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Gift of

Mrs. Gertrude B. Mahrholz

STANFORD UNIVERSITY LIBRARIES

ä

PT 2527 Sc 6 /85’] v, le /8

Ferdinund rad 5 ausgewählte Schriften

Volks- und Familien-Ausgabe.

Sehsyehnter Em.

Zweite Auflage

Leipzig, Ernft Keil. 1858.

Meossofen

Rovellen und Erzählungen

von

Ferdinand Stolle.

Aueiter Cheil.

|

Zweite Auflage,

Leipzig, Ernſt Keil, 1858,

Die Nofe von Segovia.

Launige Erzählung.

1.

SH lange die civilifirte Welt fteht, und das ift fo lange nicht her, da fie dieſes Prädicat erſt durch bie wohllöblihen Poſtämter und Zeitungserpebitionen an fi) gebracht Hat, jo lange ein anfehnlicher Theil des löblihen Poſtperſonals das Gegentheil vom Poſtpa— pier, und die Lungen der Briefträger pulfiven in of- ficieller Haft, ift von legteren noch feiner mit folcher

Sehnfucht erwartet worden, als der Briefträger Jacob Flügel vom Studenten Johannes am heiligen Car— pafinstage.

Bereit3 feit einer halben Stunde, denn Johannes wußte genau, wenn die gebirgifche Poſt bei gutem ‘oder böfem Wetter eintreffen mußte, hatte dieſer fei= nen Kopf in die warme Atmosphäre der Gaffe hin- aus gefteckt, wie in ein wohlthuendes Bad. Daß die— fen Morgen ein wunderfchöner Frühlingstag aufges blüht war, das ſchien ihm klar; wiewohl er von den blauen Frühlingswellen, die unter Lerchengefang über Giebel und Dächer dahinwogten, nicht das Geringfte gewahr murbe, weil er Nichts davon jah. Selbft dem Heinen Gilberftreifen über fi), aus dem wie aus einem Himmmelsriffe Licht und Luft in die winterfeuchte Gaſſe herabftrömte, fonnte er ohne Gefahr den Briefe träger zu verpaffen, Feiner Betrachtung widmen. Wäre

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[

nicht Pofttag geweſen, jo würde fi Johannes unbe- ftritten auf den Oberboden des Haufed begeben. ha= ben, wo die Hafenfelle des Hutmachers hingen, und wo er wenigften® fo viel Himmel zu ſehen befam, als er brauchte für feine Bruft. Daran war heut nicht zu denken.

Für die Späherblicke des Studenten nach dem Briefträger konnte es aber diesmal nichts Aerger— liches geben, als der Erker des Nachbarhauſes, der wie ein Glasſchrank weit in die Gaſſe hineingebaut war. Johannes fonnte zwar hindurch fehn und that's au, aber e8 half ihm Nicht und daran war eine Gevatterfchaft ſchuld. Die Erferfürftin war Pathe und ließ ſich frifiren. Das gefanmte dienende Pu- blikum, ver Frifenr an der Spitze, tanzte in gejchäf- tiger . Eile wie die ‚Kinder Ifrael um das ferzengrad- fisende Steipbild. Moſes konnte fi) vor zweitaufend Fahren über ſolche Heidengräuel nicht mehr ärgern als Johannes.

Indeß gelang ihm nad langen vergeblichen Ver⸗ ſuchen ein entjcheivender Blick zwifchen den Erferpu- biifum hindurch, und zwar mitten durch eine majeftätifche Haarpuffe, die foeben unter ver Meifterhanp des Friſeurs emporgeftiegen war.

Die Crferfürjtin, die feine Ahnung hatte, daß die fühnen Windungen ihres Haupthaard dem Stu— benten als Lorgnette dienten, nad) dem Briefträger zu guden, blieb ruhig figen, und fo warb dem Jo— hannes endlich die Freude, am äußerften Ende der Straße einen gelben Punft zu entveden, der aber fogleich wieder unſichtbar wurde.

‚Wenn das nicht Flügel war, will ich nicht Jo— hannes heißen,‘ rief der Student und tanzte in der Stube. herum; denn jet konnte er ſich ſchon einige

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feine Fenfterferien erlauben, da er mit dem Laufe des Briefträgerd genau befannt war. Flügel brauchte wenigftend eine Biertelftunde, ehe er wie eine Maus die Schluchten und Gemächer des Frenzel'ſchen Haus ſes, in weldhem er unfihtbar geworben, durchfahren hatte. Johannes allein kannte fieben ftudirende In— quilinen daſelbſt, vie alle auf Geld Tungerten und in Flügeln den Gefegneten des Herm verehrten.

Indeß litt es unfern Freund nicht allzulange im Stübhen; er lag bald wieder im Fenſter und ſah durch die Puffe, welche unterdeß zwei ebenbürtige Colleginnen erhalten hatte. Da ſah er, wie ſo eben zwei lange Landsmannſchafter mit rothen Mützen, die Briefcouverts® in der Hand, aus dem Frenzel'ſchen Haufe ftürzten und der Poft zu. Ein Haufe Mani: häer trampelte hinter drein. Ein paar Burfchen- Ihafter folgten. Endlich erfchien Flügel felbft, wie ein Gott, der Segen fpenbet, Hoffnungen vernichtet. Dreizehn hoffnungslofe Phyfiognomien, auf denen fid) ſämmtlich getäufchte Erwartung malte, wurden jeßt in den Fenſtern ber vierten Etage fihtbar und fahen den Davoneilenden trübjeligen Blickes nad).

Indeß mußten die Beobachtungen, die Johannes durch den Erfer und Buffe angeftellt hatte, nicht. bei= fällig bemerft worden fein, denn mit einem Male fenfte ji eine graue Wand herab; und wenn Jo— hannes nit die Kunft verſtand, um die Ede zu je hen, ftand es ſchlimm. Er tobte und verwünfchte ven Erferbau und lobte e8, daß Feine ſolchen Glasſchränke mehr geduldet würden. Er befam num Slügel nicht eher wieder zu Geficht, als bis dieſer durch Die end- Iojen zwei -Häuferreihen ſich durchfreſſen und ganz nahe war, wozu es noch einer ſchönen Zeit bedurfte. Johannes benubte dieſe, um ſeine Habſeligkeiten vol—

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lends zufammen zu paden, und dem verehrten Leſer kann zugleich vertraut werben, warum Johannes grade heut auf dem Briefträger fo erpicht war.

Die Sache war diefe. Der Onkel unſers Jo— hannes, ein Mann an Herzlichkeit, Biederkeit und Humor, wie e8 wenige giebt, hatte ein höchſt roman- tiſch gelegnes Waldſchloß ererbt; und da die Lage deſſelben fo wunderfhön und die Gegend jo roman tisch, daſſelbe mit feiner Bamilie feit Kurzem für be— vorjtehenden Frühling und Sommer bezogen; den Neffen aber bereits gelegentlih einladen lafjen, die bevorftehenden Frühlingsferien bei ihm zuzubringen, - und heute follte denn die officiele Einladung erfolgen, nebft erklecklichem Viaticum.

Johannes, nachdem er noch ein paar juriſtiſche Wälzer in den Torniſter geſchoben, eilte wieder an's Fenſter und hatte den Moment ſo gut getroffen, daß er nicht lange zu warten brauchte, als Flügel aus dem Nachbarhauſe ſchief über herauſstrat. Dieſer ſo wie er unſern Freund, der auch der ſeinige war, anſichtig wurde, ſchwenkte ſeine Mütze hoch in der Luft, und verſchwand gleich wieder in der angren— zenden Tabadshandlung.

Dieſes Mützenmanöver war aber ein Außerft gün— jtiges Phänomen für Iohannes, der fi Flügeln zum lebendigen Telegraphen abgerichtet hatte Ihm blieb jest nichts Eiligeres zu thun, als ever und Tinte zum Quittiren hervorzuſuchen; und bald trat der Gejegnete des Herrn in's Zimmer.

Der Brief des Oheims, den zu Johannes frohem Schreck mehre Louisd'ore begleiteten, lautete aber wie folgt:

„Mein guter Hans! „Laß Alles ſtehen und liegen und komm zu uns.

44 Wir können des Frühlings nicht Herr werden. Du mußt helfen. Wir freuen uns Alle fehr auf Did. Aber um fiel zu leben, mußt Du Di für dieſe Ferien zu folgenden Bedingungen verftehen:

A, Den Yuriften auszuziehen.

B. Seine homöopathifhe Kur anzufangen.

C. Keine Journale zu Iefen.

D. Did nicht zu verlieben.

„Ohne diefe Bedingungen halte ich ein poetiſch- humoriſtiſches Leben für nicht denkbar und ein foldyes wollen wir führen. Bring doch einen guten Freund mit. Wo möglih fo ein Stüd Poet; Du verftehft mid ſchon. In unfrer Gegend findet er Futter, und ih) hab es für's Leben gern, wenn ſich die Leute ber herrlichen Natur freuen. Ale grüßen herzlih und mahnen zur Eile. Oben an fteht j

. Dein alter Onkel.”

As Poftfeript waren nody folgende Worte von

niedliher Mädchenhand gejchrieben: „Wir fürchten und ganz entſetzlich in dem alten Schloſſe. Helfen Sie uns ja recht balo, lieber Vetter, gegen die Gefpenfter kämpfen. Pauline. Zugleih im Namen der Mutter und Schweſter Maria.”

Das Erfte, was Johannes nah Durdlefung des Briefs vornahm, war,. daß er fi) wie der böſe Feind über den Tornifter warf und mit einem Griffe zwei corpulente Panvectenhefte herausrig. Meiſters Cri- minal- und Biener's Prozeß folgten. in jchönes Kirchenheft mit diverſen Schwänzen ereilte daſſelbe Geſchick. So, rief er erleichtert auffpringend, ift der Yurift ausgezogen. Der Onkel hat ganz Net, wie konnte mir's einfallen, den Frühling auf dem Lande

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dur dieſe Wälzer zu entweihen. Cr griff wieder nad) dem Driefe und las: „Keine homöopathifdhe Kur anzufangen.” Ich verftehe, ver Onkel hat einen treff- lihen Wein im Keller, wer ba nicht trinft, iſt nicht fein Mann.

Drittens: ‚Keine Journale zu leſen.“ Das iſt freilich ſchlimm. Geſtern erſt hab ich ein halb Dutzend ſchöner Gedichte in die Zeitung für elegante Welt geſchickt, die gewiß bald erſcheinen werden, und wo durch ich mich bei den Damen in Buchenfels zu in— finuiven hoffte. Närriſcher Ontel.

Viertens: „Sic nicht zu verlieben.‘

Diefe Worte ſprach Iohannes etwas leife wor ſich hin. Eine leichte Wolfe floh dabei über das ſchöne Geſicht.

Nachdem Johannes auf dieſe Art das Schreiben commentirt, machte er ſich nah dem im ‚Briefe er- wähnten Freunde auf den Weg.

2.

Der Student Eginhard jchritt fo eben, Heine's Keifebilder in der Hand, mit großen Schritten im Zimmer auf und ab und declamirte:

„Britannia, dir gehört Das Meer; aber das Meer hat nicht Waſſer genug, um abzuwafchen die Schande, Die der große Todte dir fterbend vermacht hat.“

Da ftürmte Johannes herein, den Brief des On- feld in der Hand. ‚Da lies, Beſter,“ rief er, und hielt dem Deflamator den Brief hin. Diefer aber ließ ſich nicht ftören und fuhr fort:

„Nach langen Jahren noch werden die Stnaben Granfreih8 fingen und jagen von ver fihredlichen

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Haſtfreundſchaft des Bellerophen, und wenn dieſe Spott- und Thränenliever binüberflingen über den tanal, giebt e8 fein Britannien mehr.“

„Nimm Bernunft an und höre mid,“ beſchwor ohannes; aber Eginhard gerieth nur noch mehr in's feuer, und rief mit erhobener Stinme:

„Und Sanct Helena ift das heilige Grab, wohin ve Völker des Orients und Occidents wallfahrten in untgewimpelten Schiffen und fih ſtärken an ven haten des weltlihen Heilands, ver gelitten unter Sir Hudſon Lowe, wie es gejchrieben fteht in den vangelien des Las Cafes, Omeara und Antomardıi. höttliher Heine!“

Cr ſank erſchöpft in, den Seſſel. Johannes er⸗ udigte ſich jetzt, ob der Raptus vorüber? Aber tt der Antwort tönte es dumpf: „Wie e8 gefchrie- n fteht in den Evangelien des Las Caſes, Omeara dw Antomarchi. Göttliher Heine! Doch glei rauf ſprang Eginhard wieder auf und fiel dem Jo— mes um den Hals.

„Weißt Tu e8 fon,” rief er, „ein neuer Band n Heine iſt erſchienen!“ „Ta weiß id) nod) sured,“ ſprach Johannes, und reichte den Brief bin.

„Böttliher Heine!” murmelte Eginhard vor fid ı und begann Das Schreiben zu lefen; aber kaum tte er es überflogen, als er mut beiden Armen den eund erfaßte und zu walzen begann.

Johannes, mit der drolligen Art Eginhard's wohl annt, walzte mit, bis der Enthuſiaſt nach Yuft tappend ausrief: „Das ift übergöttlich. Wenn en wir?“

„Lieber heut al8 morgen.‘

„Auf der Stelle, Theuerftr! Das wird eine mmlishe Romantif. Die Coufinen, find fie hübſch?“

A

„O ja, recht hübſch.“

„Natürlich, Pauline heißt die holdſelige Schrei— berin; alle Paulinen ſind wunderhübſch; ich habe noch feine häßliche gekannt. Und Maria! O engel- gleicher Name

„Maria möcht' ich Dich begrüßen Mein Herz hat ſtets Dich ſo genannt!“

„Armer Wilhelm Müller,“ fuhr der Enthuſiaſt in Wehmuth übergehend fort, „er hat dieſen ſchönen Frühlingstag nicht erlebt. Aber er ſoll leben. Komm Freund, wir bringen ihm einen Becher in Orlando's geifterreidher Tiefe. Wir haben es ja lange nid daran gewendet. Wein, Freude und dazwiſchen ein "Klang der Wehmuth und Erinnerung an heimgegan= gene Lieben wir lieben e& ja Beide.“

Johannes ließ ſich das heute nicht zwei Mal fa gen, und wenn e8 dem Leſer gefällig, fo Hettern wir ein wenig mit hinab zu Orlando.

3.

Orlando's weltberühmter Weinkeller beſtand aus zwei Abtheilungen, wovon die erſtere das Forum hieß. Hier war es wohnlich, hell und gemüthlich. Hier ſaßen an den langen polirten und zierlich mit Wachsleinwand überzogenen Tiſchen die Advokaten, die in einem Viertelſtündchen einen Termin in dem nahegelegenen Rathhaus abzuwarten hatten; die Me= diziner, die auf ihren Krankenbeſuchen zufällig. an der verführerifchen Kelleröffnung vorbeigeführt wur- den; die Chirurgen, die fih Courage tranfen zur be- vorftehenden Operation, und Canditaten, die dafjelbe thaten, wegen des heutigen Examen; Sthaufpieler,

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je tie Probe verfäumt; Studenten, die mit lobene- verthem Eifer in die Panvdecten gerannt, aber vom eltfjam lächelnden Famulus erfahren, daß die Frau Gemahlin des Pandectarius eines Söhnleins genefen; Dekonomen der Umgegend, tie Hafer und Wolle zur Stadt gebracht; Aefthetiler, Polititer und jchöne Gei— ter von Profeſſion.

Berge von Zeitungen aus allen Weltgegenven vom ſächſiſchen Trompeter bis zum Moniteur Ottoman yurden alle Tage wie heut aufgeſchüttet und ver- hlungen. Zuweilen floh die gejellige .Wechfelrere sie Schmetterlinge über die Gefellihaft, zumeilen wie: er gab es ſtürmiſche Debatten. Alle politiiche, veligiöfe nd Titerariihe Farben und Parteien waren vertreten.

Nur an gewiſſen Tagen herrichte Zoptenftille, 5 der Abjolute ruhig neben vem Radicalen, der Supernaturalift ruhig neben den Nationalen, ver [lopath ruhig neben dem Jünger Hahnemann’s, und ian vernahm nur ein allgemeines Eſſen, wie bei ven yeufchredfen, die man auch nicht zu ſehen braudıt, m von ihrer begleitenden Nähe und ihrem Appetite berzeugt zu fein. Dieſes merkwürdige Phänomen md aber allemal an folben Tagen jtatt, wo Herr Irlando feine neu angelangten Brüden, Sprotten, achſe und feinen veliciöfen Cheſterkäſe im Tageblatte ngekündigt hatte.

Links ab vom Foro führte aber ein ſchmaler, unkler Gang zu einer kleinen mit Eiſen beſchlagenen hür. Nur ganz entfernt vernahm man hier noch m Lärm des Forum. Gin düſtres Yämpchen be= uchtete Die dunfle Pforte Das war der Eingang ir zweiten Abtheilung des Kellers, das heilige zrab genannt. That fih die Pforte auf, fo fah tan in die finftere Felſenſchlucht hinein, durch welche

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eine ſchmale Treppe zum tiefunterften Keller führte. Hier Lagen in dunkler, geheimnißvoller Stille vie Cabinetsftüde des Orlando, in langen Stüden. Was die Sonne vor langen, langen Jahren gekocht Hatte auf fernen weinfröhlicyen Hügeln, ruhte ſtill und hei- lig in den gediegnen Stüdfäffern. Hier lagerten bie Ihweren dunklen Ungarweine, die golonen Perlen des Rheingaus, die flammenden Italiener und ver ölige, dunfelfarbige Ausbruch des glühenden Hispaniens.

Eginhard und Johannes, die Bruft voll Himmel und der Eine überdies drei wahrhafte Louisd'ors in der Zafche, hatten eben im Sonnenlichte geſchworen, einmal einen Ducaten nicht anzufehen und lebenpi- gen Leibes hinabzufahren zum Grabe.

„E83 ift nut Jammerſchade,“ meinte Eginhard im Hinabklettern, „daß ih Hauf's Rathskeller nicht zu mir geſteckt habe,“ und Hans beſtellte eine Flaſche Pedro Ximenes. Zwei Wachskerzen erleuchteten dü— ſter die todte Weingruft; der dunkle Spanier flammte und duftete; die Römer klangen an einander.

„Den heimgegangenen Lieben, begann Johannes anftoßend, „und allen guten Meenfchen, vie dort oben . wandeln in Freud’ und Schmerz!”

„Und in Specie,” fügte Eginhard hinzu „Dein Onkel nebft den Holden Coufinen. Unſre Landsmann Ihafter würden jagen: es ift ein Pradhtphilifter. Jetzt aber, Hans, beſchwör' ih Did, vor allen Din- gen und mit allem Ernſte unfre poetifhe Situation

gehörig zu überlegen. Man muß fid) verfelben nur vecht bewußt werden. Bedenke, da zwei Etagen tief im Eingeweide der Erde bei Kerzenlicht und gefüllten Bechern. Ueber uns trampelt die Profa herum wie toll, und über diefer jubeln vie Lerchen im himmli- ihen Blau. Sonft überall Frühling, die Blumen

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Liegen ellenvif auf ven Fluren. Wir hören und fehen von alle dem Nichts. Aber mein dunkler PBararedes erzählt mir dafür von femer fernen fonnigen Heimath im Tieblichen Xereß, Abſeits der großen Straße liegt das freundliche Städtchen in heiterer Stille. Nur felten verirrt ſich ein Reiſender dahin wegen der Räuberbanden in den andaluſiſchen Gebirgen. Aber wer einmal dort geweſen, ber erzählt wie aus Tau⸗ jend und einer Naht von den herrlihen Bodegas, ven großen Weinfathebralen von Keved. Da ftehen in ſymmetriſcher Ordnung die Fäſſer zu taufenden, und langjam wandelt man auf und ab, madıt von Zeit zu Zeit Halt und fest ſich rittlings auf ein Faß, wie der alte Silen. Dann foftet man den ſüßen Pararedes, den duftigen Muskatello und jene unvergleichlihen bunfelfarbigen Weine, die wohl ein halb Jahrhundert erlebt und deren Duft allein ein todtkrankes Weinküferherz vom Tode erweden könnte. Während außerhalb Alles von der glühenden Hitze Spaniens verfentt wird, herrfcht in den Bodegas eine ewige erquidende Kühle Stoß an, Hand, Spanien lebe!"

„Aber das freie Spanien,‘ fiel Diefer mit Wärme ein, „Das freie Spanien, auf dem fein Blut, feine Thränen und Flüche ermorbeter Mauren, Inkas und Niederländer laſten. Unglückliches Land, unglüdliche Sonne, die diefe goldne Fluth kochte.“

„Ppolitifire nur nicht gleich,” ſprach Eginhard, „wir figen ja nicht im Foro. Aber Du haft Recht, ih bin Spanien aud nicht grün. War das ver- wünſchte Land nicht, Der große aifer lebte noch und wir riefen heute noch Vive l’empereur! Nun fei nicht böfe,“ fuhr er, Johannes die Hand hinreichend, fort; „ich kenne ja wohl Dich Republikaner; aber ich kann

Stolle, fämmtl. Schriften. XL" 2

18 mir einmal nicht helfen. Denke nur, Kaiſer ver großen Nation.”

„Die große Nation war feine freie Nation,“ erwiederte Johannes ernft- „Aber unter dem liebens- würdigen Juftes- Milieu, den Doctrinaird und wie fie alle heißen, da ift fie e8 wohl, he? Jetzt aber, befter Hans, laß uns vor allen Dingen unfere Reife über- legen. Ich darf gar nicht daran denlen. Wann brechen wir denn auf?“

„Am Schönften wär" es,“ meinte Johannes, „des Abends. Wir gehen die Racht hindurch, da die Tage fo warn find.”

„Göttlicher Gedanke,” rief Eginhard, „himmliſche Banderung. Rings Abenblauten frievliher Dörfer, heimfehrende Heervengloden. Das Abendroth glüht, bie heiligen Sterne ziehen herauf, wir immer barun- ter hinweg. Zur Rechten und Linken träumende und buftende Blumen. Wir hindurch unter Sang und Klang. Dann feimt der Morgen. Die erfte Lerdhe fingt ihr frommes Meorgenliev am dunfeln Himmel. Bald bliden wir in das brennende Morgenroth und wandern bireft hinein. Die Sonne fteigt herauf, wir immer vorwärts Bis neun oder zehn Uhr; dann Sieſte gehalten in irgend einem fchattig gelegenen Dorfe. Apropos, Dein Onkel fammt Coufinen haben wohl noch feine Ahnung von Heine?”

„Wohl ſchwerlich,“ Tächelte Johannes.

„Da muß ich das Bud, der Lieber noch einfaden,“ entſchied Eginhard. „Bruder, es wird himmliſch. Das war fhon immer mein Wunjch, einmal einen Yrühling zu verleben, in herrlicher Gegend, poetifch, hamoriſiſch unter guten frohen Menſchen.“

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4.

O meine Leſer, ich hoffe, es iſt keiner unter Euch, der nicht einen Haufen duftender Frühlingsabende in der Bruſt trüge, ſei's in der Erinnerung, ſei's in der Hoffnung. Ich bitte Euch, fucht einen der ſchön— ften heraus, jo Ende Mai, ungefähr acht Tage vor der Himmelfahrt, wo ber tief fehattende Flieder, mit violetten Trauben überhangen, fteht, wo vie Alazien ihre Silberblüthen angezündet und die Kaftanien ihre Chriftbäumden des Mai's. Schon feimt der erfte Purpurblid in den Buſen der Roſen. Die Sonne ift gejunfen, die Lerchen fingen ihr nad im Abenb- roth. Aus der Ferne einjames Abenplauten, fonft Alles fill und Heilig. Nur die von der Sonne ver- laffenen Blüthen trauern und duften inniger vor Liebe und Sehnfudht.

Dann provozir' ih an Euch, erleuchtete Häupter, die Ihr hinter Alten, Kranfenbetten und feichenpre- dDigten thut und fchaffet, was Eure Amtes, blidt einmal zurüd durch einige Decennien, in bie Seit, wo Ihr unbeweibt, aus froher Bruft das „Gaudeamus“ fanget, in ven Aubitorien und Karzern Euch enuyirtet, am Ende des Halbjahres aber froh und felig hinaus zoget eines Abends in den Frühling, in bie Heimath; Ihr werdet ein Auge zubrüden, wenn fid) unfre Wanderer bereit8 innerhalb des ſtädtiſchen Polizei— diſtrikts, wo alles Rauchen bei harter Strafe verboten war, ihre Cigarren angezündet und himmelglücklich dahin felbanderten.

Eyinhard hätte die ganze Welt umarmen mögen und grüßte Alles, was ihm in den Weg fam; Hübjche und Häßliche, Belannte und Unbefannte, Jung und

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At, daß Johannes in gerechtes Exftaunen gerieth über ſolche Bekanntſchaft.

„Wachſen denn Deine Bekannten aus der Erde hervor?“ fragte er, der aus Höflichkeit die Mütze nicht auf den Kopf bragpte.

„Sind 'alles herzensgute Leute,” verficherte Egin- hard, „fieh, ſieh!“ Ein wunberliebliches Mäd⸗ chen ſchlüpfte ſo eben freundlichſt, doch ehrerbietig gegrüßt, mit einer Purpurglut auf dem Geſichtchen, vorüber.

„Wer war denn der Engel?“ fragte Johannes.

„Ein göttliches Kind!“

„Wer war ſie denn?“

„Ich weiß es nicht.“

Jetzt wurde es Johannes außer'm Spaße. Er zankte und ſchwor, lieber vorauszutraben, als ſich hier vor den Leuten blamiren zu laſſen.

„Ein göttliches Kind!“ rief Eginhard in beglückter Erinnerung und ehrerbietig ſenkte ſich ſeine Mütze vor einem alten Invaliden, der ganz verklärt dankte.

Johannes begann jetzt zu traben. Eginhard hin- terdrein und fo gelangten fie zum äußern Thore. Yeb- terer that hier einen ungeheuern Sprung in’8 Freie, ſchüttelte fih, drehte fih um, fchlug drei Kreuze gegen die Stadt und erklärte:

„Diefe drei Kreuze gelten nicht euch, holde Kinder mit den Blumengefihtern, nicht euch, Prachtphililter, bie ihr den Bruder Studio unter die Arme greift, nicht euch, fivele Kneipiers, die ihr nicht fogleih wegen eines foliden Pumpus das hochweife Uniwerfitätsgericht in Feuer und Flammen fegt, fondern leviglid euch heimtückiſche Schnurren und Pedells, die ihr uns das Leben, vie holde freundliche Gewohnheit des Dafeins

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verbittert, dir romantifhem Karzer und euch, ſaure Linfen des Convikts.“

Während Eginhard feine drei Kreuze erklärte, blickte auch Johannes, auf feinen Wanderjtab gelehnt, in die Straßen zurüd. Eine leife Wehmuth zog über das reizende Geficht, eine Thräne fehien nicht fern, als Eginhard zu zanken anfing, daß Johannes dem Abend- roth den Rüden zufehre.

„Was baft Du noch an dem Neſte?“ frug er, und die Zwei wanderten in den Abendhimmel hinein, „Iſt Doch, als für Dir ein Liebchen drinnen im Stein- haufen, in Thränen und Schmerz. Wie müßt id) thun; Larifari. Andre Städtchen, andre Mädchen. Mein Herz ift groß, da fümen ein paar Dutend himmliſche Kinder Cotillon tanzen und thun es aud). Nur feine Königin erwählt,; da bin ich ftrenger Re— publifaner.” |

Der Sprecher verbreitete ſich jetzt wetter über feine Herzensangelegenheiten, über fein Glüd bei den Da . men, wo er gewöhnlid nicht ermangelte, tüchtig auf- zufchneiden. Mit feiner Herzensrelation zu Ende, blieb er plöglich ftehen, ftütste fid) auf feinen Stab und Ihalt auf Johannes: „Großer Menſch,“ hob er an, „es ift nicht auszuhalten mit Dir, bift fo hübſch und noch nicht einmal ein Heines Liebeshändelhen. Sieh, wie allerliebft e8 wär’, wenn wir fo in Compagnie unfre Herzen vermietheten an niedliche Inwohnerinnen.

Das iſt ungemein praftifch, gleiche Liebe, gleiches In—

terefje. Aber was it mit Dir anzufangen, - Nova Zemblianer, Eisbär, Kiejelherz.“

Yohannes fchien etwas erwiedern zu wollen, doch ſchwieg er und fragte nad einer Baufe: „Glaubſt Du denn bei allen Deinen Liebfchaften wahrhaft geliebt zu haben?“

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„Wie,“ rief Eginhard, „ich nicht geliebt? Heiliges Abendroth, ich nicht geliebt! Hans, fol ih Dir Hi- jtorien erzählen? In feinem Romane kann's toller hergeben, als in meiner erften wahren Liebe. Mein Herz war ein Vulkan. Jetzt iſt's ausgebrannt; und was ich Dir vorhin von meinen Liebſchaften erzählte, it bloße Verzweiflung.”

„Bloße Verzweiflung?!

„Sa, Berzweiflung mit Philofophie vermiſcht.“

War's denn eine gkädliche oder unglüdliche Liebe? fragte Johannes.

„Eine unglüdliche,” tönte es dumpf.

„Und haft mir hie davon erzählt?”

Eginhard fiel feinem Reiſegenoſſen um den Hals. „D Hans,” rief er, „laß mid weinen, an treuer Freundesbruſt heiße Thränen weinen; aber Hans ih beſchwöre Did reife alte, kaum verharrichte Wunden nicht auf laß mich fchweigen.” Den Jo— hannes, der das Weſen feines Freundes nur zu gut fannte, war lange nicht fo romantiſch zu Muthe, ale legterer glauben mochte. Er war überzeugt, daß es mit diefer unglüdlichen Liebe nicht viel auf ſich habe; erfüllte aber Eginhard's Wunfh und fragte nicht weiter.

Diefer dankte gerührt mit den Worten:

Laß diefen Blick und Händedruck Dir fagen, Was unausiprechlich iſt.“

Unterveß brach die Dämmerung tiefer herein und dichtere Flore ſanken auf den geftorbenen Abend herab. Eginhard fprad noch viel über Liebe, Tod und Un— fterblichfeit, al8 in der Ferne ein erleuchtetes Haus fihtbar ward, und bald darauf Töne von Tanzmuſik durch die Stille des Abends baherwehten. ‘Diele

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Zanzmufif gab Eginhard wieder vollauf Stoff zu me lancholiſchen Betrachtungen.

„Keine Muſik,“ ſprach er, „hat fo etwas wehmüthig Ergreifendes als Tanzmufit, welcher man einfam von fern zuhört. ' E8 Liegt ein eigener Charakter in Diefen Tönen. Es ift, als ftünde ver ferne Zuhörer body über dem Irdifchen und als ftaunte er gleihfam auf das finnverwirrende Treiben herab, deſſen Nichtigkeit ihm jetzt erft recht klar würde.“

Alsbald erreihten unfere Freunde den Tummelplat ber Luft. Es war ein Iuftiges Lanpvölfchen, das hier eine Hochzeit feierte. Johannes beftellte fich einen fri- ſchen Trunk und fette fih in eine Laube am Haufe, in welche ter Abenpftern lieblich ſtrahlte. Eginhard war bald im Gedränge verſchwunden.

Der Abend war wunderſchön und frühlingswarm. Rings träumende Blumen, duftende Stille. Immer goldener tauchten einſame Sterne aus den Tiefen des Himmels herauf und nur der etwas wüſte Lärm des Gaſthauſes, die grellen Töne der Tanzmuſik ſtörten die Harmonie des Abends.

Johannes wandelte den Gang am Hauſe entlang und trat in den nächtlichen Garten.. Hier war es ftil- ler und heiliger. ine Heine Terraffe von duftenden lieder umwachſen, erhob fih im Hintergrunde, und leiſe, damit er die goldenen und filbernen Gloden und Kelche nicht aufwede, ftieg Johannes hinauf und über- ſchaute die nächtliche Gegend.

Aber bald wandten fich meine Blide nad) ver Ge— gend, die er daher gewandert, und 'weilten lange da— ſelbſt. War es die Wonne des Abends oder eine andere Duelle im Innern des Jünglings, daß ihm eine Thräne in die Augen trat. Den Lippen aber entfchwebte ein füßes Geheimniß, das bisher wie ein

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Räthſel tief in feiner Bruft geruht hatte der Name Eugenie,

Dem aufmerfjamen Leſer wird jetzt hoffentlich über unſern Johannes ein Licht aufgegangen ſein. Hatte ver heitere Frühlingsmorgen, wo er nad) dem Brief⸗ träger fpähete, das Dejeuner bei Orlando nichts ver rathen, der Abſchied am Thore nur ahnen lafjen, fo fonnte er doch am tiefſchattenden Abend, wo die Sehn⸗ ſucht, dieſe füge blafle Tochter der Unfterblichkeit, ftärfer duftet, wie die Nachtviole, nicht verborgen blei- ben, daß auch in feinem Herzen ein holdes Bild lebte, daß vielleicht Die Liebe ihre erjten golpnen Funken hin⸗ eingeworfen hatte. Gleichwohl ſchien e8 nur dus erfie Srühlingsahnen, das erſte Sehnen der Knospe zur Sonne. Wie ein ſeliges Morgenroth war Eugznien’s Bud vorüber geſchwebt. Ob er ſie felbit je wieder zu ſehen hoffen konnte, das war der ſüße Schmerz feines Innern. War das Mädchen nicht auf der Durchreife begriffen geweſen?

Aber dich, heilige Stunde des erſten Findens, des erjten jeligen Himmelsblickes in jene Welt, ver erften fihern Gewißheit von einem Engellauve, von einer Un- fterblichkeit dich hatte er empfunden.

Johannes mußte lange nach Eginhard fuchen und fand ihn endlich mitten unter ven Tanzenden, ein lieb⸗ liches Landmädchen am Arme, Iuftig dahin walzend.

„Sreif zu, Hans,” rief der Tänzer ſchon von ferne; „lerne das Glück ergreifen.“

Aber Johannes war gar nicht zum Tanzen aufgelegt, und mußte nur im Stillen den Freund belächeln, der noch vor Kurzem ſo pathetiſch über die Nichtigkeit alles Irdiſchen, über Tod und Unſterblichkeit deklamirt hatte. Endlich gelang es ihm, Eginhard zum Weiterwandern zu bewegen.

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„Wir hätten immer noch ein Weilchen bleiben fün- nen, meinte letterer; „wer den Augenblid ergreift, ift ver rechte Mann. Es war ein nette® Rind, meine Tänzerin; fie hat nod) zwei Schweitern und einen Bru⸗ der. Ihr Gütchen Liegt zwei Stunden von bier. Ihr Bräutigam will mit ber Hochzeit nicht länger als ein Jahr warten; ich verdenk's ihm nicht.“

Eginhard ſprach noch Vieles über die Familien— angelegenheiten ſeiner Tänzerin, und dem Johannes war es ein Räthſel, wie fein Freund ſogleich mit Gott und aller Welt befannt ımb vertraut werben fünnte. Er befragte ihn darum.

„Wie ich. e8 anfange, lachte dieſer, „nun das giebt - fid) von- felbft. +Mein Motto ift: Traurig mit den Trauernden, froh mit den Fröhlichen. Da kann e8 gar nicht fehlen. Man ſchickt fich in die Zeit und Umftände und fieht feine Leute an. Freilich mit einer Vorleſung über Zod und Unfterblichkeit darf ich auf einem Tanz⸗ fanle nicht fommen. Hätteft auch) em Wenig mit Tdn- nen herumfpringen, num werde ich im Laufen früher cabuf werben als Du.”

Immer goldener brach die Nacht herein. Die Freunde blieben oft ftehen, fid) am herrlichen Sternen- himmel zu orientiren. Eginhard deklamirte:

„Die Sterne, die dort oben wimmeln, Sind Himmel, jagt man, fel'ger Luft Der jeligfte von allen Himmeln,

Das ift der Himmel in der Bruft.

Es ift Jammerſchade,“ fuhr er fort, „Daß ber herrliche Schmidt von Yübed fo wenig befannt ift. Ich habe feine Lieder daheim; fie find ein wahres Yabfal. Wo nur der Gute die Mufe herbefommt; fo ich nicht irre, iſt er beim Rechnungsfache in vabeck angeſtelt; Ziffern und Poeſie!“

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Die Wanderer famen wieder auf die Sterne zu fprehen. Johannes belehrte den Freund, wie man ſchnell und leicht den Polarftern finden könne; man dürfe nur die beiven hinterften Radſterne des großen "Wagens als Lineal gebrauchen und von biefen auf- wärts eine gerade Linie in Gedanken ziehen, fo fei ver erfte helle Stern, auf den man ftoße, der Polarftern oder die Cynoſura.

Eginhard ärgerte fih, daß viele Theologen ven Leuten vorſchwatzten, auf den Sternen wohnten reine Geiſter, körperloſe Eſſentialia, da von folden doch Millionen in einem Fingerhute Platz hätten und feine Drionen und Milchſtraßen dazu brauchten.

5.

Halb von finſtern Waldungen, halb von Weinberg⸗ ketten und fröhlichen Saaten umgrenzt, ſtreckte das alte Schloß Buchenfels ſeine grauen, epheuumrankten Stein⸗ maſſen mit allem Trotze einer ehemaligen Raubburg in die blaue Frühlingsluft. Wie wohl der eine Theil

des Schloſſes faſt ganz unbewohnbar war, ſo gewährte

doch der andere, der ſein Daſein einer weit ſpäteren Zeit verdankte, einen recht angenehmen Sommerauf—⸗ enthalt. Gleichwohl wollte ſich der weibliche Theil der Familie Wertheim mit dem alterthümlichen Ge⸗ bäube, mit feinen hohen Gemädern, dunkeln Kreuz- gängen, Wenbeltreppen und unergründlichen Yeljen- fellern ganz und gar nicht befreunben, wie jehr man fonft der mittelalterlihen Romantik im Walter Scott zugethan war.

Der unbewohnte ältere Flügel des Schlofjes ftand vollends im Berruf, und es unterlag gar feinem Ywei-

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fel, daß er vom Grunde bis zum Giebel voller Ahn- frauen, Kobolve, Zwerge, Teuerfpeiern und Rettenflirrer wimmele. War e8 doch felbft der weiblichen Neugier noch nicht gelungen, das Füßchen einer fchönen Be— wohnerin von Buchenfels nach dem Bibliothefenfaale, bem noch am beften gehaltenen Gemache des alten Schloſſes zu lenken und dem räthfelhaften alten Bi— bliothefar einen Beſuch abzuftatten.

Wie ein altes Inventarienftüd war biefer einzige Bewohner des alten Flügeld von einem Befiter auf den andern fortgeerbt und endlich an den alten wadern Wertheim gelangt. Laut Teitamentsflaufel erhielt ex freie Wohnung, Koft, nebft einem kleinen Jahrgehalte von dem jedesmaligen Beſitzer.

Bergebens hatte ihm Wertheim einen wohnlicheren und freundlicheren Aufenthalt im neuen Scloßtheile angeboten; vergebend war er oft zur herrichaftlichen Tafel eingeladen worden; der Bibliothekar wußte fi immer zu entfchuldigen und endlich hatte man den alten Sonderling gehen Laffen.

Aber eben dieſes zurüdhaltende, menſchenſcheue Berhalten des Mannes gab dem ſchönen Publiko Stoff zu taufenverlet abenteuerlihen und romantiſchen Ber- muthungen; und Signor Baſilico, dies war fein Name, war nothwendigerweiſe Niemand anderes als der Ober- bireftor und Regiffeur von alle den Ahnfrauen, Ko— bolden, Gnomen und Sprühteufeln. Ein fchwarzer Kater, eine höchſt myſtiſche Perfon und fteter Be—

gleiter des Bibliothekars, war nicht geeignet, Die

- Bermuthungen des fehönen Publikums in Zweifel zu ftellen. |

Der geneigte Leſer, jo er das erſte Kapitel dieſer außerordentlihen Hiftorte mit Andacht ftudirt hat, wird fi) über die Beſtandtheile des ſchönen Publi=

\

28.

kums auf Buchenfeld nicht lange den Kopf zerbreden. Sie waren in der Welt Niemand anderes, als vie Berfaflerin des niedlichen Poſtſeripts im Briefe an Sohannes, die wunberliebliche fiebzehnjährige Pauline und die reizende Marie, die zwei Jahre ältere Schwe- ſter. Auch die Mutter des ſchönen Schweiterpaures, Wertheim's trefflihe Gattin und Hausfrau und des Paftors fehr hübſche Camilla müfjen mit vollem Rechte hierher gerechnet werben.

Die antiquariihen, heralpifchen und artiftifchen Unterfuhungen des alten Schloßtheiles waren daher mit Recht auf die Ankunft der courageufen Muſenſöhne aufgefchoben worden. . Daxließe ſich eher etwas rigfi- ven, hatte Bauline gemeint.

„Ro fie nur bleiben,‘ frug dieſe eines Tages beim Nachmittagsfaffee, der auf dem Bulfone des Schlofjes eingenommen ward, von wo man bie erguidende Aus- fiht über das große ſchöne Thal genoß; „Du baft den Brief gewiß wieder liegen laſſen, liebes Vä— terchen

„Schweig,“ zankte Wertheim in feiner drolligen Manier, indem er die Tabafswolfen in vie blaue Luft blies, „Legen lajlen? Wünſcht Jemand, daß der Hans da wäre, bin ich's. Der berrlihe Junge, hab’ ihn faft anderthalb Jahre nicht gejehen. Ihr ſeid's gar nicht werth, daß er die fchöne Werienzeit unferer Ein- fievelet zum Opfer bringt. Er thut es auch blos mir zu Liebe.“

„Wie doch die Zeit vergeht,” ſprach finnend Die Mutter. „Du befuchteft nody die Schule, Baulıne, als er und das letzte Mal befuchte, und Marie war nicht lange vorher confirmirt worden.‘

„Iſt vafend im vie Höhe geſchoſſen,“ bemerkte

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stheim, „ih ſprach ihn das legte Mal, als ic & feine Univerſitätsſtadt reiſte.“ „sb tann mih nicht viel auf ihn befinnen,“ ste Pauline. „DO, ec fteht noch vor mir,“ ſprach Marie, „mit Raftanienloden; er war immer fo janft und ſchüch— . Cr iſt gewiß recht hübſch geworden.” „3a, aber ur nicht gleich Berliebend angefangen, . Seufzer und Mondſchein,“ proteitirte der Alte, in w Zone, der zu gutmüthig Hang, ald daß er hätte ugen können, „das wäre mir: Da wollen wir vie I vernünftiger anwenden.” . „Beruhige Dich, Väterhen, lachte Marie, „das e ja zu tragiſch.“ „Bor mir bat er auch Ruhe, entſchied Pauline . ı deflamirte mit Pathos: u „Ruhig werd' ich ihn ericheinen,

Ruhig geben ſeh'n.

Seiner Augen ſtilles Weinen

Kann ich nicht verſteh'n.“ Alle mußten lachen. Nur der Vater brummte für 2 „babt gut Lachen, va die Gefahr nicht da iſt.“

b.

Es lebt ein Weib im Norden, Ein ſchönes Weib, königlich ſchön; Die hobe Cypreſſengeſtalt Umſchließt ein lüſtern weißes Gewand; Die dunkle Lockenfülle, J Wie eine ſelige Nacht, ergießt ſich Von dem hoben, flechtengekrönten Haupte. Sie ringelt ſich träumeriſch ſüß Um das ſüße blaſſe Antlig, Und aus dem füßen blafien Antliß, Groß und gewaltig, ſtrahlt ein Auge Wie eine ſchwarze Sonne.

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„Jetzt frag’ und beſchwör' ich Dich, Beſter,“ fragte Eginhard den Johannes, mit dem er in dem fchönen Frühlings-Nachmittage dahin wanderte, „wo finveft Du vom feligen Hiob, dem Urahn aller Poeten, bis auf heute eine Dame einfacher, malerifcher, himmlifcher ge⸗ zeichnet, als in biefen wenigen Worten des göttlichen Heine ?"

Sohannes, der nicht unbelefen war, begann jett zu citiven, aber mit fehlechtem Erfolge. Welch’ Herrliche poetiſche Gemälde weibliher Schönheiten er vorbrachte, fie waren dem Freunde nicht® gegen die obige Heine’: She Zeichnung. Unglüdlicherweife gerietb der Citant auch auf Fouqué's Corona, und begann mit dem be= fannten Berfe:

„Sa dieſe finftern braunen, dunkeln Loden ꝛc.“

Der Gedanke an douquẽ brachte den Heineaner in Harniſch.

„Schweig mir von dieſem Ritter von der trau⸗ rigen Geſtalt,“ rief er. „War er es nicht, der 1815 den in ſein Reich zurückgekehrten Napoleon nicht als Kaiſer anerkennen wollte? O armes Poetlein. Wo tauſend und aber tauſend Herzen zum Himmel jubel⸗ ten und freudig bluteten für den Dann der Yahrtau- jende, den weltlichen Heiland, da will ſich der Herr Baron ein romantifches Air geben, fchlägt fih in die Bruft und erklärt, er werbe biefen Dann nicht aner= fennen. O Lächerlichkeit, und das will ein Dichter fein ? Aber man braucht nur einen Blick auf feine Verſe zu

werfen, um von biefem verbreiteten Irrthume zurüd- |

zufommen.‘

Johannes, obſchon er an des Freundes Hyperbeln gewöhnt war und aud wußte, daß fie bei Weitem nicht fo gemeint waren, konnte doch dergleichen ober=

-

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flächliche Abfprecherei nicht leiden. Er nahm ſich daher des Barons mit Wärme an, ohne ein großer Verehrer feiner Poefie zu fein.

Da Eginhard ſchon aus Vorurtheil gegen Fouqué wenig von ihm geleſen hatte, wie überhaupt die com= plette und gründliche Lectüre eines Schriftftellere, wenn er nicht fein Liebling war, nit zu feinen ftarken Seiten gehörte, fo ward e8 Johannes leicht, ihm feine Abſprecherei tüchtig fühlen zu laffen. Eginhard ließ fi) indeß fein graues Haar wachſen.

„Da fällt mic gleich,” ſprach Johannes am Schluffe feiner Strafpredigt, „ein recht Liebes Liedchen von Fou⸗ que ein, das, wie Klein und unfcheinbar es fcheint, ven Dichter gewiß von keiner unliebenswürdigen Seite zeigt.’ Er recitirte: „Das iſt ber wohlbetannte Flieder, Hier ſaß ich oft, ein frohes Kind, Und ſtammelte die erſten Lieder Gewiegt von Träumen hell und lind.

„Das Glück, auf ungeſtümer Well Entfloh'n mir in des Sturms Gebraus, Such' ich an der geliebten Stelle; Ach, Alles ſieht viel anders aus.

„Die kleine Bank iſt weggenommen, Hochauf wuchs das Geſträuch umher, Und mag ich ſelbſt auch wiederkommen, Doch kommt das frohe Kind nicht mehr.“

„Was da,“ entgegnete Eginhard, „eine Schwalbe macht keinen Sommer. Indeß was wahr iſt, iſt wahr. Das Kedchen iſt nicht übel. Den Napoleon hätte aber der Baron demungeachtet anerkennen ſollen. Guter Hans, willſt Du mir wohl die Verſe wiederholen, damit ich ſie lerne.“

Johannes that es.

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„Und mag ich felbft auch wieberlommen, Doch kommt das frohe Kind nicht mehr‘

wiederholte Eginhard mit Ausprud deflamirend. „Ein himmlifches Lied!“ rief er entzüdt. „Hans, warum haft Du mir das fo lang verfchwiegen?. Wie, das fonnteft Du Deinem Freunde thun? Bei Gott, dus war fein Meijierftreih, Oetavio!“

Sohannes mußte laden und fragte, ob er mit Fouqué ansgeföhnt fer?

„sa, aber, befter Hans,” war die Antwort, „ven Kaifer Napoleon nicht anzuerfennen ich bitte Di!“

Indeß ging die Reife vorwärts. Aber je näher die Treunde dem Ziele ihrer Wanderung kamen, deſto reizenber ward die Gegend. Immer üppiger und blü- hender quoll die Vegetation. ine Heine Anhöhe lag vor ihnen. Sie ward im Sturm erflettert.

„Ab!“ riefen Beide mit Einem Munde, als fie die Höhe erftiegen hatten, und ihre Blicke entzüct über das große herrlihe Thal fchweifen Tiefen, das in aller Pracht des Frühlings vor ihnen ausgebreitet lag. Da wogten die grünen Kornfluren, von filber- nen Bächen, Obſt-Alleen und freundlichen Meiereien durchſchnitten. Der Horizont bildete eine Kette von Weinbergen und dunklen Waldımgen.

„Wie ſchön, o Gott, if deine Welt gemacht, Wenn fie dein Licht umfliekt.

An Engeln fehlt's ihr nur, und nicht an Pracht, Daß fie fein Himmel iſt!“

deflamirte Eginhard, während fi) Johannes nicht fatt ſehen konnte an dem herrlihen Panorama.

„Schau nur die göttliche Burg, jubelte der er- ftere, „bvert in der Ferne am Waldesrande, Tinker Hand, wie altersgrau, dunkeltrogig und kühn. Das

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nenn’ ih Romantik, Aber wie weit haben wir noch bis Buchenfels ?“ |

„Nach Ausſage des Mannes von vorhin,‘ erwie⸗ derte Johannes, „vier Stünd

„Das ift ewig Schade,“ Hlagte Eginhard, „da liegt e8 nicht in dieſem binmlifchen Thale, ſondern jemfeite jenen Weinbergen oder hinter dem Walde” -

Ein Landmädchen kam des Weges daher.

„Du, Schätschen,” rief Eginhard, „wie heißt denn bie Burg oder das Schloß dort, was Du ſiehſt links beim Walde

„Die Buche,“ war die Antwort.

„Die Buche?“ fragte Eginhard. „Dunkel iſt der Rede Sinn, erkläre Dich deutlicher, ſchönes Kind.“

„Nun Buchenfels,“ belehrte die Bäuerin, „wenn Er es ſo genau wiſſen will.“

„Buchenfels!“ rief Eginhard, ſprang auf Johannes zu, umarmte dieſen und gallopirte mit ihm, trag feines Widerftrebens, ven Hügel hinab. „Buchenfels! Haft Du's gehört?” wiederholte er, unten angelommen.

„Freilich,“ entgegnete Johannes ziemlich ärgerlich; „aber was muß das Mädchen denken?“

„Ras kümmert und das einfältige Ding,“ lachte Eginhard; „aber jett laß uns allen Ernſtes überlege, wie wir der Burg beifommen.”

„Wie denn beifommen ?“ fragte Johannes.

„O simplicitas!“ zankte Eginhard, „würde es denn nicht zu proſaiſch und alltäglich herauskommen, wenn wir auf dem gewöhnlichen, breitgetretenen Wege, den jeder Philiſter in ſeiner Verſtocktheit dahin trottirt, zum Schloſſe gelangten? Das iſt Nichts für Genies, wie wir ſind. Wir müſſen uns eine Entführung aus den Ritterzeiten denken. Du biſt der Knappe, ich der Ritter; oder meinetwegen umgekehrt. So faſſen wir

Stolle, ſämmtl. Schriften. XVI. 3

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bie Burg im Rüden, vielleiht durch den Schloßpark, falls einer da ift.”

„And werden von der Dienerfchaft entvedt, und . als Spitbuben durchgebläut,“ Sprach Johannes.

„Um jo beſſer,“ erwiederte Eginhard. „Da giebt es Föftliche Abenteuer, voller Kampf, Heroismus und höchſt romantischer Entdedungsjcenen.‘

„der von den Hunden gepadt.“

„Rod ſchöner,“ ſprach der Enthufiaft, „fo müſſen die Burgfräuleins Charpie zupfen für unſere Wunden.”

Als ſich Johannes auf ‚ale dergleichen romantiſche Excentricitäten nicht einlaffen wollte, ſprach Eginhard mit traurigem Pathos:

„D Hans, Du bift der löwenkühne Jüngling nicht,

Der in Alcala von mir Mſchied nahm,

Zu Dent ein unterbrüdtes Heldenvolk mich ſendet.

