebenden Luft vernachlässigte, eine hinreichende Uebereinstimmung, darbietet, Auch Böcker theilt Beobachtungen über die Temperatur- zunahme des Wassers in Sitzbädern mit.!) , Die Dauer .der einzelnen Bäder war jedoch zu verschieden, um vergleichbare Mittelwerthe gewinnen zu lassen; bei manchen Beobachtungen fehlt auch die Angabe des Körpergewichtes der Versuchsper- sonen; doch stimmen die Kinzelbeobachtungen unter Berück- sichtigung der grossen Fehlergrenzen hinreichend gut mit den bisher mitgetheilten Beobachtungen überein. Aus den bisherigen Untersuchungen hat sich mit Sicherheit herausgestellt, dass das Steigen oder Constantbleiben der Tem- peratur der geschlossenen Achselhöhle, welches bei der Ein- wirkung kalten Wassers auf die Oberfläche des Körpers beob- achtet wird, mit einer gleichzeitigen sehr bedeutenden Steige- rung der Wärmeproduction zusammenfällt, und dass die von Bergmann zuerst genügend berücksichtigten Veränderungen im Verhalten der äusseren Theile des Körpers nur im Stande sind, den Wärmeverlust zu mässigen, nicht aber denselben zur Norm zurückzuführen oder etwa sogar unter die Norm herab- zusetzen. Bei der vollkommenen Analogie in den Ergebnissen der Versuche über die direete Einwirkung der Luft ist der Schluss gerechtfertigt, dass auch bei unmittelbarer Berührung der Körperoberfläche mit Luft von 12°—22° eine vollständige Cor- rection des Wärmeverlustes oder sogar eine Herabsetzung des- selben unter die Norm in Folge der Veränderungen der Haut nicht stattfinde, dass vielmehr die in jedem einzelnen Falle be- obachtete Erhöhung der Temperatur der Achselhöhle auf einer Steigerung der Wärmeproduction beruhe. Obwohl bei diesen letzteren Versuchen die Erhöhung der Temperatur der Achsel- höhle weit bedeutender war, als die bei der Einwirkung kal- ten Wassers beobachtete, so kann doch dieser Umstand natür- lich nicht beweisen, dass etwa auch die Steigerung der Wärme- production eine bedeutendere gewesen sei; wir müssen vielmehr 1) A. a. ©. II. und XII. Tabelle. Physiologische Untersuchungen über die Veränderungen u. s. w. 623 berücksichtigen, dass die Quantität der durch die Luft dem Körper entzogenen Wärme bei Weitem geringer ist, als die durch Wasser von gleicher Temperatur bewirkte Wärmeentzie- hung. Die Grösse der Steigerung der Temperatur der Achsel- höhle, welche durch unmittelbare Einwirkung der Luft herbei- geführt wird, können wir aus den Ergebnissen der Versuche 1, 2, 4, 6, 8, 13, 14 und 15 berechnen, und es ergiebt sich durch Zusammenfassung aller für diese Steigerung erhaltenen Werthe, dass dieselbe in jeder Minute im Mittel etwa 0°,016 beträgt. Wahrscheinlich ist der Wärmeverlust trotz der von Bergmann hervorgehobenen Correction desselben während der direeten Einwirkung mässig kalter Luft auf die Körperober- fläche wesentlich bedeutender, als die mittlere Grösse des Wärmeverlustes unter gewöhnlichen Verhältnissen; aber auch wenn wir annehmen, dass diese Correetion nach Verlauf eini- ger Zeit eine vollkommene werde, so würde sich doch, voraus- gesetzt, dass die Steigerung der Temperatur der Achselhöhle einer annähernd gleichmässigen Steigerung der Temperatur des ganzen Körpers entspreche, eine so gesteigerte Wärmeproduc- tion herausstellen, dass dieselbe in jeder Minute um etwa 0,7 Cal. die normale Production überstiege. Die Wärmepro- duetion würde also während der direeten Einwirkung der Luft etwa das 1’/,fache der unter normalen Verhältnissen stattfin- denden mittleren Production betragen; doch ist natürlich bei der Unsicherheit der gemachten Voraussetzungen dieser Zahl kein besonderes Gewicht beizulegen. (Fortsetzung folgt.) In den en Artikel sind folgende Diuckfehler stehen geblieben: 8. 621 Z. 1 von unten statt Betrachtnng lies Beachtung. 8. 524 Z. 21 von oben. statt Auskleiden lies Ankleiden. 5. 590 2. 7 von oben statt 32 lies 82, 8. 536 2. 13 von oben statt 39 lies 32. S. 539 2. 18 von oben statt entfernt wird lies entfernt sein wird. 624 H. Luschka: Der Brusttheil der unteren Hohlader des Menschen. Von Prof. H. LuscHkA in Tübingen. (Hierzu Tafel XVI.) Es kann nicht dem mindesten Zweifel unterliegen, dass eine richtige und allseitige Kenntniss des im Brustraume befindlichen Abschnittes der Vena caya ascendens zur Aufklärung gewisser pathologischer Erscheinungen in hohem Grade wünschens- werth ist. Nachdem es durch gründliche Nachforschungen als erwiesen betrachtet werden muss, dass das Herz in seiner Totalität in- nerhalb bestimmter Grenzen schon normalmässig je nach der Körperlage verschiebbar ist, muss dies in einem noch hö- heren Maasse bei gewissen krankhaften Zuständen desselben der Fall sein. Ganz besonders ist es erfahrungsgemäss die Hypertrophie der rechten Kammer, in deren Gefolge das Organ einigermaassen von der inneren Seite der vorderen Brustwand abgedrängt wird und eine Verschiebung nach links und hinten erfährt. Mit dieser räumlichen Veränderung concurrirt, ganz gewöhnlich Oedem der unteren Körperhälfte, welches durch eine hyperämische Schwellung der Leber eingeleitet, und auch unter solchen Verhältnissen nicht ganz zum Verschwinden gebracht wird, welche, wie die Bettlägerigkeit, geeignet wären, die im Verhältnisse zur oberen Körperhälfte in der unteren stattfin- dende Verlangsamung des venösen Blutlaufes auszugleichen. Wenn für die Strömung des Blutes im System der oberen und der unteren Hohlader annähernd gleiche äussere Einflüsse 1) Vgl. ©. Gerhardt, Untersuchungen über die Herzdämpfung und die Verschiebung ihrer Grenzen bei Gesunden. (Archiv für physiol. Heilkunde. 1859.) Der Brusttheil der unteren Hohlader des Menschen, 625 obwalten, und bei nachgewiesener Integrität der Canalisation des unter dem Zwerchfelle liegenden Abschnittes der Cava in- ferior und ihrer Aeste, gleichwohl Oedeme in der unteren Kör- hälfte auftreten, dann wird man mit Nothwendigkeit zur An- nahme gedrängt, das Hinderniss in dem über dem Diaphragma liegenden Theile der unteren Hohlader aufzusuchen. Diese und ähnliche Betrachtungen haben mich um so mehr veranlasst, die Vena cava inf. thoraeica zum Gegenstande ein- lässlicher Untersuchungen zu machen, als von anderer Seite her in dieser Hinsicht bisher nur wenig dargelegt worden ist. Um zu einem befriedigenden Abschlusse zu gelangen, müssen“ Grösse, Verlaufsrichtung und Zusammensetzung des in Rede stehenden Venenabschnittes gesondert untersucht werden. l. Die Grössenverhältnisse der Vena cava ascendens thoraeica. Im Gegensatze zu dem bei den meisten Säugethieren ausser- ordentlich in die Länge gezogenen Brusttheile der hinteren Hohlader, ist der bezügliche Venenabschnitt des Menschen be- deutend redueirt. Die in der Literatur darüber niedergelegten Vorstellungen und Wahrnehmungen gehen aber so weit ausein- ander, dass specielle Prüfungen und Ermittlungen unentbehrliel sind. Es fehlt nicht .an Schriftstellern, welche die Existenz eines Brusttheiles der unteren Hohlader geradezu in Abrede stellen. So wird nach einer von A. Portal?) eitirten Stelle Haller’s von diesem gelehrt: „nulla est vena cava thoracica inferior“, und sieht auch jener Autor sich seinerseits zur Be- merkung veranlasst: „La portion de la veine cave contenue dans Ja poitrine est presque nulle, puisque l’oreillette droite est place sur la face aplatie du pericarde.* ‘Nach Winslow®) beträgt die Länge des im Brustraume befindlichen Abschnittes der unteren Hohlader nur 2—3 Linien, nach Krause?) ist er durchschnittlich '/, Zoll lang, nach Arnold*) senkt sich 4— 1) Cours d’anatomie medicale. "Tome ILL. p. 411. 2) Exposition anatomique. Amsterdam 1743. Tome IIT. p. 106, . 9) Handbuch der menschl. Anatomie. Hannover 1843. S. 931. 4) Hundbuch der Anatomie des Menschen. IL 1. 8. 597. Reichert» u, du Bois-Reymond's Archiv. 1860. 4l 626 H. Luschka: 8 Linien oberhalb des Diaphragma die Cava inf. in den un- teren Umfang des rechten Vorhofes ein. Eine auf verschiedene Altersstufen ausgedehnte Nachforschung giebt den Schlüssel an die Hand, dass diese, wenn auch wider- sprechenden Angaben eine gewisse Berechtigung haben, Im frühesten Kindesalter nämlich ist die Lehre Portal’s in der That völlig zutreffend, indem hier die Hohlader fast unmittel- bar über dem Zwerchfelle ihre Einmündung in das Herz er- fährt. Bei dem erwachsenen Menschen aber stellt dieselbe im Brustraume einen selbständigen, wenn auch eine einigermassen echselnde Länge darbietenden Gefässabschnitt dar. Diese durch das Lebensalter bedingten Differenzen sind ohne Zweifel darin begründet, dass im Verlaufe der Zeit die untere Hohl- ader sich den räumlichen Veränderungen der Brusthöhle an- passt, namentlich durch die allmählig tiefer werdende Stellung des Zwerchfelles zu einem entsprechenden Wachsthum in die Länge veranlasst wird. Bei den Grössenbestimmungen des Brusttheiles der unteren Hohlader muss man übrigens mit Umsieht verfahren und zur Erzielung einheitlicher Resultate von gleichen Gesichtspunkten ausgehen. Es wird demnächst die Frage sein, welche Linie wir als die Grenzmarke zwischen rechtem Vorhofe und Cava in- ferior betrachten sollen. Die Feststellung derselben wird inso- fern conventionell sein, als an einzelnen Punkten der Ueber- gang häufig unmerklich ist. Wohl liesse sich in der Verbrei- tung des Fleisches der Vorhöfe ein Mittel erkennen, die eigent- liche Venenwand von jenen zu unterscheiden. Allein, abgesehen davon, dass sich Muskelfaserzüge nicht bei allen Menschen gleichweit und im ganzen Umkreise des Gefässes herab er- strecken, wäre eine solche, wenn vielleicht auch morphologisch wohl begründete, Abgrenzung vom praktischen Standpunkte aus in keiner Weise förderlich. Dagegen scheint es ganz geeignet, den Begriff von Cava inf. thoraeica durch Linien zu bestimmen, bis zu welchen bei den meisten Menschen das Rohr im We- sentlichen in seiner Weite sich gleichbleibt. Die eine dieser Grenzlinien ist eine durchaus naturgemässe, indem sie durch den Lauf des angewachsenen Randes der, einen integrirenden Der Brusttheil der unteren Hohlader des Menschen. 627 Theil der Cavainf. ausmachenden, Valvula Eustachii bezeichnet wird. Dieser zieht aber so um den äusseren, oberen und un- teren Umfang der Gefässmündurg herum, dass durch seine Enden die höchste und die tiefste Stelle derselben ausgedrückt ist. Die zweite, dem medialen Umfange der Mündung entspre- chende, Linie fällt mit der hinteren unteren Grenze der Scheide- wand der Vorhöfe zusammen. Der in dieser Art umschriebene Gefässabschnitt ist nicht überall gleich lang, sondern besitzt an seinem nach rechts und hinten gekehrten Umfange, die Krümmung nicht eingerechnet, vom oberen Endpunkte der Valvula Eustachii bis zum Foramen quadrilaterum herab eine durchschnittliche Länge von 3,8 Cen- timeter; nach seiner nach vorn und links gekehrten Seite vom nnteren Ende jener Klappe bis zum Rande der bezüglichen. Lücke des Zwerchfelles nur eine Länge von 2,2 Qentimeter. Damit steht im Einklange, dass die in den unteren hinteren Umfang des rechten Vorhofes geschehende Einmündung des Gefässes nahezu vertical gestellt, während die dem Foramen quadrilaterum entsprechende Stelle seiner Lichtung fast ‚hori- zontal gelagert ist. Die durchschnittliche Breite der Cava inf. thoraeica beläuft sich auf 2,7 Cent., und hat sie einen Umkreis von 9 Centimeter, während die Breite der oberen Hohlader an ihrem Ende nur 2,2 Cent. und ihr Umkreis daselbst 7 Centi- meter beträgt. Beim erwachsenen Menschen werden jene Längenmaasse des Brusttheiles der unteren Hohlader viel häufiger um einige Mil- limeter überschritten, als nicht erreicht. Niemals konnte ich mich an dem seiner pericardialen Umhüllung beraubten Gefässe von einem solchen Grade der Kürze desselben überzeugen welche von Winslow u. A. als die Regel bezeiehnet worden ist. Daraus geht Aber die für klinische Deductionen wiehtige Thatsache klar hervor, dass beim Erwachsenen unter allen Umständen ein Abschnitt der Vena cava inferior im Brustraume liege, welcher gross genug ist, um durch verschiedene Einflüsse in seiner Form und Canalisation beeinträchtigt werden zu können. 41* 628 H. Luschka: 2. Die Verlaufsrichtung des Brusttheiles der un- teren Hohlader. Die für den Durchtritt der Cava inferior bestimmte Lücke des Zwerchfelles befindet sich rechts an der hinteren Grenze seines Centrum tendineum, 2,2 Cent. von dem sagittalen.Durch- messer desselben entfernt, und ‘zeigt eine nahezu horizontale Stellung. Hinsichtlich seiner Beziehung zur Höhe des Thorax entspricht seine Lage der oberen Grenze des Körpers vom neun- ten Brustwirbel, kann aber, indem sich bei der Inspiration auch das Centrum tendineum etwas, durchschnittlich um 1 Cent. senkt, periodisch um eben so viel tiefer herabrücken, In gerader Richtung gemessen ist die Mitte des hinteren Um- -fanges dieser Lücke von der bezüglichen Stelle des genannten Wirbels durehschnittlich 2 Centimeter entfernt. Von dem Foramen quadrilaterum an wendet sich die Ader unter einer schwachen, mit der Concavität dem Centr. tendi- neum zugekehrten Krümmung nach links und vorn, um in den unteren hinteren Umfang des Atrium dextrum einzumünden: Eine ähnliche nach links stattfindende Krümmung zeigt auch das Ende der oberen Hohlader, in der Weise, dass die ver- längert gedachten Axen beider Gefässe etwa entsprechend dem Mittelpunkt des rechten venösen Ostium unter spitzem Winkel sich durchschneiden. Diese nach links und vorn stattfindende Convergenz der beiden Gefässstämme prägt sich äusserlich und innerlich an der Wand des rechten Vorhofes deutlich aus, Aeusserlich findet sich beim Menschen da, wo der Zusammen- fluss der hinteren Wand beider Gefässe geschieht, eine seichte Einbuchtung, während bei vierfüssigen Thieren daselbst, wie zuerst Lower gezeigt hat, eine mehr winkelige Einkniekung bemerklich ist. Nach innen entspricht jener Einbuchtung ein rundlicher, von Lower als „Tuberculum“ aufgeführter Vor- sprung, welcher neben der hinteren Grenze des Septum liegt und mehrere Schichten in verschiedener Weise verlaufender Fleischbündel zur Grundlage hat. Das sog. Tubereulum Lo- weri ist also eine nothwendige Folge jener Verlaufsriehtung der beiden Hohladern, und nicht etwa eine selbständige For- Der Brusttheil der unteren Hohlader des Menschen. 629 mation, welche, wie Einige lehren, als Damm gesetzt worden ist, damit die Blutströme nicht vertical auf einander stossen, was ja eben durch jene Convergenz der Gefässstämme an sich verhütet wird.') Obgleich der Brusttheil der unteren Hohlvene nach links und vorn sich wendet‘, so verbleibt ‚bei normalmässiger Lage des ganzen Herzens nicht allein er in der rechten Thoraxhälfte, sondern auch noch ein, an der Stelle seiner Einmündung, min- destens zwei Centimeter breites Stück des linken Vorhofes. Da nun die grosse Herzvene sich unmittelbar vor dem unteren Ende der Valvula Eustachii in den rechten ‚Vorhof einsenkt, so kann ihre Mündung nicht wohl, wie Krause!) lehrt, in der Mittellinie des Thorax gelegen, sondern muss in der rechten Hälfte desselben befindlich sein, wie dies durch die Trennung fest gefrorener Leichen genau in der Ebene des sagittalen Durchmessers in der T'hat auch leicht bewiesen werden kann. Dem nach rechts und hinten gekehrten, Umfange der Pars thoraeica der unteren Hohlader entspricht an der lufterfüllten rechten Lunge eine Furche, vor und hinter welcher ein kur- zer Vorsprung des inneren Abschnittes vom unteren Lungen- rand sich unter den rechten Vorhof hinwegschiebt und so dem Zusammensinken der Ader unter dem Druck des letzteren ent- gegenwirkt, was um -so leichter möglich ist, als überdies der 1) Da ein richtiges Verständniss der von Lower geschilderten Einrichtung zum Theil abhanden gekommen zu sein scheint, und na- mentlich unter Anderem mehrfach irrig gelehrt wird, dass das sog. Tubereulum Loweri ein integrirender Bestandtheil des wulstigen, die ovale Grube umziehenden Ringes sei, so will ich es nicht unterlassen, die betreffende Stelle aus Richard Lower’s ziemlich selten gewor- denem „Tractatus de corde* (Amstelodami 1669 p. 51) hier wörtlich aufzuzeichnen: „Itaque ante limen aurieulae dextrae, nempe eo loco, ubi vena cava asgendenscum descendente congressa alveum suum in auriculam cordis exonerare parata est, tuberculum quod- dam notatu valde Jdignum occarrit, cujus obtentu sanguis per venam Jescendentem delapsus in auriculam divertitur, qui alioquin in venam sscendentem decumbens sanguinem per istam cor versus assur- gentem reprimeret valde et retardaret.“ 2) Handbuch der menschl, Anatomie. Hannover 1843, $. 792. 630 H. Luschka: laterale Umfang des genannten Atrium noch in der Superficies cardiaca der rechten Lunge aufruht. Für die normalen Gewichts-, Grössen- und Lagerungsver- hältnisse des Herzens sind die verschiedenen Einrichtungen: jene Beziehungen der rechten Lunge, die Anheftungsweise des Herzbeutels, Mittelfelles und gewisse vom linken Vorhofe zum hinteren Umfange der Cava inf. thor. herabtretende Fleisch- bündel vollkommen genügend, um die gesetzmässige Form der Ader zu sichern und eine geniügende Strömung des Blutes im Gange zu erhalten. Bei höheren Graden von Hypertrophie der rechten Kammer des Herzens schreitet die Massenzunahme der Anordnung dieses ganzen Ventrikels gemäss vorzugsweise von rechts nach links und hinten weiter. Das vermehrte Gewicht des Herzens übt nach diesen Seiten hin, also zum Theil in der Richtung der Concavität des Brusttheiles der Cava inferior einen Zug aus. Dadurch erfährt diese nicht allein eine ihre Canalisation be- einträchtigende zn starke Biegung, sondern auch entsprechend dem linken Rande des Foramen quadrilaterum eine Knickung, Wenn auch die obere Hohlader bei jenem Zustande des Her- zens einige Vermehrung ihrer Krümmung erfährt, so ist diese, weil sie sich auf ein längeres Rohr ausbreitet, viel geringer, während eine Knickung derselben, da sie nirgends mit einem unnachgiebigen fibrösen Ringe in Berührung kommt, in keiner Weise stattfinden kann. Mit jenen Beziehungen des Brusttheiles der unteren Hohl- ader steht es ohne Zweifel im Einklange, dass bei der genann- ten, meist mit Insuffhiecienz der Mitralis verknüpften Anomalie des Herzens nicht die linke, wohl aber die rechte Seitenlage gut ertragen wird, weil eben durch die erstere die Locomotion des Herzens zum Nachtheile der unteren Hohlader gesteigert, durch die entgegengesetzte von den Patienten instinetmässig meist gewählte Lage des Körpers aber das Herz jener Knickung entgegen eine Verschiebung nach rechts und hinten erfährt. Der Brusttheil der unteren Hohlader des Menschen. 631 3. Die Zusammensetzung der Wand des Brusttheiles der unteren Hohlader. Die Vena cava inf. thor. ist in ihren oberen ?/; vom visce- ralen Blatte des Herzbeutels genau umkleidet und durch dieses in das Cavum pericardii eingesenkt. Der Anfang des Gefäss- stückes dagegen wird von demjenigen ‚Abschnitte des Herz- beutels nur lose umgeben, welcher von ihm aus auf das Zwerch- fell herabsteigt. Im Umkreise des Foramen 'quadrilaterum ge- schieht der Verband zwischen Brusttheil der unteren Hobhlader und Herzbeutel, theils durch einen lockeren fetthaltigen Zell- stoff, in welchem die Venae diaphragmaticae superiores ver- laufen, theils durch fibröse bandartige Streifen, welche in 'wech- selnder Anzahl und Stärke theils von der Faseia endothoraeica, theils vom Centrum tendineum ausgehen, um in. die, fibröse La- melle des Pericardium auszustrahlen, Die in bogigen Zügen das Foramen quadrilaterum umgebende Sehnensubstanz geht zum Theil allmählig, ähnlich wie die fibrösen Schenkel des Bauchringes, in einen mehr lockeren Zellstoff über, der sich in der Adventitia jenes Gefässes verliert. Auf dieses Verhältniss muss die folgende Bemerkung Cruveilhier’s!) bezogen werden: „La cave inferieure adhöre intimement et s’unit en quelque sorte par fasiou detissu avecl’ouverture aponevrotique dudiaphragme.* Dabei darf man aber nicht vergessen , dass gleichwohl starke sehnige, unnachgiebige Faserzüge auf den Umkreis jener Lücke beschränkt bleiben, und ihrerseits daher wohl zu Knickungen Veranlassung geben können. Die einen Theil des visceralen Herzbeutels darstellende Hülle der Vena cava inf. steht aber auch noch in anderer Art mit dem parietalen Blatte in Continuität. Beide fliessen näm- lieh zu einer Duplicatur zusammen, welche, von der Convexität der Cava inf. ihor. ausgehend, nach rechts und hinten gewendet ist, In ähnlicher Weise findet zwischen dem in den Herzbeutel eingesenkten Ende der-oberen Hohlader und dem. parietalen Blatte des Pericardium die Bildung einer Duplicatur . statt, )) Traiss d’anatomie descriptive. - Paris 1852. III; p. 70. 632 H. Luschka: welche sich, als eine Art von Septum pericardii über den obe- ren Umfang des linken Vorhofes bis zu den linken Lungen- venen fortsetzt und es daher unmöglich macht, vom Cavum perieardii aus den Finger von der vorderen zur hinteren Seite dieses Atriums weiter zu führen. Beim Foetus und beim Neugebo- renen gelingt es bisweilen durch die Präparation von aussen her, diese Duplicaturen in ihre beiden Blätter auseinander zu legen und so die Vorstellung anschaulich zu machen, als habe das Herz durch Andrängen von oben und hinten her das Pe- ricardium in seine eigene Höhle eingestülpt. Beim erwachsenen Menschen sind die Stellen des Ueberganges dieser Duplicaturen in das parietale Blatt des Herzbeutels von aussen her durch die fibröse Lamelle, zum Beweise, dass diese eine accidentelle Formation ist, mehr oder weniger stark überlagert. Der im Brustraume befindliche Abschnitt der unteren Hohl- ader unterscheidet sich wesentlich von dem nächst angrenzen- den in der bezüglichen Leberfurche verlaufenden Theil der Cava inferior durch eine geringere Dicke der Wandung und durch gänzlichen Mangel organischer Muskelfasern. Diese bil- den während des Laufes der Hohlader in der Furche pro Vena cava eine ausserordentlich mächtige, bei der Betrachtung von der inneren Seite her schon mit blossem Auge sichtbare longitudinale Schicht, die sich fast plötzlich während des Durch- trittes der Ader durch das Foramen quadrilaterum verliert. Die Adventitia ist an ausnehmend breiten elastischen, zum Theil netzförmig unter einander verschmolzenen Fasern sehr reich. Solche Fasern nebst vielen gefensterten Lamellen setzen auch die Tunica media zusammen, welche nebst der Tunica intima sich in Totalität in das Endocardium des rechten Vor- hofes fortsetzt. In einer sehr merkwürdigen und mehrfachen Beziehung zum Ende der unteren Hohlader steht ein Theil des Fleisches der beiden Vorhöfe. Dieses Verhältniss ist bisher sehr unzu- länglich ermittelt und meist nur ganz im Allgemeinen gelehrt worden: dass die Ader, wie die übrigen in das Herz einmün- denden Venen von kreisförmigen Muskelfasern, gleichwie von einem Sphinkter umgeben werde, Es ist unmöglich eine tie- Der Brusttheil der unteren Hohlader des Menschen. 633 fere Einsicht in diese Verhältuisse zu gewähren, ohne die ge- sammte Anordnung des Fleisches der Vorhöfe in einige Be- trachtung zu ziehen. Die den Vorhöfen zukommenden Fleischfasern lassen sich eintheilen in solche, welche jedem derselben eigenthümlich, und in solche, welche beiden gemeinschaftlich sind. a. Die jedem der Vorhöfe eigenen Fasern zeigen keine übereinstimmende Anordnung und verlangen daher eine gesonderte Schilderung. «. Die Fleischfasern des rechten Vorhofes. Man begegnet hier erstens einem mächtigen, in maximo 1 Cent. breiten, in longitudinaler Richtung dem ganzen Um- kreise des Vorhofes folgenden, jedoch nicht überall gleichen Faserzuge. Er beginnt am medialen Umfange des Annulus fibrosus, steigt zuerst am Septum empor und sondert sich wäh- “rend dieses ersten Verlaufes in zwei Portionen. Die eine zieht bogig um den vorderen und oberen Umfang der Fovea ovalis und tritt sodann an die mediale Seite der Vena cava inf. thor. herab, um mit einem von der linken Seite des Septum kom- menden, um den unteren Umfang jener Grube hberumziehenden von vorn her an die mediale Wandder Cava inf. thor. herab- tretenden Bündel zusammenzufliessen. Die andere Portion er- liebt sich gegen den oberen Rand des Herzohres, läuft von da aus, entsprechend der Grenze der seitlichen und hinteren Wand des Vorhofes, schliesslich dem angewachsenen Rande der Val- vula Eustachii folgend, die Mündung der unteren Hohlader und der grossen Herzvene von einander scheidend, meist sehr dünn geworden, wieder zum medialen Umfange jenes Faserringes zurück. Zweitens kommen zahlreiche, vorwiegend in der Hö- henrichtung des Atrium verlaufende, in der mannigfaltigsten Weise zu einem Netzwerk unter einander verbundene Fleisch- bündel vor. Diese sog. Musculi pectinati des rechten Vorhofes gehen zum grösseren Theile direct vom vorderen, hinteren und äusseren Umfange des rechten venösen Annulus fibrosus aus; manche gehen aber auch hervor aus dem Zerfalle jenes mus- kulösen Gürtels, in dessen Faserung sodann hinwieder Muse. 634 H. Luschka: peetinati ausstrahlen, An ihrem Ursprunge fliessen die schief emporsteigenden Kammmuskeln zum Theil so untereinander zusammen, dass es den Anschein gewinnt, als bestehe ein ent- lang der Kreisfurche verlaufendes für alle gemeinsehaftliches Muskelbündel. Eine kleine Anzahl zarter Fleischbündel, welche theils in das Septum übergehen, theils in die vordere Wand des rech- ten Vorhofes ausstrahlen, und ihren Ursprung von der fibrösen Grundlage jener muskelfreien, ungleichseitig dreieckigen 1,4 Cent. breiten, 0,8 Cent. hohen Stelle gewinnen, welche an der oberen Grenze der Scheidewand der Kammernangebrachtist. Links grenzt sie an den Winkel, den die convexen Ränder der rechten und hinteren Semilunarklappe der Aorta bilden; auf der rechten "Seite giebt diese ganz andere Beziehungen zu erkennen, indem sie hier grösstentheils mit dem Gewebe des angewachsenen Randes des medialen Zipfels der Valvula tricuspidalis innig zusammenhängt. Es muss daher Fälle von Perforation jener Stelle geben, in welchen über dem freien Segmente jener Klappenzipfel, also ohne Betheiligung der Wand des rechten Ventrikels, eine Communication zwischen linker Kammer und rechtem Vorhofe zu Stande gebracht wird. Ein solcher Fall ist denn auch in der 'I’hat bereits zu meiner Beobachtung ge- kommen. An dem Herzen eines jugendlichen Individuum ver- mochte man von der linken Kammer aus eine jener Stelle ent- sprechende, von gewulsteten zerrissenen Rändern umgebene Lücke zu unterscheiden, welche in eine kleine, etwa dem Um- fange einer Bohne gleichkommende, bluterfüllte Höhle führte. Die dünne Wand dieser Höhle bildete gegen das Atrium dex- trum herein einen Vorsprung, also ein Aneurysma, welches an seiner erhabensten Stelle eingerissen ‚war. Vorsprung, und Rissöffnung betrafen das Gewebe des angewachsenen Randes des medialen Zipfels der Tricuspidalis, ohne dass diese irgend wie insufficient geworden ist. Am rechten Vorhofe befinden sich ausserdem noch zwei Gruppen von Muskelfasern, nämlich rein cireuläre Fibrillen, welche. das Ende der oberen Hohlader umspinnen, und rein longitudinal verlaufende Bündel, welche am hinteren Umfange Der Brusttheil der unteren Hohlader des Menschen. 635 des rechten Vorhofes angebracht sind, wo die Wände der bei- den Hohladern unter Bildung einer Vertiefung in einander übergehen. Durch die Contraction dieser Fasern muss die Convergenz dieser beiden Gefässtämme gesteigert und so die Direction der Blutströme gegen das rechte venöse Ostium noch mehr gesichert werden. #. Das Fleisch des linken Vorhofes. Die meisten dem Atrium sinistrum eigenen Fleischbündel nehmen ihren Ausgang vom Faserringe des linken venösen Ostinm. Sie steigen in schiefer Richtung über die vordere und über die hintere Seite empor, um am oberen Umfange zwischen den Mündungen der Lungenvenen untereinander zusammen zu fliessen. Um die Mündungen der Lungenvenen sind die Fleisch- fasern theils eirculär, theils in Achtertouren herumgelegt. Ring- förmige Fasern umgeben auch das ganze linke Herzohr, an dessen Innenseite nur gegen die Spitze hin sich Kammmuskeln vorfinden, welche im ganzen übrigen Atrium gänzlich fehlen, da hier die Fleischbündel während ihres ganzen Verlaufes dicht nebeneinander liegen. Die vom medialen Segmente des linken venösen Faserringes ausgehenden Fleischbündel laufen bogig um den Bezirk des Foramen ovale herum, theils um in diejenige Gegend der rechten Wand des linken Vorhofes auszustrahlen, welche über die obere Grenze des Septum hinausragt, theils um den unteren Rand des Foramen ovale zu begrenzen. Die Anordnung der Fleischfasern im Umkreise der Fossa ovalis bringt es mit sich, dass in der Mitte der nach vorn ge- kehrten Seite des Isthmus Vieussenii eine Kreuzung derselben stattfindet, indem die.vom medialen Segmente des rechten ve- nösen Faserringes entspringenden Bündel bogig nach vorwärts aufwärts und dann nach rückwärts verlaufen, und für die linke und rechte Seite des oberen Umfanges der Fo- ven ovalis, die anderen, vom medialen Segmente des linken venösen Faserringes .entspringenden Bündel dagegen bei- den Seiten des unteren Umfanges derselben gemeinschaftlich sind. Nach hinten fliessen beiderlei Fasern bogig untereinan- 636 H. Luschka: der zusammen und schreiten nach rückwärts abwärts über die hintere Grenze des Septum hinaus an den medialen Umfang des Brusttheiles der unteren Hohlader herab und bedingen also den innigen Anschluss der letzteren an die Scheidewand der Vorhöfe. Jene die ovale Grube umziehenden Bogenfasern 'be- zeichnen das ursprüngliche Ende der unteren Hohlader, indem sie die früher bestandene Mündung derselben in den linken Vorhof nach Art eines Sphinkters umgreifen. Diese Beziehung der Fleischfasern des Septum zur unteren Hohlader ist schon von Senac!) richtig aufgefasst worden, indem er bemerkt: „la racine de la cave inferieure est affermie par des fibres muscu- laires, qui viennent du trou ovale,“ Ohne Ausnahme tritt von den die eiförmige Grube umziehenden Fleischbündeln eine An- zahl von Fasern ab, welche zwischen die beiden die Valvula foraminis ovalis darstellenden Endocardiumlamellen ausstrahlen. Die in die Zusammensetzung der Scheidewand der Vorhöfe eingehenden Fleischbündel sind also im Wesentlichen Bogen- faserzüge, welche die eiförmige Grube umkreisen, und sie sind insofern für beide Atrien gemeinschaftlich, als die von ent- gegengesetzten Seiten herkommenden museulösen Elemente die-Grundlage einer für beide gemeinsamen Formation ab- geben. n b. Als gemeinschaftliche Fleischfasern werden aber gewöhnlich nur diejenigen Bündel der Vorhöfe angesprochen, welche sich von aussen her über beide hinweg erstrecken. Am binteren Umfange sind sie schwächer und laufen entlang der Kreisfurche vor der Mündung der unteren Hohlader gegen die Basis der Herzohren hin. Sie treten zur Bildung eines platten, kleinfingerbreiten Bündels zusammen, welches auch wohl als Fascia transversa atriorum posterior aufgeführt wird. 'Bemer- kenswerth ist sein Verhalten zur grossen und zur mittleren Herzvene. Die erstere tritt hinter dem linken Herzohre zwi- schen die Faserung dieses Muskelgürtels, um dann bis zu ihrer Einmündung von ihm gedeckt zu werden; die letztere durch- 1) Traite de la structure du eoeur. Paris 1774. I. p. 399, Der Brusttheil der unteren Hohlader des Menschen. 637 bohrt denselben in der Art, dass auch ihr Ende zwingenartig von Fleischfasern umfasst wird. Auf der linken Seite theilt sich jenes gemeinschaftliche hin- tere Muskelstratum an.der Wurzel des Herzohres gewöhnlich in zwei Bündel. Das eine, meist viel stärkere läuft zwischen der linken unteren Lungenvene und der Auricula sinistra an die vordere Seite der Vorhöfe bis zum Ende der oberen Hohl- ader, die sog. Fascia transversa anterior der Vorhöfe darstel- lend, um sich daselbst in zwei Fascikel zu theilen, von wel- chen das eine vor dem Ende der Cava inferior an die convexe Seite des rechten Herzohres läuft und, sich ausbreitend, bis zu dessen Spitze gelangt, während das andere zwischen oberer Hohlader und rechter unterer Lungenvene sich durchschiebt, um schliesslich den rechten Umfang der unteren Hohlader zu umgreifen. Das zweite aus der Spaltung des hinteren queren Muskel- gürtels hervorgehende Bündel zieht unter: der Basis der Auri- eula des linken Vorhofes an dessen vordere Seite und verläuft schief unter dem horizontalen Bündel in die Gegend der rech- ten Lungenvenen, um über den oberen Umfang jenes Atrium hinweg gegen das untere Ende der hinteren Grenze des Sep- tum atriorum zu gelangen. Dieses Bündel wurde schon von Gerdy') unterschieden, aber von ihm mit Unrecht gelehrt, dass es vorn und hinten an die Faserringe angeheftet sei. Als gemeinschaftliche ist in gewissem Sinne auch diejenige der bisherigen Beobachtung völlig. entgangene Muskulatur zu betrachten, welche den linken Vorhof mit der unteren Hohlader in directe Verbindung setzt. Ohne Ausnalıme existirt nämlich am mens@hllichen Herzen ein dünnes, plattes, durchschnittlich nur zwei Millimeter breites Fleischbündel (Fig. l.e.), welches aus der sich schief über die hintere Seite des linken Vorhofes nach rechts herabziehenden Faserung hervor- geht, den am medialen Umfange der Cava angebrachten vom Septum atriorum herrührenden Fleischgürtel durchbricht, und 1) Reelierches, discussions et propositions d’Anatomie et de Phy-+ siologie etc, Paris 1823. p- 28. 638 H. Luschka: Der Brusttheil der unteren Hohlader des Menschen. mit sehnigen Fädehen sich in der Adventitia des hinteren Um- fanges der Vena cava inf. thorae. verliert. Jenes in normalen Verhältnissen ganz unscheinbare, durch eine unvorsichtige Prä- paration leicht zerstörbare Fleischbündel hat ohne Zweifel die Aufgabe, die Wand der unteren Hohlader anzuspannen und der unter Umständen eintretenden Gefahr der Beeinträchtigung des Lumens dieses Gefässes entgegen zu wirken. Eine überaus merkwürdige excessive Ausbildung dieses Muskelbündels ist an der Leiche eines 40jährigen Mannes, dessen Brustorgane ich von der Rückenseite aus freigelegt hatte, durch einen glücklichen Zufall zu meiner Beobachtung gekommen. Hier hat dasselbe (Fig. 2) nicht allein eine ver- hältnissmässig colossale Entwicklung erreicht, sondern auch eine tiefere Insertion gewonnen. Vom vorderen Umfange des linken Vorhofes aus ist eine ziemlich reichliche Faserung schief über die obere und hintere Seite dieses Atrium nach rechts herabgezogen und hat sich von der hinteren unteren Grenze des Septum atriorum an, aus diesem einige Faserzüge aufneh- mend, zu einem nunmehr selbständigen an das mediale Seg- ment des hinteren Randes des Foramen quadrilaterum herab- tretenden 1,5 Cent. langen, 0,8 Cent. breiten und 0,4 Cent. dieken, compaeten Bündel vereinigt, welehes durchgreifend aus demselben braunrothen, quergestreiften Muskelgewebe bestand, wie ‘das übrige Herzfleisch. Dasselbe verlief, mit der Cava inf. zugleich vom visceralen Blatte des Herzbeutels umkleidet und gegen das Cavum pericardii- einen entsprechenden Vor- sprung erzeugend, an der medialen Grenze des hinteren Um- fanges dieser Ader, sie noch ein wenig deckend, an die ge- nannte Stelle des Foramen quadrilaterum, um sich kurzsehnig in das fibröse Gewebe ihres Randes einzupflanzen. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Die Muskulatur der Vorhöfe des in natürlicher Lage be- findlichen, auf dem Zwerchfelle a, ruhenden Herzens, von der Rücken- seite aus gesehen. E. du Bois-Reymond: Abänderung u. s. w. 639 . Rechter Vorhof. . Obere, . Untere Hohlader. . Vom linken Vorhofe zur unteren Hohladerher- abtretendes, longitudinal verlaufendes Mus- kelbündel. . Gemeinschaftlicher hinterer Muskelfaserzug der Vorhöfe, mit der ihn durchsetzenden Vena coronaria cordis maxima. g. Fig. 2. Herz eines 40jährigen Mannes in derselben Lage wie das vorige und gleich ihm in natürlicher Grösse dargestellt. Während alle übrigen Verhältnisse völlig übereinstimmend sind, erscheint dagegen das Fleischbündel Fig. 1.e. hier (*) ausnehmend mächtig und reicht bis zum Zwerchfelle herab, wo es am hinteren Rande des Foramen quadrilaterum seine Insertion findet, b C d e .. Abänderung des Stenson’schen Versuches für Vorlesungen. Von E. pu Boıs-ReymonD. Der Sten son’sche Versuch,') über die Lähmung der hinteren - Extremitäten dureh Unterbindung der Bauchaorta bei den Warm- blütern, ist einer von denen, die jeder Lehrer der Physiologie gern seinen Zuhörern vorführen wird. Leider ist dieser Versuch in seiner ursprünglichen Gestalt ein sehr widerwärtiger. Der Bauch des NoRrenden Thieres muss gei Be: der Darm bei Seite geschoben, auch zugenäht werden. Ist die 0 muss die Bauchnaht wieder aufge- trennt, der Darm von Neuem bei Seite geschoben, das Unter- band von der Aorta gelöst und der Bauch abermals zugenäht werden, Kaninchen sind nach dieser Reihe von Operationen kaum noch geeignet, die Wiederherstellung der Leistungsfähig- keit ihrer Hinterläufe erkennen zu lassen; aber sogar am Hund I) Haller, Elements Physiologiae Corporis humani etc. t. E. Lausannae 1762. 40. p. 544. 640 E. du Bois-Reymond: habe ich den Versuch von Jemand, der ihn von einem unserer geübtesten Viviseetoren hatte ausführen sehen, als einen scheuss- lichen bezeichnen hören. Stannius hat den Stenson’schen Versuch dahin abge- ändert, dass er von einer Rückenwunde zur Seite des M. sa- erolumbalis aus einging, und, während „die Muskeln des Rückens, die M. M. quadratus lJumborum und die psoae“ mit zwei stumpfen Haken kräftig zurückgezogen wurden, ohne Verletzung des Bauchfells an die Aorta zu gelangen suchte. !) Zum Zweck eigener, auf neue Ermittelungen gerichteter Versuche ist dies Verfahren unstreitig das richtige; für die Vorlesung kann man wünschen, es durch ein minder umständliches ersetzt zu sehen. Dasselbe gilt von dem Verfahren, welches Kussmaul und Tenner in ihrer schönen Arbeit über die Zuckungen durch Verblutung beschrieben haben, um den Aortabogen am leben- den Kaninchen zu eomprimiren. Selbst bei der grossen Uebung, die sich die Verfasser erworben hatten, wird die Dauer der Operation auf eine Viertel- bis auf eine halbe Stunde ange- schlagen. Abgesehen davon würde sich diese Art, den Ein- Auss des Blutlaufes auf die Leistungsfähigkeit der Muskeln darzuthun, für die Vorlesung deshalb wenig eignen, weil dabei ü zugleich dem Rückenmark ein zu grosser Theil seines Blutes entzogen wird. Von Brown-Sequard’s Versuchsweise endlich, Kanin- chen oder Meerschweinchen bis auf die Bauchaorta und untere Hohlvene mitten durchzuschneiden,') kann natürlich hier nicht die Rede sein. Unter diesen Umständen wird es vielleicht nicht unwillkommen erscheinen, wenn ich eine Art angebe, wie der Stenson’sche Versuch am Kaninchen auf das leichteste, sicherste und reinlichste, mehreremal nach einander am näm- lichen Thier, ja ohne dauernden Nachtheil für dasselbe, an- gestellt werden kann. Mein Verfahren, welches bereits sechsmal mit bestem Erfolg 1) Vierordt, Archiv für physiol. Heilkunde. Bd. XI. 1852. S.4. 2) Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen “ und der Thiere. Bd. III. 1857. S. 14. 60. 3) Comptes rendus ete. 9 Juin 1851. t. XXXII. p. 855. Abänderung des Stenson’schen Versuches für Vorlesungen. 641 in's Werk gesetzt wurde, besteht darin, dass ich die Lendenwirbel- säule des sonst unversehrt bleibenden Thieres mit einer krum- men Nadel umsteche und an dieser ein Band durch die Bauch- höhle ziehe, das nur über den Dornfortsätzen zugeschnürt zu werden braucht, um den Kreislauf in den Hinterläufen zu hemmen. Meine Nadel, welche indess nur für mittelgrosse T'hiere passt, stellt einen Halbkreis von 60 Mm. Durchmesser dar. Sie ist trokartförmig zugeschärft und liegt nach Art eines Tro- karts in einer Scheide von entsprechender Krümmung und von 2,5 Mm. Durchmesser. Die Schnur ist seidene » Plattschnur und wird vor dem Versuch eingeölt. Das Kaninchen braucht nicht befestigt zu werden; es genügt, dass ein Gehülfe das wie ge- wöhnlich kauernde Thier mit der einen Hand in der Schulter-, mit der anderen in der Kreuzgegend gegen den Tisch drücke, so dass das Hintertheil nach der rechten, der Kopf nach der linken Hand des Experimentirenden gekehrt sei. Ueber dem rechten M. quadratus lumborum wird ein kleiner Hautschnitt gemacht, und die eingefädelte Nadel mit entblösster Spitze etwas unterhalb des Dornfortsatzes des vierten Lendenwirbels langsam genug eingestossen, um den Darmschlingen Zeit zu lassen auszuweichen. Ist die Nadel bis über die vordere Mün- der Scheide in die Bauchhöhle gedrungen, was man leicht Mich Aufhören des Widerstandes merkt, den diese Mündung Vordringen durch die Gewebe erfuhr, so wird die Spitze in die Scheide zurückgezogen, und man sucht nunmehr mit der verhältnissmässig a und ungefährlichen Mündung der Scheide durch die : terii, deren Durchbrechen man an grösseren Thieren spürt, den Weg um die Wirbel- säule. Sobald man ndung der Scheide unter dem lin- ken M. quadratus Jumborum an der Stelle fühlt, welche der Bintrittsstelle auf der rechten Seite entspricht, stösst man die Nadelspitze wieder vor, dringt damit durch Bauchwand und Haut, und zieht langsam die Schnur nach, die man in der Bauchhöhle doppelt liegen lässt. Die Aorta und die Vena cava inferior verlaufen beim Kanin- chen in der Bauchhöhle innerhalb einer Furche, welche die an- einanderstossenden inneren Ränder der beiden M.M. psoae bil- Keichert's u, du Bols-Hoymond's Archiv, 1860, 42 / 642 E. du Bois-Reymond: den. Wird daher die Schnur in der bezeichneten Lage kräftig angespannt und werden deren Enden über den Dornfortsätzen fest zusammengebunden, so erfahren die Gefässe ‚in‘ jener Furche einen Druck, der dem Kreislauf ein Ende macht. In Folge davon büsst nach kürzerer oder längerer Zeit das Ka- ninchen die Herrschaft über seine Hinterläufe ein. Löst man die Schleife, schneidet die Schnurenden auf der rechten Seite dicht über der Muskelwunde ab, und zieht den Rest der Schnur aus, so kehrt sofort die Bewegung zurück. Man kann aber auch nach Lösung der Schleife die Schnur liegen lassen und nur deren Abspannung dadurch zu Hülfe kommen, dass man die Schnur etwas hin- und herzieht und so in den Wunden lockert; auch dabei stellt sich der Kreislauf rasch wieder her, und man hat den Vortheil, den Versuch wiederholen zu können, ‘Bei erneutem Zuschnüren sieht- man die Leistungsfähigkeit aber- mals schwinden, Die Nieren zu verletzen, läuft man keine Gefahr, wenn man sich in der bezeichneten Höhe hält. Geht man noch tie- fer, so kann man die Blase treffen, wenn sie sehr voll ist. Die - Ureteren, von denen der rechte in derselben Furche wie die Gefässe, der linke auf dem entsprechenden M. psoas verläuft, werden natürlich mit umschnürt, doch scheint es nicht, dass dies für das Thbier von nachtheiligen Folgen sei. Die Kanin- chen überleben nieht bloss die Operation, sondern sie werden auch kaum krank danach. Die nach etwa acht Tagen ausge- führte Obduction zeigte meist nur unbedeutende Adhaesionen als Ueberbleibsel einer örtlichen Peritonitis. In einem, Falle fand ich den rechten M. psoas abse lien es waren, wegen Unruhe des Thieres, mehrere nn worden. In einem anderen Falle trat, während die Schnur zugezo- gen war, Pleurotonus der linken Seite ein. Der Grund dieses Zufalles, der ohne weitere Folgen vorüberging, blieb unbekannt. Von dem ursprünglichen Stenson’schen Versuche unter- scheidet sich der beschriebene, abgesehen von dem operativen Verfahren, auch noch dadurch, dass dort nur die Arterie, hier Ar- terie und Vene unterbunden werden. Sögalas d’Etchepare,!) 1) Magendie, Journal de Physiologie experimentale et patholo- gique. t. IV. 1824. p. 288, Abänderung des Stenson’schen Versuches für Vorlesungen. 643 James Philipps Kay’) und Longet?) haben bereits den Stenson’schen Versuch mit dieser Abänderung wieder- holt, und sind, die beiden ersteren bestimmt, der letztere, indem er sich die genauere Untersuchung noch vorbehielt, zu dem Ergebniss gelangt, dass bei dem gleichzeitigen Unterbin- den der Vene die Leistungsfähigkeit der Muskeln länger als bei dem Unterbinden der Arterie allein erhalten bleibe. Dies Ergebniss würde sich leicht dadurch erklären, dass in dem Fall, wo nur die Arterie unterbunden ist, die Muskeln theils durch die elastische Zusammenziehung der Arterie, theils durch den Druck, den sie selber ausüben, sehr bald ganz blutleer werden, da- gegen bei gleichzeitig unterbundener Vene ihnen ein Vorrath arte- riellen Blutes bleibt, von dem sie noch ein Weilchen zehren können, Ich habe bei der gleichzeitigen Unterbindung von Arterie und Vene zwar meist erst nach einiger Zeit, fünf Minuten bis zu einer Viertelstunde, die vollständige Lähmung der Beine ein- treten sehen, allein in einem Falle auch im Laufe weniger Se- eunden, Ich muss es zweifelhaft lassen, ob das spätere Ein- treten der Lähmung in jenen Fällen davon herrührte, dass mit der Arterie zugleich die Vene unterbunden war, oder daher, dass die Gefässe, zwischen den Polstern der M.M. psoae, den Druck der Schnur nicht hinreichend erfuhren. Die erstere Möglichkeit wird durch den Fall, wo die Lähmung augen- blicklieh eintrat, insofern nicht abgeschnitten, als es denkbar ist, dass in diesem Fall in Folge irgend eines Umstandes nur die Aorta einem hinlänglichen Druck ausgesetzt war. °) 1) Edinburgh Medical and Surgical Journal. 1828. vol. XXIX. p- 54. 55. 97. ar 2) Recherches experimentales sur les Conditions necessaires A VEntretien et ü la Manifestation de l’Irritabilitö musculaire avec Ap- plieations a la Pathologie. A Paris 1841. p. 29; — Trait& de Phy- siologie. 2me Ed. Paris 1857. t. I, 3me Partie, p. 36, 3) Ich finde nachträglich, dass schon der alte Joh. Conr. Brun- ner einmal in der Absicht, den Ductas thoraceicus zu unterbinden, die Brustwirbelsäule eines Hundes zwischen der 9. und 10, Rippe mit einer Nadel umstochen, und beim Zuschnüren des Bandes über dem Rück- grat denselben Erfolg, wie bei Unterbindung der Aorta, beobachtet hat, Experimenta nova circa Pancreas etc, Lugd. ‚Bat. 1722. p, 186. 42” 644 Rudolf Heidenhain: Mittheilungen aus dem physiologischen Institute zu Breslau. Herausgegeben von Prof. Dr. RuDoLF HEIDENHAIN, Die Leitung des physiologischen Institutes der Breslauer Universität ist zu Ostern 1859 in meine Hand übergegangen. Erst im dritten Semester meiner hiesigen Thätigkeit fand sich in der Anstalt eine grössere Zahl junger Medieiner zu den praktischen Uebungen ein, für welche ich das Institut sowohl Vor- als Nachmittags geöffnet hatte. Dank der Verbindung des Instituts mit einer Wohnung für den Director bin ich im Stande, während der ganzen Arbeitszeit fast unausgesetzt in den Arbeitsräumen anwesend zu sein und die Untersuchungen zu überwachen, Der Plan, welchen ich bei Leitung der Uebungen befolge, fasst einen doppelten Zweck in's Auge. Einmal suche ich den Practicanten gewisse Kenntnisse und technische Fertigkeiten zu geben, die, durch theoretische Studien nicht erreichbar, für die spätere ärztliche Praxis-von unmittelbarer Wichtigkeit sind. Dahin gehört die Uebung im Gebrauche des Mikroskopes, zu deren Erwerbung an drei Nachmittagen der Woche von allen Practicanten zusammen ein mikroskopischer Cursus unter mei- ner Leitung durchgemacht wird, der die ganze allgemeine und specielle Histologie zum Gegenstande hat. Diesen Theil der Anatomie in die physiologischen Uebungen aufzunehmen , ist um so mehr geboten, als an der hiesigen Universität die mi- kroskopische Anatomie keine anderweitige Vertretung hat, viel- mehr die Pflege derselben von jeher eine Obliegenheit des Physiologen gewesen ist. Zu den Gegenständen, welche im Laufe des Semesters von allen Practicanten durchgemacht wer- den, gehören ferner die physiologisch und pathologisch wichti- gen Tiirir-Analysen, die Reactionen auf die physiologisch und pathologisch wichtigen organischen Substanzen u. =. f. Der grössere Theil der Zeit aber bleibt den selbständigen Mittheilungen aus dem physiologischen: Institute zu Breslau. 645 Untersuchungen der Practicanten gewidmet. Ich trage kein Bedenken, selbst solchen Studirenden, die anderweitig sich noch keine besonderen experimentellen Fertigkeiten angeeignet ha- ben, Aufgaben zur eigenen Untersuchung zu stellen. Mich leitet dabei die Ueberzeugung, dass der Hauptwerth der phy- siologischen Uebungen für den jungen Medieiner darin besteht, dass er beobachten und im Geiste der heutigen Naturwissen- schaft denken lerne. Die für die Physiologie seit ihrer letzten Reform als erster und oberster Grundsatz hingestellte Wahr- heit, dass ein jeder Process im Organismus Function ist einer ossen Zahl von Veränderlichen, und dass, einen Process er- Jären, nichts Anderes ist, als die Natur der Function bestim- men, — diese Wahrheit ist auch für die Pathologie der einzig richtige Wegweiser und der Hauptsatz der gesammten medici- nischen Logik. Das physiologische Institut ist der Ort, wo dieser Satz den Studirenden zuerst tagtäglich in concreter Ge- stalt Beenkit: Die erfolgreichste Methode, denselben zum vollen Verständniss zu bringen und alle seine Consequenzen zu entwickeln, besteht in der Anleitung zu selbstständigen Experimentalarbeiten, am besten über noch nicht untersuchte Gegenstände, Wiederholung schon bekannter Versuche führt nicht so gut zum Ziele; die Aufmerksamkeit, und das Nach- denken werden weit weniger angeregt, wenn das Resultat des Versuches und das Gesetz der Erscheinungen schon im Voraus bekannt sind, als wo beide erst ermittelt werden sollen. Ich habe die Absicht, die Früchte der experimentellen Stu- dien in dem hiesigen Institute in fortlaufenden Mittheilungen den Fachgenossen vorzulegen. Die folgenden Abhandlungen, sämmtlich im laufenden Sommer vollendet, mögen den Anfang machen. In Kurzem werden ihnen einige andere folgen. Von dem Breslauer physiologischen Institute, dem ältesten Deutschlands, ist durch seinen grossen Gründer, den unermüd- lichen genialen Purkinje, so Vieles ausgegangen, was für alle Zeiten in den Jahrbüchern der Wissenschaft als Wahrheit verzeichnet bleiben wird. Mögen die nachfolgenden Blätter ihm einen verehrungsvollen Gruss von der jungen Generation bringen, welche jetzt den von ihm hinterlassenen Spuren folgt, Nichts mehr wünschend, als dass es ihr gelingen möge, zu zei- gen, dass die hier von ihm zurückgebliebene Erbschaft nicht müssig vergeudet wird. Breslau, Ende August 1860. 646 Friedländer und Barisch: I. Abhandlung. Zur Kenntniss der Gallenabsonderung. Von Dr. V. Friedländer und Dr. C. Barisch. (Mitgetheilt von R. Heidenhain.) Bei früheren gelegentlichen Vivisectionen an Meerschwein- chen war mir die ausserordentliche Anfüllung der Gallenwege, nicht blos der Gallenblase, sondern auch der Ausführungsgänge aufgefallen, die man bei diesen Thieren sehr häufig trifft. Ich fand den Duct. hepaticus, eysticus und choledochus wiederholt so gefüllt, als ob sie künstlich injieirt wären, — ein für die Demonstration des Verlaufes jener Oanäle sehr bequemer Um- stand. Diese gelegentlichen Beobachtungen bestimmten mich, zwei der eifrigsten meiner Practicanten, die Herren Dr. V. Friedländer und Dr. C. Barisch, eine Untersuchung der Gallensecretion bei jenen Thieren anstellen zu lassen. Die ur- sprüngliche Absicht war, zu ermitteln, ob durch die Erzeugung des künstlichen Diabetes durch den Bernard’schen Stich die Gal- lensecretion eine Aenderung erfahre. Voruntersuchungen aber, die manches Interessante boten, haben fast das ganze Sommer- Semester in Anspruch genommen, so dass die Beantwortung jener ursprünglichen Frage dem nächsten Semester aufbehalten bleiben muss. Meerschweinchen empfehlen sich zu Untersuchungen über die Gallensecretion ausserordentlich, weil Gallenblasenfisteln bei diesen Thieren so schnell und leicht anzulegen sind, wie kaum bei einer anderen, bisher untersuchten Säugethierart. Die Operation ist folgende: Ein Längsschnitt, von dem un- teren Ende des Proc. xiphoideus sterni an in der Linea alba 1 bis 1'/, Zoll lang durch die Bauchdecken geführt, öffnet das “ Abdomen des wohl ätherisirten Thieres. Man trifft hier zuver- lässig auf den Pylorustheil des Magens. Es bedarf nur eines leisen Zuges an demselben, um das oberste Ende des Dünn- darmes zu Gesichte zu bekommen. Der Anfangstheil des Duo- denum bildet, entsprechend der Pars transversalis superior beim Menschen, eine Schlinge, die ihre Convexität nach dem Zwerch- Zur Kenntniss der Gallenabsonderung. 647 felle kehrt. Ungefähr auf dem Gipfel dieser Convexität mün- det der Ductus choledochus in den Dünndarm; er lässt sich ohne alle Schwierigkeit unterbinden. Die Gallenblase, welche wir ohne Ausnahme prall gefüllt fanden, bietet sich fast von selbst dar, wenn man mit einer Pincette unter das innere Ende der rechtsseitigen untersten Rippe geht. Nach Befestigung einer Canüle von 2-3 Mm. Durchmesser in derselben, wird die Bauehwunde durch Näthe geschlossen, nachdem das freie Ende der Canüle nach aussen geleitet ist. Die Galle tropft sehr bald aus der Canüle ab und lässt sich zur Untersuchung auffangen. I. Physikalisch-chemische Beschaffenheit der Galle des Meerschweinchens. Bei den sehr geringen Mengen von Galle, die sich selbst bei mehrstündigem Auffan- gen erhalten liessen, konnte an eine genaue chemische Analyse nicht gedacht werden. Wir müssen uns daher auf die Angabe von Einzelheiten beschränken. Die Farbe der frischen Galle ist hell bernsteingelb, nicht, wie bei den sonstigen Herbivoren, grün. Für das Kaninchen geben Bidder und Schmidt!) als normale Farbe hell Grasgrün, für das Schaaf Olivengrün an. Die Galle des Meerschweinchens zeigt einen leicht hellgrünen Stich höchstens dann, wenn die Thiere längere Zeit gehungert haben, doch ist der vorherrschende Farbenton auch dann noch helles Gelb. Nach längerem Stehen an der Luft geht diese Farbe in Grün über. Die Reaction der ganz frisch aufgefangenen, völlig schleimfreien Galle finden wir ganz ohne Ausnahme alkalisch, im Gegensatze zu Bidder und Schmidt,?) welche die Reac- tion des frischen und unverweilt aufgefangenen Lebersecretes für die von ihnen untersuchten Thiere als neutral angeben. Der Gehalt der Galle des Meerschweinchens an festen Bestandtheilen ist nach drei von mir ausgeführten Bestim- mungen geringer, als bei irgend einem. bisher. untersuchten Thiere. Die frische Galle der Katzen, Hunde, Schaafe ent- I) Verdauungssäfte u. #.1. 8. 213. 2, Ebendaselbst S. 215. 648 Friedländer und Barisch: hält nach Bidder und Schmidt?) 5pCt., die des Kaninchens kaum 2pCt. fester. Theile. Ich fand beim. Meerschweinchen in einem. Falle 1,23pCt., in zwei anderen Fällen 1,35pCt. bei 110° €. nieht flüchtiger Substanzen, Diesem äusserst geringen Gehalte an festen, Theilen ist es wohl zuzuschreiben, dass die Galle, nach Pettenkofer’s Methode untersucht, die Anwesenheit der gewöhnlichen Gallen- säuren nicht erkennen lässt. Wenigstens konnten wir weder in der frischen Galle noch in dem trockenen Rückstande von 3,727 Grm. Galle, der in wenig Wasser gelöst wurde, Säuren, welche Cholalsäure als Paarling enthielten, nachweisen. I. Grösse der Gallenseeretion beim Meerschwein- chen. Was der blosse, mir wiederholt gewordene Anblick der prall gefüllten Gallenwege des Meerscheinchens vermuthen liess, dass nämlich die Secretion bei diesem Thiere ganz besonders lebhaft sei, bestätigte eine genauere Untersuchung, wie folgende Beispiele lehren. Versuch I., am 13. Juni 1860. Körpergewicht 778 Grm. Bis 9 Uhr früh hatte das Thier gefressen, In einzelnen Vier- telstunden wurde aufgefangen: Danach secernirt 1000 Grm. Thier Frische Galle in 1 Stunde in 24 Stunden Grm. | Grm. 1. 11 Uhr bis 114 Uhr... 1,6 8,72 209,28 PR E Een DE RR Eco) 8,80 in 241.20 Bellen m 100 6,76 | 162,24 Ba, SylanaE* Shamear06h 5,48 131,52 are io BR, an 1 6,20 148,30 8, „n- 30, 13508 7,96 191,04 Mittel 1,411 7,32 175,68 Von dem Gemenge der Vor- und Nachmittagsgalle waren 3,328 Grm. zur Bestimmung des festen Rückstandes benutzt worden, Sie enthielten 0,045 Grm. bei 110° nicht flüchtiger Substanzen, d.i., 1,35pCt. Mithin schied 1 Kgr. Thier durch- schnittlich in einer Stunde 0,098 Grm. oder 1 Kgr. in 24 Stun- 3) Ebendaselbst S. 214. Zur Kenntniss der, Gallenabsonderung. 649 den 2,352 Grm. fester Substanzen aus. — Leider war bei die- sem Thiere das Gewicht der Leber nicht bestimmt worden. Am nächsten Morgen früh 7 h. wurde das Thier todt ge- funden, Versuch II, am 16. Juni 1860. Körpergewicht des Ver- suchsthieres 470 Grm. Urn 9h. Morgens war das Thier aus dem Stalle genommen, in welchem ihm überreiche Futtermen- gen fortwährend vorlagen. Gewicht der Leber 15,7 Grm.; Verhältniss des Leberge- wichts zum Gesammtkörpergewicht 1: 29,9. Frische Mithin secernirt Es secerniren Galle 1000 Grm. Thier 1000 Grm. Leber Zeit des Auflangens. in 2 Std. in 1 Std.|in 24Std. | in 1 Std. |in 24 Std. Grm. Grm. Grm, Grm. Grm. 1. 10h. 27’—10h. 42 | | 0,709 6,03 '| 144,72 | .180,60 | 4334,40 2. 10b. 42/—10h. 57°| 0,625 5,31: |: 127,44 | 159,94 | 3921,76 3. 10h. 57° —11h. 12°) 0,831 7,07 | 169,68 | 211,72] 5081,28 4. 11h. 27’—-11h. 42° | 0,819 6,96 | 167,04 | 208,64 | 5007,36 5. 11h. 43—-11h. 58‘ | 0,827 701. | .168,24 | 210,68 | 5056,32 6. 11h. 59°—12h. 14° 0,820 6,97 | 167,28 | 208,92 | 5014.08 7. 12h. 14—12h. 29°| 0,961 8,34 | 200,16 | 244,84 | 5876,16 8. 3h. 30°— 3h. 45°| 0,783 | 6,66 | 159,84 | 196,92 | 4726,08 9. 3b. 59°— 4h. 8° | 0,808 | 730 | 175,20 | 218.60 | 5246,40 Mittel | 0,808 | 6,85 | 164,40 | 204,46 | 4905,87 Am nächsten Morgen wurde das Thhier todtenstarr gefunden. Von der Mischung der verschiedenen Galleportionen wurden 5,357 Grm. zur Bestimmung des festen Rückstandes benutzt. Sie enthielten 0,066 Grm. fester Theile, d.i. 1,23pCt. Mithin secerniren in der Galle an festen Theilen 1000 Grm. Thier | 171000 Grm. Leber in 1 Stunde |i in 24 Stdn. |in 1 Stunde | in 24 Stdn. | | > Jm Durchschn, | 0,084 Grm. | 2,016 Grm. | 2,51 Grm. | 60,24 Grm. Versuch IN. 18. Juni 1860, Körpergewicht des Thieres 360 Grm. Operation unmittelbar nach der Entfernung vom Futter um 9 Uhr. Die Ergebnisse lieferten folgende Tabelle: 650 Friedländer und Barisch:! ge a Rue Ba. TCHERR 1000 Grm. Thier 1000 Grm. Leber Zeit des Auffangens. in #St. | in 1 St. |in 24 St.| in 1St |in 24 St. Grm. Grm. Grm. Grm, Grm. 10h.25'’—10h. 40°| 0,6675 7,41 177,84 224,36 | 5384,64 10h.43'2-10h. 58'| 0,609 6,76 162,24 | 204,68 | 4912,32 10h.59—11h. 14°) 0,553 6,14 147,36 185,88 4461,12 11h.14’—11h. 29'| 0,578 6,42 154,08 194,28 | 4662,72 11h.29—11h. 44'| 0,599 7,21 173,04 201,32 4831,68 11h.45°—- 12h. —'| 0,584 6,48 155,52 196,28 4710,72 12h.1° —12h. 16°| 0,624 6,92 166,08 | 209,72 | 5033,28 12h 17‘’—12h. 32°| 0,6325 7,02 168,48 212,60 5102,40 2h. 37’— 2h. 52'| 0,734 7,87 188,88 246,72 5921,28 2h, 52’— 3h. 7’ | 0,742 8,24 197,76 249,40 | 5985,60 3h.7' — 3h. 22°| 0,583 6,47 155,28 | 196,00 | 4704,00 Mittel | 0,627 6,99 | 187,86 | 211,07 '| 5064,52 Am nächsten Morgen zwischen 7 und 3 Uhr starb das Thier. Die Leber wog 11,9 Grm.; Verhältniss des Leberge- wichts zum Körpergewicht 1: 30,2. Portion 1 bis 8 der aufgefangenen Galle wurden gemischt, davon 3,695 Grm® zur Bestimmung des festen Rückstandes ver- wandt. Sie enthielten 0,050 Grm. = 1,35pCt. fester Theile. Danach lieferten 1000 Grm. Thier 1000 Grm. Leber in 1St. | in 248r. | in 1 St. |in 248t. an festen Theilen | 0,094 Grm. | 2,26 Grm. | 2,84 Grm. | 68,97 Grm. Versuch IV., 23. Juli 1860. Körpergewicht 503 Grm.; Lebergewicht 23,15 Grm. Verhältnis beider 1: 21,7. 