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Aus den emoiren einer, Hürslentothler.
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Nach dem Gelbilde von L. Geyer.
Aus den
Memoiren einer Fürſtentochter.
Von
Nobert Waldmüller (Ed. Duboc).
Mit einem Holzfhnitt-Portrait.
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Einleitung . Zur Orientierung
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Lebensſkizze
Znhalt.
Aus den Tagebüchern. Die Kindheit (1794 — 1810). Erſte Jugendzeit (1810-1813) Fluchtreiſe (Februar bis Juni 1813) Wieder daheim (Juni bis November 1813) . In der Fremde (November 1813 bis Juni 1815)
Nach wiederhergeſtelltem Frieden Aut 1815 bis Februar 1819) ;
Erſte italieniſche Reiſe (Februar bis August 1810 Zweite italieniſche Reiſe (1820 — 1821)
Die ſpaniſche Reife (1824 — 1825)
Königin Joſepha
Weiteres über Spanien
Nach Paris.
Die Rückreiſe
Die ſpäteren Jahre
Seite
Einleitung.
3. dem handſchriftlichen Nachlaſſe der Prinzeſſin Amalie von Sachſen, der im Jahre 1870 verſtorbenen Schweſter
des Königs Johann, haben ſich zwölf Bände Tagebücher gefunden. Dieſelben umfaſſen ihre ganze Lebenszeit, alſo volle ſiebenzig Jahre, beſchränken ſich aber, ſoweit ſie über heimiſche und häusliche Vorgänge berichten, zumeiſt auf ganz kurze Notizen. Ausführlicher werden ſie, wo es ſich um Reiſe— Erlebniſſe und Reiſe-Eindrücke handelt, und da Prinzeſſin Amalie zu mehreren Malen Frankreich beſuchte, ſechs Monate in Spanien verlebte, zehnmal in Italien war und überdies eine Menge Ausflüge in Deutſchland und Oſterreich machte, ſo bietet dieſer Teil ihres Tagebuchs, das ja ohnehin fort— während aus ſonſt wenig zugänglichen Sphären berichtet, eine intereſſante Ausbeute. — Dieſelbe würde noch ergiebiger ſein, hätte Prinzeſſin Amalie mit ihren Notizen anderes beabſichtigt, als für ſich ſelbſt ein Nachſchlagebuch zu ſchreiben. Für ſolchen Zweck brauchte es beiſpielsweiſe beim Erwähnen von Perſonen, die ſie ſah oder mit denen fie ſprach, nur einer kurzen Namens— notiz; im Übrigen durfte ſie ſich auf ihr gutes Gedächtnis verlaſſen. So hält ſie die äußere Erſcheinung Goethes, der ihr in Karlsbad zu Geſicht kommt, nur mit ganz wenigen Worten feſt. Napoleon und ſeine berühmten Generäle, der kleine König von Rom, der Jüngling Louis Napoleon, Karl X. von Frankreich, der Herzog von Orleans (Louis Philipp), Ferdinand I. von Neapel, Ferdinand VII. von Spanien,
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Karl Auguft von Weimar, die Päpſte Pius VII., Gregor XVI., Pius IX., der Kardinal Antonelli, Nelſon, Taillerand, Metter- nich, Waſhington, Irving, Scribe, Fürſt Pückler, Tieck, Rumohr und ſehr viele andere namhafte Leute, mit denen ſie ſich be- rührte, faft alle finden in dem Tagebuche keine eingehendere Schilderung.
Freilich, wo hätte Prinzeſſin Amalie die Zeit hernehmen ſollen, um auch für alles das zu ſorgen, was die Nachlebenden jetzt in dieſen Blättern vermiſſen? Ein loſes Blatt hat ſich unter ihren Papieren erhalten, darauf ſind die mehr oder weniger zu hiſtoriſcher Bedeutung gelangten Perſonen zuſammen gezählt, die ſie in ihrem langen Leben kennen lernte; das Regiſter ſum⸗ miert deren 398 auf. Noch zahlreicher ſind die namhafteren Städte, die ſie beſuchte; es ſind ihrer 472.
Wie jene Seite des Tagebuchs eine dürftigere iſt, als man es wünſchen möchte, ſo kommen durch dasſelbe auch die inneren Erlebniſſe der Prinzeſſin nur zum kleinen Teil in eine wirklich helle Beleuchtung. Über ihr vielſeitiges muſikaliſches und über ihr dichteriſches Schaffen geht das Tagebuch faſt mit Still⸗ ſchweigen hinweg; im Gleichen über ihre Lieblingsſchriftſteller. Was war ihre Lektüre? An welchen Muſtern hat ſie ſich ge⸗ bildet? Kaum finden ſich darüber ſpärliche Andeutungen. Und wie fügte ſich's, daß ſie, die ſo reich Beanlagte und mit ſo warmer Herzlichkeit Ausgeſtattete, ihre Schweſtern eine nach der anderen zum Traualtar geleitete, während ſie ſelbſt unvermählt blieb? Auch von dieſem Geheimniſſe ihrer Bruſt wird der Schleier nicht gelüftet.
Dennoch hat das wiederholte Studium jener vergilbten und in ihrer Art einzigen Blätter immer von Neuem den Wunſch in mir erweckt, daß für die Mitteilung derjenigen Aufzeichnungen, denen ein allgemeineres Intereſſe inne wohnt und die, zugleich
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mit der Ergänzung des Bildes der Verfaſſerin von „Lüge und Wahrheit,“ auch einen Beitrag zur Geſchichte ihrer Zeit bieten, früher oder ſpäter eine paſſende Form gefunden werden möge. Es galt, den weitſchichtigen Inhalt auf das kleinſte Maß zu- ſammen zu drängen, durch Zuhilfenahme von Briefſchaften manche perſönliche Beziehungen der Prinzeſſin deutlicher zu ver- anſchaulichen und hier und da den großen hiſtoriſchen Hinter— grund durchſchimmern zu laſſen, vor welchem die Erlebniſſe der Prinzeſſin ſich vollziehen.
Vergegenwärtigt man ſich, daß ihre Jugendjahre in die traurigſte Epoche fallen, von welcher die neuere deutſche und in Sonderheit die neuere ſächſiſche Geſchichte weiß, ſo wird man die delikate Seite der hier zu löſenden Aufgabe nicht unterſchätzen. Es darf aber wohl ausgeſprochen werden, daß die Wiederaufrichtung des deutſchen Reichs in Sachſen mit ganz verwandten Gefühlen begrüßt worden iſt, wie ſie vor allem denjenigen deutſchen Landſtrichen natürlich waren, die von dem unruhigen Nachbar unſerer Weſtgrenze immer am unmittelbarſten bedroht wurden, denn ſchlimmer noch als jene hat Sachſen, obſchon im Herzen Deutſchlands liegend, von den Zeiten der Fremdherrſchaft und ihren Folgen zu leiden gehabt. Was dieſe Fremdherrſchaft, die aus der deutſchen Zerriſſenheit mit Notwendigkeit entſprang, auch über die Verfaſſerin des Tagebuchs und ihre Angehörigen an Heimſuchungen und Schmerzen brachte, wird ſich denn jetzt wohl mit vorurteilsfreier Teilnahme leſen laſſen.
Mit Genehmigung Sr. Majeſtät des Königs Albert habe ich daher den Verſuch der in Rede ſtehenden Arbeit unter— nommen, und ſolcher Art wird die von mir der Geſamtaus⸗ gabe der dramatiſchen Werke der verewigten Prinzeſſin voraus⸗ geſchickte Lebensſkizze derſelben eine Vervollſtändigung erfahren.
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Den Wiederabdruck jener Skizze hat mir der Verleger der Ge- ſamtausgabe bereitwilligſt geſtattet. Sie folgt als Anhang. In einem einzigen Punkte hätte vielleicht Veranlaſſung zu einer kleinen Überarbeitung der Skizze vorgelegen. Ich fühle mich aber nicht dazu berechtigt, da der hochſelige König Johann ſie ſeiner Zeit mit großer Sorgfalt durchgeſehen hat. Von ihm unterſtrichen worden iſt dabei noch ausdrücklich die Stelle, wo Seiner Selbſt mit den Worten Erwähnung geſchieht: „der ihr (der Prinzeſſin) am innigſten naheſtehende ihrer Brüder.“ Wer hätte das Bild ſeiner geliebten Schweſter beſſer vor fremden Zügen behüten können, als dieſer ihr Bruder? In allem Weſent⸗ lichen richtig muß die Lebensſkizze daher ſein, wie die Lektüre des Tagebuchs dies auch beſtätigt. Fraglich allein bleibt mir — und das iſt jener vielleicht zu berichtigende Punkt — ob ich damals auf eine Außerung des Königs, wonach Prinzeſſin Amalie keinen ſonderlich ausgeprägten Sinn für Naturſchön⸗ heiten und für Gegenſtände der bildneriſchen Kunſt gehabt habe, nicht in der Wiedergabe dieſer Bemerkung zu viel Betonung legte. Namentlich Kunſtwerke ſtudierte die Prinzeſſin, wie jetzt aus zahlreichen Partien ihres Tagebuchs hervorgeht, nicht allein mit Fleiß — der war ihre andere Natur — ſondern auch mit Liebe, und wo die landſchaftlichen Reize einer Gegend zu rühmen ſind, überſieht ſie dieſelben ebenſo wenig. Möglich, daß ſie dem ſieben Jahre jüngeren Bruder in früher Zeit bei ſeinem enthu⸗ ſiaſtiſchen Aufnehmen ſolcher Genüſſe nicht genug that; auf alle Fälle mußte ſie dieſen Freuden in dem Maße entfremdet werden, wie die Abnahme ihrer Sehkraft in ſpäteren Jahren die Welt für ſie in Schatten hüllte. Und ſo wird es genügen, hier auf jenen Paſſus der Lebensſkizze als auf einen der Milderung be- vdürfenden hingewieſen zu haben.
Zur Orientierung.
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ie Tagebücher der Prinzeſſin Amalie beginnen mit dem Tage ihrer Geburt, den 10. Auguſt 1794. Man wird die damalige ſächſiſche Reſidenz ſich vor allem als noch durch Feſtungsmauern und Gräben eingeengt vorſtellen müſſen. Heute hat Dresden gegen 220,000 Einwohner. Im vorigen Jahrhundert wurden noch keine genauen Zählungen vorge— nommen. Geſchätzt wurde Dresdens Bevölkerungsziffer Anno 1757 auf 63,200; nach dem ſiebenjährigen Kriege auf 45,000; Anno 1791 auf 54,920; hinwieder 1809 auf nur 53,000. Der Mittel, wie man zu dieſen durchweg ungenauen Ziffern gelangte, waren verſchiedene. Zu ſehr irrigen Schlüſſen führten jeden- falls die auf die jährlichen Sterblichkeitstabellen ſich ſtützenden Bevölkerungs-Schätzungen. Auch dieſe Methode wurde aber noch vielfach angewandt; ſo rechnet z. B. Süßmilch: Anno 1750 ſtarben 2150, folglich war die Totalzahl der Bevölkerung 60,200. In dem Geburtsjahre der Prinzeſſin, Anno 1794, mag Dresden, wenn obige Angaben einigermaßen zutreffen, etwa nur den vierten Teil ſeiner jetzigen Seelenzahl gehabt haben.
Im Einklange damit waren die Vorſtädte nur erſt von geringem Belang, konnten auch, nach den im dreißig- und im ſiebenjährigen Kriege über ſie hereingebrochenen Verheerungen, zu regelmäßiger Bebauung nicht wohl als geeignet erſcheinen.
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Wie wenig man ſich gegen die Wiederkehr ſolcher Zeitläufe ges ſichert glaubte, beweiſt das Scheitern der großartigen Pläne Auguſt des Starken in betreff Neuſtadt-Oſtras, der ſpäteren Vorſtadt Friedrichſtadt. Noch heute liegt die damals in dem vermeinten künftigen Mittelpunkt der Vorſtadt erbaute Kirche faſt an dem äußerſten Ende derſelben.
Dennoch hatte die Engigkeit der Feſtung dazu genötigt, daß inmitten der vorwiegend kärglichen Bauwerke der Vorſtädte auch hier und da Monumentalbauten ihren Platz fanden; ſo im Norden der Stadt auf der Friedrichſtraße in einem urſprüng⸗ lich von der Fürſtin von Teſchen angelegten Garten das große Brühlſche, ſpäter Marcoliniſche Palais mit der ſehenswerten Kaskade Matiellis; im Weſten dann das umfangreiche, von der Königin Maria Joſepha auf der Plauenſchen Gaſſe gegrün⸗ dete Joſephinenſtift; im Süden das Moseinskyſche Palais, deſſen prächtiger Garten bis an den Dohnaſchen Schlag reichte; im Oſten endlich der Zinzendorfſche Garten, aus welchem im Jahre 1764 der Chevalier de Saxe den jetzt zur Sekundo⸗ genitur gehörigen Park mit dem ſogenannten Antonſchen Sommerpalais entſtehen ließ; und jenſeits der dies Beſitztum in öſtlicher Richtung begrenzenden Wieſen und Felder der „große Garten“ mit ſeinem unter Johann Georg II. be⸗ gonnenen und unter ſeinem Nachfolger beendeten Palais. Im Verſchwinden begriffen war bereits der italieniſche oder türkiſche Garten, welcher von der Plauenſchen Gaſſe bis in die heutige Prager Straße reichte, unter Auguſt dem Starken der Mittel⸗ punkt glänzender Luſtbarkeiten geweſen war, und nach den Ver⸗ wüſtungen, die der ſiebenjährige Krieg über das dortige Schlöß- chen verhängt hatte, ſich in kleinere Privatbeſitze auflöſte.
An ſonſtigen außerhalb der Feſtung gelegenen Gebäuden wären noch zu erwähnen: das Waiſenhaus (1768), die Waiſen⸗
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hauskirche (1780), die Johanneskirche (1795), die Annenkirche (1769, bis 1821 noch ohne Turm), endlich das kleine Max⸗ Palais, von dem Architekten der katholiſchen Kirche, Chiaveri, urſprünglich als ſein eigenes Wohnhaus erbaut und von dem ſogenannten Herzogin-Garten durch die Oſtra-Allee getrennt, deren im Jahre 1747 durch den beliebten deutſch-franzöſirenden Reimſchmidt Oberpoſtmeiſter Trömer gepflanzte 200 Kaſtanien⸗ bäume gegen Ende des vorigen Jahrhunderts der ganzen dor— tigen Vorſtadt zur Zierde gereichten.
Dieſe Kaſtanien-Allee führte auf das „große Gehäge“ zu, deſſen vier ſtattliche Linden⸗-Doppel⸗Alleen ſich vor dem am anderen Elbufer gelegenen, von Auguſt dem Starken „auf perſianiſche Art“ erbauten Luſtſchloſſe Übigau wie ein laub- und wipfel- reicher Wald ausbreiteten. Im Mai 1728 ging von Übigau jene mit 18 Kanonen und 188 Bootsleuten armierte Flotille aus, welche den König Auguſt und ſeinen älteſten Sohn, ſowie ihr zahlreiches Gefolge, unter „Trompeten-, Pauken⸗, Haut⸗ boiſten⸗ und Waldhorniſten-Klängen“ in drei Tagen elbabwärts nach Wittenberge brachten, von wo aus die Weiterreiſe nach Potsdam nach zwei Ruhetagen zu Lande angetreten wurde.
Fehlte es ſolcher Art der Umgegend der Feſtung nicht an Gärten und freundlichen Ausblicken, ſo würden dafür, wie ſchon erwähnt, die dortigen bürgerlichen Wohnungen, alſo die Vor— ſtädte überhaupt, manches haben vermiſſen laſſen, was nach geſicherter Behäbigkeit ausſah. Dieſe Stadtteile waren zwar mit Palliſaden umgeben und ſeit 1778 auch durch Schanzen einigermaßen verteidigungsfähig gemacht; es konnte aber, wie es der Kommandant der preußiſchen Beſatzung Dresdens im Jahre 1758 gethan hatte, unter ähnlich ungünſtigen Kriegs— läufen wiederum die Drohung ausgeſprochen werden: Beſchieße man die Feſtung, ſo werde ſeitens der Beſatzung darauf mit
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Niederbrennen der Vorſtädte Beſcheid gegeben werden. Und brennen, das konnte man ſich ſagen, würden ſie ſchon, war es doch erſt ſeit 1790 in Sachſen verboten, innerhalb der Städte die Häuſer mit Stroh oder mit Schindeln zu decken und konnte das Verbot doch auf die Vorſtädte noch jo gut wie keine Wirk— ung geäußert haben. Auf den Stadtplänen aus jener Zeit be⸗ gegnet man denn auch außerhalb der Feſtung Straßennamen, die zu keinen großen Erwartungen berechtigen; ſo vor dem Wilsdruffer Thore dem Schinderſteg, dem Rabenſtein, der Hundegaſſe, dem Kuttelhof, der Entenpfütze und dergleichen un- liebſamen Bezeichnungen mehr. Auch der Name Jüdenteich ſollte nach damaligen Begriffen dem Teiche, welcher auf dem ſchönen heutigen Georgplatze unweit der Kreuzſchule den Zufluß aus dem Kaitzbache (damals Kaiditzer Bach) ſammelte und damit die Feſtungsgräben ſpeiſte, ſchwerlich zur Empfehlung dienen; datieren die Bürgerrechte der Israeliten in Dresden und Leipzig, und zwar in ſehr beſchränkter Weiſe, doch erſt vom Jahre 1838 und war ihnen doch bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts nicht einmal erlaubt, ihre Toten im Lande zu beſtatten, weshalb dieſelben nach Teplitz geſchafft wurden.
Was jene Feſtungsgräben betrifft, ſo hat man ſie ſich dort zu denken, wo jetzt die Moritz⸗, die Johannes- und die Friedrichs⸗ Allee allſommerlich im Platanenſchmucke prangen, ebenſo längs der Nordſeite des Zwingers bis zur Elbe hin. Die Weber⸗, Zahns⸗ und Scheffelgaſſe mündeten unmittelbar auf den Wall. Die Wilsdruffer ſchloß mit dem Wilsdruffer Thore ab, auf deſſen Walle die Sängerin Albuzzi in dem ihr von Brühl ver⸗ ehrten Gartenpavillon einſt heitere Stunden verlebt hatte; die Seegaſſe endete mit dem Seethore, die Pirnaiſche (jetzt Land- haus⸗) Gaſſe mit dem Pirnaiſchen Thore, deſſen oberer Teil ſeit 1780 für die Baugefangenen und Eiſenſträflinge aus dem
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Gefängniſſe der Salomonis-Baſtei zu einer Kirche eingerichtet worden war, der ſogenannten Feſtungsbaukirche. Die Feſtungs— mauern, von denen die Brühlſche Terraſſe noch die einzigen belangreichen Überbleibſel aufweiſt, waren von ſieben Baſtionen flankiert. Diejenige der Brühlſchen Terraſſe hatte vordem ſchlichtweg Jungfern-Baſtion geheißen, war dann aber, dem veränderten Zeitgeſchmack entſprechend, in Venus-Baſtion um⸗ getauft worden, und ebenſo ſchmückten ſich die anderen ſechs mit den Namen: Sol, Luna, Mars, Mercurius, Saturnus und Jupiter. Die Terraſſe ſelbſt hieß zu Ende des vorigen Jahr— 4 hunderts noch Brühlſcher Garten, entbehrte der Freitreppe — dieſelbe wurde erſt 1814 angelegt, wo dieſer ſchöne Punkt des Elbufers, ebenſo wie der „große Garten,“ überhaupt erſt allgemein zugänglich wurde — und ſchloß nach Oſten mit dem im Jahre 1751 von Brühl erbauten und acht Jahre ſpäter auf Friedrich des Zweiten Befehl „de fond en comble“ zerſtörten Belvedere ab, in deſſen Stelle 1843 das jetzige Vergnügungslokal gleichen Namens getreten iſt; das jetzt von der Dreißigſchen Sing— Akademie benutzte Lokal im Rücken des Belvedere war einſt das, auch von Auguſt III. und ſeinem Hofe oft beſuchte Privat- theater Brühls. Das kurfürſtliche Schloß hatte zu Ende des vorigen Jahrhunderts ſo ziemlich ſein heutiges Ausſehen; ſeit 1778 war der Turm desſelben, den im 18. Jahrhundert acht— mal der Blitz getroffen hatte, mit einem Blitzableiter verſehen worden, dem erſten, deſſen ſich Dresden rühmen konnte, nach— dem Hamburg neun Jahre früher den erſten Blitzableiter in Deutſchland auf ſeinem Jakobiturm aufgerichtet hatte. Von den Schloßfenſtern oberhalb des Georgenthors ſah man wie heute zur Rechten auf das ehemals Fürſtenbergſche Palais, das heutige Finanzgebäude, welches bis. 1791 die von Kurfürſt Friedrich Chriſtian ins Leben gerufene Kunſtakademie beher—
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bergte, von wo aus ſie in ihr jetziges Lokal, die vormalige Brühlſche Bibliothek auf der Terraſſe, verlegt wurde; zur Linken erblickte man die prächtige katholiſche Kirche Chiaveris mit ihrem reichen Statuenſchmuck, aber ohne Turmglocken — erſt durch den Poſener Frieden vom Jahre 1806 wurde der katholiſchen Gemeinde das Recht des Glockenläutens —; und geradeaus ſchweifte das Auge über die beiden Thore, welche durch den Wall nach der alten Elbbrücke führten. Auf einem der Brückenpfeiler glänzte im Sonnenſcheine das große vergoldete Kruzifix, welches die hohe Flut ſeitdem, und zwar im Jahre 1845, in das Bett des Stromes begraben hat.
Auf der anderen Seite der Kirche ſtand unweit des „italieniſchen Dörfchens“ — des kleinen, aus der Bauzeit der Kirche datierenden Komplexes unſcheinbarer Uferhäuschen — das im Jahre 1783 erweiterte und 1793 mit einer großen Vor⸗ halle verſehene, urſprünglich Morettiſche, als Opern- und Schau⸗ ſpielhaus benutzte Gebäude, welches vom Jahre 1755 an bis zum Jahre 1838, wo es durch das Semperſche Theater erſetzt wurde, diejenige Bühne Dresdens geweſen iſt, an welche ſich die meiſten theatraliſchen Erinnerungen knüpfen.
Als ein Teil des nahen Zwingers, welcher letztere nach den Verwüſtungen des Krieges bis zum Jahre 1794 in Reparatur geweſen war, iſt noch das von Pöpelmann im Jahre 1718 erbaute große Opernhaus zu erwähnen, in welchem einſt die koſtſpieligen Ausſtattungsopern, vor allem Haſſes, ſo viele Bewunderer gefunden hatten, das aber im Jahre 1782 in einen Redoutenſaal umgewandelt worden war.
An ſonſtigen Prachtgebäuden enthielt das innere Dresden im letzten Jahrzehnt, mit Ausnahme des Muſeums und einiger anderer monumentaler Gebäude neuerer Zeit, ſo ziemlich ſchon
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alles, was vielen ſeiner Straßen, trotz ihrer Enge, noch heute ein ſo unverkennbar auf Zeiten des Glanzes und der Uppigkeit zurückdeutendes Anſehen giebt, und manche einſt dem Luxus gewidmet geweſenen herrſchaftlichen Paläſte hatten auch ſchon unter dem Drucke der haushälteriſcher gewordenen Zeit eine andere Beſtimmung erhalten. Das 1760 zerſtörte Flemming⸗ ſche, ſpäter Orſelskaſche Palais, in der jetzigen Landhausſtraße, war durch den Oberlandbaumeiſter Krubſacius 1775 neu er- baut und im ſelben Jahre den Ständen überantwortet worden. Im Erdgeſchoß des Brühlſchen Palais auf der Auguſtusſtraße befand ſich ſeit 1776 die Niederlage des Meißner Porzellans. Das ſogenannte Kurländer Haus am Zeughausplatze, zuerſt dem General Wackerbarth, dann dem Chevalier de Saxe und endlich dem Prinzen Karl von Kurland zu eigen geweſen, hatte die Regierung aus dem Nachlaſſe des letzteren im Jahre 1798 gekauft. Das Zeughaus ſelbſt war erſt im Jahre 1747 in ſeiner heutigen Form als Neubau fertig geworden, nachdem das frühere Zeughaus, während der König Friedrich Wilhelm I. von Preußen daſelbſt beim General Wackerbarth Quartier genommen hatte, in Flammen aufgegangen war. — Die beiden proteſtanti— ſchen Hauptkirchen der inneren Stadt, Kreuz- und Frauen- kirche, hatten ſchon das heutige Ausſehen; die im ſiebenjährigen Kriege zuſammengeſchoſſene Kreuzkirche war ſeit 1792 wieder erſtanden. Die Sophienkirche hatte nur erſt einen Turm. Die Gemäldegalerie befand ſich in dem oberen Teile des ſogenannten Stallgebäudes — des heutigen Johanneums —, deſſen große „engliſche“ Freitreppe von Reiſenden viel bewundert wurde.
Wer das heutige Altſtadt-Dresden kennt, wird hiernach ſich ungefähr in die Zeit verſetzen können, mit welcher das Tage- buch der Prinzeſſin Amalie beginnt.
Auf dem rechten Elbufer, deſſen bebauter Teil, „die Neu—
ſtadt,“ urſprünglich den Namen „Alt-Dresden“ führte, hatte der verheerende Brand vom Jahre 1685 in ſolchem Grade aufgeräumt, daß außer dem Jägerhauſe, dem Rathauſe und etwa zwanzig am Ufer gelegenen Häuſern alles Übrige in Schutt und Aſche verwandelt worden war. Mit dem Wiederaufbau ging es langſam, ſo langſam, daß noch im Jahre 1714 denjenigen, die daſelbſt wüſte Plätze bebauen würden, zehnjähriger Erlaß der Schock- und Quatemberſteuern zugeſichert wurde. Auch dieſe Vergünſtigung ſchlug aber noch nicht an, und ſo erfolgten denn in den Jahren 1724 und 1732 weitere bis zu fünfzehn⸗ jähriger Steuerbefreiung geſteigerte Erlaſſe. Von dem Jahre 1732 datiert denn auch die Verfügung, nach welcher dieſer ſolcher Art im Neubau begriffene Stadtteil „Neuſtadt“ zu be⸗ nennen ſei.
Aus dieſer Periode ſtammen die Verbreiterung der Elb- brücke, das ſchon erwähnte vergoldete Kruzifix auf dem fünften Pfeiler derſelben, das ſogenannte Pyramidengebäude — nämlich die neue Hauptwache neben der Brücke —, die neue Dreikönigs⸗ kirche nach Forträumung der mitten in der Promenade der Hauptſtraße gelegenen alten — der Turm datiert erſt vom Jahre 1853 —, endlich die jetzt nicht mehr vorhandenen tiefen Waſſer⸗ gräben um die Wälle dieſes Stadtteils, das großartige Militär⸗ lazarett und die noch umfangreicheren Kaſernen in der Haupt⸗ ſtraße. Kurz zuvor ſchon war der Prachtbau der Ritter⸗ Akademie in Angriff genommen worden und ebenſo der er- weiternde Umbau des ſogenannten japaniſchen — urſprünglich holländiſchen — Palais, Unternehmungen monumentaler Art, welche der Neuſtadt ein gewiſſes einheitliches Gepräge gaben und mit den Namen der Architekten Pöpelmann, Bähr, Knöfel und Bodt dauernd verknüpft bleiben. Das Reiterbild Auguſt des Starken, des eigentlichen Schöpfers dieſes einſt ſo ärmlich⸗
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unanſehnlich geweſenen Stadtteils, wurde zwei Jahre nach ſeinem Tode, alſo 1735, aufgeſtellt.
Wo hat man ſich nun die Grenze der damaligen Neuſtädter Feſtung zu denken? Zunächſt gleich jenſeits der alten Kaſerne; unmittelbar hinter dieſer, als Abſchluß der Hauptſtraße, erhob ſich der Feſtungswall, ſtand das ſogenannte ſchwarze Thor; ein zweites Thor, jenſeits des japaniſchen Palais gelegen, hieß das weiße Thor und führte gegen Weſten ins Freie. Auf der Elbſeite gab es dann noch das obere und untere Wieſenthor. Das ſchwarze Thor war Anno 1715 das Ziel einer förmlichen Völkerwanderung geweſen: Die Chroniſten berichten von 20,000 Menſchen, die am 8. März zum ſchwarzen Thore gewallfahret ſeien, um draußen auf der Richtſtätte Lips Tullian, einen ge— borenen Dresdner, und vier ſeiner Spießgeſellen aufs Rad flechten zu ſehen. Im Jahre 1732 wurde die Richtſtätte unter großen Feierlichkeiten weiter nach dem Walde hinaus verlegt.
Da draußen alles eitel Sandboden war, ſo hat es lange gedauert, ehe ſich Neigung zum Anſiedeln einſtellte. Die Juden— ſchaft erhielt ihren Begräbnisplatz ſomit „auf dem Sande“ angewieſen. 1734 entſtanden „Kammerdieners,“ 1738 „die grüne Tanne,“ 1748 „der goldne Löwe“. Auch die Anfänge des Linckeſchen Bades fallen in dieſe Zeit und das dortige Komödienhaus wurde 1776 von der Seilerſchen Truppe ein— geweiht. Gegen Ende des Jahrhunderts ſtanden etwa hundert Häuſer auf dem Sande. Weiter elbaufwärts hatte Marcolini durch Anlage einer ausgedehnten Meierei — ſie reichte bis zum jetzigen Waldſchlößchen — die Gegend urbar zu machen be— gonnen.
Übrigens fehlte es zu keiner Zeit in der Umgegend Dresdens an ſchattigen Alleen. So oft die Kriegsverwüſtungen auch unter ihnen aufgeräumt haben, immer wuchs neuer Erſatz
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empor, und zu Ende des Jahrhunderts hatte dieſer grüne Kranz der vielumworbenen Feſtung mehr Fülle, als vielleicht jemals früher, waren doch ſeit dem letzten großen Kriege faſt vier Jahrzehnte ins Land gegangen. Auch die Wälle der Altſtadt waren nicht ohne den Schmuck freundlicher Anlagen, obſchon die meiſten der dort vor Ausbruch des ſiebenjährigen Kriegs aus der Erde gewachſenen Wohnſtätten nicht mehr in ſonderlichem Zuſtande ſein mochten. Des Gartenpavillons der Sängerin Albuzzi geſchah ſchon Erwähnung. Die Brühlſche Periode, wie ſie dem Angenehmen vor dem Nützlichen überhaupt ja den Vorzug gab, hatte ſich's angelegen ſein laſſen, auch das Schwert mit Blumen zu umwinden, und dem ent⸗ ſprechend das allzu martialiſche Anſehen der Stadt durch ge— fällige Anlagen zu mildern. Verſchenkt worden waren zu ſolchem Zwecke durch königliches Reſkript vom Jahre 1749 zu erb⸗ und eigentümlichem Beſitz und Nutzen ſowohl die Plätze auf dem Walle, wie an der Contre-Escarpe rings um die Altſtadt, und zwar erhielt Graf Brühl damals den an den ſogenannten Brühlſchen Garten grenzenden Teil, der bis an die Ober⸗ zeugmeifter- Wohnung reichte; der Chevalier de Saxe erhielt die Strecke von dort bis zum Pirnaiſchen Thore, Graf Brühl wiederum die weitere Strecke von dort bis an die Schreiber⸗ gaſſe, der Oberamtsrat Heinecke den übrigen Wallraum bis zum Seethor, der geheime Legationsrat Saul den Platz vom Seethor bis zur Baſtion Merkur ꝛc. — Seit jenen Tagen war ein halbes Jahrhundert verſtrichen, und jedenfalls hatten die Bäume, ſoweit ſie dem Kriege nicht zum Opfer ge⸗ fallen waren, Zeit gehabt, ſich ehrwürdig zu runden. Die Chroniſten berichten aber auch von Baulichkeiten, die noch bis zum Jahre 1811 — als die Wälle geſchleift wurden — ſich dort erhalten hatten, darunter jener Albuzziſche Pavillon, die
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Brühlſche Rotunde genannt, dann links vom Thore das über der Saturnusbaſtei gelegene Fletcherſche Gartengrundſtück und am Wilsdruffer Thore die Marcoliniſche, ehemals Brühlſche Reitbahn. Ein Militärſchriftſteller jener Tage klagt freilich: Die nahe an den Feſtungsgräben erbauten hohen und maſſiven Häuſer, ſowie auch die auf den Wällen entſtandenen Privat⸗ gärten hätten die Hauptwerke der altſtädter Feſtung allen Ver⸗ teidigungsregeln entzogen. Inſofern ſie der Stadt die martialiſche Außenſeite nahmen, trugen ſie aber jedenfalls das ihrige zu dem verhältnismäßig freundlichen Eindrucke bei, den auch ſchon das damalige Dresden auf die Beſucher desſelben hervorzubringen pflegte. s
Allerdings nicht auf alle und nicht in dem Grade, wie zur Glanzzeit Auguſt des Starken auf Lady Montagu, welche Anno 1716 in Dresden eine Atmoſphäre von Höflichkeit und Bildung wie nirgends ſonſt in Deutſchland gefunden haben wollte. Namentlich in den Briefen über Polen, Oſterreich, Sachſen ꝛc. des Herrn von Uklanzki kommt Dresden nicht zum beſten weg; es ſei öde und langweilig meint er; ſchon um 11 Uhr Vor⸗ mittags ſei in den Straßen alles totſtill; in Friedrichſtadt habe er nur bettelnde Kurrendeſchüler bemerkt; auf Empfehlungs⸗ briefe werde man in Dresden nicht zu Tiſche eingeladen, ſondern mit bloßen Redensarten abgeſpeiſt. Der Touriſt Risbeck lobt dagegen an den Dresdnern ihre zuvorkommende Höflichkeit und ein gewiſſes „geſprächiges, zudringliches und einnehmendes Weſen.“ Noch unbedingter gefällt ſich bald darauf Reichardt bei ſeinem Novemberbeſuche 1808 in Dresden, wobei er freilich die zahlreichen ihm gewordenen Einladungen und die ihm ge⸗ botenen Tafelgenüſſe nicht zu erwähnen vergißt. Seine „Reiſe nach Wien“ quittiert darüber dankend. Nicht minder hat Ernſt von Houwald für Dresden gütige Worte der Anerkennung, und
feine dort aufgeführten Dramen finden denn auch gleichmäßig ſympathiſche Aufnahme, obſchon die Darſteller ihm eigentlich noch nicht ganz genügen wollen. Der Chroniſt Haſche findet Dresdens Klima weder „ausſchweifend heiß,“ noch „außerordentlich kalt,“ tadelt aber an den Bewohnern der Reſidenz übertriebene Galanterie, Spielſucht und Kleiderpracht. „Man wird oft ver⸗ leitet,“ ſagt er, „den geputzten Friſeur für einen Hofrat zu halten. Und in wie vielen Häuſern, ſobald man nur die Tafel abgehoben, präſentiert Madame oder Mademoiſelle vom Hauſe die Karte!“ Auch der vielen Schminke muß er mit Schmerz Erwähnung thun. — Mirabeau urteilt: die Dresdner ſeien ſo erfüllt von dem Geſchmack und den Ideen des Hofs, daß ſie nichts Höheres kennten, als Glanz und Vornehmheit. — Leſſing verſetzt ſeinen Landsleuten im Allgemeinen einen Hieb, indem er von Elias Schlegels „geſchäftigem Müſſiggänger“ ſagt: Es enthalte das „langweiligſte Alltagsgewäſch,“ wie es nur immer im Hauſe „eines meißniſchen Pelzwaarenhändlers“ vorkommen könne. — Verbindlicher hatte um die Mitte des vorigen Jahr⸗ hunderts Freiherr von Pöllnitz ſich über die ſächſiſche Bevölker⸗ ung ausgedrückt, wenigſtens über die weibliche, deren Geſten ihm freilich etwas zu lebhaft ſcheinen; aber in Sonderheit die Dresdner Bürgerinnen nennt er ein gut teil moins farouches als andere Deutſche; auch ihrer Neigung zum Putze hält er die ihnen natürliche Grazie entgegen und gelangt ſo zu dem Aus⸗ ſpruche: une femme Saxonne pour ötre aimable n'a qu’& vouloir l'ètre. Der Vater Theodor Körners gehört wieder zu den Unbefriedigten. Nachdem er mit einem Landsmann Schillers einige angenehme Tage verlebte, ſchreibt er an Schiller: „Dein Vaterland wird mir immer werter, und die Geſchliffenheit, mit der wir Sachſen uns brüſten, immer ekelhafter.“ — „Man ent⸗ behrt“ (in Dresden), klagt er ein anderes Mal, „einen geiſtvollen
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Umgang,“ doch tröſtet ihn der Gedanke, daß man dafür „Ge— nüſſe von Kunſt und Natur“ habe. Am wenigſten findet Schiller ſelbſt an den Dresdnern zu loben, die er freilich, durch die unfreundliche Brille Körners beeinflußt, auffaſſen mochte. So ſchreibt er 1788 an ſeine Schwägerin Karoline von Wol— zogen: „Die Kurſachſen ſind nicht die liebenswürdigſten von unſern deutſchen Landsleuten; aber die Dresdner ſind vollends ein ſeichtes, zuſammengeſchrumpftes, unleidliches Volk, bei dem es einem nie wohl wird ...,“ ein Ausſpruch, der übrigens wohl böſer klingt, als er von dem damals Neunundzwanzig— jährigen gemeint war, da auch andere ſeiner Urteile aus jener Zeit in ihrer Schärfe nicht allzu wörtlich genommen werden wollten, z. B. über Weimar: „Das Dorf,“ und über die Weimaraner: „So viele Familien, ſo viele abgeſonderte Schneckenhäuſer,“ oder über die verwitwete Herzogin Amalie, von der er ſchreibt: „Ihr Geiſt iſt äußerſt borniert; nichts inter- eſſiert ſie, als was mit Sinnlichkeit zuſammenhängt.“ Alles dieſes, unbeſchadet ſeiner ſpäteren Liebe für Weimar und ſeiner Verehrung für die verwitwete Herzogin. — Ein anderer Schwabe — Wieland — hat ſich über das mit öſterreichiſchen Ausdrücken ſtark durchſetzte Deutſch eines Dresdner hohen Herrn weidlich geärgert; er ſagt von dem ſächſiſchen Prinzen Klemens, dem Kurfürſten von Trier, derſelbe ſpreche „das verruchteſte Deutſch,“ halb Dresdner „Beenkleder,“ halb Wiener „holter.“ Auch Jean Paul, welcher im Mai und Juni 1798 Dresden beſuchte, hat ſeinem Freunde Otto zwar ein langes Regiſter vornehmer Perſonen zu ſenden, bei denen er (offenbar beſſer empfohlen, als Herr von Uklanzki) dinierte oder ſoupierte; aber der „platt- gedrückte Hoftroß“ und am meiſten „das gekrümmte Schranzen- volk, das nicht ſchön, nicht edel, nicht lesbegierig, nicht kunſt⸗ begierig iſt, ſondern nur höflich,“ bringt ſeine „demokratiſchen 2
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Zähne“ zum „Knirſchen.“ Bei alledem verlebt er „ſchöne Tage“ bei der Gräfin Münſter auf Königsbrück, ebenſo bei Frau von Ledebur, in die er ſich „in drei lieblichen Tagen als der einzig daſeiende Mann gehörig verſchoß,“ und ſchließlich ſtürzt er ſich auch noch unter der Agide beider Gönnerinnen, denen ſich Frau von Berlepſch und natürlich vor Allem die ſchöngeiſtige Gräfin Brühl ſelbſt geſellte, in die Romantik „des himmliſchen Seifers⸗ dorfer Thales.“ Daſſelbe genoß damals eines faſt eben ſo großen Ruhmes, wie einige Jahrzehnte früher das unweit Pirna ge⸗ legene Bad Berggießhübel, aus welchem eine der ſchwärmeriſchen Freundinnen Gellerts ihm im Sommer 1768 ſchrieb: „Noch nirgends habe ich ein ſo ähnliches Urbild zu der Idee ge⸗ funden, die ich von Arkadien habe, als hier.“ — Auch Goethe, welcher ſehr oft in Dresden weilte (zuerſt als Leipziger Student im Jahre 1767), hat Ausſprüche über die Naturreize und Kunſt⸗ ſchätze Dresdens gethan, ohne ſich im Übrigen auf eine Abſchätzung der dortigen Zuſtände einzulaſſen. So ſchreibt er am 1. Januar 1791 an Knebel: „Es iſt ein unglaublicher Schatz aller Art an dieſem Ort!“ Und an Körner 1797: „. .. Denken fie in ihrem herrlichen Elbthale, umgeben von ſo vielen Schätzen der Kunſt und Natur, recht oft an ihre Freunde, die an der Saale und Ilm durch zauberiſche Künſte ſich nur einen Teil jenes Genuſſes verſchaffen können, den ihnen die Wirklichkeit ſo reichlich dar⸗ reicht.“ Achtzehn Jahre früher, im Alter von 29 Jahren, war er über Berlin, wie Schiller über Dresden, rückhaltloſer aus ſich herausgegangen, unbeſchadet ſeiner nie verleugneten Kindheits⸗ ſchwärmerei für den Sieger von Mollwitz. Berlin hatte auf ihn den Eindruck einer großen Maſchine gemacht, in welcher jeder Einzelne nur ein willenloſes Rad ſei, das von „der alten Walze Friedrich“ in Bewegung geſetzt werde.
Sachſens Friedrich Auguſt war beim Schluſſe des vorigen
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Jahrhunderts erſt fünfzig Jahre alt, und wenn dennoch manches in Dresden, wie damals in Berlin, als hinter der Zeit zurüd- geblieben anmutete, ſo lag der Grund dafür nicht in dem Alter des Landesherrn, auch nicht in der allerdings ſchon beträcht- lichen Dauer ſeiner Regierung — ſie datierte vom Jahre 1768, einſchließlich der Vormundſchaftsperiode ſogar vom Jahre 1763 — ſondern in Friedrich Auguſts ganzer Art und Weiſe. Völlig im Gegenſatze zu ſeiner lebhaften Mutter hatte Friedrich Auguſt die Fähigkeit, ſich fortwährend in gleichmäßiger Gemütsver⸗ faſſung zu erhalten, und was ihm anfangs möglicherweiſe Überwindung gekoſtet hatte, das Feſthalten an einer ſtreng geregelten und unabänderlich abgemeſſenen Lebensart, das war ihm je länger je mehr zur zweiten Natur geworden. Marie Antonie, ſeine Mutter, hatte ihrem Bräutigam, dem Kurprinzen Friedrich Chriſtian, während ihres keineswegs langen Braut⸗ ſtandes zweihundert Briefe geſchrieben — oft zwei bis drei den Tag —, hatte am Dresdner Hofe das Komödienſpiel aufgebracht, hatte früher in München ſich an einem dortigen Damenwettreiten. beteiligt, konnte auch als Frau noch ſechs Stunden zu Pferde ſitzen, ſchoß mit Büchſe, Piſtole und Armbruſt — ſelbſt zu Zeiten, wo es ihr ſchlecht bekommen mußte —, hatte tauſend muntere Einfälle, tanzte bis morgens 4 Uhr, während ihr zu Liebe, wie ſie ihrer Mutter gerührt nach München ſchrieb, der Gemahl geduldig „Staub ſchluckte;“ dichtete, komponierte, ſang, malte — z. B. ihr in Weſenſtein hängendes eigenes Porträt — intereſſierte ſich ernſthaft für Kunſt und Kunſtgeſchichte und ebenſo ernſthaft und eifrig während der kriegeriſchen Wirren und der dadurch veranlaßten Abweſenheit des Königs, ihres Schwiegervaters, für die Rentkammer⸗Angelegenheiten, bei deren Erledigung ſie ihrem Gemahl mehr als die halbe Arbeit abnahm, und war nebenbei in Geldſachen liberal bis zum Verwirren 25
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ihrer Privatſchatulle. Das Widerſpiel dieſes beweglichen Natu⸗ rells war Friedrich Auguſt. Seine eigentliche Biographie iſt noch nicht geſchrieben. Man hat Mühe, ſich ein deutliches Bild von ihm zu machen, denn wirklich mit ihm berührt haben ſich nur Wenige, und die günſtige Anſicht, die man von ſeiner Recht⸗ ſchaffenheit durch viele Maßnahmen gewinnt, entbehrt der nötigen Vervollſtändigung durch kleine Züge, wie ſie ein Bild braucht, um wirklich individuellen Reizes teilhaftig zu werden. Zu erſteren zählen die Abtragung von Schulden, welche aus der Brühlſchen Periode herſtammten und vieles ähnliche, in Sonder⸗ heit auch die Verfügung an die Gerichte, wonach die Bevor⸗ zugung der Intereſſen des Fiskus im Streite mit denen von Privaten aufhörte; oder, um an ſcheinbar Geringfügiges zu er⸗ innern, der Fall, wo zwei gleichnamige Diener bei einer Be⸗ ſoldungszulage verwechſelt wurden, ſo daß eine dem Unrechten zugefertigte Bewilligung hätte rückgängig gemacht werden müſſen, aber nicht rückgängig gemacht werden durfte, da der Kurfürſt verfügte: „Eine einmal aus dem Kabinett erteilte Bewilligung könne ſo wenig als ein gegebenes Wort zurückgenommen werden.“ Friedrich II. hat geſagt, von Jugend auf ſei es Friedrich Auguſt unmöglich geweſen, ſein Wort zu brechen. Mirabeau berichtet im Jahre 1786, als Friedrich Auguſt bereits 18 Jahre regierte: „Der Kurfürſt verfolgt ſeinen Plan mit einer unbeugſamen Feſtigkeit; er iſt langſam, aber keineswegs unentſchieden; die Arbeit wird ihm nicht leicht, aber er iſt einſichtsvoll; die guten Gedanken ſtehen ihm nicht auf den erſten Augenblick zu Gebot, aber er hat ſich zum Nachdenken gewöhnt.“ Und er hält Sachſen für „das glücklichſte Land“ in ganz Deutſchland. Ohne Friedrich Auguſt, meint er, wäre es nach den ſiebenjährigen Kriegsgreueln geradezu „verloren geweſen.“ Bei Gelegenheit einer dem Kurfürſten in ſpäteren Jahren zu Ohren gekommenen Außerung über ſeine zähe
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Anhänglichkeit an Marcolini, deſſen Prachtliebe einigermaßen mit der haushälteriſchen Einfachheit Friedrich Auguſts kontraſtierte, ſoll er geäußert haben, Marcolini ſei aber doch nun einmal ſein früheſter Vertrauter geweſen, habe ihm gewiſſermaßen erſt den Gebrauch ſeiner Kräfte gelehrt, habe ihm das Gehen beigebracht. Das iſt nahezu wörtlich zu nehmen, da wenigſtens in der Re— ſidenz ſelbſt die Hochgeſtellten ſich nach altem Herkommen lange Zeit nicht anders als zu Wagen oder in der Sänfte zeigten. Marcolini ſorgte dagegen, was das Gehen betrifft, für eine veränderte Lebensweiſe ſeines fürſtlichen Freundes, wenn auch nur während des Sommeraufenthalts in Pillnitz, und letzterer Ort wurde wegen der regelmäßigen Morgenſpaziergänge, deren Ziel der Porsberg war und zu denen Marcolini den Anſtoß gab, für die Kräftigung Friedrich Auguſts von nachhaltigem Werte. Auch Friedrich Auguſts Neigung zur Jagd wurde durch Marco- lini geweckt, ohne daß daneben die Staatsgeſchäfte und in den Mußeſtunden das Drechſeln, die Botanik, die Inſektenkunde und namentlich die Muſik vernachläſſigt wurden. Aus jener Zeit hat das dortige Elbufer noch eine beträchtliche Anzahl von Maulbeer- bäumen aufzuweiſen, ein ſüdlicher Kulturzweig, aus deſſen Erträgen ſchon Leibnitz einſt die Mittel zu einer deutſchen Gelehrten-Akademie hervorgehen zu ſehen hoffte, Erträge, die den Marcoliniſchen Pflanzungen — oder ſtammen ſie aus der entlegeneren Zeit des ſogenannten Manufaktur-Hauſes? — jedenfalls nicht zu teil geworden ſind; ebenſo wenig hat der unter ſeiner Direktion der Künſte und Kunſtakademien an Leſſing gelangte Antrag, mit 1800 Thaler Gehalt, ſeiner Zeit in die Stelle Hagedorns einzurücken, zu der Überſiedelung Leſſings nach Dresden geführt, da Hage— dorns Tod faſt mit demjenigen Leſſings zuſammenfiel. Daß die Abſicht, Leſſing nach Dresden zu ziehen, vorwaltete, iſt
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demungeachtet bemerkenswert. Charakteriſtiſch für Friedrich Auguſt iſt unter anderem nach der Seite des Wohlanſtändigen und Sittlichen jene Affaire des Geheim⸗Sekretärs Piani, der im Schloſſe eben einer Kammerdienerin einen Kuß raubt, als der junge Kurfürſt darüber zukommt. „Seid ihr verlobt?“ fragt der Kurfürſt, und da das Mädchen raſch mit dem „Ja“ bei der Hand iſt, ſtimmt auch Piani, ſich entſchuldigend, bei, worauf der Kurfürſt ihn bei Worte hält und Sorge trägt, daß der galante Geheim⸗Sekretär ſich mit ſeiner quasi Erwählten in die Ehe begiebt. Wenige Jahrzehnte früher hatte aus Dresden ein Vater ſeiner nach Italien reiſenden Tochter den Rat gegeben, ſich drüben, wie die Sitte es erfordere, einen Begleiter zuzulegen. Unterm 6. Juni 1759 ſchrieb der Miniſter Brühl in einem ſeiner noch ungedruckten Briefe an ſeine Tochter Amalie in Wien: Der König (Auguſt III.) ſage ihm in ihrem betreff „qu'il faut absolument en Italie un officier qui donne le bras, un bracciere ..“
Die Nähe dieſer Periode entſetzlicher Sittenloſigkeit will eben, wenn man für das Verſtändnis der ſpröden, unzugäng⸗ lichen, ſcheu ſich abſperrenden Haltung Friedrich Auguſts den richtigen Standpunkt gewinnen will, im Auge behalten ſein. Was hatte die kurze, zehnwöchentliche Regierung ſeines Vaters an der furchtbaren Zerrüttung Sachſens zu ändern vermocht? Und auch die darauf gefolgten fünf Jahre — 1763 bis 1768 — während welcher der Vormund Friedrich Auguſts, der mili- täriſch ſtraffe Adminiſtrator Prinz Xaver dem verarmten Lande und vor allem auch der dezimierten Armee desſelben aufzuhelfen ſuchte, wie wenig hatten ſie dem allgemeinen Notſtande abge⸗ holfen! Was zehn Jahre früher — 1758 — auf Prinz Zavers, des damals franzöſiſchen General⸗Leutnants, Aufforderung zur Befürwortung der Übergabe Göttingens der Rektor Käſtner da⸗
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ſelbſt geantwortet hatte: Er habe fünf Jahre lang in Leipzig als Extraordinarius ſo gründliche Hungerſtudien gemacht, daß er hoffen dürfe, bei der vom Prinzen Xaver angedrohten Aus⸗ hungerung der Stadt jetzt als Beiſpiel voranzuleuchten — das war damals eine Antwort, die auch von unzähligen anderen, welche nicht Extraordinarius geweſen waren, hätte gegeben werden können. Zwei Jahre erſt hatte Friedrich Auguſt — damals 20 Jahre alt — ſelbſtändig regiert, als Sachſen durch zwei nach einander folgende Mißernten ſo ſchwer heimgeſucht wurde, daß die Hungersnot 150,000 Menſchen wegraffte; ſelbſt die arge Hungersnot von 1617 war nicht jo verheerend auf- getreten. Kein Wunder, wenn dem jungen Fürſten die aus einer freudloſen Jugend in die reiferen Jahre mit herüber⸗ genommene Gewöhnung blieb, vor allem nur ſeiner Obliegen⸗ heiten ſich bewußt zu fein und dabei durch Fleiß und Gewiſſen⸗ haftigkeit zu erreichen, was genialer beanlagten Naturen oft durch ein glückliches Wagnis gelingt. Dieſe Pflichttreue, Arbeit⸗ ſamkeit und Sittenſtrenge hat nicht verhindern können, daß nach Friedrich Auguſts faſt vierzigjährigen aufopfernden und ſegensreichen Regierungsmühen über Sachſen eine Periode herein gebrochen iſt, in welcher mit Sicherheit den richtigen Weg zu finden auch ſelbſt dem umſichtigſten Politiker unmöglich geweſen wäre. Auf dem ihm aufgezwungenen, nicht von ihm geſuchten und gefundenen Wege zu verharren und deutſche Treue ſelbſt an— geſichts des mit ihr getriebenen ſchnöden Mißbrauchs nicht zu verleugnen, dies Verhalten entſprach dann wieder jener ihm ſchon von dem greiſen Preußenkönig nachgerühmten Unfähigkeit, ein gegebenes Wort zu brechen — vom politiſchen Standpunkte aus unter Umſtänden gewiß ein Mangel, wie die Weltgeſchichte auf unzähligen ihrer Blätter von jeher gelehrt hat.
Aber zu der Zeit, deren ungefähre Phyſiognomie, mit bezug
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auf die Geburtsſtätte der Prinzeſſin Amalie, hier zu ſkizzieren iſt, ahnte man noch wenig, welche Stürme das künftige Jahr⸗ hundert in ſeinem Schoße barg. Jenſeits des Rheins zitterte der Boden von vulkaniſchen Erſchütterungen unheilverkündender Art, und in Pillnitz mußte Friedrich Auguſt die zu Beratungen über die Notlage der franzöſiſchen Königsfamilie zuſammen ge⸗ kommenen Fürſten und Fürſtenvertreter willkommen heißen; was jedoch dem Ergebnis dieſer Beratungen, der kläglichen Kampagne von 1792, folgen würde, das lag noch hinter dichten Wolken. .
Nach heutigem Maßſtabe gemeſſen, erſcheint, was damals beſchloſſen und bald darauf ins Werk geſetzt wurde, außer allem Verhältnis zu dem Brande, den man pflichtſchuldigſt ausblaſen zu müſſen glaubte. Aber ſchon die Entfernungen zwiſchen den heute einander durch Telegraphen und Eiſenbahnen faſt bis zum Handgreifen nahe gerückten Ländern waren im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts noch ſo unglaublich große, daß zum richtigen Verſtändnis mancher Maßnahmen jener Zeit und vor allem ihrer nebenſächlichen Zuſtände, ein Hinweis auch hierauf nicht überflüſſig ſein dürfte. Es war keineswegs einzig der Kurfürſt von Sachſen, der, nach dem Ausdrucke Berenhorſts, „gleichſam auf einem Felſenſchloſſe, vom Meer umfloſſen,“ ſaß. Der Mangel an Verkehrswegen, die Unſicherheit der Straßen und die Plackereien, welche aus buntſcheckigen Münz⸗, Zoll⸗ und Kontroll-Syſtemen aller Orten erwuchſen, ſorgten dafür, daß faſt jedes Land den Charakter ſolches vom Meere umfloſſenen Felſens hatte.
Ergötzlich wirkt die Schilderung einer Marterfahrt, über welche aus ſicherer Ferne — aus Hamburg — ein ſchwediſcher Kammerrat unterm 2. November 1805 — ſelbſt damals hatte ſichs alſo noch nicht gebeſſert — gegen den Kurfürſten Beſchwerde
führt. Von Jena bis Naumburg — jetzt etwa 1 Stunde Wegs — war er mit der Poſt von 12 Uhr mittags bis 8 Uhr abends unterwegs geweſen. Dann hatte der Unglückliche noch die ganze Nacht durch fahren müſſen und war doch erſt um 11 Uhr vormittags nach Halle gelangt — jetzt wieder etwa 1 Stunde Eiſenbahnfahrt. Der kurfürſtliche Poſtwagen, klagt er, ſei ohne alle Bequemlichkeit geweſen: „kein Stuhl, kein Sitz, keine Be- deckung;“ um ſich einigermaßen gegen das Herabſtürzen zu ſichern, habe man abwechſelnd gewacht, was aber nicht durchzu— führen geweſen ſei. — Und doch blickte man damals gewiß mit⸗ leidig auf die Zeit zurück, wo Kardinal Cuspiniani, um ſich von Rom zum Konzil in Konſtanz zu begeben, ſieben Wochen gebrauchte; wo die Geſandtſchaft des Grafen Kufſtein auf die Reiſe von Wien nach Konſtantinopel 15 Monate verwendete; und wo der Herzog Julius von Braunſchweig den Gebrauch der Kutſchen als unwürdig deutſcher Nation und als unmännlich geradezu verbot. Ja, wie war es dem Kurfürſten Auguſt I. ergangen, als ihm im Lenz Anno 1583 der Gebrauch des Schwalbacher Waſſers verordnet worden war? Sein auf Suche nach dem unbekannten Orte im Frühjahr zu Roß nach dem Rheingau ausgerittener Kurier braucht den ganzen Sommer, um die nötigen Erkundigungen einzuziehen, und kommt erſt im Herbſt wieder heim. Erſt im nächſten Mai kann der Kurfürſt ſolcherart der Weiſung ſeines Medikus folge geben, worauf er dann aber mit einem Troß von 209 Berittenen und 16 Leib- pferden gen Schwalbach aufbricht und dasſelbe in 18 Tagen erreicht.
Reichhardt in ſeiner ſchon erwähnten Reiſe nach Wien hebt denn auch als beſonders löblich hervor, daß man von Leipzig bis Dresden — jetzt 2 Stunden 20 Minuten — nur 1½ Tag gebrauche: „in 1½ Tag bin ich ſehr bequem hergefahren;“ in
langen Sommertagen, meint er, genüge wohl gar ein einziger Tag.
Nicht viel raſcher kam man zu Waſſer aus der Stelle. Am 7. September abends Anno 1799 verſchwand unter geheimnis⸗ vollen Umſtänden eine Fürſtin von Hohenlohe, geb. Hoym, aus dem Hotel de Pologne in Dresden. Man hatte auf einen Mord ſchließen ſollen; aber da ihre Leiche nirgend zu finden war, kam man auf die Idee einer freiwilligen Entführung und erwiſchte ſie und ihren Entführer wirklich am 9. September morgens in Torgau, woſelbſt ihr am 7. von Dresden abge⸗ gangenes Schiff ſoeben erſt eintraf.
Daß zwiſchen Dresden und Tharand, wo Schiller 1787 weilte, alles per Botenfrau gehen mußte, iſt ſelbſtverſtändlich; dieſe Art Poſt, die auch Weimar und Jena verknüpfte, hat ſich noch ſehr lange erhalten und iſt, auch nach Einführung der ſtaatlichen Poſt, noch geraume Zeit neben der letzteren hermar⸗ ſchiert. Wie aus einem entlegneren Jahrhundert dagegen mutet es uns an, wenn Schiller aus Tharand an ſeinen Freund Körner ſchreibt, man habe ihm geſagt, daß ſich Reitpferde in Dresden zu 6 Groſchen per Tag, außer Futter und Stallung, miethen ließen, weshalb er dem Freunde vorſchlage, auf den Sommer mit ihm Moitié zu machen, „in den Tagen, wo du nicht reiteſt, brauche ichs.“
Über Deutſchlands litterariſche Zuſtände an der Grenze des 18. und 19. Jahrhunderts würde ein Gang durch das ſchon erwähnte Seifersdorfer Thal, wenn ſelbſt nur an der Hand des Körnerſchen Briefs vom Oktober 1787, zu orientieren im ſtande ſein, wenigſtens ſoweit berühmte Namen einem ganzen Zeit⸗ abſchnitt eine beſtimmte Beleuchtung geben. Außer alten Por⸗ zellanvaſen und Marmorkaminen, Sarkophagen und Hütten, deren eine dem Andenken des Pythagoras geweiht war, und
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außer Inſchriften und Altären gab es dort die Büſten namhafter litterariſcher Zeitgenoſſen, an ihrer Spitze das ungleiche Drei- Geſtirn Goethe, Herder, Wieland. Goethes öfterer Beſuche in Dresden geſchah ſchon Erwähnung; Schillers Don Carlos hängt mit des Dichters längeren Aufenthalten in Tharand, Dresden und Loſchwitz zuſammen, leider nicht zu jo hoher Be⸗ friedigung des Dichters, wie wir Nachlebenden es uns wohl vorſtellen; drei Jahre habe er daran gearbeitet, ſchrieb er im Rückblick auf dieſe doch ſo reiche Periode ſeines Schaffens an Körner, und wie habe das Publikum ihm ſeine Arbeit gelohnt? Mit Unluſt. Fünf bis ſechs Monate denke er jetzt an ſeine niederländiſche Geſchichte zu ſetzen, und dieſe fünf bis ſechs Monate würden ihn vielleicht „zum angeſehenen Manne machen,“ ſei man doch demjenigen am dankbarſten, der einem das, was man lernen müſſe, durch Schönheit und Gefälligkeit reizend mache — eine bittere Beobachtung, die freilich ſeitdem nichts an ihrer thatſächlichen Richtigkeit verloren hat. — Neben den ſo⸗ genannten Klaſſikern, und vor ihnen wohl eigentlich bevorzugt, fanden denn auch minder hervorragende Autoren in Dresden wie anderwärts ihr dankbares Publikum. Weißes Kinderfreund war die Lieblingslektüre der Jugend und erlebte in ſechs Jahren fünf Auflagen. Die Romane von Spieß, Schilling, Meißner und Schlenkert zirkulierten in Stadt und Vorſtadt, und vor allem Schlenkert, deſſen „Friedrich mit der gebiſſenen Wange“ und deſſen „Kaiſer Heinrich IV.“ in gefälliger Form über Dinge orientierte, die man doch einmal „lernen mußte,“ genoß großen Anſehens. Anſpruchsvollere Leſer und Leſerinnen ſuchten ſich darüber klar zu werden, ob die Gellertſche Periode, welche wenig oder gar nicht von Vaterlandsliebe und von Staats⸗ pflichten, aber deſto wärmer von Tugend und Freundſchaft und von Herzensgüte und Empfindſamkeit erfüllt geweſen war, als
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abgeſchloſſen und überwunden betrachtet werden dürfe; ob man mit Friedrich II. die Klopſtockſche Meſſiade als eine „ſehr über⸗ flüſſige“ Nachahmung Miltons beiſeite ſchieben und ſich auch von Klopſtocks unaufhörlichem Verherrlichen einer Zeit ab⸗ wenden ſollte, die jenſeits aller kontrollierbaren Überlieferung lag; ob man ſich endlich nicht minder dem bisherigen Suchen nach dem kürzeſten Wege zur „Glückſeligkeit“ entſchlagen und auf Kants Lehre von den „Pflichten“ ſchwören müſſe, um mit dem ſächſiſchen Landsmann Johann Gottlieb Fichte dann etwa zu dem Ausſpruche zu gelangen: „ich bin überzeugt, daß hie- nieden nicht das Land des Genuſſes, ſondern das Land der Arbeit und Mühen iſt und daß jede Freude weiter nichts, als Stärkung zu weiterer Mühe ſein ſoll,“ eine Weltanſchauung, welche glücklicherweiſe nach und nach immer allgemeiner als die richtige erkannt wurde.
Übrigens iſt das Geburtsjahr der Prinzeſſin Amalie auch dasjenige der „Horen“ und der Freundſchaft Goethe und Schillers, und um mit wenigen allbekannten Namen jene litte⸗ rariſche Periode zu kennzeichnen, wird es genügen, einige der⸗ jenigen Schriftſteller zu erwähnen, um deren Mitarbeiterſchaft an den „Horen“ Schiller ſich im Jahre 1794 bewarb; es ſind, außer den Weimaranern, Kant, Fichte, Garve, Engel, Jacobi, Klopſtock, Voß, Baggeſen, Lichtenberg, Thümmel, Wilh. von Humboldt, Heinſe, Schloſſer, Matthiſon, Salis und Reinhold. Im ſelben Jahre drang Schiller in Goethe, er möge ſein Fauſt⸗ Fragment — mehr war davon noch nicht bekannt — vervoll⸗ ſtändigen, und Goethe konnte auch jetzt noch nicht zu dem Ent⸗ ſchluſſe kommen, das weiter von dem erſten Fauſtteil vorhandene Manuſkript nur ſelbſt wieder durchzuſehen; „ich wage nicht, das Paket aufzuſchnüren,“ lautet ſeine Antwort.
Es bleibt noch etwas über die damaligen Theaterzuſtände
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Dresdens zu ſagen. Friedrich Auguſt, ein abgeſagter Feind aller Willkür und aus dieſer ſeiner Abneigung heraus ſelbſt Abweichungen in dem geregelten Gange des Tagesherkommens nicht mögend, beſuchte das Theater, ſo oft keine zwingenden Verhinderungen ihn davon abhielten. Gleich ſeinem Zeitgenoſſen König Friedrich Wilhelm III. zog er heitere Theaterſtücke den Tragödien vor, doch verſchloß er ſich unter Umſtänden auch nicht den Kunſtwirkungen der Tragik; unter anderem hat ihn Schillers Jungfrau von Orleans mächtig ergriffen; gegen die Herzogin⸗Mutter von Weimar äußerte der Kurfürſt im Jahre 1802 ſogar, es ſei „ſein allerliebſtes Stück.“ Ob Körner nicht zu ſchwarz ſah, als er 1802 an Schiller über die „ſeltſamen Rückſichten“ ſchrieb, die Baron von Racknitz, der damalige directeur des plaisirs, bei verfänglichen Stellen in neuen Stücken nehme, wird ſchwer feſtzuſtellen ſein. In bezug auf Gozzi⸗Schillers damals neue Turandot ſchrieb Körner: „ein unglücklicher vertriebener König, fürchte ich, wird ſchon Kontre— bande ſein. Es erinnert an Frankreich. Ein Kanzler Pantalon iſt nun gar ein Gräuel, um ſo mehr, als gerade der jetzige Kanzler manches Lächerliche hat. Er und Tartaglia werden wohl zu erſten Mandarinen werden. So ſteh ich auch nicht für die Köpfe auf dem Thor. Habe Geduld mit der Dresdner Schwachheit.“ — Sehr wahrſcheinlich wußte wenigſtens der Kurfürſt nichts davon, und der um ſeine Stelle beſorgte Herr von Racknitz wollte ſich nur nicht der Gefahr ausſetzen, von irgend einem ihm feindlichen Hofkavalier in Verlegenheiten ge— bracht zu werden. Aus ähnlicher Vorſicht hatte fünfzig Jahre früher Rabener nach ſeiner Niederlaſſung in Dresden an einen Freund geſchrieben: „In Dresden habe ich noch keine Feder angeſetzt .... Gemeiniglich ſuchen die Leſer die Originale da, wo der Verfaſſer ſchreibt ... Das Thema, zu welchem ich jo
viel Luft hatte, ‚der allezeit fertige Bankeruttierer, muß ich weglaſſen; es möchten es Excellenzen ungnädig vermerken.“ Auch die von Körner erwähnten und nach ihm oft zitierten Dresdner Textverbeſſerungen: Genius ſtatt Gott, in der Jung⸗ frau von Orleans; ich will das meinige thun, ſtatt: Ich will beten gehen, in Hamlet; und: Da iſt kein — Strich (ſtatt Himmelſtrich) für ſolche Blumen, im Don Carlos, find, wenn ſie nicht auf Ironie beruhen, wohl lediglich ein Beweis von dem ungeſchickten Übereifer ängſtlicher Hofchargen oder der dieſe wieder bedienenden Untergebenen, zugleich freilich auch von der Unzweckmäßigkeit ſolcher Eingriffe, denn ſie hängen ſich kletten⸗ artig an ganze Zeitabſchnitte und laſſen ſich nicht wieder ab⸗ ſchütteln; geradeſo wie es wenig verſchlägt, daß der vielver⸗ ſpottete, dem geheimen ſächſiſchen Konſilium Anno 1793 vor⸗ gelegte Entwurf einer Rangordnung bis 1808 liegen geblieben und dann zur Umarbeitung zurückgegeben worden iſt, ohne daß er je Geſetz wurde — man gaudiert ſich demungeachtet noch heute an ſeinen 126 Klaſſen und an der Rangierung der Sprach- und Tanzmeiſter bei den Stadtſchulen in die 89. Klaſſe, der Schreib- und Rechenmeiſter in die 111., der Kaufmanns⸗ diener in die 112., der Stadtpfeifer in die 117. u. ſ. f.
Die franzöſiſchen Theatervorſtellungen hatten bereits 1770 aufgehört, zugleich das in den Nebenzimmern des Theaters während der Vorſtellungen der Franzoſen für die Beſucher des erſten Ranges herkömmlich geweſene Pharaoſpiel. Auf Aus⸗ ſtattungs⸗Opern wurde ſeit der noch ſehr koſtſpielig geweſenen Feſtoper bei Gelegenheit der Vermählung Friedrich Auguſts — 1769 — nichts mehr verwendet; der Kurfürſt konnte bei der unerläßlichen Notwendigkeit eines aufrichtig durchgeführten Sparſyſtems weder an ſolche Aufwendungen denken, noch hätten ſie ſeinem Geſchmack entſprochen; er hatte mehr Freude an der
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Opera buffa der italieniſchen Truppe ſeines jeweiligen, durch beſtimmte Zuſchüſſe ſubventionierten Entrepreneurs. Daneben wurde das deutſche Singſpiel gepflegt, vor allem in dem kleinen Theater auf dem Linckeſchen Bade, das ſeit 1775 in regelmäßigen Gebrauch gekommen war und in welchem — aber beträchtlich ſpäter — auch die italieniſche Truppe ſich zu Vorſtellungen ver- ſtand. Man rühmt dem Kurfürſten ein ſehr feines muſikaliſches Gehör nach, und wenn auf der Bühne oder im Orcheſter ein falſcher Ton erklang, pflegte ſich in der königlichen Loge ein mißbilligendes Räuſpern vernehmen zu laſſen. Zu den Chören wurden die Altiſten und Sopraniſten des Gymnasiums zum heiligen Kreuz herangezogen und zwar bis zu Karl Maria von Webers Anſtellung im Jahre 1816. An Freitagen und Sonn⸗ tagen war das Theater geſchloſſen.
Als Kapellmeiſter, denen in ſonderheit der kirchliche Dienſt oblag, fungierten nach einander, beziehungsweiſe miteinander, Schürer, Naumann, Schuſter und bis kurz vor Friedrich Auguſts Heimgang K. M. v. Weber.
Es wird ſchließlich über das Koſtüm der hier in Rede ſtehenden Zeit noch einiges zu ſagen ſein. Da der Kurfürſt, ſeiner ganzen Natur nach, die Verbeſſerung der Zuſtände ſeines Landes und Volkes auf dem Wege ſchrittweiſer, nicht ſprung⸗ artiger Reformen zu erreichen, ſich am beſten befähigt fühlte, ſo war ihm auch nicht ſympathiſch, was ſchon durch auffallende äußerliche Veränderungen ſich, als zu den gewaltſamen Neuerern zählend, kennzeichnete. Der neapolitaniſche Geſchichtſchreiber Coletta verſichert, im Jahre 1799 habe in Neapel als Jakobiner gegolten, wer nicht mit einem Zopfe verſehen geweſen ſei. In Deutſchland hatten die ſogenannten Philantropins dem Zopf und Puder ſchon lange vor dem Ausbruch der franzöſiſchen Revolution den Krieg erklärt. Der Naturzuſtand, in welchem
aller Orten das Geſchlecht der Bauern ſich ſchlecht und recht in einer gewiſſen Kernhaftigkeit erhielt, war zwar von den Idyllen⸗ dichtern nicht nach dem Leben geſchildert worden, und Garves hartes Urteil in ſeiner Schrift „über den Charakter der Bauern“ (1796) konnte auch nicht darüber in Zweifel laſſen, daß in jenen untern und zum Teil noch von der Leibeigenſchaft übel beein⸗ trächtigten Schicht en nicht alles nachahmungswert ſei. Dennoch waren die Schriften Lockes, Sulzers, Rouſſeaus nicht ohne ſtarke Wirkung geblieben. Baſedow, Salzmann, Iſelin, Campe und andere fanden mit ihrer Abſage von den bisherigen verkünſtelten Erziehungsmethoden zahlreiche Anhängerſchaft, die beiden Grafen Stolberg badeten am lichten Tage im Züricher See — ſehr zum Verdruß der dortigen Landleute, die dergleichen bäuriſche Freiheiten nur für ihresgleichen als ſchicklich betrachten mochten — und Jean Paul verſchwor bei der Kunde von der Einnahme der Baſtille ſo Zopf wie Halsbinde. Wenn man bedenkt, daß z. B. auf der Donau zwiſchen Regensburg und Wien die „Leute mit Puder“ einen Dukaten zahlten, die ſogenannten „gemeinen Leute“ nur zwei Gulden, die Handwerksburſchen, ſofern ſie ruderten, nichts, ſo kann man nicht in Abrede ſtellen, daß mit dem Aufgeben jener lange herrſchend geweſenen Mode mehr ge— ſagt war, als daß man ſich von einer Unbequemlichkeit frei machen wolle. 0 5 Es wird in dem Tagebuche der Prinzeſſin von dem ſpäteren großen Ereigniſſe die Rede ſein, daß ihre Brüder, die Prinzen Friedrich und Johann, zum erſtenmale ohne Zöpfe erſcheinen. Den Kurfürſten und die beiden Prinzen Anton und Max und ebenſo den ganzen Hofſtaat hat man ſich gepudert vorzuſtellen. Prinz Anton war daneben der Tabakspfeife ſehr zugethan, pflegte jedoch die Geſellſchaft nicht damit zu beläſtigen, ſondern rauchte abſeits in einem der Pavillons des Gartenpalais auf
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der Langengaſſe; natürlich rauchte er Pfeifen, die Zigarren kamen erſt in Deutſchland in Aufnahme, als man von den ſpaniſchen Soldaten Napoleons gelernt hatte, daß man den Tabak ſelbſt zu einer Pfeife machen könne. „Wie die lebendigen Teufel ſehen die Kerle aus,“ ſagte der alte Voß zum Grafen Wolf Baudiſſin, als Voß auf dem Hamburger Jungfernſtieg den erſten Zigarrenrauchern im Dunkeln begegnet war. — So⸗ wohl Prinz Anton wie Prinz Max entzogen ſich nach Möglich— keit dem ſtrengen Zeremoniell des Hofes, wurden auch in den Straßen zu Fuß geſehen, zumeiſt im dunklen Hofkleide mit Kniehoſen, ſeidnen Strümpfen und Schnallenſchuhen, barhaupt, den Chapeaubas unter dem Arm, wie denn Prinz Max auch ſpäter in den Straßen Madrids, dadurch daß er unbedeckten Hauptes in der Sonne ſpazieren ging, das Volk zu der beſorgten Warnung veranlaßte, er werde einen Sonnenſtich bekommen. Um auch über die militäriſchen Erſcheinungen am Hofe einiger— maßen zu orientieren — und der Adminiſtrator Prinz Xaver hatte ja dem ſächſiſchen Hofe eine teilweiſe jo militäriſche Tour— nüre gegeben, daß der Touriſt Dutens, als er mit ſeinem Zögling Lord Algernon Percy im Jahre 1770 zur kurfürſtlichen Tafel gezogen wurde, den Oberſtallmeiſter „geſtiefelt und ge— ſpornt“ zum Nachbarn hatte — ſo ſei der Schilderung gedacht, welche ein Leipziger im Jahre 1800 von den kurfürſtlichen Sol⸗ daten entwarf, die er in dem zwiſchen Pillnitz und Dresden aufgeſchlagenen Lager geſehen hatte. Er ſagt, dies Lager habe den in Menge dahin geſtrömten Sachſen Gelegenheit gegeben, auch „eine große Zahl fremder Offiziers-Uniformen zu erblicken, und wennſchon die ſächſiſche Kavallerie nicht nur durch ihre Haltung und Equipierung, ſondern auch durch die Zierlichkeit ihrer Uniformierung imponierte, ſo ſtach doch die der Infanterie— und Artillerie-Offiziere mit den ſehr kleinen Hüten und dem 3
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altmodiſchen Schnitt der Kleidungsstücke gegen die ſchon damals ſehr große Eleganz der preußischen Garde-Uniformen gewaltig ab.“ Er tadelt dann die damalige Wochenuniform der Kadetten, „die in Rock, Hoſe und Weſte von braunrotem Tuche mit meſſingenen Knöpfen beſtand, dazu weiße baumwollene Strümpfe und Schuhe mit meſſingenen Schnallen, den kleinen dreieckigen Hut, ohne Kordons und Degen. Von Mänteln und Kapotts,“ fährt er fort, „ſei damals bei der ſächſiſchen und ebenſo bei der preußiſchen Infanterie, nichts zu ſehen geweſen, mit Ausnahme der Mäntel für die Schildwachen. Die ſächſiſche Infanterie trug über der Uniform leinene Kittel. Bei Paraden wurden dieſe abgelegt und die Truppen präſentierten ſich alle wohl ge⸗ pudert und pomadiſiert und mit gleich langen und ſtarken Zöpfen und Seitenlocken geſchmückt; die Offiziere waren mit langen Spontons und nicht ſelten mit Zopfperrücken verſehen.“
Erſter Abſchnitt. Die Kinddheit.