Sp verſprich mir wenigſtens,“ fuhr er nad) einer Paufe fort, „nicht fo barbarifch fortzufchreiten, als ob bie Burg davon Tiefe, ſondern ganz piano, damit wir nicht am hellerlichten Tage im Hafen der Glüdfeligfeit ein- laufen. Am Tage, Hans, bevenfe, welche Proja! Dämmerung muß es wenigftens fein. Am Liebften freilich wäre mir Mitternadht.‘

„Da bin ich gern dabei,“ geftand Johannes. „Wenn wir fie beim Abendeſſen überrafchen fünnten, müßte e8 herrlichen Spaß geben.”

„Es wird ganz himmliſch,“ jubelte Eginhard, „fo eben ſchlug ed vier Uhr. in der Dorffiche da drüben. Drei Stündchen bis zum Schloſſe find es höchſtens. Wir machen fünf daraus. So wird es paffen.”

Und fie fehritten wohlgemuth dahin. R

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7.

Marie und Pauline waren von einem Spazier⸗ gange in die Walderdbeeren zurückgekehrt.

„Sieh mal die. fhönen Beeren, . Mutter,” rief Pauline, ihr Körbchen hinhaltend, Die. folen uns fhmeden zur Abenpmahlzeit.”

„Und immer noch feine Nachricht won den Afabe- mikern?“ brummte der Bater.

„Wir haben uns die Augen audgegudt, die Straße entlang,“ ſprach Marie.

„Begreife nicht, wo fie bleiben,“ murrte Wertheim, „der Frühling ift fo ſchön, daß e8, weiß Gott, um jede Stunde Schade iſt.“

„Geduld, Väterchen,“ ſprach Pauline, „ich will den Herren ſchon den Tert leſen.“

„Der Hans ift doch ſo ein Stück Poet,“ fuhr der Alte fort, „und die ſind auf den Frühling in der Kegel verſeſſen.“

„Da macht er wohl Gedichte?“ fragte Pauline.

„Sehr ſchöne,“ ſprach die Mutter, „ich beſitze ſelbſt einige.“

„O die mußt Du uns zeigen,“ riefen die beiden Mädchen.

„Iſt ja ein wahres Genie,“ fügte Pauline hinzu.

„Ja wohl, ein Herzengjunge ift es,“ erwieberte der Vater. „Nur eind will mir nit an ihm gefallen. Er giebt auf Napoleon nichts.”

„Auf unfern Liebling!“ rief eifrig Pauline, „nun das wollen wir doch ſehen.“

„Wirſt ihn aud) nicht befehren,‘ ſprach der Vater.

„Die zu Liebe, VBäterchen, wirb er den Kaifer ſchon anerkennen,“ tröftete Marie, 3x

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„Da kennſt Du ihn übel,” war Wertheim’s Ant- wort. „Hans ift eingefleiſchter Republikaner. Ein zweiter Cato.“

„Ein Republikaner, was iſt denn das für ein Ding?“ frug Pauline.

„Der keinen König haben will, belehrte Marie.

„Alſo eine Königin?“

„Auch nicht,“ lachte der Vater.

„Auch nicht,“ fuhr Pauline fort, „was will er denn ?

„Ueberhaupt gar keinen Fürſten, das Volk ſoll ſich ſelbſt regieren.“

„Närriſche Anſichten!“

„Ja wohl, mein Paul,“ ſprach der Vater und ſtrich mit Wohlgefallen die ſeidenen Locken aus dem blühen- den Antlis ſeines Lieblings, „da haft Du ſehr Redt. Ic Iobe mir ven Napoleon, vor dem hatte man Re— jpect; aber wie fieht e8 in einer Republif aus!“

Wenn Wertheim fein jüngftes Töchterlein Paul nannte, war er abfonderlid) guter Laune, wie wohl das fchöne Kind dieſe Abbreviatur ihres Namens gar nicht leiden konnte.

„Der Abend wird wunderſchön,“ ſprach Marie, die an das Fenſter getreten war, „vie wäre ed, wenn wir zu Abend im Parke fpeiften ?“

„Ein himmliſcher Gedanke, fiel Pauline ein, „o Bäterchen, nit wahr, Du biſt noch gar nicht müde?“

„Welche Zumuthung,“ ſprach abwehrend der Papa, „ſo weit hinabzuklettern und dann wieder herauf.“

„Wir führen Dich,“ ſchmeichelte der Liebling, „denk nur, wie hübſch es ſich an dem ſchönen Abend dort unten effen muß. Die Walderdbeerkaltſchale fol ung vortrefflich munden.“

„Was ihr Kinder einem das Leben ſauer macht,“

97

ſprach der Vater, der feinen Lieben nie einen billigen Wunſch abſchlug, wie bitterböfe er ſich zuweilen auch ftellte. „Vorher aber laßt mich mein Abenppfeifchen in Ruhe rauchen beim Paſtor. Ich fehide Euch die Camilla zur Geſellſchaft.“ |

„Du bift und bleibjt unfer gutes Väterchen,“ ju- belte Pauline; und alle. Anftalten zum Souper im Grünen wurden getroffen.

8.

Die Dämmerung brach allmälig herein. Der Tiſch im Parh war gevedt, aber der Papa konnte fih vom Paftor nicht fortfinden und die Mutter ließ ſich eben- falls nicht blicen. Unterdeß ſaßen vie drei Mäpchen -plaudernd und foherzend auf einer Raſenbank an der Parkmauer. | \

„Denn fie nicht bald kommen,” ſprach Marie, in das verbleichende Abendroth blidend, „könnte unfer einem. ordentlich bange werden hier in der Einſamkeit. Unter uns,” fuhr fie geheimnißvoll fort, „ſoll's aud) im Barf nicht ganz richtig fein.”

„Wie denn ſo?“ fragte Pauline, die in der Mitte faß, neugierig und ängftlid, und erfaßte von jeder der Nachbarinnen eine Hand. |

„sa,“ erzählte Marie, „Fritz, der Jäger, will neu- lich des Nachts eine weiße Geftalt mit blutrother Tadel hier haben umherwandeln ſehen.“

„Das iſt der uralte Graf Bodo,“ erklärte Camille, leife und geheimnißvoll, „ver bier begraben liegt und wegen der vielen Miffethaten, die er im Leben began- gen hat, im Grabe feine Ruhe finden kann.“

„Was, wo liegt er begraben?“ fuhr Pauline auf, „um's Himmelöwillen, mach' mir nicht Angft, Camilla.”

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„Gleich hier neben ver Laube,” verficherte dieſe.

„Das fehlte noch,” drängte Pauline, „kommt, fommt!“

Camilla, von Natur beberzter und indifferenter gegen Geſpenſter, ſuchte die Freundin zu beruhigen und zurüdzuhalten. „Er geht nur des Nachts um,” fprach fie, „jegt nicht.“

„Wird Dich nicht fragen,” fiel Pauline ein.

Marie fuhr aber mit einem Male vom Site auf:

„Habt Ihr nichts gehört?” frug fie zähneklappernd.

„Um Gotteswillen, was denn?” rief die Schwefter.

„Es ſcharrt an ver Parkwand.“

„Was ſoll denn ſcharren?“ lachte Camilla, und alle drei horchten ſtill auf.

„Himmliſcher Freund,” rief von außen eine Stimme,

„And wär’ die Mauer höher als bie Jungfrau,

Die feit ewig grau verfchleiert fit, ih muß hinauf.” Zugleich vernahm man das Geränfd eined von außen Emporkfletternden und alsbald warb Eginhard’8 Kopf über ver Mauer fichtbar.

„D, warum enteilen Eie, ſchöne Damen? rief er, den davon laufenden Mädchen nad; und zu Johannes, der ziemlich ärgerlich unten an ver Mauer ftand: „Himm⸗ liſche Kinder, ſag' ih Dir, wahre Gazellen, ſo viel ich in der Dämmerung wahrnehmen kann.”

Johannes zankte und’ rief, daß Eginhard wieder herabflettern follte; dieſer aber trieb taufenderlei Kurz⸗ weil. „Die erfte Baftion ift Schon erobert,” ſprach er, „der Feind hat fich unftreitig in's Schloß zurüdgezogen.” Er recognoscirte die Localität des Schloßparks.

„Das muß ehedem eine Art Bärenzwinger geweſen ſein,“ meinte er, „hier mag es ſonſt ſchön gebrummt haben. Jetzt ſind leider die guten Bären todt und keine Gefahr mehr vorhanden; wo drei hübſche Mäd—

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hen haufen, iſt's mit der Bärfchaft aus. ch werde daher getrojten Muths hinabflettern. Er hatte dieſe Worte faum gefprochen, als er fie ausführte und fich bald im Schloßparke befand. Hier entdeckte er die Laube und den fauber gededten Tiſch.

„Heureka, Joanne,“ rief er dem außerhalb fluchend Auf- und Abjchreitenden zu, „herrliche Entdeckungen, die Abenpmahlzeit iſt erobert. Ia, nur Muth, und der Menjc kann es weit bringen. Deliciöfe Erdbeeren, Johannes, armer Schluder, ver Du am Rande des Himmelreichs aufs und abrennit. Spring in’s Teu— felenamen herein. Wir können nicht beffer aufgehoben fein. Lerne das Glüd ergreifen.

„Willſt Du immer weiter ſchweifen,

Sieh, das Gute liegt fo nah. Hans, bift doch noch da?“

Johannes war fo ärgervoll, daß er feine Antwort gab. „Hang,“ rief Eginhard wiederholt, „biſt mir doch nicht eſchappirt?“

„Seh nicht von mir, Mar bleib bei mir.

Den! Dir nur diefe übericdifche Nomantif, hier Dei— nen Freund im Bärenzwinger; e8 hat Alles jo etwas Derzaubertes, wie in einem Mährchen von Ludoviko Lied. Dieſe niedliche Abendtafel, von welcher unter- nehmende Ritter die ſchönen Burgfräuleins vertrieben haben. Wo ſeid Ihr Hin, holde Blumen, reizende - Öenien meines Dafeins? Aber wo Ihr Euch verbergt, mein liebeglühend Herz wird Euch entveden, und menn ein Riefe oder Molody Euch bewacht, jo werbe ic) ihn tödten und Euch befreien, und die Schönſte und Tu- gendhaftefte führ' ich heim als trautes Ehegemahl, auf Ritterehr' und Ritterſchwur.“

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Dieſe poetiſchen und hochromantiſchen Expectoratio⸗ nen wurden übrigens plötzlich auf ziemlich proſaiſche Weiſe unterbrochen. Vom Schloſſe her wurden Stimmen laut und ein raſendes Hundegebell ducchicholl vie Luft. Nach dem energifchen Baſſe, in welchem dieſe Hunde bellten, war auf tüchtige Bullenbeißer zu ſchließen.

„Sultan, Paſcha, faß!“ tönte es immer näher und ſchon vernahm man, wie die gefeſſelten Beſtien durch die Geſträuche brachen.

Eginhard ſuchte jet in ſchnellſten Sätzen die Mauer- ſtelle zu erreichen, wo er herabgeklettert war. Er be— mühte ſich, mit der außerordentlichſten Behändigkeit emporzuklimmen, aber bereits ſaß ihm der Paſcha auf den Ferſen und packte den Flüchtling an den Schößen des altdeutſchen Rockes.

„Halt,“ rief eine Stimme, „oder ich gebe Feuer.“ Dabei knackte ein Hahn auf ſo verdächtige Weiſe, daß

Eginhard den entfernteſten Gedanken an eine Flucht aufgab. Er blieb daher kerzengerade, mit dem Ge— ſichte gegen die Mauer gekehrt, ſtehen. Der Paſcha, ein echter Wolfsfänger, war ihm nämlich mit den Vorderpfoten auf die Achſeln geſprungen und hielt den Romantiker fo energiſch am dockkragen, daß er ſich nicht rühren, ja den Kopf nicht einmal ein wenig ſeit⸗ wärts biegen fonnte. Unterdeß kam auch Sultan her- angebrauſt und faßte Eginhard von vorn. So ſtand er vollends eingemauert.

„Wer ſeid Ihr, was wollt Ihr hier?“ fuhr die Stimme im barſchen Tone fort.

„Ach, hochverehrteſter Herr Schloßcaſtellan oder Oberförſter, oder wer Ihr ſonſt ſeid,“ lamentirte Eginhard, „ruft nur die kannibaliſchen Beſtien zurüd, ih will Euch gern Rede ftehen. Ich bin ber fried- fertigfte Menſch, ven die Sonne bejcheint.“

ui .

„Sultan, Paſcha,“ gebot die Stimme, die Vader biegen los und Eginhard erhielt fo viel Freiheit, mes nigſtens Rechtsumkehrt zu machen. Bor ihm ftand, fo viel der Student in der Dunkelheit gewahren fonnte, ein alter Waidmann, der ihn nicht mit den freundfich- fies Blicken muſterte.

Unterdeß war Johannes, der außerdem ben Spef- tafel vernommen, auf ver Mauer erfchienen und wollte dem Freund zu Hülfe eilen. So wie aber ver Waib- mann den zweiten Feind erblidte, hieß es wieder: „Alons, Sultan, Paſcha!“ und Eginhard ſtand wie- der wie angenagelt. Die Beftien hielten ihn brüder- üb umarmt. Seine Lage war nicht die angenehmite und felbft nicht ohne Gefahr, denn wer wollte e8 dem Sultan verargen, wenn er e8 in ber Dunkelheit nicht ſo genau nahm und fein Zahn im WDienfteifer etwas die Haut ritzte. Trotz feiner precairen Lage, konnte Eginhard doch nicht die Gewohnheit Laffen, mit dich— terifchen Citaten um fi) zu werfen. Er rief daher Johannes zu:

„Zurid, Du retteft den Freund nicht mehr, Den Tod erleidet er eben, So rette das eigene Leben.“

Johannes, der jet die fchlimme Lage des Freun— ve8 erkannte, ſprach jo vernünftig zum alten Waid- mann, daß diefer abermals die Hunde zurüdrief. So— bald ſich Eginhard befreit ſah, unterfuchte er vor allen Dingen feine Garderobe und vifitiete fi am ganzen Leibe, ob er wirklih mit heiler Haut ven Höllenhunden entkommen jei.

„Das nenn’ ich Abenteuer, ſprach er, „aber mein Rod hat dermaßen büßen müſſen, daß ich mid) in ihm bei feinen vernünftigen Menfchen ſehen laffen kann. Romantik war bei ver Sache, aber wenn fein

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Schneider hier zu Lande, ſoll ſie der Teufel holen, und dieſer Schneider muß überdies ein durchtriebener und mit allen Hunden gehetzter Mann ſein, wenn er die Wirkungen von Herrn Sultans Klauen einiger- mapen unfenntlih zu machen gedenkt.“

Der Waidmann gebot jet dem Sprecher zu folgen, und dem Johannes, fi) unverweilt zu entfernen; ver Weg zum Schloffe führe nicht über die Mauer.

„Du' ſiehſt jest, Hans,“ rief Eginhard dem Freunde zu, „daß ich jett thun mug, was ich nicht laſſen fann. eb’ ‚wohl, in einer andern Welt fehen wir ung wieder.”

- Damit folgte er, rechts und links von Sultan und Paſcha eskortirt, dem voranjchreitenden Waidmann.

).

Eginhard's Ueberfall hatte die ganze Schloßbe- wohnerfhaft in Alarm gebracht; am Meiſten die drei Mädchen, über welche ver erfte Sturm hereingebrodyen war. Wertheim war eiligft aus der nahegelegenen Wohnung des Paftors geholt worden. Letzterer felbft folgte, mit einem Stode bewaffnet. Die drei Mäd— chen, vie Mutter, nebft ven weiblichen Dienftperfonale hatten ſich unter ven Echuß der beiden Diener Wert- heim's begeben, welde Frig, der Sohn des alten Waidmanns, kommandirte. Letzterer felbft hatte ſich's nicht nehmen laſſen, mit den beiden Wolfsfängern und einer guten Doppelbüchſe den bedrohten Park zu re— cognosciren.

Als Wertheim und der Paſtor angelangt waren, concentrirte ſich die große Armee in dem blauen Saale, von wo man die nächſte Umgebung des

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v

Schloſſes am Bequemften überſehen konnte. Fritz, durch das Hundegebell aufmerkſam gemacht, ſchickte feinem Vater noch den unternehmenden Benedir zum Succurs. Diefer begegnete dem alten Wörter gerade ‘am Eingange des Parks, wie er mit dem Xrreftanten zurüdfehrte.

Eginhard ward jett vor dem Schloßheren gebracht. Er Tannte den Charakter Wertheim's aus Johannes Mittheilung und begann folgendermaßen:

„Großmächtiger Beherricher dieſes Schloffes. Zwei irrende Ritter, die zeither an den Brüften der Alma Mater gelegen, und von denen der eine bermalen noch im Nebel und Zwielicht umberirrt und wahr- fcheinlich den legitimen Eingang zu diefer Burg nicht finden fann, waren fir bevorftehenden Frühling der Milch der ſchönen Willenfchaften überdrüffig gemor- den, und Haben dem gemäß für gut befunden und beſchloſſen, ihr Hauptquartier auf die Ferienzeit in vorliegendem Schloffe aufzufchlagen, oder aud in ir- gend einem Oartenhäuschen, da die Nächte nicht Falt, fintemal die Weinmörder alleſammt glücklich vorüber find. Die Urkunde, vermöge welcher wir und dieſes Rechts bedienen, befiten wir ſchwarz auf weiß vom weitregierenden Negentenhaufe dieſes Schloſſes eigen= hänbig unterfchrieben und ſteckt, wenn id) nicht irre, im Ränzlein befagten Ritters, der noch in der Irre umberläuft. Da wir den verwachfenen und ſich weit dahinfhlängelnden Fahrweg, welcher zur Burg führt, als befliffene Studioſen der freien Künfte einzujchla= gen gerechten Anftoß nahmen, fintemalen denſelben all fündhaft Vieh und die gefammte Philiſterſchaft ein- her trottirt, aud) Herr Johannes als einftiger Rechts- praftifant und Verfechter ver menſchlichen und gött— lichen Gerechtigkeit ſchon ſich frühzeitig daran gewöh—

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nen wollte, alle krummen Wege zu meiden und nur den geraden zu wandeln, fo blieb uns nach wohlbe- dachtem Dafürhalten nichts übrig, als unfern Einzug duch den Park zu halten. Indeß waren die Anfich- ten der Menfchen verfchievden von Anbeginn, wie ſchon in der Bibel zu leſen; fo fam es, daß biefer wür- dige Oberforftmeifter, thätigft unterftügt von zweien feiner würbigjten Scholaren, unjerm weiſen Plane entgegen trat, indem ex die eben erwähnten Vierbeine mie gefchäftig unter die Arme ſchickte. Doc nie fol uns ein Unglück zur Verzweiflung, nie ein Glück zum Taumel bringen, das ift meine Marime; gelang aud) unfer hochherziger Entſchluß nicht, ich hatte gehofft, mein Lohn iſt abgetragen, mein Glaube war mein: zugewogenes Glück. Gegen das Schickſal kämpfen Götter ſelbſt vergebens, was will ein Studioſus, der erſt im dritten Semeſter ſteht, noch ein magrer Ham⸗ mel iſt, vor Ihren ſeligen Herrlichkeiten voraus haben.“ Uebrigens ſchloß er feine Anrede und verneigte ſich mit republikaniſcher Grandezza:

„Victrix causa diis placuit, sed victa Catoni!“

Wertheim erkannte bald, wen er vor ſich hatte. Er war außerordentlich erfreut, umarmte Eginhard herzlichſt und erkundigte ſich angelegentlich nad) Jo⸗ hannes.

„Die Götter wiſſen's, wo er umherirrt,“ ſprach der Muſenſohn, „bis auf die Parkmauer iſt er ge— kommen, dort hab' ich ihn ſtehen ſehen, ſo lang er war. Was weiter mit ihm geſchehen, weiß ich nicht, denn ich ſchritt folgſam zwiſchen Sultan und Paſcha.“

„Allons, auf Ihr Leute,“ commandirte ſogleich Wertheim, „ſucht mir meinen Vetter auf, der Weg zum Schloſſe iſt für den Unbekannten nicht leicht zu

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finden, zudem bricht die Dunkelheit immer mehr herein.” Ä

Eginhard ward aber von dem Alten unter ven Arm genommen und nach dem blauen Saale geführt, wo das weibliche Perfonal noch immer angftooll dem Aus- gang des großen Abenteuers entgegenjah.

„Hier bring ih) den kühnen Mauerſtürmer,“ Lachte er, den Studenten vorftellend, „es it der Freund und Begleiter unſers Gans, der fogfeich felbft erſchei⸗ nen wird.“

Den Damen fiel ſämmtlich ein großer Stein vom Herzen. Ihre Beklommenheit ging in große Freude über.

Eginhard bat jet in feiner launigen Manier um Berzeihung wegen des Schredens,

„Wer fonnte auch glauben,” entſchuldigte er fich, „daß Hinter der alten Druiden= Mauer unmittelbar der Himmel angehe, wo die Engel leibhaftig aufs . und abwandeln. Daß ich übrigens für das Himmel- reich noch lange nicht genug geläutert bin, ift mir Har geworben; bie vierbeinigen Satane mit den türfı- ſchen Prädikaten machten fih unmittelbar nach meiner Einfahrt über mich her.”

Eginhard, als er dies ſprach, konnte indeß nod) feineswegs herausbefommen, welche Mühe er ſich aud) gab, ob die anmefenden Damen wirflih fo hübſch feien, daß fie das Prädikat Engel verdienten; denn ed war ziemlid) dunkel geworben, und der Befehl Wertheim's, Licht herbei zu fchaffen, fam Ihm fehr gelegen. Zugleich befann er ſich auf feine zerzaufte Garverobe. Er fuhr convulfivifch mit der Hand nad feinen Rockſchößen. Hier machte er die überaus be- trübende Entdeckung, daß der Paſcha wahrhaft unver= antwortlich gewirtbichaftet hatte. in artiges Stüd

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feines Tach, der Türke hatte den Rachen vollgenom— men, ſchlotterte um ſeine Waden. Er beſchloß daher, die wenigen dunkeln Augenblicke zu benutzen, knipp den herabhängenden Fetzen vollends ab und ſchob ihn in die Taſche. Zugleich erſuchte er das Publikum, ſich auf einen anderweitigen Schrecken vorzubereiten, ſobald das Licht kommen werde. Sie würden näm— lich einen halb aufgefreſſenen Menſchen erblicken, lobte die Racker, daß ſie in ihm keinen Wolf erkannt, weil er dann unfehlbar noch weit ſchlimmer davon gekom— men fein würde. Endlich erfchien Xicht und es wur den verjchievenartige Entdeckungen gemacht. Eginhard gewahrte nämlich, daß die Couſinen allerliebſte Mäd— chen ſeien, was ihn ganz glücklich machte; die Cou— ſinen ihrerſeits, nachdem ſie die äußere Perſönlichkeit des Studenten recht angenehm gefunden hatten, rich— - teten ihre Aufmerkfamfeit auf ven zerzauften altveut= Then Rod. Eginhard felbft gewann endlich Muſe, über feine Kleidung Unterfuchungen und Betrachtungen anzuftellen. Er gebervete ſich dabei fo poſſirlich, daß die Mädchen in lautes Lachen ausbrachen.

Wertheim ward indeß immer beforgter wegen dem Johannes. Er ging vdemjelben ein Stüd vor das Schloßthor entgegen. Zum Glück braudte er bier nicht allzulange zu warten und das ausgeſchickte Kom- mando esfortirte alsbald den vermißten theuern Neffen in feine Arnıe.

Nun ward Leben im Schloffe Für die Abenpd- mahlzeit im Parfe war es zu ſpät geworben. Die— jelbe ward daher in dem geräumigen und freundlichen Speifezimmer zubereitet und bald ſaß Allee an ber wohlbejetten Tafel.

Das Mahl mar gerade Fein ſokratiſches zu nen- nen, aber ih hätte mögen babei fein. Johannes

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Herz von ſo vielen befreundeten Herzen begrüßt, konnte nicht genug pulſiren zum Gegengruß. Dabei ſaß ihm ein leibhafter Engel aus dem Himmelsland nicht ſechs Handſpannen gegenüber. Er hatte oft in ſeinen Ausarbeitungen Engel mit einander discuriren laſſen, er ſprach da wohl ſelbſt mit, und im beſten Styl; diesmal konnte er ſich durchaus auf keinen Anfang beſinnen. Er hatte bereits jedem Vögelchen, in dem Familienneſte ſeinen herzigen Imbiß vorgelegt, nur Marie war leer ausgegangen. Dabei ſaß ihm der verwünſchte Spruch, der Cavalier ſoll die Dame un— terhalten, wie ein böfer Feind im Nacken. Er fuhr vergeblich in feinen Gehirnkammern nach einem ſchmack— haften Körnchen umher, das er dem Engelfinde vor- legen könnte. Er rannte verzweifelt am jenfeitigen Ufer auf und ab, um eine taugliche Stelle zu erſpähen, zum Webergange in eine Converjation; er fand feine Brüden, nit einmal ein Iumpiges Bret.

Eginhard, der weiter oben an der Tafel ſaß, lebte im dritten Himmel und ahnte nicht von ber ftillen Berzweiflung feines Freundes. Er ließ ununterbrochen feine launigen Knallbonbons fpringen und feine humo- riſtiſchen Leuchtkugeln fteigen, daß es Allen eine Luft war, nur für Johannes nicht, der im Stillen den Redfeligen von Herzen beneidete.

Eginhard war ganz der Mann für Wertheim. Die Beiden waren auch ſchon ſo vertraut, daß es Johannes ein Räthſel war, wie das ſo ſchnell habe zugehen können. Sie ſaßen bereits über Napoleon, und der eine war über den andern entzückt, als ſie die herrliche Entdeckung machten, daß der Kaiſer ihr beiderſeitiger Abgott ſei. Wenn Wertheim hier und da an ſeinem Gotte noch etwas auszuſetzen fand, ſo

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war das Wafler auf vie Mühle Eginhard's. Diefer, in feiner gewohnten Eraltation vertheivigte Napoleon in allen Dingen. Selbft wo die unparteiifhe Ge⸗ Ihichte gegen ihn ſprach, machte er den Aovofaten. Bei aller Bolitit vergaß 'er aber auch vie Galanterie nicht. Pauline, die neben ibm faß, überfchättete er mit drolligen Artigfeiten und Aufmerffamteiten, and der Frau vom Haufe wußte er bei einem jeden aufgetra- genen Gericht eine neue Schmeichelei zu jagen.

Unterdeß hatte ſich Johannes nach langer veiflicher Ueberlegung auf einen pafjenden Anfang befonnen, um mit Fräulein Marien in Converfation zu treten. Das Mädchen ſprach fo eben mit ihrem Nachbar, dem Pa- ftor Amold, und Johannes erhielt Muſe, das von Meifterhand gezeichnete Profil zu beobachten. Aber er profitirte in feiner bevrängten Lage wenig davon, jon- dern recapitulirte feine wohlftudirte Apoftrophe und wartete nun, bis die Sonne wieder voll werden würde. Dies währzte nicht lange. Marie wendete ſich mit einem leifen Lächeln und Erröthen wieder zur Tafel, Johannes faßte fi ein Herz und begann. Im An— fang drehte fi das Gefpräd allerdings nur um alle tägliche Gegenftände. Aber bald machte fih die Sache Iharmant. Johannes Selbftvertrauen ftieg, feine Rede warb unbefangener, natürlicher, fein ſchönes Organ wohltönenvder. Marie blieb feine Antwort fchuldig. Sie war eben fo geiftreihh und angenehm unterhaltend als Schön. Der Züngling ſchwamm im dritten Him- mel. Er begriff gar nit, wie ein fo Heines unbe— deutendes Mäpchen, wie er fie vor mehreren Jahren hatte kennen lernen, in fo kurzer Zeit babe zu einem vollendeten Engel werben künnen.

Sie erzählte intereflant von den alten Schloß— theile, von der räthjelhaften Erjcheinung des alten

9: Bihliothefars Baſiliko, und wie fie und die Schweiter e8 noch nicht Über fich Hätten gewinnen Fünnen, bie uralten, fat feit einem Jahrhunderte verlajjenen Ge— mächer zu betreten. Es habe Alles fo ein myſtiſches, geſpenſtiſches Ausſehen. Man hätte ſich daher lange auf die Ankunft des Couſins gefehnt, un genaue Unterfuhung über das verfchollene Gebäude anzuftel- len, denn neugierig wären fie jehr auf die innere Einrichtung deſſelben. |

Pauline, die einiges von der Rede der Schweiter vernonmen hatte, ſchilderte die unheimliche Romantik des alten Schloffes mit noch lebhaftern Farben, fo dag auch Eginhard, der fo eben ftrategifch und mili— täriſch dem alten Wertheim auseinanderfette, daß Na- poleon bei Leipzig eigentlich) gar nicht .gejehlagen worden jet, aufmerkffam und ganz Ohr für die Sache ward.

„Während ‚morgen mein Rod einer radicalen Res ftauration unterliegt,“ ſprach er, „werd' ich in meiner Interimd-Forcejade, an der ohnehin nicht viel ver- Ioren ift, wie ein Schornfteinfeger alle Schluchten, Keller und Winkel des Zauberſchloſſes durchfahren und ale Memorabilien zu Tage fördern. Ueber den my— ſtiſchen Baſiliko will ih bald im Klaren fein.”

„Nur an den fehwarzen Kater vergreifen Sie fid) nicht,“ warnte Pauline, „ver ift Durch und durch behert.“

„Pauline,“ ſtraften die Aeltern, „wer wird ſo abergläubiſch reden.“ Eginhard aber nahm ſich ſeiner ſchönen Nachbarin eifrigſt an; und Pauline ſelbſt wußte, was ſie wußte. Wenigſtens bewies ihr un— gläubig ſchüttelndes Köpfchen, daß es mit dem Kater nicht richtig ſei.

„Ich habe es ſehr gern,“ ſprach Eginhard, „wenn ſich die Damen ein wenig fürchten wor Geiſter mund.

Stolle, fünmtl. Schriften. XVI. 4

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Geſpenſter, es Heivet fie allerliebft. Ich felbft, ſeit ih Scelling, Schubert und Yuftinus Körner ftubire, bin nicht ohne Geifterglauben. Es ift mir feit der Zeit jo mancherlei duch den Kopf gefahren und fagt nicht ſelbſt unſer hochverehrter Shafefpeare:

„Es giebt Vieles zwiſchen Himmel und Erde,

„Wovon ſich unfre Philoſophie Nichts träumen läßt:

Sohannes wandte fid) an Marien und fragte, ob fie auch an Geifter glaube?

„Barum nicht?” ermwieberte das ſchöne Mädchen, „der Geifterglaube hat für midy eher etwas Erheben- des als Abfchredendes. Beſonders wohlthuend ift für mid) ‚vie Lehre von den Seelen geliebter Abgejchie- dener, welche uns, gleichjam wie Genien, unfichtbar umjchweben, uns warnen, beſchützen vor Gefahren und tröften im Unglück.“

„Gern trete ich auch dieſer jchönen Lehre bei,“ Iprad) Johannes; „wenn fie aud) nur Dichtung, ſo ruht doch ein fehr poetifcher Zauber darin.”

Eginhard ‚war indeß mit einer einzigen Species von Geiftern, den erwähnten Genien, nicht zufrieden; er behauptete, die Anzahl ver Geiſier ſei Legion, die ſich auf ſehr verſchiedene Weiſe der geplagten Menſch— heit manifeſtirten. Uebrigens ſei nur dem reinen Ge— müth, das mit einem leicht reizbaren Nervenſyſtem begabt ſei, es verſtattet, mit Geiſtern zu communi— ciren und Unterhaltung mit ihnen zu pflegen. Bei ihm felbjt fei e8 noch nicht der Fall geweſen. Er wiſſe fih die Averfion der Geifter vor ihm gar nicht zu erklären. Entweder fei er nicht fromm genug, oder für das Iuftige DVolf zu maffv. Am guten Willen fehle es nicht, denn nichts wäre ihm lieber, als mit ein Paar tüchtigen reſpektabeln Geiftern ein= mal in Converfation zu treten. Er habe hierin ent-

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ſchiedenes Malheur, jedem Menjchen fei im Leben einmal etwas Webernatürliches paffirt, ihm noch nicht. Er ſei ein wahrer Geifterbanner, wo er hinkomme, ergriffe das fonderbare Geſchlecht die Flucht; und falls ſich dergleichen in den Mauern von Buchenfels vorfinden ſollte, werde er bald reine Wirthſchaft ge- macht haben.

Die Rede Fam jetzt auf den alten, räthſelhaften Bibliothekar.

„Denken Sie nur,“ ſprach Pauline zu Eginhard, „von dem weiß kein Menſch, wie alt er eigentlich iſt; alle Leute aus dem Dorfe, ſie mögen zurückdenken, ſo viel ſie wollen, haben ihn als Signor Baſiliko gekannt, und zwar nicht älter und nicht jünger als er jetzt iſt. Man erzählt von einem Fläſchchen Le— bensefjenz, bie er felbjt bereite. Da jchnapje er zu= weilen und das verleihe ihm Lebensdauer und Kraft auf viele Jahre. Mebrigens iſt es ein höchſt mürri- ſcher Kauz. Wenn id) manchmal in der Gegend des alten Schloßtheild promenirte, um mir das alte Ges bäude wenigftend von Außen zu bejehen, kam aud gleich das finftre Geficht des Bibliothefars zum Vor— fchein und blickte mich ordentlich mit drohender Miene an, daß id allemal die Fluht ergriff. Wenn der etwas zu befehlen hätte, der jagte und gewiß über alle Berge”

„Wenn ich mur bie ſchönen rothen Blumen einmal in der Nähe ſehen dürfte,“ ſprach Marie, „die in dem Garten des Bibliothekars blühen, das iſt ein ſeltſam, wunderbares Roth, das fernen Himmeln angehören ſoll; wenigſtens entſinne ich mich unter unſern heimathlichen Blumen dieſer Farbe nicht.“

„Ja, denken Sie nur,“ fuhr Pauline eifrig fort, „er hat auch ſeinen eigenen Garten, un da wollte,

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ich's Niemandem gerathen haben, vemfelben in die Nähe zu fommen, noch viel weniger ihn zu betreten. Und wie ſchön mag's darin ausfehen. Da blühen die herr- lichſten, jeltenften Blumen aus allen fünf Welttheilen, aber man fieht nichts davon; denn der hohe, lebendige Zaun, der den Garten einſchließt, ift fo Did und un— durchſichtig, wie die dichte Stadtmauer. Neulich habe ih und Marie von unſerm Schloßthürmchen ein Flei- nes Stückchen vom Garten überfehen. Ad, da blü- beten wunderfchöne, rothe Blumen. Gott mag wiflen, was nod hinter dem alten Schlofje ftedt, welches uns den übrigen Garten verbirgt. Da follen, wie in dem Mährchen des Morgenlandes, goldene und filberne Lau- ben ftehen, und auf ven verzauberten Bäumen ſich Ihöne, fremdartige Vögel, in herrlichem Parbenglanze wiegen; alle Blumen follen wie ſchöne bittende Men— Ihenaugen zum Beichauer emporblicken.“

Eginhard war ganz Hingeriffen von ſolch hochpoe— tiſcher Romantik. Er ſchwur, einen Luftballon zu bauen, und über das Blumeneden con amore dahin zu fehiffen.

„Ei, da nehmen Sie mich auch mit, rief Bauline.

Eginhard deflamirte mit galanter Verbeugung:

„Willſt Du in meinem Himmel mit mir leben, So oft Du kommſt, er ſoll Dir offen ſtehn.“

Der alte Wertheim war bei Paulinen's poetiſcher Beſchreibung des fabelhaften Gartens ſehr gefaßt ge— blieben. Er erklärte, daß ſich Baſiliko allerdings viel mit Botanik beſchäftige und ſehr ſchöne ausländiſche Blumen erziehe. Mit den ſilbernen und einzelnen Lauben und curioſen Vögeln ſei es aber nichts. Er wäre ſelbſt einmal im Garten geweſen, und habe nichts Außergewöhnliches gefunden, als was man in jedem ſorgfältig gepflegten Ziergarten vorfinde.

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„Nichts da,” proteftirte Eginhard, „wir laſſen uns fo bobe Romantik nicht proſaiſch hinwegdisputi⸗ ven, Mit dem Bibliothekar iſt es nicht richtig, Fräulein Pauline bat ganz redt. Da ftedt mehr dahinter, als fih unfre PBhilofophie träumen läßt. Den Bafilifo hat und der Himmel gegeben. Ein fol myſtiſches Individuum follte eigentlih in ' jenem Schloſſe fteden, welches einigermaßen Anſpruch auf Romantik macht. Ich komme indeß der Sache auf bie Spur, das verfpredhe ih. Wir müflen in's Klare fommen, welche Bewanbtnig e8 mit dem räthjelhaften Manne hat.” |

„sc finde gar nichts Räthſelhaftes,“ ſprach Wert- heim, „Bafilifo ift ein Sonderling und Mifanthrop, wie e8 viele giebt. Daß er die Dinger da nicht in den arten läßt, finde ih in der Ordnung; was verfiehen die Mädchen von Botanik. Es ift blos Neu- gier, die fie jo begierig nad) dem Garten macht, in welchem fich ihre Phantafie die fabelhafteften Dinge vorftellt; und wenn er biefe eitle Begier nicht befrie- digen will, kann ich's ihm nicht vervenfen. Cut alter Mann, der am Rande des Grabes fteht, hat feine Grillen, die man ihm hingehen läßt. Wenn aber Freund Eginhard glaubt, der Bibliothefar werde für ihn zugänglicher fein, als für uns Webrige, fo int er fih. Ich bin überzeugt, daß wir von ihm wäh— rend der Anwejenheit der Meufenföhne wenig oder gar nichts werden zu fehen befommen.“

„sch gebe mid für einen vacirenden Botaniker ans,” ſprach Eginhard, „Kunſtgenoſſen haben gewöhn⸗ lich einen größern Stein im Brete, als die übrigen profanen Menſchenkinder. Ich krieg ihn ſchon.“

„Sie müſſen uns aber dann auch erzählen,“ fiel

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Pauline eifrig ein, „und genauen Bericht erftatten über alles Wunderbare, was Sie gejehen haben.”

„Unbeſorgt, mein Fräulein, tröftete der Mufen- fohn, „ich gebe ein Buch darüber heraus, unter dem Titel: „Höchftwichtige Auffchlüffe über Geifterglauben und Gefpenfterfurcdht ‚oder der nievergebonnerte Freis geift, zur Belehrung und Beſſerung für Alle, die ſich noch mit Scrupeln und Zweifeln plagen. Leipzig, im Jahre ber Aufklärung”; und fange gleich mit ver zweiten Auflage an, das giebt der Sadıe ein größe⸗ red Ausſehen.“

„Eginhard wird uns ſchönes Beug weiß machen,” lachte Johannes, „was der ſich einbilvet, glaubt er und ſchwört Stein und Bein darauf.”

Wertheim theilte jetzt ver Geſellſchaft vie ange nehme Nachricht mit, daß in wenig Tagen nody mehr Beſuch auf Buchenfels eintreffen werde. Die beiden Beſitzer der angrenzenden Güter, Bodo und Alfred, zwei junge lebensluftige Männer, die fchon lange einen Beſuch verſprochen hätten.

„Das iſt herrlich,” rief Pauline, „nun werben ge⸗ wiß auch die längft verabreveten Barthien in der Um— gegend einmal zu Stande kommen.“

„Kein Tag fol unbenutt dahin gehen,‘ verficherte der Vater, „ich hab’ mir's überlegt; wir gehen ftrate- gifh zu Werke wie Napoleon, machen unjere PBarthien nad) der Landkarte und jeden Tag nad) einer andern Himmelsgegend.“

„Das ſoll ein Feſt werden,“ ſprach Pauline, „bis jetzt ging es ſo ſtill her, daß unſre Stimmen im Schloßhofe laut wiederhallten. Vier junge Herren werden ſchon Leben in die Sache bringen. Mir iſt nur bange, daß bei dem Spektakel die alten Mauern

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zufammenfallen und unfern guten Bafilifo mit allen jeinen Geheimniffen. unter ihrem Schutte begraben.”

„Für dieſen tragifhen Fall,“ tröftete Eginhard, „ſetz' ich mich, ein zweiter Scipio, auf die Ruinen und ſinge unſterbliche Lieder auf die Vergänglichkeit alles Irdiſchen. Es giebt Nichts, dem man nicht eine poetiſche Seite abgewinnen könnte. Uebrigens,“ fügte er hinzu, „iſt mir an der Ankunft der beiden Herren Ritter nicht viel gelegen. Hans und meine Wenigkeit werden nun all' unſere Liebenswürdigkeit zuſammen nehmen müſſen, um von ven beiden galan— ten Ankömmlingen nicht aus dem Sattel gehoben zu werden.“

„Unbeſorgt,“ platzte Pauline naiv und unbefangen heraus, „wir bleiben den Muſen getreu.“

„Wenn nur erſt mein alltdeutſcher patriotiſcher Rock wieder ganz wäre,“ ſprach Eginhard, „alsdann möchte Alles ſein wie es wollte. Uebrigens iſt es morgen mein Erſtes, die beiden Packer, Herrn Sul- tan und Paſcha, die mir in der Dämmerung . wie Heine Elephanten vorgelommen find, bei Tage zu be— ſehen.“

„Es find die friedlichſten Thierchen von der Welt,“ verficherte Pauline, „ich kann mit ihnen machen was ih will.” .

„D ja,“ erwiederte Eginhard, „auf Freundſchaft foheinen fie ſich zu verftehen, denn fie hielten alle Beide mich brüderlih umarmt.“

Eginhard trug jest fein Rencontre mit dem Ober- forftmeifter, wie er ihn nannte, mit vielem Humor vor, daß die ganze Gefellihaft viel zu lachen hatte. Endlich blie8 der alte Wertheim zum Aufbruch, weil es fpät geworben und die Mufenföhne gewiß ermüdet fein mwürben.

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Johannes und Eginhard verficherten mit klaren, lachenden Augen das Gegentheil.

„Ich gehöre zu den fogenannten Nachtlampen,“ ſprach letterer; „auf das zu frühe Aufftehen geb’ ic) nicht. Musis aurora amica, das ift ganz ſchön; aber des Abends, nach vollbrachtem Tagewerk nod) ein paar Stündchen zu. verplaudern im freundlich gejelligen Kreife, darüber geht Nichte. Im diefen ftillen Abend⸗ ftunden ift man ſich feiner weit klarer bewußt, als im Lärme des nüchternen Tages, und aufgewedter zur Converfation. Schiller dachte accurat jo, und hat ganz Recht, wenn er jagt:

„Ein halbes Dutend guter Freunde höchſtens

„Um einen Heinen runden Tiſch, ein Gläschen „Zofaierwein und ein vernünftiges Geſpräch . „So lieb’ ich's.“

Das war aud) Wertheim's Philoſophie. Er Tief daher noch ein paar Flaſchen Markobrunner auftragen. Den Damen warb es frei geftellt, ob fie noch auf: bleiben wollten. Pauline hatte große Luft, aber ein Winf der Mutter belehrte fie, daß e8 Zeit zum Schlafen- gehen fei; fie hätten überdies morgen alle Hände voll zu thun wegen des angelommenen und noch bevorite- henden Bejuches. .

Kaum hatten fid) die Damen entfernt, als Wert» heim und bie beiden Studenten die Stühle näher zu= jammenrüdten, der Paftor, obgleich er den folgenden Zag zu predigen hatte, blieb auch noch und fo floß bei dem perlenden Weine und unter intereffanten Ge— ſprächen ein Stündchen der Nacht nad) dem andern

vorüber. „Einmal fei nicht immer,“ tröftete Eginhard, und fo blieb man beifammen bi8 die Lerche den keimenden Morgen verkündete,

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10.

Die Sonne ftand bereit3 hoch am Himmel, -als Eginhard von jeinem Lager fprang und den Kopf in den herrlihen Morgen hinausſteckte. Die Landſchaft lag wie ein frifches, duftendes Gemälde ausgebreitet. Bon dem Schlafzimmer, welches den zwei Muſen ein- geräumt war, genoß man die erquidenpfte Ausficht.

Eginhard's Jubel und Lärmen Tieß auch Iohannes an feinen weitern Schlaf denken. Er fprang auf und ſchaute gleichfalls entzüdt in die Landſchaft.

„Ich frage Did nur,” ſprach Eginhard, ver fich an ber reichen Gegend nicht fatt fehen konnte, „mir anfrihtig zu jagen, ob wir wirklich noch auf Erben leben oder bereits lebendigen Leibe gen Himmel ge- fahren find. . Seit geftern Abend ift mir Alles zu fa= belbaft. Deine Coufinen find ja eingeborne Engel, gar feine irdiſchen Mädchen. Ich habe jchen geftern Abend einen dreifachen Harniſch um mein Herz gelegt. Wie foll das bei hellem Sonnenlichte werden?”

Er ftredte den Kopf wieder zum Fenſter hinaus:

„Ein himmliſcher Morgen, wie erquict Alles. Die Naht hat recht gemeint, daß fie ihre Blumen ver- lafjen mußte; fieh nur, Hang, die Millionen Thränen, in welchen fi) die Morgenjonne jpiegelt.

„Das Schloß ift nicht von geſtern;“ fuhr er, fid) die nächſte Umgebung betrachtend, fort. „Die alten Mauern haben ihre paar Jährchen gejehen. Aber auf den Kopf gefallen war der Erbauer nicht. Er konnte fi) feinen ſchönern Punkt wählen in ver ganzen Ges gend. Ob's nur ein Raubritter gewejen iſt. Ich glaub’8 nicht, fo kühn und frei heraus baute dieſe Art nicht. Wenn wir nur eine Chronik auftreiben

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Eönnten, da jchrieb ich einen Ritterroman, wo man die Romantit mit Händen greifen folltee Hans, fo tief in der Poefie haben wir noch nicht geftedt. Ein uraltes Schloß, ein räthfelhafter Bibliothekar, ein gaft- licher und Humoriftifcher Burgherr, berrlihe Burg: fräuleins, Köftliher Wein, Frühling, erquidende Aus- fiht und Ferien; ich will den Menſchen fehen, ver da nicht poetifh würde.” »

Johannes erkundigte fi, welche von den Coufinen Eginhard am Meijten gefalle.

„Ich bin in beide verliebt, theuerfter Freund, und zwar in allem Ernſte; Du weißt, mein Herz ift groß und hat für Biele Kaum. Himmlifche Kinder. Wie gefagt, ih muß mich verwahren mit dreifachem Pan- zer, fonft bin ich verloren für die ganze Ferienzeit und verpaffe den ganzen Frühling.”

Nad einer Baufe fuhr er fort:

„Wenn doch Die biedern Ritter, bie auf morgen ihren Beſuch angefündigt haben, in dem Lande vers blieben, wo ver herrliche Pfeffer wählt. Ich verfichere Dir, Hans, die Sache kann ſchlimm werden. Wenn diefe Junker unfere Burgfräuleind abjpenftig machen, Hans, da kennſt Du mid, da bin ich fürchterlich. Ohne Blut geht es nicht ab. Wir Mufen dürfen ung von der Ariftofratie nicht werfen laſſen. Nur Einer kommt lebendig vom Plate.”

„Sprich nicht abgeſchmackt,“ verwies Johannes, „ich hoffe, daß Du ſo viel Vernunft haſt und im Hauſe der Gaſtfreundſchaft nicht unnöthigerweiſe Hän⸗ del ſuchſt.“

„Aber, beſter Freund,“ erwiederte Eginhard, „wir können doch unmöglich, ohne aus der Haut zu fah— ren, mit anſehen, wie dieſe irrenden Ritter unſern Da⸗

men den Hof machen? In ſolchen Angelegenheiten bin

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ich fürchterlich, und auf ein paar Kannen Blut kommt mir's nicht an.”

Chriſtine, das Dienſtmädchen, frug jetzt, ob die beiden Herren den Frühkaffee auf ihrem Zimmer oder im Garten unter der Linde zu trinken wünſchten.

„Hans,“ ſprach Eginhard, „das iſt eigentlich eine Injurie, die und Dein braver Onkel in dieſer Alter- native fagen läßt. Er weiß, daß wir poetifche Ge- müther find und das Freie und Grüne lieben. Aller: dings, Schätzchen,“ wandte er ſich zu dem Mädchen, „teinten, wir im Garten und werden ſogleich er- ſcheinen.“

„Guten Morgen, Couſinchen,“ rief jetzt Johannes zum Beufiee hinaus, denn Pauline hüpfte fo eben durch

ennfeilifer tönte e8 lachend herauf und bas Mädchen ſchabte ein Rübchen.

„ale Wetter,” frug Eginhard, „mit wem disku— rirſt Du denn? Ach es ift der Paul, das Him- melskind im Roſakleide. Du Glüdlicher, Du ſteckſt fon total in den Kleidern. Ich kann mid) vor dem eingebornen Engel nicht einmal ſehen laſſen.“

Eginhard hatte nur ein Fein wenig bie grüne

Gardine hinweggeſchoben und blidte hinab. „Sieh nur das Himmelskind,“ fuhr er fort, „ver liebe Gott muß feine Freude haben über ſolch' ein Mädchen; wie es über den weichen Raſenteppich tän- zelt. Ad du Heiner Tiebenswürdiger Affe. Es geht doch in der Welt nicht über eine ſolche flebenzehnjährige Göttin, zumal an einem ſchönen Frühlingsmorgen. Das iſt Poeſie! Das Roſakleid ſteht ihr reizend.“

Johannes mahnte zum Aufbruch. Eginhard konnte ſich aber von der anmuthigen Erſcheinung nicht 108- reißen. Mit einemmale begann er aber entſetzlich zu

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lamentiren, zu fluchen und zu verzweifeln, daß Johan⸗ nes ganz beforgt nach der Urſache fragte. Eginhard hatte fich exit jett auf feinen Rod und den Fläglichen - Zuftand deſſelben bejonnen. Er lief jammernd und verwänjchend im Zimmer auf und ab,

„Das ift wahr,” rief er einmal über das andere, „ich bin einmal zum Unglüde geboren. Es hätte können ſchön werden; e8 follte nicht fein. Ohne gan- zen Rock, was ift da auszurichten. Geftern Abend mochte e8 gehen; da war e8 dunkel und von ber Bes fcheerung nichts zu ſehen. Jetzt aber iſt's Tag, bie Some hat feit Erſchaffung der Welt nicht jo Hell geſchienen. Was helfen die herrlichen Geſchöpfe da unten, wenn idy mid) vor ihnen nicht ſehen laſſen fann in einem anftändigen Rode. Als Centunkulus mag ih nicht auf Buchenfels umberfpazieren. Ich) begreife nicht, wie ih das Unglüd geftern Abend auf vie leichte Achfel habe nehmen und noch Wit daräber machen können. Was hilft jest Nomantif, Biblio- thefar, Frühling, Liebe und ſchöne Ausficht, an dem vermalebeiten zerfletfchten Rode berftet alle Poeſie, und wäre fie von Apollo jelbft, von allen Muſen und Gra— zien präparirt und rekommandirt.“

Johannes tröftete und ging in ven Vorjaal nah dem Kleiverfchranfe, um zu fehen, ob das Corpus delicti wirklich unrettbar verloren, oder durch Funft- reihe Hand zu reftauriven wäre „Im ſchlimmſten Valle ziehft Du meinen Frack an, der ift ganz anſtän⸗ Dig und wirb Did ‚gut kleiden. u

Eginhard, der in dumpfem Schweigen dageſeſſen, ſprang jetzt auf.

„Schweig mir,” rief er, „von dieſer niederträch⸗ tigen Tracht, eher will ich in Hemdärmeln meine Aufwartung machen, als in dieſem Non plus ultra

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alles Ungeſchmacks, wie eine Bachſtelze umberzufpaziereit. Schon ver gute Jean PBaub hat ſich fein Lebtag dars über geärgert. Er nennt den rad einen Schwalbens fhwanz und hat ganz Recht.