18stündige Nahrungsentziehung vor der Operation. Es ergab sich: ‚Frische Galle| 1000 Grm. Thier 1000 Grm, Leber | sin.E St. ‚| in.1 St. | in 24St.| in 1 St. | in 24 St. Grm. Grm. Grm. Grm. Grm. 1 088 | 699 | 167,76 | 152,04 | 3648,96 2. 0,787 6,24 149,76 | 135,96 | 3263,04 3. 0,974 6,75 162,00 | 151,11 | 3626,64 4. 0,882 7,01 168,24 | 152,82 | 3667,68 5. 0,938 7,46 179,04 | 162,07 Kuaead 6 0,091 8,67 208,08 | 188,50 | 4524,00 | Mittel | 0,908 7,18 | 173,48 | 157,08 | 3776,66 Zur Kenntniss der Gallenabsonderung. 651 Das Thier starb, ‘wie alle übrigen, in der Nacht nach der Operation. Versuch V., 25. Juli 1860. Körpergewicht 610 Grm,, Lebergewicht 19,23 Grm. Verhältniss des letzteren zu dem er- steren 1:31,7. — 24stündige Nahrungsentziehung vor der Ope- ration, Unmittelbar nach der Opertion wurde aufgefangen: Frische Galle in # St. 2 | Grm. t: 0,947 2. 1,056 3. 1,102 4. 0,927 Mittel | 1,008 Versuch VI., 1000 Grin. Thier 1000 Grm. Leber in 1 St. |in 24 St. | in 1 St. |in 24 St. Grm, Grm. Grm. Grm. 6,201 148,82 119,48 2867,52 6,92 166,08 133,21 3197,04 7,22 173,28 139,05 | 3337,20 6,07 145,68 | 116,97 | 2807,28 6,602 | 158,46 124,67 | 3052,26 27. Juli 1860. Körpergewicht 518° Grm.; Lebergewicht 18,4 Grm. Verhältniss des letzteren zu ersterem 1:28,1. Nahrungsentziehung seit dem 26. Juli früh $h, Am 27. Juli, früh 10 Uhr, unmittelbar nach beendeter Operation, nach 26stündigem Hunger, beginnt das Auffangen: Zeit Morg. 10 —104h. »„ 104-104 h. „ 104-104h. 10111 h. Nachm, 34— 34h. , 3-3 „ 3- y h. Abends 94— 94h. . 94-10 h. imt-Mittel mit Ausnahme 2 letzten Beob- achtungen Frische Galle in + St. Grm, 1,430 1,110 1,021 1.154 1,060 0,971 I 1110 0,740 0,723 | 1,035 1,122 1000 Grm. Thier | 1000 Grm, Leber in 1 St. |in 24 St. | in 1 St. | in 24 St Grm. Grm, Grm. Grm 11,04 264,96 310,87 7460,88 8,571 205,70 241,30 5791,20 7,884 | 18921 | 221,95 | 5326,80 8,911 "213,86 250,87 6020,88 8,185 | 196,44 | 230,43 | 5528,16 7,498 | 179,95 211,08 5065,92 8,571 205,70 241,30 5791,20 5,714 137,13 160,87 3860,88 5,575 133,80 157,00 1.3768,0 00 7,99% |,191,86. |. 225,07. | 5401,54 | 8,665... |1.208,10: | 243,97. | 5855,00 652 Friedländer und Barisch: Versuch VII, 1. August 1860. Körpergewicht 390 Grm. Lebergewicht 17,3 Grm. Verhältniss des letzteren zu ersterem 1:22,5. Nahrungsentziehung seit dem 30. Juli 1860, früh $h. Das Auffangen der Galle beginnt unmittelbar nach der Ope- ration, am 1. August 1860, früh 11h., also nach 5lstündiger Nüchternheit. In 4 nach einander folgenden Viertelstunden wurde erhalten: Frische | |090 Grm. Thier | 1000 Gr. Leber Galle in +St. | in 1St. |in 24 St. | in 1 St. |in 24 St. Grm. Grm. Grm. Grm. Grm. 4600,08 | 0,829 | 8,502 | Bits 191,67 i | 2. |..0,768 7,82 187,68 | 176,41 | 4233,84 EAN 211 7,49 178,76 | 169,01 | 4056,24 4. | 0,670 6,89 165,36. | 154,91 | 3717,84 Mittel | 0,748 7,675 | 183,962 | 173,00 | 4152,00 Versuch VIIL, 31. Juli 1860. Körpergewicht 425 Grm. Lebergewicht 13,64 Grm. Verhältniss 1:31,1. Nahrungsent- ziehung seit dem 27. Juli, Nachmittags 4h. Am 50., 10h, früh, nach 66stündigem Hunger, unmittelbar nach der Opera- tion, wird in 4 auf einander folgenden Viertelstunden aufge- fangen: Frische | 1000 Grm. Thier | 1000 Grm. Leb Galle rm, | rm. eber | in +St. | in 1St. |in 24 St. in 1 St. | in 24 St. Grm, Grm. Grm. | Grm. | Grm. 1, 0,654 6,15 | 147,60 | 191,86 4604,64 2 0,534 5,02 120,48 155,86 | 3740,64 9 0,519 4,88 117,12 | 152,20 | 3652,80 4. 0,360 3,38 | 71,12 |, 105,57 | 2533,68 Mittel | 0,516 |, 4,85 |1.114,08 |. .151,37 | 3632,94 Stellen wir die Mittelzahlen dieser Versuche zusammen (wobei aus Versuch II. das Mittel der ersten 7 Beobachtungen genommen wird, weil die 2 letzten, 11'/, St. nach der Ope- ration angestellten Beobachtungen zu sehr von den übrigen ab- weichen), so ergiebt sich folgende Tabelle: 653 Zur Kenntniss der Gallenabsonderung. | | | | usdumgoego 1zLgPr | FeiBı | Feier | gael . 680°T ELs:T | TOT wars. | -2q L uaısıa | | | 20p jonım 76'sE9E | LEITET | SOFT ger EC) | LIE: T rel gar | 29 | "IIIA 00‘3E1F | -00°ELT | Y6‘E8T gı9‘L sFL‘0 ga: 1 EL 06€ Ie "IA oo‘cegc | Leere | o1‘sos | ©99'8 Scltı 18a: FL sıe 93 "IA 92'zcoE | 29T | IPScT | 2099 800°T LIE:T | E6l 019 a Eu " 424 gorLeı | SrzLı 8172 806°0 LT@:T | erge go | stT "AI 237909 | 2o'tıe | 9B'29r 66°9 L89°T Sog: | 6IT 09€ 0 ı eu ı8‘co6r | 9rF0z | OFFIT 6] soo | Bl Ust ur Das I & | & BYSLT se 1 = IE | E28 | su | 0 ER: "ws "mu "anLE) "us "wu = "une ws uapumg | Br BE ON TER aeg @rjastıy Fer "IE nadiase | ig | Jommmu uorU1a00s j ua loaas ‚Muu1ad08 ast ale p® | -1odıoy Errs -SgOnsIa A 10gaT "wi9 9007 | org mag ooor ur put A | ayatmay) | | . zoned 654 Friedländer und Barisch: Die Durchsicht dieser Zahlen lehrt zunächst, dass nach der Aufnahme von Speisen die Gallenabsonderung nicht, wie Bid- der und Schmidt für Fleischfresser lehrten, eine continuirliche, längere Zeit dauernde Steigerung erfährt; vielmehr schwankt die Absonderungsgrösse für eine Stunde, bezogen auf die Ein- heit des Körpergewichts, bei Versuch I. bis IV. zwischen 6,602 Grm. und 8,665 Grm., ohne dass sich mit fortschreiten- der Dauer der |Nahrungsentziehung die Zahlen in einem be- stimmten Sinne- änderten. Erst nach 66stündiger Nahrungs- entziehung findet eine entschiedene Abnahme der Absonderung statt. Es erklärt sich dies vielleicht daraus, dass bei Pflanzen- fressern der Magen noch lange Zeit nach der letzten Nahrungs- aufnahme sehr angefüllt bleibt; während des normalen Lebens wird er niemals leer und von ihm aus dem Darm fortwährend Material zur Verarbeitung geboten. Aufnahme von neuem Futter steigert den Verdauungsprocess nicht in so merklichem Grade, wie bei Fleischfressern, weil er noch von der vorangegangenen Futteraufnahme her im besten Gange war. Deshalb auch keine so merkliche Steigerung der Gallenabsonderung, und aus dem- selben Grunde erst sehr lange nach der Nahrungsentziehung eine merkliche Verminderung derselben, viel später als nach Bidder und Schmidt bei Fleischfressern. Um die Absonderungsgrösse der Galle bei Meekeeigseiiiben mit der Lebendigkeit der Secretion bei verwandten Thieren vergleichen zu können, führe ich hier die Zahlen an, die Bid- der und Schmidt für Kaninchen und Schaafe fanden. Die Zahlen der letzten Columne sind nach den Angaben jener Au- toren berechnet. | | | 1 Kgr. 1 Kgr. ‚ Körper- Leber- | Ver- | Thier Leber lie- Thier | gewicht | gewicht | hältniss | liefert in | fert in | | beider 1 St. 1 St. Grm, Grm. | Grm. Grm. 1. Kaninchen 1625 40,66 | 1:39,9 | 4,277 170,95 2. Kaninchen 1054 38,80 1:27,42. | 9,154 248,65 3. Kaninchen 1930 60,86 1:32,05 | 4,028 127,67 4. Kaninchen 1630 46,0 1: 35,45 3,071 141,21 5. Kaninchen 1390 42,34 1:32,85 | 4,824 158,38 Mittel | 1525,8 45,73 | 1:33,5 | 5,070 169,37 Zur Kenntniss der Gallenabsonderung. 655 “ 1Kgr. 1 Kgr. 2 j Ver- Thier Leber Thier Körper- | Leber- | „armiss |liefert in | liefert in ' gewicht | gewicht berdar 1 St. ı St. | Grm. Grm. 5” I 6. Schaaf 21019 | 450 1:46,47 | 1,239 | 57,87 7. Schaaf 20690 | 406,9 |1:50,84 |) 1,143 58,28 8. Schaaf 30566 | 520 1:58,78 |..0,496, ||, 44,58 9. Schaaf 21235 | 364,7. | 1:58,22 | 1,558. | 90,72. Mittel | 288377 | 435,4 | 1:53,57 | 1,109 | 62,83 Aus der Vergleichung dieser und der an Meerschweinchen gewonnenen Zahlen ergeben sich folgende Schlüsse: 1) Die von der Körpergewichtseinheit (1Kgr. Thier) in 1 Stunde gelieferte Gallenmenge sinkt mit wachsendem Kör- pergewichte beträchtlich. Denn es ist für Schaafe Kaninchen Meerschweinchen Mittleres Körpergewicht 23377 Grm. 1525,8 Grm. 518,4Grm. Mittlere Gallenmenge für 1Kgr. in 1 Stunde 1,109 „, 5,070 „ 7,326 2) Diese Thatsache erklärt sich zum Theil daraus, dass bei den grösseren Thieren die Leber relativ kleiner. ist, als bei kleineren Thieren. Denn es ist beim Schaafe Kaninchen Meerschweinchen das Verhältniss des Leber- gewichts zum Körpergewichte 1:53,57 1: 33,5 1.:27,3 3) Aber hierin liegt nicht der alleinige Grund der stärkeren Seeretion bei den kleineren Thieren, denn wenn man die von der Lebergewichtseinheit in 1 Stunde gelieferte Gallenmenge berechnet, erhält man beim Schaaf Kaninchen Meerschweinchen 1 Kgr. Leber liefert in 1.,8t. an Galle 62,83 Grm, 169,37 Grm. 185,54 Grm. d, h. also, die Leber des Meerschweinchens secernirt für gleiche Gewiehtstheile mehr Galle, als die des Kaninchens und ‚die des letzteren melır ‚als die des Schaafes. 4) Die obigen Zahlen werden noch schlagender, wenn man sie in folgender Wassung ausspricht: Es secernirt in 24: Stunden das Meerschweinchen Kaninchen Schaaf 1 1 5,6 82 P I des eige- 848 8,2 EB One nG echtes, die Leber 4,467 4,064 ru frischer Galle, der Körper 656 Friedländer und Barisch: 5) Ganz anders gestalten sich die relativen Verhältnisse der Gallenabsonderung bei den von uns untersuchten drei Thier- arten, wenn wir die festen Bestandtheile der Galle in Betracht ziehen, Leider war das Material für unsere Untersuchungen so knapp, dass die Bestimmung der festen Theile nur in we- nigen Fällen vorgenommen wurde. Immerhin lassen schon diese wenigen Bestimmungen einige Schlüsse zu. Wir stellen die Ergebnisse an Meerschweinchen mit denen von Bidder und Schmidt an Kaninchen und Schaafen gewonnenen, in folgender Tabelle zusammen.) 1 Kgr. Tbier secernirt | 1 Kgr. Leber secernirt an festen an festen Thier Gallenbestandtheilen | Gallenbestandtheilen in. 1 Stunde | in 1 Stunde Grm. Grm I. Meerschweinchen 0,098 ? II. Meerschweinchen 0,084 2,51 III. Meerschweinchen ' 0,094 D N 2,84 Mittel | 0,092 2,67 al I. Kaninchen \ 0,093 | 3,73 II. Kaninchen 0,172 4,93 II. Kaninchen | 0,086 \ 2,72 IV. Kaninchen 0,062 3,04 V. Kaninchen 0,102 | 4,32 ve. Mittel 0,103 3,74 I. Schaaf 0,0756 3,53 II. Schaaf 0,0838 | 4,26 III. Schaaf 0,0299 | 1,75 IV. Schaaf 0,0795 | 4,62 Mittel | 0,0672 | 3,55 Diese Zahlen ergeben mit Bestimmtheit, dass die relativ grössere Gallenseeretion des Meersehweinchens gegenüber der des Kaninchens auf einer grösseren Secretion von Wasser durch die Leber beruht. Denn während die Gewichtseinheit Thier in 1 Stunde Gesammtmengen an Galle lieferten, die sich beim Meerschweinchen und Kaninchen wie 7,326: 5,070 ver- hielten, ist das Verhältniss der von der Gewichtseinheit Thier 1) Bei den Versuchen Bidder-Schmidt’s ist von uns immer nur die erste Secretionsstunde in Betracht gezogen, wie dies jene Au- toren selbst für ihre Kaninchen-Versuche wollen (a. a. ©. S. 195). Zur Kenntniss der Gallenabsonderung. 657 in 1 Stunde durch die Leber ausgeschiedenen Mengen fester Bestandtheile 0,002 : 0,105. Noch viel entschiedener stellt sich die Ausscheidung der festen Bestandtheile zu Gunsten des Ka- ninchens bei Reduetion auf gleiche Lebergewichte heraus. Während die von 1 Kgr. Leber in 1 Stunde ausgeschiede- nen Gallenmengen sich wie 169,37 (K) zu 185,54 (M) verhal- ten, ist das Verhältniss der festen Theile 3,74 (K) zu 2,67 (M). Man könnte hiernach versucht sein, wenigstens vermu- thungsweise folgenden Satz für die Absonderung in der Leber aufzustellen: Wenn der aus den Blutgefässen der Leber in die Gallengänge austretende Wasserstrom bei verschiedenen Thieren wächst, nimmt die absolute Grösse des Stromes der festen Körper ab. — Die am Schaafe und Kaninchen gewon- nenen Zahlen scheinen uns freilich bei Begründung jeues Satzes schon im Stiche zu lassen; allein wenn man das dritte Schaaf, dessen Zahlen von den drei anderen enorm abweichen, ausser Be- tracht lassen wollte, würde man zu dem Ergebnisse kommen, dass 1 Kgr. Leber in 1 Stunde secernirt ’ Gesammtgalle feste Theile beim Schaafe 68,94 4,13 beim Kaninchen 169,37 3,74 also Zahlen, die sich wiederum jenem Gesetze fügen. Eine Andeutung desselben Verhaltens geben auch die Zahlen von Bidder und Schmidt für die Gallensecretion bei Katzen. Ich habe die sechs ersten Versuche von Bidder-Schmidt, welche kurze Zeit nach der letzten Futteraufnahme angestellt wurden, benutzt, um daraus die Mengen von frischer Galle und von festem Rückstande zu berechnen, welche 1 Kgr. Katzenleber in 1 St. liefert, Es ergiebt sich 1 Kgr. Leber secernirt trockener in 1St. Rückstand frische Galle bei Bidder-Schmidt‘s Katze IV. | 28,59 1,91 II. |: ‚27,9 | 1,89 I. 27,0 1,94 V, 24,9 1204 1m. | 24,8 3,12 VL| 24,07 1,71 Mittel | 26,21 1 3,16 Heichert's u. Ju Bols-Reymond's Archiv. 1860. 43 658 Friedländer und Barisch: Hier steigt, wiederum im Allgemeinen die absolute Menge der festen Bestandtheile, während. die absolute Menge der ganzen Galle sinkt. Nur No. IV. weicht von der Reihe in sehr be- trächtlichem Maasse ab. Die Zahlen von Bidder und Schmidt für Hunde zeigen sehr grosse Differenzen unter einander, so dass sie zur Prüfung nicht passend erscheinen. (1 Kgr. Hund liefert in Versuch V. 2,452 Grm., in. Versuch III. 0,423. Grm. Galle.) Wir bemerken ausdrücklich, dass das eben Gesagte nicht etwa ein: begründeter Lehrsatz, sondern nur eine Vermu- thung sein soll, die weiter nichts als einen Gesichtspunkt für fernere, Untersuchungen giebt, Sollten. künftige Forschungen jene, Vermuthung bestätigen, so würde damit ein werthvoller Fingerzeig zur Erkenntniss des Mechanismus der Gallensecre- tion gegeben sein. 6) Endlich ist noch hervorzuheben, dass kein einziges un- serer Meerschweinchen die Anlegung der Gallenfistel 24 St. überlebte, Ausser den eben erwähnten 8 Thieren ist noch eine grosse Zahl anderer in diesem Sommer mit einer Gallenfistel versehen worden. Die Operation geschah stets zwischen 9 bis 10h. früh. Vor S$h. des nächsten. Tages wurden die Thiere regelmässig todt gefunden. Bei der Section fanden sich mei- stens nur sehr geringe Spuren von Peritonitis. Dass der Tod nicht unmittelbare Folge des operativen Eingriffes war, lehrt ein, Versuch, in welchem wir die Gallenfistel nach gewohnter Weise an- und eine Canüle in die Blase einlegten, aber den D. cho- ledoehus nicht unterbanden. Das Thier' war nach. vier Tagen vollkommen gesund. — Die Ursache des Todes der Fistelthiere liegt sehr nahe. Sie frassen nach der Operation nicht. Der enorme Verlust an Wasser blieb unersetzt, kein Wunder, dass sie erlagen. Wenn Bidder und Schmidt die Möglichkeit eines Ersatzes des Gallenverlustes durch gesteigerte Nahrungs- aufnahme für Hunde nachgewiesen haben, so dürfte dieses Er gebniss auf Meerschweinchen wohl keinesfalls Anwendung finden. Denn ein täglicher Verlust von 55 des Körpergewich- tes ‚dürfte sich durch gesteigerte Nahrungszufuhr schwerlich decken lassen! Zur Kenntniss der Gallenabsonderung. 659 II. Ueber den Druck, unter welchem die Galle abgesondert wird. Um den Druck zu ermitteln, unter wel- chem die Galle secernirt wird, legten wir eine Gallenblasen- fistel in der gewöhnlichen Weise an. Mit der (bei diesen Ver- suchen ziemlich langen) Canüle wurde eine vertical stehende Glasröhre durch einen kurzen dünnen Gummischlauch in Ver- bindung gesetzt. Der Schlauch wurde vor dem Ansetzen mit Wasser gefüllt. Bei eintretender Secretion verdrängte die Galle zuerst das Wasser aus dem Schlauche in die Glasröhre und stieg dann selbst in diese nach, um in derselben’ nach Maass- gabe der Secretion mehr oder weniger schnell aufzusteigen, Die Röhre war mit einer Millimeterseala versehen, deren Null- punkt in der Höhe der Bauchwunde des auf der einen Seite liegenden Thieres, also auch ziemlich genau in der Höhe der Gallenblase lag. Von halber zw halber Minute wurde ’der Stand des Wasserniveaus in der Glasröhre notirt und. damit der jedesmalige Druck in den Gallenwegen bestimmt. Ich lege ‘zunächst die Zahlenergebnisse dieser Versuche vor, um dann dieselben näher zu erörtern. In den folgenden Tabellen be- deuten die Zahlen der mit D bezeichneten Columne durchgän- gig den Druck in den einzelnen auf einander folgenden halben Minuten, die in der mit d bezeichneten den Druckzuwachs in einer halben Minute. Versuch I]. Dal D s|Bem | D || D d | Bem. 0 | ı2 | 3/2 Ins-ıss-aliss-ıcl 4-5 22 106 4| FR |145—1472— 3166-168) 1——1 s3lıl) 108 2.135 1147-1492 2166-169 0-1 40 113 5 2 g 1149—152 2—3167—169| 1-0 45 117 4) Emo ? 167-169) 0-0 51 120 3) 22 .151—15512—3,167—169| 0-0 % 57) K2ı—125h)) — | FE. 1152—15611—1j167—169), 0—0 ® 62 9124-128 13-3| =”, 153-1561 0168—170) 1-1 ||4% 6 Es 3-3) 88 154-1571 -1168-171) 0-1 ||e 73) 5129-132 2—1| == 155—15811—11169— 172), 1—1 SE 77 4192-134 13-2) $& \156-160l1-21171-—1725 2-3 [38 83 1-16 3-2] F® |158-1612-1l171—175| | 0—0 5 8 1 22) 3. 1159-1621 1-11168—174 -3—-1|| 5 9 513819) 5 16o-ıegli—ilies—169l -3—-5| F 3. 51401 & Nisı-1641-1]162— 1651 -3— 4 660 Friedländer und Barisch: a Te 99] Be 1 I 163-185] "1-0 || Starke 165-1671 2179-181 221192 194 0-0 | 162163 -1—-2|\ Chloro- 116616811 —11181—183,2— 2.192194 0-0 | 162-164 0-1 [ form- 1168-169 1184-185, 3—21192—193| 0 —1 ; 162—164| 0-0 |) Narkose 16917011 186-1872 BDA | 162—163| 0-1 |, Die |170-17111—11188—189.2—2]194— 195 ! 163—164 1-1 | Narkose 175-177 5—6 189—191 1—21196--195 2 1 164-165) 1-1 schwindet Ta 70 23109184 3 3 | allmählig. Der Versuch musste hier abgebrochen werden, weil die be- ‚ nutzte Glasröhre zu kurz war, und bei heftigen Inspirationen die Galle oben überfloss. Der Versuch gehört üherhaupt nieht zu den gelungenen, weil die zu grosse Ergiebigkeit der Respi- rationsbewegungen Schwankungen des Druckes herbeiführten, welche das Ablesen sehr erschwerten. . Versuch 11. 23. Juni 1860. Körpergewicht des Thieres 418 Grm. Erste Messung. | D d Bemerk. D ö | Bemerk. | D | 0) | D Di) 0 104 | 4 l168£i| 1.1186 ı 10 | 10 108, | 4 170 | 11186 0 15 5 112 | 4 | 711 1} 185 u 20|1|15 1151 | 31 | azat\ı |185..| 20 = 31 Ra | 1191 | 4 | 1731 |ı 1862| 14 2312| 0 anüle | 1224 | 3 | 175 |ı11| 9 24 | ı lag | 1251 3 lız6_|ı |200.| 134 26 2, | schlecht, | 127 | 14 k 1774 14196 | 4 | ? 130 | 3 178° |2 1191 |5 30 ı 4 133 | 3 [179 |ı 1857] — 5X 36 6 1351 | 21 | 180 |ı 183 |—2r f 40 |4 139 | 31 | ıst |1 1892| \ 4 | 4 141 12 [181 0 j188 |—& 471 | 38 143 P2 | ısi 0 188 0 52 4% 146 | 3 Tiefe. | 1814 |4 188 0 56 4 150 | 4 |Athembe-| 1811 |0 1183 0 E. H See a8: 3 Ki 182 |4 183 0 ei 182 0 183 | 0 721| 8 Be- 157 '|'2 | Unter- || 182 |0 |184 1 77 41 | wegung | 1581 | 11 brechung | 182 |0 1842| 1 | 831 | 61 des I 16ı [24 | der | 182 jo 184er 0 88 | 4% | Thieres. | 162 |'1 | Chloro- | 1821 x 1841| 0 2 | 4 164 |'2 |" form- | 18422 Jg | & 96 4| 1654 | 14 | narkose. | 1854 |1 |ıgdt | 100 4) 1671 | 2 "1854 10 IN1s4® | Ar Zur Kenntuiss der Gallenabsonderung. 661 Das Manometer wurde abgenommen. In der Canüle zeigte sich die Galle blutig, wahrscheinlich weil bei den heftigen Be- wegungen des Thieres das Innenende der Canüle leichte Schleim- hautverletzungen in der Blase herbeigeführt hatte. Ein kleines lockeres Faserstoffgerinnsel in der Canüle lag auf einer Seite der Wand derselben an, füllte aber das Lumen nicht aus-und konnte sie deshalb nicht verstopft haben, da der Manometer- stand. ja noch bis zu allerletzt durch fortwährende Ve ände- rungen zeigte, dass der Weg zwischen der Gallenblase und der Glasröhre frei war. Um vollkommen sicher zu gehen, wurde eine zweite Messung angestellt; die Seeretion ging lebhaft vor sich, das Steigen des Druckes erfolgte nach den Zahlen 5, 8, 12, 17, 25, 29, 34!/,, 33, 44, 48, 52 u. s. f. bis etwa 196, doch war der Versuch nicht ganz genau, weil in den Gummi- schlauch etwas Luft vor dem Ansetzen an die Canüle einge- drungen war, die später die Wasserdrucksäule in zwei Hälf- ten theilte. Versuch III. 29. Juni 1860. Gewicht des Thieres 717 Grm. Erste Messung. Die Wassersäule stand von vornherein, nachdem der Schlauch an die Canüle angesetzt war, auf 34Mm. Be Der 1 Te D je] pe] > [1,2 1],2.].2.]:0J5 ©] 2.18 34 \12e | N br 44 1894,24 208 | 1411205 |=2 1207 | — 4 46 „12.1127 5 163 4 1193", ‚342094 141206 | 1 1207 | 0 59 lı3 131141 167 |4 1197 | kr 1210 | 212065 21206 |-1 694 |101 13615” 171 |4 2002 32 2112] 14207 11205 |=1 82 121 141° 44174 3 12014 1 "1210 — 141120741, 11202 |- 8 91.19 Er 4 (1781411203 111210 | 0 | ? 204 | 2 100 | 9 150 5 184 511205 208-2 12081] 111203 |-1 109 |9 We 187 |3,, 12064114 207.\—1,12074|—1 ‚1205, | 2 16 |7 | | | Zweite Messung, nachdem das Manometer abgenommen, entleert und von Neuem angesetzt war. » 310 0\0]010]» [D [pp [5[p [ep 119 191 2 1° 3| ne 63| 6 |73 also 99| 4111] 4 [1181 2 1264/31 10 17134 64165 | : \ 77 211012 114 3 121] 3129 gi 17473139 5 rn Iz0\5 |sı | als In ’107\6 luıela 1283| 2 131421 662 Friedländer und Barisch; Au [ep [s] » [>]. p Eko tetker 134 2414041 I146 21149 | o ki 1 lısa x 1331-1] 155 ı 157] ı 136221 149° 18114711 1498 21153 |1 1540153 Ilse ılısel- 1 13741° 1148 11114811150 | 4 ajisen 154) 1156 0/1551 13932 (144 Ja J1as 1 lısı 1 | | ’ r Dritte Messung. Das Manometer wurde abgenommen, entleert, dann so viel Ww: \sser in dasselbe gefüllt, dass nach neuem Ansetzen der Druck es. Es sank schnell auf 135, weil die Blase und die Gallengänge schnell Wasser aufnahmen, dann fand von '/, zu !/; Minute Steigen des Druckes statt, wie folgt: 135 147 147 136 148 144 139 148 144 142 148 1431], 145 147 1431, u. 8. £ Oseillationen zwischen 145'/, und 145%, den Athembewegun- gen des Thieres folgend. Vierte Messung. Versuch wie vorher. Anfänglicher Druck 190 Mm., schnelles Sinken auf 146, Steigen auf 150, Schwanken zwischen 148 und 150 mit den Respirationsbewegungen. Um uns zu überzeugen, dass die Leber noch zu. secerniren im Stande war, setzten wir das Manometer von Neuem unter Nulldruek an und beobachteten schnelles Steigen der Druck- säule. Der Versuch wurde abgebrochen, als der Druck auf 40—50 Mm. gestiegen und somit der Beweis für die Func- tionsfähigkeit des Organes geliefert war. IV. Versuch. 4. Juli 1860. Gewicht des Thieres 760 Grm. Anfangsdruck 50. "I ONEIBDIEIE BEE |] D |6] Bemerk. |D| 6 50) |sı 11 1108| 4 1246| I1sgl alısı |5]ıes |” ro — 1 7020198 | 7 11214190 6143/41156 |5]171 |3 sehr het- 174 4 aan 104| 6118 6 135 5 1) 316115] ? | | tige Be- 177] 3 | 1? | wegung. Zur Kenntniss der Gallenabsonderung. 663 D| 8 | Bemerk.|D | s |pJs|p|o| op | o.]| op] » [| p | o 178] ı) Canäle Irol- gie 2192] ılıss| oloız] ır !hoız! 0 171-7 tieferhin-1175| 51187 11194 2200| 2/2018 in ? einge- |177| 211870195 1211| 112014 2 179 8\schoben. 182] 5.189 2|197 2| 201 |- 102018 0 179, 0) Canulet)ıs4| 41912198 1200| + 112014 0 179) 0, tiefer |ineinge- | schoben. ’ ‘2 Zweite Messung. Anfangsdruck Null. Nachdem die Flüssigkeitssäule bis 40 gestiegen, wurde von oben her schnell in die Glasröhre Was- ser gefüllt, bis der Druck auf 230 gestiegen war. Die Säule sarık jetzt schnell auf 218, dann in den einzelnen auf einänder folgenden halben Minuten. 218 216 225 (heftige Inspiration.) 220 215 214 212 211 208", 185 181 178 179 173 17 15 18 19 25 3 0 (heftige Bewegung des Thieres.) 6 h l 0 sehr heftige Inspiration, 200 201—205 Schwankungen, die Respirationsbewegungen be- gleitend, längere Zeit zwi- schen denselben Grenzen. Dritte Messung. Das Manometer wird entleert und von Neuem unter Nulldruck angesetzt. !) Die Canüle hatte sich so umgelegt, dass der Eingang zu der- selben verschlossen war. 664 Friedländer und Barisch: Bemerk. | D| d | Bemerk. D d o|D| ‘4 5 I140| 2 1431-2 193 3 3111400 0 144) 1 185 8 411139 — 1 144 0 sehr tiefe | 180 5 5 140 1 143/— 1 (Narkose.| 177 —3 3141| 1 144 1 181 4 3 141 1 1441. 0 179 2 5 |142 1 145) 1| Erwacht 175 —4 2 142 0 147) 2| aus der |165—170)-10 — 5 2 |143 1/\sehrtiefe/148| 1| Narkose. |165—160| - 5— —5 4 |145| 2/[Narkose. |151l 8 148—140| - 15 —12 4 \145| 0 155) 4| Heftige 153 13 2 1145| 0 190| 35) Inspi- 158 5 | ration. V. Versuch. 6. Juli 1860. Gewicht des Thieres 860 Grm. Erste Messung. Das Thier in beständiger tiefer Nar- kose. »lale Pal AK EIG EIBIEIEIEIEN D jelDe | |Iss ua] 93|s |112' 5 | 127 22 |22| 68 15| 9815] 1164 131141143 1 1 32 1074| 61102 4 120.41 15314 146 3166 4179| 2 1854| # ven 0 32 1) 85 111075 |123|3.| 18813 J152 16 ızı 5 ısıl 2 nf, © 1715 14] a|ı83 |2 186 alıa2l a) Ä 1162| 5 1177| 3185 [21187 Zweite Messung. Das Thier ist nur schwach chloro- formirt. Anfangsdruck 25. D|8| D | 9 | Bemerk.| D |0|D|#|D|o |Bemerk| D |# | | ıl I al | > 134 |3 [16412197] 1 1197-200 0 42|17| 971 Canüle |137 3 16511 |188) 1 195 |-5 49| 7| 93 |- 44 tiefer in 139 2 11672 189 1 194 |-1 531 4 94 | 1 die 1414 211168|1 |189 0 193 -1 55) 2]100 | 6 | Bauch- 1143 11111680 189) 0 193 0 59) 4105 | 5 | höhle |149 |6 |169]1 189) 0 193 0 65, 6/1109 4 |hineinge- 1152 |3 |171/2 191 2 | heftige 193 0 70| 51113 4 |schoben, 1156 4 1721 1198 2, Respi- 192 —1 75) 5117 | 4 158 2 1742 |198) 5 |rations-| 192 0 29 4121 | 4 ‚158 0 11773 1200, 2| bewe- | 191 -1 82) 31125 | 4 159 |1 |181/4 |200| 0 gungen, | 191 0) 881 61128 | 3 161 |2 184,3 |200) 0 192 1 ? lorlısı | 3 1623 1411862 p» 0 192 0) \ | | N | | Zur Kenntniss der Gallenabsonderung. 665 An diese ‚Zahlenergebnisse knüpfen sich ‚folgende Betrach- tungen. 1. In einem mit der Gallenblase in Verbindung stehenden Manometer erreicht die Galle (oder das das Manometer fül- lende Wasser) nach verhältnissmässig kurzer Zeit eine Druck- höhe, über welche hinaus wenigstens keine dauernde Er- hebung!) der Drucksäule stattfindet. Dieser Maximaldruck ergiebt sich aus folgender Zusammenstellung, bei welcher wir den ersten Versuch seiner Unvollständigkeit wegen nicht be- rücksichtigen: II. Versuch 1. Messung 184—186 Mm. BIT nass nic. og 210-1 lii); 25gig 154—157 „ 30% Vgl EICHE 148—150 AV. nz, Bus 908 201—202 , Ballıy 202—205 5 3.ub 5 155—158 „ Wil, RE! 1er 2. „» höchstens 200 „ Wir werden der Wahrheit am nächsten kommen, wenn wir nur die Resultate der ersten Messungen als Grenzen für den Seeretionsdruck ansehen und diesen somit auf 134—212 Mm. für Meerschweinchen festsetzen. Was in Wirklichkeit im In- neren des Secretionsorganes vorgeht, wenn dieser Druck er- reicht ist, lässt sich nur vermuthungsweise angeben. Die Con- stanz des Druckes beweist nur, dass der Inhalt der Gallen- wege sich weder vermehrt noch vermindert. Man könnte erstens glauben, dass bei dem bezeichneten Drucke die Wände der Gallengänge und der Gallenblase aufhören dicht zu sein und durch dieselben in der Zeiteinheit eben so viel Flüssigkeit filtrirt, als von der Leber secernirt wird. Allein wir haben in dem schon vorgelegten, noch in den später zu be- ) Vorübergehende Steigerungen des Druckes können durch ge- waltsame Inspirationen eintreten, bei welchen durch die Bauchpresse der Inhalt der Gallenblase in das Manometer entleert wird; darüber später, 666 Friedländer und Barisch: sprechenden Resorptionsversuchen jemals ‘eine Spur von Flüs- sigkeit in der Abdominalhöhle gefunden. Dadurch wird jene Annahme widerlegt. Es bleiben noch zwei andere offen. Man könnte äAnnehmen, dass bei dem bezeichneten Drucke zwar die Ausscheidung von Galle durch die Leberzellen, in welchen ja zweifelsohne die Gallenbestandtheile ‚gebildet wer- den, in die Gallengänge noch fortdauern, dass aber in.der en eben so viel Flüssigkeit von den interlobulären Blutgefässen aus den Gallenwegen aufgenommen wird, als von den Leberzellen aus in diese hinein transsudirt; — dann würde der eigentliche Secretionsdruck der Galle durch die von uns ermittelten Manometerwerthe nicht gemessen, sondern diese Werthe bezeichneten nur denjenigen Spannungsgrad der Gal- lenwege, bei welchem Gleichheit stattfindet zwischen Flüssig- keitsaufnahme aus den Leberzellen und Flüssigkeitsabgabe an die Blut- (und Lymph-?) Gefässe. Oder man könnte anneh- men, dass bei dem bezeichneten Drucke wirklich Spannungs- gleichheit zwischen dem Inhalte der Leberzellen und dem In- halte der Gallenwege stattfinde, also jeder Uebergang von Flüssigkeit aus der ersteren in letztere aufhöre. Die Entschei- dung zwischen diesen beiden Deutungsmöglichkeiten kann noch nicht mit Sicherheit getroffen werden. Mir ist.die erstere Mög- lichkeit aus einem später zu erörternden Grunde die wahr- seheinlichere. Sobald sie sicher, bewiesen ‘werden kann; 'wer- den wir die Erkenntniss zweier Vorgänge erreicht haben, deren Wesen uns noch nicht hinreichend erschlossen ist. Es handelt sich um die Mechanik der normalen Gallenseeretion und ‚der pathologischen Gallenabsorption, welche manche Formen des Ikterus herbeiführt. Wie man sich hier auch theoretisch 'ent- scheiden mag, so glaube ich jedenfalls behaupten zu ‚dürfen, dass schon bei einem Drucke in den Gallenwegen von etwa 200 Mm. Wasserhöhe, sobald derselbe län- gere Zeit anhält, Ikterus eintritt. Die unerwartete Niedrigkeit des Druckes, dessen es bedarf, um, sei es die Aus- scheidung der Gallenbestandtheile ganz aufzuheben, oder doch ihre sofortige Rückkehr in das Blut zu veranlassen, wirft ge- wiss auf die pathologische Physiologie der Leber ein interes- Zur Kenntniss der Gallenabsonderung. 667 santes Licht. Es erklärt sich daraus die Leichtigkeit, mit wel- cher der Ikterus bei Hindernissen des Abflusses der Galle in den Darm entsteht, und die Geringfügigkeit der Anlässe, welche zu Hindernissen werden können. Dass ein Catarrh der Gal- lenwege hinreicht, Gelbsucht herbeizuführen, dass Anhäufungen von Fäcalmassen im Diekdarm denselben Erfolg haben können, wird jetzt leicht verständlich. Denn ein Druck von 20 Centi- meter Wasserhöhe in den Gallenwegen herbeizuführen, bedarf es nicht eines Verschlusses der ausführenden Canäle, sondern eine Verengerung des Lumens reicht ohne Frage hin, dem Ab- fluss Widerstände entgegenzusetzen, die erst bei einem weit höheren Drucke überwunden werden. Habe ich doch in letz- terer Zeit den Ureter eines Hundes oft erst bei 100: und mehr Centimeter Wasserdruck durehgängig werden sehen! Ja der neuerdings bezweifelte Ikterus spasmodieus dürfte eine Unter- stützung darin finden, dass ein fester Verschluss der Gallen- wege zur Entstehung der Gelbsucht durchaus nicht nöthig er- scheint. Doch kehren wir nach diesen pathologischen Abschweifun- gen zu unseren physiologischen Betrachtungen zurück. 2. Das Gesetz, nach welchem der Druck im Laufe der Zeit wächst, lässt sich zwar in seinen allgemeinen Zügen aus unseren Tabellen erkennen, doch ist der Gang desselben durch vielerlei Nebenumstände gestört. Die Tabellen lehren auf den ersten Blick, dass die Druckzuwächse in den ersten Seeretions- zeiten viel grösser sind als in den späteren. Die Druckcurve, auf die Zeit als Veränderliche bezogen, würde nach der Abseisse hin convex sein und sich schliesslich der Abseisse asymptotisch anschliessen. Eine Reihe von Umständen aber führt Abwei- ehbungen von diesem Gesetze herbei. Wir heben darunter fol- gende hervor: a. Plötzliche tiefe Inspirationen verstärken plötzlich den Druck in der Bauchhöhle und entleeren den Inhalt der Gal- lenblase in das Manometer. Die Druckhöhe in demselben steigt sehr jähe, um eben so schnell wieder zu sinken, wenn der Zwerchfelldruck geringer wird. Derartige Unregelmässig- keiten finden sich öfters in den Tabellen, z, B. Versuch IV. 668 Friedländer und Barisch: Messung l., wo der Druck plötzlich ‘von 200 auf 211 steigt, nachdem lange Zeit vorher der Druckzuwachs für '"/; Minute höchstens 2Mm. betragen hatte; von 211 sinkt dann der Druck bald wieder auf 200; ebenso Messung 3, wo der Druck ‘in Folge heftiger Respirationsbewegungen plötzlich von 155 auf auf 190 steigt, um bei allmählig sinkender Intensität der Re- spirationsbewegungen wieder zu fallen. b. Während tiefer Chloroformnarkose ist die Secretion we- niger ‚lebhaft als bei aufgehobener Narkose. Im I. Versuch z.B. bleibt der Druck während tiefer Narkose auf 162—175 Mm. mit kleinen Schwankungen stehen, während später bei aufge- hobener Narkose ein allmähliges!) Steigen auf 196 statt- findet. In Versuch V. Messung I. war, bei tiefer Narkose, das Maximum des erreichten Druckes 187; Messung 2 zeigt bei schwacher Narkose einen Druck von 200. Vielleicht hängt dieser Einfluss der Betäubung auf die Seeretion damit zusam- men, dass der Blutdruck während tiefer Narkose in Folge von Herabsetzung der Energie der Herzthätigkeit sinkt. 3. Die späteren Messungen zeigen fast immer einen‘ &erin- geren Maximaldruck als die erste Messung (mit Ausnahme des eben besprochenen Versuches V.). Es scheint, dass nach vor- gängiger Hemmung der Seeretion durch Druck, selbst’ nach der Entlastung des Organes die Ausscheidung noch eine Zeit lang beeinträchtigt bleibt. Doch lässt diese Erscheinung noch eine andere, gleich näher zu besprechende Deutung zu. 4) Es zeigt sich nämlich mitunter, dass die grössten Druck- werthe, welche bei den Versuchen erreicht sind, wenn der Ver- such länger fortgesetzt wird, allmählig und langsam wieder ab- nehmen, was auf eine allmählige Verminderung des Inhaltes der Gallenwege schliessen lässt. Es muss mithin Resorption eintreten. So ist Versuch III. Messung 1, wo der Druck von seinem Maximum 210—211?/, allmählig auf 203 sinkt. Wenn man der Ansicht ist, dass die Resorption aus den Gallenwegen auf demselben Wege geschieht, wie die Ausscheidung, d. h. 1) Nieht plötzlich, wie es öfter bei schwindender E ‚der Fall ist, wenn tiefe Inspirationen gemacht werden, Zur Kenntniss der Gallenabsonderung, 669 durch die Leberzellen, entstehen hier Schwierigkeiten. Wes- halb sollen die Leberzellen, nachdem der grösste Druck er- reicht ist, plötzlich in der Richtung von aussen (Gallengänge) nach innen (Blutgefässe) leichter durchgängig werden, als noch kurz vorher und nun, während der Druck auf dieselbe Grösse sinkt, die er vor dem Maximum erreicht hatte, der Flüssig- keitsstrom durch die Zellen seine Richtung ändern? Viel wahr- scheinlicher ist es, dass, wie schon früher erörtert, bei dem Druckmaximum Gleichheit stattfindet zwischen dem Strome aus den Leberzellen in die Gallengänge und dem Strome aus den letzteren in die interlobularen Gefässe, dass aber bei länger dauernder Belastung der letztere Strom überwiegend wird, weil die Durchgängigkeit der Membranen, die er durchsetzt, zu- nimmt. Man vergleiche hiermit das oben sub 1. Gesagte. 5. Beiläufig ist bei den Druckversuchen eine lebhafte Re- sorption in der Leber bemerkt worden. Bei Versuch III. Mes- sung 4, Versuch IV. Messung 2 wurde in dem Manometer durch Auffüllen plötzlich ein höherer als der vorher ermittelte Seeretionsdruck hergestellt. Immer zeigte sich schnelles Sinken der Drucksäule, das wenigstens mit Wahrscheinlichkeit auf leb- hafte Resorption schliessen liess. Um diesen Vorgang genauer kennen zu lernen, stellten wir einige Versuche an, die näher erörtert werden sollen. IV. Ueber Aufsaugung in der Leber. I. (vorläufiger) Versuch. Das zu dem V. Druckversuche benutzte Thier wird nach der zweiten oben 'mitgetheilten Messung zu Resorptionsversu- chen in folgender Weise verwandt: Das entleerte Manometer wird von Neuem angesetzt, ein Steigen der Galle bis auf 54 Mm. beobachtet, dann durch zwei- malige Entleerung einer dünn ausgezogenen Pipette ein Druck von 325 Mm. hergestellt: Sinken in 2Y, Min. auf 135. Zweite Auffüllung auf 370: Sinken in 5 Minuten auf 148. Dritte Füllung auf 490: Sinken in 4 Min. auf 155. Vierte Fül- lung auf 340: Schnelles Sinken auf 300. Fünfte Füllung auf 470: Sinken in 3 Min. auf 135. Sechste Füllung auf 670 Friedländer und Barisch: 490: Sinken in 27. Min. auf 198. Siebente Füllung auf 781: Fallen auf 160. Der Versuch wurde hier abgebrochen, nachdem wir wenigstens so viel gesehen hatten, dass: die Leber eine bedeutende Resorptionsfähigkeit besitze, ohne freilich die Menge des Resorbirten genauer bestimmen zu können. Bei.der Section zeigte sich keine Spur von Wasser in der Bauch- höhle. Schnittflächen der Leber sahen ungewöhnlich blass aus. II. Versuch. Um die resorbirten Wassermengen genauer bestimmen zu können, wurde an einer Scala, die zur Messung des: Druckes diente, eine in Kubikeentimeter getheilte Pipette (wie sie zu Titrir-Analysen gebräuchlich sind) angesetzt und durch einen Gummischlauch mit der in der Gallenblase liegenden Canüle verbunden. Auf diese Weise konnte von Minute zu Minute der Druck in Mm. und die resorbirte Wassermenge in Cm. ab- gelesen werden. Wir theilen eine ausführliche Versuchs- reihe mit. Erste Füllung. Anfangsdruck 500 Mm. a Für je 1 Minute Fortlaufende Resorbirte Druck Zeit Menge de Resorbirte Druck- Menge abnahme Nach 1 M. 4 450 4 | 50 Sem, 5,7 430 1,7 20 ER 6,9 412 1,2 18 » Aa 8,2 401 1,3 11 MORTLTH 9,2 388 1,0 13 ENERGL- 10,4 372 1,2 16 „ U 11,6 359 1,2 13 WERL LE) 12,7 347 1,1 12 2 I:5, 13,8 332 1,1 15 he 14,9 320 del 12 nie, 16,0 305 1,1 15 RD 5 17,0 \ 295 1,0 10 Zweite Füllung. Anfangsdruck 480 Mm. Zur Kenntniss der: Gallenabsonderung. 671 Für je 1 Minute \ Resorbirte Menge Bruch Resorbirte Druck- Menge abnahme 3 0,9 ? 461 ng 2,9 441 2,0 20 ls 4,8 418 1,9 23 - 4 „ 6,1 402 1,3 16 Eau 7,6 383 1,5 19 ET 9,3 362 1,7 21 a 10,8 346 1,5 16 u 165 12,3 326 1,5 20 RE ei 13,6 312 1,3 14 en 14,6 299 1,0 13 RIES DT 15,4 290 0,8 9 5 1 16 282 0,6. 8 a pr 16,5 275 0,5 7 14); 17,0 270 0,5 5 Für je 1 Minute Fortlaufende | Resorbirte x Zeit Menge Drag Resorbirte Druck- Menge abnahme Nach IM. 2 480 2 30 ? E Bi 3,4 471 1,4 9 ” Bu 47 455 } 1,3 16 al) An 5,9 440 1,2 15 nn 7,2 425 1,3 15 ur 3 8,2 413 1,0 12 eniolar 9,1 401 0,9 12 ee 9,9 391 0,8 10 Pr 9%, 10,6 383 0,7 8 FT 11,3 374 0,7 5) a, 12,1 364 0,8 10 » .ıdM , 12,6 359 0,5 5 „ 18, 13,3 350 0,7 9 ER. | 14 13,7 345 0,4 5 wo kl, 14,2 340 0,5 27 re 14,9 331 0,7 9 „1, 15,2 326 0,4 5 a35 , 15,8 320 0,6 6 a9), 16,517 315 1,0 5 a0, 16,5 312 ? 3 era 16,9 306 0,4 6 m, 17,1 305 0,2 1 aan 17,5 299 0,4 6 ur ® 672 Friedländer und Barisch: Zur Kenntniss u. s. w. y Als das Manometer von der Canüle abgenommen wurde, flossen aus der letzteren nur wenige Tropfen Flüssigkeit, die leicht blutig erschien. Das Blut stammte von einer geringen Verletzung der Schleimhaut der Gallenblase her. Das Thier wurde durch Chloroform getödtet. Vor dem Versuche war sein Gewicht 573 Grm., nach dem Tode 614,5. Die Gewichtszu- nahme betrug also 41,3 Grm. Resorbirt waren im Ganzen 51,5 Grm. Die Section zeigte in der Bauchhöhle keine wässerige Exsu- dation, eben so wenig im Darm. Nur der Dünndarm enthielt eine sehr unbedeutende Menge Flüssigkeit. Harnblase sehr gefüllt. Leber roth, nicht anämisch. Aus jeder Schnittfläche quillt eine reichliche Menge flüssigen Blutes. Die Leber wog 21,65 Grm. In dem Pleurasacke wenig blutige Flüssigkeit. Herz sehr aus- gedehnt. Lungen nach der Eröffnung des Thorax zusammen- gefallen; aus der Schnittfläche quillt blutiger Schaum. Harn blutig, alkalisch. Haut nicht ödematös. — Das Thier hatte in 49 Minuten 51,5 Cm. resorbirt, d. i. u seines eigenen Kör- pergewichtes, also jedenfalls mehr, als die normale Blutmenge beträgt, und 2,37 mal’ so viel, als die Leber wog.') Versuch Ill. Um die Grenze für die Resorption von der Leber aus zu finden, wurde an einem Thiere von 401 Grm. Körpergewicht eine Fistel angelegt und ein dem vorigen ähn- liches, in Kubikcentimeter getheiltes, nur grösseres Manometer angesetzt, um den Versuch bis zum Tode fortzusetzen. I. Füllung 11h. 11. Anfangsdruck 845 Mm. Um 12h. 18° waren 60,6 Cm. resorbirt und der Druck auf 437 Mm, .ge- fallen. II. Füllung 12h. 18‘. Anfangsdruck 845 Mm. Um lh. waren 32 Cm. resorbirt. Der Enddruck ist leider nicht bemerkt. III. Füllung 1h. auf 845 Mm. Um 1h. 14“ stirbt das Thier, nachdem 13 Cm. resorbirt sind. Die gesammte = 2h. 3' resorbirte Menge betrug mithin 105,6 Cm. oder = des Körpergewichtes, oder, da die Leber 24 Grm. wog, 4,4mal so viel, als das Lebergewicht betrug. 1) Eigentlich noch mehr, da das normale Lebergewicht sicher ge- ringer war, als es nach dem Versuche sich ergab, Theodor Jürgensen: Ueber die Bewegung u. s. w. 673 In diesem wie in dem vorigen Versuche entstanden häufig, nachdem schon beträchtlichere Mengen destillirten Wassers auf- genommen waren, die zuerst von Ed. Weber beobachteten und später von v. Wittich genauer studirten „Wasserzuckun- gen“ der quergestreiften Muskeln. — Die Section des Thieres zeigte in der Brust- und Bauchhöhle einen freilich nur sehr unbedeutenden blutig-wässrigen Erguss. Lungen normal, Leber auf ihrer Oberfläche blass, mit Ausnahme der Ränder der ein- zelnen Lappen, auf dem Durchsehnitte sehr blass. Magen mit halbfüssigem Brei erfüllt. ‘Im Blute gelang die Nachweisung von Gallenstoffen nicht. Aus diesen Versuchen ergiebt sich mit Sicherheit eine ausser- ordentlich grosse Resorptionsfähigkeit der Leber. Das Ende des Semesters setzte ferneren Versuchen ein Ziel. Dem Leser dieser Arbeit wird sicher eine Reihe von Fragen in Bezug auf die Lebersecretion sich aufdrängen, zu deren Be- antwortung hoffentlich in den nächsten Semestern die Gelegen- heit auf dem hiesigen Institute sich finden wird. II. Abhandlung. - Ueber die Bewegung fester, in Flüssigkeiten suspendirter Körper unter dem Einfluss des elektrischen Stroms. Von Theodor Jürgensen aus Flensburg. Während die Lehre von der Fortführung von Flüssigkeiten im Kreise der geschlossenen galvanischen Säule durch Wie- demann dem Schatze der Wissenschaft einverleibt ist, hat sich ein zweites, unter denselben Bedingungen zu Tage tretendes Phänomen bisher den Augen der Forscher entzogen. !) 1) Nach Abschluss der bier mitzutheilenden Untersuchungen wur- den wir durch eine gütige ‚Mittheilung des Herrn. Prof. du Bois- Reymond auf frühere, von Armstrong mittelst einer Dämpfelek- trisirmmschine gemachte Beobachtungen aufmerksam, die Bd. LX. der Reichert's u, du Bois-Reymond's Archiv. 1860. 44 . Pr. 674 a Theodor Jürgensen: Den Ausgangspunkt der angestellten, Versuche bildet eine, zuerst von meinem verehrten ‚Lehrer, Herrn. Professor Hei- denhain, bei der Erforschung des Einflusses constanter Ströme auf die Bewegungserscheinungen in den Zellen der Vallisneria beobachteten Thatsache, die an diesem Orte kurz zu erwähnen mir ‚gestattet sein möge. Lässt man den Strom einer, etwa aus 16 kleinen Grove- sehen Elementen bestehenden Kette durch ein Blattstück. der Vallisneria in der Längsrichtung desselben gehen, so bemerkt man bald eine auffallende Veränderung der dasselbe constitui- renden Zellen. Eine 300fache Vergrösserung genügt, um die Beobachtung machen" zu. können. Man ‚sieht, ‚wie das soge- nannte Protoplasma der Botaniker mit den dasselbe erfüllen- den geformten Massen, Chlorophyll und runden, nicht näher zu definirenden Körperchen sich unter dem Einfluss der strömen- den Elektrieität von der eigentlichen Zellwand zurückzieht und damit das Leben der Zelle endet. "Bei länger dauernder Schliessung der Kette häuft sich die ganze Masse an der einen kurzen Wand der rechteckigen Zellen an, wie es aus dem Mangel an Chlorophyll an der entgegengesetzten Zellwand und den sich scharf absetzenden Contouren gegen die Mitte der Zelle deutlich erkannt wird. Es zeigt sich, dass diese Zell- wand stets die gegen den positiven Pol der Säule gerichtete ist, dass also eine Verschiebung ‘vom negativen zum positiven Pol stattgefunden hat. Beim Oeffnen der Kette findet ein, wohl durch die Elastieität der die Chlorophylikörnchen um- Poggendorff’schen Annalen im Auszuge veröffentlicht sind. Arm- strong sah, dass ein Seidenfaden von einem, mit dem negativen Pol in Verbindung stehenden, wassergefüllten Glase in ein zweites, auf dieselbe Weise mit dem positiven Pol verbundenes hinübergezogen wurde. Durch Aufschütten von Staubtheilen auf die Oberfläche des Wasserbogens, der zwischen beiden Gläsern entstand, bemerkte er dop- peltgerichtete Wasserströme, einen inneren vom negativen zum positi- ven, und einen änsseren, diesen umhüllenden, vom positiven zum ne- gativen Pol gerichteten. Armstrong scheint indessen wenig Gewicht auf die von ihm gemachten Beobachtungen zu legen, und ob nament- lich das letzterwähnte Phänomen überhaupt mit den hierzu erörtern den Tbatsachen in Verbindung steht, dürfte mindestens zweifelhaft sein, Ueber die Bewegung fester, in Flüssigkeiten u, s. w. 675 hüllenden schleimigen Massen bedingter Rückprall statt: die ganze Masse macht eine rasche, kurz dauernde Bewegung ge- gen die gegenüberstehende freie Zellwand, erreicht sie indess nie, Bei erneuertem Schliessen fliegen die Chlorophylikörn- ehen von Neuem nach der Seite des positiven Pols hin, um beim Oeffnen wiederum ein Stück zurückzuprallen. Wechsel der Pole hat eine Umkehr der Richtung der Bewegung zur Folge; diese geht also stets vom negativen zum positiven Pol vor sich. Eine so räthselhafte Erscheinung, die, wie es schien, mit dem von Wiedemann Beobachteten in direetem Wider- spruche stand, musste natürlich in hohem Grade die Aufmerk- samkeit auf sich ziehen. Dass wir es mit einem der Pflanzen- zelle eigenthümlichen Phänomen zu thun haben könnten, musste von vornherein schon durch die Erwägung im. höchsten Grade zweifelhaft erscheinen, dass die Functionen derselben ja 'erlo- schen; ich unterzog mich daher der Aufgabe, die Allgemein- gültigkeit der Erscheinung nachzuweisen, ‘wohl wissend, wie wenig ich derselben gewachsen, und nur den bewährten Kräf- ten trauend, die mir den Rücken deckten. Leider stand mir keine so starke Kette zu Gebot, dass ich die Bewegung ohne optische Hülfsmittel hätte erkennen kön- nen. Der stärkste elektrische Strom, über den ich, verfügte, war der von 32 kleinen Grove’schen Elementen, wie sie zu physiologischen Zwecken gebräuchlich, erzeugte, und die, wie unten zu erwähnen, ungeheuren Widerstände des Schliessungs- bogens bedingten eine bedeutende Schwächung desselben. Es war daher nöthig zum Mikroskop zu greifen; es darf wohl kaum erwähnt werden, dass bei Anwendung des zusammenge- setzten die Umkehr des gelieferten Bildes zu beachten ist, Nur in zweifelhaften Fällen ist eine 200fache Vergrösserung anzuwenden, gewöhnlich genügt eine 70fache. Sehr anzura- then ist es, sich bei der Beobachtung eines mit Fadenkreuz versehenen Oculars zu bedienen, weil einzelne Partikelchen leichter durch dasselbe zu fixiren sind. Bei so bedeutenden Vergrösserungen bietet sich indess ein ebenso hindernder als schwer zu beseitigender Uebelstand: die leisen, durch Verdun- stung, Ungleichheiten der Temperatur und des Druckes an. ver- 44" 676 Theodor Jürgensen: schiedenen Punkten der Flüssigkeit hervorgerufenen Schwan- kungen zeigen sich dem Beobachter nur zu deutlich, Das leich- teste Mittel, diese Störungen, wenn auch nieht zu beseitigen, so doch unschädlich zu machen, schien die Erhöhung der elek- tromotorischen Kraft; wie schon angedeutet, musste ich hierauf von vornherein verzichten, Nachdem ich mich überzeugt, dass Zusatz von Gummi zu der zu untersuchenden Flüssigkeit’ kei- nen merklichen Einfluss auf das Zutagetreten der Bewegung hat, habe ich mich desselben stets bedient, um durch Eindiekung der Flüssigkeit einen Theil der Störungen zu beseitigen... Doch auch so ist die Beobachtung noch mit Unbequemliehkeiten über- häuft, wenn diese auch nur Zeitverlust und keine Fehlerquellen involviren. Die sicherste Controlle ist ja durch den Richtungs- wechsel der Bewegung beim Wechsel der Pole gegeben, eine Vorsicht, die bei jedem Versuche wiederholt beobachtet worden ist. Die Verbindung der zuführenden Elektroden mit: der Bat- terie wurde, um mechanische Erschütterung der Flüssigkeit durch den Polwechsel zu vermeiden, mittelst eines Quecksilber- schälchens hergestellt, das durch metallische Leitung mit’einem zweiten, die Pole der Batterie aufnehmenden in Verbindung stand. Der zuerst angewandte Apparat war folgendermassen her- gestellt. Auf einem durch wasserdichtes Einkitten einer Glas- platte in einen runden Holzrahmen hergestellten Objectträgen waren die zuführenden Blektroden, die aus ziemlich breitem Kupferblech bestanden, in den die Glasplatte überragenden hölzernen Rand einander gegenüber und derselben möglichst nahe, gleichfalls wasserdicht eingelassen. In das so gebildete Bassin wurde mit Wasser fein verriebenes Carmin gebracht. Eine von 12 Elementen gebildete Batterie genügte, um das’ an der Vallisneria Beobachtete auch hier zu zeigen: die Carmin- körnchen bewegten sich jedesmal bei Schliessung des Kreises langsam in der Richtung vom negativen zum positiven Pole. Dasselbe trat ein, als statt des Carmins Lykopodium, und statt des reinen, mit Gummi versetztes Wasser angewandt wurde, Dass die Wahl auf Lykopodium fiel, hat seinen Grund in der von mir gehegten Hoffnung, dasselbe würde wegen seines ge- Ueber die Bewegung fester, in Flüssigkeiten u. s. w. 677 ringen speeifischen Gewichtes die durch die Senkung der Car- minpartikelehen hervorgerufene Unbequemlichkeit beseitigen. Als ich von Prof. Heidenhain auf die Anwendung des Gummi aufmerksam gemacht wurde, das auch in dieser Beziehung von bedeutendem Nutzen ist, kehrte ich zu dem weit feiner herzu- stellenden Carmin zurück. Wenn auch durch’ diesen Versuch eine Erweiterung des in den Pflanzenzellen Gesehenen gegeben schien, so wurden doch bald Zweifel darüber rege, ob hier die Bewegung eine primär durch die strömende Elektrieität bedingte wäre. Einmal hätte diese langsame Verschiebung in einer Veränderung der capil- laren Attraetion zwischen den Metallelektroden und der Flüs- sigkeit ihren Grund haben können, in Folge deren sich die Oberfläche der Flüssigkeit änderte, andererseits aber drängte sich der, wie es schien, durch gute Gründe unterstützte Ver- dacht auf, der am negativen Pol frei aufsteigende Wasserstoff sei die direete Ursache der Bewegung, diese selbst also eine rein mechanische. Den ersten, an sich weniger bedeutenden Einwurf überge- hend, der durch die später anzuführenden Methoden des Ver- suchs vollständig beseitigt ist, wende ich mich dem. zweiten „erheblicheren zu. Es lag auf der Hand, dass der Schwerpunkt der Frage, ob Gasentwiekelung, ob nicht, das primum movens wäre, in der Möglielikeit lag, durch nicht durch Elektrolyse frei werdendesGas, unter gleiche Bedingungen gebracht, eine vom Orte der Gas- entwicklung ausgehende Bewegung hervorrufen zu lassen. Unter Versuchsmethoden, deren Aufzählung hier. die Ge- duld des Lesers mehr als nöthig in Anspruch nehmen, würde, umhertappend, war ich darauf gerathen, die Flüssigkeit. in ein, in der Mitte capillar verengtes Rohr einzuschliessen, das an beiden Enden mit gut passenden, von den nadelförmi- gen Elektroden durchbohrten Korken versehen war. Es wurde bei dieser Versuchsform das Rohr stets ganz mit Flüssigkeit geölt (Gummiwasser mit Carmin), ‚so dass die Elektroden vollständig von derselben umspült waren, und also der Ein- wurl einer Veränderung der capillaren Oberflächen an den 678 Theodor Jürgensen: Elektroden beseitigt wurde. Ich hatte gesehen, dass in diesem Falle die Bewegung der Carmintheilchen vom negativen zum » positiven Pol stattfand, und war also berechtigt zu schliessen, dass, wenn allein dem frei werdenden H die Bewegung zuzu- schreiben wäre, unter denselben Bedingungen sich ohne einen elektrischen Strom entwickelndes Gas dieselbe Wirkung her- vorbringen müsse. Das Experiment wurde in folgender Weise angestellt. Das- selbe Rohr wurde mit Flüssigkeit gefüllt und an dem einen Ende mit Kork, an dem anderen, nachdem ein Stückchen Zink hineingebracht war, mit Blase eng verschlossen. Das Mikro- skop überzeugte mich von dem nach einiger Zeit hergestellten hydrostatischen Gleichgewicht, und nun wurde auf die Aussen- seite der Blase concentrirte SO, gebracht, die, rasch diffundi- rend, eine lebhafte Entwiekelung von H hervorrief. Der oft wiederholte Versuch lieferte zweifelhafte Resultate: bald fand eine von dem Orte der Gasentwickelung ausgehende, bald eine nach demselben hin gerichtete, bald so gut wie gar keine Be- wegung statt, Diese Ungleichheiten sind wohl dem mehr oder weniger vollkommen erreichten Schluss durch die Blase zuzu- schreiben, der eine Verschiedenheit der Widerstände bedingt, die das vom Gase verdrängte Wasser zu überwinden hatte,_ wenn es sich zwischen der Blase und dem Glase herausdrän- gen wollte. Wenn auch dieses zum Theil negative Resultat im Vergleich mit dem früher, wo die Elektrieität die Ent- wiekelung des Gases hervorufen hatte, gewonnenen stets posi- tiven Ergebnisse der Ansicht, dass frei werdendes Gas die Erscheinung bedinge, einen argen Stoss versetzte, so konnte es doch keineswegs als entscheidend betrachtet werden, schon deshalb nicht, weil die Bedingungen für die Wirkung des sich entwickelnden Gases in beiden Fällen nicht genau gleich waren. Namentlich war darin eine Verschiedenheit gegründet, dass der Flüssigkeit an dem mittelst Blase verschlossenen Ende des Rohrs durch die kurzen Poren der Blase ein mit weit gerin- geren Widerständen verbundener Abfluss (durch Filtration) ge- stattet war, als an dem, beiderseitig mit gut schliessenden Kor- ken versehenen Rohre, ‘Daher änderte ich den Versuch dahin, | | | Ueber die Bewegung fester, in Flüssigkeiten u. s. w. 679 dass ich statt des Rohres ein rundes, offenes Schälchen an- wandte, Dasselbe wurde mit Carminwasser halb gefüllt, an die eine Seite Zink gebracht und dann vorsichtig Schwefel- säure zugesetzt. Hier konnte ich fast immer eine vom Orte der Gasentwickelung ausgehende Bewegung wahrnehmen. — Indessen gerade in diesem Falle zeigte sich eine Verschieden- heit in der Art der Bewegung mit grosser Deutlichkeit. Eine Bewegung, die dem blasenweise aufsteigenden, nicht perpetoirlich sich vordrängenden Gase zuzuschreiben wäre, muss nothwendig denselben Charakter haben, ruckweises Vor- schreiten und Stillstehen müssen alterniren. Von alledem ist bei der Fortführung der Körperchen durch die Elektrieität nichts zu bemerken; dieselben werden gleichmässig, in nicht von Pausen unterbrochenem Gange fortgerissen. In allen den Fällen aber, wo es mir gelang, durch Gas eine Fortführung hervorzurufen, traten die erwähnten Erscheinungen ein. Bei dieser Gelegenheit muss ich noch einen anderen Punkt erwäh- nen, der von Belang für die Entscheidung der Frage scheint. Bringt man in das oben beschriebene Röhrehen concentrirte Lösung von NaCl mit Carmin, und lässt dann durch einen starken Strom eine rasche Elektrolyse eintreten, die hier bei dem geringen Widerstande zu sehr lebhafter Gasentwick- lung führt, so ist dieselbe von einer zum positiven Pol gerich- teten Bewegung der ganzen Flüssigkeit, also auch der Körn- chen begleitet. Oeflinet man nun die Kette, so strömt die Flüssigkeit eine Weile fort, und wechselt man die Pole, so wird nach erneutem Schliessen die Bewegung anfangs nur in der vorhandenen Riehtung langsamer und ‚geht erst nach und nach in die entgegengesetzt gerichtete über. In diesem Falle rührt die Bewegung, ebenfalls wirklich von der Gasentwickelung her, denn da Na Cl in concentrirter Lö- sung eine gut leitende Flüssigkeit ist; haben, wie ich später ausführlich mittheilen werde, Körperchen unter dem Einfluss des Stromes für sich gar keine, durch diesen bewirkte Bewegung in derselben. Ausserdem ist die Fortdauer der Bewegung der Körperchen nach Oeflnung des. Stromes und ‚selbst nach der Umikelir desselben eine, in schleehtleitenden Flüssigkeiten nie 680 Theodor Jürgensen: zu bemerkende Erscheinung; beim Oeffnen der Kette hört die Bewegung momentan auf. — Vielleicht könnte man noch ein- werfen, die in destillirtem Wasser stattfindende Gasentwicke- lung sei zu unerheblich, um nach Aufhören des Stromes eine solche Wirkung hervorzubringen; bei näherer Betrachtung zeigt sich indessen die dem Cirkel sehr nahe stehende Gestalt dieses Schlusses, Nachdem ich diese Gründe angeführt, wie sie sich im Ver- lauf der Untersuchung mir darboten, gehe ich jetzt zur zwei- fellosen Endentscheidung durch das Experiment über. Die passendste Form für Anstellung des Versuchs in ge- schlossenen Röhren ist, wie die Erfahrung gelehrt, die folgende (Vgl. Fig. 1). Ein Glasrohr ab wird in seiner Mitte c capillar Fig. 1. verengt und dessen Schenkel rechtwinklig gebogen. Nachdem dasselbe vollständig mit Wasser gefüllt ist, werden die Mün- dungen beider Schenkel unter Flüssigkeit mit Blase verschlos- sen (ich habe auch so experimentirt, dass nur ein Schenkel verschlossen war; zweckmässiger ist es beide zu schliessen). — Die Blase dient hier nur dazu, die Schwankungen der das weitere Schälchen d.d' erfüllenden Flüssigkeit in dem Glasrohre weniger fühlbar zu machen. ff’ sind metallische Schliessungs- bogen, die einerseits in dd‘, andererseits in die mit Quecksil- ber gefüllten Gefässe ee’, welche die Poldrähte der Batterie Ueber die Bewegung fester, in Flüssigkeiten u. s. w. 681 hh’ aufnehmen, eintauchen. Das Ganze wird so befestigt, dass ab möglichst horizontal und e auf den Objecttisch des Mikro- skops zu liegen kommt. — Bei Schliessung der Kette tritt die Bewegung der a b erfüllenden festen Körperchen (Carmin sus- pendirt in Gummiwasser) vom negativen zum positiven Pol, also von b nach a ein, hört beim Oeffnen der Kette momentan auf und ändert ihre Riehtung bei Umtausch der Poldrähte. Das freiwerdende Gas kann bei dieser Herrichtung des Ver- suchs direet von den zuführenden Elektroden in die Höhe stei- gen, wenn man die Schliessungsbogen ff oberhalb des unteren Endes der Röhrenschenkel in dd’ eintauchen lässt, Ja selbst wenn das Gas die Blase berührte, würde es wohl schwerlich den ihm von derselben geleisteten Widerstand überwinden und durch die Blase hindurch eine bewegende Wirkung auf die Flüssigkeit ausüben können. Dass dies nicht der Fall sei, muss der Sorgsamkeit des Experimentirenden anheimfallen. Ich würde somit nicht anstehen, mich bei dem Resultat dieses Ver- suchs zu beruhigen, wenn nicht, trotz der angewandten Vor- sicht, der grossen Flüssigkeitsmenge halber Unbequemlichkeiten zurückblieben, die die Geduld oft auf eine harte Probe stellen. Herrn Prof, Heidenhain habe ich eine Form des Ver- suchs zu danken, die zum grössten Theil von diesen Uebel- ständen frei ist. Befestigt man nämlich in dem oben beschriebenen Object- träger statt der Kupferstreifen Bälkehen aus Hollundermark, durchtränkt diese mit der anzuwendenden Flüssigkeit, und setzt in sie die zuführenden Elektroden ein, so ist man eines reinen Versuehs sicher und zugleich der durch Schwankungen der Flüssigkeit hervorgerufenen Störungen so gut wie ganz über- hoben. Die beistehenden schematischen Zeichnungen geben: die erste (Fig. 2) eine Ansicht von oben, die zweite (Fig. 3) einen Durchschnitt des Objectträgers. Das Hollundermark war so tief in den Rahmen eingelassen, dass es die Glasplatte fast erreichte, und der zwischen demselben und dem Glase frei ge- bliebene Raum mit Gyps verschmiert. Dasselbe Material wurde angewandt, um die zwischen Holz und Höllundermark frei bleibenden Stellen auszufüllen. Nachdem durch anhaltendes 682 Theodor Jürgensen: Fig. 2. ; Fig, 3. sn Durchtränken mit Flüssigkeit das Mark vollständig von der- selben erfüllt war, wurde am oberen, von der Glasplatte am weitesten entfernten Ende ein kleines Bassin ausgehöhlt, das zur Aufnahme der zuführenden Elektrode diente, und der übrige Theil des Markes, mit Ausnahme derjenigen Stelle, die mit der auf dem Objectträger befindlichen ‚Flüssigkeit in Verbindung stand, mit einer dünnen Talgschicht bedeckt. Ein Abfliessen der im Hollunder befindlichen Flüssigkeit war also. verhindert, ebenso ihre Verdunstungsoberfläche auf ein Minimum \be- schränkt. Brachte man 'nun die zu prüfende Flüssigkeit auf das grosse Bassin und wartete eine Weile, so hatte das Mark bald sein Imbibitionsmaximum erreicht, und eine durch Capil- larattraction hervorgerufene Störung war nicht mehr ‘zu..be- fürchten. ‘Es bringt keine merkliche Störung hervor, wenn in das kleine, die zuführende Elektrode aufnehmende Bassin tropfenweis Flüssigkeit gebracht wird, ein, wenn auch nur schwaches Correctiv für ‚die ausserordentlich vermehrten: Lei- tungswiderstände, die die Anwendung einer wenigstens ausı.30 Elementen gebildeten Kette erheischen. In diesem Falle zeigt sich kein Grund, dem frei werdenden H einen Einfluss auf die Bewegung zu vindieiren, Die an den Metallelektroden sich entwickelnden Gasblasen steigen in ‚der das kleine Bassin erfüllenden Flüssigkeit frei in die Höhe, es kann also an eine mechanische Einwirkung derselbe auf die, auf dem grossen Bassin befindliche, durch ein langes: Stück des porösen Markes von dem Orte der Gasentwickelung, ge- trennte Flüssigkeit nicht gedacht werden. Aus demselben Ueber die Bewegung fester, in Flüssigkeiten u. s. w. 683 Grunde kann eine Veränderung der Capillarattraetion zwischen Blektroden- und Flüssigkeitsoberflächen die Bewegung nicht herbeiführen. Gummiwasser mit Carmin in’s grosse Bassin gebracht, zeigte die Erscheinung in ihrer ganzen Regelmässig- keit, als. der Strom einer. 