(47941810)
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N: Auszüge aus den Tagebüchern der Prinzeſſin werden nach dieſen allgemeinen Vorbemerkungen nur noch hier
und da mit kurzen Notizen zu verſehen ſein. Dieſe mögen hier mit Altersangaben der nächſten, den Hofkreis bilden- den Verwandten der Prinzeſſin beginnen. Bei der Geburt der kleinen Prinzeſſin Amalie war der Kurfürſt Friedrich Auguſt 44 Jahre alt, ſeine Gattin, Kurfürſtin Marie Amalie, 42 Jahre, Prinzeſſin Auguſte, die Tochter des kurfürſtlichen Paares, 12 Jahre, Prinz Anton, der nachmalige König, 39 Jahre, ſeine Gattin, Prinzeſſin Thereſe, 27 Jahre, Prinz Max, der Vater der Prinzeſſin Amalie, 35 Jahre, ſeine Gattin, ihre Mutter, Prinzeſſin Karoline, 24 Jahre; endlich der Prinz Kaver 64 Jahre, Herzog Albert zu Sachſen-Teſchen 56 Jahre, Erzbiſchof Klemens 55 Jahre, Abtiſſin Kunigunde 54 Jahre, Prinzeſſin Eliſabeth 48 Jahre, Prinzeſſin Marianne 33 Jahre. Von dieſen ſechs nahen Verwandten hatten jedoch nur die letzteren beiden Brin- zeſſinnen ihren ſtändigen Aufenthalt in Dresden. Regelmäßige Notizen über Familien⸗Vorgänge heben mit dem 8. Februar 1796 an, wo eines Frühſtücks bei der eben erwähnten Prinzeſſin Eliſabeth (unverheiratete Tochter König Auguſts III., geb. 1746) Erwähnung geſchieht zu Ehren des „Jubiläums
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ihres Bettes;“ dasſelbe war mit Blumen geſchmückt und mit 50 Lichtern erleuchtet.
Am 23. November desſelben Jahres läßt der Vater, Prinz Max, durch die kleine zweijährige Prinzeſſin Amalie dem Kur- fürſten von Trier, dem ſchon erwähnten Prinzen Klemens Wenzel, ebenfalls Sohn Auguſts III., geb. 1739 zu Hubertus⸗ burg, 1763 Biſchof zu Freiſing und Regensburg, 1768 Erz⸗ biſchof von Trier, Verſe überreichen. Der Kurfürſt hatte am 13. in Dresden gefirmt. Derſelbe ſchenkt ihr am 14. Dezember viele Spielſachen. |
Von den kleinen Feſtlichkeiten, welche vor allem im Haufe des Prinzen Max beliebt waren, giebt eine Notiz aus dem Jahre 1798 einen erſten ungefähren Begriff, und zwar berichtet Prinzeſſin Amalie, wie ſie erwähnt, Einiges ſchon aus dem Gedächtnis. Es galt nach der Geburt ihres Bruders, des Prinzen Klemens, den Kirchgang der Prinzeſſin Karoline, ſeiner und ihrer Mutter zu feiern. Im Garten des kleinen Max⸗ Palais auf der Oſtra-Allee in Dresden hat man die Kinder der Hausleute zunächſt mit Guirlanden aufgeſtellt und dadurch ein G (Caroline) bilden laſſen. Die Hautboiſten blieſen dazu. „Während wir Kinder eine Polonaiſe tanzten, ſangen die Leute meines Vaters einen Chor; dann hatten ſie ein Topfſchlagen. Müller, der Lakai, zerſchlug den Topf; ich erinnere mich noch auf den Hahn, welcher herausflog. Auf der andern Seite ſpielten die Stallleute Sackſpringen. Die Harfenweiber machten Muſik.“
„Wir Kinder“ möchte wohl nicht allein auf die Kinder des Prinzen Max zu beziehen ſein, denn die damalige einzige Schweſter der vierjährigen Prinzeſſin Amalie, Prinzeſſin Marie, war erſt 2 Jahre alt und der Bruder, Prinz Friedrich Auguſt, war erſt 1 Jahr; Prinz Klemens war das vierte Kind.
„Die Harfenweiber ſpielten faſt täglich bei uns,“ heißt es
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an einer anderen Stelle, und in der That ſcheinen fie namentlich während des allſommerlichen Hoflagers in Pillnitz nur ſelten bei Familienfeſten gefehlt zu haben.
Im ſelben Jahre hat die lebhafte kleine Prinzeſſin einen Unfall, der nicht ohne eine bleibende Narbe abgelaufen ſein dürfte. „Am 4. Oktober fiel ich im Wagen in eine Fenſter— ſcheibe und zerſchnitt mir die Naſe. Der Hofrath Pohle heftete ſie zuſammen.“
Am 24. Dezember bekommt chere tante (Thereſe, geb. 1767, die zweite Gattin des Prinzen, ſpäteren Königs Anton, eine Tochter des römiſchen Kaiſers Leopold II.) vom Prinzen Albrecht (Herzog von Sachſen⸗Teſchen) eine „Uhr von der Arbeit des Kaiſers Leopold,“ ihres Vaters.
1799 am 6. Januar geſchieht zum erſtenmal des ſeitdem regelmäßig am heiligen Dreikönigstage wiederkehrenden Bohnen⸗ feſtes Erwähnung. „Die Tante M. A. (Marianne, die unver⸗ heiratet gebliebene jüngſte Tochter des Kurfürſten Friedrich Chriſtian, geb. 1761) bekam die Bohne und wählte den Fritz zum Könige. Ich wurde Fee des Hofs und Marie wurde Pimperle.“
„Marionetten⸗Komödien bei Papa“ kommen häufig vor und ſcheinen große Freude zu bereiten. Unterm 3. Juli findet eine ſolche Komödie unter dem Namen „Judith“ Erwähnung, ohne Zweifel eine tragi⸗komiſche Aufführung.
Bald darauf kann die kleine fünfjährige Prinzeſſin über ihre erſte Schreibeleiſtung berichten. „Die Harfenweiber ſingen ein vom Papa für die Tante Marianne komponiertes Lied. Ich gab ihr den Text, von meiner Hand geſchrieben.“
Aber wenn die Marionetten⸗Judith vielleicht noch als eine Farce vorüberging, ſo läßt eine Notiz vom 24. November vermuten, daß die fünfjährige Prinzeſſin ſich über andere Dinge, die ſie hörte, ſchon Gedanken zu machen begann. Es kommt
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„die J. B. nach Hofe. Geſchichte ihrer Heirat mit dem alten Manne, die mich ſehr frappierte.“
Am 1. Januar 1800 nimmt man ſie zum erſtenmale mit in die Kapelle.
Am 13. Februar giebt es wieder Gelegenheit, einen Kirch⸗ gang der Mutter der Prinzeſſin „im bayriſchen Zimmer“ zu feiern. „Wir ſtanden mit Guirlanden auf den Fenſterbrettern; auf dem letzten ſaß die Amme mit der (neugebornen) Nany. Alles war maskiert und man tanzte.“
Acht Tage darauf giebt es als Nachtrag oder zu Ehren des Karnevals noch einen kleinen Ball, „wobei wir und die Damen maskiert waren. Ich war als Königin da, Marie als Junge, Fritz als Köchin.“
Im Mai jchreitet man zu der Impfung der drei Kinder Amalie, Marie und Fritz. Die Sache war damals in den meiſten Städten Deutſchlands etwas Neues. Dr. Jenners Unterſuchungen über die Kuhpocken⸗-Impfung als Schutz gegen die Menſchenblattern reichen zwar bis 1775 zurück, und nachdem er ſich darüber im Jahre 1788 einig geworden war, begann man hier und da ſelbſtändig mit Impfungen zu experimentieren; ſo ſchreibt Schiller im Jahre 1788 an Körner, „es find gegen- wärtig bei 40 Kinder hier (in Weimar) inokuliert, nachdem der Anfang mit dem Prinzen und der Prinzeſſin gemacht worden;“ erſt 1794 meldet aber Körner auch die Impfung ſeiner Kinder.
Dr. Jenners berühmt gewordenes Experiment mit der Blattern⸗Impfung des durch Kuhpocken-Impfung ſchon ge⸗ ſchützten Knaben James Phipps datiert noch 2 Jahre ſpäter, vom Jahre 1796. Es gab heftige Kontroverſen unter den Arzten jener Zeit, und die beiden großen Nationalbelohnungen (10,000 und 20,000 Pfund Sterling) waren dem Dr. Jenner noch nicht zuerkannt worden. Der von dem Prinzen Max in
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betreff ſeiner Kinder gefaßte Entſchluß mochte ſolcher Art nicht leicht durchzuſetzen geweſen ſein. Man beobachtete denn auch Abſperrungsmaßregeln, wie ſie jetzt nicht mehr üblich ſind. Die „Okulierung“ fand im Garten des Max-Palais ſtatt. Zwei Tage ſpäter kamen die Eltern unter die Fenſter des Gärtner— hauſes (wo die drei Geimpften alſo Quarantäne halten mußten), um nach ihnen zu ſehen. Auch die ärztliche Leiſtung galt jeden- falls für ſehr riskant; denn drei Wochen darauf, als alles glücklich verlaufen iſt, wird der Arzt, welcher die Impfung be— ſorgte, Dr. Magnus, vom Kurfürſten mit 2000 Thalern belohnt, und die kleine Prinzeſſin Amalie darf ihm eine Doſe überreichen, auf welcher ſich ihr Porträt und das ihrer beiden Leidens— genoſſen befindet.
Nach weiteren drei Wochen feiert man das glücklich über⸗ ſtandene Ereignis noch durch ein Feſt mit Muſik, Transparents und Tanz. „Beim Deſſert teilten wir Bonbons aus an Alle, die uns bei den Blattern beigeſtanden hatten.“
Als dann im folgenden Jahre auch die nächſtgeborenen drei Geſchwiſter (Klemens, Anna und Johann) glücklich geimpft worden ſind, läßt der Oberſthofmeiſter Jurkowsky, zur Erinner⸗ ung an die beiden „Inokulationen,“ am Pillnitzer Schloßteiche ein „Repos“ bauen, das er mit einer franzöſiſchen Inſchrift verſieht:
Dis au promeneur que tu n’existes, qu'en mémoire de l’inoculation heureuse etc. etc.
Über den Unterricht, welchen die prinzlichen Kinder ge- noſſen und ebenſo über die den älteren derſelben allmählich zugänglich gewordenen Bücher, finden ſich in dem Tagebuch der Prinzeſſin nur ganz vereinzelte Notizen; aus der erſten Kindheit gar keine. Da ſie ſowohl, wie ihre ſechs Geſchwiſter — die Jüngſte war die Prinzeſſin Joſepha — im ſpäteren Leben eine
ſehr vielſeitige und keineswegs oberflächliche Bildung zeigten, ſo würde ſchon hieraus zu folgern ſein, daß es ihnen nicht an guter Anleitung gefehlt haben kann. Näheres findet ſich aber in den Aufzeichnungen des Prinzen, ſpäteren Königs Johann, welche Dr. J. P. von Falkenſtein in ſeinem Charakterbilde König Johanns mitteilt, und ſo mag aus dieſer Quelle hier das Nötige eingeſchaltet werden. „Der Vater,“ ſchreibt Prinz Johann, „nahm ſich der Erziehung ſeiner ſieben Kinder mit großer Liebe und Gewiſſenhaftigkeit an und gab uns ſelbſt den erſten Unterricht im Leſen, Rechnen, Schreiben, ſowie in der Religion. Noch ſteht in einem Zimmer des Schloſſes, wo alle Erinnerungen an ihn vereinigt ſind, der Schreibtiſch, ein Ge⸗ ſchenk meiner ſeligen Mutter, an dem jeder von uns ſein Schub⸗ fach mit ſeinem Namenszug bezeichnet hatte und an dem er uns Unterricht gab.“
Wie innig überhaupt Prinz Max an ſeinen Kindern hing, mag noch eine Stelle aus dem erſten Briefe darthun, welchen er ſeinen Söhnen, den Prinzen Johann und Klemens, nach⸗ ſandte, als er ſie im Jahre 1821 nach Italien auf die Reiſe entlaſſen hatte:
„Ich kann euch gar nicht beſchreiben, was ich empfand, als
ich euren Wagen fortfahren ſah. Ich lief trotz heftigen Regens
ſpazieren, um mich einigermaßen zu beruhigen; nun bin ich alſo
verlaſſen und meine Gedanken folgen, mein ganzes Herz iſt bei euch. Iſt es doch mein einziger Troſt, daß ich verſichert bin,
von euch geliebt zu werden und daß ihr daher recht oft an
mich denken werdet.“
Hier auch noch die von dem Prinzen Johann gegebene
Charakteriſtik ſeiner Brüder und Schweſtern. „Eine ſchöne Lichtſeite meiner Kindheit,“ ſchreibt er, „war der Kreis der Geſchwiſter, der mich umgab. Wir waren drei
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Brüder und vier Schweſtern, die faſt immer mit einander waren und ſich innig liebten. Die innige Freundſchaft, die uns ver- band, iſt im ganzen Leben unverändert geblieben, denn es kann keine zuverläſſigere Zuneigung geben als die, welche in den früheſten Kinderjahren ihren Urſprung hat. Als dem Vorletzten unter den Geſchwiſtern ſtand mir in jenen früheſten Lebens⸗ jahren meine jüngſte Schweſter Joſepha, ſpäter Königin von Spanien, am nächſten; geift und phantaſiereich waren beſonders meine Schweſtern Amalie und Marie Anna, ſpäter Gemahlin des Großherzogs Leopold von Toscana, und mein älteſter Bruder Friedrich Auguſt. Meine Schweſter Marie, ſpäter Ge—
mahlin des Großherzogs Ferdinand von Toscana, zeichnete
ſich beſonders durch klaren praktiſchen Verſtand und Fleiß aus. Am wenigſten hervorragenden Geiſtes war vielleicht mein zweiter Bruder Klemens, er hatte aber ein gutes, treffliches Herz.“
Soweit dieſe, den Ereigniſſen vorgreifende Einſchaltung.
Bald nach der Geburt des ſiebenten Kindes, der kleinen Joſepha, am 1. März 1804, wird dieſer glückliche Familienkreis durch den Tod der Mutter, der Prinzeſſin Karoline, in tiefe Trauer verſetzt. „Nachmittags,“ ſchreibt Prinzeſſin Amalie, „als wir eben Stunde beim Pater Löffler hatten, kam die Luk weinend herein und ſagte uns, daß es ganz ſchlecht mit Mama gehe. Wir ſtanden ſogleich auf und gingen, um zu beten. Unſere Leute wurden eins nach dem andern abgerufen, um Mama noch einmal zu ſehen. Sie brachten alle troſtloſe Nachrichten zurück. Ich ſperrte mich ins Nebenzimmer, um nichts mehr zu hören. Endlich ließ die Prinzeſſin Eliſabeth uns alle herüberholen. Die Thüren des Schlafzimmers ſtanden offen. Wir fanden Papa, von der Familie umringt, in ſeinem Schlafzimmer. Ich ahnte, was geſchehen war. Als wir zu ihm traten, ſagte er: Nehmt die Mutter Gottes zu eurer Mutter.“
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Nach dieſem Trauerfalle geht die Heine Prinzeſſin Amalie in die Hut der Prinzeſſin Thereſe über, der Gemahlin des Prinzen Anton. Die Oberhofmeiſterin, verehelichte Marquiſe Piatti, geb. von Erdmannsdorf, behält jedoch zunächſt noch die vier Schweſtern gemeinſam in Aufficht und, wie bereits erwähnt, bleiben die Geſchwiſter im engſten Zuſammenhang, was ſchon durch den gemeinſchaftlichen Unterricht bedingt iſt.
Das Tagebuch vom folgenden Jahre 1805 ſagt darüber: „Unſer Leben in dieſem Jahre war ſehr einfach. Um 7 ½ Uhr Frühſtück mit Papa, dann heilige Meſſe. Um 11 oder 11½ Uhr Promenade mit Papa. Um 1 Uhr Diner bei cher oncle (Prinz Anton) oder Papa oder der Tante Marianne. Eine halbe Stunde lang nachher ſich Bewegung machen, meiſt Vogel⸗ ſchießen im Zimmer. Um 5ꝰ Uhr Roſenkranz, dann Kammer⸗ ſpiel bis 7 Uhr, wo wir mit der Tante Thereſe fortgingen und bei ihr verſchiedene Spiele angaben, oder, wenn der Hof (was faſt täglich der Fall war) ins Theater ging, Paßſpiel oder Billard. Blieb Papa vom Theater weg, ſo kochten wir oder buken oder es war Schachtelſpiel oder Topfſchlagen. Dann Souper bei cher oncle (Anton) oder Papa oder der Tante Marianne; bei letzterer waren auch die Damen und Herren des Hofes.
Jeden Freitag war Kammerſpiel. Wir ſpielten bis 7 Uhr Kaſino mit ein paar Damen; die Übrigen ſaßen mit der Tante Thereſe an einem Tiſch und arbeiteten.“
Auch hier nichts von den Unterrichtsſtunden, ſo wenig in bezug auf die Prinzeſſin ſelbſt, wie auf die ihrer nächſtalten beiden Schweſtern, deren Erziehung in den Händen der Gräfin Karoline von Lamberg lag. Doch iſt ſchon erwähnt worden, daß es nicht an Unterricht fehlte, wenn die Prinzeſſin darüber auch nicht, wie über die vergnüglicheren Dinge erſt Buch führen mochte. Selbſtverſtändlich hat die heraufziehende Kriegszeit bald darauf
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den geregelten Unterricht öfter und manchesmal auf längere Zeit in Frage geſtellt, wogegen das Herausreißen aus den glück— lichen und geſicherten Verhältniſſen des Heimatshauſes und die Berührung mit Menſchen aus ganz verſchiedenen Ständen die geiſtige Entwickelung der prinzlichen Kinder zweifellos in nach— haltigerer Weiſe förderten, als noch ſo emſige Unterweiſung dies zu thun vermocht hätte.
Mit wenigen Worten ſei hier denn auch der großen welt— geſchichtlichen Ereigniſſe gedacht, welche ab und zu in das idylliſche Leben des älteſten und alſo am weiteſten entwickelten der ſieben Kinder — und das war die Prinzeſſin Amalie — ihre bedrohlichen Schatten zu werfen begonnen hatten, ohne freilich noch von ihr begriffen zu werden. Sie war 4 Jahre alt geweſen, als Napoleon Agypten mit Krieg überzog, als Nelſon die franzöſiſche Flotte bei Abukir vernichtete, und als Oſterreich, Rußland, die Pforte, Neapel und England die jo- genannte zweite Koalition zur Niederwerfung der Napoleoniſchen Macht ſchloſſen. Im folgenden Jahre werden die Franzoſen in der Schweiz, in Schwaben und Italien, dort von Oſterreich, hier von Rußland geſchlagen. Aber Rußland ruft ſeine Truppen zurück. Es folgt der Zug des auf zehn Jahre zum erſten Konſul gewordenen Bonaparte über die Alpen. 1800 wird Oſterreich bei Marengo beſiegt, 1801 iſt Frankreich in Beſitz des linken Rheinufers, und Oſterreich tritt ihm die Niederlande, den Breis— gau und Italien bis zur Etſch ab. 1802 ſchließt Frankreich Frieden mit England und der Pforte. 1804 wird Napoleon J. Kaiſer der Franzoſen und 1805 auch noch König von Italien. Im nämlichen Jahre die dritte Koalition gegen Frankreich (England, Oſterreich, Rußland und Schweden); Erfolgloſigkeit auch dieſer Koalition; Übergabe Ulms, Gefangennahme der öſter⸗ reichiſchen Armee unter Mack; die Schlacht von Auſterlitz, kläg⸗
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licher Friede zu Preßburg; Bayern und Württemberg erhalten Gebietszuwachs und werden zu Königreichen erhoben; Baden wird Großherzogthum. 1806 Errichtung des Rheinbundes und Auflöſung des Deutſchen Reichs. Schlacht bei Jena und Auer⸗ ſtädt. Niederlage der preußiſchen und der ſächſiſchen Armee.
Über einen großen Teil dieſer welterſchütternden Wand⸗ lungen finden ſich ſchon in den früheſten Tagebuchblättern der Prinzeſſin Amalie kurze Notizen, und das Kommen und Gehen der zahlreichen fürſtlichen Verwandten ihres Hauſes, deren einige durch die Eingriffe der wachſenden Macht Frankreichs beeinträchtigt oder gar depoſſediert worden waren, mußte denn auch wohl ſelbſt einem Kindesverſtändniſſe die immer zunehmende Unſicherheit aller Zuſtände nahelegen. Unter den im Tagebuch erwähnten fremden Gäſten des kurfürſtlichen Hofes aus jener Zeit ſind Nelſon und Lord Hamilton zu nennen, ferner Annibale della Genga (der ſpätere Papſt Leo XII.), Kaiſer Alexander von Rußland, Guftav IV. von Schweden, über deſſen Beſuch in Pillnitz es heißt: „Nach dem Eſſen führte man uns zu ihm; er war ein großer, ſchöner Mann mit einer nur zu langen Naſe.“ Ferner Prinz Louis Ferdinand (für welchen der Kurfürſt, wie bekannt, eine warme Sympathie hatte), zuerſt 1804 und dann nochmals am 18. September 1806, alſo kurz vor ſeinem Helden⸗ tode; „er ſpielte bei cher onele ganz herrlich ein Trio von ſeiner Kompoſition auf dem Pianoforte. Die Kammermuſiker Tietz und Pallmus begleiteten ihn.“
Es folgt dann der verhängnisvolle Oktober 1806 mit der Überflutung Sachſens und Preußens durch die ſiegreichen Rheinbund⸗Armeen. Am 24. Oktober ſieht die kleine Prinzeſſin die Wachen durch die Bayern beſetzen, am 9. November rücken die Württemberger ein. Der Hof hatte nach Bautzen überſiedeln ſollen; man hatte den Kindern ſchon die Reiſekleider angezogen,
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und der kleine Prinz Johann war voll Ungeduld nach einem Ritt auf den angeblich bei einem Bautzner Müller befindlichen zahlreichen Eſeln. Aber die überlegene Politik des Siegers von Jena wußte Mittel und Wege zu finden, das hilflos danieder- liegende Sachſen dem Rheinbunde einzuverleiben; der Hof blieb in Dresden.
Es rechtfertigt ſich hier wohl, aus den ſchon erwähnten Aufzeichnungen eine Stelle einzuſchieben, in welcher Prinz Johann über ſeine und ſeiner Geſchwiſter Gemütsverfaſſung berichtet, wie ſie ſieben Jahre ſpäter, alſo im Frühling des Jahres 1813, ſich zu den inzwiſchen in immer gewaltſameren
Erſchütterungen ihrem jugendlichen Verſtändniſſe nahe getretenen
Weltereigniſſen verhielt.
„Die Hoffnung des deutſchen Volks auf Befreiung vom fremden Joch,“ ſo ſchreibt Prinz Johann, „drang ſchon hindurch durch die Schranken des Hoflebens bis zu uns jungen Leuten. Mit jugendlichem Enthuſiasmus faßten wir dieſe Stimmung auf und malten die unſerer Meinung nach unzweifelhaften Er- folge und eine roſige Zukunft uns mit den ſchönſten Farben aus. Nachrichten aus Dresden, die uns zukamen, unterhielten dieſe Stimmung, welche vielfach, wenigſtens im Stillen, doch auch von den älteren Verwandten in Regensburg (dem damaligen Aufenthalte der ſächſiſchen Königsfamilie) geteilt wurden. Wir hörten von einem ſogenannten Volksaufſtand gegen den General Reynier; von der Abſicht der Franzoſen, die Dresdner Brücke zu ſprengen, worin wir vor allem einen Frevel gegen das ſchöne Bauwerk und eine große Gefahr für die geliebte Stadt Dresden erblickten; von dem ſchönen Empfang der herrlichen alliierten Truppen in Dresden ...“
So ſtand es 1813, nachdem wenigſtens die älteren der prinzlichen Kinder ſchon nicht mehr dem Kindesalter angehörten.
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Aber 1806 war Prinz Johann erſt 5 Jahre alt, und auch die Verfaſſerin des Tagebuchs zählte erſt 12 Jahre, ſo daß in dem Kreiſe der Kinder des Prinzen Max der ſchwere Druck jener erſten Napoleoniſchen Zeit ſich wohl kaum anders, als ein Zuwachs an munterer Bewegung und neuen, wechſelvollen Ein⸗ drücken fühlbar gemacht haben kann.
Im Juli des folgenden Jahres — 1807 — kommt Napo⸗ leon ſelbſt nach Dresden. Murat begleitet ihn. Bald darauf findet ſich auch Prinz Jerome ein. Die Kinder ſehen Napoleon von den Schloßfenſtern aus. Prinz Max ſcheint die Ernennung des Königs zum Könige von Polen ſogleich durch Napoleon erfahren zu haben. Nous avons donné au Roi de Saxe la Pologne, lautet die ihm vom Kaiſer gemachte Eröffnung, „Worte, worüber Papa erſchrak,“ ſchreibt die Prinzeſſin.
Napoleons Aufenthalt in Dresden hat damals nur wenige Tage gedauert.
1809 paſſiert Bernadotte durch Dresden, wohl auch der Diviſions⸗General Morand, denn die Prinzeſſin ſchreibt: „Wir ſahen Madame Morand, eine Polin, welche der General beim erſten Erblicken zur Frau begehrt und nach wenigen Tagen geheiratet hatte. Sie war ſehr hübſch.“ Sie hieß, wie man weiß, Mademoiſelle Paris und hatte das Herz des reſoluten Generals auf einem Balle in Warſchau in Flammen geſetzt.
Nachdem Bernadotte beim Prinzen Anton geſpeiſt hat, dürfen ſich auch die Kinder zeigen und der höfliche Franzoſe ruft aus: „les Princesses! mais elles sont belles!“
Inzwiſchen iſt nach mancherlei Friedensſchlüſſen, die immer nur als Pauſen in dem ungeheuren Kriegsgetümmel jener Zeit gelten konnten, Oſterreich wieder zu dem Verſuche geſchritten, ſein Anſehen mit bewaffneter Hand neu herzuſtellen, und die Prinzeſſin verräth bei dieſer Gelegenheit, auf welcher Seite ihre
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Sympathien find, trotzdem der Rheinbund ihr geliebtes Sachſen an die Sache Frankreichs gefeſſelt hielt, denn am 25. April 1809 heißt es in dem Tagebuche der fünfzehnjährigen Prinzeſſin: „Nachricht eines Sieges der Franzoſen über die Sſterreicher. Meine Verzweiflung!“
Natürlich muß Dresden illuminieren und in der Sonne des Feuerwerks darf auch das vorſchriftsmäßige N nicht fehlen. Ein Tedeum in der katholiſchen Kirche dankt dem Himmel für den Sieg der franzöſiſchen Waffen.
Nicht lange darauf erweiſt ſich aber Dresden als gegen einen Handſtreich des Herzogs von Braunſchweig nicht mehr geſichert. Am 13. Juni verläßt daher der königliche Hof die Reſidenz und begiebt ſich auf die Reiſe nach Frankfurt a. M. Der Wagen, in welchem die Prinzeſſin ihren Platz hat, kommt zu Schaden und ein „Kammerwagen“ muß zur Aushilfe dienen. Die Reiſe geht über Eiſenach und Fulda („ſchönes Schloß des Fürſtbiſchofs, aber ohne Möbel, da dieſe Napoleon einem ſeiner Generale geſchenkt hatte“). Im Walde bei Hanau ſollen Maro⸗ deurs ihr Weſen treiben. Man übernachtet daher in Gelnhauſen und die Lakaien werden bewaffnet. Als Unterkunft für die Nacht dienen die Wagen und einige leere Kammern. „Ich ſchlief auf einem umgeſtürzten Stuhl, über welchen Tags darauf die Prinzeſſin Eliſabeth fiel.“
Aber endlich wird Frankfurt doch erreicht. Unter den Per⸗ ſonen verſchiedener Art, die hier in den Geſichtskreis der Prin— zeſſin kamen, ſeien erwähnt: der Hofnarr des Kurfürſten von Mainz, die Prinzeſſin von Naſſau-Uſingen mit ihrer Tochter („letztere war ſehr ſonderbar, fie wurde ſpäter verrückt und er- tränkte ſich“), der Fürſt Primas v. Dalberg, der den Kindern des Prinzen Max ein kleines Feſt mit Karuſſell und Gouter veranſtaltet; der Großherzog Ferdinand von Toskana mit ſeinen
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drei Kindern, der Prinz Bernhard von Weimar, der Herzog und die Herzogin von Bayern.
Am 23. Juli wird dem Könige von Sachſen zu Ehren im Theater die Clemenza di Tito gegeben, und ein dazu gedichteter Prolog geht der feſtlichen Vorſtellung voraus. Der König iſt aber nicht zugegen. Von den inneren Widerſprüchen der ihm aufgezwungenen Politik offenbar ſchmerzlich bedrückt, hält er ſich zurück, wo ſeine Gegenwart nicht durch unabweisliche Pflichten geboten iſt, und läßt ſich auch täglich die Meſſe nur auf ſeinem Zimmer leſen.
Die Oper la Clemenza di Tito, Text von Metaftafio, Muſik von Naumann, war zum erſtenmale bei der Vermählung Friedrich Auguſts im Jahre 1769 aufgeführt worden. Dies iſt die Oper, zu deren „beſſerer und feurigerer Ausarbeitung“ der damals 27 jährige junge Komponiſt in einem Memorial vom Jahre 1768 ſich vom Kurfürſten zwei Flaſchen Wein per Tag erbeten hatte, und der große Erfolg des Werkes berechtigt zu dem Schluß, daß die ihm von dem fürſtlichen Bräutigam be⸗ willigte Sorte nicht etwa Meißner Schattenſeite geweſen fein wird. Die Clemenza iſt bei verſchiedenen feſtlichen Veranlaſſ⸗ ungen zur Aufführung gelangt, und auch bei der Tafel des gol⸗ denen Hochzeitspaares im Jahre 1819 ſang der Tenoriſt Tibaldi eine Arie aus dieſer Oper.
Ende Juli trifft die Nachricht ein, daß Sachſen von Feinden wieder geräumt iſt, und der Hof begiebt ſich über Fulda, Gotha und Weimar nach Sachſen zurück, doch bleiben die prinzlichen Kinder während der Monate Auguſt und September in Leipzig, woſelbſt ihre Bekanntſchaft nach der Seite des bürgerlichen Elements ſich in ausgiebiger Weiſe erweitert.
Unter den kleinen Feſtlichkeiten, mit denen man ihnen Freude zu machen ſucht, ſei nur einer erwähnt, die der Kauf⸗
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mann Vollſack veranſtaltet und wobei das Tagebuch außer einer Menge von Bauernſpielen, Einſiedler-Anſprachen und Dryaden, auch „dreier ſchönen Mädchen“ gedenkt, die auf (oder in?) der Mulde ſich als Najaden produzierten.
Das Jahr 1810 ſchließt die Kindheit der Prinzeſſin ab. Sie iſt jetzt 15 ¼ Jahre alt.
„Am 7. Januar,“ ſo meldet das Tagebuch, „erſchien ich in der Welt; ging zuerſt zum König, dann zur Kour und abends ins Apartement, was letzteres nur an jedem Sonntag ſtattfand. Man trug dazu den manteau. Puteani präſentierte mir alle Herren.“
Tags darauf iſt die Prinzeſſin zum erſtenmale im Theater und ſieht die Erſtürmung von Smolensk.
Das Stück gefällt ihr beſſer als die von Mayer kompo⸗ nierte Oper Adelaſia, welche ſie bald darauf ſieht.
Von dieſer Zeit an nimmt das Theater einen weſentlichen Teil des Tagebuchs ein, ohne daß übrigens in der Regel mehr als die Titel der von der Prinzeſſin beſuchten Vorſtellungen angeführt werden.
Vermutlich hat die immer ſchon unter den Kindern des Prinzen Map üblich geweſene Beſchäftigung mit Sprichwörter⸗ Aufführungen und Komödienſpiel durch Prinzeſſin Amaliens Theaterbeſuch jetzt neue Nahrung empfangen. Sie ſpielt in Madame de Genlis enfant gäts die Dorine, dann auch die Teopiſte in einem „von Papa komponierten“ Stücke St. Eu⸗ ſtache, ſowie ihre Brüder Fritz und Klemens die Söhne der Teopiſte und ihre Schweſtern Marie und Nany die Schülerinnen der Teopiſte darſtellen; die Rolle des St. Euſtache hat Prinz Manx ſelbſt übernommen.
Daß auch die Karnevalszeit im Familienkreiſe nicht un⸗ genützt vorübergeht, verräth eine Notiz vom 26. Januar; da
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heißt es Maskerade bei chere tante Thereſe: „Nany als Har⸗ lekin, ich als Marktſchreier, Marie als Taſchenſpieler (ſie machte wirklich einige Kunſtſtückchen), Fritz als Muſikant, Klemens als Savoyarde, Johannes als Affe, Joſepha als Hund, chere tante als Führer dieſer Thiere.“
Am 14. April iſt Prinzeſſin Amalie zum erſtenmale bei der Familientafel, am 19. verrichtet ſie ebenfalls zum erſtenmale mit der Familie die öſterliche Kommunion, geht auch mit in der Prozeſſion und hat am 20. in der katholiſchen Kirche die Char⸗ freitags-Betſtunde mit der chere tante „am heiligen Grabe.“
Von namhafteren Perſonen, die ihr in dieſer Zeit zu Geſicht kommen, ſeien hier nur des Obriſten Tettenborn und des Fürſten Poniatowski gedacht. Der letztere ſpeiſt häufig bei Hofe.
Im ganzen hatte es damals den Anſchein, als ob nach dem vielen Kriegsgetöſe die Menſchheit den Verſuch mache, ſich in ihr Geſchick zu fügen, und als ſei für einige Jahre Ruhe und Frieden in Ausſicht. Statt Fluchtreiſen beginnen denn auch wieder Erholungsreiſen. Über einen Ausflug dieſer Art berichtet die junge Prinzeſſin in etwas eingehenderer Weiſe, als dies daheim ihre Gewohnheit iſt. Hier ein kurzer Auszug aus ihrem Journal. a i
ERBETEN
Zweiter Abſchnitt.
Erſte Jugendzeit. (1810 — 1813.)
. Reiſe, welche die Prinzeſſin in Geſellſchaft ihres
opti und ihrer Tante, des Prinzen Anton und feiner Gattin, im Mai 1810 macht, hat Carlsbad zum eigent—
lichen Ziel, doch wird vorher ein Aufenthalt von mehreren Wochen in Prag genommen. Bald nach der Ankunft der Reiſen⸗ den trifft auch Kaiſer Franz in Prag ein, der, nach der Meinung der Prinzeſſin, ſeinem Bruder, dem Großherzog Ferdinand von Toscana, täuſchend ähnlich ſieht; wenige Tage ſpäter geſellt ſich hnen die Kaiſerin Luiſe (Marie Luiſe Beatrix, Prinzeſſin von Modena, damals 23 Jahre alt, des Kaiſers dritte Gattin), „eine ſehr hübſche Frau,“ ſowie die Erzherzogin Leopoldine. Alles Sehenswerte in und um Prag wird nun in Muße durch— ſtudiert, von dem Zimmer, in welchem einſt der faule Wenzel und ſein Scharfrichter eingeſperrt waren, bis zu der Höhle, in welcher ſich der heilige Prokopius verbarg; von dem Grabe des Ticho de Brahe bis zu dem eines Judenkindes, das getauft worden war und deshalb, ſo ging im Volke die Sage, von den Juden getödet worden ſein ſollte; von dem Platze, wo die Erde ſich öffnete und die „böſe Drahomira“ verſchlang, bis zu dem Sarge des heiligen Johannes von Nepomuk. Am 20. Mai wird dieſer Sarg unter großen Feierlichkeiten geöffnet und von
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einem Gerüſte aus, das der Kaiſer und feine Gäſte befteigen, blicken ſie auf den wohlkonſervierten Leichnam des Heiligen.
Das Grab eines Vogels mit Inſchrift im Clammſchen Garten findet daneben freundliche Beachtung, wogegen die Deviſe des Gartens: „Refuge contre les importuns,“ den Beſuchern desſelben etwas anzüglich vorkommt. Nach dem Geſchmacke der damaligen Zeit fehlt hier auch nicht ein Tempel, in welchem nachts ſich Mond und Sterne zeigen.
Beiläufig erfährt man das Gewicht der Kaiſerin und ihrer Gäſte, da eines Tages eine Gelegenheit zum Wiegen benutzt wird.
Die Kaiſerin wiegt 75 Pfund öſterreichiſch, chere tante 90 = cher oncle 119 = Leopoldine 54 = (ſie war 13 Jahre alt, Tochter des Kaiſers aus ſeiner zwei⸗ ten Ehe),
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Gräfin Alfan 149
und die Prinzeſſin ſelbſt 72. Das Prager Pfund war ungefähr gleich 1 Pfund 3 Lot Leipziger Gewicht, alſo faſt 10 Prozent ſchwerer, als dieſes.
Abends wird fleißig getanzt, teils im kaiſerlichen Schloſſe,
teils in den Häuſern des Adels, und zwar tanzt man Walzer, Ekoſſaiſen, Quadrillen, Allemanden und Menuetts. Auch die Kaiſerin tanzt wohl einmal mit. Übrigens ſind einige dieſer Bälle für Kinder und für junge Perſonen bis 16 Jahren be⸗ rechnet, welches letztere Alter gerade dasjenige der Prinzeſſin iſt. Auch die „tempéte“ findet unter den Tänzen jener Zeit Er⸗ wähnung. An einigen Abenden werden Sprichwörter auf⸗ geführt.
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In dem Taubſtummen-Inſtitut wird unter anderem den Methoden nachgefragt, deren man ſich zum Unterrichten der Taubſtummen bedient. Bemerkenswert in dieſer Beziehung iſt das Auskunftsmittel, welches beim Eintritt der Dunkelheit be— nutzt wird, wo alſo die ſonſt übliche Zeichenſprache ihren Dienſt verſagt: Man ſchreibt den Taubſtummen dann mit dem Finger auf den Rücken, und dies iſt ihnen verſtändlich.
Im polytechniſchen Salon zeigt man das Modell „einer Eiſenbahn, auf welcher man ſchwere Laſtwagen mit geringer Anſtrengung fahren kann.“ Natürlich fehlt noch die Lokomotive.
Im Blinden⸗Inſtitut wird auch das Zimmer beſucht, in welchem die friſch Operierten weilen. Ein Mann war dort, deſſen Operation durch Nieſen mißglückte. Man hatte ihm nach der Operation geſagt, daß er nun auf ewig blind bliebe, und die Troſtſprüche der mitleidigen jungen Prinzeſſin mögen ſeine Trauer nur wenig gelindert haben.
Am 4. Juni reiſt der Kaiſer nach Wien zurück und die ſächſiſchen Herrſchaften fahren nach Karlsbad, wohin ihnen Tags darauf die Kaiſerin mit der Erzherzogin Leopoldine folgt.
Im Kurſalon ſieht die Prinzeſſin hier Goethe. In ihrer zumeiſt mehr als lakoniſchen Weiſe berichtet ſie darüber:
„Ich ſah dort einen alten großen ſtattlichen Mann, von welchem chère tante mir ſagte, daß es der berühmte Goethe ſei.“ Kein Wort weiter.
Die Kaiſerin ihrerſeits ſorgt für das Vergnügungs-Bedürf⸗ nis ihres Kreiſes durch Ausflüge in die Umgegend und Theater: ſpiel, wobei ſie ſich ſelbſt beteiligt. So ſpielt ſie in der „ge— fährlichen Nachbarſchaft“ das Lieschen und in dem „Wirrwar“ die Frau von Langſalm. Der Theaterzettel enthält durchweg fingierte Namen; ſo heißt die Kaiſerin auf demſelben Madame Toutpoſſible; Graf Bouquoi, dem die Rolle der Babett zu⸗
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gefallen iſt, paſſiert für eine Demoiſelle Angſtlich, Graf Chotek in der Rolle der Doris heißt Mademoiſelle Impertinente ꝛc.
„Der Anfang iſt zwei Stunden vor dem Schluſſe. Das Orcheſter tacet, weil die Geſellſchaft es nicht bezahlen kann. Statt mit Geld bezahlt man die Entree mit Geduld und Nachſicht.“ 5
Als Dekorationen ſcheinen bloße „ſpaniſche Wände“ gedien zu haben.
Auf der Rückreiſe, welche über Brix und Dux erfolgt, wird das prächtige Landhaus des Grafen Chotek in Schönhof be⸗ ſucht und auch der ſonderbar ausgeſtattete Garten desſelben in Augenſchein genommen. Es fehlt dieſem Muſeum von Wunder⸗ lichkeiten weder an unterirdiſchen Gängen, noch an chineſiſchen Tempeln, Obelisken, Falltreppen, Porzellan⸗überfüllten Pavil⸗ lons, Sarkophagen, Felſen, Waſſerfällen, Fiſcherhütten, goti⸗ ſchen Kapellen mit bunten Glasfenſtern, Dianatempeln 2c.
Im Schloſſe zu Dux ſieht die Prinzeſſin „einen großen düſtern Saal, auf deſſen Plafond ein Graf Waldſtein mit ſeinen 24 Söhnen vorgeſtellt iſt, wie er dieſe dem Kaiſer zuführt. Der Kaiſer, welcher jedem Ritter nur geſtattete, ſich von zwei Knappen begleiten zu laſſen, ſoll ſtutzig geworden ſein, als er den Grafen Waldſtein mit 72 Mann anrücken ſah, bis er ſich überzeugte, daß dieſer die Vorſchrift nicht überſchritt, indem jeder ſeiner Söhne nur zwei Mann zur Begleitung gehabt.“
In Teplitz erwartet die Reiſenden Prinz Max mit den Geſchwiſtern der Prinzeſſin, und am 19. Juni war man wieder daheim. |
Von der im Kreiſe des Prinzen Max herrſchenden Lieb⸗ haberei für Sinnſprüche und kleine Feſtlichkeiten iſt ſchon mehr⸗ fach die Rede geweſen. Hier ſei noch der Inſchriften gedacht, durch welche diesmal die Heimgekehrten in dem Sedlitzer Schloß⸗
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garten bewillkommnet wurden. Auf einem Hügel, der mit Roſen bedeckt war, ſtand zu leſen: Eure Heimkehr bringt uns Roſen! Und ebenſo auf einem mit Pensées (Stiefmütterchen) bepflanz⸗ ten Parterre: Elles vous suivaient partout! Dazu ſpielten die Hautboiſten:
Où peut on èétre mieux qu’au sein de sa famille!
„Papa wohnte mit uns im Garten,“ heißt es weiter, „wir ſchoſſen dort nach dem (hölzernen) Vogel, aber arbeiteten auch viel in der Erde.“
Dieſe Erdarbeiten ſcheinen ebenſo wie das Kochen zu einem weſentlichen Vergnügen der prinzlichen Kinder gehört zu haben; es beteiligen ſich die kleinen, wie die ſchon „in der Welt Erſchienenen“ dabei, und ſo heißt es denn unterm 1. Oktober 1811:
„Wir arbeiteten im Garten an dem Gedächtnis für Jur⸗ kowsky,“ den im November des vorausgegangenen Jahres ver— ſtorbenen Oberhofmeiſter. 5
Zum erſtenmale kommt in dem Tagebuche jetzt auch eine Erwähnung dichteriſcher Verſuche vor, und zwar hat ſich der Bruder Fritz dabei beteiligt. „Fritz und ich,“ heißt es am Schluß der Sommerſaiſon, „hatten auf dem Garten (Pillnitz) viel gedichtet. Ich hatte auch die Donna zu komponieren an⸗ gefangen.“
Während deſſen haben die weltgeſchichtlichen Ereigniſſe un— unterbrochen ihren Fortgang genommen. Napoleon hat ſich von ſeiner Gattin Joſephine ſcheiden laſſen, Marie Louiſe iſt Kaiſerin von Frankreich geworden, und durch die Geburt eines Sohnes, des Königs von Rom, iſt, ſo ſcheint es wenigſtens, die Thronfolge geſichert. Von der Tiber bis zur Mündung
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der Elbe reichen jetzt die Grenzen Frankreichs. Schweden wird nach dem Ableben des regierenden Königs durch Bernadotte, dem jetzigen Adoptivkronprinzen, regiert werden und iſt dem ſogenannten Kontinentalſyſtem einſtweilen ſchon beigetreten. Rußland hat ſich dagegen von demſelben losgeſagt, und Napo⸗ leons nächſte Aufgabe iſt, es mit Gewalt wieder zu dem Kon⸗ tinentalſyſtem zu bekehren. Im Mai 1812 werden die deutſchen Fürſten von Napoleon zu einer in Dresden abzuhaltenden Konferenz zuſammengerufen, welche den Kriegszug gegen Ruß⸗ land zum Gegenſtande haben wird. Auch der Schwiegervater Napoleons, Kaiſer Franz, muß ſich dazu einfinden.
Prinzeſſin Amalie iſt jetzt 173/ Jahre alt. Was fie über die äußeren Vorgänge dieſer Tage zu Papier bringt — von ihrer eignen Gemütsverfaſſung pflegt ſie ja zu ſchweigen — iſt etwa folgendes:
Während der Monate März und April hat es faſt un⸗ unterbrochen Truppendurchzüge in öſtlicher Richtung gegeben. Am 8. Mai kommt der Vizekönig von Italien, Prinz Eugen, nach Pillnitz, reiſt aber am 9. weiter. Am 15. Mai trifft der Herzog von Weimar, Karl Auguſt, ein, am 16. der Herzog von Koburg. Der König und die Königin von Sachſen reiſen Napoleon entgegen.
„Um 10 Uhr abends gingen wir alle zu Kouſine, Prin⸗ zeſſin Auguſte, um die Ankunft des Kaiſers und der Kaiſerin zu erwarten. Um 11 Uhr hörte man den erſten Kanonenſchuß. Um 11% kamen fie an, die Kaiſerin mit der Königin, dann Napoleon mit dem Könige. Goldgeſticktes Reiſekleid der Kaiſerin; rotes und blaues mit Goldborten ihrer Damen. Die Straße, durch welche ſie paſſierten, war beleuchtet. Wir empfingen ſie unten an der Treppe.“
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„Am 17. gegen 10 Uhr kam der Großherzog von Würzburg (die jetzige Würde des depoſſedierten Großherzogs Ferdinand von Toscana). Um 1 Uhr Viſite der Prinzen beim Kaiſer. Dann mit den Prinzeſſinnen und Kindern bei der Kaiſerin. Die Königin von Weſtfalen (Tochter des Königs von Württem⸗ berg) kam nach 11 Uhr an.“
„Am 18. treffen der Kaiſer und die Kaiſerin von Oſterreich ein. Der Hof empfängt ſie am Wagenſchlage. Der König führt ſie in ihr Quartier. Napoleon und Marie Louiſe bewohnen die Paradezimmer.“
„Um 8 Uhr war großes Bankett; die beiden Kaiſerinnen in der Mitte, Kaiſer Franz neben Marie Louiſe und Napoleon neben der Kaiſerin von Oſterreich, dann alle anderen nach ihrem Rang; die ganze Nobleſſe der Tafel gegenüberſtehend.“
Nachher Illumination.
Am 19. Diner bei Napoleon, dann Spiel bei Marie Louiſe.
Am 20, Ankunft des Erbprinzen von Mecklenburg- Schwerin. Diner bei Napoleon. Gala-Theater, Kantate zu Ehren der Gäſte, Muſik von Morlacchi, Worte von Orlandi. „Er war gar zu Flatteur,“ bemerkt die Prinzeſſin. Darauf ein paar Szenen aus Sargino von Paer, welcher letztere ſamt ſeiner Gattin ſeit 1807 in Napoleons Dienſt ſtand, nachdem beide ſeit 1802 wichtige Stützen der Dresdner Oper geweſen waren.
„Am 21. Diner bei Napoleon, mit Papa, der Tante M. A., Marie und mir, dem Prinzen von Neufchatel und dem Prinzen von Mecklenburg. Spiel bei der Kaiſerin. Napoleon ſpielte nie, ſondern ging gewöhnlich die ganze Zeit mit dem Kaiſer Franz im Saale auf und ab, was alle Herren, die nicht eben ſpielten, zum Stehen nötigte.“
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So geht es fort. Am 24. kommt Napoleon in die katho⸗ liſche Kirche und hört „die ſehr kurze Meſſe“ des See von Mecheln. Abends wieder Gala-Theater.
In Betreff des Erzbiſchofs von Mecheln (Dominique Dufour de Pradt, geb. 1759, geſt. 1844) ſei hier daran erinnert, daß er um die Zeit dieſer Dresdner Konferenztage auf dem höchſten Punkte ſeines diplomatiſchen Anſehens ſtand. Napoleon ſchickte ihn wenige Tage darauf als Geſandter nach Warſchau, wo er aber den Intereſſen Napoleons gefliſſentlich entgegenarbeitete; „ohne dieſen Mann,“ rief der Kaiſer ſpäter aus, „würde ich die Eroberung der Welt vollendet haben.“ — Auch der Prinz oder Fürſt von Neufchatel und Wagram (Alexander Berthier, Mar⸗ ſchall und Vize-Connetable des franzöſiſchen Kaiſerreichs, geb. 1753) ſtand zu jener Zeit im Zenith ſeiner ruhmreichen Lauf⸗ bahn. Zwei Jahre zuvor hatte er in Wien die Ehre genoſſen, Napoleon bei deſſen Vermählung mit Marie Louiſe zu ver⸗ treten. Nach dem Falle Napoleons trat er auf die Seite der Bourbonen und erhielt die Pairswürde, ſowie den Titel eines Kapitäns der königlichen Garden. „Ich will an dem Narren Berthier keine andere Rache nehmen, als ihn in der Uniform eines Gardekapitäns Ludwig des Achtzehnten zu ſehen,“ äußerte Napoleon, nachdem er aus Elba nach Paris zurückgekehrt war und dort auch Berthiers reuevolles Eintreffen erwartete. Aber Berthier kam nicht. Halb verwirrt durch die Erſchütterungen der letzten Jahre, war er zu ſeinem Schwiegervater, dem Herzog von Bayern-Birfenfeld, nach Bamberg geflohen, und beim An⸗ blick der dort einziehenden Ruſſen ſtürzte er ſich vom Schloß⸗ balkon herab und ſtarb.
„Am 25. Mai,“ fährt das Tagebuch fort, „Saujagd in Moritzburg. Bei dem Dejeuner oder Diner in Moritzburg wurde es Napoleon zu lang und er ſprach plötzlich:
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„Que l'on serve le dessert!“ was auch erfolgte und die Braten zum Arger der Tante Eliſa— beth gar nicht ſerviert wurden.“
„Am 26. gegen 11 kam der König von Preußen an und verbat ſich alle Honneurs. Der König und die Prinzen em— pfingen ihn unten an der Treppe. Diner bei Napoleon mit dem König von Preußen und cher oncle und chere tante.“
Die „Auszüge aus den Papieren eines Sachſen“ (des Generals von Vieth) ſtimmen mit dieſer Darſtellung nicht über— ein. Danach hätte Generalleutnant von Zeſchau auf eine von ihm an den König Friedrich Wilhelm gerichtete Anfrage, wegen etwaigen Verbittens der üblichen Empfangsfeierlichkeiten, die Antwort erhalten: Da es ſich um keinen Freundſchaftsbeſuch, ſondern um eine Konferenz handle, müſſe der König dem Könige Friedrich Auguſt anheimgeben, wie er ihn empfangen werde. — Es ſei nun trotzdem ein feierlicher Empfang unterblieben, aber die dadurch entſtandene Verſtimmung des königlichen Gaſtes ſei „durch das redlich herzliche Benehmen des Königs Friedrich Auguſt gemildert, ja völlig beſeitigt worden.“ Es wird dann jene Verſäumnis auf die ſchon bei Kaiſer Franzens Eintreffen demonſtrativ laut geweſenen Jubelrufe des Volkes und auf das völlige Unterbleiben derſelben bei Napoleons Einzug zurück— geführt. — „Die Monarchen,“ wird in jener Schrift hinzu— gefügt, „erſchienen bei jeder feierlichen Gelegenheit in voller Militär⸗Uniform, Napoleon am öfterſten in der der Garde— Chaſſeurs, ſtets in Schuhen und Beinkleidern, ſtehend immer den Hut unter dem linken Arme, eine Tabaksdoſe in der Hand.“
„Die Kaiſerin von Oſterreich,“ fährt das Tagebuch der Prinzeſſin fort, „iſt beſtändig der Gegenſtand beſonderen Inter— eſſes in der Dresdner Bevölkerung. Vor ihren Fenſtern ſam—
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meln ſich die Leute immer in großer Menge. Nach den Diners pflegt ſie ſich daher auf dem Balkon zu zeigen und, nachdem ſie die untenſtehenden Leute begrüßt hat, ſich wieder zurückzu⸗ ziehen.“
Am 27. trifft auch der damals ſiebzehnjährige Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen ein. Am 28. Fronleichnams⸗ Prozeſſion wie gewöhnlich, „aber ohne Steifröcke, welche ab⸗ geſchafft worden.“ Nach dem Diner nimmt Napoleon Abſchied. Am 29. morgens 4 Uhr reiſt er ab; ebenſo um 11 der Kaiſer von Oſterreich und ſeine Gattin. Die Kaiſerin Marie Luiſe bleibt noch bis zum 4. Juni, und im engen Verkehr mit dem ihr ja nah verwandten ſächſiſchen Hofe wird von ihr die ſchöne Umgegend Dresdens fleißig beſucht. Der König von Preußen und ſein Sohn, der Kronprinz, reiſen ſchon am 30. Mai nach Berlin zurück. Auf der pirnaiſchen Straße begegnet ihnen der König von Sachſen. Beide Könige ſteigen aus und haben ein längeres Geſpräch.
Den Sommer über wird wiederum Teplitz mehrmals be⸗ ſucht. Am 16. September kommt der König von Preußen auf einige Stunden nach Dresden, zwei Tage nach dem Brande von Moskau, von dem die Kunde aber exit ſehr viel ſpäter nach Deutſchland gelangte; mußte Dresden doch noch am 27. September zur Feier des Sieges an der Moskwa illumi⸗ nieren.
Im November verlautet zuerſt Mißliches über den gegen Rußland unternommenen Feldzug. „Die Spath,“ ſo ſchreibt die Prinzeſſin, „kam eines Abends zu uns unter dem Vor⸗ wande, uns einen von der Kaiſerin von Frankreich erhaltenen Shawl zu zeigen, eigentlich aber, um uns von der ſchlechten Lage der Armee zu unterrichten, mit der ſie ein Offizier bekannt gemacht hatte.“
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Am 23. desſelben Monats giebt man im Theater, wohl um des ominöſen Titels willen, das Stück: „Der Krug geht ſo lange zu Waſſer, bis er bricht.“
„Am 14. Dezember,“ heißt es dann aber im Tagebuche, „kam Napoleon früh um 4 Uhr (per Schlitten) in Dresden an.
Der König ließ ſich zum franzöſiſchen Geſandten (Baron de
Serra, im Looſeſchen Hauſe auf der Kreuzſtraße), wo Napoleon in Dresden abgeſtiegen war, (in der Portechaiſe) tragen, worauf Napoleon bald abreiſte. „Je m'en vais voir un peu ce qui se passe chez moi!“ hatte er dem Könige geſagt.“
Am 26. Dezember kommt die Nachricht, daß ſich das Regi— ment Prinz Johann den Ruſſen gefangen gab; am 17. Februar folgt eine gleiche Nachricht in bezug auf das Regiment Prinz Anton. Warſchau iſt im Beſitz der Ruſſen. Mit ihnen ver⸗ bündet, ſuchen die Preußen dem lange getragenen Druck der Fremdherrſchaft ein Ende zu machen. Am 30. Dezember ſchon iſt General York zu den Ruſſen übergetreten. Am 3. Februar 1813 erläßt Friedrich Wilhelm III. den Aufruf zur Bildung der freiwilligen Jägerkorps, am 17. März folgt der Aufruf an Volk und Heer. — Sehr bald zeigt ſich's, daß Dresden abermals von den Wechſelfällen des Kriegs zunächſt berührt werden wird. Schon Mitte Februar werden die Munitionsvorräte von Dresden nach Torgau geſchafft und ebenſo ſammeln ſich dort die Reſte der ſächſiſchen Truppen, wie auch die Neuausgehobe— nen. Nicht minder trifft man Anſtalten, die öffentlichen Kaſſen und die Kunſtſchätze nach dem Königſtein in Sicherheit zu bringen.
Wieder wird nun auch der Kreis der prinzlichen Kinder von den Bedrängniſſen des Kriegs heimgeſucht. Die Ungewiß⸗ heit, ob Dresden verlaſſen werden müſſe, oder nicht, ſo referiert darüber die Prinzeſſin, hatte mehrere Tage gedauert. Im
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Schloſſe war das Silbergerät eingepackt und ebenſo hatte man die Altargeräte der katholiſchen Kirche fortgeſchafft. Ein Reiſe⸗ altar ſtand in Bereitſchaft. Endlich kam die beſtimmte Nach⸗ richt, daß am 22. Februar aufgebrochen werden ſolle.
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Dritter Abſchnitt. uch ine
(Februar bis Juni 1813.)
) efter ſchon hatten die Prinzeſſin und ihre Geſchwiſter das Reiſegebet gebetet. Dazwiſchen waren immer wieder „die herkömmlichen Lernübungen, Vergnügungen und Tagesbeſchäftigungen eingehalten worden. „Wir ſpielten den Cid und die Adelasie en pantomime,“ hieß es noch am 19.; „Gruppen der chère tante M. A. mit den Schweſtern.“
Und am 21.: „Wir gingen in die Oper le due burle. Chöre tante M. A. blieb zu Haufe.‘
Und am 22.: „Wir gingen ins Kammerſpiel, wo ich die traurigſte Boſton-Partie meines Lebens machte. Uns zu er⸗ heitern, ſtellten wir nachher bei chere tante die Cendrillon vor.“ — Endlich, am 22., wird die Reiſe angetreten. Sie geht über Herzogswalde, Freiberg und Chemnitz nach Bayern. „Wie war ich ergriffen,“ ſchreibt die Prinzeſſin beim Überſchreiten der Grenze am 24. Februar „mein Vaterland zu verlaſſen!“
Immer aber treffen zwiſchen den beängſtigenden Nachrichten auch noch beruhigende ein, und ſo gelingt es denn den Erziehern der Prinzen, dem General Forell und dem Baron Weſſenberg, die allſeitig gedrückte Stimmung durch Beſchäftigen und Zer⸗ ſtreuen der prinzlichen Kinder zu heben. Sobald man in Baireuth einquartiert worden iſt, werden wieder wie daheim 5
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Sprichwörter und Anekdoten aufgeführt, und als die bayeriſche Gräfin Giech mit ihren zwei Töchtern ihre Aufwartung ge⸗ macht hat, merkt Prinzeſſin Amalie in ihrem Tagebuche an: „Die Mädchen ſind luſtig, und ich habe viel mit ihnen gelacht.“
Baireuth gefällt ihr überhaupt, nur vermißt ſie einen an⸗ ſtändig großen Fluß, wofür ſie den dortigen Main noch nicht gelten laſſen mag. Auf der Bühne des geſchloſſenen Opern⸗ hauſes, das ſie beſucht, hat man — wer weiß, ſeit wie lange — die Dekoration eines Ritterſtücks ſamt der ſervirten Tafel ſtehen laſſen — ein kleiner charakteriſtiſcher Zug für die damalige Zeit, die mit ihrem kriegeriſchen Getümmel die Muſen bald hier bald dort zu Flüchtlingen machte.
Aber auch die lehrreichen Sehenswürdigkeiten der a) werden nicht verabjäumt.
„Graf Münſter,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „begleitete uns in die Marmorfabrik, wo ſehr ſchöne Sachen verfertigt werden; doch alle Freude verging mir, als ich entdeckte, daß die Anſtalt ein Zuchthaus, und die Arbeiter Verbrecher ſind. Der Gedanke, unter ſo vielen Übelthätern zu ſein, machte mich ſchaudern und chere tante auch. In einem Saale wurden Brillengläſer ge⸗ ſchliffen und dort arbeiteten die ſchlimmſten Verbrecher. Ab⸗ ſcheuliche Geſichter. Ich fragte zitternd den Führer: ob auch Mörder dabei ſeien? Er ſagte mir: Drei... Man führte uns in den Saal, wo in Wolle gearbeitet wird. Es war als träte man in ein Grab. Dieſe Leute verziehen den Mund zu keinem Lächeln . .. Daneben iſt der Saal, in welchem die Frauen arbeiten. Sie ſpinnen. Frauen von jedem Alter, eine noch ein halbes Kind, blaß wie der Tod. Beſonders frappierte mich eine junge Frau, die auf einer Bank ſaß, die Augen kaum aufhob und von Schmerz ganz verzehrt ſchien. Sie war wohl noch nicht lange da. Ich atmete auf, als wir heraus waren. — Wir
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gingen in die Kartenfabrik auch in dieſer Anſtalt, und in den Hof, wo wir die Schlafſtellen ſahen. Die Strohſäcke, auf welchen die Gefangenen ſchlafen, ſind abſcheulich ſchmutzig. Sie eſſen nur achtmal des Jahres Fleiſch; des Sonntags Knödel. Endlich traten wir ganz aus dieſem traurigen Aufenthalt.“
Über einen ihrer Kirchenbeſuche merkt die Prinzeſſin an: „Nachmittags Kirche, in welcher Pſalmen auf Deulſch ge⸗ ſungen wurden.“
Der König, die Königin und Bringeffin Auguſte waren von Dresden am 25. Februar abgereiſt, vor der Hand nur nach
Plauen im Vogtlande. Ob und wann die bayeriſche Grenze
überſchritten werden ſollte, das hing von den Kriegsereigniſſen ab. Kam es dazu, ſo hatten Prinz Anton und Prinz Max mit den Ihrigen ihr Quartier nach Regensburg zu verlegen. Einſt⸗ weilen blieb man noch in Baireuth. Die berühmte Eremitage konnte ſolcher Art auch noch in Augenſchein genommen werden, und Prinzeſſin Amalie giebt über dieſelbe in ihrem Tagebuch ausführlichen Bericht, doch enthält er nur das ſeitdem von andern Reiſenden über die Wunderlichkeiten dieſes fürſtlichen Parks zu öftern Malen Erzählte. — In betreff der oben er⸗ wähnten beiden Brinzen -Erzieher ſei hier noch nachgetragen, daß General Forell aus einer alten, im Kanton Freiburg an⸗ ſäſſig geweſenen Schweizer-Familie ſtammte, der Neffe des einſtigen Erziehers Friedrich Auguſts war, und bereits zu An⸗ fang des ſiebenjährigen Krieges in Frankreich Dienſt genommen hatte, jo daß er jetzt ſchon einigermaßen betagt war. In Dresden bekleidete er neben ſeiner Erzieherſtelle auch noch den Poſten eines Kommandanten der ſogenannten Schweizerwache, die aber nur ihrem Namen nach ſchweizeriſch war und für welche immer wenigſtens noch ein Schweizer als Kommandant daher ſchwer entbehrlich war. General Forell hatte die Eigentümlich⸗ 5 *
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keit, nie mündlich, nur ſchriftlich feine Reprimanden zu erteilen, war ſehr zeremoniell, wurde aber von den prinzlichen Kindern geliebt. Domherr Alois Freiherr von Weſſenberg fungierte neben Forell als Studiendirektor. Er war ein Bruder des liberalen General-Vikars von Konſtanz und hatte gleich dieſem tüchtige wiſſenſchaftliche Kenntniſſe und einen weiten Geſichts⸗ kreis. Da er kränklich war, fehlte es ihm häufig an Gleichmut; dabei lobte er faſt nie. Im Übrigen war ſein Einfluß ein an⸗ regender und bildender.
Am 4. März wird infolge einer Weiſung des Königs die Reiſe nach Regensburg angetreten, woſelbſt die Ankunft nachts erfolgt. Die prinzlichen Herrſchaften werden bei einem jüdiſchen Bankier namens Reichenberger einquartiert und Prin⸗ zeſſin Amalie verſäumt nicht, über die ihr ungewohnte Ein⸗ richtung des jüdiſchen Hauſes das Weſentliche anzumerken. Beſonders intereſſiert fie ein von chere tante entdecktes Kabinett, die Lauberhütte, ein auf hölzernen Säulen ruhender Anbau „mit einem zu öffnenden Dache. Hübſche kryſtallene Kronleuchter hingen an den Dachbalken und an den Wänden. Reihen von kryſtallenen Schalen, zwiſchen welchen vertrocknete Blumen ſtaken, auch Tannenzweige. Vor den Thüren der Zimmer ſind blecherne Kapſeln befeſtigt, welche die Juden beim Eintritt berühren und ein Gebet dazu ſprechen. Man ſagt, ihr größter Eid ſei, darauf zu ſchwören. Hebräiſche Worte ſtehen darauf geſchrieben.“
„Es war ſehr kalt bei uns,“ heißt es am 6., „da die Ae am Sabbat nicht einheizen.“
Über dieſelbe Familie wird noch angemerkt, ſie habe ein ſehr ſchönes mit Säulen verziertes Gartenhaus auf der Prome⸗ nade; im Garten ſtehe ein Tempel, in welchem ſich auf braunem Marmorpoſtament eine weiße Marmorbüſte Keplers befinde. Am erſten chriſtlichen Oſtertage habe Frau Reichenberger ihren
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Quartiergäſten Blumen gebracht, der Gemahl ſei aber den ganzen Tag im Bette geblieben, „um den Meſſias zu erwarten.“ — „Ein hohler Leuchter wurde ihm gebracht, den er öffnete und die darin ſtehenden Schüſſeln an ſeine Hausleute verteilte.“
Die weiße Frau kommt auch in Regensburg wieder aufs Tapet. Ein Militär erinnert ſich, ſie im Baireuther Schloß ge— ſehen und faſt den Tod davon getragen zu haben; einer der Wagenhalter iſt im Billardzimmer geweſen, als fie durch das⸗ ſelbe ging. „Nun, wir ſind nicht mehr in Baireuth,“ beruhigt ſich Prinzeſſin Amalie.
Größere Sorgen machen ihr die Nachrichten aus Dresden, das damals nicht mehr ganz Feſtung und doch auch noch nicht ganz offene Stadt war, und das die Franzoſen gegen die von Oſten heranrückenden Ruſſen und Preußen dennoch zu be— haupten ſich anſchickten. Die Prinzeſſin iſt außer ſich; man ſchreibt ihr nur „von Bleſſierten, Kranken und Sterbenden.“ Vor Trauer vermag ſie nicht zu eſſen. „Als die Briefe aus Dresden geleſen wurden, hielt ich mich vor Angſt an einem Stuhl feſt.“
Es war im Werke, die Elbbrücke zu ſprengen, und man weiß, wie die Dresdner Bevölkerung ſich durch dieſes Vorhaben bis zu Handgreiflichkeiten gegen die damit betrauten franzöſiſchen Mineure hat hinreißen laſſen. Auch im Kreiſe der prinzlichen Kinder konzentriert ſich mehre Tage lang das ganze Intereſſe auf die Frage: Wird dies Unerhörte wirklich geſchehen? bis dann die vollendete Tatſache berichtet wird und alle mit Un⸗ willen erfüllt.
„Mein geliebter Nachtwächter,“ heißt es dazwiſchen, „der Tags vorher weggeblieben, ließ ſich wieder hören,“ vermutlich ein Klang, der an das trauliche Rufhorn des Pillnitzer Nacht⸗
wächters gemahnte und Heimat-Gedanken wehmütiger Art wach rief.
„Ich habe heute morgen ein recht armes Begräbnis ge⸗ ſehen,“ heißt es ein anderes Mal; „der Tote lag unter einem einfachen ſchwarzen Tuche, aber an 30 Frauen folgten nach und weinten.“
Mit ſeltſamen Gefühlen mag inmitten der Sorgen und Angſte dieſer ſchweren Zeit ein Geſchenk empfangen worden ſein, das die Kaiſerin Marie Luiſe aus Paris ſendete: Einen präch⸗ tigen Spieltiſch für die kleine Prinzeſſin Joſepha.
Dennoch galt es allerdings, die Kinder zu beſchäftigen und auch die belehrenden Beſuche in und um Regensburg mit an⸗ regenden Zerſtreuungen wechſeln zu laſſen; ſelbſt Prinz Anton mußte dabei mit helfen, ſo wenig er dazu aufgelegt ſein mochte. „Cher oncle ſpielte bei chère tante Sprichwörter mit uns,“ heißt es im Tagebuch, „was ſehr amüſant war.“ Baron von Weſſenberg erſinnt ſogar „ein neues Sprichwörterſpiel.“
Auch Prinz Max fügt ſich den Bitten eines Malers, ihm zur Erprobung einer abkürzenden Porträtier-Methode einige Sitzungen zu gönnen, und läßt ſich für den Fürſt-Abt von St. Emeram, bei welchem er Quartier hat, malen.
„Der Künſtler bedient ſich dazu,“ wie die Prinzeſſin be⸗ richtet, „eines Flors und nimmt durch dieſen die Konturen des Geſichts.“ Die neue Erfindung wird dann ſofort auch noch zur Vervollkommnung lebender Bilder verwertet. „Wir machen Tableaus vor der Camera lueida des Prälaten von Prächt⸗ lingen,“ heißt es im Tagebuche. Ein anderes Mal führt man Adelheid von Burgau als Pantomime auf; auch ſpielt man Doktor Fauſtus. |
Unter den vielen Sehenswürdigkeiten Regensburgs, welche das Tagebuch erwähnt, ſei hier nur der Brücke und auf der⸗
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ſelben der drei ſteinernen Tierbilder gedacht, des Hahns, der Katze und des Hundes; wie die Prinzeſſin erfährt, ſind es die Porträts der erſten drei Brückenpaſſanten, durch deren Hinüber⸗ treiben der Baumeiſter den Teufel geprellt haben ſoll, da der Teufel ſich bei ſeinem Pakt mit dem Baumeiſter nicht ausdrück⸗ lich drei Menſchen als die erſten Paſſanten ausbedungen hatte. Im Gleichen der Statue eines Maurers auf der nämlichen Brücke, angeblich eines Schülers des Erbauers des Domturmes. Dieſer, ſo berichtet die Sage, ſtürzte ſich von dem Turme herab, aus Verdruß über den Schüler, der den Bau der Brücke früher beendet hatte, als er, der Meiſter, den Bau des Turmes. Auch das Standbild des Meiſters iſt auf dem Turme angebracht und das des Schülers blickt von der Brücke höhnend zu ihm auf. Über die Volkstracht heißt es: „Die Weiber find hier zu Lande abſcheulich angezogen. Die Röcke ſind enorm dick und kurz, ſodaß ſie ganz viereckig ausſehen. Einen dergleichen ſteifen Latz auf der Bruſt, deſſen Spitzen herausſtehen. Hölzerne Achſeln, hölzerne Hüften, um ihre Körbe zu tragen, was ſie ganz un— förmlich macht. Bei manchen hängt ein falſcher Chignon an der Haube, der oft von anderer Farbe, als die der Haare des Scheitels iſt.“
Inzwiſchen hat der Übertritt des Königs von Sachſen nach dem verbündeten Bayern ſtattgefunden und am 30. März nach⸗ mittags 5 Uhr trifft er in Regensburg ein, nachdem durch „einen Privatſpaß von Gaſſenjungen“ ſchon eine gute Weile vorher ganz Regensburg auf die Beine gebracht worden war; ſie hatten ſich nämlich in den Dom geſchlichen und vorzeitig das Signal zum Läuten aller Regensburger Glocken gegeben.
Zur Begrüßung des ſächſiſchen Monarchen kommt der König von Bayern mit dem (zweiten Sohn des Königs, dem achtzehnjährigen) Prinzen Karl am 3. April nach Regensburg
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und bleibt bis zum 5. „Er iſt nicht mehr jung,“ merkt die Prinzeſſin über den König Maximilian Joſeph an, „ſcheint aber ſehr gut und freundlich; der Prinz Karl iſt ſehr artig und ganz natürlich.“
Noch geſchieht eines preußiſchen Generals Erwähnung, der am 15. April dem König Friedrich Auguſt einen Brief über⸗ bringt und am 16. wieder abreiſt; vermutlich die am 9. April von Friedrich Wilhelm III. aus Breslau an Friedrich Auguſt gerichtete und durch General von Heiſter überbrachte Aufforder⸗ ung zum Abſchütteln ſeiner Rheinbundpflichten, einer Aufforder⸗ ung, welcher Friedrich Auguſt bekanntlich nicht entſprechen zu dürfen glaubte, teils weil Sachſen dann bei einem ſiegreichen Wiedervordringen Napoleons und ſeiner übrigen Rheinbund⸗ Verbündeten um den letzten Reſt ſeiner Selbſtändigkeit kommen mußte, teils weil ihm eine durch Sachſen verſtärkte Vermittler⸗ rolle Oſterreichs ein minder ſchroffer Weg ſchien, um die Rhein⸗ bundsfeſſeln abzuſtreifen.
„Eines unſerer (Brief-) Pakete,“ heißt es nach dem Ein⸗ treffen von Dresdner Briefen, „iſt in die Hände des Minifters Freiherrn von Stein gefallen.“
Am 17. verlautet, daß Napoleon die zwei ſächſiſchen Kavallerie-Regimenter verlangt, welche in Regensburg weilen. „Wie wird ſich das alles entwirren!“ ruft die Prinzeſſin aus.
In der That hing viel davon ab, ob es gelingen werde, die von dem König von Sachſen mit dem Kaiſer von Oſterreich angeknüpften Unterhandlungen zum Abſchluſſe zu bringen, ehe dem Verlangen Napoleons entſprochen zu werden brauchte. Einſtweilen ſuchte Friedrich Auguſt der Forderung Napoleons dadurch zu begegnen, daß er es ſeiner königlichen Würde für angemeſſen erklärte, ſich nicht ganz von Truppen zu entblößen.
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Am 19. ſchreibt die Prinzeſſin denn auch: „Die verlangten Regimenter bleiben zur Eskorte des Königs.“
Daß die Dinge einer raſchen Entſcheidung entgegenreiften, war dennoch klar. Wohin aber die königlichen Angehörigen ſich demnächſt zu wenden haben würden, bleibt längere Zeit eine offene Frage. Oſterreich iſt wegen der von weitem in Ausſicht genommenen Beteiligung an dem ruſſiſch-preußiſchen Vorgehen noch zu keinem Entſchluſſe gelangt oder hat ſeine Rüſtungen noch nicht genügend gefördert. Einſtweilen iſt es noch neutraler Boden, und ſo ſtehen denn Salzburg, Linz,
Prag abwechſelnd als Reiſeziel in Ausſicht.
Am 20. April reiſt das ſächſiſche Königspaar unter dem Geläute aller Glocken nach Linz voraus, und tags darauf folgen die beiden Brüder des Königs mit den Ihrigen.
Die zweite Poſtſtation war Straubing. „Ich hatte mit Alex (Piatti) ausgemacht,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „daß wir das Monument der Agnes Bernauer aufſuchen wollten. Es iſt da⸗ bei auch das Monument zweier Frauen, die ſich im Duell ge— tödet. Aber eine Menge ſächſiſcher Generäle, die wir dort fanden, hintertrieb es. Das Monument ſoll eine kleine Kapelle an der Donau ſein, und eine halbe Meile weit dahin zu gehen; deshalb ließ man uns nicht hin und wir hatten dafür das Ver⸗ gnügen, eine Stunde im Orte zu warten, bis die Wagen ge— ſchmiert waren. Unſer Weg führte uns nicht einmal über die Brücke, von welcher Agnes Bernauer hinabgeworfen worden.“
Einigermaßen entſchädigt dafür die an Naturgenüſſen ſo überreichlich ſpendende Gegend, durch welche die weitere Reiſe geht, und in deren Beſchreibung die Prinzeſſin ſich wieder als eine unermüdlich aufmerkſame Beobachterin bekundet. Linz ge— fällt ihr dann ungemein. „Die Stadt iſt allerliebſt, regelmäßig
gebaut, die Häuſer meiſt ohne (hohe) Dächer nach italienischer Art. 14
Die Unterkunft erweiſt ſich dagegen diesmal als es anmutig; ebenſo die Veranſtaltungen zur Verpflegung. „Ich war entzückt,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „denn das Quartier, eine Wollenfabrik in der Vorſtadt, bot die prächtigſte Ausſicht auf die Berge und die Donau. Aber chere tante M. A. hatte für die Mängel der Wohnung ein ſchärferes Auge und erklärte ſo⸗ fort, hier könne man nicht bleiben. In der That fehlte es für die Leute an Betten, auch das auswärts von dem Koch bereitete Diner ließ ſich nicht herbeiſchaffen, ſo daß nach einem Gaſt⸗ hauſe um Hilfe aus der Not geſchickt werden mußte, ein ebenſo erfolgloſes Auskunftsmittel.“ Und weiter geſteht ſelbſt die Prinzeſſin trotz ihrer Freude an der ſchönen Ausſicht auf Fluß und Berge: „Ich hatte den ganzen Tag nichts gegeſſen und ſtarb vor Hunger. Abbé Matthieu riet mir, von ein paar ſteinharten Semmeln, die uns geblieben waren, etwas in roten Wein zu tauchen, was ich that und worauf ich ganz drehend wurde. Endlich tröſtete uns alle die Suppe. Alex blieb aber wütend und meinte, wir wären hier wie weggeſetzte Katzen. Ich bat ihn, bei den Katzen den Plural wegzulaſſen.“
Tags darauf dämmert eine Hoffnung; es heißt: Graf Marcolini werde den Gäſten der Wollenfabrik ſein ſchönes Stadtquartier abtreten; allein „de compliment en compli- ment wird nichts daraus.“ Um ſo gefälliger iſt der Groß⸗ prior von Linz; er ſtellt ſeine Equipage zur Verfügung, und unter Führung ſeines kundigen Dieners Hans Jürge wird nun mancher Ausflug unternommen.