„Ich hole den Altveutfchen,” ſprach Johannes, ‚vielleicht ift Rettung” Eginhard hatte aber alle Hoffnung aufgegeben. „Ich entfinne mid) ja ganz beut- lich,” ſprach er verzweifelt, „wie ic) geftern Abend in meinem fatanifchen Webermuthe ein ganzes großes Stüd vollends abgefnaupelt und in Die Taſche geftedt habe. -An dem Rode ift Hopfen und Malz verloren, die Beſtie ift nod nit einmal bezahlt.” Darauf fprady er dumpf für ſich Hin:

„Hin ift hin verloren ift verloren, Stirb hin, ftirb Hin in Nacht und Graus, D wär’ ich nie geboren.‘

Johannes war indeß mit dem Ueberzieher zurüd- gekehrt. Er betrachtete ihn oben und unten, vorn und hinten mit gerechter Bewunderung.

„Was fehlt denn Deinem Rocke?“ fragte er, „ich ſehe ja nicht die geringſte Verletzung. Es iſt das unverſehrte Prachtſtück von geſtern.“

Eginhard ſah jetzt auch hin und ſein entzücktes

Erſtaunen erreichte den höchſten Grad. „Iſt denn das mein Altdeutſcher?“ Fragte er feis. nen Augen kaum trauend.

„Kein anderer,” lachte Johannes, „gute Genien haben über ihn gewaltet. Während wir in guter Ruh' gelegen, haben vie gejchicten Hände meiner Eoufinen oder der Näherin den Schaden, ver übrigens lange | nicht fo bedeutend gewejen ift, wie Du Dir vorge: ftellt haft, auf Das Unmerklichſte gut gemacht. Du bift den meiblihen unfichtbaren guten Engeln zu. großem Danfe verpflichtet.‘

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Eginhard, welcher noch immer feinen Rod an allen Orten befah und vifitirte, ſchwur jet Stem und Bein, das könnten feine menfchlihen Hände fo unfichtbar genäht haben. Es müßten ſchlechterdings Heinzelmännden im Schloſſe ihr fegensreiches Wirken treiben.

„Entfinnft Du Dich nicht, Hans, wie der originelle Kopiſch in Berlin, der auch unfer neueftes Lieblings- lied, den Bater Noch,. gedichtet hat, jo allerliebft von ven nieblichen, fleißigen Kerlchens ſingt?“

Er ſang:

„Wie war zu Köln es doch vordem, Mit Heinzelmännchen ſo bequem! Denn war man faul: man legte ſich Hin auf die Bank, und pflegte 9 Da kamen bei Nacht, Ehe man's gedacht, Die Männlein und ſchwärmten Und klappten und lärmten, Und ruften Und zupften, Und hüpften und trabten Und putten und ſchabten Und eb’ ein Faulpelz noch erwadt, War all’ fein Tagwerk bereit3 gemacht. -Einft hatt’ ein Schneider große Bein: Der Staaterod follte fertig fein; Warf hin das Zeug und legte ſich Hin auf das Ohr und pflegte ſich. Da ſchlüpften fie friſch An den Schneidertiſch; Und ſchnitten und rückten, Und nahten und ſtickten, Und faßten Und paßten Und ftrichen und gudten, Und zupften und rudten Und eh’ mein Schneiderlein erwacht, War Bürgermeifterd Rod gemacht.”

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„Juchhe, auch mein Röcklein ift wieder fauber und nett, als kam e8 erft vom Schneider her.”

AS die Beiden herabftiegen zum Garten, kam

‚ihnen der alte Wertheim, entgegen. „eEin herrlicher Morgen,“ ſprach er, ben zwei Zünglingen die Hand ſchüttelnd, „Sammerfchabe, daß wir ein koſtbar Stück verſchlafen haben; bin auch nicht lange aus den Federn.“

Der Kaffee unter der Linde war ſervirt. Die Schloßfrau nebſt den beiden anmuthigen Töchtern fan- den ſich ein.

Eginhard ſtellte jetzt dankbare Unterſuchungen an wegen des Wunders, das ſich dieſe Nacht mit ſeinem Rocke zugetragen hatte, Da fam e8 heraus, daß Pau- line mit ihrer Heinen Meifterhand die gute Fee gewe⸗ ſen war. Sie hatte ſich das Kleidungsſtück in aller Frühe herabholen laſſen, und die Reſtauration mit bewunderungswürdiger Geſchicklichkeit vollendet.

Eginhard wäre ſeiner reizenden Erretterin für's Leben gern um ven Hals gefallen, wenn ſich dies einigermaßen hätte bewerfftelligen laſſen.

Marie, welche im violetten Kleive ging, fam dem Sohannes im Sonmenlichte wieder fo überirdiſch vor, daß er abermald um Worte verlegen war, das be- zaubernde Weſen anzureben.

Nach eingenommenem Kaffee ſchlug Wertheim fei- nen beiden Gäſten einen Spaziergang vor, um fie mit der nädıften Umgebung des Schloſſes bekannt zu machen. Der Vorſchlag ward gern angenommen, und ſo wandelten die Drei, nachdem ſich Johannes und Eginhard von den Damen verabſchiedet, in der fro— heſten Stimmung in den ſchönen Morgen hinein.

Man gelangte zu dem alten, halbverfallenen Schloß- theile. In die meiften Gemächer ſchien der blaue

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Maienhimmel und ver Ephen war armdick durch die offenen Fenſter hineingewachſen. Nur ein Heiner Theil dieſes alten Gebäudes war noch bewohnbar, und da eben refidirte der Bibliothelar.

Johannes fragte den Onfel, ob dieſe verfallenen Gemächer nicht wieder zu reflauriren wären. .e „Wohl kaum,” war die Antwort, „fie find Ruinen, und Koften und Mühe wären vergebens aufgewendet. Dean bat 'mir wiederholt gerathen, den alten Gtein- haufen vollends abtragen zu laffen, aber ich habe mich nod immer nicht Dazu entfchliegen können.“

„Um's Himmelswillen,” rief Eginhard, „abtragen, jo eine Prachtruine, ich begreife nicht, wie man jo ‚einen profaifhen Gedanken geben kann. Nein, da muß Alles ftehen bleiben, mie es fteht. ine jo herrliche Ruine, fo ein ehrwürdiges Aktenſtück aus dem Mlittel- alter, ift heutzutage, wo der Rauch der Fabriken alle - DBlüthen des Frühlings [hwärzt und man vor dem Scnaufen ver Dampfmafchinen fein eigen Wort nicht mehr hört, nicht mit Golde zu bezahlen.‘

Die Wanderer ftiegen in dem alten Gebäude Trepp auf, Trepp ab. Eginhard ſtellte Iauter mittelalterliche Betrachtungen an. Er meinte, in fo einem alten Schloſſe fünne man in einer Stunde mehr veutjche Geſchichte lernen, als bei Yuden im längiten Semeſter. Dean gelangte in ein Heines, finfteresg Gewölbe.

„Das war die ehenalige Marterfammer,' erklärte Werthein, „wenn diefe ftummen Mauern erzählen fönnten, würden wir Gott nicht genug danken fün- nen, im neunzehnten Jahrhundert zu leben.”

„Das neunzehnte Jahrhundert hat aud) feine Mar— tern,“ meinte Eginhard, „weit finnreiher als vie al- ten Ritter; den großen Mann der Weltgejchichte, a la Prometheus auf einen Felfen zu ſchmieden und einen

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Geier Daneben: zu feen, eines ſolchen Verbrechens und eine ſolche Marter hat ſich das Mittelalter nicht zu Schulden kommen laſſen.“

In dem dunkeln Gewölbe fanden ſich mehre Trüm⸗ mer ehemaliger Marterwerkzeuge. Eginhard betrach⸗ tete Alles mit Kennerblick. Er war in ver altdeut⸗ fhen Criminalpflege ‚ziemlih zu Haufe, erklärte vie Wirkungen der verfchievenen Inſtrumente und fragte Johannes, ob er fih zum Zeitvertreibe an dem ſchö— nen Yrühlingsmorgen nit ein wenig martern lafien wollte?

Der Gefragte verfpürte Feine Luft hierzu, und man ftieg lächelnd in den innern Hof des alten Schlofjes. Hier ſtand ein uralter, Blech umfangreicher, hoher,

cylinderförmiger Thurm. Eginhard lief mehre Male um ihn herum, ohne einen Eingang zu finden.

„Ale Wetter,” xief er, „eine Thür muß doch da fein, wie fann man fonft hinein.” Er machte noch einmal die Runde und fland ganz erftaunt.

„Die Bauleute,” ſprach er, „müſſen präjumirt haben, daß Die Bewohner ihon darin gejtedt haben, da fie die Thüre vergeſſen.“

Man betrachtete pas ſeltſame Gebäude von unten bi8 oben. Da bemerkte enplid Johannes eine wer: mauerte Thür body oben, und man 309 ven ſehr fol- gerichtigen Schluß, daß- ver Thurm vermittelft einer. Zugbrüde mit dem Schloſſe in Berbindung geftanden haben müſſe.

Nun war Eginhard wieder ſehr neugierig, was wohl drinnen ſtecken möge. Wertheim konnte hierüber keine Auskunft geben.

Da muß ich wiſſen,“ ſprach ſchnell reſolvirt der Aterthumsforfcher, zog den Rod aus und begann wie eine Gemfe, von Fuge zu Fuge empor zu klimmen.

Stoffe, ſämmtl. Schriften. XV. 5

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Das überall hervorſproſſende Gejträuche diente zur bequemen Handhabe.

Bergebend war das Abmahnen von Seiten Wert- hein’8 und Johannes. Eginhard hatte bald das Ende erreicht und ftand wohlgemuth body cben auf ber Thurmmauer.

„Oben wär' ich,“ ſprach er, „eine herrliche Aus ſicht. Wenn hier der Thurmwart logirt hat, war das Kerlchen nicht dumm. Man kann Meilen weit in's grüne Land ſchauen.“ Hierauf ſang er:

„Kleinhänſel ſchau auf, Was trappelt im Thal? Kommt Wadermann an?

„Aber binfichtlih des Thurmbauches bin ich nicht. im Klaren. Iſt er hohl, oder was tft darinıten. Es fieht verwünſcht finfter aus. Die Sonne ſcheint nur ein Stüdchen hinein.

„Der Menſch verſuche bie Götter nicht, Und begehre nimmer und nimmer zu fchauen, Was fie gnädig bededen mit Nacht und Grauen.

„Bas da, ih will nicht vergehens heraufgekrochen ſein. Wohlan!

„Ich bringe Euch Kunde,

Was ich ſah auf des Meeres tiefunterftem Grunde‘

Damit begann er an ber inmwenbigen Geite des Thurms binabzuffettern.

„Er muß von Sinnen fein,” rief Wertheim, „in - den Schlund Hinabzufteigen. Johannes tröftete; er ‚war bergleihen Stückchen an Eginhard gewohnt, und wußte, baß biefer int Klettern die Geſchicklich— feit eines Gemfenjägers beſaß.

Plöglih hörte man Eginhard im Innern bes Thurmes entfeglich fluchen. „Die Kraniche des Ibicus,“

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“rief er, „verdammtes Gefhwirr und Geſumme;“ und faft zu gleicher Zeit flatterte ein Schwarm eulenar- tige8 Geflügel, ob des unerwarteten Beſuches im Schlafe geftört, mit wibrigem Gefchrei zum Thurme hinaus,

Eginhard fluchte fortwährend und ftieg immer tie- fer. Nun mochte aber das Gezweig nicht mehr halt- bar genug fein, denn man hörte von außen, wie er plöglic vollends hinabrutjchte.

Jetzt ward Wertheim bange.

„Da haben wir die Beſcheerung,“ rief er, „er iſt vollends binabgefahren, wie will er wieder hinauf? Ich werde ein paar Quadern herausheben müflen, da⸗ mit der Tollfühne gefegneten Auszug halten kann.‘

Johannes mußte laut auflachen und freute fich, daß Eginhard einmal für feinen VBorwig anf jo drol⸗ fige Weife beftraft wurde. Er fragte den Thurmbe— wohner mit lauter Stimme, wie er fich befinde und welche antiquarifche Entdeckungen er bereit gemacht habe.

Anstatt der Antwort tönte herauf:

„Süße, freundliche Gewohnheit des Daſeins und Wirkens, von dir ſoll ich ſcheiden! Wenn ich) wenig- ſtens eine Laterne hätte, mein Unglüd bei Lichte zu fehen. Hier herrſcht eine Nacht, wie in der ewigen Verdammniß. Ich kann die Sterne fehen, fo tief ift der Keller. Was hilft mir das. Und eine Kälte ift hier, wie auf Spitbergen, wo die Eisbären über- müthig werden. Wäre ich doch lieber in ven Him— mel gefahren, als in das verdammte Eisloch, das ber Zeufel in feinem Zorne erſchaffen hat.‘

„Ei, jo fahre doch wieber zu Tage, wadrer Berg- mann,‘ vief Johannes,

„Das tft. bald gejagt,” zanfte es un Thurme,

. %

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„doch ſobald nit gethban. Ihr habt gut ratben draußen in der warmen Welt, wo die Mücken fpie- Ien und Schmetterlinge gaufeln. Ic hab’ e8 mit andern Beſtien zu thun. Ih will nicht lebendigen Leibes herabgefahren fein zur Hölle, wenn ich' nicht einem Schock Nattern, Molden, Salamandern und Draden auf ven Kopf getreten habe. Der Satan hole ſolche Romantik. Menſch bleibt Menſch.“

Unter dieſen abgebrochenen Monologen ſtolperte er fortwährend über große Steine, die den Boden des Thurmes bedeckten, und zankte ſich mit Schlangen und Ungeheuern, die ihm ſeine Phantaſie vormalte.

„Ich wünſchte,“ fuhr er fort, „daß die alten Deutſchen, dieſe Blondins, ihr Genie und Geld zu was Beſſerem angewandt hätten, als ſolche höchſt ab- geihmadte und überdies geſchmackloſe Babelthürme aufzuführen. Ic ſehe gar feinen Zweck, den dieſe elenden Steinkoloſſe haben konnten, weder in militä⸗ riſcher noch politiſcher Hinſicht. Es war in manchen Dingen ein bornirtes Volk, dieſe Deutſchen. Das wird einem klar, ohne daß man den Luden zu leſen braucht, und mir jetzt abſonderlich, obſchon es um mich ſtockfinſter iſt wie in Egypten zur Zeit der Landplage.“

Nachdem Eginhard vergebens mehrmals an den innern Thurmwänden umbergetappt war, ohne einen Anhaltepunft zum Aufwärtsfteigen zu finden, ward er demüthig und begann gute Worte zu geben.

„Hans, befter Hans,“ rief er, „Liebling meiner Seele, wenn Du Deinen treuen Freund nod) einmal um⸗ armen willft auf dieſer ſchönen Welt, fo wirf etwas herab in den Abgrund, ein Stüd Strid oder Strid- leiter, daß ich etwas erfaflen und auferftehen kann von den Todten. Aber hab Acht, daß der Hanf gut

69 gedreht und das Ankertau nicht zerreißt, fonft kann ich ven Hals brechen auf die bequemfte Art, ohne daß Jemand etwas davon gewahr wird. Erſt nad Jah— ren wird mein moderndes Gebein Kunde geben von meinem tragifchen Ende.” |

Johannes war nad) dem Schloſſe zurückgeeilt und fehrte mit Bendir, dem Diener Wertheim’s, zurüd, welcher eine Stridleiter nachſchleppte. Unterdeß warb . aber dem Lebendigbegrabenen die Zeit lang; doch verlor er feinen guten Humor nicht; und Wertheim, wie unangenehm ihm das Eginhard ſche Unternehmen war, mußte oft über die Monologe, welche der Thurm⸗ bewohner hielt, laut lachen.

„Ich lebe unbeſtritten,“ fuhr letzterer fort, „im zwölften Jahrhundert nad) ver Geburt unſers Herrn und Heilands, ſo lange kann dieſe Babelfeſte ſtehen; denn die Sonne ber ſpätern Jahrhunderte hat nicht im dieſe Tiefe geleuchtet.. Wo bleibt denn Hans ? Wenn ih noch lange bier unten verweile, thaue id) im eben nicht wieder auf. Ueberdies habe td) wie Laakoon mit Ditern und Schlangen zu fampfen. Die Unzahl Flevermäufe fommt nit in Betracht. Ic) wünſchte ich wär eine Da hätt ich Flügel und fönnte emporfteigen in himmlische Regionen. Daß der Menſch das Fliegen noch nicht erfunden hat, ift aud eine Schande. Die Adam'- und Eva’fche Nachkom— menfhaft hat viertaufend Jahre Zeit gehabt, über die Suche nadyzudenfen, und Nichts herausgebracht, obſchon täglich die Geſchlechter der leichtbeſchwingten Vogel vor der Naſe herumfliegen und das Ding vor— machen. Nein, wir wollen mit unſrer Weisheit um Himmelswillen nicht dicke thun, ſonſt braucht ich nicht in dieſem Eisloche zu ſtecken und mich mit den Schlangen und Kröten herum zu zanken. Hu, das

?

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mag bier Kribbeln und wibbeln; es ift gut, daß ich von der erlauchten. Geſellſchaft nichts fehe; aber es mag auf dem Meereögrunde nicht fehauerlicher her- gehen. Wie es Schiller's Taucher zu Muthe gewefen, ift mir jest klar, obſchon ih in vollkommner Nacht lebe. Wenn ich nur nicht blind werde, falls mit je noch das Glück wird, in's freundliche Leben, auf bie ſchöne, Lichte, warme, wonnige Erde zurüd zu ehren. Ruhe, was rafchelte da wieder. Die vier, fünf-, feh8- und taufenpbeinigen Ureinwohner dieſer Gruft mögen allerdings über meine Höllenfahrt Augen ma=' hen. Eine ſolche Erſcheinung ift ihnen feit ven Rö— merzeiten nicht geworben. Ihre fpätefte Nachkommen⸗ Ihaft wird fih noch mit gefpisten Ohren davon er- zählen. Aber Hans, alle Wetter, wo bleibt er? Ich bin ja noch nicht tobt, daß man fich nicht mehr um mich befümmert.”

Wertheim rief ihm von außen Muth und Aus— dauer zu. Nur ein paar Minuten follte er fich ge« dulden, und e8 würde Rettung kommen.

„O das war die Stimme eined Engel,” tünte

es als Antwort aus dem Thurme, „eines Engels, der

im warmen Sonnenfcheine wandelt und mein edler Gaſtfreund ift. „Mitten durch's Heulen und Klappern der Hölle, Dur den grimmigen, teufliichen Hohn, Erkannt' ich den ſüßen, den Liebenden Ton.

„3a, ich ſagt's immer, der Ton der menſchlichen Stimme hat etwas wunderbar Erfreuendes, hauptſäch⸗ lich für Staubgeborne, die ſich in meiner dermaligen Lage befinden.”

Nach einer Paufe rief e8 wieder:

„O braver Mann, braver Mann zeige Did), Schon naht das Berberben fih fürchterlich.

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„Das Otterngezücht wird immer revolutionairer. Wo dränge ſich heutzutage die Revolution nicht ein, ſelbſt dahin, wo keine Sonne ſcheint. Aber noch bin ich hier der gewaltige Napoleon und halte die ganze raſchelnde und ziſchende Unterwelt in Schach.“ Dem Johannes war es jetzt gelungen, die Thurm⸗ mauer emporzuklimmen und die Strickleiter nach ſich zu ziehen. Er ſtand oben und rief in die Tiefe:

„Muth, ver Retter naht, aufgepaßt, ich laſſe bie Himmelsleiter hinab.”

Er fenfte fie in den Schlund; das eine Ende biieb aber am Gefträud hängen und gelangte nicht bi8 zu Eginhard. Diefer tappte in der Finſterniß vergeben? nad dem Xettungsfeile umher. Johannes war nun genöthigt, die Leiter wieder heraufzuziehen, Er ſ ah kein ander Mittel, ſie für den Freund erreich⸗ bar zu machen, ald wenn er einen Stein an das un⸗ tere Ende befeftigte. Died verurfachte wieder Aufent- halt. Eginhard wollte verzweifeln. Es warb ihm, bei feiner erregbaren Phantafie immer gewiller, daß

die Thurmgruft zu feiner Todtengruft werden würde.

Er jammerte:

„So muß id denn verlaffen fterben, Hier unter Schlangenbrut verderben.‘ r

Sohannes und Wertheim tröfteten aus Leibes— kräften. Der Letztere ſchickte bereits nach Arbeitern, um ein paar Quadern aus der Thurmmauer heraus bauen zu laſſen, falls die Verſuche mit der Stridlei= ter nicht gelingen ſollten.

Johannes ſenkte jet die mit einem tüchtigen Steine befchwerten Rettungsſtricke abermals in die Tiefe. Voran ſpazierte eine Laterne. Die Geſträuche leiſteten jetzt keinen Widerſtand mehr. So ſchwebte die Rettungsmaſchine immer tiefer.

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Als Eginhard den Rettungsftern berabfchweben fah, befam er wieder Muth. °

„Se, mir willfommen, ſtrahlendes Geftirn der Dberwelt,” rief er; und ertunpigte fi zugleich, ob bie Stridleiter gehörig befeftigt fei ?

„Unbeſorgt,“ antwortete Johannes, „ſpute Did nur, daß wir Dich bald im Lichte haben.“

Bei dem Thurmbewohner bedurfte es dieſer Auf- forderung nicht. So wie er den Stein erreichte, zog er ihn vollends herab und band ihn von der Leiter los.

„Eigentlich ſollt' ich jetzt,“ ſprach er, „noch einige antiquariſche, hiſtoriſche Unterſuchungen anſtellen über das Inuere dieſes räthſelhaften Thurms, damit ich wenigſtens für die Wiſſenſchaft nicht vergebens hier unten campirt habe. Im, Betracht der Nova Zembla⸗ Atmoſphäre aber will ich mir dieſe Forſchung für ein andres Mal vorbehalten.“

Er leuchtete mit der Laterne ein klein Wenig umher und war eben im Begriff, an der Strickleiter emporzuklimmen, als er das Heft eines alten Schwer⸗ tes entdeckte, das aus den Steintrümmern hervorragte.

„Heureka,“ rief er, „und ſollt' ich das Sonnen— licht mein Lebtag nicht wieder ſehen, dieſen außer⸗ ordentlichen Fund kann ich nicht zurücklaſſen.“ Er zog und zerrte ſo lange, bis er die Waffe glücklich erobert hatte. Mit dieſem für ihn unſchätzbaren Funde trat er ſeine Himmelfahrt an und gelangte nach einigen Beſchwerlichkeite mit ſammt dem Schwerte glücklich auf die obere Thurmmauer, wo ihn Johannes lachend bewillkommte und Wertheim ihn ein freudiges „Glück auf!“ zurief.

„Jetzt wirſt Du mir endlich zugeſtehen,“ ſprach er, vor Froſte ſich ſchüttelnd, „daß ſolch' ein außeror⸗

7” Abenteuer, wie ich beſtanden habe, nicht

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alle Tage vorkommt. Du wirft zugeitehen, daß Cou- . rage dazu gehört, ſich lebendigen Leibes, in der Blüthe der Jahre in ein Schlangengrab zu betten. Aber, fügte er triumphirend hinzu, „Muth belohnt fi, fieh die8 Schwert und ſchweige. Ein folder Fund ges ſchieht nicht alle Tage. Ich fühlte wohl, als ich in der Finſterniß ſaß, daß ich auf einer untergegangenen Heldenwelt herumtrat. Das Schwert ift Beweis, daß e8 vor Jahrhunderten furchtbar hier zugegangen if. Ich fchreibe ein Programm über diefen Flamberg, das ſich gewafchen haben fol. O ihr Götter, welch ein Fund, unter dreiunddreißig Meillionen Deutfchen war - id der Auserwählte, der ihn aus Nacht und Trüm- mern zu Tage fördern und die Alterthumskunde be= reichern follte.” Während Johannes die Stridleiter wieder heraufzog, überlegte Eginhard, wie er fein Schwert glücklich auf die Erde bringen fünnte,

„Du'wirfſt e8 hinab,” ſprach Johannes, „es wird nicht zerfpringen.“

„Du fprichft, wie Du es verftehft,” zankte Egin- hard, welchen es nicht wenig ärgerte, daß der Freund jeine Antiquität fo en bagatelle behandelte. Ich be- darf nothwendiger Weife eines guten Seils, um die Waffe wohlbehalten niederzulajien. Zwiſchen die Zähne kann ich's nicht "nehmen, wie Horatius Cocles.‘

„Johannes entgegnete: „Was ift hier für Beden— fen, wir merfen die Stridleiter nady außen. Der da zuerſt hinabiteigt, nimmt's mit.‘

Diefen Vorſchlag lieg fih Eginhard gefallen, und da er beifer zu klettern verftand, als Johannes, fo übergab er die verroftete Reliquie deinfelben; band fie ihm mit väterlicher Sorgfalt auf die Seele, damit fie feinen Schaden erleibe.

Endlich waren die zwei Mufenfühne zur großen

74 Freude Wertheim's auf ebener Erde angelangt. Egin— hard ward von dem Alten mit Lobeserhebungen ob ſeines Muthes überhäuft, welche er ſich auch gern ge— fallen ließ.

Hatte dieſer, als er noch im Thurme ſteckte, über das Furchtbare ſeines Aufenthaltes ſich in ſeiner ge— wohnten Uebertreibung gefallen, ſo trieb er es jetzt, wo keine Gefahr mehr vorhanden, womöglich noch ſchlimmer. Er beſchrieb ausführlich die verſchiedenen Gattungen der Schlangen und der übrigen Ungethüme, die ſämmtlich nach ſeinem Blute gelechzt hätten. Ahmte ihr verſchiedenartiges Geziſch und Gepfeife nad, daß Wertheim und Johannes ſich oft des lau— ten Lachens nicht enthalten, und dem Erzähler wegen feiner drolligen Manier nicht bös werben fonnten, wenn er auch zuweilen beveutend fabelhaft erzählte. Das Spaßhaftefte an der Sache war, daß Eginhard an alles das Unerhörte, was er erlebt haben wollte, auch wirklich glaubte und feit überzeugt davon war. Das aufgefundene Schwert, ein Lichtblid feines Le— bens, wie er e8 nannte, gab ihm Stoff, die übertrie- benfte Hypotheſe aufzuftellen. Im Anfange jollte es ein: Frankenſchwert fein und da Buchenfels innerhalb des alten Sachſens lag, mußte es nothwendigerweife aus den Zeiten Karl's des Großen herrühren; ja ber Alterthümler wollte fogar einige untrüglide Merk— male daran wahrnehmen, welde ihm nicht undeutlich anzeigten, Daß es jenem großen Kaifer wohl felbft angehört haben könnte.

Unter folchen antiquarifhen rörterungen kehrte man zum: Schloßgarten zurüd, wo die Fürſorge der ſchönen gaftfreundliden Damen unter der großen Linde ein höchſt appetitliches Frühſtück bereitet hatten. Lieblich glänzten die banken Weingläfer im Morgen-

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lichte. Pauline bewillfommte die Anfommenden und Eginhard Hatte nichts Eiligeres zu thun, als feine Thurmfghrt in Erinnerung zu bringen. Er ſchloß feine groteske Schilderung mit den Worten, daß von ſolch einer außerordentlichen Romantik ſelten ein Sterblicher eine Ahnung habe.

„Was verſtehen Sie den eigentlich unter Ro⸗ mantik,“ fragte treuherzig Pauline, „Sie gebrauchen dieſen Ausbru für ſo verſchiedenartige Situationen, daß ich mir ſchon den Kopf zerbrochen habe über die eigentliche Bedeutung dieſes Wortes?“

„Allerdings, ſchönes Fräulein,” belehrte Egin- hard, „ſind der Zuſtände ſehr viele, die wir mit der Benennung Romantik bezeichnen. Wandeln wir durch ein lachendes Thal, das ein klarer Bach durchrieſelt, Vergißmeinnicht und blaue Schlüſſelblumen bekränzen ſein Ufer und munteres Laub ſpiegelt ſich in den Silberwellen, während rings auf blumenreichen Hü— geln und grünen Wieſen der Horizont herabſinkt, ſo rufen wir einmal über das andere: „Gott wie ro⸗— mantifh!” Wird die Gegend ernfter, treten an bie . Stelle des freundlihen Laubholzes finitere Tannen⸗ wälder, wachſen Felſen empor, wild und waldumnach— tet, erftirbt der Blumen Schmelz, der Wiefen fanftes Grün, beginnt der Waldbach zu rauchen, verftummt ber Vögel Geſang, und zieht nur ein einfamer Raub- vogel in den hohen Wolfen feinen |pionirenden Kreis „Huh!“ rufen wir, „wie tief romantih!”" & - it. Spätherbit Abend, einfame Nebel fchleichen über erftorbene Gefilde, der verfpätete Wanderer legt einen ſchnellern Schritt ein, vor völliger Nacht vie befreun- bete Heimath zu erreihen; der Abendwind weht das legte Laub von entblätterten Aeften, und Alles wird nebelhafter, ungewiffer, dunkler, unheimlicher, auch

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für dieſen Zuſtand wifjen wir bald eine Bezeichnung und nemen ihn „romantiſch.“ Glänzt der Bolmond in der Sommernadht, hält die Natur den Odem an, nur in der Silberpappel flüftert wie Ge— fpenfter der leife Nachtwind, und fern im Parfe tönt der Springbrunnen in einförmigem Rauſchen, bie eilfte Stunde klingt von der Dorffiche, in beren Fenſtern ſich der Vollmond ſpiegelt ad), ſeufzen wir ſchwärmeriſch, wie „romantiſch!“ Die moosumhüllten, epheuumſponnenen Burgtrümmer ruhen im Abendroth, melancholiſch zirpt ein Heimchen in dem todten Geſtein, unter dem Berge aber treibt der Hirt die friedliche Heerde unter frommem Abendliede nach den wohlverwahrten Ställen, melodiſch lautet dazu die Abendglocke auch dies nennen wir wieder „romantiſch.“ Dumpf bricht ſich das dun- kelgrüne Meer an Schottlands Telfenfüfte, geheimniß- voll rauſchen die Wogen, ein Fiſcher figt am Ufer, ber ſich fingend Nee windet, die Nacht bricht herein, bie Lichte des weit in die See hinausgebauten Leucht- thurms werden angezündet, in ver nahen Fiſcher— hütte Eniftert auf dem Herde die Iuftige Flamme, ein ſüßes Kind, mit holdſeligem Antlig (Eginhard machte bier eine artige Verbeugung gegen Paulinen, wofür er aber von ihr ein bitterböfes Geſicht befam) fett beforgt das Waffer über vie Gluth zum erwärmenden Thee für den Vater, der noch heute Abend von ber See zurüd erwartet wird, auch dies Bild nennen wir „romantiſch.“ Ein tief goldener Himmel wölbt fi) über Orangenhaine, über eine üppige fiid- liche Vegetation. In der Ferne glänzt der Spiegel bes Meeres. Am wildverwacfenen Pfade erhebt ſich ein einfam Madonnenbild. Ringsumher aber lagern zexlumpte, ſchwarzbraune Gefellen, mit markirten Ge-

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ſichtern und mord- und beuteluſtigen Blicken, es ſind Räuber aus den Abruzzen, aber Gegend und Räuber „tief romantiſch.“ Leiſer ſchmelzender Gui— tarrenton tönt aus einem Garten am Quadalquivir, wo die Granatbäume blühen und rothe Mandeln, und fehnfüchtig erklingt die Romanze zum fpanifchen tieftatholifchen Himmel, abermald „romantiſch.“ Es follte mir nicht ſchwer werden, noch eine große Anzahl Bilder anzureuten, die an fib ganz verfcie: den, und gleihwehl zu dem Ausrufe „wie romantiſch“ zwingen, und wir jehen Daraus, wie umfaſſend dieſes Wort feiner Bedeutung nad), und wie fchwierig daſ⸗ jelbe erſchöpfend zu definiren ft. Wenn nennt man eine Gegend romantiſch? Wenn fie recht „lie blich“ eriheint? Weniger. Cine fruchtbare Ebene? Noch weniger. Schöne blühende Gärten? Noch weniger. Wogende Kornfelter, otlpenbe Kirih- Alleen? Auch nicht. Run, zum Guckuk, wo ftedt vie Romantik? Eine Gegend nennt man vomantifh, wenn ihr Bild eine poetifhe Anſchauung zurüdläßt, wenn eine poe— tiſche Idee aus demſelben zu und fpricht, wenn wir duch die Anſchauung überhaupt in poetiſche Stim— mung verjegt werden. Ueberjegen läßt fib das Wort „romantiſch“ nicht, weder durch anmuthig, veizend, lieblich, prachtvoll, noch dergleihen. Nur ein Wort giebt es, das man allenfall® für romantijch ge: brauden fönnte, obſchon es bei weitem nicht er: Ihöpfend if, das iſt das Wort „maleriih.” Cine romantische Gegend, mag fie nun anmuthig, lieblich, veizend, oder nicht fein, maleriſch iſt fie ftets, und malerifhe Gegenden find in der Regel ro— mantiſch.“

Pauline, die ſehr aufmerkſam zugehört hatte, fragte jetzt, als Eginhard mit ſeiner Vorleſung zu Ende war:

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„Sie nannten vorhin Ihr Eingefperrtfein im Thurme auch romantiſch; das war dod nicht malgrifch?“

„Allerdings,“ geftand der Gefragte ein, „ic für meine Perfon gehe freier zu Werke und nenne aud) Zuftände romantifh, die es ftreng genommen nicht find. Sie haben recht, meine Situation im Thurm . überftieg faft die Romantit, fie war grotesf, Diefer Ausdruck iſt bezeichnender.

„O Königin,“ fuhr er nach einer Pauſe fort, als ihm Pauline feinen Römer wieder gefüllt hatte, „das Leben ift doch ſchön, zumal wenn man unmittelbar vorher in offenbarer Todesgefahr gefchwebt hat und jet beim vollen Pokale fitt, credenzt von einer rei- zenden Ganymeda, rings von Blumen umblüht, in Ihönfter Morgenbeleuhtung. Herr Wertheim, kennen Sie das neue Weinlied, gedichtet von Kopiſch, in Muſik geſetzt von Reißiger ?“

Als der Gefragte verneinte, rief Eginhard: „Wie? Das herrliche Lied kennen Sie nicht? Und Sie auch nicht, ſüßes Kind?“

Paulme ſchüttelte das Lockenköpfchen.

„Wirklich nicht? Nun da muß ich's ſingen.“

Und im ſchönen ſonoren Bariton begann er:

„Als Noah aus dem Kaſten war, Da trat zu ihm der Herre dar, Der roch des Noä Opfer fein Und ſprach: Ich will dir gnädig ſein, Drum weil du ſo ein treues Haus, So bitt' dir ſelbſt die Gnade aus.

„Da ſprach der Noah: Lieber Herr, Das Waſſer ſchmeckt mir gar nit ſehr, Dieweil darin erſäufet ſind All ſündhaft Vieh und Menſchenkind; Drum möcht' ich armer, alter Mann Ein anderweit Getränke ha'n.

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„Da griff der Herr in's Paradies Und gab ihm einen Weinftod ſüß,

Und ſprach: Den follft du pflegen jehr! Und gab ihm guten Rath und Lehr’, Und wies ibm Alles fo und jo;

Der Noah warb ohn' Maßen froh.

„Und rief zufammen Weib und Kind, Dazu fein ganzes Haudgefind; langt Weinberg rings um fich herum,

er Noah war fürwahr nit dumm, Baut Keller dann und preßt den Wein, Und füllt ihm gar in Fäffer ein.

„Der Noah war ein frommer Dann, Stach ein Faß nach dem andern an, Und trank e8 aus zu Gottes Chr;

Das macht ihm eben fein Beſchwer; Und tranf, nachdem die Sündfluth war, Dreibundert noch und fünfzig Jahr.”

Eginhard that Hierbei einen tüchtigen Schlud. Pauline Elatfchte die Händchen zufammen und rief ein= mal über das andere: „Allerliebft! Allerliebſt!“ Für Wertheim .aber mar das Lied nicht mit. Golve zu be= zahlen. Er verjette fi) ganz in die behagliche Lage feines Urahns und wiederholte fingend brummend:

„Dreihundert noch und fünfzig Jahr!‘

Es lag in diefen Worten für Wertheim, der fick gern nody manches Yährchen der ſchönen Erbe zu freuen und mandes Fläſchchen auszuftechen wünfchte, etwas fehr Beruhigendes.

„Paul,“ entſchied er daher ſogleich, „dieſes Lied aller Lieder ſchreibſt Du mir auf. Das lern' id aus— wendig, partout, wie ſchlecht es mit meinem Gedächt— niſſe auch ſteht.“ 8b bin noch nicht zu Ende,” fuhr Eginhard fort; „nun kommt erſt die gute Lehre.“ Er ſchenkte

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fi) fein Glas wieder voll, hob es mit behutjamen Bliden empor und fang: „Sin Hunger Mann bieraus erficht, Taf Weingenuß ihm jchabet nicht; Und item, daß ein guter Chrift In Wein niemalen Waſſer gießt, Dieweil darin erſäufet ſind All ſündhaft Vieh und Menſchenkind.“ Von nun an hörte man den alten Wertheim faſt den ganzen Tag halb laut vor ſich hinſingen: „Dieweil darin erſäufet ſind All ſündhaft Vieh und Menſchenkind.“ Und Eginhard mußte ihm oft die einzelnen Verſe wiederholen, damit er fie dem Gedächtniſſe einpräge.

II.

Die beiden Nachbarn Wertheim's, Bodo und Al— bert, waren wohlbehalten angelangt auf Buchenfels, und wie feindſelig ihnen Eginhard Anfangs geſinnt war, hatte er ſich doch bald dermaßen mit ihnen aus⸗ geſöhnt, daß ſie die herzlichſte Freundſchaft ſchloſſen.

Das große Souper, welches Wertheim den Mu— ſenſöhnen zu Ehren beſchloſſen hatte, war nach dem eigenen Willen der letztern bis auf die Ankunft der beiden Ritter verſchoben worden.

Mau war ſo eben vou einer Landparthie heimge— kehrt, der Abend war ſchon hereingebrochen und in dem großen Saale ſtand die Abendtafel geſchmackvoll gedeckt. Alle befanden ſich in der fröhlichſten Laune; Eginhard hatte wieder zu hunderterlei Scherzen Ver— anlaſſung gegeben. Seine Thurmfahrt bot noch Stoff zu den mannigfachſten Neckereien. Er gerieth jedes⸗

$1:

mal in Harniſch, wenn man ſeinen außerordentlichen Abenteuern, die er in ſeiner Gefangenſchaft erlebt haben wollte, nicht unbebingten Glauben und Bewun⸗ derung ſchentte, oder die Sache überhaupt nicht grotesk und romantifch genug fand. |

Wertheim trieb zur Tafel. Eginhard kam wieder neben PBaulinen, feinen Lieblinge zu fiten. Es war eine herrliche Frühlingsnacht, der Abenpftern war fo eben Hinter blühenden Bergen untergegangen; alle: Fenſter ſtanden offen und die balfamifhe Nachtluft wehte herein. Die Gläſer Hangen an ver Tafelrımde. Man ftieß an, auf den gaftfreumplichen Wirth und feine trefflihe Gattin, auf ven Couſin Johannes, . die benadybarten Säfte; Eginhard wußte für Alle aller- liebſte vwerfivicirte Toaſte; er war unerjchöpflih, und’ die Heiterkeit nahm immermehr überhand. Da Flingte Albert an fein Glas, zum ‚Zeichen, daß er un Gehör bitte. Alles ſchwieg il, bis auf Eginhard; der eben Paulinen, die dem Napoleon nicht vergeben Tonnte, daß er in das garftige Rußland Hinausgezogen, hifto= riſch und politifch bewies, wie dem Kaifer nichts An—⸗ deres Übirg geblieben je. Er wäre nicht Napoleon gewejen, hätte er dieſen Zug in dad, Eisland, bie "größte Epopee der Weltgefhichte, nicht unternommen. Blos die Philifter, die Nichts verftänden, machten ihm einen Fehler daraus.

„Ruhe!“ commandirte Iohannes,. der Eginhard gegenüber ſaß und deutete auf Albert. Der Napo- leonift war aber dermaßen von feinem Oegenftande ergriffen, daß er noch immer leife vor fid) hin Dispu- tirte und auf die Worte des Sprecherd nicht fonder= lich achtet. Dieſe lauteten aber alfo:

„Ich ſehe mid) genöthigt, zu meiner und meines. Freundes Schande zu geftehen, daß uns beide nächſt

Stolle, fämmtl. Schriften. XVI. 6

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dem Verlangen, unſern hochverehrten Wirth und bie lieben Seinen in ihrer Beſitzung zu begrüßen, nod ein andrer, allerdings nur egoiftiicher Grund nach dem Buchenfel getrieben bat. Unfer langjähriger Wunſch ift nämlich ‚erfüllt worven, ver Wunſch, dieſe Hallen einmal betreten zu bürfen, woran bei Lebzeiten des menſchenfeindlichen vorigen Beſitzers nicht zu denken war. Und deshalb hoffen wir auch enplich über bie wunderbare Sage Aufſchluß zu erhalten, über jene jeltjame geifterartige Erſcheinung, die in diefen Mauern umgehen ſoll, über .vie berühmte wunderſchöne Roſe von. Segovia.”

Eginhard, ver fo eben eine. gewiertheilte Cotellete mit der Gabel angefpießt hatte und zum Munde füh- ren wollte, ließ jie bei dieſer außerorbentlichen Nach⸗ richt unberührt auf ven Teller zurüdfallen, und ver . Mund, den er zur Empfangnahme bereits geöffnet hatte, blieb ob ſolcher übernatürlihen Romantik gera- bezu offen ftehen. Ex felbit ſaß ftarr und fteif da.

Auch auf die übrige Gefellihaft, mit Ausnahme Wertheim’8 und des anmefenven Paftors, hatten Al- bert's Worte. großen Eindruck gemacht. Alle ſaßen ſtill da in großer Erwartung.

Da erhob ſich Wertheim:

„Sie haben da, verehrter Freund,“ begann er, „ein Capitel zur Sprache gebracht, das ich den Mei⸗ nigen aus feinem andern Grunde zeither verſchwiegen habe, als um die ohnedies furchtſamen Gemüther nicht noch mehr in Schrecken zu ſetzen. Da es indeß kein Geheimniß mehr iſt, ſo will ich auch nicht länger hinter dem Berge halten und reinen Wein einſchenken, we⸗ nigſtens ſo viel ich von der Sache weiß. Allerdings geht eine Sage von Buchenfels, daß in ſeinen Mauern von Zeit zu Zeit ſich ein ſchönes geifterartiges Grauen:

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bild blicken laſſe, welches man allgemein mit dem Na-

men der Rofe von Segovia belegt.“

„Ben Segovid fragte Johannes, „alfo aus Spanien?"

„Allerdings, erzählte Wertheim weiter, „ver Ahn- herr dieſes Schloffes, ein Abenteurer, ver Ferdinand dem Katholifhen gegen die Mauren zu Hülfe zog, fol ſich das jchöne gefangene Maurenfind vom fpanifchen König als einzigen Lohn für geleiftete Dienfte erbeten, e8 mit nach Deutichland und zwar hierher auf ven Buchenfel® gebracht haben. Aber des Norvens falter, trauriger Himmel habe die jchöne Tochter des Südens nie wieder lächeln ſehen. Unendliche Sehnfucht habe fie erfaßt nad ihrer Heimath, nad) ihren Lieben und den Gejpielinnen ihrer Jugend. Da wäre enblidy ihr Herr und Gebieter über diefe fortwährenne Wehmuth, und weil fie ihm feine aufgeprungene Liebe nicht habe erwiedern können, 688 und zornig geworben und habe fie gequält mit allerhand Martern, denn das arme Mädchen war jeine Sclavin. Dieſe aber war folder Behandlung nicht gewöhnt, denn fie war in Segovia die Tochter eines Königs und ihre zarter Fuß hatte nur auf perfiihen Teppichen geruht, und ihre Heine Hand hatte nur zu winfen gebraudyt, und eine Anzahl Dienerinnen waren bereit geweien, ihre Befehle in Ausführung zu bringen. Lett follte fie auf Buchen— fels die Dienfte einer niedern Dienerin verrichten, denn Herr Ruppert, jo hieß der Ahnherr, Hatte zu ihr geſagt; „wenn Du nicht mein Licbchen fein willit, jo fei meine Magd.“ Da ift aber das arme Mädchen von Tag zu Tag ſichtbar bläſſer geworden, und die im ganzen Maurenreiche gefeierte Roſe von Segovia bat ſich alsbald kaum mehr ähnlich geſehen. Ruppert, nachdem auch ſeine barbariſche Härte ihm „its ge=

Gr

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holfen, ift noch aufgebradhter geworden und hat das arme Kind enplih gar in ven Thurm werfen laffen, wo fie elendiglich umgekommen fein fol.“ |

„Was, in den Thurm?“ rief Eginhard in höd: fter Extafe, „da hab' ich ja auch geftedt; da mußte das himmlische Kind umfommen, das ift gewiß; fie ift unftreitig von den dafelbft befinplihen Schlangen getöbtet worden.“

Mit welcher gefpannten Aufmerkſamkeit man auch der interefianten Erzählung Wertheim's zugehört hatte, jo brachte Eginhard's leidenſchaftliche Unterbrechung doch unwillkürliches Lachen hervor. Mean bebadhte, welche außerordentliche Senſation der Gedanke in den Enthuſiaſten hervorbringen müſſe, mit einer jo hoch⸗ romantiſchen Perſon, wie die von ganz Spanien wegen ihrer Schönheit gefeierten Roje von Segovia in ein und demſelben Thurme geftedt zu haben. Ä

Wertheim ftellte e8 in Zweifel, ob das Mädchen in den Thurm, wo Eginharb eingefahren, umgekom⸗ men fei. Es wäre viel wahrfcheinlicher, daß fie Rup⸗ pert in das eigentliche, jet ganz verfallene Burgver- lies habe fperren laſſen. Eginhard aber wollte das um feinen Preis zugejtehen und ſchwur hoch und theuer, morgen mit erftem Tageslichte, e8 koſte was es wolle, und felbft auf die Gefahr hin, von den Schlangen gefreffen zu werden, nochmals hinabzufahren und nähere Nachforſchungen über die Roje von Segovia anzuftellen.

Wertheim fuhr in feiner Erzählung fort:

„Seit dem Tode des Mädchens geht aber ‚vie Sage, daß es in diefen Mauern des Nachts als Gejpenft um= bergehe, und die fie gefehen zu haben vorgeben, ver- fihern, daß ihr Geift in verfelben Schönheit und Ju genpfülle erjcheine, wegen welcher das Mäbchen von ihren maurifchen Zeitgenofjen jo bewundert worden.

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Zuweilen fingt fie maurifche Lieder, voller fehrifüchti- ger Wehmuth nad den Granat- und Manvelbäumen Segovia’8 und nah ben golonen Wellen des Gua— dalquivir. Dean erzählt von Beifpielen, wo herzhafte Leute fih ihr genaht und fie angerebet haben. Da fol fie jeden einen goldnen Apfel voll bezaubernden Duftes geſchenkt haben. Die Empfänger, die ſich nicht enthalten konnten, dieſen Apfel: aufzufpeifen, ſ ollen bald geftorben fein.“

„Natürlich,“ fiel Eginhard ganz ernfthaft ein, „ſolche Geifterfrüchte können Sterblichen unmöglich gut bekommen; aber möcht' es werden wie es wollte, wenn ich ſo einen Apfel von dem himmlifch-ſchonen Kinde erhalten könnte, ich wäre außer mir vor Ent— zücken. Solche außerordentliche Romantik wiederfährt nicht jedem Sterblichen. Wenn ich nur wenigſtens an einem Sonntage geboren wäre, hätte ich eher Hoff- nung mit diefer Roſe von Segovia in Connerion zu treten. Sonntagsfinder haben in dieſer Hinficht etwas voraus. So aber bin ic verwahrloft, ein blinder Heffe, und muß in meiner verbumpften Thierheit auf alle romantifhe Clairvoyance verzichten. Es iſt zum Verzweifeln.“

„Wer wird ſo abergläubig ſein,“ ſtrafte Pauline.

„Abergläubig!“ verſetzte Eginhard, „Sie ſind wohl ein Freigeiſt, mein Paulinchen, der alles Ueber— irdiſche hinwegleugnen will; nein, meine Theuerſte, da haben andre Leute daran geglaubt als meine We— nigfeit; die größten Genies der Weltgefehichte, Julius Cäfar, Napoleon nicht ausgenommen. rfterer war nur zuletzt mit Blindheit gefchlagen. Die Idus des Märzes find befannt, und hätte er den verhängniß- vollen Traun ver Calpurnia nur einigermaßen beher⸗

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zigt, würbe er nicht nöthig gehabt haben, jich brei- undzwanzig Löcher in den Leib ftoßen zu laſſen.“

Jetzt ergriff auch der rationale Paſtor das Wort

und zog gegen Eginhard zu Felde. Diefer ließ fich indeß nicht fogleich fchlagen, und citirte eine folche Menge Thatfachen, die für ihn fprachen, daß man ob feiner Belefenheit in diefem Gebiete erftaunen mußte. Endlich fragte ihn Marie, ob er wirklich glaube, daß die Roſe von Segovia jegt noch umher wandle?

„Warum nicht?“ erwiederte der Gefragte, „die Chroniken find an Beiſpielen von ſolchen Burggeiſtern nicht arm. Wenigſtens wünſchte ich von Herzen, das ſchöne Kind zu ſprechen.“

„Eſſen Sie nur keinen Apfel von ihr, warnte Pauline.

Wertheim, der jetzt fürchtete, daß von Eginhard' 8 Geifterglauben auch die Mädchen zu ſehr angeftedt werben Könnten, erklärte, daß er die Sage von der Roſe von Segovia gewiß nicht fo ausführlid) mitge- theilt haben würde, wenn er nicht feft überzeugt wäre, dag man darin ein .hübfches poetifches Ammenmähr= . chen erkenne.

Eginhard hielt ſich von ber Unentbehelichteit eines ſolchen intereffanten Geiftes für ein altes Schloß be- reits fo überzeugt, daß er Wertheim auf drollige Art Borwürfe machte, wie er den Sprud fo dürr proſaiſch für ein Ammenmährchen erklären könne.

„Ihr Schloß ift, inchufive ver Roſe von Segovia,“ behauptete er, „unter Brüdern einige Taufend Thaler mehr werth. Cine foldhe interefjante geifterhafte Ac— quifition macht nicht ein jedes. Ich ließe mir's ge- fallen, wenn die Erſcheinung in einem unanfehnlichen Zwerge oder einer bejahrten Ahnfrau beftänve, ſolch Volk findet man aller Orten, aber fo ein wunderſchö⸗

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ned Königskind aus den Königshallen ver Alhambra ift mit allen Schägen der Welt nicht zu bezahlen.‘

Er kam auf die alte maurifche Herrlichkeit zu ſprechen. „Bir Brofailer und Eifenbahnactionäre des neunzehnten Jahrhunderts,“ ſprach er, „haben gar feine Ahnung von jener untergegangenen Pracht und Herrlichkeit. Da hab’ ih vor Kurzem in einem englifchen Tafchenbuche Anfichten von der Alhambra gefehen. Wer da nicht in Feuer und Flammen geräth, muß am Aichermitt- . woch geboren fein. Gegen viefe Königeburg ift Alles nichts, was erhabene Baukunſt je hervorgebracht hat. Lange Jahre noch nad) dem Untergange des Mauren- reihe, ald die Inguifition in Grenada ſchon nad Herzensluft maffacrixte, konnten die getauften Mauren der alten Herrlichkeit nicht vergeflen, ſobald die pracht- vollen Zinnen ver Alhambra im Golde der Abenb- fonne leuchteten. Johannes felbft hat die Sache gar Fr übel befungen. Hans, wie heißt glei ‘Dein

ied ?“

„Die unbeveutenden Berje find ver Rede nicht werth, bemerkte dieſer.