30elementigen Kette durchging. Ich glaube jetzt die aus der Gasentwickelung und der ver- änderten. Capillarattraetion herzuleitenden Einwürfe beseitigt zu haben und wende mich dem experimentellen Nachweis der Behauptung zu, dass es die Körnchen seien, die vom negativen zum positiven Pol fortbewegt werden, und nicht etwa die ganze Flüssigkeit. Schon aus dem angeführten Versuche mit dem rechtwinklig gebogenen Glasrohr ist, dies abzuleiten. Hier sind alle Be- dingungen. für den doch nicht wohl anzuzweifelnden Wiede- mann’schen Versuch gegeben. Diaphragmen, um die schnelle Ausgleichung durch den hydrostatischen Druck zu verhindern und schleeht leitende Flüssigkeiten: weshalb also wandern die Körperchen nicht mit der Flüssigkeit vom positiven zum ne- gativen Pol? Es bliebe hier noch der Ausweg, den verschie- Fig. 4. 684 Theodor Jürgensen: denen Schichten der strömenden Flüssigkeit eine verschiedene Richtung zuzusehreiben. Davon zeigt die Beobachtung nichts: unter dem Einfluss der strömenden Blektrieität bewegen sich die Körperehen, an welchem Orte der Flüssigkeit sie sich auch befinden mögen, ohne Ausnahme vom negativen zum positi- ven Pol. Um allen Zweifel zu beseitigen, wurde folgender Apparat angewandt, der eine gleichzeitige Beobachtung beider Phäno- mene gestattet (Fig. 4.). ab ist ein in der Mitte des horizontalen Theiles e capillar verengtes Glasrohr, dessen eines Ende bei b mit Blase ver- schlossen und mittelst eines Korkes und Gyps in das weitere Rohr d eingelassen ist. (In der Figur ist das mit Blase ver- sehlossene Ende nicht zu sehen, weil die Uebergangsstelle' der beiden Röhren in einander äusserlich mit Gyps umgeben ist.) Das mit einer Marke versehene Capillarrohr e ist auf ab ein- geschmolzen und dient zum Ablesen des Flüssigkeitsstandes diesseits des Diaphragma. Der aufsteigende, mit d parallele Schenkel von ab und das weitere Rohr d nehmen die zufüh- renden Platin-Elektroden auf, die, wie früher, mit der Batterie in Verbindung gesetzt sind. Bringt man nun Carmin mit Gummiwasser in das Röhrensystem und leitet den Strom einer aus 32 Elementen bestehenden Kette in der hier gezeichneten Weise durch, so findet ein Steigen der Flüssigkeit in e statt, es wird also Flüssigkeit aus dem weiten Rohre d durch die Blase in das enge Rohr ab geführt, während die Carmintheil- chen stromaufwärts, dem Zuge der Flüssigkeit entgegen, von a nach b sich fortbewegen. Weehsel der Anordnung der Pole hat natürlich das Entgegengesetzte, Sinken der Flüssigkeit in e und Bewegung der Carminpartikelechen von b nach a zur Folge. Somit stehe ich nicht an, die Thatsache: dass in Wasser in fein vertheiltem Zustande be- findliche Körper beim Durchgang des elektri- _ sehen Stromes sich in der Riehtung vom negati- ven zum positiven Pol fortbewegen, als gesichert zu betrachten, Ueber die Bewegung fester, in, Flüssigkeiten u. s. w. 685 Es war nun noch zu ermitteln, ob das Verhalten der ange- wandten Flüssigkeiten, namentlich ihre grössere oder geringere Leitungsfähigkeit, einen Einfluss auf die Bewegung der in den- selben suspendirten Körper ausübe. Carmin und Gummi wur- den mit verschieden leitenden Flüssigkeiten untersucht. Die folgenden Versuche machen durchaus keinen Anspruch auf ab- solute Genauigkeit. Gummi wurde in ungleichen Quantitäten bei jedem einzelnen Versuch angewandt und hat wohl jeden- falls einen vielleicht sogar erhebliehen Einfluss auf das Lei- tungsvermögen der mit ihm verriebenen Flüssigkeiten. Ich habe darauf verzichtet, den. neu eingeführten unbestimmten Factor constant, und damit: die Versuche unter sich quantitativ vergleichbar zu machen, da es mich zu weit von meinen son- stigen wissenschaftlichen Zwecken abgeführt hätte, wenn mein Streben darauf gerichtet gewesen, mehr als die rohen, Grund- züge der Bedingungen zu geben, unter denen die Erscheinung auftritt. Versuche an concentrirter Lösung von schwefelsaurem Kup- feroxyd (auf dem mit. Kupferblech, armirten Objeetträger an- gestellt; Kette von 8 Elementen); mit Schwefelsäure versetztem Wasser (Hollundermarkobjeetträger; Kette von 30 Elementen); Cblornatrium: in concentrirter Lösung (wenn nicht die Gasent- wickelung an dem einen Pole so stark wird, dass diese me- chanisch eine Fortbewegung einleitet, worüber oben schon ge- sprochen), zeigen, dass keine Bewegung der in ihnen suspen- dirten Körperchen eintritt. Angesäuertes Wasser, wohinein ein Blattstück der Vallisneria, dessen Zellinhalt vorher unter dem Einfluss des Stromes gewandert war, gelegt wurde, verhinderte auch hier das Zutagetreten des Phänomens, Verdünnt man die gutleitenden Flüssigkeiten, so tritt die Bewegung wieder ein. (Cu ’SO,, 1,4pCt., NaCl 0,5pCt. sind die von mir angewandten Concentrationen, bei welchen die Erscheinung wieder sichtbar wurde.) Ob das elektromotorische Verhalten der Körper selbst einen Einfluss übe, ‚musste die nächste, Frage sein... Gummiwasser diente als. leitende ..Wlüssigkeit. Von Körpern, deren Stellung in der Spannungsreihe bekannt, ‚babe ich Kohle, Platin, Kupfer 686 i Theodor Jürgensen: und Eisen (als Oxyd) untersucht, ohne die oben beschriebene Erscheinung sich ändern zu sehen. Ausserdem sind noch Ly- köpodium, die Fettkügelchen der Milch (diese selbst verdünnt, als leitende Flüssigkeit), und die Blutkörperchen des Frosches (mit 0,5pOt. Lösung von NaCl) beobachtet worden. Alle be- wegen sich vom negativen zum positiven Pol. Diese Versuche sind wohl nicht zahlreich genug, um Gewissheit zu geben, machen es aber doch wahrscheinlich, dass in gut leitenden Flüssigkeiten eine Bewegung der in ihnen suspen- dirten Körper nicht stattfindet, die Stellung dieser Körper selbst in der Spannungsreihe aber keinen Einfluss auf das Zustandekommen der Bewegung ausübt. Endlich sind noch einige Erfahrungen über die Abhängig- keit der Erscheinung von der Zeitdauer der angewandten Ströme mitzutheilen, Zum Unterbrechen der von der constanten Kette gelieferten Ströme wurde der Unterbrecher von Halske angewandt, in derjenigen Form, wie Prof. Heidenhain ihn zur Erzeugung des mechanischen Tetanus benutzte. Vor dem Elfenbeinhäm- merchen des Instruments wurde isolirt eine Kupfergabel ange- bracht, deren Enden eine solche Länge hatten, dass das eine beim Niederschnellen des Hammers genau die Oberfläche eines unten stehenden Quecksilbernäpfehens berührte, während das an- dere mit einem zweiten solchen Gefäss in beständiger Verbindung blieb. Beim Emporsteigen des Hammers war also die Leitung zwischen den beiden Quecksilbernäpfehen unterbrochen. Jedes derselben nahm einen Poldrath der Batterie auf, in deren Kreise sich die zu untersuchende Flüssigkeit befand, so dass die Ströme der Batterie nur momentan, so lange gerade die Oberfläche des Queeksilbers berührt wurde, durch die beob- achtete Flüssigkeit durchgingen, wenn der Unterbrecher spielte. Der Unterbrecher selbst wurde durch ein Element in Bewegung gesetzt; die constante Kette war aus 20 Elementen gebildet. Carmin mit Gummiwasser wurde auf den Hollundermark-Ob- jeetträger gebracht: die Carmintheilchen bewegten sich in alt- gewohnter Richtung. Bei Vermehrung der Zahl der Unterbre- Ueber die Bewegung fester, in Flüssigkeiten u. s. w. 687 chungen wurde die Bewegung derselben beschleunigt, natürlich deshalb, weil in der Zeiteinheit eine grössere Menge Elektri- eität durehging (denn bei jeder einzelnen Schwingung des Ham mers war die Kette länger geschlossen als geöffnet; folglich musste mit der "Anzahl der Schwingungen in der Zeiteinheit die Summe der Schliessungszeiten wachsen, gegenüber der Summe der Oeffnungszeiten.). Die Anwendung gleichgerichteter Inductionsströme, welche mittelst einer, von Prof. Heidenhain erdachten Combination zweier. Unterbrecher mit einem Inductions-Rollenpaare 'herge- gestellt wurden, zeigte keine Bewegung erweckende Wirkung.!) Es scheint ‚also, dass auch . die Zeitdauer der elektrischen Ströme einen gewissen‘ Einfluss auf, die Bewegung‘ .der Kör- per hat. Zum Schluss. dieser Mittheilung liegt mir nur’ noch die an- genehme Pflicht ob, Herrn Prof. Heidenhain für die mir in so reichlichem Maasse gewordene Unterstützung öffentlich mei- nen Dank auszusprechen. ?) 1) In den Kreis der primären Rolle waren zwei Halske'sche Unterbrecher eingeschaltet, A auf gewöhnliche Weise, B nur mit sei- nem Elektromagneten. ; Durch passende Spannung. der Spiralen und passendes Verhältniss der Schwingungsbahnen beider spielenden Hebel waren die Bewegungen: derselben so eingerichtet, dass der Hebel von B eine Neben Mkekung von verschwindendem Widerstande zu dem Kreise der secundären Spirale jedesmal einen Zeitmoment früher in Quecksilber schloss, bevor (er Hebel von A mit seiner Hülfsfeder die Contaetspitze verliess, also den primären Kreis öffnete, während jene Ne- benschliessung schon wieder, geöfinet 'war (durch Rückschwung des He- bels von B), wenn sich an. den Unterbrecher von A der Contact, her- stellte, also der primäre Kreis schloss. H. 2) Nach Absendung dieser Bogen zum Drucke erschien im vor- liegenden Bande des Archiv's Kühne”s Mittheilung über das Porret- sche Phänomen am Muskel. Die oben mitgetheilten Entdeckungen veranlassten uns schon während des Sommersemesters zur Untersuchung des Nerven im Kreise constanter ‚Ströme, theils mit Hülfe des polari- sirten Lichtes, theils nach einer anderen Methode, welche letztere po- sitive Ergebnisse zu liefern scheint. Kühne's Mittheilung veranlasst diese ausdrückliche Bemerknng. H. 688 Davidson und Dieterich: II. Abhandlung. Zur Theorie der Magenverdauung. Von med. stud. Davidson und med. Dr. Dieterich. (Mitgetheilt von R. Heidenhain.) Die Herren med. stad. Davidson und med. Dr. Diete- rich wünschten sich im Gebiete der Verdauungslehre experi- mentell zu beschäftigen. Ich schlug ihnen als Thema das Stu- dium der Magenverdauung des Frosches vor, über welche mei- nes Wissens noch keine besonderen Untersuchungen ange- stellt worden sind. Bei der Bearbeitung dieses Gegenstandes wurde unsere Aufmerksamkeit namentlich auf die Rolle der Säuren bei diesem Processe gelenkt und einige hierhin gehö- rige Thatsachen gefunden, deren Mittheilung den Hauptinhalt der folgenden Zeilen bildet. Wir sahen sehr bald, dass die Magenschleimhaut des Fro- sches ein vortreffliches Material für die Bereitung künstlicher Verdauungsflüssigkeiten ist. Ihre Vorzüge vor der gewöhnlich angewandten Schleimhaut des Labmagens des Kalbes oder des Schweinemagens bestehen, abgesehen von der Leichtig- keit der Beschaffung des Materials, in der Leichtigkeit und Schnelligkeit der Bearbeitung desselben und in der uner- warteten Energie der Wirksamkeit. Die mit der Scheere zerkleinerte Schleimhaut von drei Froschmagen, mit 50 Cm. einer Salzsäure, die in 1000 Theilen 1 Theil CH enthält. 12 Stunden im Brütofen bei ungefähr 30°R. digerirt, giebt ein Filtrat, von welchem 1 Cm., mit 9 Cm. jener verdünnten Salzsäure gemischt, genügt, um während der Dauer einer Ver- lesungsstunde die Fibrinverdauung nach Brücke’s Methode im Reagensgläschen zu demonstriren. Das auf die oben be- zeichnete Weise erhaltene Filtrat dreier Froschmägen verdaut viel mehr geronnenes Eiweiss, als die wirksamen Bestandtheile einer Drachme des als französisches Pepsin in den Apotheken ‘ käuflichen pharmaceutischen Präparates, welches etwa 23pCt. in Wasser löslicher Substanz neben 77pCt. Amylum enthält. Zur Theorie der Magenverdauung. 689 Ich glaube, dass die Aerzte in solchen Fällen, wo die Magenverdauung durch künstlich zugeführte Ver- dauungsmittel unterstützt werden soll, an Stelle jenes sogenannten Pepsins weit zweckmässiger eine auf dieoben beschriebene Weise bereitete Salzsäure- Limonade anwenden würden. Ein warm bereitetes Salzsäure-Extract weniger Froschmä- gen ist viel billiger, als das Pepsin, leicht jedesmal für jeden Gebrauch frisch herzustellen und viel sicherer wirksam als die unsicheren Pepsin-Präparate der Apotheken. Die neueren Physiologen und Chemiker führten iberein- stimmend an, dass von allen Säuren nur Salzsäure und Milch- säure kräftige künstliche Verdauungsflüssigkeiten geben, ob- schon ausführlichere Untersuchungen über diesen Punkt sich in der Literatur nieht verzeichnet finden. Eberle, !) der Er- finder des „künstlichen Magensaftes* hat zu seinen Verdauungs- versuchen Salzsäure und Essigsäure angewandt. Blondlot hat (nach einem Citate bei Donders, Physiologie I. Aufl. S. 220; leider konnte ich mir Blondlot’s Traite analytique de la digestion nicht verschaffen) gefunden, dass zur Bereitung künstlichen Magensaftes alle Säuren und selbst die sauren Salze angewendet werden können. Derselben Ansicht ist unter den Neueren nur noch Va- lentin (Lehrbuch der Physiologie II. Aufl. Bd. I. S. 320). Er sagt: „die künstlichen Verdauungsversuche gelingen mit Schwefel-, Phosphor-, Salpeter-, Chlorwasserstoff-, Essig- und Milchsäure. Nur die Mengen, welche die günstigsten Wirkun- gen bedingen, wechseln nach Verschiedenheit der gebrauchten Flüssigkeit.“ Und weiter: „Mikrolytische Werthe (d. h. sehr hohe Grade der Verdünnung) eignen sich blos in jedem Falle, um dichte Proteinkörper zur Auflösung zu bringen. "/;o—"/so bildet ungefähr die Grenze, welche die Anwendung der Salz- säure gestattet Gebraucht man andere Säuren, so ändern sich diese Verhältnisse, Concentrirte Schwefel- und Phosphorsäure schadet schon in verhältnissmässig geringeren Mengen, als Salz- 1) Physiologie der Verdauung. Würzburg 1834. S. 80, Üsichertw u, du Bols-Reymond's Archiv, 1860. 45 690 Davidson und Dieterich: oder Salpetersäure. . Essigsäure dagegen gestattet, bedeutendere Zusätze.“ Valeutin"s Erfahrungen sınd, wie wir später sehen wer- den, im, Allgemeinen richtig, auf seine quantitativen Angaben aber ist freilich wenig zu geben. Das zeigt sein eigener Nach- satz: „Es versteht sich übrigens von selbst, dass hier die Concentrationsgrade der Säure und der Verdauungsflüs- sigkeiten entscheiden.“ Eigene Untersuchungen über die verschiedenen Säuren scheinen seitdem nur Lehmann und Dondsrs angestellt zu haben. Ersterer sagt (Lehrbuch d. physiol. Chemie Bd. II. S. 34): „Chlorwasserstoffsäure und Milehsäure sind. die ‚einzi- gen, Säuren, welche mit dem. Pepsin energisch wirkende Ver- dauungsflüssigkeiten liefern; Schwefelsäure, Salpetersäure und Essigsäure geben /mit Pepsin ein/nur schwach wirkendes, Ver- dauungsgemisch, Phosphorsäure, Oxalsäure,; Weinsäure, Bern- steinsäure können in keiner Weise die Stelle der Milchsäure oder Salzsäure bei der Verdauung vertreten.“ Diesem Ausspruche schliesst sich Donders an. (Physiologie 1. Aufl. S. 220): „Wir haben ebenso wie Lelimann gefunden; dass Salzsäure und Milchsäure einen. weit kräftigeren. künstli- chen Magensaft bilden helfen, als. Essigsäure, Salpetersäure, Phosphorsäure und Schwefelsäure,*!) Die Angaben beider: Forseher können nur. darin ihren Grund haben, dass irgendwelche beliebige Coneentrationen jener Säuren auf's Gerathewohl zum Versuche verwandt wurden, ohne’ Anstellung systematischer Versuche mit verschiedenen Con- centrationen, sonst hätte esihnen nicht entgehen können, dass sehr viele andere Säuren bei gewissen; Concentrationen ebenso ener- gisch wirken, als die allein gerühmte Salzsäure und Milchsäure. Unsere Versuche erstrecken sich auf Salzsäure, Salpeter- säure, Phosphorsäure, Oxalsäure, Weinsteinsäure, Essigsäure und. beiläufig auch Milchsäure. Die Herstellung bestimmter Coneentrationen geschah durch Titrirung mittelst einer, Natron- lauge, .die in einem Qubikcentimeter 20 Mgr. NaO +H0,= 4. Aegnivalent Natronhydrat in Milligrammen enthält. Der Kürze 1) Aehnliches scheinen Hünefeld und Meissner erfahren zu haben, Vgl. des;Letzteren Jahresber. für 1858. 8.203. u..1859)8. 226. 691 Zur Theorie der Magenverdauung. wegen will ich als CI#1., CHHII..... CIHX. oder AL, A IL, .. AX. eine Chlorwasserstoffsäure oder Essigsäure bezeichnen, von welcher resp. 1, 2, .... 10 CC. genau einem. CC. jener Normal-Natronlauge entsprechen. Ich führe von unseren Ver- suchen einige Beispiele an, um daran die Ergebnisse zu erläutern. Versuch I. Die zerkleinerten Schleimhäute von 4 Frosch- mägen wurden Abends 6h. mit 50CC. CIHX in den Brüt- ofen gesetzt und bis zum nächsten Morgen 9h. bei einer Tem- peratur von 30° R. digerirt. Das Filtrat wurde mit Natron- gap genau neutralisirt und dann mit dem Concentrationsgrade jeder der vier folgenden Säuren, Salpetersäure, Oxalsäure, Essigsäure, Milchsäure, folgende drei Concentrationen in Rea- gensgläschen bereitet: enthielt | 1CC. Nor- — | malnatron- Die Concen- | Säure | lauge=CC. trationen Neutralisirtese von der Wadder des Filtrat | Verdünnung Verdauungs- X. | gemisches No. I. 1 9 0 11,11 seiL 1 7 2 14,28 „ M. s 1 5 4 20,00 Die Ergebnisse des nach Brücke’s Methode mit Flocken ausgewaschenen Blutfibrins angestellten Versuches gender Tabelle verzeichnet: Beginn des Versuches 4h. $. sind in fol- d .47'=89M öh. 15°=1h.6h. 30'=2n.|6h. früh d.i. Beginn| 7’ n. B. | 22‘ n. B.!) |über 26 Sta. Et Ei DE zehn ups rgallud ud 1 I | gelöst Bi Il. | gelöst Ill. ‚fast gelöst?) |gelöst j. Alledreistark| alle drei bis‘| Rückstände | Oxal- ı1, ‚gequollen, IIL.| auf äusserst | gänzlich ver- | säure |jrj, [stärker als I. geringe Rück-| schwunden. | x und II. stände gelöst. fast gelöst 5 Milch 17 fast gelöst | ganz pl y säure “ sehr zurück- | sehr zurück | bed. Rück- IL geblieben \ stände ganz gelöst I, | immer noch Esig- | | kaum ge- - | IL, B unverändert | ebenso grosse säure ır. | quollen Rückstände 1) Zwischen 5h. 15’ u. 6h, 30° konnte nicht beobachtet werden. 2) Fast gelöst bedentet, dass die Fibrinflocke geschw 4b" unden ist und 692 Davidson und Dieterich: In diesem Versuche wirkt die Oxalsäure nur sehr wenig schwächer als die Milchsäure (nach Lehmann sollte jene mit dieser in keiner Weise zu vergleichen sein), ja erstere bei der Concentration III. sogar energischer als letztere, während die Salzsäure beide an Energie übertrifft und die Essigsäure hinter beiden so weit zurücksteht, dass man den früheren Angaben in Bezug auf letztere Recht zu geben geneigt ist. Versuch II. Es wird ein Salzsäure-Extract der Frosch- mägen ganz wie in dem vorigen Versuche bereitet, und mit Oxalsäure, Phosphorsäure, Salzsäure von der Concentration X. und Weinsteinsäure von der Concentration V. ein Versuch ganz nach der Weise des obigen angestellt. Einlegen des Faser- stoffes 4h. 15 M, = 6b.10° = 1h. 55° | Th. 25° = 36.100 nach Begiun nach Beginn I. | nahezu gelöst ganz gelöst Salzsäure Ju | gangıgelöät \ I. |} I. u. II. am meisten |} bis auf sehr geringe Weinsäure | II. vorgeschritten |) Rückstände gelöst IIT. noch beträchtliche Rückstände Lu r Phosphorsäure II. — Inn. nahezu gelöst ganz gelöst Oxalsäure % weiter zurück. als die ee IT. übrigen Säuren | Rückstände Am nächsten Morgen waren die Rückstände aus allen Glä- sern verschwunden. Die PO5 leistet nach diesem Versuche eben so viel wie Salzsäure; Oxalsäure und Weinsäure in den beiden erster Concentrationen, stehen wenig zurück, nur die schwächsten Concentrationen dieser beiden Säuren wirken viel weniger energisch. Versuch III. Derselbe Versuch mit Salpetersäure, Oxal- säure, Phosphorsäure von dem Grade X. und Weinsteinsäure von dem Grade V. nur beim Umschütteln der Flüssigkeit noch kleine Fetzen vom Bo- den des Gläschens aufgeschwemmt werden, die man ohne Umschüt- teln kaum sieht. Zur "Theorie der Magenverdauung. 693 Beginn des Versuches 4h. 50'. [6b.=18t.10//7 h.=28t.10°| 7.5501 "6 Uhr früh | nach Beginn | nach Beginn | =3 St. 5M. |=13St.10M. sehr gequol- | | I.) len, aber noch] bed. Rückst, | et 1a nirgend der |'bed. Rückst. III. Lösung fast gelöst | ganz gelöst nahe 1.)| Quellung Beginn der der I1.\| noch nicht | Lösung | Lösung 1 In’ gileh III Lösung merklich nahe Gläschen vollständige Il.| fast gelöst | ganz gelöst Basung? hosph = I. fast gelöst | ganz gelöst IT. merkliche | ganz gelöst Rückstände T.] fast ganz gel. ganz gelöst je II.’ |nur gequollen/merkl. Rückst.| ganz gelöst ım.\ bed. Rückst, | bed. Rückst. Wir sehen hier, wie in dem vorigen Versuche, die Phosphor- säure sehr energisch wirken, die III. Concentration. der Salpe- tersäure und die JI. und II. Concentration der ‚Weinsäure nur wenig nachstehen; die Oxalsäure wirkt weniger schnell als die Weinsäure, während sie in dem vorigen Versuche schneller die Lösung herbeiführte und in dem.ersten Versuche der Milch- säure den Rang streitig macht. Aus diesen Versuchen geht jedenfalls schon so viel hervor, dass durchaus kein Grund vorliegt, die Chlorwasserstoffsäure und die Milchsäure als die einzigen Säuren zu bezeichnen, welche mit Pepsin kräftige Ver- dauungsflüssigkeiten liefern, denn wir sehen bei gewissen Con- eentrationen osphorsäure, Salpetersäure, Oxalsäure, Wein- säure ebenfalls energisch wirken. Wie ein Ueberblick der drei Versuche lehrt, halten sie alle den Vergleich mit Milchsäure aus: denn in Versuch I. steht die Oxalsäure der Milchsäure nicht bedeutend nach, in Versuch II. und III. wird erstere von Phosphorsäure übertroffen, in Versuch III. von der schwäch- sten Ooncentration der Salpetersäure und den: beiden stärksten der Weinsäure, Folglich werden alle diese Säuren, die rich- tige Ooncentration vorausgesetzt, als ungefähr gleichwerthig mit der Milchsäure betrachtet werden können, ‚oder ihr zum Theil selbst voranstehen. Wenn diese Versuche noch Zweifel lassen, so werden spätere dieselben vollkommen beseitigen. Natürlich kann hier von einem strengen quantitativen Vergleiche nicht die Rede sein, da die Bestimmung der Faserstoffmengen nur nach dem Augenmaasse getroffen war. Das Verhältniss der Salzsäure zu den untersuchten Säuren betreffend, so haben wir es uns erspart, jedesmal einen Pa- 694 Davidson und Dieterich: rallel-Versuch mit Salzsäure anzustellen, da wir deren Wir- kungsmaass aus einer Anzahl früherer Versuche kannten, In vier Versuchen, bei denen eine auf die oben angegebene Weise bereitete Verdauungsflüssigkeit benutzt wurde, ergiebt sich als die zur Verdauung einer Fibrinflocke nothwendige Zeit 40', 2h, 3h und 4h. 55‘, also Zeiten, die ganz innerhalb derjenigen liegen, die, bei den obigen Versuchen für die anderen unter- suchten Säuren gefunden wurden. Es dürfte also auch die CH kaum einen Vorzug vor den übrigen Säuren verdienen, wenn die Concentrationen dieser richtig gewählt werden. — Die bis- herigen Versuche lassen noch einen Einwand zu, dessen Wider- legung uns nothwendig schien. Wir hatten nämlich die Ma- genschleimhaut mit CIH X. extrahirt und das Filtrat mit Natron neutralisirt, um dann die zu untersuchenden Säuren hinzuzu- setzen. Man könnte den Einwand erheben, dass die zugesetz- ten Säuren das gebildete Chlornatrium wieder, wenn auch nur zum Theile, zerlegt hätten, und die frei gewordene Salzsäure, nicht die zum neutralisirten Filtrate hinzugesetzte Säure, die eigentliche Ursache der beobachteten Wirkung gewesen sei. In der That, als in einem Kölbehen 3 CC. CIH-X. nach der Neu- tralisation durch Natron mit 3000. C20°X. ‘oder 30 CC. NO: X. erwärmt und einige Cubikcentimeter des Gemenges vor- sichtig überdestillirt wurden, gab das Destillat mit salpetersau- rem Silberoxyd eine, wenn auch nur schwache Trübung. Wir müssen uns demnach der Controle wegen zu einem Versuch IV. aufgefordert sehen. Drei Schleimhäute wur- den mit 50 CC. C?O®?X. ausgezogen und mit dem Filtrate fol- gende Verdauungsgemische bereitet: Filtrat \ cox. | 7 Wasser 2 Hd np 4 | I. | 5 2 2: II. 5 0 | Alle drei Gläschen hatten ihre Fibrinflocke nach Ih. 55' gelöst. Versuch V. Drei Schleimhäute wurden mit 15 CC. NO’X. extrahirt. Aehnliche Experimente wurden mit Phosphorsäure und Essigsäure von dem Grade X. und Weinsteinsäure von dem Grade V. bereitet. Von den Filtraten wurden mit den zuge- hörigen Säuren und Wasser folgende Gemische bereitet: Filtrat Säure Wasser I. 1CC: I0C. 0CC. u Ing WER: 2 » TR ge Bang FR Von der Salpetersäure und Weinsäure wurde ausserdem in einem Gläschen IV. 10.CC. reines Filtrat zum Versuche be- nutzt. Folgende Tabelle enthält die Resultate: Zur Theorie der Magenverdauung. 695 [Nach 10Min.|Nach 25Min] 45 Min. , | 1 Stunde [ % | sehr nur noch ge- 2 | gequollen ringe Rück-| } ganz gelöst Salpeter- JIII. re II.|f stände, am säure f PO> wenigsten in lv. Ei zurück | sehr zuriick noch bedeut. | noch bedeut. Rückstände | Rückstände ( weniger ge- I.)| quollen als 4 Wein- | NOS und POS, , fast gelöst gelöst säure \1II.\| aber mehr | noch bedeut. als A Rückstände k lv. weit zurück |noch keine bed. Rückst. merkl. Lösung I.'sehr stark ge- quollen "I. itest | Phosphor] Thames fa ganı | nolkammen. he schon gelöst geins gelöst II.'sehr stark ge- | quollen | | & ! am kaum stark ge- ne 1I | weitesten vollständig | wie vorher | quollen, ein [0 zurück gequollen | \ Theil gelöst. Die Beobachtung wurde hier abgebrochen, 12 Stunden später waren auch in den 3 A-Gläschen die Flocken verschwunden, Die beiden Gläschen No. IV. hatten noch immer merkliche Rückstände, trotzdem dass diese Flüssigkeiten die grössten Pepsinmengen enthielten. Es erklärt sich dies wahrscheinlich auf folgen «Weis Nach einer vielfach festgestellten Erfah- rung mindert die lösende Kraft von Verdauungsflüssigkeiten beträchtlich durch die Lösung von Albuminaten, weil der Lö- sungsfähigkeit gewisse Grenzen ‚gesetzt sind. Die Lösungsfä- higkeit kann dann aber durch Nachsturen wieder gesteigert werden. Die ursprünglichen Auszüge der Schleimhäute haben nun zweifelsohne Bindegewebe u. s. f. aus der Schleimhaut ge- löst; deshalb sind sie'weniger zu’ lösen im Stande, wenn nicht, wie das in den Gläschen 1., Il. gesehah, neue Säure hinzuge- setzt wird. Versuch IV, und V. widerlegen nun den oben gegen die ersten drei Versuche erhobenen Einwand. vollkommen ,‚; denn dass die Lösung in den beiden letzten. Versuchen durch Salz- säure herbeigeführt worden sei, die. aus dem in der. Magen- sehleimhaut enthaltenen Chlornatrium herrühre, wird. wohl schwerlich Jemand behaupten wollen. — Die bei Versuch V; erhaltenen Lösungen wurden benutzt, um mit demselben einige 696 Davidson und .Dieterich: Pepton-Reactionen anzustellen. Die Resultate giebt folgende Reactionstabelle: i Lösung Reagens der Sal- | Phosphor- | Ep | Ente peler&äure BE Weinsäure | Essigsäure Kochen KeineFällung, ebenso “ ebenso ebenso Alkohol Keine Fällung e e Ba Concentrirte Anfangs | Keine 'Trü- |Gelbe Farbe,| Leichte blei- Salpetersäure | leichte Trü- | bung; gelbe |ohne Trübung| bende Trü- bung, bei wei- Farbe bung, gelbe terem Zusatze) Farbe wieder schwindend. Gelbe Farbe Kohlensaures | Trübung; ebenso ebenso Kaum sicht- Ammonik bei geringem bar bleibende (eone. Lös.) | Ueberschusse Trübung wieder schwindend, Neutrales Keine Fällung Fällung von | Fällung von |KeineFällung essigsaures phosphorsau-| weinsaurem Bleioxyd rem Bleioxyd| Bleioxyd (cone. Lös ) Kaliumeisen- | Sehr leichte ebenso ebenso ebenso eyanür Trübung (eone, Lös.) Sublimat |Für sich ohne| ebenso ebenso Ebenso erst Wirkung, nach Neutra- nach Neutra- lisation mit lisation mit NH® und An- \NH® und An- säuern mit A 'säuern mit A ' fällbar Fällung | Gerbsänre | Starke Fäl- ebenso ebenso ebenso lung ö Aus diesen Versuchen geht hervor, dass die Lösungen der verschiedenen Säuren den Faserstoff in der That im Pepton- Zustande enthielten. (Man vergleiche die neuerdings von Mul- der angegebenen Pepton-Reactionen.) VI. Versuch mit eoagulirtem Eiweiss. Drei Frosch- mägen werden mit 25 CC. NOSX. in der gewöhnlichen Weise ausgezogen. 5 CC. Filtrat werden mit 12'/, CC. NO®X. ver- setzt und in die Mischung 5 Würfel geronnenen Hühnereiweisses von 2—2"/, Lin. Seite gelegt: In ein zweites Kölbehen , mit derselben Mischung gefüllt, wird eine Messerspitze voll’ Eiweiss- flocken gelegt, diedurch Kochen von mit dem 4fachen Volumen 697 Zur Theorie der Magenverdauung. Kane eo 0555 wEmBDD 25a an 2 Eee au 88 Bosssg syua27 a ysgje# Per 8 8 Ss seage mney ‘359108 puBgsyony »uyo jiesogen | wnnsBoosstanıg Er85r- Rh * Baß.r® 030 am E23#r33 ‘ID ‘Od SIu| ep ur auoy BR ® 5 38 am osggou | adtpıs | = 2 E33558 pun sON SIe | -ypanpun | E Fmad« AOIOM fuloyy | asstaagojum 8 35 52 x "puauroyos |uassıom auyo |gdou uaye u mo = 520% ydanp puautayos |1pop ‘anep.ıaa 199 spe aossguß]| n 373 wo.® 2.5 ypemyos uop -goanp SNORYAagO) sıeJuoutoy | =} Een = © -upy up um | zus® jepmy | op ur puıs puwgsyony | "puwgsyony | ‘asayy adurı vo . B ö & se wnen Japan | S9sofod ara | [fm MIq | woy ng |1afuaF ayag|-oF 1eaosenay,, 1PJIUAASSIO IH Ar Wr | ME 3 2 Se. F araeso slSosÄas ERIET 1 x aanns Eu aunesdisst | PunzsumM -aogedıug | RUSIEXO ERS | „sondsogg Emas5833 7 Alter 2 N Rap EEPR te um yosmossfunnepaoA Bun aSAg z= er er - 2m 2 Sue ame: arm mu nanR5n k se. ,;,5873 PER, & ° >25 52 ir} BESESSN gen sind alle wasserklar, ohne alle ıde Reactionen: ösun Sie geben folgeı 1weılss Die verdauten E) Trübung. Davidson und Dieterich: 698 3 Salpetersäure ; Kochen (eone.) : Lösung in -; Keine Fäl- | Trübung;; bei Salpetersäure lung. weiterem Zu- Lösung durch Oxalsäure Lösung durch Weinsäure Lösung durch Phosphor- säure Lösung durch Salzsäure » ”» satz sich ver- mindernd; je- doch nicht ganz schwin- dend; gelbe Farbe. Ebenso; nach längerem Ste- hen leichter Bodensatz. Sehr leichte Trübung; gelbe Farbe. Kohlensaures | Neutr. essigs.| Schwefel- |Kaliumeisen- f 3 Ammoniak Bleioxyd |saures Natron cyanür Sublimat Gerbsäure (conc. Lös.) | (cone. Lös.) | (cone. Lös.) | (cone. Lös.) Trübung; bei| Keine Fäl- | Sehr leichte | Sehr leichte | Fällt die Lö- Starke Fäl- geringem lung. Trübung. Trübung. sung nach lung. Ueberschusse Neutrali- schwindend. sation durch NH? und Wie-,) deransäuern | durch A. Er Starke Fäl- P- = ne a lung von oxalsaurem Bleioxyd. 5 Fällung von ” „ = > weinsaurem Bleioxyd. r Fällung von N » ” Ar phosphor- saurem Blei- oxyd. es Trübung. & » » » Zur Theorie der Magenverdauung. 699 Von den 6 untersuchten Säuren hatte: die Salpetersäure un- vollkommener gewirkt: als’ Salzsäure, Oxalsäure, Phosphor- säure und Weinsteinsäure, von denen die drei ersten ganz gleich standen, die letzte nur wenig zurückstand, und die A so gut wie gar keine Wirkung zeigt. Ich vermuthete, dass sowohl für NOS als für A nicht die richtigen Concentrationen gewählt worden seien, und unsere Bestrebungen mussten sich darauf riehten, diese ausfindig zu machen. Für die Salpetersäure lag ein Wink darin, dass bei den Fibrinversuchen die schwächste Concentration immer am besten gewirkt hatte. Ich bereitete demnach drei schwächere Concen- trationen, als die bisher benutzte NO? X,, nämlich: I. NOS XV,, II. NO°XX,, II. NO>XXV. Mit. jeder dieser drei Säuren wurden zwei gleiche Verdauungsflüssigkeiten ganz in der frü- heren Weise bereitet (drei Froschmägen mit 25 CC. der betref- fenden Säuren im Brütofen ausgezogen, 5.CC, des Filtrates mit 12'/, CC, derselben Säure versetzt), in die eine 5 Eiweiss- würfel, in die andere eine Messerspitze voll Eiweisseoagulum gebracht. Die sechs Kölbchen, welche die Verdauungsgemische enthielten, wurden Mittags 12 Uhr in den Brütofen gebracht, Abends 9 Uhr waren die Coagula in allen drei Concentrationen gelöst. Am nächsten Morgen um 8 Uhr waren. in der Flüs- sigkeit von der Concentration NO® XV. noch zwei kleine, ganz durchscheinende Reste der Eiweisswürfel; die Flüssigkeiten NO®XX. und NO’ XXV. hatten die Würfel vollkommen gelöst. Weit schwieriger hielt es, für die Essigsäure die Concen- fration ausfindig zu machen. Ich ging zuerst von AX. ab- wärts bis A LX., ohne ein Resultat zu erzielen; dann auf- wärts bis A IV, ebenfalls vergeblich. Endlich fand sich als vollkommen wirksam die Concentration A I. heraus, aber auch nur diese, während die nächsthöhere und nächstniedere an Wirksamkeit weit zurück standen. Dies lehren folgende beiden Versuehe: Es wurden die Concentrationen A IL, AL, A '/, (5 CO. A =100C. Normalnatronlauge) bereitet und mit jeder einzelnen zwei gleiche Verdauungsflüssigkeiten , die eine für Eiweisswürfel, die andere für Eiweissflocken, in derselben Weise, wie früher mit Salpetersäure, bereitet. Nach 16stündiger Ein- wirkung bei 30° R. zeigte sich 2 Würfel Coagulum J. Concentration A II. an den Rändern durch- sehr wenig sichtig, in der Mitte gelöst weiss. II. Concentration A T. Vollkommen gelöst. Vollkommen gelöst. III. Concentration A '/,. zum grossen Theile ge-- Ein Theil löst; die Reste durch- gelöst, doch scheinend. noch sehr grosse Rückstände, 700 Davidson und Dieterich: Das Auffallende und Unerwartete lag hier darin, dass die Grenze der Wirksamkeit für die Essigsäure so enge'gezogen sein sollte. Zur Vorsicht wurde derselbe Versuch, genau in gleicher Weise,’ wiederholt. Es zeigte sich nach 20 stündiger Einwirkung Würfel Coagulum I. Concentration ‚A II. an den Rändern durch-. zwar zum gros- sichtig, grosse weisse, sen Theile ge- Kerne. löst, aberdoch noch.beträcht- liche Rück- stände, II. Coneenträtion A I. Kaum sichtbare Rück- Vollkommen stände. gelöst, Lösung wasserklar. III. Coneentration A '/, beträchtliche Rück- ganze Flüssigkeit stände, ganz opalisirend, Rück- durehsichtig. stände noch vor- handen,aber nicht sehr bedeutend. Es bestätigte sich also, dass die Concentration AI. den bei- den anderen A II. und A !/, an Wirksamkeit bedeutend über- legen ist. Die mitgetheilten Versuche ergeben, dass die bisher fast all- gemein verbreitete Annahme, nur die Salzsäure und Milchsäure seien im Stande, mit der Magenschleimhaut kräftige Verdauungs- flüssigkeiten für geronnene Albuminate zu geben, unrichtig ist. Wir haben gesehen, dass Salpetersäure, Phosphorsäure, Oxal- säure, Weinsteinsäure, Essigsäure, dieselbe , Eigenschaft haben, wenn sie in gewissen Concentrationen angewendet werden, die freilich für die verschiedenen Säuren sehr ungleich sind. Wel- ches sind aber diese Concentrationen? Man. kann dieselben sehr leicht nach den obigen Angaben berechnen, wenn man im Auge behält, dass 1 CC. der von uns angewendeten Na- tronlauge 0,020 Grm. Natronhydrat (NaO +HO) entspricht. Es ist in 1000 Theilen dieser Säuren enthalten: Phosphorsäure X: .'. 2,45 Theile PO® +3H0O Salpetersäure X... 3,15 „ NOS+HO. Salzsäure X. , .... 1,825. „ ‚CH. Essigsäure X. . . . . 3,0 »..0H?03+H0. Zur Theoriöder Magenyverdauung, 701 Weinsäure V. ....7,5 Theile C4:0:%+ 240. Milchsäure X... ... 9,0 »..005+H0. Oxalsäure X. . ... 3,15 °,...00%+3H0. Führt man danach die Rechnung aus, so sieht man, dass der Procentgehalt der wirksamen Coneentrationen für die ver- schiedenen Säuren sehr verschieden ausfällt, ohne dass sich eine allgemeine Regel finden liesse, . Vorübergehend ‚war. ich der Ansicht, dass die verschiedenen Säuren: in der künstlichen Verdauungsflüssigkeit sich nach ihren chemischen Aequivalenten ersetzen müssten, um wirksam zu sein. , In der That, für CH PO®, 020° erwiesen sich Concentrationen als gleich wirksam, die in 10 CC. Flüssigkeit so viel Säure enthielten, als zur Sät- tigung von 1 CC. Natronlauge =20 Mgr., Natronhydrat nöthig war. ‚Allein die ‚Weinsäure bedarf einer, stärkeren Concen- tration (5 CC.=1 CC, Natronlauge), die Essigsäure einer noch stärkeren (1 CC.=1 CC. Natronlauge) ‚und ‚die Salpetersäure einer schwächeren Concentration (20—25 OC.=:1 CC. Natron- lauge),, um Eiweisswürfel eben so gut zu lösen, wie Salzsäure, Oxalsäure, Phosphorsäure ‚bei der oben erwähnten Concentra- tion. Die verschiedenen Säuren können sich in künstlichen Verdauungsflüssigkeiten weder in gleichen absoluten, noch in gleichen relativen (aequivalenten) Mengen ersetzen. Die wirk- samen Concentrationen lassen. sich. nur ‚empirisch ermitteln. Diese Thatsache spricht, wie manche andere, mit Bestimmtheit gegen die Theorie C. Schmidt”s von der Verdauung der Al- buminate, nach welcher die Säure mit dem Pepsin eiue ge- paarte Säure bilden soll, die zur Lösung .des Eiweisskörpers dient, Wäre diese Anschauung richtig, so müssten die ver- schiedenen Säuren am besten wirken, wenn sie in gleichen re- lativen (aequivalenten) Mengen angewandt werden; denn in der Chlorpepsinwasserstoflsäure würde sich die Chlorwasser- stoflsäure doch nur durch aequivalente Mengen anderer Säuren on lassen, Unsere: Erfahrungen widerlegen die Theorie ©. Schmidt’s vom rein chemischen Standpunkte aus. Der chemischen Theorie von Schmidt über die Rolle der Säuren bei der Verdauung ist bisher keine andere Theorie an die Seite gesetzt worden, ‚Wenn ich nicht irre, führt das Pol- 702 Davidson und Dieterich: en der Magenverdauung. gende auf den richtigen Weg. Diejenigen Concentrationen der verschiedenen Säuren, welche nach der ‚Digestion mit Magen- schleimhaut kräftige Verdauungsflüssigkeiten geben, haben für sich die Eigenschaft, den Faserstoff sehr aufquellen zu machen. Umgekehrt sind solche Concentrationen, welche den Faserstoff nicht quellen machen, niemals im’Stande, mit Pepsin verdauend zu wirken. "Salpetersäure von der'Concentration NO®I. macht Fibrin nicht quellen und giebt keinen künstlichen Magensaft. Salpetersäure von der Concentration NO® X.—XX. macht Fibrin stark quellen und löst dasselbe nach der Digestion mit Magen- schleimhaut. Daraus scheint zu folgen, dass die Fähigkeit der Säuren, mit Pepsin Albuminate zu lösen, bedingt ist durch die Fähigkeit, für sich die Albuminate quellen zu machen, und weiter, dass die Funetion der Säuren bei der Magenverdauung darin besteht, die Biweissstoffe aufzulockern und dadurch eine innigere Berührung derselben mit dem Fermente herbeizufüh- ren, welches dann die eigentliche Umsetzung der Albuminate in die Peptone bewirkt. Man wird entgegnen, dass bei Ei- weisswürfeln eine solche aufloekernde Einwirkung der Säuren sieh nicht wahrnehmen lasse. Allein man vergesse nicht, dass eine solche Einwirkung, wenigstens in auffallendem Maasse, bier unmöglich gemacht ist durch den diehten Aggregatzustand des geronnenen Hühnereiweisses. Die Säure kommt zunächst nur mit der Oberfläche in Berührung und kann deshalb zu- nächst auch nur auf diese wirken, während sie in den lockeren Faserstoff sehr leicht durch Capillarität eindringt und deshalb auf die ganze Masse einwirkt, wodurch die Erscheinung der Quellung hier so augenfällig wird, während sie bei den Ei- weisswürfeln weniger auffällig bleiben muss. Uebrigens kann man in locker und floekig geronnenem Eiweiss auch wirk- lich ein oberflächliches Quellen und -Durchsichtigwerden der ein- zelnen Flocken wahrnehmen. Ein anderer Einwand gegen die eben vorgetragene Ansicht ist schwerer zu beseitigen. Wenn die Säuren nur durch die Auflockerung der Albuminate für die Verdauung von Wichtig- keit werden, weshalb können sie bei der Verdauung nicht durch andere, ebenfalls Aufquellung herbeiführende Substanzen ersetzt P. J: Brondgeest: Sogn über den Tonus u. s. w. 703 werden, z. B. durch Ammoniak, in’ welchem Faserstoff sehr stark quillt? Es liegt hier die Entgegnung nahe, dass die Al- kalien vielleicht die Fermentwirkung des Pepsins stören, also die zweite zum Zustandekommen der Lösung nothwendige Be- dingung aufheben, wenn schon die erste Bedingung, die Lockerung, erfüllt ist. Findet doch die Milch- und Butter- säuregährung. nur in alkalischen Flüssigkeiten ‚statt! Was Wunder, wenn die Fermentwirkung des Pepsins sich als nur in sauren Flüssigkeiten möglich herausstellte. — Wenn Hypothesen nothwendige Glieder in ‚dem Fortschritte der Wissenschaft sind, so mag auch die oben über die Rolle der Säuren bei der Verdauung aufgestellte als ein Schritt. gelten, der vielleicht zu einem Fortschritte wird. Jedenfalls werden die ihr zu Grunde liegenden Thatsachen für jeden Erklärungs- versuch der Magenverdauung von Wichtigkeit sein. Untersuchungen über den Tonus der willkürlichen Muskeln. Von P. J. Brondgeest. (Auszug aus: Onderzoekingen over den tonus der willekeurige spieren. Academisch proefschrift enz. Utrecht 1860. Durchsehneidet man einem Frosche; das Rückenmark nahe dem verlängerten Mark und sodann den Ischiadieus der einen Seite und Rängk denselben an einem durch die Nase, gezogenen Faden frei in der Luft auf, so bemerkt man nach einiger Zeit (i (ande und darüber) einen ausgesprochenen Unterschied in dem tung beider; Beine. An der Seite, wo der Nerv durch- schnitten ist, bilden die Axen des Rumpfes, Ober- und Unter- schenkels und des Fusses viel grössere Winkel mit einander, als an der anderen Seite. Der‘ erstere Schenkel hängt schlaf herab, während der zweite in allen Gelenken eine mässige Beugung zeigt. In Folge dessen haben Knie- und Fussgelenk einen tieferen Stand auf der operirten Seite, als auf der ande- ren, und der innere Umriss der Schenkel und Füsse. gleicht; sich der Verfasser ausdrückt, etwa einer; unsymmetrischen ‚ Urne, welche auf einer schiefen Unterlage (der Verbin- ) nie der Spitzen der vierten Zehen) steht. Dieser Unter- schied kann seinen Grund nur haben in einem verschie- denen Verhalten der Muskeln beider Beine, denn bei der Beweglichkeit der Gelenkverbindungen würden die, Beine bei Abwesenheit der Muskeln, der Schwere folgend, ganz schlaff Y 704 P. J. Brondgeest: PIE NEE den Tonus u. s. w. herunterhängen. In der That sieht 'man, wenn man den’einen oder anderen Muskel von seinem Ansatz ablöst, die Haltung des Beines sogleich im Sinne der Antagonisten sich. ändern. Eine solche Aenderung tritt in viel geringerem Grade ein, wenn vorher der Nerv durchschnitten war. Die mehr gebogene Hal- tung, welche das Bein annimmt, dessen Muskeln noch mit dem Rückenmark in Verbindung stehen, kann nur auf einem Ueber- gewicht der Beuger dieser Seite über die Strecker seinen Grund haben. Allerdings bleibt es dabei merkwürdig, dass 'bei Rei- zung des Nerven eine Streckung erfolgt, also die Strecker das Uebergewicht haben. Kneipt man bei einem in vorbeschriebener Weise behandelten und aufgehängten Frosch die Zehen des nicht operirten Fusses leise, so sieht man die Beugung dieses Beines stärker werden, und diese stärkere Beugung verschwindet erst in einiger Zeit ganz allmählig. Kneipt man stärker, so wird das Bein ganz an den Leib angezogen, sodann gestreckt und wiederum gebeugt, und .diese letztere, Beugung verschwindet ganz allmählig. Schneidet man einem Frosche die hinteren Wurzeln einer Seite, welche zum Ischiadieus gehen, durch und sodann das Rückenmark nahe dem verlängerten Mark, und hängt ihn in gewohnter Weise auf, so bemerkt man ganz dieselben Unter- schiede in der Haltung beider Beine, als wenn der Nerv ganz durchschnitten wäre. Kneipt man jetzt die Zehen der nicht operirten Seite, so sieht man, dass beide Beine angezogen wer- den, und dass auch auf der operirten Seite eine Beugung zu- rückbleibt, die ganz allmählig verschwindet. Aehnliche, Ver- suche stellte Verfasser auch an Kaninchen an. Aus diesen Versuchen zieht derselbe folgende Schlüsse: 1. „Es besteht ein Tonus der willkürlichen Muskeln, d. h. diese Muskeln beharren unter dem Einfluss des Gehirns (soll wohl heissen des Rückenmarkes, da Verfasser bei seinen Ver- suchen stets das Gehirn abgetrennt hatte. R.) in einem Zustand andauernder Contraction, in Folge einer ununterbrochenen Wir- kung, welche von den Nervencentren ausgeht und mittelst der Nerven auf die Muskeln übertragen wird. 2. Das Bestehen dieses Tonus ist auf das Genaueste ge- bunden an den unverletzten Zustand der Gefühlsnerven. So lange die Gefühlsnerven ihre Wirkung auf das Rückenmark ausüben, wird in den Bewegungscentren (der grauen Substanz) eine Thätigkeit unterhalten, welche die dauernde Contraction, Tonus genannt, hervorruft. Der Tonus der willkürlichen Mus- keln ist also ein Reflextonus. Ist die Möglichkeit einer Reflex- wirkung aufgehoben, sind die Gefühlsnerven durchschnitten, so ist der Tonus verschwunden.“ ') iR 1) Die hauptsächlichen Versuche des Hrn. Brondgeest sind von Hrn. Dr. Rosenthal im hiesigen physiologischen Laboratorium mit gleichem Erfolg wiederholt worden. E. d. B.-R. mer - A. W. Volkmann: Controle der Ermüdungseinflüsse u. s. w. 705 Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskel- versuchen. Von A. W. VOLKMaAnNN, Die Ermüdung, welche der Muskel in Folge seines Thätig- seins erleidet, vermindert bekanntlich die Leistungsfähigkeit desselben. Hat man im Interesse des Versuchs den Muskel vom Körper getrennt, so geht diese Verminderung sehr schnell vor sich. Hieraus entspringt für die Experimentalphysiologie eine grosse Schwierigkeit. Man kann das gesetzliche Verhält- niss zwischen der Contractilität und einer sie influenzirenden veränderlichen Bedingung nie prüfen, ohne dass sich die Er- müdung, als zweite Veränderliche, mit eiumische und das Re- sultat der Versuche trübe. E. Weber ist der erste gewesen, welcher daran dachte, die von der Ermüdung ausgehenden Störungen in Rechnung zu bringen, und hat ein Verfahren angegeben, durch welches sich die Verschiedenheit der Ermüdungseinflüsse, welche den in Vergleich zu stellenden Versuchen anhaften, approximativ ausgleichen lasse. Dieses Verfahren geht von der Voraus- setzung aus, dass die Wirkungen der Ermüdung innerhalb nicht zu weit gesteckter Grenzen gleichmässig, also wie die Ord- nungszahlen der Versuche, zunehmen, in welchem Falle sich die Grössen derselben innerhalb dieser Grenzen durch eine ge- eignete Combination der Versuche auf gleiche Werthe zurück- führen lassen. _ Weber erläutert sein Verfahren an, den drei nachstehen- den, aus einer seiner Versuchsreihen entnommenen Fällen. Im ersten Versuche, wo der Muskel mit 10 Gramm belastet ist, h beträgt seine Länge im Maximum der Contraction 6 Millimeter; Reichert's u. du Bols-Reymond's Archiv. 1860, 46 706 A. W. Volkmann: im zweiten Versuche, wo er mit 5,Gr. belastet ist, 7,4 Mm., im dritten, wo er wieder mit 10 Gr. belastet ist, 13,2 Mm. Nun sagt W eber: Die Unterschiede, welche man zwischen den verschiedenen Messungen der Längen eines und desselben Muskels beobachtet, hängen theils von der Verschiedenheit der jedesmaligen Belastung, theils von der immer zunehmenden Ermüdung desselben ab. Um den Einfluss der ersteren von der letzteren abgesondert darzustellen, muss man die gleichen Ermüdungsgraden entsprechenden Längen des thätigen Muskels durch zweckmässige Interpolation der Beobachtungsreihen be- stimmen. Will man wissen, in welchem Verhältnisse die Mus- kellängen bei 5 Gr. und bei 10 Gr. Belastung zu einander stehen, so dürfen, wir nieht die in. Versuch 2 gefundene Länge mit der in Versuch 1 beobachteten vergleichen; denn im ersten Versuche war der Muskel weniger ermüdet als im zweiten; wir dürfen aber eben so wenig die im zweiten Versuche ge- fundene Länge mit der im dritten beobachteten vergleichen; denn im dritten Versuche war der Muskel mehr ermüdet als im zweiten; wohl aber können wir die im zweiten Versuche gefundene Länge mit der Zahl vergleichen, die wir erhalten, wenn wir aus der Länge im ersten und dritten Versuche das Mittel nehmen. Wir finden auf diese Weise, dass der Muskel, welcher im zweiten Versuche bei 5 Gr. Belastung die Länge von 7,4Mm, hatte, wäre er mit 10 Gr. belastet gewesen, die 6,0+ 13,2 2 grössere Länge von =9,6 Mm. gehabt haben würde, und ist dieser Längenunterschied: 9,6—7,4=2,2 Mm. nun le- diglich als Folge des Belastungsunterschiedes 10 Gr.—5 Gr., oder als die Dehnung eines mit 5 Gr. belasteten Muskels durch Mehrbelastung mit 5 Gr. zu betrachten. Es ist einleuchtend, dass diese Ausgleichung der Ermüdungs- einflüsse in drei auf einander folgenden Versuchen nur dann exact ist, wenn der Muskel im ersten Versuche genau so viel weniger, als im dritten Versuche mehr ermüdet ist, als im zweiten. Wenn nun Weber nicht blos drei, sondern elf hinter einander angestellte Versuche, bei denen 6 verschiedene Ge- wichte in Anwendung kommen, in derselben Weise behandelt, Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 707 und die Muskellängen, welche durch die arithmetischen Mittel L+F112+10.13+9) 4487 5-47 BEWIOHE ET ORT TAT mit der Länge in Versuch 6 für vergleichbar erachtet, so heisst das eben nichts anderes, als dass innerhalb der Grenzen von 11 Versuchen die von der Ermüdung bedingte Verlängerung des thätigen Muskels wie die Ordnungszahlen der Versuche wachse, oder doch sich einer derartigen Zunahme merklich ge- nug nähere. Weber hat die Annahme, dass die von der Ermüdung abhängigen Längenzuwüchse dem eben erörterten Gesetze: fol- gen, nicht näher begründet und eben so wenig angegeben, wie weit man bei Anwendung seines Verfahrens sich der Wahrheit nähere, Es wird bei den immer mehr in’s Feine gehenden physiologischen Untersuchungen von Wichtigkeit sein, diese Lücke der Wissenschaft auszufüllen. Die nachstehende Ab- handlung stellt sich diese Aufgabe, aber beschränkt sich auch auf dieselbe. Alle Einflüsse der Ermüdung, welche, abgesehen von der Verlängerung des thätigen Muskels, vorkommen, blei- ben unberücksichtigt. Soll nun die Berechtigung der Weber’schen ai ge- prüft und überhaupt der Gang der Ermüdung ermittelt werden, so versteht sich von selbst, dass man die, Beständigkeit der ee auf das Sorgfältigste zu überwachen habe. Ich reize mit Inductionsströmen, unter Anwendung eines con- stanten Elementes. Werden die Muskeln tetanisirt, so wird die Dauer der Reizung nach den lauten Schlägen eines Metronoms bemessen und habe ich meistens auf die Reizuug, 3 Schläge (jeden zu 1,25” Dauer), und auf die Pause zwischen zwei Ver- suchen 50 Schläge verwendet. Dass nämlich auch die Dauer der Pausen auf den Gang der Ermüdung einwirken müsse, kann nach den bekannten Verhältnissen der Reizbarkeit nicht zwei- felhaft sein. Bonst ist über die Methode meiner Versuche noch Folgen- des zu bemerken. Ich habe mich in allen Versuchen des Kymographion be- dient, und nur mit den Hyoglossis des Wrosches gearbeitet. 46° aus Versuch erhalten werden, 708 A. W. Volkmann: An dem unteren Ende des lothrecht aufgehangenen Muskels wurde ein Federhalter von 1 Gr. Schwere befestigt, wie ich im Archiv für Anat. u. Physiol. 1860. S. 145 näher beschrieben habe. Erst nach Anheftung des Federhalters habe ich die Länge des ruhenden Muskels=/ gemessen und habe die ge- ringe Schwere des ersteren vernachlässigt. Ich lasse dann den Cylinder eine Umdrehung machen und eine Horizontale ver- zeichnen, welche als Abscissenaxe benutzt wird. Während der Reizung des Muskels ruht der Cylinder und die zeichnende Spitze beschreibt eine Senkreehte, deren Grösse h die Contrac- tionsgrösse des Muskels darstellt. Nun giebt —h die Länge des- thätigen Muskels =). Den Längenunterschied zwischen dem belasteten und nicht belasteten thätigen Muskel betrachte ich nach Weber’s Vorgange als eine von dem Belastungsge- wichte abhängige Dehnung und bezeichne denselben mit D.') Die Messungen wurden mit einem Glasmikrometer gemacht, welches directe Messungen von "/, Millim., und also Schätzun- gen von !/;, Millim. gestattete, Um eine vorläufige Ansicht von dem Gange der Ermüdung zu gewinnen, habe ich ein von dem eben beschriebenen ver- schiedenes Verfahren eingeschlagen. Ich tetanisirte den Muskel, unter Anwendung eines constanten Elementes im Kreise der primären Rolle, anhaltend und beachtete, wie sich die Länge der Fasern im Verlaufe der Zeit änderte. Auch zu diesen Ver- suchen wurde das Kymographion benutzt. Nachdem die Ab- seissenlinie gezogen, wird der Muskel bei fortwährender gleich- mässiger Umdrehung des Cylinders tetanisirt. Die Linie, welche den Gang der Contraetion verzeichnet, erhebt sich steil auf- steigend über die Abseissenlinie und sinkt, nachdem der Muskel das Maximum der Verkürzung erreicht, in demselben Maasse, als sich der Muskel unter dem Eiuflusse der Ermüdung ver- längert. 1) Die Bezeichnung des ‚erwähnten Unterschiedes als ‚Dehnung glaubte ich beibehalten zu müssen, weil sie den Zusammenhang zwi- schen Weber’s Versuchen und meinen anschaulich macht. ‚Ein Ur- theil über (die Berechtigung der Weber’schen Elastieitätstheorie ist darin, dass ich den Werth D Dehnung nenne, nieht zu suchen., Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 709 Es entsteht also eine Schraubenlinie um den Cylinder, de- ren Windungen um so weiter von einander entfernt liegen, je mehr sich der Muskel während der Zeit einer Umdrehung ver- längert, oder, wenn der Längenzuwachs in der Zeiteinheit als Maass der Ermüdung betrachtet wird, je mehr derselbe ermüdet. Derartige Versuche beweisen, dass die Ermüdung nicht gleichmässig fortschreitet. Vielmehr ergiebt sich aus meinen zahlreichen Versuchen ohne Ausnahme folgendes. Die Ermü- dungszuwüchse für eine gegebene Zeit nehmen, nachdem der Muskel das maximum contractionis erreicht, eine Zeit lang zu und dann wieder ab. Im belasteten Muskel liegen bei gleicher Stärke des erregenden Stromes und ‚gleicher, ‚Umdrehungszeit des Oylinders die Schneckenwindungen weiter auseinander als im unbelasteten, auch wächst die Distanz der, Windungen mit Vermehrung der Belastungsgewichte sehr auffällig. Versuche wie die oben angeführten sind für die Beurthei- lung der Frage, die uns beschäftigen soll, natürlich nicht aus- reichend. Es handelt sich weniger darum zu beweisen, dass die Ermüdung im Verlaufe der Zeit nicht gleichmässig fort- schreite, als vielmehr zu ermitteln, innerhalb welcher Grenzen das Ausgleichungsverfahren, welches einen gleichmässigen Fort- schritt der Ermüdung voraussetzt, trotz des wirklich ungleieh- mässigen Fortschrittes, noch zu brauchbaren, d. h. hinreichend genäherten Zahlen führe. Um hierüber zu entscheiden, sind andere Versuche nöthig. Ich werde zunächst solche mittheilen, welche an unbelasteten Muskeln angestellt sind. Versuchsreihe I. Benutzt wird ein Zungenmuskel von 27 Millimeter Länge. Zum Tetanisiren dient der Schlitten von du Bois, zur Erzeu- gung eines constanten Stromes im primären Kreise ein Gro- ve’scher Apparat aus 3 kleinen Elementen, Jede Reizung des Muskels dauert 5, jede Pause zwischen zwei Versuchen 62,5”. Unmittelbar nach dem Reize wird der Muskel mit einem‘ klei- nen Gewichte belastet, welches die Expansion: befördert, aber in Folge einer unter demselben angebrachten Stütze den Mus- 710 A. W. Volkmann: kel nur bis zu der Länge, die. er "ursprünglich hatte, wieder ausdehnt. h 4 h » h Versu al Mm Mm, o Mm Mm 1 16,0° 1 "110 29 9,7 17,3 2 15,8 11.2 23 9,2 17,8 3 15,6 11,4 24 8,7 18,8 4 15,5 11,5 % 8,2 18,8 5 15,3 11,7 26 45 195 6 15,1 11,9 27 ZU 19,9 ” 11550 12,0 28 6,6 20,4 N 8 1002149 12,1 29 6,3 20,7 9 14,5 12,5 30 5,8 21,2 10 14,3 12,7 31 5,5 21,5 Hl 14,0 13,0 32 5,2 21,8 12 en aZ 13,3 33 4,9 22,1 13 13,5 13,5 34 4,7 22,3 14 13,3 13,7 35 4,5 22,5 15 13,0 14,0 36 4,3 22,7 16 12,7 14,3 37 42 22,8 17 12,3 14,7 38 4,1 22,9 18 11,8 15,2 39 4,0 23,0 19 Be oT 40 3,9 23,1 20 10,8 16,3 41 3,8 23,2 21 10,1 16,9 Ehe wir die Resultate der vorstehenden Beobachtungsreihe zur Sprache bringen, sind einige vorläufige Bemerkungen er- forderlich. n Wäre der Gang der Ermüdung ein gleichmässig fortschrei- tender, so erhielte man die durch jeden einzelnen Versuch ge- setzte Ermüdungsverlängerung, welche ich im Nachstehenden mit » bezeichne, wenn: man von der Länge im letzten Versuche die im ersten abzöge und den Unterschied mit. der Zahl der zwischenliegenden Versuche dividirte. Im vorliegenden Falle wäre demnach Da auch im ersten Versuche die Ermüdung sich geltend macht, so 'erhält'man die Länge, welche ‘der Muskel im ersten Ver- suche, absträhirt von der Ermüdung, hat, wenn man’von der beobachteten Länge 2 den nun bekannten Werth‘ v' abzieht, im vorstehenden Falle 11 — 0,305 = 10,695 =4'. Nun müsste in Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 71 jedem Versuche die Länge des thätigen Muskels (unser A) sein —)'+n-o, wenn n die Ordnungszahl des Versuches bedeutet. Die Differenz An —()'+n-v) würde dann zeigen, in welchem Maasse der Fortschritt der Ermüdung in der Zeit von dem vor- ausgesetzten gleichmässigen Förtschritte abweicht. Beispiels- weise würde die Abweichung im 20. Versuche betragen: 16,2 — (10,695 + 20 - 0,306) = 16,2 — 16,795 = - 0,595. oder 16195 Tg. — 0,595 28 mässigem Fortgange der Ermüdung hätte haben müssen. Das negative Vorzeichen des Unterschiedes besagt, dass die beob- achtete Länge mit Rücksicht auf die supponirte Gleichmässig- ‚keit der Ermüdung zu klein sei; 'selbstverständlich ‘würde nun ein positives Vorzeichen eine in gleichem Sinne zu grosse Länge ‚des Muskels erweisen, Nicht unbeachtet "bleibe, dass das Vorzeichen des Unter- schiedes über den Gang der Abweichungen entscheidet, d. h: darüber, ob die Werthe v, welche der Voraussetzung zufolge constant sein sollten, im Laufe der Zeit wachsen (beschleunigte Ermüdung), oder im Gegentheil abnehmen (verlangsamte Er: müdung). Offenbar beweist das positive Vorzeichen eine verlangsamte, das negative eine beschleunigte Ermüdung. ‘Wenn man auf die Abseissenlinie der Versuche die Ordinaten n- » aufträgt, so wird der Gang der Ermüdung, vorausgesetzt, dass die Ermü- dung gleichmässig fortschreitet, durch eine gerade Linie reprä- sentirt: Ist dagegen das Fortschreiten kein’ gleichmässiges, so muss sich die gerade Linie in eine kramme verwandeln. Sind die beobachteten Ordinaten zu gross, s6 wird die Curve des Ermüdungsfortschrittes ihre Concavität der Abseissenlinie zu- wenden, und hiermit eine retardirte Ermüdung beweisen; sind dagegen die beobachteten Ordinaten zu klein, s0 wird: die con- vexe Seite der Ermüdungscurve der Abseissenlinie zugewendet sein und den Beweis einer accelerirten Ermüdung bieten. Das eben erörterte Rechnungsverfahren verfolgt also den Gang der Ermüdung ‘von’ einem Versuche zum anderen und zeigt einerseits die Grösse der Abweichung desselben von der geraden Linie für jeden einzelnen Versuch, während sie ande- rjenigen Länge, welche der Muskel bei gleich- 712 A. W. Volkmann: rerseits auch darüber, ob_ die. Werthe v. wachsen oder abneh- men, Aufschluss giebt. Zu ganz ähnlichen Ergebnissen. führt, das Web.er’sche Ausgleichungsverfahren , ‚nur dass ‘es die, Ermüdung nicht von einem Versuche zum anderen verfolgt, sondern Mittelwerthe für zwei correspondirende, Beobachtungen erzielt. Unter correspondenten, ‚Versuchen werden hier und im Folgenden solche verstanden, welche gleichweit, respective vor und hinter demjenigen Versuche liegen, auf dessen Ermüdungs- grad sie durch die Ausgleichung redueirt werden. Wo die Betrachtung ‚solcher aus correspondenten Versuchen entnom- menen Mittelwerthe ausreicht, verfährt man in folgender Weise. Man notirt die Versuche in der Reihenfolge, wie sie ge- macht worden, vom ersten bis zum mittelsten in einer :horizon- talen Linie von links nach rechts, (dagegen von dem Versuche, welcher dem mittelsten folgt, bis zum letzten, in. einer hori- zontalen Linie von rechts nach’ links, und zwar in der Weise, dass die correspondenten Versuche unter einander zu stehen kommen, Addirt man hierauf die Correspondenten und: divi- dirt mit 2, so erhält man (die arithmetischen Mittel, welche in Versuchen mit einem unbelasteten Muskel nicht nur unter sich, sondern auch dem Werthe des mittleren: Versuches gleich‘ sein müssten, wenn die Ermüdung eine gleiehmässig fortschreitende gewesen wäre und eben deshalb einssolches Ausgleichungsver- fahren gestattet hätte, Ist die Ermüdung keine gleichmässige, und wird der Gang derselben statt durch eine gerade Linie durch. eine krumme 're- präsentirt, so wird das arithmetische Mittel des ersten und letz- ten: Versuches (dasselbe mag Grenzfall heissen): weder 'den übrigen 'arithmetischen Mitteln, noch ‚auch dem Werthe'.des mittleren Versuches (er heisse der Mittelfall) gleichen. Viel- mehr werden die arithmetischen Mittel vom Grenzfalle. gegen den Mittelfall 'hinwärts abnehmen, wenn ‚der Gang der Er- müdung, ein beschleunigter ist, umgekehrt zunehmien, wenn er ein verlangsamter ist, wie aus dem, was über die Bedeutung der entgegengesetzten Krümmung der Ermüdungscurve bemerkt wurde, leicht ableitbar ist. "Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 713 Ich werde nun den Gang, der Ermüdung in der ersten Ver- suehsreihe mit Hülfe des eben erwähnten Ausgleichungsverfah- rens untersuchen, und werde, wie das Weber gethan, die Aus- gleichung der Ermüdung auf 11 hinter einander angestellte Versuche anwenden. Selbstverständlich erhält man, abgesehen von dem Werthe des Mittelfalles, 5 arithmetische Mittel, welche ich in der Reihenfolge vom Grenzfalle zum. Mittelfalle mit «a, b, c, d, e bezeichne, während der Mittelfall selbst mit f no- tirt wird. Für jeden solchen Complex von 6 Fällen ist der Mittelfall derjenige, welcher die Ermüdungsstufe angiebt, auf welche sämmtliche zugehörige Versuche der Theorie nach reducirt sein würden, und ist daher in der ersten Columne der Tabelle die Ermüdungsstufe mit der Ordnungszahl des Versuches, welcher den Mittelfall abgfebt, bezeichnet worden. Gang der Ermüdung in Versuehsreihel. nach Berechnung der arithmetischen Mittel aus den correspon- denten Versuchen. rer erregt, ®e # ya Anderen, Sultan, [, Ermü lungs- 5 stufe 1 b @ | A £ / - Pe er ee a r A en 6 800 | 11,95 | 11,95 11,8 11,85 | 11,9 1 13,1 113,0 12,9 13.0130 | 13,0 I 16, .