Wiederum trifft ein franzöſiſcher Kurier ein und „der Puls des Königs verrät, daß die Botſchaft keine angenehme ge⸗ weſen iſt.“
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Tags darauf, am 25., reiſt der König unter Glockenläuten und Kanonendonner nach Prag ab, und jetzt erfährt die Prin⸗ zeſſin, Napoleon habe zwar die Reiſe des Königs nach Linz „nicht getadelt, aber nochmals die zwei Kavallerie-Regimenter begehrt.“ |
Am 26. begiebt fich das königliche Paar auf die Reiſe nach Prag. Sie berühren Budweis, wo im Schloſſe des todkranken Biſchofs, Graf Schafgotſch, auf deſſen Wunſch Nachtquartier genommen wird; dann kommen ſie nach Könopiſch, wo ſie ſich der Gaſtlichkeit des Grafen Swirby erfreuen, eines wohlthätigen
alten Hageſtolzen, „der ſo häßlich iſt, daß er ledig geblieben,
weil er überzeugt war, nur ſein Reichtum könne ihm eine Frau verſchaffen.“
Am 28. wird Prag erreicht, nachdem die Reiſenden kurz zuvor freudig überraſcht worden waren durch die Begrüßung des Großherzogs Ferdinand von Würzburg, damals 44 Jahre alt, verwitwet ſeit 1802. Über ſeine drei Kinder ſchreibt die Prin⸗ zeſſin: „Luiſe iſt wie immer, Thereſe ſchöner geworden, Leopold (der ſpätere Großherzog von Toscana) iſt gewachſen.“ — Wieder hat die Kaiſerin von Frankreich eine Sendung gemacht: „Aller- liebſte Zeuge.“ Ebenſo werden der Prinzeſſin in der Schloß— Bibliothek zwei prächtige Bücher gezeigt, welche Marie Luiſe der Bibliothek ſchenkte, ein naturhiſtoriſches Werk und „Le musée Napoleon.“ | |
Die auch hier wieder ſich darbietende Anregung zu Geſell— ſchaftsſpielen und kleinen Aufführungen bleibt nicht ohne Früchte. Die Pantomime „die Danaiden“ wird im großen Schloßſaale des Hradſchin zum beſten gegeben; ein anderes Mal Iphigenie in Aulis; dann wieder Heinrich von Burgund und die Locanda. Auch werden die Muſikſtudien von neuem aufgenommen. Die
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Prinzeſſin hat in ihrem Zimmer ein mit Trompeten⸗ und Pauken⸗Pedal verſehenes Piano zu ihrer Verfügung.
Unter den zahlreichen Sehenswürdigkeiten, denen wiederum aufmerkſames Studium geſchenkt wird, ſeien erwähnt: Die Nachbildung eines Skeletts, die ein Bildhauer für die Kirche St. Georg auf dem Hradſchin in Stein anfertigen mußte, und zwar des Skeletts einer von ihm früher ermordeten Perſon in demſelben Zuſtande, in welchem man ſie bei Entdeckung des Mordes gefunden hatte. Ferner in der Kirche auf dem Wiſche⸗ rad das Bild des Herzogs Friedrich, den St. Peter geißelt, ein Traumgeſicht des Herzogs, angeblich durch ſein Einziehen der Kirchengüter veranlaßt. Dann in dem Clammſchen Garten das Monument eines Lieblingspferdes („das Gefäß, aus wel⸗ chem es ſpeiſte, iſt oben; vorn ſein Kopf und auf den Seiten die Sporen“) und eines Sperlings „mit deſſen Bild en bas relief.“ Endlich ebendaſelbſt zwei Statuen: ein Weib, das einem Manne einen Korb mit Liebesäpfeln reicht. „Darunter ſtand vor drei Jahren in franzöſiſchen, deutſchen und böhmiſchen Verſen eine Inſchrift ungefähr dieſes abſcheulichen Inhalts:
Weib, du reichſt mir Früchte von ſchönem Ausſehen, aber bitterem Geſchmacke, welche dein Bild find. Dein Außeres iſt ſchön, aber dein Inneres taugt nicht.
Wir hatten damals darunter geſchrieben:
Dies iſt eine Lüge.
Graf Clamm hatte das gefunden und die Schmähung in ein Kompliment für die Damen verwandelt.“
Bei den Karmeliterinnen ſieht die Prinzeſſin auf dem Tiſche, an welchem dieſelben ſpeiſen, einen Totenkopf, und erfährt in
betreff der ſonſtigen Karmeliterregeln, daß die Nonnen täglich nur während zweier Stunden mit einander ſprechen dürfen, daß
fie niemals Fleiſch und Freitags auch weder Butter noch Eier eſſen.
Ausflüge in die Umgegend werden diesmal nur ſpärlich gemacht oder wenigſtens wird vermieden, daß von denſelben Notiz genommen wird. So iſt die Prinzeſſin eines Abends mit den Ihrigen in Bubeneg, doch entfernen ſie ſich, ehe das dort veranſtaltete Feuerwerk beginnt. „Man fand nicht ſchick— lich, daß wir es ſähen in unſeren jetzigen Verhältniſſen.“
In der That konnte eine Entſcheidungsſchlacht, wie man aus Sachſen und Thüringen meldete, nicht lange mehr aus⸗ ſtehen, und günſtige, wie ungünſtige Gerüchte — aber was waren günſtige? — ſchwirrten umher.
Am 2. Mai ſchreibt die Prinzeſſin:
„Man ſagt, Napoleon ſei in Naumburg und die Schlacht (in der That fand am ſelben Tage die für die Preußen und Ruſſen ſo verluſtbringende Schlacht bei Lützen ſtatt) kann jetzt ſchon geſchlagen ſein. Mein Gott! Mit welchem Erfolge? Und wie viel Blut wird in jedem Falle gefloſſen ſein!“
Und am 4. wieder:
„Ein Kurier brachte die Nachricht, daß Napoleon in Weimar angekommen ſei, wo er der (herzoglichen) Familie viel Freund— ſchaft erwieſen und die Herzogin umarmt habe.“
Nach den Memoiren des Herzogs von Raguſa hatte be— kanntlich Napoleon nach dem Siege von Lützen gegen Duroc ſich der triumphierenden Worte bedient: „Jetzt bin ich wieder Herr von Europa!“ Und den Herzog von Weimar hatte er beauftragt, dem Könige von Sachſen zu melden, Napoleon be— ſtehe darauf, daß Friedrich Auguſt ſich für oder wider ihn er— kläre; ſei letzteres der Fall, ſo werde derſelbe alles verlieren.
Am g. hört die Prinzeſſin dann, Napoleon ſei wieder in Dresden, und der König werde tags darauf um 4 Uhr morgens
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dahin abreiſen müſſen. Wie man weiß, hatte der franzöſiſche Oberſt von Montesquiou dem Könige ein Ultimatum Napoleons überbracht, welches dem Könige nur zwei Stunden Bedenkzeit ließ, nach deren Ablauf Sachſen als erobertes Land 1 werden ſollte.
Am 10. verzögert ſich die Abreise bes Königs bemöch in in auffälliger Weiſe und der angeſpannte Wagen bleibt ſtunden⸗ lang vor der Thüre ſtehen. Um 9 Uhr morgens endlich reiſt der König ab.
„Man ſagte uns,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „daß ein un kommener Kurier und eine Konferenz mit den Miniſtern der Grund der Verzögerung geweſen ſei. Später erfuhren wir es beſſer. Der arme König hatte auf entſcheidende Nachricht von Oſterreich gewartet und dieſe war ausgeblieben. — Es heißt, daß trotz aller Bitten des Königs Miniſter Senfft ſeine Ent⸗ laſſung begehre und die vakante Stelle des Miniſter Hopfgarten, die der König ihm geben wolle, ausgeſchlagen. Thielemann (der Kommandant von Torgau) und Langenau (der ſächſiſche Unterhändler wegen der Anknüpfung mit Oſterreich) haben auch ihre Entlaſſung verlangt. Das alles iſt mir ein Rätſel.“
Die Senffts, heißt es weiter, werden ſich in Steiermark etablieren. Sie haben, um die Reiſe zu beſtreiten, ihre Equi⸗ pagen und viele Effekten verkauft. „Man ſagt, er habe die Penſion ausgeſchlagen, die der König ihm geben wollte. Sie nehmen beide die Achtung aller Redlichen mit ſich.“ Be⸗ kanntlich trat Graf Senfft von Pillſach in den öſterreichiſchen Staatsdienſt über; er ſtarb 1853 in Innsbruck. Langenau iſt 1840 als öſterreichiſcher Feldmarſchallleutnant geſtorben, Thiele⸗ mann 1824 als preußiſcher General.
Unterm 13. Mai kommen Nachrichten nach Prag über die Ankunft des Königs in Dresden. Er hatte ſich in Teplitz auf⸗
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gehalten und wieder dann auch in Sedlitz, von wo er endlich am 12. um 10 Uhr der nicht länger aufſchiebbaren Zuſammen⸗ kunft mit Napoleon entgegenfuhr.
„Napoleon,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „war ihm bis in den Großen Garten entgegengeritten, von wo ſie beide zu Pferde ſich nach der Stadt begaben. Der Magiſtrat wollte eine Rede halten, allein Napoleon unterbrach dieſe und ſprach ſelbſt, den Bürgern erklärend, welchen Dank ſie dem Könige ſchuldig wären, daß er zurückgekommen, denn im entgegengeſetzten Falle hätte er (Napoleon) Sachſen als ein erobertes Land behandelt.“
Am 13. hört die Prinzeſſin, daß mehrere (ſächſiſche) Offiziere
verſchwunden ſeien, vermutlich, um in ruſſiſchen Dienſt zu
treten. | |
Am 20. reift die Königin nach Dresden ab und am 21. folgen die Prinzen und Prinzeſſinen, erhalten aber unterwegs die Nachricht, daß ſie vorläufig nur bis Teplitz fahren ſollen. Sie waren im Geiſte ſchon in der Heimat geweſen. Jetzt, in Teplitz angelangt, hören ſie täglich Neues über den traurigen Zuſtand, in dem ſich Dresden und ſo viele Gegenden des ſchwer heimgeſuchten Landes befinden. Welcher Kontraſt gegen die friedliche, frühlingsblühende Natur, die ſie umgiebt! „Ach, wie wird es in unſerm armen Sachſen ausſehen!“ ſeufzt die Prin⸗ zeſſin.
Nach vielen Widerrufen der Gerüchte vom Zuſtandekommen eines Waffenſtillſtandes erhält man endlich über letztern Gewiß⸗ heit und ſo darf am 10. Juni nach Dresden aufgebrochen werden. Bald iſt Sachſens Grenze erreicht.
Vierter Abſchnitt.
Wieder daheim.
4 (Juni bis November 1813.) CR N: freute ich mich, als ich Sachſen betrat,“ ſchreibt die „Prinzeſſin, „all die bekannten Gegenden durchfuhr und Pillnitz von Weitem ſah, was ich ſo lange wie mög⸗ lich mit den Augen verfolgte. Die Elbe ſchien mir klein gegen die Donau ... Die Dörfer wimmelten indeſſen von franzö⸗ ſiſchen Truppen. Auf dem Jüdenhofe (in Dresden) ſtanden Weſtfälinger. Statt der Schweizer war die Leibgarde im Schloſſe, wo wir abſtiegen. Mehrere Hofdamen erwarteten uns an der Treppe. Ich war ſo außer mir, daß ich alles umarmte.“ „Und hier ſchließt mein Reiſe⸗Journal,“ fügt fie hinzu; „Gebe der Himmel, daß ich nie eine Fluchtreiſe mehr zu unter⸗ nehmen brauche!“ Ein Wunſch, der nicht in Erfüllung ging. Es folgt die traurige Periode, während welcher die ge— ſcheiterten Verſuche des Königs von Sachſen, ſich den Umſchling⸗ ungen der napoleoniſchen Politik zu entziehen, zwar wiederholt wurden, aber vergeblich blieben, ſo daß ihn und die Seinen, wie auch das ganze Land erſt der Sturz des gewaltigen Imperators von dieſem drückenden und verhängnißvollen Banne befreite. Einſtweilen reſidiert Napoleon noch in Dresden und macht ſeine rückſichtslos autokratiſche Gegenwart in jeder Weiſe geltend. Aus dem Tagebuche der Prinzeſſin iſt folgendes entlehnt.
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Napoleon logierte in dem Marcoliniſchen Palais (dem jetzigen Krankenhauſe) in der Friedrichſtadt. Um 9 Uhr war lever. Zwei⸗ mal wöchentlich wurden die Prinzen Anton und Max dort ge- ſehen und den letzteren begleiteten dann ſeine beiden älteſten Söhne Fritz und Klemens.
Der König ſah Napoleon bald früh, bald nachmittags, aber auch nicht täglich. Sonntags ließ Napoleon einen Geiſtlichen zum Meſſeleſen nach dem Marcoliniſchen Palais kommen. „Der arme Geiſtliche,“ klagt die Prinzeſſin, „mußte aber oft bis nach⸗ mittag warten und zuletzt unverrichteter Dinge fortgehen.“ Man hatte im Palaisgarten ein kleines Theater gebaut und dasſelbe
mit Dekorationen ausgeſtattet. Anfangs gab man dort Auszüge
aus italieniſchen Opern. Dies gefiel dem Kaiſer aber nicht. Er ließ daher die Truppe des théatre frangais kommen und nun wurden kleine franzöſiſche Stücke geſpielt, zu welchen Auf⸗ führungen auch die prinzlichen Kinder eingeladen wurden, ebenſo die Hofdamen und Herren, bisweilen auch Perſonen aus der Stadt. Die Vorſtellungen begannen nach Napoleons Diner, zwiſchen 8 und 9 Uhr. Einmal in der Woche wurde von den Franzoſen auch im Hoftheater geſpielt. Dann begann man um 349, Oft ließ Napoleon ſagen, man ſolle auf ihn nicht warten. Kam er dann doch, ſo nahmen die Akteurs auf der Bühne, ſobald er in die Loge trat, die Hüte ab und verbeugten ſich. Das Theater war jedesmal illumi⸗ niert und alle Damen waren in Putz, aber in rundem Kleide, die Herren in Militär- oder Hof-Uniform. War keine franzöſiſche Komödie, ſo ſpielte im Hoftheater die Truppe des Joſef Seconda Operetten. „St. Prix,“ urteilt die Prinzeſſin in bezug auf die franzöſiſche Truppe, „iſt ein guter Akteur; er hat viel Würde und gefällt mir eigentlich mehr als Talma, der ſo ſehr raſt. Mademoiſelle George gilt für ſchön, mir ge— 6
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fällt ſie nicht. Sie iſt zu dick, ſchneidet Geſichter und ſingt im Sprechen. Die Komödien gefallen mir beſſer, als die Trauer⸗ ſpiele. Mademoiſelle Mars iſt vortrefflich. Fleury iſt ſchon ein wenig alt. Michaud und Baptiſte ſind amüſant. Mademoiſelle Bourgoing iſt hübſch, ſpielt aber ohne Geiſt. Der Liebhaber Armand iſt nicht übel.“ inf pi
„Wenn kein Theater iſt,“ fährt die Prinzeſſin fort, „gehen wir ſpazieren, gewöhnlich mit König und Königin, da die Pferde von cher oncle und Papa noch in Prag find, da es an Fourage fehlt. Die Neuſtadt haben wir alle nicht geſehen. Man ſagt, es ſeien dort fürchterliche Redouten und Paliſaden. Die Luft ſoll auch nicht gut ſein, da Lazarette dort ſind. Die Altſtadt ſieht ziemlich wie ſonſt aus, nur ſchmutziger, auch riecht es bisweilen übel wegen der todten Pferde, welche herum liegen. Alle Poſten, außer die im Schloſſe, ſind von Franzoſen beſetzt. Die Stadt wimmelt von Soldaten und alle Häuſer ſind voll davon. Das Palais im Großen Garten iſt zum Lazarett verwandelt, ebenſo die Neuſtädter Kaſerne. Das Herz blutet, wenn man die Bleſſierten ſieht, deren viele man ſchon auf Karren fortgeſchafft hat. Empörend iſt es, daß die Kommiſſare dieſe armen Leute vor Hunger und Not ſterben laſſen und daß ſie, was zur Pflege derſelben gegeben wird, ſelbſt die Arznei, zu ihrem eigenen Nutzen verkaufen. Man ſieht viele Bleſſierte, die ſich, faſt ſterbend, auf der Straße herum⸗ ſchleppen und um eine Gabe bitten, die man ihnen aber heimlich geben muß, ſonſt werden ſie von ihren Kameraden gemißhandelt. — Die ſchönſten Baumſtämme werden herbeigeſchleppt, um Paliſaden daraus zu machen. Man hört beſtändig trommeln. Dresden iſt wieder zur Feſtung geworden. Napoleon ſtreift häufig in der Gegend herum und läßt, was möglich iſt, be⸗ feſtigen. Er hat einige Felſen ſprengen laſſen, um Wege zu
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bahnen. Es ift zu verwundern, daß die Hungersnot nicht noch größer. Der Kommandant Durosnel ſoll das Tafelgeld aus⸗
geſchlagen haben und ſucht die Stadt, ſoviel er dunn, zu er⸗ leichtern. 2
Unter den von der franzöſiſchen Truppe aufgeführten Stücken find zu nennen: Phedre, P'avare, le barbier de Seville, les etourdis, le N sans le savoir, tartuffe, la jeunesse de Henri Cing. ragt
Die Verfaſſerin des Tagebuch und ihre Schweſter, 1 7 zeſſin Marie, finden den ihnen auferlegten Zwang, dieſen Auf- führungen immer beizuwohnen, allmälig läſtig; ſie machen daher den Verſuch, ſich von den Theaterbeſuchen zu dispenſieren und laſſen ſich bei Napoleon entſchuldigen. Er nimmt es aber übel, und ſo müſſen ſie ſich wieder einfinden. Der Prinzeſſin Thereſe verehrt er mit einem „ſehr artigen Billet“ ein Kupferjtich- Porträt der Kaiſerin Marie Luiſe.
Mit unglaublicher Geſchwindigkeit macht er bald hier bald dorthin Ausflüge, bis in die Lauſitz hinein und ebenſo nach Torgau. Einmal läßt er ſeinen Beſuch plötzlich abends 8 Uhr bei der Königin anſagen und die ganze königliche Familie muß ſich daſelbſt einfinden. Als er kommt, verbirgt die Königin
ihm nicht, daß fie ſeinen Beſuch als ein Zeichen anjehe, er
wolle das unglückliche Dresden ſich wieder einmal ſelbſt über- laſſen. Er verſichert indeſſen, noch nicht abreiſen zu wollen. Faſt eine Stunde bleibt er „und iſt ſehr luſtig.“ Aber in derſelben Nacht, um 2½½ Uhr früh (den 25. Juli) fährt er aus dem Weißen Thore hinaus und kommt für jetzt nicht wieder.
Unter den während ſeiner Anweſenheit in Dresden ge— weſenen Gäſten iſt der Herzog von Weimar, Prinz Emil von Darmſtadt und der König Jerome.
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Später ſtellt ſich heraus, daß Napoleon nach Mainz gereiſt iſt und zwar in nur 43 Stunden, eine damals unerhört raſche Fahrt. Der Kurier, welcher dieſe Nachricht bringt, hat 5 bis 6 Stunden längere Fahrt gehabt.
Aus manchen kleinen Zügen, über welche die Prinzeſſin berichtet, geht hervor, daß die unſicherer werdende Stellung Napoleons ſein ſonſt ſo herriſch rückſichtsloſes Benehmen ins Gegenteil umgeſtimmt hat. Dem Könige bewilligt er auf deſſen Bitte „etwas Wichtiges“ — man weiß nicht was — und zwar in „den ſchmeichelhafteſten Ausdrücken.“ Der Stadt Leipzig erläßt er nicht nur die ihr auferlegte Kontribution; den bereits bezahlten Teil derſelben erhält ſie auch ſogar zurück.
Die Ungewißheit, ob der bis zum 16. Auguſt vereinbarte Waffenſtillſtand zum Frieden führen oder wieder von dem Kriege abgelöſt werden wird, bedrückt einſtweilen alle Gemüter. „Man ſagt, das Lager vor dem Schwarzen Thore ſei prächtig,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „es kann ſein, aber ich mag nichts gern ſehen, was auf Krieg deutet.“
Am 4. Auguſt früh 10 Uhr iſt Napoleon plötzlich wieder in Dresden. „Die Glöckchen der Maultiere, welche ſein Gepäck trugen,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „verkündigten uns jedesmal ſeine Ankunft, vor welcher wir erſchraken, weil wir gehofft hatten, der Kriegsſchauplatz werde ſich weiter von Dresden fortziehen.“
Die Maßnahmen, um die Bevölkerung mit ihrem Schickſal zu verſöhnen und ihr geſunkenes Vertrauen auf ſeine Unüber⸗ windlichkeit zu heben, begannen von neuem. Am 9. iſt fran⸗ zöſiſches Freitheater. Um für möglichſt Viele Platz zu ſchaffen, ſind die Bänke aus dem Parterre entfernt. Der Hof kommt nicht in die Vorſtellung und ebenſo auch nicht auf den am ſelben Abend gegebenen Ball bei dem franzöſiſchen Geſandten Serra. 102 Kanonenſchüſſe verkünden, daß man tags darauf —
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den 10. — den auf den 15. Auguſt fallenden Napoleonstag feiern wird.
Um 4 Uhr in der Frühe am 10. abermals 102 Kanonen⸗ ſchüſſe. Nachher Revue über 36,000 Mann Garde, Franzoſen und Polen. „Das ſchönſte Korps iſt die polniſche Garde. Was wir vor unſeren Fenſtern vorüberpaſſieren ſahen, war ſehr ſchön; gut equipiert; ſchöne Pferde. Aber die Franzoſen halten ſich ſchlecht darauf, obgleich ſie ſehr raſch reiten.“
Nach der Revue ſpeiſen die Truppen an langen Tafeln auf der Oſtrawieſe und in der Neuſtädter Allee; auch die ſächſiſchen Soldaten. „Jeder bekam doppelte Portion. Arme Leute! es freut mich, wenn ſie einen guten Tag haben; ſie leiden ſo viel!“
In der katholiſchen Kirche während deſſen großes Tedeum, wieder durch Kanonenſchüſſe angekündigt. Vor dem Hochaltar zwei lange Bänke, auf welchen die Großwürdenträger, Marſchälle, Generäle und der Geſandte Serra ſitzen; zwiſchen den Bänken, auf einem Samtfauteuil, der Prinz von Neufchatel. Unter den Marſchällen auch der ohnlängſt zu dieſer Würde erhobene Fürſt Poniatowski: „Alles höchſt impoſant.“
Abends 8 Uhr Bankett in dem Paradezimmer mit dem Thronhimmel. Prinzeſſin Amalie hat ihren Platz neben dem Fürſten von Neufchatel. Unter der Eſtrade ſteht die ganze Nobleſſe, die Damen auf der einen, die Herren auf der andern Seite, und zwar bis zum Schluſſe. Bei dem Anſtoßen auf des Kaiſers Wohl werden wieder Kanonen gelöſt. „Das ganze Zimmer zitterte, ſo daß zu befürchten war, es könne noch etwas herabſtürzen.“ Auch ſchon während des Soldaten-Diners gab es Kanonenſchießen. „Ich habe nie ſolchen Lärm gehört,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „in der Kirche ſind Fenſter davon ge⸗ ſprungen. Die Franzoſen laden fürchterlich, auch ſollen ihre Kanonen ſtärker als die unjrigen ſein.“
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Wie nicht anders zu erwarten war, hatte die auch unter den ſächſiſchen Truppen im Zunehmen begriffen geweſene Ver⸗ ſtimmung über die Waffenbrüderſchaft mit den Franzoſen unter dem Eindrucke der feſtlichen Bewirtung ſich, wenn auch nur vorübergehend, gemildert. Das Tagebuch berichtet über Vivat⸗ rufe, mit denen der Kaiſer bei ſeinem Rundritte durch die Reihen der obenerwähnten, nach der Revue reichlich traktierten Soldaten von dieſen begrüßt worden ſei und daß man dabei Gläſer und Teller in die Luft geworfen habe. Napoleon hatte, als guter Menſchenkenner, auch die Quartierwirte der Soldaten an dem Freieſſen mit teilnehmen laſſen, ſowie er auch bereits am Mor⸗ gen beim lever ſich beſonders liebenswürdig mit den Dresdner Bürgermeiſtern unterhalten hatte, dieſelben Herren, denen er vor wenig Monaten das Wort abſchnitt, als ſie ihren aus Prag zurückkehrenden Landesherrn begrüßen wollten.
Am Abend des Napoleon-Tages findet das herkömmliche großartige Feuerwerk auf der Elbe ſtatt. Den Mittelpunkt bilden die Namenszüge Napoleons und Marie Luiſens. Sonderbar machte ſich's dabei, daß zuletzt von allen Seiten Leuchtkugeln auf die Chiffren fielen und ſie auslöſchten. „Mir kam es vor,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „wie eine Vorbedeutung.“ Glücklicherweiſe hatten einzig franzöſiſche Feuerwerker die Katz ſo ominös veranſtaltet.
Da an dieſem letzten Dresdner Glanztage Napoleons außer den ſchon erwähnten Tafelgenüſſen ſolche auch noch durch offizielle Diners bei dem Geſandten Serra, bei dem Herzog von Baſſano, beim Finanzminiſter Daru, bei dem Chef der Garde, General Friant, und endlich im Hotel de Pologne (das Kouvert zu einem Napoleondor) zugänglich geweſen ſind, ſo ſchließt die Prinzeſſin ihren Bericht mit den ironiſchen Worten: „Wenig⸗ ſtens wird heute nicht zu wenig gegeſſen.“
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Bald darauf zeigt ſich, daß es dem Kaiſer nur darauf an⸗ gekommen iſt, alle Welt über die bedrohlicher werdende Lage ſeiner Machthaberſchaft zu täuſchen. Am 12. Auguſt trifft die Nachricht ein, Preußen habe den Waffenſtillſtand gekündigt, ebenſo Rußland. Über Oſterreichs Entſchluß fehlt noch Ge— wißheit. Es wird wahrſcheinlich, daß der Hof Dresden aber— mals verlaſſen muß. „Cheère tante Eliſabeth,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „bleibt auf jeden Fall in Dresden. Der chere tante M. A. ift durch eine Konſultation von drei Ärzten erlaubt worden zu reiſen, da fie nicht die Energie der chère tante Eliſabeth hat, und ihr Moraliſches, wenn ſie ſich hier allein ſähe, zu viel leiden würde.“ — „Um 7½ abends,“ heißt es am 13. weiter, „ſagte uns General Forell, daß wir ins Schloß kommen ſollten, wo wir Napoleon dann bei der Königin ſahen. Er ſchien wegen der Kaiſerin bekümmert, daß er gegen Dfter- reich Krieg führen ſollte, und erzählte von den Maßnahmen, die er getroffen habe, daß es ihr ſchonend beigebracht werde. Zu chère tante ſagte er:
„La princesse Therese sera fach&e contre moi, parce-
que je fais la guerre à sa famille, mais elle doit y &tre accoutumèe.“
Worauf ſie erwiderte:
„On ne s’accoutume pas à ces choses la.‘
Als charakteriſtiſch für die Nonchalance, in der er ſich auch jetzt noch gehen laſſen zu dürfen glaubte, wird der Zuſatz zu betrachten ſein, er habe, während er jene Worte ſagte, auf einem Beine geſtanden und mit dem anderen auf einem Stuhle auf⸗ geknieet. |
Inzwiſchen hatte Napoleon noch nicht die Hoffnung auf- gegeben, Oſterreich von einem kriegeriſchen Vorgehen zurückzu—
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halten, bis er mit ſeinen übrigen Gegnern fertig geworden ſein werde. Nachdem Murat am 14. eingetroffen und der Fürſt von Neufchatel nach dem Königſtein abgereiſt iſt, dringt Napo⸗ leon in den öſterreichiſchen General Bubna, er möge mit neuen Vorſchlägen in Eile nach Prag abreiſen. Trotz der Gicht des Generals muß ſich derſelbe fügen und gelangt denn auch nach 14 Schmerzensſtunden nach Prag.
Aber auf Abwarten der Antwort war es bei dieſem Schach⸗ zuge wohl kaum abgeſehen. Schon am 15. verrät die allſeitig zunehmende Bewegung, daß Gefahr im Verzuge iſt. Napoleon findet nicht mehr Zeit, um ſich von dem Könige zu verabſchieden. Zwiſchen 4 und 5 Uhr nachmittags verläßt er Dresden und fährt nach dem Königſtein, beſieht dann die Fortifikationen des Lilien⸗ ſteins bei Fackelſchein und trifft morgens um 2 Uhr in Bautzen ein. Murat wird am 16. durch einen Kurier abgerufen; Cou⸗ lincourt kommt am 16. von Prag zurück, ſpricht nur mit Mar⸗ colini und eilt dann Napoleon nach. Kommandant der inneren Stadt iſt Durosnel, Kommandant der Truppen iſt Freir d'Audrada, ein Portugieſe. Man läßt die äußeren Häuſer der Stadt räumen und vermauert die Fenſter, indem man in der Vermauerung Schießſcharten herrichtet.
„Gott gebe, daß wir wenigſtens in Dresden bleiben kön⸗ nen!“ ruft die Prinzeſſin inmitten ihrer Angſte und Sorgen.
Dieſer Wunſch iſt in Erfüllung gegangen und mußte in Erfüllung gehen, denn bei der veränderten Sachlage konnte Napoleon nicht daran denken, ſeinen Bundesgenoſſen, den König von Sachſen, von Dresden fort und aus dem Geſichtskreiſe der franzöſiſchen Generäle zu laſſen. Ohnehin näherte ſich der Krieg ja immer mehr der ſächſiſchen Reſidenz, und Napoleon ſelbſt verlegte fein Hauptquartier wieder dahin.
So rückte denn der Tag heran, wo Dresden abermals die
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Schrecken des Krieges ganz in der Nähe ſehen ſollte. Die Schlacht von Dresden fand bekanntlich am 26. und 27. Auguſt ſtatt. Man hat zahlreiche ſachkundige Berichte über den bluti- gen und für die deutſche Sache wenig günftigen Verlauf der- ſelben. Das Tagebuch braucht hier nicht im einzelnen berührt zu werden. Aus der Ferne haben die Kinder des Prinzen Max vom ſogenannten Feuerboden des Zwingertheaters aus am 27. Auguſt dem furchtbaren Schauſpiele zugeſehen. Tags zuvor hatte Prinzeſſin Amalie von den Schloßfenſtern aus einen Anblick gehabt, der ſich ihrem Gedächtniſſe auch fürs Leben ein⸗ geprägt haben wird: Napoleon zu Pferde an der Dresdner
Brücke haltend und das in einer der Vorſtädte entbrannte Ge⸗
fecht dirigierend. Bei einem vorausgegangenen Beſuche Napo⸗ leons im Schloſſe war ſie von ihm gefragt worden, ob das
Kanonenſchießen ſie erſchrecke, was ſelbſtverſtändlich im hohen
Grade der Fall war und ihrem unzarten Frager von dem ge- ängſtigten Mädchen wohl kaum noch erſt beſtätigt zu werden brauchte. Vielleicht freilich wollte Napoleon der Prinzeſſin Gelegenheit zu einer damals wenigſtens bei den Napoleoniden herkömmlichen Bravade geben; hat doch auch ſeine Schweſter, die Gattin des Königs Murat, als ſie 1815 im Golf von Neapel auf einem engliſchen Kriegsſchiffe Schutz gefunden hatte, dem Kommandanten desſelben auf ſeine entſchuldigende Bitte: ſie möge nicht erſchrecken, das Schiff mit dem alten Könige von Neapel ſei in Sicht und werde gleich mit Kanonenſchüſſen ſalutiert werden — die ſtolze Antwort gegeben: „Dieſer Schall iſt der bonapartiſchen Familie weder neu, noch unangenehm.“ Aus den Wochen nach der Schlacht von Dresden nur einige abgeriſſene Notizen. Beiläufig wird am 18. September die Plünderung des Sonnenſteins (bei Pirna) durch die Fran⸗ zoſen und die Entfernung der dort in Verwahrſam gehaltenen
Irren erwähnt; ebenſo am 19. die Wegnahme der in Lohmen gezüchteten königlichen Merinoſchafe durch polniſche Koſaken.
Am 1. Oktober ſtürzt Napoleon (auf der pirnaiſchen Gaſſe) mit dem Pferde und die zum 2. angeſetzte Revue wird abgeſagt; erheblichen Schaden ſcheint er aber nicht genommen zu haben.
Inzwiſchen hatten ſich bekanntlich ſchon ſeit ausgang Auguſt die Verhältniſſe von Tag zu Tag mehr zu Ungunſten Napoleons gewendet. Bülow war am 23. Auguſt bei Groß⸗ beeren Sieger geblieben, Blücher am 26. Auguſt an der Katz⸗ bach. Am 30. war Vandamme bei Kulm durch Kleiſt geſchlagen worden, wiederum durch Bülow bei Dennewitz am 6. Sep⸗ tember Ney. Schweden hatte ſich den Verbündeten zugeſellt. Bayern, weniger eingeengt als Sachſen, bereitete ſeinen Abfall von der Sache Napoleons vor.
Unter ſolchen Umſtänden hatte der Kaiſer alle Urſache, ſich der Perſon des Königs von Sachſen immer rückſichtsloſer zu verſichern. „Am 6. Oktober,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „war Napoleon bei der Königin, wo wir alle ihn ſahen. Es war das letzte Mal. Wir erfuhren, daß er den König mit ſich nach Leipzig führen werde. Wut der chere tante. Miniſter Maret wurde dem König beigegeben. Den 7. ging der Kaiſer um 6 Uhr mit ſeinen Garden fort, und um 7 Uhr der König, nach⸗ dem er um 5 die heilige Meſſe gehört hatte. Im erſten Wagen waren König und Königin. Vier Adjutanten zu Wagen, zwei zu Pferde. Die Leibgarde, polniſche Garde und weſtfäliſche Soldaten begleiteten den König. Der Herzog von Baſſano (Maret) folgte. | Prinz Anton und feine Gattin und ebenſo Prinz Max und ſeine Kinder blieben in Dresden zurück. Da dasſelbe jetzt hin⸗ reichend befeſtigt war und ſich gegen keine ſtarken feindlichen Heereskörper zu wehren hatte, ſo war es einſtweilen noch un⸗
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beſtrittener Beſitz der Franzoſen, nahm dadurch aber freilich ſpäter für die 30,000 Mann Beſatzung den Charakter einer Mauſefalle an.
Über das in der Stadt herrſchende Elend ſchreibt die Prin— zeſſin unter anderem:
„Die Krankheiten vermehrten ſich immer mehr. Auf den Straßen ſah man überall ſterbende Soldaten umherwanken. Das Orangeriehaus im Zwinger ſtak voll Gefangenen, welche Mützen, Handſchuhe und was ſie ſonſt als Beutel benutzen konnten, an Bindfaden herunterließen, um das Mitleid der
Vorübergehenden anzuſprechen. Wir begegneten eines Tages
bei Papas Garten einem jungen Franzoſen, der einen Arm ver- foren hatte und der mir ſagte, daß er aus dem Spitale heraus- geſchlichen, weil man dort ſeit drei Tagen kein Brot mehr habe.“
Wie völlig abgeſperrt ſelbſt der Hof durch die Maßnahmen des franzöſiſchen Stadtkommandanten von den draußen ſich er— eignenden Dingen war, geht aus einer Notiz hervor, nach welcher der für Napoleon ungünſtige Ausgang der großen Schlacht bei Leipzig erſt am 27. Oktober dem prinzlichen Kreiſe, und zwar auch nur erſt in ungenauen Umriſſen, bekannt wurde. Ein von Leipzig hergewanderter Handwerker war im Schloſſe der Überbringer dieſer mündlichen Nachricht geweſen.
Am 3. November kam dann ein offener Brief von dem als Gefangener nach Preußen gebrachten Könige mit der kurzen Meldung, daß er geſund und in Berlin ſei.
Am 5. große Bewegung. Die franzöſiſche Garniſon ſucht in der Freiberger Richtung zu entkommen.
Am 6. muß ſie mit ſtarkem Verluſte nach Dresden zurück. Prinzeſſin Thereſe beſtimmt durch ihre Fürſprache den öſter— reichiſchen General Klenau, nicht auf Bedingungen zu beſtehen,
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welche Dresden der Gefahr ausſetzen müßten, von den Fran⸗ zoſen bis aufs äußerſte verteidigt zu werden.
Am 11. kapituliert die Garniſon und zieht mit militäriſchen Ehren aus dem Freiberger Schlage hinaus, wo die Waffen niedergelegt werden; nur den Offizieren bleibt der Degen. Bald darauf Einzug der Ofterreicher und Ruſſen. Die Prin⸗ zeſſin und die Ihrigen atmen auf. Sie ahnen noch nicht, daß jetzt erſt jahrelange Drangſale für ſie im Anzuge ſind. „Es war ein ſchöner Augenblick,“ ſchreibt ſie, „der aber bald getrübt wurde.“
Am 17. kommt ein öſterreichiſcher Kurier — General Schulenburg — um ſeiten des Kaiſers die ſofortige Überſied⸗ lung der noch in Dresden weilenden Mitglieder des königlichen Hauſes nach Prag anzuraten. Am ſelben Tage bringt die Dresdner Bürgerſchaft der Prinzeſſin Thereſe eine Serenade und einen Fackelzug, als Dank für ihre erfolgreichen Bemüh⸗ ungen um eine unblutige Übergabe der ſchwergeprüften Stadt.
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Fünfter Abſchnitt.
In der Fremde. IN (November 1813 bis Juni 1815.)
l. den Trainpferden des Generals Klenau und einigen S. Dbsniglichen Pferden — Poſtpferde giebt es nicht —
wird am 19. die Reiſe im Morgengrauen nach Prag angetreten. Nur die jetzt faſt fiebzigjährige, aber immer zum Ausharren auf ihrem Poſten ſich berufen fühlende Prinzeſſin Eliſabeth bleibt zurück. „Die Gegend um Dresden,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „war zur Wüſte geworden, alle Dörfer ab— gebrannt, alle Bauern entflohen. In Zehiſta ſtand das (vor- mals Brühlſche) Schloß verödet, nur Stroh lag in den Zimmern umher. Wir fanden einiges dürre Holz, mit dem wir im Kamin Feuer machten, denn die Kälte war ſchneidend.“
Das Schloß war Militärſpital geweſen, und die Zimmer erfüllte ein atemverſetzender Geruch. Nachdem die Pferde aus— geruht hatten, ging es über Peterswalde langſam weiter. In Zehiſta waren Koſaken geweſen; jetzt mußten die Reiſenden ſich mit dem Anblick von Baſchkieren befreunden, „welche ſchiefe Augen und aufgeſtülpte Naſen haben.“ Auch hier iſt ringsum alles vom Kriege verwüſtet.
Um 5 Uhr abends wird Teplitz erreicht. Aber die Bran⸗ cards ſind wegen Pferdemangel zurückgeblieben. „Wir hatten keine Wäſche zum Wechſeln, nicht einmal Taſchentücher. Ich
hüllte mich in Mantel und Shawl, um mich ins Bett zu legen, weil chère tante den Gaſthofbetten wegen der Epidemie nicht traute.“
In der Frühe des nächſten Tages geht es nach Prag weiter; der Himmel iſt noch voll Sternen und die Kälte empfindlich. Mit wenig Unterbrechungen wird den ganzen Tag gefahren. Die Landſtraßen ſind faſt überall verdorben. Um Mitter⸗ nacht endlich wird Prag erreicht. Das vor drei Jahren von den Reiſenden in der Burg bewohnte Quartier nimmt M wieder auf.
Es beginnen jetzt die Sorgen um das Ergehen Dresdens von neuem. Die Kapitulation, ſo heißt es, ſoll, als zu günſtig für die Franzoſen, rückgängig gemacht werden, und man fabelt von der bevorſtehenden Wiederübergabe der Stadt an die Franzoſen. General Klenau iſt durch General Chatelet erſetzt worden. Die Wiederübergabe beſtätigt ſich natürlich nicht.
Von dem Könige, der Königin und ihrer, die Gefangen⸗ ſchaft teilenden Tochter, der Prinzeſſin Auguſte, gehen hin und wieder kurze Nachrichten aus Berlin ein. Der König hat ſich ſeine Bibliothek aus Dresden ſchicken laſſen. „Die Prinzeſſin⸗ nen von Preußen beſuchen die Königin bisweilen. Es iſt die einzige Geſellſchaft der Königin. Abends leſen oder ſtricken die Königin und Kouſine beim Könige.“ ER
Unter vereitelten Hoffnungen und trüben eie geht das Jahr zu Ende.
Auch das Jahr 1814 verläuft nicht günſtiger. Wieder wird erwähnt, die preußiſche Königsfamilie habe für den König und die Königin „viele Attentions.“ Inſonderheit gedenkt das Tagebuch, im weiteren Verlauf der Ereigniſſe, in ſolchem Sinne auch der anteilvollen Haltung des Prinzen Wilhelm, des Bruders König Friedrich Wilhelm III. Aber was aus Sachſen
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werden wird, bleibt eine offne Frage. Unterm 4. Mai, heißt es, „der König hat an die Alliirten geſchrieben, aber ſein Brief iſt, wie die früheren, unbeantwortet geblieben.“ Dann kommt ein Gerücht auf: Man wolle dem Könige einen Teil des Rhein— landes geben, und zwar mehr als den Umfang Sachſens; aber an Sachſen vor allem hängt doch das Herz des Königs und der Seinigen. „Was hülfe das alles!“ ruft die Prinzeſſin aus. Dann hat der König den Grafen Görz an den Kaiſer von Ruß⸗ land entſendet, um dieſen zu bitten, einen Ort zu beſtimmen, an welchem er ihn auf ſeiner Durchreiſe ſprechen könne. Alles vergebens. Erſt viel ſpäter meldet der König aus Berlin, er
habe den Kaiſer von Rußland daſelbſt beſucht, habe auch den
Beſuch erwidert erhalten und ſei abends mit der Kaiſerin im Theater bei der Aufführung der Veſtalin geweſen. |
Gleich bei ihrer Ankunft in Prag im vorigen Jahre haben die Angehörigen des gefangenen Königs aus der Art, wie man ihnen begegnet ift, das Vorurteil, fie ſeien keine guten Patrio— ten, herausfühlen können. „Man hält uns hier alle für fran⸗ zöſiſch geſinnt und flieht uns,“ ſchrieb die Prinzeſſin damals. Daß es für den König ſeit der Überflutung Sachſens durch die franzöſiſchen und die Rheinbund-Truppen keine Möglichkeit ge⸗ geben habe, ſich, gleich den minder von Napoleons Maßnahmen umgarnten übrigen Fürſten auf die Seite der Gegner Napo— leons zu ſtellen, habe der König, wie die Prinzeſſin weiter aus— führt, auf überzeugende Weiſe in einer Denkſchrift dargethan, die auch an den Prinzen Max nach Prag gelangt ſei, und deren Inhalt die Prinzeſſin aufs heftigſte bewegt. So wenig fran— zöſiſch geſinnt iſt auch in der That die Schreiberin des Tage— buchs, daß ſelbſt inmitten der immer hoffnungsloſer ſich geſtal— tenden Lage der Ihrigen ihr die Sorge keine Ruhe läßt, Napo- leon könne nochmals das Schlachtenglück auf ſeine Seite bringen.
A Als fie die Nachricht von der Ankunft der Alliirten vor Paris verzeichnet, fügt ſie beſorgt hinzu: „Wenn er ihnen nur nicht irgend eine Falle ſtellt!“ — „Wenn die Alliirten nur, wo ſie hinkommen, Lebensmittel finden!“ heißt es ein anderes Mal. Und wieder: „Als ich abends zu chere tante M. A. kam, hörte ich einen Freudenſchrei: Napoleon war bei Laon geſchlagen!“
„Der Friede ärgert mich,“ ſchreibt ſie am 12. Juni, „denn Frankreich bleibt größer, als es war.“
Und ſo vergrämt ſich die Prinzeſſin, indem ſie bald unter dem Drucke leidet, der auf Sachſen und auf den Ihrigen laſtet, bald ſich um die vielen treuen Diener härmt, für die nichts mehr geſchehen kann, bald auch gegneriſche politiſche Maßnahmen als Ausflüſſe perſönlichen Übelwollens auffaßt und dabei noch überdies ſich das Recht verkümmert ſieht, in den allſeitigen Jubel über die deutſchen Siege laut einzuſtimmen.
Vom vielen Weinen haben ihre Augen gelitten; das Leſen wird ihr ſchwer; eher noch kann ſie ſchreiben. Als am 7. Juli in Prag große Feſtparade iſt, ſchreibt ſie:
„Es war ein prächtiger Anblick, der mir aber ſo weh that, daß ich vom Fenſter wegtreten mußte; denn alles freut ſich, für alle iſt Friede, uns allein verfolgt man.“
„Ich bin ganz kalt, kann nicht weinen,“ ſchreibt ſie am 21. Oktober und hinwieder am 26., als alles für den König verloren ſein ſollte, „ich habe den ganzen Tag geweint.“ — „Was ſoll ich thun,“ fragt ſie ein anderes Mal, „wenn die Familie getrennt wird? Soll ich dann meinen Vater verlaſſen? Oder eine Tante, die alles für mich gethan hat?“ Daß für eine zwanzigjährige Jungfrau jeden Tag die gleiche Frage der Trennung von den Ihrigen durch einen Antrag entſtehen kann, kommt ihr augenſcheinlich gar nicht in den Sinn. Sie lebt und webt einzig in teuren Kindheits-Erinnerungen, und jo über⸗
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wältigt Rührung ſie, als ſie in einer Prager Kirche „O du Lamm Gottes!“ ganz wie in Dresden ſingen hört.
„Sobald Watzdorf mich geſehen,“ ſchreibt fie am 19. No- vember, „ſagte er, daß ich am Heimweh leide; und ſo war es auch. Ich glaubte oft, ich könne den Zuſtand nicht länger tragen, ich müßte nach Hauſe. In jener Zeit fing ich an, ein Hämmern im Kopfe zu fühlen.“
Wie groß ihre Unruhe und Aufregung war, geht ſchon aus dem Umſtande hervor, daß ſie, um wenigſtens etwas für ihren geliebten Oheim, den König, zu thun, einen Brief an den Kaiſer von Rußland ſchrieb. Une jeune personne de vingt ans, Painée de trois frères et trois soeurs, fleht in dieſem Briefe den Kaiſer an, er möge ſeinen Einfluß zu Gunſten des Königs geltend machen, que nous cherissons comme notre pere. Helas! s’il faudrait une victime je me devouerais volontiers aux malheurs qui menacent ma famille pour l’en preserver.
Endlich geſtalten ſich die Ausſichten einigermaßen hoff- nungsvoll. Während der erſten Hälfte des folgenden Jahres ziehen ſich dann noch die Verhandlungen über den künftigen Umfang Sachſens in die Länge. Am 3. Juni kommt der König, der bereits im Februar Friedrichsfelde bei Berlin verlaſſen und ſich nach Preßburg begeben durfte, nach Prag. Die Prinzeſſin findet ihn gebeugt und gealtert, ſo daß ihre Freude, den König wiederzuſehen, ſich ſehr raſch ins Wehmütige verwandelt, aber ſeine Ruhe und ſein Gleichmut ſtimmen auch ſie bald dankbar, und die Hoffnung auf ein nahes Wiederſehen der liebgeword⸗ nen alten heimiſchen Umgebung verſcheucht die trüben Betracht- ungen.
Wenige Tage darauf wird die Rückreiſe wirklich angetreten 7
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und am 7. Juni befinden ſich der König und die Seinigen wieder auf vaterländiſcher Erde.
„Ich kann nicht ſagen,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „welchen Eindruck es mir machte, als ich Sachſen betrat. Ich ſchmolz in Thränen. Ich ſah mein liebes Vaterland wieder, aber unter welchen Umſtänden!“ Doch wenigſtens mochte der Fleiß des Landmanns und des Bürgers die zuletzt vor zwei Jahren in ſo wüſtem Zuſtande und im Beſitze von Koſaken und Baſch⸗ kiren der Prinzeſſin zu Geſicht gekommenen Felder und Wohn⸗ ſtätten wieder leidlich beſtellt und hergerichtet haben. Und auch an Freudenbezeigungen und herzlichem Willkommen fehlte es nicht. „Vor jedem Dorfe ſtanden die Bauern mit Sträußen und Zweigen in den Händen.“ So ging es bis nahe vor die Stadt, wo eine berittene Bürgergarde ſich an die Spitze des immer menſchenreicher gewordenen und nun auch noch durch ein ruſſiſches Ehrengeleite vermehrten Zuges ſtellte. Auf dem Platze zwiſchen Schloß und Brücke ſtanden die nach damaligem löblichem Brauche zu Fuß aus Leipzig herübergekommenen Studenten der Landes-Univerſität. Alles wetteiferte in Be⸗ zeugungen von Freude, Herzlichkeit und Anhänglichkeit und als ſpät abends die Elbe eine jener glänzenden freiwilligen Illumi⸗ nationen widerſpiegelte, die, wo ein breiter Strom eine Stadt berührt, mit ſo geringen Mitteln herzuſtellen ſind, da mochte jeder inmitten ſeiner dankbaren Empfindungen doch auch mit Grauen der verhaßten Zwang-Illuminationen gedenken, die jo lange lügneriſcher Weiſe dem traurigen Loſe des Sachſenlandes zu einem weithin leuchtenden Strahlenglanze von unvergleich⸗ lichem Glücke hatten verhelfen ſollen.
Von den Begegnungen und Umblicken, welche den Geſichts⸗ kreis der Prinzeſſin während des nun beendeten Fernſeins aus der Heimat erweiterten, ſei hier einiges aus dem Prager Tage⸗
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buche nachgeholt; ebenſo dasjenige, was zu Schlüſſen auf die Entwickelung ihrer künſtleriſchen und dichteriſchen Fähigkeiten berechtigt.
Bis die Verhandlungen über die Zukunft Sachſens ſich ihrem Ende näherten, waren die Angehörigen des gefangenen Königs begreiflicherweiſe weder in der Verfaſſung geweſen, um geſelligen Verkehr zu pflegen, noch galt es wahrſcheinlich für politiſch unverfänglich, ſich ihnen zu nähern. Damals, als der Großherzog von Würzburg nach kurzem Verweilen in Prag mit ſeinen drei Kindern wieder abgereiſt war, klagte die Prin⸗ zeſſin: „So verlieren wir unſeren einzigen geſelligen Umgang.“ Auf ganz kurze Zeit ſprach der Herzog Karl Auguſt von Wei⸗ mar ein, dann auch Prinz Karl von Bayern. Die ruſſiſchen Großfürſtinnen Katharina und Maria (Schweſtern Kaiſer Alexanders, die erſtere geboren 1783, Gattin des Prinzen Peter von Holſtein, die zweite geboren 1786, Gattin des Prinzen Karl Friedrich von Weimar, des Sohnes und ſpäteren Nach⸗ folgers des Großherzogs Karl Auguſt), welche vorübergehend in der böhmiſchen Hauptſtadt weilten, die erſtere mit ihrem Sohne Alexander, mußten natürlich beſucht werden, da das Los Sachſens weſentlich mit von den Entſchlüſſen des ruſſi⸗ ſchen Zaren abhing und die Beſuche wurden mit Liebens— würdigkeit erwidert, ſeitens der Großfürſtin Maria ſogar mit lebhaft ſich äußernder Teilnahme. Da der König (Friedrich VI.) von Dänemark die Großfürſtin Marie eben zur nämlichen Zeit beſuchte, als die ſächſiſchen Prinzeſſinnen bei ihr verweilten, ließ er ſich bald darauf auch bei ihnen melden. Er befand ſich auf der Reiſe nach dem Wiener Kongreß, wo er für den Ver— luſt Norwegens Entſchädigung zu erhalten ſuchen wollte, und er fühlte ſich, wie er ſagte, als „Unglücksgefährte“ des ſäch— ſiſchen Königs. Die Prinzeſſin beſchreibt ihn als „klein, häß—
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lich und mager, aber dabei nicht unangenehm.“ Von der Großfürſtin Katharina heißt es: „Sie iſt nicht ſchön, aber hübſch und weiß;“ von ihrem Sohne: er ſei blauäugig und blond, ſolle auch gut deutſch reden, habe aber bei dem Beſuch ſich nur zum Ruſſiſchreden verſtanden.
Der übrige Verkehr beſchränkt ſich auf die kommenden und gehenden Perſonen aus dem ſächſiſchen Beamten⸗ und Hofkreiſe, worunter der alte Miniſter Marcolini — welcher in Prag ſtirbt — und auf die Familien des böhmiſchen Adels, N derſelbe in oder bei Prag wohnt.
Über die erſte Zuſammenkunft des Kaiſers Franz mit feiner Tochter nach der Abdankung Napoleons enthält das Tagebuch eine Notiz aus dem Briefe eines Offiziers, welcher den Kaiſer Franz begleitete und „jene Entrevue als ſchrecklich“ bezeichnet. „Im erſten Augenblick waren beide wie Bildſäulen. Da fing der Kleine an, mit dem Degen des Kaiſers zu ſpielen, worauf Vater und Tochter weinten.“
Über den Transport Napoleons durch Aix erfährt ſie aus dem Clamſchen Kreiſe:
„Als der Wagen mit Napoleon ſich der Stadt Aix näherte, wurde er von einer Truppe Bauern umringt, welche den „Tyrannen“ ausgeliefert haben wollten. Sie hatten einen Galgen errichtet, an welchem ein Strohmann hing. Dem General Koller gelang es endlich, ſie zur Ruhe zu bringen. „Wohlan, jo geht!“ ſagte ein Bauer, es wird euch nichts helfen, denn in Aix ſtreiten ſie ſich nur noch, auf welche Art ſie ihn töten ſollen.“ — Hierauf ſchickte Koller den Clam in die Stadt, um den Maire zu ſprechen. In der Stadt fand Clam alles in Alarm; man riß ihn vom Pferde und mißhandelte ihn, da man ihn für einen franzöſiſchen Offizier hielt. Er rief
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beftändig: „Ich bin Sſterreicher! Es lebe der König!“ — Das frappierte die Vernünftigen. Sie führten ihn zum Maire, welcher ihnen die Verantwortlichkeit vorſtellte, in welche er fallen würde, wenn Napoleon ein Unglück begegnete. Der Maire führte Clam auf den Balkon und ſagte dem Volke, daß Napoleon an dieſem Tage nicht durch Aix kommen würde, worauf ſich das Volk zerſtreute. Nun ließ der Maire die Thore ſchließen, und während der Nacht führte man Napoleon, welcher Koller gebeten hatte, ihm ſeinen Oberrock zu leihen, damit er nicht erkannt würde, an der Stadt vorüber.“ — „O Welt!“ fügt die Prinzeſſin hinzu, eingedenk der Abgötterei, die man noch vor wenigen Jahren in ihrer Gegenwart mit demſelben Manne getrieben hatte.
Über die Ankunft der Herzogin von Angoulème in Paris wird ihr berichtet, die Tochter Marie Antoinettens ſei beim Wiederbetreten ihres Zimmers in den Tuilerien ohnmächtig geworden. „Unter den wenigen Koſtbarkeiten, die ſie beſitzt, ſind die Strumpfbänder, welche ihre Mutter im Temple aus Fäden geſtrickt, die ſie aus der Tapete gezogen.“
Wie ſchon öfter erwähnt wurde, hatten die Kinder des Prinzen Max von ihren früheſten Jahren an immer das Glück genoſſen, in engem Zuſammenhange mit den Erwachſenen ihre Mußeſtunden zu allerlei wohl angeleiteten Kunſtübungen ver⸗ wertet zu ſehen. Vor allem fehlte es ihnen weder an muſika⸗ liſcher Unterweiſung, noch an Ermunterung, das Erlernte zu produzieren. Die Prinzen Friedrich Auguſt, Klemens und Johann hatten VBiolin- Unterricht und ſuchten, ſoweit ihre An— lagen reichten, bei feſtlichen Gelegenheiten das Ihrige zu leiſten, wohl nicht immer ohne den Ohren der Hörer etwas an Wohl- klang ſchuldig zu bleiben, wie ſich denn König Johann noch im Alter heiteren Sinnes eines Verſes erinnerte, den die Prinzeſſin
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Amalie ihm auf Anlaß eines Familienfeſtes zu ſingen gegeben hatte:
N Nicht ſehr rein ſind meine Töne,
Doch mein kindlich Herze ſpricht ꝛc.
Und ebenſo bezog ſich auf ſein Geigenſpiel wohl die Szene im dritten Akt des Luſtſpiels „Der Majoratserbe,“ wo Graf Paul mit ſeinem Kammerdiener Bärmann ein Duo geigt und nach vielen Mißtönen endlich dahinter kommt, daß er und Bär⸗ mann „eigentlich ſchon vierzig Takte auseinander waren.“
Der Biograph des Königs Johann ſagt: „Zeichnen und Muſik lehrten ihn Schubert und Schmiedel, wie der König oft ſcherzend erzählte, ohne allen Erfolg. Was er dennoch in ſpäterer Zeit von Muſik verſtand, verdankte er ſeiner muſikaliſch durchgebildeten Schweſter und dem häufigen Hören italieniſcher Opern.“ 1 01
Das Tagebuch erwähnt demungeachtet häufig auch des jugendlichen Geigenſpielers Prinz Johann als bei allerlei Muſik⸗ Aufführungen fleißig mitbeteiligt. So fällt ihm unter anderem in Prag am 22. Februar 1814 die Aufgabe zu, mit ſeinem Violinſpiel die Umkleide-Pauſen zwiſchen einem Kotze⸗ bueſchen Luſtſpiele „Der Fluch des Römers“ und zwei Sprich⸗ wörtern auszufüllen, mit denen die prinzlichen Kinder und einige Geſpielen derſelben den Prinzen Max zu erheitern ſuchten. Es wird ihnen gelungen ſein, denn der prinzliche Vater hatte an dergleichen Überraſchungen große Freude und ſelbſt der ſchon recht hinfällige Miniſter Marcolini lachte ſehr über das in einem der Sprichwörter verwendete Koſtüm, in dem Prinzeſſin Amalie ſich mit Federn herausſtaffiert hatte, „die bis an die Decke reichten.“
Einmal geſchieht eines vom Prinzen Friedrich Auguſt ge⸗ dichteten Sprichworts Erwähnung und ebenſo der Aufführung
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desſelben; dann wieder eines Trios, bei welchem derſelbe Prinz, ſein Bruder Prinz Johann und ihr Muſiklehrer Schmiedel mit⸗ wirkten.
Was Prinzeſſin Amalie betrifft, ſo ſetzte ſie die ſchon in Pillnitz begonnenen dichteriſchen Verſuche fort, ohne dabei — was für die Richtung ihres Talents bemerkenswerth iſt — ihren oft ſo gedrückten Gemütsſtimmungen lyriſchen Ausdruck zu geben, ohne überhaupt andere dichteriſche Vorwürfe zu wählen, als ſolche, die mit ihren Geſchwiſtern gemeinſam ver- wertet werden konnten. Die ſchwere Not der Zeit trat täglich in empfindlicher Weiſe an die Verfaſſerin des Tagebuchs heran und ſpiegelte ſich dort, wie ſchon erwähnt, in reichem Maße. Aber zu lyriſchen Ergüſſen fehlte ihr die Einſamkeit und die Gewöhnung, ſich in der Einſamkeit von ihren Gefühlen über⸗ fluten zu laſſen.
Gleich anfangs hat man ihr ein hübſches kleines Klavier in Prag zur Verfügung geſtellt; auch ihre Brüder erhalten eins und ebenſo findet ſich eins für ihre Schweſtern. Am 1. Januar 1814 bekommt ſie das ſchon erwähnte „ſchöne Pianoforte mit türkiſcher Muſik“ ſogar zum Eigentum. Im Juni bricht das— ſelbe aber beim unvorſichtigen Verſchieben zuſammen, und die Prinzeſſin klagt, dieſer Unfall treffe fie ſchwer, denn ihr In— ſtrument ſei bis dahin ihr einziges Vergnügen geweſen. Daß in Prag die zweite Oper der Prinzeſſin „le tre einture“ ent⸗ ſtand — Text von dem Prinzen Max — berechtigt in der Tat zu dem Schluſſe, daß ſie ihre Zeit fleißig nützte.
Auch dieſe Oper iſt heitern Inhalts, wie denn der Beruf der ſpätern Luſtſpieldichterin ſich in kleinen Zügen des Humors bei mehr als einer Gelegenheit anmeldet. So in der Trocken— heit, mit der fie einmal berichtet, „der Bediente des Pater Syl- veſter hat auf dem Kirchhof beim Begräbnis einer Stiftsdame
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die Bekanntſchaft von deren Jungfer gemacht, kann fie aber noch nicht heiraten, weil dem Totenſchein ſeiner ſeligen Frau noch der Stempel fehlt.“ — Mit der böhmiſchen Sprache bindet ſie hin und wieder an, um zu dem Volke, mit dem ſie in Berühr⸗ ung kommt, in ein umgänglicheres Verhältnis zu treten, und in der Kirche bringt fie die chere tante ins Lachen, indem fie plötzlich die Antworten für die Litanei gleich den übrigen An⸗ dächtigen böhmiſch herſagt. — Einmal hat ſie eine aus Dresden eingetroffene Nachricht ungünſtig ausgelegt. „Ich weinte darüber in der Kirche,“ ſchreibt ſie; „Lolotte, die es ſah, glaubte, ich habe eine ſchlechte Nachricht erhalten und weinte auch. Ich glaubte nun dasſelbe von Lolotte, und ſo weinte eine über die andere, bis nach der heiligen Meſſe ſich der Irrtum aufklärte.“
Übrigens ſchießen „wir vier Schweſtern“ auch mit Wind⸗ büchſen nach der Scheibe; es wird Quadrille geritten und in⸗ mitten der mancherlei Bedrängniſſe und Beklemmungen der Kopf nach Möglichkeit oben behalten.
Daß daneben die Sprachſtudien — über das Böhmiſche hinaus — nicht ganz ins Stocken gerathen ſind, beweiſt eine Anmerkung des Tagebuchs in betreff einer lateiniſchen Predigt, welche die Prinzeſſin hörte und „leidlich verſtand.“ Es mag ihr dabei die Übung im Franzöſiſch-Sprechen gerade fo wie ſpäter ihrem Bruder, dem Prinzen Johann, zu ſtatten gekommen ſein, der auch auf dem Umwege über das Franzöſiſche zum Latein gelangte. Sein Biograph jagt, Abbe Silveſtre habe den Prinzen erſt ſpät im Latein unterwieſen, „davon ausgehend, daß, wer Franzöſiſch ordentlich gelernt, Lateiniſch leicht lernen werde, eine Anſicht, die bekanntlich auch in der neueren Zeit, z. B. im ſogenannten modernen Gymnaſium zu Leipzig, nicht ohne günſtigen Erfolg Anwendung gefunden hat.“
Von einer mit ihren Brüdern vorgegangenen weſentlichen
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Veränderung hatte die Prinzeſſin ſchon in den erſten Tagen ihres Prager Aufenthalts berichten können: Man hat ihnen die Zöpfe abgeſchnitten, „zu meiner Freude!“
Nach ihrer Gewohnheit erhalten die Kinder des Prinzen Max auch diesmal durch das Beſuchen denkwürdiger Orte in Prag, wie in deſſen Umgebung Gelegenheit, ihren Geſichtskreis zu erweitern. Hier ſei nur des Beſuchs eines Kloſters der Ur- ſulinerinnen gedacht, in welchem Prinzeſſin Amalie der Ein⸗ kleidung einer jungen Nonne beiwohnte. In einem Kabinett wartete die Kloſterbraut, gekleidet in einen „weißen fourreau“ und geſchmückt mit vielen Blumen und Diamanten. Am Arme trug ſie einen Kranz von gemachten Blumen. Ihre Mutter, eine Pilſener Bürgersfrau, trug das Bürgerkoſtüm und auf dem Kopfe eine goldne Haube. „Seit dem 13. Lebensjahre,“ verſicherte die Mutter, „habe ihre Tochter ſchon den Beruf fürs Kloſter in ſich gefühlt.“ Unter den Brautjungfern waren zwei Gräfinnen Schafgotſch und die Braut Chriſti hatte auch eine Schleppen⸗ trägerin. Die eine jener ſehr hübſchen Brautjungfern trug eine Fackel, die andere das Ordenskleid, die dritte den Schleier und den Kranz, und ſo gingen ſie dem Zuge voran. Während des Hoch— amts kommunizierte die Kloſterbraut. Nach dem Schluſſe der Meſſe fragte der Celebrant ſie: Was ſie begehre? Sie antwortete: In die Gemeinſchaft der Urſulinerinnen aufgenommen zu werden und Armut, Keuſchheit und Gehorſam zu geloben. Er dann: Ob ſie wohl unterrichtet ſei über die Bedeutung ihres Vorhabens? Sie bejaht die Frage, worauf er ihr etwas darüber vorlieſt. Nochmals befragt, ob fie bei ihrem Entſchluſſe beharre, wieder- holt ſie ihr Ja, worauf alle die Muttergottes-Litanei beten. Dann folgt die Frage, ob ſie ihrer Oberin gehorſam und ihren Mitſchweſtern gefällig ſein wolle? Nachdem ſie auch dies bejaht hat, giebt der Celebrant ihr den Namen Maria Emerentiana
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von Mariahilf und überantwortet ſie der Oberin als eine neue Tochter, die er ihrer Sorgfalt vertraue. — Während dieſer Zeremonie hatte die Braut im Chor an dem offenen Fenſter geſtanden, das in die Kirche geht, ein blumenbekränztes Kruzifix in den Händen haltend. Nachdem ſie von den Brautjungfern hinter einem Schrein umgekleidet worden war, trat ſie im Nonnenkleide an das nämliche Fenſter und der Prieſter ſetzte ihr den Kranz auf. Darauf verhüllte man ſie mit dem weißen Schleier und ſagte ihr, daß ſie nun die Welt vergeſſen müſſe. Dann dreimaliger Pſalmgeſang. Nun küßt die Nonne der Oberin und den älteren Nonnen die Hand und umarmt ſie; die jüngeren umarmt ſie nur. Ein Tedeum ſchließt die Feier.
Eine zweite Nonnenweihe, welcher die Prinzeſſin beiwohnt, gilt der Tochter des Generals Gottesheim, eines Militärs, welcher aus der franzöſiſchen Armee in die öſterreichiſche über⸗ getreten iſt. Die junge Nonne erhielt den Namen „Maria Gabriele von den heiligen drei Königen.“ Dieſer nimmt man zum Schluß den weißen Schleier ab und verhüllt ſie mit einem ſchwarzen, wozu noch ein Kranz von weißen Roſen kommt. Die Schweſtern der „Braut Jeſu“ waren zugegen und weinten bitterlich; „die jüngſte,“ heißt es, „will auch ins Kloſter, aber es wird nicht möglich ſein, da ſie am Blutſturz leidet.“ Die vor⸗ ausgegangene Anſprache der Braut ſeitens des Domherrn ſchildert zunächſt das Glück des Abgeſchiedenſeins von der Welt; „ſpäter wurde er etwas verworren,“ fährt die Prinzeſſin fort, „und malte ihr die Welt ſo ſchön aus, daß ich in ihrer Stelle vielleicht Luſt bekommen hätte, umzukehren.“
Wohin die vielen Wachsfigürchen kommen, welche die Bauern am Johannistage zum Dank für die Geneſung von Kindern ſpenden, ermittelt die immer praktiſch den Dingen auf den Grund gehende Prinzeſſin: Es werden Kerzen daraus gegoſſen.
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Bei der Fronleichnam - Prozeffion ſieht fie zum erſtenmale den böhmischen Brauch, die Monſtranz mit Kränzen zu berühren, die dadurch, wie angenommen wird, einer Heilwirkung teilhaftig werden.
Aber zu den mancherlei Dingen gleichgültiger oder inter— eſſanter Art, für welche die Prinzeſſin offne Augen hatte, ſollte ſich in Prag auch der Anblick eines Sterbens geſellen. „Als ich an die Thüre der S. kam,“ heißt es in dem Tagebuche, „hörte ich laut in der Stube ſprechen. Ich ging hinein. Da hielt ihr das Dienſtmädchen die geweihte Kerze vor und die Töchter mit der L. beteten weinend die Litanei vom Herzen Jeſu. Ich betete mit. Als die Litanei zu Ende ging, warf plötzlich die L. Weih— waſſer auf das Geſicht der Kranken, die eben verſchieden war. Es machte mir einen ungeheuren Eindruck, da es die erſte Perſon war, die ich hatte ſterben ſehen.“
Sechſter Abſchnitt. Nach wiederhergeſtelltem Siriesen. (Juni 1815 bis Februar 1819.)
N: Heimkehr der königlichen Familie nach Sachſen ift bereits, als im Sommer 1815 erfolgt, erwähnt worden. An dem ſächſiſchen Hofe hatte ſeit langem Einfachheit geherrſcht. Sie entſprach ſowohl dem Geſchmack des arbeitſam und häuslich gewöhnten alten Königs, wie dem ſeiner Angehöri⸗ gen. Die allgemeine Not der Kriegszeit hatte in dieſer Richtung noch weiter einſchränkend gewirkt und ſo vernahm man beiſpiels⸗ weiſe jetzt nicht mehr die Pfeifer, welche ſonſt bei der königlichen Tafel aufgeſpielt hatten; die meiſten dieſer beſcheidenen Künſtler waren im Laufe der Kriegszeit dem Typhus erlegen. Im Übrigen hatte der König während ſeines mehr als fünfzigjährigen Regi⸗ ments das Altherkömmliche lieb und wert gehalten, und wenn die Zöpfe der kleinen Prinzen auch im Sturme der Zeit hatten geopfert werden müſſen, ſo beweiſt doch ſchon die Treue, mit welcher König Friedrich Auguſt bis an ſein ſpätes Lebensende an den Unvollkommenheiten ſeines Jugendgefährten, des Silber⸗ mannſchen Kielflügels oder Cembalos, feſthielt, während ringsum das Fortepiano ſeine geräuſchvolle Herrſchaft angetreten hatte, wie wenig Freude Neuerungen ihm bereiteten. Auch die Familie des Prinzen Max kehrt daher, ſoweit dies thunlich iſt, in das alte Gleis zurück, ſo daß die beiden nächſten
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Jahrgänge des Tagebuchs wenig Berichtenswertes bieten. Die zur Armee gegangenen Brüder, die Prinzen Fritz und Klemens, werden bei ihrer Rückkehr von den Geſchwiſtern mit Muſik und Gedichten empfangen, Prinzeſſin Amalie gelangt an ihrem 21. Geburtstage durch ihre Geſchwiſter in den Beſitz von Schillers Gedichten — damals noch ein Ereignis, ſo ſcheint es, obſchon Prinz Johann auf ſeinen kleinen Reiſen im Jünglings⸗ alter immer einen Band von Schillers Werken bei ſich führte und ihn ſehr liebte —, man ſingt, dichtet, komponiert, ſpielt im kleinen Kreiſe Theater und läßt auch das Feſt der heiligen drei Könige nicht ohne den üblichen Königskuchen vorübergehen, ja ſogar die jetzt kriegserfahrnen beiden Prinzen finden an dem Spiele ihrer Kindheit nach wie vor Geſchmack: Als bei dem Königskuchen der Hoftafel die verſchiedenen Amter zur Verteil— ung gelangen und Prinz Fritz Artillerie-Kapitän, Prinz Klemens aber Nudelfabrikant wird, liefert der erſtere dem Bohnenkönige, dem Baron Weſſenberg, die Zeichnung einer von ihm erfundenen Kanone ein, während Prinz Klemens ſich mit ſelbſt fabrizierten Nudeln einſtellt; Prinz Johann, der mit der Admiralswürde bekleidet wurde, erſtattet den Bericht über eine Seeſchlacht. — Was die muſikaliſchen Studien der Prinzeſſin Amalie betrifft, ſo beginnen dieſelben ſich ſeit ihrer Rückkehr von Prag ernſtlich zu vertiefen. Der königliche Kirchen-Komponiſt Franz Anton Schubert giebt ihr jetzt faſt täglich von 3 bis 6 Uhr Unterricht.
Schon früher hat das Tagebuch erwähnt, daß die Gewöh— nung des Königs an regelmäßigen Beſuch des Theaters ihren Vater, den der König dann gern ebenfalls im Theater ſah, den Kindern häufig entzog; denn nach altem Herkommen erſchien daſelbſt während des Winters das königliche Paar allemal punkt 6 Uhr, begleitet von Prinzeſſin Auguſte und den könig— lichen Brüdern und deren Gemahlinnen, in ſpäterer Zeit auch
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von deren Kindern, ſoweit ſie für das Theater reif waren. Jetzt ſuchen ſich die jungen Prinzen hin und wieder der Pflicht des regelmäßigen Theaterbeſuchens zu entziehen, und es gelingt.
General Forell tritt im Jahre 1816 mit einem Ruhegehalt von 2000 Thaler von ſeinem Poſten bei den Prinzen zurück und General von Watzdorf rückt in ſeine Stelle. Sämtliche prinzliche Kinder erfreuen General Forell mit allerlei kleinen Geſchenken, und er dagegen tritt den Brüdern ſeinen treuen Hund Boſton ab.
Am 30. November hört Prinzeſſin Amalie die erſte Roſſi⸗ nische Oper — Il turco in Italia — und iſt „entzückt.“
Das Jahr 1817 giebt der Prinzeſſin erwünſchte Gelegenheit, nach Wien zu kommen, indem Prinz Anton und ſeine Gattin zur Verlobung der jetzt zwanzigjährigen Erzherzogin Leopoldine mit dem neunzehnjährigen Prinzen Dom Pedro von Braſilien, dahin entboten find. Die Abreiſe findet am 10. Februar ſtatt, und Wien wird am 15. ſpät abends erreicht. „Ich fand den Kaiſer,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „ſehr gealtert. Die Kaiſerin“ — Karoline, geb. 1772, die vierte Gemahlin des Kaiſers, älteſte Tochter des Königs Max L von Bayern, erſt ſeit dem 10. No⸗ vember 1816 Kaiſerin — „iſt häßlich, aber angenehm.“ Den vierundzwanzigjährigen Kronprinzen Ferdinand bezeichnet ſie als ſehr hübſch, aber ſehr klein; man würde ihn für fünfzehn⸗ oder ſechzehnjährig halten; „er ſieht ſehr ſchüchtern aus.“
Der Wiener Hof hat ſchon durch die Verſchiedenheit der dort in Amt und Würden oder im Dienſt ſtehenden Nationali⸗ täten immer etwas Imponierendes gehabt. Gleich der erſte Tag bietet der jungen Prinzeſſin ein farbenprächtiges Bild dieſer Art, da die wegen Unwohlſein des Kaiſers verſchoben geweſene Feier ſeines Geburtstages nachgeholt werden ſoll. Von den Fenſtern des Kronprinzen ſieht ſie den Einzug des Adels und der Garden
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in die Burg. Zuerſt in ihrem glänzenden National-Koſtüm die ungariſche Nobelgarde; dann mit Hüten und in Rot mit Gold die deutſche; faſt ebenſo die Hadſchiere, aber mit Helmen und Flinten; zuletzt die graue Stäbelwache mit Hüten auf dem Kopfe und Stöcken in den Händen; ſie gehen in der Burg herum, um Ordnung zu halten. Nun naht ſich der Oberſtallmeiſter Graf Trautmannsdorf zu Wagen; vorauf zu Fuß die kaiſerliche Livree und die Dienerſchaft des Grafen ſamt allen verfüg- baren Pferden aus den kaiſerlichen Ställen. — Nach der Meſſe findet die Prinzeſſin dann wieder Gelegenheit, von der Galerie des großen Speiſeſaals, wo ſie neben der ſpäter ſo
berühmt gewordenen Sängerin Wranitzky Poſto faßt, das
Bankett mit anzuſehen. „Der Kaiſer, die Kaiſerin, alle Erz— herzöge nach der Rangordnung, endlich auch Henriette und Leopoldine traten ein und ſetzten ſich, mehr pro forma, als um zu eſſen, an den Tiſch.“ Während der Tafel iſt Inſtrumental⸗ Muſik, auch werden Arien geſungen. Eine große Menge Zu⸗ ſchauer ſteht hinter den Barrieren. 5
Tags darauf ſieht die Prinzeſſin „den kleinen (ſechsjährigen) Napoleon, ein allerliebſtes Kind, voll Verſtand; er ſpricht ſchon leidlich deutſch.“ Dann erfolgt nachmittags der feierliche Einzug des portugieſiſchen Ambaſſadeurs Marquis Marialva. Eröffnet wird der Zug durch eine Abteilung Kavallerie, dann folgt ein Hofwagen mit dem Geſandtſchafts-Sekretär Navarro. Um⸗ ringt von ſeiner glänzend koſtümierten Dienerſchaft und von Pagen in Gala⸗-Livree zeigt ſich darauf der Marquis ſelbſt in einem ſechsſpännigen Hofwagen. Kavallerie ſchließt den Zug. Abends 7 Uhr giebt es einen Jugendball, den der Kronprinz mit Prinzeſſin Amalie eröffnet.