Eginhard verband ſich aber mit Paulinen und Ma- rien, jo daß Johannes nach langem Wiperftreben nicht umbin fonnte, fein Pied vorzutragen. Es lautete:

„In den Straßen von Grenada Wird es ftill und fommernädtig, Und zur Abend = Hora jchreitet Dort der graue Mönch bedächtig;

Der Morisco fieht ihn nicht Alhambra glänzt im Abenplicht.

„Und der Priefter Flucht gewaltig Und verwünſcht die Heidenlehren, Und er ſucht zum reinen Glauben Die Verſtockten zu belehren;

Der Morisco hört ihn nicht Alhambra glänzt im Abendlicht.

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„Rauſchend fällt ver Silberftrahl Sn das Marmorbeden nieder, Und an der geweihten Duelle Kniet ner Maurenknabe nieder; . Chriſtenwaſſer fühlt ihn nicht Alhambra glänzt im Abendlicht. „Duftend läßt der Mandelbaum Rothe Blüthen nieberfallen, Und aus tiefem Thalesgrunde Todeswürd'ge Lieder jchallen; -Aus dem Aug’ die Thräne bricht Alhambra flammt im Abendlicht.“

Eginhard erhob ſein goldgefülltes Glas:

„Alhambra flammt im Abendlicht! Du ſollſt leben, Johannes!“ Alle Gläſer klangen aneinander.

„Wer übrigens einen wahren Begriff,” fuhr Egin- hard fort, „von jener untergegangenen Poeſie haben will, der muß die ſpaniſch-mauriſchen Romanzen von Heine: leſen: U „In dem Dome von Cordova Stehen dreizehnhundert Säulen,

Dreizehnhundert Rieſenſäulen Tragen die gewalt'ge Kuppel.

Man bedenke, dreizehnhundert Säulen in einem ein- zigen Dome! Und die Hauptfache, aus jenen hoch— poetifhen Zeiten ein fchönes Königsfind hier im Schloſſe. Der Gedanke ift zu überirdiſch. Und daß ih dabei fein kann, der ich doch in's Gefchlecht ver Unglüdsvögel gehöre.“

Das Geſpräch kam wieder auf die Roſe von Segovia.

„Den Gedanfen gab mir Gott ein,” fuhr Egin- hard plöglih auf, „ver Bibliothekar, jener myſteriöſe Mann, muß um die Sache willen. Ich glaube, das ift aud) fo eine Art Burggeift, da er fih vor Nieman- ven bliden läßt. Ich bin diefe Tage wie ein Narr

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ihm zu Gefallen gelaufen; Alles vergebens. Wenn id nur wiffen follte, wie das Geſpenſt eigentlich ausſieht?“

„Er trägt einen langen, langen aſchgrauen Rod,” befchrieb Pauline, „der faft wie ein Kaftan bis auf bie Knöchel herabfällt, und eine Perrüde von gleicher Farbe.“

„Ganz recht,“ gab Eginhard zu, „das iſt der Ha⸗ bit für dergleichen unheimliches Perſonale. Iſt er lang oder Hein?“

„Mehr Hein,” war die Antwort, „und feine Heinen grauen, tiefliegenven Augen haben etwas Umheimli

„Run fteht er vor mir, wie er leibt und [ebt, ſprach Eginhard, „aber jo viel ift gewiß, daß mich fein Menſch von Buchenfels fortbringt, bevor ich nicht die nähere Bekanntſchaft dieſes höchſt räthjelhaften Kauzes gemacht habe.“

„Das kann uns nur angenehm ſein,“ lachte Wert⸗ heim, „da werden wir lange uns Ihres Beſuchs zu erfreuen haben. Ich glaube ſchwetlich, daß er, ſo lange Gäſte im Schloſſe ſind, ſichtbar wird. Wie ich vorher ſagte, hat er ſich ſeit der Ankunft der Muſenſöhne augenfällig zurückgezogen.“

„Sonſt bekamen wir ihn wenigſtens alltäglich ein paar Mal des Abends zu ſehen, ſobald die Sonne untergegangen war,“ erzählte Marie.

„Die graue Geſtalt in Abendbeleuchtung,“ ſprach Eginhard, „muß ſich romantiſch ausgenommen haben.’

„Und ſtets marſchirte der ſchwarze Kater neben ihm,“ fuhr Marie fort, „der ſeinen Herrn wie ein Schatten folgt.“

« ,„Selbft dieſe myſtiſche Beſtie hab’ ich noch nicht geſehen,“ ärgerte ſich Eginhard, „es iſt impertinent und zum Todtärgern.“

„Wenn aber Jemand aus der Familie dieſen felt-

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famen Bibliothekar befuchen will,“ fragte Bodo, „kann er doch nicht geradezu ‚den Eintritt verweigern ?

„Das allerdings nicht," ſprach Wertheim, „ic ſelbſt bin zwei Mal bei ihm gemwejen; aber er fcheint vergleichen Beſuche nicht zu leben, und da bie Meini- gen fein großes Verlangen nad der Belanntfchaft des menſchenfeindlichen Mannes tragen, fo find wir ihm ſämmtlich nicht weiter beicäwerlich gefallen.”

„Die Wohnung des Signor Baſilico,“ bemerkte Bodo, „ſoll hinfichtlih der feltenen antiquarifchen Alter- thümer bie intereflantefte im ganzen Schloſſe ſein.“

„Wirklich?“ fiel Eginhard ein, „ei, verehrteſter Herr Wertheim, da ſollte eigentlich ein ernftes Wort von. Ihnen aus’ die Pforten dieſes eleufinifhen Tem⸗ pels öffnen. Wer weiß, melde intereffanten antiqua⸗ riſchen Schätze wir vorfänden, die außerdem für immer unbekannt bleiben, und durch welche die Wiſſenſchaft gewiß ſehr bereichert werben könnte.“

„Rur ungern würde id) mich hierzu entſchließen,“ entgegnete Wertheim, „ver feltfame Mann fteht am Ende feiner Tage, fat am Grabesrande, warum ihm feine letzten Tage noch durch unzeitige Neugier ver- bittern ?

„Am Grabesrande?“ fragte Eginhard, „Das glaube fonft Jemand; Leute dieſes Schlages leben in die Millionen; der fieht uns Alle begraben, eines nad) dem andern; bat er nicht fchon mehr DBefiker von Buchenfeld überlebt? Und ift er nicht wie ein Fami— lienftüd von einem auf den andern fortgeerbt? Die älteften Leute, fie mögen zurückdenken, fo weit fie wol: en, können ſich nicht entfinnen, ihn anders gejehen zu haben. Und gejegt, er muß ja einmal daran, fo getönt er gewiß aus Mifgunft und Menſchenhaß

les, was die Menſchen erfreuen und belehren könnte.

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Das ift die Marime aller tiefer außergewöhnlichen Berjonen.”

„Vielleicht gelingt es,” tröftete Wertheim, „ven Alten durch Güte und Nachficht zu gewinnen und ihn menfchenfreundlicher und gefelliger zu ftimmen.”

„Run, wenn ich feiner nur erft anfichtig werben könnte,“ meinte Eginhard, „ich will meine ganze Ge- Iehrfamteit, Liebenswürdigkeit, Weltweisheit und Be⸗ redtſamkeit concentriren, und einen wahrhaften Sturm auf die alte zähe Feftung unternehmen.‘

Es ward einftimmig befchlofien, die erfte” Gelegen- heit hierzu zu ergreifen und beftmöglichft zu benutzen.

[4

12.

AS Eginhard und Johannes nad ihrem Schlaf: zimmer gegangen waren, konnte erfterer durchaus nicht einjchlafen. Die Roſe von Segovia Tag ihm fort: während im Kopf. In einer folh hochromantiſchen Situation hatte er fih neh niemals befunten. Mit dem Geifte eines der fchönften Märchen des unterge- gangenen Maurenreichs unter ein und demſelben Dache zu Iogiren, fo body hatten fich feine höchſten phanta- ftiihen Wünfche noch nicht verftiegen. Cr überlegte bei fih, falls ihm die Roje von Segovia erſchiene, mit welcher poetifchen Apoſtrophe, und in welcher Mundart er fie anreven wolle. Im Arabifchen war er allerdings nicht zu Haufe. Indeß tröftete er fid), daß fie während ihres Aufenthaltes in Deutichland doch · etwas von der deutichen Sprache profitirt haben würde, und im Altveutichen leiftete er etwas, das war er fid) bewußt. Auch ſprach die Präafinntion für ihn, daß ein geläuterter Geift die irdiſchen Exrpecto-

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rationen verftehen müffe, wie der liebe Gott, zu dem ‘-- man in jeder Sprache reven Tann.

Bon dergleihen Phantafien alarmirt, warf er fid auf feinem Lager umher, während Johannes bereits geraume Zeit in tiefem Schlafe lag Der Mond ſchien hell in’s Zimmer, die Nacht war jchön und frühlingsmarm. Er hielt e8 daher für gerathener, aufzuftehen und ein wenig zum Tenfter hinaus zu ſchauen.

Die nächtliche Gegend lag wie am Tage. Kein Lüftchen rührte ſich, nur vom Parke herauf tönte das leiſe Rauſchen einer Cascade. Eginhard war ſehr poetiſch geſtimmt. Er recitirte leiſe für ſich folgende Verſe aus Goethe's unübertrefflichem Mondſcheinliede:

„Fülleſt wieder Buſch und Thal Still mit Nebelglanz, Löſeſt endlich auch einmal Meine Seele ganz.

„Breiteſt über mein Geſicht Lindernd deinen Blick, Wie des Freundes Auge mild Ueber mein Geſchick.

„Selig, wer ſich vor der Welt Ohne Haß verichließt, Einen Freund am Buſen hält, Und mit dem genießt,

„Was von Menjhen nicht gewußt Oder nicht bedacht, i Durch das Labyrinth der Bruft Wandelt in ver Nacht.“

Plöglidh nahm eine wunberfeltiame Erſcheinung bie Aufmerkſamkeit Eginhard's auf das Außerorbent- lichfte in Anſpruch. Er rieb ſich die Augen und jah nad) dem alten Schloſſe, rieb fie fi abermals und ſah abermals dahin. Er faßte fi endlich beim Kopfe

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und ſchüttelte diefen, in der Meinung, daß er träume und nicht vecht ſähe. Es half nichts. Hoch oben auf den Zinnen des alten Schlofjes wandelte im Mond⸗ ſchein eine weiße, geifterhafte Geftalt.

Eginhard ſprang jegt zu Johannes Bett und rüt- telte diefen am Arme. Der Schläfer aber war nicht zu ermuntern, brunmmte ein wenig und fchlief weiter. Eginhard hatte feinen Augenblid zu verlieren und jchlüpfte wieder an's Fenſter.

Das geifterhafte Weſen ſtand jetzt am äußerften Abhange der Thurmzinne. Yu feinen Füßen gähnte ein furchtbarer Abgrund. Einen Schritt und die Ge⸗ ftalt, wenn fie fterblih war, ftürzte zerfchmettert in die Telfen des Schloßbergs. Eginhard's Haare flan- den ſämmtlich kerzengerad empor. Er wagte nicht zu athmen, noch ſich von der Stelle zu rühren. Er war fo aufgeregt, daß allmälig vor feinen Augen Alles zu tanzen anfing. Dennoch gewahrte er fo viel, daß die weiße Geftalt ein Mädchen mit langen dunkeln Loden fe. Es fchien, als blide fie wie träumend und lächeln nad dem Monde, der in voller Rlar- beit am Himmel ftand. Plötzlich wendete fie ſich, und ſchwebte den fürchterlichen Abhang entlang und verfchwand Hinter einer Thurmmauer.

Eginhard, dem der Angſtſchweiß in großen Tropfen auf der Stine ftand, ſchöpfte jet Athem und konnte fi) noch immer nicht überzeugen, ob er die Erſchei⸗ nung wirklich gejehen oder nur geträumt habe. Er rüttelte abermals an Johannes und ſchlich zum Fen⸗ fter zurüd. Das geifterhafte Märchen war verichwuns den, dafür trieb ein anderes Phänomen fein Haupt- haar zu Berge, und feine Kinnbaden fingen zu wir- bein an. Der alte Bibliothefar, ganz in der Tracht, wie Pauline ihn bezeichnet, kam zu einem Yronton-

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fenfter herausgeftiegen, wanbelte gleichfalls auf ver Zinne des Schloffes umber und verſchwand hinter derſelben Mauer, wo das geifterhafte Mäpchen uns fihtbar geworben. .

Setzt ſtürzte fich Eginhard, wie vom Fieber ge⸗ packt, abermals auf den fchlafennen Johannes un rüttelte fo lange, bi8 dieſer völlig wach wurbe. ,

„Um's Himmelswillen,“ vaunte jener leife, mit gepregter Stimme, „vie Rofe von Segovia, komm ſchnell!“

„Wer?“ fragte der Erwachende, noch halb jchlaf- trunken.

„Die Roſe von Segovia, nur ſchnell,“ drängte Eginhard.

„Einfältiges Zeug,“ brummte Johannes mißmu⸗ thig, „haſt wieder einmal phantaſirt.“ Damit legte

er fih auf die andere Seite und ſchlief wieder ein.

Der Geifterfeher war indeß von Neuem an das Fenſter geeilt; aber weber vie weiße Dame, noch der Bibliothefar kamen wieder zum Vorſchein. Die Nacht blieb ftil und mondhell wie zuvor. Degt begann es Eginhard nad) den auferorventlihen Erlebniffen in der nächtlihen Einfamkeit unheimlich zu werden. An -

Schlaf war nit zu denfen. Darum begann er zum

britten Mal an Johannes zu rütteln.

Diefer warb bei dieſer fortwährenden Störung noch ungehaltener, und Eginhard mochte zehn Mal Stein und Bein ſchwören und Ehre und Geligfeit vermetten, bie berühmte Roſe von Segovia geſehen zu haben, er fand zu feiner nicht geringen Pein an Johannes einen profaifchen Ungläubigen. Dem Gei— fterfeher konnte gar nichts Fataleres wiederfahren, als dieſe ſtoiſche Apathie und Indolenz des Freundes. Er bereute jetzt bitterlich, letzteren zumeilen etwas fa-

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beihafte Dinge vorerzählt zu haben, die feinen Kre⸗ bit als Referenten allerdings bedeutend untergraben hatten. Nun mußte er in Wahrheit eine außeror- dentliche Erſcheinung erleben und hatte das Unglück, daß Johannes die Eadye nicht glaubte.

Daß das fchwarzlodige Mädchen in ver Welt Nie- mand anders gemwejen fei, als die berühmte Roſe von Cegovia, dafür hätte er fi unbedenklich an's Kreuz nageln laffen. Nun kam der myſtiſche Bibliothelar dazu, der mitten in ber Nacht zum Tsrontonfenfter herausftieg und auf ber Schhäzinne auf und abpro⸗ menirte. Es war Eginhard jetzt gleichfall® Max, daß die zwei Individuen, die Roje von Segovia und der Bibliothekar in geheimer Wahlverwandtichaft fte- hen müßten. Daher alfo das räthjelhafte Wejen und Benehmen des Signor Baſilico. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Hatte er nicht die Bei- den im höchfteigner Perfon auf dem alten Schloffe herumfteigen jehen? Der Bibliothefar war unfehlbar auh ein Geift. Gin Menſch von Fleiſch und Blut hätte bei ver gefährlichen Crpeditiom, zehn Mal das Genick gebrochen. Eo war denn Eginhard's längſt gehegter Wunſch endlich in Erfüllung gegangen. Er hatte überirdiſchen Weſen vis à vis geſtanden, ſie mit ſeinen zwei geſunden Augen, bei völlig klarem Selbſt— bewußtſein erſchaut; aber er fühlte ſich durch dieſen Blick in's Geiſterreich keineswegs wohlthuend ange- ſprochen; das erſte Rencontre war zu ergreifend gewe— ſen. Wenn die Beiden auf ebener Erde einherſpa— iert wären, würde es ihn weniger angegriffen haben; pflegen es fleiſch- und blutgeborne Menſchenkinder gleichfalls zu machen; aber auf dem Giebel des alten Schloſſes, wo ſich ver erfahrenſte Kater kaum hinge— traut, ſolche handgreifliche Beweiſe von einer Geiſter—

96 welt mußten ben vertrodnetften Philifter erjchüttern, wie viel mehr einen Eginhard, ver ſolch' wachſames Ohr und Auge für alles Uebernatürliche hatte.

Wie gejagt, die Geifternifion war ihm durchaus nicht befommen, und nachdem er noch einen furchtſa⸗ men Blid nah dem verhängnißoollen Schloßdache ge- worfen hatte, fuchte er zähneklappernd und fieberfrö⸗ ſtelnd das Lager, zog die Bettdecke weit über den Kopf und bemühte ſich, an andre Dinge zu denken; aber das ſchwarzlockige Mädchen und ber graue Bi- bfiothefar fanden fortwährend Ferzengerade vor ihm, und an Schlaf war nicht zu denken. Erſt gegen Morgen fiel er in einen fieberifhen Halbſchlummer, deſſen er fich gleichfalls nicht lange zu erfreuen hatte, Johannes war früh auf und zanfte vor Eginhard's Bett, dag er ihm in voriger Nacht fo wenig Ruhe gelaffen babe.

Der Geifterfeher erwachte, rieb ſich die Augen, und als er gewahrte, daß es vollfommen Tag, fprang er in einem Sqtze aus dem Bette und nad) dem Fen— fter, durch welches er die vorige Nacht geſchaut hatte. Er machte große Augen. Da lag das alte Schloß in der ſchönſten Morgenbeleuchtung, ganz wie er es im Mondſchein gejehen hatte Daffelbe Yrontonfen- fer, viefelbe alte graue Mauerblende, hinter welchen die Rofe von Segovia und der Bibliothefar waren unfichtbar geworden. Es war alfo fein Traum, feine Sinnestäufchung geweſen. Er fchaute lange mit ftar- rem Blicke nad) der verhängnigvollen Schloßzinne, dann warf er fi dem Johannes an die Bruft.

„Hans, vief er, „ed war die furchtbarfte Nacht meines Lebens. Du mußt in einem magifchen Schlafe gelegen haben, fnoft würdeſt Du durch mein Kütteln

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volllommen wach geworben ſein. ‘Die außerordentliche Erſcheinung war Dir vielleicht nicht befchieben.”

.„Das glaub' ich auch, erwieverte Johannes, „Du allein warft der Auserwählte, darum hätteft Du mic können immer rubig fchlafen laſſen. Ich weiß Dir wahrlich feinen Dank für das barbarifche Rütteln und Schuͤtteln.“

„Spotte nur,“ ſprach Eginhard gereizt, „wenn Du geſchaut, was ich erſchaut habe, würde Dir der Spott vergehen.“

„Nun, was iſt es denn eigentlich geweſen?“ fragte Johannes, „das in dieſer Nacht Vordeklamirte hab' ich rein vergeſſen“

„Schlimm genug,“ murrte Eginhard, „und ein Beweis mehr, daß ein magiſcher Schlaf Dich umfan⸗ gen hielt.“

Er erzählte nun ausführlich, bis in das kleinſte Detail, die nächtliche Erſcheinung; ſchwor dabei ſo hoch und theuer, daß ein andrer als Johannes die Sache nicht bezweifelt haben und unfehlbar in ge= rechtes Erftaunen gerathen fein würde. ‘Diefer aber blieb fehr ruhig, ſah zum Fenfter hinaus und pfiff ein Morgenlienchen.

Eginhard bradıte dieſe ſtoiſche Gelaſſenheit bei einer jo höchſt romantiſchen Angelegenheit, vie er überdies felbjt erlebt hatte und die er mit nicht ge= ringer Ekſtaſe vortrug, zur gelinden Berzweiflung. Erpackte endlich den Freund und fehüttelte ihn kon— vulſiviſch.

„Seelenloſes Amphibium,“ ſchrie er, „Du glaubft es alſo wirklich nicht?“

„Rein, lächelte ver Gefragte, „übrigens bitt ich Dich freundſchaftlichſt, Dein nächtliches Rütteln und Schyütteln nicht bei hellem Tageslichte zu wiederholen.”

Stolle, fämmtl. Schriften, XVI. 7

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„Und wenn ich Ehr' und Geligfeit zum Pfande einſetze,“ fuhr Eginhard pe bergweijeinb fort, und fchät- tefte. unterbrochen

„Thu' mir den n Oefeflen, “ſprach Johannes, „and laß los, ich wärbe die Sache für ein Phanta⸗ ſtebild erffäten, wern fie ber nüchternſte Kantianer erzählte, gefehweige bei Dir, dem alle Tage etwas Hochromantifches vor der Nafe umherläuft.“

Eginhard ließ erſchöpft los.

„Das fehlt zu meinem Pe Tenfzte er, „jett hab’ ich wirklich einmal Geifter geſchaut, man kann fie gar wicht dentlicher zu Geſicht befommen nun glaubt’8 der Kannibale —*

„Uebrigens,“ bemerkte Johannes lächelnd, „will ih Dir rathen, mit Deiner Geiſtererſcheinung vorſich⸗ tiger zu Werke zu gehen, hübſch reinen Mund zu hal⸗ ten gegen Jedermann im Hauſe; Du würdeſt Dich unnöthiger Weiſe dem Spotte ausſetzen.“

„Nun da will ich doch gerädert ſein und zwar von unten herauf, wenn ich von dieſer im Gebiete ber Geiſterwelt fo hochwichtigen Geſchichte nicht ſpreche, jo lange ich eine Lunge habe. Eine ſolche Felfenlaſt mag ich nicht auf dem Herzen behalten. Ich „aa, glaube, ich lebte nicht acht Tage, wenn ich mich darüber nicht ſattſam erpectoriren dürfte.“

‚Aber jo überlege doch nur,” gegenvedete Johan⸗

ne, „daß Du nur lebhaft geträumt haft; «8 ift auch

ganz natürlich, wir haben geftern den langen lieben Abend von Nichts geſprochen als von ber Rofe von Segovia. Du jelbft warſt ordentlich verliebt m das Ihöne Maurenkind und ganz exaltirt von meines On- kels mahrchenhafter Relation. Es wäre ein Wunder, wenn Du nicht bei Deiner aufgeregteh Phantaſie da= von geträumt haben ſollteſt; nnd daß der Menſch

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ãußerſt tebhaft tränmen Tamı, jo daß ber Traum faft vem wachen Zuſtande gieichrommt, darüber haft Dar mir weh) dieſer Tage eine ausfliheliäe Berlefung ge⸗

| „öde, Frennd,“ brach jetzt Eginhard los, ch bitte Dich, ſchone meine vunge; chikanire, aͤrgere mich nach Herzensluſt, es ſei Div alles erlaubt, mur gieb mir nicht für einen Traum aus, was ich mit zwei, Gott ſei Daitk, ganz gefunden Augen, feine andert⸗ halbhundert Schritt, in der herrlichſten Mondenbeleuch⸗ tung klar und deutlich gefehen habe.”

„Glaube jeber, was ihm beliebt,“ ſprach enblich Johannes, „wir. wollen uns nicht darüber flreiten, Du weißt, daß ich über vergleihen Dinge proſaiſcher doeute.“ |

Eginhard Tonnte ſich aber Über des Freundes Un⸗ glauben nicht zufrieden geben; und kaum war bie Geſellſchäft von geftern beim Kaffee verfammelt, ale‘ Eginhard, troß Johannes wiederholten. Abreven, ſein nächtlihes Abenteuer mit dem ihm eigenthiümlichen Feuer vorgetragen hatte,

Wäre Eginhard's Erzählung von einem weniger erältieten Gemüthe euögegengen, fo hätte fie unftrei= fig eine weit größere Wirkung hervorgebracht. Man fannte ‚aber Eginharb’s Baffion für alles Hochroman⸗ tiſche und Uebernatürliche, darum nahm man auch die Mondſcheinviſion für nichts mehr als ein Mährchen. Der Erzähler war außer ſich, daß die Senſation bei ſeiner Mittheilung nicht ſtärker war. Er ließ ſich in- deß nicht abſchrecken und malte fein Abenteuer noch— mals fo ausführlich und ver Wahrheit getreu aus, daß man endlich, faſt mehr aus Gefälligkeit denn aus Meberzeugung, daran zu glauben vorgab. Pauline. und Marie erfhienen noch am Gliusigfien,

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Eginhard meinte, er komme ſich vor, wie Kas— Tandra, die Helliebenve, melde auch Dinge gejehen bätte, an bie die profaifhe Welt nicht. habe glauben wollen. Auch fühle er ſich fo unglüdlic wie die Tro- jenerin. Seine Ruhe ſei dahin. Die Geifter, bie ſich zeither ſichtbar von ihm zurückgezogen, hätten es nun wahrſcheinlich auf ihn abgeſehen, um die frühere Vernachlaſſigung gut zu machen. Er wiſſe ihnen fei- nen Dank dafür. Er hätte fich ohne fie weit befier befunden. Doch wolle er fich feine Injurien gegen fie erlauben, fie ftellten leicht ein Bein, denn die Rache ver Geifter fei furchtbar und kenne feine Gren- zen. Ueber dieſes Kapitel könne er entfegliche Bei- Tpiele erzählen.

Um dem Geſpräch eine andere Wendung zu ge= ben, jchlug. Herr Wertheim für den Nachmittag‘ einen Spaziergang nad der Haivemühle vor, vie ein hal⸗ bes Stündchen von Buchenthal in einem reizenden Thale gelegen war.

13.

Eginhard ſowohl als Bodo, Albert und Iohan- nes hatten fich alle erbenflihe Mühe gegeben, des räthjelhaften Bibliothekars anfichtig zu werden. Es war Alles vergebens geweſen; und da es Wertheim nicht gebilligt haben würde, fo hatte man e8 aud vermieden, ben geraben Weg einzujchlagen und gleich⸗ fam mit Gewalt in Baftlico’8 Wohnung einzubringen.

„hr werdet mir nun allmälig zugeſtehen,“ ſprach Eginhard, als Bodo und Johannes von einem aber- maligen mißlungenen Verſuche verſtimmt zurückkamen, „daß ich im jemer verhängnißvollen Mondſcheinnacht recht geſehen habe; den Bibliothekar bekommt Ihr am

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Tage nicht zu fehen, der ſpaziert nur Nachts auf dem Dache. : Wer vergleichen nächtliche Promenaden fiebt, pflegt fih in. der Regel bei Sonnenſchein zu⸗ mchugiehen. Ih verdenk's ihm nicht. Er hat das ſchönſte Mädchen des alten Maurenreichs bei ſich, die ihm wahrſcheinlich mit ihrem ſüßen Munde die lieb⸗ lichten Mährchen erzählt. Unter ſolchen beneidenswer⸗ then: Verhältniſſen ging ich auch nicht aus.“

Bon dem Garten des Signor Bafilico konnte man gleichfalls nichts zu ſehen befommen. Die jungen Freunde ‚hatten alle Bodenkämmerchen des neuer Schloſſes durchklettert, durch jede Dachlufe gefpäht. Es war Mles vergebens. Ein paar Beete ſchöner rother Blumen war die einzige Ausbeute. Was hin⸗ ter der Mauern des alten Schloffes, die den Garten hauptſächlich verdedten, für feltene Blumengeſchlechter . blühten, mochte der Himmel willen.

Was Übrigens Egiuhard's Geifterfeherei betraf, hatte er feit jener verhängnißvollen Mondſcheinnacht alle Obſervationen forgfältig vermieden. Er mochte mit diefen Nachtgefpenftern, die auf himmelhohen Dä= ern einherfpazierten, nichts zu fchaffen haben. Seine Philofophie dabei war dieſe: Was nüßen mir meine Geifterbeobadytungen, ich habe nichts Davon und fomme obendrein um meine Ruhe. Was hülfe es, wenn alle himmlischen Heerichaaren auf dem alten Schloffe ein= berftiegen, die verftodte Melt glaubte e8 nit, und ih hätte den Aerger. Eginhard vermied es daher, vor dem Schlafengehen aus ven Fenſter zu fehen und Sternbetrachtungen anzuftellen. Konnte er nicht ein= fchlafen, unterhielt er fih mit Johannes und hielt diefen durch fortwährendes Geſpräch wach. Erhielt er feine Antwort mehr auf wiederholte Fragen, jo war bies ein Zeichen,. daß Johaunnes fchlafe oder zu

&

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Schlafen wünſche. Dann hielt es Eginhard ebenfalls für gerathen, dem Beiſpiele des Freundes zu folgen, zog Das Oberbett über ben Kopf und fchlief ein. Kurz, er mochte in ftodfinfterer Nacht mit Geiftern nichts zu thun haben.

Wie vorfihtig ſich aber Eginhard während ber Nacht benahm, um fo couragäfer zeigte er ſich bei Tage, wo die freundlide Sonne bed am Himmel fand, und jo kam endlich bei ihm ein wohldurch⸗ dachter Plan zur Reife; nämlich. vem Bibliothekar, ohne Vowiſſen von Jemand, energiſch zu Leibe zu gehen. Sein Borhaben beftand darin, irgend einen günftigen Augenblid zu ergreifen, und es koſte, mas e8 wolle, über die mehre Klaftern hohe VBerzäunung zu Tlettern, welche ven geheimnißvollen Blumengarten des Signor Bafllico umſchloß. Seine Fertigkeit im Klettern mußte ihm hier zu Statten kommen. Die Hauptfache war nur, durch forgfältiges Recognosciren eine pafiende Stelle zu eripähen, und für das Unter- nehmen einen Zeitpunkt zu erwählen, wo die Familie Wertheim auf einer Landparthie begriffen.

Diefe großartige Idee befchäftigte ihn außeror⸗ dentlih. Was die Stelle der Gartenwand betraf, hatte er eine ſolche bald ausfindig gemacht; jett galt es, eine Liſt zu erfinnen, allein im Schloffe bleiben

. zu dürfen, während Johannes, Bodo und Albert, nebit

Wertheim’ auswärts wären. Er ſann lange bin und ber. Sich krank zu ftellen, war verbädtig und daher gefährlich. Er beichloß alſo, bei ver nächſten Parthie in die Umgegend, unter irgend einem Vor— wande vorauszueilen, ſich alsdann irgendwo verſteckt

zu halten, bis die befreundete Karawane vorüber jet,

und dann im geſtrecktten Laufe zurüdzufehren ‚und ſein Unternehmen in's Werk zu ſetzen. Die Gelegenheit

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fand fih bald. Es war ein herrlicher Nachmitt Wertheim hatte einen Ausflug nad dem aubert Stunden entfernten Moritzberge vorgeſchlagen, von wo man eine noch ſchönere Ausſicht über die gaunze Gegend genoß ala felbft in Buchenfels. Als vie Ge⸗ jellſchaft den Weg antrat, war Eginhard fchon eine Strede voraus. Gr gab vor, voraudzutaben, damit die Wirthsleute bei Dem Deritberge auf die Ankunft der Gäfte vorbereitet wären und einige Erfriihung auf ven Berg fchaffen möchten.

„So bleib doch bei ung,” rief dem Boraneilenven Johannes nach, „wir werben nicht umlommen vor Hunger und Durft;” aber Eginhard ließ ſich nicht abhalten und kaum glaubte cr ven Rachfolgenven aus dem Geficht zu fein, als er in ein Birkengehölz linls einbog und fich darin verborgen hielt.

Plaudernd und lachend zogen die Spaziergänger vorüber, nicht ahnen, daß ber Eginhard Feine zchn Schritt hinter dem Birkengrün verftedt wäre. Diefer aber, wie es den Weg frei glaubte, machte rechtsum⸗ lehrt und eilte nach Buchenfels zurüd.

Unbemerft, denn faft das ganze Tienftperfonale war auf dem Felde befchäftigt, fchlih er fih nah der bewußten Gartenwand. Cr fand bald die geeig- nee Stelle, bejahl feine Seele allen Heiligen und begann emporzullettern. Tas wollte Anfangs nicht gläden, die Wand war jteil und verzweifelt Hoc). Eginhard ließ ſich indeß nicht abjchreden, wiederholte ſeine Verſuche, und ſo glückte es ihm endlich, ſo weit ſich empor zu arbeiten, daß er mit dem Kopfe dem obern Ende der Wand glei fam. Das half ihm aber noch nicht viel, denn lettere war ſehr breit. Er mußte noch einen Schritt höher. Es glüdte, nun lonnte er einen anjehnlihen Theil des Gartens über-

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hauen. Da blühte c8 allerdings überall wundervoll. Geltfame, fremde Blumen keuchteten auf ven fauber gepflegten Beeten; e8 war ihm, als athme er wilb- fremde Düfte- aus einem Garten des Morgenlandes. Bögel mit brennenver Farbenpracht wiegten fich hier und da auf ven blühenden Zweigen. Eine feltiame Stille weilte über dem kleinen blühenden Baradiefe. Eginhard konnte fich nicht fatt ſehen an ber reizen- ven. Flora. Es warb ihm wunderbar zu Muthe. „Wenn es mit biefem morgenländifchen Garten,” ſprach er für fi, „nicht feine übernatürlihe Be- wandtniß hat, will ich nicht gejund hier über ber Baumwand ſtehen.“ Vergebens aber forfehte er nad) dem Schöpfer aller dieſer wunderbaren Herrlichkeiten, nad dem Bibliothefar. Er unterfuhte auch die Lo— falität des Gartens, wie er mit dem alten Schloffe zufemmenhing und begriff nicht, wie man überhaupt in venfelben gelangen fünne, da er nirgends einen Eingang wahrnahm.

„Mein Standpunkt,“ fprach er für fi, „it nicht mit Golde zu bezahlen. Was würden Marie und Pauline und ſelbſt Johannes darum geben, wenn. fic fol einen Blid in das Reich ver Wunderwelt thun fönnten. Ich habe die Sache Hug angefangen. Wäh— rend die ganze Hausgenoſſenſchaft in der Sonnenhike nah dem einfältigen Moritzberge keucht, jchwebe ich bier ganz behaglich und ſchaue Wunder über Wunber. Aber was Hilft mir's. Ich mug dieſe Myſterien wieder für mich behalten; erftens glaubt mir die ver- ftocte Welt nichts, und dann darf ich nicht einmal befannt werden laflen, daß ih wider Wertheim's Willen die Baumwand erklettert habe, um den räth- jelhaften Signor Bafilico in bie Karten zu fehen.

Ih bin--in. Schlimmer Lage. Faſt möchte ich wün—

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ſchen, nichts Außerordentliches gefchaut zu haben, denn diefe wunterbaren Blumen und Vögel werden mir das Herz abbrüden, wenn ich das Alles für mich be- halten muß.‘

Er überflog nochmal® tie ganze innere Einrich⸗ tung des Gartens. Plötzlich entftand ein feltfames Hin⸗ und Herhüpfen der Bügel, tie, wie Eginhard jet wahrnahm, mit goldenen Kettchen an die Xefte befeftigt: waren. ‘Der Beobachter jtutte und machte große Augen bei der wunderbaren Regſamkeit. Tas reizende Geflügel ward immer unruhiger. Doch ein außerordentliher Schreden bemächtigte fich plößlich des Beobachters; er glaubte feinen Augen nicht zu trauen, hinter einer blühenden Rofenhede trat tie Roje von Segovia hervor und fam den Gartengang daher. Es war viefelbe Geſtalt aus der Mondſchein⸗ naht. Wieder einfach weiß gefleivet und lange dunkele Loden.

Eginhard war ob diejer Erſcheinung fo erichroden, daß er mit dem Fuße von feinem Poſtamente abglei- tete. Hätte er fih mit den Händen nicht an einen feften Baumaft geflammert, würde er unrettbar bergab gefahren fein. Bergebeng vifitirte er, mit den Füßen hin⸗ und bertaftend, nad den früheren Sachen Seine, Page warb immer gefährliher. Er geſtikulirte mit den Fügen wie ein Gehängter. Gleichwohl wünſchte er die Roſe von Segovia uch ein Weilchen zu beobachten. Er ftredte daher ven Kopf fo hoch als möglid empor. Ta fah er eben noch, wie das weiße Mädchen hinter einer Laube von blühentem Jasmin verfchwand. Zugleich gewahrte er, wie der berüchtigte ſchwarze Kater dem Hauptgang entlang galoppirte und der Bibliothelar mit einem langen filbernen Stabe in den Garten trat. Eginhard, der ven glänzenden Etab

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für eine Flinte hielt, zog den Kopf ſchnell zurück und haranguirte mit den Füßen verzweifelt nach einem Stützpunkte. Gr hatte genug geſehen und wünſchte von Herzen gern den feſten, Ken Erdboden wieder unter ſeinen Füßen zu haben. war e8 die Haft feiner Bewegungen, oder bie Unfihentet feiner Viſita⸗ tion, ex konnte den früheren Stützyunkt und Gteighä- gel nicht wieder finden. Go hing er num zwiſchen Himmel und Erde, in ber gefährlichiten Bofition; beun fo wie er los ließ, ging die Reife

„Mit bebächt'ger Schnelle

Bom Hummel durch die Welt zur Hölle,“ Er berechnete jetzt, daß er die Sache für Die Ränge nicht aushalten inne, denn fein Körper, an ſich nicht zu den ätheriſchſten gehörend, er wog einhunbert- ſechzig Pfund fähfifch, ward von Minute zu Minute ſchwerer. Eginhard vwerwünfchte jet feine nafemweife Klettere.

„Wär' ich doch,” dachte er, „als ordnungsliebender Staatsbürger mit den andern geſcheuten Leuten, bie fih nicht auf ſolche excentrifche Klettereien einlaffen, hinausgepilgert nad) dem herrlichen Moritzberge. Die ſitzen wahrſcheinlich gegenwärtig unter grünen fehat- tigen Lauben, erquiden ſich durch trefflicden Rahm und genießen bie fchönfte Auaficht, während ich Unglücklicher vie Ausficht habe, zur Hölle zu fahren, wie ein Ber- brecher am jüngften Gerichte.

„Unter mir liegt es Berge tief In purpurner Finfterniß da.”

„Ohne einen Beinbruch Inun es jett gar nicht abgehen, wenn ich den Hals nieht dazu breche. Um Hülfe rufen Darf ich nicht, da wär ich geliefert. Dar Bibliothekar ſchöſſe mich mit feiner verzweifelten

407

Windbüchſe, oder was er für ein Ding in der Hand hat, wie einen Sperling herab. Er braucht nur, wenn's in aller Stille hergeben foll, mit einer Lanze, wie deren im der Rüſtkammer zu Dutenden hängen, durch die Baumwand zu ftechen, und ich falle ab, wie ein wurmftichiger Apfel. Reif bin ich überbied, zum Untergange nämlich, und es gefchieht mir recht, wer beit mich mit Geiftern anbinden. Es geht überhaupt nit mit rechten Dingen zu. Mein Fußgeſtelle wäre fonft nicht hinweggezaubert. Ich bin eigentlich weit fhlimmer daran, als ein ordentlih Gehängter, ber braucht nicht fo lange zu zappeln und fpaziert bald in die Ewigleit.“

Koch einmal vifitirte er convulſiviſch mit ven Fuß⸗ zeben nad dent Schwerpunkte; und da ed aud) dies mel ohne Erfolg war, beichlich ihn Wehmuth und Reſignation.

„Wer hätte das geglaubt,” fuhr er in feinem Ge- danlengeſpräche fort, „daß ich hier in der Blüthe mei- ner Jahre fo ſchmachvoll, in fo unäfthetijcher Pofitur meinen Untergang finden würte, Hätte noch Vieles vor auf dieſer ſchönen Welt. Die Wege des Herrn find wunderbar. Aber wer fi in Gefahr begiebt, . lommt darın um, iſt ein altes Spridwort. Es iſt Shave, daß mir die Wahrheit dieſer goldenen Lehre erſt jetzt volllommen Har wird, wo ſie mir nichts mehr hilft. Säße ich doch auf dem Miorigberge und tränfe meinen guten Rahm. Turh Scharen wird man Hug. Wir Deutihen haben fchöne Sprichwörter. Auf mic, den dem Untergange Geweihten, erleiden fie leider feine Anwendung mehr. Hätte fie früher beherzigen follen, jetzt iſt's zu ſpät.“

Eginhard überlegte, ob nicht irgend eine Rettung möglich ſei.

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„Entweder,“ ſprach er, „ich bleibe ruhig hängen, bis der Himmel irgend ein Menſchenkind vorbeiführt, oder ich fteige weiter, auf die Gefahr, daß ver Bi- bliothefar auf mich ſchießt. Erfteres möcht” ich frei- lich fein Biertelftännchen länger aushalten, denn mir it es, als ob von Minute zu Minute eine unficht- bare Hand ein Pfundgemidht mehr mir an die Füße bände. Alfo wird das Gerathenfte lem, ich ſteige vorwärts.”

Er begann fofort mit dem einen Arme auf- wärts zu greifen, da brady aber der Aft, melden er mit der Hand erfaßt hatte‘, wodurch ein lautes Ge— praſſel entitand.

„Was war das, Eugenie, haft Du nichts gehört?“ fragte in heiferer Stimme ber Signor Baſilico.

Das ſchöne Mädchen, welches fo eben mehren ber auf und abhüpfenden Vögeln Yutter ſtreute zeigte nach der Seite, wo Eginhard hing.

—„Gewiß der böſe Baummard, der unter unſern Tauben ſolche Verheerung angerichtet hat,“ ſprach der Bibliothekar, „wo iſt mein Taſchenterzerol.“

Eginhard, der mit geſpitztem Ohre Alles deutlich vernommen hatte, erkannte jetzt, daß ſein letztes Stündlein gekommen war.

„Adje Welt,“ rief er verzweifelt, ließ den Ret⸗ tungsaſt los und rutſchte mit Blitzesſchnelle die Baum⸗ wand herab. Die Fahrt lief indeß ſo glücklich ab, daß er allerdings etwas zerzauſt, doch auf ſeine bei- den Füße zu ftehen kam. Diefe aber waren fo un- fiher geworden, daß er Tängelang auf ben Rafen hinfiel. Er befann fi hier nicht lange, war wie ber Blig wieder auf, und Tief, was er laufen konnte, dem Schloſſe zu. Erft auf dem Schloßhofe glaubte er ſich

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jo ziemlih in Sicherheit und außerhalb der Schuß: weite des jaghluftigen Bibliothekars.

So wie er fih einigermaßen vom Schred er: holt hatte, gewann er Muße, über fein außerordent⸗ liches Abenteuer nachzudenken. Jetzt hatte er alfo die Rofe von Segovia nicht blos in Mondſcheinbe⸗ leuchtung, ſondern bei hellem Tage gefehen. Das ſollte auch Sinnentäufchung gewejen fein? Er wußte übrigens jeßt nicht, was er beginnen, ob er der Ge⸗ felfchaft auf dem Morigberge nachlaufen oder im Schloſſe verbleiben ſollte. Letzteres hielt ex nicht für ratbfam; fo mutterfeel allein, wer konnte willen, ob nicht der belaufchte Bibliothekar im Begriff ſtand,, einige Brigaden überirbiiche Geifter gegen ihn aus- zufenden, um ven Frevler, ber es gewagt, über die Baumwand in das Heiligthum zu fehen, energifch zu üchtigen.

Er machte ſich daher auf den Weg nach dem Moritzberge. In ſeinem Innern ſah es desperat aus. Er befand ſich in verzweifelter Lage. Wie, dieſes außerordentliche Erlebniß, dieſen handgreiflichen Be— weis von der Roſe von Segovia ſollte er für ſich behalten? Das war unmöglich, ſelbſt auf die Gefahr hin, daß der Bibliothekar die geſammte Geiſterwelt gegen ihn loslies.

Er hatte immer gelefen, daß die Geifter mit GSterblihen gerade dann am Unerbittlichiten verfahren, wenn lettere jo unvernünftig find und gemachte Ent- deckungen aus dem Geifterreiche ausplaudern.

„SH bin wahrhaft zu meinem Unglüd in dies Schloß gekommen,“ ſprach er für ſich, „ver Himmel weiß, ob ich lebendigen Leibes davon komme, ſobald die Ferien zu Ende find. In welch höchſt verwidelte

Conflicte mit einer unfihtbaren Welt bin ich gera=

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ten. Das Befte wär’ allerdings, ich fagte fein Ster⸗ benswort von den: wunderbaren Erſcheimengen und behielt Alles für mid, die Geiſter fänden fi dann weniger compromittirt und profanirt, und würden Rüueckſicht nehmen. Aber eine ſolche Saft anf dem Herzen tragen, das halt’ ein Andrer aus. I ſchwa⸗ cher Sterblicher vermag's nit. Dem Johannes we⸗ nigſtens, biefem ungläubigen Thomas, muß ich einen Wirt geben. Er wid die Gefchichte zwar wieder nicht glauben, aber ih kaun mich doch ein Wenig letht mm’8 Herz reden. Verzweifelte Geſchichten; die

ädchen dürfen allerdings nichts von der Kletterei erfahren, die würden nicht reinen Mund halten, und ich Hätte es bei Wertheim verſchüttet auf alle Zeiten; aber Hans, viefes Fiſchblut muß ich ein Wenig in's Feuer bringen.”

Unter dieſen und ähnlihen Monologen langte Eginhard wohlbehalten auf dem Meorigberge an. Die Geſellſchaft war bereit aufgebrochen und hatte ven. Weg nad dem nahegelegenen Hammerwerke eingefihle- gen. Eginhard trabte nach und fand die Geſuchten in einem höchſt anmuthigen Thale, auf einer üppigen, - verh mit Blumen geſchmückten Wiefe gelagert.

Eginhard ward jest zur allgemeinen Rechenfchaft gezogen und mit freunpfchaftlihen Borwürfen über- häuft. Er gab vor, fi verirrt zu haben, indem er einen nähern Weg nad) dem Morjsberge habe gehen wollen.

Albert, der Eginhard's Citirwuth ſchon mehre Male drollig nachgeahmt hatte, trat mit ernftem ge⸗ mefjenen Schritt auf ihn zu, legte die Hand auf Eginhard's Kopf und ſprach „emahnend: :

Geht des Kanonenballs —— Lauf,

414

Din —2 zum Mei

a bieie folgt

De Safe La er Thöler freiem Rrümmen,

Umgeht das Hehrenfelb, ben Rebenhügel,

Des Eigenthums gemeflne Grenzen ebrent,

So führt fie ſpäter, fiher doch zum Ziel.“

Alles mußte laden. Eginhard fand aud feine gute Laune wieder; nur wenn er an ben Bibliothe- far nd die Rofe von Segovia Dachte, ward er nach⸗ deecklich und unruhig. Es drängte ihn, wenigftens gegen Johannes das Herz auszuſchütten, und er fuchte fortwährend nach einer Gelegenheit, ven Freund allein zu ſprechen. Diefe fand ſich bald, Johannes ſchien Nee Eginhard etwas emtdeden zu wollen. Wis fie

allein waren, fafte einer ven andern haftig beim Arme.

„Freund,“ fragte Johannes ziemlich aufgeregt,

„haft Du nicht bemerkt, wie Bodo Marien auffallend

„Mnd das Kind ſcheint es ſich gern gefallen zu (nffen.“

„Verdenk's ihm nicht,“ bemerkte Eginhart, „Bobo ift ein tapfrer Mann. Das lieben die Mädchen.”

„So,“ fragte der Andre gevehnt,. „vor ein paar Tagen ſprach man ja ganz anters, von Duell, Blut und Tod.”

„ah, Hans,” fiel Eginhard ein, „laß jest berfei irdiſche Angelegenheiten, ich habe Dir unterm Siegel der Berfchwiegenheit wichtigere Dinge anzuvertrauen.‘

„Bir bürfen’s nicht zugeben,” fuhr Johannes, der anf des Freundes Wort gar nicht gehört hatte, auf- geregter fort, ‚wir bürfen uns bie Couſinen micht kapern laſſen. Wir haben nähere Anſprüche.“

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„Mein Gott,” ſprach Eginhard, „mas ift es um fo ein armes gebredhliches irbifches Mädchen, leihe mir Dein Ohr für eine höhere Welt.“

„Narrenspoſſen,“ gegenredete Johannes ärgerlich, „ſchlag Dir einmal die Hirngeſpinnſte aus dem Kopfe, wir dürfen uns nicht werfen laſſen von dieſer über— müthigen Nitterfchaft. Ich intereffire mich, für Ma— rien, ih will Dir’ nur geftehen, Du mußt. mir fe- fundiren, falls ih mit meinem Nebenbuchler zufammen komme; Bodo iſt un angebunden und gerirt ſich, als wäre er halber Bräutigam. Dieſe eitle Selbft= gefälfigfeit empört mich.“

„Hör einmal,” ſprach nun Eginhard ebenfalls ge- reizt, „wenn Du fo verächtlih Alles für Hirnge- fpinnft ertlärft, was ich mit eignen Augen gejehen und mit eignen Ohren gehört habe, jo kommen wir felber vorher zufammen; ich mag ſolche Reden nicht länger dulden. Hör!’ mich alfo aufmerkſam an.”

„Bor allen Dingen,” fiel Iohannes ein, „laß ung eine Politik erfinnen, wie wir dieſen egoiftifchen Cavalier aus dem Sattel heben. Wenn es ein geift- reicher, intereffanter junger Mann wäre, hätt’ ich ge- gen eine Liaiſon mit Marien nicht das Geringfte; aber ih ſchwöre Dir, Eginhard, er verbient dieſen Engel nicht ; beim Himmel, er verbient ihn wicht, und mir ift’8 unbegreiflich, wie das Mädchen feine flachen Ge- fpräche mit anhören und an feinen faden Galanterien Geſchmack finden Tann.“

„Aber fo laß mid doch nur zu Worte kommen,” verſetzte Eginhard, „ich habe fo eben die Rofe von Segovia —“

„Schweig mit Deinen Phantafien, “ſprach Jo— hannes, „und denk' an reellere Dinge.“

„Wenn ich Dir aber bei Allem, was heilig iſt,

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zuſchwöre,“ fuhr jener fort, „daß ich das Geſpenſt , ‚wie es leibt und lebt, am hellerlichten

e

En bift ein Phantaſt,“ entgegnete ungeduldig Johannes.

Was, Phantaſt,“ fuhr Eginhard eifrig fort, „hör mich in's Teufels Namen an, nur viefe Gefälligkeit erzeige mir, und ich bin in Deinen Liebesaffairen mit Leib und Ceele Dein. Denf’ nur, ich weiß be- reits, wie die Roſe von Segovia heißt; fie heißt Eugenie.”

„Wie?“ fragte Johannes in feltiamem Tone und eine leife Verklärung floh über fein Geficht

„Iſt zwar fein mauriſcher Name,” fuhr Eginhard fort, „nicht einmal ein Ipanifcher, aber das thut nichts, kurz, ih habe es mit meinen eignen zwei atufiſch gebauten Ohren gehört, wie ſie der alte geſpenſtiſche Bibliothekar im langen, grauen Rocke „Eugenie“ gerufen hat.”

Johannes war immer aufmerfjamer geworben und Eginhard mußte erzählen.

Als der Referent an die Beſchreibung der Roſe von Segovia ſelbſt kam, ihre Geſtalt, Antlitz und Tracht näher ausmalte, ward Johannes unruhiger. Er lief mehre Male in ſeltſamer Gemüthsſtimmung auf und ab.

Für Eginhard war es ein nicht geringer Triumph, daß der ſonſt jo indifferente, ungläubige Freund ein— mal ein ſo großes Intereſſe an ſeiner wunderbaren Erzählung nahm.

„Nun,“ fragte er, als er mit ſeiner Erzählung zu Ende war, mit ſtiller Genugthuung, „das iſt wohl Alles Nebel und Einbildung? Wenn auch Alles dafür ſpräche, mein zerzauſter Rock gewiß Pie Da,

Stolle, ſämmtliche Schriften. XVI.

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man kann's noch fehen, hier ift noch ein ziemlicher Defect, für deſſen Ausbeflerung ich heute noch bedacht fein muß.”