| 1898 |1.14,75 | 14,6 14,45. | 14,350] 14,3 2.» 16,9 16,75 16,75 16,75. | 16,75 | 16,9 "26 192.1, 19,25 19,25 19,35 19,35 | 19,5 a 21,1 21,2 21,35 21,4 1215. | 21,5 36 22,35 22,45 22,55 22,6 | 22,65 | 22,7 Aus dieser Tabelle ergiebt sich Folgendes: 1) Der Werth » ist nicht constant, sondern wächst bis zu Ermüdungsstufe 21 und erfährt von da ab wieder eine Ab- nahme, A 2) Die Veränderungen des Werthes » sind so geringfügig, dass die Außgleichung der Ermüdung, wenn sie sich auf 11 Versuche beschränkt, im Allgemeinen keine erheblichen Irrun- gen veranlasst, 3) Die Uebereinstimmung der "arithmetischen Mittel unter sich steht im umgekehrten Verhältnisse zur Zahl der Versuche, 714 A. W. Volkmann: auf welche das Ausgleichungsverfahren angewandt wird. Ich zeigte oben, dass, wenn die Ausgleichung auf sämmtliehe 41 Fälle ausgedehnt wird, eine Abweichung = 5 vorkommt. Be- en... schränkt man (die Ausgleichung auf 11 Fälle, so ist: beispiels- weise-auf der 2. Ermüdungsstufe die Abweichung = 13,1 - 13,0 0515 also im Verhältniss zur Muskellänge 2a 4) Die durch das Ausgleichungsverfahren hergestellten Mus- kellängen entsprechen der theoretisch geforderten und durch den. Grenzfall gegebenen Länge um so weniger, je mehr sich das alphabetische Zeichen, unter welchem sie ‚notirt sind, von a, als dem Zeichen des Grenzfalles, entfernt. Um dies in einem Beispiele zu zeigen, will ich für Ermü-- dungsstufe 16 die Differenz der beobachteten Längen von der des Grenzfalles berechnen und in ihrem Verhältniss zu letz- terem angeben. Der relative Fehler ist dann für die gegebenen 6 Fälle: a b c d e f Fehler: 0,0 0,0134 0,0234 0,0334 0,0401 0,0435 Dieses Anwachsen des Fehlers nach dem Mittelfalle (f) hin- wärts hat nichts Auffallendes, da der Gang der Ermüdung durch eine Curve repräsentirt wird. Denn da die Endpunkte dieser Curve in die beiden Grenzversuche fallen, so ist nichts einfacher, ‘als dass ihre grösste Abweichung von der zwi- sehen denselben Versuchen gedachten Geraden in der Mitte bei- der liege. 5) Die nach geschehener Ausgleichung verbleibenden ‚Un- gleichheiten der Ermüdung sind je nach den Ermüdungsstufen von verschiedener Grösse. Die Thatsache ergiebt sich aus der Betrachtung der Tabelle unmittelbar. Anlangend den Grund dieses Verhaltens, so liegt er indem Umstande, dass die.Werthe v, Anfangs wachsen und nochmals abnehmen. ‚Entuimmt man die zur Ausgleichung dienenden Versuche aus dem Theile der Reihe, wo die aceelerirte Ermüdung in die retardirte; übergeht, und benutzt den Versuch, in ‚welchem der Uebergang erfolgt, zum Mittelfalle, ‚d.h, zur Bestimmung der Ermüdungsstufe, so Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 715 ist diese Anordnung für die Gleichheit der arithmetischen Mittel die möglichst günstige. Die Versuche vor dem Mittel- falle geben zu ‘kleine, die nach demselben zu grosse Werthe r die geforderten Muskellängen, und in den arithmetischen itteln heben sich die entgegengesetzten Fehler. Hierauf be- ruht es, dass auf der Ermüdungsstufe des 21. Versuches, welche dem Wendepunkte der Ermüdungscurve entspricht, die sämmt- lichen Muskellängen fast gleiche‘ Werthe haben. Ueber Versuche, bei welchen ich den unbelasteten Muskel durch Inductionsschläge reizte, will ich nur summarisch be- richten. ER In einer Reihe von 170 Versuchen verlängerte sich der Hyoglossus des Frosches, und ‚zwar unser Werth A, nur um 4,5 Millim., und ist demnach » = 0,027. ‚Diese Ermüdungszu- wüchse sind im Verhältniss zur Länge des thätigen Muskels (im vorliegenden Falle =41 Millim.) so klein, dass sie bei einer Versuchsreihe von 11 Fällen nicht in Betracht kommen kön- nen, und also die Anwendung des Ausgleichungsverfahrens vollständig rechtfertigen, wenn nicht von anderen Seiten her Schwierigkeiten. entstehen; Anlangend den Grund, warum Versuche mit Inductions- schlägen der Anwendung des Ausgleiehungsverfahrens so viel günstiger sind als Versuche an tetanisirten Muskeln, so beruht derselbe auf zwei Umständen. Die Ermüdungsverlängerung v kann als eine zweigliederige Grösse betrachtet werden, Das eine Glied ist constant, das andere variabel, und ist daher letz- teres nur ein Bruchtheil von v. Wird » wegen der Impo- tenz der Ermüdungsursachen sehr klein, wie dies bei Anwendung von Inductionsschlägen der Fall ist, so wird das variable Glied noch kleiner. Da nun die Ausgleichung nur in dem variablen Gliede von » ein Hinderniss findet, so muss sie auf Versuche, welche mit Anwendung von Inductionsschlägen gewonnen «wurden, in weitem Umfange anwendbar sein. — Hierzu kommt zweitens, dass die 'erforderliche Constanz von ® durch die Beständigkeit der Ermüdungsursachen bedingt ist. Wenn man einen Muskel durch Inductionsschläge reizt, so geht 716 A. W. Volkmann; die Ermüdungsursache eben nur von einem Schlage aus; wenn man dagegen tetanisirt, so ist die Ermüdungsursache in einer sehr grossen, aber schwerlich jemals gleichen Anzahl von Schlä- gen zu suchen. wi. . Ich gehe nun zur Untersuchung des Ermüdungsganges in belasteten Muskeln über. Versuchsreihe II. Zum Versuche wurde ein Zungenmuskel von 28 Millim. Länge benutzt. Die Belastung war constant 10 Grm. Dieses Gewicht ist während der Ruhe des Muskels nicht unterstützt (a Methode) und expandirt daher den Muskel weit über seine natürliche Länge. Jede Reizung des tetanisirten Muskels dauert 3,75”, jede Pause 62,5’. | Muskellänge Muskellänge Versuch ruhend thätig Versuch rubend thätig Mm. Mm. Mm. Mm, 1 | 403 Fo 164 | 17 43,0 41,5 2 40,7 17,75 ,\| 18 43,2 41,85 3 4,0 | 19,0 19 43,2 42,2 4 41,1 20,2 20 Pragig |. mag 5 41,2 21,6. .| 21 | -43,35 42,45 6 UNE BR. I 22 43,55 42,6 7 a1, 124,8 || 23 | 48,5 42,7 8 41,35,,..1.127,25 24 43,6 42,75 9 41,5 29,7 25 | 43,65 42,95 10 41,55 32,15 26 43,7 43,0 11 41,7 34,3 27 43,8 Bang 12 41,95 36,3 | 28 \ 43,8 43,15 13 42,1 38,15 29 43,8 43,2 14 42,5 39,5 30 |,1 48,8 43,25 15 42,5 40,5 31 43,85 43,3 16 42,8 41,0 | Um den Gang der Ermüdung in dieser Versuchsreihe klar zu machen, werde ich wieder das Ausgleichungsverfahren an- wenden, und auch wieder 11 Versuche auf eine Ermüdungs- stufe bringen. u Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 717 Gang der Ermüdung in Versuchsreihe II. Ermädungs- ce | b | & | d | . f stufe 6 25,35 24,95 24,35 23,73.:| 23,2. | 23,1 11 32,05 32,65 33,38 33,93 | 34,23 | 34,3 16 38,38 39,3 +0,18 40,68 | 41,0 | 41,0 21 42,0 42,23 42,30 | 42,45 | 42,45 142,45 26 42,88 42,98 42,95 42,95 | 43,03 | 43,0 Diese Tabelle lehrt, dass der Fortschritt der belasteten Muskel denselben Gesetzen folgt wie im unbelaste- ten, Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Ermü- dung im belasteten Muskel viel schneller fortschreitet. Dies hatten schon die am Kymographion gezogenen Schraubenlinien bewiesen. j Ermüdung im Indem nun die Ermüdung viel schnellere Fortschritte macht, müssen auch die Ungleichheiten ihres Fortschrittes schon in einer geringen Anzahl von Versuchen merklich werden, oder was dasselbe sagt, sie müssen bei derselben Anzahl von Ver- suchen eine Ausgleichung der Ermüdungseffecte unsicherer machen, > Ich habe oben für den unbelasteten Muskel, und zwar für die Ermüdungsstufe des 16. Versuches gezeigt, in welchem Maasse die angeblich ausgeglichenen Ermüdungen von einander abweichen und habe das Verhältniss der Differenz zu der Länge des Muskels ini Grenzfalle berechnet. Im Nachstehenden habe ich dasselbe für die Ermüdungsstufe des 16. Versuches der zweiten Versuchsreihe getlian. Die relativen Fehler für die bezüglichen 6 Fälle sind: \ a b c d e [ Fehler: 0,0 0,024 0,047 0,060 0,068 . 0,068 Man kommt also schon auf Fehler von fast 7pCt. und würde bei Anwendung schwererer Gewichte auf noch grössere kommen. Die geringere Anwendbarkeit des Ausgleichungsverfahrens auf Versuche an belasteten Muskeln scheint, abgesehen von der rascheren Ermüduug noch einen zweiten Grund zu haben, 718 A..W, Volkmann; Wenn man Versuche an einem und demselben Muskel so an- stellt, dass man ihn abwechselnd belastet und. entlastet, so ver- mindern sich die Contractionen des belasteten Muskels rascher, als die des unbelasteten, oder mit anderen Worten: die Ermü- dungsverlängerungen des belasteten Muskels wachsen schneller - als die des unbelasteten. In einer nach diesem Prineipe aus- geführten Versuchsreihe hatte sich der Muskel im 23. Versuche, in welchem er belastet war, um 13,2 Mm. verlängert, im 24. Versuche dagegen, in welchem er unbelastet war, nur um 2,95 Mm. Es war also die Summe der Ermüdungsverlängerungen im 24. Versuche über 4mal kleiner als im 23., woraus erhellt, dass ein Theil der Längenzuwüchse: sich auf die Fälle der Belastung beschränkt, während ein anderer Theil derselben auf die nach- folgenden Versuche, welche am unbelasteten Muskel angestellt werden, übergeht. | Hiernach ist © im belasteten Muskel. eine zweigliederige | Grösse =e-+d, und kann die Ausgleichung ‚der Ermüdung nur | dann gelingen, wenn beide Glieder wie die Ordnungszahlen | der Versuche wachsen. Die Erfüllung dieser Bedingung ist | bei der wesentliehen Verschiedenheit beider Glieder nicht vor- auszusetzen. Nach Weber’s Ansicht ist der Theil der Ermüdungsver- längerung, weleher sich auf die Belastungsfälle beschränkt und welchen ich im Folgenden mit d bezeichne, als ein von ‚der Abnahme der elastischen Kräfte bedingter Dehnungszuwachs zu betrachten, Bestätigt sich diese ziemlich wahrscheinliche | Hypothese, so ist ein gleichmässiges, den Ordnungszahlen der Yerspehe proportionales Anwachsen der d, Werthe um so, we- niger annehmbar. Auch am belasteten Muskel bestätigt sich übrigens die Er- fahrung, dass die Ausgleichung ‚der Ermüdungsdifferenzen, un- gleich. vollständiger gelinge, wenn man statt'zu tetanisiren, ‚ein- fache Inductionsschläge zum Reizen. verwendet. Die Längen eines mit 6 Gramm belasteten Zungenmuskels wuchsen ‚bei, die- ser Art zu reizen von Versuch 11—21 wie folgt: 25,85. 25,80. 26,00 ..26,00 .,,.26,00,.,126,05. ..1,25,90 25,95. 26,00.,.,26,00,..,.26,05. Mm; Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 719 ‚Es waren ‚also die Längenzuwüchse: in, den, einzelnen, Ver- suchen kleiner, als die von dem Experimentalverfahren abhän- gigen Fehler. Redueirt man ‚die vorstehenden 11 Versuche auf die Ermüdungsstufe des 16., so erhält man folgende 6 Fälle: a b e d- e f 25,95 25,90 26,00 25,98 25,95 26,05 Mm. Das Resultat der Ausgleichung ist also ein höchst befriedigendes. Ich werde erst weiter unten den Beweis führen‘ können, dass die Ausgleichung der Muskelermüdung; von d aus mehr be- hindert wird, als; von e aus, und, will: mich jetzt der Frage zuwenden, wie der Gang der Ermüdung von den Ermüdungs- ursachen abhänge. Auch, hier wird vorläufig nur, von der Ermüdung gehan- delt, welche sich durch Verlängerung des thätigen, Muskels zu erkennen giebt. So wenig es vor der Hand, möglich ist, die Ermüdungsver- längerungen ‚als bestimmte Funetionen bestimmter Ursachen darzustellen, so ist doch im Allgemeinen einleuchtend, dass mit dem Anwachsen der ursächliehen Momente auch die von ihnen bewirkten Verlängerungen irgend welche Zunahme erfahren müssen, womit denn weiter zusammenhängt, dass jede Verän- derung in den Ermüdungsursachen eine Schwankung der Werthe e und d zur Folge haben müsse, Yon dieser einfachen Betrachtung ausgehend, scheint es mir, dass in Versuchsreihen, wo man mit verschiedenen Belastun- gen arbeitet, ein derartiges Combiniren der Versuche, wie es Weber zum Ausgleichen der Ermüdung vorgeschlagen, nur wenig Aussicht auf Erfolg habe, Unstreitig ermüdet eine grös- sere Last den Muskel mehr, ‚als eine, kleinere, und inwiefern die Ermüdung sich in einer Verlängerung des thätigen Muskels ausspricht, darf angenommen. werden, dass v mit der Belastung wachse. Ist nun beim Wechsel der Belastung ein Sichgleich- bleiben der Werthe v von vorn herein unmöglich, ‚so ist auch die Anwendbarkeit der Ausgleichung, insofern sie die Coustanz derselben voraussetzt, principiell unzulässig. Zwar kann die Ausgleichung der Ermüdung auch unter diesen Umständen zu brauchbaren Approximationen führen, aber ihr Gelingen ist 720 A. W. Volkmann: nur ein Zufälliges und hängt von dem nie vorauszusetzenden Glücksfalle ab, dass die Variation der Gewichte die Werthe v zu wenig ändert, um die Ausgleichung, die man bezweckt, wesentlich zu stören. Ich will den Einfluss, welchen das Verändern der Belastung auf den Gang der Ermüdung und weiter auf die Resultate des Ausgleichungsverfahrens hat, zunächst allgemein darstellen. Sei die Vergrösserung, welche die natürliche Länge eines thätigen aber unbelasteten Muskels durch je einen Versuch er- leidet, =e, und die eines mit p belasteten Muskels=e+ e'. Seien ferner drei Versuche gegeben, von welchen der erste und dritte ohne Belastung des Muskels, der zweite mit p Be- lastung ausgeführt wurde. Unter diesen Umständen wird Fol- gendes stattfinden, Im ersten Versuche hat der thätige Muskel eine Länge, welche durch die aus der Contraction resultirende Ermüdung bereits um e verlängert ist. Zieht man e von der durch die Beobachtung gegebenen Länge } ab, so bleibt die Länge 4 übrig, als diejenige, welche der Muskel haben würde, wenn er durch den Versuch selbst nicht verlängert worden wäre. Im zweiten Versuche hat der Muskel von vorn herein die Länge i'+e, denn .' als die ursprüngliche Länge des thätigen Muskels kommt ihm schlechthin zu, und e ist die von dem vor- hergegangenen Versuche zurückgebliebene Verlängerung. Aber weiter bewirkt p die Ermüdungsverlängerung e + e', folglich ist die Summe seiner Länge =)'+2e+e'+D, wenn D die von dem Gewicht abhängige Dehnung bedeutet. Im dritten Versuche beginnt der Muskel mit der Länge 1412e+e'. Denn nur die von dem Gewichte abhängige Deh- nung D kann mit der Entlastung in Wegfall kommen und nieht der von p bewirkte Ermüdungseflfect e+e‘. Aber der dritte Versuch wird auch seinerseits einen Ermüdungseffect e hervor- bringen, und folglich erhält man als Länge des thätigen Mus- kels #'+3e+ e'. Nun ist das arithmetische Mittel aus Versuch 1 und 3 e' Bi . 2% A . 7 ‘ 8 “, £ u — 14 4 +2e-+, während die Länge im zweiten Versuche = 2'+ 2e Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 721 +e'+D ist. Man sieht hieraus, dass die Ermüdung nicht aus- geglichen ist, vielmehr ist der Grenzfall (das arithmetische Mittel aus dem ersten und letzten V-ersuche) um 5 weniger ermüdet, als der Mittelfall. Auch erhält man durch Subtraction des Grenzfalles vom Mittelfalle nicht D, wie Weber annimmt, sondern * 1 my Sen + 2e+e'+D-(1+2e+ -)=D+5 also einen zu grossen Dehnungswerth. Nach dieser allgemeinen Erörterung ist erstens durch Beob- achtungen zu erweisen, dass der Werth e,mit der Belastung wächst, und‘zweitens zu ermitteln, ob die Veränderung, welche e unter dem Einflusse der Belastung erleidet, so unbedeutend ist, dass die Vernachlässigung des Gliedes = unbedenklich z scheine, Versuchsreihe III. Benutzt wird der Hyoglossus des Frosches von 30 Millim. Länge. Die Versuche werden nach der b Methode angestellt, d.h, ein unter dem Belastungsgewichte angebrachtes Tischehen verbindert, dass der Muskel je über das Maass seiner natürli- chen Länge ausgedehnt wird. Bei Reizung des Muskels wird während 3,75’ tetanisirt, und von einem Versuche zum an- deren 62,5” pausirt. In der nachstehenden Tabelle ist in der letzten Columne angegeben, wie viel der Muskel von einem Versuche zum an- deren an Länge zunimmt. Ist jedoch der Muskel belastet wor- den, s0 wird der bezügliche Versuch übersprungen, und der im Intervall zweier Versuche entstandene Längenzuwachs ange- geben. Man beachte, dass diese auf zwei Versuche. bezügliche Ermüdungsverlängerung überall grösser als 2e, d. h. um mehr als das Doppelte so gross als diejenige Verlängerung ist, die als Ermüdungseflect eines einzigen Versuches vorliegt. Reichert's u. du Bols-Reymond's Archiv. 1860. 47 122 A. W. Volkmann: Belastung Hubhöhe ln ' ? r Versuch Muskels. Differenz Grm, Mm, Mm. 1 f) 38,4 10,8 68 D) f) 37,8 11,1 SR 3 h) 37,5 11,25 ob 4 37,0 11,5 5 20 20,0 20,0 Ins 6 h) 34,1 12,95 7 0 33,9 13,05 Oo 8 N) 33,7-' 13,15 8, 9 0 33,4 13,3 10 20 7,5 26,25 Ioo 11 0 31,6 14,2 12 0 311 14,45 0,25 13 f) aD; 7is ala A 02 14 0 DU... 1488 = 15 5 15 22,5 Ions 16 f) I 17 0 28 We u 18 0 212, 3|. 164 So 0,2 19 0 268. |..166 » Versuchsreihe IV. Wiederum am Hyoglossus des Frosches von 30 Millim. Länge angestellt. Ueberhaupt sind die Bedingungen, unter welchen experimentirt worden, mit Ausnahme des Belastungs- gewichtes, dieselben, wie in der vorigen Reihe und bedürfen keiner speciellen Erwähnung, Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 123 Länge des HeRköb.: © Malen Differenz Mm. Mm. a an u 7 ea He Voas 2 0) 36,9 11,55 3 10 29,0 15,5 hie cc 0 33,6 13,2 da den 33 13,5 0,25 re 6 0) 32,5 13,75 0,35 "w 31,8 14,1 8 10 19 20,5 In: 9 0) 29,7 15,15 10° (0) 29 15,5 ee) 11 0 28 16 095 12 | 0 0 18,50 935 I Man sieht leicht, dass meine Versuchsreihen in der Weise geordnet sind, dass sich aus den gegebenen Werthen e der Ver- suche ohne Belastung der unbekannte Werth e’ eines Versu- ches mit Belastung mit grösster Approximation ableiten. lasse, Sei in drei auf einander folgenden Versuchen die Länge des Muskels =/, U +D,.', wo D eine; durch ein Belastungs- gewicht bewirkte Dehnung bedeutet. Sei ferner für den in der Mitte gelegenen, mit einem belasteten Muskel ausgeführten Ver- such zwar die Summe ’+D=L, nicht ‚aber der Werth ihrer beiden Glieder bekannt, so sind diese Werthe, ‚wenn e ange- geben, leicht zu bestimmen. Offenbar ist !! =!" —e, denn es muss dem zweiten Versuche diejenige Ermüdungsverlängerung fehlen, welche der dritte Versuch hervorgebracht hat. Nun ist D=L—l'-e). Selbstverständlich lässt sich /' nicht aus / nach der Formel =14 e ableiten, wenn, wie die Versuche beweisen, die Be- lastung des Muskels eine Vergrösserung des Werthes e bei- läufig um e' hervorbringt. Wohl aber lässt sich die im ersten Versuche gefundene Länge / zur Ableitung des unbekannten e' benutzen. 47* 724 A. W. Volkmann: Offenbar würde sein !"=/+2e, wenn die Belastung nicht einen neuen Zuschuss =e' zur Ermüdungsverlängerung herbei- geführt hätte. Dieser Zuschuss ergiebt sich durch die Sub- traction ! —(l+ 2e), denn offenbar ist !'=1+2e+e', wenn im zweiten Versuche in Folge der Belastung die Ermüdung e + e' für e entstanden. Ich will nun mit Benutzung der vierten Versuchsreihe un- tersuchen, welche Grösse e' annimmt. Da im Vorhergehenden schon gezeigt wurde, dass bei Anwendung des Ausgleichungs- verfahrens die Länge /' um 2 unterschätzt, und die Dehnung. D um © überschätzt wird, so ist der Nachweis des Werthes e' ausreichend zur Beurtheilung der Rechnungsfehler, welche mit eben diesem Verfahren entstehen müssen. Benutzen wir aus Versuchsreihe IV. die Versuche 2, 3, 4, in welchen /=11,55, L=!+D=15,5 und !'"=13,2, Nun sollte sein ’=1+2e=11,55 + 0,55 = 12,1 Mm., wo- bei zu bemerken, dass ich den Werth. e = 0° + %°° _ 0,275. Mm. angenommen habe, weil die Ermüdungszuschüsse vor der Be- lastung = 0,25, dagegen nach der Belastung = 0,3 sind. “= 13,2 ist durch Beobachtung gegeben, also ist 13,2 — 12,1 =1,1=e', wo e' das Plus der Ermüdungsverlängerung bezeich- net, welches in Folge der Belastung im zweiten Versuche pro- dueirt wird. Nun ist /' im zweiten Versuche =11,55 4 0,275 + 1,1 = 12,925. Also, da L=15,5, D= 15,5 — 12,925 = 2,57. Untersuchen wir jetzt, welche Werthe das Ausgleichungs- verfahren für ’/ und D liefert. Ihm zufolge wäre !'= =12,33 Mm. Da aber !' erwiesenermaassen -12,93, so ist es um 0,55 Mm. -5 unterschätzt. Führt nun die Ausgleichung auf !=12,38, so wäre, weil L-!=D, 15,5 12,38=3,12=D, Nun war aber die Dehnung =2,57 Mm,, und folglich ist die- selbe um 0,55= © überschätzt. Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 725 Der absolute Fehler = 0,55 Mm. giebt für die Länge des thätigen Muskels einen relativen Fehler von !/,, und für die Dehnung einen relativen Fehler von !/,. So grosse Abwei- chungen von den wahren Werthen würden bei Behandlung fei- nerer Fragen nicht vernachlässigt werden dürfen. Wie viel die Vermehrung der Belastung des Muskels den Werth e steigere, hängt einerseits von noch ganz dunkeln Ver- hältnissen der Reizbarkeit ab, andererseits von der Methode der Versuche. Die b Methode, bei welcher das Belastungsgewicht von unten her in der Weise unterstützt ist, dass der Muskel ine Verlängerung über sein natürliches Maass erfahren kann, bedingt kleinere Werthe für e‘ als die a Methode, bei welcher eine derartige Stütze fehlt. Als Beleg hierzu diene folgende Versuchsreihe, Versuchsreihe V. Die Länge des Hyoglossus beträgt 33 Millim., die Dauer des Reizes 3, die Dauer der Pause 50‘, das Belastungsgewicht constant 10 Gramm. Mit den Versuchsmethoden a und b wird ge- wechselt, wie inder Tabelle angegeben. Nennt man die von einem b Versuche ausgehende Ermüdungsverlängerung e und die durch einen a Versuch bedingte e+e', so ergiebt sich aus der Ver- suchsreihe e=0,625, e+e’=1,042 und 4'=19,375. Mit Hülfe dieser Werthe habe ich die in den letzten Columnen def’nach- stehenden Tabelle notirten Muskellängen berechnet. | Länge des Muskels Versuch | Karel, | ruhend thätig | berechnet | Mm. Mm. Mm. gr b "38 20,0 20,0 2 h b 1:=188, 20,65 20,63 3 b | 33 1,.12132 21,25 4 b Be I 21,76 21,88 5 a 38,5 22,65 22,92 6 b l.:.88,25. |: . 23,00 23,54 7 a |... 88,7 24,15 24,58 ß b 1! ' 88,15 24,5 25,21 9 \ a 38,8 26,0 26,25 10°.) b 18825 | 26,5 26,88 1 \ b | 33,0 | 27,5 27,5 726 A, W. Volkmann: Obschon die berechneten und beobachteten Muskellängen' von einander abweichen, so sind doch diese Abweichungen nieht grösser, als’ sie in einer Reihe‘ von 11 Versuchen am belasteten Muskeln gewöhnlich vorkommen, und bei der Veränderliehkeit der Werthe e und e‘ vorkommen müssen. Wenn. mit Rück- sieht hierauf die Uebereinstimmung, zwischen den berechneten und gefundenen Längen eine vollkommen befriedigende ist, s6 ergiebt sich aus der Differenz der in Rechnung gebrachten Er- miüdungsverlängerungen, dass diese bei Anwendung der a Me- thode weit mehr in’s Gewicht fallen, ‘als bei Anwendung ‚der b Methode.) sw Erinnert man sich 'nun, ‘dass die mit Hülfe‘.des Ausglei: chungsverfahrens berechneten Werthe ? und D um r vom Wahren abweichen, so sollte man meinen, dass dieses Verfah- ren bei Anwendung der a Methode zu’grossen Fehlern führen müsse. Dies ist: jedoch. nicht nothwendig der Fall, vielmehr tritt, häufig das Gegentheil ein, die Ausgleichung wird genauer, Der Grund dieses paradoxen Verhaltens liegt nicht in einem Vorzuge,, sondern ‚in einem Fehler der;a Methode. Dieselbe bedingt, wie schon bemerkt, eine Reckung des Muskels, und die’im. Uebermaass | verlängerten Fasern können, auch nach . Entfernung des Gewichtes, nicht sofort ihre natürliche Länge wiede? annehmen, Macht man, nach ‚dem: a Versuche ‚ein. Ex- periment am unbelasteten Muskel, so, nimmt dieser im Momente der Verkürzung eine Länge an, welche um d, d. h. um den Werth einer nachhaltigen Dehnung zu gross ist. Für: das Vorkommen solcher Dehnungsreste sprieht..ganz unwiderleglich der Umstand, dass auf den a Versuch sehr häufig eine negative Differenz folgt. Bedenkt man, dass die Diffe- renzen nichts anderes bedeuten, als den Längenüberschuss des mehr ermüdeten Muskels über den minder ermüdeten, so ist einleuchtend, dass eine negative Differenz, an sich unmöglich 1) Beiläufig bestätigt der hohe Werth von e+ e’ die vorwiegende Lünge der a Muskeln im Vergleich‘zu den b Muskeln, ein Vorkomm- niss, welches ich trotz Weber’s wiederholten Einsprüehen 7 ein in der Natur der Dinge begründetes erklären muss. Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 7127 ist, Als mir der negative Werth der Differenz zum ersten Male vorkam, hielt ich ihn für das Zeichen eines zufälligen Versuchsfehlers, und ieh habe im Verfolge meiner Untersuchung nieht unterlassen, diese allerdings mögliche Erklärung der Sache genau zu prüfen. Die negativen Differenzen sind nicht zufällige, sondern durch die Natur der a Methode bedingte Versuchsfehler. Dies beweisen folgende Umstände: 1) dass die negativen Differenzen nirgends sonst als unmittelbar hinter dem a Versuche vorkom- "men, hier aber sehr häufig; 2) dass die negativen Differenzen nach Anwendung grosser Belastungsgewichte am häufigsten auftreten; 3) dass die dem a Versuche folgenden Differenzen, auch wo sie positiv sind, das Vorhandensein einer nachhaltigen Dehnung durch ihre ganz aus der Reihe fallende Kleinheit und ihr allmähliges Wachsthum im Verlauf der Reihe, wo sie ab- nehmen sollten, zu beweisen pflegen. Ich will nun den Einfluss, welchen die nachhaltige Dehnung ö auf die Ausgleichung der Ermüdung ausübt, im Allgemeinen zei- gen. Seien drei Versuche gegeben, der. erste und dritte mit einem unbelasteten, der zweite mit einem belasteten Muskel, nach der a Methode angestellt. Dann wächst, unter Voraussetzung, dass die im zweiten Versuche entstandene Ueberdehnung nicht voll- ständig verschwunden, die Länge des thätigen Muskels wie folgt: Versuch 1. #+e Versuch 2. 4° +2e +€+D Versuch 3. 2 +3e+e'+0 Däs arithmetische Mittel aus Versuch 1 und 3 =?" + 2e+ e + 2. Der Rest, den man erhält, wenn man die durch das arith- metische Mittel gewonnene Länge. von der im zweiten Ver- suche gewonnenen abzieht und welcher der am Belastungsge- wichte hervorgebrachten Dehnung D auf der Ermüdungsstufe des zweiten Versuches gleichen soll, ist RE! ed 14 2e+e+D- (N +2e+5+5)=D+ 5-5 Es wird also ©, um 3 verkleinert, und wenn d=e', gänz- 728 A. W. Volkmann: lich beseitigt. Nach früher Erwiesenem ist aber © der Fehler, auf welchen man kommt, wenn man mit Hülfe der arithmeti- schen Mittel die Ermüdung auszugleichen sucht, und aus den so ausgeglichenen Längen die Dehnung berechnet. Hiermit bestätigt sich, dass ein Fehler der Versuchsmethode, specieller die um Jd gefälschte Länge des thätigen Muskels im dritten Versuche, dem Resultate der Ausgleichungsrechnung zu Gun- sten ausfallen kann. Die nachstehende Versuchsreihe giebt die Erläuterung zum Vorstehenden. Versuchsreihe VI. Benutzt wird ein Zungenmuskel des Frosches von 24 Mm. Länge. Tetanisirt während der Dauer von 5‘ und zwischen je zwei Versuchen pausirt 62,5. Bei Belastung des Muskels wird die a Methode in Anwendung genommen, 1 f Belastung Länge des thätigen | Versuch Muskels \ Differenz Mm. Mm. | 1 | f) 10,75 0,35 2 0 11,1 oh 3 f) 11,5 Re 4 f) | 11,75 nn 5 f) 11,95 N 5 6 f) 12,1 Be 7 h) 12,25 8 20 24,25 1,75 9 f) 14,0 10 () 13,95 — 0,05 11 0 14,0 0,05 12 f) 14,15 0,15 13 f) 14,4 0,25 14 f) 14,55 2,19 15 f) 14,75 920 a Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen, 729 Es sei gestattet, mit einer Kritik der Versuchsreihe zu be- ginnen. Die enorme Differenz zwischen Versuch 7 und 9 =1,75 beweist wieder, dass die Ermüdung in Folge der Belastung einen ansehnlichen Sprung gemacht, was im voraus einen ho- hen Werth e' andeutet. — Im Uebrigen zeigen die Differenzen der ersten 7 Versuche, dass die Ermüdung nur zwischen Ver- such 1 und 2 eine accelerirte war und von da ab bereits lang- sam abnimmt. Diese Abnahme erfolgt ziemlich regelmässig und hat niehts Anstössiges. Dagegen sind die Differenzen der zweiten Versuchshälfte, insofern sie wachsen, mit dem Ermü- dungsgesetze in Widerspruch. Die Zunahme der Differenzen ist das Zeichen einer accelerirten Ermüdung, und das Ermü- dungsgesetz besagt, dass die Acceleration der Ermüdung stets in die erste Hälfte der Versuchsreihe falle und dass die Retar- dation ihr folge. Die dem a Versuche folgenden Differenzen sind also un- zweifelhaft falsch, und folglich sind die Muskellängen, aus de- nen sie abgeleitet wurden, auch falsch, Ich nehme an, die Fälschung beruhe darauf, dass die im a Versuche entstandene gewaltsame Dehnung nicht sofort wieder verschwinde, sondern auch in den nächstfolgenden Versuchen mit einem gewissen Reste verbleibe, und folglich die Muskellängen um den Werth dieses Restes, unser d, vergrössere. Als Hauptbeweis für die Richtigkeit dieser Ansicht betrachte ich den Umstand, dass die Länge des thätigen Muskels in Versuch 9 eben so lang als in Versuch 11, und sogar länger als in Versuch 10 ist, da sie doch mit Rücksicht auf das Minus der Ermüdung kleiner, und wie sich aus der Betrachtung des vorliegenden Ermüdungs- ganges im Grossen und Ganzen ergiebt, merklich kleiner sein sollte. Gehen wir nach diesen Vorbemerkungen zur Berechnung der Dehnung über. Benutzt man zur Ausgleichung der Ermüdung die Versuche 7, 8, 9, so ist das arithmetische Mittel der Grenzversuche - 13,13, und würde dies die Länge sein, die dem Muskel auf der Ermüdungsstufe des 8. Versuches zukäme, wenn er nicht 730 "A. W. Volkmann: belastet wäre. ‘Nun hat er aber in Folge der Belastung die Länge 24,25, und folglich ist 24,25 — 13,13 = 11,12 = D\, oder die von dem Belastungsgewicht=20 Gr. auf dieser Ermüdungs- stufe erzeugte Dehnung. Es soll 'nun geprüft werden, in wie weit diese nach We- ber’s Angabe berechnete Dehnung dem wahren Werthe ent- spreche. Ich will mit Rücksicht auf diejenigen, welche meine An- siehten über die /aus der a Methode entspringenden Versuchs- fehler nieht theilen sollten, zunächst die gefundenen Muskellängen als zuverlässig annehmen und mit diesen rechnen. Die nächste Aufgabe ist e' zu finden. Gegeben ist e=0,15 Mm; durch den Längenzuwachs von Versuch 5 bis 7. ‘Wäre der Ermüdungszuwachs durch die Belastung des Muskels' mit 20 Gramm nieht‘'erhöht worden, so müsste die Länge im 9. Versuche sein =4(7)+2e, wo } (7) dieim 7. Versuche gefun- dene Länge bedeutet,!) = 12,25 +0,3=12,55, Gefunden wurde 7(9) =14,0 Mm., also ist e' = 14,0 — 12,55 = 1,45 Mm. Nun -lässt sich die Länge berechnen, welche der Muskel im 8: Versuche haben müsste, wenn er nicht belastet wäre, denn dieselbe müsste sein =2(7)+ e+e'= 12,55 + 0,15 +1,45 = 13,85 Mm. Gefunden wurde A (8) = 24,25, folglich ist 24,25—13,85 = 10,40 =D‘, d, h. der wahre Werth der Dehnung in Versuch 8, vorausgesetzt, dass die empirischen Unterlagen der Rechnung richtig sind. Dann wäre D- D'=11,12 - 10,40 = 0,72 = 2. Der rela- tive, Fehler des mit Hülfe der arithmetischen Mittel berechne- ten. Werthes; von D betrüge dann '/j.. Ganz anders stellt sich dagegen die Rechnung, wenn. die in Beobachtung 9 und 10 gefundenen Längen unrichtig, ‚und zwar um den Werth eines vom a Versuche abhängigen. Deh- nungsrestes zu gross, sind. Die nächste Aufgabe ist wieder e' zu finden. Offenbar ist I) Analoger Weise bezeichne ich mit A (9) die im 9. Versuche ge- jundene Länge u... w. Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 731 der Längenunterschied zwischen der 11. und 5. Beobachtung won.der in 6 Versuchen‘ entstandenen Ermüdungsverlängerung abhängig, welche ihrerseits wieder von 5 Versuchen mit einem unbelasteten und einem belasteten Muskel abhängt. Daher 14,0— 11,95 =2,05=6e+ e' (Gl. 1.). In'entspreehender Weise ergiebt sich aus Versuch 7 und 11 2 14,0 —12,25 =1,75=4e + e' (Gl. II.): Aus diesen beiden Gleichungen entwickeit man e=0,15 und e'=1,15 Mm., wobei zunächst schon ganz interessant ist, dass der berechnete Werth e=0,15 derselbe ist, welcher sich aus den vor dem a Versuche angestellten ‘Versuchen durch Berechnung der Dif- ferenzen ergeben hatte; während er zu ‘den nach dem a Ver- suche gefundenen Differenzen, die ich für falsch und zwar für zu klein erkläre, nicht passt, sondern zu gross ist. Wir können, nachdem wir e und e’ ermittelt haben, die Längen sämmtlicher Versuche, von 5 bis 11, berechnen, und erhalten dadurch das Mittel, auch die Dehnung D zu be- stimmen. Es müssen nämlich sein die Muskellängen berechnet gefunden in Vers. 5.=4(5) = 11,95 ar: 6.=ifö)te = 121 12,1 „a4 1.=1(5)+2e = 19,35 12,25 map 8.=1()F4de+te+D" = 1355+D“ 24,95 „ia 9=.6)HtAkete4d = 137 +4 140 „an 10.=1(ö)45ete+d = 13,85+4 13,95 nn 11,=1 (5) + 6e +e = 14,0 14,0 Nun ergiebt sich aus den vorliegenden Gleichungen D" - 10,7 Mm., d=0,3 Mm. und 0’-0,1 Mm, Das Ausgleichungs- verfahren hatte gegeben: D=11,12 als Werth der Dehnung. Dieselbe, ist aber = D" = 10,7 und beträgt also der Unterschied D - D4= 11,12 — 10,7= 0,42 Mm. = £ Re : = 0,57 — 0,15:= 0,42 Mm. Dieser Unterschied ist der aus jenem Verfahren resulti- rende Rechnungsfehler, und verhält sich derselbe zur Grösse der wirklichen Dehnung D" wie aan 132 A, W. Volkmann: Der Fehler ist also, wenn die Beobachtungen durch eine nachhaltige Dehnung = J gefälscht sind, kleiner, als wenn sie richtig sind. Versuchsreihe VII, Der Versuch ist am Geniohyoideus des Frosches von 23 Mm. Länge ausgeführt. Das Tetanisiren bei Reizung des Muskels dauert 5, die Pause zwischen je zwei Versuchen 62,5”. Die Belastung ist nach ‚der a Methode ausgeführt. | Versuch Belastang aniolin | Differenz Er. | Mm. | 1 ) 6,35 | 06 2 N) 6,95 De 3 h) 7,35 nu 4 0 7,75 | 0,6 5 0 8,35 | 0,45 6 0 8,8 1 ..0,75 ; h) 9,55 u. 8 30 31,4 | 98 9 0 12,35 | 10 f) 12,5 915 1 0 | 12,75 @2b 12 {) 13,0 ws 13 f) 13,25 925 14 0) 13,5 25 L 2 135 0,30 16 30 33,8 16 17 0 15,35 18 0 15,15 Fe 19 () 15,3 520 20 0 15,5 RR 21 0 15,7 920 22 f) 15,95 0,25 23 () 16,25 ‚9,30 Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 733 Der Gang der Differenzen zeigt wie in der vorigen Reihe alle die Ungehörigkeiten, welche auf eine Fälschung der Mus- kellängen in Folge des a Versuches, und namentlich auf eine Verlängerung derselben hinweisen. Dass eine solche wirklich stattfinde, kann mit Hülfe des Ausgleichungsverfahrens selbst erwiesen werden. Wir wollen dasselbe auf die Versuche 5 bis 11 anwenden und die Resultate der Rechnung mit denen vergleichen, die sich ergeben, wenn man dieselben Versuche, also ebenfalls 5 bis 11, aus der ersten Versuchsreihe am unbelasteten Muskel ausgleicht. Ist nämlich richtig, wasich behaupte, dass die nach dem a Versuche beobachteten Muskelläugen durch eine nach- haltige Dehnung gefälscht und vergrössert sind, so muss die Ausgleichung in einer Versuchsreihe, in welcher ein a Versuch den Mittelfall abgiebt, merklich ungünstigere Resultate ergeben, als die Ausgleichung einer Versuchsreihe, in welcher die vom a Versuche ausgehenden Störungen nicht vorgekommen. Die Ausgleichung der 7 Versuche, vom 5. bis 11., giebt 4 vergleichbare Fälle, die ich für den unbelasteten Muskel (aus Versuchsreihe I.) mit a, b, c, d, für den belasteten (aus Ver- suchsreihe VIII.) mit «', b’, c’, d' bezeichne. Natürlich ist dann d’ der Fall, in welchem der a Versuch vorgenommen wurde, und c’ das arithmetische Mittel, welches den unmittel- bar nach dem a Versuche angestellten Versuch ineludirt. In- sofern nun gerade dieser Versuch am meisten gefälscht und die in demselben beobachtete Länge merklich vergrössert sein soll, muss c'-a' einen positiven Unterschied von erheblicher Grösse ergeben. Die Rechnung ergiebt folgende Werthe: A. für den unbelasteten Muskel a b c d 12,35 12,3 12,25 12,1 B. für den Muskel, welcher im 8. Versuche (unter d) ausnahmsweise belastet worden a' b' c' d’ 10,55 10,65 10,95 ° 31,4 Nun ist e=a= - 0,1; relativer Fehler = — En; und e' —a' 123 734 A. W. Volkmann: =0,4; relativer Fehler = 25 Ein Ergebniss, welehes die von mir aufgestellte Behauptung vollkommen bestätigt. Ich gehe nun zur Berechnung der Dehnung im 8. Ver- suche über. Bei Benutzung von Versuch 5 und 11 gewinnt man die Gleichung 12,75 - 8,35 =-44=6e + e! (Gl. 1); bei ‚Benutzung von Versuch 7 und 11 die Gleichung 12,75 — 9,55 =3,2=4e + e' (GL II). Aus diesen Gleichungen ergiebt sich zunächst e=0,6 und e=0,8. Mit Hülfe dieser Werthe sind dann in oben erörterter Weise sowohl die Dehnung D’ als die nachhaltige Dehnung d zu ent- wickeln und ergiebt sich D’= 20,45 und d=0,8. Nun habe ich oben erwiesen, dass die mit Hülfe des Aus- gleichungsverfahrens berechnete Dehnung D, wenn eine nach- haltige Dehnung d sich geltend macht, um ent vom wirk- lichen Werthe abweicht, und dass also, wenn e'=0, eine Ab- weichung nicht stattfinden, also D-D' sein werde. Im vor- liegenden Falle ist aber e -d=0,8. Berechnen wir mit Hülfe des Ausgleichungsverfahrens die Dehnung aus Versuch 7, 8, 9, so ist das arithmetische Mittel der Grenzversuche = 10,95, und weil die Länge in Versuch 8 = 31,4Mm., ist D = 31,4 — 10,95 =W,45-D. — Anlangend die Dehnung in Versuch 16, so ergeben sich aus Benutzung der Versuche 13 und 19 einerseits und 15 und 19 andererseits die Gleichungen 2,05 =6e+e' (Gl. I.) 1,5 =4e+e' (Gl. I.) wonach e=0,275 und e'=0,4, und weiter D'= 19,325, dagegen d = 0,6. Nach allem Vorausgehenden muss nun das Ausgleichungs- verfahren für die, Dehnung, ‚den Werth D+&-8 ergeben, und da -3-- 0,1, muss,D um .0,1 kleiner ausfallen’ als D', wie sich beim Nachrechnen bestätigt. Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 7135 Es ist wohl überflüssig, die Beispiele zu häufen, obschon ich dazu die Mittel besitze; dagegen scheint es angemessen zu bemerken, dass ich das von mir angewandte Rechnungsver- fahren nicht für ein absolut richtiges ausgebe. Dies kann es schon darum nicht sein, weil es von der Voraussetzung aus- geht, dass innerhalb der Grenzen von 11 auf einander folgen- den Versuchen die Ermüdung wie die Ordnungszahlen der Ver- suche wachse. Diese Voraussetzung ist nicht ganz genau. Da indess unter den 11 in Anwendung genommenen Versuchen 10 am unbelasteten Muskel ausgeführt sind, so kann die Un- zulässigkeit der Voraussetzung nur ausserordentlich unbedeu- tende Fehler bedingen, und wohl zu merken nur Fehler, welche bei dem Ausgleichungsverfahren, insofern es. von derselben Voraussetzung ausgeht, in gleicher Grösse auftreten. Mit Rück- sicht hierauf wird das von mir vorgeschlagene Rechnungsver- fahren immerhin die Bedeutung einer Controle der von Weber unternommenen Ausgleichung behalten. Eine zweite, wohl ebenfalls unbedeutende, Fehlerquelle liegt in dem Umstande, dass ich den letzten von mir in Rechnung gebrachten Versuch als einen vom Einflusse der nachhaltigen ku betrachte. Diese Annahme könnte un- ter Umständen unrichtig sein. Nach allem Vorausgegangenen ist leicht: zu übersehen, wel- chen Verlauf die Ermüdung nehmen müsse, wenn wir das Be- lastungsgewicht statt einmal mehrere Male wechseln. Offenbar muss mit jeder Vermehrung des Belastungsgewichtes die Er- müdungsverlängerung einen Zuwachs ‚erhalten, und immer wird die ganze Summe der zum Gliede e gehörigen Verlängerungen, welche frühere Versuche bewirkten, auf den nächstfolgenden Versuch übergehen. Nehmen wir an, es werde mit drei Gewichten operirt, mit P p', p'', von welchen p' >p und p"—p'. — Sei die von p bedingte Verlängerung jedes Versuchs = e, die von p' bedingte #etel und die von p=e+ e' + e"., Nehmen wir ferner an, es seien 5 Versuche gegeben, in welchen die Versuche nach der Weber’schen Vorschrift geordnet sind, so wird, wenn 4 736 A: W. Volkmann: die Länge des thätigen Muskels, abstrahirt von jeder Ermü- dung, bedeutet, die Veränderung der Muskellängen in nachste- hender Weise erfolgen. L Versuch Belastung Muskellänge 1 p Le 2 p' M+2e+e' 3 p" 2 +5e-+2e'+e" 4 p' 2 +4e+3e! + e!' 5 p 2" +de + 3e'+ e" Von den durch die verschiedenen Belastungsgewichte bewirkten Dehnungen ist in dieser Darstellung vorläufig abgesehen wor- den. Unterwirft man die vorstehenden 5 Versuche dem Aus- gleichungsverfahren, so erhält man die 3 folgenden arithmeti- schen Mittel: a b c Bet le + Be+2e'+S 3e+2e+e. Hieraus ergiebt sich, dass die arithmetischen Mittel sich nicht auf derselben Ermüdungsstufe befinden, denn es ist b-a=+e' ce—b=ze" c—-a=4e' ++. d. h. je stärker der Muskel belastet war, um so mehr ist er ermüdet, trotz der Ausgleichung. 2 Ich werde nun eine Versuchsreihe mittheilen, welche die Richtigkeit dieser Behauptungen nachweist. Versuchsreihe VII. Benutzt wurde der Geniohyoideus des Frosches von 25Mm. Länge. Die Dauer der Reizung beträgt 3,75’, die Dauer der Pausen 62,5“. Als Belastungsgewichte dienen 0 Gr., 4 Gr., 8 Gr., und werden dieselben nach Erforderniss der b Methode gestützt. Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 7137 i j "Länge des Muskels I T Belastun während der | n2e 0 Versuch rpnrigkeit , Differenz Gr. Mm. | u | 1 | 0 12,85 | Na 2 0 13,00 Hi, 3 \ 0 13,2 is | | an 0,35 4 | 0 13,55 | 5 | 4 18,2 | 1,45 6 | 0 15,0 Pr "0,40 7 | 0 15,4 Lues | E 0,30 £ | s Je | 0,45 ad! 0 | 16,1 tan’ no) 8 2408| r,.211:70 11 If 0 17,85 Ray ee | ar ti | Mn, 13 | 0 18,55 | 2 | "00,30 14 0 18,85 | 15 4 24,9 In.Pri 6 | 0 20,25 il an zn! 0 | 20,75 aärg'ah Mrs | 0 20,95 boumne, DB} 19 | 6 21,00 | , | Um nun zu zeigen, dass sich die Längen der Muskeln nach der oben angegebenen Gesetzlichkeit verändern, sind vor Allem die Werthe ä', e, e' und e” zu suchen, wo A' wieder die Länge des Muskels 'vor aller Ermüdung bedeutet. Es ergiebt sich e aus der Columne der Differenzen. Wenn man sämmtliche Differenzen, mit Ausnahme derer, welche sich auf ein doppeltes Interwall beziehen, und welche den Einfluss der Belastung kenntlich machen, addirt, und die erhaltene Summe mit der Zahl der bezüglichen Versuche dividirt, so er- bält man e, d.h. die Verlängerung, welche der unbelastete thä- tige Muskel in Folge der Anstrengung eines Versuches erlitten hat. Die Summe der Differenzen ist 3,6 Mm., die Zahl der zu- gehörigen Versuche 12, also e= 0,3. Keicherts u, du Bols-Koymond's Archiv. 1860, | 45 738 A. W. Volkmann: Mit diesem Werthe findet man e’ + e' aus Versuch 6 und 14. Es ist 18,85 — 15 =3,85 =8e + e' + e" 1,45=e+e" (Gl, I.) Ferner nach Versuch 1 und 19 21— 12,85 =18e+3e'+ e" 2,79=3e'+e'! (Gl. 11.). Durch Subtraetion der ersten Gleichung von der zweiten 1,3 = 2e! e' = 0,65 Mm. und daher aus Gleichung ]., wenn man den nun bekannten Werth für e’ einführt, e' = 0,38 Mm. Endlich ist 4'= 12,85 — 0,5 = 12,55. Soll nun die Länge des thätigen Muskels im nten Versuche, und zwar abgesehen von einer etwa vorhandenen Dehnung, berechnet werden, so findet man dieselbe mit Hülfe der Formel ı.(n) =)" +ne + n!e! + n!!e! wo n. die Ordnungszahl des in Frage gestellten Versuchs, da- gegen n' und n‘ die Zahl der Fälle bezeichnet, in welchen der Muskel mit p‘, respective p'‘, belastet gewesen. In der nachstehenden Tabelle sind die berechneten und gefunde- nen Werthe neben einander gestellt, auch dieDehnung angegeben. Länge des Muskels f ‚ Dehnung Versuch berechnet gefunden Mm. Mm, Mm. 1 12,85 | 12,85 _ 2 13,15 | 13,0 _ 3 13,45 | 13,2 — 4 13,75 | 13,55 ar 5 14,70 | 18,2 3,50 6 15,00 15,00 — 7 15,30 15,40 _ 8 15,60 15,7 — ) 15,90 16,15 7 10 17,65 24,65 7,0 11 17,95 17,85 = 12 18,25 18,20 = 13 18,55 18,55 _ 14 18,85 18,85 _ 15 19,80 24,9 5,1 16 20,10 20,25 er 17 20,40 20,75 == 18 20,70 20,95 _ 19 21,00 21,00 = Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 739 Die berechneten. Längen sind also den gefundenen nicht vollkommen gleich, aber die kleinen Differenzen beruhen aus- schliesslich darauf, dass wir beim Rechnen e als constant =(0,3 annehmen, während es in geringem Grade variabel ist. Man vergleiche die Summe der wirkliehen Ermüdungsverlän- gerungen, welche ein Muskel im nten Versuche erfahren, sie sei nE, mit der Summe der ihm angerechneten Verlängerung ne, so wird man finden, dass nE—ne=!(n)—!(n), wenn / die gefundene und /* die nach meiner Angabe berechnete Länge des Muskels im nten Versuche ist. Als Beispiel diene Versuch 4. In diesem ist n& = 13,55 — 12,85 = 0,7, und ne= 13,75—12,85=0,9. Daher nE-ne=—0,2. Es ist aber /(n) — !’ (n) = 13,55 — 13,75, also ebenfalls = — 0,2. Wenn nun die von mir aufgestellte Formel, abgesehen von den eben erwähnten Abweichungen, den Beobachtungen Ge- nüge leistet, so iet in derselben nichts angreifbar als die vor- ausgesetzte Beständigkeit der Ermüdungsverlängerungen, eine Voraussetzung, welche sie mit der Weber’schen Rechnung gemein hat. Hieraus fliesst dann weiter, dass die Ermüdung ungleich belasteter Muskeln, auch nachdem die Ausgleichung derselben vorgenommen worden, ungleich bleibt, und dass die nach Vornahme der Ausgleichung berechneten Dehnungen mit den durch meine Formel bezeichneten Fehlern behaftet sind. Versuchsreihe IX. Die Versuchsreihe, welche ich in nachstehender Tabelle mit- theile, ist nichts anderes als die Fortsetzung der vorigen, und sind sogar die 4; letzten Versuche der 8. Reihe in die 9, hin- über genommen, s0 dass sie die 4 ersten Versuche in dieser bilden. Daher sind auch die Versuchsbedingungen, mit Aus- nahme einer, absolut dieselben wie oben, und besteht der ein- zige Unterschied darin, dass ich diesmal die Belastungsgewichte nicht stütze, also die a Methode anwende, In der That hat die Mittheilung der nachstehenden Ver- suche nur den Zweck, den Einfluss dieser ‚Methode auf den Ermüdungsfortschritt klar zu machen, und werden also die beiden Reihen VIII, und IX. zu vergleichen sein, wenn man 48° > 740 A. W. Volkmann: über den relativen Einfluss beider Methoden auf die Ermüdung sich unterriehten will. Länge des Muskels Versuch | Balasınıg, | ruhend thätig "Differenz Gr. | Mm. Mm. | 1 | 0 25 20,25 05 2 {) 25 20,75 as | n- vn er 3 0 25 20.90, in ar 4 0 | 9 21,0 big 5 4 | 33,25 30,5 \ 2,6 6 0 | ..29,6 23,6 0,05 7 0 27,25 23,65 | 0.10 8 0 27,2 23 „75 | 0,25 9 0 27,15 io 0 10 8 | 36,4 3 a7. | 1,9 11 | ) 30,3 25,9 a 12 | 0 28,5 25,5 | 0,1 13 | ) 28,35 zo. 5 DER 14 | 0 23,35 25,65 15 | 4 34,75 | es 1 5 26 | 6 | 0 30, I I, db 0,6 7 | 0 29,0 23 | | 0,05 18 0 28,65 25 | 0] 19 | 0 28,5 I | Betrachten wir Versuchsreihe VII. und IX. als zwei Ab- tbeilungen A und B einer und derselben Versuchsreihe, wie sie das wirklich sind, so beträgt die Summe der Ermüdungs- verlängerung SV in 19 Versuchen: in der ersten Abtheiluong A 8,15 Mm.=SV, in der zweiten Abtheilung B 6,10 „ = SV". Man kommt nämlich auf diese Werthe, weun man die Muskel- länge im ersten Versuche von der im 19. abzieht. Es ist für die weiteren Schlussfolgen von Wichtigkeit zu bemerken, dass dieses Sinken der SV auf S’Y' mit Rücksicht Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 741 auf das Ermüdungsgesetz erwartet werden musste, denn es besagt dasselbe, dass die Ermüdungsverlängerungen anfänglich wachsen und nachmals abnehmen. Es liegt also gegen die Ergebnisse der Abtheilung B im Allgemeinen kein Verdacht vor, vielmehr muss der Umstand, dass sie die Fortsetzung einer Versuchsreihe bildet, welche in ihrer ersten Abtheilung A eine ausserordentliche Uebereinstimmung zwischen den gefun- denen und berechneten Werthen zeigte, die Annahme rechtfer- tigen, dass wir eine Reihe vor uns haben, welche vom Anfange bis zum Ende Zutrauen verdient. Während also gegen das Resultat der Reihe IX , der von der Ermüdung abhängige Längenzuwachs betrage in Summa 6,1 Mm., nicht der geringste Verdacht vorliegt, ist leicht zu zeigen, dass die Ermüdungsverlängerungen, welche zufolge der beobachteten Muskellängen von einem Versuche zum anderen stattfinden sollen, dı obe Fehler gefälscht sind. Um dies klar zu machen, müssen wir die Werthe e, e’ und e" suchen, Werthe, welche in der Abtheilung A (Versuchsreihe VII.) mit 0,3, 0,65, 0,8 gegeben waren. Berechnet man e, e’ und e’” in ganz entsprechender Weise wie oben, so nämlich, dass die zur Entwickelung der Unbe- "kannten dienenden Gleichungen aus den entsprechenden, d. h, unter gleichen Ordnungszahlen befindlichen, Versuchen entnom- men werden, so erhält man e=0,029, über 1Omal kleiner als in A, e=3,518, über 5mal grösser, und e”=-0,062, was voll- kommen sinnlos ist, da e'' die Bedeutung einer Ermüdungsver- längerung hat und also positiv sein muss. Da nun e, e' und e" aus beobachteten Muskellängen abge- leitet sind, so müssen Versuchsfehler vorgekommen sein, und wollen wir zu ermitteln suchen, wo solche eingetreten und worin sie ihren Grund haben. Prüfen wir die ersten 9 Versuche, so erhält man aus Ver- such I und 9 die Gleichung 24 — 20,25=3,75=8e-+e' (Gl. 1.) 0,5 + 0,2 + 0,05 40,05 40,14 0,25 _ 6 Wird dieser Werth in Gl. T. eingeführt, 80 erhält man e' Feruer ist e = = 0,19. 742 A. W. Volklann: = 2,23, zwei Werthe, gegen welche sich vorläufig nichts ein- wenden lässt. Prüfen wir jetzt die 9 Beobachtungen von Versuch 6 bis 14, so erhält man die Gleichung 25,65 — 23,6 =2,05 =8e+ e'+e' (Gl. II.) 0,05 +0,1+ 0,25 Fr 0,4 + 0,1-+ 0,05 0,025 Min. Wird dieser Werth in Gl. I. eingeführt, so ergiebt sich e' + e' 1,513 Mm. Gegen diese Werthe würde im Allgemeinen wieder nichts einzuwenden sein, wenn sie nicht aus Beobachtungen abge- leitet wären, deren eine offenbar falsch ist. In Versuch 11 nämlich ist die Länge des Muskels um 0,4 Mm. grösser als in Versuch 12, da sie doch mit Rücksicht auf die geringere Er- müdung merklich kleiner sein müsste, Indem das Zuviel der Länge die Folge einer nachhaltigen Dehnung ist, macht sich der Einfluss dieses Versuchsfehlers & in. der mittleren Abtheilung unserer Versuchsreihe merkbar. Aber viel deutli- cher wird dieser Einfluss im Ablauf der letzten 9 Versuche, Es ergiebt sich aus Versuch 11 und 19 die Gleichung 26,35 — 25,9 = 0,45 = 8e + e!' 0,44 0,1 +0,05 ze — 005491 2.2 0,133. Mm, Werth, welcher mit Rücksicht auf das negative Vorzeichen durchaus verwerflich ist, und beweist, dass die nachhaitige Dehnung eine Quelle sehr einflussreicher Versuchsfehler ge- worden. Weiter ist e= und e= Man hat nämlich zu bedenken, dass, wenn die Rechnung e=- 0,133 ergiebt, die Grösse des Fehlers nicht etwa diesem Werthe gleich, sondern jedenfalls viel grösser ist, da e einen positiven Werth von merklicher Grösse haben muss, In Abtheilung A war e=0,3, welchen Werth hat nun ein Abtheilung B? Die Frage lässt sich exact nicht beantworten. Da indess die Summe der Ermüdungsverlängerungen in den beiden Abtheilungen A und B sich wie 8,15 Mm. : 6,10 Mm. verhält, so ist ein ähnliches Verhältniss auch für e wahrschein- lich, Demgemäss sollte e in vorliegender ‚Abtheilung grösser ein’ Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 743 als 0,2 sein, und ist demnach jede Längenmessung verdächtig, wo die in der Tabelle verzeichnete Differenz kleiner als 0,2 ist, Das Endresultat, zu welchem wir kommen, ist dies, dass Versuche, welche mit Hülfe der a Methode angestellt sind, der Zuverlässigkeit entbehren. Die Verlängerung der Muskelfasern über ihr natürliches Maass hat eine nachhaltige Dehnung zur Folge, welche die Längenmessungen auffällig fälschen kann. Um den Einfluss, welchen die Veränderung des Belastungs- gewichtes auf e hat, bestimmter nachzuweisen, habe ich die Versuche im Vorhergehenden so geordnet, dass jede Messung am belasteten Muskel den Mittelfall für mehrere ihr vorher- gehende und ihr nachfolgende Messungen am unbelasteten Muskel abgab. Da nämlich e im unbelasteten Muskel; wie Versuchsreihe I. zeigt, merklich constant ist, so liess sich die ° Vergrösserung, welche die Ermüdungsverlängerung in Folge der Belastung des Muskels herbeiführt, bei dieser Anordnung berechnen und für kleinere Versuchsreihen mit grosser Ge- nauigkeit in Zahlen ausdrücken. Aber freilich ist die Ermüdungsverlängerung v eine zwei- gliedrige Grösse =e+ d, und während die von mir benutzte Anordnung der Versuche auf die Veränderungen von e ein scharfes Licht warf, hat sie die Veränderungen von d in Schat- erhüllt. Ich will also in Nachstehendem dieses Glied be- sonders berücksichtigen, und zeigen, dass die Veränderlichkeit von d unter Umständen noch grösser als die von e und dem- nach für die Ausgleichung der Ermüdung das hauptsächlichste Hinderniss ist. Versuchsreihe X. Der Zungenmuskel des Frosches hat eine Länge von 28 Mm. Die Dauer des Reizes beträgt in jedem Versuche 3,75", die Dauer der Pause 62,5”. Der Muskel wird abwechselnd mit 10 Gramm oder gar nicht belastet, ausgenommen am Anfange und am Ende der Versuchsreihe, wo 4 auf einander folgende Versuche am unbelasteten Muskel vorgenommen werden. Der Vortheil dieser Anordnung besteht darin, dass man Gleichun- 744 k A. W. Volkmann: gen gewinnt, aus welchen man die Werthe e und e’ ablei- ten kann. Der Längenunterschied des Muskels im ersten und 21sten Versuche beträgt 5,4 Mm. = 20e + 7e' (Gl. I.), dagegen der Län- genunterschied im 4. und 18. Versuche nur 4,4Mm.=14e+ 7e' (@l. II), woraus sich die Werthe e=0,167 und e= 0,294 er- geben. Mit Hülfe dieser Werthe habe ich die natürlichen Längen des thätigen Muskels berechnet, und sind in der nachstehenden Tabelle die gefundenen und berechneten Längen neben einan- der gestellt. Vergleichbar sind dieselben natürlich nur in den am unbelasteten Muskel ausgeführten Versuchen, doch ist in diesen die Uebereinstimmung zwischen Beobachtung und Rech- nung eine so merkliche, dass hiermit auch die für die belaste- ten Muskeln berechneten Werthe der natürlichen Länge. für nahezu richtig gelten müssen, ng Versuch Belsstung ruhend berechnete Gr. Mm. Mm Mm. 1 0 28 | w13,6 13,6 2 0 | 28 | 13,75 13,767 a 0 28 | ‚13,95 at 4 0 28 14,1 14,10 B) 10 32,8 18,2 14,56: ef 6 0 29 15,05 14,729 ei 10 32,95 19,25 15,190 8 0 29,5 15,75 15,357 I 10 33,25 20,75 15,818 10 0) | 29,5 16,50 15,985 11 10 | 33 22,65 16,446 12 0) 29,4 17,1 16,613 13 10 33,2 25,1 17,017 14 0 29,5 17,65 17,241 15 10 33,25 28,5 17,702 16 0 | "994 18,25 17,869 17 10 33,35 30,5 18,33 18 0 29,5 18,5 18,497 19 N) 29.3 18,7 | 178,664 20 h) 29,0 118,85), 17 18,831 21 0 28,75, | 19,0 | 18,998 Um nun klar zu machen, dass die Unanwendbarkeit des Controle der Ermüdungseinflüsse in Murkelzafehen. 