Am nächſten Tage Zeremonie der feierlichen Werbung. „Der Kaiſer ſaß unter einem Thronhimmel, von den Hofchargen
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umgeben. Marialva (der Ambaſſadeur) war ſehr verlegen, und Leopoldine, die ihre (Antwort-) Rede den ganzen Abend vorher memoriert hatte, blieb darin ſtecken. Da das Porträt des Prinzen (von Braſilien) noch nicht angekommen war, konnte Marialva es ihr nicht nach dem Brauche überreichen. Der Kaiſer las ſeine Rede ganz unbefangen vom Blatte herunter.“
Schon auf der Reife hatte die ungewöhnliche Aufgeräumt⸗ heit der Prinzeſſin Thereſe der Verfaſſerin des Tagebuchs allerlei beſorgliche Vermutungen eingeflößt. Jetzt geſtand ihr die erſtere, ſie habe den Plan gehabt, Prinzeſſin Amalie mit dem Kronprinzen Ferdinand zu verheiraten, es zeige ſich jedoch, daß ihm bereits eine bayeriſche Prinzeſſin beſtimmt ſei. „Ich antwortete ihr,“ heißt es weiter, „daß ich Gott danke, daß jener Plan nicht gelungen ſei, da den Kronprinzen zu heiraten das ſchwerſte Opfer geweſen wäre, das ich meiner Familie hätte bringen können; und ſie begriff meine Gründe.“
Im Widerſpruch mit der vorhin erwähnten Schüchternheit des Kronprinzen wird derſelbe auf der Faſtnachtsredoute als „beſonders geſprächig“ geſchildert, was alle Welt intriguiert habe, da er die Prinzeſſin Amalie führte und niemand ſie unter ihrer Maske erkannte. Geheiratet hat der Kronprinz bekanntlich erſt weit ſpäter — 1831 — und zwar Prinzeſſin Karoline, die dritte Tochter des Königs Viktor Emanuel von Sardinien. Von feinem Bruder, dem ſpäteren Reichs verweſer Erzherzog Johann, empfängt Prinzeſſin Amalie augenſcheinlich einen minder widerſpruchsvollen Eindruck, denn ſie äußert kurzweg: Er „imponierte“ mir. | Sehr fleißig werden während der weiteren Aufenthaltszeit in Wien und ſpäter auch in Ofen und Peſt wiederum alle öffentlichen Inſtitute, Sammlungen, Kirchen und Theater be⸗ ſucht und beſchrieben. Im Wiener Polytechnikum ſieht Prin⸗
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zeſſin Amalie — vermutlich zum erſtenmal — Gasbeleuchtung. Im dortigen Waiſenhauſe betrübt ſie's, daß die Mädchen daſelbſt ſchlecht ausſehen, „da ſie den ganzen Tag die Kleider und die Wäſche fürs ganze Haus (300 Knaben und 63 Mädchen ſind dort) nähen müſſen, auch eine ſchwindſüchtige, luftſcheue Aufwärterin haben.“
Im Palmſonntags⸗Konzert des Burgtheater hört fie Beethovens Chriſtus am Olberge, ſteht aber vermutlich, wie überhaupt damals die Mehrzahl der Kunſtfreunde, dem genuß— vollen Verſtändnis dieſer Muſik noch fern; wenigſtens begnügt ſie ſich mit der bloßen Erwähnung dieſes Oratoriums, während
3 Roſſinis Tancredi und l’Italiana in Algeria, die damals alle
Welt elektriſirten, ſich auch ihrer beſonderen Bewunderung er— freuen. Den Schauſpieler Karl und deſſen Frau ſieht ſie im Käthchen von Heilbronn. Im Eſſex giebt die Titelrolle Lange, ein ſiebenzigjähriger penſionierter Akteur, „was der Illuſion ſehr ſchadete.“ Im Leopoldſtädter Theater „amüſiert ſie ſich ſehr“ an einem Harlekin⸗Ballet: Perſeus und Andromache.
Überhaupt hat ihre gute Laune augenſcheinlich die Nach— wehen der trüben Jahre mutig überwunden, was nicht aus— ſchließt, daß auch manche ernſtere Stimmung bei ihr Eingang findet. So bewegt in der Kapuziner-Gruft die Erinnerung an die dort beſtattete Kaiſerin Luiſe, bei deren Verweilen in Dresden die Kinder des Prinzen Max ſo heitere Stunden verlebt hatten, ſie bis zu Tränen.
Eine ſonderbar geartete Perſönlichkeit lernt ſie in der Gattin des Palatins von Ungarn (Erzherzog Joſef) kennen. Dieſelbe genießt nur Thee, verträgt nicht den Geruch von Fleiſchſpeiſen und beteiligt ſich daher an keiner Mahlzeit. Sie iſt überdies ſo ſchüchtern, daß ihre Lippen zittern. Dies hindert nicht, daß ſie ſchön und ſehr liebenswürdig iſt. (Sie muß
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damals ſchon krank geweſen ſein und ift noch im ſelben Jahre 1817 geſtorben. Sie war eine Tochter des Prinzen Viktor von Anhalt⸗Bernburg- Schaumburg und die zweite Gattin des Palatins. Zwei Jahre ſpäter heiratete derſelbe eine Tochter des Herzogs Ludwig von Württemberg.) |
Bei der Fußwaſchung der zwölf alten Männer und zwölf alten Weiber in der Burg wäſcht und küßt der Kaiſer jenen, die Kaiſerin dieſen die Füße, worauf ſie ihnen je einen Beutel mit 30 Silberlingen ſchenken. Voraus geht die feſtliche Speiſung der 24 Alten. Hierbei helfen den Majeſtäten die Erzherzöge und Erzherzoginnen und nicht minder die Herren und Damen des Hofs. Das älteſte der Weiber war 103 Jahre alt, der älteſte Mann 94.
Das Sprichwörter-Spielen hat in Wien dem Scharaden⸗ Aufführen Platz gemacht. So wird gegen den Schluß des Wiener Aufenthalts in einer Soiree bei Bellegarde das Wort delire als Scharade zum beſten gegeben, nämlich de — zwei Bauern, welche um das Soldatwerden würfeln — lire — Leſen der Offizien — und delire: „Die Nina, von der Bombelles vorgeſtellt, welche dabei das Ombra adorata ſang, ſpäter auch noch Attitüden machte.“ Gräfin Bombelles, deren in dem Tage⸗ buch öfter Erwähnung geſchieht, war die Gattin des öſterreichi⸗ ſchen Diplomaten Graf Ludwig Philipp Bombelles, welcher nach ſeiner Verheiratung mit Fräulein Ida Brun aus Kopenhagen, einer Schweſter der Schriftſtellerin Friederike Brun, als öſter⸗ reichiſcher Geſandter in Dresden ein künſtleriſch ſehr belebtes Haus machte; ſpäter war er bei den Höfen von Florenz, Modena und Lucca akkreditiert, dann in London, Turin und in Bern.
Am 24. April wird von den Verwandten und Bekannten Abſchied genommen. Die Braut des Kronprinzen von Braſilien erzählt den Scheidenden noch einiges Vertrauliche über die Art,
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wie ihre Heirat angeſtiftet worden ſei, „Dinge, die uns ſehr ärgerten,“ ſchließt die Prinzeſſin.
Auch für ihre, der Prinzeſſin Amalie, geplant geweſene Verheiratung mit dem öſterreichiſchen Kronprinzen, erbietet ſich eine alte fromme Dame, die Gräfin Schafgotſch, im Kloſter der Saleſianerinnen, noch einiges zu thun: Sie will täglich für das Zuſtandekommen dieſer Verbindung Gebete ſprechen. Ohne Zweifel iſt Prinzeſſin Amalie damit recht wenig einverſtanden, und ſo bittet Prinzeſſin Thereſe denn die alte Dame ernſtlich, ſolche Gebete zu unterlaſſen.
Ob etwas Ahnliches zweien kurzen Notizen zu Grunde liegt, die das Tagebuch mehrere Monate ſpäter enthält, kann hier nicht unterſucht werden. Sie lauten:
1817 — 24. Juni X X XR Erſte unangenehme Ahnung. 26. Auguſt. Endliche Entſcheidung. R. X X X
Unter dem nämlichen Datum folgen die Worte: „Der Kurier mit der Entſcheidung wegen Nanys Heirat mit dem Erzherzog Leopold, dem Thronfolger von Toscana (einem Jugendfreunde des Prinzen Johann), kam aus Florenz zurück.“
Die Prinzeſſin Anna Karoline, welche unter Nany zu ver- ſtehen iſt, war die dritte Tochter des Prinzen Max, und daß ſie vor den beiden älteren Schweſtern zur Ehe begehrt worden war, konnte die damals dreiundzwanzigjährige Prinzeſſin Amalie recht wohl mit der Vorahnung erfüllen, es werde ihr nicht mehr beſchieden ſein, glückliche Gattin zu werden. Doch fehlt, wie erwähnt, für jene Tagebuch-Notiz der Kommentar. Noch im Greiſenalter haben Prinzeſſin Amalie und Leopold von Tos— cana einander innige Freundſchaft bewahrt. Aus einigen der Briefe Leopolds, die ſich in dem Nachlaſſe der Verfaſſerin des Tagebuchs gefunden haben, wird ſich weiter unten einzelnes mitteilen laſſen.
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Über die Dresdner Formalitäten bei jener erſten Florentiner Heirat (November 1817) nur einiges wenige. Zunächſt wird beim Könige durch den Geſandten Bandelli für den Erbprinzen Leopold um die Hand der Prinzeſſin Anna in deren Gegen⸗ wart feierlichſt angehalten; dann bei dem Prinzen Max, worauf letzterer auf ihr Verlangen die Erlaubnis giebt, in die Ver⸗ bindung zu willigen. Nun überreicht ihr Bandelli das Portrait des Bräutigams in Form einer Broſche, und ſie ſteckt dieſelbe an, nachdem ſie wiederum die Erlaubnis dazu eingeholt hat. Zwölf Tage darauf erfolgt per Prokuration — welche dem Prinzen Friedrich Auguſt übertragen worden iſt — die Ver⸗ mählung. Tags zuvor hat in herkömmlicher Weiſe die Ent⸗ ſagungsfeier ſtattgehabt: Im Audienz-Zimmer ſtand ein Tiſch, worauf brennende Herzen, das Evangelienbuch und ein Kruzifix. Miniſter Globig verlas die Entſagungsakte der Prinzeſſin, ſowohl bezüglich der Nachfolge, als auch der Erbſchaft, außer im Falle gänzlichen Erlöſchens der königlichen Familie. Die Prinzeſſin wiederholte den ihr vorgeſagten Eid, wobei ſie drei Finger der Rechten auf das Herz legte, und ſodann unterſchrieb, desgleichen Graf Hohenthal als ihr Vormund. — Am Hochzeits⸗ tage ſelbſt verſammelt man ſich wieder im Audienz-Zimmer und begiebt ſich von dort im langen Zuge in die Schloßkapelle, wobei Prinzeſſin Amalie als Brautjungfer die Schleppe der jungen Braut trägt. Am Altar verlieſt der Biſchof dann die Dispenſation des Papſtes und die Prokurations-Akte, worauf die Trauung beginnt. Nach dem Wechſeln der Ringe wird derjenige des Bräutigams von ſeinem Stellvertreter, dem Prinzen Friedrich Auguſt, dem Superior übergeben, der ihn für den wirklichen Bräutigam einſiegelt. Tags darauf große Gala⸗Gratulation, Familientafel, Ordensverleihung. Abends Feſt⸗Kantate im Theater, italieniſcher Text, Muſik von Karl
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Maria von Weber; die Sänger und Sängerinnen in idealen Koſtümen; darauf la Clemenza di Tito. — Noch einen Tag ſpäter Abreiſe der Braut und ihres Geleits, unter andern Graf Vitzthums, dem bis Trient die Verantwortlichkeit für die glück— liche Ankunft der Prinzeſſin an der Grenze Toscanas obliegt.
Das Jahr 1818 bringt wenig Tagebuch-Notizen von all gemeinerem Intereſſe; unter dieſen ſind hier erwähnenswert nur der Brand des Pillnitzer Schloſſes und des berühmten Venustempels am 1. Mai, das fünfzigjährige Regierungs⸗ Jubiläum des Königs am 15. September und der Tod der alten Prinzeſſin Eliſabeth am Weihnachtsabend. Über ihr Sterben ſchreibt die Prinzeſſin: „Ich wollte ſie nur von fern ſehen, aber ſie winkte mir von weitem und ſagte mir dann ganz ruhig und mit ſtarker Stimme: Wir werden uns nicht mehr ſehen. — Entſetzlicher Eindruck, den mir das machte! — Sie hatte während der Kirchenzeit im Sterben gelegen, ihre Rieſen— natur ſich aber wieder erholt. Um 5% Uhr nachmittags ſtarb ſie.“
Chere tante Eliſabeth war, wie früher ſchon bemerkt, im Jahre 1746 geboren, hatte alſo ein Alter von 72 Jahren er— reicht. Wenn die Verfaſſerin des Tagebuchs von ihrer Groß— mutter, der Herzogin von Parma, im Jahre 1803 bei deren Beſuch in Dresden, jagt: „Sie war eine große, männlich aus— ſehende Frau; wir Kinder liebten ſie ſehr,“ ſo galt ohne Zweifel das nämliche von jener Großtante Eliſabeth, und das Beiſpiel ihrer energiſch angelegten Perſönlichkeit iſt auf die, gleich der Groß— tante ledig gebliebene Großnichte wohl nicht ohne kräftigenden Einfluß geweſen. Das Tagebuch iſt voll von kleinen Zügen, welche Prinzeſſin Eliſabeths reſolutes Weſen deutlich erkennen laſſen. Sie war es auch, die ſich durch kein noch jo arg bedroh— liches Kriegswetter aus Dresden vertreiben ließ. Als während—
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der Gefangenschaft des Königs alles darauf ankommt, den Kaiſer von Rußland für die Sache des Königs zu gewinnen, läßt ſie es nicht an ſachkundigen Weiſungen fehlen, nach welchen von den in Prag weilenden Angehörigen des Königs in dieſer Richtung erſprießliche Schritte zu thun ſind; ſie ſcheut aber auch nicht die Schwierigkeiten, die man ihr macht, als ſie des Kaiſers ſelbſt habhaft zu werden ſucht, reiſt, als man ihr den Paß nach Leipzig verweigert, mitten durch das Truppentreiben ohne Paß nach Leipzig und giebt dort dem Fürſten Repnin auf ſeine Bitte, ſie möge dem Kaiſer wenigſtens nicht von Politik reden, zur Antwort: Sie ſei zu alt, um erſt zu lernen, wie man mit einem Souverän ſpreche, übrigens hieße es nicht von Politik ſprechen, wenn ſie für ihren Neffen redete. Sie ſetzt dann durch, daß man dem Miniſter Einſiedel geſtattet, ihren Beſuch bei dem Kaiſer anzumelden, und als der letztere ſo artig iſt, ihr nun zuerſt ſeinen Beſuch zu machen, weiß ſie es einzurichten, daß der Kaiſer auf dem Fenſterbret ihres Zimmers ein ihr von den Leipziger Studenten überreichtes Gedicht findet, in welchem die— ſelben ihre Anhänglichkeit an den König ausgeſprochen haben. Jetzt läßt der Kaiſer die Studenten heraufrufen, und die Prin⸗ zeſſin Eliſabeth hat die Freude, das Gedicht zweimal in Gegen⸗ wart des Kaiſers vortragen zu hören. Dreiviertel Stunden hat der Kaiſer ihr gewidmet. Die draußen verſammelte Menge zählt in ſehr gehobener Stimmung die Minuten, und von den be⸗ geiſterten Vivats, welche zuguterletzt ausgebracht werden, fällt der beherzten alten Dame jedenfalls ein erheblicher Teil zu. Das Jahr 1819 bringt am 17. Januar zunächſt die feſtlich begangene goldne Hochzeit des Königspaares — „weder Braut noch Bräutigam hatten graues Haar“ —, dann wird am 25. Januar die Reiſe nach Italien angetreten, und zwar begleitet die Verfaſſerin des Tagebuchs wiederum den Prinzen Anton
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und feine Gattin, Prinzeſſin Thereſe. Vor allem fteht der Sinn der Prinzeſſin Amalie natürlich nach Florenz, wo ihre Schweſter an der Seite des Erbprinzen Leopold dem von ſo vielen ſchweren Prüfungen heimgeſucht geweſenen Hofe von Toscana wieder Heiterkeit und Lebensfreudigkeit gegeben hat. Es ſei hier daran erinnert, daß der im Jahre 1769 geborene und im Alter von 21 Jahren ſeinem Vater in der Regierung gefolgte Großherzog Ferdinand, nachdem er neun Jahre lang ſich inmitten der all— ſeitigen franzöſiſchen Vergewaltigung Italiens glücklich behauptet hatte, im Jahre 1801 auf Toscana Verzicht leiſten mußte. Ein Jahr darauf ſtarb ihm in Wien ſeine Gattin Luiſe, die Tochter des Königs Ferdinand I. von Neapel. Mit ſeinen drei Kindern haben wir ihn ſeitdem in Frankfurt a. M. und in Prag mit der ſächſiſchen Königsfamilie Verkehr pflegen geſehen. Zuerſt war ihm durch die Umgeſtaltung der europäiſchen Länderkarte das 1802 neu geſchaffene Kurfürſtentum Salzburg zugefallen; dann ging durch den Preßburger Frieden 1805 Salzburg an Bayern und Oſterreich über und Würzburg wurde ihm zu Teil. Erſt die Schlacht von Leipzig bahnte ihm wieder den Weg über die Alpen und in ſein Geburtsland, deſſen Regierung ihm dann durch den erſten Pariſer Frieden zurückgegeben wurde, und aus deſſen Reſidenz ihn ſeitdem nur der im Jahre 1815 von Murat unternommene, raſch mißlungene Kriegszug auf kurze Zeit ver— trieben hatte. Seitdem waren vier Jahre friedlich geordneter Zuſtände gefolgt. Napoleon ſaß in weiter Ferne auf St. Helena. Es grollte wohl hier und da noch eine Gewitterwolke. Die ge— heime Verbindung der Carbonari zählte nach hunderttauſenden und hielt die Vertreibung der Franzoſen nur erſt für eine Ab- ſchlagszahlung, welcher weiteres zu folgen habe. In Florenz war die Stimmung aber eine freudig gehobene und von dieſem Gefühl war auch der Palazzo Pitti erfüllt.
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Vorerſt hatte jedoch das wieder zu Glanz und Sorgloſigkeit zurückgekehrte Wien den nächſten Anſpruch auf das Intereſſe und die Empfänglichkeit der ihm von Dresden aus zuſteuernden Reiſekarawane.
Von der damaligen Beſchaffenheit der Wege in Böhmen und Mähren und von der ganzen, beſchwerlichen Beförderungs⸗ weiſe jener Zeit giebt wohl einen genügenden Begriff der eine Umſtand, daß, wie die Prinzeſſin ſchreibt, zuletzt auf jeder Station, bis Wien endlich erreicht wurde, die Räder der prinz⸗ lichen Wagen ausgebeſſert werden mußten.
Beim Kaiſer ſieht die Prinzeſſin wiederum den kleinen Na⸗ poleon und „bewundert den Verſtand dieſes achtjährigen Kindes, denn er ſprach wie ein Menſch von 20 Jahren.“ Bei einem Beſuche der Porzellanfabrik erbietet er ſich ſogleich, ihr das Merkwürdigſte zu zeigen.
Ein Ball der „größtenteils hübſchen“ Penſionärinnen bei den Saleſianerinnen, über den die Prinzeſſin berichtet, beginnt bereits Vormittags 10 Uhr. Die Mädchen ſind alle gleichmäßig gekleidet; die Freude des Wiederſehens der Eltern — beſonders die Väter haben nur bei ſeltenen Veranlaſſungen Zutritt — ſchien der Prinzeſſin das intereſſanteſte.
In der Oper ſieht ſie das Ballet Achilles und bewundert darin eine neu engagierte, bereits fünfzigjährige Tänzerin, Mademoiſelle Millera. Roſſinis Othello entzückt ſie. „Die Muſik iſt herrlich, wie in allen Roſſiniſchen Opern.“ Nicht minder erfreut ſie die Medea von Cherubini, die ſie für das Vorbild der „Veſtalin“ hält. Die Sängerin Borgondi ſtellt fie über die Catalani. Eine Muſikmeſſe von Eibler, die ſie in der Schloßkirche hört, „iſt ſehr gelehrt, aber weniger melodiſch, als unſere Dresdner Meſſen.“
Siebenter Abſchnitt. Erſte italieniſche Reiſe.
(Februar bis Auguſt 1819.)
K. 6. Februar wird Wien verlaſſen und kaum ſind die Reiſenden jenſeits der Acciſe-Linie, als auch ſchon wieder
die damals herkömmlichen Nöte beginnen; ein Rad ihres Wagens brennt und man muß nach dem Löſchen noch die Hilfe des nächſten Dorfſchmiedes beanſpruchen. Die köſtlichen Aus- blicke, wie ſie die weitere Fahrt bietet, entſchädigen aber reichlich für alle Reiſeleiden, zu denen unheimliche und ſchmutzige Wirts— häuſer in Judenburg und Furſach das ihrige beitragen, und Prinzeſſin Amalie erträgt ſogar mit guter Laune das Ungeſchick eines Fuhrmanns, der ſie in Greifenberg durch einen ſo niedrigen Thorweg fährt, daß über ihr das Wagendach zuſammenbricht. In Tirol, deſſen zierliche und ſaubere Häuſer ihr weit beſſer als „die elenden Hütten von Illyrien“ gefallen, ſieht ſie im Wirtshauſe zu Villian eine Braut im roſenfarbnen Mieder und weißen Rock mit einem Männerhute auf dem Kopfe, die nach Landesbrauch entführt worden iſt, nämlich dem Bräutigam. Dies geſchieht ſeitens einiger junger Leute, ſobald beim Hoch— zeitsſchmaus das Sauerkraut aufgetragen iſt. Man bringt die Entführte dann in ein anderes Wirtshaus, woſelbſt die Ent— führer ſich wieder neue Speiſen auftiſchen laſſen. Nach zwei bis drei Stunden erſcheint der Brautführer, ſtellt ſich erſtaunt, muß
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wegen unterlaſſener Obacht die Zeche zahlen und führt die Braut dem Bräutigam wieder zu. Es wäre eine Schande für die Braut, wenn niemand ſie entführte.
An der ſmaragdgrünen Eiſach entlang geht es dann zwiſchen hohen Gebirgswänden auf Brixen zu. Die Hüte der Männer werden ſpitzer, die Sprache wird ein unverſtändlicher Miſch⸗ dialekt, die rauhe Winterluft iſt mildem Fächeln gewichen und endlich iſt Italien erreicht und Prinzeſſin Amalie ſchläft auf einem mit Maisſtroh geſtopften Lager, auf welchem ſie ſich wie auf einem Paradebette vorkommt.
In Verona werden wieder alle Sehenswürdigkeiten mit Intereſſe in Augenſchein genommen, darunter auch auf dem Kirchhofe ein ſoeben erſt zu Tage geförderter antiker Sarkophag. Als aber gleichzeitig Totengebeine in Menge zum Vorſchein kommen, macht ſich Prinzeſſin Amalie ſchleunigſt aus dem Staube. Auffallend iſt ihr vor allem der laute Lärm und das laute Reden in den Straßen, das ſelbſt nachts nicht aufhört.
In Mantua ſieht ſie die Gattin des geſtürzten Imperators wieder, Marie Louiſe. „Sie iſt vielleicht jetzt weniger hübſch,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „aber viel liebenswürdiger. Sie ſprach mit mir von ihrem Sohne, da ſie wußte, daß ich ihn liebe und eine Locke von ſeinem Haare abgeſchnitten habe, die ich bewahre.“
In Modena werden die Reiſenden von dem Herzog und der Herzogin bewillkommnet. „Er gleicht,“ ſchreibt die Prin⸗ zeſſin, „im Häßlichen ſeinen beiden Brüdern, iſt ſehr heiter und liebenswürdig. Die Herzogin iſt ſehr hübſch und ſcheint ſehr gutmütig, aber ſehr ſchüchtern. Sie hat ein hübſches kleines Kind.“ Herzog Franz IV., geb. 1779, ein Sohn des Erzherzogs Ferdinand von Oſterreich und der einzigen Tochter des letzten Herzogs aus dem Haufe Eſte, Hercules III., regierte ſeit 1814 und war ſeit 1824 mit Beatrix, der Tochter des Königs Victor
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Emanuel von Sardinien vermählt; das hier erwähnte Kind iſt der im Jahre 1819 geborne, 1846 ſeinem Vater in der Regier⸗ ung gefolgte und 1842 mit einer bayeriſchen Prinzeſſin vermählte Herzog Franz V. Die beiden Brüder ſeines Vaters ſind die Erzherzöge Ferdinand und Max von Eſte. Der erſtere war öſterreichiſcher Feldmarſchall und General-Gouverneur von Galizien und Siebenbürgen.
Am 16. Februar wird das vorläufige Reiſeziel — Florenz — erreicht, nachdem die Reiſenden ſchon vor der Stadt von der jungen Erbprinzeſſin — Nany, der damals zwanzigjährigen Schweſter Prinzeſſin Amaliens — aufs herzlichſte begrüßt worden find. „Ich kann nicht ſagen,“ ſchreibt Prinzeſſin Amalie, „wie ſehr ich mich freute, ſie wiederzuſehen.“
Die Flut des ſchon in Verona der Prinzeſſin ſo lärmend und nachtwach erſchienenen Karnevals geht in Florenz in noch höheren Wogen. Auch der Hof beteiligt ſich fleißig daran und nach dem Theater, woſelbſt meiſtens während eines Zwiſchen— akts ſoupiert wird, vergnügt man ſich bald hier, bald dort in Maske und Domino. Auch mittags wird wohl einmal in den Uffizien in Maske und ſchwarzem Domino promeniert. „Es iſt höchſt amüſant,“ heißt es, „unter dieſer Menge maskierter und unmaskierter Menſchen herumzuwandeln. Heiterkeit und Anſtand herrſchen dort verbunden.“ Ein paar Deutſche, welche das Deutſchreden der Prinzeſſin und der ſie begleitenden Dame bei ſolcher Gelegenheit bemerkt hatten, „wollten durchaus entdecken, wer wir waren,“ gelangten aber nicht dazu.
Am 7. März kommt Kaiſer Franz nach Florenz und wird von den Seinen wie vom Volke aufs wärmſte empfangen. Unter den Feſtlichkeiten, die ſich an ſeinen Beſuch knüpften, ſei eine Apony'ſche Fete erwähnt, in welcher ſich auch der Impro- viſator Sgricei hören laſſen wollte. Auf Verlangen gab der
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Kaiſer ihm ein Sujet — „das der Sappho, in der Hoffnung, es könne zu keinem Kompliment Anlaß geben. Das letztere ſchien indeſſen ſchon vorbereitet zu ſein und der Kaiſer mußte es anhören, worauf Sgricci über die Sappho ein ganzes Trauerſpiel improviſierte. Es war ſchön, aber lang.“
Ein beſonders prächtiges Feſt wird zu Ehren des Kaiſers im Palazzo vecchio veranſtaltet, wo man den Saal der Zweihundert in ein reich beleuchtetes Theater verwandelt hat. Es wird eine Kantate aufgeführt, „in welcher Tachinardi als Genius erſchien und die Etrucia aus Freude über des Kaiſers Ankunft in Ohnmacht fiel. Die Muſik war mittelmäßig.“
Vor allem ſucht die Prinzeſſin aber unter den reichen Kunſtſchätzen der Stadt heimiſch zu werden und ihr Tagebuch legt von den dabei empfangenen Eindrücken ausgiebige Rech⸗ nung ab.
Am 31. März wird dann über Siena und Bolzena nach Rom aufgebrochen. Von der römiſchen Grenze an haben die Reiſenden vier Bewaffnete als berittene Eskorte, doch giebt an manchem Orte der zerlumpte Zuſtand der Müßiggänger, welche ſich um die Wagen ſcharen, berechtigten Grund zu Beſorgniſſen, zumal man bei S. Lorenzo vecchio, einem früheren Räuber⸗ ſchlupfwinkel, eine Stange in die Lüfte hat ragen ſehen, an welcher Hände und Füße von Räubern hingen, das Birbanten⸗ tum in dieſer Gegend alſo noch keineswegs ganz der Mythe angehört. |
Endlich, am 3. April, zeigt ſich aber am Horizonte die ewige Stadt, „ein herrlicher und ergreifender Anblick.“
Als Abſteigequartier werden den Reiſenden im Vatikan die Zimmer der Gräfin Mathilde angewieſen. Kaiſer Franz iſt bereits in Rom. Ihm gilt der erſte Beſuch. Dann holt Kar⸗ dinal Conſalvi (der Verfaſſer des berühmten Motuproprio vom
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6. Juli 1816 und der Vermittler beim Abſchluß der Konkordate mit Frankreich, Rußland, Preußen ꝛc.) fie zu Pius VII. Der⸗ ſelbe wird von der Prinzeſſin als der liebenswürdigſte, ehr- würdigſte Greis geſchildert, deſſen Miene einen himmliſchen Ausdruck hat, und der voll Sanftmut ohne alle Strenge der von ihm überſtandenen Drangſale gedachte.
Am folgenden Palmſonntag iſt in der päpſtlichen Kapelle Palmenweihe in Gegenwart des Papſtes, der, auf zwei Geift- liche geſtützt, in die Kapelle kommt und nur mit Mühe ſich be— wegt. Rund und rot erſcheint dagegen das Geſicht eines leb— haften Mannes in mittleren Jahren, des Kardinals Feſch, des
Stiefbruders der Mutter Napoleons.
Unter den Beſuchen, welche Prinz Anton mit Gattin und Nichte abſtattet, iſt auch der Beſuch bei dem alten, ſeit vier
Jahren blinden König Karl Emanuel von Sardinien, welcher,
ſeitdem er 1802 die Krone niederlegte, im Jeſuiten-Kollegium wohnt. Er trägt das Ordenskleid, iſt heiter und liebenswürdig. „Als wir eintraten, maß er die Größe der chere tante, indem er ihr die Hand auf den Kopf legte. Von cher oncle ſagte er, er habe ſchon am Tone ſeiner Stimme wahrgenommen, daß cher onele klein ſei.“
In der ſixtiniſchen Kapelle ſieht Prinzeſſin Amalie das jüngſte Gericht Michel Angelos und, bezeichnender Weiſe für ihre milde Denkungsart, findet ſie, inmitten ihrer Bewunderung, an dem Bilde auszuſetzen, „daß der Heiland in dem Augenblicke dargeſtellt iſt, wo er die Verdammten verwirft.“ Aber die Madonna, welche die Gerechten gleichſam unter ihren Schutz nimmt, macht auf ſie einen deſto tieferen Eindruck.
Das berühmte Miſerere am Mittwoch vor Oſtern ent⸗ ſpricht nicht ihren Erwartungen, gefällt ihr aber bei der Wieder⸗ holung am Gründonnerstage ſchon beſſer. Um ſo mächtiger
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wird ſie von der Großheit der Peterskirche ergriffen, und vor allem imponiert ihr die allerdings unvergleichliche Einfachheit „mit welcher die Karfreitags-Feier abends endet: Die rieſige Peterskirche durch ein einziges hellſtrahlendes Kreuz beleuchtet, das in der Mitte hängt und wie eine himmliſche Erſcheinung in der Luft ſchwebt, der greiſe Papſt ganz allein am Hauptaltar knieend, alles ſtill, alles in höchſter Sammlung, nie hat mir ein Gemälde oder eine Kirchen-Zeremonie ſolchen Eindruck ge⸗ macht.“
Am Sonnabend vor Oſtern nimmt der Papſt Glückwünſche entgegen. „Er war ſehr guter Laune,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „und ſeine Konverſation höchſt intereſſant. Was für einen Mann ſeines Alters verwunderlich iſt, iſt, daß er ſich nie wiederholt.“
Alle in Rom anweſenden Prinzen und Prinzeſſinnen ſpeiſen im Vatikan zuſammen. Es waren Kaiſer Franz, die Kaiſerin, Erzherzogin Karoline (die ſpätere Gattin Friedrich Auguſt II.), der Palatinus, Erbprinz Leopold von Toscana, Prinz Anton, Prinzeſſin Thereſe, Prinzeſſin Amalie, die Herzogin von Chabe⸗ lais, die Herzogin von Württemberg ſamt deren drei Töchtern, die Herzogin von Lucca mit zwei Kindern, der Großfürſt Michael und zwei Prinzen von Holſtein-Auguſtenburg. „Ich ſaß,“ heißt es am Oſterſonntag, „neben dem (21jährigen) Großfürſten Michael, der gar nicht liebenswürdig war. Er iſt ſo ernſthaft, daß er mich verlegen machte.“
Einen überraſchenden Eindruck empfängt die Prinzeſſin beim Hochamt des erſten Oſtertags, wo, nachdem nur Chorgeſang das Amt begleitet hat, bei der Wandlung ſich plötzlich ein Quartett von Waldhörnern hören läßt. Ebenſo unvorbereitet iſt Einzel⸗ nes in den Anordnungen der abends ſtattfindenden äußeren
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Illumination der Peterskirche. So um 1 Uhr nachts die wie durch Zauberſchlag beginnende Pechpfannen-Beleuchtung.
Bei einem am 20. April auf dem Kapitol ſtattfindenden Feuerwerk hat man dem Kaiſer das Vergnügen bereiten wollen, dasſelbe zu entzünden, worauf er denn auch eingeht, indem er ans Fenſter tritt und eigenhändig einen Papier-Adler anzündet. Derſelbe fliegt ſogleich auf den Platz hinab und ſteckt dort ein prächtiges Feuerwerk in Brand. Darauf folgt eine von Fiora⸗ vanti komponierte Kantate und dann — mitten unter den An⸗ tiken! — ein Souper, bei welchem ſich beſonders die Britten bemerkbar machen.
Die Galerien und Sammlungen aller Art werden von der Prinzeſſin und den Ihrigen in jeder freien Stunde beſucht und ſtudiert. In den verſchiedenen Paläſten der römiſchen Großen findet ſie ausnahmslos einen Vorſaal, worin ein Thronhimmel, unter welchem das Familienwappen hängt, geſchützt durch eine ringsum ſchließende Barriere. Canova, in deſſen Atelier man ſie führt, macht ihr den Eindruck eines ſehr beſcheidenen und angenehmen Mannes. In Thorwaldſens Atelier entzückt ſie vor allem deſſen „Nacht.“
In der eiſernen Kugel, welche die Kuppel der Peterskirche abſchließt, fällt es ihr auf, daß dieſer unerträglich heiße Raum mit einer Reſonanz behaftet iſt, die beim bloßen Sprechen den Ohren ſchon Schmerz bereitet.
Daß man im Süden die Toten im offenen Sarge durch die Straßen trägt, gewahrt fie zum erſten Male, als fie neu- gierig einer langen Prozeſſion von verhüllten Mitgliedern einer der zahlloſen italieniſchen Brüderſchaften zuſchaut; plötzlich muß ſie vor Schreck laut aufſchreien, denn der Sarg iſt offen und der Tote liegt mit unbedecktem Geſicht darin. Die formloſe Art, mit denen Arme zur letzten Ruhe gebracht werden, lernt ſie in
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der Apoſtelkirche kennen. „In Rom iſt kein Kirchhof,“ ſchreibt ſie, „und alles wird in den Kirchen begraben. Die Leute nahmen alſo den Sarg, ſchloſſen ihn, banden ihn an Stricke und warfen ihn in ein Loch am Fußboden, aus welchem man einen Stein genommen hatte. Wer keinen Sarg bezahlen kann, wird ohne Sarg hinabgeworfen.“
Über eine Heimfahrt von Tivoli in finſterer Nacht merkt die Prinzeſſin an, ſie habe die Fahrt mit drei Prinzen gemacht, welche ſämtlich — ſchliefen.
Selbſtverſtändlich iſt unter denjenigen Perſonen, welche die Anweſenheit des Kaiſerpaares durch Feſte feiern, der öſterreich⸗ iſche Geſandte Graf Kaunitz nicht zurückgeblieben. Auf einer ſeiner Soireen hört Prinzeſſin Amalie zum erſten Male Paga⸗ nini und bekennt, nie etwas Vollkommneres an Violinſpiel ver⸗ nommen zu haben. Auf dem darnach folgenden Balle tanzt ſie mit ihrem Vetter (Leopold?) — „denn ſonſt kannte ich nie⸗ mand“ — eine Ekoſſaiſe und eine Quadrille, erlebt zum Schluß des Feſtes aber das Abenteuer, daß durch irgend ein Mißver⸗ ſtändniß die Ihren nicht nur ohne ſie nach Hauſe gefahren ſind, es findet ſich auch weder ihr Shwal, noch ihr Bedienter, noch ihr Wagen. So muß ſie denn froh ſein, daß Graf Kaunitz ihr ſeinen Pelz borgt und daß Fürſt Maſſimi die Artigkeit hat, ſie in ſeinem Wagen nach Hauſe zu bringen.
Am 27. April wird nach Neapel aufgebrochen. Bei Terra⸗ cina bietet ſich ihr zum erſten Male in ihrem Leben der Anblick des Meeres. Sie kann den Eindruck nicht beſchreiben. In der That, wer vermag es?
Am 29. April iſt Neapel erreicht, die ſchönſte Stadt, wie die Prinzeſſin glaubt, die ſie je geſehen hat. „Wir fuhren gleich ins Schloß,“ heißt es weiter. „Obſchon es Mittag war, empfingen uns Lakaien mit brennenden Lichtern. Wir gingen
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ins Vorzimmer des Königs, wo wir kaum eingetreten waren, als uns ein langer, magerer, alter Mann mit einem offenen Geſichte entgegenkam. Es war der König ſelbſt“ (Ferdinand I., Sohn Karls des Dritten von Spanien, 1751 geboren, 1759 unter Vormundſchaft König von Neapel, 1767 mündig, 1768
mit Marie Karoline, einer Tochter Maria Thereſias, verheiratet,
1815 zum Witwer geworden, 1819 alſo 68 Jahre alt). „Er führte uns in ſein Zimmer und zeigte uns das Porträt ſeiner Tochter, der Herzogin von Orleans; dann auf ein anderes Por⸗ trät, das einer ſchönen, weißgekleideten Dame deutend, ſagte er: „Dieſe iſt auch eine Perſon, die mich ſehr nahe angeht, die Fürſtin
von Partana; ich werde fie holen.“ — Sogleich führte er uns ins
Nebenzimmer und ſagte: ‚Hier iſt meine Gefährtin.“ — Die Fürſtin Partana,“ fährt das Tagebuch fort, „ſeit vier Jahren mit dem Könige verheiratet, iſt noch ſehr ſchön und hat eine elegante Geſtalt, obgleich ſie tief in den Vierzigen iſt. Sie iſt ſehr liebenswürdig und der König betet ſie an.“ (Sie war eine geborne Lucia Migliaccio und wurde während ihrer Ehe mit dem Fürſten von Partana Mutter vieler Kinder. Der König huldigte ihr ſchon bei Lebzeiten des Fürſten und ließ, nachdem ſie Witwe geworden und auch ſeine Gattin, die Königin Maria Karoline, während des Wiener Kongreſſes in Hetzendorf ge— ſtorben war, ſich mit der verwitweten Fürſtin trauen.) „Wir gingen von ihr zum Kaiſer, wo ſich die ganze königliche Familie verſammelte. Der Kronprinz (der ſpätere König Franz I.) und Prinz Leopold haben beide ganz die offene Gutmütigkeit ihres Vaters. Die Kronprinzeſſin, Schweſter der Herzogin von Lucca, iſt von einer rührenden Freundlichkeit. Marie, Frau des Prinzen Leopold, trägt die Sanftmut auf dem Geſicht gemalt, aber ſie ſpricht wenig, vielleicht weil ſie etwas taub iſt. Luiſe, älteſte Tochter des Kronprinzen und ſeit wenig Tagen mit Don Fran⸗ 9
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cisco von Spanien durch Prokuration vermählt, iſt nicht hübſch, aber ich habe nie eine geſetztere und ſo durchaus nicht ſchüchterne junge Perſon von vierzehn Jahren geſehen. Sie ſchien viel geweint zu haben, denn übermorgen ſoll ſie ſich einſchiffen. Ihre Schweſter Chriſtine (die ſpätere Königin von Spanien) iſt ſehr hübſch.“
Nach der „ſehr luſtigen“ Mahlzeit beziehen die ſächſiſchen Gäſte das ihnen in dem ſchönen Kaſino Chiatamone mit der Ausſicht auf das Meer und den Veſuv angewieſene Quartier, woſelbſt gleich darauf der Kronprinz mit ſeinen acht Kindern ſeine Aufwartung macht.
Von den Aufzeichnungen der folgenden Tage nur einiges. Das Lichtertragen am hellen Tage erweiſt ſich als eine im Schloſſe übliche Höflichkeitsſitte, die auch für die Prinzen des Hauſes herkömmlich iſt. Am 1. Mai werden dem Könige eine Menge aus Blumen hergerichtete Tempelchen verehrt, deren einige im Innern kleine Springbrunnen haben. Zum Pfingſt⸗ feſte empfängt der König von ſeiner Familie und ſeinen Gäſten Gratulationen, und zwar gratuliert man um 9½ Uhr morgens in halber Gala, nachdem ſchon um 4 Uhr in der Frühe Kanonen⸗ ſchüſſe das Pfingſtfeſt verkündet haben, und alle Enkel bringen ihm zugleich mit ihren Gratulationen Geſchenke. Nach der Gratulation wirft man ſich in große Gala, denn es wird Cercle gehalten. Nach dem Cercle geht's in einfacher Kleidung zum Diner. Wieder in großer Gala dann in das feſtlich beleuchtete Theater S. Carlo.
Wie wenig in manchen Einzelnheiten das in Neapel herr⸗ ſchende geſellſchaftliche Herkommen mit demjenigen anderer Reſidenzen harmoniert, nimmt die Prinzeſſin zu ihrer Verlegen⸗ heit in einem Zirkel und Konzert bei dem öſterreichiſchen Ge⸗ ſandten wahr, denn obſchon ſie dort ganz fremd iſt, wird ihr
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niemand vorgeſtellt. „Ich half mir,“ ſchreibt fie, „indem ich mich ſtellte, als erkenne ich einige Damen, die ich geſehen haben konnte und von denen ich dann Auskunft über ihre Nachbarin- nen erbat.“
Sehr formlos geht es auch bei einem Balle auf Capo di Monte zu. Der alte König zieht ſich um Mitternacht zurück, um zu ſchlafen, erſcheint dann wieder um 5 Uhr, wo man immer noch bei geſchloſſenen Laden und brennenden Kerzen tanzt, ruft bon giorno, als Zeichen, daß es des Tanzens nun genug iſt, und darauf werden die Läden geöffnet und die Lichter gelöſcht.
Ebenſo reitet der alte König „faſt als Bauer gekleidet“ mit einer langen Stange in der Hand neben dem Wagen des Kaiſers nach dem waldig gelegenen Jagdſchloſſe Carditello, wo Pferderennen ſtattfinden ſollen und wo ihn das geputzt im Grünen lagernde und auf Koſten des Königs eſſende und trinkende Volk mit freudigen Zurufen empfängt, ihm auch zu⸗ trinkt, worauf er vom Pferde herab mit dem ihm hinauf— gereichten Glaſe kordialen Beſcheid thut. Im Schloſſe ſelbſt werden dann die fürſtlichen Gäſte und der Adel an zahlloſen Tiſchen bewirtet.
Nicht minder populär iſt der König in einer Seiden-Kolonie nahe bei Caſerta. Er hat dahin die geſchickteſten Seidenarbeiter des Königreichs kommen laſſen, hat ihnen hübſche Häuſer bauen llaſſen, hat den noch nicht Vermählten zu Frauen verholfen und nennt ſich ihr Oberhaupt. Wie man der Prinzeſſin verſichert, kommen in dieſem von der übrigen Welt geſchiedenen Elyſium faſt nie Verbrechen vor. Die Fabrik heißt Leucio. Eine ſchöne Kirche im königlichen Schloſſe gehört dazu, ebenſo eine Schule. Den königlichen Gäſten werden von ſchmuck gekleideten Weibern weiße und gelbe Kokons verehrt, worauf die Weiber beim Klange des Tambourins nicht ohne Grazie die Tarantella zum
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beſten geben. „Der König ſorgt für den Unterhalt aller.“ — Vermutlich wird, wie ſchon zu Zeiten der Vizekönige, die Krone ſich gewiſſe Privilegien für die Seidenfabrikation geſichert haben.
Wie ſehr der König ſich darin gefällt, ſeinen Gefühlen für die Fürſtin von Partana, ſeit 1815 Herzogin von Floridia, in allerlei zarten Aufmerkſamkeiten Ausdruck zu geben, zeigt ſich den königlichen Gäſten unter anderem beim Beſuchen des auf einer Höhe gelegenen, auf den Golf blickenden Luſtſchloſſes Floridiana, das er der Trägerin dieſes Namens ſchenkte. Vor dem Schloſſe ließ der König eine Gruppe (Amor und Hymen) aufſtellen, deren Standpunkt in ſolcher Weiſe gegen die Sonne verbaut iſt, daß die von Amor gewundene Roſenkette von der Sonne nur an dem Tage und in der Stunde beſchienen wird, an welchem und in welcher der König mit jener Dame getraut wurde.
Von der Caſa dei Poveri macht die Prinzeſſin eine Be⸗ ſchreibung, die als Beleg für die damals herrſchende Liebhaberei für Erziehungs-Experimente Intereſſe bietet. „Das Gebäude iſt in zwei Flügel geteilt, der eine für Knaben, der andere für Mädchen. Kinder von Edelleuten und Bürgern, aber auch auf der Straße aufgegriffene Kinder werden in dem Inſtitut erzogen. Die Knaben können dort alles lernen, was ſie wollen: Religion, Geographie, Geſchichte, Muſik, Tanzen, Fechten und alle Hand⸗ werke. Die Mädchen lernen Sticken und in Korallen arbeiten. Kinder, welche geſtohlen oder ſonſt etwas verbrochen haben, werden in dies Haus auf einige Jahre eingeſtellt; ſie ſind von den anderen aber geſchieden und tragen ein Abzeichen; man lehrt ſie Handwerke. Die Zöglinge des Inſtituts ſpielten dem Kaiſer ein hübſches kleines Schauſpiel mit Geſang und Tanz und hielten dann im Garten ein kleines Militär⸗Manöver. Ein Taubſtummen⸗ und ein Blinden⸗Inſtitut und ein Spital für
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Greiſe ſind mit dieſem Inſtitut verbunden. Wenn das Gebäude ganz fertig ſein wird, können mehr als 5000 Menſchen darin wohnen.“ *)
Das Irren-⸗Inſtitut giebt der Prinzeſſin die traurige Ge— legenheit, Irre aller Art zu ſehen. Einer bildete ſich ein, der Papſt zu ſein, und teilte unabläſſig Segen aus. Ein junger Menſch ließ ſeine Stimme ertönen aus Freude über die Nach— richt, daß ihm feine Geliebte zugeſagt worden — die thatſäch⸗ liche Veranlaſſung ſeines Irrſinns. Zwei Weiber gingen in erſtaunlichem Putz. Sie ſollten vor Eitelkeit um ihren Verſtand gekommen ſein.
Über die Behandlungsart der Irren ermittelt die Prin⸗ zeſſin, daß man ihnen keine Arzneien gebe, ſie dagegen zu er— heitern und zu unterhalten ſuche. Sie machen Muſik, ſpielen Komödie und Billard und erhalten auch Lektüre. Ob ein Über⸗ raſchungsbad, deſſen Erwähnung geſchieht, zur Erheiterung des davon Überraſchten dient oder zu der ſeiner Zuſchauer, wird nicht angegeben. Wie in anderen Irrenhäuſern, fehlt es auch bier nicht an Raſenden, die man in ihren Betten feſtgebunden hält. „Mich ſchauderte beſonders im Zimmer der Wütenden, die auf greuliche Weiſe lachten und ſangen,“ ſchreibt die Prin⸗ zeſſin; „ich war froh, als wir endlich gingen.“
) Das Albergo dei Poveri, auch Seraglio genannt, wird in Karl Auguſt Mayers „Neapel und die Neapolitaner“ noch ausführlicher be⸗ ſchrieben. Danach war der Bau 1751 unter Karl III. begonnen. Er ſollte eine Front von 1924 Fuß bekommen, doch hat man es bei 1217 Fuß bewenden laſſen müſſen, wobei übrigens noch immer Frontreihen von 71 Fenſtern herauskommen; die Höhe beträgt 117 Fuß. Der erwähnte Reiſende, welcher ſein Buch im Jahre 1840 herausgab, ſchreibt: „Fabrik⸗ herren, denen herangewachſene Mädchen aus dem Armenhauſe zu Ar⸗ beiterinnen übergeben wurden, haben ſie ſo verwildert, ſo unfähig zu regelmäßiger Thätigkeit gefunden, daß ſie bald wieder entlaſſen werden mußten. Die Knaben trugen eine Art weißer Uniform und wurden mit Trommelbegleitung ſpazieren geführt.“
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Überhaupt bekommt fie manches Grauſige zu ſehen. So iſt ſie in der Kirche S. Domenico maggiore zugegen, als man — wie es ſcheint, zu Ehren des Kaiſers — einen Sarg öffnet. In einer andern Kirche (Sta. Trinita) wird der einbalſamierte Leichnam eines Seneſchalls der Königin Johanna gezeigt. „Die Arme der Leiche ſind noch ganz wohl erhalten,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „aber das Ganze ſchien mir etwas ekelhaft.“
„Qualen des Tantalus“ ſteht ſie demungeachtet aus, als
zwar ein in der Nähe des Sees Fuſaro entdecktes antikes Grab⸗ gewölbe in Gegenwart des Kaiſers aufgebrochen, aber Niemand außer den „Antiquaren des Kaiſers“ zum Hinabſteigen in das geöffnete Grab für geeignet erachtet wird. Das hätte die Prin⸗ zeſſin, wie fie verſichert, am meiſten intereſſiert; jetzt bekommt fie nur durch die Güte jener Herren von dem unten Gefundenen Gegenſtände zu ſehen, die fie „ſchon dutzendweiſe in den Muſeen geſehen hatte.“ — Die vier Zimmer, die man zu Ehren des Kaiſers in Pompeji ausgräbt, befriedigen die Wißbegier der Prinzeſſin ſchon beſſer: Gefäße, Lampen, Ohrgehänge, ein Farbentopf und zwei Gerippe ſind die nicht große, aber immer⸗ hin in eine weitentlegene und denkwürdige Vergangenheit ver⸗ ſetzende Ausbeute.
Die Pompejaniſchen Fresken, jetzt im Muſeum unter⸗ gebracht, befanden ſich damals noch teilweiſe in dem kronprinz⸗ lichen Schloſſe zu Portici. „Die Farben ſind faſt alle ver⸗ blichen,“ klagt die Prinzeſſin.
Da der alte Störenfried, der Veſuv, gerade während des neapolitaniſchen Aufenthalts des Kaiſers wieder einmal in voller Arbeit iſt, wird raſch der Plan zu einer Beſteigung des Berges entworfen, zur großen Freude der Prinzeſſin. In einer ſchönen Maiennacht ſetzt das Kaiſerpaar ſich denn nach Portici in Be⸗ wegung und Prinzeſſin Amalie hat die Erlaubnis erhalten, die
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Partie mitzumachen. Von Portici, wohin man zu Wagen ge— langt iſt, geht die Reiſe auf Eſeln weiter. „Unſere Geſellſchaft,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „auf Eſeln reitend, mit Pechfackeln be— leuchtet und von einer Schar neapolitaniſcher Bauern und Ciceronen begleitet, die gräßlich ſchrieen, glich einer Karawane. Man gelangte ſo bis an das Haus des Eremiten. Der Kaiſer wollte eintreten, aber einige betrunkene Engländer hatten ſich des Platzes bemächtigt und weigerten ſich, ihn zu räumen, ob- gleich ſie hinzufügten, daß es ihnen eine Ehre ſein würde, den Kaiſer darin zu empfangen. Endlich gelang es doch, ſie fort zu bringen. Nach einer halben Stunde Raſt ritten wir weiter, als aber der Berg zu ſteil wurde, ließen wir uns auf Seſſeln bis hinauf tragen. Mir wurde angſt, als ich mich in der Luft ſchweben ſah, denn die Bauern ſtemmten die Trageſtangen auf die Achſeln. Alle Augenblicke ſtolperten ſie und ich erkannte, daß ich mir notwendig die Füße brechen müßte, wenn zwei auf einmal fielen. Dazu ſchrieen ſie und ſtritten ſich in ihrer neapo⸗ litaniſchen Mundart, was mir nicht eben Mut machte. Bei alledem hatte ich noch die Kraft, den vor mir lagernden Krater zu bewundern, der jeden Augenblick ungeheure Feuerſträuße von glühenden Steinen auswarf. Ein Lärmen wie von einem Kanonenſchuß ging jeder Eruption voran. Endlich wurde ge— halten. Die Herren, die ſämtlich zu Fuß gegangen, waren noch zurückgeblieben, und ich folgte zu Fuß der Kaiſerin, die mir weit voran war, in Mitte eines Dutzends Bauern, welche Räubern glichen; aber es ſind gute Leute. Ich erreichte bald die Kaiſerin, und wir verweilten wohl eine Stunde lang auf der Bergſpitze, dem Krater gegenüber, der die herrlichſten Ex⸗ ploſionen machte. Immer derſelbe unterirdiſche Knall und nach dieſem ein Feuerſtrauß, der ſich bisweilen bedeutend hoch in die Luft erhob und ſich über den Berg hinab ergoß. Unter uns
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dampften Wolken von Rauch, die aus verſchiedenen Offnungen hervordrangen und ſehr warm, faſt erſtickend waren. Auf der entgegengeſetzten Seite des Veſuvs fing auf den Spitzen der Apenninen der Tag zu grauen an. Zugleich verbreiteten die Sterne und der halbe Mond ein blaſſes Licht. Endlich ging die Sonne auf, die Nebel ſchwanden und wir erblickten unter uns das Meer, Capri, Iſchia, Procida, Portici und Neapel — es war ein herrliches Schauſpiel!“
Weitere Ausflüge galten den Ruinen von Päſtum, dem königlichen Jagdſchloſſe Perſano mit ſeinem Geſtüt und ſeinem 30 Miglien umfaſſenden Park, dann auch der Solfatara und den zahlreichen ſonſtigen oft beſchriebenen Sehenswürdigkeiten des Golfufers. Zwei Kriegsſchiffe, ein engliſches und ein amerikaniſches, werden ebenfalls beſucht. Da aber jedes der⸗ ſelben für ſchicklich hält, dem Kaiſer zu Ehren 101 Kanonen⸗ ſchüſſe abzufeuern, ſo iſt der Genuß, den das Kennenlernen der intereſſanten Einrichtungen dieſer Waſſerfeſtungen bietet, ein nur mäßiger. Auch das Geſchrei, das vor allem die Weiber aus dem Volke in der Kirche des heiligen Januarius verführen, damit das tags zuvor ſchon geſchehene Wunder — das Flüſſig⸗ werden ſeines Blutes — ſich (zu Ehren des Kaiſers?) wieder⸗ hole, beeinträchtigt die Freude an den ſonſtigen volkstümlichen Seiten der feſtlichen Prozedur. Dieſelbe ſcheint nicht in Gegen⸗ wart des Hofes zum Ziele gelangt zu ſein, wenigſtens erwähnt das Tagebuch nur dieſes Verſuchs einer Wiederholung und fügt hinzu, daß der Prieſter endlich das Aufhören der Gebete an⸗ geſagt habe, worauf die Weiber in lautes Weinen ausgebrochen ſeien. a
Unter den vielen Theatervorſtellungen, über welche be⸗ richtet wird, ſei nur derjenigen vom 9. Mai gedacht, die in dem rieſig großen Theater S. Carlo ſtattfand. Man führte zu
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Ehren des Kaiſers eine Kantate und ein Ballet auf, dem ſich ein Bild anreihte, „den Kaiſer und den König vorſtellend, welche ſich die Hand reichten. Zugleich, während Vivatrufe und Applaus erſchallten, waren wie durch einen Zauberſchlag alle Logen mit Guirlanden geſchmückt und durch eine Offnung. im Plafond flogen unzählige Exemplare von Gedichten zu Ehren des Kaiſers ins Parterre.“ Das Ballet Orlando furioſo, welches folgte, verunglückte einigermaßen durch die Widerſpenſtigkeit des Hippogryphen; derſelbe „war ſo ſtätiſch, daß Aſtolfo zu Fuß über die Wolken nach dem Monde wan- deln mußte. Im Augenblicke, wo die fränkiſchen Ritter Karl
dem Großen huldigten, wurde die öſterreichiſche Nationalhymne
geſpielt.“ | Am 1. Juni wird Neapel verlaſſen und die Prinzeſſin
trennt ſich mit Thränen von dem ſchönen Golf und der ihr lieb
E gewordenen königlichen Familie, auf deren Wiederſehen ſie nicht hoffen zu dürfen glaubt.
Noch einmal begrüßt ſie am folgenden Tage von Mola di
Gͤgaeta aus das weithin ſichtbare Wahrzeichen des Golfs, den
| 1 rauchumhüllten Veſuv. N Am 3. Juni zeigen ſich dann von weitem wieder andere lliebgewonnene Bekannte: die Peterskuppel und der Lateran,
| 2 und bald darauf öffnen ſich den Reiſenden die gajtlichen Quar⸗
tiere im Quirinal.
Der diesmalige Aufenthalt in Rom dauert nur wenige Tage, doch wird die kurze Zeit fleißig ausgenützt und früher Verſäumtes nachgeholt. Bei Lampenbeleuchtung ſieht die Prin- zeſſin die Antiken des Vatikans und vermag nicht auszudrücken, wie das ſcheinbare Lebengewinnen dieſer ſchönen Bildwerke, in⸗ mitten des tiefen, nur von dem Geplätſcher der Fontänen unter⸗
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brochenen Stillſchweigens, ſie ergreift. Im Übrigen befindet ſich Rom gerade in jenen Tagen in der herkömmlichen Aufregung, in welche das Bekanntwerden einer neuen Kardinalswahl die ewige Stadt damals noch zu verſetzen pflegte. Diesmal iſt der neue Kardinal kein Geringerer als der öſterreichiſche Erzherzog Rudolph. Es giebt alſo auch hier, wie in Neapel, Kanonaden und Feuerwerke.
Am 6. Juni wird dann in der Kapelle des Quirinals eine vollkommene Ablaßbulle verleſen und der Papſt giebt den Segen. Darauf Nachmittags das uralte Volksfeſt der Piazza navona, die ſogenannte Corſa dei Fantini. Als die Reiſenden abends zum Papſte gehen, der ihnen prächtige Roſenkränze ſchenkt, „iſt der arme alte Herr ſehr froh, daß das Rennen ohne Unfall vorübergegangen, da man ihm die Erlaubnis, es abzuhalten, gleichſam abgepreßt hat, denn das Volk hängt leidenſchaftlich an dieſem Vergnügen. Ins Ohr erzählte man ſich, daß bei der Probe ein paar den Hals gebrochen, was aber dem Papſte ſorgfältig verheimlicht worden.“
Am 8. Juni wird die Rückreiſe nach Florenz angetreten. Sie geht über Viterbo, Terni, Spoleto, Aſſiſi, Perugia und Arezzo. Am 10. abends erreicht man Florenz, woſelbſt in der Meridiana abgeſtiegen wird. Auch in Florenz geben volks⸗ tümliche Rennen den Reiſenden erwünſchte Gelegenheit, die Bevölkerung der Stadt und der Umgebung in feſtlichem Schmucke zu ſehen. Am Vorabend des Johannestages finden auf der Piazza Santa Maria novella das ſogenannte Palio dei Cocchi ſtatt, ein Rennen mit antiken Wagen. „Die Kutſcher, welche dieſe vier Wagen führten, waren antik gekleidet und trugen ſo wie die Pferde die Farbe ihres Wagens. Alle dieſe Wagen gehören demſelben Herrn und der Sieger iſt im Voraus be⸗ ſtimmt, damit keine Rivalität ſtattfindet. Indes war doch der
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beſtimmte Sieger an dieſem Tage dumm genug, ſich überwinden zu laſſen.“
Am Johannestage folgt die ſogenannte Corſa dei Barberi vor der Porta al Prato, ein Pferderennen, bei welchem der Sieger Geld unter das Volk verteilen muß, weshalb jeder am Rennen Beteiligte ſich einen reichen Patron ſichert, der im Fall des Sieges dieſe Spende hergiebt. Wie bei dem Wagenrennen iſt der Hof in Gala bei dem Pferderennen anweſend, und der Großherzog empfängt durch Kanonenſchüſſe ein nur ihm ver⸗ ſtändliches Zeichen vom Turme des Palazzo vecchio über den als Sieger von ihm bekannt zu Gebenden, worauf er die Liſte der Pferde vom Balkon unter das Volk wirft. Der Corſa vorausgegangen war ein beſonders brillanter Korſo, bei dem alle Pracht- Equipagen und Livreen von Florenz paradierten. „Fürſt Borgheſe hatte ſeine Hausleute einzeln in ſeine Wagen verteilt, um dieſe alle ans Licht zu bringen.“
Die Theater werden, wie überall in jener Zeit, auch in Florenz von den Opern Roſſinis faſt ausſchließlich beherrſcht, und allabendlich führt man in der Pergola die Cenerentola auf, im Teatro nuovo den Barbiere di Seviglia, erſtere mit aus— gezeichneter, letzteren mit nicht genügender Beſetzung. Hier⸗ durch erklärt ſich's wohl, daß die Prinzeſſin nur die Muſik der Cenerentola beifällig erwähnt, während die des Barbiere ihr „das Mittelmäßigſte“ dünkt, was Roſſini geſchrieben habe.
Die Oper eines jungen Komponiſten namens Barolini, welche die Prinzeſſin aufführen ſieht, wirkt ſchon dadurch be— fremdlich, daß die Rollen des Achill und des Ulyſſes durch Damen beſetzt ſind.
Eine Verzögerung der Abreiſe wird durch das Erkranken der Prinzeſſin gegen den Schluß des Juni veranlaßt. Acht Tage lang liegt ſie bewußtlos. Nach und nach kehren ihre
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Kräfte zurück, doch kann ſie ihre Pflegeeltern nicht heimbegleiten. Dieſelben reiſen am 19. Juli, bald nach dem Kaiſerpaare, über Mailand und Venedig zurück. Gleich der Prinzeſſin ſind drei Perſonen von dem prinzlichen Dienſtperſonal erkrankt und müſſen zurückbleiben, und ebenſo ſchwebt die junge Erzherzogin Karoline (die ſpätere erſte Gattin König Friedrich Auguſts II.) infolge eines Nervenfiebers einige Zeit lang in Lebensgefahr.
Am 8. Auguſt verläßt die Prinzeſſin Florenz, nachdem ſie zu ihrer raſcheren Geneſung vierzehn Tage lang in Peggio Imperiale zugebracht hat, und erreicht, über Bologna, Modena und Reggio, am 10. abends Parma. Mit ihr reiſen nach Dresden ihre Schweſter „Nany“ und deren Gatte, der Erbprinz Leopold von Toscana. In Parma wird ihr die Freude zu teil, mit ihrer Schweſter im Kloſter der Urſulinerinnen die ehr⸗ würdige Schweſter ihrer verſtorbenen Mutter kennen zu lernen. „Sie iſt groß,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „und noch ſo ſchön, daß ſie die größte Schönheit ihrer Zeit geweſen ſein muß, wie die⸗ jenigen auch beſtätigen, die ſie in ihrer Jugend gekannt haben.“
Von Merkwürdigkeiten ſieht die Prinzeſſin in Parma nur die Wiege des Königs von Rom, ein Meiſterwerk franzöſiſcher Goldarbeiterkunſt, aus Perlmutter; dann auch die prächtige Lapislazuli⸗Toilette, welche die Stadt Paris der Kaiſerin Marie Luiſe zur Hochzeit geſchenkt hatte.
Auf der Weiterreiſe nach Verona beſuchen die Reiſenden das in Marie Luiſens Beſitz übergegangene Schloß Colorno, welches früher dem Großvater der Prinzeſſin, dem Herzog von Parma, gehörte, und faſt immer von ihm bewohnt wurde. In dem Mittelſaale des Schloſſes befindet ſich eine Statue Marie Luiſens von Canova.
Über Verona, Trient, Botzen und Brixen geht es dann in das Herz Tyrols hinein, deſſen Schönheiten zu beſchreiben, der
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Prinzeſſin ſchier unmöglich dünken will. In Kufſtein ſtellt ſich der junge Fürſt Taxis den Reiſenden vor, um ſie im Auftrage des Königs von Bayern nach Tegernſee einzuladen. Der Um- weg dahin erfordert indeſſen mehr Zeit, als die Reiſenden ver— fügbar haben, ſo daß auf die Annahme der Einladung verzichtet werden muß und die Fahrt auf München fortgeſetzt wird. Dieſelbe verlängert ſich aber doch durch den Umweg über Roſenhain, angeblich wegen einer ſchadhaften Brücke auf der direkten Route, vielleicht wohl eher auf Veranſtaltung jenes flürſtlichen Boten, denn in München angekommen und mit Schweſter und Schwager in einem Hotel abgeſtiegen, hat die Prinzeſſin die Überraſchung, einen etwa fünfzigjährigen Mann im Frack und mit einem Sterne auf der Bruſt in ihr Zimmer treten und ohne ein Wort zu ſagen, auf ſie zu marſchieren zu
Sehen. „Ich wußte nicht,“ ſchreibt fie, „was ich aus ihm
machen ſollte, bis er endlich zu ſprechen anfing und ſagte: ‚Er- kennen ſie mich denn nicht? Ich bin der Bruder ihrer Tante.“ — Es war der König ſelbſt, der von Tegernſee herübergekom— men war.“ (Maximilian Joſeph, 1799 zur Regierung gelangt, war der Bruder der Gattin Friedrich Auguſts I., der Kurfürſtin Maria Amalia, gebornen Prinzeſſin von Pfalz - Zweibrüden.) „Er führte mich ſogleich zu Nany, wo ich die Königin mit ihren Töchtern Eliſe und Amalie (die ſpäteren Gattinen König Friedrich Wilhelms IV. und König Johanns) fand. Die Königin (Karoline Friederike Wilhelmine, Tochter des Erb— prinzen Karl Ludwig von Baden, die zweite Gattin des Königs) iſt groß, noch immer ſchön und ſehr liebenswürdig. Ihre älteren Zwillingstöchter ſind allerliebſt und ſehen ſich ſo ähnlich, daß man ſie kaum unterſcheiden kann.“ — Einander nicht ähnlich, ſchreibt die Prinzeſſin an einer anderen Stelle, ſeien die jüngeren Zwillingsſchweſtern Sophie und Marie (die
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ſpäteren Gattinnen des Erzherzogs Franz Karl und des Königs Friedrich Auguſt II. in zweiter Ehe); von den beiden Prin⸗ zeſſinnen Luiſe (die jetzige Herzogin Max in Bayern, Mutter der Kaiſerin Eliſabeth von Oſterreich) und Karoline ſcheine die erſtere viel Verſtand und die letztere viel Anmut zu haben.
Die Umquartierung nach dem lieblichen Luſtſchloſſe Nym⸗ phenburg folgt dieſem königlichen Beſuche auf dem Fuße, der Aufenthalt iſt aber nicht wohl ausdehnbar, da die Vermählung der bald ſechzehnjährigen Prinzeſſin Joſepha mit dem Könige von Spanien (Ferdinand VII., geb. 1784) nahe bevorſteht.
Am 24. Auguſt werden die Reiſenden in Freiberg durch die Gegenwart der ihnen entgegengereiſten Geſchwiſter und des Prinzen Max überraſcht, und noch am ſelben Tage langt man in Dresden an.
| Achter Abſchnitt. Zweite italieniſche Reiſe. (1820 bis 1821.)
2 (fi Teil der Dresdner Feierlichkeiten war ſchon vorüber, 3 vor allem der große Aufzug des ſpaniſchen Ambaſſadeurs 3 Ceralbo. Auch hier war der bereits Ende Mai ſchriftlich eingegangenen und am 2. Juni zuſagend beantworteten Werbung acht Tage ſpäter eine offizielle Werbung ſeitens des Ambaſſa⸗ 1 deurs gefolgt, und dann hatte am 21. Auguſt jener nochmalige Aufzug desſelben Würdenträgers mit der noch zeremonielleren Werbung und die Überreichung einer Broche mit dem Porträt 1 des Bräutigams ſtattgefunden. Die Braut war bei dieſer Ge— 7 legenheit von dem Ambaſſadeur ſpaniſch angeſprochen worden und hatte ihm ſpaniſch zu antworten gehabt. 4 Am 26. folgt nun die Unterzeichnung des Ehevertrags, am 28. die Entſagungszeremonie und die Trauung, wobei der Bräutigam durch den hochbetagten König Friedrich Auguſt ver- treten wird, und Prinzeſſin Amalie wieder der Braut die Schleppe trägt; am 29. iſt bei der jungen Königin von Spanien große Gala und Kour, und in beſonderer Audienz gelangen unter Ceralbos Führung die anweſenden Spanier zum Hand— kuß mit Kniebeugung; nachher Verleihung des Luiſen-Ordens ſeitens der jungen Königin von Spanien an die Königin von Sachſen und an diejenigen ſächſiſchen Prinzeſſinnen, welche den
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Orden noch nicht beſitzen. Bankett, Gala-Theater und endlich Ball beim ſpaniſchen Ambaſſadeur beſchließen den Reigen.
Wie dies bei dem Prinzen Max ſelbſtverſtändlich war, hatte neben dieſem zeremoniellen Teil aber auch die gemütliche Seite ihr Recht verlangt. Der Kreis der Kinder des Prinzen Max war für wenige Tage einmal wieder vollzählig. Deſſen galt es ſich zu freuen, und zwar in der Weiſe, wie das Aus⸗ drücken ſolcher Empfindungen den Kindern des Prinzen und ihm ſelbſt immer natürlich geweſen war. „Um 6 Uhr,“ ſchreibt die Prinzeſſin Amalie, nachdem ſie die Ehevertrags-Zeremonie und das übliche Beſehen des Trouſſeau erwähnt hat, „gingen wir in Papas Garten, wo Marie, Fritz und Joſepha ein kleines Vaudeville zu Ehren der Nany aufführten. Es war darin ſehr rührend das letzte Liedchen aus dem Vaudeville, das wir zu Nanys Hochzeit aufgeführt hatten, angebracht. Es hatte den Wunſch ausgeſprochen, uns hier wieder alle vereint zu ſehen, was nun der Fall war, aber freilich zum letztenmal im Leben, wie ſich vorausſehen ließ,“ vorausſehen, inſofern Spaniens große Entlegenheit und die hohe Stellung, zu welcher die jüngſte Tochter des Prinzen Max berufen worden war, die Hoffnung ausſchloß, ſie werde je ihre Heimat wieder beſuchen können. Ein Amor deklamiert dann ein von Richard Rooß verfaßtes Gedicht mit Chorbegleitung und darauf „lud man Joſepha ein, an die Stelle, wo der Amor geſtanden hatte, einen Granat⸗ baum zu pflanzen, was ſie auch that. Das Bäumchen,“ ſetzt Prinzeſſin Amalie hinzu, „hat allem Froſte widerſtanden neun Jahre lang, aber kurz bevor ſie ſtarb, ging es ein.“
Nach der Abreiſe der jungen Königin von Spanien bleiben die Florentiner Geſchwiſter noch bis zum 13. Oktober in Dresden und ſind ſolcher Art auch bei der am 7. Oktober 1819 voll⸗ zogenen Vermählung des Prinzen Friedrich Auguſt — damals
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22jährig — mit der 18jährigen Erzherzogin Karoline, Tochter des Kaiſers Franz I., zugegen, wobei Prinzeſſin Amalie wiederum als Kranzjungfer ihres Amtes waltet.
Aus der erſten Hälfte des folgenden Jahres (1820) iſt eine Notiz zu berühren, welche eine der größeren Muſikkompoſitionen der Prinzeſſin betrifft. Unterm 27. April erwähnt das Tage⸗ buch nämlich der Generalprobe der Americana, welche tags darauf im engen Kreiſe als Konzert aufgeführt wurde, und dazu bemerkt die Verfaſſerin: „Es war meine erſte Kom—
1 poſition mit Orcheſter und ſelbſt inſtrumentiert.“
3 Der Herbſt dieſes Jahres bringt eine zweite Reiſe nach Italien, diesmal unter Führung des Prinzen Max, den feine Tochter Amalie und Marie begleiten. Zunächſt wird auf Schloß Banz beim Herzog Wilhelm von Bayern, dem Schwiegervater des unglücklichen Berthier, welchem in der Kirche von Banz ein Denkmal errichtet iſt, eine kurze Raſt gemacht; der etwa ſechzigjährige Herzog erſcheint der Prinzeſſin „auffallend häß⸗ lich, aber voll Verſtand und ſehr liebenswürdig;“ dann ver⸗ weilt man flüchtig in Eichſtädt; „die Familie des Herzogs von Leuchtenberg,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „vier Töchter und zwei Söhne, iſt allerliebſt.“ (Joſephine, geb. 1807, ſpäter Ge⸗ mahlin des Königs Oskar von Schweden; Eugenie, geb. 1808, ſpäter Gemahlin des regierenden Herzogs von Hohenzollern- Hechingen; Amalie, geb. 1812, ſpäter Gemahlin des Kaiſers Dom Pedro von Braſilien; Theodolinde, geb. 1814, ſpäter Gemahlin des Grafen Wilhelm von Württemberg; Karl Auguſt Eugen Napoleon, geb. 1810, ſpäter Gemahl der Königin Donna Maria von Portugal; Max Eugen Joſeph Napoleon, geb. 1817, ſpäter Gemahl der Großfürſtin Marie von Rußland.) Darauf beſuchen die Reiſenden in Neuburg die Herzogin von Zweibrücken (Maria Amalia, Schweſter des Kurfürſten, ſpäteren Königs 10
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Friedrich Auguſt I., ſeit 1795 verwitwet und im Jahre 1820
63 Jahre alt), die ſich eine kleine Muſikkapelle unter Direktion
eines talentvollen Leutnants hält, — „man exekutierte mehrere
hübſche Opernſtücke, aber der Geſang war gräßlich“ —; und end⸗ lich wird für einige Tage in Schloß Nymphenburg bei München Station gemacht. „Den Kronprinzen“ (Ludwig), ſchreibt die Prinzeſſin, „hätte ich nicht wiedererkannt; er iſt mager und von Blattern zerriſſen, aber recht liebenswürdig.“
Über Innsbruck, Brixen und Treviſo geht es dann nach Venedig, das die Reiſenden abends erreichen. „Die Sonne ging eben unter und der Mond auf. Links erhoben ſich Gewitter⸗ wolken und Blitze durchſchnitten die Luft. Hinter uns lagen die Alpenſpitzen mit Schnee bedeckt, und da es um die Zeit des Ave Maria war, fingen alle Glocken in Venedig an zu läuten. Es war ein prächtiger Augenblick.“ Nachdem in den nächſten Tagen alle Sehenswürdigkeiten mußevoll in Augenſchein ge⸗ nommen worden ſind, wird über Padua, Verona, Parma, Modena, Bologna weiter gereiſt und am 26. Oktober gelangen die Reiſenden an ihr Ziel: Florenz, um daſelbſt diesmal einen fünfmonatlichen Aufenthalt zu nehmen.
Dorthin kommt bald darauf auch der greiſe König von Neapel, gefolgt von ſeiner Gattin, der ſchon erwähnten Gräfin Floridia. Es war bekanntlich eine Art Fluchtreiſe, veranlaßt durch die revolutionären Bewegungen, welche während der zweiten Hälfte des Jahres 1820 nach dem Beiſpiele Spaniens auch Sizilien und Neapel mit ſolcher Heftigkeit ergriffen hatten, daß der Regierung die Bewilligung einer Konſtitution und einer Menge von unerfüllbaren Reformzuſagen abgerungen worden
war. Der Laibacher Monarchen⸗Kongreß war jetzt das weitere
Ziel der Reiſe des Königs; es galt, die Wiederherſtellung der
alten Zuſtände mittels öſterreichiſcher Waffengewalt von dem
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Kongreſſe zu erreichen, was dann ja auch geſchehen iſt. „Ich war ſehr gerührt über den Empfang des guten alten Mannes, den ich vor zwei Jahren ſo glücklich geſehen hatte,“ ſchreibt die Prinzeſſin, und freilich hatte König Ferdinand ſeit dem Sturze des franzöſiſchen Regiments im Jahre 1815, trotz zahlreicher kleinerer Erſchütterungen ſeines patriarchaliſch abſoluten Regier⸗ ungsſyſtems, verhältnismäßig glückliche Jahre verlebt und ſich auch der Liebe eines großen Teils ſeiner Unterthanen erfreut, während von nun an bis zu ſeinem Tode im Jahre 1825 die Notwendigkeit, ſich auf fremde Truppen zu ſtützen, ſein Leben verbitterte.
| Im März 1821 langt der König mit feiner Gattin auf der Rückreiſe von Laibach wieder in Florenz an und bezieht den Palazzo Crocelli. „Ich ſah dort die Gräfin Floridia,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „auch ihre Tochter Marianna, die ſich ſeit zwei Jahren ſehr verſchönert hat, und ihre Enkelin Lucia, Tochter des Geſandten Partanna. Der König hatte aus Laibach zwei junge Bären mitgebracht, die einen abſcheulichen Lärm machten...“ Als ob es in dem immer lauten und jetzt inmitten der politiſchen Wirren jedenfalls beſonders lauten Neapel noch weiterer Lärm⸗ macher bedürfe! Aber der alte König war mit dem neapoli⸗ taniſchen Volke am beſten fertig geworden, ſo lange er den kindlichen Seiten desſelben Beſchäftigung gegeben hatte, und ſo mochte er auch die beiden Bären in der Hoffnung mit ſich führen, vielen dadurch eine Freude zu bereiten. Minder harmlos ſieht man die Weltlage in Florenz an. „Die Unruhe,“ ſchreibt die Prinzeſſin an einer anderen Stelle, „begann von neuem. Die Nachrichten von Turin und Mailand waren nichts weniger als befriedigend.“ In der That weiß auch die Prinzeſſin von Mord⸗ plänen der Ultras zu erzählen, und über die von den Carbonari „zum Tode Verurteilten“ erfährt ſie mit Schrecken durch den
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an
ebenfalls nach Florenz gekommenen Prinzen Leopold von Neapel, daß dieſer auf der betreffenden Liſte ſchon den ſiebenten Platz einnehmen ſoll.