Johannes beſchwor aber Eginhard, von dem Er- lebten um's Himmelswillen gegen Jedermann zu ſchwei⸗ gen. ‚Er verfprach heilig und theuer, nun felbft mit- zuwirken und Alles aufzubieten, dem fonverbaren Ge— heimniſſe auf die Spur zu kommen.

„Bon, ſprach Eginhard, fi vergnügt die Hände veibend, „ſtehſt Du mir bei, werd’ ih Dich nicht im Stiche lafjen. Ich werde Deinen Nebenbubhler fogleic) zu Leibe gehen, Du haft ganz recht, die himmelſchöne Marie ift nicht für folh einen übermüthigen, einge- bilveten Krautjunker.“

„Laß nur,” ſprach Johannes jekt um Vieles ruhiger, „und wiederhol' mir lieber die Beſchreibung ber Rofe von Segovia.”

Eginhard Tief fid Dies nicht zweimal fagen, und referirte von Neuem das auferorventlihe Erlebnif. „Ich verfihere Dir, Hans,” ſchloß er, „das Wunder- bare, Geifterhafte an diefer Erjcheinung

„war fo riefengroß, | daß ich mich recht als Zwerg erkennen mußte.‘

Sohannes war fehr nachdenkend geworben; Egin- hard aber verficherte, daß ihm ein wahrer Felsblock vom Herzen fei, ſeit er das Geheinmiß dem Freunde mitgetheilt und nicht allein daran zu ſchleppen habe.

„Was find das wieder für Geheimniſſe?“ rief Pauline, die herbeigefprungen kam.

Eginhard hätte für's Peben gern auch fie in die wunderbare Angelegenheit eingeweiht, aber ein Winf von Johannes gebot ihm Stillſchweigen.

Die Andern find ſchon voraus,‘ mahnte das Mäd— ‘den, „wir bürfen nicht zaudern. Die Reife geht zum

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Waſſerfalle. Der Buter hat ſchon einen Boten nad) der Mühle vorausgefchidt, damit der Müller aus fei- nem großen Teiche Waſſer abläßt; der Waldhach ift bei der warmen Witterung ganz ausgetrodnet und ein Waſſerfall ohne Waffer ift ein „non ens“. Nicht wahr, fo heißt es im Lateiniſchen?“

„Paulinchen könnte alle Tage die Univerfität be= ziehen,’ lachte Eginhard, „fie ift geborene Römerin.“

‚Die Drei wanderten ver Geſellſchaft nach; Eginhard ſcherzend mit Baulinen, Johannes ftill in ſich gefehrt.

Ad man die PVorausgegangenen einholte, ging Bodo wieder an Marien's Seite. Dem Johannes ſchien dies jet ziemlich gleichgültig, aber Eginhard, der durch das vorhergegangene Zwiegeſpräch erſt auf das Verhältniß aufmerkſam geworben, ärgerte fi über diefe8 Hofmachen von. Seiten des Ritters.

„Johannes hat Recht, ſprach er zu ſich, „ich hab's nicht ungern, wenn fih ein Engel den Hof machen läßt, aber der Cicisbeo muß darnach fein. Hier ift das nicht der Fall. Bodo ift nicht ver Mann, der eine folhe Blume zu würdigen verftände. Ich begreife nicht, wie das geiftreihe Mädchen dieſem faden Gewäſch jo aufmerffam zuhören kann, als verfünde der Junker das Evangelium der ewigen Glüdjeligfeit. Das duld' ich nicht und ſpringe dazwiſchen.“ Und mit einem Sage war er an Marien's undrer Seite.

Das Gefpräd des Pärchens ſchien foeben eine ziemlich fentimentale Richtung genommen zu haben.

„Das fehlte noch“ ſprach Eginhard für fid), und - warf humorijtifche Knallerbſen und Schwärmer zwiſchen die Beiden. Bodo verwünfchte den unmillfommenen Begleiter in's Pfefferland; dieſer aber ließ ſich nicht ftören und perfiflirte einen fentimentalen Liebhaber fo treffend und fo poffirlih, daß Marien und dem Junker

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nichts übrig blieb, als die Sentimentalität auf ein andermal zu werjchieben und auf ven Scherz einzugehen.

Der Abend war hereingebrohen. Mean befchlof, zum Morigberge zurückzukehren und ben Meondesaufgang dafelbft zu erwarten.

Auf der Kuppe bed Berges ſelbſt erhob ſich eine Terraſſe, von wo man die herrlichſte Ausſicht über die Gegend genoß. Hier ward Platz genommen, während der Abendſtern i immer tiefer ſank. Eginhard declamirte:

„Dom Vaterland So fern, ſo fern, Hat mich erkannt Der Abendſteru. „Wie freut es mich, Dich hier zu ſehn, Du kannſt, nicht ich, Zum Liebchen gehn.

„Wenn ich nicht irre,“ fuhr er fort, „ſteht dies Liedchen in dem Roman „der Jude“ vom wackern Spindler, wo ſich's Jedermann abſchreiben kann, dem's gefällt. Es gehört zu meinen Favoritftückchen.“

Der Tag verglomm. Die Schatten der Däm— merung ſanken tiefer. Die Sterne traten funkelnder hervor. Es war ein reizender Abend. Die Geſellſchaft hatte auf den Bänken rings umber Pla genommen. Bodo faß wieder neben Marien; Eginhard, ver durch ven herrlichen Abend felbft wieder poetifch geſtimmt war, hatte ed nicht verhindern können. Er ſuchte fo- eben der Gefellfchaft zu beweifen, daß diefe Dämme- rung, dieſes zweifelhafte Zwielicht, dieſes feltjame Schwanfen zwiihen Tag und Nacht eigentlid das wahre Urelement der Romantik fei.

„Mebrigens hat dieſes Abenddämmerreich,“ fuhr er fort, „dieſes Erfterben des Tages, Niemand berr-

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j

licher gefehtbert, als der Hocdh= und Gnofmeife aller Poeſie auf Erden, unfer Wolfgang Goethe, in ven wenigen Zeilen: „Dämm'rung fenkte ſich von Oben, Schon iſt alle Nähe fern; Nur noch ſtill emporgehoben Holden Lichts der Abendſtern. Alles ſchwankt in's Ungewiſſe, Nebel ſchleichen in die Höh'; Schwarzvertiefte Finfterniffe Wiederipiegelnd, ruht der See. „Da im öftlihen Bereiche Ahn' ih Mondenglanz und Gluth, Schlanker Weiden Haargezweige Scherzen auf der nächſten Fluth; Durch. bewegte Scattenipiele Zittert Luna's Zauberichein, Und durch's Auge jchleicht die Kühle Sänftigend in's Herz hinein.‘

Kaum hatte Eginhard diefe Worte gefprocdhen, als auch der Mond in mildem Glanze hinter dem Walde hervortrat. Aller Blicke mweilten mit- ftillem Wohl: gefallen auf der ſchönen Kugel. In. Marien’8 Auge glänzte eine Thräne; Bodo wollte die herabfallenve von der ſchönen Wange küſſen. Das Mädchen bog ſich aber verſchämt zurüch; ſo bekam nur die ſchöne Hand den Kuß.

Eginhard, als er bemerkte, daß es wieder gar zärtlich ‚hinter ihm zugehe, erſuchte Bodo, ein Gedicht auf den Mond zum Beſten zu geben. Ein fühlenver Süngling, meinte er, müſſe vergleichen zu Dugenben, wenn aud nit im Kopfe, bod) in der Taſche. haben.

Dodo erklärte, dag er einen folden Vorrath leider entbehre.

„Das iſt Schade,” ſprach Eginhard, „ich bin über— zeugt, Sie würden ihn mit vielem Ausdrucke vortra—

448 . v gen. Man befindet ſich nicht immer in ber geeigneten Stimmung. Die Mondſcheinſtimmung ift eine beſon⸗ dere Art.“

„Da Sie fo in den Mond- und Mondſchein- Angelegenheiten bewanbert find,” ſprach Pauline, „jo könuten Sie uns eine Mondvorlefung halten, die Ge— legenheit kann fich nicht beſſer darbieten.“

Die Webrigen waren ſämmtlich Paulinen's Mei- nung und drangen auf eine Borlefung.

Eginhard jpielte bei ſolchen Oelegenheiten nicht den Spröden; er verfprad daher, fi fo kurz als möglich zu faſſen, nahm eine theatralifhe Pofitur an und begann:

„Der Mond, hochverehrte Zuhörer, auch Yuna oder Selene genannt, ſpielt im Leben der Menjchen eine hochwichtige Rolle. Bor allen Dingen fommt er mir vor, wie ein alter treuer Bebienter in ber großen Menjchenfamilie Während des glänzenden Beſuches der Frau Sonne, die Aller Aufmerkſamkeit auf ſich zieht, tritt er ganz zurüd oder blidt ganz leis und Thüchtern vom Außerften Horizente herauf. Sobald aber der vornehme Beſuch abgefahren, fommt er zu= traulicher und freundlicher näher, und Jedermann hat ihn gern von Jugend auf und immerdar. Was man ver ftrahlenden Tagesfürjtin nicht vertraut: Thränen, Seufzer, Geſtändniſſe und Herzensergießungen, beim guten, verjchwiegenen Monde weiß man fie wohl auf- gehoben. Wie viele Dummheiten er mit anſehen muß, er bleibt immer freundlich und mild.

„Die Poeten ſehen ihn übrigens nicht ſo proſaiſch an, "als ein gewöhnliches Menſchenkind. Während leg- teres ihn fchlechtweg „Mond“ titulirt, haben fie weit geihmadvollere Benennungen. Da heißt es: „Tanfte Luna,” „holde Selene” „leuchtende Blume der Nacht“

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und dergleichen, und dabei ſeufzen fie und machen Gedichte. Wenn der Mond ein Landſtand wäre, ſo

gehörte er gewiß nicht zur Oppofition, denn eine folde

Toleranz, wie er feit Adam und Eva gegen die Boeten an ven Tag gelegt hat, davon kann wohl feine De- putirtenfanmer auf Erden ein ähnliches Beifpiel aufs weijen‘ |

„Der Mond ift ferner der ältefte Gevatter. Wie unzählige Male hat er Gevatter geſtanden; denn wie oft ift er nicht in ftiller Mitternacht zum Zeugen von Liebesſchwüren und Liebesbetheuerungen angerufen worden.

„Unſer Freund behauptet ferner in allen unſern Kalendern einen Haupt- und Ehrenplatz. Allwöchentlich kann er ſich abkonterfeit ſehen; bald ſchwarz, bald roth, bald als Sichel en profil, bald bausbäckig en fage.

„Wer bedürfte des Mondes nicht! Der Landmann, der Arzt, der Apothefer, der Schifffahrer, der Wein- bauer, die Wafchfrau. Jeder Here ift er unentbehrlich); und ohne ven Mond gäbe e8 feine Mondfüchtigen.

„Trotz dent iſt die Menfchheit noch nicht im Kla— ren, ob der Mond eigentlich eine Frau oder ein Mann ift. Die Griechen und Römer machten ihn zur Madame und ſprachen gar zärtlich zu ihr. Die Deutſchen hal— ten ihn für einen Mann und ſagen:

„Guter Mond, du gehſt jo ſtille ꝛc. und Es kann ja nicht Alles ſo bleiben Hier unter dem wechſelnden Mond.

„In dieſen beiden Mondſcheinverſen wollen übrigens ſcharfſichtige Philoſophen die erſten Keime der deutſchen revolutionären Propaganda erblicken.

„Nämlich in dem „guter Mond, du gehſt fo ſtille“ fol ein Vorwurf Liegen, daß es gar nicht vorwärts mit ihn und alle den will, was er auf Erben bee

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ſcheint, und in der Kotzebue'ſchen Phraſe fpricht fid) das Prinzip ded Mouvement Har und offen aus; ein neuer Beweis, wie unrecht der phantaftifche Schwärmer, der Stubiofus Sand, hatte, ‚ven Verfaſſer todt zu ftechen und hiermit zugleich dem deutſchen Luſtſpiele den Todesſtoß zu verſetzen.

„Auch die Türken ſind große Mondliebhaber, ha⸗ | ben fih ein Stüd abgefehnitten und in ihre Yahnen genäht und auf ihre Minarets geftedt. Es wäre je- doch eine ſehr voreilige Behauptung, wenn man deshalb die Mufelmänner für fentimentale Leute halten wollte. In Deutfchland unter den Lindenbäumen, da ift bei Mondſchein die Sentimentalität mit Händen zu greifen.

„Am brutaliten aber verfahren die Aftronomen mit dem guten Monde. Die fpredien, er fer nichts als eine große Schlade und fehen ihn über die Adyfel an, weil er fo verftändig ift, fich nicht wie ein Teuerrad | um fid) felbft zu drehen. Nichts als himmelhohe Fel- fen gäbe e8 da, fein Teuer und fein Wafler. Den noch hatte ein deutſcher Sternguder es ſo weit gebracht, die Wachtparade auf dem Monde aufmarſchiren zu fehen, nach allen Regeln der Taktik. Wir wollen die Wahrheit vahingeftellt jein laſſen, daß aber der Mond bewohnt ift, unterliegt feinem Zweifel, denn wer hätte den Mann im Monde nicht gefehen!“

Eginhard war mit feinem Meondcollegio zu Ende und man brach auf, um nad Buchenfels zurüdzu- ehren. Der Heimweg war wunderfhön. Bodo umgirrte Marien wie immer und Eginhard contrecarrirte ihm durch humoriſtiſche Bemerkungen und Einſchiebſel in Einem fort. Bauline, das kluge Kind, hatte alsbald die Sache durchſchaut und mußte oft laut lachen, wäh- rend Bobo fih im Innern gelobte, den Störenfried ‚mit nächſter Gelegenheit Hals und Beine zu brechen.

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So langte nıan nad) anderthalb Stündchen wohl- | behalten auf dem Schloſſe an. _

- 14.

In Johannes war feit Eginhard's Erzählung von der Roſe von Segovia eine große Beränderung vor- gegangen. Er war fidhtbar ernfler und nachdenklicher geworden. Weber feinem Gefichte ruhte eine leife Schwer⸗ muth. Wiewohl er in Gejellichaft heiter und aufge- räumt wie fonft erichten, jo konnte er doch, ſobald er allein war, feine innere Stimmung nicht verbergen. Eine Thräne trat dann nicht felten in feine Augen und ber Name „Eugenia“ durchbebte fein Innerſtes wie ein feliger Schauer. Cine magijche Gewalt zog ihn fort und fort nach den Mauern des alten Schlofies. Am liebſten befuchte er allein vie alterthümlichen, halb⸗ zerfaflenen Hallen. Da war kein Winkel, ven er nicht unterfucht, fein Keller, wo er nicht hinabgeſtiegen wäre. In die Wohnung des Bibliothefard zu gelangen, war ihm übrigens noch nicht gelungen.

Eines Morgens, rofige Träume waren in der ver- gangenen Nacht ihm vorübergezogen, hatte er ſich be= reitd früh aufgemacht nach dem alten Cchloffe. Wieder flieg er die Wendeltreppen auf und ab, wieder fuchte er vergebens nach einem Punfte, von wo man den Garten des Bibliothefars hätte überfhauen können. Er fletterte in die dumpfen Seller hinab, und da er fein Licht mit fi) genommen, tappte er lange in der Finſterniß umher. Bald war er jo weit in die Gei- tengänge vorgedrungen, daß aud der ſchwache Licht⸗ ftrahl erloſch, der durch die Deffnung bereinfiel, durch welche er herabgeftiegen war. Er tappte mit den Hän=

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den vor ſich greifend immer weiter. “Die unterirdiſchen Gänge Freuzten fih; bald wußte er nicht, follte er vorwärts oder rückwärts. Er tappte in Einem fort. Der Gang fhien fein Ende zu nehmen. So viel ev. fi) entjann, war er früher in.eine jo lange Halle nie gefommen. Er war unfchlüffig, ob er weiter gehen ſollte. Da indeß der Gang, wie alles Menſchenwerk, body ein Ende haben mußte, fo beſchloß er, muthig fertzuwandern. So währte e8 wieder eine geraume Zeit. Die Nacht blieb undurchdringlich. Auch war es Nkalt und eine Todtenſtille. Man hörte ein Sandkorn fallen, Nach einiger Zeit bemerkte er, wie ſich ver Gang wieder in zwei andere Gänge theilte, von denen der eine fi rechts, der andere links wendete. Er überlegte einige Secunden, welchen er einfchlagen jollte. „Ber links und rechts muß man das Rechte wählen,‘ ſprach er zu fi und wanderte ven Gang zur Rechten. Hier ging's wieder in die Ewigkeit.

„Der verwünfchte Gang,“ brummte der unter- irdiſche Wanverer, „muß doch einmal ein Ende haben! Wahrſcheinlich hat er für die einftigen Ausfälle over zur Flucht aus der Burg gebient und mündet in irgend einem veizend und verftect gelegenen Thale.“

In diefer Hoffnung tappte er getroft vorwärts. Endlich gelang es ihm, das Ende des Labyrinths zu erreichen, aber darum feinen Ausgang. Johannes ftand mit einemmale vor einer falten feuchten Mauer. Er vifitirte, fo gut es gehen wollte, die Localität, und mächte die höchſt unangenehme Entvedung, daß bier die Welt nicht ſowohl mit Bretern vernagelt, als mit energifhen Quadern vermanert fe. Er mochte nad) allen Richtungen hintaften, überall ftieß er auf ftei- nernen Widerſtand. Vergebens forfchte er nad) einer Oeffnung. Es war gewiß, der Gang hatte hier fein

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Ende erreicht. Mit der Mündung im fchönen früh— Iingewarmen Thale war es ſonach nihte und unferm Troglodyten blieb nichts übrig, als umzulehren und fi) denjelben Weg zurüdzugreifen, ven er gekommen war. Seine Lage war nit Die angenehmite. Wer tonnte willen, ob er fi eben fo glücklich wieder her⸗ ausfand, wie er hineingerathen war! Wie bald fonnte dieſes oder jenes uralte unterirdifche Gemäuer, ob des ungewohnten Beſuchs erfchroden, zufammenjtürzen, ihn erfchlagen, oder in ewige Nadıt begraben. Reine Seele auf der Dberwelt wußte von feiner unterirdiſchen Cr:

„Es ijt gut,” ſprach Johannes, „dag Freund Egin- hard nicht von der Parthie ift, wieviel Geifter, Schlan⸗ gen und Kobolde wäre er bereits anfichtig geworben, und weld. ein Miferere würde er über den hödhft romantifhen Yal anftimmen, ven Ausgang mit Qua— dern vermauert zu finden.”

Johannes hatte jest glüdlih die Stelle wieder erraht, wo fi der Hauptgang rechts und linke in zwei Arme theiltee Die rechte Hand hatte ihn aljo diesmal, doch betrogen. Gr war ſchon im Begriffe, weiter vorwärts zu marjchiren, als ihm der Gedanke fam, nichts ununterfucht zu laſſen, vielleicht führe der Iinfe Gang dennoch in's Freie.

Er beſann ſich nicht lange und befuhr den linken Schacht. Dieſer war indeß mit weit größern Schwie⸗ rigkeiten zu paſſiren. Aller Augenblicke ſtieß ſein Fuß an anſehnliche Steine, die am Boden lagen. Er ſprach ſich Muth ein, räumte die Steine aus dem Wege oder kletterte darüber und drang mit vieler Energie weiter.

Nach Johannes Berechnung war dieſer Gang bei Weitem länger als der vorige. Er war ſchon eine geraume Zeit vorwärts gedrungen, ohne das Ende zu

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erreichen. Die im Wege liegenden Steine wurden immer zahl- und umfangreicher.

„Wenn das fo fortgeht,“ ſprach der Unterirdiſche, „und id) feinen Ausgang finde, komme ich vor Mittag nicht wieder an's Tageslicht. Ich war bisher immer jo vorfichtig, eine Laterne anzuzünden, wenn ich in “diefe unwirthbaren Keller herabftieg und heute gerade mußte ic, fie vergeffen. In dieſe Gegend, mo id) mich dermalen befinde, hat ſich ficher feit Jahrhun— derten fein menfchlicher Fuß verirrt. Eginhard wird fid) wundern, wenn er aufwacht und mein Bett leer findet. Der Himmel weiß, welches Mährchen ver fich erdenft über mein plögliches Verjchwinden und wie Wertheim's in Furcht und Bangen gefett werben. Ich will nody hundert Schritt vordringen und wenn ber verwünjchte Gang fein Ende nimmt und fi

„Die Küfte nicht zeigen will,

tehr’ ih auf alle Fälle um. Unter foldyen Gefpräcden tappte, kroch und ftolperte er immer weiter.

„Nach meiner Berechnung,“ fuhr er fort, „muß ic) bereit3 eine halbe Stunde von Buchenfeld entfernt fein. Unter dem alten Schloffe wenigftens befinde ich mid) nicht mehr, das ift gewiß. Es wäre ein heil- lofer Rüdzug, wenn das Loch hier gleichfalls mit un⸗ gefchlachten Quadern verftopft wäre.”

Nah feiner Meinung mußte er jeßt die hundert Schritte zurlicdgelegt haben. Er ruhte ermübet aus, denn die beftändige Kletterei über die Steinhaufen war ſehr beichwerlih. Rings herrſchte Todtenſtille. Er hatte fih auf einen mädtigen Stein geſetzt und mit dem Rüden an die Wand gelehnt. Hier überfann er feine feltfiame Situation.

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„Mit Eginhard zu reden,” fprady er, „befinde ich

mich in einer höchſt romantifchen Yage, obfchen ich von der Romantik ver lauter Finfternig nichts ſehe.“ Er ſtrengte fein ganzes Hörorgen an. Da o Himmelsruf aus ſchön'rer Welt tönte der erfreuenbe Geſang einer Lerche. Sein ganzes Wejen war freudig ergriffen. Er berechnete jest, dag der Gang nicht zu tief unter der Erde dahin führe und ficher eın Aus- gang aufzufinden fei.

Er drang mit neuen Muthe vorwärts. Der Yer- henruf fam näher; aber je weiter er vorwärts Hlet- texte, defto unmegfjamer ward tie Paflage, fe daß er zu fürdten anfing, der Gang werde am Ausgange ganz zufammengefallen und verjchüttet fein.

Eben war er bemüht, ein neues Felſenſtück zu überffettern, als ihm ein wunderbar belebender Haud) entgegen wehte. Er athmete mit Wohlbehagen viele reine Luft, welche aus irgend einer Oeffnung von der Dberwelt herablomnıen mußte. Neue Hoffnung belebte ihn; doc blieb die Finfternig Diefelbe. Der belebenve . Zuftftrahl ward aber immer erquidenvder, Johannes immer freudiger.

„Eginhard,“ ſprach er, „würde rufen:

„Rapp, Rapp, ich witt're Morgenluft!

Plöglih drang ein goldener Lichtftrahl in die Fin— fterniß, daß der unterirdifche Wanderer, der fo lange in der Nacht gelebt hatte, geblenvet ven Blid abwärts wenden mußte. So wie er fid) etwas an das Licht . gewöhnt hatte, ging die Reife weiter, und jo ward ihm endlich die Freude, ven Ausgang der Höhle zu entveden.

Derfelbe war mit dichten Geſträuche bewachlen, und die goldene Sonne blidte in bezaubernder Schöne durch das grüne Laub; anfehnliche Felſenſtücke lagen

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vor der Mündung des Ganges, wie vor dem heiligen Grabe.

Johannes überwand, dem Ziele ſo nahe, die letzten Schwierigkeiten, überkletterte den Felſen am Ausgange und ſprang jubelnd in Gottes ſchöne Welt.

Er war äußerſt neugierig, an welchem Orte er eigentlich das Licht wieder erblickt haben würde; aber wie groß war ſein Erſtaunen, als er umherſchaute, und über ſeinem Haupte die grauen Felſenmauern des alten Schloſſes emporſtiegen.

„Bin ich behert?“ fragte er ſich, „nad meiner unterirdifchen Wanderung muß ich wenigftend eine hälbe Stunde von bier entfernt fein. ‘Der Gang fann doc nicht wie eine Spiralfeder um fich felbft gelaufen fein. Meines Erachtens führte er immer gerad’ aus.” \

Gleichwohl war e8 nicht anders. Als fih Iohan- ned indeß genauer umfchaute, gewahrte er mit felt- famem Gefühl, daß er fih in dem Garten des Bibliothefare befand. Kaum wagte er weiter zu fchrei- ten. Der ganze Garten mit feinen wunderbaren, fremdartigen Kräutern und Blumen ruhte in heiliger Morgenpradht. Ueberall zitterten Thauperlen auf Blät- tern und Ranfen. Der eine Theil des Gartens bil- dete eine Art englifchen Park. Hohe Pinien und Lerchenbäume, untermifcht mit frembartigem Buſchwerk, bauten einfame Schattengänge. „Johannes wanbelte den einen entlang.

Er war feltfam bewegt, als er in dieſem geheim- nigvollen Gehege, das fo oft der Gegenftand feiner Neugier und feiner Geſpräche geweſen war, langſam dahin ſchritt. Er glaubte fi) nah feiner langen nächtlichen Wanderung in eme andere Welt verſetzt; denn felbft die fremden Pflanzen dufteten jo morgen-

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ländiſch, daß es ihm zu Muthe war, als befände er fid) in Tanfend und Einer Nacht.

Plöglih blieb er regungslos ftehen und hielt hoch⸗ flopfenden Herzens ten Athen an. Es war ihm,

als vernähme er hinter der grünen Taruswand leife Fußtritte. Gewiß, er hatte fid) nicht getäufcht und um einen mächtigen Strauch blühender Hortenfien bog die Rofe von Segovia. Lie ging wie ge wöhnlidy ganz weiß; um ven blendenden Nacken floß wie Nebelhaudy ein blauer Florſhawl, das Yodenhaupt war mit einem andern Shawl turbanartig ummunben ; nichtö deſtoweniger rollten mehre der ſchwarzen Yoden auf vie blendende Schulter herab.

Die reizende feenartige Erſcheinung hielt ein Bud) „in der Hant. So wie fie den Jüngling erblidte, ftieß fie unwilllürtih einen Schrei aus -und wollte entfliehen. Johannes aber hielt wie betend die Hände gefaltet und rief mit Tönen unendlicher Yiebe: „Eu— genie!“

Das Mädchen winkte mit der Hand; in dem rei— zenten Antlige malten ſich Yiebe und Furcht.

„Flieht, flieht,‘ rief fie und winfte ängſtlich mit ‚der Hand, dag er umkehren ſollte.

„sh fliehen?‘ ſprach Johannes, und eine hohe Röthe umfloß fein Antlig, „jest, wo ih Dich, Licht meines Yebend, gefunden ? Nimmermehr!“

Flieht,“ wiederholte immer ängftliher Eugenie, „mein Oheim wird fogleid) hier fein.

„Ich weiche nicht, vief der Jüngling begeiftert, „fett id) Did) wieder erichaut,

- Das Schöne Mädchen ftand in reizender Verwir— rung, ihr Buſen pochte ſtürmiſch; fie mußte nicht, ollte fie fliehen oder bleiben.

„Dies ift alfe der Hafen und das Aſyl und ber

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Wunſch ‘Deined Herzens,‘ fragte in zweifelndem Zone der Jüngling, „dieſe abgefchievene Einfamfet? Eu— genie, fei offen, ich beichwöre Dih! Du bift eine Gefangene, komm, folge mir, ich führe Dich zurüd in’8 Leben, in die Welt.‘

„Wer jagt Dir, flüfterte faum hörbar das Mäp- den, „daß ich eine Gefangene; ich bin glücklich,“ ſprach fie leife und ihr ſchönes Auge ruhte eine Se— funde lang auf Johannes; „gewiß, vecht glüdlich.‘

„Süßes, wunderbares, heiliges Kind, vief in überftrömendem Gefühle feines Herzens der Iüngling, zog die Hand Eugenien's an feine Lippen und hauchte einen Ruß darauf; „jet offen, entvede Dich mir, wirft Du wider Deinen Willen in dieſer Hlofterartigen Ein— ſamkeit zurüdgehalten? Vertraue mir, mein Blut und Leben für. Dich)! Gedenke des Sonnenuntergangd auf Belvedere; Du fagteft mir nicht, wohin Du gingeft, und doch hab’ ich Dich gefunden. Ich mußte Dich ja finden! Dieſe heilige Gewißheit glühte fortwährend in mir wie ein himmlifches Feuer und fiehe, fie hat mid nicht betrogen. Eugenie, kennſt Du diefe Blume?‘

Ee zeigte ihr eine verwelkte blaue Glocke.

„Wie ein füRes, befeligendes Vermächtniß,“ fuhr

Johannes fort, „hat dieſes koſtbare Gefchenf auf mei- nem Herzen gerubt. Ich habe es treulich bewahrt, wie meine Liebe zu Dir. Darum vertraue mir, Eugenie; Du bift nicht heiter. Wer wagt es, dieſes Himmels: auge zu trüben?“ Das Mädchen hatte von Zeit zu Zeit Tchüchtern durch die grünen Zweige nad) dem alten Schloſſe ge: blickt. Sie legte den Finger an den Mund, winfte dem Juüngling und jchlüpfte durch einen Geitengang nad dem abgelegenern Theile des Parks. Johannes folgte ihr, die Bruft voll taufend Himmel,

429 15.

Nach einigen Tagen ſah man den alten Wertheim mit Signor Bafilico in des letztern Garten im leb— haften Geſpräche aufs und abgehen.

„sh kann Euer Verfahren hinfichtlih Eugenien,“ ſprach Wertheim, „durchaus nicht mißbilligen. Ihr habt wie ein zweiter Vater an dem Mädchen gehan- delt. Es war Hug, daß Ihr fie von der ſchwachen Tante, wo fie den Bewerbungen des hochgeftellten MWüftlingd preisgegeben war, hinwegnahmt und in biefe Einfamkeit begrußt. Hier allerdings würde fie völlig unbefannt geblieben fein, wenn nicht Euer eig- ned geheimnißvolles Weſen die Neugier der Meinigen vorzugsweiſe auf Euch und Cure nächte Umgebung gelenkt und die Liebe felbft durch Die Unterwelt in das flille Paradies gebrungen wäre. Mein Neffe, Sohannes, einer der bieberften und rechtſchaffenſten jungen Männer, und der aud font nicht auf den Kopf gefallen ift, lernte das Mädchen auf feiner Hier- herreife kennen, verliebte ſich fterblih in fie, um wenn nicht Alles trügt, ift auch ſie ihm nicht abge= neigt. Ich vertrete Vaters Stelle bei dem Jüngling, ver felbft elternlos in der Welt fteht und habe gegen dieſe Liebe durchaus nichts. Sie ift mir im Gegen- theil Lieb, weil vergleichen einen Jüngling von man- hen Berirrungen zurüdhält. Was der Himmel zu- femmenfügt, fol der Menſch nicht fcheiden; und fo= bald Johannes in das bürgerliche Leben eingetreten ift, mag es in Gottes Namen ein Paar geben, es joU mic Herzlich freuen. Wie ih Eure Nichte habe fennen lernen, kann man einem Manne gar feine beſſere Frau wünſchen. Bis dahın wird Eugenie an meinen beiden Töchtern liebevolle Schweitern finden.”

Stolle, fümmtl. Schriften. XVI. I

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Der Bibliothefar hatte nicht ohne fichtbare Be— wegung der Rede Wertheim’s zugehört. Er erfaßte deſſen Hand.

„Theuerſter Mann,” fprad) er, „Ihr habt da aud) meinen Herzenswunſch ausgeſprochen. ugenie, das unſchuldige, aufrichtige Kind, hatte auch mir ben Eindrud nicht verheimlidht, den Johannes Bild auf fie gemacht hatte. Wohl hat mir das manche ſchwere Stunde gefoftet, zumal ich mit Schreden in dem einen der beiden Mufenföhne alsbald benjenigen erfaunte, ver für Eugenien's Ruhe jo gefährlich war. War mir's daher zu verbenfen, wenu ich mid) feit der An— funft der jungen Männer noch forgfältiger zurüdzog? Darum mein menjchenfeindliches Benehmen, das mir in Eurer Familie fo oft zum Vorwurf. gemacht wor— den if. IH hatte meinen guten Grund. Gefteht jelbft, wozu hätte eine Liebjchaft der beiden jungen Leute führen follen, für den Fall Iohannes nicht der edle Mann war, wie Ihr ihn mir gefchilvert habt? Wohl hat mid das Mädchen oft fchmerzlich gedauert, wenn fie mit thränenvden Augen bat, ein wenig aufßer- halb ihres engbegrenzten Aſyls ſich ergehen zu Dürfen, und ich ihr dieſen billigen Wunſch abfchlagen mußte.”

„Nun, die Zeit der Prüfung ift vorüber, trö- ftete Wertheim, „Eugenie kann wenigftens in unfere- fleine ftille Familienwelt zurückkehren.“

Dei Bibliothefar ſchien noch etwas auf dem Her— zen zu haben, das er Wertheim zu vertrauen wünjchte, er hatte immer gezögert. Endlich ergriff er die Hand des Schloßherrn.

„Roh eins, edler Herr,” ſprach er nit ohne Bellommenbeit, „muß ich Euch vertrauen. Es war noch ein zweiter Grund vorhanden, der mich beftimmte, Eugenien unter meine jpecielle Aufficht zu ftellen, das

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Mädchen litt nämlich feit einiger Zeit am Somnam— bulismus. Meiner Kur und Pflege ift es jet, Gott ſei Dank, gelungen, dieſes Uebel zu heilen, Seit dem letten Vollinond, wo fie zum letzten Male ihre - nächtliche Wanderung antrat, haben mir nichts mehr zu befürchten,‘ |

Wertheim horchte hoch auf.

„Wie,“ rief er, „jo Hatte Freund Eginhard doch recht geſehen, als er uns von der Geiſtererſcheinung auf den Zinnen des alten Schloſſes erzählte? Er hat uns lange genug damit ‚in den Ohren gelegen, aber da er fortwährend nur von der Roſe von Segovia ſprach, glaubten wir, daß ihm feine aufgeregte Phan- tafie einen Streich gefpielt habe. So erflärt ji ja Alles natürlich.”

„Es giebt ja feine Wunder,” antwortete Bafilico, . „als die Wunder Gottes, die wir täglih an jedem feiner Gejchöpfe wahrnehmen fönnen, ohne daß wir uns in. das phantaftifche Gebiet ber Geſpenſter zu verſteigen brauchen. Für diesmal aber, edler Herr,“ fügte er bittend hinzu, „wäre mein Wunſch, daß jene nächtliche Erſcheinung die Roſe von Segovia verblei— ben möchte. Eugenie weiß ſelbſt nichts von ihrem Traumwandeln, und es könnte wenigſtens jetzt von ſchädlicher Einwirkung ſein, wenn ſie davon erführe. Möge das Geheimniß unter uns Beiden verbleiben, und erſt ſpäter, wenn keine Gefahr mehr vorhanden, veröffentlicht werden, und mit der Wahrheit die letzte Spur der wunderbaren „Roſe von Segovia“ ver— ſchwinden.“

„Freund Eginhard,“ lächelte Wertheim, „wird uns dafür allerdings wenig Dank wiſſen, aber es kann ihm nur von Nutzen ſein, wenn er ſieht, wie ſich Alles natürlich auflöſt.“ 9x

‚432.

Johannes und Eugenie famen jeßt den Gang da— ‚ber. Es mar ein wunberfhönes Paar. In ihren Blicken leuchtete die Verklärung der erften Liebe.

Signor Bafilico war von jegt an durchaus nicht ber menfchenjcheue, wortfarge Dann mehr; im Ge— gentheil war er recht heiter und fogar froh gelaunt.

Er führte Werthein und Johannes durch feine ſchöne Blumenwelt, erflärend und belehrend als gründ- licher Botaniker und tiefer Kenner der Natur.

Auh Eugenie, die geiftreihe Schülerin ihres Oheims, war nicht unbewandert in der Blumenfunde, and Iohannes hatte in feinem Leben noch fein jo himmliſches Collegium gehört, als hier im arten des Bibliothefard von den Lippen des geliebten Mäd— hend. | Sie ftanden eben bei einer blühenden Aloe und ſchauten mit ſtummer Bewunderung in das glühende Tarbenmeer der Niefenblume, als eine Stimme, wie aus ven Wolken herab, rief:

„Dreiundſiebzigſter Beweis, daß Buchenfels von den Sorben erbaut, fpäterhin von den Deutjchen er- obert, wieder verloren, und abermals erobert wor= den. Hier dieſe echt ſlaviſche Streitart ift der drei— undfiebzigfte Beweiß und überdies ein höchſt ſchla— gender.”

Es war Eginhard, welcher, feit fih die Pforten des geheimnißvollen Schlofjes geöffnet, wie eine Maus in allen Gemächern und Winkeln des uralten Gebäu- des umherfuhr und nad Antiquitäten ſuchte. Sein Kopf gute ganz oben am Giebel des Schloſſes wohl- gemuth heraus und ſchwang in ver Rechten triumphi- rend eine alte Streitart.

„Es unterliegt gar feinem Zweifel,” docirte er herunter, „daß dieſe brave Waffe feine acht hundert

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Jährchen auf ten Rüden hat. Ic möchte willen, wen fie alles auf den Kopf getippt hat. Wo die an- pochte, wuchs fein Gras wierer. Uebrigens ift es febr betrübend, daß ich troß aller Nahforfchungen nicht herausbekommen habe, ob vie heutigen Schloß⸗ befiger von den Sorben abftammen oder ob es echte Germanen find. Paulinen’3 blonde Haare beweifen gar nichts. Alle deutſchen Hiftorifer ſtimmen über- ein, daß wir in dieſem Punkte in völliger Duntel- heit tappen. Setbft bei manchen erlauchten und ur⸗ alten deutſchen Fürftenfamilien, wie zum Beifpiel bei dem Haufe Wettin weiß man nicht, ob es rein ger: manifher Abkunft if. Bei uns nichtfürftlichen Per- fonen ift die Sache noch weit ſchwieriger. Das macht wir vielen Kummer. Ich münfchte, ich wär’ in Fran— fen oder wenigftens in Thüringen geboren, da wüßt' ih Doch, woran id wär’; jo werte ich in Ungewiß- beit tappen und mid) fchließlich zeitlebens in's Grab legen, ohne zu willen, ob idy mid als Elave ober Germane hineinlege.“

Johannes und Eugenie achteten nicht viel auf die antiquariſchen und genealogiſchen Lamentationen Egin— hard's und wandelten ſtill ſelig die Blumenbeete ent- lang. Bald traten auch Albert und Bodo, Marie und Pauline in den Garten. Die zwei Märchen eil- ten ſogleich auf tie Schöne Eugente zu, und umarm- ten fie mit ſchweſterlicher Yiebe.

Johannes hatte jetst im Geringften nichts mehr gegen Bodo's und Marien's Yiebe einzuwenden; ja er fah es ſogar nicht ungern, daß fid) Albert für Baulinen intereffirte; er war felbft zu glüdlid durch den Beſitz Eugenien's, als dag er andern nicht ein gleiches Glück hätte gönnen fellen.

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16.

Johannes faß am Fenſter und zeichnete Das herr- liche Vandſchaftsbild, das von einem Nachmittagsge- witter koſtbar erfrifcht, in aller Anmuth wor ihm aus= gebreitet lag. Eginhard ging mit vperfchränften Ar— men und fehnellen Schritten in dem geräumigen Zim— ner auf und ab.

„Da haben wir bie Beſcheerung, “ſprach er” in abgebrechenen Sätzeu, „nun find wir total aus dem Felde geſchlagen. Schöne Geichichten. Der Bodo und Deine Coufine Nummer Eins find jo gut wie DBrant und Bräutigam, und bereits pouffirt der Al- bert den Paul nach Herzensluft. Die Galle möcht' einem in's Blut treten, wenn man dieſe Paarſchaften mit anfieht. Du haft wenigftend die Roſe von Ge: govia; unter uns, ich beneide Dich nicht, aber - ich, was bleibt mir? 5?

„Ward mir denn fein Herz gegeben, Bin ih nicht auh Mädchen gut; Immer ohne Liebe leben Wäre wahrlih Höllengluth.

„Es ist zum Verzweifeln! Während id) mid) ab— mühe und die Wiffenfchaft bereichere durch Auffinden ver feltenften antiquariihen Schäte, während ich mie ein Bergmann arbeite in den Schadhten des verwünſch- ten alten Schloſſes, von Boden zu Boden fteige wie eine Fahrmaus, verliebt fid’8 unter mir, daß es einem grün und blau vor den Augen wird.

„Aber ich weiß, was ih thus,” ſprach er ſich ſelbſt tröſtend, „ich werfe meinen Gnadenblick auf vie arme verlaffene Camilla, des Paſtors Tüchterlein. Tas ift ein himmliſches Kind. Ich habe mid) geftern char-

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mant nit ihr unterhalten. Die liebe ich und beis rathe ih, oder feine auf ter ganzen Welt. Cie tt mir zehn Mal lieber als Teine überirdiſche Roſe von Segovia oder Eugenia, oder wie fie getauft iſt; ich glaube übrigens gar nit, daß fie getauft iſt, fie ſtammt ja von den Muſelmännern ab, vie taufen die Leute nicht; ward geberen ver Gott weiß wie viel Jahrhunderten und ift dermalen ein eilt; zwar hübſch, Geihmad muß man Tir laſſen, aber man fieht ihr das Geifterbafte gleih an. Ta lob’ ih mir Camilla, mit der weiß ib, woran ich bin, die ward geboren vor fiebzehn Jahren, im Kirchenbuche ſteht's ſchwarz auf weiß, von leiblichen, chriſtlichen und got: tesfürchtigen Eltern, hat Fleiſch und Blut wie alle bübfchen irdiſchen Mädchen und läuft nicht Des Nachts auf den Dächern umber, ſondern bleibt rubig in ihrem Bette.”

„Schweig mit Teinen Abgejhmadtheiten, ſprach Johannes ziemlich ärgerlich, „und mach' Dich mit Deiner Geiſterſeherei nicht noch lächerlicher, als es ſchon der Fall iſt.“

„Geiſterſeherei? Gleichviel,“ entgegnete Eginhard, „was ich geſehen habe, hab' ich geſehen, aber ſtaarblind bin ich, Gott ſei Dank, noch nicht, und das alte Schloß kann id im hellen Mondſchein auch noch er= kennen, und auch den, der darauf umhermarſchirt. Und daß es die Roſe von Segovia war mit ſammt ihrem aſchgrauen Herrn Onkel; wenn ich Alles jo ge- nau wüßte, wär's gut.“ Johannes antwortete gar nicht mehr.

Eginhard fuhr brummend fort:

„Dieſe Roſe von Segovia möcht' ich nicht zur Frau haben, und wenn man mir ſonſt was böte. Was nützt mir denn eine Frau, die allnächtig ſechs

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Sagen hoch zum Dachfenſter hinausſteigt mit allen Schornſteinen und Geiſtern, und nur nicht mit ihrem Ehegemahl converſirt. Behüte mich der Himmel, ein ordentlich gebornes Mädchen heirathe ich, das nicht in die Jahrhunderte hineinlebt, ſondern wenn ihr Stündlein gekommen iſt, fich hinlegt und hübſch zu Aſche wird, wie ſich's gebührt. Darum paßt Camilla ganz herrlich für mich; ich glaube, daß fie diefe herr— lichen Eigenſchaften beſitzt. Ich werde von nun an die antiquariſchen Unterſuchungen einſtweilen auf ſich beruhen laſſen, mich mehr concentriren und ihr den Hof mit Syſtem machen. Ich werde dieſe herrliche Perle erobern und alsdann weit eher zu beneiden ſein als Du mit Deinem ſchwarzlockigen Mameluckenkinde.“

17.

Das Ende der Ferienzeit war herangenaht; Al— bert und Bodo bereits vor längerer Zeit nach ihren Gütern abgereiſt; doch kamen ſie oft nach Buchenfels zum Beſuch. Das zärtliche Verhältniß des erſtern zu Marien, des letztern zu Paulinen, ſchien immer unauflöslicher zır werden. Johannes lebte wie im Himmel an der Seite feiner angebeteten Eugenie; und Eginhard, feinem Vorſatze getreu, hatte ſich ent- ſchieden in Camilla verliebt.

Es war am Tage der Himmelfahrt, als man das Abſchiedsfeſt gefeiert; denn die ſchon mehrmal verfcho- bene Abreife der Mufenföhne war für den folgenden Tag auf das Entſchiedenſte feftgejegt worden. Der Abend war wunderſchön, die Schöpfung ftand in reich— fter Pradht des Frühlinge. Schon flug das Korn grüne Wellen, die Kaftanien blühten, bie weißen

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Akazien leuchteten, und in ven YBufen ter Rofen feimte ver erſte Purpurblick der Liebe.

Johannes ftand im ftummen Entzäden auf dem Balkone des Schloffes, und überfhaute das frühlings- volle Panorama. Eginhard trat zu ihm und ſprach im dumpfen Tone:

„Heute haben wir Himmelfahrt und morgen Höl- lenfahrt. Hand, ih ſchwöre e8 Dir bei allen Göt- tern: ter Ober- und Unterwelt, daß ih den Katzen⸗ jammer nad vdiefem Himmelsleben nicht überlebe. Uebrigens“ fette er zu feinem Trofte hinzu, „daß ich mich "von jest wie ein böfer Feind auf mein Brot⸗ flubium, die edle Theologiam ftürze, und alle Allo- tria vor der Hand dahin geftellt fein laffe, damit ich e8 bald zu. etwas Neellem bringe, Amt und Würbe erhalte. und meine bimmelsgute und jchöne Camilla heimführen kann als trautes Eheweib, ift auch gewiß.”

Johannes lobte den Entſchluß und verfpradh ein Gleiches.

„Wer den Shaß im Herzen trägt,” fuhr Egin- hard fort, „wird nidht verfumpfen in der todten Dog- matik und unerquidlichen Kirchengeſchichte. Es bleibt dabei, ich beftelle mir einen längern Rod und werde Philiſter.“

„Aber nur im akademiſchen Sinne,“ fiel Johannes nicht ohne Wärme ein, „dem Philiſter im Leben ein donnerndes Pereat.“

„Ja wohl,“ rief Eginhard,

„Pereant die Philiſter, Ihre Gevattern und ihre Geſchwiſter, Die Luckſer und Mucſer und Pfennigfuchſer, Die Mucker und Achſelzucker, Die Agio- und Taxendrucker, Die Linſenwähler und Zinſenzähler, Die Couponsſchneider und Hungerleider;

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Pereant die Philifter, Ihre Gevattern und ihre Geſchwiſter!

„Diele meinft Du doch?“

„Allerdings, antwortete Johannes, „Das aller- liebſte Philifterpereat ift übrigens nicht von Deiner Weisheit, jondern vdm Hoffmann von Tallersleben, der e8 einmal bei einer feftlichen Gelegenheit als Toaſt ausbrachte.“

„Gab's auch nicht als von mir aus,“ ſprach Eginhard, machte aber einen ehrfurchtsvollen Sprung zur Rechten, denn ſo eben trat Eugenie auf den Bal— fon und, lud mit bezaubernder Freundlichkeit die bei— ben Jünglinge zur Abendmahlzeit.

„Das iſt wahr,” meinte Eginhard, als ſich Eu— genie wieder entfernt hatte, „ſie iſt überirdiſch ſchön. Uuter ver kalten deutſchen Sonne, glaub’ ih, kann ein ſolches Mädchen gar nicht geboren werven. Wenn Du der Camilla nichts verräthft, will ih Dir ein Gedicht mittheilen, das ich auf Deine Schöne in ho- hem poetifchen Erguſſe gedichtet habe.”

„Auf Eugenien?” fragte Johannes lächelnd.

„Auf Niemand anderes,” war die Antwort; „per. Frauen Schönheit muß man huldigen, wo man fie findet. Wart’ ein wenig, id) habe vie Verſe bei’mir.“ „Ein ander Mal,” ſprach Johannes und wollte den Balkon verlafien. Eginhard hielt ihn aber am Arme feft und beclamirte:

„Du Wunderbild aus einem ſel'gen Traum, Wie ihn ein ſel'ger Gott geträumt: Du Srühlingsgruß aus einer Frühlingswelt, Wie ge nur über Sternen feimt; Du Mollaccord der großen Götterharfe, Du hobes Lied, das die Gewißheit fingt Bon einem Engellanbe drüben; Du Oelblatttaube, Die ung Nachricht bringt,

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Daß wir dort finden Alles was wir lieben;

Tu Kronjumel, das einft in fel'ger Stunde

Der Himmel uns verpfändete zum Bunde;

Du Blumenurbild alles ird ſchen Schönen,

Du Meifterjtüd, das Schöpfungswert au krönen! Bergebens jucht die kühne Pbantaſie

Nah Sternen, Blumen, Perlen, Bildern,

Ein Göttertraum, wie Du, ift nie

Bon einem Eterblihen zu ſchildern.“

„Recht brav,” lobte Iohannes, „wenn aud etwas überfhwenglid, und eilte voran.

„un wird er bald einfehen,“ fagte Eginhard für fih, „daß ich allenfalld auch meinen Vers zu Stande bringe, wenn ich mir die Sache einigermaßen angele- gen fein laſſe. Uebrigens, trog allem dieſen poeti= fhen Summſumm, möcht’ ich die Roſe von Segovia nicht zur rau. Die Dahpromenaden kann ich bei aller bezaubernden Schönheit nicht vergefjen.‘

Er folgte den Johannes nad dent Speiſeſaal.

Zum legten Male ſaßen heut die Freunde und Freundinnen beifammen in dem befannten freundlichen Lokale, wo fie in den fchönen Frühlingstagen fo viele

frohe Stunden verlebt hatten. Auch Albert und Bodo

waren angelangt zum Abfchiensmahle.

Der Bibliothefar, welhen Alle, mit Ausnahme Eginhard's, der ihn auf vem Dache gejehen und darum nicht traute, wahrhaft lieb gewonnen hatten, fehlte jetzt neſbſt Eugenien nie mehr an Wertheim’s : Tafel und unterhielt die Geſellſchaft durch ſeine emi- nente Belefenheit, vie bei ihm nicht todtes Willen war, auf das Angenehniite.

Den vier Mädchen, auch Camilla befand jih an der Tafel, war aber diesmal keineswegs fehr freudig. zu Muthe. Sie gedachten der Einſamkeit auf Bu—

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chenfels, wenn die Yünglinge abgereift fein würden und jagten dies laut.

Dem Johannes und Eginhard lag der Abſchied nicht minder ſchwer auf der Bruft.

„Wenn das gelehrte Net,” ſprachLetzterer, „ic meine unſre Akademie, nur nicht fo gar weit von Buchenfels entfernt läge, da fönnten wir unter ber Hand einen Abftecher riskiren; aber drei Tageteifen iſt kein Spaß.“

„Hätten wir Eifenbahnen, wie in England, ſprach Johannes, „ſo wär's ein ſolcher.“

„Ein abermaliger Beweis,“ meinte Eginhard, „daß des großen Kaiſers Untergang ein Weltunglüd war. Lebte der noch, führen wir längſt mit Eifen und Dampf. Uebrigens iſt's fo auch gut. Iſt Europa mit Eifenbahnen überfponnen, hat alle Entfernung und damit alle Poefie ihr Ende. Ich lobe mir bie alten guten Poftwagen des heiligen vömifch= deutfchen Reichs. Wenn da ein Familienvater von Hannover nach Göttingen reifte oder von Dresden nad) Leipzig, machte er vorher fein unumftoßbares Teſtament, nahm⸗ Abſchied von ſeiner lieben Familie, als ging's direct nach Beſſarabien oder nach Tombuktu. Da gab's noch Poeſie und Straßenräuber.“

„Da bin ich andrer Meinung,“ gegenredete Jo— hannes, „und derſelben ſind die trefflichſten Dichter unſrer Zeit. Wie poetiſch beſingt ver herrliche Ana— ſtaſius Grün die Eiſenbahnen. Der findet keine Proſa, ſondern hohe Poeſie in dieſer weltgeſchichtlichen Er⸗ findung und noch vor Kurzem las id in ben Ges Dichten des genialen Magyarenfindes Karl Bed bie eben jo wahren als ſchönen Berfe:

„Eiſen du bift zahm geworben ; Sonft gemohnt, mit wilden Dröhnen

Ak

Hinzumwettern, hinzumorden Ließeſt endlich Dich verſöhnen! Magſt nicht mehr dem Tode dienen, Liebſt am Leben feſt zu bangen, Und auf deinen ſpröden Schienen Wird ein Hochzeitfeſt begangen.