745 Ausgleichungsverfahrens auf Versuche an belasteten Muskeln vorzugsweise auf der ungleichmässigen Zunahme des Werthes d beruhe, will ich zunächst die Frage erörtern: was würde dieses Verfahren im. vorliegenden Falle leisten, wenn eine Stö- rung von d aus nicht stattfände. Die Ermüdungsverlängerung der unbelasteten Muskeln be- trägt .e, die der belasteten e+e'. Berechnet man für Versuchs- reihe X. die arithmetischen Mittel und bezeichnet dieselben für die unbelasteten Muskeln mit »r, für die belasteten mit M, so erhält man m= + 11le+ 3$e' M=4+1le+4e'+D, also N-m=D+. Wenn nun. Weber mit Vernachlässigung des Gliedes & M-m=D setzt, s seine Berechnung der Dehnung zwar nicht richtig sein ; wird im vorliegenden Falle, bei der Kleinheit des vernae sigten Gliedes, der Wahrheit sehr nahe kommen, und namentlich müssten die von einem und demsel- ben Belastungsgewichte = 10 Gr. abhängigen Dehnungen in Da der merklichen Oonstanz der Ermüdungsverlängerungen daran übereinstimmende Werthe ergeben. hwohl erhält man durch die Subtraction N — m ausser- entlich verschiedene Dehnungen, nämlich als Minimalwerth D=5,85 Mm., und als Maximalwertli D= 8,10 Mm. Die Deh- nungen, welche höchst approximativ gleich sein sollten, diffe- riren um mehr als '/,! Hierin liegt schon der Beweis, dass die Fehler der Rechnung weit weniger von der Unbeständig- keit der Werthe e und e‘, als vielmehr von der Veränderlich- keit des Werthes d (mit welchem Buchstaben die Ermüdungs- verlängerung der Dehnung selbst bezeichnet wurde) abhängen. Noch einleuchtender wird dies werden, wenn wir die Ver- änderungen des letzteren Werthes speciell berücksichtigen. Die Abwandlung des Werthes d ergiebt sich aus den Dehnungs- differenzen, welche man erhält, wenn man das D einer frühe- ren Ermüdungsstufe von dem D der nächstfolgenden abzieht. Es sind also zunächst die Dehnungen zu berechnen, wobei ich 746 Ü A. W. Volkmann: zu mehrer Genauigkeit ein Correctionsverfahren in Anwendung bringen werde. Genauer als durch die Subtraetion M—m er- hält man D, wenn man von der Länge des belasteten thäti- gen Muskels die natürliche Länge desselben abzieht. Hiernach würde in Versuch 11 der Reihe X. D= 22,65 — 16,446 = 6,204 sein. Diese Berechnung ist aber deshalb nicht exact, weil die in Abzug gebrachte natürliche Länge des Muskels = 16,446 aus einer Rechnung hervorgegangen, welche die Werthe e und e' als constant voraussetzt. Der Fehler, welcher aus dieser nur angenähert richtigen Voraussetzung entsteht, lässt sich besei- tigen. Die beiden Versuche, welche den 11. einschliessen, also der 10. und 12., geben über die Grösse dieses Fehlers voll- ständigen Aufschluss. In Versuch 10 ist die Länge des Mus- kels der Beobachtung zufolge = 16,5 Mm., nach Angabe der Rechnung dagegen 15,985 Mm, und be emnach der Fehler der Rechnung 0,031. In Versuch 12 ist die beobachtete Länge des Muskels = 17,1 Mm., die bere Chnete = 16,613, und folglich der Fehler = 0,029. Hiernach ist anzunehmen, dass der Fehler in der für Versuch 11 berechneten natürlichen Länge „0081 40,029 2 Versuch 11 berechnete Länge 16,446 um 3pCt. zu vergrössern. Man erhält dann 4=16,94 und D = 22,65 — 16,94 = 5,71 Mm. In nachstehender Tabelle sind alle D-Werthe nach der eben angegebenen Methode berechnet worden, Berechnung der Werthe D und d in Versuchsreihe X. Versuch D d 5 3,50, Mm. \ 0,21 7 3,71 } 0,78 9 4,49 R } 1,22 11 5,71 } 1,93 13 7,64 } 2,77 15 10,41 ah 17 11,99 2 Aus dieser Tabelle ergiebt sich, dass die Dehnungen mit der Ermüdung wachsen, aber keineswegs wie die Ordnungs- =0,03 betrage, und wir haben demnach die für, Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 747 “ zahlen der Versuche wachsen. Berechnet man das arithme- tische Mittel aus den zu Versuch 5 und 17 gehörigen Dehnun- gen, wie dies geschieht, wenn man das Ausgleichungsverfahren auf Versuchsreihe X. anwendet, so erhält man un =7,745 Mm, für D, während D im 11. Versuche, auf welchen die Ausgleichung erfolgt, nur 5,71 beträgt, Ich habe über den eben erörterten Gegenstand mehrere Versuchsreihen, welche zu ganz übereinstimmenden Resultaten führen, und bin geneigt zu glauben, dass die Ausgleichung der Ermüdungseinflüsse an der Veränderlichkeit des Werthes d am häufigsten scheitere. Andeutungen, welche diese Annahme be- günstigen, finden sich auch in den von Weber mitgetheilten Versuchsreihen, wie beispielsweise in folgender.') | also muthmasslich keine constante. = — — En Länge des Muskels Belastung Versuch unthätig thätig I, "Gr. Mm. | Mm. 1 | 10 | 39,8 6,0 2 5 40,5 7,4 3 10 41,2 13,2 4 | 5 | 40,4 10,5 5 10 | 40,4 14,4 6 | 5 39,6 14,2 7 | 10 | 399 26,4 8 5 39,1 18,2 9 | 10 40,4 32,4 10 | 5 | 39,4 25,4 1 | 10 39,6 34,4 12 5 38,9 | 28,4 18 10 | 40,2 | 36,4 14 5 | 39,2 | 32,3 25 -_ o° ES 2 - 37,4 IR. Wagner’s Handwörterbuch der Phys. III. Bd. 2. Abth 8, 74. A, 748 A. W. Volkmann: Wenn man in dieser, Versuchsreihe die Einflüsse‘ der 'Er- müdung vorschriftsmässig ausgleicht, so erhält man die arith- metischen Mittel für. die mit 5 Gr. belasteten Muskeln, welche mit m bezeichnet werden mögen, und die arithmetischen Mittel für die mit 10 Gr. belasteten Muskeln, welche wir mit M be- zeichnen wollen. Wäre die Ausgleichung anwendbar, so müsste M und m merklich constant, und W—m=D ebenfalls approxi- imativ constant sein. Der Werth D bezeichnet für die bezüg- liche Ermüdungsstufe die Dehnung, welche ein mit 5 Gr. be- lasteter Muskel durch weitere Belastung mit 5 Gr. erlit- ten hat. Ich habe nun Gruppen von 11 Versuchen der Ausgleichung unterworfen und gebe im Nachstehenden die arithmetischen Mittel. Ermüdungsstufe A m aM m M m des Versuchs ’6 20,2. 16,4 22,8 14,35 20,4 14,2 u »..10.,.25.9, 23,5 se A 334, 24 Woraus sich sofort ergiebt, dass die Ausgleichung nicht ge» lungen, da weder Y noch m approximativ constant sind, Berechnet man D durch die Subtraction N —m, so kommt man bei den grossen Schwankungen des Minuendus und Sub- trahendus auf Dehnungsgrössen, welche bis zum Zwanzig- fachen differiren. Entnimmt man ‚nämlich aus der Ermü- dungsstufe des 10. Versuches die Werthe M=33,4 und m=23,25, was nach Ausgleichung der Ermüdung dem Belieben freisteht, so erhält man D=10,15 Mm. Benutzt man dagegen, was die gleiche Berechtigung ‚hat, die Werthe, M=25,9 und m = 25,4, so hat man D= 0,5 Mm. Selbst bei Beschränkung des Ausgleichungsverfahrens auf nur 5 hinter einander angestellte Versuche erhält man Deh- nungen, deren ansehnliche Unterschiede gerechte Bedenken er- regen. Mag immerhin die von Weber benutzte a Methode zu er- heblichen Versuchsfehlern Gelegenheit gegeben haben, so kön- nen doch so enorme Differenzen der D-Werthe, wie die oben angeführten, aus diesen allein nicht abgeleitet werden, vielmehr Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen, 749 sind sie zum grossen Theile von den Ermüdungseinflüssen ab- hängig, welche dem Vorausgeschickten. zufolge sich nicht aus- gleichen lassen, und wahrscheinlich am meisten von der un- gleichmässigen Zunahme ‘des Werthes d. Nach allem Vorausgehenden muss klar sein, dass die Aus- gleichung der Ermüdung am meisten Aussichten auf Erfolg habe, wenn man mit unbelasteten Muskeln arbeitet. Aber frei- lich kann die Belastung des Muskels zum Zwecke der Ver- suche gehören, wie beispielsweise in der durch Weber so wichtig gewordenen Frage nach den elastischen Kräften der Muskeln, Sollen diese untersucht werden, so ist nicht nur die Belastung der Muskeln, sondern auch die Veränderung der Belastungsgewichte unvermeidlich, womit dann die Werthe v nieht nur von d aus ‚sondern auch von e aus variabel wer- für ie Ausgleichung der Ermüdungseinflüsse der ungünstigste \ ‚und wird dann die Vorfrage, wie weit man über verglei hbare Versuche gebiete, besonders wichtig. Ich will, um das Gesagte zu erläutern, abermals eine Ver- suchsreihe Weber’s benutzen, seine C-Reihe, welche er nach Ausgleichung der Ermüdung zur Berechnung, des Ganges der Dehnbarkeit verwandt hat. Man darf hierin den Beweis finden, dass der Verfasser ge- rade dieser Reihe ein besonderes Zutrauen schenkte, und die Ausgleichung der Ermüdung, auf welcher die Zulässigkeit der Rechnung beruht, für hinreichend gelungen erachtete. Zur Verwendung kamen '8 Belastungsgewichte von 5, 10, 15, 20, 25 und 30 Gramm, so dass mit jedem neuen Versuche die Belastung um’5 Gr. verändert wurde, "Indem diese Ver- änderung abwechselnd durch Vermehrung und durch Vermin- derung der Gewichte bewirkt wird, "entstehen Gruppen von 11 Versuchen," welehe, nachdem sie der Ausgleichung unter- worfen worden, 6 auf gleicher Ermüdungsstufe befindliche Fälle liefern. 750 A. W. Volkmann: Versuchsreihe XII. von E. Weber. Länge des Muskels Versuch Belastung unthätig thätig Gr. Mm. Mm. 1 5 41,6 | 14,5 2 10 42,3 15,9 3 15 43,2 17,2 4 20 44,1 19,0 5 25 45,1 j 21,8 6 30 45,9 27,2 7 25 46,1 | 26,7 8 20 45,7 | 25,2 9 15 45,1 23,2 10 10 44,2 21,0 11 5 42,8 19,0 12 10 43,6 21,8 13 15 4453 24,8 14 20 420. 29,9 15 25 45,9 a en! 16 30 46,5 39,3 17 Pan 464. 38,8 18 20 46,2 36,8 19 15 45,7 33,8 20 10 44,7 27,0 21 5 43,1 22,2 22 10 44,0 26,0 23 15 44,9 32,8 24 20 45,6 37,5 25 25 46,2 41,0 26 30 46,7 42,8 Die Frage, welche an diese Versuchsreihe geknüpft werden soll, ist die: ob die Ermüdungsverlängerungen in derselben mit der Gleichmässigkeit fortschreiten, dass die von Weber be- nutzte Ausgleichungsmethode, bei Ausdehnung derselben auf 11 consecutive Versuche, noch brauchbare Resultate liefere? Eine Schwierigkeit, auf welche wir bei Untersuchung, dieser Frage sofort stossen, besteht darin, dass die vorliegende Ver- suchsreihe keine Gleichungen darbietet, aus denen sich die Werthe e, e‘, e'' u.s. w. entwickeln liessen. Wir können dem Gange der Ermüdung auf dem bisher betretenen Wege nicht folgen, sondern müssen uns einen neuen bahnen. Zu dem Zwecke die folgende Betrachtung. Wenn man die correspondenten Versuche, statt sie zur Bil- Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 751 dung arithmetischer Mittel zu verwenden, zum Subtrahiren be- nutzt, in der Weise nämlich, dass man: die in einem früheren Versuche gewonnene Länge des Muskels von der in einem spä- teren Versuche beobachteten abzieht, so ergiebt sich ein Un- terschied, welcher bei der Gleichheit der benutzten Belastungs- gewichte nur von der ungleichen Ermüdung abhängt. Es ist einleuchtend, dass dieser Unterschied, den ich mit « bezeichne, die Bedeutung einer Summe von Ermüdungsverlängerungen habe, und demnach mit der Zahl der Versuche, welche zwischen die beiden Correspondenten falle, wachsen müsse. Nun ist früher gezeigt worden, dass das Gelingen der We- ber’schen Rechnung von der Beständigkeit des. Werthes v ab- hänge. Ist » eonstaut, so wird der Muskel in » Versuchen um n»o verlängert, und folglich ist w«=n.», wenn n» die,Zahl der Versuchsfälle bedeutet, um welche die zur Subtraction benutz- ten Correspondenten aus einander liegen. Aus dem Gesagten ergiebt sich, dass eine Ausgleichung der Ermüdungsdifferenzen nur da möglich ist, wo. die gegebenen Versuche der Anforderung u = nv genügen, und. dass eben diese Gleiehung den Probirstein abgiebt, welcher über die Tauglich- keit der Versuche zum Zwecke der Ausgleichung, entscheidet, Hat man die Versuche nach Weber’s Angabe geordnet und ist » constant, so müssen die Unterschiede vom Grenzfall gegen den Mittelfall gleichmässig abnehmen und muss der Un- terschied der Unterschiede, w‘, in diesem Falle = 2» sein. Dies ergiebt sich besser, als aus einer weitläufigen Auseinander- setzung, aus nachstehendem auf 7 Versuche bezüglichem Schema, in welchem ,' die Länge des thätigen Muskels vor jeder Er- müdung bedeutet. Combination der Versuche. 1 und 7 2 und 6 3 und 5 4 +» + 2» 3, + 30 2) +40 +70 3’ +60 2'+5v 4= 60 4v u 20 mn Un “= 20 N 20 Ich werde die aus der W eber’schen Versuchsreihe berech- 752 A. W. Volkmann! neten Werthe « und «' vorlegen, muss aber zum Verständniss meiner tabellarischen Darstellung vorher Folgendes bemerken: Die zur Ausgleichung bestimmten 11 Versuche geben bei Ausführung der Subtraction 5 Unterschiede, welche ich unter der Columnenüberschrift « b ce d e verzeichne. Der unter «a bemerkte Werth bezieht sich überall auf den Längenunterschied im ersten und letzten Versuche, der unter 5 notirte auf den Längenunterschied im zweiten und vorletzten Versuche u. s. w. Die Ermüdungsstufe, zu welcher die von mir berechneten Unterschiede gehören, bezeichne ich, wie Weber, nach der Ordnungszahl desjenigen Versuchs, auf dessen Ermüdungsgrösse alle übrigen reducirt sind. Die 26 von Weber entlehnten Versuche gestatten die Herstellung von‘ 4 Ermüdungsstufen, welche mit den Ordnungszahlen 6, 11, 16, 21 zu bezeichnen sind. Man beachte, dass auf den Ermüdungsstufen 6 und 16 die Belastungsgewichte in der Reihenfolge der Columnen a, b, c, d, e wachsen, dagegen auf den Ermüdungsstufen 11 und 21 in derselben Reihenfolge abnehmen. Aus den 5 vorliegenden Unterschieden 'ergeben sich 4 Un- terschiede der Unterschiede, welche ich’ in einer besonderen Tabelle unter den Columnenüberschriften a’ b’ ec‘ d‘ aufzeichne. Der unter a' notirte Werth u’ bezieht sich auf die unter @ und b verzeichneten Unterschiede, also der unter b’ bemerkte auf die zu 5 und ce gehörigen u-Werthe u. s. w. Darstellung der Wertheuin Weber’s Versuchsreihe. 2; a Ermüdungs- | | | c d e stufe Mm. | Ma. | Mm. Mm. Mm 6 4,5 | 51 | 60 62 4,9 11 12,1 84 4,7 1,6 0,8 16 32 52 9,0 6,9 3,7 21 3,5 PR 07 10 10 Sehon aus dieser Tabelle ergiebt sich eine Progression der Ermüdungsverlängerungen, welche mit den Anforderungen des Ausgleichungsverfahrens in Widerspruch tritt. Auf der Ermü- dungsstufe 6 und 11 nehmen die Unterschiede in der Richtung zu, in welcher sie abnehmen müssten, und auf der Ermüdungs- Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 753 stufe 21 finden sich negative Unterschiede, da doch , als die von der Ermüdung bewirkte Verlängerung, positiv sein muss. Nicht minder deutlich ergiebt sich die Unanwendbarkeit des Ausgleichungsverfahrens auf Weber’s Versuche aus folgender Tabelle. Darstellung der Werthe u in derselben Versuchs- reihe. Maadaner- | a' | b’ | c' d' Be, I-—o6, | ug 02 1,3 11 3 ra 3,7 3,1 0,8 16 LK) rn 2,1 3,2 21 3 1,5 1,7 0,0 Unmöglich können die im Vorstehenden verzeichneten Werthe u 2» sein. Die ansehnlichen negativen Werthe, welche mehr- fach auftreten, beweisen, dass Beobachtung und Theorie sehr wenig zusammen stimmen. Da, wie oben erwiesen wurde, das Ausgleichungsverfahren nur auf Versuche anwendbar ist, welche der Anforderung u=no genügen, so bietet die Differenz u—nov nicht nur den Beweis, sondern auch den Maassstab seiner Unanwendbarkeit. Es wird nicht uninteressant sein, die Zulässigkeit der u-Werthe der Weber’schen C-Reihe mit Hülfe dieses Maassstabes zu prüfen. Zwar entscheidet der im Vorausgehenden gelieferte Beweis, dass vo eine Veränderliche, bereits darüber, dass u nicht ne sein könne; da aber das von Weber angewandte Aus- gleichungsverfahren etwas mehres als Approximationen an die Wahrheit gar nicht bezweckt, so ist die Frage, wie weit sich die berechneten Werthe « den gefundenen nähern, von Wich- tigkeit, und für die Frage nach der Zulässigkeit jenes Verfah- rens allein entscheidend. Es wird also zunächst für jede gegebene Ermüdungsstufe der zugehörige mittlere Werth » zu bestimmen sein. Man er- hält denselben, wenn man u (a), das heisst den Werth u der Columne a, mit 10 dividirt. Auf Ermüdungsstufe 6 beispiels- weise ist u (a) =4,5 Mm. Dieser Längenunterschied ist die Weichert's u. du Bols-Koymond's Archiv. 1860. 49 547 A. W. Volkmann: in: 10 Versuchen, d. h. also im Verlaufe der ganzen Versuchs- reihe entstandene Summe der Ermüdungsverlängerungen. Indem diese unter dem Einflusse aller in Anwendung genommenen Belastungsgewichte entstanden, kann - Mint. 0,45 Mm. als die durch einen Versuch bewirkte mittlere Ermüdungsverlänge- rung. ‚betrachtet werden. Offenbar müsste dieses » die ap- proximative Constanz besitzen, welche die Ausgleichung der Ermüdung, um zulässig zu sein, voraussetzt. In, wie weit nun die Versuche dieser. Voraussetzung ent- sprechen, ist leicht zu ermitteln. Sei z (a), u (b), u (c) der zu den Columnen a b e gehö- rige Unterschied, so ist zu beanspruchen, dass x (a)—2»=u (b) und u (a)-4» =u (c) u. S. w. sei. Wir werden die so berechneten Unterschiede mit den durch Beobachtung ermittelten vergleichen, und aus der Differenz bei- der entnehmen, in wie weit die Supposi n, es sei v approxi- mativ constant und eben deshalb die‘ A eichunz zulässig, eine begründete ist, oder nicht ist. Ich habe diese Rechnung ausgeführt und die gefundenen und berechneten Werthe in den ersten beiden Columnen der folgenden Tabelle neben einander gestellt. Die Differenz bei- der ist in der 3. Columne, unter der Ueberschrift absoluter Fehler, angegeben. Um die Gewichtigkeit dieses Fehlers noch anschaulicher zu machen, berechne ich sein Verhältniss zu der Länge, welche der am mindesten belastete Muskel auf der. bezüglichen Ermüdungsstufe ausweist, Dieser Fehler ist in der 4. Columne unter dem Titel relativer Fehler auf- geführt. Um jeder Unklarheit vorzubeugen, will ich eine. derartige Berechnung beispielsweise ausführen. Für Ermüdungsstufe 6, ist u (a)=4,5 Mm., also v-0,45. Weiter ist den Versuchen zu- folge u (b)= 5,1. Gefordert ist aber u (b) =u(a) — 20 = 3,6 “ Mm. Hiernach ist der absolute Fehler =5,1- 3,6=1,5 Mm. Die Länge des Muskels, bei 5 Gr. Belastung, ist auf der Er- 145419, 2 müdungsstufe 6 = = 16,75 Mm. , 'hiernach der relative Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 755 a u =0,09, oder 9pCt. der Länge, welche dem Mus- kel auf der 6. Ermüdungsstufe in allen Fällen zukommen würde, wenn er constant mit 5 Gr., nicht ‚aber abwechselnd mit 5, 10, 15, 20, 25 und 30 Gr. belastet worden wäre. Nachweis der Widersprüche zwischen den theore- tisch geforderten und empirisch gegebenen Ermü- dungsverlängerungen. Für Ermüdungsstufe 6. | Werth u Imadidsiß Fehler Belastung beobachtet ESFRUEN | hai relativer Gr... Mm. | 5 4,5 De a 10 5,1 3,6 | 1,5 0,09 15 6,0 2,7 3 0,197 20 RZ Ein ıdas Ye 0,26 25 4,9 09, , 40 0,24 Für Ermüdungsstufe 11. 30 12,1 | Ar. IM de un 25 8,4 9,68 — 1,28 — 0,07 20 4,7 7,26 — 2,56 = 0,13 15 1,6 4,84 — 3,24 — 0,17 10 08 . | 2,42 — 1,26 — 0,09 Für Ermüdungsstnfe 16. 5 3,2 _ _ En 10 5,2 2,56 2,54 0,12 15 0... 1,92 7,08 0,34 20 6,9 | 1,28 5,62 0,27 2% 37 ,.| 064 3,06 0,15 Für Ermüdungsstufe 21. 30 3,5 Z . _ _ 25 22 2,8 —0,6 — 0,01 20 0,7 21 —1,4 — 0,03 15 —-1,0 1,4 — 2,4 — 0,06 10 1,0 0,7 7 — 0,04 Aus Vorstehendem ergiebt sich, dass die von Weber un- ternommene Ausgleichung der Ermüdung in seinen Ö-Versu- chen nieht gelingen konnte, Denn die Reduetion verschiedener 49* 756 "A. W. Volkmann: Versuche auf ,ein und denselben Ermüdungsgrad ist an die, ap- proximative Beständigkeit des Werthes vo gebunden, und vor- stehende Rechnungen zeigen, dass eine solche nicht stattfand. Natürlich sind die auffallenden Differenzen der berechneten und gefundenen Werthe « nicht ohne Weiteres ‘als Maassstab für, die Veränderlichkeit des Werthes » zu nehmen, da die Grösse jener auch von den Versuchsfehlern abhängt. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass diese in Weber’s C-Reihe nicht unbedeutend waren. Schon der Umstand, dass die a Methode in Anwendung genommen wurde, begünstigt diese Annahme. Aber auch die Nichtberücksichtigung der Zeit beim Reizen und Pausiren, desgleichen die für den zarten Zungenmuskel gewiss zu grossen Belastungsgewichte verdächtigen mehr oder weniger die gewonnenen Resultate. In der nachstehenden Versuchsreihe sind diese Missstände vermieden worden. Versuchsreihe XII. Der Hyoglossus des Frosches hatte 30 Millim. Länge. Die Dauer des Reizes betrug 2,5”, die Dauer der Pausen 62,5” Benutzt wurde die b Methode, Belastung Hubhöhe Versuch | Gr. | Min. 1 | 0 17,3 2 | 2 16,25 3 | 4 15,50 4 1 6 | 14,50 5 | 8 | 13,25 6 | 10 12,20 7 8 12,1 8 6 12,2 9 4 12,35 10 2 12,80 11 | 2) 13,45 12 | 2 12,15 13 | 4 10,35 14 | 6 8,30 15 8 | 6,20 16 10 3,85 17 | 8 | 4,5. 18 6 | 5,75 19 | 4 7,35 20 2 | 9,3 21 0) | 11,75 nL Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 157 Ich werde nun die Frage, ob sich: diese Reihe zum Aus- gleichen der Ermüdungseinflüsse eigne, genau in derselben Weise wie bei der Weber’schen 'O-Reihe erörtern. Darstellung.der Werthe u. Ermüdungs- | a | b an | an e stufe | Mm. Mm. | Mm, | Mm. Mm el 3.88 5...|.. 8450 3315 2,3 1,15 11 8,35 | 5,9 3,9 2,0 0,65 JB Sul 017 | 2,85 nn 17 l j bi Darstellung der, Werthe w'. Ermüdungs- za Ja ae d' u Istufe > Mm. | Mmiı j>'9AMm! Mm. Bo ro u 1 äh ie hu ‚ch 16 I ; | Nachweis der Widersprüche zwischen den theore- tisch geforderten und empirisch gegebenen Ermüdungsverlängerungen. Für Ermüdungsstufe 6, 14 Werth u 'Fehler Belastung Be Wenn Ban ' gefunden | berechnet | absöluter relativer "Gr | Mm. } Mm. | Mm, N 1100, Mo Tal STEIRERTED 2 Ion ‚8,45 3,08 0,8%. 511.1 0,095 4 BERET: 2,31 0,84 , |. 0,057 6 | "95 1,54 0,76 0,052 'B 1,15 0,77 0.384111, 10,026 Für Ermüdungsstufe 11. 10 8,35 ung Heovaykirbiius 8 5,9 B88 | 0,78," ) 0,036 6 3,9 5,01 11 | — 0,050 4 ’ 280 21 :0,040& | 1734 vo l.Jun 0,061 2 A. 187, u. 02 |. = 9046 _ } ( N Er 758 A. W. Volkmann: Für Ermüdungsstufe 16. Werth « Fehler Belastung | ——— u | — gefunden berechnet absoluter relativer Gr, Mm. Mm. Mm. 0 1,7 _ — — 2 2,85 1,36 1,49 0,085 4 3,0 1,02 1,98 0,114 6 2,55 0,68 1,87 0,101 8 17 0,34 1,86 0,078 Die Veränderungen, welche ich im Experimentalverfahren vorgenommen habe, sind also für das Gelingen der Versuche sehr vortheilhaft gewesen, wie sich auch bei einer Wiederho- lung derselben vollkommen bestätigt hat. Erst nach starker Ermüdung des Muskels, nämlich in Ermüdungsstufe 16, kom- men jene negativen u'-Werthe vor, welche auf grobe Missstände hinweisen, und die Differenzen zwischen den gefundenen und berechneten Ermüdungsverlängerungen sind ungefähr um das Dreifache kleiner geworden. Aber freilich sind auch diese Abweichungen noch sehr be- trächtlich und beweisen eine Veränderlichkeit des Werthes », welche die Anwendung des Weber’schen Ausgleichungsver- fahrens, in der Ausdehnung von 11 Versuchen an belasteten Muskeln, nicht mehr zulässt. Um dies noch anschaulicher zu machen, mag folgende Be- trachtung Platz finden. Wenn Weber’s arithmetische Mittel die Längen eines Mus- kels repräsentiren, welcher trotz der Differenzen seiner Bela- stungsgewichte in gleichem Grade ermüdet ist, so stellen meine u-Werthe die Längenunterschiede eines Muskels dar, welcher trotz der gleichen Belastungsgewichte in verschiedenem Grade ermüdet ist. Es ist « (a) unter dieser Voraussetzung die durch 10 Versuche und x (d) die durch 4 Versuche bewirkte Summe der Ermüdungsverlängerungen. Berechnet man nun die mittlere Ermüdungsverlängerung eines Versuches‘ für Ermüdungsstufe 6 der Weber’schen C-Reihe, so erhält man vo=0,45 Mm., und folglich müsste u (d)=4.0,45=1,8 sein. Der Beobachtung zufolge ist aber Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 759 u(d)=6,2 Mm., also um 4,4 Mm. zu ‘gross. Dieses Plus der Ermüdungsverlängerung ist höchst approximativ=10v, d.h. also, die Ausgleichung der Ermüdung in einer Reihe von über- haupt nur 11 Versuchen ist im vorliegenden Falle um den Er- müdungseffeet von nicht weniger als 10° Versuchen gefälscht, oder mit noch anderen Worten, der mit 20 Gr. belastete Mus- kel ist um 2"/,mäl mehr ermüdet, als der mit 5 Gr. belastete. In meiner Versuchsreihe fällt der‘ grösste Fehler auf (ec). Der mit 5 Gr. belastete Muskel ist im Vergleich zu dem mit 0 Gr. belasteten um '/, zu stark ermüdet. Eine ungleich grössere Uebereinstimmung in den Ermü- dungszuständen kann man erzielen, wenn man den Muskel durch Induetionsschläge reizt, statt ihn zu tetanisiren. Dies beweisen die nun folgenden Versuche, - Versuchsreihe XIV. Der Hyoglossus des Frosches hat 238 Mm. Länge. Gereizt wird mit Inductionssehlägen, In Anwendung kommt die b Me- thode. In den Columnenüberschriften bedeutet Y Versuch, p Belastung, Hubhöhe, } die Länge des thätigert Muskels. Die Belastungsgewichte sind nach Grammen, die Hubhöhben und Muskellängen naeh Millimetern gemessen, vd p | re p h | ) 1 0 5 | 185 22 2 7,3: 120,7 2 2 8,0 \..20,0 23 4 5,55 | 22,45 3 4 u .21,7 24 6 40 | 240 4 Bel linasl 205 8 | 275 | 25,25 5 8 4,1 23,9 | 26 10 1,65 --126,35 6 10 3,3 24,7 27 8 25 | 256 The 8 3,85 24,15 | 28 6 3,8 24,2 Ball - 6 ‚0 23,00%. 29 4 5,0 23,0 9 4 6,25 21,75.) 30 2 6,9 all 10 | 2’! 29 20,1 31 o 9,3 18,7 1200-0 | 95 18,5 32 2 6,755 | 21,25 mu 2 80 | 20,01. -33 4 5,0 23,0 13310 4 6,25 21,751 34 | 8 32 | 248 1440 6 4,7 23,3 En 1,9 26,1 Te ua ar) 245 | 36 | 10 0,5 27,5 16 |. ı0 2,5 25,5 CR 1,75 | 26,25 7 ng 34 Bl u |" la75sill 95/05 15 6 N 485,.1.,23,65 | 99 4 43 129,7 10 4 5,7 22,3 | 40 2 6,2 21,8 20 ill ‚mo lmgo,siwihng see BE) 19,2 21 0, | 186 160 A. W. Volkmann: Man sieht leicht, dass vorstehende Reihe zur Darstellung vergleichbarer Versuche in eminentem Grade geeignet ist. Die Ausgleichung der Ermüdung muss glücken, da Differenzen der- selben überhaupt kaum: vorliegen. In 40 Versuchen ist der thätige Muskel von 18,5 Mm. auf 19,2 angewachsen. Hiernach ist »= 0,02 Mm. oder 1 per Mille der natürliehen Länge des thätigen Muskels. Auch das zweite Glied der Ermüdungsver- längerung, unser d, ergiebt sich als ein überaus geringfügiger Werth. Bei 10 Gr. Belastung ist die Länge des thätigen Mus- kels im 6. Versuche = 24,7 Mm., im 36. Versuche = 27,5 Mm. Dies giebt für jeden Versuch einen Dehnungszuwachs von 0,1 Mm. Um nun den Gang der Ermüdung in Versuchsreihe XIV. anschaulich zu machen, gebe ich wieder die Darstellung der Werthe ». Ermüdungs- | Pi b d d e stufe | Bleu 00,5 #051 rue | 0,25 11 1.08. | 085 08 .ı. .00 — 0,1 16 8,0 ROH 055 01 21 0,85 |..0,65 0,35... '|110,15 0,2 26 02 | 04 0,55 0,2 0,25 31 13215 0,6 0,6 0,0 0,15 36 1-.0,5 0,55 0,7 0,45 0,15 Ermüdungs- n) A f h en B a | b | c d 6 3 0,8 0,05 | - 0,05 — 0,15 11 \ 0,45 0,05 0,3 0,1 16 0,5 — 0,05 | 0,2 0,25 al 0,2 0,3 0,2 — 0,05 26 —0,2 — 0,15 | 0,35 — 0,05 31 0,55 0,0 0,6 — 0,15 36 -0065 | 0,15 0,25 0,3 Die letzte Tabelle lehrt unmittelbar, dass der Gang der Ermüdung kein gleichmässig fortschreitender ist, wie gleich- wohl das Ausgleichungsverfahren voraussetzt. Der Werth « Controle der Ermüdungseintlüsse in Muskelversuchen. 761 soll in der Richtung von a nach d mit jedem neuen Falle um 2» abnehmen; dies geschieht offenbar nicht. Ferner ist w in vielen Fällen negativ, was mit der Supposition eines gleich- mässigen Ermüdungsfortschrittes unvereinbar ist. Also auch die mit Hülfe von Inductionsschlägen angestell- ten Versuche führen auf Ungehörigkeiten im Gange der «- Werthe; nur ist der Nachtheil, welcher hieraus für die Aus- gleiehung erwächst, ein sehr geringer. Nachweis der Widersprüche zwischen den theore- tisch geforderten und empirisch gegebenen Ermü- dungsverlängerungen. Für Ermüdungsstufe 6. Werth u | Fehler Belastung > - gefunden | berechnet absoluter | relativer Gr. Mm | Mm | Mm ira Wa} a = or eusEN in 2 0,1 0,0 0,1 0,005 4 0,05 0,0 0,05 0,003 6 0,1 0,0 0,1 0,005 8 0,25 0,0 ) 0,25 0,013 Für Ermüdungsstufe 11. 0 0,8 Be Mel eM 2 0,35 0,64 —08 „, |: — 0,016 4 0,3 0,48 N PVRDIOTO 6 10,0 0,32 10,821 |.1n4.0,017 8 —0,1 0,16 0,17... 0,009 Für Ermüdungsstufe 16. 0 0,0 ee — = 2 05 0,0 0,5 0,097 4 0,55 | 0,0 0,55 | 0,030 6 0,35 00,,n 0,35 0,019 8 0,1 | 0,0 0,1 0,050 Für Ermüdungsstufe 21. 0 0,86: | ai u 2 1.065, |. 0,68 - 0,03 — 0,002 4 0,35 0,51 17-016 - 0,009 6 O5 110584 — 0,19 = 0,010 ß 0,2 12017 0,08 .\:. ; 0,002 762 A.W. Volkmann: AT Ich unterlasse es, die Rechnung weiter auszuführen, da das Vorstehende vollkommen ausreicht zu erweisen: dass die mit Hülfe von einfachen Inductionsschlägen gewonnenen Versuche zu Resultaten führen, welche‘ der Anwendung (des Ausglei- chungsverfahrens überaus viel günstiger sind als diejenigen, wo wir den Muskel tetanisirten. Die Fehler, welche ich relative nenne, sind gegen 4mal kleiner als in voriger Versuchsreihe (Nr. XIII.) und gegen 12mal kleiner als in der von Weber entlehnten (Nr. XII.). Während nun die Fehlergrössen in den letzten 3 Beob- achtungsreihen sich mit den vorgenommenen Modificationen des Experimentalverfahrens in auffallender Weise ändern, so bleibt die Riehtung der Fehler im Wesentlichen dieselbe. Es scheint mir,.dass dieser Umstand für die Erkenntniss der Er- müdungsfortschritte von grossem Interesse "ist, und ‘ich 'will daher meine Abhandlung nicht schliessen, ohne ihn der, ‚Auf- merksamkeit des Lesers ausdrücklich empfohlen zu haben. Man: erinnere sich, um die nachstehende ae u ae verständlich zu finden, folgender Punkte: 1. Der Werth « bezeichnet den Längenunterschied. eines und desselben Muskels in zwei Beobachtungsfällen, in welchen die Belastungsgewichte dieselben, die Ermüdungsgrade dagegen ver- schieden sind. Mit Rücksicht hierauf ist # ‘eine Summe von Ermüdungsverlängerungen, deren Grösse mit der Zahl der zwi- schen beiden Beobachtungsfällen angestellten ‘Versuche wächst. 2. ‘u (a) bezeichnet den Längenunterschied des Muskels im ersten und letzten Versuche, « (5), den Längenunterschied im zweiten und vorletzten u. s. w. 3. Die dem Ausgleichungsverfahren zu Grunde liegende Annahme, dass die Ermüdungsverlängerungen v wie die Ord- nungszahlen der Versuche wachsen, ineludirt die weitere An- nahme, dass die Werthe « in der Richtung der Fälle‘ a, b, c, d, e abnehmen, und zwar von einem Falle zum anderen um 2». 4. Die verschiedenen Ermüdungsstufen ‚stellen überall 6 Fälle dar, welche, sich auf eben so viel verschiedene Belastungs- gewichte beziehen, und welche mit Rücksicht auf den Ermü- dungsgrad sich gleichen sollen. Die 11 Versuche, welche zur Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 763 Herstellung dieser 6 Fälle benutzt werden, unterscheiden sich bezüglich der Art, wie sie gewonnen wurden, dadurch, dass die Belastungsgewichte in der Richtung a, b, c, d, e entweder wachsen, was auf allen Ermüdungsstufen mit vorstehenden ge- raden Ordnungszahlen geschieht (also Ermüdungsstufe 6, 16, 26), oder abnehmen, wie dies in allen Ermüdungsstufen statt- findet, welche mit ungeraden Ordnungszahlen (Stufe 11, 21, 31) bezeichnet sind. Nachdem wir dies in Erinnerung gebracht, lässt sich die wesentliche Uebereinstimmung zwischen den nach ganz ver- schiedenen Experimentalmethoden angestellten Versuchsreihen XIT, XHI., XIV. mit Folgendem kurz angeben. I. Vergleicht man die Ermüdungsstufen, in welchen die Belastungsgewichte progressiv wachsen, mit denen, in welchen sie progressiv abnehmen, so findet sich bei letzteren ein sehr auflallendes Präponderiren des Werthes u (a). II. In den Ermüdungsstufen, deren Versuche mit progressiv abnehmenden Belastungsgewichten angestellt wurden, nahmen die Werthe « in der Richtung a, b, e,.d, e ab, wie das Aus- gleichungsverfahren voraussetzt; in den Ermüdungsstufen dage- gen, wo die Belastungsgewichte progressiv wachsen, nehmen die Werthe # in derselben Richtung von vorn herein zu und erst nachmals ab; ein Verhältniss, welches mit: der Theorie des Ausgleichungsverfährens im Widerspruch steht. Il. In den Ermüdungsstufen, deren Versuche mit progres- siv zunehmenden Belastungsgewichten angestellt wurden, sind die beobachteten Werthe u grösser als die theoretisch verlang- ten; in den Ermüdungsstufen, wo die Belastungsgewichte ab- nehmen, sind sie kleiner, Die eben erörterte merkwürdige Uebereinstimmung der drei Versnchsreihen beweist: dass der Gang der u-Werthe einer Gesetzlichkeit folgt, und dass, soweit dieser Gang 'mit der dem Ausgleichungsverfahren zu Grunde liegenden An- nahme eines gleichmässigen Fortschrittes der Er- müdungsverlängerungen in Widerspruch tritt, diese Annahme unrichtig ist. 764 A. W. Volkmann: Die unter IL, 41., III. beleuchtete Uebereinstimmung) der 3 Versuchsreihen beruht aber darauf: dass die Ermüdungsverlän- gerung der Dehnung, unser d, eine Function der Zahl der'Ver- suche und der Grösse der Gewichte ist, und mit diesen bis zu einem gewissen Punkte wächst. Den Beweis liefert die Versuchsreihe XIV, Der unbelastete Muskel hat im 1., 11. und: 21. Versuche genau dieselbe Länge = 13,5 Mm., woraus sich‘ ergiebt, ‚dass e=Null, oder mit anderen Worten, dass. die natürliche Länge des thätigen Muskels in 21 Versuchen von der Ermü- dung nicht verändert worden ist. Hiernach bedarf es nicht erst einer Ausgleichung der Ermüdungseinflüsse, um’ die Deh- nungen zu finden. Man erhält dieselben. durch Subtraction (des constanten Werthes 18,5 Mm. von der Länge des belasteten thätigen Muskels, Man kann nun fragen, ob auch die Dehnung, in wiefern sie von einem und demselben Belastungsgewichte ‚abhängt, | im Verlaufe der 21 Versuche sich gleich bleibe, in ‘welchem Falle das zweite Glied der Ermüdungsverlängerung, unser. d,, eben- falls = Null sein würde. Die Versuchsreihe beweist, dass dem nieht 'so sei, vielmehr ändern sich die Werthe der Dehnungen. Um die Art der Veränderung übersichtlich zu machen, bilde ieh aus den ersten 20 Versuchen meiner Reihe zwei Dekaden, welche ich so neben einander stelle, dass die Dehnungen, ‘welche zu gleich belasteten Muskeln gehören, in derselben Horizontal- reihe zu stehen kommen. Hat man in der ersten senkrechten Columne zur Linken die Belastung abgelesen, so findet man in der letzten senkrechten 'Columne zur Rechten, um wie viel die Dehnungen im Verlaufe von 10 Versuchen. grösser gewor- den. ‚Diese Vergrösserungen sind d-Werthe, d, h. durch Er- müdung bewirkteDehnungsverlängerungen, und nieht etwa die Dehnung selbst. Dies festzuhalten ist nothwendig, damit man die Zunahme der d-Werthe mit den Gewichten. nicht als etwas Selbstverständliches betrachte. Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 765 ich B EEE der Veränderung ‚des Werthes d in der Versuchsreihe XIV. ! Dekaae ı Dekade MT [Zunahme der Belastung | ) | „ „Dehnung in | Versuch | Zebnung | Versuch SEunIBE ‚10 Versuchen Gr. | |, Mm. |} | Mm. | Mm. E20 1 0 Ina; 0 | 3 3 1,5 u 1,5 0,0 4 39 lb 32 13 3,25 100,05 6 eye 4,4 14 |. 48 | 0,4 Bmauaga dl 0; DANN TS 6,0 0,6 10 6 621 hl 16 7 1.0058 8 7 CHI ei 6,1 0,45 6 PERLE 2 Ey a 5,15 0,65 4 has 3385.01. Knı19 3,8 | 0,55 2 10 al 200 2.0. 1.10. .040 "Auf Grundlage dieser Erfahrungen über die Veränderlich- "keit des Gliedes d ist nun begreiflich: I. Dass der Werth « (a) in den Ermüdungsstufen, in wel- chen die Belastungsgewichte progressiv abnehmen, präponde- rire vor dem entsprechenden Werthe u (a) in den Ermüdungs- ufen, 'wo die Belastungsgewichte progressiv wachsen. Der ‚Definition nach ist u (a) eine Summe von Ermüdungsverlänge- rungen -Sv-Se+d. Nun wächst aber, wie wir gesehn, d mit den Gewichten, und da x (a), wenn die Belastungsgewichte progressiv abnehmen, unter dem Einfluss der grössten Ge- wiehte, umgekehrt, wenn sie progressiv wachsen, unter dem Einfluss der kleinsten Gewichte entstanden, so muss es im er- steren Falle grösser als im letzteren sein. IE. Es ist begreiflich, dass in den Ermüdungsstufen, in welchen die Belastungsgewichte progressiv abnehmen, die Werthe "in’der Richtung a, b, e, d,'e eontinuirlich abnehmen, da in derselben Richtung nicht nur die Grösse der Gewichte, son- dern auch die Anzahl der Versuche, aus welchen # resultirte, abnimmt. Eben so ist begreiflich, wenn « in den Ermüdungs- stufen, in welchen die Belastungsgewichte progressiv wachsen, in der Richtung a, b, ce, d, e bis zum c-Falle wächst und von da an abnimmt. Man beachte, dass u eine Summe von Er- müdungsverlüngerungen ist, deren Grösse einerseits von der 766 A. W. Volkmann: Zahl der gemessenen Versuche, andererseits von der Zugkraft der in Anwendung genommenen Gewichte abhängt. In u (ec) sind beide Momente ansehnlich. Dagegen ist in « (a) zwar die Zahl der Versuche gross, indem sämmtliche Versuche an dem. Ermüdungseffect Theil haben, aber die Zugkraft ist äus- serst geringfügig, da im vorliegenden Falle % (a) mit den klein- "sten Belastungsgewichten (in meinen Versuchen mit Null-Be- lastung) zusammenfällt. Wiederum ist in a (e) zwar die Grösse der Zugkraft beträchtlich, da sie von den grössten Belastungs- gewichten ausgeht, aber die Zahl der Versuche beschränkt sich auf zwei, und wird ein Ermüdungsfortschritt, welcher nur durch 2 Versuche bedingt ist, natürlich ein kleiner sein, Ill. Ist begreiflich, warum in den Ermüdungsstufen, deren Versuche mit progressiv zunehmender Belastung ausgeführt wurden, die berechneten Werthe « kleiner sind als die gefun- denen, während das umgekehrte Verhältniss eintritt, wenn die Belastungsgewichte progressiv abnehmen. Es liegt nämlich unserer Berechnung die Annahme zu Grunde, dass die natürliche Länge des Muskels mit jedem Ver- suche um » wachse, in welchem Falle « als eine Summe von Ermüdungsverlängerungen =n. v ist, wenn v die von einem Versuche gesetzte Verlängerung, und n die Zahl der gemach- ten Versuche bedeutet. Um « berechnen zu können, müsste v gegeben sein, und wir erhalten dies durch Division des Wer- thes u (a) durch 10. Aber v=e+d ist keine Constante im strengeren ‚Sinne, vielmehr ist namentlich das Glied d merklich variabel. Die Art, wie d einerseits von der Zahl der: Versuche, andererseits von der Grösse der Belastung, abhängt, hatte zur Folge, ‚dass u (a) in den Versuchsreihen, in welchen die Belastungsgewichte progressiv abnehmen, beträchtlich grösser ausfällt, als in. den Ermüdungsstufen, in welchen eben dieselben progressiv zuneh- men. In Folge hiervon giebt So in ersterem Falle einen zu grossen, in letzterem einen zu eigalot Mittelwerth für vo. Wer- den nun die Werthe « für die Fälle 5, c, d, e mit Hülfe die- ses aus dem a Falle abgeleiteten Mittelwerthes » berechnet, Controle der Ermüdungseinflüsse in Muskelversuchen. 767 so ist das durch Rechnung, erhaltene Product ‘nv zu gross, wenn der für den Grenzfall passende: grössere Werth von o in Anwendung genommen wird, und umgekehrt zu klein, wenn man den ebenfalls nur für den Grenzfall geltenden kleineren Werth von » anwendet. Mit dieser Darstellung des gesetzlichen Ganges der «- Wertlie dürften die Bedingungen, unter welchen die Ausglei- e der Ermüdung möglich ist, viel an Klarheit gewonnen haben. Mit Hülfe des Weber’schen Verfahrens lassen sich annä- herungsweise diejenigen Ermüdungsverlängerungen ausgleichen, welehe 'approximativ. wie. die Ordnungszahlen der ‚Versuche wachsen. | In der That, wenn ». mit. den Versuchen ‚gleichmäs- sig wächst, ist das arithmetische Mittel aus den -Ermüdungs- verlängerungen zweier Correspondenten- gleich der Ermüdungs- verlängerung des Mittelfalles, und indem die Bedingungen; sich nieht selten so. gestalten, dass © innerhalb enger Grenzen iu der That sehr approximativ constant ist, kann die Anwendbar- keit des Ausgleichungsverfahrens innerhalb. dieser ‚Grenzen ht in Zweifel gezogen werden. Andererseits ist einleuchtend, dass das von Weber vorge- schlagene Ausgleichungsverfahren gar keine Macht über, dieje- uigen Ermüdungsverlängerungen hat, welche von. der Zahl der Versuche unabhängig, sind... Jenes Ordnen der: Versuche, durch welches man Muskellängen. ‚combinirt, ‚deren ‚eine. von, der. 'Er- müdung um ebenso. viel weniger ‚vergrössert ist, als. die an- dere mehr vergrössert ist ‚als ‚die. im Mittelfalle befindliche Muskelläuge, dies ist der Natur der Sache nach! nur ‚da-mög- lich, wo. die Längen mit den Versuchen. und wie die Versuche wachsen. Nun tritt aber in der Ermüdungsverlän gerung bela- steter Muskeln ‚ein Glied d auf, welches. eine dem Einflusse der Belastungsgewichte ‘offen stehende Seite hat, und. da. das Melır und das Weniger solcher Einflüsse: mit. der chronologi- schen Polge der Versuche gar nichts, Zu thun hat, so’ kann auch das Ordnen der Versuche, mit.dessen Hülfe das Ausgleichungs- verfahren operirt' und, hin und wieder. seinen Zweck erreicht, in diesem Falle zu. nichts. führen. ‚Die Ermüdangsdifferenzen 168 G. R. Wagener: sind, in wiefern sie von der Verschiedenheit der Belastungsge- wichte abhängen, überhaupt nicht ausgleichbar. Ueber Gyrodaetylus elegans von Nordmann. Von Dr. G. R. WAGENER, ei Gehülfe am anatomischen Museum zu Berlin. (Hierzu Taf. XVIL und XVIII.) Seitdem von von Nordmann an den Kiemen von Cyprinen dieser merkwürdige Schmarotzer entdeckt wurde, haben Orep- lin, Dujardin und schliesslich von Siebold dieses Thier ‘von Neuem einer Untersuchung unterzogen. von Siebold namentlich berichtigte die von von Nord- mann gegebene Darstellung der Organisation und theilte über die Entwicklung des Gyrodactylus elegans höchst überraschende Beobachtungen mit. Er wies nämlich nach, dass aus einer sich theilenden Zelle ein Gyrodactylus im Mutterthiere entsteht, sich dort vollständig entwickelt, und während seines Embryonallebens trächtig wird. Diesen Beobachtungen fügte er noch Angaben über die Orga- nisation dieses Thieres bei, in welchen namentlich die Abwe- senheit der samenbereitenden Organe hervorgehoben wird. Durch letztere Bemerkung sah sich von Siebold veran- lasst, Gyrodactylus als ein ammenartiges Thier zu betrachten. Er nennt deshalb die Zelle, aus welcher sich das. Tochterindi- viduum entwickelt, eine Keimzelle und sucht das Endglied der Reihe unter den Polystomeen. In Nachfolgendem soll die geschlechtliche Zeugung des Gyrodactylus elegans nachgewiesen und zugleich die schon von von Siebold geschilderte Organisation des in Rede stehenden Schmarotzers in einigen Punkten vervollständigt werden. Vorkommen. Gyrodactylus elegans findet sich auf den Kiemen aller hier in Berlin zu Markt gebrachten Cyprinoiden. Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. 769 Man trifft ihn auch auf den Flossen und der Leibesober- fläche dieser Fische und man erhält ihn durch Abschaben des Schleimes. Er ist bis jetzt auf folgenden Fischen gefunden worden: Esoz lucius. Cyprinus phrozinus. Cyprinus carpio. „ erythrophthalmus. » gobio. 5 alburnus. & Brama. Cobitis fossilis. ” carassius. „ barbatula. Gasterosteus aculealus. Gasterosteus laevis. Nach einer mir gütigst von Herrn Dr. Semper mitgetheil- ten Zeichnung scheint auf den Kiemen von Cyelopterus lumpus eine dem Gyrodactylus elegans sehr ähnliche, wenn nieht iden- tische Species vorzukommen. Vorausgesetzt, dass die von von Nordmann gelieferte Zeichnung richtig ist, so würden sich specifische Unterschiede in den Haken der von ihm und der von mir beobachteten Spe- eies ergeben. Ich habe indess Grund zu glauben, dass diese Ab- weichungen nur auf kleinen Ungenauigkeiten beruhen, welche sich sehr schwer bei der bildlichen Darstellung der Haken ver- meiden lassen. Grösse. Das grösste von mir beobachtete Thier hatte un- gefähr '/, Mm. Länge. Seine grösste Breite mochte ungefähr ’/s Mm. betragen. Die Gestalt des T’hieres ist zungenförmig platt. Die Ränder sind nicht scharf, sondern abgerundet. ‘Das Kopfende ist in zwei kurze, etwas aufgetriebene Zipfel getheilt, und ist ungefähr '/,, Mm. breit. An das sich etwas verjüngende Schwanzende setzt sich schief eine häutige, fast dreieckige Saugscheibe an, mit nach der Bauchseite zugewandter Höhlung. Gewöhnlich ist der mittlere Theil des T'hieres aufgetrieben. Diese Auftreibung entspricht der Lage des Uterus. Befindet sich in diesem kein Ei oder kein limbryo, so wird die blasen- artige Erhebung durch eine klare Flüssigkeit erzeugt, welche den Uterus ausgedehnt erhält: Die Kopfzipfel werden von ihrer Wurzel durch eine seichte Grube auf der Bauchseite getrennt, die in den Mund führend Beichert's u, du Bols-Roymond's Archiv, 1800, 50 70 G. R. Wagener: ebenda endet. Es findet sich auch häufig eine’ Grube auf/der Bauchseite, dicht über dem hakenlosen Rand ‚der Schwanz- scheibe. DieRänder beider gehen in der Mittellinie des Thieres in einander über. Die äussere Haut zeigte keine deutliche Structur- Zu- weilen sah. man bei gewissen Contractionszuständen des Thieres feine, aus sehr kleinen Punkten gebildete Querlinien über die Oberfläche in regelmässigen Abständen hinziehn, so besonders am Schwanztheile. In der Umgebung des Mundes wurden manchmal nach dem Hervorstrecken der ‚acht 'Papillen feine Längsfalten auf der Bauchseite des Kopftheiles sichtbar. Unterhalb des Maules wichen sie aus einander, allmählig' ver- schwindend. Musculatur. Betrachtet man den Rand ‚eines @yrodac- tylus, so sieht man drei gleichlaufende Linien, Die äussere und mittlere gehört der Haut. Der Raum zwi- schen der mittleren und inneren ist etwas weniger breit, aber ebenso durchsichtig wie der erste. Die innerste ist die äussere Grenze‘ der inneren Leibesmasse, In letzterer bemerkt man häufig feine Längslinien, welche in die Schwanzscheibe auszustrahlen scheinen. Sie sind viel- leicht ‘als Muskelfasern anzusehen. In: der ‘Schwanzscheibe selbst ist eine Radialstreifung sehr deutlich. An jede Hakenöse sieht man derartige feine Linien in zwei getrennten Büscheln herantreten und dort aufhören. Ebenso zeigt die durchsichtige, das mittlere Hakenpaar der Schwanz- scheibe einschliessende Masse eine, ihren seitlichen Grenzlinien gleichlaufende Streifung, welche vielleicht ebenfalls auf eontrac- tile Elemente zu beziehen ist. Die Oeffnung für das später ‚zu beschreibende penisartige Organ ist, wie die Geschlechtsöffnung von Octobothrum ‚lan- ceolatum, mit kleinen Häkchen umstellt. Von der Sohle ‚eines jeden dieser Haken gehen zwei Streifen’ herab, die vielleicht “ Muskelfasern sind. Eine sehr auffällige Erscheinung sieht man bei Gyrodactylus, anscheinend nicht lange nach einer Geburt eintreten. Auf dem ganzen Körper des Thieres entstehen Falten und keulenförmige Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. ıaı Zotten, in deren Bildung auch zuweilen, ausser der Haut, die innere Leibes- oder Fleischmasse eingeht. - Dureh den ganzen Körper des T'hieres sind kleinere und grössere Fetttropfen zerstreut, die sich im ganz frischen Thiere, dessen Durehsichtigkeit fast krystallhell zu nennen ist, sehr her- vorheben, Die sich sehr bald unter dem Mikroskope einstel- lende Trübung des T'hieres geht meist mit Imbibitionserschei- nungen. der äusseren Haut einher. Die Schwanzscheibe lässt einen centralen und periphe- rischen Theil unterscheiden. Sie entspricht in allen ihren Theilen dem gleichnamigen Organe einzelner Dactylogyrus- species, mit dem einzigen Unterschiede, dass die Hakenspitzen der letzteren nach dem Rücken zu gerichtet sind, bei Gyro- daciylus jedoch nach der Bauchseite. Der eentrale Theil der Schwanzscheibe besteht aus einem fein längsgestreiften Fleischbündel, welches die grossen Haken mit ihren zwei Klammern vollständig umhüllt. Jeder Hakenspitze entspricht eine, Oefinung im Polster. Der dem Thiere zugewendete Rand dieser Oeflnung enthält einen V för- mig gebogenen dünnen Streifen, der eine theilweise Binfassung des Loches darstellt. Der Hakenapparat der Centralscheibe besteht aus den bei- den grossen Haken und deren beiden quergelagerten Klammern. Jeder der grossen Haken ist platt. Sie stehen auf der Kante, sind nach der Kante hin gebogen und ihre Basis ist nach der Kante hin verbreitert in unregelmässiger, schwer zu beschrei- bender Form, An den einander zugewandten Flächen der Ha- kenbasis finden‘ sich zwei vorspringende, fast ‚gleichlaufende Falten, denen Vertiefungen auf der äusseren Fläche entsprechen. Die Falten sind kurz, ‚gleichen einem Cireumflex und gehen von hinten und oben nach vorn und unten. © Das nicht auflie- gende Ende der Hakenbasis ist etwas verdickt — der letzte Theil der freien Hakenspitze ist sanft nach aufwärts gebogen. Die obere ‚der quer über die Hakenbasis gelegten bandar- tigen Klammern ist die stärkere und breitere. Ihre Begren- zungslinie ist unregelmässig wellig. Die Enden sind etwas über den Haken herabgebogen und schief von aussen nach innen bu* 7172 G. R. Wagener: abgestutzt. Die Oberfläche ist leicht gefaltet. Häufig ist auch der obere und untere Rand der Klammer verdickt. Der letz- tere setzt sich in einen schürzenartigen breiten, sehr dünn wer- denden Saum fort, der eine Leiste an seinen beiden Seitenrän- dern hat und wie der Zwischenraum der Haken geformt ist, in welchen er sich hineinschiebt. Da die Haken nachden Flächen Sförmig gegen einander gekrümmt sind, so dass sie einen herz- förmigen Raum einschliessen, so muss die festsitzende Basis der Klammerschürze breiter als ihr freier Rand sein, der fast bis zum Beginn der Aufwärtsbeugung der Haken reicht. Die untere Klammer ist sehr schmal, ihr unterer Rand zieht sich zu einem dünnen, nach unten zu leicht bogig ausgeschnit- tenen häutigen Saum aus. Die Klammer gleicht einem gebo- genen, kurzen Drahte, welcher seine freien Enden, etwas auf steigend, den beiden Haken anlegt. Die Centralscheibe hat einen Vförmigen Querschnitt, der nach der Hakenbasis hin zu einer Ebene sich ausbreitet. Der peripherische Theil der Schwanzscheibe ist sehr beweglich. Auf seinen Rand, den oberen ausgenommen, sind in regelmässigen Abständen sechszehn kleine Häkchen vertheilt; durch das Vor- und Zurücktreten dieser Organe er- hält der Rand der Schwanzscheibe ein sehr wechselndes Aus- sehn. Sind die Häkchen mit dem sie umhüllenden Fleische finger- artig vorgestreckt, so sind die Zwischenräume oft weit zurück- gezogen und jeder mit zwei regelmässigen Einschnitten: ver- sehen. Bei weit zurückgezogenen Haken sind die freien Zwischenräume dagegen nur sehr flach ausgesehnitten. Jedes Häkchen ist einzeln beweglich. Es kann tief in die ihn umgebende dickere, fein längsgestreifte Fleischhülle zurück- gezogen werden, so dass sich selbst seine Spitze ganz verbirgt, — oder es wird weit hervorgeschoben, so dass das Häkchen ganz frei wird und es einem Finger mit einer Kralle gleicht. ‚Jedes dieser kleinen Häkchen lässt drei Theile unterschei- den: das Häkchen selbst, seinen Stiel und eine Oese. Die bei- den letzteren dienen nur seinen Bewegungen. Das Häkchen ist platt, stark nach der Kante gebogen und sehr scharf. — Seine Basis zieht sich nach vorn und-hinten Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. 7173 in zwei kurze Flügel aus, die ebenfalls auf der Kante stehen. Auf der schmalsten Stelle dieser biscuitförmigen Figur sitzt der Haken auf. Der eine dieser Flügel liegt unter der Rückseite, der andere unter der Bauchseite der Scheibe. An dem letzteren Flügel befestigt sich in unerforschter Weise ein an seinem freien Ende etwas geknöpfter Stiel, der sehr dünn, elastisch und acht Mal so lang als der Haken ist. Oft stark gebogen durch die Contraction der Schwanzscheibe kehrt er leicht und schnell beim Authören der Bewegung zur Streekung zurück. Der unter der Rückseite liegende Flügel dient einer schwach .eonturirten länglichen Oese zum Ansatze. Sie ist halb so lang als der Stiel und es gehen zwei starke, nach der Mitte der Scheibe hin sich verlierende Streifenbündel an sie heran. Wie sich die Oese mit dem Flügel verbindet, lässt sich nicht ermitteln. Stellt man sich vor, dass der Stiel vorgesehoben und die Oese zurückgezogen wird, so hebt der auf beiden etwas beweg- liche Haken seine Spitze aus. Wird der Stiel dagegen zurück- gezogen, so schlägt sich der Haken ein. Zum Verdauungsapparat führt die quere, auf der Bauchseite, dicht unter den Wurzeln der Kopfspitzen liegende Mundspalte. Sie bildet das untere Ende der seichten Grube zwischen den Kopfzipfeln, und führt in einen kurzen, birnförmigen Sack mit sehr dünner, zuweilen fein längsgestreifter Wandung. Im Grunde dieses Sackes befestigt, ganz wie bei Diplozoon oder Diporpa, liegt ein schlundkopfartiges Organ, was vorge- schoben werden kann und bei Misshandlungen sogar ganz aus der Mundspalte heraustritt. Dies Organ von turbanartiger Gestalt besteht aus zwei Theilen. Der obere, frei in die Mundhöhle hineinragende hat acht Spitzen, die kieferartig, wie von Sieb old sagt, gegen einan- der bewegt werden können. Jede der acht, mit ihren Spitzen gewöhnlich eng aneinander liegenden Kegel ist fein lüngsge- streift. Die kleinen zuckenden in dieser Lage ausgeführten Bewegungen lassen sie wie harte Körper erscheinen. Treten sie jedoeh aus der Mundspalte hervor, so breiten sie sich zu 774 G.. R. Wagener; einem achtarmigen Sterne aus, die feinen Längslinien sind ver- schwunden und sie gleichen mehr einerstructurlosen, zähen Masse Der untere Theil, dem die acht Kegel aufsitzen, ist ein etwas abgeplattetes Sphäroid. Es besteht aus acht, durch seichte meridionale Einschnitte von einander getrennten, zellen- artigen Körpern. Auf jedem sitzt eine Spitze auf, welche ebenfalls mittelst einer Furche sich von ihm absetzt. Die Summe dieser queren Furchen bildet den Kreis, welcher an dem Schlund- kopfe einen oberen und unteren Theil unterscheiden lässt. Die acht zellenartigen Körper haben einen feinkörnigen In- halt, in dessen Mittelpunkte sich eine sehr helle, runde, mit Flüssigkeit gefüllte Höhle befindet, welche einen kugligen, dunk- leren Kernkörper enthält. Der Sehlundkopf vieler Distomen ist in ähnlicher Weise gebildet, wenn man von den kegelförmigen Spitzen absieht. Innerhalb der Längs- und Querstreifung, welche man gewöhn- lich auf Muskelfasern bezieht, sieht man auch helle, kernartige, scharf umschriebene Räume, in welchen sich ein kernkörper- artiges Gebilde befindet. Der Darm von Gyrodactylus ist zweischenklig, blind, durch einen kurzen Oesophagus mit dem Schlundkopfe verbunden, und in allen seinen Theilen von gleicher Structur. Bei Thieren, welche noch nicht durch die Untersuchung gemisshandelt wur- den, sieht man meist den mittelsten Raum des Darmes und Schlundes von einer klaren Flüssigkeit erfüllt, welche die Wandungen auseinander hält. Blutartig gefärbt, wie bei Dac- tylogyrus monenteron sah ich diesen Inhalt nie. Bei dem gros- sen, schönen Gyrodactylus von Cobitis war der Darm stets von einer klaren, gelben Flüssigkeit erfüllt, die für die Untersuchung die Dienste einer Injection leistete. Diese Flüssigkeit stimmte im Aussehen mit dem gelben, gleichförmigen Pigmente überein, welches die Haut des Fisches färbt. " An dem Verdauungsrohr lassen sich zwei Sehichten unter- scheiden. Die äussere liess keine Structur erkennen, Zwei Linien bezeichneten ihre Grenzen. Die innere ist bedeutend stärker und besteht in einer gleichmässig dicken Lage von feinkörniger Masse, in der sich hin und wieder Querlinien be- Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. 7175 merklich machen, die eine zellige Structur anzudeuten scheinen. Sie löst sich ungemein: leicht ab und füllt dann das Darmrohr aus. Der Verlauf dieses Organes ist ganz so wie: bei vielen Di- stomen. Es hält sich an den Seiten des Thieres, dicht unter der Rückenfläche hinziehend. Seine beiden Blindsäcke begeg- nen sich in der Mittellinie, in kurzer Wendung einander ent- gegenkommend. Von der grösseren oder geringeren Ausdehnung des Uterus hängt die Entfernung der meist etwas aufgetriebenen Darmenden von einander ab. ‘Bei kleinem Uterus können sich die Blindsäcke einander berühren.‘ Der: Darm nimmt 'in seinem Verlaufe ungefähr die zwei mittleren Viertel.des Thieres ein, Er’ umfasst das Ei, den Uterus, den Hoden, liegt dem Bierstocke auf, dessen obere Verbreiterung ihn aber ‚nach aus- sen hin etwas überragt. Das Gefässsystem liegt nieht auf dem Rücken, sondern auf der Bauchseite, Seine: dünnen Wandungen umschliessen einen klaren Inhalt. Die feineren Zweige besitzen deutliche Wimperläppehen. Es sind vier Hauptstämme sichtbar, ‚welche zu zwei jederseits des: Thieres dicht bei einander gelagert, in ihrem Verlaufe sich nachahmen. "Im Schwanztheile, kurz vor dem oberen Rande der 'Saug- scheibe, dicht unter dem unteren des Eierstockes, wenden sich die beiden Gefässpaare der Mittellinie des Thieres zu. ‚Die oberflächlichen sich entsprechenden Gefässstämme beider Seiten Niessen in einen kurzen, aber nieht stärker luminirten Stamm zusammen, der sich dem Beobachter plötzlich so zuwendet, dass er seinen Querschnitt zeigt. Ob er die Bauchwand durchbohrt, oder ob er auf der Rückseite ausmündet, wie man: wohl glau- ben kann, liess sich nicht ausmachen. Die anderen beiden sich entsprechenden Gefüsse beider Sei- ten, welche im Ganzen schwächer erscheinen , lösten sich ‚an- scheinend in dünnere Zweige auf, welche mit Zweigen aus der Schlinge’ihren Verlauf nach der Schwanzscheibe bin ‚nahmen. In letzterer finden sich zwischen dem vierten ‚und fünften Häkchen jeder Seite, dicht am Rande, zwei sehr grosse, leb- haft bewegliche, mit ihrer freien Spitze nach innen gerichtete, Flimmerläppchen. Zugleich) bemerkt man, dass eine Oeflaung 776 G. R. Wagener: auf dem etwas gewulsteten Scheibenrande an dieser Stelle ‚sieh befindet. Ob diese Oeffnung in einen ‚Blindsack oder Canal führt, blieb unentschieden. Die beiden’ Gefässpaare machen in ihrem Verlaufe ‚nach dem Kopfe zu zwei Hauptwindungen, welche den von ihnen begrenzten Raum in drei Abtheilungen’theilen, Die unterste reicht von dem Zusammenfluss der Gefässe bis zur unteren Grenze des Hodens. ‘Hier weichen die Gefäss- paare plötzlich stark nach aussen hin, treten aber schon in.der Höhe der unteren Uterusgrenze in rascher Wendung einander entgegen, gehen wiederum etwas nach aussen und. gehen: leicht geschlängelten Verlaufes gerade auf den Schlundkopf zu, an dessen Seiten sie bis zur Mundöffnung ‚sichtbar bleiben, dann aber allmählig durch ihre Feinheit sich dem Blicke entziehen. An der Stelle, wo die Gefässe die obere Grenze des Darmes überschreiten, gehen nach innen zu ein paar kleine Gefässe ab. Ein anderer weit stärkerer Zweig wendet sich nach aussen und windet sich auf- und absteigend durch eine Anhäufung von Zellen, welche in ihrer Form den s. g. einzelligen Drüsen ent- sprechen. Diese s. g. einzelligen Drüsen liegen an. den beiden Kopfrändern des Thieres, jederseits eine obere und eine untere Anhäufung bildend. Die obere ist die kleinere und besteht aus sechs bis zwölf retortenförmigen Körpern, von denen immer einige einen hel- len Kern nebst entsprechendem dunkleren Kernkörper besitzen. Die grössere untere besteht aus ‚acht bis zwölf weit grös- seren Zellen. Jede von ihnen hat einen hellen Kern und dunk- leren Kernkörper, welche, wie die der oberen Abtheilung,, in einer melır oder minder bräunlichen, dunklen, feinkörnigen Masse liegen, die die ganze Zelle ausfüllt. Von jedem dieser Gebilde geht ein mehr ‘oder minder feiner, mit ähnlicher Masse gefüllter Faden nach: dem Kopfzipfel in die Höhe, dessen freier Rand ihr Ende ist. Jeder dieser Fä- den ist nicht von gleichmässiger Dicke in seinem Verlaufe. Hie und da lassen sich Anschwellungen an ihm wahrnehmen. Während die zellenartigen Körper unter der! Rückseite des Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. N "Thieres liegen, verlaufen diese Fäden unter der Bauchseite, zu einem braunen, etwas spiralig gedrehtem Bündel vereinigt. Im Kopfzipfel selbst schwillt jeder einzelne Faden stark an. Man kann ihn durch die structurlose Haut hindurch verfolgen. An der Spitze des Kopfzipfels sieht man häufig eine klebrige, fa- denziehende Masse austreten. Sie hält sich genau in ihrem Erscheinen in dem Bereiche der die structurlose Haut durch- setzenden Fäden. Dicht hinter dem unteren grösseren Zellenhaufen unter der Rückseite des Thieres liegen zwölf bis funfzehn Zellen eng wie Pflasterepithel an einander, zu beiden Seiten des Thieres, die äussere Seite des Darmes bedeckend. Die oberen sind die grösseren, die unteren werden immer kleiner, so dass es nicht möglich war, die untere Grenze dieses Zellenlagers genau zu bestimmen. Der Kern und Kerukörper dieser Zellen war den schon beschriebenen Nachbarn ähnlich. _ Der Zelleninhalt war feinkörnig, ganz farblos, aber sehr durchsichtig. War der Gyrodactylus gross, so war die Zahl dieser hellen Zellen gering, während die Anzahl der bräunlich gefärbten ge- stielten grösser war. Bei jüngeren Gyrodactylus war das Ver- hältniss umgekehrt. Man kann biernach glauben, dass die hellen Zellen späterhin einen Fortsatz oder Stiel erhalten und bräunlich - werden. Ausser diesen 8. g. einzelligen Drüsen kommen auch noch drei solcher von sehr kleinem Umfange zu beiden Seiten der Mundhöhle vor. Von ihnen gehen drei braune feinkörnige Strei- fen quer zur Mittellinie des T’hieres über oder in der Rückseite der Mundhöhle, mit einer leichten Biegung nach aufwärts endigend. Unter dem Rücken, etwas höher als der Mund, sah ich vier grosse, helle, feinkörnige, zellenartige Körper bei einander lie- gend, deren Bedeutung, ganz räthselhaft blieb. Es scheinen alle diese zellenartigen Körper oder auch 3. g. einzelligen Drüsen mit denen verglichen werden zu müssen, welche in den Kopfzipfeln der Daciylogyrus-Arten vorkommen. Die vier zellenartigen Körper, welche zuletzt erwähnt wurden, entsprechen vielleicht denen, welche über dem Munde der Dac- Iylogyrus-Arten liegen und dort bräunlich gefärbt ein sehr eigen- thümliches Ansehn haben, 778 G. R. Wagener: An sie sind noch die von mir zuerst unter dem Namen „Zotten oder zottenförmige Körper“ beschriebenen, in ‚der. .Haut vieler Trematoden und Cestoden vorkommenden Körper anzu- schliessen. Auch sie haben einen in der Haut endigenden, ‚mit brauner körniger Masse erfüllten Fortsatz, der von einem Sacke ausgeht, in dem sehr häufig ein heller Kern und ‚dunklerer Kernkörper nachzuweisen ist. Ja, es ist dieser selbst. in, ein- zelnen Fällen doppelt vorhanden, wodurch wohl die Einzellig- keit dieser Körper gefährdet wird. Bei den Cestoden kann man sehr gut-an der, dem: Haut- ende des Zellenfortsatzes entsprechenden Stelle‘ einen: Fett- tropfen allmählig entstehen sehen, der, immer grösser werdend, sich ablöst, und vom Wasser unangegriffen darin schwimmt, nachdem ein neuer Tropfen an derselben Stelle erschienen ist. Der Inhalt des Sackes wird dabei lichter, die Zahl: der feinen Körnchen mindert sich, der Zellenkern scheint lose in der kla- ren, kleine Bruchstücke der körnigen Masse führenden Flüssig- keit zu liegen, und eine feine doppeltconturirte Linie bezeichnet die Wand des Sackes. Bei Gasterostoma fimbriatum finden sich zwischen den fiu- gerförmigen Tentakeln Säcke, die der Museulatur ‚des. Kopf- napfes his in dessen Grund hinein folgen. Der körnige, bräun- liche Inhalt dieser Säcke wird durch die Contractionen des Kopfes lebhaft hin und her geworfen, so dass man geneigt ist zu glauben, die Tentakelzurückzieher zu sehen, die Tentakel selbst scheinen indess gar keine Zurückzieher zu besitzen. In dem Inhalte dieser drüsenartigen Organe sieht man zu- weilen ein oder auch zwei helle Kerne mit dunklerem, kern- körperartigem Gebilde, welche an den heftigen Bewegungen der, die Höhlung ungleichmässig ausfüllenden Körnchenmasse passiv Theil nehmen. Zuweilen sieht man auch deutlich die Höhle von einer feinen Haut ausgekleidet, wie sich aus der-feinen Doppelcontur, welche den theilweis mit heller Flüssigkeit er- füllten Hohlraum gegen die faserige Masse des Kopfnapfes abgrenzt, schliessen lässt. Die zottenförmigen Körper in der Haut von Distoma, Mo- nostoma, Holostoma und Aspidogaster gleichen ganz denen der Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. 