Inzwiſchen waren öſterreichiſche Truppen in großer Zahl dem Süden zugezogen und hatten zum Teil Florenz berührt. „Mir wurde das Herz ſchwer,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „als ich dieſe Durchzüge ſah, denn ſie erinnerten mich an das unglück⸗ liche Jahr der Dresdner Schlacht.“
Florenz, deſſen Bevölkerung von der allgemeinen politiſchen Erregung jener Zeit ja verhältnismäßig nur ſchwach berührt worden iſt, wird dagegen während des Karnevals 1821 durch eine plötzliche ſchwere Erkrankung des Großherzogs in Beſtürz⸗ ung verſetzt, und zwar in um ſo größere, als auch der Kron⸗ prinz die Folgen eines langen ſchleichenden Fiebers noch nicht verwunden hat. „Ich kann den Schrecken nicht beſchreiben, der die ganze Stadt ergriff,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „in einem Augenblick waren alle Masken verſchwunden, an deren Stelle man Soldaten ſah, und im Hauſe ſchwamm alles in Thränen. In allen Kirchen wurden Gebete gehalten.“ Dann, als der Großherzog außer Gefahr iſt, verwandelt ſich die allgemeine Trauer in Freude und die Kirchen bringen Dankfeſte ohne Zahl.
Um in dieſer Schilderung nicht eine bloß der Prinzeſſin und dem Palazzo Pitti gehörige Auffaſſung zu finden, wird man ſich erinnern müſſen, daß Toscana in der That für das beſtregierte und glücklichſte Land des noch nicht geeinigten Italien galt und gelten durfte. Sein Regenerator war bekanntlich Großherzog Leopold geweſen, der ſpätere deutſche Kaiſer, der zwar in letzterer Stellung viele freifinnige Einrichtungen feines verſtorbenen Bruders, Kaiſer Joſefs II., mäßigen oder auch ganz außer Wirkſamkeit ſetzen mußte, ſeine frühere toscaniſche Regierung aber auf einer ſo trefflichen Grundlage baſiert hatte,
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daß ſein im Jahre 1790 zur Regierung gelangter Sohn Ferdinand III., in dem liberalen Geiſte ſeines Vaters fort- arbeitend, des unbezweifelten Glückes genoß, inmitten der übrigen chabtiſchen Zuſtände der italieniſchen Halbinſel ein zufriedenes Volk zu regieren. Den Einheits-Patrioten Italiens konnte damit freilich nicht gedient ſein, und es fehlte nicht an Stimmen, welche im Jahre 1799 die endliche Zertrümmerung dieſer ver⸗ hältnismäßig idylliſchen Zuſtände bejubelten, obſchon weder das Königreich Etrurien, zu welchem Toscana geſchlagen wurde, noch im Jahre 1807 das Aufgehen Toscanas in Frankreich als franzöſiſche Provinz den Hoffnungen jener Patrioten entſprachen. Auch ward der Pariſer Friede, welcher dem Großherzoge die Rückkehr in ſein geliebtes Toscana nach fünfzehnjährigem Wanderleben wieder ermöglichte, wie erwähnt, als der Abſchluß einer traurigen Zeit der Vergewaltigungen und Beraubungen von dem ganzen Volke begrüßt. |
Somit wird die Prinzeſſin wohl nur das Richtige gejagt haben, wenn ſie von der lebhaften und allſeitigen Freude be⸗ richtet, welche im Jahre 1821 die Geneſung des Großherzogs erregte.
Man hatte allerdings, was dieſe Stimmung noch beein⸗ fluſſen mußte, erſt kurz zuvor den Großherzog im Begriff ge— ſehen, ſeinem ſeit faſt zwanzig Jahren verwitweten Hausweſen eine neue Herrin zu geben. Das Tagebuch berichtet über jenes Vorhaben: Etwa 14 Tage nach dem neuen Jahre, alſo etwa einen Monat vor ſeiner Erkrankung, ſei der Großherzog eines Tages plötzlich nach Piſa gereiſt, vorgeblich, um zu jagen; „indes ahnte ich ein Geheimnis,“ fährt die Prinzeſſin fort, „und betrog mich nicht, denn tags darauf bekam Papa einen Brief vom Großherzog, in welchem dieſer förmlich um die Hand von Marie anhielt. Vierundzwanzig Stunden ſpäter gab Marie
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ihr Jawort, das ſogleich nach Piſa geſchickt wurde. Nach drei Tagen Abweſenheit kam der Großherzog zurück.“ Er war da⸗ mals 52 Jahre alt, ſeine Braut 25.
Während nun, nachdem er völlig wieder geneſen, die Vor⸗ bereitungen zu der Vermählung getroffen werden, rückt die Oſterzeit heran, für welche Prinz Max mit ſeinen beiden Töchtern und dem Gatten der jüngeren, dem Erbgroßherzog, ſich in Rom angemeldet hat. Damit verknüpfen ſich einige andere Ausflüge. Zunächſt wird ein Abſtecher nach Fieſole, Lucca, Piſa und Livorno gemacht. Das Tagebuch berichtet über alles Sehenswerte und erwähnt dabei auch der Karthauſe bei Piſa. Es befinden ſich in derſelben nur noch eine kleine Anzahl armer Mönche, die, wie die Prinzeſſin meint, am Not⸗ wendigſten Mangel leiden, da ſie ihre Einkünfte verloren haben, wogegen das Gebäude ſelbſt, reich mit Marmor und mit Fresken ausgeſtattet, einem prächtigen Palaſte gleicht. Nach kurzem Aufenthalte wiederum in Florenz, wird dann nach Rom auf⸗ gebrochen. In San Quirico, auf dem Gute des Erzbiſchofs von Siena, nehmen die Reiſenden Teil an einer großen Ge⸗ ſellſchaft, bei welcher eine Nichte des Erzbiſchofs die Honneurs macht. Erquicklich ſcheint die Sache aber nicht geweſen zu fein, denn es fehlte in den weiten Zimmern an Kaminen, es herrſcht „eine fürchterliche Kälte“ und vor Müdigkeit wird die Prinzeſſin wieder einmal „ganz drehend.“ Auf der Weiterfahrt nach Rom beginnen dann auch die Beläſtigungen durch Bettler den Reiſen⸗ den fühlbar zu werden; Prinzeſſin Marie, welche dieſe Eigenart des Kirchenſtaats zum erſtenmale kennen lernt, iſt nicht wenig erſchreckt, als eine Bettlerin ihr, „wahrſcheinlich, um ihr einen Ring abzuziehen,“ faſt den Finger abreißt. Ein anderer Zu⸗ dringlicher ſtellt ſich mit den Worten „povero matto‘‘ ſelber als Irrſinniger vor.
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Am 29. März erreichen die Reiſenden Rom und beziehen ein Quartier im Corſo. Dasſelbe erweiſt ſich als ſo behaglich, daß Prinz Heinrich von Preußen (geb. 1781, Großmeiſter des preußiſchen Johanniter⸗Ordens), der die Reiſenden beſucht, ſich vornimmt, nachdem ſie Rom verlaſſen haben werden, für alle Folgezeit Beſchlag darauf zu legen. Bis zu ſeinem Tode hat er es dann auch nicht wieder in andere Hände kommen laſſen.
An andern fürſtlichen Perſonen befinden ſich zur diesmaligen Oſterfeier in Rom, außer dem alten Könige von Neapel ſamt der Gräfin Floridia, der Kronprinz von Bayern und Prinz Chriſtian von Dänemark nebſt ſeiner „eben ſo ſchönen, wie gut⸗
| mütigen“ Gattin, einer auguſtenburgiſchen Prinzeſſin. (Karoline
Amalie, die zweite Gattin des Prinzen, ſpätern Königs Chriſtian VIII., nachdem ſeine erſte Ehe mit der Prinzeſſin Charlotte von Mecklenburg-Schwerin im Jahre 1812 gelöſt worden war.) | Den Papſt findet die Prinzeſſin gebeugter, aber faft heiterer, als vor zwei Jahren; freilich bietet ſich ihm beim Oſterſegen, vom Balkon der Peterskirche aus, der Blick auf 10,000 öſter⸗ reichiſche Soldaten, ſo daß von den unruhigen Köpfen des Kirchenſtaates für jetzt nichts mehr zu fürchten iſt. Dem Prinzen Max verehrt er ein lebendiges Oſterlamm, eines der beiden im März nach altem Herkommen von dem Papſte geſegneten und dann in einem Nonnenkloſter weiter verpflegten Lämmer. Das andere iſt für die Oſtertafel des Papſtes beſtimmt. Ein drittes, wenn auch kein vom heiligen Vater geſegnetes, kommt der Prinzeſſin bei dem Gaſtmahle, welches der König von Neapel den in Rom verweilenden Fürſtlichkeiten giebt, zu Geſicht; es ſteht, in ganzer Figur gebraten, auf der Tafel, und ein Biſchof weiht dasſelbe gleich den übrigen Speiſen. „Alles, was Land und Meer an Speiſen erzeugt,“ meint die Prinzeſſin, „war auf
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dieſe Tafel gebracht.“ Aber auch ein lebendiges Nachſpiel fehlte nicht. „Nach Tiſche wurden die Laibacher Bären produziert, fe meldet die Prinzeſſin, „und ſchrieen fürchterlich.“ |
Genußreichere Stunden verleben die Reiſenden in den Kunſtſammlungen, über welche das Tagebuch ausführlich be⸗ richtet, wobei die vom Kardinal Feſch angelegte überreiche Gemälde⸗Galerie nur das Bedauern erregt, daß ein kurzer Aufenthalt in Rom zu ihrem Studium nicht die nötige Muße gönnt, obſchon bei weitem nicht alle Bilder aufgehängt werden konnten. In der an die Herzogin v. Chabelais verkauften Villa Lucian Bonapartes ſieht die Prinzeſſin eine von Canova ge⸗ arbeitete Büſte von dem Vater Napoleons, welche dem Kaiſer ſehr ähnlich ſieht.
Unter den Fremden, welche die Prinzeſſin atem lernt, iſt die Herzogin von Devonſhire, deren große Gelehrſamkeit ſich mit einem ganz einfachen Betragen aufs Beſte verbindet. (Eliſa⸗ beth Hervey, Tochter des vierten Grafen von Briſtol, ſeit 1811 Witwe des Herzogs William von Devonſhire, in Rom ſeit 1815, woſelbſt ſie einen glänzenden Kreis von Künſtlern, Schrift⸗ ſtellern und Archäologen um ſich verſammelte und im Jahre 1824 ſtarb.) Sonderbar erſcheint es der Prinzeſſin, daß ein Engländer, der ſich im Beſitz der Villa des Rafael befindet, den Zutritt zu derſelben den prinzlichen Beſuchern wohl zwar ge⸗ ſtattet, aber keine Engländer einläßt. Das Rätſel ſoll ſich da⸗ durch löſen, daß ſeine lebhafte Parteinahme für die vielgeſchmähte Prinzeſſin von Wales ihn mit ſeinem Vaterlande verfeindet hat. Dieſelbe, bekanntlich als Prinzeſſin Karoline von Braun⸗ ſchweig 1768 geboren, eine Nichte Georg III. von England, hatte 1795 den ſittenloſen Prinzen von Wales, ſpätern König Georg IV., geheiratet, der ſich aber ſchon im folgenden Jahre, nachdem die Prinzeſſin ihm eine Tochter, die ſpätere
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Gattin des Königs Leopold von Belgien, geboren hatte, von
ihr trennte und im Laufe der Zeit einen Ehebruchs-Prozeß
gegen ſie veranlaßte, der die öffentliche Meinung Europas und
vor allem Englands auf Grund der gegenſeitigen Anklagen der
beiden Gatten peinlichſt beſchäftigte, bis der Tod der Prinzeſſin
im Auguſt 1821 — des Jahres dieſes Reiſeabſchnitts — den ärgerlichen Zwiſt endete.
E Von ſonſtigen erwähnenswerten Erlebniſſen der Verfaſſerin des Tagebuchs ſei noch der ominöſen Nachbarſchaft einer Guil⸗ lotine gedacht, die eines Tages unweit des prinzlichen Quartiers und innerhalb des Sehkreiſes desſelben auf der Piazza del Popolo unverhofft daſteht. Eine Blechbüchſe, auf welcher ein Totenkopf gemalt iſt, wird von Haus zu Haus getragen, damit man Geld für die Exequien des zu Enthauptenden — eines Moörders — hineinſtecke. „Glücklicherweiſe fuhren wir fort,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „waren den ganzen Morgen abweſend, und als wir nach Hauſe kamen, war ſchon alles vorüber.“
Minder neu war der Prinzeſſin das Begegnen von Toten in offenen Särgen. Gleich die erſte diesmal von ihr betretene Kirche Roms, S. Lorenzo in Lucina, bietet ihr einen ſolchen,
4 vor zwei Jahren ihr noch erſchreckend geweſenen Anblick. „Zahl⸗
reiche Kerzen brannten in einer kleinen Kapelle. Ich ſah dahin und erblickte einen Sarg, in welchem eine Frau lag, ſo ſchön und jung, daß ſelbſt der Tod ſie nicht entſtellt hatte. Es war die Frau eines Advokaten, achtzehn Jahre alt, elf Monate nach ihrer Verheiratung geſtorben.“
Auch eine Kinderleiche kommt ihr zu Geſicht. Nächſt dem ponte rotto ſieht ſie eine Prozeſſion von kleinen weißgekleideten Kindern vor einem Hauſe halten. Man ſagt ihr, es ſeien Waiſenkinder, die ein Kind abholten, um es in die Kirche zu tragen. Bald darauf kommt aus dem Hauſe ein Mann, der
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einen kleinen toten, als Kloſtergeiſtlichen gekleideten Knaben auf den Armen trägt. Er legt ihn auf eine weiß und gold ge⸗ ſchmückte Bahre und die Waiſenkinder tragen ſie in die nächſte Kirche.
Endlich lernt die Prinzeſſin noch eine Sitte kennen, die mit dem Oſterfeſt zuſammenhängt. Beim Beſuch des Gartens der Paſſioniſten, worin die einzige Palme der ewigen Stadt zu ſehen iſt, gewahrt fie in den Alleen eine Anzahl weltlich ge⸗
kleideter Herren und erfährt, daß es Bürger von Rom ſeien,
die in dieſem Kloſter „Reträte“ halten, um ſich auf das Oſter⸗ feſt vorzubereiten.
Am 26. April trifft Prinz Max mit ſeinen beiden Töchtern wieder in Florenz ein. Am 5. Mai unterſchreibt die Prinzeſſin Braut die übliche Entſagungs-Akte. Die Trauung ſoll Tags darauf ſtattfinden, doch ſtand der Heirat, wie Prinzeſſin Amalie es humoriſtiſch ausdrückt, noch ein Hindernis entgegen: Das Brautkleid war nicht da. Man hatte geglaubt, es in Paris anfertigen laſſen zu müſſen, und der Pariſer Lieferant hatte nicht Wort gehalten. Was war zu thun? Ein Florentiner Kleid aus drap d' argent mit Goldfranzen konnte ja zur Not auch für ſtandesgemäß gelten. In einem ſolchen wurde Prinzeſſin Marie alſo getraut. „Ich habe Marie nie ſo ſchön geſehen, als in ihrem Brautſtaate,“ ſchreibt in herzlicher Selbſtvergeſſenheit die Schweſter. Diesmal ſcheint ſie aber nicht als Brautjungfer fungiert zu haben. Die „Renaud,“ ſo meldet das Tagebuch, ſteht am Altar hinter der Prinzeſſin. Als die letztere das Ja⸗ wort ausgeſprochen hat, tritt an die Stelle jener ſächſiſchen Hofbedienſteten die nunmehrige Oberſthofmeiſterin, Fürſtin Roſpiglioſi, und nimmt der jungen Großherzogin Schleier und Handſchuhe ab. — Hernach iſt in drei Zimmern des Palaſt Pitti großer Cercle, wobei Prinzeſſin Amalie, wie ſie erwähnt,
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ſich unter der Menge verliert und endlich durch eine Bekannte zu den Ihrigen zurückgebracht wird. Ein großes Zeremonien⸗ Scocuper beſchließt den anftrengenden Tag. „Wir waren alle ſo müde,“ klagt die Prinzeſſin, „daß wir uns nicht regen
konnten.“
Am folgenden Tage großes Diner, wobei ganz kleine
4 Knaben, welche die Schüſſeln kaum heben konnten, als Pagen bedienen und die Prinzeſſin in Sorge ſetzen, fie werde mit be⸗ gioſſenem Kleide heimkommen. Die darauf folgende Gala-Vor⸗ ſtellung zeichnet ſich durch den Umſtand aus, daß, wie das Pariſer Brautkleid, jo auch die beſtellte Hochzeits- Oper nicht fertig geworden iſt. Man giebt alſo eine alte Oper von Paer,
Griſelda, freilich ein etwas ominöſes Sujet für die feſtliche Veranlaſſung. Schöner geſtaltet ſich das Abendfeſt, welches die Stadt
ö Florenz am 1. Mai für die Bevölkerung der Stadt wie der Umgebung arrangiert hat. Die Leute aus dem Volke und die
Bauern in ihrem beſten Putze haben den ganzen Platz vor der Akademie zu ihrer Verfügung. Die weiten Räume der Akademie dagegen, aufs Schönſte geſchmückt und beleuchtet, dienen den übrigen Klaſſen der Geſellſchaft zum Tummelplatz. Es wird drinnen wie draußen viel getanzt, und man ſieht auch Masken, trotzdem kein Karneval iſt. Bis 2 Uhr morgens wird Prin- zeſſin Amalie des bunten Treibens nicht müde.
Inzwiſchen iſt ein Brief des Königs Friedrich Auguſt ein- getroffen; dieſer Brief enthält eine Mahnung zu ſchleuniger Heimkehr und ſo muß ſchon am 13. Mai geſchieden werden. Prinzeſſin Amalie bittet ihre beiden zurückbleibenden Schweſtern, es mit dem Abſchied am Abend vor der Abreiſe genug ſein zu laſſen, „denn es iſt ſo traurig, Perſonen, die man liebt, neben dem Wagen ſtehen zu ſehen, der uns fortführt;“ ſie fügen ſich
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auch der ſchweſterlichen Bitte. Aber wenigſtens den Vater noch in ſein Quartier (den Pallazzo Vecchio) zu begleiten, läßt ſich Prinzeſſin Anna, die Gattin des Erbprinzen Leopold, nicht nehmen, und als Prinz Max dort, von Rührung überwältigt, ein Ende machen will, kniet ſie vor ihm nieder und er giebt ihr noch ſeinen Segen. „Ich war von dieſen Gemütsbewegungen ganz erſchöpft,“ ſchreibt Prinzeſſin Amalie.
Über Parma, Trieſt, Innsbruck und Nürnberg kehrten Prinz Max und ſeine Tochter Amalie am 26. Mai wieder nach Dresden zurück. 5
FFT
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Neunter Abſchnitt. Die [panifche Reiſe.
(1824 bis 1825.)
115 weitere Jahrgänge des Tagebuchs 1820/23 haben nur lediglich Vorgänge am Dresdner Hofe, ſowie Er- lebniſſe des weit verzweigten Familienkreiſes zum Inhalt. Mit Ausnahme der Verfaſſerin des Tagebuchs ſind ſämtliche Töchter des Prinzen Max verheiratet; wie hier rekapituliert werden mag: Prinzeſſin Marie (geb. 1796) an den Groß⸗ herzog Ferdinand III. von Toscana, Prinzeſſin Anna (Nany, geb. 1799) an den Erbprinzen Leopold von Toscana, Prinzeſſin Jioſepha (geb. 1803) an den König Ferdinand VII. von Spanien. Von den Söhnen des Prinzen Map iſt Prinz Friedrich Auguſt ſeit dem Herbſt 1819 mit der Erzherzogin Karoline, Tochter des Kaiſers Franz I. vermählt; der Zweitälteſte, Prinz Klemens, welcher, wie ſchon früher berichtet, im Jahr 1821 mit Prinz Johann nach Italien reiſte, erkrankte auf dieſer Reiſe in Piſa und ſtarb daſelbſt im Januar 1822 im Alter von 24 Jahren. Unverheiratet iſt noch Prinz Johann, heiratet aber im November desſelben Jahres Prinzeſſin Amalie, Tochter des Königs Maximilian I. von Bayern, wobei die Verfaſſerin des Tagebuchs wiederum der Braut die Schleppe trägt. Es iſt bekannt, daß dieſe Ehe, welche über fünfzig Jahre dauerte, eine überaus glückliche geweſen iſt; nur wenige Kon⸗
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venienz⸗Ehen mögen ſich jo harmoniſch geſtaltet und ein jo
nachahmungswertes Beiſpiel für weite Kreiſe gegeben haben.
Wie gut für ihn gewählt worden war, ahnte der Prinz aber nicht, als ihm gleich nach dem Tode ſeines ältern Bruders Klemens in Piſa die Weiſung zukam, er möge nun aus Gründen den Rückweg über München nehmen. Gewiß hat die Botſchaft nicht ſo barſch gelautet, wie die Heirats-Ordre, die einſt König Friedrich Wilhelm I. ſeinem Sohne Fritz zukommen ließ, als er für denſelben die Prinzeſſin Eliſabeth Chriſtine von Braun⸗ ſchweig beſtimmte, nämlich: „Sie iſt modeſte und eingezogen;
ſo müſſen die Frauen ſein; ſie iſt nit häßlich, auch nit ſchön;
ſie iſt ein gottesfürchtiges Menſch. Gott gebe ſeinen Segen.“ — Aber eben erſt in Italien in den Geſchmack des Reiſens gekommen und voll von neuen und ſeinen Geiſt lebhaft be⸗ ſchäftigenden Eindrücken, erblickte Prinz Johann in einem jo frühen Feſtbannen in die Ehe — er war erſt 21 Jahre alt — nichts als den Verzicht auf Bewegungsfreiheit und Weltblick.
So ſchreibt er denn aus Piſa an ſeine Schweſter Amalie im
Tone humoriſtiſcher Verzweiflung: „Du kannſt Dir immer das Ballkleid zu meiner Hochzeit machen laſſen, denn mir auch, fürcht' ich, ſoll bald die Krone abgehauen werden. Über zwei Jahre werde ich es wohl nicht hinausziehen; nur nicht eher; das wäre wirklich mich und das arme Schlachtopfer unglücklich machen; man muß doch erſt ganz Mann werden, ehe man ans Heiraten denkt.“ Drei Monate ſpäter hatten ſich die Beſorg⸗ niſſe des Prinzen in ihr Gegenteil umgeſtimmt; „der 13. März 1822,“ ſchreibt er in ſeinen Memoiren, „war einer der wichtigſten Tage in meinem Leben: Ich betrat zum erſtenmale das mir
ſpäter ſo lieb gewordene königliche Schloß in München,“ und
er giebt einen begeiſterten Bericht von den ſchönen Tagen, die er dort verlebte, wie ihn denn auch nur ſeine Schüchternheit
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zurückhielt, ſofort mit feiner Werbung herauszutreten. — Alle dieſe Vermählungen ſind von ziemlich gleichartigen Zeremonien begleitet. Wie Prinzeſſin Joſepha in Dresden per Prokura ge- traut worden iſt, ſo auch die Erzherzogin Karoline in Wien und jetzt Prinzeſſin Amalie von Bayern in München. In Wien war Erzherzog Rudolf der Vertreter des Bräutigams, in München iſt es Prinz Karl von Bayern. Der Bewillkommnungs⸗ Beſuch, welchen der Bräutigam der auf der Reiſe zu ihm be⸗ griffenen Braut abzuſtatten hat, der aber noch nicht bezwecken darf, dem Reſt der Reiſe nun einen gemeinſamen Charakter zu geben, wurde bei Gelegenheit der Prokura-Verheiratung der
Erzherzogin Karoline von Prinz Friedrich Auguſt in Teplitz
abgeſtattet. Wie es ſcheint, hatte ſich der Bräutigam Hoffnung gemacht, ſeiner Braut ohne allzu ſteifes Zeremoniell begegnen zu dürfen, und er war daher, wie das Tagebuch verſichert, „in Verzweiflung,“ daß cher oncle Anton ihn nach der Weiſung des Königs dahin begleiten ſolle. „Er lief deshalb zum Könige, aber ohne Erfolg.“ Prinz Anton war aber glücklicherweiſe weniger Mann der Etikette, als der König, und wußte ſeine
Gegenwart unbemerkbar zu machen. Der Bräutigam kommt
denn auch abends „ſelig“ von Teplitz zurück. — Es iſt bekannt, daß die glücklichen Auſpizien dieſes Bundes durch ein ſchweres Körperleiden der jungen Erzherzogin leider getrübt wurden — das Tagebuch muß häufig von Krampfanfällen berichten — wie denn auch die Königin Karoline nach zwölfjähriger Ehe kinderlos geſtorben iſt. Sie hat nur das einunddreißigſte Jahr erreicht. — Die Braut des Prinzen Johann wird dem ihr ent— gegen geſandten ſächſiſchen General-Leutnant von Watzdorf in Plauen „übergeben,“ wie der techniſche Ausdruck lautet; dann, nachdem ſie in Chemnitz angelangt iſt, begrüßt ihr Bräutigam ſie, diesmal jedenfalls ohne allzu einengende Förmlichkeiten,
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denn außer dem prinzlichen Vater war die Verfaſſerin des Tagebuchs mit nach Freiberg gereiſt und ſorgte ohne Zweifel
für ein Abdämpfen der Etikette⸗Vorſchriften; endlich, am folgenden Tage, findet unter Kanonendonner der feierliche Ein⸗ zug der Prinzeſſin⸗Braut ſtatt: Ihr Bräutigam empfängt ſie am Fuße der Schloßtreppe und ſie begiebt ſich zunächſt zum
Könige, „wo die ganze Familie verſammelt war und ſich nach dem Range ſetzte. Die Oberhofmeiſter und Oberhofmeiſterinnen,“
führt das Tagebuch gewiſſenhaft fort, „ſetzten die Stühle.
Dann beſuchte die Braut die Prinzeſſinnen und wurde darauf
von den Prinzen beſucht. Um 7 Uhr abends begab ſich alles zur Königin, welche der Braut den Kranz aufſetzte.“ Es folgt die Einſegnung in der Kapelle und danach das Bankett; „der männliche Hofadel,“ heißt es ſchließlich, „bediente, zog ſich aber zurück, nachdem der König zu trinken begehrt hatte.“
Unter den zahlreichen Gäſten, die auf kürzere Zeit in Pillnitz oder Dresden am Hofe verweilen, ſeien hier erwähnt der Kronprinz Oskar von Schweden (geb. 1799, Sohn Berna⸗ dottes), Prinz und Prinzeſſin Wilhelm von Preußen ſamt deren Kindern Adalbert, Eliſabeth und Waldemar, der König von Preußen, der König und die Königin von Bayern mit deren Töchtern Sophie und Marie, Erzherzog Franz, Herzog Karl von Braunſchweig und die Herzogin von Cumberland (Schweſter des Herzogs Karl von Mecklenburg, zuerſt verheiratet mit dem Prinzen Lud. Frd. Karl von Preußen, nach deſſen Tode mit dem Prinzen Fr. Wilh. von Solms, geſt. 1814, dann mit dem Herzog von Cumberland, ſpäterem König Ernſt Auguſt von Hannover) mit deren Tochter Prinzeſſin
Solms; auch der Verfaſſer des Sketch book, Washington
Irving, beſucht den Prinzen Johann, der einen Kreis von litterariſch anregenden Männern um ſich zu verſammeln beginnt.
K
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Bei Prinz Friedrich Auguſt, welcher im Sommer des Jahres 1824 am rechten Elbufer in Wachwitz ſich eine liebliche Sommer- Reſidenz geſchaffen hat, wird fleißig mufiziert, öfter unter Hin⸗ zuziehung C. M. von Webers, unter anderm akkompagniert 3 Weber beim Prinzen am Klavier eine Aufführung des Don Juan als Konzert. Namhaftere muſikaliſche Kräfte, welche die 5 Verfaſſerin des Tagebuchs in dieſen Jahren bei Hof-Konzerten, ; im Theater oder in kleinerem Kreiſe hört, find unter anderen 8 5 5 3 %
die von Goethe in Weimar leidenſchaftlich bewunderte Pianiſtin
Szimanowska und die ſchon erwähnte Sängerin Kraus-Wra⸗
nitzth. Unter den damals teils in Dresden, teils auf dem Linckeſchen Bade aufgeführten Stücken ſeien hier genannt Fidelio,
Zauberflöte, Don Juan, der Freiſchütz (erſte Aufführung am
26. Januar 1822), Euryanthe, Prezioſa, Minna von Barnhelm,
Prinz von Homburg, Goethes Iphigenie mit dem Wolfſchen x Ehepaar, Sappho mit Fräulein Pfeiffer, der ſpäteren Frau Birch⸗ 1 Pfeiffer, und die Ahnfrau, welche letztere „wenig Beifall fand.“ Tiieck lieſt am 23. November 1823 bei der Prinzeſſin Auguſte, über deren muſikaliſche Begabung, beiläufig bemerkt, der Kom— poniſt des Freiſchütz ſehr günſtig urteilte und deren Briefe, gleich denen ihres Vaters, des Königs Friedrich Auguſt, ſich durch Klarheit, Sicherheit und fließende Handſchrift auszeichnen. Ein (ſeitdem in den Geſamtwerken veröffentlichtes) Drama der Prinzeſſin Amalie, „der Krönungstag,“ wird als Überraſchung für die Verfaſſerin am 5. Juli 1823 von Hoſfſchauſpielern auf dem kleinen Theater im Prinzen-Palais dargeſtellt. „Die ganze Familie,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „außer dem Könige, war dabei.“
An Trauerfällen, welche den Verwandten- und Bekannten⸗ kreis der Prinzeſſin Amalie betreffen, ſind zu verzeichnen der Tod des Großherzogs Ferdinand von Toscana (18. Juni 1824,
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nach nur dreijähriger Ehe mit der Prinzeſſin Marie von Sachſen), der Tod des alten Exkönigs Karl Emanuel von Sardinien, der Herzogin von Lucca, des Herzogs von Leuchtenberg, des Papſtes Pius VII., des Prinzen Eugen von Württemberg; auch für Ludwig XVIII., die Herzogin von Bourbon, den Großfürſten Konſtantin und die Königin Karoline von England wird Trauer angelegt.
Vor allem der Tod des Großherzogs Ferdinand hat jeden⸗ falls die Verfaſſerin des Tagebuchs tief bekümmert, nicht allein, weil ihre Schweſter Marie dadurch zur Witwe wurde, auch aus eigener Sympathie für den Verſtorbenen und ſeinen jetzt zur Regierung berufenen Sohn, deſſen Briefe, wie ſchon erwähnt, bis in ſeine ſpäten Lebensjahre Zeugnis ablegen von warmer Freundſchaft für die Prinzeſſin. So ſchreibt Leopold von Toscana bald nach dem Tode ſeines Vaters: „Beſte Amalie, Du teileſt meinen Schmerz; ich wollte Dir ſchreiben, konnte nicht; die erſten Tage war es unmöglich, ich war gänzlich ab⸗ geſpannt. Glaube nicht, ich habe Dich vergeſſen, nicht getraut, Du würdeſt an mich denken. Ich bin®jehr zu bedauern. Viele haben gewünſcht, zu regieren; ich nie. Die Art, wie ich dazu kam, die traurigſte. Mein Vater geht mir zwar mit einem großen Beiſpiel voran; aber welche Laſt auf einem jungen Manne von 27 Jahren, wo nicht Eifer aber Klugheit nötig. Marie, die arme Marie, wird in mir ſtets einen Sohn finden, der ihre Tugenden ſchätzt, ſich in ihre Umſtände denkt und immer die wenigen Mittel aufbieten wird, ihr Unglück zu mildern.“
Große Sorgen hat die königliche Familie wegen der ſpani⸗ ſchen Wirren ausgeſtanden. Schon zur Zeit, als die jugend⸗ liche Prinzeſſin Joſepha dem König Ferdinand VII. vermählt worden war, hatte die Hoffnung auf eine endliche Beruhigung der ſeit den Napoleoniſchen Kriegen leidenſchaftlich erregten Ge⸗
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müter keine ſonderlich haltbaren Stützen gehabt. Das ſchöne Land beherbergte eine Menge extremer Parteien, und ihre Gegenſätze auszugleichen, erwies ſich, je länger, je mehr, als ein Ding der Unmöglichkeit. Nachdem gute und ſchlechte Mittel ihren Dienſt verſagt hatten, führte die damals nicht mehr neue Theorie des Intervenierens im November 1822 auf dem Veroneſer Kon⸗ greß zu den Beſchlüſſen, welche im Jahre 1823 den Einmarſch von 100,000 Mann franzöſiſcher Truppen zur Folge hatten. Dieſelben waren ohne Mühe mit dem Widerſtande der Gegner dieſer Einmiſchung fertig geworden, hatten auch die Gefahren,
von denen der ſpaniſche Thron unmittelbar bedroht war, vor der
Hand abgewehrt, vermochten aber nicht zu hindern, daß die unterlegenen Parteien nur auf das Ende der Intervention war- teten, um von neuem loszubrechen. Noch im Dezember 1824 mußte daher der Rückmarſch des auf 22,000 Mann reduzierten franzöſiſchen Heeres von neuem auf günſtigere Zeiten vertagt werden.
In den Spätſommer desſelben Jahres fallen die Vor⸗ bereitungen zu einer Reiſe nach Spanien, auf welcher Prin⸗ zeſſin Amalie ihren Vater begleiten ſoll. Eine kleine ſpaniſche Bibliothek verdankt ſie ſeit längerem der Güte ihrer Schweſter, der Königin Joſepha. Dann hat ſie auch beim Profeſſor Fromm in Dresden ſpaniſchen Unterricht genommen, Studien, die durch Prinzeſſin Amaliens Fertigkeit im Franzöſiſchen und Italieniſchen ſehr erleichtert worden ſind. 5
Am 2. Oktober 1824 wird aufgebrochen. Die Reiſe geht über München, Verona, Parma zunächſt nach Florenz, wo bis zum 3. November die drei Schweſtern und Prinz Max mit dem Gatten der jüngeren Schweſter in Erinnerung an den Groß⸗ herzog Ferdinand, ſeinen wenige Monate früher verſtorbenen Vater, wehmütige Stunden genießen. Dann geht es über
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Lucca, wo die Familie des Herzogs von Lucca fie begrüßt, nach Genua. Auf dem Wege dahin wird das Städtchen Lorenza paſſiert, „wo die Fenſterrahmen und Thürpfoſten alle von Marmor ſind.“ Bei Spezzia erfreuen ſich die Reiſenden des lang entbehrten Blickes aufs blaue Meer. Unweit Genua in der königlichen Villa zu Recco finden ſie die verwitwete Königin Thereſe von Sardinien, eine Tochter doͤs Erzherzogs Ferdinand, mit ihren beiden Töchtern „Marianne, welche bis zum Verwechſeln ihrer Zwillingsſchweſter, der Herzogin von Lucca, gleicht, und Chriſtine, welche, obgleich noch ein Kind, eine noch hübſchere und geiſtreichere Phyſiognomie als ihre Schweſter hat. Die Königin iſt eine für ihr Alter noch ſchöne Frau. Ihr Organ bezeugt, daß ſie aus dem Hauſe Eſte ſtammt.“ — Nachdem tags darauf in Genua die Reiſenden die Gäſte des Königspaares geweſen ſind und die Kunſtſchätze Genuas in Augenſchein genommen haben, wenden ſie ſich nach Turin, wo der Prinz Karl Albert von Savoyen-Carignan und ſeine Gattin ſie abends ins Theater führen und wo unter anderm ein Ballet, betitelt Macbeth und Zelmire, geboten wird, „in welchem man Macbeth zur Veränderung in einen Türken ver⸗ wandelt hatte,“ vermutlich wegen der damals gereizten Stimm⸗ ung gegen Tunis, das erſt vor wenigen Jahren von der Forder⸗ ung eines Tributs für den ſardiniſchen Seehandel abgeſtanden war und eben jetzt neue Anſprüche erhoben hatte. In betreff des Königs Karl Felix wird daran zu erinnern ſein, daß die Revolution von 1821 ſeinen ältern Bruder Viktor Emanuel J. zur Abdankung genötigt hatte, daß aber Karl Felix die Nach⸗ folgeſchaft erſt antreten konnte, nachdem durch ruſſiſche und öſterreichiſche Intervention die durch die Carbonari proklamierte Regierung des Prinzen Karl Albert von Savoyen⸗Carignan, welche dieſer auch angetreten hatte, niedergeworfen worden
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war. Sein Verhalten in dieſer Angelegenheit ließ eine ver— ſchiedenartige Auslegung zu; er war ſowohl den Carbonari, wie auch dem Könige Karl Felix verdächtig geworden und er— hielt erſt im Jahre 1823 die Erlaubnis, ſich in Turin aufzu⸗ halten. Durch den Tod des Königs Karl Felix gelangte er bekanntlich 1831 zur nunmehr unbeſtrittenen Regierung, entſagte derſelben aber 1849 nach der Schlacht von Novara. Seine Gattin war eine Tochter des Großherzogs Ferdinand von Toscana; ſein zweiter Sohn, der Herzog von Genua, heiratete Prinzeſſin Eliſabeth, Tochter des Königs Johann und Mutter der jetzigen Königin von Italien. Mit der ſächſiſchen Königs⸗ familie war Karl Albert ſelbſt bereits durch ſeine Mutter bluts⸗ verwandt, indem dieſelbe der morganatiſchen Ehe des Herzogs Karl von Kurland (dritten Sohnes des Königs Auguſt III.) und der polniſchen Gräfin Franziska Kraſinsky entſtammte. Er ſowohl, wie ſeine Schweſter Maria Eliſabeth, die ſpätere Gattin des Erzherzogs Rainer, ſind denn auch in Dresden erzogen worden. — Zur Charakteriſtik der ſardiniſchen Zuſtände im Jahre 1824, in deſſen November der dortige Aufenthalt des Prinzen Max und der Verfaſſerin des Tagebuchs fällt, ſei des im folgenden Jahre herausgekommenen ſardiniſchen Edikts ge— dacht, welches für die Erlaubnis zum Erlernen von Leſen und Schreiben den Nachweis eines Vermögens von 1500 Lire ver- langte. Politiſche Geſpräche werden während dieſes Beſuchs daher ohne Zweifel vorſichtig vermieden worden ſein. — Nach⸗ dem derſelbe beendigt war, ging es über Suza bergan zum Mont Cenis. Drei Stunden über Suza hinaus wird für die Nacht in dem Mönchskloſter Raſt gemacht, wo Pius VII., als ihn die Franzoſen gefangen nach Frankreich führten, tötlich erkrankte und die letzte Olung empfing. Die Prinzeſſin erinnert ſich hier lebhaft der aus dem Munde des alten Papſtes gehörten
Be
Schilderung dieſer Erkrankung und wie er jein ohnmächtiges Zuſammenbrechen angeſichts des ihn begrüßenden Kloſterabts als den peinlichſten Augenblick ſeines Lebens bezeichnete. — Das Nachtquartier wird übrigens durch den Umſtand beein⸗ trächtigt, daß wegen heftigen Sturmes keiner der Kloſterkamine geheizt werden kann, ſo daß die Reiſenden ſehr von der Kälte leiden.
Im weiteren Verfolg der Fahrt wird Chambery paſſiert, ebenſo Lyon und Vienne, wo Prinz Map ein ſtarkes Unwohl⸗ ſein zu beſtehen hat, und wo „Piatti mit ſeinem großen Stern für den König von Preußen gehalten wird.“ Nach Rouſſillon beginnt das Blumenſchmücken der Poſtillons und der Pferde, ſowie in den kleineren franzöſiſchen Städten überhaupt der An⸗ blick fürſtlicher Perſonen den Leuten ein beſonders unterhalten⸗ der Zeitvertreib iſt, mehr noch vermutlich als in Italien und Deutſchland, wo in jener Zeit wieder ſo viele Souveräne oder fürſtliche Verwandte fortwährend unterwegs waren. Neu ſind der Verfaſſerin des Tagebuchs Inſchriften wie die folgenden,
erſt ſpäter als Reklameform auch in unſere Tae über⸗
gegangenen: | N’allez pas plus loin! On est bien logé ici! ete. Auch die franzöſiſche Höflichkeit und Dienſtfertigkeit ſtechen von den Sitten der ihr ſchon bekannteren Nationen merklich ab. Eine Wirtin in Pont St. Esprit glaubt jenen beiden natio⸗ nalen Eigenſchaften am beſten Rechnung zu tragen, indem ſie, als Prinzeſſin Amalie mit ihr arglos auf den Balkon des Wirtshauſes hinaustritt, den unten verſammelten Neugierigen zuruft — als ſtelle fie ihren hohen Gaſt dem Städtchen vor —: „La princesse!“ } In Nismes hat man im Volke ſchon einen etwas klareren Begriff von der Herkunft der fürſtlichen Reiſenden und dem
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Ziele ihrer Fahrt, zumal auch Prinzeſſin Joſepha auf ihrem Wege nach Spanien durch dieſe Gegenden gekommen iſt. Da man hier von dem Wirrwar in Spanien nicht bloß von Hören⸗ ſagen Kenntnis hat, vermutet man denn auch in gut bürgerlicher Weiſe: der Zweck der Reiſe des Prinzen Max laufe darauf hinaus, ſeine Tochter wieder mit ſich nach Hauſe zu nehmen, und eine Frau beſchwört den Prinzen dringend, dies ja zu thun, was er freilich nicht verſprechen kann.
In dem Städtchen Mezi, wo die Reiſenden, um in ihr Quartier zu kommen, einen Pferdeſtall paſſieren müſſen, werden ſie durch das Gerücht erſchreckt, ein Kurier der jungen Königin
habe ſich ſoeben friſche Pferde geben laſſen, um ihrem Vater die
Weiterreiſe zu widerraten. Glücklicherweiſe ſtellt ſich heraus, daß der angebliche Kurier ein Kaufmann war, der, um raſch
Pferde zu erhalten, den Leuten in Mezi Wind vormachte.
Auch hier, wie in Nismes und Montpellier, ſind die hohen Reiſenden das große Tagesereignis. Um nur in den Straßen durchzukommen, hat die Prinzeſſin ſich in Montpellier von ihrem Wirte am Arme führen laſſen, obſchon der Mann „einen recht ſchmutzigen Überrock anhatte.“ In Nismes bitten die Nichten des Kommandanten um die Erlaubnis, ein paar Damen vorſtellen zu dürfen, und führen ſtatt deren „die Hälfte der weiblichen Nismer Population“ ihr aufs Zimmer. Daß bei allen dieſen Erlebniſſen die Verfaſſerin des Tagebuchs guter Laune bleibt, ja ſich ſehr gut amüſiert, verſteht ſich von ſelbſt.
Als Toulouſe ſchon in Sicht iſt, kommt eine Staffette mit der Meldung, der Magiſtrat habe Ordre gegeben, die hohen Reiſenden in dem Hotel einzuquartieren, zu welchem der Über- bringer dieſer behördlichen Verfügung den Weg zeigen werde. Prinz Max traut aber der Sache nicht, da er bereits ander— weitig Quartier beſtellen ließ, und das Ganze entpuppt ſich
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auch in der That als die Spekulation eines fürſtenbedürftigen Hoteliers. Willkommener iſt eine andere Begrüßung kurz vor Toulouſe: Herr von Uchtritz, der damalige ſächſiſche Geſandte in Paris, findet ſich ein. Er hat für Prinzeſſin Amalie etwas in petto und verehrt es ihr tags darauf bei ihrer Abreiſe: einen neuen Roman und — ein Pfund Tabak. Es war noch die Zeit, wo eine Schnupftabaksdoſe in Damenhänden nicht für deplaziert galt, wenn auch das weibliche Geſchlecht dem Tabak nicht mehr ſo fleißig zuſprach, als zur Zeit der Kurfürſtin Marie Antonie, die eine ſo große Paſſion dafür hatte, daß ihrem Erſt⸗ gebornen ihr Tabak in die kleinen Augen kam. Wenn man in dem Nachlaßverzeichnis Brühls den von ihm auf Vorrath hinterlaſſenen Schnupftabak für 200 Thaler aufgeführt findet, ſo muß man daraus allerdings ſchließen, daß dieſes Reizmittel damals für ſchwer entbehrlich galt. Der alte Fritz und ebenſo Napoleon haben es bekanntlich auch nicht miſſen können.
Die Nähe der Pyrenäen ſoll, wie man den Reiſenden auf dem Wege nach Bayonne verſichert, Räubereien ſehr unter⸗ ſtützen; namentlich wird vor Hunden gewarnt, die auf das Anfallen der Wagenpferde abgerichtet ſeien. Die Sache iſt der Prinzeſſin nicht gerade unglaublich, und als jenſeits des Flüß⸗ chens Adour im Abenddunkel unter Donner und Blitz ein finſtrer Hohlweg paſſiert werden muß, ehe die begleitenden Wagen nach⸗ kommen können, giebt es einige Beängſtigungen. Bayonne wird aber glücklich erreicht, wenn auch die Scheiben der Wagen⸗ fenſter, um dieſe zu öffnen, eingeſchlagen werden müſſen, ſo ſehr ſind die Rahmen von den Regengüſſen verquollen. Briefe und Geſchenke der jungen Königin, mit denen ein Abgeſandter der⸗ ſelben, der Marquis Valmediano, den Prinzen und ſeine Tochter in Bayonne begrüßt, vervollſtändigen die Beruhigung und ſtimmen für die nun jenſeits der Bidaſoa-Brücke zu ge⸗
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wärtigenden neuen und bunten Eindrücke zu freudiger Empfäng⸗ lichkeit.
Am 25. November wird die Grenze überſchritten, und die Prinzeſſin glaubt ſchier in einen anderen Weltteil und in ein anderes Weltalter verſetzt zu ſein. Ganz Yrun ift auf den Beinen, kanoniert, ruft Vivat, ſchwenkt die Hüte, hängt Teppiche aus den Fenſtern. Alle Zivil-, Militär- und geiſtlichen Be⸗ hörden werden von dem Marquis vorgeſtellt und die Prinzeſſin redet ſpaniſch, daß ihr „der Angſtſchweiß ausbricht.“
Wie erregt die Gemüter ſind, erfährt man auf der Weiter⸗ reiſe, denn ein junger franzöſiſcher Offizier hält es nicht für
4 unſchicklich, faſt eine ganze Poſtſtation lang, mit der Hand auf
dem Wagenſchlage neben dem Wagen des Prinzen Max reitend, dem letzteren Ratſchläge für den König von Spanien auf den Weg zu geben, — „was mich amüſierte, was den Papa aber ungeduldig machte.“
Von nun an werden in jedem Dorfe, welches die Reiſenden berühren, von den in ihre langen ſchwarzen Mäntel gekleideten Alkalden feierliche Anſprachen gehalten. Die Alkalden tragen ein weißes Stäbchen in den Händen und der Prinz hat dieſes Stäbchen mit zuſtimmender Miene zu berühren, als Zeichen, daß er es in guten Händen wiſſe.
Auch mit Tänzen werden die Reiſenden bewillkommnet. In Toloſa tanzen zwölf weißgekleidete Knaben mit Reifen in den Händen, dann Männer mit dicken Stöcken und führen mit deren Hilfe allerlei Tanzfiguren aus. In Bibriesca giebt's eine Art Shawltanz von Männern, die mit bunten Tüchern be— hangen ſind. Ein Harlekin iſt ihnen geſellt, begleitet die Reiſenden mit ſeinen Kapriolen dann auch bis zur Kirchenthür und nachher von dort wieder zurück. In Valladolid beteiligen ſich auch junge Mädchen am Tanz. Sie, wie ihre Tänzer,
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halten blumenumwundene Reifen in den Händen und führen gemeinſam unter den Taktſchlägen des Tambourin „eine Art Seize“ aus. — Kaſtagnetten werden nur bei Gelegenheit eines Theaterbeſuchs in Valladolid erwähnt.
In den Kirchen ſieht die Prinzeſſin die Frauen meiſt in einen langen ſchwarztafftenen Schleier gehüllt, der von beiden Seiten bis an die Kniee hinabhängt, die ſogenannte Mantilla. Sie läßt das Geſicht frei. Die Kapa der Männer dagegen iſt ein weiter Mantel, deſſen einer Zipfel über die Achſel geſchlagen wird.
Die höher geſtellten Perſonen, mit welchen ſich die Reiſen⸗ den näher berühren, ſind ihnen zum Teil ſchon von früher her bekannt, doch befinden ſich einige derſelben im Zuſtande der Verbannung aus der Hauptſtadt, unter ihnen der dadurch be⸗ ſonders bedrückte Marquis Ceralbo. Wie jener franzöſiſche Offizier die politiſchen Maßnahmen des Königs von Spanien durch den Schwiegervater desſelben zu korrigieren hoffte, ſo fehlt es auch ſeitens der in Ungnade Gefallenen nicht an ver- wandten Bemühungen; unter anderen verwendet ſich ein junges Mädchen für ihren noch nicht „purifizierten“ Bräutigam, deſſen Sache alſo noch in der Schwebe iſt. Da die Prinzeſſin ſpäter erwähnt, die junge Fürbitterin ſei ſeine Frau geworden, ſo iſt wohl die nachgeſuchte Verwendung nicht ohne Erfolg geblieben. Ausdrücklich erwartet wird ſolche Fürbitte nach ſpaniſcher Sitte in Fällen, wie deren einen das Tagebuch aus Olmedo berichtet: Es handelt ſich um einen Soldaten, welcher in ſeiner Not Lebensmittel entwendete und dafür zum Strick verurteilt worden iſt — auf Diebſtahl ſtand damals in Spanien Todesſtrafe —, den man aber noch nicht gehängt hat, um dem durchreiſenden Prinzen Gelegenheit zum Vermitteln eines Gnadenakts zu geben. Natürlich iſt der Prinz gern einverſtanden, daß man dem Manne
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das Leben laſſe, und ſo expediert der Marquis Valmediano denn ſchleunigſt einen Kurier an den König, der ſeinerſeits eben— falls mit Vergnügen einwilligt.
Einen damals viel genannten Mann, den kriegeriſchen Pfarrer Merino, der den franzöſiſchen und den Konſtitutions⸗ Krieg mitgemacht hat, lernt die Prinzeſſin in Bribiesca kennen. Sie ſchildert ihn als einen mageren, aber kräftigen Mann von 40 bis 50 Jahren. Er ſieht bäuriſch aus, ſpricht einen ihr un⸗ verſtändlichen Dialekt und wird auch noch wegen ſeines geringen Ernährungs- und Schlafbedürfniſſes als eine Merkwürdigkeit betrachtet. Angeblich genügt ihm nachts eine einzige Stunde
Schlaf. |
In der großen und Schönen Stadt Burgos, wo ein unter Bäumen am Ufer des Arlanzon im Graſe ſtehender weißer Sarkophag für das Grab des Cid gilt, lernt die Prinzeſſin zum erſtenmal die beſondere Tonfülle der ſpaniſchen Kirchenorgeln kennen. Ein geiſtliches Lied wird mit Orgelbegleitung im Dom geſungen, und ſie glaubt, nie früher eine ergreifendere Kirchen— muſik gehört zu haben.
Dieſe Stadt bietet den Reiſenden auch noch einen Augen⸗ genuß eigener Art: Der Marktplatz iſt ihretwegen, als ſie im Morgengrauen abreiſen, hell erleuchtet, obſchon die Sonne dem Aufgange nahe iſt.
Durchweg auf der ganzen Fahrt werden die Reiſenden durch die Kälte und den Mangel an Schutz gegen dieſelbe be— läſtigt. In dem Nachtquartier eines eingeſchneiten Städtchens unweit der ſchneebedeckten Sierra gilt es, ſtatt mit Ofen oder Kaminen, ſich mit Kohlenbecken zu behelfen; noch ſchlimmer haben es freilich die Soldaten, welche vor den Zimmern der Reiſenden im kalten Korridor ſchlafen müſſen, angeblich um die fehlenden Thürſchlöſſer zu erſetzen.
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Als am 3. Dezember endlich der Gipfel der Bergſtraße und damit die Grenze zwiſchen Alt- und Neu⸗Caſtilien erreicht iſt, ſchlägt die Stunde, wo Vater und Tochter ſich wiederſehen ſollen: Zwei Gala⸗Wagen rollen, von Reitern begleitet, heran, der neben dem Wagen des Prinzen reitende ſpaniſche Offizier ruft: „La reina!“ und kurz darauf umarmen ſich die lange getrennt Geweſenen. Prinzeſſin Amalie ſchreibt: „Die Freude des Wiederſehens kann niemand beſchreiben.“ Die junge Königin iſt, ſeit ſie ihr Heimatland verließ, noch gewachſen; ſie hat ſich im Geſicht nicht verändert, ihre Stimme iſt aber eine andere geworden, und Deutſch ſpricht ſie faſt gebrochen. Mit ihr gekommen iſt nicht zwar der König — den hält die Gicht im Eskurial zurück —, aber die Infanten und Infantinnen haben ſich eingefunden. Die Prinzeſſin giebt in wenigen Strichen das Signalement derſelben:
„Der Infant Don Carlos iſt weder auffallend häßlich, wie man geſagt hatte, noch ſchön. Sein Außeres hat durchaus nichts Auffallendes, und er trägt einen ſehr großen Schnurr⸗ bart. Das Geſicht feiner Frau (Francesca d'Aſſiſi, Prinzeſſin von Portugal, geb. 1800) hat ſehr von Blattern gelitten. Die ſchönſte dieſer Prinzeſſinnen iſt die Infantin M. Thereſa, Prin⸗ zeſſin von Beira, obgleich ſie ſehr braun iſt; ſie hat regelmäßige Züge und einen außerordentlich ſanften Ausdruck. Don Fran⸗ cisco iſt dick geworden, was ihm übel läßt, ſeiner Frau (Luiſe, Prinzeſſin von Sizilien) ſteht es gut; ſie iſt weit luſtiger, als ſie in Neapel war. Donna Tereſa war ſchwarz gekleidet, die anderen Infantinnen in ſehr ſchreienden Farben, mit Sternen und Ordensbändern. Ihre Kleider ſchienen mir etwas antik gemacht.“
Der König grüßt vom Fenſter herab, als der Zug ins Eskurial fährt, wo zunächſt die Kirche beſucht wird. Man hat
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zur beſonderen Ehrenbezeigung die große Hauptthüre der Kirche aufgethan, die nämliche, welche den Infanten nur einmal im Leben und einmal nach dem Tode geöffnet wird. Die Prin- zeſſin vergleicht dieſe Kirche an Schönheit und Großartigkeit mit der Peterskirche Roms.
Über den nach dem Schluß des Tedeums von den Reiſen— den begrüßten König ſagt ſie:
„Er gleicht keinem ſeiner Porträts vollkommen. Er iſt dick und hat eine ganz auffallend hervorſtehende Unterlippe. Er iſt ſehr lebhaft und hat dabei eine außerordentliche Gutmütigkeit.“
Als ſich die königliche Familie ſpäter einmal in der Schloß-
Apotheke wiegen läßt, ſtellt ſich heraus, daß der König der Ge—
wichtigſte von allen iſt — er wog 229 Pfund — Prinzeſſin Amalie dagegen die Leichteſte — ihr fehlen noch zwei Pfund am Zentner.
Zehnter Abſchnitt. . Königin Joſepha.
eber die Art, wie Prinzeſſin Joſepha ſich in ihre ſchwie⸗ he Stellung als Königin von Spanien gefunden hat,
enthält das Tagebuch nichts Näheres, doch geben einige der im Nachlaſſe der Prinzeſſin Amalie enthaltenen Briefſchaften Anhaltpunkte für die Annahme, daß die bei ihrer Verheiratung erſt 16 Jahre alt geweſene Prinzeſſin, ganz im Gegenſatz zu ihrer Nachfolgerin, der Königin Chriſtine, in dem ihr frem⸗ den Kreiſe durch Anſpruchsloſigkeit und Fügſamkeit ſich die all⸗ gemeine Zuneigung zu erwerben wußte und daß ſie für das Entbehren ihrer heimiſchen Angehörigen und der Heimat ſelbſt Troſt und Erſatz fand in dem Bewußtſein, durch redliche Pflicht- erfüllung den Ihrigen Beruhigung und Freude bereiten zu können. So erwähnt denn auch ein an Prinzeſſin Amalie in Madrid gerichteter Dresdner Brief der Prinzeſſin Auguſte aus dem Jahre 1825, augenſcheinlich als Wiederholung der des⸗ fallſigen brieflichen Mitteilungen der in Madrid noch Ver⸗ weilenden „die glückliche häusliche Lage der Joſepha.“ Aller⸗ dings war König Ferdinand wohl kaum im Stande, durch geiſtige oder körperliche Reize Intereſſe einzuflößen, weniger wegen vorgerückter Jahre — er zählte, als er zum dritten Male heiratete, erſt 35 — als ſeiner ganzen zwar gutartigen, aber unbedeutend beanlagten Natur nach. Dagegen verkörperte ſich
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in ihm ein ſehr belangreiches Stück der ſpaniſchen Geſchichte;
er hatte viel Trauriges erlebt, war in den Händen bald dieſer, bald jener Partei geweſen, galt den kirchlich Geſinnten für den Hort ihres Glaubens, den nach Ruhe und Frieden Verlangen— den für den Wiederherſteller alter guter Zeiten und konnte von dieſer Seite wohl die innige Teilnahme einer jungen Lebens⸗ gefährtin erwecken, deren Kindheit von ehrfürchtigen Gefühlen für die nämlichen Lebensgüter und Lebensziele erfüllt geweſen war. So erklärt ſich's auch, daß die junge Gattin ihre Em- pfindungen für ihn hin und wieder ſogar poetiſch einkleidete. Hier ſind einige Strophen aus einem längeren Gedichte, das ihr die Sorge um ſein Leben eingab, als er zur Unterdrückung einer revolutionären Schild-Erhebung in die Provinz ziehen mußte:
„Die Stunde naht, wir müſſen bald uns trennen,
Leb' wohl, mein teurer Ferdinand!
Um dich den Retter deines Volks zu nennen,
Bringſt du dies Opfer deinem Vaterland!
So eile denn und ſpende Heil und Segen,
Wo Haß und Mord die blut'ge Geißel ſchwingt,
Und Gott geleite dich auf deinen Wegen, Damit dir ganz das blut'ge Werk gelingt.
Wenn auch mein Auge thränenſchwer ſich ſenket
Und banger Schmerz der Gattin Bruſt bedrückt,
So lebt ein Gott, der unſer Schickſal lenket,
Der uns erhebt und huldvoll auf uns blickt.
Zu dir, o Vater, ich mich bittend wende,
Und deine Huld fleh ich inbrünſtig an:
Schenk ihm die Kraft, daß er die Leiden ende
Und vorwärts ſchreite auf der hohen Herrſcherbahn!“
Und der Schluß lautet:
„Die ſchöne Zeit des goldnen Alters kehre wieder, Beglückt ſei König, Volk und Vaterland!
Dein Auge, Vater, ſchaue gnädig auf uns alle nieder, Und nur der Tod trenn' unſ'rer Liebe feſtes Band!“
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So faßt die junge Gattin in ihrer Begeifterung für die
dem Könige obliegende Miſſion einen der vielen Waffengänge auf, zu denen ihn der Streit über die alte Frage nötigte: Ob Spanien ein Verfaſſungsſtaat werden dürfe oder nicht?
Und als der König nun fortgezogen iſt, ſchreibt ſie an ihre Schweſter, Prinzeſſin Amalie: „Jetzt ſollteſt du erſt meinen Anzug ſehen! Denn da ich keinem ſterblichen Menſchen zu ge- fallen habe, ziehe ich einen „Schöps“ an, werfe mir ein Hals⸗ tüchel kreuzweiſe um, ſtecke es an, und wenn ich ausgehe, ſetze den älteſten Schebas-Deckel auf — da haſt du auch inmitten der Betrübnis etwas zu lachen.“
Ein andres Mal ſchreibt ſie:
„Wegen Promenaden bin ich zum Teil Deiner Meinung; ich beſchäftige mich lieber zu Hauſe. Aber Theater, Tanzen und andere dergleichen Narrenpoſſen, da iſt mir doch eine Pro⸗ menade lieber, beſonders in einem einſamen Orte mit ganz bekannten Menſchen und ohne Etikette.“
Und wieder in bezug auf die damals gerade in Madrid graſſierende „Scharadenwut“:
„Ich finde, man muß dergleichen Wüte in der Geſellſchaft zu erhalten ſuchen, weil dadurch Ehrabſchneidung und andere nachteilige Geſpräche verhindert werden.“
Daß die Prinzeſſin für das Wort Wut ſich hier einen Plural zurecht macht, iſt nicht auf ihr anderweitig erwähntes Verlernen ihrer Mutterſprache zurückzuführen. Zwiſchen den Kindern des Prinzen Max hatten ſich brieflich allerlei launige Ausdrücke eingebürgert, und vor allem Prinzeſſin Joſepha muß in denſelben ein Mittel gefunden haben, um beim Korreſpon⸗ dieren mit den Ihrigen ſich aus ihrer ſpaniſchen Umgebung in die liebe ferne Heimat und in ihre Kindheit zurück zu verſetzen.
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So ſchreibt ſie ſtatt Hals: Halſung, ſtatt Schnupfen: Schnupf⸗ ung, ſtatt ſie reiſte ab: ſie entdieh, ſtatt gereiſt: gediehen: „Wir ſind von Toledo zurückgediehen, Doch war es ein horribles Herumziehen,
Denn um nicht wie die Gans zurückzugehn, Muß man alles Merkwürdige ſehn.“
Auch bleiben Hauptwörter oft gefliſſentlich weg; ſie ſchreibt von „einem körperlichen“ („Eid“ bleibt weg), „einem horribeln“ („Eindruck“ wird fortgelaſſen). Manche Wörter finden auch
abſichtlich in einer Bedeutung Verwendung, die ſie nicht haben. „Liebſtes Ampſch! (Amalie). Edelmut für Edelmut. Du
ſchreibſt mir, ich ſchreibe dir ...“
Und wieder:
„Holdes Ampſch! Du biſt doch ſehr edel geworden. Wäh⸗ rend der Revolution hatten wir uns alle verunedelt, weil es ſo gewiß dumm war, indem man doch nicht von dem reden konnte, was einem auf dem Herzen lag.“
Die Revolution — beſonders ſind einige Auftritte aus dem Anfang des Jahres 1824 gemeint — hat der jungen Königin aber doch allzu grauenhafte Stunden bereitet, als daß ſie bei deren Schilderung nicht auf die ihr ſonſt zur Gewohnheit ge— wordene Schreibweiſe verzichten ſollte, ſelbſt ihre ſonſt übliche Unterſchrift „Dein Kind“ ändert ſich in „Deine Dich liebende Joſepha.“
„Von den Inſulten des 19. Februar erlaubt manches die Schicklichkeit nicht zu erzählen,“ heißt es einmal mit bezug auf jene Schreckenstage, und als ſpäter ihr Leben und das Leben ihres Gatten durch den Kampf, den er gegen die Verfaſſungs— partei führte, verwirkt ſchien, hat ſie gefürchtet, „ohne Hilfe der Religion zum Blutgerüſt zu müſſen.“ In einem längeren Briefe verſucht ſie dann, ſich über die mit ihr vorgegangenen
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Veränderungen klar zu werden, wobei ſie unwillkürlich ihr Thema nach Art der Kanzelredner zu gliedern ſucht.
„Sacedon, 18. Juli (1824).
Mir ſcheint, ich werde in dir das alte Ampſch, du aber in mir nicht das alte Kind (wieder-) finden. Ich war immer etwas abgeſchmackt, jetzt aber bin ich's vollends geworden ſeit der Re⸗ volution, und jetzt bin ich wieder etwas aufgelebt, aber die erſte Zeit konnte ich mich auch gar nicht gewöhnen, wieder mit Menſchen umzugehen und hatte ſo eine gewiſſe Leere in meinem Innern, welche (wie) ich glaube von drei Urſachen herkommt: 1. daß ein großes, (wenn-) auch überſtandenes Leiden einem anfangs eine gewiſſe Traurigkeit hinterläßt, weil das Gemüt an dieſe gewöhnt (tft); 2. weil die durch große Leiden geſpannte Einbildung nur mit Mühe in ihre natürliche Lage zurückkehrt; 3. weil man in glücklichen Umſtänden und (nach) Erlangung deſſen, was man heftig wünſchte, deſto deutlicher die Nichtigkeit irdiſcher Dinge erkennt, welches diesmal jedoch nicht dieſe Leere hinterließ, wenn man dabei an den Triumph der Religion und der gerechten Sache dachte, denn das gehört nicht zu dem Irdiſchen.“
Sie fügt hinzu: Sie habe „von Jugend an eine über⸗ ſpannte Einbildung und nicht den heiterſten Charakter gehabt.“
„Du weißt, daß ich immer das Horribelſte von der Familie war,“ ſchreibt ſie bald darauf, „obgleich mich viertehalb Jahre der Leiden etwas gezähmt haben.“
Dieſe viertehalb Jahre der Leiden wird man vornehmlich auf die politiſchen Angſte beziehen müſſen, von denen kaum ein einziges Jahr ihrer Ehe frei geweſen war, daneben auf ihre Sehnſucht nach den fernen Lieben, gewiß auch auf das Verſagt⸗ bleiben von Mutterfreuden, ein weſentlicher Dämpfer auf den
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Saiten ihres ſonſt, wie es ſcheint, nicht gerade auf mehr als auf herzlicher Freundſchaft beruhenden, aber wenigſtens von Anfeindungen freien ehelichen Glücks.
Als aus ſolcher Stimmung hervorgegangen erklärt ſich auch das alles romantiſchen Schmuckes entbehrende Bild, das ſie in
einem ihrer Briefe von dem Könige, ihrem Gatten, entwirft:
„Ich hoffe,“ ſchreibt ſie, „er wird dir gefallen, er iſt auch luſtig (wie Du) und ſehr gut und natürlich, und ob er gleich ernſthaft zu ſein weiß, wenn es nötig iſt, ſo unterhält er ſich doch auch mit Kindereien, als Kiſten aufmachen, Sachen arrangieren. Jetzt iſt er, Gott ſei Dank, ganz wohl.“
Daß er am Briefſchreiben kein Vergnügen fand, wird nicht erwähnt, doch beweiſen es die in dem Nachlaß der Prinzeſſin
Amalie vorhandenen Briefe. Obſchon ſpaniſch geſchrieben, alſo
dem Schreiber keine übermäßige Anſtrengung zumutend, ſind ſie doch nie länger als eine halbe Seite.
Bezeichnend für das anſpruchsloſe Weſen der jungen Königin iſt ein kleiner Zug, der in einem wenige Monate vor ihrem frühen Tode geſchriebenen Briefe zu Tage tritt. Der König hat einen Lieblingshund, namens Regalado. Derſelbe iſt krank geweſen, hat ſterben wollen, iſt aber doch nicht „krepiert“ und ſchläft nun in demſelben Zimmer, in welchem ſie und der König ſchlafen. Ihren Widerwillen gegen dieſe Hundenachbar⸗ ſchaft einzugeſtehen, hat ſie nicht vermocht. Aber während der Nacht überkommt derſelbe ſie ſo ſtark, daß ſie ſpäter darüber ſchreibt: „Ich gab mich geheimer Verzweiflung preis und — denke dir die Dummheit, ſage es aber niemandem — ich heulte! — Und ich fürchte mich (doch) gar nicht, habe nur jo einen ge⸗ heimen Abſcheu.“
Der enge Zuſammenhang des ſpaniſchen Königtums mit der katholiſchen Kirche und Geiſtlichkeit wird weiter unten noch
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mehrfach zu berühren ſein. Obſchon die Vorſchriften der Religion bei der Erziehung der Kinder des Prinzen Max nicht als etwas bloß Außerliches und Beiläufiges aufgefaßt worden waren, hat Prinzeſſin Joſepha doch offenbar als Königin ſich noch tiefer in die katholiſche Atmoſphäre des ſpaniſchen Hofs eingelebt, als
es den Gewohnheiten der Heimat entſprach, und ſo gelangt ſie
dahin, bei der Lektüre einzelner ihr von Prinzeſſin Amalie ein⸗ geſandter Manuffripte hier und da Einſpruch zu erheben.
„Ich wurde damit fertig,“ ſchreibt fie, „die „Eliſabeth“ den Schnudis vorzuleſen (Spitzname für diejenigen ihrer Umgebung, mit denen ſie dergleichen deutſche Lektüre vornehmen konnte). Ich finde aber, daß darin ſo außerordentlich viel von dem Schickſal die Rede iſt, daß es einen jammert; man hat nicht mehr Hände genug, um auf die Bruſt zu ſchlagen. Manchmal klingts, als ob es der blanke Atheiſt komponiert hätte.“
Übrigens verlangt ſie dennoch nach weiterer Lektüre. „Mesru“ komme nächſtens an die Reihe, meldet ſie; auch bittet ſie um die „Geiſtergeſchichte.“
Bei Anlaß einer ſpäteren kritiſchen Auslaſſung ſchließt ſie: Prinzeſſin Amalie möge in ihren Komödien nicht die kleinſten (moraliſchen) Fehler paſſieren laſſen, ohne daß darüber Strafe verhängt werde oder daß dieſelben doch ordentlicher Tadel treffe.
Dies erinnert an die Strenge Don Pedros in Calderons „Drei Vergeltungen in einer“ und iſt ſchon ſtark ſpaniſch.
Wie es die damaligen Zuſtände mit ſich brachten, wird denn auch ein großer Teil ihrer Zeit durch kirchliche Pflichten in An⸗ ſpruch genommen.
„Hier in Aranjuez,“ ſchreibt ſie, „iſt gewöhnlich früh Beten, heilige Meſſe, Frühſtücken, Friſieren, Promenade, Betrachtung und andere Gebete, geiſtliche Leſung während der Friſur. Nach⸗ mittags Sticken, Promenade, Gebete (Betlichter), Leben des
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heiligen Ferdinand, Roſenkranz, abends Beten, Souper, Schlafengehen.“
Was das Sticken betrifft, ſo bezieht ſich dasſelbe auf eine Altardecke, deren Anfertigung öfter als „immer mehr vorſchrei— tend“ erwähnt wird.
„Jetzt machen wir,“ heißt es ein anderes Mal, „die Novena zum heiligen Pasqual, welche ſehr hübſch iſt; übrigens,“ fügt ſie hinzu, indem ſie auf die unter den Geſchwiſtern gebräuchliche ſinnverſchiebende Schreibweiſe zurückgreift, „übrigens iſt das Leben etwas dumm.“
Auch der regelmäßige Briefſchluß: „Bete für mich und die Intentionen,“ iſt ohne ſprachlichen Geheimſchlüſſel nicht wohl verſtändlich, wennſchon einmal ein Zuſatz folgt, der zu der An⸗ nahme berechtigt, der Ausdruck Intentionen beziehe ſich auf die Zurückführung Andersgläubiger in den Schoß der allein jelig- machenden Kirche. Dieſer Zuſatz lautet, „beſonders für eine gewiſſe Proteſtantin, welche, wie ich hoffe, ſich bekehren wird; empfehle es auch anderen guten Seelen.“
Zum Schluſſe aus einem der letzten Briefe der jo früh Ver— ſtorbenen eine Stelle, die in rührender Weiſe ihr Heimweh er— kennen läßt:
„Ihr Glücklichen,“ ſo antwortet ſie am 22. April 1829 auf die Meldung der Prinzeſſin Amalie, es werde wieder eine Reiſe nach Florenz projektiert, wo die zwei Schweſtern, die verwit- wete und die regierende Großherzogin, beſucht werden ſollten, „Ihr Glücklichen hofft alſo Schweſtern zu ſehen! Ach, wann werde ich einmal wieder eines von der Familie zu ſehen be— kommen! Manchmal kommt mir es vor, als ob nie ...“
Drei Wochen, nachdem ſie dieſer trüben Ahnung Ausdruck gegeben hatte, war die junge Königin nicht mehr unter den
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Lebenden, und ſchon im letzten Monate desſelben Jahres ward ihr in der Perſon Maria Chriſtinas eine Nachfolgerin gegeben.
So viel zum beſſeren Verſtändnis der Tagebuch-Notizen Prinzeſſin Amaliens; auf einige dieſer, das Leben am ſpaniſchen Hofe betreffenden Notizen kann nun weiter eingegangen werden. Sie datieren bekanntlich aus dem Winter 1824/25.
Um 4 Uhr wird zu Tiſch gegangen und zwar nehmen auch der kleine ſechsjährige Karlos, Sohn des Infanten Don Karlos (des ſogenannten Prätendenten, geb. 1788, Bruders des Königs), und ebenſo Donna Tereſas Sohn, der dreizehnjährige Sebaſtian, an dem Mahle Teil. „Dasſelbe beginnt mit 4 bis 5 Suppen; dann folgt geröſteter Reis mit geſchnittenem Schinken; darauf das Cocido oder Olla potrida; dann Rindfleiſch mit Würſten, Erbſen und verſchiedenen anderen Acceſſorien zuſammengekocht, und endlich noch 6 bis 8 verſchiedene Gerichte, zum Teil auf franzöſiſche Art zubereitet. Der Butterteig, z. B. der Fleiſch⸗ Paſteten, iſt immer mit Zucker verſüßt. Dieſe Speiſen werden täglich aufgetragen. Jedes bietet von der Schüſſel, welche vor ihm ſteht, den Übrigen an und legt davon auf Begehren vor, fo daß die Mahlzeit ſchnell vorüber geht. — Tafelmuſik machen Hautboiſten.“ |
Auffallend iſt der Prinzeſſin die Art, wie ſich die Mit- glieder der königlichen Familie unter einander begrüßen. Sie nennen einander bloß bei Namen, ohne irgend etwas hinzu zu fügen. „Treten viele auf einmal ein, ſo klingt das wie eine Litanei.“
An den folgenden Tagen ißt man ſchon um 2 Uhr und die Prinzeſſin bemerkt, man könne bei dieſen Diners im tiefſten
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Negligee erſcheinen, die Infantinnen zumeiſt in gewickelten Haaren; auch warte niemand auf die übrigen, bediene ſich viel- mehr ohne alle Umſtände.
Abends ißt man nicht in Geſellſchaft, ſondern beliebig auf ſeinem Zimmer.
Die nächſten Tage, welche die Reiſenden im Eskurial ver— leben, gelten dem Studium dieſer merkwürdigſten aller Re⸗ ſidenzen. Von dem Felſenſitze, welcher Philipp II. zum behag⸗ lichen Ausblicke auf die allmähliche Entwickelung des gigantiſchen Bauwerks diente, der Silla de Felipe, wird die köſtliche Fernſicht genoſſen. Sie reicht bis Madrid. Um die 40 Höfe des in der Form eines Roſtes konſtruierten Geſamtbaues zu überſchauen, wird die Kuppel der Eskurial-Kirche beſtiegen und die Reiſenden empfangen den Eindruck, als ſehen ſie auf eine ganze Stadt hinab, deren Nebengebäude wieder einen Flecken für ſich bilden, während tiefer unten das eigentliche Dorf Eskurial liegt. Intereſſe erregen auch die zahlreichen Werkſtätten in den Höfen des Eskurials, da für das Kloſter, wie für die Bedürfniſſe der übrigen Bewohner alles nötige in dieſen Werkſtätten gearbeitet wird; dann die ausgedehnten Wirtſchaftsgebäude, die Mühle u. A.; mehr noch in der großartigen Kirche deren 42 Altäre und die Orgel, die wie ein ganzes Orcheſter ſo volltönig klingt und dabei doch ſanft zum Herzen ſpricht; nicht minder die Klofter- bibliotheken mit ihren wertvollen Manuffripten, die Sammlung der verbotenen Bücher; in dem Aufbewahrungs-Saale der koſtbaren Meßgewänder eine Holzfigur, welche den heiligen Michael darſtellt und von der die Sage geht, die Verfertigerin dieſes Kunſtwerks habe ihren Gatten als den vom Erzengel bezwungenen Teufel dargeſtellt, ihre eigenen Geſichtszüge aber in denen des heiligen Michael verewigt; endlich die Gruft der Könige und die der Infanten, bei welcher letztern ſich ein Be—
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hältnis befindet, beſtimmt, die Infanten⸗Leichen zu beherbergen, bis dieſelben unter dem beſchleunigenden Einfluß von herab⸗ tropfendem Waſſer vollſtändig verweſt ſind. Hier werden auch diejenigen vor ihren Gatten geſtorbenen Königinnen aufbewahrt, welche Söhne haben, deren aber noch keiner zur Regierung ge- langte. Geſchieht dies, ſo kommt die betreffende Königin gleich⸗ zeitig mit ihrem Gatten in das Pantheon; andernfalls findet ſie ihre letzte Ruhe gleich den kinderloſen Königinnen in der Infanten⸗Gruft.
Das Pantheon iſt eine ganz runde, mit Marmor aus⸗ gelegte Gruftkapelle, in deren Mitte ein Kronleuchter hängt. Rings an den Wänden ſind Niſchen in verſchiedene Fächer ge— teilt, in welchen Marmorſärge ſtehen. Zehn derſelben ſind noch leer, „und es graute mich faſt,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „zu ſehen, wie der König ſeinen eigenen Sarg betrachtete.“ — Neun Jahre ſpäter nahm ihn derſelbe auf.