„Hört Ihr donnern bie Karoſſen? Deutſche Länder ſitzen drinnen, Halten brünſtig ſich umſchloſſen, Wie fie koſen! Wie fie minnen! Und des Glödleins helles Klingen Sagt uns, daß die Paare kamen Und die Woltenpfaffen fingen Drauf ein donnernd dDumpfes Amen.

„Raſend rauchen rings die Räder, Rollend, grollend, ſtürmiſch braufent, Tief im innerften Geäder Kämpft der Zeitgeift freiheitsbrauſend Stemmen Steine ſich entgegen,

Reibt er fie zu Staub zulammen, Semen Fluch und feinen Segen Speit er aus in Raub und Flammen.‘

„sit das derſelbe Karl Bed, fragte Eginhard begeiftert, „welcher fingt:

„Da liegt vor mir die Bibel aufgeichlagen, Bon bellen Thränen wird mein Aug’ erhellt, Daß fih der Menſch jo lang, fo lang getragen Mit Trümmern einer längft gejuntnen Welt.

„Wie fih die Bilder wild und düſter treiben Dur mein Gewitter ſchwüles, trübes Haupt; Sa, eine neue Bibel will ich fchreiben,

An die ein zweifelndes Jahrhundert glaubt.

- „Ein großes’ Kreuz erhebe fih auf Erden, Ein Kreuz, wohin der Jude gläubig zieht, Ein Kreuz, woran die Heiden felig werben, Bor dem der Teufel jelber nicht entflieht.

„Verſchloſſen liegt das Wort im Schrein der Xippe, Bis daß fich’8 ringe zu der That hinauf;

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So rubte ftill das Kinblein in der Krippe, Und göttlich Welt erlöfend wacht es auf.

„Ein präcdtiger Kerl,” fuhr Eginhard fort, „nun fol mir ein Philifter jagen, daß unfre Zeit nicht auch ihre trefflihen Lyriker hat. Anaftafius, Zed—

u ig, Freiligrath, Lenau, Moſen, welch reicher Ster-

nenhimmel. Julius Moſen abſonderlich iſt mein Pieb- ling. Der kommt mir gleich nach Heine, und ſeine Gedichtſammlung unmittelbar nach dem Buche der Lieder. Moſen's Lieder ſind Magnetſteine, die man nicht ſowohl auf der Bruſt als in der Bruſt tragen ſoll, um von ihrer wunderthätigen Kraft allgewaltig überzeugt zu werden. Moſen's Muſe iſt ein wunder: ſchönes Waldmädchen mit dunkeln blitzenden Augen und gottberedtem Munde. Der Quell ihrer Lieder iſt ein Geſundbrunnen im hohen Gebirg, wo er ſich an— fangs wild und donnernd herabſtürzt, im tiefen. Grunde umfchatteter Thäler. fließt, fpäter aber her— vorkommt aus der Waldnacht, durch Wiefen und Blu- men filberflar dahinrieſelt, mit herabnidenden Ver— gifgmeinnichten und blauen Schlüffelblumen foft, und wunberfüße, zartgoldne Mährchen erzählt aus feiner Waldeinſamkeit. Kann e8 wohl ein zarteres, hinge- hauchteres Liedchen geben, als die drei Verſe: Ä

„Das Neh gudt an die Kleinen, Die ſchliefen Die ganze Nacht, Ich habe bei den Meinen Den ganzen Schlaf verwacht. „Die Weinreb’ hat die Ohren Zum Fenfter ’rein gethan, Sie hat fein Wort verloren, Sie fing zu blühen an. „Der Mond wollt’ endlich jcheiden, - Weiß nicht, wie mir geſcheh'n

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Den Blumen und uns Beiden Voll Waſſer die Augen ſteh'n.

„Selbſt bei Heine und Goethe iſt mir ſolche Zartheit nicht vorgekommen. Ferner das herrliche Frühlingslied:

„O, Apfelbaum, was iſt es wohl mit dir? Wo willſt du noch mit allen Blüthen hin? Ser Apfelbaum, wo ftehet hin bein Sinn?

{lift tu dich denn in dieſen rothen Gluthen Pit einem Male ganz und gar verbluten?

„In Blüthenwogen brauft ein Bienenſchwarm, ae Engeldho sgelang in meiner Bruft; fteht der Baum und finnt mit ftiller Luft, it er wieder in fo jel’gen Stunden Sein Heimathland, das Paradies, gefunden.

„Run muß man wieder den Dichter hören in feinen Schwert: und Kriegsliedern. Welche Kraft und welde Flammen: in feinen einfachen, körnigen Boltshiever, fein Andreas Hofer, jein Tambour von

" Namur, fein Trompeter an ber Katzbach. Wie ge

fagt, in meiner Liebe fteht er als Lyriker unmittel= bar neben Heine, was viel jagen will, denn ver Ver— faffeer ver Reifebilder kann feinen enthufiaftifchern Berehrer finten, ald meine Wenigkeit. Moſen's per- fünlihe Bekanntſchaft hab’ ich bereitd vor mehrern Iahren gemacht. Als ic, ihn im vorigen Winter in Dresden, wo er als Advokat practicirt, beſuchte, machten wir häufige Spaziergänge in die Umgegend. Auf einem verfelben theilte er mir eine wunderjchöne Anefoote von Marſchall Ney mit. Ich bearbeitete fie als Gedicht, und da fie Moſen für nicht mißlungen erflärte, habe icy fie abdrucken laſſen.“

„Dom Marſchall Ney,” rief Wertheim, „vem Für— jten von der Moskwa, dem Bravſten der Braven,

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amice! Heraus damit!

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Eginhard ließ ſich nicht lange nöthigen und de— klamirte: „In dem Kerker Lavalette's, Wo hinab kein Sonnſtrahl fiel, Tönte oft in ſtillen Stunden Wunderbar ein Flötenſpiel.

„War's doch Ney, der Fürſt der Moskwa, Dort im oberen Gemach, Der gefangen, ruhig=beiter So mit feiner Flöte ſprach.

„Und nen alten, alten Walzer Aus dem grünen Deutichland ber, Herzgewinnend, herzbezwingend, Diefen liebt er gar zu ehr.

„Und er fpielt ihn immer wieder, Wenn er dort am Fenſter faß, Bis auch Lavalette nicht wieder Diejes holde Stüd vergaß.

„Stunden rannen, Tage gingen, Immer zur gewohnten Zeit Tönt der Walzer, wird durch biefen Lavalette’8 Herz erfreut.

„War in feiner dunkeln Zelle Diefer liebe Freubensgruß, In den einfamreihen Stunden Ya der einzige Genuß.

„Aber horch, welch feltfam Schweigen, Welche Stille, dumpf' und ſchwer; Iſt die Stunde doch gekommen Und der Walzer tönt nicht mehr.

„Und es klirrt die Kerferpforte, Und der Wärter tritt berein, Und e8 fragt ber Freund erbleichend, Was muß mit dem Marichall fein?

„„Marſchall Ney wird nicht mehr fpieleu Mit der Flöte in ber Hand, Bon ſechs Kugeln wohl getroffen Stürzt’ er heute in den Sand.‘

Ak

„Da bricht dem getreuen Freunde Schmerzlih das getreue Herz, Und des Flötenipieles Schweigen Mehret nur den tiefen Schmerz.

„Und er ruft nach bumpfem Schmerze: So verblieb mir nichts von Dir, Als der alte deutſche Walzer, O er ſei geheiligt mir.

„Aber feltfam ob er finnet, Ob er finnt mit vieler Müh Ausgelöfchet bleibt für immer Ihm bie Walzermelobie.

„Jahre find dahin gegangen, | Lang ſchon weilt im freien Land, ' In Amerika's Gefilden E Lavalette geehrt, befannt.

„Und er kommt zu deutſchen Leuten, Eine Kirhweih feiern fie

och, zum Tanze um bie Linde

önt 'ne Walzermelobie.

„Und er bleibt betroffen fteben, Lauſcht und laufchet, Kumt und ſinnt; Und e8 wird ihm feltiam belle,

Zeit und Gegenwart verrinnt.

.. em,‘ Pan

„Und die hellen Thränen perlen, 's wird ihm, wie er nie gefühlt Ya, es ift der alte Walzer,

Den im Kerker Ney geipielt.

„Und die erften Thränen weint er Sn dem fernen freien Land, Wo er feines Freundes Stimme, Seinen Walzer wiederfand.”

„richt übel,“ vecenfirte Iohannes, als Eginhard peenvet hatte, „doch würde das Gedicht gewonnen Stolle, fämmtl. Schriften. XVI. 10

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haben, wenn der Name des Flötenjpielers im Anfang nicht genannt wäre. Die Spannung des Xejerd oder Zuhörerd würde erhöht und die Wirkung ergreifender geweſen fein.”

„Iſt denn die Geſchichte wahr?“ fragte Pauline,

„Wenigſtens wird fie dafür gehalten,” ſprach Eginhard; „Doch ift die Wahrheit in folden Din gen nicht die Hauptjahe, wenn nur die „bee ans ſprechend ift.“

„Das Gedicht können Sie mir auch da laſſen,“ bat Wertheim.

„Es kann nur ſchmeichelhaft für mich ſein,“ e er⸗ wiederte lächelnd der Verfaſſer.

„Ich hab' überhaupt,“ fuhr Wertheim fort, „durch den Beſuch der Muſenſöhne einen wahren Schatz von Gedichten erhalten, die mich ſämmtlich innig anſpre— chen. Ich könnte einen Muſenalmanach herausgeben. Uebrigens bitt' ich mir aus, daß der alte Onkel auch künftig in dieſem Punkte nicht vergeſſen bleibt. Wenn etwas Hübſches erſcheint, daß ich's bekomme. Ihr kennt ja beiderſeitig meinen Geſchmack.“

Johannes und Eginhard verſprachen, dem wackern Gaſtfreunde alle wichtige Erſcheinungen im Gebiete der neueſten metriſchen Poeſie getreulich mitzutheilen.

„Ueberhaupt,“ bemerkte Eginhard, „iſt es eine Hauptſache, hübſch in Correſpondenz mit einander zu verbleiben; an mir wenigſtens ſoll's nicht fehlen.“

Man verſprach ſich, unter einander regelmäßig in Briefwechſel zu treten.

Man blieb dieſen letzten Abend noch lange bei einander. Eugenie, welche eine wunderſchöne Stimme beſaß, trug mehre reizende Lieder unter Pianoforte⸗ begleitung vor. Nie hatten die Freunde die Goethe’= chen Lieder, in Mufif gefett von Reichard, fo be-

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zaubernd gefunven, als viefen Abend. Den Preis aber trugen die zwei Verſe von Heine davon:

„Ein Fichtenbaum ftebt einfam Im Norden auf kalter Höh'; Ihn fchläfert, mit weißer Dede Umbüllen ihn Eis und Schnee.

„Er träumt von einer Palme, Die fern im Morgenland Einfam und fchweigend tranert Auf brennender Felſenwand.

„Das ift in ter That das Lied aller Yieder,“ rief Eginhard begeiftert, „und wenn der göttliche Heine feine Silbe weiter gefchrieben hätte, als viele acht Zeilen, wär’ er darum einer der größten Dichter.”

„Auch Kotzebue's ſchönes Geſellſchaftslied: „Es kann ja nicht immer fo bleiben ꝛc.“ ward im Chore gefungen.

„sh kann's dem fantaftifhen, exaltirten Sand mein Leben lang nicht vergeflen,” ſprach Eginhard, als man zu Ende war, „daß er den guten Kogebue todt⸗ geftochen bat; ſei es auch nur des herrlichen Liedes wegen, das wir fo eben gejungen haben. Ich mag den Kotzebue nicht in allen Dingen in Schuß neh— men, aber wer ein jolches Lied dichten fonnte, ift fiber fein böfer Menſch geweſen. Ich laſſe mir das nicht nehmen.“

Auch Wertheim ftimmte ihm hierin bei.

„Es war der unluftigfte Streid,“ fuhr exfterer fort, „unfern beften Luſtſpieldichter todt zu ftechen; und ih kann dem todten Etatsrath nicht gram fein, was ‚man ihm aud) Alles hat zur Laſt gelegt. Ich ver— danke ihm mein Leben kang zu viel heitre Stunden und frohe Theaterabende. Wenn er ja a ver⸗

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dient bat, jo hat er ihn einzig deshalb verbient, weil er den Napoleon lächerlich gemacht hat.“

„Mir aus der Seele geſprochen,“ fiel Wertheim ein; „aber der Todte würde jeßt, wo die Leivenfchaft verraudht ift, auch anders fingen und fagen.“

Wertheim und Eginhard waren wieder auf ihr Lieblingsthema auf den großen Kaifer gefommen, wäh- vend ſich die übrige Gefellfhaft in Paare abgefondert hatte. Camilla hörte voller Andacht den Apotheofen zu, die Eginhard zur Berherrlihung Napoleon’d zum Beiten gab.

Sp kam Mitternadht heran, bevor fich die Geſell⸗ [haft trennte. Der lebte Zoaft galt einem einftigen rohen Wiederfehen. Alle Gläſer Elangen wie Glocken an einander und der Feuerwächter verfündete die zmölfte Stunde.

17.

Die ganze Familie Wertheim, Signor Bafılico und Eugenie, jo wie Albert und Bodo, hatten den. zwei Mufenfühnen das Geleit gegeben bis zum Gaft- haus, das den Namen „Schönbrunnen” führte, und ungefähr anderthalb Stunden von Buchenfeld gelegen war. Der Morgen war wunderfchön, die Lerchen jubelten, Wald und Fluren dufteten erquidend; nur , in den Herzen der Abſchiednehmenden jah es nicht heiter aus. Manches Thränlein ftand in den Augen der Mädchen, felbft der alte Wertheim mußte fich vie Augen trodnen, als der herbe Augenblid ver Tren— nung gelommen war. Johannes und Eginhard ſtell— ten fid) gefeßter, als fie waren.

„Lebt wohl, ihr Lieben alle,“ rief Eginhard mit bewegter Stimme, drückte nochmals Allen die Hand, „ohne Trennung fein Wiederſehen!“

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Ald er Wertheim die Hand reichte, band er die⸗— fem wieverhelt auf die Seele, das alte Frankenſchwert, welches er im Thurme gefunden, ja mit nächfter Ges legenheit und wohlverwahrt nachzuͤſenden.

Johannes ſchaute noch einmal in Eugenien’3 blu- menhafte Augen, bauchte den Abſchiedskuß auf vie ſchöne weiße Hand, welche zitternd in der feinen rubte, und fortwanderten die Jünglinge, während die’ Zu— rücbleibenden lange nachſchauten, bis die Wanderer hinter den wogenvden Korm= und Weizenfluren ver- ſchwnnden waren. Dann kehrten auch fie langſam und wortlarg nad Buchenfeld zurüd.

- Die beiden Freunde wanderten eine geraume Zeit ſchweigend neben einander. Jeder war in feine Ge⸗ danken und Träume verfunfen. Als fie eine Anhöhe erreicht hatten, blieben fie ftehen und jchauten lange auf das Frühlingsthal zurüd, wo fie gewiß bie fchön-

ſten Stunden ihres Lebens verlebt hatten. | Johannes breitete fehnend feine Arme nad) der theuern Gegend aus. Noch Tonnte man das liebe Buchenfeld in einiger Entfernung deutlich erkennen.

„Srühling und Liebe,” rief er, „wie reich habt ihr uns in diefem Thale mit euern duftendſten Roſen befrängt.“

„sa, Srühling und Liebe,” feufzte Eginhard, „und nun heißt's Pandekten und Prozeß, und bei mir, Eregefe und Kirchenväter. in erbauliches Quiproquo. Aber was nicht zu ändern ift, tft nicht zu ändern. Post nubila Phoebus; per aspera ad astera.“

Auch er ftredte die Arme über die blühende Ge—

gend und ſprach:

„Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten ZTriften, Ihr traulich ftillen Thäler, lebet wohl.‘

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Und immer weiter. ging die Reife durch binhende Alleen und wogende Getreidefluren.

Johannes war ſehr weich geſtimmt.

„Willſt Du mein letztes Lied hören,“ fragte er den dahin ſchreitenden Eginhard, „das ich im lieben Buchenthal gedichtet habe?“

„3a wohl, mein Haus,” ſprach ter nicht weniger fentimentaf geſtimmte Freund, „es ſoll mich ſtärken, wie Manna in der Wüſte. Kommt etwa bie‘ Role von Segevia darin vor?”

„Es iſt ein bloßes Frühlingslied,“ antwortete Johames „„treu der Natur nachgemalt.“ Er begann:

„Es wogt das Korn in grünen Wellen Und die Kaſtanienbäume blüh’n, Die Bufen junger Roſen jchwellen, Und Purpur bridt aus Knospengrün.

„Vom Apfelbaume träufelt nieder Der letzte blutgefärbte Schnee; Doc taufend Blumen ſchickt er wieber An feiner Stelle in die Höh'.

„Der Fliederbaum fteht überhangen In reicher violetter Pracht; Kaum kann ein grünes Blatt gelangen Zum Himmel dur die Blüthennadt.

„Es will fi Alles nun entzünben, Es bricht hervor aus Grab und Gruft, Ich weiß mich faum zurehtzufinden Bor lauter Blumen, Klang und Duft.

„So —1— in königlicher Schöne Der hling da, ein junger Held, Und künden ſeine Töne,

Daß er die Braut umfangen hält.

„Und ich mit meinen kleinen Herzen, Denkt, liege hier in's Gras geſtreckt, Umleuchtet rings von Frühlingskerzen Und halb von Blumen zugedeckt.

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„Und ſchau' mit Ieligem Gefichte In lieber, ungeftörter Kuh,

Dem bohen göttlichen Gedichte, Des Frühlings Hochzeitsfeier zu.“

„Das Liedchen gefällt mir ſehr,“ ſprach Egin⸗ hard, „Du haſt die jetzige Blüthenzeit treu wieder gegeben. Ach, theurer Hans, aber bedenke, daß wenn wir dieſes Tempe, dieſes Friedensthal, wo die Ges nien der Liebe zwiſchen Blumen wandeln, im Rüden haben, auch Du die Poefie an ven Nagel hängen mußt, wie meine Wenigfet. Es ift fchredlih, aber es ift fo. D, hochehrwürdigen Kirchenväter, erleuchtete Häupter, nehmt mich auf in eure Schatten der Bor- welt und begrabt mid für die nächſte Zeit hinter Schweinsleder und Bücherftaub, daß ich vergefle, es habe einen Frühling und eine Liebe gegeben.” _

Die Freunde waren jegt auf derfelben Höhe an— gelangt, von wo fie vor ungefähr vier Wochen fo über- felig herabgaloppirten. Hier machten fie Raſt, um fi zum letten Male an der herrlichen Gegend zu laben.

Wie damals glänzten die Zinnen von Buchenfels gaftlich daher und mahnten an all die herrlichen da⸗ felbft verlebten Stunden.

„Wenn es feine Erinnerung gäbe,“ ſprach Jo⸗ hannes, „was wäre das Leben!“

„Sa,“ fiel Eginhard ein, „was wäre überhaupt die ganze Unfterblichkeit, die ganze. himmliſche Selig- feit, ohne Rüderinnerung.”

„Mag's uns nun noch fo trüb’ und troden er— gehen,“ fuhr Johannes fort, „ein Nüdblid in bie himmelsvolle Vergangenheit wird uns ſtärken und er- quiden wie der Duft der Hyacinthe.“

„sa wohl,” geftand Eginhard, „mag's nun wer- den wie’! will:

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„Ein Augenblid verlebt im Parabiefe Wird nie zu theuer mit dem Tod bezahlt.‘

Und die Jünglinge ftanden noch lange und jchau- ten über das blühende Even; und nody einmal ftred- ten fie ſegnend die Arme über die duftende Landſchaft, dann umarmten- fie fih, küßten ſich und fort ging’s, den Berg hinab, aus dem ftillen Reiche der Liebe und Poefie in das der Profa und des ftaubi= gen, unerquicklichen Alltagsleben®.

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Es waren drei Jahre vergangen. Wieder ruhte der Frühling in, aller Pracht auf den Höhen und Zhälern von Buchenfeld. In dem Schloffe jelbft aber gab es ein außerordentlich reges und fröhliches Leben. Hallen und Säulen waren mit Blumen- und Laub- guirlanden feſtlich geſchmückt; ſchon den ganzen Nad- mittag tönten liebe, freundlihe Mufifftüde aus dem _ dichten Raubgrün des Schloßparls, wo ein Muſikchor aus dem benachbarten Städtchen poftirt mar. Man hatte den alten Wertheim lange nicht jo heiter und gefhäftig gejehen, und überall gab’8- lachende, heitere Geſichter.

Man gewahrte bald, daß auf dem Schloſſe etwas Außerordentliches vorgehe, und dieſes Außerordentliche beſtand in nichts Anderm, als in der Doppelhochzeit des Johannes und Eginhard mit Eugenien und Ca— millen. Beide junge Männer waren bereits ſeit zwei Jahren nach brillantem Examen in's bürgerliche Le— ben übergetreten, und vor nicht langer Zeit hatte er- fterer die Beftallung als Gerichtshalter auf einem be- nachbarten bedeutenden Gute, und letterer die vacante Paftorftele in einem zwei Stunden von Buchenfels

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entfernten freundlich gelegenen Dorfe erhalten. Der Einfluß des wadern Wertheim war bierbei allerdings nicht zu verkennen geweſen.

Und heute war Hochzeit. Albert und Bodo hat- ten fidy mit ihren beiden lieben Frauen, Marien und Paulinen (die feftliche Hochzeit derſelben war bereits "vor anderthalb Jahren gefeiert worden), ſchon früh: zeitig eingefunden. Es war ein Leben, als folle ix- gend ein Kaifer oder König feinen Einzug halten.

Der Abenpftern ſtand in verklärender Schöne über den Bergen. Die Abendtafel war im Grünen errid)- tet; uralte blühende Linden bauten ein duftendes Laub⸗ dach. Die zahlreichen bunten Lampen gewährten eine magiſche Beleuchtung. Die Töne des Orcheſters klan⸗ gen bezaubernd durch die ſtille Abendluft.

An der Tafelrunde ſelbſt war ein außerordentlich heiteres und fröhliches Leben. Auf allgemeines Ver⸗ langen hatte Wertheim nur die vertrauteften Yreunde und Belannten zum Tefte geladen. Darum konnte ſich bie wahre Freude der Herzen um fo ungeftörter aus= ſprechen. Johannes und Eginhard faßen an den Eh— renplägen ber Tafel in ftiller Seligkeit neben ihren Neuvermählten und hatten häufige Nedereien zu hören.

Eginhard war über den einftigen fonmambülen . Zuftand Eugenien’8 längft belehrt worden; die Erfchei- nung auf dem Schloßdache hatte ſich ihm natürlich erflärt und er erblidte in der Braut des Freundes kein gefpenftifches Wefen mehr. Ueberhaupt ließ er ſich durch feine lebhafte Phantafie nicht mehr in dem Grade hinreigen wie früher. Er war ruhiger und gejetster geworben, ohne daß dadurch fein guter Humor und feine joviale Laune im ©eringften verloren hatte.

Wertheim hatte heute ven beften Ausbrudy aus fei= ‚nem Keller zum Beten gegeben. Lieblich duftete das

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flüſſige Gold in den Pokalen. Immer mehr ſchloſſen ſich die Herzen auf, immer beredter wurden die Zungen. Da erhob ſich Eginhard, gebot die Becher zu füllen, ſintemal er noch einen Toaſt auszubringen habe. Man that, wie er befohlen, eine allgemeine Stille erfolgte.

„Wir haben nun,“ begann er, „alle Welt hoch— leben. laſſen, aber wie der Menſch immer undankbar gegen ſeine größten Wohlthäter iſt, ſo haben auch wir . eine Hauptperſon bei unſern Toaſten vergeſſen. Wenn ich nämlich das Facit ziehe und als exacter Philoſoph unterſuche, wem wir eigentlich den heutigen Feſttag und Alles, was Liebes darum und daran hängt, zu verdanken haben, ſo ſtellt ſich uns ein holdes Kind dar, das allerdings ſchon vor vierhundert Jahren ge— lebt hat; denn geſtehen wir es nur, ohne die Roſe von Segovia würde unſer Hans da ſchwerlich die nähere Bekanntſchaft ſeiner dermaligen lieben Frau gemacht haben, und die Götter mögen es wiſſen, was aus mir Phantaſten geworden wäre. Als vor drei Jahren jeder der verehrten Herren feine Roſe auf Buchenfels gefun- ven hatte, ging auch ih mit mir ernftlich zu Rathe und probirte das Sprichwort, wer da fucht, der findet ; fo babe auch ich mein herzliches Nöfelein gefunden. Hier ſitzt es, Jedermann kann e8 jehen. Ein Philo: ſoph und ein dankbar Gemüth foll aber nie das eine über das andere vergeffen. Darum rufe ich jett aus vollem Herzen: Es lebe das reizende Königskind, möge es aus feinem Himmel lächelnd auf den unfern her- abfhauen e8 lebe vie Rofe von Segovia!”

Die Trompeten fehmetterten, die Gläfer klangen; man umarmte und küßte fid}; und der Abendftern, ver fo eben hinter Buchenwäldern lächelnd unterging, hatte lange feine fo glüdlihen und feligen Menfchen er: ſchaut, wie heute.”

Epiphanias.

Erzählung.

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flüſſige Gold in den Pokalen. Immer mehr ſchloſſen ſich die Herzen auf, immer beredter wurden die Zungen. Da erhob ſich Eginhard, gebot die Becher zu füllen, fintemal er noch einen Toaft auszubringen habe. Man that, wie er befohlen, „eine allgemeine Stille erfolgte.

„Dir haben nun,” begann er, „alle Welt hoch— leben laſſen, aber wie der Menſch immer undankbar gegen feine größten Wohlthäter iſt, jo haben aud wir eine Hauptperjon bei unſern ZToaften vergeffen. Wenn ih nämlich das Facit ziehe und als exacter Philoſoph unterſuche, wem wir eigentlich den heutigen Feſttag und Alles, was Liebes darum und daran hängt, zu verdanken haben, ſo ſtellt ſich uns ein holdes Kind dar, das allerdings ſchon vor vierhundert Jahren ge— lebt hat; denn geſtehen wir es nur, ohne die Roſe von Segovia würde unſer Hans da ſchwerlich die nähere Bekanntſchaft ſeiner dermaligen lieben Frau gemacht haben, und die Götter mögen es wiſſen, was aus mir Phantaſten geworden wäre. Als vor drei Jahren jeder der verehrten Herren feine Roſe auf Buchenfels gefun- den hatte, ging auch ich mit mir ernftlicd zu Rathe und probirte das Sprichwort, wer da fucht, der findet; fo habe auch ich mein herzliches Aöfelein gefunden. Hier figt e8, Jedermann kann es fehen. Ein Bhilo- ſoph und ein danfdar Gemüth foll aber nie das eine über das andere vergeffen. Darum rufe ich jekt aus vollem Herzen: Es lebe das reizende Königskind, möge e3 aus feinem Himmel lächelnd auf ven unfern her— abfhauen e8 lebe die Roſe von Segovia!”

Die Trompeten fehmetterten, die Gläfer Fangen; man umarmte und küßte ſich; und der Abendſtern, der fo eben hinter Buchenwälvdern lächelnd unterging, hatte lange feine fo glüdlihen und feligen Menfchen er- ſchaut, wie heute.”

Epiphanias.

Erzählung.

In majeſtätiſcher Winterpradht ftarrten die hoben Firnen des St. Gotthard. MWeithin, fo weit das Auge reichte, erblidte man nichts als eine Einöde von Felſen und Eis. Die höchſten Spigen des ge— waltigen Gebirgsfammes ſchimmerten in der gewohn- ten rofenrothen Berflärung und warfen endloſe Schatten auf die tieferliegenven Gegenden. Eine hehre Stille, wie fie nur den Wüften Afrila’8 und den Savanıen Nordamerila’8 eigenthümlich, ruhte über der verfteis nerten Gegend. Die Sonne fanf pradhtvoll und in den Thälern dunkelte der Abend.

Der alte Bater Nicodemus, ein noch rüftiger Sieb: ziger, weit und breit berühmt durch feine Kenntniß der Heilfraft der Alpenfräuter, durch feine guten Leh— ven im Glück und ftärkende Troftfprüdhe im Unglüd, faß auf dem gewohnten Plate am wohlerwärmten Dfen und hatte ein Kapitel der Bibel, aus welchem heiligen Buche er allfonntäglih mit lauter Stimme und ohne Brille feiner frommen und ſchönen Tochter Marie und feinem Enkel, dem Heinen Martin, vor- zulejen pflegte, beendet. Hell und vernehmlich klang die Vesperglode des Neujahrstages aus dem unfern gelegenen Dörfchen Liebethal. Die Wohnung des alten Kräuterfammlers lag einfam am Fuße des großen

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Adlerfteins, deſſen ſchneebedeckter Gipfel nur bei ganz heiterm Himmel zu erkennen war.

Die untergehende Sonne vergolvete in bimmlifcher Schöne die erhabenen Feljenzinnen, deren Wiederſchein in das fonntäglih aufgeputte Stüblein des Kräuter— ſammlers berabfiel.

Das fromme Abendlauten und bdiefe ftille Verklä- rung des Hüttchens erfüllte mit heiligem Danfgefühle ben Greis.

„Marie,“ ſprach er fanft, „nimm bie lebte ber von frommer Hand geweihten Kerzen und trage fie zur Kirche. Sieh, wie der liebe Gott die Firnen ent- zündet mit himmlischen Teuer, da foll der dankbare Menſch nicht zurücdbleiben. Geh, meine Tochter, mit Gott wird ja wieder Rath und bis Oftern ift e8 lang; wenn wir jparjam. find, erübrigen wir fchon einige neue Lichtlein, die wir anzünden am heiligen Feſte zur Ehre des Herrn.”

„Gern, guter Vater,” erwieberte die fchöne Marie . und ſtrich die feidenen Loden von der Stim, „dafür wird uns bie Mutter Gottes auch gnädig fein.“

Nicodemus antwortete: „Die Mutter Gottes ift Allen gnädig, die ihr vertrauen.”

Und Martinchen, am Dfen gelagert, rief:

„Horch, Großvater, wie Die efehene Wurzel praſ⸗ jelt; fie hat mir auch gar weibliche. Mühe gemacht, bevor ich fie geftern aus ver Telfenfpalte herauszu- bringen vermochte.”

Marie hatte die letzte Kerze aus dem Schränkchen genommen und ſchaute hinaus nach dem dunkler wer- denden Abend.

„Gott, Vater,“ ſprach das Mädchen, „hörft Du nicht, es ſchlug fünf im Dorfe und Andreas wollte ſchon in der vierten Stunde bei ung fein,

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„Er, wird ſich haben ein Gläschen einſchenken Iaffen von ver guten Mutter Marthe im Alpenhorn; da findet ſich's, daß junge Burſche eins plaudern beim herzerfreuenden Wein; und gewiß wirft Du es dem Andreas nicht verargen; hat er doch den ganzen Bormittag mit feinem treuen Picas gearbeitet wie ein Bergmann, um ben verjchütteten Wanderer zu Tage zu fördern.”

„Sanz wohl,” entgegnete Marie, „aber fol nicht heute unfere Verlobung fein? Da kenne ic Andreas zu gut, daß er blos deshalb ſäumen follte, um in der Schenke ein Glas in froher Geſellſchaft zu leeren.“

Ei, fieh doch, Großvater,” rief plöglih Mar-

ber an's Fenſter getreten war, „wie ber Schnabel des Adler lang geworden.” Dabei fchaute er aufwärts, wo fid) eine ungeheure Schneelaft weit. über die Kuppe des Adlerſteins hervorgebeugt hatte.

„„Das ift kein gutes Zeichen, mein Sohn,“ erwie- berte der Greis, „ver Adler, wenn er zu weit herab: Schaut, bat dem Thale nie Segen gebradt. Doch vertrauen wir Gott. Er wohnt über den Lawinen.”

„So möge die Mutter Gottes, ſprach Fromm Marie, „unfere letzte Kerze empfangen; ich trage fie zur Kirche.‘

„So iſt e8 vet, meine Tochter,” erwiederte Ni= codemus, „eine Kerze zu Ehren des Herrn bat nie vergebens gebrannt.‘

„Vielleicht,“ fügte das ſchöne Mädchen halblaut hinzu, „daß mir unterwegs der Andreas begegnet.‘

„Er hat mir ein herrliches Ammonshorn verjpro- chen, jubelte Martinchen, „und wenn Andreas etwas verfpridyt, fo hält er Wort.

Marie eilte mit der geweihten Kerze durch die Thalſchlucht nad) der Kirche des Dorf. Das Ge-

460 \ läute der Vesper war verſtummt; die Schatten fenf- ten fih dunkler in die Thäler, aber drohend und finfter ſchwebte die gewaltige Schneemaſſe des Aofer- fteind über ihrem Haupte.

Das Maͤdchen hatte noch nicht bie erſten Häufer des Dorfs erreicht, als ihre Geliebter, der in der Ge— gend befannte und hochgerühmte Gemfenjäger, ihr entgegenfam. Aber der Gang des Jünglings war unſicher, und als er näher kam, zeigte ſich's, Daß er an mehren Stellen des Körpers: mit Tüchern verbuns . den war.

„Gott!“ rief erbleichend Marie, als ſie Andreas erkaumte, „was iſt Dir geſchehen?“

„Aengſtige Dich nicht, Marie,“ erwiederte lächelnd der Jüngling, „ich bin nur ein wenig von den hart— herzigen Felszacken zugerichtet worden, als ich meinen Picas vom Untergange rettete.

„Denke Dir,“ fuhr Andreas mit Eifer fort, „das edle Thier hat heute nicht weniger denn drei Ver— ſchüttete mit wahrhaft bewundernswürdiger Beharrlich- feit aufgefharrt. Doch beim dritten Begrabenen ftürzte der Retter felbft in die unergründfiche Tiefe, und er war verloren, wenn ich nicht felbft alle Kräfte aufbot zu feiner Rettung.”

„Aber des Thieres wegen fonnteft Du felbft zu Grunde gehen,” ftrafte ſanft Marie; „doch wo ijt Picas ?

„Ich habe ihn am Alphorne zurüdgelafen bei der Mutter Marthe. Der arme Kerl ift übel zugerichtet.‘

Andreas begleitete: feine Marie auf dem frommen Wege zur Kirche. Sie braten bie geweihte Kerze der Mutter Gottes und kehrten Hand in Hand nad der Wohnung des alten Nicodemus zurüd.

Schon war e8 dunkel im Thale, aber die Alpen:

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t

häupter ſtrahlten noch im goldenen Glanze. Er prachtvolles Schauſpiel. Ueber dunkler Nacht drohn⸗ ten die Goldberge in Majeſtät, während meilenweit Todtenſchweigen herrſchte. Die ſpärlichen Waldungen, fo wie die Häuſer des Dorfes Liebethal waren mit hohem Schnee bevedt, denn der Winter hatte mehr als gewöhnlich fein eifiges Haupt gejchüttelt.

Als Andreas und Maria am Fuße des Aolerjteins vorbei famen, blieb eriterer ftehen; ängftlih umflam- merte. das Mädchen den Arm des Geliebten und Ichnute ſcheuen Blickes hinauf nach der fürchterlichen

„Die Adlernaſe,“ ſprach der Jüngling, „deutet nichts Gutes; fönnten wir den Vater nicht vermögen, daR er auf einige Tage nad) Liebethal zieht 9“

„Wire wollen ihn bitten”, verfette Marie, „aber ih glaube nicht, daß er ficb bewegen läßt.“

Nod immer ſaß der alte Nicovemus in feinem Lehnftuhl und belehrte den aufhorchenden Martin über die verjchtevenen SHeillräfte der Alpenfräuter, während legterer bejorgt war, daß das Teuer im Dfen niht ausgehe. Daun erzählte ver Alte von den benachbarten Thälern, wo im Sommer tie gol- denen Blumen blühen, während die Gletſcher mit ewigem Eiſe bededt find, wo in freundlichen Gärten ſeidene Lüfte wehen, während hoch darüber auf den Felſen alles Leben erſtarrt. Er erzählte von den ein- fadhen und ftrengen Sitten und der Freiheitsliebe ver Borelten und ven alten helvenvollen Kämpfen, und wie das Schweizerwolf nur dann groß und unbezwing- lid) fei, wenn e8 zufammenhalte und alle tZwietracht unter ſich vergeſſe.

Martinchen lauſchte lernbegierig der weiſen Rede, als Andreas und Marie in's Gemach traten.

Stolle, ſämmtl. Schriſten. XVI. 11

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Nicht ohne Beforgnig war Andreas an das Fen- fter getreten und betrachtete nochmal® Die drohende Schneemaſſe.

„Guter Vater,“ ſprach er endlich zu Nicodemus, „wär's nicht beſſer, wenn Ihr Euch auf einige Tage nad) Liebethal überſiedelte? Der Adler ſieht mir bedenklich aus, ich traue dem Alten nicht, daß er uns eine Löwin auf den Hals ſchickt; er wird über kurz oder lang ſein Gefieder ſchütteln. u

„Die Löwin des Ablers,“ verſetzte ruhig der Greis, „haben wir nicht zu fürchten; es wäre nicht die erſte, die ich erlebte; ſie ſpringt vorſichtig über unſre Wohnung hinweg, ohne nur den Firſt zu be— rühren.“

„Aber drohende blickte noch feine in's Thal,“ bemerkte Andreas,

„D mein Vater,” bat die fchöne Marie mit ge= falteten Händen, „mißachte nicht feine Worte; aud) mir ift der Adler noch nie fo fürchterlich erjchienen. Wie bald find wir drüben im ficher gelegenen Xiebe- thal; beim frommen Bater Arnold wirft Du die Freunbfichfte Aufnahme finden. Wir führen Dich, da- mit Dir die Wanderung nicht bejchwerlid) wird.”

„Ihr Kleingläubigen und Verzagten,“ ftrafte der Greis mit ſanftem Vorwurfe, „was kümmert uns bie Lawine? Wölbt ſich darüber nicht der heilige Him- mel in ewiger Keine, wo Gott wohnt, unjer Schöpfer und Erhalter? Seid Ihr nicht gekommen, Eure Ver⸗ lobung zu feiern? Iſt dies nicht eine heilige Hand- lung, wo Gottes Liebe jegnend über uns weilt? Soll ih mit dem erften Tage des Jahres die fett fießzig Iahren bewohnte Hütte verlafjen ?“

„So wollen wir bleiben,” antwortete leife Ma: vie, und die Familie nahm Pla um ben riefigen

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Dfen, in deſſem Bauche eine gemüthlihe Flamme praffelte, welche turd) das Gemad eine mwohlthuende ärme verbreitete.

„Martinchen,“ ſprach Nicodemus, „gehe einmal hinaus in die Kammer und bringe Nummer Zehn.“

Zugleich befahl der Sräuterfammler, den Topf mit kochendem Waſſer aus dem Teuer zu holen, weld Geſchäft Andreas verrichtete. Hierauf goß Nicodemus ans der Fruftallnen Flaſche, die mit einer Zehn be— zeichnet war, und die Martin aus der Kammer ge bracht hatte, eine dunkle Flüſſigkeit, welche fich brau= ſend mit dem Waffer vermifchte und biefem eine gold- gelbe Farbe verlieh. Ein erquidentes Arom durch— duftete das Gemach. Die wohlrichende und Iiebliche Eſſenz hatte Nicodemus vor Jahren felbft gefertigt aus dem Berghonig, und bios bei hohen feitlichen Gelegenheiten wurde das foftbare Getränf bereitet.

Andreas und Marie legten die Hände in einander und ver Alte ſprach den Cegen, während ver Heine Martin ein auf die feierlihe Handlung Bezug ha— bendes Gebet aus einem alten Gebetbudye vorlas.

Nach beendigter eier Hangen die grünen Römer, in welchen das Brautgetränf dampfte, wie Glocken an einander.

„Möge Euer Leben,“ ſprach Nicodemus, „eben ſo rein klingen und bereinſt verklingen, wie der Ton dieſer Gläſer.“

„Nicht ohne Grund,“ fuhr er nach einer Pauſe fort, „hab' ich den heutigen Tag zu Eurer Verlo— bung gewählt. Am erſten Tage des Jahres iſt das GEemüth reiner geſtimmt und empfindlicher für erhe— bende Handlungen. Ich habe e8 immer geliebt, wich— tige Angelegenheiten auf dieſen Tag zu verlegen. Mit dem lebten Tage des alten Jahres pflegt man

11

16h

feine Rechnungen abzufchliegen und zieht einen neuen Menjhen an. Immer hab’ idy mir daher gemwünfcht, wenn Gott einmal über mich gebieten follte, daß ex mid) in den erften Tagen des neuen Jahres abrufe.“

„Ei, guter Vater, verfeßfe Andreas, „wer, wird am Tage einer Berlobung vom Tode ſprechen; ſeht nur, Ihr habt meine Marie ganz traurig geftimmt durch Eure Rede. Der Bater im Himmel wird es wohl meinen mit und, und Euch noch mandjes Jahr rüftig erhalten zum Heile aller Kranken und Hülfs- bedürftigen.“

„Wie Gott will, erwiederte Nicodemus mit from= mer Ergebung; „doch muß ich geſtehen, möcht' ich gern noch ein paar Jährchen der Zeuge Eures Glücks ſein, denn bin ich auch allen Menſchen gut, ſo ſeid Ihr Beiden mir abſonderlich an's Herz gewachſen. Doch Martin, mein Enkel, fahre fort im zweiten Kapitel von der Geburt unſeres Herrn; wie oft ich auch die heiligen Worte vernommen, kann ich doch nie ſatt werden, ſie zu hören;“ und der Knabe las weiter,

„Da Jeſus geboren war zu Bethlehem im jüdi— Then Lande, zur Zeit des Königs Herodes, fiehe, da famen die Weifen vom Morgenlande gen Ierufalem und fpraden:

„Wo ift der nengeborene König der Juden? Wir haben feinen Stern gefehen im Morgenlande und find gekommen, ihn anzubeten.

„Da das der König Herodes hörte, erſchrak er und mit ihm ganz Jeruſalem.

„Und ließ verſammeln alle hohen Prieſter und Schriftgelehrten unter dem Volke und erforſchte von ihnen, wo Chriſtus ſollte geboren werden.

„Und ſie ſagten ihm, zu Bethlehem im jüdiſchen

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Lande; denn alfo ftehet gefährieben durch den Pro- pheten:

„And du Bethlehem im jüdiſchen Lande bift mit nichten die fleinfte unter den Fürften Juda, denn aus die fol mir fommen der Herzog, ver über mein BolE Iſrael ein Herr fei.

„Da berief Herodes die Weifen heimlih und er- lernte mit Fleiß von ihnen, wann der Stern erfdhie= nen wäre,

„Und wies fie gen Bethlehem und ſprach: Ziehet hin und forſchet fleigig nad den Kindlein und wenn Ihr es findet, fo faget mir's wieder, daß ih aud fomme und es anbete.

„Als fie nun den König gehöret hatten, zogen -fie bin und fiche, der Stern, den fie im Morgenlande gefehen hatten, ging ver ihnen her, bis daß er fam und ftand oben über, da das Kinplein war.

„Da fie den, Stern fahen, wurden fie hod) erfreut.

„Und gingen in das Haus und fanden das Kind— lein mit Maria feiner Mutter und fielen nieder und beteten e8 an und thaten ihre Schätze auf und ſchenkten ihm Gold, Weihraud) und Myrrhen.“

„Um Gottes Willen, was war das?“ rief auf— ſpringend Marie und ward bleich wie der Tod. Ein ferner dumpfer Donner rollte grollend durch die Berge.

„Eine Lawine kaum zwei Stunden von hier,“ antwortete Andreas, der aus dem Gemach ſtürzte.

Der ſchönſte Sternenhimmel wölbte ſich über den Felſen. Rings herrſchte Todtenſtille; man konnte ein Sandkorn fallen hören. Der ferne Donner war verſtummt.

Andreas ſchaute mit erhöhter Beſorgniß nach dem Adlerſteiee. Da war es ihm, als habe ſich die

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Schneewand bedeutend geſenkt. Der Jüngling eilte

in die Hütte zurück. „Um aller Heiligen Willen, beſter Vater,“ be—

ſchwor er, „laſſet uns nach Liebethal flüchten, wir

ſind keinen Augenblick ſicher, lebendig begraben zu werden. Wenn mich nicht Alles trügt, hat ſich die furchtbare Schneewand mehrere Fuß weit herüberge⸗ beugt.“

„Es iſt zu ſpät,“ erwiederte Nicodemus, „iſt Ge— fahr vorhanden, ſo würden bei der Stille der Nacht unſere Schritte hinreichen, die ſchlafende Löwin zu

wecken. Wir find in Gottes Hand, meine Kinder;

u‘

Martin, ſchlag die heiligen Blätter wieder auf und lied weiter.”

Der Knabe war nod) fo erfchroden, daß er gar fein Wort hervorzubringen vermochte. Sonad) ergriff Andreas die Bibel und fuhr fort:

„Und Gott befahl ihnen im Traum, daß fie fic

nicht wieder zu Herodes lenken. {Ind zogen durch

einen andern Weg in ihr Lund.

„Da fie aber hinweg gezogen waren, fiehe da er- Ichien der Engel des Herrn dem Joſeph im Traum und ſprach: Stehe auf und nimm das Kindlein und feine Mutter zu dir und fliehe in Egyptenland und bleibe allva, bis ih dir fage: denn es iſt vorhanden, dag Herodes das Kindlein ſuche, dafjelbe unzubringen.

„Und er ftand auf und nahm das Kindlein und feine Mutter zu fih bei ver Nacht und entwich in Egyptenland. |

„Und blieb allda, bis nad dem Tode Herodes. Auf daß erfüllt würde, das der Herr durch den Pro-

pheten gejagt hat, Der da Ipricht: Aus Egypten

habe id, meinen Sohn gerufen.’ Kaum hatte der Borlefer diefe Worte geſprochen,

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als ein neuer Donner durch das Thal rollte. An— breas Ihlug unmwillfürlih vie Bibel zu; Marie, war auf die Knie gefunfen und flehete mit aufgehobenen, zitternden Armen, daß der Allmächtige fie vor ver furdtbar drohenden Gefahr gnädig bewahre. Der Heine Martin bielt frampfhaft Andreas’ Knie um- Hammert und bie Angft preßte ihm Thränen hervor; nur der alte Nicovemus im Cilberhaupte blieb wie ein Weiſer ver Vorzeit ruhig und gefaßt in feinem Lehuftuhl fiten. Nicht eine Miene des ehrwiürbigen Antliges hatte jich verzogen. Mit dem Bewußtſein eines Frommen ſprach er, Gott ‚ergeben:

„Laßt vie Donner rollen, die Lawinen fürzen ! Mächtiger ald Donner und Lawinen ift der Gott ber Welten, der es gut meint mit allen feinen Ge— ſchöpfen.“

Andreas war abermals vor die Hütte getreten und ſchaute mit bangendem Herzen umher in ber nädhıt- lichen Schöpfung. Da thronte ringsum die fehauer- liche Teljeneinfamtet. Die Lichtlein von Yiebethal waren erlofhen Nur in dem Kirchthurm flimmerte das Fenſter des wachhabenden Thürmers, welcher bei vernehmbaren Bergfällen und Lawinen forgjam auf: horchte, ob Gefahr drohe, wo er fogleih das Glöd- fein hell und Hülfe rufend durch das Thal er— klingen ließ.

Andras ſchaute aufwärts, ſeine Beſorgniß ging in Entſetzen über. Die Schneewand hatte ſich aber: mals geſenkt und ſchwebte in fürchterlicher Höhe ver— derbenvoll über der Hütte des Kräuterſammlers.

Noch immer ſaß der alte Nicodemus in ſeinem Lehnſtuhl. Einſam brannte die Lampe auf dem alten Tiſche von Nußbaum. Andreas ſchaute ſich noch ein- mal rings um in der ſchweigenden Natur. Ueberall

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herrſchte Todtenftille: Der Jüngling kehrte in vie Hütte zurüd und war bemüht, die Verlobte fo wie den Heinen Martin zu tröften, obſchon fein Inner- fte8 von der bangften Beforgnig erfüllt war. Seine einzige Hoffnung war die Ausfage des erfahren Nicodemus, welcher ſchon mehrere Lawinen des Adler— ſteins erlebt hatte, die alle in bedeutender Höhe über die Hütte hinweggerollt waren, ohne dieſelbe zu verletzen.

Das herzerfreuende Getränk, welches der Kräuter- ſammler bereitet hatte, verſcheuchte indeß auf kurze Zeit die trüben Ahnungen, welche die Bruſt der jün— gern Leute erfüllten.

„Das neue Jahr ſoll leben,“ ſprach Nicodemus, indem er von Neuem ſein Glas erhob und mit ſei— nen Lieben anklang, „möge es Freud' oder Leid in ſeinem Schooße bergen; Gott meint es immer gut mit ſeinen Kindern in Freud' wie im Leid.“

Wie Glocken klangen die Gläſer an einander da begann das Häuschen in ſeinen Grundfeſten zu erbeben, die Lampe ſtürzte um, Marie und Martin wurden zu Boden geworfen eine der gewaltigſten Lawinen war donnernd von dem Gipfel des Adler— fteind herniedergerollt und hatte die Wohnung des Kräuterſammlers häuſerhoch unter dem Schneegebirge begraben.

Erſt nad) einer langen fürchterlichen Pauſe hatte fih Andreas in foweit erholt, tie Größe des Un- glücks zu unterſuchen.

„Wir ſind lebendig begraben,“ ſprach er in ver— zweiflungsvollem Zone; dann war er bemüht, die ohn- mächtige Braut in’8 Leben zurüd zu rufen.

„Gott ift ja nicht mit begraben,“ erwieberte- der fromme, glaubensfefte Nicodemus, „feine Allmacht und

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feine Güte ift fo groß, wie vordem, darum geziemt ung nicht zu verzweifeln; juchen wir vie Stärke der Lawine zu erforfhen. Wenn wir die Hände nicht zaghaft in den Schoß legen, ift noch immer Hoff: nung vorhanten, daß wir uns herausarbeiten. Biel- leiht wird aud) Hülfe von Außen.“

Dem Andreas gelang es endlich, die Lampe wie- der anzuzünden. Cr unterfuchte die Thür und Die mit Moos verwahrten Yenfter, aber vergebens war fein Bemühen, die letztern zu öffnen, mit folcher Te- ftigfeit hatte fi Die Schneemaffe von Außen ange- ‚lehnt. Der ES chornftein war zufammengebrüdt, der

Ofenrauch fand feinen Ausweg und erfüllte das In= nere mit erftidender Atmofphäre. Man war genöthigt, das Teuer auszugieken.

Andreas arbeitete mit Riefenfraft, um die Thüre frei zu machen. Auch der alte Nicodemus und Mars tin legten eifrig Hand an. Aber vergeblid) war ihre Anftrengung. Nach mehrftündiger Arbeit ermatteten ihre Kräfte, kraftlos ſanken ihre Arme. Es blieb nichts übrig, als für heute vie Ruhe zu fuchen. Ein unrubiger, unerquidlicher, von böfen Träumen gequälter Schlummer umfing die Verſchütteten.

Als die Heine ſchwarzwälder Wanduhr vie Stun- den des jungen Morgens verfünvete, erquidte fein Strahl des Tages die unter hoher Schneedede Begra- benen. Indeß ließ man e8 an neuen Anftrengungen nicht fehlen. So gelang es aud), einen ziemfich lan- gen Gang durch den Schnee nad) der Richtung zu gra= ben, in welcher man hoffte, am Kürzeſten in's freie zu gelangen.