779 Gestoden, so dass wenigstens von Seiten ihrer Struetur bis jetzt kein Einwand gegen die Identität. derselben erhoben wer- den kann. "Der Gesehlechtsapparat besteht‘ /aus einem einfachen Hoden und einem 'hufeisenförmigen EBierstock. Der Hode ist ein meist kugliger, oder auch herzförmig gestalteter Sack, mit nach oben 'gerichteter‘ Basis. Er liegt unter dem Rücken des Thieres zwischen den beiden Schenkeln des Eierstockes und des Darmes, mit seinem Grunde die huf- eisenförmige Commissur des Ovarium erreichend. Seine ‘obere Wand deckt etwas den Bileiter, wo das Ei seinen Eintritt in den Uterus 'abwartet. Die Wand des Hodens hat doppelte Conturen. Sein Ausführungsgang ist ein kurzes Rohr, das die obere Wand des Eileiters zu durchbrechen scheint. Die gemeinschaftliche Geschlechtsöffnung, d. h. des Eileiters und Hodens, bildet eine, von der unteren Wand des Uterus in seine Höhlung hineinragende papillenartige Erhebung. Der Inhalt des Hodens besteht zuweilen ganz aus Zellen, zuweilen ist ‘die Hälfte des Sackes mit heller Flüssigkeit er- fällt; in-der entweder lebhaft Samenfäden sich tummeln, oder jene bekannten maulbeerförmigen mit ‘Samenfäden besetzten . Kugeln sich’ finden, denen auch noch unbewegliche Fäden bei- gesellt sind. Man findet ab und zu ‘auch noch ein scheinbar jungfräuliches "Ei-im‘ Bileiter, das von "Samenfäden 'umspült wird. Zuweilen findet man die Zoospermien auch in dem noch nieht durch das Bi ganz ausgefüllten Uterus. " Die Zoospermien selbst sind einfache Fäden, ohne beson- dere Auszeichnung des Kopfendes, doch scheint letzteres etwäs dieker üls der Schwanz zu sein, ‚der ganz unmerklich in das- selbe übergeht. Der Eierstock ist gross und nimmt fast die ganze untere Halfte des Dhieres ein. Br ist! sehr durchsichtig, im’ Allge- meinen von hufeisenförmiger Gestalt, ‘Seine oberen Enden rei- chen, je nach der Ausdehnung des Uterus, über die untere Wand desselben hinaus. Von ‘der Entwickelung des Bierstockes "hängt ‘die Länge und Breite dieser "Drüsenlappen ab; deren oberster zuweilen 780 G. R. Wagener: leicht eingesehnitten mit einer Verbreiterung den über ihn ge- lagerten Darm umfasst. Die Drüse liegt unter der Bauchfläche. Sie ist durch viele seichte Furchen in Abschnitte getheilt, welche bei jedem Thhiere anders sind und vielleicht in der Eibildung ihren Ursprung finden. Jede dieser Abtheilungen oder Provinzen besteht aus einer sehr klaren Grundmasse, in der helle Kerne mit Kern- körper in unregelmässigen Abständen, doch von ziemlich gleicher Grösse zu sehen sind. Ob sich um diese Gebilde schon Zellen geformt haben, ist nicht zu ermitteln gewesen. In der Gegend des Eileiters sieht man zuweilen einen mit dem Kerne concen- trischen Kreis einen Theil der Grundmasse abschneiden. Man kann darin das zunächst in den Eileiter tretende Ei vermuthen. Der Eileiter scheint von beiden Flügeln des Bierstockes seinen Ursprung zu nehmen. Als ein häutiger Canal läuft er an der unteren Uteruswand dicht hin, quer von einem Eier- stockfllügel zum anderen geradesweges übergehend. In seine obere Wand scheint der Ausführgang des Hodens sich einzusenken. Der Uterus wird von einer ovalen, durch eine starke Haut begrenzten Höhle gebildet. Er liegt zwischen den Darmschen- keln, welche seine Wandungen im ganzen Durchschnitt be- rühren, die untere ausgenommen, ‘welche an den Eileiter stösst. Die Grösse des Uterus richtet sich ganz nach seinem Inhalte. Enthält er einen entwickelten Embryo, so treibt er in sei- nem ganzen Umfange den Bauch und den Rücken des Thieres stark hervor, und während Hoden und Eierstock zurückgedrängt werden, kann er fast die Länge der Darmschenkel erreichen. Gleich nach der Geburt verkleinert er sich auf Dreiviertel bis zur Hälfte seiner Grösse, und wird durch eine klare Flüs- sigkeit ausgedehnt erhalten, welche, man möchte sagen, plötz- lich in ihm erscheint. Dieser schnellen Entleerung folgt eine sofortige Verkürzung des Thieres, in welchem auch Hoden und Eierstock jetzt etwas höher als vorher zu liegen kommen, Zuweilen wird indess der Uterus nach diesem Acte etwas kleiner; doch sah ich nie seine Wandungen sich ganz an einander legen. Dieser Umstand scheint aber einzutreten, wenn das Ei seinen Eintritt in den Uterus längere Zeit beanstandet, Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. 781 Bei der allmähligen Ausdehnung des Uterus in der Schwan- gerschaft scheint schliesslich die papillenartige Erhebung, durch welche das Ei und auch Zoospermien in die Uterushöh- lung treten, ganz zu verstreichen. Nach der Geburt tritt diese Oefinung gewöhnlich sehr stark nach innen hervor, doch ge- schieht es auch, dass sie in den Faltungen des Uterus un- sichtbar bleibt, so dass man ihre Existenz bezweifeln kann. So wenig wie eine stets vorhandene papillenartige Erhebung mit stets vorhandener Oeffnung mit Sicherheit angegeben werden kann, mit noch geringerer Sicherheit lässt sich eine Geburts- öffnung sehn. Die Stelle, wo die Geburt des Embryo statt hat, ist’eine ganz bestimmte, dicht unter dem späterhin zu be- sehreibenden penisartigen Organ gelegen, und doch ist es bis jetzt nicht gelungen, dort eine besondere Bezeichnung für diese Stelle aufzufinden. Gleich nach der Geburt treten Hautfalten und eine leichte Trübung der Organe ein, welche es sehr erschweren, die Geburts- Öffnung an der Mutter zu finden. Die innere Uterusfläche ist stets mit einem unregelmässig dieken, feinkörnigen Belage versehen, der die obere und un- tere Uterusspitze wie ein Pfropfen ausfüllt. Zuweilen sieht man in ihm zellenartige kleine Körper. Der feinkörnige Ueberzug haftet der Uteruswand fest an, scheint jedoch mit der weiteren Ausbildung des Embryo, der eng von der Uteruswandung um- schlossen wird, ganz zu verschwinden. Auf den Geschlechtsapparat wird noch ein eigenthümli- ches, von v. Siebold nicht erwähntes penisartiges Organ bezogen werden müssen. Es liegt dieht hinter dem Schlundkopfe, unter der Haut, auf der oberen Grenze des Darmrohres. Es besteht aus einem Sacke, der den eigentlichen Penis einschliesst und dem sich drei eigenthümliche sackförmige Organe anfügen. Der Penissack ist birnförmig oder fast kuglig. Er scheint an der der Haut anliegenden stumpfen Spitze durchbohrt zu sein. Diese Oeffnung ist von acht bis sechszehn kleinen Haken radial umstellt, deren oberster sich durch seine Grösse und Gestalt auszeichnet, 782 G.:R. Wagener: Die kleinen Haken’ weisen mit ihrer Spitze auf‘ dengemein- samen Mittelpunkt, die scheinbare Oeffnung des‘ Sackes, 'hin, Die Basis ‘dieser kleinen Haken verbreitert sich löffelförmig, sich dem Sacke anschmiegend. Von seinen beiden Seitenrän- dern gehen je ein Streifen wie Meridiane auf oder dicht unter der Oberfläche des Sackes herab. Der grosse Haken erscheint zweiflüglig auf dem ‚stumpfen Winkel eines dreieckigen Basalstückes aufgesetzt,. in dieser Form, einem Doppelhaken entsprechend. Auf dem Grunde dieses bewaffneten Sackes liegt: ein klei- ner, in seiner Längsaxe durchbohrter birnförmiger ‚Körper. ‚Er füllt ungefähr den vierten Theil des Sackes' aus. % Mit ihm scheint das mittelste durch eine dieke ‚Haut und dunklen körnigen Inhalt, ausgezeichnete sackförmige Organ un- mittelbar zusammen zu hängen. Der Sack verläuft. etwas’ ge- wunden und besitzt eine Einschnürung, wie man.sie, an der Ves..sem. externa der Distomen gewöhnlich findet. In ihm sah ich nie Samenfäden, Auch liess sich kein Gang vom Hoden hinauf zu ihm verfolgen. ‚Zu beiden Seiten dieses mit einem Samenblasenrudiment zu vergleichenden: Sackes liegeu noch jederseits zwei Bälge oder Säcke , welche doppelt'sind. Die beiden oberen sind länglich und kleiner als die beiden unteren kugelförmigen. Ihr‘ Inhalt besteht. aus feinkörniger Masse und jede Abtheilung hat einen hellen Kern und'dunk- leren Kernkörper. j Man kann diese Säcke mit.den ‚eine zähe, braune :Masse enthaltenden Blasen des Penis von Dactylogyrus fallax nieht vergleichen, welche beiden Seiten der Samenblase anliegen. Das Ei von Gyrodactylus elegans: ist nach seiner Ablösung, — einem Act, der, beiläufig gesagt, noch nieht beobachtet wurde; da. er sehr langsam: vor sich zu ‚gehen scheint, — eine durch- sichtige Kugel oder Zelle, deren: Kern. ganz wasserhell und scharf umschrieben ist, deren Kernkörper' aber: wie. der Dotter leieht opalisirt. . Im Kernkörper findet sich zuweilen noch‘ eine Kugel, so hell und. so, ‚scharf begrenzt, wie. .der Kern»selber. Ihre Bedeutung ist unbekannt geblieben. Man sieht im Bileiter zuweilen sehr kleine Eier liegen (namentlich. in‘ kleinen‘ \@yro- dactylus), welche kaum ein Drittel der gewöhnlichen Grösse Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. 733 erreichen. Es ist möglich, dass letztere noch im Eileiter wach- sen, der stets nur ein Ei enthält. Während das Ei im Eileiter liegt, gehen Veränderungen in ihm vor, welche man gewöhnlich auf die Wirkung der Be- fruchtung zu beziehen pflest. Der Kerukörper, anfangs scharf begrenzt, verliert seinen bestimmten Umriss und der zuweilen in ihm vorhandene Fleck ist nicht mehr sichtbar. „Je weiter die Auflösung; des Keimfleckes vorschreitet, umso durchsich- tiger wird der Kernkörper, um so grösser wird der Raum, den er einnimmt. Zuletzt ist der ganz wasserhelle Kern des Bie strübe geworden durch die in demselben schwebend geblie- benen Veberreste des Keimfleckes. Es gelang einmal, ein Ei, das dieses Stadium erreicht hatte, bei seinem Eintritt in den. Uterus zu beobachten. Die bei diesem Vorgang auftretenden Erscheinungen lassen sich am, besten mit dem Durchfliessen einer zähen Masse durch eine enge Oeffnung vergleichen. Der allmählig sich vergrös- sernde Dottertropfen, der aus der Papille im Uterus hervor- quoll, schien jeden Augenblick abreissen zu wollen. Der Kern oder das Keimbläschen wurde durch die Contractionen des Tbieres, welche anscheinend diesen Vorgang bewirkten, gegen den Eingang der Uteruspapille gedrängt. Den hinteren Theil seiner Peripherie umgab dabei noch eine ziemlich starke Dot- terschicht. Das Keimbläschen nabm in seiner Bedrängniss alle möglichen Formen an. Jede Ungleichmässigkeit des Druckes bezeichnete eine Gestaltsveränderung des Kernes, der. dem Durchtritte des Eies grosse Schwierigkeiten entgegen zu setzen schien, Plötzlich barst es und das Ei stürzte in den Uterus. Dort sah man nicht, wie man ‚nach den gewaltsamen Vorgängen hätte glauben mögen, mehrere Tropfen oder eine unregelmässig geformte Masse. Man sah vielmehr im. Uterus eine grosse, dunkel opalisirende Kugel, deren ganz gleichför- miges Aussehn sehr an den etwas lichteren Dotter des unver- letzten Bies erinnerte. Das beobachtete Thier ging vor dem Eintritt der Furchung') zu Grunde, 1) Fernerhin nur als Name und nicht als Begriff hier gebraucht. 784 G. R. Wagener: Es schien sich also der veränderte Inhalt des Keimbläschens innig mit dem Dotter gemischt zu haben oder auch derselbe Process mit dem Keimbläschen und dem Dotter stattgefunden zu haben, der vorher mit dem Fleck des Keimfleckes und die- sem selbst, und etwas später mit dem Keimfleck und dem Keimbläschen vor sich ging. Auch dieser Vorgang ist direct beobachtet worden. Es fand sich nämlich in einem Uterus eine Kugel, welche der eben beschriebenen, während der Beobachtung entstandenen in allen sichtbaren Eigenschaften vollständig gleich war, wäh- rend fast bis in die Mitte des sonst leeren Bileiters ein noch mit dem Eierstoek zusammenhängendes kleines Ei hineinragte. Plötzlich bildete die im Uterus liegende erste Furchungskugel an ihrem oberen Umfange eine Erhabenheit, deren Basis sich erweiternd nach dem verticalen grössten Kreise der Kugel schnell vorrückte, eine fortgehende und sich vergrössernde tiefe Einschnürung bildend. In der Mitte der Kugel angekom- men, hielt sie inne, und sichtlich tiefer greifend erschien schliesslich die Kugel wie durchschnitten. Weitere Beobachtungen anzustellen verhinderte die, nach einer Viertelstunde schon beginnende Zersetzung des Thieres, während welcher Zeit die beiden an einander klebenden Fur- chungskugeln sich ganz still verhielten. Auch das Ei am Ein- gange des Eileiters hatte noch keine Anstalten zur Trennung . von seiner Geburtsstätte getroffen. Die weiteren Furchungserscheinungen treten, wie schon v. Siebold bemerkte, dem Anscheine nach mit grosser Unre- gelmässigkeit auf. Die Beobachtungen, die ich darüber habe machen können, gestatten folgende Bemerkungen. Erst nach dieser Zweitheilung der ersten Furchungskugel scheinen vollständige Zellen gebildet zu werden. Während man nämlich sonst gewohnt ist, in der ersten Furchungskugel Kern und Kernkörper sich bilden zu sehen, deren Erscheinung der zweiten Furchung vorhergeht, scheint hier erst die Kern- und Kernkörperbildung nach der ersten Furchung einzutreten, Wie diese Kern- und Kernkörperbildung vor sich geht, ist schwer zu beobachten. Es ist, als ob im Inneren der Fur- Ueber Gyrodaetylus elegans von Nordmann. 7185 chungskngel eine Sonderung des Flüssigeren vom Festeren ein- tritt, da man zuweilen innerhalb der gleichförmigen Masse eine Art von Lockerung der Substanz bemerkt, die sich durch ein grobkörniges Aussehen kund giebt. Zuweilen liess sich dieses Aussehen auf ganz kleine, wasserhelle, dicht bei einander lie- gende kernartige Bläschen mit entsprechendem 'Kernkörper zurückführen, zuweilen jedoch gelang es nicht. Die Kerne und Kernkörper, welche man in den beiden Fur- chungskugeln antrifft, sind sehr verschieden gross. Der Kern ist immer wasserhell, scharf begrenzt, zuweilen rund, zuweilen oval oder auch mehr oder weniger regelmässig biseuit-, auch wurstförmig. Der Kernkörper ist nur dunkler. Im Uebrigen ahmt er die Gestalten des Kernes' nach. Hat ersterer. eine gewisse Grösse erreicht, so kann er länglich werden, er kann sich unregelmässig biegen, und seichte Einschnitte an ihm deuten scheinbar auf eine Vermehrung durch Theilung hin. Hat die Zahl der Zellenkerne, deren Bildungsstätte jeder Theil der Furehungskugel in der Art sein kann, dass sie nicht im Centrum, sondern auch an der Peripherie erscheinen kön- nen, zugenommen, so müssen sie der Oberfläche sich nähern, welche sie sichtlich ausbauchen. Dies scheint der Anfang des Austrittes der Zellen aus der Furchungskugel zu sein. Der Kern muss noch von seiner Bildungsstätte etwas mitnehmen, da man nie blosse Kerne mit Kernkörper, sondern stets Zellen in sehr unregelmässiger Weise der Furchungskugel anhaften sieht. Die Oefinung, aus der eine solche Zelle allmählig her- austritt; muss sich bei der schon oben erwähnten, zähen Beschaf- fenheit des Eies gleich bis zur Unsichtbarkeit schliessen. Die Embryonalzellen haften nur mit einem sehr kleinen Theile ihrer Peripherie der Furchungskugel an, doch habe ich nie gesehen, dass sie sich von ihr ganz gelöst hätten, die Be- wegungen des T'hieres mochten noch s0 heftig sein. Bei der Ungleichmässigkeit der Zellenbildung sieht man oft eine Furchungskugel schon ganz von Zellen umlagert und klein geworden, während die andere eben den Zellenbildungs- prozess begonnen zu haben scheint, wie aus den zwei oder Welches u. du Bols-Roymond's Archiv. 1860, 51 786 G. R. Wagener: drei grossen Kernen und Kernkörpern in ihr und. aus ihrer .eige- nen Grösse geschlossen werden könnte, Die Zellen so wenig wie die Furchungskugeln füllen an- fangs den Uterus aus. Beide schweben in einer sehr klaren Flüs- sigkeit. Späterhin nimmt die Zahl der Zellen zu und sie werden dabei kleiner. Die Reste der beiden Furchungskugeln, die auch an Umfang verloren. haben, bleiben rund, Schliesslich um- wachsen die Zellen sie ganz. Die früher ‚sie umspülende Flüs- sigkeit ist dabei verschwunden; der Uterus umschliesst' schon eng seinen Inhalt. In diesem Zustande ist der Embryo ein ei- förmiger Haufen von Zellen, welche. von innerhalb geringer Grenzen schwankender Grösse sind, und einen sehr ;hellen Kern, einen dunkleren ovalen oder runden Kernkörper und ebenso dunklen Zellinhalt besitzen. Schon v. Siebold hat in seiner Darstellung den Unter- schied in der Grösse des Eies und des Embryo hervorgehoben und behauptet, dass ‚der letztere bei seiner. Entwickelung Nahrung von aussen her, also durch ‚seine ‚Mutter, erhielte. Man kann sich vorstellen, dass die Zellen. allein ‚nur ‚die Fähigkeit haben, den Nahrungszuschuss zu verwenden, — oder dass beide, Furchungskugeln und Zellen diese Eigenthümlichkeit hätten. Nimmt man letzteres an, so.ist man durch das, Klei- nerwerden der Furchungskugeln genöthigt, ihnen einen,,die Aufnahme übersteigenden Verbrauch der Nahrung zuzuschreiben. Im ersteren Falle jedoch müssen sich die Eigenschaften der Eur- chungskugeltheilemitder Annahme der Zellform wesentlichändern. Die vorhin erwähnten Reste der Furchungskugel ; ‚meist ihrer zwei, selten einer, bleiben noch lange sichtbar. . Sie, fin- den sich immer in der Gegend, wo man späterhin den Uterus des Embryo sich bilden sieht. Sie sind noch ‚beide ‚vorhanden, wenn starke Vergrösserungen an dem unteren Ende des zelli- gen, noch ganz ovalen Embryo deutlich die Anfänge der gros- sen Haken und den Kreis der sechzehn kleinen Spitzen der Schwanzscheibe zeigen. Dies scheint aber der Zeitpunkt ihrer weiteren Entwicklung zu sein, Man findet um diese Zeit dann nur, einen von ihnen, an seinem unteren Rande von Zellen umgeben, ‚welche von Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. 7S7T dem 'Zellenparenchym des Embryo durch eine feine elliptische Linie abgegrenzt sind. Diese Zellen sind von sehr verschie- dener Grösse, den ungleichmässigen Prozess der grossen Fur- chungskugel im Kleinen wiederholend. Späterbin verschwindet auch der andere Furchungskugelrest, dann sieht man schon bei schwachen Vergrösserungen die Häk- chen und Haken der Schwanzscheibe, und die eiförmige, aus gleich grossen Zellen bestehende Figur innerhalb des Embryo erscheint schon auffällig gross. Bei der weiteren Entwicklung des Embryo werden die Zellen des künftigen Kopftheiles zuerst am kleinsten. Eine Furche, als leichter seitlicher Einschnitt beginnend, theilt, sich vertiefend, in schräger, von unten nach oben aufsteigender Rich- tung, den Kopftheil ab; oder anders ausgedrückt,der Kopftheil wächst nach dem Schwanztheile hin sich biegend. Eine Querfurche bezeichnet die Abgrenzung der Schwanz- scheibe. Die Häkchen derselben, früher eng mitihren Spitzen au einander liegend, entfernen sich mehr und mehr von einander. Feine Linien bezeichnen die Grenzen der einzelnen Organe, unter denen sich der Eierstock und die s. g. einzelligen Drüsen durch die Grösse ihrer Zellen auszeichnen, während die Zellen, welche das Kopfende (des Thieres bilden, sich allmählig der Beobachtung entziehen. Die bräunliche Färbung, welche spä- terhin die s. g. einzelligen Drüsen auszeichnet, tritt zuerst am Ende ihrer Fortsätze in den Kopfzipfeln auf. Der reife Embryo liegt zusammengebogen im Uterus, Kopf und Schwanz liegen bei einander, sich mit ihren Bauch- flächen berührend. Der embryonale Uterus enthält schon einen Enkel als Em- bryo, dessen Häkchen schon gestielt sind, obgleich er noclı deutlich aus Zellen besteht. Die Anlagen der Organe beginnen schon hie und da sichtbar zu werden und die Stelle des Bierstockes bezeichnen einige durch ihre Grösse sich auszeichnende Zellen. Innerhalb dieses Enkels, an der Stelle, wo der Uterus sich bildet, liegt schon ein ovaler Zellenhaufen, der deutlich an sei- nem unteren Endesechszehn radial gelagerte Häkchen trägt. Hinter ihnen sind die beiden Spitzen der grossen Haken schon sichtbar. 61* 788 G..R. Wagener: Innerhalb‘ dieses Urenkels ist aber‘ schon bei einiger 'Auf- merksamkeit eine elliptische Abgrenzung, welehe. ebenfallsi.der Stelle entspricht, wo der Uterus künftig erscheint, zu bemerken, Dort sind etwas grössere Zellen sichtbar, die aber, unter sich von ‚sehr ungleicher Grösse sind. Ein solcher Embryo, in welchem man schon ‚ein Bi’ im Ei- leiter, Samenthiere im Hoden wahrnimmt, dessen Organe alle vollständig, ausgebildet sind, ist zur Geburt reif. Der Uterus, dessen sehr ausgedehnte Wandung ganz den körnigen Belag verloren hat, umschliesst ihn ganz eng... Die Geburt‘ selbst habe ich selten beobachtet, und habe ieh der Darstellung von v. Siebold nichts weiter hinzuzufügen. Der Verlauf‘ des Actes ist sehr stürmisch; der Durchtritt erfolgt auf. ‚der Bauchseite, in der Nähe des Penis. . Die Oeffnung, welche die Schleife des zusammengelegten Embryo durchlässt, schliesst sich sogleich wieder, und der Uterus bleibt noch durch eine klare Flüssigkeit längere Zeit hindurch ausgedehnt, während auf dem leise zuckenden Thiere Falten und Runzeln ‚oft son- derbarer Art entstehen, wie schon oben bemerkt ‘wurde, Der eben geborene, ganz reife Gyrodaetylus gleicht in allen Stücken seiner. Mutter, nur ist er um ein geringes kleiner. , In seinem Uterus sieht man deutlich zwei in einander 'ge- schachtelte neue Generationen, leicht an den Haken: kenntlich. In günstigen Fällen ist auch schon in der zweiten Gene- ration die Andeutung einer dritten zu bemerken, Aus den mitgetheilten Beobachtungen .ergiebt sich, Fiss Gyrodaciylus wenigstens eine Generation auf geschlechtlichem Wege erzeugt. Wie die Enkel und Urenkel entstehen, ist noch nicht aufgeklärt. Die Beobachtungen im Vorstehenden haben also, ergeben: dass in einem besonderen Organe des Gyrodactylus elegans bewegliche Fäden entstehen, die in ihren Entwicklungsfor- men den Samenthieren anderer niederen Thiere gleichen. Diese Zoospermien wurden in Berührung mit einem zellen- artigen Körper gesehen, welcher alle Eigenschaften eines Bies hatte. Dieses Ei lagerte in dem Ausführungsgange eines. Organes, das eiähnliche Zellen enthielt. Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. 789 Der Hoden communieirte mit demBileiter, wie die Wanderung von Zoospermien aus dem Hoden zum ‘Ei, die beobachtet wurde, lehrte. Es wurden Eier gesehen, deren Keimfleck sich in dem In- halte des Keimbläschens scheinbar gelöst hatte, Der Durchtritt des Eies in den Uterus, bei welchem das so veränderte Keimbläschen 'platzte, und sich so innig mit dem Dotter mischte, dass es bis jetzt unmöglich war, Ungleichför- migkeiten im Dotter zu entdecken, wurde direet beobachtet. Ob diese Art des Eintrittes die normale ist, bleibt dahingestellt. Im Uterus selbst wurde an einer ebenso aussehenden Ku- gel die Bildung zweier Furchungskugeln gesehen, welche ohne vorher sichtbare Kern- und Kernkörperbildung stattfand; die darauf folgenden Entwicklungsstadien, in dem Nebeneinander verschiedener Zustände des Eies gesucht, ergaben, dass eine sichtbare Kern- und Kernkörperbildung erst nach der Thei- lung der ersten Furchungskugel eintritt, deren Producte den Inhalt des Uterus bilden. Es iSt jetzt die Frage: wie entstehen die beiden in einander geschachtelten Embryonen? oder, wie Siebold sich ausdrückt, wig entstehen die in der eben geborenen Tochter sichtbaren Enkel und Urenkel? In Beziehung hierauf können, wie ich glaube, namentlich folgende drei Vorstellungen in Betracht kommen. 1) Eukel und Urenkel entstehen wie die T'ochter, welche sie enthält, d. h. auf geschlechtlichem Wege. 2) Dadurch, dass, wie schon in den Beobachtungen hervor- gehoben wurde, Theile der Furchungskugel, aus welcher sich die Vochter entwickelt, übrig bleiben, welche, selbst von der Tochter umwachsen, dasselbe unter sich wiederholen. 3) Enkel und Urenkel sind als Sporen anzusehn. Die erste Annahme hat darin ihre Schwierigkeit, dass der Embryo, Tochter sowohl wie Enkel, einen anderen Embryo schon zu einer Zeit enthalten, wo sie selbst noch ganz aus deutlichen, anscheinend 'gleichförmigen Zellen bestehen. Trotz aller Mühe konnte ich keine Samenthiere oder deren Ent- wicklung aufünden, oder die Abgrenzung eines Hodens ent- 790 G. R. Wagener: decken. Da man in jeder etwas grösseren Zelle, die in der Nähe des künftigen Uterus sich zufällig findet, ein Ei vermuthen kann, so wäre dies leicht zu beschaffen. Wo will das Ei aber hin? die Reste der Furchungskugeln befinden sich an der Stelle, die das Ei einnehmen müsste, und diese erklären vollständig, dass der Uterus eine oflene Höhlung zeigt. Nur einmal fand sich ein Fall, wo der Uterus eines Em- bryo leer war. Dieser erste Embryo (also Tochter) zeichnete sich durch zwei Eigenthümlichkeiten aus. Er besass nämlich nur einen, aber missgebildeten grossen Scheibenhaken und hatte einen kleinen, leeren, von etwas klarer Flüssigkeit ausgedehn- ten, sonst aber normal ausgebildeten Uterus. Ein grosses Ei lag im Eileiter und der Hoden enthielt bewegliche Zoospermien. Da der Foetus selbst, vollständig entwickelt, seinen mütter- lichen Uterus noch nicht verlassen hatte, soll man annehmen, dass seine Brut, also der Enkel, schon geboren war? v. Siebold sagt a. a. O. S. 356: „Das Interessanteste aber ist, dass in diesem Foetus mit den oben erwähnten Organen, (d. h. den Haken, den Umrissen des Darmes und des Wassergefässsystemes) nicht allein die Keimstätte, sondern auch die Brutstätte (also Uterus) nebst einem Embryo sich entwickeln. Ich konnte dabei die Ent- wicklung des Keimkörpers innerhalb der Keimstätte dieser un- geborenen Tochterindividuen auf dieselbe Weise vor sich gehen sehen, wie ich sie in der Keimstätte der Mutterindividuen be- obachtet hatte.“ Hieraus scheint hervorzugehen, dass v. Siebold den gan zen Vorgang der Embryonalbildung in dem T'ochterindividuum beobachtet hat. Gleich darauf aber äussert sich v. Siebold, dass, wenn die sechszehn Häkchen und die grossen Hakenan- fänge am Enkel unterschieden werden können, auch „die Keim- zelle des Tochterindividuums durch ihre Grösse hervorsticht.* v. Siebold hat also die Keimzelle (das Ei) ebenfalls, wie ich, erst nach der beginnenden Entwickelung des Enkels ge- sehen. Wie nun aber die Entwickelung der Keimzelle (des Eies) innerhalb des Uterus im neugeborenen Tochterindividuum vor sich geht, wird nicht weiter angegeben, als durch die Berufung auf den Vorgang in der Mutter. Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. 79 Dass diese Schilderung hier nicht angewandt werden kann, geht aus der letztangezogenen Stelle der Siebold’schen Be- obachtungen hervor. Schliesslich wäre noch zu bemerken, dass die Häkchen am Embryo mit‘ starken Vergrösserungen sehr früh zu entdecken sind. ‘Die sechszehn V förmigen, radial gestellten Figuren sind, nebst den Anfängen der grossen Haken, sehr blass, klein, und deshalb leicht zu übersehen. Sie finden sich schon, obgleich mit grosser Mühe, wenn von hervorstechenden grossen Zellen unterhalb des Uterus noch gar keine Spur zu sehen ist. Setzt man voraus, dass jeder normal entwickelte Gyrodac- tylus gewissermassen die Verpflichtung hat, drei in einander steckende Generationen zu erzeugen, so würden sie bei der An- nahme, dass alle auf geschlechtlichem Wege erzeugt würden, den v. Siebold’schen Bezeichnungen: Tochter, Enkel und Urenkel entsprechen. In der zweiten Anschauungsweise würden, in gleiehlaufen- der Weise benannt, die drei Generationen Geschwister zu nen- nen sein, welche zu gleicher Zeit 'erzeugt, aber zu ungleicher Zeit geboren würden. Die an der Spitze stehende Voraussetzung angenommen, würde die zweite hervorgehobene Möglichkeit auch zu der Annahme zwingen, dass jede Erstgeburt eines geschlechts- reif eben geborenen Gyrodactylus noch von Theilen der Fur- chungskugeln abstammt,, welche der _ zuerst geschaffene, der Stammvater der Gyrodactylen erzeugt hat. Dies ergiebt sich aus dem Sachverhalt, dass der im Uterus befindliche Embryo der Tochter einst Urenkel oder dritte Tochter war, mit Aus- nahme dessen, der sich in dem Uterus der Tochter des Stamm- vaters befand, und der mit dem Namen „Enkel* oder zweite Tochter hätte belegt werden müssen. Die Gründe, auf welche die zweite mögliche Vorstellung sich stützt, sind: Die ungleichmässige Zellenbildung aus den beiden Fur- chungskugeln, in Folge deren sich noch zwei meist gleich grosse Reste derselben zu einer Zeit im Embryo finden, wo dieser den mütterlichen Uterus ganz ausfüllend, schon die Ha- 792 i G. R. Wagener: der: Schwanzscheibe trägt; — ferner, dass sich häufig eine Dot- terkugel von einem deutlich abgegrenzten Zellenhaufen halb um- fasst findet; — dass diese Kugeln und der Zellenhaufen immer an der Stelle zu finden war, wo der künftige Uterus sich entwickelt; — und dass schliesslich, nach ihrem Verschwinden an eben der Stelle ‚sich ein oyvaler, von der zelligen Masse des Embryo deutlich abgegrenzter Zellenhaufen nachweisen lässt, der später die charakteristischen Häkchen zeigt. Eine unter solchen Umständen ‚merkwürdige Erscheinung ist auch die vor einer sichtbaren Kern- und Kernkörperbildung eintretende Spaltung der ersten Furchungskugel (Reichert), wodurch diese gewissermassen in zwei seeundäre erste Fur- ehungskugeln zerlegt wird, vorausgesetzt, dass die Zellenkern- bildung ein nothwendiger Vorläufer der weiteren Furchung, ist, In der dritten Anschauungsweise würden im noch ganz aus anscheinend gleichförmigen Zellen bestehenden Embryo. .die mittleren Zellen die Eigenschaft besitzen müssen, sich von den anderen zu trennen, um einen Embryo zu bilden, ein Prozess, der ‚von der Spore noch einmal‘ wiederholt wird und welcher in der oben erwähnten Voraussetzung von derselben Unend- lichkeit sein würde, wie in der zweiten Möglichkeit.» Zugleich aber «würde geschlechtlich und ungesehlechtlich eine nach den bisherigen Beobachtungen genau übereinstimmende Thierform erzeugt werden, und die beständig bei der Entwicklung, vor- handenen Reste der Furchungskugeln blieben ohne Bedeutung, nebst allen damit in Verbindung stehenden Beobachtungen: Was aber die Voraussetzung, dass jeder Gyrodactylus. drei in einander 'geschachtelte Generationen in sich erzeugen muss, anbetrifft, so lässt sich die Richtigkeit derselben aus dem bis jetzt Bekannten durchaus nicht erweisen, Es bleibt immer noch für die Vermuthung Raum, dass der letzte, zu innerst liegende Embryo, während seines Verweilens innerhalb des mütterlichen Uterus oder auch nach der Geburt seinen leer gebliebenen Brutraum mit einem befruchteten Eie erfüllt, Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. 793 Literatur, ron Nordmann in: Mikrographische Beiträge. I. 106. Taf. X, Fig. 1—3. Annales des Sciene, naturelles. 'Toın, XXX. Pl. XIX, Fig. 7. Creplin in: Ersch und Gruber, Eneyclopädie, XXXII, S. 301. Froriep, Neue Notizen. VII, 84. Wiegmann’s Archiv 1839, S.164. Bd. II. Dujardin in: Histoire naturelle des Helminthes. p. 480. v. Siebold in: Zeitschrift für wiss. Zoologie von v. Sie- ü bold und Kölliker. I. S.347. 1849, Diesing in: Systema helminthum. ‘I, S, 432, 649, 651. Sitzungsberichte der mathem, naturw. Klasse der K. K. Akademie in Wien. XXXII. S 375. 1858, Wagener in: Natuurkund, Verhandeling. Haarlem. XIII. pag. 51-54. van Beneden: Memoire couronne sur les Vers intestinaux. p- 63, Erklärung der Abbildungen. Tafel XVII, und X VIII. Fig. 1. Ein sehr grosser Gyrodactylus von der Rückseite gesehn. Er enthält drei Generationen, welche durch die Schwanzscheibenhaken bezeichnet sind. Die vierte scheint schon in der Anlage vorhanden zu sein. (Vergrösserung 280.) a. Die beiden Kopfzipfel, welche durch die ausgedehnten Aus- führungsgänge der s. g. einzelligen Drüsen etwas walzen- förmig geworden sind.® b. Die durchscheinende quere Mundspalte. ©, Der, wie bei den ‚Octobothrien in einem Sacke liegende Schlundkopf mit seinen acht auf eben so viel zellenarti- gen Abtheilungen aufsitzenden beweglichen Spitzen. d. Der zweischenklige Darm, der sich fast ganz ohne Oeso- phagus e anschliesst. d‘ Seine beiden etwas erweiterten blinden Enden, die sich in der Mittellinie des ‘I'bieres einander nähern. Sie werden durch den sich ausdehnenden Uterus von einander entfernt. e’ Der erste, schon zur Geburt reife Embryo, e” Der in e' enthaltene Embryo. «* Der in e“ enthaltene Embryo. ©“ Die in e* schon sichtbaren Spuren eines vierten Embryo, 794 G. R. Wagener: In e‘ sind schon alle Organe, welche die Mutter hat, sichtbar. In e’ nur ein Theil derselben. NB. Die Organe haben dieselben Buchstaben wie die des Mut- tertbieres, doch mit dem Unterschiede, dass die Buchstaben auf den Kopf gestellt sind und die Striche dabei den Embryo anzeigen; also: ec’ ist der Schlundkopf des ersten — c’” der Schlundkopf des zweiten Embryo. f. Der auf der Bauchseite liegende, aus vielen Abtheilungen bestehende Eierstock. Jede der Abtheilungen zeigt meh- rere Kerne und Kernkörper. g. Der unter dem Rücken liegende Hoden. Es ist dies der Raum, in welchem v. Siebold einzelne sich bewegende Samenfäden sah. Er ist zuweilen ganz mit kleinen Zellen gefüllt. Bei weiter fortschreitender Entwicklung dersel- ben erscheint eine klare Flüssigkeit in ihm, in welcher sich zuweilen die Samenfäden lebhaft bewegen. Ganz gefüllt mit Samenfäden sah ich ihn bis jetzt noch nicht. Er wird bei der Vergrösserung des Uterus auch herab- gedrängt. h. Die Schwanzscheibe mit den Rand- und Centralhaken. i. Die unter dem Rücken liegenden s. g. einzelligen Drüsen- haufen, deren Ausführungsgänge erst nach der Bauchseite herabsteigend sich dann nach den Kopfzipfeln wenden, an deren Spitze sie ausmünden. i‘ Der oberste, i“ der mittlere, i‘“ der unterste und grösste Haufen derselben. Sie sind dunkel und haben Kern und Kernkörper. k. Der an ihrer inneren Seite liegende Haufen heller Zellen, welche Kern und Kernkörper besitzen und zum Ersatze von i‘“ zu dienen seheinen, an Zahl wechselnd. l. Das auf der Bauchseite im Eileiter liegende Ei. Fig. 2. Ein kleinerer Gyrodactylus von der Seite gesehen. (Ver- grösserung 240.) Die Buchstaben bezeichnen dasselbe wie in Fig. 1. p- Das penisartige Organ, was dicht unter der Bauchseite liegt. v. Die unter der Bauchfläche verlaufenden Gefässe. w. Die Flimmerlappen in dem Zwischenraume der Randhaken. Es schien manchmal, als befände sich am Rande der Scheibe an diesen Stellen eine Oefinung. m. Die Grube, die sich zuweilen über der Schwanzscheibe be- findet. Fig. 3—7 sind verschiedene Zustände der Eier im Eileiter.. (Ver- grösserung 510,) Ä Fig 3. y. der noch scharf umgrenzte Keimfleck mit Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. 795 z. dem zuweilen sichtbaren 'hellen Raum in ihm. In Fig. 4—7 sieht man, wie der Keimfleck y sich allmählig wie ein in Wasser gelegter Schneeballen auflöst. Fig. 8 die erste Furchungskugel oder das Ei nach seinem Eintritte in den Uterus, dessen Wandung ein körniger Belag auskleidet. (Ver- grösserung 510.) Fig. 9 und 10. Die beobachtete Veränderung an dem in Fig. 8 dargestellten Eie. Der Zipfel an der ersten Furchungskugel in letz- terer Figur war der Anfang der Furche, welche in Fig. 9 das Ei noch nicht vollständig, in Fig. 10 dagegen vollständig durchschnitten hat, Doch liegen beide ersten Furchungskugeln eng an einander. Fig. 11 bis 17 die weiteren Veränderungen der Furchungskugeln, (Vergrösserung 510.) u‘ Die von heller Flüssigkeit ausgedehnte Uterushöhle, u” Der feinkörnige Belag der inneren Uteruswand. u. Die Wandung des Uterus, d. Das den Uterus umfassende Darmrohr. Fig. 11 zeigt durchsichtige Kerne, mit dunkleren Kernkörpern in den Furchungskugeln. Fig. 12. Weitere Fortschritte in der Zellenbildung der Furchungs- kugeln. Die Zellen hängen den Furchungskugeln an. u“ Bläschenförmiger Uterusbelag an der Stelle, wo das Ei eintrat. x. Ganz kernfreier Furchungskugelrest. Fig. 13. Weiter vorgeschrittene Zellenbildung. Fig. 14. Die Zellen haben die beiden Reste der Furchungskugeln ganz umwachsen. 5 x’ Der kleinere Rest auf x” dem grösseren liegend. Fig. 15. Ein Fall, in welchem nur ein Furchungskugelrest sich vorfand, Fig. 16. Ein Fall mit zwei it grossen, ebenfalls ganz von Zellen mit hellem Kern und dunklerem Kernkörper umwachsenen über einander liegenden Furchungskugelresten. Fig. 17. Die Uteruswand u hat nur an ihrem unteren Ende einen Ueberrest des Belages behalten. u“ die Zellen, aus denen der Embryo besteht, füllen die Uterushöhle ganz aus. Der Rest der Furchungs- kugel x‘ fängt an, sich in Zellen umzubilden; er umgiebt die untere Fläche des noch ganz intacten zweiten Furchungskugelrestes x”, der sich durch seine dunklere Färbung auszeichnet. — Beide sind ganz von den Zellen des Embryo umyeben und bedeckt. b. Die schwer zu entdeckenden kleinen Scheibenhaken des noch ganz aus Zellen bestehenden Embryo, Wenn man Fig.17 mit dem Uterus von Fig. 2 vergleicht, so sieht man die Furchungskugelreste genau an der Stelle liegen, wo e‘ der zweite Embryo sich befindet. 196 G. R, Wagener: Fig. 18. Die Geschlechtsorgane von Gyredactylus ‚elegans vom Rücken gesehen. (Vergröss. 500 mal.) f. Der Eierstock mit seinen Abtheilungen und seinen Kernen. I. Ein Ei im Eileiter liegend, mit Samenfäden. g- Der Hoden. g‘ Sein mit Samenfäden gefüllter Ausführungsgang, der in den Eileiter mündet, u. Uteruswand. u‘ Uterushöhle mit dem feinkörnigen Belage, u‘ Die Papille, durch welche das Ei tritt. Fig. 19. Samenfäden und ihre, Entwicklungsformen, sehr stark vergrössert. Fig. 20. Das unter der Bauchfläche liegende penisartige Organ. (Vergr. 620 mal.) 1. Die kleinen Haken, deren Spitzen nach einer centralen Oefl- nung hinsehen. 2. Der grössere eigenthümlich gestaltete Haken. t. Der birnförmige, ‚anscheinend mit einem Canale' versehene Körper innerhalb des kugligen Sackes, ‘dessen oberen Theil die Hakenspitzen einnehmen, deren Sohlen meri- dional über ihn herablaufen. 0. Der mit körniger Masse erfüllte diekwandige Sack, der in den birnförmigen Körper ausmündet. p. q. r. s. Die vier körnigen Körper, jeder mit zwei hellen Kernen versehn. Fig. 21. Die Hakenarten des penisartigen Organes, sehr stark vergr. 1. Einer der kleinen. 2. Der grosse. Fig. 22. Der Schlundkopf in seinem Sacke, von der Rückseite. (Vergr. 620 mal.) ö b. Mundöffnung, welche in den Sack führt. ce; Die acht längsgestreiften Spitzen des Schlundkopfes, e'‘ Die acht zellenartigen Abtheilungen des Schlundkopfes, ec Die hellen Kerne derselben mit Kernkörpern. In den Schlundköpfen von anderen Trematoden fanden! sich‘ auch öfters 3 oder 4 solcher ‚hellen kernartigen Gebilde mit Kernkörpern. i““ Ausführungsgänge von drei kleinen drüsenartigen Körpern, meist ohne Kerne. Ob sie auf der Haut oder iu den Schlundkopfsack ausmünden, weiss ieh nicht: d. Der Darm mit seiner ‚structurlosen äusseren Haut, ‚der ein dicker, manchmal wie aus Zellen bestehender körniger Belag ansitzt. Fig. 23. Kopftheil des Gyrodaetylus elegans von der Bauchseite aus. (Vergröss. 510 mal.) a. Kopfzipfel, aus deren Spitze eine durchsichtige Masse quillt, welche sich genau im Bereich der Zellendrüsengänge bält Ueber Gyrodactylus elegans von Nordmann. 797 b. Mundöffnung, aus welcher die acht Schlundkopfspitzen hervorgetreten sind. - Sie bilden acht sehr durchsichtige anscheinend structurlose Arme, welche sich langsam be- wegen. ij. 1%, j@* Die am Rande des Thieres liegenden einzelnen Gruppen ein- zelliger Drüsen, deren Zahl unbeständig ist. ij“ Die Drüsengruppe, welche ihre Gänge über die Rückseite des Schlundkopfes schickt. k. Die unter der Rückseite des Thieres liegenden helleren Re- servezellen. n. Unter der Rückseite liegende vier grosse Zellen, deren Be- deutung unbekannt. Die darüber hinziehenden Längs- streifen auf der Bauchseite sind durch das Hervortreten - - der Schlundkopfspitzen entstanden, Fig. 24 Das centrale Polster der Schwanzscheibe mit den, beiden darin liegenden grossen Haken und deren Klammern. (520 mal. Vergr.) 5. Der eine auf der Kante liegende grosse Haken, bis an die Spitze von der längsstreifigen fleischigen Masse überzogen. 6. Die untere schmale Klammer. 7. Die obere Klammer mit der schürzenförmigen Verlängerung 8. 9..Die Oeffnung im Polster für die Hakenspitze. 10. Das streifige fleischige Polster. Fig. 25. Alle Haken der Schwanzscheibe. (Vergröss, 510 mal.) 1-4 die einzelnen Theile der kleinen Randhaken. 1. Die Hakenspitze. 2. Die unter der Rückseite der Scheibe liegende Oese des Hakens. 3. Die beiden feinen wach dem Mittelpunkte der Schwanz- scheibe hin streichenden Faserbündel, welche an den Bo- gen der Oese gehn. 4. Der am freien Ende geknöpfte Stiel, noch einmal so lang als die Öese. Er verläuft unter der Bauchseite der Schwanz- Scheibe. 5-8 bezeichnet dasselbe wie in der vorigen Figur. 9. Ist die Einfassung von fester Substanz (der äbnlich, aus der die Haken bestehn), welche den oberen Rand des Loches einfasst, aus dem die Hakenspitze hervortritt. % sind Kügelchen aus fester Snbstanz, welche mit der Haken- bildung zusammen zu hängen scheinen. Fig. 26. Ein kleiner Randhaken, sehr stark vergrössert. Bezeichnung wie vorher. Fig. 27. Der einzige missgebildete grosse Haken des im Text er- wähnten Embryo, dessen Uterus keinen Embryo, sondern nur eine klare Flüssigkeit enthielt, welche ihn ausdehnte. Jr hatte normale Rundbaken, keine Klammern, war im übrigen aber normal. (510mal, Vergröss,) 798 Hermann Munk: Untersuchungen über die Leitung der Erregung im Nerven. Von Dr. HERMANN Munk in Berlin. I. Nach den Erfahrungen, welche in der jüngsten Zeit in Be- treff der Erregbarkeit verschiedener Stellen des Nerven ge- macht worden sind, schien es mir gegenwärtig eine Frage von grösserem Interesse zu sein, ob die Fortpflanzungsgeschwindig- keit der Erregung im Nerven im Verlaufe desselben immer die nämliche sei. Die Beantwortung dieser Frage und einiger an ihre Lösung sich anreihenden Fragen sollen diese Mittheilungen enthalten. Herr Professor du Bois-Reymond hatte die Güte, die Räumlichkeiten und Apparate des hiesigen physiologischen La- boratoriums für die folgenden Untersuchungen mir zur Verfü- gung zu stellen. Ich freue mich, meinem innigen Danke hier- für auch hier öffentlich Ausdruck geben zu können. Zur Messung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erre- gung im Nerven wandte ich das graphische Verfahren in der von Helmholtz angegebenen Weise an. Auf die mattge- schliffene Glasplatte des Helmholtz ’schen Myographions setzte ich ein 65 Mm. langes, an dem einen Ende 10 Mm., an dem anderen Ende 24 Mm. breites gefirnisstes Brettchen (M N Fig. 1), das auf einem passend hohen hölzernen Fusse befestigt war. Das schmalere Ende desselben war dem für die Aufnahme des Muskels bestimmten Raume zugewandt und besass eine mäs- sige Concavität, um bis nahe zur Berührung dem oberen Ende des Muskels genähert werden zu können. In der ganzen Länge des Brettchens verlief in der Mitte desselben eine leichte rin- nenförmige Vertiefung (O P). Quer über das Brettchen waren Untersuchungen über die Leitung der Erregung im Nerven. 799 Fig. 1. einander parallel sechs Silberdrähte von 0,25 Mm. Dicke ge- spannt, so zwar, dass je zwei derselben (A, B-C, D-E,F) ge- nau 3 Mm, von einander entfernt waren. Zudem war die Ent- fernung des Drahtes B von dem Drahte D genau gleich der Entfernung des Drahtes D von dem Drahte F und betrug 23 Mm. Endlich ‘war. der Draht F von dem: Ende O des kleinen Ap- parates 5 Mm. entfernt. Diese Bestimmungen der Abstände der Drähte waren sänmtlich im mittleren Theile des kleinen Apparates, auf der Längsrinne, gemacht worden. Die sechs Silberdrähte dienten nun als drei Elektrodenpaare (A und B — € und D’— E und F), vermittelst welcher dem auf sie oberhalb der Längsrinne gelegten Nerven J des Nerv- muskelpräparates an drei Stellen seines Verlaufes der erregende Strom zugeführt werden konnte. Um eine etwaige Verschie- bung der Elektrodenpaare amı Nerven, wenn dieser einmal auf- gelegt war, zu verhüten, war die untere Fläche des Fusses des kleinen Apparates mit einer dünnen Wachsschicht überzogen, #0 dass ein leichter Druck ausreichte, um den Apparat auf dem ihm zugewiesenen Platze sicher zu fixiren. Der Leser wird aus dem Vorausgeschickten den Plan, weh eher der Untersuchung zu Grunde lag, schon errathen haben 800 Hermann Munk: Der Nery sollte an den drei Stellen AB, CD und EF erregt werden, und jedesmal sollte der Muskel die Curve seiner Ver- kürzung auf dem rotirenden Cylinder des Myographions ver- zeichnen. Für den Fall, dass auf diese Weise drei Curven er- halten wurden, die von congruenter Ge- stalt und nur in horizontaler Richtung 8 gegen einander verschoben waren, muss- er ten sodann die Differenzen der dem SM \ Beginne der Muskelzuckung, vom Au- genblicke der Reizung an gerechnet, entsprechenden Abseissenwerthe je zweier der drei Curven unmittelbar Aufschluss geben über die Fortpflan- zungsgeschwindigkeit der Erregung in den Nervenstrecken BD und BF. Neh- men wir an, die drei Curven der sche- matischen Figur 2 wären diejenigen, welche wir nach der Erregung der drei ! Nervenstellen AB, CD und EF auf unserem Cylinder gezeichnet fänden, so würde aus ihnen, da 30 =2,d, sogleich sich folgern lassen, dass die Erregung in der Nervenstrecke BD mit derselben Geschwindigkeit fortgepflanzt wird, wie in der gleichlangen Nervenstrecke DF. Bei dem ersten Theile meiner Ver- suche drehte sich der Zeicheneylinder 8 Mal in der Secunde um seine Axe. Um die Erregung des Nerven immer genau zu derselben Zeit, d.h. wenn der Cylinder eine bestimmte Geschwindig- keit erlangt hatte, durch das Herabfallen des Hebels «") stattfinden zu lassen, be- nutzte ich eine dem hiesigen Myographion . 1) S. H. Helmholtz, Messungen über Fortpflanzungsgeschwin- digkeit u. s. w. Müller’s Archiv 1852. S. 207 ft. Untersuchungen über die Leitung der Erregung im Nerven. 801 eigens zu dem Zwecke beigegebene Vorrichtung. Doch konnte es trotz aller Vorsichtsmassregeln nicht verhindert werden, dass die Drehungsgeschwindigkeit des Cylinders für die verschiede- nen Einzelversuche bis um !/,o, ihres Werthes schwankte. Später fand ich ein anderes Mittel, die Erregungen rechtzeitig herbeizuführen. Dieses Mittel, welches ich stets in dem zwei- ten Theile meiner Versuche angewandt habe, ist aber zu spe- ciell auf den hiesigen Apparat berechnet, als dass ich es auf- führen könnte. Es genügt hier, wenn ich angebe, dass Curven, welche bei Erregung derselben Stelle des Nerven hinter einan- der erhalten waren, wofern nur ihre Maximalordinate dieselbe Grösse hatte, stets genau einander deckten, so dass von einem bestimmbaren Fehler in der Drehungsgeschwindigkeit gar nicht mehr die Rede sein konnte. Bei diesem zweiten Theile der Versuche liess ich übrigens den Zeicheneylinder 12 Mal in der Secunde sich um seine Axe drehen. h Das Nervmuskelpräparat wurde für alle Versuche in der Weise hergerichtet, dass der Ischiadieus in seiner ganzen Länge erhalten und an seinem centralen Ende mit einem Stücke der in der Höhe des siebenten Wirbels durehschnittenen Wirbel- säule in Verbindung blieb. Bei dem Auflegen auf den klei- neren Zuleitungsapparat wurde der Nerv immer so weit ge- dehnt, bis von der Fontana’schen Streifung keine Spur mehr an ihm sichtbar war. Der auf die gewöhnliche Weise aufge- hängte Muskel war oben durch die Elfenbeinplatte des Appa- rates und eine noch über diese gebreitete dieke Guttapercha- platte mit mittlerem Ausschnitte, unten durch einen oder meh- rere Glashaken, welche den durch die Sehne gesteckten Kup- ferhaken mit dem den Schreibhebel tragenden Messingrabmen in Verbindung brachten, isolirt. Auf den Tisch des Myogra- phions wurde stets ein grösserer viereckiger Glaskasten gesetzt, dessen Innenraum einige an seinen Wänden befindliche Fliess- papierstreifen mässig feucht erhielten, so dass Nerv und Mus- kel genügend vor dem Austrocknen geschützt waren. Die Erregung des Nerven erfolgte durch den Oeflnungs- oder Schliessungsinductionsstrom der secundären Spirale, des duBois’achen Schlittenmagnetelektromotors. Der Schliessungs- Koichert's u, du Bols-Reymond's Archiv. 1860. 52 802 Hermann Munk: induetionsstrom wurde erhalten, indem durch das von dem Daumen der Schwungscheibe geleistete Umwerfen des Hebels, welcher den Platincontaet am Helmholtz’schen Myographion vermittelt, eine relativ sehr gute Nebenschliessung geöffnet wurde zu dem Kreise, in welchem sich die primäre Rolle des Magnetelektromotors befand. Die Richtung der ‚erregenden Ströme im Nerven war bald die aufsteigende, bald die .abstei- gende. Doch ist hervorzuheben, dass während der Benutzung eines und desselben Präparates in der Regel nur mit, gleich- gerichteten Schliessungs- oder Oeffnungs-Induetionsströmen ge- arbeitet wurde, indem dann die Oeffnungs- resp. Schliessungs- schläge abgeblendet wurden. Der Magnetelektromotor, welchen ich anwandte, war für einen besonderen Zweck grösser als gewöhnlich gebaut wor- den. Die primäre Rolle dieses Apparates ist 140.Mm: lang, hat 37 Mm. im Durchmesser und zeigt 92 Windun- gen eines 1 Mm. dieken Kupferdrahtes: von der 130 Mm. langen seeundären Rolle kann ich nur angeben, dass sie 9845 Windungen eines 'nahezu so dünnen Kupferdrahtes, wie er für die empfindlichsten Multiplicatoren jetzt ver- wandt wird, besitz. Um Inductionsströme von möglichst kurzer Dauer zu erzielen, waren aus der primären Rolle alle Eisendrähte entfernt. In dem primären Kreise befand sich ein Daniell’sches Element. !) Vor Allem war nun bei der Untersuchung ein Hauptaugen- merk darauf zu riehten, dass die unmittelbare Erregung durch den inducirten Strom jedes Mal auch wirklich auf die Stelle des Nerven beschränkt blieb, welcher sie zugedacht war. Es wurden daher zunächst die Leitungen zu den drei Elek- trodenpaaren auf das Sorgfältigste isolirt. Die Silberdrähte wurden, mit Ausnahme der über die Längsrinne des kleinen Zuleitungsapparates gespannten kurzen Strecken, in ihrem ganzen Verlaufe gefirnisst, und die langen besponnenen Kup- ferdrähte, an welche jene gelöthet waren, ein jeder in einen 1) Die hier gemachten Angaben haben für alle folgenden Versuche Geltung, bei welchen sich nicht besondere Bestimmungen finden werden.’ Untersuchungen über die Leitung der Erregung im Nerven. 803 Kautschukschlauch gehüllt. ‘Auf versehiedenen Seiten des Myo- graphions wurden sodann die drei Paare von Leitungsdrähten von dem Glastische des Apparates herabgeführt. An seinem anderen Ende stand jeder Kupferdraht mit einem Eisenhaken in Verbindung, ‘der in einem Korkstücke befestigt war, und vermittelst dieser Korkstücke wurden nun je zwei Eisenhaken, welche demselben Stromkreise angehören sollten, in einer be- stimmten Entfernung von einander auf eine Glasplatte aufge- kittet. Endlich wurden in einem etwas geringeren Abstande auf einer vierten Glasplatte zwei Quecksilbernäpfehen ange- bracht, mit welchen wiederum vermittelst zweier Eisenhaken und gut isolirter Leitungsdrähte die Pole der secundären Spi- rale des Magnetelektromotors in Verbindung gesetzt wurden. ‘Vermittelst dieser Einrichtung war es leicht, bald dieser bald jener der drei auf den Elektrodenpaaren des kleinen Zu- leitungsapparates aufliegenden Nervenstellen den erregenden Strom zuzuführen, indem es hierfür genügte, die beiden Eisen- haken der betreffenden Leitung in die Quecksilbergefässe zu senken. Allerdings hätte sich dieser Zweck durch das Ein- führen mehrerer Pohl’scher Commutatoren mit ausgenomme- nem Kreuze in den Kreis der secundären Spirale noch leichter erreichen lassen, und in der That war so die Anordnung, welche ich zuerst getroffen hatte. Allein ich überzeugte mich bald auf das Unzweifelhafteste, dass bei nur einigermassen starken Inductionsströmen das Holz der Commutatoren nicht genügend isolirte, so dass nicht unbeträchtliche Stromtheile in andere Leitungen als die, welche in den Kreis aufzunehmen beabsichtigt war, sich abzweigten. Natürlich mussten diese an den Commutatoren gemachten Erfahrungen mich auch au der Brauchbarkeit meines kleinen Zuleitungsapparates irre werden lassen. Doch stellte sich mein Misstrauen als ungerecht heraus. Denn nachdem die Einrich- tung #0, wie sie eben beschrieben wurde, getroflen war, erwie- sen sich die Leitungen, selbst wenn vier kleine Grove’sche Elemente im primären Kreise sich befanden und die secundäre Rolle des Magnetelektromotors ganz über die primäre gescho- ben war, als vollkommen sicher isolirt. b2* 804 Hermann Munk: Hiermit war jedoch erst ein Theil der Aufgabe gelöst; es mussten noch die unipolaren Inductionswirkungen durchaus vermieden werden. Diese waren aber bei unserer Untersuchung um so mehr zu fürchten, als sie in beiderlei Form, wie sie von du Bois-Reymond den Erscheinungen an der offenen und an der unvollkommen geschlossenen Säule verglichen worden sind,') auftreten konnten. Denn wiewohl die sechs Drähte des kleinen Zuleitungsapparates, damit der Nerv allen gleichzeitig aufliegen konnte, sorgfältig in einer Ebene ausgespannt waren, so zeigte es sich doch schon bei den ersten Prüfungen des Apparates, dass hin und wieder der Fall eintreten konnte, dass der Nerv die eine oder die andere der sechs Elektroden nicht berührte. Allerdings hätte sich gerade diese Fehlerquelle wohl _ ohne Weiteres durch einen etwas grösseren Zeitaufwand vor dem Beginn jedes Versuches vermeiden lassen; allein bei einigen Versuchen kam es eben darauf an, die ersten Erregungen des Nerven möglichst früh vornehmen zu können. Es mussten nun wiederum diese und andere Versuche oft so lange ausgedehnt werden, bis die Erregbarkeit des Nerven auf eine niedere Stufe gesunken war, so dass dann Controllver- versuche, um die Abwesenheit unipolarer Zuckungen zu erhär- ten, an den angewandten Präparaten selbst nicht mehr beweis- kräftig waren. Dies bestimmte mich, unmittelbar zu ermitteln, wie die unipolaren Wirkungen unbedingt ausgeschlossen wer- den konnten. Die hierauf bezüglichen Versuchsreihen wurden in grosser Anzahl angestellt und zu verschiedenen Zeiten, im- mer mit den nämlichen Ergebnissen, welche ich sogleich zu- sammenstellen werde, wiederholt. Es braucht wohl kaum be- sonders bemerkt zu werden, dass bei diesen Versuchen ‚genau die Bedingungen eingehalten waren, unter welchen die Ver- suche über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung im Nerven angestellt werden sollten. Nur das wäre vielleicht her- vorzuheben, dass die Schliessung resp. die Oeffnung des in- ducirenden Stromes auch hier durch den Daumen der 3 oder 1) E. du Bois-Reymond, Untersuchungen über thierische Elek- trieität. Bd. I. S. 429 fi. Untersuchungen über die Leitung der Erregung im Nerven. 805 12 Mal in der Secunde um ihre Axe rotirenden Schwungscheibe vermittelt wurde. War der Muskel auf die oben angegebene Weise isolirt und der unterhalb der Reizungsstelle unterbundene') Nerv über die beiden Elektroden des Stromkreises gut gebrückt, so verblieb, selbst wenn die secundäre Rolle des Magnetelektromotors ganz über die primäre geschoben war, in den allermeisten Fällen der Muskel im Ruhezustande. Nur einige Male beobachtete ich bei scheinbar vollkommener Isolation des secundären Strom- kreises und des Präparates bei der Anwendung des Oeffnungs- inductionsstromes unipolare Zuckungen. Doch waren diese nur sehr schwach und verloren sich, sobald die seeundäre Spirale nur ein wenig zurückgeschoben wurde. War unter sonst denselben Verhältnissen der Muskel abge- leitet,?2) so kamen, wofern das Präparat recht leistungsfähig und erst vor Kurzem hergerichtet war, unipolare Zuckungen immer bei dem Oeffnungsschlage, fast immer bei (dem Schlies- sungsschlage zur Beobachtung, wenn die secundäre Rolle ganz aufgeschoben war. Bei weniger leistungsfähigen oder schon seit längerer Zeit hergerichteten Präparaten aber traten bei der- selben Stellung der secundären Rolle jene Zuckungen nicht auf. Ebenso blieben, selbst bei den frischesten und erregbarsten Präparaten, die unipolaren Wirkungen stets aus, wenn die se- eundäre Rolle auf einen Abstand von 30 Mm. bei der Reizung durch den Schliessungsinduetionsstrom, von 50 Mm, bei der Rei- zung durch den Oeffnungsinductionsstrom von der primären Rolle gebracht war. Gefährlicher als diese Fälle, in welchen durch den Nerven der Inductionskreis geschlossen wurde, erwiesen sich die an- deren, in welchen der Nerv nur das eine metallische Ende des Induetionskreises berührte, Hier traten bei Ableitung des Mus- kels und aufgeschobener secundärer Rolle, wenn die Erregbar- keit des Nerven nicht gar zu gering war, ohne Ausnahme, so- 1) Statt der Unterbiodung wurde anch Durschschneidung und Zosammenkleben der Schnittlächen angewandt. 2) Statt der Glashaken wurde zu dem Zwecke eine Reihe von Kupferhuken zwischen die Sehne und den den Schreibhebel tragenden Messingrahmen eingeschoben. 