Es iſt übrigens im Eskurial auch für Zerſtreuungen ge⸗ ſorgt. Man hat Hofichaufpieler und ein hübſches kleines Theater, auf deſſen Bühne ſehr luſtige Stücke geſpielt und ſo Bolero wie Fandango getanzt werden.
Nach zehntägigem Verweilen im Eskurial werden die Reiſenden in feierlichem Aufzuge nach Madrid geführt, wobei unterwegs Räuber die letzten Hofwagen an paſſend entlegener Ortlichkeit ausplündern. Der Empfang ſeitens der Madrider Bevölkerung entbehrt nicht der ſüdlichen Lebhaftigkeit, wie manche politiſche Erſchütterungen auch kaum halb überſtanden ſind und wie endloſe Parteifehden die nächſte Zukunft auch noch in ihrem Schoße birgt; und nicht nur die nächſte. Daß die Hauptſtadt ſich noch unter fremder Vormundſchaft befindet, tritt beſonders grell zu Tage, als am 14. Dezember, einen Tag nach der Rückkehr der königlichen Familie in die Reſidenz, die Beſatzung
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von Madrid unter dem Schloß - Balkon defiliert, auf welchem die königliche Familie an der Seite der königlichen Gäſte dieſem Schauſpiel zuſieht: Es ſind nicht bloß ſpaniſche, ſondern auch franzöſiſche und Schweizer-Regimenter, welche vorüberziehen.
Von dieſem Balkon des hochgelegenen Schloſſes überblickt man rechts das ganze Thal des Manzanares.
Das Quartier der Prinzeſſin Amalie iſt das von der ver⸗ ſtorbenen Königin Luiſe (Marie Luiſe von Parma, Mutter Ferdinand VII.) einſt bewohnte. Seine Fenſter gehen auf einen breiten Gang, der den ganzen Schloßhof umgiebt, ſo daß nur wenig Licht in die Zimmer gelangt. Auch ſind die Fenſter nicht nur mit eiſernen Stangen verſehen; der untere Teil der Fenſter iſt noch nach Kloſterſitte mit Holz vergittert, eine dem Orient entlehnte Abſperrungsart, welche die Prinzeſſin auf die Ver⸗ mutung bringt, auch in Spanien ſeien die alten Könige manch⸗ mal eiferſüchtig geweſen.
Unter den Sonderbarkeiten in der Zimmer-Einrichtung der Königin Joſepha wird ein Kronleuchter in ihrem Schlafzimmer erwähnt. Derſelbe iſt nicht nur Kronleuchter, ſondern auch Spiel⸗Uhr, und eine Anzahl goldne Vögel, welche dem Kunſt— werk als Zierrat dienen, beginnen zu ſingen, ſobald die Stunde ſchlägt.
Die Wohnung des Königs iſt ziemlich einfach möbliert. Eins der Zimmer jedoch ſchmücken fünf ſchöne Gemälde von Raphael Mengs, darunter eine Kreuzabnahme. In einem Kabinett hängt u. a. das Porträt des verſtorbenen Königs Karl IV., der dem alten Könige von Neapel, ſeinem Bruder, vollkommen gleicht. Daneben iſt jenes Balkonzimmer, zu welchem hinauf bei der Revolution vom 19. Februar das Volk auf Leitern zu gelangen verſuchte.
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Wenn der König ausfährt, trägt er immer Uniform, und alle Damen, ſelbſt die nicht mehr jungen, ſind in bloßen Haaren und mit Blumen coiffirt. Hinter dem Wagen des Königs folgt derjenige des Don Karlos mit ſeiner Familie; ſelbſt das jüngſte Kind mit der Amme darf nicht fehlen. Hierauf Don Fran⸗ cisco mit ſeiner Frau und endlich Donna Tereſa mit ihrem Sohne. Hofchargen und Hofdamen ſchließen den Zug, welchem Wachen vorauf reiten. Der König empfängt auf der Schloß⸗ treppe eine Menge Bittſchriften und giebt genau Acht, daß er keinen Bittſteller überſieht. Prinzeſſin Amalie hat dann das Amt, ſie zuſammen zu legen.
Vierzig Kapläne bedienen die Schloßkapellen. Geiſtliche ſind auch vorzugsweiſe die bei den Hofkonzerten fungierenden Sänger, doch ſind ſie meiſtens ſchon ältlich und haben wenig Stimme. „Der beſte Sänger iſt ein Geiſtlicher, Domingo Andres, der durch einen hohen Grad von Kunſt erſetzt, was er durch das Alter an Stimme verloren hat; ein anderer, Alvarez, ſingt durch die Fiſtel die Sopranpartien; Lopez, ein Weltlicher, ſingt das Buffo mit wenig Stimme ſehr hübſch; der alte Torelles kann, obgleich ein guter Muſiker, ohne Zähne nur wenig leiſten.“ Die Inſtrumentalkapelle wird von der Prin⸗ zeſſin gelobt, inſonderheit der Geiger Rosquellas und der Waldhorniſt Trotta. |
Unter den Hofbedienfteten find die ſogenannten Duenas zu erwähnen, „eine Art von weiblichen Kammerherren, die in der Antichambre der Königin ſitzen und die Beſuche anſagen. Da ſie vorzugsweiſe mit Männern verkehren müſſen, hatte man ſie von auffallender Häßlichkeit ausgewählt.“
Elfter Abſchnitt. Weiteres über Spanien.
N, damalige Madrid bezeichnet das Tagebuch als groß, ſchön und freundlich. Es hat wenig große Paläſte, keine merkwürdigen Kirchen, aber dafür auch wenig
ärmliche Häuſer. Die Stadt liegt auf einer Höhe und zeichnet
ſich beſonders durch ihre vielen blauen Kirchenkuppeln aus.
Die Fenſter haben eiſerne Balluſtraden, ebenſo die Glasthüren.
Die Umgegend entbehrt des landſchaftlichen Reizes, vor allem
im Winter.
Wie in Neapel, bringt es die geſellſchaftliche Sitte nicht mit ſich, daß ſich die Herren den Damen förmlich präſen⸗ tieren laſſen. Die Prinzeſſin lernt daher die Namen nur weniger Perſonen des Hofkreiſes kennen.
In den Kirchen Spaniens fehlen im allgemeinen ſo Bänke wie Sitze, ſo daß man zumeiſt ſteht. „Knieet der Hof, ſo muß alles knieen oder, wie die meiſten Frauenzimmer thun, auf den eignen Füßen ſitzen.“ Nur die Königin hat an ihrem Betſtuhl eine Bruſtlehne, auf welche ſie die Arme legt. „Wir anderen knieen ganz frei.“ Noch einige, den Fremden auffallende ſpaniſche Abſonderlichkeiten mögen hier aus dem Tagebuche an— geführt werden. So finden ſich in dem ſchönſten Frauenkloſter, das die Prinzeſſin je irgendwo geſehen hat — es iſt ein Sale— ſianerinnenkloſter — weder Kamine, noch auch nur Kohlen⸗ becken, ſo daß bei eintretender Kälte die Nonnen ohne allen
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Schutz gegen dieſelbe find. Madrid hat aber kalte Winter, und erſt am 4. April weiß das Tagebuch von einigen grünen Bäu⸗ men zu melden. Wenige Tage zuvor hat es in S. Ildefonſo noch ſo ſtark geſchneit, daß Schneeſchaufler die Wege frei machen mußten. Bei den Barfüßerinnen giebt es im ganzen Kloſter nur eine zum Sitzen Berechtigte: die Oberin; alle Nonnen
kauern auf dem Eſtrich. In einem Damenſtift, welches die
Prinzeſſin in Toledo beſucht, ſieht ſie ein Fräulein, welches von ihrem 7. bis zu ihrem 70. Jahre das Haus nicht verlaſſen hat, und erfährt, daß alle in dem Stift Weilenden ſich bei Strafe der Ausſtoßung dieſelbe Enthaltſamkeit auferlegen. Dabei hat das Stift nicht einmal einen Garten, ſondern nur eine ver⸗ gitterte Blumenterraſſe. Nur wenn der König nach Toledo kommt, dürfen dieſe Eingeſperrten — vermutlich um ihn zu ſehen — ins Freie. Bei alledem geht es ihnen gut. Das Stift liegt hoch und luftig, und da alles gratis gegeben wird, jo ſteht es nie leer. — Die Weihe des Biſchofs von Urgel ge- ſchieht, während die Reiſenden in Madrid weilen, unter Mit⸗
wirkung eines ſechsjährigen Knaben, des kleinen Infanten
Karlos, der als Pate des Biſchofs fungiert. — Bei der Über⸗
reichung des Kardinalshutes an den Erzbiſchof von Toledo,
welche im Auftrage des Papſtes durch den König erfolgt, hat ein ſpaniſcher Geiſtlicher eine ſehr lange lateiniſche Schrift ab⸗ zuleſen und, „nach Anſicht der Gelehrten,“ entledigt er ſich dieſes Geſchäfts in ſo wunderlich klingender Mundart, daß der Ernſt der feierlichen Handlung darunter erheblich leidet. „Wir alle,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „kämpften mit dem Lachen, bis endlich Monſignore vor dem Altare losbrach, welchem wir dann alle nachfolgten.“ — An ihrem Geburtstage überreicht die Königin bei der Opferung während der Frühmeſſe dem Geiſtlichen einen Teller mit Geld. Am heiligen Dreikönigs⸗
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tage opfert ſeinerſeits der König drei goldne Kelche. „Diele Opferung,“ merkt die Prinzeſſin an, „iſt indeſſen bloße Bere- monie, denn die Kelche ſind jährlich dieſelben.“ — Bei den für den verſtorbenen König Karl IV. gehaltenen Exequien fehlt der König und überhaupt der Hof, indem es für unſchicklich gilt, den Exequien eines Vaters, Gemahls oder Bruders beizuwoh— nen. Für ſehr ſchicklich gilt es hingegen, bei Gelegenheiten, wo man in Deutſchland etwa einen Blumenſtrauß ſenden würde — alſo bei Geburtstags- Gratulationen ꝛc. — Eßwaren zu ſchicken. „So bekamen wir oft Käſe, Zuckerwaren, Fiſche,“ ſchreibt die Prinzeſſin. Die alte Herzogin von Benevento ſchickt ihr ſogar eine Schüſſel mit Karviol in Butter.
„Es ſcheint ſpaniſcher Geſchmack zu ſein,“ bemerkt die Prinzeſſin bei einer andern Gelegenheit, „die Armut mit dem Luxus in Kontraſt zu ſtellen,“ und ſie beſchreibt ein eben da⸗ mals fertig gewordenes Häuschen, la Caſa del Pobre, wodurch man dem Garten des Luſtſchloſſes Retiro neuen Reiz zu geben geglaubt hat. „Es iſt mit Baumrinde belegt, vorn daran ein ärmlicher Stall, in welchem, täuſchend nachgeahmt, eine Eſelin mit ihrem Eſelchen und ein Mutterſchwein mit ihren Jungen liegt. In dem Häuschen ſelbſt iſt ein dürftig eingerichtetes Stübchen. Eine alte Frau ſitzt ihrem einfältigen Sohne gegen— über und ſpinnt. Ihr kranker Mann liegt daneben am Boden auf einem Bette. Sowie man eintritt, ſteht die Frau auf und macht ein Kompliment, und der Kranke richtet ſich in ſeinem Bette empor, was wirklich zum Erſchrecken iſt. Links ſteht ein Soldat bei einem Schranke Wache, in welchem man, wenn man ihn öffnet, einen kleinen Mohren in reicher Tracht ſich über eine Stange ſchwingen ſieht. Hat man die elende zerbrochene Treppe erſtiegen, ſo kommt man in zwei niedliche, höchſt elegant ein— gerichtete Kabinette.“
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Hat man hier Krankheit und Armut zur Augenweide ge⸗ macht, ſo wird bei der Speiſung von neun armen alten Weibern am Vorabend des Palmſonntags und ebenſo bei der Grün⸗ donnerstags⸗Speiſung und Fußwaſchung von zwölf alten Män⸗ nern ein Luxus entwickelt, der einer kaum geringeren Gefühls⸗ verirrung entſpringt. Dort iſt die Königin die Spendende, hier ſpendet der König. Der Marmorſaal des Schloſſes iſt voll Zuſchauer, für die königliche Familie und deren hohe Gäſte iſt eine Tribüne erbaut. Vorauf geht bei der erſteren Feierlichkeit eine Händewaſchung, wobei die Königin mit zugreift. Nachdem dann das bezügliche Evangelium geleſen worden, ſetzen ſich die neun armen Weiber an eine Tafel. Jetzt bringen die Cama⸗ riſtinnen Speiſen; die Hofdamen nehmen ſie ihnen ab und überreichen ſie der Königin; dieſe ſetzt ſie auf die Tafel, über⸗ giebt ſie aber gleich darauf der Camarera mayor, die ſie wiederum einem Kammerdiener zuſtellt, der ſie in einen Korb ſetzt, um jedem der Weiber einen ſolchen gefüllten Korb ins Haus zu ſchicken. Jedes derſelben erhält ſolcher Art dreißig Gerichte, fünfzehn aus der Küche, fünfzehn aus der Kon⸗ ditorei.
Gänz ähnlich geht es bei der Speiſung der zwölf Greiſe zu und beide Male werden ſchließlich auch noch Stücke Tuch ver⸗ abreicht. Nur ſcheint bei der Männerſpeiſung der Zutritt ein minder beſchränkter zu ſein, ſo daß, wie die Prinzeſſin ſchreibt, „der Lärmen ungeheuer war. Umſonſt ſchlug der Patriarch, Stillſchweigen gebietend, in die Hände, umſonſt rief der König ſelbſt: „Callad!“ unter die Menge — man glaubte, das Meer toben zu hören.“
Im Gegenſatz zu jener Sitte, wobei die beteiligten Haupt⸗ perſonen ſich zu Tiſche ſetzen und überreichlich bedient werden, um doch ungeſättigt wieder aufzuſtehen, paſſiert das letztere
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während der Krankheit, welche den König eine Zeitlang zu ausnahmsweiſer Diät verurteilt, den Nebenperſonen: Der König
1 ſpeiſt allein, aber die ganze königliche Tiſchgeſellſchaft bildet die
Zuſchauerſchaft; eine halbe Stunde ſpäter kommt auch für ſie dann die Sättigungszeit.
Und wieder, wenn jener Lärm in Gegenwart des noch überdies leidenden Königs auf geringen Reſpekt vor ſeiner durch die Wechſelfälle der Zeit freilich vielfach bloßgeſtellten Perſon ſchließen läßt, ſo wird derſelben bei anderen Gelegenheiten eine faſt aſiatiſche Verehrung erwieſen. „Was mir in Spanien auf- fiel,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „iſt, daß nicht allein die Menſchen
vor dem Könige knieen, ſondern auf dieſe Zeremonie ſind ſogar
die Zugochſen abgerichtet und beugen die Kniee, ſobald er vor— übergeht. So er aber im Frack gekleidet iſt und die Königin die Mantille trägt, bewegen ſich beide unter der Menge wie Privatleute.“
Bei dem Feſte der Ordensritter Karls III. — in welche Gemeinſchaft Prinz Max und vier andere Herren eines Tages feierlich aufgenommen werden — giebt es Gelegenheit, noch ein anderes Gruß⸗Zeremoniell zu beobachten: Die weltlichen Ritter, lauter ältliche Herren, machen der Königin und den Prinzeſſinnen ein altkaſtilianiſches „Damen-Kompliment“ — „manche dieſer Komplimente fielen ſehr drollig aus“ — und dieſe Komplimente werden nicht erwidert; hinwieder grüßt der den Zug der Ritter beſchließende König nicht, wird aber dafür durch eine Verbeug— ung von den Damen begrüßt. Die Koſtüme ſind überaus prächtig. Die Großkreuze tragen einen langen blauſamtenen, mit Silberſternen beſäten Mantel, einen blauen Hut mit weißer Feder, ein bläulich weißes taftenes Unterkleid, einen weißen gefalteten Kragen, weißſeidene Strümpfe und Schuhe. Ahnlich, aber minder reich iſt das Ritterkoſtüm, und ihr Hut iſt weiß,
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ihre Feder blau. Der König als Großmeiſter trägt das präch⸗ tigſte Koſtüm. Die Geiſtlichen machen jenes Damen-Kompli⸗ ment nicht mit, tragen auch kein Ordenskleid, nur das Ordens⸗ band. Das abzulegende Gelübde verpflichtet zum Leben und Sterben in der katholiſchen Religion und zur Verteidigung der (damals noch nicht zum Dogma erhobenen) unbefleckten Empfängnis.
Hier mag auch jener ſonderbaren Zeremonie Erwähnung geſchehen, die mit dem Privilegium, eine Höflichkeit zu verſagen, zuſammenhängt. Zwei Herren ſind zu Granden erklärt worden,
der eine infolge feines Aufrückens zu dem Oberhaupte ſeiner
Familienſippe, der andere, ein Ordensgeneral, durch Ernenn⸗ ung. Die Königin ſitzt in größtem Putz auf einem Lehnſtuhl, umgeben von ihren Hofdamen und den Granden. Die beiden neuen Granden werden ihr nacheinander vorgeführt, knieen und halten eine kurze Anrede, worauf die Königin mit den Worten: Cubridos (bedeckt euch) ihnen die Erlaubnis giebt, in Gegen⸗ wart der Majeſtäten von nun an, gleich den übrigen Granden, das Haupt nicht zu entblößen.
In Übereinſtimmung mit dieſer Ausnahmeſtellung der ſpaniſchen Granden — ſie reden einander mit Du an — wer⸗ den einzig aus den Reihen ihrer Gattinnen die ſpaniſchen Hof⸗ damen gewählt, wohingegen die eine Stufe tiefer ſtehenden Camariſtas („ein Mittelding zwiſchen Hofdame und Kammer⸗ dienerin an deutſchen Höfen“) Töchter von Adeligen, aber nicht von Granden ſind.
Die Wagen der letzteren behalten noch immer die altüber⸗
lieferte Form, wie ſie in manchen Ländern den königlichen Gala⸗ wagen noch eigen iſt. Sie ſind aber nichts weniger als prächtig und dafür ſehr ſchwerfällig. Vor allem zeigen ſie ſich im Prado. Hier iſt es, wie der Prinzeſſin berichtet wird, wo die ſchöne
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Welt namentlich auch Liebesanknüpfungen macht. „Da die Mädchen in Madrid nicht anders zum Vorſchein kommen, als in der Kirche oder auf dem Prado im Wagen ihrer Eltern, ſo gehen heiratsluſtige Männer auf dieſe Promenade, ſehen in die Wagen, verlieben ſich, ziehen den Hut vor den Mädchen ab und wiederholen den nächſten Tag dasſelbe Manöver, bis ſie zu bemerken glauben, daß ſie genehm ſind. Dann treten ſie mit dem Antrage vor, ohne noch mit der Erwählten ein Wort geſprochen zu haben. Das Organ der Mädchen, um ihren Liebhabern zu antworten, iſt der Fächer, den eine Madriderin immer in der Hand führt, und deſſen Bewegungen für den Ein-
* geweihten alles nur Mögliche ausdrücken: Gewogenheit, Zorn,
Eiferſucht ice. Man erzählte mir, daß auf dieſe Weiſe Brouil— kerien und Verſöhnungen vor ſich gingen, und daß auch in der Kirche dieſe telegraphiſche Konverſation nichts Seltenes iſt. In ſehr großer Bewegung habe ich die Fächer dort freilich oft ge— ſehen.“
Die Poſt wird übrigens auch als Vermittlerin von Liebes- händeln nicht verſchmäht. Sie muß vor allem viele anonyme Briefe befördern, und der Dreikönigstag giebt dieſer Sitte eine gewiſſe Weihe. An dieſem Tage iſt es Brauch, in den geſelligen Zirkeln Namen beiderlei Geſchlechts auf Zettel zu ſchreiben, gereimte Liebeserklärungen ſeitens der Herren und Antworten ſeitens der Damen dazu zu legen und nun die Namen paarweiſe hervor zu ziehen (was man tirar en estucho nennt), ſo daß der Zufall fügt, wer anhält und um wen angehalten wird, und ebenſo wie Antrag und Antwort lauten. Die Prin⸗ zeſſin, deren Name mit dem des Kaiſers von Rußland heraus- kam, erhält quasi von „einem royaliftiichen Volontär“ infolge deſſen einen anonymen Brief, und ebenſo erhalten faſt alle Perſonen der Suite des Prinzen Max und der Prinzeſſin
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anonyme Briefe, „die nicht eben mit Komplimenten gefüllt ſind.“
Über die Bildung der beſſer geſtellten Geſellſchaft enthält die Prinzeſſin ſich eines Urteils; nur einmal läßt ſie erraten, daß die Anſprüche nicht allzu hoch geſtellt werden dürfen, indem ſie die Marquiſe Ceralbo, deren Familie in Ungnade gefallen iſt, als eine liebe alte Dame auszeichnet, die eine feinere Bild⸗ ung beſitze, als die gewöhnlichen ſpaniſchen, bei Hofe erſcheinen⸗ den Damen.
Charakteriſtiſch für das Durcheinander von altertümlichen Prärogativen und modernen Bedürfniſſen iſt der Geſchmack des Adels an Überſetzungen franzöſiſcher Melodramen, welche das Abend⸗Repertoire des Theaters de la Cruz bietet, während die von Handwerkern beſuchten 5 Uhr-Vorſtellungen ſich auf Cal⸗ deron ſtützen.
Volkstümlichen Urſprungs und alten Datums ſind ſolcher Art auch zweifellos die mancherlei poſſenhaften Elemente, welche einigen kirchlichen Prozeſſionen beigemiſcht ſind und von denen noch weiter die Rede ſein wird.
Von der in höheren Kreiſen herrſchenden Liebhaberei für abſonderliche Kontraſte geſchah bereits bei Gelegenheit der Caſa del Pobre Erwähnung. Ahnliche Spielereien findet die Prin⸗ zeſſin in den Gärten ſo ziemlich aller von ihr beſuchten Luſt⸗ ſchlöſſer, und auch in den ſonſtigen vornehmeren Gärten ſtößt ſie auf verwandtes; ſo bei der Herzogin von Benevento und bei dem Herzog von Infantado. Der erſteren gehört die Beſitzung Alamada, die ſie mit ſehr großen Koſten ganz nach eigner Grille einrichtete. In dem ausgedehnten Garten giebt es u. a. einen Teich mit einer Cypreſſen-Inſel, auf welcher ein Sarkophag ſteht. Dieſer iſt während des Krieges zu Anfang dieſes Jahr⸗ hunderts aus dem Begräbnisplatze in Gibraltar geraubt worden
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und gehörte zu einer engliſchen Familiengruft. Man fährt auf dem Teiche weiter und gelangt an einen, von einer Duodez— Batterie beſchützten Miniaturhafen. Hinter dieſem iſt ein Sol- datenpavillon. Tief im Gebüſch verſteckt liegt eine Einſiedelei. In einer Zelle derſelben ruht auf einer Matte ein junger Eremit, zu ſeinen Füßen ein Hund. Auf der Bank daneben ein halb zerriſſenes Buch über die — Rechtskunde. In einer Kapelle hinter der Zelle ſitzt ein Greis und treibt ebenfalls juriſtiſche Studien. Neben der Einſiedelei ſieht man ein bemooftes Grab, deſſen Inſchrift beſagt, daß der Bruder Arſen nach den Stürmen des Lebens hier die Ruhe ſeines Herzens gefunden habe. Wie ihm dies gerade auf dem Wege juriſtiſcher Studien gelungen ift, wird nicht weiter erläutert. — In demſelben Garten ſieht man auch eine Caſa del Pobre, worin die Armut einer ganzen Familie möglichſt naturgetreu zur Schau geſtellt iſt, um gleich daneben durch die Annehmlichkeiten des Reichtums kontraſtirt zu werden: Einen eleganten Salon, ein Karuſſel, eine Schaukel, eine Voliere mit dreißig der ſchönſten Pfauen ce. In dem Garten des Herzogs von Infantado herrſcht der nämliche Un— geſchmack, ſogar die Einſiedelei und die Armenhütte ſind wieder da, ſo daß man annehmen muß, die Anlage dieſer Gärten habe ſich aller Abweichungen von der Regel zu enthalten. Zu dieſer gehören unter anderem noch eine „wegen ihrer Natürlichkeit wirklich ſchauerliche“ Automatengruppe — eine Bäuerin und ihr Sohn in dem Garten des Luſtſchloſſes Moneloa — dann in dem Garten der Caſa de la Reina das Haus eines Soldaten; und ſo noch ein paar ähnliche Kunſterzeugniſſe, die auf Er— ſchrecken des Uneingeweihten berechnet ſind.
Dahin möchte auch eine Veranſtaltung in Aranjuez zu rechnen ſein, auf welche die Prinzeſſin humoriſtiſch nur mit einem Gedankenſtrich hindeutet. In der ſehr ſchmucken und
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luxuriöſen Caſa del Labrador — deren Titel wieder eine Attrappe fein zu ſollen ſcheint, denn Arbeiter- Automaten fehlen hier, das Haus iſt ein kleines Schatzkäſtlein — hat man einen Salon mit vier Kaminen ausgeſtattet. Einer derſelben iſt heizbar; „die andern drei laſſen ſich wie Schränke öffnen und man findet darin einen Betſtuhl, einen Schreibtiſch und —.“ Derſelbe un⸗ ausſprechliche Gegenſtand bildet, wie es ſcheint, in einem Theaterſtück, welches die Prinzeſſin aufführen ſieht, die ſtark belachte Pointe; vielleicht Anklänge an Molières Malade ima- ginaire oder die Quelle desſelben. Über die Schauſpielkunſt der Spanier findet ſich in dem Tagebuche mehrmals die Be⸗ merkung, ſie ähnle mehr der deutſchen als der franzöſiſchen. Im ganzen macht das Theater auf die Prinzeſſin den Eindruck, als habe es die ihm einſt ſo reichlich zu Teil gewordene Gunſt der Spanier verloren; jedenfalls gehört es nicht zu den faſt täg⸗ lichen Unentbehrlichkeiten des Hofs, wie dies in Florenz der Fall war, wo faſt Abend für Abend während einem oder einem paar Akten im Theater verweilt wurde, obſchon man faſt immer die nämlichen Opern und Ballette gab. Solcher Art wird ſeitens der Prinzeſſin auch nur über wenige Stücke Buch geführt. Darunter im Eskurial „ein ſehr luſtiges Stück“ Sordo por Convenieneia, dem nach Fandango- und Bolero-Intermezzo „ein drolliges Nachſpiel,“ la Estatua, folgt. Im Madrider Theater de la Cruz „ein auf Joſephas Geburtstag verfaßtes Gelegenheitsſtück la Ninfa de Sajonia, in welchem zuletzt gräß⸗ liche Porträts der königlichen Familie zum Vorſchein kamen. Hierauf folgte ein Drama aus der engliſchen Geſchichte: Dios proteje à los Reyes. Dann Bolero und Fandango und zum Schluß: Las astucias estudiantinas, ein echt ſpaniſches Sainete oder Nachſpiel, unſinnig und wie ich glaube, meiſt extemporiert.“ In Valenzia endlich „El Duque de Sajonia, die Geſchichte
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Kaiſer Karls und der Kurfürſten Johann Friedrich und Moritz. Johann Friedrich war der Held des Stückes und hatte mit ſeiner Gemahlin eine altſpaniſche Eiferſuchtsſzene. Moritz war der Böſewicht, faſt eine Art von Meuchelmörder.“ Man hatte gewiß den ſächſiſchen Herrſchaften eine rechte Freude bereiten wollen und war nur in bezug auf die Erneſtiniſche und Alber- tiniſche Linie mit ſeinem Weihrauch an einen falſchen Altar ge- raten.
Über die kirchlichen Feſte und Gebräuche iſt noch einiges nachzutragen. Am Weihnachtsabend, deſſen häuslichen Feſt⸗ charakter Spanien nicht kennt, iſt auf der Plaza mayor Chriſt⸗
markt. Man verkauft Süßigkeiten aus Andaluſien, in Schach-
teln Kirſchen, „ungeheure Tambourins mit gräßlichen Porträts des Königs, rotbemalte an Stangen befeſtigte Schweinsblaſen, über welche Saiten geſpannt ſind, um ihnen mittels eines kleinen Bogens fürchterliche Töne zu entlocken.“ Um 9 Uhr abends beginnt die Mette und iſt erſt nach / 2 Uhr morgens zu Ende. Jenen Jahrmarktsgenüſſen entſprechend hat man, ſo ſcheint es, die Wirkung der ſogenannten Weihnachts-Villancicos aufzu⸗ faſſen, „ſpaniſche Volkslieder, die zum Teil hundert Jahre alt ſind. Die Muſik iſt meiſt angenehm und originell, aber die Worte ſind oft unſinnig und nach unſern deutſchen Begriffen für den Gegenſtand unpaſſend.“ — Das Dreikönigsfeſt wird „gleichſam als Namenstag aller Könige gefeiert.“ — Der Opferung von drei goldnen Kelchen ſeitens des Königs geſchah ſchon Erwähnung. Der letztere überreicht ſie dem Patriarchen knieend. — Das Feſt des heiligen Antonius bringt großes Leben in das ärmlichere Stadtviertel Madrids. Dort liegt die Kirche des Schutzpatrons der Haustiere. Durch ein Kirchen⸗ fenſter wird den ganzen Tag Segen und geweihter Hafer aus⸗ geteilt. Kühe, Schafe, Eſel, Maultiere, alle mit Blumen oder
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bunten Quaſten geſchmückt, werden vorbeigetrieben. Dazu ver⸗ kaufen die Bäcker panecillos de S. Antonio. Die am Palm⸗ ſonntag verwendeten Palmzweige ſind ſehr lang und überdies noch an Stöcke befeſtigt. Die für die königliche Familie be- ſtimmten ſind mit Florblumen geſchmückt und ſehen wie Bäumchen aus. Sie bleiben während der ganzen ſtillen Woche auf dem Schloßbalkon ausgeſtellt. Am ſogenannten krummen Mittwoch (krumm, weil die Richter Jeſu das Recht krümmten) werden in den Kirchen bei dem letzten Miſerere allmählich die Lichter ausgelöſcht, ſo daß alles ganz finſter bleibt. Am Gründonnerſtag iſt wie in Rom fo auch in Madrid das Hoch⸗ würdige in allen Kirchen ausgeſetzt. „Eine große Menſchen⸗ maſſe wogte auf den Gaſſen, wo Waſſer zum Verkaufe aus⸗ geboten wurde und kleine Jungen mit Ratſchen ſchnurrend umherliefen.“ Dies erinnert an die Ratſchen, Knarren und Klöppeln, mit denen früher in vielen katholiſchen Ortſchaften die Schulknaben ſich an der Kirche verſammelten, um damit lärmend die Straßen zu durchziehen; in einigen Gegenden Böhmens und der Schweiz beſchloſſen oder beſchließen heute noch auch die Kirchendiener die Mittwochs-, Gründonnerstags- und Kar⸗ freitags-Gebete mit ähnlichem Lärm, der an das Gepolter der Kriegsknechte bei Jeſu Gefangennahme gemahnen ſoll und jenen Metten den Namen Pumper- oder Rumpelmetten eingetragen hat; vielerwärts ließen auch die Kirchenbeſucher ſelbſt es an lärmendem Umherſtoßen von Stühlen und Bänken nicht fehlen. In dem Tagebuche aus Spanien iſt nichts darüber zu finden. Dort iſt in den Kirchen Ernſt und Würde vorwiegend. Die dritte Lamentation am Karfreitag wurde mit Waldhorn⸗ begleitung geſungen. „Man kann kaum etwas Vollendeteres hören,“ ſchreibt die Prinzeſſin. Und ähnlich urteilt ſie über faſt alle ſpaniſche Kirchenmuſik. Den Eindruck der im Eskurial
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gehörten Litanei ſtellt ſie bedeutend über den, welchen in Rom das Sixtiniſche Miſerere auf ſie hervorbrachte.
Am Gründonnerstag ſitzen bei den Armenbüchſen Damen, welche ſich ſtundenweiſe ablöſen. Am Sonnabend vor Oſtern iſt nachmittags kein Gottesdienſt. Schon um ½ 12 wird beim Gloria wie in Rom der Vorhang von den in Erwartung der Auferſtehung verhüllten Bilder weggezogen. Voraus ging die Feuerweihe und eine ganz eigenartige Hymne von Trillern, die ſogenannte Angelica. — In der Kirche de la Soledad werden am 3. Oſtertag an dem glänzend beleuchteten Hoch— altar die Kerzen während des vierzigſtündigen Gebets von ſechs einander ablöſenden Männern gehalten. Auch Prinz Max be- teiligt ſich dabei. Die Prinzeſſin hört während deſſen eine Predigt, deren Thema die Ermordung Marats durch Charlotte Corday iſt, nicht gar ſo verwunderlich, da die ſpaniſchen Marats ohne Zweifel nach dem Wunſch des Redners jenes Ende mit Schrecken ſich zur Warnung dienen laſſen ſollen.
Die nahe Beziehung der königlichen Familie zu allen kirch— lichen Handlungen tritt unter anderm auch bei einem Herkommen zu Tage, das die Prinzeſſin am erſten Oſtertage kennen lernt. Sie empfängt nämlich gleich den übrigen Familienmitgliedern von dem Könige eine Kerze zugeſandt. Dieſe Kerzen hat er am Tage Lichtmeß von der Prieſterſchaft erhalten; er hat ſie darauf dem Kloſter von Pardo verehrt, woſelbſt ſie dann am heiligen Grabe gebrannt haben und endlich an ihn zurückgelangt ſind, damit er ſie unter die königliche Familie verteile. — Nicht minder bezeichnend für den auch äußerlich immer augenfällig erhaltenen Zuſammenhang von Kirche und Königtum in Spanien iſt es, daß der König häufig, z. B. bei der Meſſe im Dom zu Aranjuez, ſeinen Platz im Chor der Domherren hat und nicht, gleich den übrigen, die königliche Tribüne benützt. Beiläufig
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bemerkt, begleiten in dieſem Dom während des Segens ſechs Fagottiſten, in der Nähe des Altars ſtehend, den Geſang.
Um mit dem muſikaliſchen Teile abzuſchließen, ſei hier er⸗ wähnt, daß in Toledo die Domherren dem Könige ein kleines Konzert geben, wobei ſie „recht hübſche royaliſtiſche Lieder ſingen, nachdem zuvor das Orcheſter über Erwarten gut die Tankred⸗ Ouverture geſpielt hat.“ Was die Muſikliebhaberei des Königs betrifft, ſo iſt ihm nur heitre Muſik willkommen, und er ſetzt dadurch den Konzertmeiſter oft in Verlegenheit. „Als einſt ein komiſches Muſikſtück mit einer nota ferma anfing, rief er ſchon entſetzt hombres! weil er dachte, es beginne ein Adagio. Das⸗ ſelbe geſchah, als einſt mein Stabat mater aufgeführt wurde, und ich mußte ihn daran erinnern, daß ein Stabat mater doch unmöglich luſtig ſein könne.“ Bei alledem hört er gern Muſik, weshalb auch während ſeiner Krankheit abends oft Konzerte neben ſeinem Schlafzimmer veranſtaltet werden. Prinzeſſin Amalie wirkt zuweilen in denſelben mit, ebenſo M. Tereſa, welcher das Tagebuch eine ſchöne Stimmhöhe und ziemlich viel Methode nachrühmt, und Donna Francisca, die eine recht ſchöne Altſtimme hat.
Während der Theater-Vorſtellungen gönnt ſich der König gern ab und zu in einem Seiten-Kabinett eine Erholungs⸗ Zigarre, hat aber dem Vergnügen des Rauchens im Schloſſe auch ein Auskunftsmittel abgewonnen, um politiſche Rückſichten hin und wieder beiſeite zu ſchieben. „Zu dieſer Rauchgeſell⸗ ſchaft in dem Kabinette El despacho,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „ladet der König Herren aus verſchiedenen Ständen und es ſoll geſchehen ſein, daß Männer, die als noch nicht purifiziert bei Hofe öffentlich nicht erſcheinen durften, in dem despacho mit dem Könige rauchten; ſo ſehr wird dieſer Zirkel als Privat⸗ ſache betrachtet.“ — Als der König gegen das Ende des Januar
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ernſtlich erkrankt — die Arzte haben ihn vergebens mit Ge- frornem und Bier zu kurieren geſucht — ſetzt ihm fein alter Diener Perico — eine Art Spaßmacher — ſo lange zu, bis der König den noch nicht purifizierten Dr. Caſtello rufen läßt, der ihn auch glücklich wieder herſtellt. Wie ſchwierig die Lage der namhafteren Männer in jenen Jahren des fortwährenden politiſchen Witterungswechſels ge— weſen iſt, wird dem Leſer des Tagebuchs ſehr lebendig ge— wärtig durch die Zuſätze, welche das traurige Ende ſo mancher damals der Prinzeſſin im Glanze der königlichen Gunſt nahe getretenen Perſonen nachtragen. So ſtellt ſich ihr im Eskurial ein Mann von einigen dreißig Jahren mit den Worten vor je suis le general Bessières. Er iſt als Bedienter eines vor- nehmen Herrn nach Spanien gekommen, hat ſich dort durch Königsdienſte emporgeſchwungen und in der letzten Revolution vor allem Gelegenheit gefunden, ſeine Treue für die königliche Sache zu bethätigen. „Wenige Monate nach unſerer Rückkehr,“ fo lautet der Zuſatz, „iſt er als Chef eines karliſtiſchen Auf- ſtandes erſchoſſen worden.“ — Ein nicht viel beſſeres Ende nimmt die Laufbahn des Erzbiſchofs Inzanga von Toledo, den die Prinzeſſin als „einen höchſt liebenswürdigen, treuherzigen alten Mann“ in Toledo kennen lernte und der ihr und dem Prinzen Max wertvolle Geſchenke machte. Als Karliſt ver- dächtigt, ſtarb dieſer Greis bald nach dem Tode des Königs vor Schreck in dem Augenblicke, als man in den erzbiſchöflichen Palaſt eindrang, um ſeinen Sekretär zu verhaften, vorausſichtlich mit der Hoffnung auf den Fund kompromittierender Korreſpon⸗ denzen. — Über ein anderes Opfer der politiſchen Wirren heißt es: „Der General Queſeda kam zu uns. Er iſt ſtark und unterſetzt, ein Mann zwiſchen 40 und 50 Jahren, von ſehr feinem Tone, ſpricht gut franzöſiſch, hat aber eine tiefe Furche
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zwiſchen den Augenbrauen, die ihm etwas Düſtres giebt.“ „Er endigte ſpäter,“ lautet der Zuſatz, „ſehr unglücklich, vom Volke faſt in Stücke gehauen, ohne daß man ihm, wie er bat, Zeit ließ, ſeine Seele zu bedenken.“ — Baron Eroles, der während der Revolution eine hervorragende gut königliche Rolle geſpielt hat, gehört auch zu den Perſonen von Bedeutung, welche die Prinzeſſin am Hofe ſieht. Ihn ſchützt gegen die Möglichkeit, nochmals in den Vordergrund der Politik zu treten, ſeine herab- gekommene Geſundheit. Es heißt, man habe ihm damals Gift beigebracht; jedenfalls iſt er von Zeit zu Zeit wie betäubt, hat ſchielende Augen und iſt ſehr häßlich. — Endlich lernt ſie auch noch den Oberſt Minio kennen, „einen kleinen, ſtarken Mann mit offnem, freundlichem Geſicht,“ welcher als Hauptmann auf der Reiſe nach Cadix die Ermordung der königlichen Familie verhinderte und durch die fortwährenden Wechſelfälle der ſpaniſchen Zuſtände dennoch bald darauf für „etwas kompro⸗ mittiert“ galt, ſo daß er erſt um ſeine Purifikation einkommen mußte. Ob ſpäter auch bei ihm eine Wendung zum Übeln eintrat, bleibt unerwähnt.
Die zahlreichen Kunſtſchätze der königlichen Schlösser, ſowie der Kirchen können hier, trotzdem die Prinzeſſin ſie in ihrem Tagebuche mit ſchöner Anſchaulichkeit beſchreibt, übergangen werden, da dieſelben heute ſchon beſſer und allgemeiner bekannt ſind, als dies damals der Fall geweſen iſt. Von den ſpaniſchen Gemälden empfängt ſie im allgemeinen einen ſo günſtigen Ein⸗ druck, daß ſie ihre Wanderung durch die Säle des Muſeums, nachdem ſie auch die Tizians und Andrea del Sartos und vor allem Raphaels berühmte Kreuztragung in der italieniſchen Ab⸗ teilung bewunderte, mit den Worten ſchließt: „Nach meinem Gefühle verloren die ſpaniſchen Gemälde durch den Vergleich mit den italieniſchen gar nichts.“ — Faſt unüberſehbar ſind
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die Anſtalten des Gewerb- und Kunſtfleißes, in denen die Prinzeſſin ihre Kenntniſſe zu bereichern bemüht iſt; und ihre Beſchreibungen legen Zeugnis ab von der Sicherheit und Leichtig— keit, mit der ſie ſich zu orientieren verſtand, ſo daß in der königlichen Land- und Seekarten-Druckerei, in der Teppich- und Gobelin⸗Fabrik, in der Spiegel⸗Fabrik, in der Münze, in der Tapeten⸗Fabrik und in den vielen übrigen königlichen induſtriellen Unternehmungen das Weſentlichſte des Betriebs von ihr mit Klarheit erfaßt wird. Unter den von ihr beſuchten öffentlichen Pflege-Anſtalten fällt ihr in dem Taubſtummen⸗Inſtitut der hohe Grad von Deutlichkeit der Ausſprache auf, zu welchem es die Zöglinge der Madrider Anſtalt bringen. Sie vermutet, daß die ſpaniſche Sprache in dieſer Beziehung beſonders günſtige Bedingungen biete, und hat in keiner andern von ihr beſuchten Taubſtummen⸗Anſtalt etwas Ahnliches zu hören bekommen. — über das Madrider Narrenhaus bemerkt ſie, dasſelbe ſei groß, lliege in ſchöner Gegend und habe zwei geſonderte Terraſſen, für die Männer die eine, für die Weiber die andere. „Es waren wenig Narren da und dieſe viel ruhiger, als die Neapoli⸗ taniſchen. Eine Frau, welche mir mit Gewalt um den Hals fallen wollte, erſchreckte mich ein wenig; ſie glaubte, die Tante des Papſtes zu ſein. Ein alter Geiſtlicher ſang und lachte immerwährend. Ein andrer Mann trat feierlich vor den König und erklärte ihm, daß der König nunmehr nichts weiter zu be— ſorgen habe, denn ſein (des Narren) Tribunal ſei jetzt das einzige in Spanien, da es überhaupt nur zwei Gerichtshöfe gebe, den irdiſchen und den himmliſchen, von welchem letztern wir freilich nichts verſtänden. Auf die Erwähnung des Wärters, daß er — jener Mann — der heilige Geiſt ſei, erwiderte er, weder geſchmeichelt noch beleidigt Un poco mas (etwas mehr). Ein Raſender trat an ſein Gitterfenſter und fragte: Ob niemand
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eines Auges bedürfe. Er habe deren 40 für Blinde verfertigt und müſſe nun nach Rußland reiſen, um die Ruſſen zu taufen. — Wir hielten uns glücklicherweiſe nicht lange an dieſem Orte des Jammers auf.“
Einem Stiergefechte beizuwohnen kann ſich die Prinzeſſin nicht entſchließen; ſie hört von ihren Leuten, welche ſich unter die Zuſchauer eines der kleineren Stiergefechte, der ſogenannten Novillos, wagten, daß ſich bei dieſen jeder Mann nach Belieben beteiligen kann und daß unter anderm Körbe ohne Boden, in denen ſo ein Amateur ſteckte, benutzt wurden, um auf ungefähr⸗ liche Weiſe mit dem Stier anzubinden. Schleuderte der zornige Stier dann den Korb in die Luft, ſo machte ſich der Held des Schabernacks vergnüglich aus dem Staube. Pferde, Eſel und Hunde, die man auch wohl ins Gefecht führte, kamen ſchlimmer dabei weg.
Noch minder fühlte ſich die Prinzeſſin verſucht, die in Madrid häufig ſich bietende Gelegenheit zum Beiwohnen von Hinrichtungen zu benutzen. Wie ſchon erwähnt, wurde Stehlen damals in Spanien mit dem Tode beſtraft. Hatte der zum Tode Verurteilte eine Braut, ſo ſegnete die Kirche das Paar kurz vor der Hinrichtung ein, damit die Braut das Recht hatte, ſeinen Namen zu führen, wie es ſcheint, ein Recht, auf welches trotz der entehrenden Strafe Wert gelegt wurde. Die letzten Tage brachte der arme Sünder in einer dazu beſtimmten Kapelle zu und empfing dort die Tröſtungen der Kirche. — Prinz Max und Prinzeſſin Amalie pflegten täglich die Puerta al Sol und den Prado zum Ziele ihrer Spaziergänge zu machen, und da hier gerade der Zug mit dem armen Sünder vorbeipaſſierte, ſo benachrichtigte man ſie immer bei Zeiten von dem Bevor⸗ ſtehen einer Hinrichtung, damit ſie an ſolchen Tagen dieſe Gegend meiden konnten.
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| Wie in Dresden, pflegte Prinz Max auch in Madrid, wie ſchon erwähnt, gepudert, aber barhaupt zu gehen und den Hut in der Hand zu tragen. Nicht ſelten wurden daher er und ſeine Tochter, trotz ihres ſogenannten Inkognito-Koſtüms, der Mittel⸗ punkt zahlreicher Gaffer, und namentlich erwies ſich die Schul— jugend einmal als beſonders beharrlich in dem Begleiten des
ihr befremdlich unſpaniſch ſcheinenden Paars. Im ganzen zeigt
ihnen die Madrider Bevölkerung aber viel Sympathie, und die Wäſcherinnen am Manzanares, ein lärmendes Völkchen, das die Prinzeſſin mit den Pariſer dames de la halle rangiert, will, wie ſchon erwähnt, über das Barhauptgehen des Prinzen eines Tags, als die Februar⸗Sonne bereits tüchtig brennt, ſich gar nicht beruhigen und beſtürmt ihn mit gutherzigen Warnungen. Je nach der Bedeutung oder der Bedeutungsloſigkeit des Tags wird übrigens auch hier die Toilettenfrage mit großer Gewiffen- haftigkeit geregelt. So iſt am Joſephstage — dem Namenstage
der Königin — große Gala; die Prinzeſſinnen ſind in „reiche
manteaux gekleidet, deren Schleppen bis zum Wagen von Ddbberſten getragen werden,“ was Prinzeſſin Amalie, der bisher nur Kadetten ſolchen Dienſt leiſteten, „in die fürchterlichſte Ver⸗ legenheit jetz“ und abends um 8 Uhr iſt man noch immer in E Gala; „mit den Schleppen angethan (welche die Infantinnen aus beſonderer Attention für meine Schweſter nicht hatten ab⸗ legen wollen), führten wir unſer Konzert auf.“ Ganz ungeniert geht es dagegen zu, wenn der Hof eine 3 Landpartie macht, dann ſetzen ſich König und Königin mit Kamariſtas und ſonſtigen Hofleuten in denſelben großen Wagen, der für 13 Perſonen Platz hat; man trägt ſpaniſches Koſtüm, ſpannt 7 Mauleſel vor und fort rollt das bäuriſche Gefährt nach dem Luſtſchloſſe Sarzuela. Wie es ſelbſtverſtändlich, liegt
i die Konverſation dann, trotz der königlichen Gegenwart, nicht
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in Feſſeln. Aus Rückſicht für die Gäſte wird zwar mehr Fran⸗ zöſiſch als Spaniſch geſprochen, doch fehlt es auch nicht an dieſem, und das zu Prinz Max und Prinzeſſin Amalie ge⸗ hörende Perſonal ergeht ſich zwiſchendurch in deutſchen oder ſächſiſchen Gedankenaustauſchen, ſo daß „eine babyloniſche Sprachenverwirrung“ entſteht.
Einige dieſer Ausflüge geſchehen nur in Begleitung der prinzlichen Suite und des Marquis Valmediano; jo der vier⸗ tägige Ausflug nach San Ildefons und Segovia, der am 24. Februar mit einem argen Schneegeſtöber endet. „Wir reiſten am 21. Februar um 7 Uhr morgens ab,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „man fährt ziemlich nah am Eskurial vorbei, durch Steinwüſten, in welchen hier und da immergrüne Steineichen ſtehen. Die Straße iſt ſehr befahren und wir begegneten einer Menge Kärrner, meiſt Valenzianer, welche mit ihren, von fünf oder ſechs hintereinander gehenden Maultieren gezogenen Karren ganz Spanien durchſtreichen. Wir fuhren mit Colleras, ſo nennt man die mit bunten Quaſten und Glöckchen behangenen Maulthiere, welche auf folgende ſonderbare Art gelenkt werden. Vorn auf dem ganz niedrigen Bock ſitzt der Mayoral, ein Bauer in rundem Hute, unter welchem er meiſt ein buntes Schnupf⸗ tuch um den Kopf gebunden hat. Dieſer Mayoral hält die Zügel, mit welchen er aber bloß die beiden hinteren Maul⸗ tiere lenken kann. Mit den übrigen wird die Sache geſprächs⸗ weiſe abgethan. Jedes Maultier hat ſeinen Namen, und ſomit wird beſtändig mit großem Geſchrei und unter Peitſchenknallen der Valeroſa, Lucera, Coronela, Pulia ꝛc. ihre Pflicht aus⸗ einandergeſetzt. Jedesmal, wenn ein Maulthier bei Namen angerufen wird, was ſo viel heißt, als daß der Mayoral in begriff ſteht, zu ſchlagen, ſchreit der Zagal: dejala! dejala! als begehre er Gnade für das Tier. Dieſer Zagal iſt ein Junge,
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oft noch halb Kind, ſitzt neben dem Mayoral auf einem noch niedrigeren Sitz, als dieſer, und muß, ſobald die Tiere nicht nach Wunſch gehen, herabſpringen, dieſe bei den Zügeln faſſen und oft eine ganze Strecke lang laufend ſie nach ſich ziehen. Man fährt mit den Colleras ſogar bergauf raſend ſchnell. Von Mitleid mit den Thieren oder ſelbſt nur mit dem Zagal iſt bei dem Mayoral nicht die Rede.“
Der Weg nach San Ildefonſo oder la Granja geht an dem Spitzbubendorfe Torre ladrones vorbei, von deſſen 50 Seelen, wie es heißt, immer 30 dem Diebshandwerk obliegen ſollen. Das Städtchen San Ildefonſo ſelbſt liegt auf einem Hügel, „mitten in einer ziemlich angenehmen Aue,“ und das königliche Schloß macht mit ſeinen zwei hohen, blauen Türmen einen freundlichen Eindruck. Die ſchönen ſchattenreichen Alleen und ebenſo j die berühmten Waſſerkünſte find oft beſchrieben worden. Vor aallem großartig erſcheint der Prinzeſſin der Anblick der Waſſer— künſte von dem aus immer grünen Hecken gebildeten ſogenannten „Salon“ aus, der nach acht Richtungen hin das Auge durch ebenſo viele mächtige Alleen auf acht herrliche Marmor-Baſſins hinleitet, jedes mit einer Marmorgruppe geſchmückt. Die der Andromeda wetteifert mit derjenigen der Latona an Pracht. Andromeda ſteht inmitten des Baſſins an einen Felſen ge— ſchmiedet. Über ihr ſchwebt das Ungeheuer. Seegötter und Meerungetüme ruhen verſtreut zwiſchen Felſen im Kreiſe. Die Latona⸗Sage bewährt ſich als ein für die Anlage eines plaſtiſch geſtalteten Brunnens nicht minder günſtiges Kunſtmotiv. In der Mitte des Baſſins ſitzt die Göttin auf einem Felſen, rings um ſie her Fröſche — die von ihr in ſolche verzauberten Hirten — und zwar ſpritzen ſie Waſſer in ſolcher Menge gegen Latona, daß dieſelbe wie von einer Kryſtallglocke umhüllt erſcheint.
Am folgenden Tage wird „die kleine, aber impoſante Stadt
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Segovia“ beſucht, nicht ohne daß auch die königliche Münze, die königliche Merino⸗Tuch⸗Fabrik und der Alcazar in Augen⸗ ſchein genommen worden; der letztere, ein feſtungsartiges kleines auf einem Hügel liegendes Gebäude ſteht leer, da das darin untergebracht geweſene Militär-Inſtitut ohne Lehrer iſt; ſie haben ſich politiſch kompromittiert. | | Zurückgekehrt nach San Ildefonſo, verſäumen die unermüd⸗ lichen Reiſenden nicht, ſich noch am ſelben Tage in die Geheim⸗ niſſe der berühmten Glas-Fabrik von San Ildefonſo einweihen zu laſſen, die übrigens nur „ein weit minder klares Glas, als das böhmiſche“ zu Wege bringt, und dann wird tags darauf mit Sammlung das Schloß in ſeinen Einzelheiten durch⸗ gemuſtert, in demſelben vor allem die von der Königin Chriſtine von Schweden zuſammengebrachten Kunſtſchätze, die man für San Ildefonſo ſpäter erwarb. — Beiläufig wird auch noch ein Abſtecher nach dem in einer Wüſte liegenden, ſchier von der Welt abgeſchnittenen Schloſſe Rio frio gemacht, angeblich dem Modell des Schloſſes von Madrid; „die Zimmer ſind weder tapeziert noch möbliert und niemand, als ein Inſpektor, be⸗ wohnt das Schloß. Es iſt nicht zu begreifen, warum man mit jo großen Koſten das ſchöne Gebäude eben dahin geſetzt hat.“ Ein zweiter Ausflug hat Aranjuez und Toledo zum Ziel, doch iſt er zugleich der Anfang der Heimreiſe, wenn auch das Geleit des königlichen Paares und der königlichen Angehörigen den Abſchied von dem der Prinzeſſin lieb gewordenen Madrid in etwas erleichtert. Am 8. April nachmittags wird auf⸗ gebrochen. Die Fahrt bis Aranjuez dauert 6 Stunden, anfangs geht fie durch eine öde Gegend, dann beginnt Dliven- und Reben⸗Kultur. „Aranjuez liegt in einem weiten Thale; man fährt, ehe man ans Schloß kommt, durch einen großen Park mit ſchönen ſchlanken Bäumen. Der Tajo fließt an dem Schloſſe
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vorüber. Er iſt wie ein Kanal zwiſchen Mauern eingeſchloſſen. Man paſſiert ihn auf einer ſchönen ſteinernen Brücke. Das Schloß iſt ungeheuer groß, aber freundlich und elegant gebaut.“ — „Im ganzen,“ heißt es an einer andern Stelle, „ſchien mir die Gegend nicht eben romantiſch. Der rieſige Garten iſt eine Art künſtliche Gegend zu nennen.“
In Toledo, das am folgenden Tage beſucht wird, empfangen unter anderm die Herren von der heiligen Hermandad das königliche Paar und ſeine Gäſte. Dieſelbe ſoll, wie man der Prinzeſſin berichtet, nur noch in Toledo exiſtieren; als die wißbegierige Prinzeſſin aber Aufſchluß über das Weſen der
heiligen Hermandad erbittet, zeigt ſichs, daß ſich nur noch der
Name in der Kenntnis der braven Leute von Toledo erhalten hat; es ſei eben die heilige Hermandad, lautet allenthalben der lakoniſche Beſcheid. — Beſſer berichtet man ihr in der berühmten Klingenfabrik von Toledo über alle die Prozeduren, die das Metall geduldig durchmachen muß, bis es in der Form einer Klinge die Biegſamkeit einer Weidenrute erlangt. — Hier in Toledo lernt die Prinzeſſin auch den Rieſentanz kennen, der wiederum das volkstümliche Vorbild für manche Ballet-Epiſoden unſerer modernen Bühnen geweſen zu ſein ſcheint, wie uralt er ſelber auch fein mag. „Wir waren kaum zu Haufe (im erz— biſchöflichen Palais),“ ſchreibt die Prinzeſſin, „als man vor den Fenſtern des Palaſtes den Rieſentanz vorzubereiten begann. Die Rieſen wurden langſam herbeigeſchafft. Es ſind dies ſieben koloſſale Schreckensgeſtalten, vier männliche und drei weibliche, dreimal ſo hoch, als der längſte Mann. Zwei von dieſen
Figuren ſind Mohren, zwei in aſiatiſcher Tracht. Zwei in alt⸗
modiſchen Hofkleidern, alle ſechs als Repräſentanten der in
alter Zeit bekannten Weltteile. Der einzige Herr ohne Dame
ſoll der — Cid fein. Außerdem giebt es auch noch Riejen- 14
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finder, Knaben, ungefähr in Manneslänge, mit unförmlichen Köpfen und gräßlichen Perrücken; dann noch ein Ungeheuer mit einem Rüſſel (die Tarasca genannt, Emblem der Ketzerei), auf deſſen Rücken eine kleine weibliche Figur ſitzt (unter dem Namen Anna Bolena bekannt). Um ½4 ging der Tanz an. Nach dem Takt einer höchſt einförmigen Muſik bewegten ſich die Rieſenpaare; dann auch der Cid. Endlich fing das Un⸗ geheuer mit der Anna Bolena an vorzurücken. Es ſtreckte den Hals vorwärts, öffnete den Rachen und ſchnappte nach den Zuſchauern, welche ſchreiend und lachend entſprangen, während die Anna Bolena auf ſeinem Rücken konvulſiviſch herumtanzte.“ — Fragt man nach dem Zuſammenhange, der zwiſchen Anna Bolena und dem Cid oder den drei Weltteilen der älteren Geographie beſteht, ſo wird man einen ſolchen ſchwerlich zu ermitteln vermögen. Vermutlich ſtammt die Perſonifizierung der Ketzerei durch die unglückliche zweite Gemahlin Heinrich VIII. aus der Zeit, wo die ſpaniſche Geiſtlichkeit die Verſtoßung ſeiner erſten Gemahlin, Katharina von Aragonien, als eine inſonder⸗ heit Spanien und die ſpaniſche rechtgläubige Kirche beleidigende Maßnahme bekämpfte, wodurch ihr die Nachfolgerin jener ſpaniſchen Prinzeſſin zum Inbegriff des Ketzertums werden mochte. Sehr alten Urſprungs iſt auch die ſogenannte Meſſe nach „musarabiſchem Ritus,“ die noch in einer eigens dazu be⸗ ſtimmten Kapelle des Doms von Toledo geleſen wird; einzig in dieſer Kapelle darf ſie überhaupt geleſen werden und zwar „zum Andenken,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „daran, daß von Zeit der Beſitznahme Toledos durch die Mauren bis zu jener der Wiedereroberung dieſer Stadt durch chriſtliche Könige, eine chriſtliche Gemeinde ſich hier erhalten hatte, welcher in ihrer Abgeſchiedenheit die während deſſen in allen übrigen chriſtlichen Gemeinden vorgenommenen Anderungen an den Zeremonien
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des Meßopfers unbekannt geblieben waren. Die musarabiſche Meſſe beginnt mit den rührendſten Stellen aus den Pſalmen; hierauf folgt das Gloria, die Epiſtel, das Evangelium, das Paternoſter. Nach der Wandlung wird das Credo gebetet, wobei der Geiſtliche die heilige Hoſtie in der Hand hält. Man lieſt kein zweites Evangelium, und die heilige Hoſtie wird kurz vor der Zeremonie in ſieben Stücke zerbrochen.“
Am 14. April abends ſind die Reiſenden „nach einer fürchterlich heißen Fahrt“ wieder in Aranjuez, wo die Bäume dennoch erſt teilweiſe grün ſind, ein auch bekanntlich am Golf Neapels den Nordländer befremdlich anmutendes Maßhalten der Vegetation, das ſehr auffällig abſticht von der Voreiligkeit, mit welcher ſich unter kühleren Himmelsſtrichen die Geſträuche und wohl auch einzelne Bäume unter dem trügeriſchen Einfluffe
einiger warmen Februar- oder März⸗ Wochen belauben.
Von den bis zur Abreiſe noch in Augenſchein genommenen Sehenswürdigkeiten ſei hier nur die königliche Stuterei erwähnt. „In einer Reitbahn wurde dort den einjährigen Füllen das Zeichen von Aranjuez eingebrannt. Die Geſchicklichkeit und Kühnheit der dabei Beſchäftigten iſt außerordentlich. Zuerſt führt man ein altes Pferd herein, welchem gleich eine Menge Fla.üllen folgt. Nun wird eine an einem Stabe befeſtigte Schlinge
um den Fuß des erſten beſten Füllen geworfen und dieſes dann
zu Boden gedrückt. Manche Füllen wehren ſich gewaltig und ſchleppen die Menſchen, die fie am Schweife oder an den Ohren 4 feſt zu halten ſuchen, weit mit ſich fort. Sind ſie endlich zu Boden gerungen, ſo wird ihnen mit dem heißen Eiſen das 7 Zeichen eingebrannt, worauf man ihnen die Mähne ſcheert und ſie gehen läßt. Von dieſem Augenblicke an find fie ganz ruhig.“
Am 20. April rüſten der Prinz und die Prinzeſſin ſich mit
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ihren Leuten zur Abreiſe. Schon tags zuvor hatte die Infantin Luiſe der Prinzeſſin „eine goldne Toilettenſchachtel mit dem Ab⸗ bilde ihres Armes und einen Ring mit ihren Haaren“ geſchenkt;
Don Karlos und die beiden zum Beſuche in Spanien weilenden
portugieſiſchen Infantinnen hatten ihr Familienporträts verehrt; der König war überaus herzlich geweſen und hatte zum Prinzen Max mit bewegter Stimme geſagt: „Je vous aime comme mon père; je voudrais que vous fussiez mon père.“ Man wird dieſe Worte um ſo eher für den wirklichen Ausbruch eines tief erregten Gefühls nehmen, wenn man der tödlichen Feind- ſchaft gedenkt, zu welcher einſt der allmächtige Herzog von Alcudia das Mißtrauen beider Eltern des Königs gegen dieſen, den damaligen Kronprinzen, zu entflammen gewußt hatte. — Prinz Max ſeinerſeits konnte bei dem Abſchiede ſchon deshalb nicht ohne Ergriffenheit bleiben, weil er ſich ſagen mußte, daß er ſeine Tochter Joſepha in dieſem Leben wieder⸗ zuſehen kaum hoffen durfte. Und ſo wurde denn, als Vater und Tochter am Morgen des Reiſetages einander zum letzten Male umarmten, vor Rührung kein Wort geſprochen. Die Prinzeſſin ſchreibt: „Papa fiel beim Hinausgehen faſt die Treppe hinab, da ihm Thränen in den Augen ſtanden. Ich hatte glücklicherweiſe noch Kraft genug, um ihn zu halten.“
In der That hat die Königin Joſepha, wie erwähnt, die Ihrigen nicht wiedergeſehen. Schon vier Jahre ſpäter iſt ſie nach zehnjähriger Ehe geſtorben, worauf König Ferdinand jene vierte Ehe ſchloß, auf welche die ſpäteren bekannten Familien⸗ und Parteifehden zurück zu führen ſind.
Zwölfter Abſchnitt. 8 Nach VNVaris.
N: Rückreiſe, welche unter Eskorte angetreten wurde, und bei welcher der Marquis Valmediano ſich wieder aller
Mühwaltungen aufs Sorglichſte unterzog — „das täg— liche Briefſchreiben für den an den König abzufertigenden Kurier fällt ihm ſchwer“ — ging über Toboſo, wo die Prinzeſſin „viele Windmühlen, aber wenig ſchöne Duleineen“ ſieht, und berührt dann Albacete, wo zehn bis zwölf Männer vom Thore an ſich dem prinzlichen Wagen geſellen und ihm vortanzen. Sie ſind weiß gekleidet, in einer ganz der arabiſchen ähnlichen Tracht, tragen blumenumwundene hohe Mützen und halten die Enden bunter, an einer Stange befeſtigter Bänder in den Hän⸗ den. Was ſie beim Klange einer Trommel und einer Pfeife an Figuren aufführen, ſcheint den verwandten Tänzen unſrer Ballets geglichen zu haben. Dirigiert wird das Ganze aber durch einen Mann, der ein karrikiert altfränkiſches Hofkleid trägt und einen Stock in der Hand ſchwingt, deſſen Knopf eine kleine Mohrengeſtalt darſtellt. Auch in Almanſa erweiſt man den Reiſenden allerlei Aufmerkſamkeiten, doch iſt die Prinzeſſin durch die Reiſe ſo ermüdet, daß ſie bei der Vorführung der ſtädtiſchen Honoratioren vor Schläfrigkeit ihre „Reiſeſchürze“ abzunehmen vergißt. Im Gegenſatz zu dem bisher in den königlichen Schlöſſern genoſſenen Raumüberfluſſe muß man ſich
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diesmal für die Nacht mit einem einzigen Zimmer behelfen, das freilich zwei Alkoven hat. In dem einen ſchläft Prinz Max, in dem andern die Prinzeſſin, und in dem Zimmer ſelbſt ſchlafen die Leute des Prinzen.
Auf dem Wege nach Valenzia bekommt die Vegetation ein ausgeſprochen ſüdlicheres Anſehen; der Kaktus wächſt baum⸗ hoch; Feigen⸗, Dattel- und Olbäume gedeihen aufs Üppigfte; ganze Felder ſind mit niedrig gehaltenen Weinſtöcken beſtellt und mit Reihen von Aloe eingefaßt. Die Männer tragen grobe weiße Hemden, die unterhalb eines Hüftengürtels bis ans Schienbein hinabreichen und zugleich Hemd und Hoſe bilden. Über die Achſel hängt ihnen ein Stück bunten Tuchs, das ſie bald als Halstuch, bald, beim Tragen von Laſten, als Kopf⸗ kiſſen benützen. Jenſeits des Jucar nimmt die Gegend einen noch reicheren Charakter an. Wie in einem wohlgepflegten Garten von Maulbeer⸗, Zitronen-, Orangen-, Palmbäumen und Silberpappeln liegt der Flecken Alberique mit ſeinen bläu⸗ lichen moſcheenartigen Kuppeln da. In regelmäßige Vierecke geteilt und ſorglich unter Waſſer geſetzt, kochen Reisfelder in der Sonne. |
Ehe der Jucar paſſiert wurde, haben die Reiſenden, während die Fähre ihre Wagen hinüberbrachte, bei ſchallender Militärmuſik in einem Zelte Raſt gemacht und ſich an den Huldigungen einer Anzahl feſtlich geputzter Damen und Herren erfreut. Nun ſie beim Sonnenuntergang die Stadt Valenzia erreichen, wo bereits ihnen zu Ehren Militär am Thore auf⸗ marſchiert iſt, müſſen ſie ſich's gefallen laſſen, in Galawagen zu ſteigen und ſo den Neugierigen der loyalen Stadt ein Schau⸗ ſpiel zu bieten. Die Straßen, meiſtens lang und eng und voll altertümlicher, oft häßlicher Gebäude, deren Dächer flach ſind, muten die Reiſenden einigermaßen wie eine Brandſtätte an.
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Beim Dunkelwerden kommt aber, nach dem Vorbeidefilieren von Militär und Royaliſten⸗Volontärs, dem allſeitigen demonſtrativ herzlichen Tücherſchwenken noch ein glänzendes Feuerwerk zu Hilfe, das zwar die Reiſenden durch einige reſpektwidrig ihnen faſt auf die Köpfe niederſchwirrende Raketenſtöcke in Gefahr bringt, ſchließlich aber doch, ohne Schaden angerichtet zu haben, zu Ende geht. Der folgende Tag bringt Kirchliches. Zunächſt wird der vor drei Jahrhunderten verſtorbene heilige Luis Beltran den Reiſenden gezeigt; er liegt in einem gläſernen Sarge und „iſt etwas vertrocknet, aber ganz unverſehrt.“ In der alter⸗
tümlichen, reichvergoldeten Domkirche, wohin mit Militärmuſik in großer Prozeſſion gezogen wird, empfangen ſie dann den Segen des achtzigjährigen Erzbiſchofs, „der dem verſtorbenen Papſte Pio VII. gleicht“, und nehmen die für ſie am Altar ausgeſtellten vorzüglichſten Reliquien in Augenſchein. Um 12 Uhr halten ſie Kour, ſpeiſen dann mit dem Biſchofe von Mexiko und andern Würdenträgern zu Mittag und genießen darauf den Anblick einer echt nationalen Prozeſſion, deren Charakteriſtiſches, wie ſchon bei frühern Veranſtaltungen ver- wandter Art, die poſſierliche Seite derſelben iſt. Es iſt die ſogenannte Prozeſſion des heiligen Vicente Ferrer und dieſelbe iſt ihnen zu Liebe auf dieſen Tag verſchoben worden. Den Zug eröffnen zwei Männer mit Kronen auf den Köpfen und ſehr langen Bärten. Ihnen folgen zahlreiche andre mit Fahnen, an deren Stangen Statuen von Heiligen befeſtigt ſind. Dieſe Stangen balancieren ſie auf dem Kinn und auf der Unterlippe. Dann erſcheinen Gigantones, „noch ſcheußlicher als die Toleda— niſchen, die Rieſendamen en téte naissante mit Blumen in den Haaren; die Rieſenkinder führten eine Art Quadrille auf.“ Hiermit iſt der komiſche Teil der Prozeſſion zu Ende, ohne daß es der Prinzeſſin gelungen zu ſein ſcheint, den Sinn dieſer
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Vorführung zu ergründen — vielleicht ging er, wie in Toledo die eigentliche Bedeutung der heiligen Hermandad, den Nach⸗ gebornen im Laufe der Jahrhunderte verloren. — Was weiter folgt, unterſcheidet ſich nicht von den ſonſt herkömmlichen kirch⸗ lichen Prozeſſionen, und fo reiht ſich Ernſtfeierliches unmittel- bar an das Burleske.
Am Abend bietet das Theater von Valenzia den hohen Reiſenden das ſchon erwähnte abſonderliche Drama El duque de Sajonia mit dem „Böſewichte“ Moritz von Sachſen.
Von den übrigen Sehenswürdigkeiten Valenzias ſei hier nur noch das Porträt des Generals Elio erwähnt, der während der Revolution erdroſſelt wurde. Die Prinzeſſin beſchreibt ihn nach dem, wie es heißt, ſprechend ähnlichen Bilde, als einen blaſſen, hagern Mann mit dem Ausdrucke von Ruhe und 58 ſchaffenheit.
Die ſpitzen, hohen Strohdächer der Bauerhäuſer in der Umgegend Valenzias finden ihr Pendant in allerlei ähnlich ſpitzdachigen Grabmonumenten, welche den dörflichen Kirchhöfen der Provinz ein befremdliches Anſehen geben, ebenſo wie die ſämtlich moſcheenartigen blauen Kuppelkirchen, neben denen häufig ein viereckiger Glockenturm ſteht. In den Kirchen der Provinz ſieht man über dem Altar ſtatt eines Altarbildes oft viele kleine Bilderchen, die in ein reichvergoldetes Altarblatt eingefügt und von dieſem umrahmt ſind.
Die Bäuerinnen Valenzias ſind weiß von Teint und der Mehrzahl nach ſchön; ſie tragen weiße Mantillen, was ihnen ſehr gut ſteht.
Über die Bergfeſte Tarragona hinaus ändert ſich das Koſtüm abermals. Die Frauen tragen ſchwarze, auf dem Hinterkopfe befeſtigte Hauben, von welchen ein Stück breites Band auf die Stirne herabfällt; dazu großglockige Ohrringe.
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Die Männer zeichnen ſich durch rote Mützen aus, deren Zipfel über die Schulter herabhängen; ſtatt bloß in Hemden zu gehen, tragen ſie Hemden, Jacken und Hoſen.
So geht die Reiſe unter immer wechſelnden Bildern und Eindrücken in der Richtung auf die franzöſiſche Grenze weiter, und in Barcelona beginnt ſchon wieder die Schattenſeite und Bedingung des für jetzt in Spanien herrſchenden Friedens ſich deutlicher zu zeigen: die Stadt liegt voll franzöſiſcher Truppen und im Hafen flaggt die franzöſiſche Flotte.
Auch hier wird von der Prinzeſſin auf die Volkstracht geachtet. Die Frauen tragen weiße Mantillen und kämmen das Haar aus dem Geſicht. Bei den Männern fällt ihr eine eigen- tümliche pantoffelartige Fußbekleidung auf, Schuhe, die bloß die Spitzen der Zehen bedecken, auf den Seiten den Fuß faſt ganz
frei laſſen und ſehr reich gearbeitet ſind, ſo daß man gern auf den Strumpf verzichtet.
Mit Tanz hatte man den Reiſenden die ſteile Einfahrt in Tarragona zu verſchönern geſucht; hier darf es zwar auch nicht an Tanz fehlen, aber die Nähe Frankreichs übt ihren Einfluß
in der Richtung auf das künſtleriſch Abgemeſſene. Man hat
dem königlichen Schloſſe gegenüber eine weite Tanzbühne auf- gerichtet. Auf dieſer produzieren ſich nach einander Spanier, Franzoſen, Deutſche und — Türken. In einem langen prächtigen Zuge ſind ſie über den Platz vor dem Schloſſe dahergekommen, maskiert, mit Fackeln in den Händen. In ihrer Mitte ein achtſpänniger Triumph-Wagen, auf welchem friedlich neben einander drei reich gekleidete weibliche Geſtalten thronen: Spanien, Frankreich und Sachſen; eine vierte auf dem Rückſitze gab ſich durch die Mauerkrone als die Stadt Barcelona zu erkennen. Einen ſehr lieblichen Tanz in Masken führten dann, nachdem ſie auf der Bühne gelandet, die Spanier auf; die
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Franzoſen — Männer und Weiber in glänzenden Rüſtungen — folgten mit einer graziöſen Amazonen⸗Schlacht; dann exe⸗ kutierten die Deutſchen einen ſchönen, kräftigen Kriegertanz; und zuguterletzt, damit auch der nationalen Freude an Späßen ihr Recht werde, machten die Türken Purzelbäume und voltigierten über Tiſche und Stühle.
Auf der Weiterreiſe längs dem Meere „in wahrhaft para⸗ dieſiſcher Gegend“ gelangen die Reiſenden nach Gerona und Figueras und erreichen am letzten April unterhalb der fran⸗ zöſiſchen Pyrenäenfeſtung Villa Gardia die Grenze. Hier ändert ſich plötzlich alles: Menſchen und Dinge. Die roten Mützen verwandeln ſich in Hüte, die Mantillen in weiße Hauben, die von Ort zu Ort an verwunderlicher Höhe und Weite zunehmen. Statt der Teppiche ſieht man weiße Fahnen. Sprache, Be⸗ nehmen, alles iſt anders geworden.
Freilich unterſtützt den günſtigen Eindruck, welchen die Reiſenden von dem mittäglichen Frankreich empfangen, die liebliche Jahreszeit. „Wie herrlich ſchien mir jetzt die Gegend, die ich im Herbſte ziemlich gleichgiltig betrachtet hatte,“ ſchreibt die Prinzeſſin. Überall ſchmettern Nachtigallen, alles grünt und blüht, und der Segen langer Friedensjahre ſpricht aus der ringsum gartenartig gepflegten Natur. Die Fahrt geht über Narbonne, Carcaſſonne, Toulouſe, Auch, Agen, reinliche, ſchmucke Städte, die von ſchönen, ſchattigen Alleen eingefaßt ſind und deren Umgebung auch durch den Wechſel von freundlichen Land⸗ häuſern, ernſten Schlöſſern mit altfranzöſiſchen Gärten und hochgetürmten Burgtrümmern ſich hier und da zu bunter Mannigfaltigkeit ſteigert. Am Ufer der Garonne ſtellt ſich den Reiſenden der Präfekt von Bordeaux vor, Mr. de Hauſſet, der ſpätere Miniſter Karl X., und empfiehlt ihnen, ſich zur Weiter⸗ reiſe bis Bordeaux des für 200 Paſſagiere Raum bietenden
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Dampfboots le duc d'Angoulème zu bedienen, welcher Ein— ladung gern entſprochen wird. Dampfſchiffe waren damals noch nichts alltägliches. Das Tagebuch bezeugt dies, denn, von der Ungewöhnlichkeit dieſes Verkehrsmittels frappiert, verſagt die Verfaſſerin ſich's nicht, das neue Weltwunder wie folgt zu beſchreiben: „Inmitte des Schiffs erhebt ſich die ſehr hohe, eiſerne Eſſe, durch welche der Rauch der im Schiffsraume ſtehenden, immer glühenden Ofen aufſteigt. Oft ſprühen Funken aus dieſer Eſſe. Wir fuhren ſehr ſchnell.“ Eine weitere moderne Erfindung, der Telegraph, ermöglicht den Reiſenden den Genuß eines Raſttags in Bordeaux, indem Prinz Max ſonſt, um ſeinen
ihm bis Paris entgegengereiſten Sohn, den Prinzen Fritz, nicht
beſorgt zu machen, ſich verpflichtet geglaubt hätte, am verab— redeten Tage in Paris einzutreffen. Natürlich handelte es ſich nur erſt um optiſches Telegraphieren, und zwar durch Ver— mittlung des Präfekten, denn die Benutzung dieſes Mittels be— ſchleunigten Nachrichtgebens war noch ein Privilegium der Regierung.