In trauriger Oede verflog der zweite Januar. Wieder ſank außerhalb die Nacht herniever und bie Sterne traten hervor, ohne daß die lebendig Begra—

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benen davon verfpürten. Nur die Wanduhr belehrte fie, in welcher Tageszeit fie lebten.

Am dritten Tage ward der Zuftand der Unglüd- lichen immer verzweifelte. Das Del war zu Ende, die Lampe drohte zu erlöſchen und die letzte Kerze hatte Marie am Neujahrstage der Mutter Gottes in Liebethal zum Opfer gebradt. Kraft, Muth und Hoffnung entwichen der Bruft Marien's und Martin’s ; nur Andreas arbeitete unverbroffen weiter und ver alte Nicodenus vertraute mit alter Glaubensficherheit auf Gott den allgütigen Vater. War diefer es nicht - gemwejen, der ihn jo manches Mal auf feinem langen gefahrvollen Lebenswege aus der augenfcheinlichiten ' Zodesgefahr gerettet hatte? Feſt ftand fein Vertrauen, daß ihm Gott auch diesmal aus ver gegenwärtigen - fürdterlihen Rage erretten werde.

Andreas war am vierten Tage ziemlich weit auf feinem unterirbifchen Gange vorgebrungen, aber wie oft er laufchte und fein Gehör anſtrengte, um einen hoffnungsvollen Ton aus der Oberwelt zu vernehmen, Alles blieb ftumm und die Kräfte des Jünglings nahmen von Stunde zu Stunde ab; ſchon begann Mangel an Lebensmitteln fühlbar zu werben. Nico- demus hatte am Sylveſtertage den Heinen Vorrath faft ganz erfhöpft und an hülfsbevürftige Arme ver Umgegend vertheilt.

- Nad) einer dritten langen qualvollen Nacht erſchien der vierte Tag. Immer mehr ſchwand ven Unglüd- lichen die Hoffnung, gerettet zu werden. Rings herrſchte tiefe Stille und Finfternig, denn das Del war ver: zehrt und die Lampe geraume Zeit erlofchen. Ver— gebend tönten die tröftenden Worte des nod) immer glaubensfrommen Nicodemus. Er rieth den Andreas, vom Durchgraben abzuftehen, weil er nutlos feine

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Kräfte verfchwende, ohne Mittel zu haben, ſich wie- der zu ſtärken; denn, je weiter der unermüdliche Iüng- ling verdrang, deito größere Streden des Schnee ganges brachen hinter ihm zuſammen.

Marie und Martin lagen in einem faſt bewußt⸗ loſen Zuſtande, welder in ven Tod übergehen mußte, wenn miht bald Rettung nabte. . Der geringe Vor— rath von Yebensmitteln war faft ganz aufgezehrt. Immer fparfamer mußten die Brojamen zugenſen werden.

Der vierte Tag verſtrich. Kein rettender Engel erſchien. Es war, als habe Gott feine Hand von den Unglüdlichen abgezogen. Am Abend wurde die Rede des alten Nicodemug leiſer. Der alte Dann hatte jeit vierundzwanzig Stunden nur ein paar getrodnete Drotrinden gegeijen.

„Meine guten Kinder,” ſprach der Greid, „wenn nicht bald der Allgütige ſich unfrer erbarmt, werden wie in Kurzem ausgelitten haben. Verbittert Euch die legten Stunden nicht durch mutzloſe Verzweiflung. Unerforfhlih und hart find oft die Prüfungen des himmliſchen Vaters, aber gleihwohl geziemt feinen Kindern nicht, frevelhaft zu murren und ſich zu ver- jündigen, fondern ergebungsvell die Hände zu falten und zu bitten, daß er ung nicht verlaſſe in der bit— terften Stunte hienieden. Zwar weiß ich nicht, wo durch wir einen jo qualvollen Untergang verdient ha— ben, wenigjtend bin id) mir feiner böfen That be— wußt, aber was der Herr über uns beſchloſſen hat, möge erfüllt werden, geheiligt ſei ſein Name.“

Mit dem fünften Tage erreichte die Noth eine furchtbare Höhe. Jetzt vermochte ſelbſt Nicodemus nicht mehr zu tröften. Er faß ftill und Gott erge- ben in einer Ede des dunfeln Gemachs, wo er we-

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nigften® vor Kälte gefhüst war. Die paar Lebens: mittel waren bi8 auf einige Broſamen aufgezehrt; Andreas kratzte mit feinen letten Kräften einiges Moo8 von den Hüttenfenftern und fuchte damit fei- nen Hunger zu ftilen. -

Auch der fünfte Tag verftrih. Hunger und Trüb- fal hatten den höchſten Grad erreidht. Die Verzweif- fung war in jenes bumpfe Hinbrüten übergegangen, welches dem Tode unmittelbar vorherzugehen pflegt. Niemand gedachte mehr, die fleine Wanduhr aufzu= ziehen. Niemand wußte mehr, an weldem Tage und in welcher Stunde man lebe.

Ein Todtenſchweigen herrichte, al8 der Morgen des ſechſten Tages, des großen Neujahr oder des Fe— ſtes Epiphanias, heranbrad. . In einem dem Tode ähnlichen Zuftande lagen Marie, Martin und felbft der alte Nicodemus gab fein Zeichen des Lebens von id).

Da raffte Andreas, der noch das klarſte Bewußt- fein ſich erhalten, feine letten Kräfte zuſammen ünd ſchlich mit größter Anftvengung aus der Hütte, um noch einmal in dem Schneegange zu laufchen, ob vielleicht Kettung nahe.

Der unglüdlihe Jüngling gelangte mit vieler Mühe bis zu der Gtelle, weldhe eingeftürzt war. Hier fanf er ermattet und halb ohnmächtig nieder. Eine geraume Zeit mochte er gelegen haben, als plöglih wie im Traume befannte® Hunvegebell an fein Ohr tönte. Andreas erwachte. Er laufchte und lauſchte mit aller Anftrengung. Das Hundegebell Tam näher, und wenn den Berfchütteten nicht Alles trog, fo war e8 die Stimme feines treuen Pikas, welde aus der Oberwelt in das dunfle Grab herabtünte,

Neue Hoffnung -und neue Lebenskraft erwachten in der Bruft des Jünglings, welcher feine Ceele bereits

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Gott empfohlen hatte, und verlieh dem ermatteten Körper eine wunderbare Stärke. Er raffte fih auf und fehrte nad) der Hütte zurüd, um feinen Lieben die Himmelsbotſchaft der nahen Rettung zu verfün- den. Andreas kannte fein getreues Thier zu gut, als dag er nicht Hätte follen große Hoffnung fchöpfen; denn Picad war mit einem wunderbaren Inſtinet be= gabt und vermochte einen Verſchütteten in bedeutender Tiefe aufzufpüren.

Bei dem Worte Rettung erwahten auh Marie und Martin aus ihrem todtähnlichen Hinbrüten. Gie folgten mit Nicodemus, der ein lautes Gebet ſprach, dem voranjchreitenden Andreas und lauſchten mit Hopfendem Herzen, ob fich die Töne aus der Ober-

welt von Neuem vernehmen liegen. Doc Alles war - wieder ftil geworden.

Eine endloſe halbe Stunde verjtrih. Rings Tod— tenjchweigen; ſchon begann von Neuem die Verzweif- lung fid) der Unglüdlihen zu bemächtigen, als plöß- lid) von einer andern Seite her und diesmal bebeu- tend näher das Gebell des treuen Hundes vernehm— bar ward. Zugleich vernahm man ferned dumpfes Stimmengeräufh. Einzelne Rufe tönten in die Tiefe. Die Berjchütteten glaubten ihre Namen zu hören und Andreas gab fi) alle mögliche Mühe, mit feiner aller= dings geſchwächten Stimme zu antworten, aber feine Worte fehienen nicht vernommen zu werden.

Plöglih ertönte in großer Nähe ein fonverbares Geräuſch. Es gli) dem Murren eined Hundes, ber zugleich emfig bemüht war, fid) mit den Vorderpfoten durch den Schnee zu mühlen.

Eine felige Ahnung durchzuckte Andreas, als das jeltfame Geräufc immer näher kam. Er tröftete die

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nigftend vor Kälte gefhütt war. Die paar Yebens- mittel waren bis auf einige Broſamen aufgezehrt; Andreas kratzte mit feinen lebten Kräften einiges Moos von den Hüttenfenftern und ſuchte damit ſei— nen Hunger zu ftillen. -

Auch der fünfte Tag verftrih. Hunger und Trüb- ſal hatten den höchſten Grad erreicht. Die Verzweif- lung war in jenes dumpfe Hinbrüten übergegangen, welches dem Tode unmittelbar vorherzugehen pflegt. Niemand gedachte mehr, die fleine Wanduhr aufzu= ziehen. Niemand wußte mehr, an welchem Tage und in welder Stunde man lebe.

Ein Todtenfhweigen herrfchte, als der Morgen des jechften Tages, des großen Neujahrs oder des Fe⸗ ſtes Epiphanias, heranbrach. In einem dem Tode ähnlichen Zuſtande lagen Marie, Martin und ſelbſt der alte Nicodemus gab kein Zeichen des Lebens von ſich.

Da raffte Andreas, ver noch das klarſte Bewußt- fein fid) erhalten, feine letten Kräfte zufammen und ſchlich mit größter Anftrengung aus der Hütte, um noch einmal in dem Schneegange zu laufen, ob vieleicht Rettung nahe.

Der unglüdlihe Jüngling gelangte mit vieler Mühe bis zu der Stelle, welche eingeftürzt war. Hier fanf er ermattet und halb ohnmächtig nieder. Eine geraume Zeit mochte er gelegen haben, ale plöglicd) wie im Traume bekanntes Hundegebell an fein Ohr tönte. Andrea erwachte. Er laujchte und laufchte mit aller Anftrengung. Das Hundegebell kam näher, und wenn den Berfchütteten nicht Alles trog, fo war es die Stimme feines treuen Pikas, melde aus der Oberwelt in das dunfle Grab herabtönte.

Neue Hoffnung -und neue Lebenskraft erwachten in der Bruft des Jünglings, welcher feine Ceele bereits

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Gott empfohlen hatte, und verlieh dem ermatteten Körper eine wunderbare Stärke. Cr raffte fih auf und fehrte nah der Hütte zurüd, um feinen Lieben die Himmelsbotſchaft der nahen Rettung zu verfün- den. Andreas fannte jein getreued Thier zu gut, als dag er nit hätte follen große Hoffnung ſchöpfen; venn Picad war mit einem wunderbaren Inftinct be- gabt und vermochte einen Berjchütteten in bedeutender Tiefe aufzufpüren.

Dei dem Worte Rettung erwachten auch Marie und Martin aus ihrem todtähnlichen Hinbrüten. Gie folgten mit Nicodemus, der ein lautes Gebet ſprach, dem voranfchreitenden Andreas und laufchten mit Hopfendem Herzen, ob fi die Töne aus der Ober- welt von Neuem vernehmen Tiefen. Doc Alles war

- wieder ftill geworden.

Eine endloſe halbe Stunde verftrih. Rings Tod— tenfchweigen; ſchon begann von Neuem die Berzweif- lung fid) der Unglücklichen zu bemächtigen, ale plöß- lid von einer andern Seite her und diesmal bedeu- tend näher das Gebell des treuen Hundes vernehm= bar ward. Zugleich vernahm man fernes dumpfes Stimmengeräufd). Einzelne Rufe tönten in die Tiefe, Die Berfchütteten glaubten ihre Namen zu hören und Andreas gab ſich alle mögliche Mühe, mit feiner aller= dings gefchwächten Stimme zu antworten, aber feine Worte fehienen nicht vernommen zu werben.

Plöglid) ertönte in großer Nähe ein ſonderbares Geräuſch. Es gli dem Murren eined Hundes, ver zugleid, emfig bemüht war, fid) mit den Vorderpfoten dur den Schnee zu wühlen.

Eine felige Ahnung durchzuckte Andreas, als das jeltfjame Geräufh immer näher kam. Cr tröftete Die

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Seinigen und feine Ahnung hatte ihn nicht be— trogen, da8 Bellen erfcholl jet wenige Fuß tief.

„Picas, Picas,“ Iodte Andreas, und glei) darauf arbeitete fid) der Gerufene bis zu ven Berfchütteten durd. Das Thier war außer fid) vor Freude. Es heulte und fehrie, war aber auch gleich wieder verfchwunden.

Andreas war auf, die Kniee geſunken. Thränen des feligften Entzückens entrollten feinen Augen.

„Run werden wir bald ven Tag erbliden, meine Lieben!” rief ver überglüdliche Düngling; „Picas war da und arbeitet fi eben wieder durch den Schnee. Er ift unfer Retter.”

Wirklich vernahm man aud bald das freubige Gebell des treuen Hundes. Das Eluge Thier leitete die nachgrabenden Liebethaler auf die rechte Spur. Immer näher kamen die Retter. Bald vernahmen . and, fie die Stimme des Andreas, und nad Berlauf einer Heinen Stunde durchbrach das erfte Grabfcheit von außen die ſchwache Schneewand, welche den Be- grabenen das Yicht des Tages verbarg.

Ein allgemeiner Ruf des Entzüdens erſcholl durch die zahlreich verfammelten braven Bewohner von Lie—

bethal, welche bereits jeit Neujahr, mo die Lawine

des Molerfteind gefallen war, Tag und Nacht mit Unermüplichfeit gearbeitet hatten. Aber alle Mühe diefer guten Leute würde vergeblid und die Ver— jchütteten einem unvermeidlichen Tode preisgegeben geweſen ſein, wenn nicht das treue Thier die rechte Stelle ausfindig gemacht und den Weg gezeigt hätte, denn die Lawine hatte faſt das ganze Thal thurm— hoch verjchüttet.

Spaten und Wurfjchippen wurden wmeggemorfen und alle die rüftigen Arbeiter fielen auf die Kniee, als der ehrmürdige Nicodemus mit Marien, Martın

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und dem braven Andreas dem Grabe entftieg. “Die Sloden in Liebethal Iauteten zum Auferftehungs- morgen.

In Proceſſion wurden die Geretteten nad) dem Dorfe gebracht, deſſen ganze Bewohnerſchaft entgegen wallfahrtete. In dem wohlgewärmten Gemeindehaufe hatte die Gemeinde Alles aufgeboten, um bie Sart- geprüften zu feiern und zu erfreuen: Der wilrbige Prediger des Orts hielt eine Rede, worin er befon- der8 den Umſtand hervorhob, daß die Perjchiltteten am Feſte der Erſcheinung Chrifti, an Epiphanias, das Licht der Welt wieder erblickt hätten.

Der alte Nicodemus, deſſen Gottvertrauen ihn nicht getäuſcht hatte, fiel auf die Kniee. Seinem Beiſpiel folgte die ganze Gemeinde und laut wieder— holte man die Worte des begeifterten Beters: „Ges heiliget jei dein Name!”

Der Ruhm des getreuen Picas, jo wie die fei- densgeſchichte der verjchütteten Familie, verbreiteten fi in der ganzen Gegend. Von allen Orten liefen Geſchenke und milde Gaben ein, jo daß Nicodemus bald in ven Stand gejegt war, eine neue Wohnung und zwar am einem ficherern Orte zu bauen. Blieb doch ſelbſt eine vecht ſtattliche Ausjtener für Die ſchöne Marie übrig, melde von ihrem geliebten An— dreas im nächſtfolgenden Frühling als liebes Eheweib heimgeführt ward.

Es mar eine fröhliche Hochzeit, als der Schnee gefhmolzen, die Thäler wieder grünten und die Sen— nen mit ven läutenden Heerven nad) den Bergen zo— gen. Im ganzen Thale, nah und fern, nahm man den herzlichften Antheil; der alte Nicodemus fühlte fi) um viele Jahre jünger und Martinchen that fi) nicht wenig zu Gute auf das rothe Band, das ihm

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zur Hochzeit geſchenkt warden, und welches auf ſei—

nem Hute ftattlich flatterte. Marie war nie ſchöner und Andreas nie glücklicher. Der getreue Picas, welcher bei dem Freudenfeſte feine unbedeutende Rolle jpielte, war ein Gegenftand allgemeiner Bewunderung und Liebe. Seit langen Zeiten hatte e8 feine jo fröhliche Hochzeit gegeben. Der alte Nicodemus lebte noch mandes Jahr. Die ſchöne Wohnung aber, bie ihm und feiner Familie von den milden Gaben ge= baut worden war, führt noch heutzutage den Namen Epiphanias,

Drud von Alerander Wiede in Leipzig.

Ferdinund Stolle's | ausgewählte Schriften.

Volks- und Familien= Ausgabe. Siehzehnter Band.

Zweite Auflage

Leipzig, Ernft Keil, 1858.

Die

Erbſchaft in Kabul.

Komiſcher Roman

von

Serdinand Stelle.

Motto:

Trinke Wein im eg zu Kabul und laß den Becher umpergefn ohn' Unterlaß; denn es ift zuglei ein Berg, ein See, eine Stadt, ein Garten und eine Wülte.

(Kaifer Babur's Lommentarien.)

Erſter Band.

Leipzig, Ernft Keil, 1858.

Die Erbſchaft in Rabul.

Komiſcher Roman,

Erfies Kapitel.

&; begab fi am Sonnabende, den drei und zwans zigften April 18.., daß in Nummer 16 des Nieber- roßlaer Wochenblattes folgende Belanntmahung zu fefen war: '

Belanntmadhung.

Nachdem ver Hofmaler Seiner Majeftät des Könige von Kabul, Haſſan-ben-Mullah, ehedem Balthafar Drollinger genannt, Sohn des in Niederroßla ver⸗ ftorbenen Peter Drollinger, nad Anzeige de groß- britannifchen Conſulats der freien Reichs- und Han- belsftadt Hamburg, neuerdings in Kabul mit Hinter- laſſung eines Teftaments und eines Codicills mit Tode abgegangen, fo wird dieſes mit der Bedeutung zur Öffentlichen Kenntnig gebradht, daß, wenn binnen ſechs Wochen Niemand auf die Eröffnung obgedachter letztwilliger Verfügung anträgt, diefelbe vorgenommen oder fonft den Geſetzen gemäß verfahren werden wird.

Stadtgeriht Nieverroßla, den zwanzigften April 18..

Iacoby, Stadtrichter.“

Seit dem letten großen Sommerwafler, mo bie hart an den Stadtgärten dahinfließende Loſſa halb

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Nieverropla unter Wafler fette und bedeutenden Scha- den anrichtete, wußten fi die Bewohner der genann⸗ ten Stadt keines Ereigniſſes zu entfinnen, welches einen fo tiefgehenven Eindruck auf Geift und Herz bervorgebradht hätte, als diefes in Nummer .16 des Wochenblattes publicirte Actenftüd.

DBalthafar Drollinger Hofmaler Kabul Teftament; die waren die Markfteine und Signalflaggen, über welche hinaus das Gefpräd, fo ein Collegium (wozu befammtlih nur drei gehören) Nieverroßlaer zufanımentrafen, ſich felten verirrte. Zu— gleich hielt e8 jeder angefeffene, wie nicht angeſeſſene Familienvater für Pflicht, über befagten Balthafar Drollinger umfangreiche genenlogifche Forfehungen an- zuftellen, und dabei im Stillen das Spinngewebe ber eignen, wenn auch zeither vernadhläffigten Sippe fo weit als möglich auszufpannen, in der Hoffnung, daß fih darin eine Kabul'ſche Erbfliege fange.

Gemeinfame Beftrebungen, fo fie ein und daſſelbe Ziel verfolgen, vermögen viel, das lehrt die Ge— ſchicht; und fo war e8 auch noch vor Ablauf ber nächſten Woche in Niederrofla eine ausgemachte Sache, daß Peter Drollinger, Thonpfeifenverfertiger, ven acht⸗ zehnten Juli 17.. an Xeberverhärtung, acht und funf- zig Jahre alt, in der Webergaffe verfchieven und den zwanzigften h. m. in der Stille auf dem Friephofe zu Unfrer lieben Frauen zur Erde beftattet worden fi. Er hatte einen jüngern Bruder Johannes und einen fünfzehnjährigen Sohn Balthafar, ven Hofma- ler, binterlaffen. Johannes ftarb als Pfarrer eines Meinen, zwei Stunden von Niederroßla gelegenen Dorfes; feine Wittwe und ein Sohn lebten noch ge- genwärtig in Nieverroßla. Erftere erwarb fi ihr Brot mühfam duch Unterricht Heiner Mädchen in

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Nähen und Striden, während der einundzwanzigjäh-

rige Gamaliel beim Advocaten Eifenbeiß Bogen fchrieb. Was den Hofmaler felbft betraf, jo war es ver raftlofen Unterfuchungsbehörde zu Nieberroßla, weldye nicht weniger ald die ganze Stadt und Umgegend in fih faßte, gelungen, gleihfalls als unantaftbare Wahr- heit herauszubringen, daß Balthafer beim Tode fei- ned Vaters bei dem Bürger und Bentlermeifter Ham⸗ ger in Lehre geftanden, anftatt aber zu beuteln, mit der Reißkohle überall umbergefahren, alle Wände ver- unreinigt, Panther und Leoparden, Störche und Stieg- fige, Gras und Laubwerk aller Orts angebracht, Ge— fellen und Nachbarſchaft unverkennbar auf Thüren und Mauerwerk geworfen zur Aergerniß aller beſſerdenken⸗ den Bürger. Nur der Peichtfinn habe darüber lachen und fi erluftiren können. Endlich fei ver kecke Burfche über den eignen Meifter gerathen, welcher fh an einem ſchönen Morgen auf frifchgefirnißter Sartenplanfe hinter blühendem lieder, auf einem ſtillen Oertchen figend, leibesgroß erblidt und heraus- gefunden. Dies habe aber dem Faſſe den Boden ausgeftogen; Hamger habe nah einem umfünglichen Hafelrohre gejuht, Balthaſar aber die Schlägerei nicht abgewartet, fondern fei auf und davon gelaufen in die weite Welt,

Bon diefer Zeit an verſchwand mit dem Conter- fei des Beutlerd an der Gartenplanke das Andenken an Balthafar in Nieverrofla, und ward erjt auf An- frag Großbritanniend und Irlands vermittelft Num— mer Sechszehn des Wochenblatts wieder in dem es dächtniffe der Bürger und Einwohner hervorgerufen. Der in Kabul zu ven Todten gegangene Hofmaler hielt in Niederroßla feine Auferftehung.

Diefelbe Nummer Sechszehn des Wochenblatts, ob-

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fhon fie auf daſſelbe graufliegende Papier geprudt war wie Die andern, warb zur befruchtenden Früh— Iingswolte für Gamaliel und’ feine Mutter Felicitas. Der Borfegen träufte auf das Paar bernieber.

Mutter und Sohn waren zeither als Nullen ver Kieverroßlaer Geſellſchaft überfehen worden. Seit dem breiundzwanzigften April war das anders. Die erfte Onadenfpende, melde als warmer Sprübregen herab- wehte, erreichte Madame Drotlinger beim Bädermeifter Stus, wo fie gewöhnlid am Sonnabend Nadhmittag ihre Heine Wochenrechnung zu berichtigen pflegte. Stut behauptete, fie fei zu ängftlih im Bezahlen, er nicht dei Mann, der vechtichaffne Leute mahne und gab eine bejondere Auszeichnung eine Franzbrezel zu.

Um viefelbe Zeit lobte Eifenbeiß das erfte Deal Gamaliel's Reinſchrift eines Pachtvertrags und fam auf das Teſtament, deſſen Eröffnung er nicht auf die lange Bank zu ſchieben rieth.

„Das aſiatiſche Straußenei,“ ſprach er, „iſt ſo gut wie im Sad, ſobald die Sache einigermaßen an— gegriffen wird. Sollte Erblaffer Flaufen machen, wer- fen wir die Paſtete um und ſuccediren ab intestato; die pars legitima zieht nicht, fo viel ſag' ich.“

Gamaliel als frommer Sohn, blos die Nothdurft der Mutter im Auge, ſtammelte wonnefchüchtern: „Ach, ein Sonntagsrödckhen für die Gute, wenn's das ab— würfe! Wir lechzen darnach ſeit Jahren.”

Eiſenbeiß gerieth einigermaßen in Berlegenheit, ob er feinem Schreiber mit „ft Er” over „Sind Sie” antworten folltee Er half fih inveß als gewandterr Man und fprah: „Sind wir” ein Narr wollte er fagen, befann ſich aber und fügte fhonend bei „nicht unflug! Ein Sonntagsröck⸗

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chen, das verlohnte ſich; wo ſich England einmenge⸗ lirt, handelt ſich's nicht um taube Nüſſe. Der Hofr ne hat fi was Erkleckliches erpinjelt. So viel ag’ ich.“

Nächſt dem guten und fchönen Gamaliel und fei- ner frommen Mutter, weldye zunähft am Stamme rubten, hatten ſich noch verſchiedene andere Niederroß⸗ (ner, denen e8 gelungen war, eme ziemlich vielgras dige Verwandtſchaft mit Peter Drollinger’s ſeliger Wittwe ausfindig zu machen, unter dem Schatten des hoffnungsvollen Erbſchaftsbaums gelagert.

Unter der ſo urplötzlich, wie nach einem warmen Gewitterregen aus der Erde hervorgewachſenen Vet⸗ terſchaft, die vor dem ſtadtgerichtlichen Proclam keine Ahnung von ihrer gegenſeitigen Exiſtenz gehabt, und fih deshalb jest einander ganz erftaunt anfah, that fi) der Wirth zur Stadt Magpeburg, Athanafins Lagemann, am lauteften hervor. Er kam feit dem breiundzwanzigften April wenig mehr nach Haufe, und ſchwur auf allen Schenfftätten und Kreuzwegen, unbefümmert, ob es Jemand zu wiſſen wünfche ober nit, daß ihn mit dem feligen Peter eine feltene Seelenharmonie verbunden; er habe feinen ganzen Pfeifenbedarf von dem Drollinger entnommen, wel- her letttere die Pipen bei ihm abgetrunfen. Nichts fei rührender geweſen als biefe Freundſchaft; fie fei zum Spridwort geworben in der Nachbarſchaft umd felbft dem Pöbel aufgefallen, welcher feine Verwun⸗ derung unverhofen in den Worten: „ſolche Saufbrü- der kommen ſobald nicht wieder, ausgefprochen, ob= ſchon hierunter nur ein gemeinihaftliher Schnaps zu verſtehen geweſen. Diefe Treue belohne fih jest; er hoffe von dem dankbaren Sohne im Teftamente ge: bübrend bedacht zu fein, denn Balthafar habe um

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die rührenne Freundſchaft feines Vaters Kenntnif gehabt.

Nicht weniger Hoffnung auf ein gefegnete® Ge— dächtniß im Kabul'ſchen Teſtamente machte fih Frau Urſula, verwittwete Glaſermeiſterin Kluge; deren Mut- ter der fiebzehnjährige Balthaſar vor ſeinem Davon⸗ laufen, wahrſcheinlich aus vetterlicher Aufmerkſamkeit, bedeutend den Hof gemacht, und dabei zugleich ihren Hof an all ſeinen Wänden mit kühnen Pinſelſtrichen bereichert hatte.

Dergleichen roſenrothe Jugenderinnerungen, erklärte auch Frau Urſula mit pſycholegiſchem Scharfblick, ver- gäßen fih auf dem Sterbebette nit, und habe Herr - Haffan-ben-Mullah einmal an Niederroßla gedacht, fo ftünde ihre Frau Mutter felig oben an.

Die drei Freier, welche vermalen mit Eifer am Zriumphwagen der jungen koketten Wittwe zogen, und wo jeder nadı Kräften bemüht war, ven andern vom Bode zu werfen und nöthigenfalls zu würgen, hörten ſolche Rede nicht ungern, obſchon fie im Chore ſchwuren und betheuerten, daß große Erbfchaft den Werth der Wittib und ihre Liebe zu derjelben nicht zu erhöhen vermöchte. Gleichwohl vernoppelten fie ihre Anftrengung, und jeder ftrebte aus Leibeskräften, Sologaul am Wagen zu werben. |

Große Hoffnung auf die Erbfchaft baute auch der Schaufpieldirector und SHelvenfpieler Hanno, welcher mit feiner ambulanten Truppe zufälliger Weile in Nieverroßla gaftirtee Er hatte fünf Weiber gehabt; wovon ihm drei geftorben und zwei davon gelaufen waren. In Folge des angeftrengteften Nachdenkens brachte er heraus, daß feine zweite werblichene Frau die Pfarrerswittwe Felicitas ‘Drollinger, bei welcher jein kleines, jett ebenfall® verftorbenes Töchterlein

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Amanda in die Stride gegangen, zuweilen Frau Muhme genamt. Hanno theilte dieſe erfreuliche Entvedung fofort dem Meubleur Hantufh mit, be welchem er feine einzige Walddecoration verfeßt hatte, verwied auf die aflatifhe Erbſchaft und verlangte, daß jener den Wald herausgebe. Hantuſch war kein Sanguinifer, und jchüttelte über des Directors erb- Ihaftlihe Muthmaßungen ungläubig ven viden Kopf. Hanno führte indeß das „rau Muhme” dem Zweif- ler ernftlih zu Gemüth, fo dag Hantnſch Einfehen befam und die Decoration bis zur Teftamentseräff- nung aus dem Arreft gab. ‘Dem Director fam dies ſehr gelegen, und er konnte nun den Wald bei Her- mannftadt, ein Kaſſenſtück, in Scene fegen, wie er längft gewünſcht.

Ein andermeitiger Niederroßlaer, welcher auf die Erbſchaft ſpeculirte, aber ruhig und ohne Leidenſchaft, war ber Factor in ber Buchdruckerei, Herr Süßemild mit Namen, ein langer, dünner, fteifer, blafler und femmelblonver Knabe in den mittlern Dierzigern. Seine Anſprüche waren nicht meiter her, als die des Lagemann, der Klugin und des Hanno; darım fagte er gelafien: „wir warten es ab.’

Wir kommen jest zum legten Erpectanten, dem Magifter Betterlein, Quartus an der Stadtſchule, einem Heinen drolligen Männchen, der in feinen jun- gen Jahren Frankreich, die Schweiz und Oberitalien bereift und nun bereits feit dreißig Jahren von dem Ertrage diefer Reife zehrte. Dreißig Jahre lang er- zählte er in Nieverroßla von feinen ehemaligen Wan- derungen und war nod immer nicht zu Ende, denn fo wie e8 das Gefpräh einigermaßen gab, fam er darauf zurüd. Daffelbe war der Fall, ald Nummer 16 des Wochenblatts viel Stoff zur Unterhaltung gab.

Ark

[|

„Ein curiofer Fall,“ ſprach der Kleine, „als ich eines Tags von Montpellier nad) Marſeille wanverte,

‚teaf ih mit einem Handwerksburſchen zufammen, ver

mir von einer ähnlichen Erbſchaft in feiner Familie erzählte. Es wäre übrigens gar nicht fo übel, wenn fih einmal eine ſolche aſiatiſche Lachtaube in unferm guten Niederroßla nieverließ und goldne Eier legte; namentlih wär's den armen Schulleuten zu gönnen.‘

Eifenbeigen’8 Menfchen- und Nächftenliebe vergaß ſich am dreiundzwanzigften April nad Tiſche jo weit, daß er feinem Schreiber, nachdem er den mundirten Pachtcontract überflogen und belobt, für heute Yeier-

‚abend gab, obſchon die Uhr erft auf Nachmittag halb

Bier wies.

„Dan bearbeite die Frau Mama,” gab er dem Samaliel auf ven Weg, „vaß fie fih von ihrem Rechte nichts wergiebt; feine Hand breit; das india- niſche Vogelneſt fann ihr nicht entgehen mit Rumpf und Stiel, fein Federchen darf fehlen, oder e8 müßte feine Gerechtigkeit hienieden geben; fo viel fag’ id).

„Mebrigens verliere man nicht Kopf und Herz,“ fuhr der alte Praftitus fort, „wenn Aliens Schäße blinfen, man wolle nicht verfhwigen um Taumel bes Wohllebend, daß ich es zeither war, der Brot gab.”

„9, nimmer, nimmer,‘ betbeuerte Gamaliel; jein janftes Auge ſchwamm in Wonne und das Herz wur voll von Freude und Frühling.

„Dan hat manchen Bod geſchoſſen,“ meinte Ei— jenbeiß, „ich nahm's nicht genau; Dankbarkeit it eine hriftlihe Tugend, man ergebe fich im Freien, ed ift noch früh am Zage, die Jahreszeit paſſabel; Trühlingswind ſtimmt die Bruſt gelinde und ermun- tert das Herz zu dankbaren Gefühlen; ich muß mich nod) plagen.‘

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Das fchmerzte Gamaliel, er bat, daß es ihm er- laubt jet, fih auch mit zu plagen.

‚ein,‘ erwieberte der Alte, „man laufe fi ein- mal aus, Bergluft erfrifcht das Blut, macht die Glie— der gelenkig, jtärkt die Geſundheit; man wird mir's in fpätern Zeiten noch danken.“

Dem Oamaliel, welchem Alles, was der Doctor Eiſenbeiß ſprach, Befehl war, eilte fehg und leicht, obſchon er Hundert Himmel in der Bruft trug, dem Thore zu. Für den Glüdlichen ift Einſamkeit wohl: thätig; die Nachmittagsferien konnten dem Schreiber daher nicht gelegener kommen.

Schon blidte die Frühling athmende Landſchaft durh den Thortunnel, die Lerchen da draußen fangen fo. verheißend, al8 ein Gedanke ven Yüngling am Rod- fragen padte und ftehen hieß: e8 war der Gedanke an Felicitas. Gamaliel hatte mit der Guten über bie Erbſchaftsangelegenheit noch mit feiner Silbe geſprochen. Der Pachtcontract hielt ihn feit der frühften Morgen ſtunde am Pulie feit. „Dem Doctor, ſprach der gute Eohn für fi, „wird's nichts verfchlagen, wenn ich jpäter venne und vorher mit der Mutter Rückſprache nehme. Ich kann die Freudenlaſt allein fo nicht fort: bringen, und muß ein paar Kiften Goloperlen abwer- fen der Mutter in's Haus.”

Je länger er darüber nachſann, deſto vechtichaffner erfchien ihm viele Anfiht. Sie fiegte auch und er ſchwenkte vermittelft eined Quergäßchens links vom Trühlinge ab und ftürmte nad) der Wachsbleiche, fo hieß die Häuferreihe, wo Yelicitas beim Horndrechsler BZiegenbalg, einem gottesfürdhtigen Manne, zur Miethe wohnte. Auf dem Wege dahin hatte ver Schreiber viel Freudigerſtickendes auszuftehen. ‘Da die Straßen- pflafterung in Nieverrofla nie recht gedeihen wollte,

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jo hatte Gamaliel zu ſchwimmen und zu waten. Der halbe Winter lag überall noch im Wege und befand ſich eben noch in völliger Auflöfung. Unfer Held jah fi) daher genöthigt, wie ein verfolgter Gemsbock von einem trodnen Fledchen zum andern zu fpringen. Da- bei warb er häufig begratulixt wie am Neujahrstage, was viel Aufenthalt und viel haflige Freude verur- ſachte. Bei der Nidels-, eigentlich Nikolaikirche, ſtak er eben bis an die Waden im Morafte und würde vielleicht einem fanften Fluche freien Lauf gelafjen haben, hätte er ſich nicht in fo heiliger Nähe des Gotteshau- je8 befunden, als er plößlid) fogar vom Himmel herab angerevet ward. Er fehaute aufwärts und entvedte ben Kopf des Calcanten und Pulfanten Schnuphafe, der aus einem Schalllohe bes Thurmes herab gratu- lirte und den Segen fprad).

„Das Poẽem kommt morgen in Arbeit, verhieß Schnuphafe, der bei jedem freudigen Ereigniß, fo einem Nieverroßlaer paffirte, mit einem Carmen vorfuhr. „Aber jagen Sie mir, gefhägter Herr Drollinger, wie Ihr edler Herr Vetter nah Kabul avancirt ift und überdies nad) Hof? Er wird doch der Augsburgijchen Confeffion treu geblieben fein ? Was meinen Sie, Herr Drollinger ? Der Herr Superintendent ſoll heut Mit- tag bei dem „Haſſan-ben-Mullah“ jehr nachdenklich mit dem Kopfe geſchüttelt haben.“

Gamaliel ward durdy diefe Rede in üble Lage ver- ſetzt. Während er mit den Füßen immer tiefer in den Sumpf fant, follte er nah dem Schallloche hinauf dem lauſchenden Calcanten die Glaubensfeftigkeit feines Betters außer Zweifel ftellen.

Er ſprach mit Wärme über den Zeftator, den er nur nad den Ausfagen feiner Mutter kannte und be= ruhigte Schnuphafen und ſich durch die Worte, daß

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bei dem künſtleriſchen Hofmaler ein Renegatenthum nicht denkbar, noch viel weniger glaubbar je. Es würde ihn dann ein böfes Gewiſſen ficher nicht an das chriftlich = proteftantifche Niederroßla in feinem leß- ten Willen, welches ja Fein egoiftiicher, fonvern ein moralifher und heiliger fei, haben denken lajien.

Schnuphaſe, weldem viefer Grund einleuchtete, nidte Beifall aus der Höhe und zog den Kopf zurüd; Gamaliel that dafjelbe mit feinen zwei Füßen, die er wie Delmübhlenjtampfer aus dem Sumpfe hob, und begann wieder zu jpringen, ver Wachöbleiche zu.

Er wollte jo eben mit ſtürmendem Herzen in die Stube und der Mutter um den Hals fallen, als er den Zugang zu dem Gegenftande feiner Zärtlichkeit durch nicht weniger denn ein Dutend theilnehmender Nachbarinnen verrammelt fand, die fi ſämmtlich aus Theilnahme für das freudige Geſchick der Wittwe Drollinger, obſchon es Sonnabend war, zum Kaffee eingeladen hatten. Mit Zaubenfanftmuth ſaß Telici- tas inmitten der geſprächigen Nachbarſchaft und theilte

der gefräßigen weiblichen Neugier, welche jedes Wort vom Munde wegichnappte, die fchon zehnfach wieder: holten dürftigen biographiſchen Notizen über den Hof: maler mit; wie derſelbe fie und ihren jeligen Mann in Ringethat beſucht, ehe er in die weite Welt ge— gangen, und ſich mehre Tage bei ihnen aufgehalten habe. Seit jener Zeit ſei ihr aber nicht die geringſte Nachricht von ihm wieder zu Ohren gekommen, ſo daß ſie ihn endlich als todt betrauert. Das Schönſte aber hierbei, wie ſie dem Lehrling ihren einzigen treu bewahrten Sparducaten auf den Weg gegeben und ihm gerathen, nicht wieder zum Beutler zurüdzufeh- ven, fondern fein Glück im Zeichnen zu verſuchen, und ihm für, diefen Zwed einen Empfehlungsbriet an canen

Stolle, fämmtl. Schriften. XVII. 2

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entfernt verwandten Seichnenlehrer in der Stadt über- macht, verichwieg fi.

Der weibliche Convent fand fi durch dergleichen wenig erichöpfenden Mittheilungen nicht ganz beruhigt und erging ſich in Hypotheſen, wie der davon gelau- fene Beutlerlehrling nah Kabul gefommen und Hof- maler geworben; eine Frage, welche halb Niederrofla, den Bürgermeifter und den Genat nicht ausgenom⸗ men, mehre Nächte lang unruhige Träume machte.

Der gute Sohn, als er „piefe Fülle der Ge- ſchichte“ erfchaute, prallte erfchredt zurüd und fuhr in die Kühe, wo er nah Bürſte und Wichfe ſuchte. Während er mit erfterer verzweifelt hin und wieder fuhr und fi wieder auf glänzenden Fuß zu feten bemüht war, burdzudten Freudenblitze fein Gehirn und Herz. Der weiblihe Senatusfrequend am Scheu— ertage fchien ihm von vorzüglicher Vorbedeutung. . Die Nahbarinnen waren ihm jammt und ſonders Sybillen, welche Segen und Freude prophezeiten.

„Es fällt gewiß außer dem Sonntagsrddchen noch was ab,” fprad er wichfend und Treudentropfen fie- len aus den blauen Wunderaugen; er gedachte der mit Armuth kämpfenden Mutter. „Es find ja die angefehenften Frauen drinnen,” fuhr er fort, „pie kom⸗ men nicht wegen einer Bagatelle.“

Während Gamaliel in der Küche wichfte und weinte, ging’8 über ihn her im Frauencolleg, chrift- lich und liebreich. Sein plößliches Erſcheinen und Verſchwinden hatte die Aufmerkſamkeit auf ihn gelenkt und die Rede auf ihn gebracht. Man überfahb dem boffnungsreihen Erben menfchenfreundlih das fahrige Weſen und ließ feiner madonnenhaften Schöne gebüh- vende Anerkennung wiverfahren. Wir biejenigen, wel-

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hen heirathbare Töchter zu Haufe ſaßen, war der

Sohn der Wittwe Ideal. Felicitas jelbft athmete in ſtiller Mutterfeligfeit das Lob des Sohnes ein und pries fein Herz unparteilih und wahr.

Gamaliel war unterdeß mit feiner Parterretoilette zu Stande, er hätte, was den Glanz feiner Stiefeln anlangte, als Hufarenrittmeifter oder als Küraffier getroft auf dem Hofballe ericheinen künnen. Er ftedte jest den Kopf vorfihtig in die Röhre des Kochofeng, welcher zugleih die Stube wärmte, um heraus zu befommen, ob vie weiblihe Nachbarfchaft feine An— ftalt treffe, in den Schooß ihrer refpectiwen Familien zurüdgufehren, aber das unaufhörlihe Taſſengeklirr ließ ſobald an feinen Aufbruch venfen und die gejel- fige Unterhaltung war noch im beften Gange.

„Diefe Kaffeegeſchichte,“ ſprach er, behutſam ſei⸗ nen Himmelsglobus aus dem Krater zurückziehend, „kommt mir eigentlich fatal, obſchon er von frohſter Vorbedeutung iſt. Ich läge gern an ihrer klopfenden Bruſt und wir bauten Luftſchlöſſer, himmelhoch. Ich will noch bis hundert zählen, wenn die Nachbarſchaft bis dahin das Feld nicht räumt, lauf' ich ohn' Wei- teres in die Berge und unter Die Lerchen, nah Ei- ſenbeißen's Wunſch und Gebot.“

Gamaliel war mit hundert zu Ende und gab noch funfzig zu; aber vie Kaffeenifite dachte an feinen Auf- bruch. Er ward ungeduldig und machte fid) marjch-

„Sin Weiberdiskur ift ſobald nicht tobt zu ma- hen, fprad) er, „das Mühlenwerf treibt noch Iuftig und id) kann die halbe Welt umlaufen, ehe die zur Ruhe und nah Haufe kommen.‘

Er vrüdte die Thür in's Schloß und wollte fo eben durch das Hinterthor, welches durch gan arten

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nah ven Bergen führte, die Flucht ergreifen, ald ihm Felicitas, welche, um ihn zu fuchen, auf einen Au- genblid vie Gejellihaft verlaſſen hatte, entgegentrat.

‚Ad, Mutter!” war ver einzige Ausruf, mit wel- chem Gamafiel der Geliebten an’e Herz eilte.

Felicitas ſprach fanft und ruhig: „Mein guter Sohn, überlag Did nicht zu fehr einer Hoffnung, die eben jo leicht zerfließen kann, als fie vielleicht trügend aufgeftiegen iſt.“

„Beſtes Mutterchen,“ ſchwur der Glückliche, „va ſteckt was dahinter, vielleicht viel, ach viel; ver Doc⸗ tor (Eiſenbeiß nämlich) ſagt's auch. Cr meint, Eng- land befaſſe ſich nicht mit Lappalien. ‚Mutter, Mut⸗ ter, Du wirſt wieder glücklich werden.“

„Bin ih denn nicht glüdlih, wenn Gama gut bleibt und mid, immer liebt?“ frug Felicitas, ven ſchönen Sohn mit Mutterſeligkeit anblickend, „gleich⸗ wohl will ich gern geſtehen, daß es mir große Freude machen würde, wenn der Himmel uns, wenn auch

nm eine ffeine Gabe, beſcheerte Tu könnteſt Dir vielleicht manch' gutes Buch kaufen, was ich ſo wünſche.“

„Erſt ein Sonntagsröckchen, Mutterchen,“ eiferte der Schreiber.

„Aber willſt Du nicht mit in die Stube kommen? Man hat Dich einmal geſehen und ed war viel Nach— frage nah Dir.“

Samaliel, ver fib bei diefem Berlangen wie ein wildes Thier vorfam, das vor eine glänzenve und ftaunende Verfammlung geführt werben jollte, hob beſchwörend alle zehn Finger in die Höhe, indem er zugleid auf Eiſenbeißen's Urlaub und Wunſch pochte, der ihn in die Berge trieb.

Felicitas, welche ihren Sohn kannte, lächelte und

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brang nicht weiter in ihn, ermahnte ihn nur, zum Abendſüppchen wieder da zu fein, wo fie auch ein Glas Glühwein bereit halten wollte.

„Du biſt und bleibft meine Engelsmutter,” jubelte Gamaliel, „aber jetzt leb’ wohl, damit ich nod ein Stüd Eonne erhaſche; fie kann nicht mehr hoch über den Bergen ftehen.‘

Er ftürmte fort und Felicitas kehrte nach bem Kaffeezimmer zurüd.

Zweites Kapitel.

Use grünen Knospen hing die Abendfonne, ein leuchtender Gedanke Gottes in der ſchönen Welt. Der blaue Fluß athmete leicht und heiter durch das früh- lingſchauernde Thal. Seine Haren Wellen drängten fofend und nedend gegen bie weichen ſchwellenden Ufer. Ueberall brach es he.vor golden und grün. Die Luft war ftill und mild; aus den erwärmten Wiejenboden blickte hier und da ein blaues Veilchen oder Crocusglöckchen; Lerchengeſang durchklang den blauen Himmel.

Gamaliel wallfahrtete den Fluß zur Rechten in die nahen Abendberge, hinter welchen die Besper glocke eines naheliegenden Dorfs den morgenden Sonn= tag verkündete. Er blieb oft ſtehen und ſchaute vom Uferrande in die weichen ſtillen Wellen, in denen ſich das hohe Ufergras und fno8penfchtellendes Erlenge- büſch wieberfpiegelte.

Der Menfh ift erft dann Menfh im ſchönen

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Sinne diefed Worts, und Gott und der Natur und

feiner wahrhaft werth, wenn er gefund, die Bruft

vol Frieden, ven Bli beruhigt auf der Welt ruhen läßt. Verklärt dann noch eine heilige Freude fein Herz, fo entfchwebt er bereits der Erde und die Räth- jel des Lebens beginnen ſich zu löſen. Die Liebe trägt ihn empor, der Glaube wird zur überzeugenden Ge— wißheit, die von dem Gebraufe des Lebes übertäub- ten Wahrheiten tönen wie Glocken ſchönrer Welten an das geiftige Ohr und er ift eine Zeit lang für geftorben zu betrachten. Diefer Zuſtand würde für immer - fortvauern und in erhöhterm Grade, wenn in folhen Augenbliden die Todeshand leife die Bruft berührte und das irdiſche Herz ftillftehen ließ, damit das himmlische freier pulfire. Der Menſch kann aber eine anfehnlihe Dofis Himmelsfreude, jo wie viel Ervenleid ertragen, ohne daran zu ſterben; doc bringt er von folder Sternenfahrt tet? einen Straus himm= lifcher Blumen’ mit, deren Duft ihn noch lange unter den feuchten Wolkenſchatten und Erdſchollen erquiden und bie ihn nicht zu Schanden werden lafjen im irdifhen Gomorrha. Aehnliche Ausbeute gewährt ſchon eine Flucht in die Einfamfeit, wenn's dem Flüdht- ling nämlih wahrer Emft um die Einſamkeit ift, theils um fih die Wunden, die er in der Yebens- Thlaht erhalten, zu verbinden und Balfam zu fam- meln für die Heilung, theild um als forgjamer Haus vater mit feiner verjchiedenen Inwohnerſchaft Rechnung abzufchließen. Jever Menſch trägt ſein Bethanien in fih, wo er den Bater und den Sohn finden und jpredhen kann, er mag fchulobelaftet oder im weißen Gewande der Unſchuld, heiteren oder weinenden Her- zend eintreten; doch wird der Vater der Liebe den Schuldbelaſteten und Weinenden eher vorlaflen. Nur

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das Herz felber muß der Menſch mitbringen, jonft wird er erftens fein Bethanien, ſondern ein Schirke und Elend oder gar eine Löwenhöhle, und zweitens feinen Vater und drittens feinen Sohn finden. Es entfchuldige fich übrigens Niemand, er fet Hausbe- figer oder Miethbewohner oder Aftermiether, daß im Logis fein Ort zu haben zur ftillen Einkehr, oder daß die Gefellen und Lehrburſchen zu jehr hämmer- ten und Mägde und Kinder rumorten. Er ſuche nur und er wird finden, Bethanien ift für den wahrhaft Suchenden näher als. die Kirche, in weldhe er gepfarrt ift, und ein einfach Gebet kann zum Abendmahle werben.

Gamaliel wandelte wie jeder Menſch zwiſchen Him- mel und Erde, am Knospen umhangenen Loffaufer; nur daß ihm der Himmel ein folder auch war und die Erde die Vorhalle. Die Schatten der Abenb- berge lagen weit im Thale dahin. Schon wateten feine Füße im Dunkel, während Bruft und Kopf noch flammeumflofjen emporragten. Er begann jett zu galoppiren, um die einige hundert Schritte entfernte Marienhöhe zu erreihen, von wo er fchon oft einfa= mer Zeuge des Sonnenuntergang® gewefen war.

„Eine junge Mutter, den Säugling im Arm, einen Regenbogen, einen Sonnenuntergang, einen Veſuvaus⸗ bruh mit dem Buſen von Neapel, die Alpen, die Nordſee, die Dresoner Gallerie, die Pyramiden, einen amerifanifchen Urwald, den Syrius, die Petersfirche, das find alles Dinge,“ ſprach Gamaliel oft zu fich, „die man nicht oft genug fehen kann.“

Es gefiel ihm daher feine andre Bank, die Ofen- bank in Winterabenvden nicht ausgenommen, mehr, als die einfache Bretbanf, welde am Stamme des alten Lindenbaums auf der Marienhöhe zur Beobachtung des Sonnenuntergang ſehr zweckmäßig angebradt

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war. Man konnte von hier ſitzend und mit dem Rücken an den Lindenſtamm gelehnt, das glänzende Schauſpiel auf das Bequemſte mit anſehen, ohne daß man einen Kreuzer Sitz- und Sehgeld zu entrichten gezwungen gewejen wäre, obſchon eine blecherne Büchſe mit der Weberfchrift: „Zur PVerfchönerung der Ma— rienhöhe” oberhalb des ehrwürbigen Baums angena= gelt war.

Gamaliel hatte e8 feinem Galopp zu verdanfen, daß er gerade auf dem Belvedere anlangte, al$ die - Sonne untergehen wollte Er war fo erfreut bar- über, daß er mit bloßem ‘Dank diesmal nicht durch— zufommen fürdhtete und fi zu Leiſtungen verpflichtet hielt. Demzufolge rollte, gleihfam als Sonnenopfer, der Kreuzer für das morgende Frühſtücksbrotchen in die Verſchönerungsbüchſe. Er fiel tief, und der Fall Hang hohl, ein Zeichen, daß bie zeitherigen Beſucher der Höhe nicht eben rothſchildmäßig ſich aufgeführt hatten, welches Gamaliel ſchmerzte.