806 Hermann Munk: wohl bei dem: Schliessungs-' wie bei dem Oeffnungsschlage, heftige Zuckungen auf. Aber diese Zuckungen' blieben in vie- len Fällen auch bei scheinbar guter Isolation nicht aus, wenn- gleich ihre geringere Stärke hier sich nieht verkennen liess. War' (bei Ableitung des Muskels) die secundäre Spirale um 80. Mm. bei deni. Schliessungsschlage, ‘um 100 Mm. bei dem Oeffnungsschlage ‘von der primären entfernt, ‚so 'verblieb der Muskel regelmässig in Unthätigkeit, und. unter der grossen Zahl von Versuchen habe ich nur. ein Mal bei dem Schlies- sungsinduetionsstrome, als die secandäre Rolle bereits 90. Mm. vonder primären entfernt war, und zwei Mal bei dem Oefi- nungsinductionsstrome, als diese Entfernung 100 Mm. betrug, noch sehr schwache Muskeleontractionen 'erfolgen sehen.) Die Erfahrungen, welche wir über das Auftreten der’ uni- polaren Zuckungen bei der Anwendung des Sehliessungsinduc- tionsstromes gesammelt haben, weichen sehr von ‚den Angaben Pflüger's ab, nach welchem dem Schliessungsschlage unipo- lare Wirkungen überhaupt nieht zukommen’ sollen.?) Des all- gemeineren Interesses des Gegenstandes wegen habe ich in der Hoffnung, dem Grunde jener Abweichung vielleicht auf die Spur zu kommen, meine Versuche noch etwas abgeändert, Wie wir uns erinnern, war bei den. Versuchen, deren Ergebnisse wir eben zusammengestellt haben, der. Schliessungsinductions- strom 'auf die Weise erhalten worden, dass durch den Daumen 1) Wenn eben gesagt wurde, dass bei aufgeschobener secundärer Rolle, wenn der Muskel, dessen Nerv mit einem Ende des offenen Inductionskreises in Verbindung stand, abgeleitet war, ohne Ausnahme Zucekung beobachtet wurde, so ist dem allerdings noch eine Beschrän- kung hinzuzufügen. Es erwies sich hier nämlich. die Stromesrichtung im secundären Kreise insofern als nicht gleichgültig, als manchmal frei- lich bei jeder, meist aber nur bei der einen oder der anderen Rich- tung die unipolaren Zuckungen zur Ansicht kamen; diese erfolgten oder blieben aus, ganz gemäss der von du Bois aufgedeckten inni- gen Beziehung, welche zwischen ihnen und dem Gesetze der Zuckungen statthat. Sehr schön liessen sich hier die „eomplementären“ Zuckun- gen an einem und demselben Präparate beobachten, wenn die, näm- liche Nervenstelle bald der einen, bald der anderen Elektrode des In- - ductionskreises aufgelagert wurde. a 2) Ed. Pflüger, Physiologie des Elektrotonus. S, 51,121, 410, Untersuchungen über die Leitung der Erregung im Nerven. 807 der heftig bewegten Schwungscheibe eine sehr gute Neben- schliessung geöffnet wurde zu dem Kreise, in welchem sich die primäre Spirale befand, so dass also in dieser die Strominten- sität höchst schnell von einer geringen Grösse aus beträchtlich anwuchs. Ich habe nun neuerdings die Versuche noch so wie- derholt, dass der Kreis der primären Spivale unmittelbar durch den elektromagnetischen Fallapparat!) geschlossen wurde. Die Ergebnisse waren aber die nämlichen, nur dass hier, offenbar wegen der grösseren Schwankung der Stromintensität im pri- mären Kreise, ein noch etwas grösserer Abstand der secundä- ren Rolle von der primären erforderlich war, damit die uni- polaren Zuckungen ausblieben. Unsere scheinbar vollkommene Isolation des secundären Stromkreises wie des Präparates reichte, wie wir gesehen ha- ben, zur Verhütung der unipolaren Zuckungen nicht aus. Wollten wir nun ganz sicher gehen, so blieb nichts weiter übrig, als trotz unveränderten Beibehaltens der Isolirung doch den für das Auftreten der unipolaren Wirkungen günstigsten Fall der metallischen Verbindung des Muskels mit dem Erd- boden als stets vorhanden zu setzen und hiernach die Stromes- kräfte abzumessen, welche auf den Nerven einwirken sollten. Jetzt dürfte es denn auch gerechtfertigt erscheinen, dass oben von dem Auftreten der unipolaren Wirkungen auch bei Ablei- tung des Muskels gehandelt worden ist. Nach jenen Erfah- rungen waren aber bei unserer Versuchseinrichtung, wenn die se- cundäre Rolle des Magnetelektromotors mehr als 90 Mm. von der primären entfernt war, bei der Schliessung und, wenn diese Entfernung mehr als 100 Mm. betrug, auch bei der Oefinung des primären Stromes die elektrischen Spannungen an den Enden des Inductionskreises bereits zu schwach, als dass sie, selbst unter den allergünstigsten Verhältnissen und bei den er- regbärsten Präparaten, zur Entstehung unipolarer Zuckungen hätten Anlass geben können. Demgemäss werden wir, wo im Folgenden bei unveränderter Versuchsanordnung jene Be- 1) Ebendas, S, 110 fi, 808 Hermann Munk: dingungen erfüllt sein werden, vor unipolaren Wirkungen durchaus unbesorgt sein dürfen.") Ich habe übrigens im Laufe der verschiedenen Versuchs- reihen, welche später beschrieben werden sollen, sobald sich nur eine passende Gelegenheit darbot, die Sicherheit des eben ausgesprochenen Satzes an den zu den Versuchen verwandten Präparaten selbst zu prüfen, dies nicht verabsäumt. Aber auch ohne mein willkürliches Zuthun boten sich mir einige‘ Male die besten Bewährungen desselben dar, wenn der Muskel eines vor Kurzem hergerichteten Präparates, statt, wie erwartet, zu zucken, unthätig blieb, indem dann der Grund hierfür in der Auflagerung des Nerven auf nur einer Elektrode des Inductions- kreises gefunden wurde. Wir haben uns mit den unipolaren Inductionszuekungen. so lange beschäftigt, einmal wegen der Bedeutung, von. welcher die sichere Ausschliessung dieser Fehlerquelle für die folgenden Versuche ist, sodann aber auch, um die sonst aller Orten noth- wendigen Wiederholungen zu vermeiden.. Wir haben nun noch einige andere Punkte, welche bei der zunächst beabsichtigten Untersuehung in Betracht kommen, zu berücksichtigen. Bekanntlich wächst mit der Grösse der Dichtigkeitsschwan- kung des erregenden Stromes im Nerven auch die Erregung des Nerven, als deren Maass uns die Grösse der Muskelver- kürzung gilt. Doch hat dieses Verhältniss zwischen Erreger und Erregung nur bis zu einer gewissen Grenze statt; jenseits derselben bleibt, so sehr auch die Schwankung der Stromdichte weiter wachsen möge, die Grösse der Muskelverkürzung immer die nämliche, behält demgemäss die Erregung. des Nerven im- mer den nämlichen Werth. Wir werden in Zukunft unter dem 1) Diese Bestimmungen und ähnliche im Folgenden würden na- türlich vollkommen illusorisch sein, wenn die elektromotorische Kraft des Daniells in den verschiedenen Versuchen sehr variirte. Es: lassen sich aber, wie ich mich wiederholt überzeugt habe, grössere Verschie- denheiten leicht vermeiden, wenn man das Element immer frisch in gleicher Weise selbst zusammensetzt, Zudem müssen selbst geringere Verschiedenheiten offenbar dadurch unschädlich werden, dass sie, wie in den eigentlichen Versuchen, so auch in den betreffenden Vorversu- chen statthaben werden, Untersuchungen über die Leitung der Erregung im Nerven. 809 „Erregungsmaximum“ einer der Prüfung unterzogenen Nerven- stelle immer diesen Maximalwerth ihrer Erregung verstehen. Bei seinen Versuchen zur Messung der Fortpflanzungsge- schwindigkeit der Erregung im Nerven hat Helmholtz zur Erregung des Nerven immer Oeffnungsinduetionsströme von soleher Intensität angewandt, dass durch sie das Erregungs- maximum hervorgerufen wurde, Er wurde hierzu veranlasst dureh die Ungleichmässigkeiten der Wirkung, welche bei An- wendung schwächerer Ströme zum Vorschein kamen und in unvermeidlichen Uebelständen an der Versuchsvorrichtung selbst ihren Grund hatten. !) Dies musste selbstverständlich auch uns bestimmen, bei unseren Versuchen über die Fortpflanzungsge- schwindigkeit der Erregung im Nerven dahin zu streben, stets Erregungsmaxima der betreffenden Nervenstellen zu erhalten. Es ergaben zahlreiche Vorversuche, dass, ‚wenn die secun- däre Rolle des Magnetelektromotors 100 Mm. bei der Erregung durch den Schliessungsschlag, 120 Mm. bei der Erregung durch den: Oefinungsschlag von der primären entfernt war, das Er- regungsmaximum des Nerven stets erhalten wurde, wofern es nur nicht weniger als 5 Mm. betrug. Meist habe ich mich da- mit begnügen können, die Versuche so weit nur auszudehnen, bis das Erregungsmaximum jenen Werth angenommen hatte. In einigen Fällen aber habe ich, wenn das Erregungsmaximum auf 5Mm. gesunken war, die secundäre Rolle über die primäre geschoben (was jetzt unbedenklich geschehen konnte) und so das Erregungsmaximum noch bis zu 3 Mm. verfolgen können. Uebrigens habe ich mich zu Ende einer jeden Versuchsreihe noch besonders unmittelbar davon überzeugt, dass das Erre- gengsmaximum bis dahin sicher erlangt worden war... Unsere Kenntnisse von dem Erregungsmaximum des Ner- ven sind sehr unbeträchtlich. Wir besitzen hier nur einige Er- fahrungen von Helmholtz, nach welchen das Erregungs- 1) HB. Helmholtz, Messungen u.s.w. Müller’s Archiv 1850. 8. 325, 327. Das dort in Bezug auf die Verhältnisse an der Wippe Gesagte hat, mit den nöthigen, sich von selbst ergebenden Abände- rungen, auch für die entsprechenden Einrichtungen des Myographions Geltung. 810 Hermann Munk: maximum mit der Zeit an Grösse abnimmt, so zwar, dass: die Erregungsmaxima ‚einer dem Muskel nahen und einer von ihm entfernteren Nervenstelle zuerst immer gleich sind, nach einiger Zeit aber, undzwar bei leistungsfähigen Präparaten später, bei we- nig leistungsfähigen schon früher, das Erregungsmaximum der vom Muskel entfernteren Nervenstelle unter das der dem Mus- kel nahen Nervenstelle sinkt. Wir werden weiterhin mit dem Erregungsmaximum des Nerven uns sehr viel zu beschäftigen haben. Von den Erfah- rungen, welche wir dort machen werden, wollen wir eine hier vorausnehmen, die nämlich, dass das Erregungsmaximum des Nerven in der |allerersten Zeit nach der Trennung desselben vom lebenden Organismus sehr rasch beträchtlich ansteigt, um dann erst langsamer zu sinken. Mit diesen Veränderungen des Erregungsmaximum des Ner- ven oder der Maximalordinate der Curve der Muskelverkürzung gehen nun Veränderungen der anderen , Coordinaten dieser Curve Hand in Hand. Nach Helmholtz werden, wenn bei Abnahme der Reizbarkeit die Maximalordinate anfangs nur wenig sinkt, sämmtliche verticale Ordinaten der Curve propor- tional verringert, die Länge der Curve aber bleibt unverändert; sinkt aber später die Maximalordinate bedeutender, so werden auch die horizontalen Coordinaten der Curve verändert, und zwar verlängern sie sich.') . Ich habe, was die Veränderungen der verticalen Coordinaten und der der Zeit zwischen Reizung und Beginn der Zuckung entsprechenden Abscisse betrifft, dieselben Erfahrungen wie Helmholtz gemacht. Von den anderen horizontalen Coordi- naten der Curve aber muss ich nach meinen Beobachtungen aussagen, dass sie mit dem Sinken der Maximalordinate sich verkürzen. Es liegt mir als Stütze für diesen Satz ein so zahlreiches, oft ohne gerade hierauf gerichtete Absicht erwor- benes und durchweg übereinstimmendes Beobachtungsmaterial vor, dass ein Irrthum meinerseits kaum in den Grenzen der Möglichkeit liegt. Eben dieser ausnahmslosen Uebereinstim- 1) Helmholtz, Müller’s Archiv 1852, S. 212. 214. Untersuchungen über die Leitung der Erregung im Nerven. 811 mung, wegen bin ich auch nicht im'Stande, mit Sicherheit eine Erklärung für den constant abweichenden Befund von Helm- holtz zu. geben; vielleicht haben ihn: tetanische Contractionen, welche sehr oft durch einen einzelnen Inductionsschlag zu einer späteren Zeit der Versuche hervorgerufen werden (s. u.), ver- anlasst. Desto mehr freue ich mich aber, eine von Helm- luoltz selbst mit Hülfe der Pouillet’schen Methode ausge- führte Reihe von Versuchen hier anführen zu können, welche das Richtige ergiebt. Es sind die Versuche, in welchen Helm- holtz statt der Zwischenzeit der beiden Zeitpunkte, in welchen zuerst die steigende und dann die sinkende Spannung des Mus- kels denselben und zwar den durch die Summe der Belastnng und Ueberlastung gemessenen Werth hat, die Zeit misst, wäh- rend welcher die Goldkuppe m von dem Plättchen n des Ap- parates abgehoben ist.') „In allen diesen Reihen“, bemerkt Helmholtz (S. 356), „nehmen die Ausschläge mit der zu- nehmenden Ermüdung des Präparates sehr merklich ab.“ , Eckhard?) und Wundt?) wiederholen genau die Helm- holtz’schen Angaben über die Veränderungen der Curve der Muskelverkürzung, wie sie sich am Myographion herausgestellt hatten, lassen diese Veränderungen jedoch Folgen der Ermü- dung des Präparates sein. Man erfährt von ihnen nicht, ob sie selbst Versuche hierüber und diese in anderer Weise als Helmholtz angestellt haben. Wenn dies, wie es aus man- cherlei Gründen, auch schon der nackten Angaben wegen, die grösste Wahrscheinlichkeit für sich hat, nicht geschehen ist, so muss hervorgehoben werden, dass es nicht gerechtfertigt war, dem „Sinken der Reizbarkeit“ in der Helmholtz’schen Angabe ohne Weiteres die „Ermüdung* zu substituiren. Denn die Veränderungen des Erregungsmaximum des Ner- ven, welche in den hierher gehörigen Versuchen beobachtet werden, sind die Folge einmal von Veränderungen, welche im Präparate mit der Zeit nach der Trennung desselben vom le- benden Organismus vor sich gehen, und sodann anderer Ver- I) Helmholtz, Mäller’s Archiv 1850. S. 351 ® 2) ©. Eckhard, Beiträge on. s. w. Bd. I. S. 43. 171. 3) W, Wundt, die Lebre von der Muskelbewegung. '8. 178. 812 Hermann Munk: änderungen, welehe durch die Erregungen im Präparate her- vorgerufen werden und zunächst etwa unter „Ermüdung“ zu- sammengefasst werden könnten. Und nur zu einer gewissen Zeit, wenn nämlich das Präparat bereits einige Zeit vom Or- ganismus getrennt ist, vereinigen sich beide Arten von Verän- derungen in der Wirkung, das Erregungsmaximum sinken zu lassen; zu einer anderen Zeit, kurz nach der Trennung des Präparates, wirken sie einander entgegen. Lassen wir aber auch diese erste Zeit, in welcher man trotz der Ermüdung des Präparates das Erregungsmaximum ansteigen sieht, ganz ausser Betracht, so war es doch möglich, dass beide Arten von Ver- änderungen, wenn sie auch beide die Maximalordinate der Curve sinken liessen, die anderen Coordinaten der Curve ver- schieden veränderten. Um hierüber Aufschluss zu erlangen, war es nothwendig, immer die eine der beiden Arten von Ver- änderungen möglichst zu eliminiren. Ich nahm deshalb in den verschiedenen Versuchen. die Pausen zwischen den einzelnen Erregungen des Nerven entweder sehr lang oder sehr kurz; im ersteren Fall musste der Einfluss der mit der Zeit vor sich gehenden Veränderungen überwiegen, im letzteren der Einfluss der Ermüdung. Es’stellte sich heraus, dass beide Arten von Veränderungen, wie die Maximalordinate, so auch die anderen Coordinaten der Curve in derselben, der angegebenen Weise veränderten. Ich habe es eben vermieden, „Steigen und Sinken der Er- regbarkeit“ zu sagen, weil das Erregungsmaximum in einer eomplieirten Beziehung, die wir erst weiterhin werden kennen lernen, zur Erregbarkeit steht. Es wird daher auch vorerst immer nur von Veränderungen des Erregungsmaximum ge- sprochen werden. Es sollen nun einige Beispiele folgen, welche das Verhält- niss der Maximalordinate der Curve der Muskelverkürzung zu den wichtigsten anderen Coordinaten derselben darlegen wer- den. In der Tabelle gehören die in einer Querreihe stehenden Zahlen derselben Curye an. Alle Zahlen, welche unter der- selben Ziffer (in der, Columne A) aufgeführt sind, sind von demselben Präparate bei Erregung derselben. Stelle des Nerven Untersuchungen über die Leitung der Erregung im Nerven. 813 zu verschiedenen Zeiten in der aufgeführten Reihenfolge erhal- ten worden. In den Versuchen I., I. und III, drehte sich der Zeicheneylinder 12 Mal, in den Versuchen IV. und V. 8 Mal in der Seeunde um seine Axe; der Umfang des Cylinders be- trug 82,5 Mm. Die Columne B der Tabelle giebt die Maxi- malordinate der Curve!), die Columne C die dem Zeitraum zwischen Reizung und Beginn der Verkürzung entsprechende Abseisse, die Columne D die Abseisse vom Beginn der Ver- kürzung bis zum Fusspunkte der Maximalordinate (also der Zeitdauer der Contraction entsprechend), endlich die Columne E die Länge der Curve. Bei dieser letzten Bestimmung war der Anfangspunkt in dem Punkte der ersten Erhebung der Curve von der Abscisse gegeben; die Wahl des Endpunktes aber machte einige Schwierigkeiten. Bekanntlich reihen sich an die eigentliche Curve der Muskelverkürzung immer elastische Schwankungen an. Der absteigende Ast der Curve geht nun, bevor er in diese Schwankungen übergeht, nur manchmal bis zur Abseisse, andere Male erreicht er diese nicht, endlich in noch anderen Fällen sinkt er unter die Abscisse. Der letzte Fall tritt bei leistungsfähigen Präparaten erst dann ein, wenn bereits zahlreiche Erregungen stattgefunden haben oder seit der Trennung des Präparates vom lebenden Organismus bereits eine geraume Zeit verflossen ist; bei wenig leistungsfähigen Präparaten wird er schon früher beobachtet. Als Ende der Curye habe ich nun immer den tiefsten Punkt des absteigen- den Astes genommen, wenn dieser Punkt auf der Abseisse oder oberhalb derselben lag, dagegen den Schneidepunkt des abstei- genden Astes mit der Abscisse, wenn das Ende dieses Astes unter die Abseisse gesunken war. Die Ueberzeugung, dass diese Art der Bestimmung des Endpunktes der Curve die rich- tige ist, habe ich dadurch gewonnen, dass ich in zwei unmit- telbar hinter einander gezeichneten Curven, bei deren zweiter der absteigende Ast unter die Abscisse gesunken war, immer die beiden angegebenen Punkte im richtigen Sinne einander entsprechen sah. I) Die Zahlen der Columne B geben der Einrichtung des Appa- ‚ntes gemäss das Doppelte der wahren Grösse der Muskelverkürzung. Dies ist auch für die Fig. 3 bis 5 festzuhalten, 314 Hermann Munk: Die Messungen habe ich mit grosser Sorgfalt und, so weit es anging, mit Hülfe des Mikroskopes ausgeführt. “Sodann habe ich auch durch die wiederholte Ausmessung derselben Curven zu verschiedenen Zeiten die Fehler meiner Messungen zu bestimmen gesucht. Es dürften hiernach die Zahlen der Columne B bis auf 0,1 Mm., die der Columne C bis auf 0,2 Mm., die der Columne D bis auf 1,5 Mm.'), endlich die der fünften Columne bis auf 1,0 Mm. genau sein. Bei den Ver- suchen IV. und V. ist übrigens, wenn die verschiedenen Quer- reihen unter einander verglichen werden sollen, für die drei letzten Columnen noch der oben erwähnte Fehler der verschie- denen Geschwindigkeit bei den verschiedenen Zeichnungen (0,01 Mm. auf 1 Mm.) in Anschlag zu bringen. Aa B C | D E Mm Mm | Mm Mm I 13,6 | 10,3 75,8 \ 147,5 10,9 11,0 68,6 135,5 9,8 11,8 64,4 126,8 ir 11,0 11,2 ! 66,9 133,9 12,3 10,9 68,8 140,0 11,7 11,2 67,3 135,2 10,9 11,4 64,1 134,0 10,0 12,0 62,3 127,5 79, 13,8 57,9 113,0 5,0 14,8 45,7 88,7 III. 12,3 12,3 70,2 134,9 10,0 12,5 64,7 129,5 8,0 13,9 57,0 119,4 Iv- 17,9 8,0 _ 124,5 16,8 8,3 e 119,7 15,0 8,3 57,5 120,4 13,0 8,9 54,9 114,4 10,0 9,7 51,3 97,5 6,2 10,9 43,1 81,3 Vr 15,4 7,4 56,8 = 12,6 \ 7,6 53,6 112,6 11,1 7,7 51,2 107,0 9,1 8,5 50,0 96,8 zei 96 44,1 83,9 5,8 10,0 44,5 78,5 4,8 10,9 43,9 72,1 1) Dieses Maximum erreicht der Fehler in der Columne D in den Curven ur kleinen Maximalordinaten, indem es bekanntlich bei die- sen sehr schwierig ist, den Fusspunkt der Maximalordinate sicher zu bestimmen, Untersuchungen über die Leitung der Erregung im Nerven. 815 Mit dem Sinken des Erregungsmaximum verlängert sich also die Zeit, während welcher die Reizung latent bleibt, es nimmt hingegen ab die Dauer der Verkürzung sowohl, wie die der Verlängerung des Muskels. Und zwar sind diese Veränderungen der zeitlichen Verhältnisse bei gleicher Schwankung des Erregungsmaximum desto grösser, je geringer .die absoluten Werthe des Erregungsmaximum sind, zwischen welchen die Schwankung statthat. !) Es verdient nun noch besonders hervor- gehoben zu werden, dass genau die entgegen- gesetzten Veränderungen in der Zeitdauer der latenten Reizung, der Verkürzung und der x Verlängerung des Muskels beobachtet werden, wenn das Erregungsmaximum in der ersten Zeit nach der Trennung des Präparates vom lebenden Organismus ansteigt (vgl. Vers. I.). Wir schieben die weitere Verfolgung des eben Abgehandelten vorerst auf, um jetzt zu den Versuchen überzugehen, deretwegen wir die Untersuchung aufgenommen haben und für welche wir jetzt genügend vorbereitet sind. Wir erregen hinter einander die drei Stellen des Nerven, welche den drei Elek- trodenpaaren des Zuleitungsapparates auflie- gen. Wir erhalten drei genau congruente, aber in horizontaler Richtung gegen einander verschobene Curven auf unserem Zeicheney- linder (Fig. 4.)?). Es ist aber die Curve, 1) Fig. 3 giebt die drei Curven des Versuches I. der Tabelle. ; 2) In den Versuchen Fig 4 und 5 ist die dem £ Querschnitte nahe Nervenstelle zuerst erregt wor- deu; auf der so erhaltenen Curve stehen die Häkchen. Sodann folgt die Curve, welche nach der Erregung ‚der mittleren Nervenstelle ge- Fig. 3. AL 816 "5 ar Hermann Munk: welche bei der Erregung der dem Querschnitte nahen Nervenstelle gezeichnet worden ist, beträchtlicher verschoben gegen die bei der Erregung der mittleren Nervenstelle gezeich- nete Curve, als diese gegen die dritte Curve, welche die Erregung der dem Muskel nahen Nervenstelle geliefert hat. Die Abseisse yo, um uns an unsere schematische Figur 2 zu halten, ist beträchtlich grösser als die Ab- seisse Py. Die absolute Grösse der Differenz (yd-#,) nimnıt, wenn die Fortpflanzungsgeschwindig- keit der Erregung mit der steigenden Tem- peratur sehr rasch wächst, sehr rasch ab. Diesem für die Versuche misslichen Einflusse der Temperatur muss man durch die Ver- grösserung der Drehungsgeschwindigkeit des Zeicheneylinders Trotz bieten. So lange die Temperatur des Beobachtungszimmers sich unter 18° C. hält, genügt es, wenn der Zei- cheneylinder 8 Mal in der Secunde sich um seine Axe dreht; doch ist es gewiss vortheil- haft, wenn man schon jetzt eine grössere Geschwindigkeit desselben anwenden kann. Diese letztere ist aber durchaus nothwendig, wenn die Temperatur über 13° C. steigt. Als ich den Umfang meines Cylinders dem Zeitwerthe von !/,s Seeunde entsprechen liess, konnte ich bis zu 22° C. gut arbeiten. 'Stieg die Temperatur noch höher, so fielen die An- zeichnet worden ist; sie ist durch Doppelstriche, welche zwischen sie und die erste Curve gesetzt sind, ausgezeichnet. Endlich ist die dritte und un- bezeichnete Curve bei der Eiregung der dem Mus- kel nahen Nervenstelle erhalten worden.-- « giebt den Zeitpunkt der Reizung, «u den Umfang des Zeicheneylinders. Untersuchungen über die Leitung der Erregung im Nerven. 817 fangsstücke der drei Curven zusammen, und die verschiedene Verschiebung der‘ Curven prägte ‘sich jetzt nur darin aus, dass die bei der Erregung der dem Querschnitte nahen Ner- venstelle gezeichnete Curve früher sich trennte und auf ihrem ganzen Verlaufe einen grösseren ‘Abstand von der zweiten Qurve zeigte, als diese von derjenigen Curve, welche bei der Erregung der dem Muskel nahen Nervenstelle erhalten worden war. Ob die relative Grösse der Differenz (y)-s,) sich ebenfalls mit der Temperatur ändert, vermag ich nicht mit Sicherheit anzugeben. Von meinen Zeichnungen ergeben diejenigen, in welchen sich die betreffenden Abseissen gut messen lassen, y) immer als fast doppelt so gross als ?y. Solche Zeichnungen, in welchen die drei Curven genau con- gruent sind, lassen sich’ jedoch nicht jeder Zeit erlangen. Dies kann uns nicht Wunder nehmen, da, vorausgesetzt selbst, dass wir die Versuche immer zu einer Zeit anstellen, in welcher die Erre- gungsmaxima aller drei Stellen des Nerven dieselbe Grösse haben, die zweite und noch mehr die dritte Erregung den Ner- ven und den Muskel bereits etwas ermüdet und den ersteren zudem noch modifieirt antrifft, Und wollte man die Ermüdung und die Modification durch längere Pausen zwischen den ein- zelnen Erregungen bekämpfen, so würde man Gefahr laufen, durch die mit der Zeit im Präparate vor sich gehenden Ver- änderungen das Erreguugsmaximum der zweiten oder dritten Nersenstelle doch bereits verändert zu finden. Man ist daher, selbst wenn man die erste Zeit nach der Trennung des Prä- parates vom lebenden Organismus, in welcher das Erregungs- maximum an allen Stellen des Nerven sehr rasch ansteigt, und ebenso die spätere Zeit, in welcher die Erregungsmaxima der dem Querschnitte des Nerven nahen Stellen kleiner sind, als die der näher dem Muskel gelegenen Stellen, völlig ausschliesst, auch in der kurzen Zwischenzeit noch ganz auf den Zufall an- gewiesen, der bald häufiger bald seltener Zeichnungen mit genau congruenten Öurven in die Hände spielt. Häufiger als die bisher besprochenen Zeichnungenyerlangt man nun andere; in welchen ‘die Maximalordinate einer Curve wur ganz unbedeutend grösser oder kleiner ist als die einan- Welshwrts u, du Buls- Keyimond's Archiv. J50U, 53 "Gl Hermann Munk: der, gleichen Maximalordinaten der bei- den anderen Curven; auch hier stellt sich yJ grösser dar als #,. Nach den Er- fahrungen, welche uns über das Ver- hältniss der Grösse der Maximalordinate zur Zeitdauer der latenten Reizung vor- liegen, werden wir diese Zeichnungen, hesonders wenn die absoluten Werthe der Maximalordinaten gross sind, ganz unbedenklich als willkommene Bestäti- gung dessen annehmen dürfen, was die Zeichnungen mit genau congruenten Cur- ven uns bereits gelehrt haben. Gewiss erfreulich ist es aber, dass sieh ziemlich häufig noch andere Zeich- nungen darbieten, welche unsere Eıfah- rungen an den erwähnten Zeichnungen sogar a fortiori als richtig erweisen. Es sind dies einmal solche Zeichnungen, in welchen die Erregungsmaxima der mittleren und der dem Querschnitte na- hen Stelle des Nerven gleich sind, das Erregungsmaximum der dem Muskel na- hen Stelle aber grösser ist (Fig. 5). Dieser Grössenunterschied der Maximal- ordinaten der Curven kann relativ be- deutend sein, ohne dass die Abseisse y) aufhörte grösser zu sein als die Abseisse #7. Ganz dasselbe gilt von anderen Zeichnungen, in welchen die Erregungs- maxima der dem Muskel nahen und der mittleren Stelle des Nerven gleiche Grösse haben, das Erregungsmaximum der dem Querschnitte nahen Stelle aber grösser ist, Endlich zeigen das Näm- liche Zeichnungen, in welchen das Er- regungsmaximum der. mittleren ‚Stelle Untersuchungen über die Leitung der Erregung im Nerven. 819 des Nerven beträchtlich kleiner ist, als die einander gleichen Erregungsmaxima der beiden anderen Stellen. Ich gehe auf das Detail dieser Zeichnungen nicht näher ein, da Alles, was hier zu sagen wäre, aus dem Vorausgeschickten sich von selbst ergiebt. Auch übergehe ich einige Variationen der zuletzt genannten Fälle, welche dasselbe Ergebniss liefern, da sie ein besonderes Interesse nicht darbieten. Die Abseisse „d hat sich also in den Versuchen viel grösser ergeben, als die Abseisse g,. Das heisst: Die Mittheilung der Erregung von Querschnitt zu Querschnitt er- folgt im Verlaufe eines und desselben Nerven nicht überall mit derselben Geschwindigkeit. Die Zeit, welche für die Fortpflanzung der Erregung durch die Strecke BF (Fig. 1) des Nerven erforderlich ist, ist beträchtlich mehr als doppelt so gross, als die Zeit, während welcher die Erregung. durch die Strecke BD, welche die Hälfte, der Länge: von BF hat,') sich fortpflanzt. Für die allgemeinere Bedeutung dieses letzten Satzes erge- ben sieh mehrere Möglichkeiten. Entweder leiten die dem Cen- trum näher gelegenen Stellen des Nerven ihrer: inneren Con- stitution gemäss die Erregung mit geringerer Geschwindigkeit, als die vom Centrum weiter entfernten Stellen, — ..oder alle Stellen des Nerven leiten zwar mit derselben Geschwindigkeit, wenn sie gleich weit von der Stelle der unmittelbaren Erre- 1) Dieser Bestimmung kommt begreiflicher Weise eine vollkom- mene Genauigkeit nicht zu; die grösstmögliche haben wir dadurch er- reicht, dass wir, wie oben angegeben, den Nerven bei dem. Auflegen auf den Zuleitungsapparat immer bis zum Verschwinden der Fontana- schen Streifung gedehnt haben. Das Mikroskop lehrt, dass nach die- sen Verfahren der wellenförmige Verlauf der Nervenfasern auf ein Minimum beschränkt: und ‚durchaus nicht an den dem Muskel nalien Stellen beträchtlicher ist, als an den mehr centralen Stellen. Wenn slso auch die Strecke BD (Fig. 1) des Nerven bei unseren Versuchen nicht Immer ganz genau gleich der Strecke DF gewesen sein,mag, so steht doch jedenfalls so viel fest, dass der Längen sehr gering und keineswegs auch nur annähernd so beträchtlich gewesen sein kann, dass hieraus etwa unsere Erfahrung abgeleitet werden dürfte, 53* 820 Franz Leydig: gung entfernt sind, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Er- regung nimmt aber ab mit der Länge der leitenden Strecke, — oder endlich es bestehen die beiden eben erwähnten Fälle zu- gleich neben einander. Die Folge wird lehren, dass der zweite dieser drei möglichen Fälle in Wirklichkeit statthat, allerdings mit einer wesentlichen Beschränkung. Ueber den Schwanzstachel des Löwen. Von Franz LEYDIG. (Hierzu Tafel XIX.) Die zoologischen Handbücher gedenken beider Beschrei- bung des Löwen hin und wieder eines eigenthümlichen Stachels oder Nagels, der am Ende des Schwanzes unter den langen, schwarzen Haaren versteckt sei. Die Quelle dieser Angaben ist bei Blumenbach zu suchen, welcher in seiner Naturge- schichte (mir liegt die 11. Aufl. 1825 vor) folgendes bemerkt: „Die alten Scholiasten zum Homer (Il. XX. 170) reden von einem eigenen Stachel am Löwenschwanze. Und wirklich habe ich bei einer Löwin etwas dergleichen gefunden und indem Speeimen historiae naturalis ex auetoribus classieis illustratae beschrieben.“ Die Zootomer haben von dieser „Hornspitze* kaum Notiz genommen und da mir selbst eigene Beobachtun- gen in der Sache früher abgingen, so konnte ich in meiner Histologie des Menschen und der T'hiere, dort wo die Epider- misbildungen der Säugethiere zur Sprache kamen, nur anfüh- ren, es möge „wahrscheinlich“ auch der Hornstachel in der Schwanzquaste des Löwen hieher, d.h. zu den Hornbildungen zu zählen sein. Im vorigen Winter nun starb in dem zoolo- gischen Garten zu Stuttgart eim stattlicher Löwe männlichen Gehe. den Hr. Werner, Besitzer des Gartens, der hie- sigen zoologischen Anstalt zum Geschenk machte. Ich unter- suchte an dem frischen 'Thiere unter anderen Dingen. ‚sofort Ueber den Schwanzstachel des Löwen. 821 auch den Stachel am Schwanzende und da ich zu dem Ergeb- niss gekommen bin, dass die bisherige Bezeichnung „Horn- spitze, Nagel“ und dergleichen unpassend ist, indem ‚der Theil eine viel zusammengesetztere Structur und höhere Bedeutung hat, so erlaube ich mir einige Worte darüber zu veröffentli- chen. Ehe ich jedoch meinen Befund mittheile, muss noch zu- vor eine Art Monographie über unseren Gegenstand ausdrück- lich hervorgehoben werden, von welcher der Autor sich nicht genannt hat und auf welche ich durch Hrn. Prof. Carl Textor in Würzburg aufmerksam gemacht wurde. Sie führt den Titel: „Der Stachel des Löwen an dessen Schweifende. Nach genauer Untersuchung unter wörtlicher Beifügung älterer und neuerer Angaben, mit naturgetreuen Abbildungen und einem Anhange neuerer Entdeckungen. Darmstadt 1855, Offiein von Ernst Bekker.*“ In dieser Schrift ist ausser anderen literarischen Da- ten die obige wenig bekannt gewordene Abhandlung Blu- menbach's im Auszuge wiedergegeben, dann aber auch das Thatsächliche bedeutend vermehrt. Unser anonymer Verfasser fand den von Pariser Zoologen geläugneten Stachel sowohl an einem frisch verstorbenen männlichen Löwen, als auch an sechs ausgestopften Männchen und Weibchen. Ausserdem entdeckte er den Stachel, was weiter unten noch einmal vorkommen wird, bei mehreren anderen Säugethieren. Die Abbildungen, welche die Schrift begleiten, sind sehr lobenswerth. Bei der sich mir darbietenden willkommenen Gelegenheit, besagtes Organ durch Anschauen kennen zu lernen, zeigte sich der „Stachel“, sowie man die langen dichten Haare am Schweif- ende ausgebreitet hatte, dem Blick, war also keineswegs „in dem Haarwulste dort fast unentdeckbar verborgen“, und er- schien nach seiner ganzen Tracht als ein eigenartiger Körper, #0 dass man unmöglich dem Gedanken an eine zufällige oder pathologische Bildung Raum geben konnte (Fig. 1). Er stellte eine völlig glatte und haarlose Warze vor, 2'/,"' lang, 1"/,'" im breitesten Querdurchmesser. Die Gestalt, genauer angege- ben, war rundlich-kegelförmig, mit 'eingeschnürter Basis und stark hervorgezogener Spitze. Für Leser, welchen die Haut- papillen in der Wurzel der gewöhnlichen Haare \ sind, 822 Franz Leydig: mag bemerkt sein, dass der „Stachel“ in riesigem Umrisse die Form einer solchen Haarpapille‘ wiederholt. Die Farbe war bleigrau, zum Theil etwas rötblich vom durehschimmern- den Blut. Schon diese letztere Erscheinung , ferner eine ge- wisse elastische Weichheit wiesen darauf hin, dass wir. es un- möglich mit einer einfachen Hornbildung zu thun haben kön- nen, was sich denn auch nach dem Einschneiden für’s freie Auge bestätigte, noch mehr aber durch mikroskopische ‚Be- trachtung von Längsscheiben, die von dem Stachel abgetragen wurden. Hier wurde klar (Fig. 2), dass der sog. Hornstachel in Wirklichkeit eine Papille der Lederhaut sei, von einer ver- hältnissmässig gar nicht dieken, eher dünnen Epidermis über- zogen; die Hornschicht derselben war farblos; die Zellen.des Rete Malpighii enthielten etliche Pigmentkörner. Der binde- gewebige Theil der Papille, schon für’s unbewaffnete Auge sehr blutreichen Aussehens, zeigte unter dem Mikroskop zwischen den verschiedenen Zügen und Balken der Bindesubstanz ‘und teinen elastischen Fasern, bis 0,0875‘ breite Arterien mit dicker Muskellage, dann die entsprechenden Venen. Weiterhin unterschied man sehr deutlich ein Nervenstämmechen, 0,1’ breit, welches, indem es aufwärts steigt, sich’ geflechtartig. entfaltet und seine Fibrillen nach der Peripherie der Papille entsendet. Gleichwie nun auch sonst bei Näugethieren die grossen ‚papil- lärenErhebungen der Schleimhaut sowohl, wie in der äusseren Haut nochmals mit secundären oder mikroskopischen Papillen besetzt erscheinen, so auch in unserem Falle. Die ganze freie Fläche geht in Papillen aus, die etwas grösser sind, als (die Hautwärzchen an den menschlichen Fingerbeeren; 'auch: ist. der Rand wie dort fein gezähnelt. Jede dieser Papillen, was be- sonders klar an Glycerinpräparaten hervortritt, enthält. eine schöne Capillarverzweigung; Nervenfasern jedoch bis in die mikroskopischen Papillen zu verfolgen, wollte nicht gelingen, obschon der Reichthum an Nervenfasern innerhalb der makro- skopischen Papille kein geringer ist. Noch soll bezüglich der lang- behaarten Haut des Schwanzendes, um die Warze herum, ‚er- be dass dieselbe papillenlos war; die Haare steckten Ueber den.‚Schwanzstachel des Löwen. 823 zu mehreren in Einem Balg; die Talgdrüsen zeigten die gewöhn- liche Form, die Schweissdrüsen bildeten längliche Knäuel, Man sieht aus dem Voranstehenden, dass der sog. Schwanz- stachel des Löwen morphologisch das nicht ist, wofür man ihn bisher gehalten hat. Selbst der Verfasser der obigen Darm- städter Schrift, obschon er die weiche „kautschukartige* Be- schaffenheit des T’heiles am frischen Thiere richtig hervorhebt, spricht doch zuletzt seine Meinung dahin aus, dass dieser „tau- sendjährig viel besprochene Stachel“ zu den Hornüberzügen, den Haaren, Nägeln u. s. w. gehöre. Meine Beobachtungen zeigen, dass das fragliche Organ eine mit Gefässen und Nerven ausgestattete Papille der Lederhaut ist und physiologisch demnach wohl mit einer feineren Ge- füblsempfindung betrautsein wird, man könnte auch sagen, gleich einer Fingerspitze eine Art Tastorgan vorstellt. Es lässt sich vermuthen, dass nicht allein der Löwe (Felis leo L.) an seinem Schwanzende diese besondere Bildung an sich trage, und in der That erhalten wir durch das mehrmals eitirte anonyme Werkchen die Aufklärung, dass der Puma-Löwe (Felis concolor L.) ebenfalls den „Stachel“ besitze, während er bei den sonstigen Katzen vermisst wurde. In Grösse und Form einer halben Erbse wurde er wieder mitten in dem co- lossalen, struppigen Haarbüschel des Auerochsen (Bos urus L.) gefunden; bei anderen, theils eben getödteten Wiederkäuern waren die Untersuchungen erfolglos geblieben. Bei zwei Beu- telthieren erkannte Gould (Monograph of the Macropodidae, or Family of Kangaroos, Lond. 1841) und zwar bei Macropus unguifer au der äussersten Spi:ze des Schwanzes einen schwärz- lichen, breiten, platten Nagel, welcher sehr dem des menschli- chen Fingers gleiche; bei Macropus fraenatus sei nur die An- lage dazu vorhanden. Endlich entdeckte abermals der Darm- städter Autor den Stachel in dem Büschelschwanze verschie- dener langhaariger Affenarten, in Form meist sehr deutlich ausgeprägter „hornartiger Ansätze“. Sie seien theils klein, theils unverbältnissmässig gross. , Ihre besondere Form sei dreiseitig, wie eine Buchel oder wie der Nagel eines Hundes, 824 N. Lieberkühn: dessen hohe, etwas gewölbte Kante nach ‘oben, die grösste Fläche nach unten gekehrt ist und aus der Haut ganz hervor- steht. Die Masse sei hart, die Kante abgenutzt, aber deutlich markirt und schuppenartig wie der Biberschwanz. Die Affen- arten, bei denen diese Bildung beobachtet wurde, sind: Sem- nopithecus melalophus (mit dem grössten, unten aus den Haaren fast hervorstehendem Nagel), Semnopithecus nasalis, Semnopi- thecus pyrrhus, Colobus Temminckiü, Colobus Guereza (dieser mit dem kleinsten Nagel). Ich muss Anderen überlassen zu untersuchen, in wie weit der Schwanzstachel der eben‘ aufgezählten Thiere‘ mit der Schwanzpapille des Löwen in der Struetur übereinstimmt oder abweicht, denn nach den vorhandenen Abbildungen zu schlies- sen, möchten immerhin erhebliche Besonderheiten nach den ver- sehiedenen Thiergruppen sich ‘geltend machen. Tübingen, im October 1860. Erklärung der Abbildungen. Fig: 1. Ende der Schwanzquaste des Löwen; die Haare so aus- einander gelegt, dass die Schwanzpapille in ihrem natürlichen Verhal- ten sich. zeigt. Fig. 2. Längsscheibe aus der Papille, mit Glycerin behandelt und mässig vergrössert. a. Bindegewebiger Theil der Papille; in ihm durchschnittene Gefässe nnd ein Abschnitt des Nervengeflechtes; am Rande die secundären Papillen. b. Epidermishülle. Ueber‘ die Ossification. Von N, LIEBERKÜHN. Erste Abhandlung. Die Ossification des Sehnengewebes. (Hierzu Tafel XX. und XXL) Ueber die OÖssification des sogenannten geformten Bindege- webes finden sich neuere Angaben zunächst in den Abhand- Ueber die Ossifieation 825 lungen Virchow’s (Archiv für pathologische Anatomie 1847. S. 136. Verhandlungen der physikalisch-medieinischen Ge- sellschaft in Würzburg. 1852. S. 150) und kommt dieselbe da- durch zu Stande, dass sich Kalk in das präexistirende Gewebe ablagert, indem die Stellen der Bindegewebskörper übrig blei- ben und die späteren Knochenkörper daraus hervorgehen. In neuester Zeit ist von A. Förster (Schlusssupplement zum Atlas der mikroskop. path. Anatomie Taf. XXXIV. Fig. 5) der Querschnitt einer verknöcherten Achillessehne des Menschen abgebildet und in Virchow ’s Sinne ausgelegt; man soll an diesem Querschnitt mit einem Blick den Uebergang der Binde- gewebszellen in Knochenzellen übersehen. Dies ist jedoch an- deren Forsehern nicht gelungen und wird überhaupt die ganze eben mitgetheilte Lehre bestritten. Nach Henle’s Ausspruch (Jahresbericht 1859 S. 95) kommt Bindegewebsknochen beim Menschen nur pathologisch vor, während er bei den Vögeln typisch durch Kalkablagerung in Sehnen der Unterextremität entsteht und kommen die an die Körperehen des ächten Kno- chens erinnernden Strahlen nur auf Schnitten zu Stande, welche die Längsachse der ursprünglichen Bindegewebsbündel senk- recht schneiden. Verknöchertes Bindegewebe und ächter Kno- chen sind daher gänzlich verschiedene Dinge. Ebenso behauptet A. Baur (die Entwicklung der Bindesubstanz, Tübingen 1858), dass ächte Knochentextur niemals durch einfache Ver- kalkung fertigen Bindegewebes zu Stande kommt; verkalktes Bindegewebe hat vielmehr immer eine deutlich faserige Textur und seine sogenannten Knochenkörper sind schmal, in die Länge gezogen und meist ohne Ausläufer und gleichen voll- kommen: den verlängerten stabförmigen Kernen der Sehnensub- stanz. Diese sich widersprechenden Ansichten liessen erneute Untersuchungen des Gegenstandes wünschenswerth erscheinen. Die verknöcherten Sehnen der Vögel!) haben in ihrer Ent- 1) Die nachfolgenden Untersuchungen wurden an den Sehnen von Vögeln aus den verschiedensten Ordnungen angestellt; aus der Ord- nung der Gallinacei au Crar aleetor, Pavo, Meleagris Gallopavo, Perdiz einerea; aus der Ordnung der Passerini an Fringilla domestica und fontana, Emberisa eitrinella und miliaris, Aluuda arvensis, Slur- 826 N. Lieberkühn: wieklung und in ihrem Bau bis zum Beginn der Ossification nichts Eigenthümliches. Die Ossification tritt erst beim nahezu ausgewachsenen Vogel ein. Sie wird eingeleitet durch eine reiche Zellenproduction. Diese ist am leichtesten an solchen Sehnen wahrzunehmen, welche beim Trocknen bereits die be- ginnende Kalkablagerung durch Auftreten eines weissen Fleckes inmitten der Sehne zeigen. Dicht über oder unter einem sol- chen Ossificationspunkt verhält sich die Sehne folgendermassen: Auf dem Querschnitt der getrockneten und in Wasser auf- geweichten Sehne ziehen von den stärkeren, zum Theil grös- sere Gefässe führenden Scheiden, die wir primäre nennen wollen, mehr oder weniger starke Fortsätze zwischen die Bindegewebs- stränge hinein und grenzen diese vollständig gegen einander ab, und von diesen gehen wiederum meist noch feinere aus und führen die Theilung weiter fort; diese letzteren Scheiden mögen secundäre heissen; nicht in allen Strängen sieht man sie mit gleicher Deutlichkeit, an einzelnen Stellen sind sie aber so stark, dass sie die Dieke von den Durchmessern. der Stränge selbst erreichen. Nirgends erkennt man innerhalb oder ausser- halb der Stränge Bindegewebszellen. Diese kommen auf dem Längsschnitt zum Vorschein und werden am zweckmässigsten an frischen Sehnen kleiner Vögel, z. B. des Zeisigs beobachtet. Eine solche Sehne zeigt Längsreihen von Zellen mit Intercel- lularsubstanz zwischen allen 'unterscheidbaren Strängen und zwar immer da, wo drei oder vier Stränge an einander stos- sen; es bildet die in diesen Interstitien sich hinziehende Sub- stanz Säulen von verschiedener Dieke; gewöhnlich steht in solcher Säule immer nur eine Zelle über der anderen, biswei- len aber liegen ihrer mehrere neben einander, durch mehr oder nus vulgaris, Hirundo urbica, Regulus cristatus, Turdus merula, An- thus campestris; aus der Ordnung der Grallatores au Scolopaz rusti- cola; aus der Ordnung der Raptatores an Surnia brachyotus. Bei den genannten hühnerartigen Vögeln verknöchern sämmtliche Sehnen der Unterextremität und öfter einige der oberen; bei den Passerinen nur die Sehne des tiefen Zebenbeugers, allein bei Regulus cristatus waren alle Sehnen der Unterextremität verknöchert, ebenso bei Surnia brachyotus; bei Scolopax rusticola wieder nur die des tiefen Zehen- -beugers. Ueber die Ossification. 827 weniger Intercellularsubstanz von einander getrennt. . Die Zel- len stehen in geringen Abständen von einander und zwischen ihnen befindet sich eine homogene durchsichtige Intercellular- substanz, sie sind entweder nahezu kuglig oder oval, oder fast würfelförmig oder auffallend langgestreckt, und hin und wieder obgleich selten sieht man in ibrem in der Regel durchsichtigen Inhalt vollkommen deutliche Kerne gerade wie in Knorpelzel- len; in anderen nimmt man trotz ihrer Durchsichtigkeit keinen Kern wahr, und wieder andere sind ganz von feinen Fettkörn- chen erfüllt; wenn die Zellen Fettkörnchen führen, so sind sie auch leicht ‘an ‚Sehnenlängsschnitten von grösseren Vögeln, 2. B. von hühnerartigen, aufzufinden, während es anderenfalls ohne Anwendung von Reagentien mir nicht gelang. Wo diese Zellen herstammen, darüber lässt sich bis jetzt nichts Sicheres aussagen. Und wenn sie nebst ihrer Intercel- Iularsubstanz auch eine so grosse Aehnliehkeit mit Knorpel haben, dass dies Gewebe vom Knorpel nicht morphologisch unterschieden werden kann, so wäre zur Feststellung der Identität doch noch die chemische Untersuchung erforderlich. Dass die Zellen die ursprünglich vorhandenen und nur verän- derten Bindegewebskörper sind, ist deshalb nicht aunehmbar, da diese in soleher Anordnung zu keiner Zeit in einer einfa- chen Sehne vorkommen. Eine andere Eigenthümlichkeit einer solchen Sehne kommt am Querschnitt zum Vorschein auf Zu- satz von Essigsäure. oder verdünnter Salpetersäure; es er- scheinen gewöbnlich nieht mehr die breiten und langen Don- ders’schen Bänder, d. ı die wellig verlaufenden, umge- schlagenen Ränder grösserer Sehnenabtheilungen, sondern je- der der schwächeren secundären Sträuge quillt für sich aus seiner starken Säuren nicht, widerstehenden Scheide. hervor in Form. etwa einer Halbkugel, deren Ränder an der Schei- denwand festhängen, Auf Schnitten, welche schief gegen die Längsachse der Sehne geführt sind, erscheinen an dem hervor- gequollenen, Stück die Zellen in solcher Zahl, wie sie gerade der Dicke des Schnittes entsprechen, wenige auf dünnen, mehr auf dickeren Schnitten. Die Sehne erleidet eine neue Verän- derung in den Eigenschaften ihres. Gewebes, wenn die Ver- knöcherung selbst beginnt und die ersten Ablagerungen von 828 N. Lieberkühn: Kalksalzen stattgefunden haben. Letztere markiren sich so- wohl auf Quer- als Längsschnitten als feine, stark lichtbre- chende Pünktchen, welche sich gleichmässig durch die ganze Sehnensubstanz vertheilen und allmählig so eng an einander legen, dass man Zwischenräume zwischen ihnen nieht mehr er- kennt, sondern die Sehne durchweg ein gleichförmiges Ansehn annimmt und undurchsiehtig wird. Diese Pünktehen entspre- chen demnach kleinen Körperchen, die ich aber nicht für frei abgelagerte Körnchen von Knochenerde halten kann, sondern in Rücksicht darauf, dass durch ihre Vermehrung und aus ihrem Zusammenfluss die Sehne nach und nach homogen verknöchert wird, für entsprechend kleine Abtheilungen von mit Kalkerde imprägnirter Grundsubstanz halten muss. Man unterscheide noch mit vollkommener Deutlichkeit die Lücken, welche durch die noch nicht verknöcherten Scheiden zu Stande kommen. Es lässt sich jetzt auch die Sehne noch leicht in die groben Stränge zerfasern und an solchen zerfaserten Stücken ihre Struetur, in- soweit es aus Längsschnitten möglich ist, darlegen. Sowohl in der nächsten Umgebung der Zellen, als auch in der strei- figen Sehnensubstanz erscheinen die erwähnten Körnchen, ohne dass die Zellen selbst ihre Form bis dahin verändert haben. Nur wo die Kalkablagerung schon so weit vorgerückt ist, dass sich Längsschliffe anfertigen lassen, ist ihre Gestalt bereits ver- ändert. Schliffe von Querschnitten liessen sich in diesem Sta- dium der Össification nur äusserst unvollkommen anfertigen wegen zu grosser Weichheit des Materials und zu grosser Brüchigkeit. Ein Längsschliff der Sehne in diesem Zustande zeigt Fol- gendes: an den Stellen, wo die Längsreihen der Zellen lagen, befinden sich Knochenkörper von sehr verschiedener Gestalt, nahezu kuglig oder oval oder würfelförmig oder ganz unregel- mässig mit zahlreichen Ausläufern nach allen Richtungen hin, die Ausläufer eines Knochenkörpers hängen scheinbar mit de- nen benachbarter vielfach zusammen. Ferner sieht man kleinere den Knochenkörpern ähnliche Gebilde, die selbst so klein wer- den können, dass sie nur noch so eben bei starken Vergrös- serungen unterschieden werden können, sie treten bisweilen rei- Ueber die Ossification. 829 \ henweis auf und dehnen sich über grössere Strecken aus, an anderen Stellen liegen sie zwischen den grösseren wirklichen Knochenkörpern vereinzelt; es sind diese Bildungen nichts An- deres als Theile von grossen Knochenkörpern und Dnrehschnitte von Ausläufern derselben, wie sich sogleich ergiebt, wenn man die verschiedenen Ausbuchtungen und Ausstrahlungen der wirk- lichen Knochenkörper vergleicht. Endlich bemerkt man auf den Längsschliff äusserst lang gezogene Configurationen, die wie auffallend lange Knochenkörper aussehen, ohne es jedoch zu sein, da sie bei fortschreitender Ossification wieder ver- schwinden; sie kommen wohl nur dadurch zu Stande, dass die Zwischenräume zwischen den Strängen oder die Scheiden an manchen Stellen noch nicht verknöchert sind, oder noch nicht so viel Kalksalze aufgenommen haben, um beim Schleifen re- sistiren zu können. Die Veränderungen, welche die Sehnensubstanz während der Kalkablagerung erlitten hat, werden sogleich sichtbar, wenn man sie mit Säuren behandelt. Extrahirt man den Kalk durch ımehrtä- gigeBebandlung der ganzen Sehne eines Puters mittelst Essigsäure, so erscheint sie durebsichtig und stark aufgequollen genau bis an den Verknöcherungsrand, von da ab ist sie weniger im Volum verändert und. sieht trüber aus; dass letztere Erschei- hung, welche auch nach dem Trocknen auffält, nicht etwa von den Zellen und der mit ihnen aufgetretenen die ursprüng- lichen Scheiden verdiekenden Zwischensubstanz herrührt, er- giebt sich sogleich, wenn man einen feinen Längsschnitt der getrockneten Sehne gerade an der Verknöcherungsgrenze an- fertigt und unter dem Mikroskop die Essigsäure einwirken lässt; es löst sich allmählig der Kalk unter Kohlensäureent- wicklung auf und der nicht mit Kalk imprägnirte Theil quillt auf und bleibt durchsichtig; in ihm aber sind bereits die Zellen genau in. derselben Weise vorhanden, wie in dem benachbarteu und von Kalksalzen imprägnirt gewesenen Theil, Auch seine Bindegewebssträuge quellen in derselben Weise auf, wie bei jeder anderen Sehne; an manchen Stellen zersprengen sie die sie einbüllenden und nicht hinreichend nachgiebigen Scheiden 830 N. Lieberkühn: und quellen hervor; die Zellen bleiben dabei reihenweis geord- net in ihren Interstitien. Ganz anders gestaltet sich die Einwirkung der Säure auf den seines Kalkes entledigten Theil. Hier quellen die Stränge langsam und äusserst wenig auf und die bedeutenden Ein- schnürungen und Anschwellungen fehlen; die Zellenreihen rücken weit näher zusammen; die Scheiden sind nicht mehr so durehsichtig und erst allmählig werden die Zellen sichtbar. Das Liehtbrechungsvermögen der Scheiden und der in den Interstitien liegenden Säulen hat sich verändert, das der strei- figen Substanz ist anscheinend dasselbe geblieben. "Wo die Verknöcherungsgrenze ging, werden die sämmtlichen Stränge plötzlich um Vieles dicker und durchsichtiger nach dem noch nieht verknöcherten Ende zu. Ganz normales Sehnengewebe findet man in seinem Uebergang in verknöchertes da, wo. die überhaupt nicht mehr verknöchernde und darum nicht mit den vorher beschriebenen Zellen versehene Sehne und die verknö- cherte an einander grenzen; auch hier sieht man in überzeu- gendster Weise die als Scheiden ausgelegten Streifen der letz- teren in die sich als Scheiden wirklich erweisenden der erste- ren sich ununterbrochen fortsetzen. Sowohl diesseits als jen- seits der Grenze ziehen vielfach quer über die Bündel verlaufende Streifen; es sind dies die den Einschnürungen entsprechenden Schatten, welche von einer Seite eines Bündels zur anderen verlaufen, wie Henle die Erscheinung für die normale Sehne richtig gedeutet hat. Ich bin bisher in der Darstellung des Sehnenbaues A. Baur gefolgt und von der entgegenstehenden Virchow’s abgewichen; Baur geht davon aus, dass von Luschka, Reichert und Klopsch die umspinnenden einschnürenden Spiralfasern ‘der Bindegewebsbündel als Kunstproducte erwiesen sind, die beim Aufquellen der Grundsubstanz durch Einreissen des die Bün- del umgebenden elastischen Grenzsaumes zu Stande kommen und überträgt dies Auftreten von elastischer Substanz auch auf die Sehnenstränge; hier zeigen sich nach Baur die elastischen Säume als der Länge nach zwischen den Strängen verlaufende dunkele Streifen, stellenweise mit Anschwellungen versehen, Ueber die Össification. 831 welche den dazwischen liegenden Bindegewebskörpern ent- sprechen. Deutet man hieraus die Bilder am Sehnenquerschnitt, so lösen sich die verästelten Bindegewebskörper Vir- chow’s in folgender Weise auf: „Indem die Zwischenräume zwischen den parallelen cylindrischen Bindegewebssträngen der Sehnen mit einer mikroskopisch und chemisch verschiedenen Substanz angefüllt, wirkliche Lücken nur davon ausgekleidet sind, so müssen auf dem Querschnitt der Sehnensubstanz stern- förmige Zeichnungen entstehen, deren Aehnlichkeit mit ver- ästelten Zellen um so grösser wird, als die Centra derselben von Stellen gebildet sind, wo die elastischen Grenzsäume um mehrere Bindegewebskörper auseinanderweichen* (die Ent- wickelung der Bindesubstanz, untersucht von A. Baur; $. 26). Die Betrachtung des Querschnittes der verknöcherten Sehne lehrt, dass eine derartige Auflassung nieht blos möglich, son- dern nothwendig ist. Untersucht man Querschnitte von den eben beschriebenen mit verdünnter Salzsäure behandelten und darauf getrockneten Sehnen, so erweist sich vollständig, dass die auf Längsschnitten erscheinenden Streifen Scheiden repräsentiren. Ein hinreichend dünner Querschnitt zeigt in Wasser aufgeweicht Folgendes: Die seeundären Stränge grenzen sich auf’s Bestimmteste gegen einander ab und sind rings von einer feinen Lage einer stärker liebtbreehenden Substanz umschlossen. An einzelnen Stellen treten statt der secundären viel schwächere Stränge auf, welche tertiäre heissen mögen; auch sie sind ringsum von derselben stark liehtbreehenden Substanz umgeben und eben so bestimmt gegen einander, als gegen die gröberen Stränge abgegrenzt. Da wo diese Formation in grösserer Ausdehnung vorkommt, erkennt man nun auch die Knochenkörper mit Ausstrahlungen ; es sind an den Stellen, wo die Knochenkörper sich befinden, die Stränge nicht so dicht aneinander gelagert; die Strahlen erscheinen nur als Fortsetzung des dunkleren Knochenkörpers zwischen die Zwischenräume der Bündel. Sowohl innerhalb der ersteren als der letzteren Formation deuten kreisrunde oder elliptische Löcher auf die durchschnittenen Gefüsscanäle hin. Entferut mau das Wasser und setzt statt dessen starke Sal- 832 N. Lieberkühn: petersäure zum, Präparat, so quellen die Sehnenbündel nicht mehr in Form von Halbkugeln über die Oberfläche 'heraus, sondern bleiben fast ganz innerhalb ihrer Scheiden zurück, mit Ausnahme von meist nur wenigen Stellen, welehe noch auf dem vorher. beschriebenen Stadium des Processes stehen geblieben sind. Bald werden nun die Bündel selbst in ihrem Inhalt un- durchsichtiger und ein Theil desselben bricht das Lieht stärker als der übrige. Bei längerer Einwirkung der Säure wird der Inhalt der seeundären Seheiden allmählig durchsichtiger und geht seiner Auflösung entgegen. Man: glaubt nun ein Netz- werk elastischer Fasern vor sich zu sehen. Zerfasert man das Präparat, so gelingt es leicht, den Längsschnitt irgend eines Theiles desselben zu sehen. Hier wird es sogleich offenbar, dass nicht ein Netzwerk von Fasern vorliegt, sondern dass die Fasern nur scheinbar sind und Querdurchschnitte von Scheiden darstelleu. Schliesslich werden auch die Scheiden von der Säure angegriffen, sie bleiben nur stückweis zurück und zwar vorzüglich in denjenigen Theilen, wo drei oder mehr Scheiden zusammentreffen, während da, wo nur zwei Bündel aneinander stossen, die Scheidensubstanz aufgelöst wird. Nun kommen auch die Knochenkörper am Längsschnitt zum Vorschein und hin und wieder treten die sogenannten elastischen Fasern auf, von denen man nicht sicher aussagen kann, ob es Reste von Scheiden sind, oder ob sie nur zwischen den Scheiden versteckt lagen, und nun frei wurden. Wie sehr auch das Quellungs- vermögen der verknöcherten und mit Säure behandelten Sehne verändert ist, erweist auch das Verhalten ihres Quersehnittes gegen verdünnte Kalilauge (10pCt.). Während ein Querschnitt der normalen Sehne sogleich stark aufquillt und die Don- ders’schen Bänder zeigt, bleiben bei einem Querschnitt der ersteren die quergeschnittenen Stränge unverrückt in ihren se- eundären Scheiden.. Wo die Scheiden die Säulen der die Kno- chenkörper führenden Substanz zwischen sich aufnehmen, wer- den hier namentlich die Verhältnisse der Knochenkörper zu ihrer Umgebung auch aus dem Querschnitt klar; man sieht sie als dunkle mit Zacken versehene Flecken in der hellen Inter- cellularsubstanz, an manchen Orten zwei oder drei dicht neben Ueber die Ossification. 833 einander. Bald werden einige der Stränge in ihrer Umgren- zung undurchsichtiger, zuletzt bei durchfallendem Licht‘ ganz dunkel, bei auffallendem weiss. Der Process ergreift nun auch die übrigen Theile und die Knochenkörper verschwinden dem Bliek. Zufällig umliegende und den Längsschnitt zeigende Bündel erscheinen von feinen dunklen Streifen durchzogen und sehen aus, als wären sie in feine Fasern zersplittert. Wasser stellt die Durchsichtigkeit des Sehnenstücks und sein früheres Aussehen wieder her. Zu diesen Versuchen wurden die Seh- nen des Puters verwendet. Bis hierher hat die verknöcherte Sehne noch immer die Sehnenstructur. Die weitere Verände- rung besteht darin, dass die Sehne die Knochenstructur an- nimmt. Diese findet man niemals, so lange die Sehne nur noch einzelne ossifieirte Stellen hat, sondern erst dann, wenn sie ihrer ganzen Länge nach verknöchert ist. Dass dies Stadium auch wirklich ein späteres ist, lässt sich deshalb mit Gewissheit fest- stellen, weil an einem und demselben Vogel die Untersuchung sämmtlicher Entwickelungsstadien vorgenommen werden kann. Bin Puter erträgt es, dass man ihm Stücke der Sehne aus dem Unterschenkel herausschneidet, auch wenn sie verknöchert ist. In solehen Fällen ersetzte sie sich nieht wieder, Gleich nach dem Erscheinen der ersten Össificationspunkte haben die Seh- nen noch die Sehnenstructur, und selbst dann noch, wenn sie schon fast der ganzen Länge nach mit Kalksalzen imprägnirt sind. Nachdem nun das Thier noch Wochen und Monate lang gelebt hat, finden sich keine Sehnen in diesem Stadium mehr vor, sondern sie sind weiter in der Ausbildung vorgeschritten, Es lassen sich jetzt nicht blos Längs-, sondern auch hinreichend durchsichtige Querschliffe von der verknöcherten Sehne anfertigen. Der Querschliff zeigt einen grossen Reichthum von kreis- förmigen und elliptischen Löchern von sehr verschiedener Grösse, welche den Gefässcanälen der Knochen entsprechen, Es ist mir nieht gelungen, in den grössten Canälen neben den Gefüssen Fettzellen führendes Gewebe aufzufinden. Um die Gefüssennäle herum sind concentrisch die Knochenlamellen gelagert, in denen die Knochenkörper sich befinden. Die La- mellensysteme weichen in keinem Punkte von denen der Neichert's u, du Bols-Reymond's Archiv, 1800, j 54 834 N. Lieberkühn: wahren Knochen ab, eben so wenig die Knochenkörper, die beim Querschliff meist senkrecht auf ihre Längsachse getroffen werden, mit Ausnahme derjenigen Stellen der Sehne, wo.die Gefässe nicht die Längsrichtung inne halten, sondern in an- deren Richtungen verlaufen; in diesem Falle folgen auch die Knochenkörper mit ihrem Längsdurchmesser dem Verlauf. des Gefässes. Von den Strängen und Scheiden der Sehne selbst ist keine Andeutung mehr zu entdecken. Die Ausstrahlungen der Knochenkörper entspringen mehr oder ‘weniger breit und verzweigen sich häufig in ihrem weiteren Verlauf; mit ihren feinen Ausläufern sieht man‘ sie an vielen Stellen zusammen- treffen ‘und, wie es scheint, unter einander in Verbindung treten. Auch der Längsschliff gewährt in jeder Beziehung das Bild des wahren Knochens. Die Knochenkörper sind etwas lang gezogen und stehen in Reihen hinter einander wie. die ursprüng- lichen Zellen. Die Reihen sind nicht immer ungefähr gleich- weit von einander entfernt, sondern rücken: oft eng zusammen; dies ist namentlich da der Fall, wo der Knochen die Gefäss- eanäleumschliesst. AuchliegenhierdieKnochenkörper in den Rei- hen selbst näher bei einander. Die scheinbaren Anastomosen sind weit zahlreicher und die Ausstrahlungen kürzer. Die Form der Knochenkörper hat nichts Abweichendes; es giebt hier, ‘wie dort, schmälere und breitere. An ihren oberen oder unteren Enden gehen sie in beiden Fällen bisweilen gabelförmig, aus- einander, bisweilen sind sie auch in der Mitte unregelmässig aufgetrieben. Oefters stehen sie in den: Reihen so nahe zu- sammen, dass sie sich mit ihren oberen und unteren Enden be- rühren und wie grosse, lange Lücken’ indem Knochen er- scheinen, für gewöhnlich sind sie jedoch um ihren Längs- durchmesser oder um noch mehr von einander entfernt. In der Regel haben nicht alle Theile des Querschliffs schon die Knochenstructur; selbst bei ganz alten Vögeln war die Entwickelung oft noch nicht so. weit vorgerückt. ‚Hier war alsdann der Sehnenbau noch unverkennbar. Die, secundären, jetzt vollständig von Kalksalzen imprägnirten Stränge grenzen sich klar gegen einander ab; wo ihrer drei zusammenstossen, ist meist eine wie eine Lücke aussehende dunkle Stelle, vonder * Ueber die Ossifieation. 