Im Theater hat die Prinzeſſin Gelegenheit, das franzöſiſche Opern⸗Publikum als nicht gerade nachſichtig kennen zu lernen. „Man gab die Oper Guliſtan,“ ſchreibt ſie; „der erſte Sänger ſchien mir nicht übel, mißfiel aber dem Publikum, und als er mitten in einer Arie ſich räuſperte, entſtand ungeheures Gelächter und hundert Stimmen ahmten ſein Räuſpern nach.“ Vielleicht trug die Abweſenheit der Damen im Auditorium die Schuld an der eingeriſſenen Rückſichtsloſigkeit. Sie beſuchten das Theater nicht gern, wie die Prinzeſſin ſchreibt, weil die allzu— großen Logen die Abſonderung in kleinere, nah bekannte Gruppen erſchwerten. N
Bis hierher hat das ſpaniſche Geleit ſich nicht von den hohen Reiſenden getrennt. Jetzt übernimmt der franzöſiſche
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Präfekt die Sorge um ihre Beförderung und Unterhaltung. Der Weg geht über Cublac und Angoulème. In letzterer lieblich gelegenen, teils auf einer Höhe, teils am Fuße derſelben ge— bauten Stadt erhält die Prinzeſſin Gelegenheit einem jungen Mädchen einen wichtigen Dienſt zu leiſten, ihr nämlich behilflich zu ſein, nicht gegen Wunſch und Willen im Kloſter zu bleiben. Mademoiſelle de Caſſarés heißt die junge, unter die Urſuline⸗ rinnen geratene Dame. Sie hat zum Kloſterleben nicht die mindeſte Anlage und erſehnt irgend eine Verſorgung, welche ihr die Welt wieder erſchließen könnte. Glücklicherwerweiſe unterſtützt die Oberin die Wünſche des Fräuleins, ſo daß Prin⸗ zeſſin Amalie verſprechen darf, womöglich Rat zu ſchaffen.
Wie ein ſpäterer Zuſatz beſagt, iſt ihr dies in der That gelungen und zwar vermittels der Frau von Üchtriß, welche die Herzogin von Orleans für das kloſtermüde junge Mädchen zu intereſſieren gewußt hat. Die Prinzeſſin ſah Mademoiſelle de Caſſarés im Laufe der Jahre außerhalb des Kloſters wieder, und ſie hatte ſchließlich auch noch die Befriedigung, daß ſich die aus dem Kloſterbann Erlöſte verheiratete.
In Cublacs Nachbarſchaft hatten die Reiſenden das Felſen⸗ ſchloß beſucht, welches die Sage mit Roland und mit den Haimonskindern in Beziehung bringt. In Angouleme ſehen ſie Trümmer neuerer Art: Eine während der großen Revolution bis auf den Grund verwüſtete, einſt ſehr umfangreich geweſene Kirche, deren winzige Reſte, ſoweit ſie erhalten ſind, noch zum Gottesdienſte benutzt werden. Aber wenn dieſe Überbleibſel einer welterſchütternden Geſchichtsperiode und nicht minder der Anblick des einundneunzigjährigen Biſchofs Gavais, der alle jene Stürme miterlebte, das fröhliche Geſicht der rings im Frühlingsſchmucke prangenden Landſchaft einigermaßen ver⸗ düſtern wollen, ſo bläſt die Militär⸗Muſik während der heiligen
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Meſſe faſt ironisch dazu die traurige Weiſe „mich fliehen alle Freuden!“ und die Prinzeſſin findet ohne Zweifel, wie ſchon in Spanien, daß man, um ſich friſch empfängliche Sinne auf Reiſen zu bewahren, den bunten Wechſel aller Dinge, ohne ihm grillenhaft nachzugrübeln, hinnehmen muß, wie er ſich eben giebt.
Allen dieſen Städten rühmt ſie einen ihnen in auffallender Weiſe eignen Reiz nach: ſchöne öffentliche Promenaden.
Eine Woche lang haben die Reiſenden jetzt ſchon Franf- reich durchſtrichen, nachdem anderthalb Wochen nötig geweſen waren, um ſie nur wieder aus dem ſchönen Spanien heraus⸗
kommen zu laſſen, und immer liegt Paris noch in weiter Ferne.
Aber als man über das wegen ſeiner Meſſerfabriken berühmte Städtchen Chatellerault hinausgelangt iſt, winkt bald auch von
Weitem die mächtige Kathedrale von Tours, und nun kommt
f 4 enthält.
atemlos der Präfekt diefer Stadt „aus großer Attention“ mit der Botſchaft herangeſprengt: Prinz Fritz ſei auch ſoeben in Tours angekommen. Daß es auf eine freudige Überraſchung abgeſehen war, iſt dem Präfekten augenſcheinlich ganz entgangen. Glücklicherweiſe hat auch die Vorfreude ihren Wert und ſo ge— ſtaltet ſich das Wiederſehen der ſo lange getrennt Geweſenen nicht minder fröhlich.
Daß man am nächſten Tage, als die jetzt Vereinten die heilige Meſſe hören, während derſelben durch die Regiments⸗ muſik faſt das ganze matrimonio segreto exekutieren läßt, mag dem zerſtreuten Präfekten nicht minder zu danken geweſen ſein, wenn ſchon das Tagebuch ſich aller desfallſigen Vermutungen
Von der lieblich an der Loire gelegenen, durch eine lange ſtattliche Hauptſtraße ausgezeichneten Stadt Tours geht die Reiſe nun immer nahe dem Fluſſe fort. Zierliche Landhäuſer
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mit ſauberen blauen Dächern deuten auf Wohlſtand, und die hier und da von felſigen Höhen herabblickenden alten Schlöſſer — unter ihnen Amboiſe — beginnen an Ereigniſſe denkwürdiger Art aus den Zeiten der Glaubenskämpfe zu erinnern. Drüben die in Trümmern liegende Brücke bezeichnet die Stelle, wo Heinrich IV. auf dem Punkte war, von den Soldaten der Ligue gefangen genommen zu werden, und jetzt gewahrt man auch das verrufene Schloß Blois, das für ein Neſt von Erinner⸗ ungen aus jener Zeit der Schrecken gelten kann. Es iſt oft beſchrieben worden, und man weiß, daß ſeine vier Flügel auch in baulicher Beziehung von hohem Intereſſe ſind; ein Graf von Blois baute den älteſten, die andern drei fügten im Laufe der Zeit Franz I., Ludwig XII. und Gaſton d' Orleans hinzu. „Eine altertümliche Wendeltreppe,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „führt zunächſt in den Wachtſaal, dann in das Betſtübchen und das Zimmer der Marie von Mediei. In letzterem zeigte man uns das Fenſter, aus welchem dieſe Königin ſtieg, um der Ge- fangenſchaft zu entfliehen. In der Salle des états bemerkte ich den Fleck, wo der (nun zugemauerte) Kamin ſtand, an welchem der Herzog von Guiſe ſich wärmte, als man ihn zu Heinrich III. (zum Tode) rief. Die Wendeltreppe vor der Thür des Königs, auf welcher der unglückliche Herzog ermordet wurde, iſt ver- mauert. Mit Schauder betrat ich das kleine Gewölbe der Oubliettes, in deſſen Mitte ein tiefes Loch zu ſehen iſt, in welches man die Gefangenen warf, die ſodann auf unten befeſtigten Meſſern ihren Tod fanden. Nahe hierbei iſt ein Gefängnis. Dem Lichte iſt es ganz unzugänglich und dabei ſo klein, daß man darin nicht liegen kann. In dieſem war der Herzog von Guiſe gefangen.“
Die nächſte große Stadt auf dem Wege nach Paris iſt Orleans, auf deren Marktplatz die Jungfrau von Orleans ein
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bronzenes Denkmal hat, „nachdem man ſie bei Lebzeiten der i Wut ihrer Feinde preisgegeben hatte.“ Da die Bourbonen jetzt am Regimente ſind, hält ſie eine weiße Fahne in der Hand, welche ſie aber ohne Zweifel im Laufe der wechſelnden Zeiten mit andersfarbigen Fahnen vertauſchen wird.
Auf der letzten Poſtſtation vor Paris machen die Reiſenden die Bekanntſchaft der dames de la halle. Eine Anzahl der- ſelben hat ſich von ihren Fiſchen getrennt, um den hohen Herr— ſchaften Blumenſträuße zu überreichen, wobei ſie „baren Un⸗ ſinn mit wahrhaft komiſcher Würde und erhabnen, oft poetiſchen Ausdrücken“ zu verbinden wiſſen. Die ihnen dafür von der prinzlichen Dienerſchaft geſpendete klingende Belohnung mochte, wie die Prinzeſſin vermutet, einer dieſer Damen nicht ſplendid genug ſcheinen, was ſie in folgendem Bombaſt zu verſtehen gab: „Monseigneur! On ne suit pas du tout vos ordres, et ils sont pourtant aussi justes que votre belle àme.“
Die hohen Reiſenden beabſichtigten ihr Inkognito zu be- wahren, was aber nicht hinderte, daß ſie in ihrem Hotel (de Castille, Rue Richelieu) bereits einen königlichen Kammer⸗ herrn wartend fanden, der ſie im Namen Karls X. auf den folgenden Tag nach St. Cloud einlud.
Paris hat ſeit dem Jahre, aus welchem die Pariſer Auf— zeichnungen des Tagebuchs datieren, ſehr viele Umwälzungen
über ſich ergehen laſſen müſſen. Die meiſten, die Stadt ſelbſt
betreffenden, waren Verbeſſerungen, ſo daß an den Schmutz, den die Prinzeſſin in den Pariſer Straßen, neben der erfreulichen Verkehrs⸗Ungeniertheit, in erſter Linie erwähnt, ein heutiger Reiſender fast nicht mehr zu glauben vermag. Was der Fremde jedoch heute dort an Kunſtwerken und merkwürdigen Gebäuden, ſowie an Naturſchönheiten bewundert, war auch zu jener Zeit ſchon größtenteils vorhanden. Das hierüber anderweitig oft
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genug Erzählte und Berichtete macht die Mitteilung der darauf bezüglichen Aufzeichnungen des Tagebuchs überflüſſig. Auch was die Theater damals an Kunſtgenüſſen boten, kann hier bis auf weniges übergangen werden. Neu war in jenen Tagen Aubers Mason (Maurer und Schloſſer), und Nourrit als Mason wie Mademoiſelle Pradher als Türkin fanden großen Beifall. — Mademoiſelle Mars, deren Tochter ſchon damals auf dem pere la chaise ruhte, hatte ihren bekanntlich bis in ihr achtes Lebensjahrzehnt erfolgreich durchgeführten Widerſtand gegen die Verheerungen des Alters mit Energie be- gonnen und ſpielte trotz ihrer fünfzig Jahre jugendliche Rollen. „Die Stelle in der Jeunesse de Henri V., wo der Liebhaber zu ihr ſagt: „On n'est pas plus jolie!“ wurde beklatſcht, und wirklich mit Recht,“ urteilt die Prinzeſſin, „denn ſie ſah ſehr hübſch aus. Sie hat ſich ſeit 1813 womöglich im Spiele noch vervollkommnet, iſt aber bei weitem nicht mehr ſo gut von ihrer Umgebung unterſtützt. Armand, der noch mit ihr ſpielte, hat ſeit 1813 viel verloren.“ In der großen Oper hört die Prin⸗ zeſſin zum erſtenmale Gluckſche Muſik, leider nur den Schluß des Orpheus, findet aber an den Darſtellern kein Gefallen. „Sie ſchrieen ſehr ſtark und ſpielten im Geſchmack der franzöſiſchen Tragödie, wanden ſich und krümmten ſich gewaltig.“ — Ent⸗ zückt iſt ſie dagegen von den Leiſtungen der kleinen Truppe der Varietés, unter denen ſie Potier und Brunet auszeichnet. Dieſe Truppe ſieht ſie denn auch bei Hof ſpielen, und zwar giebt man Le conscrit und Le beneficier. „Es iſt nicht möglich,“ ſchreibt die Prinzeſſin über Potier, „komiſcher, natür⸗ licher und dabei weniger trivial zu ſpielen, als dieſer Schau⸗ ſpieler, der das Lachen und Weinen der Zuſchauer ganz in ſeiner Gewalt hat. Der gute alte König lachte recht von Herzen, ob⸗ gleich er ſonſt der Zerſtreuungen dieſer Welt ziemlich über⸗
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drüſſig ſcheint und feine Abende meiſt bei einer Partie Reverſé zubringt.“
Über den Beſuch in St. Cloud ſchreibt die Prinzeſſin weiter:
„Wir wurden in einen ſehr eleganten Saal geführt und wenige Augenblicke ſpäter rief man uns zum Könige. Die Gräfin Damas, Schwiegermutter des Miniſters des Äußern, begleitete mich, um mich (da wir in Paris inkognito waren) zu präſentieren. Der König empfing uns ſehr freundſchaftlich. Er erinnert mich im Jüngeren ſehr an unſern Großonkel, beſonders an den Herzog Albert (zu Sachſen-Teſchen, Bruder Maria
Joſephas, der Mutter Ludwigs XVI., Ludwigs XVIII. und Karls X.). Wir gingen darauf zu dem Dauphin (Herzog von . Angouleème, geb. 1775) und zu den Prinzeſſinnen. Der Dauphin iſt nicht ſchön, geht gebückt, ſieht faſt älter aus als ſein Vater und iſt beim erſten Auftreten ſehr verlegen; dann aber hat er etwas recht Gutmütiges und Natürliches. Die Dauphine (Herzogin von Angoulème, Maria Thereſia Charlotte, Tochter Ludwigs XVI., geb. 1778) iſt für ihr Alter noch eine ſchöne Frau, eine majeſtätiſche Geſtalt, etwas Männliches, ſehr liebenswürdig, aber ernſt; ich bin jetzt mit ihr noch ein wenig ſchüchtern. Ein allerliebſtes Weſen iſt die Ducheſſe de Berry (Marie Karoline, geb. 1798, Tochter des Königs beider N Sizilien, Franz I.). Sie iſt nicht eben hübſch (fie hat die öſterreichiſche Phyſiognomie), aber dabei jo lebhaft, heiter und * angenehm, daß ſie allen, die ſie ſehen, gefallen muß. Rührend
itt ihre Gefälligkeit und Aufmerkſamkeit für den alten Schwieger- vater, der ſich aber auch in ihrer Geſellſchaft zu verjüngen ſcheint. Ihre Kinder (Luiſe Marie Thereſe von Artois, geb. 1819, und Henri,
| . Herzog von Bordeaux, geb. 1820, ſieben Monate nach der Er⸗ mordung des Herzogs von Berry) find ſehr niedlich, beſonders
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die Tochter; der kleine Bordeaux ſpricht noch wenig. — In den Zimmern der Dauphine fiel mir ein Bild auf: Ein junges Mädchen (die Dauphine) knieet, ganz in Thränen aufgelöſt, neben einem Grabhügel, auf welchem ein einfaches ſchwarzes Kreuz ſteht. — Wir aßen ganz allein beim Könige, eine Ehre, die bis jetzt, außer Perſonen aus regierenden Häuſern, nur noch zwei Männern, zu teil geworden iſt: Metternich und Welling⸗ ton.“ Gegen das frühere ſtrenge Zeremoniell des franzöſiſchen Hofs allerdings ein großer Abſtand. Ein Berichterſtatter, den der Rheiniſche Antiquarius zitiert, hat les trois princes royaux de Saxe et de Pologne noch à la table du premier maitre de Thôtel in Verſailles beköſtigen ſehen, weil das Hof- zeremoniell verbot, daß ſie ſelbſt auch nur mit der Dauphine, ihrer Schweſter, an derſelben Tafel ſpeiſten, von dem König ganz zu geſchweigen.
Bei dem Beſuche, welchen die Reiſenden dem kleinen Trianon von Verſailles abſtatten, giebt das Tagebuch die Beſchreibung eines Miniatur-Dorfs, das einigermaßen dem damals in den Gärten von Spaniens Luſtſchlöſſern üblich geweſenen Genre von Überraſchungs- Spielereien geglichen zu haben ſcheint. An einem Miniatur⸗Bache maleriſch gelegen, breitet ſich das Dörf— chen in behaglicher Fülle aus; ein Kirchlein, eine Mühle, die Wohnung des Pfarrers, das Haus des Gutsherrn — nichts iſt vergeſſen.
Eine heimiſche Saite klingt wiederum im Gemüt der Prin⸗ zeſſin an, als ſie im Grand Trianon vor dem Porträt der 1805 verſtorbenen Komteſſe d' Artois (der Gemahlin Karls X., Maria Thereſia von Savoyen) ſteht; „ganz wie unſere ſelige Tante Marianne!“ ruft ſie aus.
Unter den zahlreichen Perſonen, welche den hohen Reiſenden ihre Aufwartung machen, iſt auch Fürſt Taillerand. Die Prin⸗
Deen
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zeſſin ſtellt über ihn folgendes kurze Signalement aus: „Er hat ein Paar kleine blitzende Augen, und es iſt wohl nicht leicht möglich, häßlicher zu ſein.“
Über ein Diner in Neuilly beim Herzog von Orleans, dem ſpäteren König Louis Philipp, damals 52 Jahre alt, heißt es:
„Um 5 Uhr (am 12. Mai) fuhren wir nach Neuilly. Man kann ſich nicht leicht eine liebenswürdigere Familie als die des Herzogs denken. Er ſelbſt erſchien einige Augenblicke ſpäter, als die übrigen, denn da er Papa in Uniform hatte kommen ſehen, ließ er ſich raſch umkleiden. Er ſcheint das Bild eines liebenden Familienvaters, ein großer ſtarker Mann mit kleinen klugen Augen, einer nicht eben ſchönen, aber geiſtreichen und ſehr angenehmen Phyſiognomie — franzöſiſche Liebenswürdigkeit. Aus ſeinem Betragen gegen die Herzogin (Marie Amelie, da⸗ mals 43 Jahre alt, Tochter Ferdinand IV., Königs beider Sizilien) ſcheint hohe Achtung und dankbare Erinnerung, daß ſie ihn wählte, als er arm und flüchtig war, hervorzuleuchten. Die Herzogin, eine durchaus erzherzogliche Geſtalt (ihre Mutter war eine Tochter Maria Thereſias), verbindet den feinſten Ton mit einer außerordentlichen Gutmütigkeit. Sie hat unendlich viel von chère tante Thereſe (der Tochter Kaiſer Leopolds). Ihre acht Kinder ſind fröhlich und wohlerzogen. Der älteſte Sohn Chartres hat eine offne ehrliche Miene. Weniger hübſch iſt ſein Bruder Nemours; der kleine Joinville mit dunklen Haaren und großer Munterkeit iſt allerliebſt. Den Kreis ſchließt Mademoiſelle d'Orleans (Adelaide, geb. 1777), Schweſter des Herzogs. Ich war ſehr neugierig, ſie zu ſehen, da Frau von Genlis ihrer ſo oft erwähnt, und ich fand, daß ſie von ihr nicht zu viel geſagt hat. Mademoiſelle d' Orleans iſt nicht mehr jung, groß und ſtark, etwas braun, und iſt wohl nie ſchön geweſen, aber es iſt kaum möglich Verſtand, Herzensgüte und Anſpruchs-⸗
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loſigkeit in höherem Grade zu vereinigen. Sie beſchäftigt ſich mit der Erziehung ihrer Nichten und ſoll ihnen ſelbſt Unter⸗ richt auf der Harfe geben. Die beiden älteren, Luiſe und Marie, fand ich ſpäter Gelegenheit, zu ſprechen. Sie ſind wohlerzogen und graziös, ohne eben ſchön zu ſein. Sie werden, wie die Herzogin mir ſagte, bald eine Reträte anfangen, um ſich auf ihre erſte Kommunion vorzubereiten.“
Es kommen dann noch einige Nachtiſch-Gäſte, darauf folgt ein kleines Konzert mit Donzelli, Levaſſeur und den Damen Cinti und Schiaſotti und erſt nach Mitternacht wird auf⸗ gebrochen. „Wir hatten einen höchſt angenehmen Abend zu⸗ gebracht,“ ſchließt der Bericht; „man fühlt ſich ſo wohl unter dieſen Menſchen.“
Die Kirche Ste. Genevieve — das jetzige Pantheon — giebt bald darauf Gelegenheit, die wieder zur Herrſchaft gelangte Bourbonen-Dynaſtie auch in monumentaler Weiſe verherrlicht zu ſehen. Eben waren die Plafond-Bilder dieſer Kirche, die ja bei jedem Wechſel des Regiments auch ihre Beſtimmung wechſelt, fertig geworden: Die in den Wolken ſchwebende heilige Geno⸗ veva als Patronin der Stadt; anbetend zu ihr aufblickend Clodwig und die heilige Clothilde, Karl der Große und Hilde⸗ gard, der heilige Ludwig und Margarethe von Provence, endlich Ludwig XVIII., die Dauphine und der Herzog von Bordeaux.
Bei der Herzogin von Berry, die den ſächſiſchen Gäſten ein Diner in den Tuileries giebt und bei dieſer Gelegenheit die Prinzeſſin mit einer kleinen Doſe und einer Taſſe, worauf ihr Landhaus Rosni, beſchenkt, ſieht die Verfaſſerin des Tagebuchs ein Porträt des Herzogs von Berry, deſſen Ermordung im Jahre 1820 damals noch friſch in aller Gedächtnis war, wenn⸗ ſchon die politiſche Bedeutung ſeines Todes durch die Geburt des Herzogs von Bordeaux abgeſchwächt erſchien. „Ich ſah
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ein Porträt des armen due de Berry in Lebensgröße,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „der aber von etwas plumper Geſtalt und wenig diſtinguirtem Außern muß geweſen ſein.“
Von ſonſtigen Perſonen der königlichen Familie erwähnt die Prinzeſſin noch des Herzogs von Bourbon Condé, „einen ſehr alten und ſtillen Mann, der ſehr gebeugt ausſieht.“ Mit dieſem Greiſe iſt bekanntlich die Linie Bourbon-Conds erloſchen. Er ward am 27. Auguſt 1830 erhängt in ſeinem Zimmer ge⸗ funden. Ob er ſich ſelbſt das Leben genommen hat, darüber iſt lange geſtritten worden; Zweifel daran waren nie ganz zu unterdrücken. Er war 1756 geboren, heiratete Luiſe Marie
Thereſe Mademoiſelle d'Orleans, welche ihm 1772 den Herzog von Enghien gebar. In zweiter Ehe — die erſte war 1780 gelöſt worden — lebte er mit einer Brittin. Sie und der junge Herzog von Aumale waren feine Erben. Militäriſcher Sinn und ariſtokratiſcher Stolz waren ſeine hervorragendſten Eigenſchaften.
In der Deputierten⸗Kammer ſieht Prinzeſſin Amalie unter andern den General Foy, „der einem Italiener gleicht und deſſen Geſicht etwas Geniales hat;“ er ſtarb im ſelben Jahre; dann Benjamin Conſtant, „ſchon alt, mit halb blondem, halb grauem Haar, klein, etwas ſtark, ſehr gelaſſen;“ ebenſo Miniſter Villele, „klein, braun, nicht diſtinguirt, ſehr lange Naſe.“ Von Rednern hört fie Caſemir Perier, der über die ſchlechte Be— ſchaffenheit der Landſtraßen donnert. Die „Fürſtin von Wagram“ (Witwe Berthiers), welche der Prinzeſſin an der Tafel des Grafen Bray vorgeſtellt wird, ſchildert ſie als „ſehr liebens— würdig und mit ganz franzöſiſcher Tournüre, auch von ſchöner Geſtalt, aber häßlich von Geſicht.“
Auf dem Kirchhofe Pere la chaise werden die Reiſenden
von einem Manne herumgeführt, der fie für Proteſtanten hält
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und ſich daher angelegen ſein läßt, ihnen alle Gräber von Proteſtanten zu zeigen; daneben weiß die Prinzeſſin ſelbſt herauszufinden, was Intereſſe verdient. Auch dieſe Sehens⸗ würdigkeit der Seine-Metropole iſt oft beſucht und beſchrieben worden. Die Gräber Abaelards und Heloiſes, Deslisles, Molieres, La fontaines, Grétrys und Mehuls feſſeln die Teil- nahme der Prinzeſſin nicht minder, wie das Denkmal Labé⸗ doyeres, der erſchoſſen wurde, weil er zu Napoleon überging, und deſſen weinende Gattin mit ihrem Kinde auf dem Relief des Denkmals abgebildet iſt, dazu die Worte geſetzt ſind: L’amour pour mon fils peut seul me retenir à la vie. Auf Neys Grab, welchem feine Anhänglichkeit an den Kaifer gleich- falls das Leben koſtete, vermißt die Prinzeſſin ſo Stein wie Inſchrift. Bei Erwähnung der zahlreichen andern dort beſtatteten Marſchälle und in Sonderheit des Grabmals von Marſchall Davouſt ſchreibt fie, alter, böſer Zeiten gedenkend, „es machte mir doch einen ſonderbaren Eindruck, die letzte ſtille Ruheſtätte dieſer Leute zu ſehen, von welchen noch vor wenigen Jahren ganz Europa ſprach.“
Einer der berühmteſten Marſchälle Napoleons, Marſchall Soult, hat, wie bekannt, bei Gelegenheit ſeiner Kämpfe gegen Wellington in Spanien und Portugal noch Muße gefunden, aus den dortigen Schlöſſern und Kirchen ſich eine Privatſamm⸗ lung erleſener Kunſtſchätze zuſammen zu ſtellen. Die Prinzen und die Prinzeſſin werden jetzt von ihm ſelbſt in ſeiner Ge⸗ mälde- Galerie umhergeführt und er übernimmt auch die Er⸗ klärung der Meiſterwerke. Die Prinzeſſin beſchreibt ihn als „einen großen, ſtarken, ältlichen, ſehr artigen Mann.“
Dreizehnter Abſchnitt. Die Rückreiſe.
3 G { An 17. Mai wird über Raincy — deſſen ſchöner Park > damals dem Herzog von Orleans gehörte — die Rückreiſe a angetreten und über Meaux, Verdun und Metz fortgeſetzt. Bei St. Avold kommen die Reiſenden an einem mit Gebüſchen beſtandenen Höhenzuge vorbei, der „schon ganz vaterländiſch aausſieht.“ Man fängt an, deutſche Hausſchilder wahrzunehmen und hört bald nur noch deutſch reden. Dann geht's, kurz vor Saarbrücken, nach Deutſchland hinein. Sofort beginnt es der Prinzeſſin gemütlich zu werden, allerdings auf Koſten des Comforts. Über das für die Reiſenden ſich öffnende Quartier in Saarbrücken ſchreibt ſie: „Durch die Küche gelangten wir in unſere Wohnungen.“ Eine Galerie geht rings um den Hof des Gaſthauſes, „ſo daß man wie von einer Theatergalerie herab dem Treiben der Küchengrazien zuſehen konnte.“ Die— ſelben glaubten übrigens, für ein gekröntes Haupt den Spieß zu drehen und das Hackmeſſer zu ſchwingen, „denn es hatte ſich das Gerücht verbreitet,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „wir führten den König von Spanien mit uns, und ſo fragte ein Mann den Hofrat Erdmann: Sind Sie Se. Excellenz der König von Spanien?“ Durch den Anblick von Storchneſtern auf hohen Stangen mitten in den Feldern werden die Reiſenden erfreut, als ſie die
Saar paſſiert haben, nicht minder durch Wälder von Schwarz⸗ holz — „die erſten ſeit ſieben Monaten.“ Dagegen proteſtiert
die Prinzeſſin vergebens unweit Kirchheim-Poland gegen die }
Kapriolen eines der ihrem Wagen vorgeſpannten deutſchen Pferde, das nie früher im Geſchirr ging und ſeinen Kollegen endlich richtig verführt, ſamt Wagen, Prinzeſſin und Papagei, — die Übrigen waren zu Fuß vorauf — querfeldein in ein Haferfeld einzubiegen, wo ſich die beiden Roſſe glücklicherweiſe ſo wohl fühlen, daß die geängſtigten Paſſagiere ſich aus dem Wagen retten können. Ebenſo gnädig läuft gleich darauf die Attacke eines Truthahns ab, der die in einen Bauerhof geflüchtete Prinzeſſin und ihren Papagei in einer heftigen Zorneswallung aus demſelben wieder vertreiben will.
Weiter gehts über Alzey ins ſchöne Rheinthal, wo im fernen Odenwalde „der Ritter Rothſtein ſpukt;“ bei Mainz wird der Rhein paſſiert und ſo gelangt man unter freudigem Beachten der ſaubern Dörfer und des zunehmenden Wohlſtandes nach dem behäbigen Frankfurt, deſſen verſchönerte Straßen die Prin⸗ zeſſin freilich kaum wiedererkennt, wennſchon fie ſich beim Er- blicken des Sandhofs dankbar „des guten Fürſt-Primas er⸗ innert, der uns, als wir Kinder waren, dort ein Feſt gab.“ Im Römer beſchleicht ſie unter den hiſtoriſchen Denkmälern des Kaiſerſaales, beim Anblick der Kapſel einer ägyptiſchen Mumie, die Frage, ob dieſelbe etwa „als Symbol des deutſchen Reichs“ gelten ſolle? — Vor einem Bilde des Fürſten Metternich ſieht ſie den Kröſus Frankfurts Thränen der Rührung vergießen. Aber trotz dieſem „ſeinem Gönner,“ wie er den Fürſten nennt, dargebrachten Dankbarkeitstribut faßt die Prinzeſſin das Ver⸗
hältnis, in welchem der alte Millionär zu ſeinem eigenen Midas⸗ 4
tum ſteht, als ein halb humoriſtiſches auf: „Sein Reichtum ſcheint ihn mehr zu amüſieren, als daß er ihn ſtolz macht.“
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In Gotha wird der Herzogin-Witwe ein Beſuch in ihrem Gartenſchloſſe abgeſtattet — die letzte Übriggebliebene ihres Hauſes. Sie ſcheint der Prinzeſſin „ruhig und ergeben in ihr trauriges Schickſal.“ In Weimar begrüßen die Reiſenden „die liebe, alte Herzogin“ und empfangen den Beſuch des Groß— herzogs, den ſie ſehr gealtert finden.
Am 26. Mai 1825 gelangen ſie abends nach dem traulichen Pillnitz zurück. |
Hier haben inzwiſchen die von dem König gehegten Pläne
wegen einer Wiederverheiratung des 66 jährigen Prinzen Max
feſtere Geſtalt gewonnen, und im November des nämlichen
Jahres bekommt Prinzeſſin Amalie in der Prinzeſſin Marie
Luiſe von Parma, Tochter des Königs Ludwig von Etrurien, eine Stiefmutter. Dieſelbe iſt erſt 23 Jahre alt, demnach acht Jahre jünger, als Prinzeſſin Amalie. Da ſie eine geſchickte Klavierſpielerin und Sängerin iſt, ſo findet die Verfaſſerin des Tagebuchs ſpäter häufig Gelegenheit, über gemeinſam veran— ſtaltete Aufführungen und über gemeinſames Muſiküben zu be— richten. Wie es in der Art der Luſtſpiel-Dichterin liegt, entgeht ihr übrigens auch nicht ein drolliger Zug, der bei dem erſten Eintreffen der jungen Stiefmutter dem monotonen Begrüßungs— Zeremoniell einige Lebendigkeit giebt. „Als die Königin ſie (die Prinzeſſin Luiſe) umarmte,“ heißt es im Tagebuche, „blieben ſie mit den Locken an einander hängen — was die Bekannt— ſchaft erleichterte.“ Die Schleppe der Braut trägt wiederum Prinzeſſin Amalie.
Aus dem nächſten Jahre (1826) iſt einer in Gegenwart der Prinzeſſin Amalie und des Prinzen Johann im Hoftheater vor— fallenden Demonſtration zu erwähnen. Ein Teil der Dresdner
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Kritiker hatte ſich über die Aufführungen Calderonſcher Stücke als unzeitgemäß geäußert. Viele Theaterbeſucher teilten dieſe Anſicht und pochten am 8. Januar die am 2. Januar ſchon 1 mißfällig aufgenommene „Dame Kobold“ ſo lärmend aus, daß die Aufführung unterbleiben mußte.
Häufig beſucht der Hof jetzt das kleine Theater am Linder ſchen Bade. Schon feit geraumer Zeit hat Weber, trotz Mor⸗ lacchis Einſpruch, auch die italienische Truppe dahin gebracht, ſich für dieſe dürftigen Räume nicht als zu vornehm zu halten. Sein im Juni 1826 aus England gemeldeter Tod verſetzt alles in Trauer.
Im Januar des folgenden Jahres (1827) beginnt die eiſerne Geſundheit des alten Königs ins Wanken zu kommen. Die Prinzeſſin ſieht ihn faſt nur noch, wenn er in ſeiner Sänfte aus dem Schloſſe durch den brückenartigen Verbindungsgang in die Kirche getragen wird. Am 26. April fährt er wieder auf die Jagd, verfällt aber am 2. Mai in einen lethargiſchen Schlaf, erhält am ſelben Tage die letzte Olung, am 4. vom Biſchof die General-Abſolution und ſtirbt am 5. „Ich ging noch einmal ins Schlafzimmer, um ihn zu ſehen,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „er war unverändert und eine ſchöne Leiche.“
Seit ſeinem fünfzigjährigen Regierungsjubiläum waren neun Jahre verſtrichen. Das plötzliche Ende einer ſo langen, noch dazu durch ſtrenges Feſthalten an überkommene Formen charakteriſierten Regierung mußte manche Beſorgniſſe wachrufen.
Die Prinzeſſin empfängt denn auch von der allgemeinen Beſtürzung bei dem nun eingetretenen Tode des hochbetagten Königs den Eindruck, als habe „alles den Kopf verloren.“ Dies beſchränkt ſich aber augenſcheinlich nur auf die nächſte Um⸗ gebung. Die Zivil- und Militärbehörden begeben ſich in her⸗ kömmlicher Weiſe zu dem Thronfolger, dem greiſen Prinzen
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Anton, der wohl kaum noch geglaubt haben wird, die Krone tragen zu müſſen, und leiſten ihm den Eid der Treue.
Im Laufe der nächſten Monate zeigt ſich denn auch, daß die Veränderung vor der Hand keine tieferen Erſchütterungen in ihrem Gefolge zu haben braucht. Im Oktober wird im Paradeſaal des königlichen Schloſſes ſeitens der Stände ge— huldigt; ebenſo in der (damaligen) Bildergalerie ſeitens der Stadt. Im ſelben Monate aber erkrankt während der Leipziger Huldigungen daſelbſt die eben erſt Königin gewordene chere tante Thereſe in bedenklicher Weiſe. Prinzeſſin Amalie erbittet und erhält die Erlaubnis, nach Leipzig reiſen und ſie pflegen zu dürfen. Der Zuſtand der Kranken verſchlimmert ſich aber immer mehr, und am 7. November entſchläft ſie in Gegenwart ihres
Gatten und ihrer Nichte. Sie war 40 Jahre vermählt und
wurde 60 Jahre alt.
Schon im nächſten Jahre (am 15. November 1828) folgt ihr die verwitwete Königin Marie Amalie Auguſte, im Alter von 73 Jahren. Und wieder ein Jahr ſpäter (am 17. Mai 1829) endet, wie erwähnt, in Madrid die jüngſte Tochter des Prinzen Mar ihren Lebenslauf.
So vielen Trauerfällen ſteht am Dresdner Hofe glücklicher— weiſe das frohe Ereignis der Geburt eines Prinzchens gegen— über, nachdem das erſte Kind, welches die Prinzeſſin Johann ihrem Gatten nach fünfjähriger Ehe gebar, ein Töchterchen ge— weſen iſt. Das für die Thronfolge ſo bedeutſame Ereignis der Geburt eines Prinzen wird um die Mitternachtſtunde des 23. April 1828 nicht nur durch Kanonendonner gefeiert, ſondern mitten auf der Dresdner Elbbrücke veranſtaltet eine heiter an— gemutete Geſellſchaft auch noch ein allſeitiges Champagner— Traktement. Der König und Prinzeſſin Amalie ſind am 24. Paten und halten den kleinen Prinzen über die Taufe, durch
— 236 — welche er den Namen Albert empfängt. Die übrigen Paten ſind
Königin Thereſe von Bayern, Karl von Lucca, Kronprinz und 4 Kronprinzeſſin von Preußen und Prinz Karl von Bayern.
Abends iſt Galatheater. Man ſpielt die Jungfrau von Orleans
mit Fräulein Gley in der Titelrolle und mit Emil Wan 1
als König.
Ein anderes im Tagebuch verzeichnetes Ereignis, aber eins, das für die königliche Familie leicht hätte verhängnisvoll werden können, gehört noch in die Zeit der Huldigungen mit ihren Aufregungen: Nachdem man eben in Schandau ein großes Diner eingenommen hatte, das die Königin gab, ſtellte ſich heraus, daß ein Verrückter dasſelbe zubereitet hatte — der neue königliche Koch! Angſt und Teilnahme haben ſich bei dieſer Nachtiſch-Kunde jedenfalls die Wage gehalten, bis das allſeitige Ausbleiben irgendwelcher Vergiftungsſymptome geſtattete, die Teilnahme für den plötzlich um ſeinen Verſtand Gekommenen allein walten zu laſſen.
Ein andrer, nur geringfügiger Unfall, der aber doch Zeit⸗
lebens der Prinzeſſin Amalie am Kopfe eine ſchmerzhafte kem⸗
pfindung hinterlaſſen hat, — in der Dresdner katholiſchen Kirche das Zuwerfen der Tribünenthür im Augenblick, als ſie zu den Exequien der Königin in die Tribüne trat, — wird von ihr auf Rechnung der doppelten Schleier geſchrieben, welche vorſchrifts⸗ mäßig zum Trauerzeremoniell gehörten und hinter denen man ſchier nichts von den Dingen um ſich ſehen konnte. Als Beitrag zu andern kulturhiſtoriſchen Studien dieſer Art ſei hier erwähnt, daß in den erſten Stunden nach dem Tode des alten Königs
folgende Trauer-Außerlichkeiten beachtet werden mußten: Es ö
wurde von den Damen (da man in Pillnitz war) „für einſtweilen
Halbtrauer angelegt; den Herren wurden Fracks und Pantalons I 0
erlaubt.“ Später bei den Vigilien für den König heißt es
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dann: „Wir trugen Tuchkleider und doppelte Schleier.“ Am 7. Oktober — fünf Monate nach dem Tode des Königs — folgt die Notiz: „Die Trauer wechſelte. Die Damen trugen ſeidne Kleider mit ſchwarzem Krepp.“ Und endlich, was die Trauer auf dem Lande betrifft: „Die Trauer für den König wurde in Pillnitz nur in grauer Farbe getragen.“ Als die Königin⸗Witwe geſtorben iſt, heißt es: „Die Männer trauern in rauhem Tuch und Pleureuſen, die Damen in Tuch und großem Schleier, aber ohne Schneppe, welche abgeſchafft iſt.“ Bevor von der nächſten italieniſchen Reiſe der Prinzeſſin
das Weſentliche mitgeteilt wird, ſei hier noch einiger Beſucher
gedacht, die in dieſer Zeit am ſächſiſchen Hofe einſprachen und
ebenſo der bedeutenderen Künſtler, welche die Prinzeſſin zu
ſehen oder zu hören Gelegenheit hatte. Unter letzteren waren Paganini, Reißiger, der in Webers Stelle gerückt war, und Hummel, der unter anderm über ein ihm von dem Könige aufgegebenes Thema, die Romanze aus Iſolina, auf dem Flügel phantaſierte. Tieck las öfter bei dem Prinzen Johann und ebenſo bei Prinzeſſin Auguſte.
In den „Erinnerungen einer alten Dresdnerin“ hat Frau Börner-Sandrini auch der von Prinzeſſin Amalie damals oft veranſtalteten muſikaliſchen Abende gedacht, bei denen außer einigen Künſtlern Prinzeſſin Amalie, Prinz Friedrich Auguſt (angenehmer Baß, anmutige Geſangsweiſe, Mieckſchs Methode) und Prinzeſſin Luiſe (die zweite Gattin des Prinzen Max) mitwirkten. Der letzteren wird eine kräftige Altſtimme und echt italieniſche Methode nachgerühmt. Sie hatte „dunkle Locken, blitzende Augen und ſüdliche, ſcharf gezeichnete Züge, war zierlich von Geſtalt und von ſtets heiterer ſprudelnder Leb— haftigkeit.“ Prinzeſſin Thereſe, die ſpätere Königin, über deren Ableben oben berichtet worden iſt, erſchien zu jener Zeit
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zumeiſt „in ſchwerſeidner Robe, ein Federhütchen auf den zier⸗ lich geordneten, weißen Löckchen, die zarten, reich mit Ringen geſchmückten Finger mit einer leichten Handarbeit beſchäftigt. Prinz Friedrich (Auguſt) in blauem Rock mit blanken Knöpfen und dem Stern. Die Prinzen Anton und Max in dunklem Hofkleid, Kniebeinkleider, ſeidene Strümpfe, Schnallenſchuhe, den Claquehut unterm Arm. Prinzeſſin Amalie faſt immer in einfacher grauer Seide.“
Hier mögen noch einige Bemerkungen Platz finden, die auf König Friedrich Auguſt des Gerechten Regierungszeit zurückgreifen und ſeine Sonderſtellung neben dem Kreiſe des Prinzen Max charakteriſieren, nicht minder ſein vermutliches Verhältnis zu den muſikaliſchen und dichteriſchen Arbeiten der Prinzeſſin Amalie.
Der Zuſchnitt des Hoflebens war, ſo lange König Fried— rich Auguſt lebte, ſoweit nicht ökonomiſche Rückſichten Einfluß übten, völlig unverändert geblieben. Dem ſtrengen Zeremoniell war jedoch, wie erwähnt, in den prinzlichen Kreiſen immer ein heiter geſelliger Verkehr zur Seite gegangen. Wenn der König ſich aus Gewohnheit von dieſem ferngehalten hatte, ſo mochte er doch inſonderheit durch ſeine muſikaliſchen Neigungen mit den Beſchäftigungen verwandter Art, die in den prinzlichen Kreiſen gepflegt wurden, immer in einem gewiſſen Zuſammenhange ge⸗ 4 blieben ſein. Mit ſeiner Gattin, ſeiner Tochter, mit Prinz Anton, Prinzeſſin Thereſe und anderen hat König Friedrich Auguſt, wie Profeſſor Fürſtenau dies nachweiſt, wenigſtens bis ! zum Jahre 1813 oft und viel muſiziert. Faſt alle bedeuten⸗ deren Erſcheinungen auf dem Gebiete der damaligen Konzert⸗ und Kammermuſik wurden für ihn vierhändig arrangiert. Er benutzte bis an ſein Lebensende jenen von Silbermann ver⸗ fertigten ſogenannten Kielflügel (Cembalo), deſſen ſchon gedacht
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worden iſt, und ebenſo einen Flügel mit Tangenten-Mechanik, verbunden mit einer Orgel. „Im Ganzen,“ ſagt Fürſtenau, „urteilten ihm näherſtehende Perſönlichkeiten dahin, daß es ihm bei ſeinem Spiele hauptſächlich darauf angekommen ſei, das innerſte Weſen der ihm ſympathiſchen Muſikſtücke zu erkennen. Noch in den letzten Jahren ſeines Lebens hatte er ſtets mehre Partituren von Kirchenkompoſitionen und Opern auf ſeinem Zimmer und beſchäftigte ſich gern damit. In der letzten Oſter— woche noch ſpielte er eine Meſſe von Hummel. Die Oper Il Croeiato in Egitto von Meyerbeer war die letzte, welche er durchnahm. — Es iſt oft behauptet worden, der treffliche Fürſt habe Mozarts Meiſterwerke nicht erkannt und geſchätzt. Dies
iſt übertrieben, namentlich hinſichtlich der Kammermuſik des
Meiſters. Dieſe, die Klaviermuſik wenigſtens, war faſt voll⸗ ſtändig in ſeinem Beſitz und iſt viel von ihm geſpielt worden. Von den Opern ſind Cosi fan tutte und II flauto magico in italieniſcher Sprache auf der königlichen Bühne zuerſt 1791 und 1794 gegeben worden. Don Giovanni und Le Nozze di Figaro erſchienen allerdings erſt nach der Reorganiſation 1814 und 1815 auf der Hofbühne. Friedrich Auguſts Sittenſtrenge ſoll Anſtoß an dem Texte dieſer Opern genommen haben. Da⸗ für ſpricht allerdings das Vorhandenſein zweier Opern in der königlichen Muſikalienſammlung, welche die Titel Il ratto punito und Gli amanti folletti führen und auch zur Aufführ⸗ ung gekommen ſind. Dieſelben ſind aus lauter Muſikſtücken Mozarts zuſammengeſetzt, zum großen Teil aus Don Juan und Figaros Hochzeit. — König Friedrich Auguſt komponierte auch in ſeinen früheren Jahren, namentlich Kirchenmuſiken. Er ließ ſolche vom Kapellmeiſter Schuſter abſchreiben, damit es nicht bekannt werde, von wem die Sachen ſeien. Sichere Tradition bezeichnet zwei Kirchenkompoſitionen, die jetzt noch
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in der katholiſchen Hofkirche aufgeführt werden, als von ihm herrührend. Es find dies ein Salve regina, welches bei ſeiner Beſtattung zuerſt geſungen wurde und ſeit dieſer Zeit bei jeden Beiſetzung eines Mitgliedes des königlichen Hauſes zur Auf⸗ führung kommt, ſowie eine Veſper, welche an den erſten Feier⸗ tagen zu Weihnachten, Oſtern und Pfingſten von der königlichen Kapelle geſpielt wird.“
Wenn Prinzeſſin Amalie über die erſte Aufführung ihres Schauſpiels „Der Krönungstag“ (Juli 1823) in ihren Tage⸗ buchnotizen ſagt: „Die ganze Familie, außer der König, war dabei,“ ſo wird auch hier König Friedrich Auguſt, wie bei ſeinen eignen, hinter Schuſters Notenſchrift verſteckten Kom⸗ poſitionen, ohne Zweifel Bedenken gegen ein Heraustreten in die Offentlichkeit gehabt haben, ſei es, daß er darin ein Ver⸗ wiſchen der Scheidelinie zwiſchen Sphären erblickte, die geſondert bleiben ſollten, ſei es, daß er aus Beſcheidenheit ſich und ſo auch ſeiner Nichte die Fähigkeit, über bloß Dilettantiſches hinaus etwas zu leiſten, nicht zutraute. Um ſo höher iſt es anzu⸗ ſchlagen, daß er ſich offenbar lediglich darauf beſchränkte, durch ſein Fernbleiben ſein Verhältniß zu dieſen Verſuchen zu erkennen zu geben, d. h. der ihnen ſeitens des Prinzen Max gewordenen fortwährenden Aufmunterung den Zügel vorſichtiger Reſerve anzulegen. Dies drängte den produktiven Trieb der Prinzeſſin freilich etwas zurück, hat aber denſelben keineswegs ertötet, vielmehr mit dazu beigetragen, daß ſie ſich über ihre eigentliche Begabung klarer wurde. Nachdem, wie ſchon in der Einleitung erwähnt, das erſte öffentlich, wenn auch anonym aufgeführte Stück „Die Abenteuer der Thorenburg“ nicht angeſprochen hatte, ward unter ſolchen Umſtänden jene durch den Prinzen Johann als Überraſchung für feine Schweſter veranſtaltete Aufführung des „Krönungstages“ zu einer Angelegenheit des
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engſten Familienkreiſes gemacht. Nach dem Tode des Königs lag es nahe, mit dieſen Stücken aus der bisher beobachteten Reſerve nach und nach herauszutreten, hatte die Prinzeſſin doch nicht dilettantiſchen Zeitvertreib bei ihren Arbeiten im Auge, ſondern ernſtes dichteriſches Schaffen, das ſich des Rechts be— wußt war, Lob oder Tadel wie jeder andere aus innerem Drange Produzierende herausfordern zu dürfen. Die in Folge deſſen veranſtalteten öffentlichen Aufführungen des Krönungs⸗ tages und der beiden Dramen Mesru finden in der Lebensſkizze weitere Erwähnung.
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Vierzehnter Abſchnitt. er Die ſpäteren Jahre.
Ne die Wirkung dieſer Aufführungen auf die Dichterin ſelbſt enthält das Tagebuch nichts. Sofern die weitern Arbeiten der Prinzeſſin aber als Maßſtab für ihr Urteil
über ihre eigene Befähigung und das derſelben zuſagendſte Gebiet dienen können, hat ſie von nun an der Romantik ent⸗ ſagt und ſich der Luſtſpielſphäre zuzuwenden für richtig gehalten.
Die Tagebuchnotizen über die bald darauf von der Brin- zeſſin angetretene Reiſe nach Italien erwähnen zum erſtenmale etwas von ihrer dahin zielenden ſchriftſtelleriſchen Thätigkeit, nämlich der unterwegs und in Italien von ihr geſchriebenen Dramen, jedenfalls eine Folge der durch die Aufführungen neu erwachten ſchöpferiſchen Luſt, die nun von der Hoffnung beflügelt war, Bühnenfertiges und Aufführungswürdiges zu Stande zu bringen.
Ihre Schweſter Marie, die verwitwete Großherzogin von Toscana, welche ſeit dem Juli in Dresden zum Beſuch geweſen war, begleitete die Prinzeſſin. Am 21. September 1829 wurde abgereiſt und am 30. ward Florenz erreicht, woſelbſt ihre Schweſter Nany mit ihrem Gatten, dem vormaligen Erb- prinzen, jetzigen Großherzog Leopold, und ihren drei Kindern ihnen den herzlichſten Empfang bereitete. Prinzeſſin Maria
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Chriſtine, die mit dem „altgewordenen“ Könige von Neapel und ſeiner Gattin bald darauf in Florenz Beſuch machte, und die, wie erwähnt, noch im ſelben Jahre die Gattin des im Mai verwitweten Königs von Spanien wurde, wird von der Prin⸗ zeſſin als „ſehr hübſch und ganz der Sandrini ähnlich“ be— zeichnet, einer damals ſehr beliebten italieniſchen Sängerin an der Dresdner Oper. Welchen tiefgreifenden Einfluß dieſe
unternehmungsluſtige vierte Gattin Ferdinands VII. auf die
Geſchicke Spaniens gehabt hat, iſt bekannt. Man ſchildert ſie als lebhaft, geiſtreich, und ſagt ihr nach, die Jagd ſei ihre Leidenſchaft geweſen. Das immer lakoniſch gehaltene Tagebuch begnügt ſich in ihrem Betreff mit einer kleinen, aber anſchaulich
wirkenden Notiz: „Bei der Abreiſe der neapolitaniſchen Gäſte ſitzt
das Königspaar im Fond einer Spazier-Chaiſe, Chriſtine aber, ihrem männlich gearteten Naturell entſprechend, ſchwingt ſich auf den Rückſitz, obſchon derſelbe nicht einmal eine Lehne hat.“
Nicht unintereſſant iſt eine Reihe von Notizen, welche die Stellung des großherzoglichen privaten Theater-Perſonals charakteriſieren. Dasſelbe beſteht faſt ganz aus im großherzog— lichen Schloſſe gebornen Nachkommen von Hofbedienfteten. Am 1. Oktober fährt der Hof nach Poggio a Cajano und am 3. iſt daſelbſt ein Feſt im Park zu Ehren des Großherzogs, wobei die verwitwete Großherzogin Ferdinand als Flora und ihre Schweſter, die Gattin des regierenden Großherzogs Leopold, als Prieſterin ſamt ihren beiden älteren Kindern mitwirken, unterſtützt von zwei Damen des Privat-Theaters, von vielen als kleine Liebesgötter koſtümierten Bauerknaben, von dem Singechor, der Muſikkapelle und von Schloßleuten, welche Bauertänze aufführen. „Um 6 Uhr war Diner, dann ein kleiner Ball, bei welchem die Kammerleute und Offizianten auch figu— rierten.“ — Am 4. ſpielt man II Colonello und l’Impressario
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Faluppa. „Die Akteurs waren Leute aus dem Hauſe: Gamba⸗ corti und ſeine Tochter, die Fiorani, und Luiſe Boiti. Letztere und ihre Schweſter Anina tanzten ein Ballet la Pianella per- duta.“ Gambacorti iſt ein Hofkoch; welchem Beruf die ge⸗ nannten Damen, wenn ſie nicht im Dienſte Thalias oder Ter⸗ pſichores beſchäftigt waren, obzuliegen hatten, verſchweigt leider das Tagebuch. — Am 6. Aufführung der Oper Inganna felice, wobei zwei Söhne des Kammerdieners Novelli die Partie des Buffo und des Herzogs ſingen. Am 7. abends „Ball mit den Kammerleuten und Offizianten, aus welchen auch das Orcheſter beſtand. Bei der Monterina zog das Orcheſter voraus und wir tanzten ſo ins andere Zimmer.“ — Am 14. fährt der Hof mit einigen Gäſten abermals nach Cajano. Abends ſingt der Koch Gambacorti als Magnifico in Roſſinis Cenerentola. Aber auch im Orcheſter ſcheint er verwendbar zu ſein, denn am 16. iſt Ball, „auf welchem zuletzt die Mutter Boiti und Gamba⸗ corti, den man aus dem Orcheſter holte, mittanzen mußten.“ Am 18. fungiert der Tauſendkünſtler wieder in Goldonis Vedova scaltra als Arlecchino. Am 19. Oktober giebt der Großherzog „ſämtlichen Akteurs“ ein großes Frühſtück in Cajano auf dem ſogenannten Parchetto. „Wir ſelbſt frühſtückten im Schweizer⸗ häuschen,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „und auf beiden Seiten desſelben ſtanden große Tiſche, einer für die, welche in Oper und Ballet, der andere für die, welche im Schauſpiel mitgewirkt hatten. Man war in 14 Wagen heraufgefahren. Nach dem
Frühſtück fuhr man in Gondeln auf dem Kanal. In einer |
derſelben ſaß das Geſangsperſonal und fang hübſche Chöre.“ Acht Tage ſpäter heißt es: „Faſanenjagd. Alle Jäger waren auf einem Schiffe, und wir mit den Nicht-Jägern auf einem andern. Dann folgten zwei Schiffe mit dem Theaterperſonal, welches aus Dankbarkeit zu allen dieſen Feſten eingeladen wurde.“
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Daß es bei ſolchen Vergünſtigungen mit dem Standes- unterſchiede nicht ſtreng genommen werden konnte, iſt ſelbſt— verſtändlich. Vor allem ein Tänzchen muß für unverfänglich gegolten haben. So heißt es denn auch wieder am 28.: „Abends wurde getanzt und im Großvatertanz holten wir die Muſikanten aus dem Orcheſter und tanzten zuletzt die Notenpulte über den Haufen.“ — Man wird hierbei freilich nicht vergeſſen dürfen, daß jenſeits der Alpen zwiſchen Hoch und Niedrig, und vor allem zwiſchen Herrn und Diener, der Verkehr weit zutrau- licher iſt, als diesſeits der Alpen. Somit ſind die geſellſchaft— lichen Formen in Italien oben und unten denn auch weniger unterſchieden, wobei offenbar auf beiden Seiten mehr Gewinn
als Einbuße iſt. Über die Fortſetzung jener fröhlichen Cajano⸗
Tage braucht hier nur noch geſagt zu werden, daß, nachdem noch ein gemeinſamer Ausflug nach Pietra marina, dem höchſten Berge der Gegend, gemacht worden iſt, „wobei alles ritt,“ die theatraliſchen Vorſtellungen am 29. mit der Cenerentola ihr Ende erreichen. Die Mariotti ſoll dann herausgerufen werden. Aber als der Vorhang wieder aufgeht, ſteht das ganze Theater— perſonal im Koſtüm um ein L gruppiert, den Anfangsbuch⸗ ſtaben des großherzoglichen Namens. Nun iſt als Gegenleiſtung noch eine Nachfeier nötig, nämlich tags darauf ein Frühſtück, bei welchem von der Truppe ein Chor zu Ehren des Direktors derſelben geſungen wird. Die Verſe dazu hat Prinzeſſin Amalie gedichtet. Ebenſo iſt ein Gaſt des Großherzogs auf den Pe— gaſus geſtiegen, und ſein gedrucktes Sonett wird in vielen Exemplaren „während wir auf des Direktors Geſundheit trinken,“ umhergeſtreut. Abends iſt Tombola für die ganze in Cajano vergnügt beiſammen geweſene Geſellſchaft, in welcher „die Herren und Damen“ (vom Hofe und die Gäſte) Spielſachen gewinnen, die Akteurs aber Beutel mit Geld und die Aktricen Bracelets,
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Ketten oder Kleider. Zuguterletzt wieder Tanz. — Vor jener Schluß⸗Oper Cenerentola ſind noch andere Dilettanten bei dem Kunſtprogramm des Hofs beteiligt worden: Die Handwerker aus Prato. „Es iſt die Erholung dieſer Leute, des Sonntags Muſikſtücke einzuüben,“ ſchreibt die Prinzeſſin. Eine Anzahl ernſter Geſangsſtücke dieſer Art haben ſie denn auch bei jener Gelegenheit zu Gehör gebracht.
Es iſt aus dem Tagebuche nicht erſichtlich, ob das vor— nehmlich aus den Hofbedienſteten und deren Kindern rekrutierte Theater- und Orcheſter-Perſonal auch in der Reſidenz in dieſer Eigenſchaft verwendet wurde, oder ob es einzig in den kleinen Theatern der Luſtſchlöſſer ſeine Kunſtleiſtungen produzierte. Im Zuſammenhange mit den Aufführungen in den Theatern Alſieri, Cocomero, Nuovo und Pergola kommen die Namen Gamba⸗ corti, Boiti ꝛc. nicht vor. Hier erwähnt das Tagebuch die Qualität der dargebotenen Kunſtgenüſſe auch zumeiſt in wärmeren Betonungen; „herrlich geſpielt,“ „ſuperb geſungen,“ ſind oft vorkommende Belobungen, mit denen Veſtris, Coſelli, Guilia Griſi und andre ausgezeichnet werden.
Einige Male lautet die Zenſur freilich auch nicht beifällig. In dem Ballet Eufemio ſpringt ein Tänzer im Augenblicke des Sterbens „wie ein Karpfen in die Höhe, ſo daß, als er endlich tot war, ein Ah! der Zufriedenheit durch den Saal ging.“
Neben dieſen Aufführungen bietet die Saiſon noch eine Anzahl muſikaliſcher und theatraliſcher Produktionen in dem Haufe des öſterreichiſchen Geſandten Bombelles und in dem des Lord Burgherth. Erſterer unterhält, wie ſchon zur Zeit ſeiner beliebten Abendzirkel in Dresden, ſeine Gäſte vorwiegend mit franzöſiſchen Luſtſpielen, Farcen und Proverbes, wobei Graf Bombelles ſelbſt und die Gräfin Orloff, eine frühere Schau⸗ ſpielerin, beſonders Verdienſtliches leiſten; das Haus des Lord
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Burgherth, damals jedenfalls ein Magnet für alle Italien be— ſuchenden Engländer — 60 derſelben ſind in Florenz bei Hofe vorgeſtellt — iſt der Populariſierung der von dem Lord kompo— nierten Opern (Fedra u. a.) gewidmet, doch ſpielt Lady Burg— herth auch ihren Part in italieniſchen Farcen und die Kinder des Hauſes tanzen kleine Ballets. Der Lord hat auch geiſtliche Muſik geſchrieben; eine derſelben, eine Meſſe, wird in einer Kirche aufgeführt; „ſehr ſchön, aber zu lang,“ lautet das Urteil der Verfaſſerin des Tagebuchs.
Wenn Graf Orloff ſich in Bewegung ſetzt, vor allem, wenn dies im Theater geſchieht, wo nicht jeder ihn kennt, marſchiert
ein Kammerdiener vor ihm auf, um mit den Flüſterworten „le
Comte Orloff!“ zu warnen, man möge achtgeben, nicht unter
ſeinen Stelzfuß zu geraten. Mindere Vorſicht braucht Fürſt
Borgheſe den achthundert Gäſten gegenüber zu nehmen, die er in ſeiner prächtigen Gemälde-Galerie zu einem Ball geladen hat, denn er geht ihnen ganz aus dem Wege und hält ſich lediglich im Vorhauſe auf, außer Stande, die mit den Acht- hundert in ſeine paradieſiſchen Räume eingezogene Hitze zu er— tragen.
Getanzt wird übrigens bis in den ſchönen Monat Mai hinein, und Prinzeſſin Amalie läßt keinen Zweifel darüber, daß ſie die Beteiligung an dieſer heitern Mühwaltung keineswegs den Italienern allein überließ. Bei Lucheſini tanzt fie Kotillon und Großvatertanz, „bis der helle Tag in den Saal ſcheint“, und erſt um 5 Uhr morgens kommt ſie nach Hauſe, eine würdige Enkelin der tanzfreudigen Kurfürſtin Marie Antonie. Den von ihr verehrten Roſſini ſoll ſie einmal bei dem muſikaliſchen Lord kennen lernen. Der Maeſtro iſt aber, wie es ſcheint, dem ihm durch Lord Burgherths Aufführung zugedachten Genuſſe vor— ſichtig aus dem Wege gegangen, und ſo begiebt die Prinzeſſin
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ſich denn enttäuſcht raſchmöglichſt nach Hauſe. Dagegen hat ſie in demſelben Hauſe „eine recht angenehme Frau,“ die vielgenannte ehemalige Miß Patterſon kennen gelernt, Prinz Jeromes erſte Gattin, die bekanntlich auf Napoleons Befehl von ihm ge⸗ ſchieden worden war. Auch ſieht ſie den damals einundzwanzig⸗ jährigen Louis Napoleon in ſeiner Theaterloge, ohne freilich zu ahnen, daß er vom Schickſal beſtimmt ſei, dereinſt wider Willen Deutſchland zu einigen.
Von den übrigen zahlreichen namhafteren Perſonen, welche in den Geſichtskreis der Prinzeſſin Amalie kommen, ſei nur noch des Prinzen Alexander von Württemberg gedacht, der ſpäter durch ſeine Gedichte und durch ſein inniges Verhältnis zu Lenau allgemeiner bekannt geworden iſt, mehr noch durch Heines Album⸗Blatt:
„Kaum trafen wir uns auf derſelben Station, herzliebſter Prinz Alexander, Da bläſt zur Abfahrt der Poſtillon und bläſt uns ſchon auseinander.“
An die kurioſen Einfälle des Fürſten Putiatin in Zſchach⸗ witz bei Dresden wird die Prinzeſſin bei dem Beſuch einer nahe an der Guercia gelegenen Villa erinnert, doch ſcheint der Himmel von Toscana die Richtung aufs Verwunderliche, wo ſie einmal vorhanden iſt, zu noch vollerer Blüte zu entfalten, als derjenige Sachſens. Das Gebäude der Villa ſelbſt iſt chineſiſch. Ein Obelisk ſteht davor. Auf dem Dache ſitzt Dante. Der Hauptſaal iſt wie das Innere eines Schiffs ausgemalt. Das Bett ſpielt die Orgel ꝛc.
Uebrigens giebt es auch noch andere Dresdner Remini⸗ ſcenzen: die Schweſtern verſuchen ſich einmal wieder in der Kochkunſt. „Mißratene Verſuche von Chriſtſtollen,“ klagt das Tagebuch am 24. Dezember 1829.
Daß die Prinzeſſin während ihres diesmaligen Florentiner Aufenthalts dichteriſch thätig geweſen iſt, hat ſchon Erwähnung
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gefunden. Unterm 4. Februar 1830 heißt es: „Ich fing an, „Pflicht und Liebe“ zu ſchreiben.“ Dann wieder am 19. März „ich ſchrieb den Theſeus“ und endlich, am 18. April, „ich ſchrieb in Caſtello die Fürſtenbraut.“
Über die übermütig heitre Poſſe Theſeus (eigentlich Theſeus und Ariadne) wird in der Lebensſkizze näheres mitgeteilt werden, ebenſo über die Fürſtenbraut. Pflicht und Liebe iſt ein zweiaktiges Schauſpiel. Die Tochter eines geſtürzten und landesverwieſenen Miniſters hat, ohne Kenntnis von ihren, wie ſie meint, verſtorbenen Eltern und deren trübem Geſchick, ſich mit demjenigen Manne verlobt, der gefälſchte Briefe benutzte, um jenen Sturz zu Stande zu bringen und ſelbſt Miniſter zu werden. Am Tage, wo die Hochzeit ſein ſoll, wagt ſich der
Landesverwieſene verkleidet in die Nähe ſeiner Tochter. Sie
erfährt alles und willigt ein, ihrem Verlobten zu entſagen. Dieſer, längſt von Reue gefoltert, begiebt ſich zum Fürſten und bekennt ſeine Schuld. Er wird auf ſeine Güter verbannt, wohin ihm nun doch die Braut mit Einwilligung des Vaters folgt, da letzterer einſieht, daß der eigentliche Schuldige ein käufliches Subjekt geweſen, welches jenen, jetzt Bereuenden umgarnte. — Das Stück iſt ſpannend und voll dramatiſchen Lebens, läßt aber den Eindruck zurück, als gehe die Verfaſſerin mit dem Umgarnten zu gelinde ins Gericht. — Es ſei hier eingeſchaltet, daß die im Nachlaſſe der Prinzeſſin befindlichen 117 Briefe Theodor Hells vornehmlich litterariſch-, künſtleriſch- und geſell⸗ ſchaftlich-berichtenden Inhalts ſind und daß ſie, ſoweit ſie die Dramen der Prinzeſſin betreffen, ſich auf Ratſchläge bühnen⸗ techniſcher Art beſchränken. So werden zu dem Luſtſpiele Kapitän Firnewald ſehr viele Abgangsänderungen vorgeſchlagen; ebenſo veranlaßt Th. Hell die Zuſammenziehung der vieraktigen Stücke „Der alte Herr“ und „Der Brief aus der Schweiz,.“
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jedes in zwei Akte; dem Luſtſpiele „Alter und Jugend“ wird auf ſeinen Rat der anſprechende Titel „Tante Sibylle“ ge⸗
geben, einem andern Stücke der minder anſprechende Titel „Der 1
Mörder,“ infolge deſſen Hofrat Hell nachträglich berichten muß: „Bei der Aufführung nahm das Publikum anfangs die Sache zu ernſt.“ Über den „Unentſchloſſenen“ macht er ſehr ausführliche Ausſtellungen und im „Vetter Heinrich“ wird der Rolle des Schwindlers Stellani durch ihn die geheimnisvolle Seite gewahrt. Seine große Routine kam der Prinzeſſin jeden⸗ falls zu Statten, wenn es ihm auch verſagt war, ſie dichteriſch zu inſpirieren.
Die Rückreiſe wird am 23. Mai angetreten, und zwar hat Prinzeſſin Amalie die Freude, von ihren beiden Schweſtern, der Großherzogin und der Großherzogin Witwe, ganz bis in die Heimat begleitet zu werden. Am 9. Juni erreichen die drei Schweſtern Dresden.
Prinzeſſin Amalie iſt ſeitdem noch ſechsmal in Italien geweſen, 1831, 1836/37, 1839, 1841/42, 1846, 1851/52. Gereiſt iſt ſie faſt alljährlich: Zu vielen Malen nach Wien, zweimal nach Lindau, einmal nach Straßburg; einmal auch nach Berlin, als Schluß eines längeren Ausflugs, auf welchem ſie Hamburg, Lübeck, Stralſund und die Inſel Rügen kennen lernte. Ihre Tagebücher legen Zeugnis ab von der unvermindert ge— bliebenen Friſche ihrer Empfänglichkeit, ſo für Menſchen wie für Dinge, für Naturſchönheiten wie für Kunſtſchätze und Kunſt⸗ leiſtungen. In der nicht ganz kurzen Periode, während welcher ihre Luſtſpiele auf allen deutſchen Bühnen zum eiſernen Be⸗ ſtande des Repertoirs gehörten, war ihr Eintreffen an einem Orte, wo ſich ein Theater befand, nicht ſelten das Signal zum Aufführen eines oder mehrer ihrer Stücke. So gab man, während die Prinzeſſin 1840 Potsdam beſuchte, ihr Luſtſpiel
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Kapitän Firnewald und 1841 während ihres Aufenthalts in Wien die Stieftochter, den Zögling und den Bibliothekar, eben- daſelbſt aber 1847 den Vetter, den Schützling, den Landwirt und den Majoratserben. Im gleichen gab man ihr zu Ehren häufig Aufführungen von Überſetzungen ihrer Stücke, z. B. im Florentiner Fräulein-Inſtitut: La sposa della capitale ꝛc. Hatte dieſe Zeit für ſie, wie nicht zu bezweifeln iſt, manches Erfreuliche, ſo ward andrerſeits doch auch durch Todesfälle im Laufe der Jahre der Kreis ihrer Lieben mehr und mehr ge— lichtet, und bei der Herzlichkeit, mit der ſie ihnen angehangen hatte, mußte ihre natürliche Heiterkeit dadurch manchen Dämpfer erfahren. 1832 ſtarb in Florenz ihre geliebte Schweſter, die Großherzogin Anna von Toscana, 1836 in Pillnitz ihr Pflege— vater, der einundachtzigjährige König Anton, 1838 in Dresden ihr innigverehrter Vater, Prinz Max; 1854 verlor ihr Bruder, der allbeliebte König Friedrich Auguſt, auf einer Reiſe in Tirol das Leben; 1857 erlag in Rom Prinzeſſin Luiſe, die zweite Gattin des Prinzen Max; und im Laufe der nächſten zehn Jahre wurden fünf Töchter des Königs Johann aus dieſem Daſein abgerufen, drei derſelben in der Fremde, wohin ſie nicht lange vorher als Neuvermählte gezogen waren.
Wie erwähnt, iſt Prinzeſſin Amalie auch nach dem Tode ihrer Schweſter Anna noch häufig in Florenz geweſen, wo ſie faſt ſo heimiſch geworden war, wie in Dresden ſelbſt, und wo— ſelbſt die zweite Gattin des Großherzogs Leopold alles that, um der Prinzeſſin Amalie, wie deren Schweſter, der verwitweten Großherzogin Marie, Erſatz zu bieten für die durch den Tod Abgerufene. Jene Wiederverheiratung, die zu einer ſehr glück— lichen und reich mit Kindern geſegneten Ehe führte, hatte der Großherzog aus Rückſichten auf die Thronfolge nicht lange hinausſchieben dürfen. An Prinzeſſin Amalie, ſeine langjährige
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Vertraute, ſind die nachſtehenden Zeilen gerichtet, durch die er ſie nach dem zu Endegehen des Trauerjahrs von ſeinem Vor⸗ haben benachrichtigt. „Es wurde entſchieden,“ ſchreibt er, „daß ich die Prinzeſſin Antoinette von Neapel heiraten werde, nach allem, was ich weiß, eine gute Wahl . . . Pflicht war es und ich hoffe mit Vertrauen auf eine ruhige Zukunft.“ Im Hinblick auf ſeine verſtorbene Gattin fügt er hinzu: „Viele Thränen ſind noch gefloſſen der Erinnerung einer teuren Freundin, die die ſchöne Zeit der Jugendjahre mit mir teilte und das Herz erwärmte und den Geiſt belebte und das Wenige ſchuf, was ich jetzt bin. Meine Seele iſt ihr dankbar und das Andenken der Guten wird ewig leben.“ Ein Jahr ſpäter, als die Entbindung der Großherzogin Antoinette bevorſtand, ſchreibt er: „Möge Gott uns einen Sohn ſchenken zur Befriedigung vieler Wünſche und mir den Mut zu ſtärken, in meiner Laufbahn raſcher fort⸗ zugehen . . . Gott ſtärke mich, meine Pflicht zu thun und meine wenigen Fähigkeiten für das Land anzuwenden.“ Die Hoff⸗ nung, daß gleich das erſte Kind ein Sohn ſein werde, erwies ſich als eitel, es kam eine Tochter. Aber ſchon im Jahre darauf konnte der Großherzog ſeiner Freundin melden: „Gott ſchenkte mir einen Sohn,“ bei den damaligen zerfahrnen Zuſtänden Italiens für die gerade in Toscana ſo zahlreichen Gegner radi⸗ kaler politiſcher Umgeſtaltungen jedenfalls ein Ereignis ſehr be⸗ ruhigender Art, wie der Großherzog denn auch im Sinne dieſer Anſchauung hinzufügt: „Erſchrecklich traurig war bis dahin die ungewiſſe Zukunft meines geliebten Landes,“ und gleichzeitig ſchildert er die Mutter des Kindes, die Großherzogin Antoinette, als „ein recht gutes, natürliches, liebendes Weſen.“ — Als im Jahre 1838 Prinz Johann bei ihm zu Beſuch geweſen iſt, ſchließt der Großherzog einen darüber handelnden Brief an Prinzeſſin Amalie mit den Worten: „Gott ſchenke ihm Glück
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und Zufriedenheit in ſeinem Kreiſe, mir ſeine Gnade zu dem ſchweren Amte, das mir obliegt.“ Im Jahre 1840 hat die Nachkommenſchaft die Zahl ſieben erreicht, darunter ein zweiter Sohn. „Jetzt haben wir ſieben Kinder,“ ſchreibt der Groß— herzog; „Gott erhalte fie und gebe uns Mittel, fie gut zu er- ziehen.“ Ein Jahr ſpäter find die Reihen ſchon wieder beträcht- lich durch den Tod gelichtet und er klagt, in S. Lorenzo ruhen bereits „vier geliebte Leichen, die liebend um mich waren.“ Das hier Mitgeteilte mag noch durch einige Auszüge aus den ſpätern, an Prinzeſſin Amalie gerichteten Briefen des Groß— herzogs Leopold ergänzt werden, da der Ton dieſer Briefe, beſſer faſt, als es Briefe der Prinzeſſin ſelbſt vermöchten, die
Faſſung und die Ergebung in das Unvermeidliche charakteriſiert,
welche, je länger deſto mehr, auch der Prinzeſſin eigen geworden waren. Daß die Heiterkeit dabei in ihrer Natur lag, mochte
der zur Melancholie neigenden Gemütsart des Großherzogs im
Verkehr mit ſeiner alternden Jugendfreundin beſonders wohl thun. So kommen in einem ſeiner Briefe aus dem Jahre 1842, wo Prinzeſſin Amalie in Florenz geweilt hatte, die Worte vor, „du brachteſt Troſt und der kleinen neapolitaniſchen Kolonie einen wahren Lebensgeiſt, deren ſie bedürfen.“ Seiner Schweſter Thereſe (der Königin von Sardinien), die im Jahre 1855 aus dem Leben ſchied, gedenkt der Großherzog mit den Worten:
„Sie war nicht bloß eine gute, herzlich liebende Schweſter, ſie
war auch eine gute, zarte und einſichtsvolle Mutter und eine gut— mütige, edle und wohlthätige Königin.“ — „Anna“ (die vierte Tochter des Prinzen Johann, heißt es in einem anderen Briefe von 1855, „hat das Herz meines Sohnes ganz gewonnen,“ und im Jahre 1858 ſchreibt er, „alle lieben Anna wegen ihrer Herzensgüte.“ Man weiß, daß dieſer glückliche Bund ſchon im Februar des nächſten Jahres durch den Tod gelöſt wurde.
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Im ſelben Jahre brachen über den jetzt 62 jährigen Groß⸗ herzog die Heimſuchungen herein, welche der öſterreichiſche Krieg gegen das mit Frankreich alliirte Sardinien vor allem über das Haus Toscana bringen mußte. Nachdem der Groß⸗ herzog zu Gunſten ſeines Sohnes einer Stellung entſagt hatte, in welcher er ſeit langem nur durch das Bewußtſein über⸗ nommener Pflichten feſtgehalten worden war, ſchreibt er aus Schlackenwerth an Prinzeſſin Amalie: „Es iſt mir nicht unſert⸗ wegen, aber (wegen) des Landes, welchem ich mein Leben, all' meine Liebe und Thatkraft gewidmet, und welches jetzt ſo ſchwer mitgenommen iſt. Mein Gebet iſt, für mich zu vertrauen auf Gottes Beiſtand, und nicht zu fündigen für die andern, die mir Übles gethan .. . Jetzt bin ich ruhig auf dieſem meinem Gute unter guten, ruhigen, anhänglichen und folgſamen Leuten.“ Noch einmal kommt er Ende desſelben Jahres auf den mit ihm und den Seinen vorgegangenen Umſchwung zurück. „Verbannt,“ ſchreibt er, „vertrieben ohne Schuld; aber Gott weiß warum, und unſere Loſe ſind in den Händen eines weiſen und gütigen Vaters.“ Und unter dem beſchwichtigenden Zureden der Prin- zeſſin ſöhnt ſich der entthronte Fürſt ſchon in kurzer Zeit jo voll⸗ kommen mit der bürgerlichen Schlichtheit ſeines neuen Daheims aus, daß er im September 1860 auch von ſeiner „neapolitani⸗ ſchen Kolonie“ günſtiges berichten kann; „meine Frau,“ verſichert er, „findet ſich ſehr gut in deutſche Sitten und erkennt das viele Gute, was doch in dieſen Ländern gediegener und häuslicher ſich bewährt. Man muß die Deutſchen näher kennen lernen, um ſie zu ſchätzen. Meine Kinder,“ ſetzt er hinzu, „reden jetzt ziemlich gut deutſch.“ — „Das Politiſche überlaſſe ich der Vorſehung,“ heißt es in einem Briefe vom Jahre 1861, und er freut ſich, von ſeinen Eltern zur Arbeit angehalten worden zu ſein; in Unthätig⸗ keit müßte er verkümmern. „Ich muß,“ ſchreibt er Anno 1864,
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„aus vielen Gründen Gott danken, daß er väterlich für mich ge— ſorgt hat. Er hat mich einer ſchweren, gefahrvollen Verantwort— ung enthoben, welche ich nicht mehr die Kraft hatte zu tragen.“ Wie ſichs von ſelbſt verſteht, hielt Prinzeſſin Amalie darauf, ihrem Freunde auch hin und wieder ein Liebeszeichen zu ſenden, das nicht bloß in Worten beſtand. So erfreut ſie auf ſeinen Vorſchlag ihn mit Karoline Pichlers ſeiner Zeit berühmt und auch damals dem jungen Erbprinzen lieb geweſenen Roman Aga⸗ thokles, in welchem er „Erinnerung an gute und ſchöne Jahre“ zu finden hofft; ebenſo mit Herders Cid. Vor allem ſcheint ſie ſich aber das Recht erobert zu haben, ihm alle Weihnacht einen warmen Schlafrock zu ſpenden. Der Dank iſt dann immer
die Herzlichkeit ſelbſt. „Die gute Freundin,“ ſchreibt er aus
Brandeis am zweiten Weihnachtstag Anno 1866, „hat meiner weißen Haare und der rauhen böhmiſchen Winter gedacht, als ſie mir den weichen, warmen Schlafrock ausſuchte. Jeden Tag, wenn ich früh oder abends deſſen Wohlthat fühle, denke ich an die Gute, die ich in früher Jugend gekannt, und die unverändert durch Zeit und Prüfungen dieſelbe blieb.“ Und auch gegen die zuweilen an ihn herankommenden Anwandlungen, weniger wohl der Sehnſucht nach der Pracht des Florentiner Hoflebens, als des Mißmuts über das kurze Gedächtnis der Menſchen, für die er gearbeitet und die Laſt der Regierung gewiſſenhaft ge— tragen hat, auch gegen ſolche Stimmungen und Verſtimmungen kämpft der greiſe Fürſt redlich an. „Ich war,“ ſchreibt er um die Weihnachtszeit 1867, „in den beſten Jugend- und Mannes⸗ jahren ſo glücklich, wie kaum einer nur ſein kann, ſo kann ich mich nicht beſchweren, wenn mich Unglück betroffen.“ Heimweh nach dem blauen Himmel Italiens hat ſich dann ohne Zweifel dem Herzensbedürfniſſe geſellt, als guter Katholik vor ſeinem Scheiden aus dieſer Welt noch einmal am Grabe des heiligen
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Petrus zu beten. Im Dezember 1869 — wenige Wochen vor ſeinem Ableben — ſendet er der alten Freundin aus Rom in ſehr gehobener Stimmung ein letztes Schreiben. Wie viele Er⸗ innerungen mochten auf dem Wege dahin durch ſeine Seele ge⸗ zogen ſein! „Von weitem,“ heißt es in dem Briefe, „hatte ich die Küſte der Inſeln Toscanas geſehen ...“
Aus dem letzten Lebensviertel der Freundin des Groß⸗ herzogs Leopold, der Prinzeſſin Amalie, iſt noch der traurigen Periode ihres Erblindens Erwähnung zu thun. Im Anfang der Fünfziger Jahre begann die Sorge um ihr Augenlicht be⸗ ängſtigend zu werden. Wie ſehr dasſelbe im Abnehmen be⸗ griffen war, beweiſt vor allem die immer undeutlicher werdende Schrift des Tagebuchs. Die Jahrgänge 1853 bis 1856 ſind großenteils nahezu unleſerlich. Als die Zeit der Operation heranrückt, werden die Zeilen ſchief und krumm und auf mancher Seite finden nur noch zwei oder drei Zeilen Platz. „Es geht ſchlecht mit meinen Augen,“ heißt es im Juni 1853. „Wie wird es im Herbſte ſein? Komme, was Gott will.“ Im folgenden Jahre ſchreibt ſie unterm 23. Mai: „Auf dem Rückweg rannte ich das Chaiſenhaus (auf dem Dresdner Altmarkt) an und ſtürzte hin.“ Wieder ein Jahr ſpäter heißt es unterm 4. Mai aus Lindau: „Ich ſah den Bahnhof für eine Allee an.“ Im ſelben Jahre — im November — findet endlich in Leipzig die Operation ſtatt. Sie dauerte für jedes Auge nur "a Minute und beide Augen hatten eine Lichterſcheinung. Tags darauf wird das linke aber von einer heftigen Entzündung ergriffen und ver⸗ fällt infolge derſelben rettungslos der Blindheit. Fünf Monate lang bleibt die Prinzeſſin in Leipzig, fortwährend der ärztlichen Pflege bedürftig. Endlich iſt wenigſtens die Sehkraft des rechten Auges geſichert. Sie kehrt nach Dresden zurück und begiebt ſich von dort an den Bodenſee. Bei ihrer Ankunft in Lindau
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ſchreibt ſie, der wiedergewonnenen Freude am deutlichen Aus— und Umblicken genießend, „erſt jetzt bemerkte ich, daß Lindau auf einer Inſel liegt.“ Und im Juli, bald darauf, „ich ſah zum erſtenmale wieder Sterne am Himmel.“
In einem der Stücke der Prinzeſſin ſagt ſchweren Herzens der alte verabſchiedete Diener Karl: „In der Jugend hängt der Menſch an der ganzen Welt, im Mannesalter an einem Lande und als Greis an einem Hauſe.“ Dieſe Zeit war allmählich auch für Prinzeſſin Amalie gekommen. Sie hatte einſt ihre, der freundlichen Seite des Lebens zugekehrte Geiſtes- und Ge⸗ müts richtung mit dem Pſeudonym A. Serena gut charakteriſiert und wie anmutig waren die Worte geweſen, mit denen ſie die
aufs Nichtheiraten ſich gefaßt machende, ehrliche und treffliche
Antonie im „Siegelring“ ſich mit dem Unabänderlichen abfinden läßt: „J nun, man ſieht wohl bisweilen um ſich her, und da denkt man denn: Das wäre ſo übel nicht! — oder: Wenn das anginge! — Aber dann denkt man wieder: 's geht nicht an! Da bringt man ſich die Locken in Ordnung und iſt ſo heiter wie zuvor.“
Jetzt war ihr wohl zwar das demütige Sich-Ergeben in die Ratſchlüſſe der Vorſehung geblieben, aber die Sonne der Heiterkeit verbarg ſich mehr und mehr hinter Wolken. Schon die politiſchen Erſchütterungen der dreißiger Jahre unbefangen zu würdigen, war ihr ſchwer geweſen. Das Jahr 1848 und nun gar 1866 vermochte ſie nur noch von der düſterſten Seite anzuſehen. Gleich der Königin-Witwe Marie hielt fie, wäh— rend 1866 das Kriegswetter über Dresden dahinbrauſte, tief traurig in der von den Preußen beſetzten Stadt aus. Und doch blickt ihr menſchenfreundliches Gemüt auch ſelbſt zwiſchen den unerquicklichen Dingen hervor, die es im Tagebuche an— zumerken giebt. Kaum iſt der Feind eingerückt und nimmt
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Quartier im königlichen Schloſſe, jo ſchreibt die Prinzeſſin auch ſchon, wie um ihren Verdruß ſelbſt zu beſchwichtigen: „Es ſollen gute Leute ſein, Rheinländer und Landwehr, welche ganz erſchöpft angekommen.“ Man erlaubt ihr nicht mehr, Briefe fortzuſchicken, aber ſie findet, daß General Herwarth, der ſich bei der Königin-Witwe und bei Prinzeſſin Amalie vorſtellt, doch im Grunde „ein ſehr anſtändiger Mann“ iſt. Nicht minder ſcheint ihr General von Schack „ein guter alter Militär,“ und „gefällt ihr wohl;“ ja, als die Nachricht verlautet, er werde Dresden verlaſſen, „thut es allen leid.“
Und nun mußte ſie auch noch den Anfang des ſiebenziger Krieges erleben. Man weiß, wie allgemein in Deutſchland da⸗ mals die Beſorgnis war, dem erſten franzöſiſchen Anprall werde nicht zu widerſtehen ſein und erſt nach und nach werde die Tüchtigkeit der deutſchen Truppen und ihrer Heerführer alles doch noch zum Siege wenden. Prinzeſſin Amalie hatte als Kind erfahren, daß ſolche Hoffnungen trügen konnten. Wieder war es ein Napoleon, von dem ſie Deutſchland bedroht ſah. Was Wunder, wenn das Herz der Greiſin vor Angſt und Zagen zu brechen drohte.
Am 28. Juli ſchreibt ſie in ihr Tagebuch: „Um 8 Uhr ſah ich Georg mit ſeiner Frau in einem Kahne über die Elbe fahren und dann den Wagen beſteigen. Ich glaubte wirklich zu ſterben, jo ergriffen war ich. ... Wenn Gott nicht hilft ...“
Am ſelben Tage heißt es: „Abſchied unſres Albert ...“
1 Jiebensskige,
Wiederabdruck aus dem erſten Bande der im Jahre 1873 im Verlag von B. Tauchnitz in Leipzig erſchienenen Geſammt⸗Ausgabe der dramatischen Werke von Prinzeſſin Amalie.
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TE RER ENT,
8 A. 24. Februar 1834 wurde im Palais der königlichen „ Prinzeſſinnen zu Berlin ein Schauſpiel gegeben, welches ungewöhnlich warme Aufnahme fand. Der Name des Verfaſſers war nicht genannt worden. Mit Verwunderung er- fuhr man bald darauf, daß dieſes ſchlichte, bürgerliche Bühnen⸗ ſpiel von einer Fürſtentochter geſchrieben ſei.
Faſt vierzig Jahre ſind ſeitdem verſtrichen. Jenem erſten Stücke folgten die Braut aus der Reſidenz, der Oheim, die Fürſtenbraut, der Landwirt und noch manche andere Dichtungen ernſten wie heitern Inhalts. Sie haben die Runde über faſt alle deutſchen Bühnen gemacht, und ein Teil dieſer dramatiſchen Schöpfungen erfreut ſich des Rufes gern geſehener Repertoir— ſtücke noch heute, nun die ſinnige Spenderin dieſer Muſengaben nicht mehr unter den Lebenden weilt.
Ihrem Andenken ſind die folgenden Aufzeichnungen ge— widmet. Sie leiten eine Geſamtausgabe ein, welche aus dem ſchriftſtelleriſchen Nachlaſſe der hohen Verewigten durch vier noch ungedruckt geweſene Bühnenſtücke vermehrt worden iſt.
Leider hat ſich unter dieſem Nachlaſſe keine Niederſchrift gefunden, welche unmittelbare Einblicke in das innere Leben und den dichteriſchen Entwicklungsgang der Prinzeſſin Amalie geſtattete. Auch Briefe liegen nicht vor. Der Verſuch einer Charakteriſtik hat ſich demnach in beſcheidenen Grenzen zu halten, den heiter ⸗ernſten, wohlwollenden, klugen und rechtſchaffenen
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Zügen, aus denen das deutſche Publikum ſich ſelbſt im Laufe der Zeit ein Bild der Verfaſſerin von „Lüge und Wahrheit“ zuſammenwob, nur eine beſtimmtere Beleuchtung zu geben. Zu ſolchem Zwecke wird es ſich empfehlen, zuvor mit einigen Worten an die Großeltern der Prinzeſſin, den Kur⸗ fürſten Friedrich Chriſtian und die Kurfürſtin Marie Antonie zu erinnern, da das kunſtſinnige Beiſpiel derſelben, wie auf andre ihrer hohen Nachkommen, ſo auch auf die Verfaſſerin von Lüge und Wahrheit in beeinfluſſender Weiſe nachgewirkt hat. Vor allem die Kurfürſtin, eine bayeriſche Prinzeſſin, ge⸗ hörte zu jenen Perſönlichkeiten hochbegabter Art, deren Talente wert ſind, ſich zu vererben. Marie Antonie wird von ihren Zeitgenoſſen als eine der anziehendſten Perſönlichkeiten des vorigen Jahrhunderts geſchildert. Ohne ſchön zu ſein, feſſelte ſie in ungewöhnlichem Grade durch Geiſt, Lebendigkeit und reizvoll geniale Ungebundenheit. Mit Friedrich dem Großen, welchen ſie 1769 und 1770 in Potsdam beſuchte, unterhielt ſie einen Briefwechſel. Einem ihrer Söhne, dem ſpäteren König Anton, diktierte ſie in franzöſiſcher Sprache ein Heft über „die Grundſätze der chriſtlichen Moral.“ Dasſelbe hat ſich erhalten und giebt, wie verſichert wird, von ihrem vorurteilsfreien Geiſte das günſtigſte Zeugnis. Haſſe und Porpora unterrich⸗ teten ſie in Kompoſition und Geſang. Der Muſiker Charles Burney, welcher ſie 1772 in Nymphenburg ſingen hörte, rühmte ihrem Vortrage edlen Geiſt nach, und verglich ihre Weiſe mit derjenigen großer Sänger aus den beſten alten Zeiten. Sie dichtete und komponierte unter anderm zwei Opern: „Talestri, Regina delle Amazzone“ und „Il Trionfo della Fedeltà,“ bei welchen ſie dem Vorbilde Metaſtaſios und Haſſes folgte. Auch war von ihr der Text des in der Dresdner Hofkirche am Oſterſonnabend 1750 zuerſt aufgeführten Haſſeſchen Oratoriums
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„La Conversione di S. Agostino.“ Sie war unter dem Namen Ermelinda Talèa zum Mitgliede der arkadiſchen Akademie in Rom ernannt worden, bemühte ſich während des ſiebenjährigen Krieges in anſtrengendſter Weiſe um den Schutz der Dresdner Kunſtſchätze, war eine Gönnerin des Malers Raphael Mengs — deſſen Paſtellbilder des kurfürſtlichen Paares die Dresdner Gemäldegalerie aufbewahrt —, übte Ein- fluß auf die Gründung der Dresdner Kunſtakademie und teilte mit dem Kurfürſten das lebhafte Intereſſe für die archäologi— ſchen Briefe, welche Winckelmann für die Lektüre ſeiner beiden hohen Gönner aus Neapel ſchrieb. Welchen Wert Windel- mann ſelbſt auf dieſe fördernde Teilname gelegt hat, geht am deutlichſten aus einem Briefe hervor, in welchem er den plötz— lichen Tod des Kurfürſten beklagt. „Ich weiß nicht,“ ſchreibt er am 4. Januar 1764, „was ich zum neuen Jahre wünſchen kann, da nichts zu hoffen iſt nach dem Falle des Prinzen, den Gott zum Heile ſeines Volkes nur gezeigt hat. Geſtern haben wir dieſe Nachricht erhalten, die mir wie ein Schwert durch Mark und Bein gegangen iſt. Unerſetzlicher Verluſt!“ Und wie ſehr dieſe kunſtſchützende Richtung von der verwitweten Kurfürſtin noch feſtgehalten wurde, dafür zeugen die Worte, welche Friedrich der Große ihr am 10. September 1767 ſchrieb:
„Protégez les (arts) toujours, Madame. La gloire, que
ces arts donnent, est préférable à la plus illustre naissance comme au plus haut dégré d’elevation, on les hommes puissent monter. Les aimer, les protéger, et les cultiver comme V. A. R., c’est avoir acquis un merite personnel, le seul que l’on estime et que l'on revere dans les princes.‘“
Die Kinder dieſes kunſtliebenden Paares — unter ihnen der Vater der Prinzeſſin Amalie — folgten dem Beiſpiele ihrer
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Eltern, namentlich in bezug auf die Pflege der Muſik. Der älteſte Prinz, der ſpätere König Friedrich Auguſt I., war ein leidenſchaftlicher Bewunderer der italieniſchen Muſik, die ſich denn auch bis an ſein Lebensende ſeines fördernden Schutzes erfreute. Er beſaß gründliche muſikaliſche Kenntniſſe, und von ſeinen eignen Kompoſitionen wird noch jetzt an jedem erſten Feiertage hoher Feſte eine Veſpermuſik in der katholiſchen Kirche zu Dresden aufgeführt. Sein Bruder, Prinz Anton, der ſpätere König dieſes Namens, betrieb neben ſeinem Lieblingsfache, der Genealogie, ebenfalls mit Eifer und Geſchick das Studium der Tonkunſt und übte lange Zeit als Komponiſt, Sänger und leicht zugänglicher Kunſtförderer mannigfach belebenden und bildenden Einfluß. Mehr als fünfzig Manuſkript⸗Bände feiner Kompoſitionen befinden ſich in dem Beſitze der königlichen Muſikalienſammlung. — Prinz Max endlich, der Vater der Prinzeſſin Amalie, liebte neben der Muſik auch die Poeſie; er ſang und komponierte nicht nur, er verſuchte ſich auch mit Glück in größern Gelegenheitsdichtungen. — Nicht minder iſt der jüngſten Schweſter dieſer Prinzen, Marie Anna, als einer fähigen Sängerin und Pianiſtin zu gedenken.
Prinzeſſin Amalie wurde am 10. Auguſt 1794 zu Dresden im Palais des Prinzen Max, ihres Vaters, geboren.
Bereits im Alter von zehn Jahren verlor ſie ihre Mutter Karoline Marie Thereſe, eine Prinzeſſin aus dem Hauſe Parma. Ihre weitere Erziehung leitete ſeitdem die Gemahlin des Prinzen Anton, Maria Thereſia, Tochter des Kaiſers Leopold. Die⸗ ſelbe zeichnete ſich durch Eigenſchaften des Herzens aus und erwiderte die kindliche Zuneigung der jungen Prinzeſſin um ſo inniger, als ihre eignen Kinder ihr ſämtlich in jugendlichem Alter durch den Tod entriſſen worden waren. Auch kam ihr klar auf das Reale gerichteter Verſtand ihrem Pfleglinge
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zweifellos zu ſtatten. Dagegen hatte Prinzeſſin Maria Thereſia weniger entſchiedene Neigung für Kunſt und Wiſſenſchaft, als dies den Überlieferungen des ſächſiſchen Hofes gemäß war. Die dichteriſchen Anlagen der jungen Prinzeſſin Amalie haben daher einer kundigen Anleitung entbehrt.
Auch auf ſie übte dagegen einen um ſo lebhafteren Einfluß die damals am ſächſiſchen Hofe vorwiegend gewordene Be— günſtigung des muſikaliſchen Elementes. Wie aus einer Mono- graphie hervorgeht, welche der Kammermuſikus Profeſſor M. Fürſtenau über die muſikaliſchen Leiſtungen der Prinzeſſin verfaßt hat, war der Kapellmeiſter Joſeph Schuſter ſelbſt ihr
| Lehrer. Sie fang und ſpielte Klavier, verſuchte ſich auch bald
in eignen Kompoſitionen. Aus ihrem 16. oder 17. Jahre
ſtammt ſogar ſchon eine kleine Oper; Prinz Max hatte den
Text dazu geſchrieben und der Kammermuſikus Franz Dunkel half beim Anfertigen der Partitur. Im engeren Hofkreiſe iſt dieſe Oper unter dem Titel „Una donna“ damals aufgeführt worden.
In Prag, wohin, wie bekannt, der ſächſiſche Hof im Februar 1813 überſiedelte, iſt dann auf Grund eines Librettos des Prinzen Max die zweite Oper der Prinzeſſin: „Le tre Cinture“ entſtanden. Die Partitur dazu iſt von der Hand Aloys Johann Woitiſcheks, eines gediegenen Prager Muſikers, welcher der Prinzeſſin daſelbſt beratend zur Seite ſtand. Auch komponierte die Prinzeſſin im Laufe der folgenden Jahre, nach⸗ dem der ſächſiſche Hof wieder nach Dresden zurückgekehrt war, noch die Opern: „Le Nozze funeste“ (1816), „Il Prigioniere“ (1817), „L’Americana‘ (1820), „Elvira“ (1821), „Elisa ed Ernesto“ (1823), „La Fedeltä alla prova“ (1826), „Vec- chiezza e Gioventù“ (1828), „Il figlio pentito“ (1831), „I Marchesino‘ (1833), „La Casa disabitata“ (1835), ſowie
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auch eine Anzahl Kantaten und kleinere Geſangsſtücke, zumeiſt mit Unterlegung ſelbſtgedichteter italieniſcher Texte.
Alle dieſe Arbeiten, denen ſich andre, von den Brüdern, dem Vater und dem Oheim der Prinzeſſin herrührende, größere und kleinere Kunſtſchöpfungen geſellten, kamen im engern Hof⸗ kreiſe teils ſzeniſch, teils nur am Klavier zur Aufführung, zum größten Teil unter geſanglicher Mitwirkung der jungen Prinzen Friedrich Auguſt und Klemens, ſowie der Prinzeſſin Marie Anna, Marie und der Prinzeſſin Amalie ſelbſt, während Prinz Johann ſich vorzugsweiſe bei rein dramatiſchen Vorſtellungen beteiligte. |
Für ſzeniſche Aufführungen dieſer Art war im Prinzen⸗ palais eine kleine Bühne errichtet; nicht minder gab es eine ſolche im alten Pillnitzer Karuſſellgebäude, dem jetzigen könig⸗ lichen Orangeriehauſe daſelbſt. Prinz Max und Prinz Anton, der Vater und der Oheim der jungen Prinzen und Prinzeſſin⸗ nen, bezeigten für dieſe mit großem Eifer betriebenen theatrali⸗ ſchen Vergnügungen ein warmes Intereſſe. Auch wohnten die Gemahlin des Königs Friedrich Auguſt I. und feine Tochter, Prinzeſſin Auguſte, den Aufführungen häufig bei. Wie zwang⸗ los es in Pillnitz dabei herging, erhellt aus dem Umſtande, daß ſich die Pillnitzer Dörfler als Zuſchauer einfinden durften; auch wurde es durchaus nicht übel vermerkt, wenn ihre Anteilnahme ſich einmal etwas laut und ungeberdig vernehmbar machte. Im Gegenteil fand namentlich Prinz Anton in ſeiner volks⸗ tümlichen Weiſe an dieſer Komödie in der Komödie ſogar be— ſondres Vergnügen und ſelbſt nach ſeiner Thronbeſteigung dauerte dieſes patriarchaliſche Verhältnis unbeirrt fort.
Da die ſo ungewöhnliche dramatiſche Routine der Prin⸗ zeſſin Amalie in dieſen vielſeitigen künſtleriſchen Einwirkungen ihre vornehmliche Erklärung findet, ſo mag hier auf eine Art
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von Feſtkalender hingewieſen werden, welcher in der ſchon er— wähnten Fürſtenauſchen Schrift nachgeleſen werden kann ). Den koſtſpieligen und rauſchenden Luſtbarkeiten einer verklunge- nen Zeit waren einfachere, aber ſinnigere gefolgt. Sie gingen Hand in Hand mit ernſten Studien, die über das Maß fürſt⸗ licher Liebhabereien, wie die Folgezeit gelehrt hat, weit hinaus⸗ griffen, und dienten nicht nur zu heitrer Erholung vom ſtrengen Dienſte des Lernens, ſondern auch zum dankbaren und freudi- gen Bewußtwerden der Segnungen eines reichen und beglückten Familienkreiſes.
Die Operntexte der Prinzeſſin waren, wie man bemerkt haben wird, ſämtlich italieniſch, auch ſcheinen, als ihr lebhaftes Intereſſe für Muſik allmählich hinter dasjenige für ſchöne Litteratur zurückzutreten begann, die Werke romaniſchen Ur⸗ ſprungs noch eine gute Weile von ihr bevorzugt worden zu ſein. Sowohl die Schöpfungen italieniſcher, wie diejenigen ſpaniſcher Dichter gehörten lange Zeit zu ihrer Lieblingslektüre, und ihre Überſetzungen aus jener Übergangsperiode find Nad)- dichtungen ſpaniſcher Dramen und Romanzen.
Daß nahe verwandtſchaftliche Beziehungen ihren Reiſen zum öfteren die Richtung nach dem Süden gaben, kam hinzu, um jene Neigung zu begünſtigen. Im Jahre 1825 war Prin⸗ zeſſin Amalie in Begleitung ihres Vaters nach Madrid gereiſt,
wo ſie mehrere Monate bei ihrer jüngſten Schweſter Joſepha verweilte, der Gattin des Königs Ferdinand VII. Zehn Male beſuchte ſie auch Italien, das letzte Mal im Jahre 1851, immer mit hoher Befriedigung. Vor allem hing ihr Herz an Toscana, wo ihre Schweſtern Marie Anna und Marie, die eine als Ge—
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) Die muſikaliſchen Beſchäftigungen der Prinzeſſin Amalie, Herzogin zu Sachſen. Dresden 1874. R. v. Zahns Verlag.
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mahlin des Großherzogs, die andre als Gattin des Erbprinzen eine zweite Heimat gefunden hatten.
Übrigens waren ja, wie bekannt, alle Gemüter in den erſten Jahrzehnten dieſes Jahrhunderts von Sympathien für das Land Mignons und faſt mehr noch für dasjenige Ximenes in ungewöhnlichem Grade erregt und erfüllt. An die Thätigkeit Tiecks und der beiden Schlegel braucht hier nur erinnert zu werden. Calderon, Moreto, Lope de Vega wurden fleißig über- ſetzt und vielſeitig bewundert. Weber ſelbſt, obſchon der Hort deutſcher Muſik, trug ſich mit Opernplänen, welche Pizarro, Don Juan d' Auſtria, Columbus, den Cid zum Mittelpunkte hatten. Prezioſa war der allgemeine Liebling.
Dennoch hatte ſich ſchon in jugendlichen Jahren bei der Prinzeſſin Amalie das Bedürfnis geltend gemacht, Empfind⸗ ungen, welche einfach dem Herzen entſtrömten, in der Mutter⸗ ſprache auszudrücken. Unter den Kompoſitionen des Prinzen Anton aus dem bewegten Jahre 1815, wo der ſächſiſche Hof wieder in die Heimat zurückkehrte, finden ſich mehrere deutſche Gelegenheitsdichtungen der Prinzeſſin von echt nationalem Ge⸗ präge, unter ihnen „Der frohe Tag,“ „Unſer Fritz,“ „Von Amalie und Anton,“ „Der Huſar“ u. a.
Daß die Prinzeſſin wenige Jahre ſpäter als Schülerin dem⸗ jenigen Meiſter näher trat, an deſſen Namen — ſeit der Be⸗ gründung der Dresdner deutſchen Oper, im Jahre 1816 — alle auf den Sieg der deutſchen Tonkunſt gerichteten Hoffnungen ſich knüpften, bleibt unter den damaligen Zeitverhältniſſen ein nicht minder bedeutſames Zeichen. Denn Karl Maria von Webers gefährlichſte Gegner, Morlacchi in Dresden, Spontini in Berlin, ſtanden noch in wohlbefeſtigtem Anſehen und erfreuten ſich mächtigſter Gönnerſchaft.
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Wie ſehr nun auch der grunddeutſche Zug im Gemüt der Prinzeſſin Amalie ſpäter offenkundig geworden iſt, ihr reich— haltiger litterariſcher Nachlaß aus der erſten Periode ihrer größeren dramatiſchen Dichtungen läßt deutlich erkennen, daß ihr Genius, unklar über ſeinen eigentlichen Beruf, noch ſuchend ſchwankt zwiſchen den Nachwirkungen ſprachlich fremdländiſcher Gewöhnungen und jenem inneren Zuge rein nationaler Art. Ihr Dichten italieniſcher Textbücher und ihr Komponieren nach italieniſchen Vorbildern wird daher einſtweilen nur durch den Verſuch abgelöſt, italieniſche, ſpaniſche, oder überhaupt aus fernen Zonen entnommene Stoffe zu dramatiſieren. Auf dieſe Weiſe entſtehen unter anderem: „Der Zauberſpruch,“ ein mit
übernatürlichen Eingriffen durchwobenes, ſpaniſch koſtümiertes
Schauspiel; „Elvira,“ ein mauriſches Trauerſpiel; „Graf von Toulouſe,“ ein franzöſiſch koſtümiertes Schauſpiel; „Zwei Nächte auf dem Kaſtell Franco,“ wiederum ein Trauerſpiel mit ſpani⸗ ſchem Hintergrunde; „Zulika,“ ein großes orientaliſches Luſt— ſpiel; endlich zwei deutſche Ritterſtücke: „Eliſabeth,“ ein Trauer- ſpiel, und „Die Witwe,“ ein Schauspiel. Auch ſtammen aus dieſer Zeit und zwar wieder mit orientaliſchem Hintergrunde: „Der Krönungstag,“ ein Schauſpiel in fünf Aufzügen, und „Mesru,“ ebenfalls ein Schauſpiel, aber ein aus zwei Teilen beſtehendes, jeder Teil zu fünf Aufzügen.
Mit Ausnahme des Trauerſpieles „Eliſabeth,“ welches in Proſa geſchrieben iſt, haben alle dieſe Stücke eine metriſche Form, zumeiſt den reimloſen fünffüßigen Jambus. Sie ent⸗ behren einer glänzenden Sprache, und ſind faſt ganz ohne den Schmuck des bildlichen Ausdrucks; ebenſo verſchmähen ſie, wo ein Zauber zu Hilfe gerufen wird, den eigentlichen Apparat des Zauberſpiels. Nicht minder verlegen ſie, wo ſie das Gebiet des Tragiſchen ſtreifen, die verbrecheriſche That gern in die Ver—
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gangenheit, und beſchäftigen ſich mehr mit den Folgen des Ver⸗ brechens, als mit deſſen Entſtehen und Vollbringen.
Daneben feſſeln dieſe Stücke aber auch wieder durch unver⸗ kennbare Schönheiten. Die Perſonen haben wirkliches Leben, ſie empfinden richtig und intereſſieren; ja, in einigen Partieen dieſer Dramen, z. B. in den erſten Aufzügen der „Zwei Nächte auf dem Schloſſe Kaſtell Franco“ iſt die dramatiſche Bewältig⸗ ung des unheimlichen Stoffes eine ſo große, daß man ſich an⸗ fangs faſt der Täuſchung hingiebt, ein vollſtändiges Meiſter⸗ werk vor ſich zu haben.
Noch eines Stückes muß hier gedacht werden, da es das erſte Drama der Prinzeſſin iſt, welches auf der königlichen Hof⸗ bühne zur Aufführung gelangte. Es hieß „Die Abenteuer der Thorenburg,“ und wurde unter fremdem Namen, ohne Beifall zu finden, gegeben. Dieſer Mißerfolg trug die Schuld, daß jene anderen zahlreichen Stücke, obſchon ſie keineswegs Buch⸗ dramen ſein wollten, und die hingebende Arbeit mancher Jahre erforderten, im Pulte der Verfaſſerin verſchloſſen blieben. Die als Überraſchung veranſtaltete Aufführung des „Krönungs⸗ tages,“ im Jahre 1823, war keine öffentliche. Sie fand im Prinzenpalais ſtatt. Aber die Darſteller waren Mitglieder des Hoftheaters. Der gute Erfolg gab der Prinzeſſin den Mut, in eine weitere Aufführung, die des „Mesru,“ zu willigen. Hof⸗ ſchauſpieler führten im Jahre 1825 den erſten Teil im Prinzen⸗ palais auf, ein Jahr ſpäter den zweiten Teil im Palais beim Prinzen Johann. 1828 kamen der „Krönungstag“ und dann die beiden Teile des „Mesru,“ in gleicher Weiſe beſetzt, in Pillnitz zur Aufführung. Und endlich brachte das Dresdner Hoftheater im folgenden Jahre den „Krönungstag“ zur öffent⸗ lichen Vorſtellung.
Als diejenigen rein dramatiſchen Arbeiten, welche bereits
in allen litterariſchen Charakteriſtiken über die Verfaſſerin von „Lüge und Wahrheit“ als ihre Erſtlingswerke erwähnt worden ſind, und ſomit ſeit langem der Litteraturgeſchichte angehören, haben der „Krönungstag“ und „Mesru“ in der gegenwärtigen Geſamtausgabe ihren Platz gefunden. Ihnen iſt ein Schauſpiel in fünf Aufzügen, „Der Graf von Beaujolois,“ zugeſellt worden, da ſich dasſelbe bei glücklicher dramatiſcher Abrundung durch eine reine, poetiſche Wirkung auszeichnet. Außerdem wurden noch „Die Täuſchungen“ beigefügt, ein kleines Proſa-Luſtſpiel, das unlängſt, bei Gelegenheit der goldenen Hochzeit des Königs Johann, im Dresdner Hoftheater zur Darſtellung kam.
Die Verfaſſerin ſelbſt hat übrigens einige ihrer Proſaſtücke,
bbſchon dieſelben zur Aufführung gelangten (3. B. den in München
und Dresden aufgeführten „Mörder“), in die Ausgabe ihrer „Original⸗ Beiträge zur deutſchen Schaubühne“ nicht aufge⸗ nommen; dieſe ſind denn auch der Geſamtausgabe nicht ein⸗ gefügt worden.
Aus den vorſtehenden Nachweiſen über den litterariſchen Nachlaß der Prinzeſſin iſt ſchon erſichtlich, daß ſie, bevor ihr Talent ſeinen Schwerpunkt fand, unermüdlich und in einer großen Menge von Richtungen das dramatiſche Gebiet durch— ſchweifte. Zum Zwecke kleinerer, raſch improviſierter Beluſtig—
ungen im Kreiſe ihrer Geſchwiſter verſuchte fie ſich ſelbſt im
Burlesken, und, wie in allen übrigen dramatiſchen Formen, ſo auch in dieſer keineswegs ohne Geſchick. Beſonders ergötzlich iſt unter dieſen raſch hingeworfenen Produkten einer übermütigen Stunde die Poſſe „Theſeus und Ariadne.“ Die ſchöne Tochter des Königs Minos zählt darin bereits 40 Jahre, iſt aber immer noch ledig, „denn Prinzen ſind jetzt ſelten.“ Sie läßt ſich daher von Theſeus, welcher auch ſchon mit 55 Jahren beſchwert iſt, entführen, hat aber das Unglück, unterwegs in einem Gaſthauſe
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von ihm im Stiche gelaſſen zu werden, da im gemeinſamen Reiſewagen Theſeus ſein Herz an ihre Kammerjungfer Phädra verloren hat, und er letztere nun wiederum der entführten Ariadne entführen muß. Der Wirt des Gaſthauſes erbarmt ſich jedoch der Verlaſſenen, und da er ſich bald als Gott Bacchus ſelber entpuppt, welcher auf die Erde kam, um den Weinfälſchern durch billige Preiſe das Geſchäft zu verderben, ſo ſchenkt Ariadne ihm raſch getröſtet Herz und Hand.
Man ſieht, um gute Einfälle war die Verfaſſerin auch auf dieſem Gebiete nicht in Verlegenheit.
In ſo vielſeitiger Weiſe ſchaffend und geſtaltend vollendete Prinzeſſin Amalie mit raſtloſem Fleiße ein dramatiſches Gebilde nach dem andern, für das, was in ihr lebte, Form und Aus⸗ druck immer von neuem ſuchend und, nach ihrer eigenen Ab⸗ ſchätzung, immer von neuem nicht findend. Endlich traf ſie in dem Schauſpiele „Lüge und Wahrheit“ auf die wirkliche Metall⸗ ader ihres poetiſchen Schachtes.
Das Stück wurde im Jahre 1833 an das Berliner Hof- theater eingeſandt, wie es ſcheint völlig anonym, da die Prin⸗ zeſſin, nach ſo langer freiwilliger Zurückhaltung von der Bühne, vor allem ein völlig unbefangenes Urteil über ihr Stück wün⸗ ſchen mußte; ſelbſt der Name A. Heiter hätte aber ſeit den vorge⸗ dachten Aufführungen des „Krönungstages“ und des „Mesru,“ für jenen Zweck nicht mehr dienen können, wie dieſer Name denn auch auf keinem Theaterzettel von „Lüge und Wahrheit,“ und ebenſowenig auf einem der ſpäteren Stücke wieder vor⸗ kommt. Am 24. Februar des folgenden Jahres, zur Geburts⸗ tagsfeier der Prinzeſſin von Mecklenburg, gelangte das Stück dann, wie ſchon erwähnt, im Palais der königlichen Prinzeſſinnen zur Aufführung, und drei Tage ſpäter gab man es im könig⸗
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lichen Schauſpielhauſe. Fräulein von Hagn ſpielte die Julie, Fräulein Erck die Friederike, Grua den Franz Willmer.
Die Aufnahme war ſeitens des Publikums eine ungemein günſtige, die Kritik verhielt ſich maßvoll zuſtimmend. Die Mehrzahl der deutſchen Bühnen beeilte ſich, das Stück ungeſäumt zur Aufführung zu bringen.
Fragt man heute nach den Gründen für den unzweifelhaft großen Erfolg jenes einfachen und anſpruchsloſen Schauſpiels, ſo muß man ſich vergegenwärtigen, wie wenigen der damals dem deutſchen Publikum gebotenen Stücke gerade dieſe ſchätzens⸗ werten Eigenſchaften nachzurühmen waren. In der That befand ſich das deutſche Theater im Anfange der dreißiger Jahre in der mißlichen Lage, weder ſelbſt ſich beſtimmter Kunſtrichtungen bewußt zu ſein, noch auch der allgemeinen Geſchmacksverwirrung Widerſtand leiſten zu können. Nachdem man ein Jahrhundert zuvor die ſentimentale Komödie mit ihren Selinden, Cephiſen und Orgons bewundert, dann dem Schwertgeraſſel der Ritter- ſtücke entzückt gelauſcht, und endlich mit den Stürmern und Drängern ſich in dem friſchen Luftzuge der Regelloſigkeit tapfer getummelt hatte, war man einerſeits auf die große Heerſtraße des Spießbürgerlichen abgelenkt, andererſeits tief in das Laby⸗ rinth des moraliſch Lockeren hineingeraten, hatte dazwiſchen den Weimarſchen Verſuchen zur Verwirklichung einer idealen Bühne mit gutem Willen zugeſehen, auch periodiſch in den Meiſterwerken jener Zeit Labſal und Erhebung gefunden, war aber endlich, von dem Glanze der romantiſchen Schule geblendet und nach allen Richtungen zugleich aufgeregt, unter dem Zauber talentvoller Mimen dahin gelangt, alles in buntem Durchein⸗ ander auf ſich wirken zu laſſen, und kaum noch das Gute von
dem Schlechten zu unterſcheiden. 18
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Das damalige Chaos kann wohl nicht beſſer anſchaulich gemacht werden, als mit den Worten Tiecks in ſeiner „Vogel⸗ ſcheuche,“ einer ſatiriſchen Novelle, welche im Jahre 1835, alſo bald nach den erſten Erfolgen von „Lüge und Wahrheit“ er⸗ ſchien und welche ſelbſt Raupachs zweifelhafte Verdienſte noch als einen Segen pries. „Denn,“ ſo heißt es dort, „wie ſchlimm ſtände es wohl um die deutſche Bühne, wenn Raupach nicht mit ſeinen hiſtoriſchen Dramen durchgedrungen wäre! Wir hätten gar nichts anderes mehr als Jockos, Melodramen mit Tableaus, Feuerwerk und Maſchinen, Ballete und jene Fratzen von den Pariſer Vorſtädten, die unſere ſchlechten Überſetzer ſich aus den Händen reißen, immer in der Eil' an die elendeſten geraten und ſie in ein ſo ſtümperhaftes Deutſch umſetzen, daß die Schul⸗ knaben es beſſer als Exerzitium machen müßten. Faſt alle Re⸗ giſſeure unſerer Theater, Sekretäre, viele Schauſpieler, alle dieſe ſchreiben und überſetzen, und welche Armſeligkeiten es ſind, weiß jeder, der ſich irgend um die Bühne kümmert ...“
Inmitten ſo ungeſunder Zuſtände, die vor allem ſeit der Julirevolution durch jene unklaren Sympathien für alles Fran⸗ zöſiſche ſtark beeinflußt worden waren, mußte das Schauſpiel „Lüge und Wahrheit“ in ſeiner ſchlichten, ungeſuchten Sprache und mit ſeinem guten, ſittlichen Kern wie ein Biſſen kräftigen Hausbrotes munden, deſſen würzigen Geſchmack der Gaumen über all dem Naſchwerk ſchier vergeſſen hatte. Im Verhältnis zu ſeiner erſten großen und allſeitigen Wirkung hat dies Drama übrigens nur eine mäßige Anzahl Aufführungen erlebt; auch beſteht es trotz ſeiner vielen liebenswürdigen Seiten nicht den Vergleich mit manchen ſpäteren Arbeiten der Prinzeſſin. Sein großes Verdienſt bleibt, daß es den Geſchmack des Publikums zur Beſinnung rief. Es hatte den Verſuch unternommen, ohne Moralpredigen und ohne Rührungsmittel, einzig durch das
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zu Worte kommen laſſen richtiger Empfindungen einem an ſich nicht bedeutenden Stoffe Kunſtwirkungen reiner und veredelnder Art abzugewinnen. Und der Verſuch war gelungen.
Durch den Erfolg ermuntert, wandte Prinzeſſin Amalie ſich von nun an ausſchließlich dieſer Kunſtgattung zu, und ihre beſten Werke ſtammen aus dieſer Periode. Wie ſehr dieſelbe ſie beglückt haben muß, läßt ſich ohne Mühe nachempfinden. Bis in ihr 40. Jahr hatte ihr ſchöpferiſcher Drang ſich in immer neuen Aufgaben, und doch ohne volle innere Befriedigung, ab- gemüht. Jetzt auf einmal durfte ſie an ihren dichteriſchen Beruf glauben. Mit dem ihr anvertrauten Pfunde zu wuchern, mußte ihr nun zur eigenſten Herzensſache werden. Großer und guter Wirkungen auf dem endlich gewonnenen Arbeitsfelde war ſie fähig, daran durfte ſie nicht mehr zweifeln. Aber ihre Jugend war bereits dahin und ihrem dichteriſchen Schaffen konnte nur noch eine kurze Spanne Zeit zugemeſſen ſein. Aus ſolcher Selbſt— erkenntnis, welcher freilich die Freude an immer neuen Beſtätig⸗ ungen des erſten großen Gelingens jede trübe Färbung nehmen mochte, iſt die Fülle der dramatiſchen Schöpfungen zu erklären, welche, von den glücklichſten Eingebungen ihrer Muſe begünſtigt, nun in ſchneller Reihenfolge entſtanden. Noch im Jahre 1834 erſchien: „Die Braut aus der Reſidenz;ö“ dann 1835: „Der Verlobungsring“ und „Der Oheim;“ 1836: „Die Fürſten⸗ braut,“ „Der Landwirt,“ „Der Zögling,“ „Das Fräulein vom Lande;“ 1837: „Der Unentſchloſſene,“ „Vetter Heinrich,“ „Der Pflegevater;“ 1838: „Die Unbeleſene,“ „Der Majorats⸗ erbe;“ 1839: „Die Stieftochter;“ 1840: „Kapitän Firnewald;“ 1841: „Die Heimkehr des Sohnes,“ „Der alte Herr;“ 1843: „Der Siegelring,“ „Regine;“ endlich 1845: „Der Brief aus der Schweiz.“ In dieſer Reihenfolge wenigſtens ſind vorge— nannte 20 Stücke in Berlin, Potsdam und Charlottenburg zur
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Darſtellung gelangt, zumeiſt allen anderen Bühnen voran. Das Münchener Hoftheater führte im ganzen 14 Stücke der Prin⸗ zeſſin Amalie auf, darunter zwei in Berlin nicht gegebene: „Pflicht und Liebe“ (1839) und „Der Mörder“ (1845). Das Hofburgtheater in Wien brachte 11 jener 20 Stücke zur Dar⸗ ſtellung. Auf dem Dresdner Hoftheater erſchienen außer dem mehrerwähnten „Krönungstag,“ den „Abenteuern der Thoren⸗ burg,“ den unlängſt gegebenen „Täuſchungen“ und einer muſi⸗ kaliſchen Poſſe: „Die Siegesfahne,“ in allem 24 Stücke der Prinzeſſin, darunter 19 von jenen 20 Stücken („Kapitän Firne⸗ wald“ wurde hier nicht gegeben), und ferner: „Fräulein Sy⸗ bille,“ „Der Mörder“ und „Ottfelds Erben,“ ſowie eine von Borrom. von Miltitz komponierte Oper: „Der Condottiere,“ deren Text die Prinzeſſin verfaßt hatte. Alle übrigen deutſchen Theater eigneten ſich von den Schau- und Luſtſpielen an, was den Kräften ihres Perſonals irgend entſprach. Nicht minder gingen dieſe Stücke teils auf die Bühnen, teils in die Litteratur des Auslandes über. So veröffentlichte die bekannte engliſche Schriftſtellerin Mrs. Anna Jameſon, welche ſich damals in Weimar aufhielt, eine Überſetzung von „Lüge und Wahrheit,“ „Der Oheim,“ „Der Zögling,“ „Die Fürſtenbraut,“ „Vetter Heinrich.“ Sechs der andern Stücke wurden im Jahre 1848 ins Engliſche anonym übertragen, und in Boſton erſchien eine Überſetzung des „Verlobungsrings.“ Auch in die dramatiſche Litteratur der Ruſſen, Ungarn und Italiener haben einige der Stücke ihren Weg gefunden, und in Paris glaubte ein ſpekula⸗ tiver Kopf dem Ruhme der fremden Bühnendichterin wenigſtens dadurch ſeinen Tribut darbringen zu ſollen, daß er unter dem Namen der Prinzeſſin Amalie eigene Machwerke aufführen ließ. Es hat ſich aus jener Zeit unter den Papieren der Prinzeſſin ein Exemplar des Pariſer Vert-Vert erhalten, welches das
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franzöſiſche Publikum auf das neue Geſtirn unter anderm in folgender humoriſtiſcher Weiſe aufmerkſam macht.
„La Saxe,“ ſo heißt es in dieſem Artikel, „est le pays des femmes eelebres, les dames y sont mille fois plus avancces qu'en France; elles boivent de la bière et mangent de la choucroüte comme un grenadier du grand Frederic; elles commandent la charge en douze temps comme Clara Wen— del, qui était nee à Drèsde, et éerivent presque toutes des drames aussi fantastiques que ceux de Goòthe et de Za- charias Werner. La princesse Amelie est un Faust en corset lac& et en jupons...
Les titres des principales pieces de la royale drama- turge pourront donner une idée de sa manière; la premiere livraison contiendra deux drames et un vaudeville, qui sentent leur fantastique d’une lieue. Le premier drame s’appelle „La Lune et le Damné““: une &clipse joue le prineipale röle; le second, écrit à la manière de Burgher, est intutil& ‚‚l’Ame en peine:“ le heros, qui est une fan- töme, se brüle trois fois la cervelle; le vaudeville a pour titre „le Rouet de Marguerite“: le docteur Faust y danse sur la corde roide comme Alcide Tousez, et Mephisto- pheles y chante de charmans couplets de circonstance sur les chemins de fer.
On nous fait esperer que ces divers ouvrages seront reprösentes cet hiver sur le theätre de M. de Castellane.“
Dieſe Notiz ſtammt aus dem Jahre 1837. Wie es ſcheint, hat das Theater des M. de Caſtellane ſich mit den angekündigten Stücken indeſſen nicht gerade beeilt, oder im Lärm der großen Stadt hat man ſich um die Quelle dieſer angeblichen Prin⸗ zeſſinnen⸗Dramen nicht näher bekümmert. Erſt drei Jahre ſpäter, als auf dem Theätre du Gymnase dramatique die
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Aufführung eines beſonders anſtößigen Stückes — es hieß: „une femme charmante“ — den Kritiker Jules Janin zu einer verwunderten Rüge über die Muſe der hohen Verfaſſerin veranlaßt hatte, kam der Betrug zu Tage. Ein mit der deutſchen Litteratur vertrauter Franzoſe, Mr. Pitre-Chevalier, beſorgte nun eine franzöſiſche Überſetzung von: „Lüge und Wahrheit,“ und der „Braut aus der Reſidenz.“ Die Pariſer Preſſe nahm keinen Anſtand, durch ſehr günſtige Beſprechung der Stücke jenen häßlichen Namensmißbrauch nach Möglichkeit gut zu machen, und ein vom Februar 1841 datierter Brief des Überſetzers weiß ſchon von zahlreichen Aufführungen zu berichten. Eine im Jahre 1843 von Louis Schwörer in London verfaßte franzö⸗ ſiſche Überſetzung der Originalbeiträge für die deutſche Schau⸗ bühne ſamt dem Supplementbande ſcheint Manufkript geblieben zu ſein. Dagegen erſchien eine franzöſiſche Überſetzung der „Fürſtenbraut“ von Henri Jouffroy ſchon im Jahre 1839 in Leipzig.
Allgemein äußerte ſich bei dieſer Berührung des Auslandes mit den dramatiſchen Arbeiten der Prinzeſſin neben der Be⸗ wunderung vor allem einige Verwunderung. Daß eine Prin⸗ zeſſin, und überdies eine ſächſiſche Prinzeſſin, im Stande geweſen ſei, mit ſolcher Kenntnis Verhältniſſe und Beziehungen zu ſchildern, die ihr doch notwendigerweiſe am allerfernſten liegen mußten, erklärte z. B. Mrs. Jameſon geradezu für ein Rätſel. Denn die ſächſiſche Hofetikette, fügt ſie ganz richtig hinzu, ſei während der erſten Jugendzeit der Prinzeſſin Amalie eine über⸗ aus ſtrenge geweſen. Zwiſchen Hof und Bürgertum habe eine Scheidewand der abſchließendſten Art beſtanden. Kaum ſei es den kleinen Prinzeſſinnen erlaubt geweſen, zu Fuß zu gehen, und als endlich in dieſer Hinſicht einige Nachſicht geübt worden ſei, habe eines der Prinzeßchen ſich als eine beſondere Ver⸗
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günſtigung die Erlaubnis erbeten, einmal über die ſchöne Brücke zu ſpazieren, die es ſo lange ſchon ſehnſüchtig vom Schloſſe aus
beäugelt. Dagegen ſei freilich an die großen Wandlungen zu
erinnern, welche der Krieg dieſen Verhältniſſen bereitet habe; an die dem königlichen Oheim der Prinzeſſin zweimal auferlegte Nötigung, ſeine Staaten zu verlaſſen, an ſeine Gefangenſchaft, überhaupt an die Erſchütterung ſo vieler europäiſcher Throne, alles Ereigniſſe ſo mächtig auf- und umrüttelnder Art, daß es vielleicht weniger zu verwundern ſei, wie die Prinzeſſin, vom 12. bis zum 23. Lebensjahre in ſolcher Weiſe von der rauhen Wirklichkeit berührt, für dieſe die Augen weit geöffnet habe, als daß ihre Muſe ſich dadurch nicht auf den Weg der großen Staatsaktionen und der gewaltigen tragiſchen Konflikte habe leiten laſſen.
In ſolcher und ähnlicher Weiſe ſuchte das Ausland ſich mit der ungewöhnlichen Erſcheinung dieſer Arbeiten abzufinden, nicht allerdings ohne dabei in den Irrtum zu verfallen, die Prinzeſſin habe in ihren Stücken vorwiegend das deutſche bürgerliche Alltagsleben geſchildert. Mrs. Jameſon z. B. iſt ſo ſehr in dieſer Annahme befangen, daß ſie ihre Überſetzung als eine Studie zur Kenntnis des deutſchen social life bezeichnet, und in ihrer dialogiſierten Vorrede dem Einwurfe, Vieles in dieſem social life werde in England aber nicht gefallen, mit der Antwort begegnet: Sie wende ſich auch gar nicht an den Geſchmack des engliſchen Publikums, ſondern an deſſen Neugier und Wißbegier, und die Frage laute nicht: „Wie ſoll im täg— lichen, häuslichen Leben das weibliche und das männliche Ge— ſchlecht in England ſich behaben?“ ſondern vielmehr: „Wie geſchieht dies in Deutſchland?“
Das klingt für uns Deutſche nicht ſehr verbindlich. Ohne Zweifel bezieht es ſich vornehmlich auf die Erörterungen, die
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in vielen dieſer Stücke beim Heiraten über den Geldpunkt an⸗ geſtellt werden. Sie entſprechen, wie bekannt, nicht den Durch⸗ ſchnittsgewohnheiten des deutſchen Bürgerſtandes, mußten aber vor allem in England befremden, wo der Regel nach keine Ausſteuer gegeben wird.
Übrigens iſt die oben angedeutete Annahme: „Die Grund⸗ lage für die dramatiſchen Arbeiten der Prinzeſſin ſei das bürger⸗ liche Leben in Deutſchland“ keineswegs eine nur im Auslande verbreitete Anſicht. Im Gegenteil iſt ſie überhaupt die her- kömmliche, und noch einer der unlängſt erſchienenen Nekrologe der Prinzeſſin bediente ſich wörtlich der eben citierten Be⸗ zeichnung.
Ein Blick in die Perſonenregiſter der Stücke genügt, um jene Auffaſſung als eine in ihrer Allgemeinheit unrichtige er⸗ kennen zu laſſen. Von den ſämtlichen im Druck erſchienenen Stücken der Prinzeſſin bewegen ſich nur 3 in rein bürgerlichen Verhältniſſen: „Lüge und Wahrheit,“ „Die Heimkehr des Sohnes“ und „Die Pflegetochter.“
In 4 weiteren Stücken, „Der Oheim,“ „Die Braut aus der Reſidenz,“ „Vetter Heinrich“ und „Der Siegelring,“ miſcht ſich Adeliges und Bürgerliches.
Die ſämtlichen übrigen Stücke beſchäftigen ſich mit Vor⸗ gängen in adeligen oder fürſtlichen Kreiſen.
Wie kommt es nun, daß man in Bauſch und Bogen die Stücke der Prinzeſſin Amalie für bürgerlich anzuſehen pflegt?
Der Grund, ſo ſcheint es, liegt darin, daß die Verfaſſerin die Standesunterſchiede als ſolche bei den Motiven ihrer Dramen völlig ignoriert.
Nie iſt in ihnen von einer beſonderen Standesehre die Rede, nie kommt der Ausruck vor: „Wir ſind der erſte Stand;“ und ebenſo iſt keinem Bürgerlichen ein bitteres Wort gegen den
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Adel in den Mund gelegt. Solcher Art bringt Prinzeſſin Amalie in allen ihren Stücken, zum großen Vorteile derſelben, die beſſeren Regungen des menſchlichen Herzens zu Ehren, ohne die verſchiedenen Stände ſondernd auseinander zu halten, und ohne zu fragen, ob Vorurteil oder Erfahrung nicht gegen die von ihr gewählten Vertreter dieſer oder jener Eigenſchaft hier und da Einſpruch erheben. In einer ungemein liebenswürdigen Umſchreibung der Wirklichkeit führt ſie uns zu Gemüt, wie in einem gegebenen Falle der gute Vater, der treue Freund, das ſinnige Mädchen handeln ſollten, und das gelingt ihr in einer fo deutſchen, herzlichen Weiſe, daß jeder Stand eigene, wohl- bekannte Züge zu erkennen glaubt und den Perſonenzettel darüber vergißt.
Daß dieſe Methode der Prinzeſſin, trotz ihrer beiſpielloſen Treue im Porträtieren des dienenden Perſonals, doch not— wendigerweiſe von einer photographiſchen Wiedergabe des deutſchen Alltagslebens abſieht, iſt in Vorſtehendem bereits dargethan. Gewiß liegt aber gerade in dieſem Hinausheben der Gegenſtände aus der Sphäre derjenigen Zuſtände, welche durch das Hervortreten der Standesunterſchiede verſtimmend getrübt werden, das Geheimnis der harmoniſchen, künſtleriſchen Beleuchtung, welche die meiſten Stücke der Prinzeſſin aus⸗ zeichnet.
In demſelben Maße freilich, wie der hier angedeutete Ver— zicht auf eine jo weſentliche Seite der geſellſchaftlichen Bezieh— ungen den Stücken zu ſtatten kam, ſchränkt derſelbe ihr Gebiet auch ein. Es iſt nicht zu verkennen, daß mit dem Vermeiden eines allzu individuellen Kolorits ſich im Proſaluſtſpiel das Feld des Darſtellbaren in ſchwieriger Weiſe verengt, zumal wenn wohlberechtigte weibliche Scheu noch ſelbſtbeſchränkend hinzukommt; denn wie manche Seite des menſchlichen Lebens
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entzieht ſich, wenn nicht der weiblichen Kenntnis, ſo doch der weiblichen Wiedergabe, und wie viele dichteriſche Erfolge giebt es, die nur dem Dichter erlaubt ſind, während ſich die Dichterin ihrer kaum zu erfreuen vermöchte. Berückſichtigt man dieſe er⸗ ſchwerenden Umſtände, und bedenkt man, wie dieſelben in ſo hoher Stellung ſich noch mit verdoppeltem Drucke geltend machen mußten, ſo gelangt man erſt zu einer richtigen Würdig⸗ ung der von der Prinzeſſin erzielten Wirkungen.
Noch heute ſind ſie nicht verklungen. „Dem Landwirt,“ „dem Oheim,“ „der Braut aus der Reſidenz,“ „dem Majorats⸗ erben“ wohnen Vorzüge inne, die trotz aller Umſtimmungen des Geſchmacks und der Gewöhnungen ihnen nach wie vor eine dankbare Aufnahme ſichern. Auch für „Vetter Heinrich“ bedarf es wenig mehr, als eines geeigneten Vertreters des Stellani, um den dauernden Wert dieſes dem Leben ſorgfältig abgelauſchten Charakterbildes immer wieder ins rechte Licht zu ſtellen. Be⸗ ſonders übertrifft aber „Die Fürſtenbraut“ alle Dichtungen verwandter Art durch eine ſo große Unmittelbarkeit der An⸗ ſchauung und ein ſo feines Verſtändnis für die dabei in Szene geſetzten Verwickelungen, daß ſich die Aufführung dieſes Stückes jederzeit dort empfiehlt, wo ſich nicht nur die Rolle des ſchönen Fräuleins von Wallenbach, ſondern auch die der Prinzeſſin⸗ Braut paſſend beſetzen läßt. Allem Anſcheine nach hat man die letztere Rolle zumeiſt Darſtellerinnen gegeben, welche zwar zu repräſentieren wußten, aber von den Reizen des Fräuleins völlig in den Schatten geſtellt wurden. Nichts kann dem Stücke nachteiliger ſein. Nur eine auch äußerlich günſtig ausgeſtattete Prinzeſſin-Braut giebt einige Gewähr für die dauernde Be⸗ kehrung ihres hohen Geliebten und verhilft dem Stücke zu einem wohlthuenden Abſchluſſe.
Von den mancherlei eigentümlichen Herzensergüſſen, in
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welchen zu Zeiten einzelne ihrer dankbarſten Bewunderer ſich gegen die Verfaſſerin Luft machten, hat vielleicht keiner ihr mehr Freude bereitet, als die folgende Zuſchrift, welche ſie unter ihren Papieren aufbewahrte:
Dresden, den 17. Januar 1836. Empfangen Ihro königliche Hohheit meinen wärmſten Dank für das geſtern geſehene Luſtſpiel — Der Oheim — das mir mehr Thränen entlockt hat, als manches geprieſene auf Kothur⸗ nen gehende Trauerſpiel.
Gerade ſo wünſchte ich ſchreiben und handeln zu können.
Dieſe wenigen Worte ſind der Erguß der reinſten Wahrheit und meiner innigſten Überzeugung.
Ein Zuſchauer von der Galerie.
Das nämliche Luſtſpiel gab einem Berliner Arzte Veran⸗ laſſung, ſich in einer anonymen Broſchüre über die Verdienſte einer Arbeit zu äußern, welche den Stand der Arzte wieder auf der Bühne zu Ehren bringe, nachdem derſelbe ſeit Moliere nur bitteren Verunglimpfungen preisgegeben geweſen ſei.
Glücklicher noch als dieſe und andere gutgemeinte Dankes— äußerungen ſtimmte die Verfaſſerin ohne Zweifel das Gefühl, daß neben der dichteriſchen Befriedigung und dem ſittlich guten Einfluſſe ihrer Bühnenſpiele, ihr durch die Erträgniſſe ihrer Muſe auch die Möglichkeit geworden war, ihrem Mildthätig- keitstriebe einigermaßen genug zu thun. Wie wenig oder wie viel bei der damaligen Rechtsunſicherheit des ſchriftſtelleriſchen Eigentums ihre dramatiſchen Revenüen betragen haben mögen — unverkürzt ſind dieſelben ihren Armen zu Gute gekommen, und mit Recht betonte kurz nach ihrem Tode ein warmer Nach⸗ ruf aus ſchauſpieleriſcher Feder, daß, wenn man die Prinzeſſin
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nach ihrer Mildthätigkeit Mate wollte, man ſie für eine der reichſten Fürſtinnen hätte halten müſſen.
Sn allem bis hierher über die Prinzeſſin Gusen nen haben ihre dichteriſchen Werke von ihrem Bilde weder ge— trennt werden können, noch ſollen. Um dem letzteren die größt⸗ mögliche Deutlichkeit zu geben, wird das hier und da ſchon flüchtig Berührte mit den wenigen Zügen zuſammenzufaſſen ſein, welche zu ſolchem Zwecke noch verfügbar ſind.
In ihrer Jugend war Prinzeſſin Amalie, obſchon von un⸗ anſehnlichem Wuchs, doch, um ihres ſchönen Auges willen, von anziehender Erſcheinung. Ein Ol-Porträt, welches Maler Geyer in ihrem neunzehnten Lebensjahre malte, und in welchem freilich ſein Pinſel die Wirklichkeit wohl etwas verſchönern zu müſſen glaubte, zeigt ein edel geformtes Antlitz, das aus großen hellbraunen Augen klug und offen ins Leben blickt, und deſſen vielleicht etwas ſcharfes Profil durch die halbe en face Richtung des Kopfes auf glückliche Weiſe gemildert erſcheint. Der Fleiſch⸗ ton iſt warm, das lichtbraune Haar umgiebt die Schläfen in reicher Fülle.“
Wie bekannt, war Prinzeſſin Amalie die einzige Tochter des Prinzen Max, welche unvermählt blieb. Man ſagt, ſie habe nicht ohne Neigung heiraten wollen, und da der Zug
ihres Herzens nicht mit den Forderungen ihrer Stellung zu 7
vereinbaren geweſen ſei, habe ſie verzichtet. In dem erſten Teile des Schauſpiels „Mesru“ kommen die Worte vor:
„Der Majeſtät des Thrones habe ich Von Kindheit an ins Auge blicken dürfen — Sie konnte mich nicht reizen, noch mich blenden.“
*) Es wurde von der gegenwärtigen Beſitzerin desſelben, Fräulein M. L. Pichler in Dresden, gütigſt für die Anfertigung des beigegehen a Holzſchnittes zur Verfügung geſtellt.
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Was hier die Fürſtentochter Timantia ausſpricht, ſind zweifellos die eigenſten Empfindungen der Prinzeſſin Amalie geweſen. Und augenſcheinlich dem nämlichen Ideenkreiſe ent— lehnt iſt jene Stelle des zweiten Teils, wo die königliche Mutter den Plan einer Verbindung ihres Neffen mit ihrer Tochter aufgiebt:
„Doch möcht' ich dieſe, meine einz'ge, nicht
Um ſolches Wunſches willen dem Geſchick
Der Fürſtentöchter unterwerfen, nicht
Das Glück mißgönnen ihr, das ich genoß —: Liebe und Pflicht auf gleichem Weg zu finden.“
Daß aber eine Jungfrau das Endziel weiblichen Glückes auch in anderer Sphäre als einzig in der Ehe ſuchen ſolle, ſpricht Prinzeſſin Amalie wohl am ſchönſten und einfachſten in den Worten aus, mit welchen — im „Siegelringe“ — ſich Antonie gegen Günther wendet:
Antonie: Es giebt ja andres Glück im Leben, als nur das der Liebe. Günther: Und welches? Antonie: Freude an fremdem Glück.
Was die jugendliche Antonie hier mit einer Faſſung äußert, die ſich über den Schmerz des Reſignierens ſelber zu täuſchen ſucht, das hat Prinzeſſin Amalie je länger deſto mehr zum Grundton ihrer Lebensanſchauung gemacht, und aus manchem ihrer Worte geht hervor, wie ſie namentlich in dem Glücke ihrer Geſchwiſter und in der Geſchwiſterliebe überhaupt Erſatz für anderes ihr Verſagte fand; auch iſt die Antigone des Sophokles unter den Werken der Alten immer ihr Liebling ges blieben.
Es bleibt noch die äußere Art, wie ihre Stücke entſtanden, zu beſprechen. In jugendlichen Jahren, zur Zeit als die Prin- zeſſin mit ihren Brüdern und Schweſtern fleißig Komödie ſpielte, rühmte man ihrem Spiele große Lebendigkeit und Sicherheit nach. In derſelben, raſch den Kern der Sache
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treffenden Art entſtanden ſchon ihre früheſten, aber auch ihre ſpäteren Komödien. Die Prinzeſſin war eine Vormittags⸗ Arbeiterin, und in heller Vormittagsſtimmung wurden jene biederen Väter, jene ſchüchternen Werber, jene gutherzigen Mädchen, jene unbeirrbar rechthaberiſchen alten Diener und Dienerinnen geſchaffen, die ſeitdem ſo oft beim Lampenlicht der Bühne das deutſche Publikum ergötzten und rührten. War ein Stück glücklich zum Schluſſe gelangt, dann mußte Frau Brandt, ihre treue Kammerdienerin — faſt könnte man ſagen: Ver⸗ traute — das erſte Auditorium für dasſelbe abgeben, nach der beſcheidenen Verſicherung der Hörerin: Nur um der Prinzeſſin Gelegenheit zu bieten, im Lautleſen ſich ſelbſt über ihre Arbeit vollends klar zu werden, während es wohl nicht minder der Zweck der Verfaſſerin war, von vornherein ſich eines ehrlichen und naturwüchſigen Urteils zu verſichern. Daß die Gutmütig⸗ keit ſo der Dichterin wie des Auditoriums es mit dem Abſtrafen der Schuldigen nicht immer ſtrenge nahm, hatte wenig zu ſagen. Für allzu belohnende Verzeihungen, wie ſie dem reuigen Mi⸗ niſter Graf Winterſtein in „Pflicht und Liebe“ zu Teil werden, und wie ſie ſchon in „Lüge und Wahrheit“ über Juliens arge Wahrheitsumgehungen glimpflich weghalfen, entſchädigte reich⸗ lich das gleichzeitige Glücklichwerden unterdrückter Verdienſt⸗ voller und verkannter Braver, und das deutſche Publikum pflegte dieſem Verdikt ſeine Zuſtimmung nicht zu verſagen.
Was die Art betrifft, wie die Prinzeſſin Menſchen und Dinge ſtudierte, ſo wäre ohne Zweifel viel von ihrem freudigen Ausnutzen jeder Gelegenheit zum Erweitern ihres Geſichts⸗ kreiſes zu erzählen. So z. B. war ſie beim Ausbruch der Mai⸗Revolution eben im Begriff, mit der Prinzeſſin Auguſte die Reſidenz zu verlaſſen, als ihr Wagen an einer Straßenecke vorüber kam, wo ein ſehr ungeberdiger Mann von einer um⸗
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geſtürzten Bude herab zu einer großen Menge Volkes mit heftigen Worten redete. Prinzeſſin Auguſte hatte alle Mühe, zu verhindern, daß Prinzeſſin Amalie nicht anhalten ließ; gar zu gerne hätte ſie dem Manne eine Weile zugehört, und daß ſie wenigſtens Zeit genug erübrigt habe, um ſich die ganze Szene deutlich einzuprägen, pflegte ſie bei Erzählung dieſes Abenteuers nicht unerwähnt zu laſſen.
Mit welcher Herzensgüte ſich ihre Luſt an den unzeremo⸗ niellen Seiten des Lebens paarte, davon erhielt unter anderm ein Soldat eine Probe. Derſelbe — ein muſikaliſcher Dilet- tant — ſtand eines Tages vor einem der Gemächer der Prin— zeſſin im Taſchenberg-Palais auf dem Poſten. Er hatte be— merkt, daß ſich in einem der Zimmer ein Flügel befand, und ihn gelüſtete nicht wenig, einmal ein prinzliches Inſtrument dieſer Art zu verſuchen. Prinz Anton und ſeine Gemahlin waren ausgefahren. Von dem Vorhandenſein einer Adoptiv- tochter mochte der Mann nichts wiſſen. Diener ließen ſich auch nicht ſehen. Offenbar war niemand zu Hauſe und er im ganzen Stockwerk allein. Er ſtellte daher ſein Gewehr draußen an die Wand, ſchlich über die Schwelle und begann in beſter Laune einen Tanz herunterzuſpielen. — Prinzeſſin Amalie, welche ſonſt in einem der anſtoßenden Zimmer über ihren Büchern zu ſitzen pflegte, war wirklich nicht zu Hauſe. Wohl aber hörte den kecken Muſikanten mit Entrüſtung eine in der Nähe be— ſchäftigte Dienerin, nötigte ihn zu ſchleunigem Rückzuge und ſtattete der bald darauf heimkehrenden Prinzeſſin pflicht⸗ ſchuldigen Rapport über den Eindringling ab. Mit welcher Angſt derſelbe draußen ſeine Stunde zu Ende geſtanden haben mag, läßt ſich denken. Der Mann iſt indeſſen ohne alle Strafe durchgekommen, und erſt Jahre darauf hat die Prinzeſſin den Vorfall lachend im Kreiſe der Ihren zum Beſten gegeben.
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Wirklich dichteriſcher Anleitung entbehrte die Prinzeſſin wie in ihrer Jugend, ſo auch in der ſpäteren Zeit ihrer Thätigkeit, während es allerdings fraglich iſt, ob ihr mit Rat und guten Lehren genützt worden wäre. Was Hofrat Winkler (Theodor Hell) beim Durchſehen derjenigen Stücke, welche ſie ihm mit⸗ teilte, als Randgloſſe bemerkte oder ſonſtwie vortrug, iſt, ſoweit ſeine Briefe darüber ein Urteil geſtatten, nicht gar weit über die rein bühnentechniſche Seite hinausgegangen. Mit Tieck ſtand die Prinzeſſin in keinem Zuſammenhange, obſchon ſie ihn einige Male als Vorleſer hörte und ihn als ſolchen hochſchätzte. Auch zu den litterariſch gebildeten Männern, welche Prinz Johann — der ihr am innigſten naheſtehende ihrer Brü- der — in früher Zeit um ſich zu verſammeln pflegte, trat die Prinzeſſin in keine Beziehung.
Um ſo lieber verkehrte ſie mit Büchern. Sie hatte, ſo lange ihre Augen es geſtatteten, keine Vorleſerin, da ſie nur beim Selbſtleſen ganz bei der Sache ſein zu können glaubte, eine natürliche Folge ihrer regen Phantaſie. Über dem leb⸗ haften Spiel der letzteren pflegte ſie auch wohl auf Spazier⸗ fahrten ihre Umgebung zu Zeiten ganz zu vergeſſen, und zumeiſt gingen landſchaftliche Schönheiten ſpurlos an ihr vorüber (ſ. da⸗ gegen S. J), während jede Begegnung mit Perſonen, gleich⸗ viel welcher Art, ihre Beobachtungsluſt ſofort wach rief. In⸗ gleichen war ſie für bildende Kunſt nicht leicht zu erwärmen, und die Kunſtſchätze Italiens ſind der Prinzeſſin Amalie, trotz ihrer vielen Reiſen dahin, nie zu wirklichen Vertrauten geworden (ſ. desgleichen S. 4); vor allem in Florenz, wo ſie ſo oft und gern verweilte, wird ſie ihre glücklichſten Stunden nicht in der dortigen „Tribüne,“ ſondern im Kreiſe ihrer kleinen Nichten und Neffen verlebt haben, für welche ihr Märchen⸗Erfindungs⸗ talent ſich als nahezu unerſchöpflich erwies. Auch hat ſie dieſen
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dankbaren Hörern zu liebe eine Reihe ſelbſterfundener Märchen aufs Papier geworfen; dieſelben find jedoch Manufkript geblieben.
So bei ihren Lieben in der Fremde weilend, oder daheim die Winter im Dresdner Prinzenpalais, die Sommer teils am ſchönen Elbufer in Pillnitz, teils auf den übrigen Landſitzen ihres königlichen Bruders zubringend, eine Tröſterin der Ihrigen in mancher ſchweren Zeit, ein Hort verſchämter Dürftiger, eine Chriſtin im beſten Sinne des Wortes — ſo iſt Prinzeſſin Amalie in ſtiller Zurückgezogenheit gealtert. Im Laufe der Zeit hatten ihre ſchwächer werdenden Augen ihr mehr und mehr Sorge bereitet. Allmählich entwickelte ſich der graue Star, und im Jahre 1851 ereilte ſie das traurige Schickſal des Erblindens. Sie trug es mit Ergebung und hoffendem Vertrauen. Im Jahre 1855 konnte durch Profeſſor Dr. Coccius in Leipzig der Verſuch einer Operation gemacht werden. Derſelbe gab wenig- ſtens dem einen Auge der Prinzeſſin die Sehkraft wieder.
Noch fünfzehn Jahre war es ihr vergönnt, ſich dankbaren Herzens dieſes köſtlichen Geſchenkes zu freuen.
Im Spätſommer des denkwürdigen Kriegsjahres 1870 nahmen ihre Kräfte jedoch in merklicher Weiſe ab, und am 18. September umnachtete ſich ihr von neuem die Welt, dies— mal ohne daß menſchliche Kunſt ſie ihr wieder zu erhellen ver— mochte — die ſinnige Prieſterin der Muſen hatte von dieſer wild erregten Erdenbühne Abſchied genommen.
Daß auch ſie dazu beigetragen hat, in einer freudenarmen Zeit dem deutſchen Volke die Stirn zu glätten, den Glauben an ſeine eigene Güte und Tüchtigkeit in ihm zu befeſtigen und die edleren Regungen ſeiner Bruſt ihm ſelber wert zu machen — dieſes Verdienſt wird ihr unvergeſſen bleiben und ihrem Namen ein dankbares Andenken ſichern.
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Von dem Herausgeber der „Memoiren“ iſt vor Kurzem erſchienen:
Die Somofierra. Roman aus dem ſpaniſchen Bühnenleben.
Von
Nobert Waldmüller (E. Duboc).
In gediegener, eleganter Ausſtattung. Broſchirt 4 4,50. Sehr elegant gebd. 5,40.
daft verſtanden, den Inhalt kunſtſchön a eng das Werden und Kämpfen der Heldin n vertraulicher Weiſe auf den Gipfel zu
änden wir hinter einer durchſichtigen Glaswand und ſchauten ungeſehen mitten hinein
eben dem feinen pſychologiſchen Reiz, welchen der Einblick in das Wollen und Werben einer weiblichen Seele voll Adel und Wahrhaftigkeit gewährt, find es die ſpaniſchen Heim ⸗ lichkeiten, welche in der Erzäblung der Somoſierra anziehen. Im weſentlichen ſind ja die Spanier noch heutzutage fo, wie fie bier geſchildert werden: Noch immer iſt germaniſche Heldenehre und arabiſche Tücke und Sinnlichkeit auf dem Boden, welchen ſchon die Cultur des Alterthums bebaute, nicht ausgeglichen. (Prof. Dr. Frz. v. Löber.)
Levy & Müller, Verlagsbuchhandlung in Stuttgart.
Edelwitha. Die Achüpſung des Edelweiß. Eine Alpenerzählung in ſieben Geſängen. Von
Julius Zähler.
ONinia tur- Ausg abe. Eleg. gebd. „u 2,50.
— —
Ein wunderbübiches, ſinniges Märchenbild aus der Alpenwelt, das namentlich junge Mädchen mit großem Vergnügen leſen werden. (Victoria.) Ein elegant ausgeſtattetes Bändchen mit Goldſchnitt, präfentiert ſich dieſes kleine Buch als eine gefällige Erſcheinung, deren poetiſcher Gehalt, in Jamben gekleidet. men anfpeißt. de Beach kan ie ng ber eee. Feſtgeſchenken und ſei für eiten eachtung unſerer Leſer empfohlen. er 12 , . (Berl. Fremdenblatt.)
C. C. Meinhold & Söhne, Verlagsbuchhandlung in Dresden.
Die geleſenſte Zeitſchrift für die heranwachſende Jugend iſt die
Redaktion: H. Stiehler. Artiſtiſche Leitung: Wilh. Claudius.
Diefe Seitſchrift beginnt mit Neujahr 1883 ihren 21. Jahr:
gang; monatlich erfcheint ein Heft von 32 Seiten Text mit
zahlreichen Illuſtrationen und einem Farbendruckbilde zum Dreife von 40 Pf.
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Redaktion und Verlagshandlung ſind beſtrebt, der Jugend das zu bieten, was ihr frommt: Erzählungen anerkannt tüchtiger Jugend⸗ ſchriftſteller, Schilderungen aus der Natur- und Länderkunde, ge⸗ ſchichtliche Auſſätze und Lebensbeſchreibungen berühmter Männer und Frauen, Preisaufgaben, Rätſel u. ſ. w.
Frei von gelehrtem Wuſt giebt die „Kinderlaube“ das von ihr Dargebotene in einer anregenden, unterhaltenden Form; ſie tritt ergänzend und vermittelnd da ein, wo der an die Lehrpläne gebun⸗ denen Schule Halt! geboten iſt; es iſt den Eltern nicht immer möglich, die Lektüre der Jugend zu überwachen und eine Grenze da zu ziehen, wo das Zuviel anfängt; die „Kinderlaube“ hält alles das fern, was die ſittliche und Herzensbildung zu ſtören geeignet iſt, ſie be— lehrt in unterhaltender Weiſe und iſt deshalb von vielen Jugend⸗ bildnern als ein Mittel zur Unterſtützung des Hauſes und der Schule empfohlen.
Sie tritt in den neuen Jahrgang mit dem feſten Willen, ſich ſolcher Empfehlungen immerdar wert zu zeigen.
Alle Buchhandlungen und Poſtanſtalten nehmen Beſtellungen an.
Die Verlagsbuchhandlung: E. E. Meinhold & Söhne in Dresden.
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