835 dunkle Conturen auslaufen, welche die Bündelformation bewir- ken; in anderen Fällen erstrecken sich solche dunkle Streifen zwischen eine ganze Anzahl von Strängen hinein und schlies- sen eine solche Gruppe von allen Seiten ein, so dass man an die, nicht gerade Gefässe führenden, primären: Scheiden erin- nert wird. An anderen Stellen sieht man durch die seeundären Stränge weit feinere Ausstrahlungen von den eben beschriebe- nen eindringen und einen solchen 'seeundären Strang in drei oder vier oder mehrere Abtheilungen zerfallen; an wieder an- deren erkennt man die secundären Stränge gar- nicht mehr, sondern es befindet sich hier nur die aus solchen feineren ter- tiären Strängen bestehende Substanz. Inmitten derselben fal- len hin und wieder etwas ausgedehntere Lücken zwischen den Bündeln auf, welche jedenfalls Querschnitte von Knochenkör- pern darstellen, wie sich das später mit vollster Sicherheit er- geben wird, Da wo die aus tertiären Strängen bestehende Substanz an das ächte Knochengewebe stösst, verlieren sich die Ausstrahlungen der Knochenkörper in den die Sehnenstränge umgebenden Conturen, welche bisweilen dicker, bisweilen dün- ner erscheinen als die Strahlen der Knochenkörper selbst. Keineswegs kommt jedoch hierdurch eine ähnliche, Formation der Knochenoberfläche zu Stande, wie sie der ächte Knochen durch seine Knochenkörper und deren Ausstrahlungen gewährt; die Zwischenräume zwischen den Knochenkörperstrahlen sind doch weit grösser und viel unregelmässiger. Mitten in den secundären Strängen sieht man hier und da etwas, was wie ein Knöchenkörper aussieht, ohne dass sich jedoch etwas Sicheres feststellen lässt. (Fig. 4.) "Es ist wohl möglich, dass die eben beschriebene Sehnen- struetur nur darum so auffallend zur Erscheinung kommt, weil das Präparat während des Schleifens starken mechanischen Ein- wirkungen ausgesetzt ist; es mögen wohl Brüche, und Spaltun- tungen entstehen, wo ursprünglich continuirlicher Zusammen- hang wär. Sicher lässt sich dies von den Rändern des Schlifles aussagen, an welchen sich Theile des Gewebes umlegen und somit nicht den Quer-, sondern.den Längsschnitt der Sehne zeigen; hier ist das Gewebe in die secundären oder tertiären r 54° + 836 N. Lieberkühn: Stränge auseinander gewichen, was bei den von Anfang anzu Längsschliffen angelegten Stücken nicht vorkommt. Dergleichen störende Einflüsse werden vermieden, wenn man die verknöcherten Sehnen mit verdünnter Salzsäure oder Salpetersäure behandelt, die Säure und die vorhandenen Kalk- salze mit Wasser extrahirt und die Sehne schliesslich trocknet. Andererseits geht aber auch etwas verloren, was’ auf dem Schliff so entschieden zu beobachten war; es sind nämlich auf den Querschnitten der so zugerichteten Sehne nieht mehr die Ausstrahlungen der Knochenkörper wahrzunehmen, sondern es kommt etwas ganz Anderes zum Vorschein, was nur auf den ersten Blick einige Aehnlichkeit darbietet. Jene oben erwähn- ten Querschnitte der tertiären Stränge sind es, welche hier aus- schliesslich auftreten, geordnet zu Lamellen und von strah- lenlosen Knochenkörpern durchsetzt. Die Lamellen werden an den Schnitten eigentlich weit auffallender als an den Schliffen, da letztere wegen der Sprödigkeit der Substanz leicht so viel- fach zerspringen, dass sie sehr an Deutlichkeit verlieren. Es ergiebt sich an ihnen deutlich, dass die Knochenkörper meist nicht gerade in den Begrenzungsstellen der Lamellensysteme liegen,-sondern mehr oder weniger davon entfernt. Die Kno- chenkörper nehmen die Form kleiner zackiger Körperchen' an und verlieren ihre langen Ausstrahlungen. Man könnte den- ken, die auf der ganzen Oberfläche des Schnittes zum Vorschein kommenden Querschnitte der Scheiden der tertiären 'Stränge seien die Fortsätze der Knochenkörper, da sie von dieser schein- bar ausgehen; allein der mit Säure behandelte Längssehnitt lehrt sogleich, dass eine solche Auffassung keineswegs der Wirk- liehkeit entspricht. Lässt man zunächst auf den Querschmitt stärkere Salz- oder Salpetersäure einwirken, so setzen sich die feinen Stränge immer bestimmender gegen einander ab und schliesslich treten nach mehrstündiger Einwirkung ‘der Säure die Scheiden so auffallend hervor, dass man sie zuletzt nur noch allein wahrnimmt, während ihr Inhalt sich ganz. dem Blick 'entzieht. Sie bilden im Querschnitt ein äusserst feinmaschiges gleichmässiges Netzwerk, welches in Lamellen geordnet (die Havers’schen’Canäle umsehliesst und nur an einzelnen Stellen = Ueber die Ossification. 837 zwischen seinen Maschen die Reste der Knochenkörper führt. Zerfasert man jetzt dies Netzwerk mittelst feiner Nadeln, so lagern sich in der Regel einige Stücke des Präparates: so, dass man es auf dem Längsschnitt beobachten kann, und wenn es sieh glücklich trifft, so sieht man an einem schräg gelager- ten Stück den Längs- und Querschnitt zugleich. "An dem Längs- schnitt nimmt man eine .längsgestreifte Mi deren Streifen nur wenig von einander abstehen und zwar gerade so weit, wie die Durchmesser der Maschen des eben erwähnten Netzwerks vom Querschnitt betragen. An vielen der’ Streifen liegen die langgezogenen Knochenkörper an, aber, .ohne jede Spur von Ausläufern, Dass diese Streifen die Umgrenzungen der tertiären Stränge darstellen und nicht etwa, einzelne. in einer durchsiehtigen Substanz liegende Fasern, lehren solche Stellen des Präparates, wo man die. scheinbaren Fasern von ihren Enden ansehen kann; hier bemerkt man, dass jedes Mal zwei Fasern der Wandung eines Oylinders entsprechen, dessen freiliegendes Ende eine Masche vom Netzwerk des Querschnittes darstellt. (Fig. 10.) Wo bleiben nun aber die Ausstrahlungen der Knochenkör- per, welche sowohl auf Quer- als Läugsschliffen der nicht mit Säuren behandelten Sehne so deutlich siehtbar waren? Hier- auf mag vorläufig so viel bemerkt werden, dass nicht immer die unverknöcherten Partieen eines verknöcherten Gewebes nach der. Extraction der Kalksalze als differenzirte Bildungen in der mit Kalk imprägnirt gewesenen Substanz zurüekbleiben. Wenn die concentrirte Säure noch einige Stunden länger eingewirkt hat, so gehen die Netze des Querschnittes zu Grunde, Bs bleiben nur noch ‚die Gefässstücke in den Havers’schen Räumen und die Reste der Knochenkörper: nebst wenigen Be- standtheilen der Scheiden übrig, und am Längsschnitt gewahrt man unregelmässig, öfter spiralig ‚gebogene Fäden, welche in ihrer Form vollständig mit denjenigen Gebilden übereinstimmen, die als elastische Fasern des Sehnengewebes von mehreren For- schern beschrieben sind. Liegen diese Fasern in Lücken zwi- schen den Scheiden und werden nur darch die Einwirkung der Säure frei, oder sind es wirklich nichts‘ als Ueberbleibsel der Scheiden selbst, dies mag dahingestellt bleiben. (Fig. 11.) 838 N. Lieberkühn: Durch die mitgetheilten Beobachtungen ist erwiesen, dass die verknöchernde Sehne die Sehnenstructur verliert und Kno- chenstructur annimmt, unter fortdauernder Veränderung des verknöchernden Gewebes. Es liegt nicht nur kein Grund vor zu der neuerdings aufgestellten Ansicht von der Knorpelver- knöcherung die Zuflucht zu nehmen, wonach es nicht der Knor- pel selbst sein soll, der die Grundlage des Knochens bildet, sondern ein neues von den Markräumen aus gebildetes Blastem, nach vorheriger Auflösung des sogenannten verkalkten Knor- pels; vielmehr sprechen &ewichtige Gründe mit aller Entschie- denheit dagegen. Es kommt nicht selten vor, dass an Sehnen- querschnitten, welche fast durchweg bereits die ausgebildetesten Lamellensysteme zeigen, mitten zwischen drei oder vier anein- anderstossenden Systemen ein kleiner Rest noch unverwandelt geblieben ist und auf Zusatz starker Salpetersäure nach Auf- lösung des Kalkes hervorquillt, genau wie bei der ersten Imprägnation der Sehne mit Kalk, und noch ganz den Bau der Sehne aufweist, nämlich längsgestreift ist auf dem Längs- schnitt und fein punktirt auf dem Querschnitt, in vollster Ueber- einstimmung mit der unverknöcherten Sehnensubstanz. Da nun nach Ablauf des Verknöcherungsprocesses auch ‘solche Stellen den Bau des Knochens haben, so müssen die dazu noth- wendigen Veränderungen in dem abgeschlossenen und von dem etwaigen Blastem der Havers’schen Canäle aus nicht mehr erreichbaren Raum in dem Gewebe des Knochens selbst vor sich gegangen sein. Ferner treten die mit Knochenstructur versehenen Theile zuerst als kleine Ringe um das Gefäss her- um auf, und erst später gehen die entfernteren Lagen von grösseren Durchmessern in die Veränderung ein; wenn es sich aber um eine Neubildung handeln sollte, so müssten die Ha- vers’schen Canäle zeitweise einen viel grösseren Durchmesser haben und die Knochensubstanz zuerst in den weitesten La- mellen erscheinen und in den engeren später, wovon nirgends eine Andeutung vorhanden ist. Zudem aber erweist sich, dass beinahe alle Uebergangsformen von der ursprünglichen Seh- nienstructur bis zum vollendeten Knochen existiren und an die- sem, so weit wir ihn bisher betrachtet haben, die wichtigeren AL Ueber die Ossifieation. 839 Eigenschaften der Sehne, das Auftreten von sogenannten ela- stischen Fasern,’) tertiären Strängen und Scheiden nach Be- handlung mit eoncentrirter Salpetersäure, noch nicht unterge- gangen sind. Uebergangsformen sind es, wenn innerhalb der seeundären Stränge bereits die Andeutung der tertiären sich vorfindet. Dies kommt nicht selten vor, namentlich nimmt man es an Querschliffen wahr, wo ‚wahre Knochen- und Sehnen- struetur zusammen vorkommen; hier sind an manchen Stellen schon innerhalb der secundären Stränge drei, vier oder mehr tertiäre Stränge angedeutet, welche nur deutlicher hervorzutre- ten brauchen, um das Ansehen des Gewebes anzunehmen, wel- ches an mit Säuren behandeltem, bereits mit Knochenstructur ver- sehenem Gewebe die eigentliche Grundlage des Sehnenknochens abgiebt. Endlich könnte zu Gunsten einer Neubildung von Gewebe innerhalb der Gefässeanäle noch eine Erscheinung an- geführt werden, welche man zuweilen an älteren Sehnenkno- chen beobachtet; es verlieren sich nämlich zuletzt auch in den mit Säuren behandelten Sehnenknochen innerhalb einzelner La- mellen die letzten Spuren des sehnigen Baues, indem selbst die tertiären Stränge verschwinden und statt ihrer eine voll- ständig homogene nur Knochenkörper führende Grundsubstanz auftritt. Oefter findet dies nur in der unmittelbaren Umgebung des Gefässes statt; in einem Lamellensysteme ist es dann nur der innerste Oylinder, welcher homogen erscheint, während die ihn umgebenden aus tertiären Strängen zusammengesetzt sind. Hier könnte man sich zu obiger Annahme geneigt finden, wenn nicht folgende Beobachtung auch hier jeden Zweifel besei- figte. Es kommt nämlich hin und wieder vor, dass nicht die dem Gefäss zunächst liegende Lamelle homogen erscheint, sondern eine davon entfernte, die in keiner Weise mit dem Havers’schen Canal selbst in Berührung tritt, was doch der Fall sein müsste, wenn ihre Entstehung von hier aus mittelst Ablagerung eines neuen Gewebes abgeleitet werden sollte. Bei längerer Einwirkung der Säure treten um solche homogene 3) Ich bediene mich des Ausdrucks „elastische Fasern“ wie an- dere Autoren für jene wellig verlaufenden, scheinbaren Fasern, die Henle Kern- und später Spiralfasern genannt hat. “ 840 N. Lieberkühn: Ringe nicht. selten concentrische Streifen einer. Substanz auf, welche eben so sehr der Säure widersteht, wie. die Substanz der secundären und tertiären Scheiden, Wird der Sehnenkno- chen nur mittelst Querschliffen betrachtet, so kann man nicht entscheiden, wo homogene Grundsubstanz und wo tertiäre Stränge sich befinden, wenigstens kann die aus letzteren beste- hende Substanz so verknöchern, dass jede Andeutung derselben Schliffe verschwindet, (Fig. 12.) Durch die mitgetheilten Untersuchungen wird ferner erwie- sen, dass sternförmige Bindegewebskörper, wie sie von Virchow beschrieben sind, in den Sehnen nicht existiren; wenn sie existirten, So müssten sie nach Vircho w’s eigener Angabe bei der Verknöcherung zu Knochenkörpern werden. Nun sehen wir jedoch die Knochenkörper auf das Entschiedenste einzig und allein aus den vor der Verknöcherung auftretenden Zellen der eingeschobenen knorpelartigen Substanz hervorgehen, Wenn aber die strahligen Bindegewebskörper nicht in der Sehne existiren, so muss selbstverständlich die Formation des Bindegewebes in Stränge eine andere Ursache haben und kann Virchow’s Ansicht nicht richtig sein, dass sie durch das Ein- treten der sternförwigen Körper zwischen eine homogene Grund- substanz zu Stande kommt. Das Auftreten der Scheiden ist ein nothwendiger Begleiter der aus einzelnen und grösserenSträngenzusammengesetzten ganzen Sehne, Es würde daher Bindegewebe vorkommen können, welches bei der Ossification keine Knochenkörper zeigt, während es doch in Strängen angeordnet ist. Und solches Bindegewebe kommt in der T'hat vor. Extrahirt man aus einem Hechtzahn die Kalksalze mittelst verdünnter Säure, lässt ihn trocknen und macht von seinem unteren Theil, mit dem er auf dem Kiefer festsitzt, Querschnitte, so findet man das Gewebe rings um die Gefässcanäle herum so in regelmässige Bündel abgetheilt, dass man mit dicken Membranen umgebene Zellen vor sich zu ha- ben glaubt, und es des Längsschnittes bedarf, um sich von der Scheidennatur der Grenzschichten der vorhandenen Bündel zu überzeugen. An Querschliffen solcher Zähne ist nichts von F Ueber die Ossification. 841 alledem wahrzunehmen, die verknöcherte Substanz, innerhalb welcher die bekannten feinen Canäle verlaufen, ist durchweg homogen und hat niemals Knochenkörper. Dass dies Gewebe wirklich Bindegewebe ist, wie bereits Leydig behauptet hat, wird an solchen Zähnen besonders klar, welche an ihrer Basis nicht verknöchert sind, was selbst bei grossen Exemplaren nicht selten vorkommt. Hier legt sich das Bindegewebe, wie soust in lockige Bündel, lässt sich auch in Fibrillen zerfasern und quillt in Essigsäure auf. E Hiernach steht fest, dass sogenanntes geformtes Bindegewebe mit den ausgebildetsten Strängen ver- knöchert, ohne dass Knochenkörper entstehen. Wo aber wirklich Knochenkörper an geformtem Binde- gewebe bei der Verknöcherung entstehen, tritt erst dureh einen besonderen Vorgang eine knorpe- lige Subtanz mit Zellen auf, so im Sehnengewebe. - Wenn nun Virchow die Behauptung als allgemein gültig in seiner bekannten Abhandlung über die Identität der Kno- chen-, Knorpel- und Bindegewebskörper aufstellt, dass das ge- formte Bindegewebe verknöchern könne und seine angeblichen Körper zu Knochenkörpern würden, so ist dagegen zu bemerken, dass niemals auch nur ein einziger solcher Fall erwiesen worden ist. Es müsste immer erst dargethan sein, dass nicht eine Zel- lenneubildung vor dem Eintritt der Ossification stattgefunden hat, was nicht geschehen ist. Die Ossification der verknöchern- den Schicht des Periostes oder des den Kopfknochen zu Grunde liegenden Gewebes kann hier nicht in Frage kommen, da dies kein geformtes Bindegewebe ist. Was aber sonst als verknö- chertes geformtes Bindegewebe beschrieben wurde, z. B. das Gewebe der Dura mater, ist entweder kein geformtes Binde- gewebe, sondern periostale Wucherung, oder es muss nach dem, was wir jetzt über die Sehneuknochen wissen, bis auf Weite- res aligenommen. werden, dass in vorhandenem geformten Bin- degewebe erst eine Neubildung von Zellen und knorpelartiger Substanz eingetreten ist, ehe die Verknöcherung unter Bildung von Knochenkörpern begann. ‚Die Existenz von Scheiden um Bindegewebsbündel ist übri- 342 N. Lieberkühn: gens, wie bemerkt, schon vor langer Zeit mit Entschiedenheit behauptet und zwar namentlich von Luschka uud Reichert, von A. Baur neuerdings bestätigt und mit Bezug auf Vir- cehow’s Sternzellen in dem Sehnengewebe verfochten worden. Es war jedoch die Isolirung der Scheiden noch nirgends ge- lungen. Virchow hat vor Kurzem (Archiv für pathol. Ana- tomie 1859, $. 19) seine Ansicht über Sehnenstructur wiederum als noch zu Recht bestehend hingestellt und die entgegenste- hende bestritten. Er behauptet nämlich, wenn diese Auffassung richtig wäre, so müssten die scheinbaren Zellenausläufer über- all vollständige Umgrenzungen der Bündel darstellen. Hierin s+immt gewiss jeder mit Virchow überein, weil es sich sonst überhaupt nicht um Scheiden handeln könnte. Es hängt so- mit Alles von der Schärfe seines Beweises ab, dass sie in Wirklichkeit keine vollständigen Umgrenzungen darstellen. Dies soll deshalb nicht der Fall sein, weil die scheinbaren Fäden auch im Inneren eines Bündels auf Querschnitten vorkommen, Lässt sich diese Erscheinung nicht aber auch so verstehen, dass es sich hier gar nicht um ein einziges Bündel handelt, sondern um zwei, zwischen denen die Scheide verläuft und nur nicht in ibrer ganzen Ausdehnung zum Vorschein kommt? So kann man nicht blos, sondern so muss man diese Erscheinung bei den verknöcherten Sehnen deuten. Wenn man nämlich zu einem Querschnitt, der dies Phänomen zeigt, starke Salpetersäure zu- setzt, so treten die Scheiden der stärkeren und feineren Stränge als ein continuirliehes Netzwerk mit gröberen und feineren Maschen im ganzen Umfang auf’s Deutlichste hervor. Die ver- knöchernde Substanz ist hier belehrender, als die nicht ver- knöchernde, wegen des veränderten Quellungsvermögens. Bevor jedoch die Veränderung des Quellungsvermögens nicht 'einge- treten ist, verhält sich die verknöchernde Sehne gerade so wie jede andere. Ausserdem giebt Virchow an, dass die deutlichsten Fäden in Form ‘runder Punkte oder feinster Ringe auf dem Quer- schnitte hervortreten. Da in dieser Beziehung alle Erschei- nungen an der mit Scheiden und runden oder eckigen Zellen versehenen, aber noch nicht mit Kalk imprägnirten, Sehne ge- Ueber die Oss fication. 843 nau dieselben sind, wie an Querschnitten der normalen, und auch hier bei gehöriger Zurichtung runde Punkte und feine Ringe sich bemerkbar machen, so ist es wohl nieht mehr thun- lieh, dies Argument für die Nichtexistenz von Scheiden zu verwerthen. Wenn die Sternzellen im Gewebe der Sehnen nicht exi- stiren, so ist auch die Lehre von einem sogenannten Saftröh- rensystem hier nicht mehr haltbar. Virchow und nach ihm Kölliker und andere Forscher lehren bekanntlich, dass in den Sehnen durch unter einander anastomosirende Zellen, deren Fortsätze bei vollständig ausgebildeten Sehnen sehr lang werden sollen, ein Röhrensystem zu Stande komme, durch wel- ches erst die Ernährung dieser Gebilde bei der geringen Ge- fässentwicklung ermöglicht wird, wie man etwas Aehnliches auch bei den Knochen finde, deren sternförmige Höhlen unter Umständen von den Markeanälen aus injieirtwerdenkönnen. Dass Zellen Saft führen, istso lange allgemein angenom- men worden, wieüberhauptihreExistenzbekannt ist; es ist daher auffallend, wenn man eine bestimmte Gruppe mit dem Namen Saftzellen belegt. Merkwürdig wäre es jedenfalls schon, dass ein solches Saftröhrensystem nebst den Gefässen nicht aus- reichtefür den Ossifieationsprocess, sondern dass hier erst allgemein eine Zellenneubildung auftritt, welche selbst kein Röhrensystem darstellt, sondern ein solches für die später verknöcherte Sehne liefert. Und geradezu in Widerspruch mit Virchow's Lehre von der Verknöcherung ist es, dass das Saftröhrensystem der unverknöcherten Sehne nicht auch das Saftröhrensystem der verknöcherten wird. Nehmen wir jedoch einmal die Existenz dieses Saftröhrensystems für die Sehne an und ziehen die wei- teren Consequenzen unter Berücksichtigung der oben mitge- theilten Beobachtungen, so ergiebt sich Folgendes. Erwiesener Massen findet vor dem Beginn der Kalkablagerung eine Neu- bildung von Zellen statt. Diese würden in Sternzellen lie- gen, und zwar eine einzige in einer Sternzelle; \die in den angenommenen Sternzellen liegenden Zellen werden, wie fest- steht, zu Knochenkörpern, und zwar, wie vielfach angenommen wird, indem auch sie sternförmig werden und unter einander 844 N. Lieberkühn: in offene Verbindung treten. Nun liefern aber auch/nach der neuen Lehre die ursprünglich vorhandenen Bindegewebskörper ein Saftröhrensystem. Folglich würden zwei Saftröhren- systeme entstehen, von denen das eine im anderen steckte und von seinem Safte umflossen würde! Nach dem eben Bemerkten kann auch die Auslegung nicht richtig sein, welche Förster seiner Abbildung von dem Quer- schnitt der verknöcherten und mit Säure behandelten Sehne giebt. Zunächst geht aus der Abbildung nicht hervor, in 'wel- chem Stadium der Verknöcherung die Sehne sich befindet, ob sie noch Sehnenstructur hat, oder bereits die Knochenstruetur; es müssten dazu Querschnitte von Sehnensträngen: oder Kno- chenlamellen zu erkennen sein. Mag es sich jedoch um das Stadium der Sehnenstructur oder um das der Knochenstruetur handeln, auf jeden Fall ist die Behauptung irrthümlich, dass die abgebildeten Sehnenkörper und Knochenkörper den Ueber- gang der ersteren in die letzteren beweisen. Sogenannte Uebergangsformen zwischen Objeeten, von denen nur ‚wenig Eigenschaften bekannt sind, lehren überhaupt gar nichts über “deren wirklichen Zusammenhang; so kann man Uebergangs- formen von Gregarinen zu den mannigfaltigsten Zellen der von ihnen bewohnten Organismen aufstellen, ohne dass darum der geringste Grund vorhanden wäre, an eine Abstammung. der Gregarinen von diesen Zellen, oder der Zellen von den Gre- garinen zu denken; ja es kann sich selbst ereignen, dass die verschiedensten Dinge einander so ähnlich sehen, dass man sie nach ihrer Form allein bis jetzt nicht unterscheiden kann, so 2. B. farblose Blutkörper mancher Thiere von jungen Grega- rinen. Durch die von mir dargelegten Beobachtungen wird aber auf das Bestimmteste dargeihan, dass kein Uebergang vonden Förster’schen Bindegewebszellen zu Kno- chenkörpern statt hat, da seine Bindegewebszellen Quer- schnitte von Scheiden darstellen, in denen wohl eine Zelle lie- gen kann, die aber nicht selbst Zellen sind. Ueber die Ossification. 845 ua Erklärung der Abbildungen. "Fig. I. Querschnitt der getrockneten und in Wasser aufgeweich- ten Sehne vom Puter wit kleinen von Kalkerde imprägnirten Flecken der Grundsubstaänz im Bereiche mehrerer Stränge am Rande. Fig. 2. Die verknöchernde Sehne von der Unterextremität eines Zeisigs im Längsschnitt, mit Zellenreihen zwischen den Strängen. Ei- nige der Zellen haben einen deutlichen Kern, andere sind mit Fett- körnchen erfüllt. ” Fig. 3. Secundäre Scheiden, die meisten im Querschnitt, einige schief durchschnitten, von einer verknöcherten, mit Salpetersäure län- gere Zeit behandelten Sehne eines jungen Puters. Fig. 4. Querschlifi einer verknöcherten Sehne vom Puter mit einem von Lamellen umgebenen Havers’schen Canal; am Rande ist noch die Sehnenstructur erkennbar. Fig. 5. Längsschliff einer Sehne vom Puter mit würfelförmigen Knochenkörpern und später verschwindenden länglichen Lücken am Rande; die übrige Substanz enthält die Knochenkörper in nicht mehr sich verändernder Gestalt, Fig. 6. Längsschliff mit dicht bei einander stehenden, theilweis ‚gabelförmig auslaufenden Knochenkörpern aus der nächsten Umgebung eines grösseren Gefässraumes. Fig. 7. Qnerschnitt einer mit verdünnter Salzsäure behandelten, getrockneten Sehne, im Wasser aufgeweicht. Zwischen den querge- sehnittenen tertiären Strängen erscheinen die Knochenkörper. Fig. 8 Ebenso behandelter Querschnitt einer verknöcherten Sehne von Craz alector. Es sind nur tertiäre Stränge sichtbar, zwischen de- nen die Knochenkörper erscheinen. Die Lamellen sind vollständig ent- wickelt und die Knochenstructur vorhanden, wenn man das Wesent- liche derselben in dem Auftreten von Lamellensystemen mit Knochen- körpern und Gefässcanälen sucht, Fig. 9. Querschnitt einer Sehne vom Puter mit concentrirter Salzsäure behandelt. ls ist nach längerer Einwirkung der Säure nur noch ein Netzwerk mit gröberen und feineren Maschen sichtbar, wel- ches die Scheiden der Sehne im Querschnitt repräsentir. Am Rande sind einige aus der Scheide hervorgequollene Bündel abgebildet, wie sie beim Beginn der Einwirkung der Säure hervortreten. Bei der Behand- lung mit eoncentrirter Essigsäure tritt sogleich dasselbe Netzwerk auf; die Stränge quellen aus den Scheiden hervor, unterscheiden sich aber durch ihr Liehtbrechungsvermögen 50 wenig von der umgebenden Flüs- sigkeit, dass man sie nur schwierig an den Rändern des Präparates bemerkt, Fig. 10. Längsschnitt einer bereits mit Lamellen versehenen ver- knöcherten Sehne mit concentrirter Salpetersäure behandelt. Zwischen den tertiären Strängen sind die Knochenkörper sichtbar; ein ‘heil der ersteren erscheint in der Nähe des Gefüsses im Querschnitt. . 846 N. Lieberkühn; Ueber die Ossification. Fig. 11. Derselbe Längsschnitt nach längerer Einwirkung der Säure. Es treten die vielfach gewundenen Streifen von der Form der sogenann- ten Kern- oder Spiralfasern auf. Fig. 12. Querschnitt einer verknöcherten Sehne von Craz alector mit verdünnter Salzsäure behandelt. Eine der Lamellen zeigt keine Spur mehr von Bündelformation, und ist letztere auch nicht mehr durch Anwendung coneentrirter Säuren hervorzubringen. Anmerkung. Nach beendetem Druck des vorstehenden Auf- satzes kommt mir eine Abhandlung von Dr. Martyn on connective tissue (Archives of Medicine: edited by Lionel S. Beale, Nr. VI. p. 99) zu Gesicht, worin Virchow’s Lehre von den sternförmigen ana- stomosirenden Bindegewebskörpern im Sehnengewebe angegriffen wird. Was Virchow für sternförmige Zellen hält, sind nach Martyn Zwi- schenräume zwischen drei oder mehreren Strängen, in denen hin und wieder ein Körperchen liegen kann. Ich kann hierzu nur. bemerken, dass gewiss nichts geeigneter ist, sich über diesen Gegenstand zu un- terrichten, als die verknöcherte Sehne, wegen der stärker entwickelten Scheiden und der veränderten Quellungsverhältnisse des Gewebes. Untersucht man eine ganze Sehne eines kleinen Vogels, z, B. eines * Sperlings, sobald die verknöcherte Substanz nach Aufösung des Kal- kes in Salpetersäure durchscheinend geworden ist, so sielıt man lange dunkle die Sehnenstränge begrenzende Streifen, und die würfelförmi- gen oder ähnlich gestalteten Knochenkörper in Reihen. ‘Auf dem Querschnitt erscheinen die Stränge mit deutlichen Umgrenzungen und wo ihrer mehrere zusammenstossen, liegt vielfach ein Knochenkörper inmitten eines sternförmigen Raumes, nur dass die Strahlen des Ster- nes sich rings um die Fascikel herum erstrecken. Lässt man concen- trirte Säure längere Zeit einwirken, so bleiben nur die oben beschrie- benen Netze, d. h. die Querschnitte der Scheiden sichtbar. Macht man einen Schnitt schief gegen die Längsachse, und bringt die Säure oder Kalilauge hinzu, so erblickt man die schief durchschnittenen Scheiden- enden, aus denen man hier deutlich die Sehnensubstanz ein wenig her- vorgequollen sieht, und die dazu gehörigen Scheidenstücke zugleich. An letsteren ziehen, wenn die Verknöcherung eben erst begonnen hat, über die eingeschnürten Stellen der Bündel: häufig die Streifen der zwischen je zwei binter einander liegenden Zellen befindlichen Inter- eellularsubstanz hin, was namentlich nach Behandlung einer Sehne m Rebhuhn mit Essigsäure deutlich wird. Wenn man mit rauchen- r Salzsäure (die bei den oben mitgetheilten Versuchen angewandten Säuren waren wasserhaltig) einen Querschnitt einer im Beginn der Kalkablagerung begriffenen und nur theilweise von Kalk imprägnirten Sehne eines Puters behandelt, so erscheinen an den nicht von Kalk imprägnirteu Stellen sogleich die sternförmigen vielfach anastomosiren- den Zellen Virchow’s oder die von Martyn ausgebildeten Lücken; an den schon kalkhaltigen dagegen bleibt das beschriebene Netzwerk übrig, indem sofort die Stränge aus ihren Scheiden hervorquellen. Die sternförmigen Zellen sind die zerfallenden, die Netze die unversehrten Scheiden der Sehne im Querschnitt. Für die beigegebenen Abbildungen ist eine 330fache Vergrösserung durchweg angewendet. ©. B. Reichert: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte u. s. w. 847 ER Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Meer- sehweinchens (Cavia cobaya). (Erste Abtheilung.) Von C. B. REICHERT. (Auszug aus den Vorträgen in der Königl. Akademie der Wissen- schaften zu Berlin, am 23. Januar und 25. October 1860.) Die reifen Eichen werden etwa um die 12 --]4te Stunde nach der Begattung aus dem Graaf’schen Follikel ausgestossen. Das Bersten des Graaf’schen Follikele ist von einem Blut- erguss begleitet, der in vielen Fällen dem unbewaffueten Auge und bei Anwendung der Loupe, in anderen erst bei mikrosko- ischer Untersuchung sichtbar wird. Eine Wucherung gefäss- IIhger Fortsätze der Kapsel des Graaf’schen Follixels ist vor dem Platzen des letzteren nicht nachzuweisen. Der Strah- lenkranz, in welchem der Discus proligerus reifer, aber auch nicht völlig reifer Säugethiereichen erscheint, ist nicht der op- tische Ausdruck von spindelförmig angewachsenen Zellen (Th. Bischoff), sondern, ein optisches Trugbild, das bei mi- kroskopischer Beobachtung des scheinbaren Querschnittes der epitheliumartig über die Zona pellucida ausgebreiteten, voll- saftigen, rundlichen, durch gegenseitigen Druck polyedrisch ab- BE Zellen des Discus proligerus sich einstellt, Die en der Membrana granulosa und des Discus proligerus ha- ben gleiche und zwar die oben bezeichnete Form; jede Ab- weichung von derselben wird durcli mechanische Zerrung künstlich herbeigeführt. Die beim Platzen des Graaf’schen Follikels in die Eileiter ausgewörfenen Eichen der Meerschwein- chen haben keinen Discus proligerus, umgeben sich auch nicht, wie schon Hr, Bischoff Beobachter, mit einer Eiweissschicht. Etwa am vierten Tage nach der Begattung treten sie aus dem Eileiter in das Gebärmutterhorn über; am fünften und sechsten Tage vertheilen sie sich im letzteren. ie Bildung der Decidua reflexa beginut in der zweiten Hälfte des siebenten Tages nach der Begattung und ohne eine, irgendwie deutlich ausgeprägte, vorhergegangene Umwandlung der Gebärmutterschleimhaut in eine Decidua vera. Sie zeigt sich an denjenigen Stellen, wo die zwar noch im Furchungs- process begriffenen, aber schon in dem Gebärmutterliorn zer- 848 ©. B. Reichert: streuten Eichen fixirt werden. Die Eichen befinden sich um diese Zeit nicht in einem neu gebildeten Divertikel des Schleim- hautparenchyms, auch nicht in einer Gebärmutterdrüse (Th. Bischoff), deren Ausführungsgänge einen fast drei Mal klei- neren Querdurchmesser und ein noch kleineres Lumen besitzen, als der Durchmesser der Eikugel beträgt; sie liegen vielmehr vorher völlig frei in der Gebärmutterhöhle und werden später ebenfalls frei in der Kapsel der Decidua angetroffen. Bei der Schwierigkeit der Untersuchung ist nicht mit völliger Sicherheit zu entscheiden, ob die bis zur Bildung der Deeidua freiliegen- den Eichen in die anfangs noch offene Kapsel der Deeidua hineingepresst werden, oder ob die Decidua-Kapsel in der Ge- gend, wo das Eichen selbst liegt, entsteht; das Letztere er- scheint aber wahrscheinlicher, An der Bildung der Deeidua ist ein gürtelförmiges, um das Lumen der Gebärmutterhöhle herumziehendes, etwa 2 Mm, breites Stück der Schleimhaut betheiligt. Diese Schleimhaut ist hier, wie in den anderen Gegenden der Gebärmutter, von einem leicht ablösbaren Epithelium bekleidet und in ihrem Parenchym von den knäuelartig aufgewundenen, schlauch- förmigen, nicht follikulären (Th. Bischoff) Uterindrüsen durchsetzt. Die Bildung der Decidua spricht sich im Allge- meinen durch Wucherung des Schleimhautparenchyms an einer solchen Stelle aus, an welcher jedoch anfangs besonders das bindegewebige Stroma mit den Gefässen, weniger die Drüsen Antheil nehmen. Die Wucherung ferner erfolgt hier in zwei räumlich gesonderten Abschnitten, die auch nicht völlig zur gleichen Zeit ihren Bildungsprocess beginnen. Der eine grös- sere Abschnitt umfasst die am freien Rande und an den Sei- tenwänden des Uterus gelegenen Bezirke der Schleimhaut in der bezeichneten Breite, und hier beginnt die Wucherung zu- erst; der zweite kleinere und später sich verdickende Abschnitt ist auf die, an der befestigten Randpartie des Uterus gelegene Schleimhautgegend beschränkt. Bei Wucherung des ersten Ab- eignen gerathen die etwas stärker an Volumen zunehmenden andpartieen der sich verdickenden Seitenwände des Uterus, in einer Breite von 3, Mm., aneinander, verwachsen und schlies- sen einen spaltförmigen, etwa '/, Mm. breiten, zungenförmig umgrenzten Hohlraum von der Gesammthöhle des Uterus so ab, dass mit der letzteren (an der befestigten Randpartie der Gebärmutter) noch eine offene Communication durch zwei seit- lich abgehende, enge Canäle erhalten bleibt. An dem entge- gengesetzten, geschlossenen Ende des Hohlraumes befindet sich eine cylindrische Aussackung von !/;—';Mm. im Querdurch- messer, der sogenannte Zapfen, so dass der zuerst gebildete Theil der Decidua-Kapsel, nach der Begrenzung seines Hohl- raumes, mit einer Feldflasche verglichen werden kann, der nöch der Boden fehlt, und deren geschlossenen Hals der Zapfen vertritt. Sodann stellt sich die Wucherung des zweiten Ab- Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Meerschweinchens. 849 schnittes an der befestigten Randpartie des Uterus ein, füllt die engen Canälchen aus, verwächst daselbst mit der durch Ver- schmelzung der Seitenwände gebildeten Randpartie des ersten Theils der Deeidua und bildet so das Bodenstück, die Basis, der jetzt geschlossenen Kapsel. Die Höhle der Decidua reflexa ist demnach in Wahrheit nur ein abgekammerter, eigenthümlich eonfigurirter Theil der allgemeinen Höhle des Ge- bärmutterhorns; sie ist, wie diese, von den Seitenwänden her platt gedrückt, mehr spaltförmig und zieht mit ihrem Längs- durchmesser von dem freien Rande des Uterus und dem Zapfen her, im Querdurchmesser des Hornes, zum befestigten Rande und ihrer Basis hin. Wenn man auf die Einzelnheiten bei der Bildung keine Rücksicht nimmt, so könnte man einfach sagen, dass die Deeidua reflexa und ihre Höhle durch die Bildung zweier, '/; Mm. von einander abstehender und im Querdurch- messer des Gebärmutterhornes hinziehender Scheidewände ent- standen sei. Abgesehen von den beiden, bei der ersten Anlage hervor- tretenden Hauptstücken der Deecidua reflexa, dem zuerst gebil- deten Körper und der später auftretenden Basis, muss man an derselben, und zwar mit grösserer Berechtigung als bei gewöhn- lichen Schleimhäuten, das die Höhle auskleidende Epithelium, die „epitheliale Kapsel“, und das dicke, drüsenhaltige Schleimhautsubstrat, die„Schleimhautkapsel“, unterschei- den. Wie nämlich das Epithelium der Gebärmutterschleimhaut bei Meerschweinchen, Ratten und Mäusen einige Tage nach der Begattung durch leichte Ablösbarkeit im Allgemeinen aus- ezeichnet ist, so findet dieses in noch höherem Grade bei dem 5 ithelium der Decidua reflexa statt; nur an der Basis ist die Abtrennung ohne Zerstörung nicht ausführbar. Die isolirte epitheliale Kapsel zeigt dann die Form des Höhlenraumes der ecidua am deutlichsten; man unterscheidet an ihr die etwas trichterföürmig ausgezogene Basis und den zungenförmigen zn mit dem eylindrischen Zapfen. In dem Zapfen, von den Zellen der epithelialen Kapsel eng umschlossen, aber ohne die re Spur einer Verschmelzung der beider- seitigen Zellen, also frei, liegt das etwa '/,,P.L. im Durchmesser haltende Eichen — ein solides kugelförmiges Ag- gregat von Dotterzellen ohne umhüllende Zona pellucida arstellend. Die Höhle der Decidua reflexa ist demnach egenwärtig viel grösser als das Ei selbst, das nur in einer Nische der allgemeinen Höhle seinen Platz findet. Die partiellen und totalen Deeiduae reflexae anderer Thiere unterscheiden sich in diesem Verhalten von denen der Meer- schweinchen und wahrscheinlich auch der Ratten und Mäuse, da bei ihnen das Eichen oder die Embryonen gleich anfangs den kaum der Gebärmutterhöhle, in wel sie fixirt werden, Reichert's u. du Bols-Roymond's Archiv. 1860. 55 850 ©. B. Reichert: auch vollständig ausfüllen; bei Meerschweinchen, "Ratten und Mäusen findet dieses erst später statt. Eu) Die zum richtigen Verständniss der Bildungsgeschichte des Meerschweinchens so wichtige epitheliale Kapsel:der De- eidua reflexa erleidet im Laufe.des achten bis zum Be- ginn des l3ten Tages nach der Begattung sehr auf- fällige Formveränderungen, Aus der mehr kurzhalsigen Flasche wird im Laufe des achten Tages eine langhalsige. Die Länge des Halses oder ‘des sogenannten ‘Zapfens; ‚wurde besonders in einem Falle'sehr bemerkbar, in welchem die Dot- ter zweier Eier darin aufgenommen waren; ‚Das blinde, die Dotterkugel enthaltende Ende des cylindrischen Zapfens wird durch eine leichte Einschnürung knopfartig von dem län- geren, durchsichtigen . Abschnitt geschieden. An dem plattge- drückten Körper der flaschenförmigen ‚Kapsel zeigt sich die Basis, in Folge von Wucherung:.des anliegenden Schleimhaut- substrats der Decidua, gegen die Höhle hin etwas eingedrückt. Die vordringende Bildungsmasse setzt sich zugleieh an. der Innenfläche des Epithels als innere Schicht des: Körpers fort und tritt sogar mehr oder weniger weit auf die Innenfläche des Zapfens über. Am neunten Tage verkümmert (während der gesteigerten Wucherung im Schleimhautsubstrat der-Decidua am befestigten Rande des Gebärmutterhorns) der Körper der epi- thelialen Kapsel allmählig vollständig. Es bleibt also, von der ursprünglich angelegten epithelialen Kapsel schliesslich der stark erweiterte und verlängerte Zapfen allein übrig. Derselbe hat am Beginn des l3ten Tages eine Länge von .4#!/, Mm. und eine grösste Breite von 1—1'/, Mm. Der Breitendurchmesser variirt etwas in den verschiedenen: Abschnitten, die durch ihre eigenthümliche Zeichnung auch dem unbewaffneten Auge leicht erkennbar werden. Die im Allgemeinen eylindrisehe Form ist an beiden Enden abgerundet und zwar flacher an demjenigen, der gegen den befestigten Grebärmutterrand gerichtet ist. ‚Die Abschliessung des Zapfens ist hier durch das in den Hohlraum eingetretene Schleimhaufparenchym bewerkstelligt. , Während "das entgegengesetzte Ende sıch zu jeder Zeit von dem Substrat leicht ablöset und frei heraustritt,. ist ersteres, das befestigte Ende, auf das Innigste mit dem Schleimhautsubstrat in ı Ver- bindung gesetzt und ohne Zerstörung der Kapsel: gegenwärtig noch weniger als früher frei zu machen. rinz Man kann an dem Zapfen, wie schon angedeutet, meh- rere, und zwar drei Abschnitte unterscheiden.‘ An dem ab- gerundeten, freien Ende befindet sich der durch seine weissliche (bei auffallendem Lichte) Trübung ausgezeichnete erste und kleinste Abschnitt, von etwa ?/;Mm. im Längsdurchmesser; er enthält die in Entwickelung begriffene Dotterkugel und spä- ter den Embryo in. seiner ersten, einfachen Bläschenform, Der- selbe wird durch eine am 9ten Tage stärkere, am, 12ten Tage schon schwächer ausgeprägte, cireuläre Einschnürung von dem Beitrage zur Entwicklungsgeschichte des Meerschweinchens. 851 zweiten Abschnitte geschieden. ‘An dieser eingeschnürten Stelle tritt ein eirculärer Vorsprung von der ‘Wand der Kapsel in’s Innere des Hohlraumes derselben hervor und bildet anfangs (am ten Tage), wie es scheint, ein vollständiges, queres Sep- tum, durch welches die Höhle des ersten Abschnittes von der des zweiten getrennt wird. Am llten und 12ten Tage ist die- ses Septum jedoch nur unvollständig, da es eine allmälig an Grösse zunehmende Oeffnung besitzt. Auf diese Weise ist also — in vorliegender Entwiekelungsperiode — der Abschnitt des Zapfens, in welchem die Dotterkugel ihre Lage, hat, von dem übrigen Theil mit dem. entsprechenden Hohlraum mehr oder weniger vollständig getrennt. Der zweite Abschnitt be- sitzt zu Anfange des l3ten Tages eine Länge von 1'/, Mm. und eine Breite von */,—1 Mm.; er ist durebsichtiger als der erste, Der letzte und dritte Abschnitt ist gemeinhin der längste (etwa 2'/, Mm. im Längsdurchm.) und bei Blutfülle der Gebärmutter nach dem Tode durch ein zierliches Blutgefäss- netz ausgezeichnet, welches nicht äusserlich an der epithelialen Kapsel (Th. Bischoff), sondern an der Innenfläche der- selben, in dem hinübergetretenen Schleimhautparenchym, seine bat. Der dritte Abschnitt wird nämlich dadurch an dem Zapfen gebildet, dass das in dem früheren Körper der epitbe- lialen Kapsel eingedrungene Schleimhautparenchym bis zum llten und ]2ten Tage nach der Begattung an der Innenfläche des Zapfens weiter fortwächst. Die Wand des ersten und zweiten Abschnittes der epithelialen Kapsel besteht, wie früher, nur aus Epithelium. An der Wand des dritten Abschnittes müssen zwei Schichten unterschieden werden: die äussere und pre + Die äussere ist die unmittelbare Fortsetzung des Epi- iums der beiden anderen Abschnitte; sie hört an der be- festigten Endfäche da auf, wo.das Sehleimhautsubstrat in’s Innere der epithelialen Kapsel eindringt und dann zugleich die innere Schicht der Wand bildet. Diese innere gefässhaltige Schicht liegt aber nicht frei dem’ Hohlraum der Kapsel zuge- wendet, sie ist gleichfalls noch von einem Epithelium (inneres Epitbelium dieses Abschnittes) bekleidet. Der weitere Fort- me ‚der Entwickelung ‚lehrt, dass die vom $ten bis 13ten age stattfindenden und beschriebenen Formveränderungen an der epithelialen Kapsel und insbesondere an ihrem Zapfen auf die Ausbreitung und’ Lage späterer Bildungszustände des Em- - der vorläufig seine Lagerungsstätte auf den kleinsten A nitt beschränkt hat, berechnet sind. Mit Rücksicht darauf habe ich den‘ ersten Abschnitt: „Zone des Fruchthofes*, den zweiten‘ „Zone des Gefässhofes“, und den dritten „Placentarzone* genannt. ‚Die Veränderungen, welehe an dem kugelförmigen, aus einer nicht genau bestimmbaren Arizahl;Dotterzellen beste- henden Dötter, vom: achten Tage nach der Befruchtung bis etwa zur Mitte des löten, bemerkbar werden, sind folgende: 55* 852 ©. B. Reichert: 1. Die Bildungsdotterkugel, von der Zone des Frucht- hofes der epithelialen Kapsel der Decidua enge umschlossen, breitet sich in der zweiten Hälfte des Sten und im Laufe des Iten Tages während der allmähligen Vergrösserung dieser Zone schichtförmig darin aus und verwandelt sich so zu einer dem Mantel derselben conform gebildeten Dotterscheibe. Der zur Scheibe umgewandelte Dotter stellt demnach, seiner Form nach, den Mantelabschnitt eines etwas langgezogenen ellipsoidi- schen Körpers dar, dessen freier, kreisförmig begrenzter Rand an der Grenze.der Zone des Frucht- und Gefässhofes der epi- thelialen Kapsel gerade da endigt, wo von der ersteren der in- nere Vorsprung zur Scheidung der, beiden genannten Zonen zugehörigen, Hohlräume abgeht. Die Keimfläche des Bildungs- dotters liegt an der concaven Seite der Scheide, dem neu entstandenen Hohlraum in der Zone des Fruchthofes zugewen- det; die gegenüberliegende convexe Fläche steht im Contact mit dem Epithelium der Zone des Fruchthofes der Decidua. Auf die allmählige Abplattung und schichtförmige Ausbreitung der nur locker zusammenliegenden Zellen der Dotterkugel wirken ein: die Erweiterung der Berührungsfläche zwischen dem Dotter und der Zone des Fruchthofes in Folge der allmähligen Vergrösse- rung des letzteren, und der Druck des in dem vergrösserten Hohl- raum desselben wahrscheinlich eingedrungenen Fluidums der epithelialen Kapsel der Decidua — auf den Bildungsdotter. 2. Die Bildungsdotterscheibe verwandelt sich gegen Ende des 9ten und in der ersten Hälfte des 10ten Tages nach der Begattung zu einem Bläschen dadurch: dass an der Keimfläche der Dotterscheibe eine einfache Zellenschicht sich absondert, epithelartig ausgebildet wird, an den Rändern durch fortdauernde Zellenzeugung sich erweitert, am freien Rande der Dotterseheibe weiter fortwachsend auf den inneren, den Hohl- raum der epithelialen Kapsel der Decidua zwischen Zone des Frucht- und Gefässhofes durchsetzenden Vorsprung übertritt und durch die Vereinigung der von allen Seiten sich berüh- renden Zellen zur Blase abschliesst. Das Bläschen besteht demnach aus zwei Theilen: aus dem epitheliartigen, die Bläschenform bedingenden Gebilde, und aus dem, an der epi- thelartigen Ausbildung sich nicht betheiligenden Reste der Dotterscheibe, der an der Aussenfläche des Epitheliumsackes (im Bereiche der Zone des Fruchthofes der Decidua) sich aus- breitet und nach wie vor an der, der Keimfläche entsprechen- den, Seite mit dem Epithelium der Fruchtzone in Berührung bleibt. Der bläschenförmige Embryo, wie ich den vorliegen- den Zustand in der Entwickelung des befruchteten Meerschwein- chens nennen möchte, bewahrt das beschriebene Structurver- halten drei bis vier Tage, vom 9ten bis etwa zur Mitte des 13ten Tages nach der Begattung, und verändert sich nur in Grösse, Form und in der Ausbreitung der beiden Haupt- bezirke, von welchen der eine die Gegend des Bläschens um- Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Meerschweinchens. 853 fasst, welche von dem Reste der Bildungsdotterscheibe beklei- det ist, die andere desselben entbehrt. Das Bläschen geht, in Uebereinstimmung mit den Form- und Grössenveränderungen der Zone des Fruchthofes, aus der ellipsoidischen in die Ku- gel- und schliesslich in die Linsenform über, fortdauernd zu- gleich an Grösse zunehmend. Von den beiden Abschnitten des Bläschens ist es besonders der von der Dotterscheibe nicht be- deckte, welcher an der Vergrösserung des ganzen Bläschens betheiligt ist. Es ist schon seit de Graaf bekannt, dass die Säuge- thierembryonen zu einer gewissen Zeit in Form eines einfachen Bläschens auftreten. Aus neueren (Coste’s, M. Barry’s, Th. Bischoff’s und meinen eigenen) Untersu- - chungen hat sich herausgestellt, dass dieser Zustand auf den Furchungsprocess folgt und mit dem Auftreten der primitiven Rinne und der Rückenplatten beendigt wird, dass er ferner etwa 4—5 Tage andauert, dass das Bläschen endlich während dieser Zeit sehr bedeutend an Grösse zunimmt und die ur- sprüngliche runde Form in eine andere sphäroidische Form ab- ändert. Die Wand des Bläschens besteht aus zwei häutigen Bestandtheilen: aus der mit der Vergrösserung- allmälig sich verdünnenden Zona pellueida, der Dotterhaut, und aus dem an der Innenfläche dieser Haut sich ausbreitenden und durch Um- wandlung der Bildungsdotterkugel hervorgegangenen, inneren, häutigen Theil, welchen v. Bär den „sackförmigen Keim“, Th. Bischoff die „Keimblase“ genannt hat. An dem letz- teren wichtigeren Bestandtheil des Bläschens unterscheidet man deutlich ein epithelartiges, bläschenförmig geschlossenes Ge- bilde, die von mir bei. anderen Wirbelthieren so genannte „Um- hüllungshaut“, und in einer bestimmten Gegend („Täche em- bryonnaire“ Cost.) an der Innenfläche derselben den blatt- förmig ausgebreiteten, kreisförmig begrenzten, sonst unverän- derten Rest des Bildungsdotters, aus welchem später nachweislich, wenn nicht alle, so jedenfalls die meisten und wichtigsten Primitivorgane des Wirbelthierkörpers sich bilden. Die Namen „sackförmiger Keim“ oder „Keimblase“ für den bezeichneten Bestandtheil des Bläschens sind aus dem Grunde nicht passend gewählt, weil man es mit einem bereits histologisch construir- ten und aus einer Anlage des Dotters produeirten Gebilde zu thun hat, welches gegenwärtig einen embryonalen Zustand des a he repräsentirt, wächst, die Gestalt verändert und im lebhaftesten Verkehr mit der Umgebung sich befindet, — also nicht mehr Keim genannt werden kann; ich wähle da- her den Ausdruck „einfacher bläschenförmiger Embryo“ des Er Beer oder „einfacher bläschenförmiger Em- bryonalzustand“ desselben. ') 1) Die Ausdrücke: Keim, Keimblätter, Keimhaut, Ei u. s. w. wer- den häufig auch dann gebraucht, wenn bereits Entwickelungsverände- 854 ©. B. Reichert: Vergleicht man diesen bläschenförmigen Embryo“anderer Säugethiere mit dem der ‘Meerschweinchen, so zeigen sich‘ fol- gende Unterschiede: 1. Bei Kaninchen und Hunden. ist der bläschenförmige Embryo von der Zona pellucida (Dotterhaut) umhüllt, beim Meerschweinchen: fehlt dieselbe; sie ist bereits bei’ erster Ein- kapselung des Eichens durch die Decidua reflexa “zu Grunde gegangen. , Dieser Unterschied ist von unwesentlichem Belange, Man weiss, dass die Dotterhaut: mit ihrer Substanz bei keinem Thhiere an der Entwickelung embryonaler Gebilde aus dem’ Bildungs- dotter betheiligt ist, und dass sie früher oder später schwindet, sobald anderweitige Schutzhüllen gegeben sind. Nach Th. Bischoff’s Beobachtungen sollte die Dotterhaut (Zona pellu- eida) gerade bei Säugethieren (bei Hunden und Kaninchen) auch bei Bildung embryonaler Hüllen verwendet werden; es sollen auf ihr die Zotten des Chorion’s (Entwickelungsgeschiehte des Kanincheneies Taf. VIII. und IX Fig. 41, B. Ö. E. und Fig. 42, B. C; — Entwickelungsgeschichte des Hundeeies Taf. IV. Fig. 30,B) entstehen und später auf eine unerklärliche Weise. die Vereinigung derselben mit’ dem aus einer einfa- chen, epithelialen Zellenschicht bestehenden ‘und der Gefäss- schicht ‚noch entbehrenden Chorion erfolgen. Nach meinen Untersuchungen ist diese Ansicht nicht begründet. Die von dem Verfasser für Anfänge der Zotten gehaltenen Erhabenheiten an der Zona pellucida sind Nieder- schläge aus dem Excret (Uterinmilch) der auf die- selbe ausmündenden Uterindrüsen. 2. Von grösserer Wichtigkeit ist der an dem bläschen- förmigen Embryo selbst auftretende Unterschied. Sowohl bei. Hunden und Kaninchen, als bei Meerschweinchen 'besteht der bläschenförmige Embryo aus zwei Bestandtheilen: aus einem epithelartigen Gebilde in Bläschenform, meiner Umhül- lungshaut, und aus dem bei Bildung dieser Umhüllungshaut nieht. verwendeten Reste des Bildungsdotters an dem so- genannten Keimfleck. Bei Hunden und Kaninchen, wie bei rungen keimfähiger Körper vorliegen. Dieses Verfahren ist so lange ohne Nachtheil, als man eben nur, wie im obigen Fälle, eine Verän- derang an dem Keime markiren will, über die Beziehung derselben zu späteren Entwickelungszuständen sich noch keine Rechenschaft ablegen kann und dabei nicht vergisst, dass die Keime aufgehört haben, ein indifferentes Bildungsmaterial zu sein, dass sie also einen Entwicke- lungszustand des künftigen Thieres darstellen. Leider ‚sind diese Po- stulate, durch welche die Einführung obiger Ausdrücke gerechtfertigt werden könnte, in neuester Zeit nicht beobachtet worden; man be- nutzt dieselben vielmehr, um jede Nachfrage und Erläuterung über die aufgetretene Entwickelungsveränderung zurückzudrängen und letztere nicht weiter in der Bildungsgesehichte des Thieres verrechnen zn dür- fen.‘ Im Interesse der Wissenschaft ist es daher zu wünschen, däss die bezeichneten Ausdrücke möglichst vermieden werden. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Meerschweinchens. 855 allen bisher beobachteten‘ "Wirbelthieren liegt dieser noch un- veränderte Rest des Bildungsdotters an der Innenfläche, bei Meerschweinchen dagegen, wie es scheint, an der Aussen- fläche der Umhüllungshaut. ‘ Dh. Bischoff, der im Sinne der Blättertheorie das epithel- artige Gebilde für das animale, den Rest des Bildungsdotters für das vegetative Blatt erklärte, musste in nothwendiger Con- sequenz den räthselhaften Satz aussprechen, dass die ursprüng- lichen’ Anlagen des Wirbelthieres beim Meerschweinchen ein gerade umgekehrtes Lageverhältniss darbieten, als bei allen übrigen Wirbelthieren.’) Hält man daran fest, dass die Umhül- lungshaut, wie ich auch anderweitig erwiesen habe, nicht die Anlage der 'animalen Organe des Wirbelthieres, sondern ein vorübergehendes embryonales Gebilde darstellt, welches dem- jenigen Theile des Bildungsdotters, aus dem die eigentlichen Primitivorgane des Wirbelthieres sich entwickeln, zur Ausbrei- tung, zum Schutze, und zur Stütze dient, so lösen sich die Schwierigkeiten in durchaus einfacher Weise. Es zeigt sich dann, dass die Umhüllungshaut gerade so wie bei allen übrigen Wirbelthieren diejenige Fläche des Bildungsdotterrestes über- zieht, an der später der Rücken des Wirbelthieres sichtbar. wird, dass aber derjenige Theil der Umhüllungshaut, welcher bei den übrigen Säugethieren über die Grenze des Keimfleckes hinweg so weiter wächst, ‘dass er den Rest des Bildungsdotters in seine Höhle aufnimmt, — beim: Meerschweinchen in entgegenge- setzter Richtung fortgewachsen ist und oberhalb des künftigen Rückens ‘des Embryo’s zur Höhle abgeschlossen wird. ' Die Hohlräume des 'bläschenförmigen Embryo’s der Meerschweinchen und derübrigen Säugethiere haben also nicht gleiche Bedeutung; sie liegen verschieden mit Rücksicht auf den Frontalsehnitt des später sich entwickeln- den Wirbelthierkörpers; es sind ferner diesen Hohlräumen ver- schiedene Flächen der Umhüllungshaut zugewendet, und hier- mit im nothwendigen Zusammenhange steht die "verschiedene Lage des noch unveränderten Restes der Bildungsdotterscheibe zu den Hohlräumen des bläschenförmigen Embryo’s, nicht aber zu den beiden Flächen der Umhüllungshaut. ) Remak hat bekanntlich v. Baer’s animales Keimblatt, meine Umhböllungshaut, zu einer Anlage für Epidermis, Hornsubstanzen sammt Gehirn und Rückenmark, zu dem sogenannten sensoriellen Blatte ge- "macht, Kölliker ist in dem Auszuge aus der Remak’schen Ent- wiekelungsgeschichte dieser paradoxen Ansicht nicht nur gefolgt, er hat dieselbe auch mit seiner Autorität zu stützen gesucht (Entwicke- lungsgeschichte (des Menschen u. s.'w. Akad. Vortr, Leipzig 1861.). Bei Vebertragung und Anwendung dieser Theorie auf,die Entwicke- Inox des Meerschweiuchens bleibt'dasselbe Räthsel bestehen; es. wäre die verdrebte Anlage eines Wirbelthieres, die mit der Organisa- ton desselben im völligen Widerspruch sich befände. Die Ent- wickelung des Meerschweinchens ist zu einem Prüfstein der verschiedenen Entwickelungstheorien geworden; wer sich noch belehren lassen kann, der findet hier vortreffliche Gelegenheit, 856 €. B. Reichert: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte u. s. w. Zur Erläuterung der bezeichneten Eigenthümlichkeiten in dem Verhalten des bläschenförmigen Embryo’s der Meer- schweinchen diene noch Folgendes:. 1. Sowohl in der vorliegenden, wie in der folgenden Ent- wicklungsperiode bewahrt die Umhüllungshaut ihre auch bei anderen Wirbelthieren hervortretenden wesentlichen Eigenschaf- ten: sie verhält sich bei ihrer ersten Bildung und mit Rück- sicht auf das Lageverhältniss zum noch unveränderten Bildungs- dotterreste, wie bei allen übrigen Wirbelthieren, sie verwandelt sich ferner in ein Bläschen, in dessen Hohlraum die ersten Ex- creta aufbewahrt werden, sie dient endlich demjenigen Theile des Bildungsdotters, aus welchem später die wichtigsten Pri- mitivorgane hervorgehen, zur Ausbreitung, überzieht, schützt denselben und unterstützt seine weitere Entwickelung. 2. Da die Umhüllungshaut, unerachtet der epithelartigen Textur, zu keinem bestimmten Organe als Oberhaut gehört, also weder als Epidermis, noch überhaupt als reines Epithe- lium aufzufassen ist, so ist es gleichgültig und von unwesent- lichem Belange, welche von den beiden ihr zugehörigen Flä- chen sie dem von ihr gebildeten Hohlraum zuwendet. 3. Das eigenthümliche Wachsthum der Umhüllungshaut, in Folge dessen sie mit der, bei den übrigen Wirbelthieren nach aussen von dem Hohlraum gelegenen Fläche, beim Meer- schweinchen gegen den Letzteren gerichtet wird, ist durch die dem Meerschweinchen eigenthümliche Formation der Decidua- Kapsel bedingt, so dass alle eigenthümlichen Bildungsvorgänge während der Entwickelung des Meerschweinchens in vollstän- diger, gegenseitiger Harmonie sich befinden, was auch in wei- terem Fortgange der Bildungsgeschichte dieses Thieres sehr deutlich hervortritt. 4. Das verschiedene Verhalten der Umhüllungshaut im bläschenförmigen Meerschweinchen-Embryo wird ganz beson- ders durch das Wachsthum desjenigen 'T'heiles derselben her- beigeführt, welcher bei weiterer Ausdehnung, statt wie bei den übrigen Säugethieren den Bildungsdotter einzuhüllen, sich nach der Rückenfläche desselben umschlägt und hier zur Blase ab- schliesst. Zur Erläuterung dieser Erscheinung kann angeführt werden, dass die Umhüllungshaut auch in anderen Fällen, so zu sagen, sich Abweichungen in ihrem Wachsthum von dem Verhalten erlaubt, welches gewöhnlich bei Wirbelthieren, die nur Bildungsdotter enthalten, beobachtet wird. Bei allen Wir- belthieren nämlich, die zugleich Nahrungsdotter führen, wächst die Umhüllungshaut, nachdem sie den freien Rand der Bil- dungsdotterscheibe erreicht hat, nicht direct auf die entgegen- gesetzte Fläche dieser Scheibe weiter, sondern erweitert sich, unter den gegebenen mechanischen Bedingungen, auf den Nah- rungsdotter, um denselben zugleich mit dem Reste des Bildungs- dotters in ihren Hohlraum aufzunehmen. PT ._ Wagemnchrebet, re ffnat u IDyf“ VEOR. Anhio [Aral 14 ZA, "800. Zap IW Se Sul) 1 1 Wuermschwbir wo 1! N rn DD DU DTINT is wen a mn an Lhyf 7860. Archio 70 STE 025772 Vehnersler Hot ee 5 x Auax“) ni ER Arehio fi Anal u 2yf 1800. Tag: IM. MMyf 1860. Anhio fdnat u Archto £Inat:u Lg” 1800 nen ut Archiv [Anat. u IAyf. 1800. ZT. l Wagenschinber se 0 (Anal. afAygf 1800. 6 Zap AL 6. aRada Jacadada 4955. 929999 290° in Ag 390 Amhio [ Anat_n. 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