Für ſeinen Kreuzer genoß aber der leutſelige Geber eins der großartigſten und koſtbarſten Schauſpiele, das dem Menſchenauge und. Menſchengeiſte vorgeführt wer- den kann. Die Sonne ging hinter einer mit Birken bewachſenen Anhöhe unter, die erſt vorige Nacht in Folge eines warmen Gewitterregens mit dem erſten zarten Grün war bekleidet worden, und verſank ſo unter Lerchengeſang und Abendlauten in das jung- fräulichite Brautbett. Es gewährte einen hinmlifchen Anblid, wie der frifhgrüne Birkenwald immer gold- ner wurde und im euer aufzugeben fehlen, und wie die untergehende Sonne ihr Ylammengewand über ſämmtliche Abendberge breitete.

„So ſtirbt ein großer Menſch,“ ſprach Gamaliel, deſſen holdſeliges Antlitz in Einem fort nach Abend

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ſchaute, „er ſcheidet, wie er gelebt, groß, herrlich und ftil, um einer neuen Welt als Morgenſonne aufzu- gehen.“

Der Rofaduft der geftorbenen Blume durchzog aber noch lange den blauen großen Dom; immer tiefer binter die Berge ſank ver leuchtende Tag und bie leis nachſchleichende Nacht warf einen Flor nad dem antern über den letzten rothen Saum der Abenpberge. Dämmerung hüllte. Flur und Wald in geheimnißrei« ches Dunkel, und der Abenpftern, welcher fhon im bleihen Mantel der Abenpröche ſchwach gefchimmert hatte, trat fiegend hervor.

„Die Welt,” fuhr Gamaliel auf feiner Breter- bank fort, „kann eigentlich gar nicht herrlicher einge: richtet fein als fie es ift. Kaum hat uns das ftrah- lende Tagsgeſtirn verlaffen, fo bredien neue Erben und Sonnen aus dem Weltenabgrunde empor, und verfünden die Allmacht Gottes überzeugenver als ver blendende Tag. Mit dem Menfchen ift e8 ebenfo. Erft nad dem Sonnenuntergange des Lebens treten die Sterne der Unfterblichkeit in himmliſcher Schöne hervor, und erleuchten freudig und glaubenshell das Schattenthal des Todes. Ich begreife daher nicht, wie der Menſch, jo er nicht gemüthskrank oder bös, und als leßterer ift er auch nur franf und fann und wird gefunden, ven Tod fo kohlſchwarz, erpfahl und knochen— beinig finden kann, daß ver Gedanke daran ihm fchon Zittern und Zähneflappern erregt. Das fid) abängfti- gende Bolf ſollte doch mr aufpajjen und einfehen | lernen, wie der liebe Gott Alles aufbietet, die Yebens- fuftigen an das Sterben zu gewöhnen; er läßt jie alle Abende einfchlafen und den nächſten Morgen neu- geftärft und Iuftig aus dem Bette |pringen. Wenn der Tod bequemer eingerichtet wäre, als er es ift, fo

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würde das Ervenland über furz over lang eine Wüſte werden, und jeder Schuljunge nad erhaltener Kopf- nuß das Zeitliche abjchütteln und verklärt den Ster⸗ nen zuſchweben.“

Gamaliel philoſophirte noch geraume Zeit, wäh- rend der Sternenhimmel fidy über ihn immer pradt- voller aufſchloß. Die Luft z0g frühlingswarm über die Berge und die ſchlummernden Knospen.

„Ich wünſcht', ich wäre ein Keim,” fuhr der Phi— lofoph fort, „und könnte morgen früh, wenn bie Sonne über die Berge .teigt, hervorbrehen und die Herzblättchen auseinanderfalten im Schöpfungsfaal. Die Sonne und der blaue Himmel muß fi prächtig ausnehmen nad) der langen Winternadht in feuchter Erve. Auch eine Lerche möcht” ich jein, die fieht Alles von Oben mit an, oder die grüne Fichte auf hohem Gebirg’, oder die Alpenblume, oder die demantreine Duelle, die aus ummaldetem Felögeftein bricht und viele8 Andere. Vor der Hand danf ih aber dem lieben Gott von Herzen, daß ich bin, wozu er mid) gemacht hat.” Er gedachte bier an feine Mutter, an die Erbfchaft und an ven Slithwein, der ihn zu Haufe erwartete,

„Wenn der Glühwein nicht wäre,‘ meinte der Schrei- ber, „und die erbfchaftlichen Angelegenheiten, jo weiß ih nicht, ob ich nicht noch ein halb Stündchen hier figen bliebe und dem finfenden Abenpftern zufchaute; ih habe ihn lange nicht in foldher Pracht geſehen.“

Samaliel war jegt aufgeftanden und überjchweifte nochmals die int Dunkel ruhende Erde, auf welde ver reihe Sternenhimmel herabſchaute.

„Das muß ein außerordentlicher Frühling werben,“ ſprach der Yüngling, indem er den Heimweg antrat, „wenn die warme Witterung anhält, ift in ein paar

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Tagen Alles grün, fo weit das Auge reiht, die Knos— pen liegen ellendid auf Berg und Thal. Ich laufe dann fiher alle Tage in's Weite und nehme Mutter- hen mit. Unterdeß löſt ver weife Kath die Erb- Ichaftsfiegel, und da fällt gewiß Etwas ab. Ich darf nicht recht darüber nachdenken, wie das jchön werden kann. Man hat mit dem Frühling vollauf zu thun und erbichaftet dazu. Ich werde den lieben Gott bit- ten, daß er mir tragen hilft oder die Schultern recht kräftig macht, damit ich unter der Laft nicht erliege. „Wenn nur von der afiatifchen Hinterlafienfchaft bes guten Onkels nad) Abzug der Sportuln, des mütterlihen Sonntagskleidchens jo viel übrig bliebe, rechnete Gamaliel auf dem Heimmege, „daß ich den Matthiſſon und Stein's Erdbeſchreibung an mid) bringen könnte. In der Geographie war ih vom jeher fein Held; jo kann man mic umbringen, ih weiß nicht zu fügen, wo das gefegnete Kabul liegt, ob es ein Königreih oder Kaiſerthum, ob man dafelbft einen einzigen Gott anbetet oder mehre, und ob daſelbſt die Menjchheit in Kaftanen oder Oberröden und Fracks einherfchreitet.. Ich will nicht ſchlimm denken von mei- nem Nächſten, aber ich glaube, der Herr Bürgermeifter ſchwebt hierüber gleichfalls im Dufter, und ift die Frage, ob es Eifenbeiß weiß. Alfo eine emfichtsoolle Geo— graphie paßte ſchon lange für meine Umſtände. Sie war feit je ein „tiefgefühltes Bedürfniß“ für mid, wie die Herren Buchhändler in ihren Bekanntmachungen zu jagen pflegen. Mit Matthiffon’& herrlihen Ge— dichten ift ein Gleiches der Fal. Mit ihnen muß fi) der Frühling noch einmal fo ſchön durchleben laf- jen. Ich werde mic gern mit der fleinen Ausgabe begnügen, die nicht zu theuer if. Für zwanzig gute Groſchen erhält man den ganzen reihen Strauß Ge—

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dichtblumen fammt fauberm Titelblatt und Inhalts— verzeihnig. Es ift doch was Schönes um die Buch— druderfunft. Sollte Kabul was Erkleckliches abwerfen, würde vielleicht gar zum erften Bande der Schiller'- ſchen Gedichte Rath, ven zweiten befitt die Mutter noch aus der Hinterlaffenfchaft des guten Vaters. Ei, wollt’ id) dann der Felicitas vorlefen, Sie hört gar zu gern wad Schönes. Auch der Vater hat ihr ehe- dem oft vorgelefen in Ringethal, wie fie mir erzählt. Dod nicht unbefcheiden will id) in meinen Wünſchen fein; wenn's nur vor der Hand den’ Stein abwirft, Matthiffon und Schiller bleiben dann für fpätere Zei- ten. Man muß nicht Alles auf einmal haben.“ |

Samaliel zog, einen Sternenhimmel über ſich und einen zweiten in der Bruft, jubelnd durch's Thor, und erreichte wohlgemuth die Parterrewohnung feiner Mut: ter. Borfichtig laufchte er zuvor an den gejchlofjenen Fenſterläden, ob ſich nicht eine der nachmittäglichen Kaffeetauben noch verhalten und der guten Mutter in die Ohren girre. Aber fie fchienen fänmtlic nad) ihren Neftern zurückgekehrt; es war ftill und dem Schreiber fiel ein großer Stein vom Herzen. Er ftürmte nun ſelbſt mit großer Haft in's mütterliche

.Neſt. Der Glühweinduft durchzog würzig das rein-

liche Stübchen, und verfette den intretenden in Eckſtaſe.

„Mütterchen,“ betheuerte er, „es funkelt über dem Dache eine Sternenwelt, um die uns die Engel im Himmel beneiden müſſen, aber, erzähle mir jetzt vor allen Dingen ebenfalls von Balthaſern und ſag' mir, wo Kabul liegt und welche Verfaſſung dieſes Fand hat. Ju unferm geographiſchen Kalender ſteht kein Wort darüber, das weiß ich, ſonſt wüßt' ich's. Uebri— gens kann ich mich, bei Licht beſehen, ich hatte an

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dieſen Fall gar nicht gedacht, über die. Erbſchaft nicht einmal recht freuen; es ift eine wahrhaft üble Ein- rihtung, daß bei einer Erbſchaft allemal Jemand zuvor gefterben fein muß; und diesmal noch dazu ein jo naher Verwandter.“

„Du baft vet, mein Gama,“ erwiederte Felici— tas, „auch hab’ ih mid nicht eben gefreut; ich hielt mir die Himmelsbotſchaft dagegen, wenn ver Bal- tbafar ſelbſt plötzlich heimgekehrt wäre nad) Nieder- roßla. So ift er gejtorben unter fremden Menſchen, im fernen Alien, in der Blüthe feiner Jahre, und hat noch im Tode unfrer liebend gedacht.“

Gamaliel trodnete ſich eine Thräne; die Mutter fuhr fort: „Sch fehe ihn noch vor mir den jungen hübfchen Burfchen mit dein weichen geringelten Haar und den heitern, muthigblidenden Augen, wie er, das NRänzlein auf dem Rüden, Abfchied nahm, und dahin wanderte die alte Kaftanienallee, und immer ftehen blieb und zurüdblidte und mit dem blauen Tafchen- tüchlein Lebewohl winfte, bis er hinter einem blühen-

ben Weizenfelde verſchwand. Du warft damals erft” |

wenige Monate alt und lagſt nody in der Wiege. Baltbafar konnte fih an Div nicht fatt fehen und ſchwur, wenn er's einmal zu etwas Reellem brächte, wollte er Alles mit Div theilen.‘

„Der Gute,” ſchluchzte Gamaliel, „o daß er lebte, wie wollt’ ich ihm lieben. Was helfen jet alle Reich— thümer Aſiens, da er ung feldft entrifien. Hat er denn auch gar nicht einmal gejchrieben ?‘

„gen eriten und legten Brief, erwiederte Felici— ta8, „erhielt ih aus der Reſidenz, wo ih ihn an einen geſchickten Zeichnenlehrer empfohlen hatte. Dort machte er die Belanntichaft eines Funftliebenden Eng: länder, dem er nad) Italien folgte. Seit diefer Zeit

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vernahm ich feine Silbe wieber, fo daß ich ihn ſchon längſt als tobt betrauerte. Hoffentlich ft es ihm aber, und namentlid in ven letten Jahren, recht wohl ergangen.

„Ach,“ meinte Gamaliel, „einen guten Menſchen kann es gar nicht bös ergehen, denn er hat ja ſtets den lieben Gott auf ſeiner Seite; aber Du haſt mich, Mutterchen, wirklich ganz traurig geſtimmt, und je mehr wir erben, um ſo wehmüthiger werde ich ſein.“

„Du mußt hier auch erwägen,“ verſetzte die ſanfte Mutter, „daß, wenn uns der fromme Wille des Heimgegangenen Etwas beſcheert haben ſollte, wir die Gabe eines guten Menſchen nicht mit Schmerzen empfangen, denn er wollte uns ja eine Freude damit bereiten. Uebrigeng, fügte fie lächelnd hinzu, „wird unſer Geſpräch faft fomifh, da es über eine Exb- Ihaft handelt, die wahtfcheinlih im Monde Tiegt. Wie ih dem feligen Balthafar in feiner Jugend fen- nen lernte, fo fehien er mir nit von dem Tempera— mente, Reichthümer anzuhäufen. Wir wollen uns da—⸗ her in unfern Erwartungen nicht zu hoch verſteigen und die Erbfchaftsangelegenheit ftil auf ſich beruhen laſſen. Hat uns der Himmel Etwas zugedadit, ei, wir nehmen es mit großem Danke; doch glaube ich, nod immer, daß der gute Balthafar, der fchon in feiner Jugend aus froher Laune und Luftigen Stüd- leins zufammengefeßt war und gar zu gern vie Leute nedte, fi) einen Scherz gemacht, um das gute Nie- berroßla, ‚dem er nie zugethan war, fo zu fagen in den April zu ſchicken.“

Gamaliel erblaßte, fein Erbſchaftshimmel mit fammt der Stein’fchen Geographie, dem Meatthiffon und Schiller, ſtürzten bet den mütterlihen Worten

plöglih zufammen; nur Eiſenbeißen's Ausfagen biel- ten ihn in Etwas aufrecht.

„Aber follte,” frug er, „das gewaltige England zu dergleichem Stüdlein feine Hand bieten?“

"Felicitas vieth, den Ausgang ruhig abzuwarten.

Der Sohn theilte jeßt des Doctors Anficht und

Kath mit, die Sache nicht auf die lange Bank zu Ihieben und auf Teftamentsöffnung anzutragen. » ‚Ren, mein Gama,” verfegte die Mutter, „wir wollen; nichts übereilen, jondern Alles ftil feinen Gang gehen laſſen. Je eifriger wir nad) dem bis jegt nur iheinbaren Glücke ftrebten, um fo niederſchlagender wärbe eine Enttäufhung und um fo größer der öffent- lihe Spott und die Schadenfreude fein.

Der Sohn nahm fi zwar bie mütterliche Rede zu Herzen, im Innern aber war er noch ftark im Glauben an die Erbſchaft. „Eifenbeiß,” ſprach er zu fih, „verfteht fi) auf folde Dinge, der würbe bie Sache lange nicht fo ernithaft genommen und mir bereit8 halb Pier Uhr Urlaub gegeben haben, wenn nichts dahinter ſtäke.“

Er begann alſo mit ziemlicher Hoffnungsfröhlid- feit, obſchon er ſich hütete, feine großen Entwürfe hinfichtlic) des Bücherankaufs der Mutter mitzuthei- . len, ven belebenden Glühwein zu fchlürfen, welchen ihm Felicitas darreichte. Da trat ihm aber, faum hatte.er eine halbe Taſſe hinunter,- das Herz wieder auf Die Junge, und er mar eben im Begriff, bie fühnften Luftjchlöffer auf dem noch uneröffneten Te— fiamente aufzubauen, als fid) die Thür öffnete und ber große Geograph von Niederrofla, der Gottesfa- fienvorfteher, Chriftian Henody, ein Bud, unter dem Arme, eintrat. Er nahm fofort auf dem bargebote- nen Stuhle Plot, und begann, die Geographie auf-

ſchlagend, in feiner ununterbrochenen eintünigen Re— bemeife:

„Es dürfte ſicher von außergewöhnlichem Intereſſe ſein, Etwas von den Forſchungen zu vernehmen, ſo ich über das aſiatiſche Staatengebiet Kabul, welches dermalen Alt und Jung außergewöhnlich beſchäftigt, angeſtellt, in Erfahrung zu bringen. Nach ange— ſtrengtem Studium und mühſamer Quellenforſchung iſt es mir gelungen, über beſagtes Kabul, auch Ka— buliſtan oder Afghaniſtan genannt, zu berichten wie folgt:

„Dieſes Königreich, ehedem zu Perſien gehörig, umfaßt einen Flächenraum von dreizehntauſend Qua— dratmeilen, iſt von hohen ſchneebedeckten Gebirgsket— ten durchzogen, von denen einige bie Höhe von zwan— zigtaufend Fuß erreichen. "Der Hauptfluß ift der In— bus. Es gibt zahlreihe Steppen, doch aud) viele fruchtbare üppige Gegenden, zahllofe Gärten, worin die orientaliihe Frucht⸗ und Blumenwelt in reicher Pracht gedeiht. Die Zahl der Eingebornen beläuft fih auf vierzehn Millionen, und fie find fehr ver- ſchiedenen Stammes, den Perſern und Hindus ver- wandt, theil® völlige Nomaden, theild® in Städten und Dörfern wohnend, und. Halbnomaden, die nur eine Zeit lang im Jahre umherziehen. Viehzucht und Aderbau find Hauptbefchäftigungen, doch finvet ſich in den Städten auch einiger Kunftfleig. Die Bewoh— ner find kriegeriſch, roh und räuberifh, aber gaftfrei, befcheiden, freimüthig und ohne Tüde, von Yarbe gelb und braun. Sehr merkwürdig ift alljährlich vie Regenzeit, Munfun geheißen, welde vier Monate dauert und das ganze Land überjchwenmt. Ihr Her: annahen wird dur große Wolfenmaflen angekündigt, welche dem indischen Ocean entfteigen, und je näher fle heraufkommen, immer ſchwärzer werben. Der

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Munfun tritt gewöhnlich während der Nacht ein und wird ſtets von einen furdhtbaren Ungewitter begleitet, wovon fid) derjenige, welcher viefelben Himmelserſchei⸗ nungen blos unter gemäßigten Himmelsftrichen ges wohnt ift, feine Borftellung zu machen im Stande it. Unter Sturmgeheul leuchten die Blite mehre Stunden lang ohne alle Unterbredung. Zuweilen er- hellen fie nur die Wolfen des nahen Horizent, doch plöglih enthüllen fie Die fernften Gebirge, während die zunächft gelegene Gegend von tiefer Nacht be- pet bleibt; doch im nächſten Augenblid fteht auch biefe wieder in jonnenhafter Berklärung. Der “Don ner rollt in Einem fort durch die fernen Gebirge, und wird nur zuweilen durch nähere Schläge über- täubt, welche das Ohr urplöglic mit fo furdhtbarem Krachen erfüllen, dag auch die unerfchrodenpfte Seele davon erjhättert wird. Endlich ſchweigt der Donner und man vernimmt nur nod dad Getöne des unauf- hörlich herabfallenven Regens und das Raufchen der anjchwellenden Ströme. Der folgende Tag gewährt einen traurigen Anblid. Der Regen ftürzt noch im— mer in Strömen nieder und verftattet faum den An- blick der verfinfterten Gefilde. Die Flüffe ſind ange- ſchwollen und getrübt, und reißen Zäune, Heden und die Meberbleibfel des Feldbaues mit fi) fort, den man während ver bürren Jahreszeit in den Betten getrie- ben hat. Nach einigen Tagen klärt fi) der Himmel auf, und wie dur einen Zauber umgeichaffen, bietet die Natur einen ganz veränderten Anblid dar. Bor dem Gewitter find die Felder rings verborrt, vers . brannt,; nirgends erblidt man ein grüne® Blatt; feine Wolfe unterbriht die vollfommenfte Reinheit des Himmels; der Dunſtkreis ift mit Staub geſchwän— gert,. wodurch -entfernte Gegenftände wie durch einen Stolle, fammtl. Schriften XVIT, 3

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Nebel, und die Sonne felbft trüb gefärbt erfcheinen. Glühende Luft, weht wie aus einem Ofen und erhigt Hk, Eifen, Steine felbft im Schatten zu einem außerorventlihen Grave. Unmittelbar vor dem Mun- fun tritt eine noch erftidendere Winpftille ein. Aber faum ift die erſte Heftigkeit des Gewitters vorüber, fo fieht man die Erde weit und breit mit üppigem Grün bevedt; die Flüffe ftrömen in prächtigen, ru= bigen Wellen. Die Luft ift rein und entzüdenp un dev Himmel mit malerifhen Wolfen gefhmüdt. Cs ift diefe Umwandlung, 'al® wenn man aud dem tiefften Winter plötzlich in den prachtvollſten Früh— ling träte.‘

Gamaliel war von der Befchreibung dieſer mor⸗ genländifchen Naturzauberei, welche der Gottesfaften- vorfteher aus einer alten Neifebejchreibung ableierte, fo bingerifien, daß er gar nicht bemerkte, wie ihm Henoh nad) und nah den ganzen Glühwein weg- trant, Er glühte ohnehin ſchon; die Flammen feiner Phantafie durchloderten fchöpferiich das Gehirn. Er malte ſich eine ſolche afghaniftiihe Gewitternacht in furchtbar ſchöner Pradt. Er fah die ferne Bergfette im GSilberlichte des Blitzes ftehen, vernahm vie erd— erfchütternden Donnerjchläge, das Raufchen des Re— gend, das MWogen der Ströme. Begeiftert umarmte er die gleichfall8 mit großem Intereſſe zuhörende Fe— licita8, indem er ausrief: „Mutterhen, jo etwas zu erleben, der glüdjelige Balthaſar!“

Der Gottesfaftenvorfteher, nachdem er den Reſt des Glühweins in feine Schale gegofjen und empfin= dungslos ausgefchlürft hatte, fuhr fort:

„Einen außergewöhnlichen Einprud follen aud) die Gebirge von Kabuliſtan gewähren, worüber es aljo heißt: Weit über hundert Meilen fchauen die Ge:

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birge Afghaniftans über die Länder. Weber ven ſchnee— bebedften Ketten ragen nod Pils von großer Höhe und Pracht empor, die mit erftaunenswürbiger Kühn- beit zu den Wolken ſtreben. Diefe mit ewigen Schnee bevedten Höhen, vie feierliche ungeftörte Ein- jamleit, und ber Gedanke, daß dieſe Berge von zahl: ofen Völlerſchaften gefehen werden, erfüllt das Ge— müth mit Bewunderung und einem Grftaunen, Das nicht zu befchreiben iſt.“

„Ih wollt's,“ plate der Schreiber heraus, feine Augen leuchteten und er begann zu befchreiben: „Seht wie fie glühen, einem Goldgebirge vergleichbar, über welches noch königliche Pyramiden leuchtend empor⸗ fteigen, obfehon die Sonne längft zur Ruhe gegangen und tiefe Schatten tie Palmenhaine und vie Blu: men in Gärten und Thälern decken. in warmer, blüthenfchwerer Frühlingsabend ruht über ber Sand- ſchaft, die einem arten Gottes vergleihbar , Die Strahlen der Abenpfonne durchziehen wie Glodentöne die Lilienbeete, die Rofenfelder; Bienen fummen in den weißen Orangenblüthen, und die Pfirfichbäume an Häufern und Geländern wollen fi verbluten. Hier und da wanbelt gottbefeligt die ſchöne ftille Geftalt eines Perferd durch das reihe Paradies und fchaut der ſcheidenden Sonne nad. Die Luft koſet mil, weich wie Seide über die Blumen, während leifer Donnerton, wie aus andern Welten kommend, von Zeit zu Zeit in den Frühling hereinbricht. Cs iſt der Donner der Lawinen, die in ben öftlichen Gebir⸗ gen ununterbrochen in rie Tiefen rollen.“

Felicitas reichte dem begeiſterten Seher und Spre- cher lächelnd die Hand, während Henoch unverdroſſen mit dem Theelöffel auf dem Ankergrunde des Glüh— weinfänndhens hin und wieberfuhr, um 1g ber letz⸗

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ten Feuchtigkeit zu bemächtigen. Er begriff nicht, was Gamaliel fo eigentlich ‚wollte, und beichloß, vef- fen Gefafel durch einige ruhige ftatiftifche Notizen ein Ziel zu jeßen.

„Die Hauptitadt Kabul, beganı er, nachven er fi von ver Unergiebigkeit des Kännchens - fattfam überzeugt hatte, „it .in einer höchft veizenden Thal: ebene am Fuße des Hindukuſch gelegen und zählt achtzigtaufend Einwohner. Die Stadt ift der Erd— beben wegen nur von Holz gebaut, wichtig aber ale einer der Haupthandelöpläge Aſiens, wo die verfchie- venften Nationen Vorder- und Hinterindiend zufan- mentreffen und unter dem Schube des Regenten, der hier wohnt, völlige Sicherheit und NReligionsfreiheit genießen. Der große Bazar befteht aus einer ſechs⸗ hundert Fuß langen und breißig Fuß kreiten Säu— lenhalle.“

„Himmel, ſo ein Bazar,“ rief Gamaliel wieder, „dieſer Reichthum, dieſe leuchtende Pracht, dieſe Per— len, dieſer Purpur, dieſe ſeidenen Stoffe, dieſe Shawls; Mutterchen, wenn ich einmal dahin komme, bringe ich Dir einen echten Shawl mit, um den Dich ganz Niederroßla und Umgegend beneiden ſoll.“

„Das ſoll mich freuen,“ ſcherzte Felicitas, „wenn Du nur ſchon dort wärſt.“

Der Gotteskaſtenvorſteher hielt hier als berühm— ter Geograph für ſeine Pflicht, die Kurzſichtigen auf die Beſchwerlichkeit und die Gefahr, im Morgenlande fortzukommen, aufmerkſam zu machen; zugleich gab er die Länge der Reiſe zu bedenken.

„Bis nach Kabul iſt kein Katzenſprung,“ ſprach er gelehrt, „das iſt wohl weiter als man denkt; nur außergewöhnlicher Anſtrengung mag es gelingen, bis dahin vorzudringen; auch iſt daſelbſt als Chriften-

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menſch nichts zu profitiren, der Muſelmann führt da 8 große Wort und läßt Niemanden auffommen. Daß e8 den Balthafar gelungen, ift mir ein außer⸗ gewöhnliches Räthfel; auch würde es ihn als fimpler „Drollinger” nicht gelungen ſein, hätte er nicht den richtigern Namen Haflan-benMullah angenommen.‘ „Bas heißt das wohl?“ frug Gamaliel raſch. Henoch, der diesmal auch als Linguift ſich nicht werjen laflen wollte, erwiederte mit Geiftesgegenwart: „Haflan-ben-Mullah ift das deutſche Drollinger.“ Gamaliel wollte dieſe Verſion nicht recht glaub- bar finden, wodurch Henoch, der ſich darüber ärgerte, bewogen ward, um ſo hartnäckiger auf ſeiner Mei— nung zu beſtehen. Er würde ſeine geographiſchen Mittheilungen über Kabul unſtreitig noch länger aus gevehnt haben, wenn Felicitas das Glühweinkännchen von Neuem gefüllt hätte; dem Gotteskaſtenvorſteher war ed nämlich troß feines gelehrten Bortrags nicht entgangen, daß in der Ofenröhre ein -Zöpflein ftand, in welches ſich feine Phantafie einigen Reſerveglüh— wein träumte. Sein Glaube hatte ihn diesmal nicht betrogen; es befand ſich wirklich ein ganz kleiner Reft des würzigen Getränfs noch in dem Topfe; aber wie intereflant die Wittwe die geographifchen Mitthei= lungen gefunden hatte, und wie großen Danf fie dent Gottesfaftenvorfteher dafür fehuldig war, fo konnte fie e8 gleihwohl nicht über fidy gewinnen, ihrem Eohne, auf den bis jett faum ein mäßiges Täflein gefom- men, aud den fleinen Reſt zu entziehen und ihn dem geographiichen Saufaus vorzufeßen. Henoch, nachdem er eine Zeit lang auf frifche Füllung des geleerten Luftballons gelauert und dabei bedeutſame Blide nad der Dfenröhre geworfen, be Ihäftigte fi endlih mit dem Aufbruch. Cr verhiek,

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falls fi) die Erbſchaft, wie er nicht zweifele, ver- Lohne, nähern Aufſchluß über ben ergiebigen afiati- ihen Landſtrich. Oamaliel dankte mit Wärme und verhieß glänzende Erfenntlichfeit unmittelbar nach ver Teftamentseröffnung.

Der Gottesfaftenvorfteher entfernte fi), während

der erregbare, phantafiereihe Jüngling, ven halben Drient im Kopfe, das Stüblein auf- und abſchritt. Er ſchaute noh immer die blühenden Ebenen und glänzenden Gärten, vernahm ven Donner ver Lawi- nen und ſprach darüber mit Feuer und Leben. Als Felicitas ihm die Neige des Glühweins vor- ſetzte und fanfte Vorwürfe machte, daß er fih nicht tapferer eingejchenft, während e8 Herr Henoch daran nit habe fehlen Lafjen, da bemerkte der Enthuſiaſt jegt erft, daß ihm der Gottesfaftenvorfteher fein Lieb- lingsgetränk bis auf breiviertel Taffe, fo viel betrug ver Reft, weggejoffen hatte. Er lebte indeß viel zu ſehr im Morgenlande, als daß er den Berluft ver abendländiſchen Leckerei hätte jchmerzlih empfinven ſollen. Er meinte, Henod babe fein Guthaben - für die geographifche Mittheilung lange nicht abgetrunfen. Er ſei demfelben zu großem Danke verpflichtet, und man müſſe ihn wahrhaftig bevenfen, wenn's die Erb— ſchaft einigermaßen hergebe.

Velicitad bat ihn wiederholt, ſich nicht zu großen Erwartungen hinzugeben; eine Enttäufchung ſei dann um fo empfindliher; Gamaliel aber Tieß ſich's nicht nehmen, daß der König von Kabul ein Funftliebender Monard) fei, welcher feine Hof= und Leibmaler gewiß gut bonorirt habe. Er befchrieb hierauf, wie ver ſe— Tige Haflan-ben-Mullah als wohlhabender Bürger und Hausbeſitzer, vielleicht gar Stadtverordneter, denn man fchäge im Morgenlande abenvländifche Intellis

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genz hoch, in feinem prächtigen Garten vor der Stadt gefeflen, und der Mond im Morgen aufgegangen jei.

„Das Geräufch der nahen Stadt ift verſtummt,“ ſprach er, „einfam raufchen die Kaskaden in Baltha⸗ far’8 Garten, ver filberne Waſſerſtrahl fällt eintönig in die Marmorbaffins zurüd. Der Mond blidt durch Lorbeergebüfch über die hohe Gartenmauer, in ben dunfleren Parthieen des Gartens fchimmern weiße Li- lien und goldleuchtende Rofen ruhen im Mooſe. Leife jpielt die Nacıtluft in den hohen Pinien, und dort oben ziehen die Sterne des Morgenlandes. Bon dem unfern gelegenen Minaret verkündet der Wächter bie Stunde, weldhe die Menfchen zur tiefen Ruhe mahnt; aber nody immer fit der Hofmaler vor feinem jchlan- fen Kiosf, der ummucert wird von Weinranken, Pfirfih- und Granatbäumen, voll ſüßer ftrotenber Früchte, die im Verein mit perfifchen Rofen koftbar zwifchen dem dunkeln Laube bervorbliden. “Der golone Halbmond auf der hohen von Marmorfäulen getrage- nen Kuppel leuchtet weit in die ftille mondhelle Nacht hinaus. Ein ächter Kaſchemirſhawl umſchlingt Hals und Bruft des Hofmalerd. Neben ihn liegen bie Lieder des Hafis in ver Urfprade. Balthafar bat den ganzen Abend von ver berühmten, viel befunge- nen Nacdhtigalbraut gelefen. Jetzt hat er fich’8 bequem gemacht, und: ruht nachläſſig auf ver weichen Otto- mane und feine Blicke weilen auf der milden nädht- lichen Landſchaft. Er verfinft in tiefes Sinnen. Ver⸗ gangenheit und Zukunft, Morgenland und Abenpland ziehen magiſch an feinem Geifte vorüber, er gebentt an Deutichland, an deſſen Burgtrümmer, wie fie, auf Fichten umkränzten Höhen, im Abendſcheine ſchim— mern; er gedenkt an Niederroßla, wie ed friedlich in ven Walpbergen liegt und die fanfte Loſſa ſich durch's

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Thal zieht; er gedenkt, wie er einft beutelte bei Mei— ftir Hamger, und wie er biefen abfonterfeit hatte hinter dem Holderbuſch da fniftert leis ein zarter Trauenfuß im Sande, und. die fchünfte Orientalin biegt um die blühende Jasminwand. Es iſt die Gattin des glücklichen Hofmalers, die einzige Tochter und der Augapfel irgend eines Großen im Sande; darum duldete e8 Leßterer auch, daR Balthafar, wie einft der Graf von Gleichen, die reizende Melechſala zum Chriftenthum befehrte und dann ehelichte. Da un Rabul, wie der Gottesfaftenvarfteher darthat, voll- kommene Religionsfreibeit herriht, jo wird die Be— fehrung und Taufe weiter feinen großen Schwierig- feiten unterlegen haben, wie außerdem in den muhante- daniſchen Ländern der Fall if. Balthafar eilt dem geliebten Weibe entgegen, und die Beiden betrachten in Gemeinfhaft die herrliche Nacht. Die jchöne Gattin erzählt, von leifem Guitarrenflange begleitet, vie ſchönſten Märchen aus Perfien, dem reihen Wun— verlande, während der Hofmaler von Zeit zu Zeit auffteht, um durch das im Kiosk aufgeftellte fieben- füßige Zelefeoop Mond und Planeten zu beobachten. Der Marmorboven des Kiosk ift mit weichen perfi= jhen Zeppichen belegt; eine Ampel von Milchglas verbreitet eine wohlthuende Helle, während der Duft des Ffoftbaren Roſenöls den ftilen Raum durchzieht.‘

Samaliel würde das Ende feiner orientalifchen Phantafien jo bald nicht gefunden haben, hätte nicht der Nachtwächter Benediet unmittelbar unter den Fen— ftern fo urfräftig in fein Horn geftoßen, daß Felici— ta8 ordentlih erjchredt auffuhr und der Drientalift jählings unterbrodyen wurde.

„Was fällt dem Benedict ein?” frug die Mutter, und Gamaliel geftand gleichfalls, fo erfchütternn habe

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er den Nachwächter noch nie duten hören. Benedict hatte übrigens feinen guten Grund, al® er unter den Tenftern der Wittwe fo beherzt in’8 Horn ftieß. Die große Neuigfeit des Tages war auch ihm, dem treuen Wächter der Nacht, nicht unbelannt geblieben; er hoffte durch ein außerordentliches Blaſen fid) den rei= hen Erben und den zugleich frommen und wohlthä- tigen Menjchen bemerkbar zu maden und zu infinui- ven. Diefe Abficht unterlag feinem Zweifel, da Be— nedict nad) feinen erfchütternden Schladhtenruf unmit- telbar laut und vernehmlicd ein fronmes Lied an- flimmte, worin von Gottes wunderbaren Fügungen die Rede war, und daß man ded Nothleivdenden nicht vergefien folle, wenn uns der Himmel mit Segen überfchütte.

Telicitae, da fie den Zwed des frommen Geſangs leiht errieth, ward eben deshalb weniger ergriffen davon, als e8 wohl außerdem der Fall geweſen fein würde; aber Gamaliel fühlte fid) tee dem, daß ihm der nächtliche Herold aus dem Garten bei Kabul nad) Niederroßla geblafen hatte, hoch erbaut durch das Lied. Bei ihm verfehlte die nachtwächterliche Politik ihre Abficht keineswegs.

„Nächſt Henochen,“ fprah er, „Sollten wir den Benedict billig bedenken. Er verdiente es noch mehr als der Gottesfaftennorfteher; denn erftens ift er arm, und zweitend Nachtwächter; ein Nachtwächter aber, der unähnlid den andern glüdlihen Sterbliden auf des Lebens fchönfte Hälften, auf den blauen lichten Tag, die goldne Sonne, das erquidende Grün der Erbe verzichten muß, und in ewiger Nacht wandelt, in un- unterbrochener Eintönigfeit die Straßen auf und ab teottirt, hat vor Allem Anfpruh auf unjre Milde. Er fang nur fchöne, erhebende Wahrheit, daß der

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Wohlhabende des Bedürftigen ſich chriſtlich erbarme, und ein gut Lied ſoll man immer zu Herzen nehmen.“

„Wohl, mein Gama,“ erwiederte die ſanfte Feli— citas, „es iſt gewiß ein himmliſches Gefühl, Armen wohl zu thun; wir gehören nur ſelbſt zu den Be— dürftigen.“

„So wir Nahrung und Kleidung haben, lafjet uns genügen,” ſprach Gamaliel eifrig und bibelfeft; doh in demſelben Augenblide bejann er fih, daß. feine gute Mutter eined Sonntagsfleive® jo gar be- dürftig fei und Recht habe, wenn fie fih zu den Bedürftigen rechne. . Er ſchwieg daher über dieſes Kapitel und kam wieder auf die Beſchwerlichkeit des Nahtwächterpoftend zu ſprechen. Felicitas benutzte gleichfalls den vernommenen Wächterruf, um den Sohn an das Schlafengehen zu mahnen.

Gamaliel kletterte folgſam vie ſchmalen Boden⸗ treppen nach ſeinem Himmelbette empor, welches ſei⸗ nen Namen mit der That führte, denn unter allen Betten im Hauſe ſtand es dem Himmel am Nächſten. Vor dem Einſchlafen kehrte er noch einmal in den blühenden Garten nach Kabul zurüd, woſelbſt er ſich im Traume mit dem Befiger, dem Hofmaler und def- fen reizender Gemahlin ſcharmant unterhielt, obſchon er bei Tage gegen Frauenzimmer, feine Mutter aus— genommen, die Schüchternheit jelbft war.

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Drittes Kapitel.

Da Wirth der Stadt Magveburg, Herr Athanafius Lagemann, fowie der Schaufpieldirector und Helven- jpieler Hanno theilten hinfichtlih der Teftamentseröff- nung keineswegs die Anſicht der Wittwe Drollinger und beitanden auf fofortige Publicirung. Es war Beiden unmöglih, bis zu dem von dem Gericht feft- gejegten Zermin ſich in Geduld zu faſſen. Yagemanı zehrte fichtbar ab, daß es felbit feiner Yrau, einer gebornen Grümpfer, trog ihrer Kurzſichtigkeit auffiel. Dei Hanno woaltete nicht geringeres Intereſſe vor, hinſichtlich der Kabul'ſchen Erbſchaftsangelegenheit in's Reine zu kommen. Er hatte ſich bei dem geringen Kunftfinne der Niederroßlaer und der daraus erklär⸗ baren ſchlechten Einnahme nebjt zwei Xiebhabern, einem polternden Alten, einem zärtlihen Bater, fammt der Primadonna, einer Anftandedame, einer Mutter und einer zweiten Tiebhaberin, den - Souffleur nicht ausgenommen, wie ein Holzbock mit Familie ein- und feftgefreffen. Nur der Böfewiht und der Mafchinen- meifter, beides ein paar Geizhammel, welche ihre Zeche allabendlich berichtigten, waren flott geblieben. Selbft ber dreimal bei befegtem Hauje gegebene vidbelaubte Wald bei Herrmannftadt war nicht im Stande gewe- jen, die Truppe in's Trodne zu bringen. Dazu war die Conceſſion mit Nächſtem abgelaufen, und fein Menſch fonnte es Herrn Hanno verargen, wenn er mit Sehnſucht nad) dem verheißenden Erbſchaftsbaume Ihaute, in der Hoffnung, Daß ihn wegen feiner zwei- ten todten Frau auch ein Granatapfel zugedacht fein möchte, und zwar, je eher je lieber, denn es war bei ‚ihm wirflid periculum in mora. Hanno vergegen-

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wärtigte ſich jetzt erſt recht die Tugenden feiner ver— ſtorbenen Frau, und ward jetzt erſt gewahr, welchen Schatz er in die Erde gelegt, da ihm noch aus ihrem Grabe ein Fruchtbaum emporwuchs. Er fühlte ſich in dieſer Stimmung vollkommen aufgelegt, den Ham— let zu fpielen.

Leider aber verliefen ſich die Verwandtſchaftsgrade Lagemann's wie des Heldenfpielers in fo unſcheinbare Nuancen, daß das Stadtgericht zu Niederroßla Be— denken trug, ihrem dringlichen Anſuchen um Eröffnung des afiatiichen Teftamentes nachzukommen.

Die Beiden hielten daher wieberholt gemeinfchaft- Ihe Berathung, wie, dem Uebel abzuhelfen ſei, die fi) jedoch allzeit nur rath- und troftlos endete,

„Haben Sie c8 denn wirklich mit der Gans ver- jugt?” erfundigte fi Hanno nad einigen Tagen, im höchſten Unmuth, ale man wieder rathſchlagend beiſammen ſaß.

„Und ob! gab Lagemann eifrig zurück, „ein fol- ches Vieh wird gar nicht wieder ausgebrütet unter biefer Sonne. Ich hatte es für bie Thier- und Ge— werbeausftellung in Rageburg beitimmt, wo mir die Prämie nicht entgehen fonnte. Das Thier hat mir in acht Wochen einen Gewürzladen aufgefreffen, einen halben Sentner Hanmerfchlag obendrein, ich hab’ e8 mit eigner Hand genubelt, um meiner Sadıe gewiß zu fein. Die ganze Gans war zulegt eine lebenvige Leber. Was half’, fie mußte unfrer Verabredung gemäß daran und fpazierte zum Stadtrichter. Diejer Belial fchidte mir das todte Beeſt aber noch felbige Stunde mit der fpigigen Bemerkung zurüd, daß er Präſente nicht Liebe.”

„Ha,“ ‚rief der Helvenfpieler aufgebracht, „ich werde den Actenwurm in einem Drohbriefe zu ver—

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ſtehen geben, daß man ihn vom hohen Cothurn herab vernichten wird.“

„ah, gab Lagemann ärgerlich zurück, „ver kiim- mert ſich viel um Ihren hohen Cothurn, der ift wohl in feinem Leben in fein Theater gekommen.“

Rathlos blidte Hanne abermals vor fih hin und Berzweiflung überlam ihn. Seine ftille Wuth ging endlich in Toben über. Er ſchwur, den Stadtrichter vor's Quartier zu rüden, fo er das Teftament nicht in den nächſten Tagen eröffne. „Was hilft mir der Mammon in fünf Wochen,” rief er, „bis dahin kann ih fünfundzwanzig Mal verhungern.‘

- Der Birth zur Stadt Magpeburg fehüttelte bei Hanno’3 desperatem Entſchluß, dem Städtrichter vor's Quartier zu rüden, abermals das Haupt.

„Mit Gewalt richten Sie gar nichts aus,” ſprach er, „was meiner fanften Gans nicht gelang, wird Ihrer Vehemenz noch weit weniger gelingen. Ich ſehe ſchon,“ fette er nad) einer Paufe feufzend Hinzu, „wir werben uns müjjen in Geduld fafjen, wie ſchwer es wird.”

„Ich nicht,” fchrie der Helvenfpieler, und rannte, jih vor die Stirn fohlagend, das Zimmer auf und ab, gleihjam, ale wollte er einen guten Gedanken

aus dem Kopfe pochen. ,„Ihre raſende Desperation bringt uns nicht wei: ter,“ ſprach Lagemann, der fid) vor den großartigen, hochtragiſchen Geſten des Heldenſpielers ordentlich zu fürchten begann.

„Ich könnte den Ocean vergiften, daß ſie den Tod aus allen Quellen ſaufen!“ declamirte Hanno leiden= ſchaftlich.

„Warum nicht gar,“ meinte Lagemann erſchrocken, „da müßten ja wir beide auch mit dran.“

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„Es müßte- eine Wolluſt fein, mit Div auf ein Rad geflochten zu werben,“ fuhr ver Helvenfpieler fort und padte ven Wirth zur Stadt Magdeburg frampfhaft an beiden Schultern.

Diefer fuhr entfeßt empor und ſchaute Hanno's rollende Auge. Er glaubte nicht anders, als ber Schaufpieler ſei verrüdt geworden, und fuchte ihn mit fanfter Rede zu beruhigen.

‚Aber jo moberiren Sie fih doch,“ bat er, „was hilft das mit dem Kopfe gegen die Wand; was ein— mal nicht zu ändern, iſt nicht zu ändern; ein chriſt⸗ lich Gemüth muß ſich zu finden wiſſen.“ |

„Armfelige Vernünftelei,“ radotirte der dramatı= ſche Kimftler, und ſchritt mit verfchränften Armen das Zimmer auf und ab.

„Unſer Her Stadtrichter,“ fuhr Yagemann beru— higend fort, „ift einmal ein geftrenger Herr, der eract auf die Staatögefege hält.‘

„Ha, dieſe Staatskunſt, wie veracht' ich fie,” mur- melte Hanno; doc) plöglih blieb er ftehen und ſchaute lange vor fih Hin. „Doch was jeh ich,“ fuhr er fort, „ein Gedanke, groß und herrlich, wie ein leuchtender Meteor springt aus dem ftaunenden Gehirn.”

„Das wäre?“ ſprach Lagemann.

„Du biſt im Trocknen, Rolſer,“ rief nun der Heldenſpieler, den Wirth zur Stadt Magdeburg ftür- miſch umarmend. „Wir wandern Arm in Arm zu meiner Muhme, Madame Drollinger, und bewegen das Weib, daß es auf Teftamentseröffnung beftehe. Ihr kann e8 der fatanifche Stadtrichter nicht abichla= gen, denn ihre Anfprüche auf das Erbtheil Liegen fonnentlar.”

?agemann ſchlug fi) vor die Stimm. „O Ein:

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falt!“ rief er, „iſt man doch zuweilen mit Blindheit geſchlagen. Es gibt ja gar kein einfacheres Mittel, um zum Ziele zu gelangen. Die Pfarrerswittwe ift eine fanfte und gefällige Frau, fie wird ſich's zum Bergnügen machen, unſerm Wunſche zu entipreden. Da ſchmeckt ein Trunk drauf, Herr Hanno.“

Der Schaufpielvirector, durch feinen glüdlichen Gedanken ftolz gemacht, nahm Lagemann's Vorſchlag wegen des Trunks gnädig an. Man kam überein, nad) genommener Stärkung ſich jogleich nad) der Be- haufung der Wittwe auf den Weg zu maden.

As Gamaliel am nächſten Morgen wieder bei Eifenbeiß eintrat, war biefer wo möglich noch gefprä= ‘higer ale Tags "vorher.

„Wie ih in Erfahrung gebracht habe, ſprach er, „hungern noch Mehre nad der Kabul’fchen Hin- terlaffenfchaft, armfelige Schluder, deren Verwandt⸗ haft mit dem Erblaſſer faum nad kanoniſchem Rechte m Betracht gezogen werben Tann. Sollte dieſes Volt Späne maden, bin id da.”

Der Sohn ber Wittwe, alle Menſchen nah fid. beurtheilend und für Engel haltend, erwiederte daher

in Betracht ver Späne unfchulpsvol, felig und ſchüch— ken: „Ich glaube kaum!“

„Beſſer bewahrt als bellagt, “fuhr Eiſenbeiß eif⸗ rig fort, „ſo viel ſag' ich.“

„Das iſt wahr,“ geſtand Gamaliel beherzter.

„Hat Ihre Frau Mutter ſchon auf Publication des Teſtaments angetragen?“ | Dem fimpeln Schreiber begann zu ſchwindeln, als

er fih von feinem Prinzipal, zu dem er nie ohne bie größte Ehrfurcht aufzufchauen vermochte, per Sie:

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angerevet hörte. Er hätte dem großen Marne lie= bend zu Füßen fallen können; und es ſchmerzte ihn über ale Maaßen, auf die Frage eine verneinende Antwort geben zu mülfen.

Der alte Juriſt, dem ein ſolches fremdländiſches Teſtament in jeiner Praris noch nicht vorgefommen, war äußerſt begierig auf deſſen Inhalt, und er wünfchte daher fehnlih, daß die Eröffnung jo bald als möglich vorgenommen - werde.

„Ih begreife Ihre Frau Mutter nicht,” fuhr er fort, „in folden Angelegenheiten kann man nicht raſch genug zu Werke gehen, das fag’ ich.“

„Sa wohl, fehr richtig,” geftand Gamaliel.

„Stellen ‚Sie es Ihrer Frau Mutter vor, fagen Sie nur, ich hätte es geſagt.“

Gamaliel legte betheuernd die Hand aufs Herz. Er verſprach hoch und feierlich, fein Möglichſtes zu thun. Im Innern gelobte, er fich, mit feurigen Zun— gen zu feiner Mutter zu fprechen, um fie, dem Wun- ' ſche Eijenbeigen’® gemäß, zur Teſtamentseröffnung zu‘ bewegen.

Der Yurift nidte ‚zufrieden mit dent Kopfe und mollte nad) jeinem Erpeditionsgitter zurücdtehren, als er nod) einmal umfehrte und fich zu Gamaliel wendete.

„Noch eins,“ ſprach er, „da Ihrer im Teftamente Ihres Herrn Betterd unfehlbar gedacht ift, jo wird e8 gut fein, wenn Sie einen Henfel haben, wo man Sie anfaßt.“

Der Angeredete, welcher feinen Prinzipal night verftand, warf einen ſchüchternen Blid auf feine Fi— gur, der zu fragen ſchien, wo wehl ein Henkel anzu= bringen ſei.

„Ih meine,” fuhr Eifenbeiß fort, „es wird nicht ungerathen jein, wenn Sie fünftig einen Titel

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führen, worauf heutzutage die Welt viel giebt; damit es bei der Teſtamentsvorleſung nicht heißt: „Der Erbe, Herr Gamaliel Drollinger, Schreiber bei Doctor Eiſen— beiß. Sie ſind von jetzt an mein Secretair.“

Der zeitherige Schreiber haſchte, ob dieſer unver— ſchämten Standeserhöhung ganz berauſcht, convulſiviſch nach der rechten Hand des alten Jurispractikus, um ſie liebend an ſein klopfendes Herz zu drücken. Aber Eiſenbeiß gab dies nicht zu. Da er, nach des jungen Mannes heftiger Bewegung zu ſchließen, befürchtete, dieſer verbinde in Gedanken mit dem Gecretariat auch eine Gehaltserhöhung, ſo fügte er ausdrücklich hinzu: „Auf Ihre zeitherige Beſoldung hat der neue Titel jedoch keinen Einfluß, die Zeiten ſind zu miſe— rabel, die Gelder gehen wahrhaft erbarmungswürdig ein.“

Gamaliel ſtammelte, daß davon ja ſchlechterdings keine Rede ſein könne, er komme prächtig aus; worauf er einen abermaligen Dankesanlauf nehmen wollte. Eiſenbeiß aber wendete dieſen von ſich ab, indem er an das Mundum eines Actenſtücks mahnte, das er gern bald zu haben wünſchte.

Der neugebadene Secretair ftürzte dienſtbefliſſen nad) feinem Schreibtiiche, und begann die Arbeit mit unglaublidiem Eifer. Da bemerkte er aber alsbald, je refoluter er die Sache vornahm, zu nicht geringem Schred, daß das Mundiren dem Gecretair gar nicht jo gut von der Hand gehen wollte, wie früher dem fimpeln Schreiber. Die Buchſtaben ftanden gar nicht fo ftil_ wie ehedem, ſondern tanzten höchſt auffülliger Weile hin und wieder; er bemerfte mit Schreden, daß feine Hand zitterte und aller drei Zeilen ver- ſchrieb er fi auf fo unverantwortliche Weife, daß er das Actenftüd immer wieder vorn anfangen mußte.

Stolle, fämmtl. Schriften. XVil. &

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Endlich, als gar nichts zu Stande kommen wollte, geriet) er ordentlih in Angft; er hielt fi für ver- wahrloft und bebert, und begriff nicht, wie das fünftig. werben folle, wenn ver fieberhafte Zuſtand nicht nach⸗ laſſe.

Er ſchrieb im Schweiße ſeines Angeſichts, der Boden brannte unter ſeinen Füßen. Einen jolchen Zuftand hatte er nie empfunden. Er wünfchte fich weit hinweg vom Schreibpulte, hinaus unter freien Himmel, in die Berge und vor Allem zu feiner Mutter, um ber Geliebten fein Herz auszuſchütten. Er dantte daher feinem Schöpfer, al8 vom nahen Rathhausthurme die Erlöſungsſtunde herüberſchlug. Mit Schmerz über- blickte er das Wenige, was fertig geworben war, und . auch Diefes gereichte ihm als Secretair zu durchaus feiner Ehre, da er als Schreiber weit Beſſeres geleiftet zu haben ſich bewußt war.

In der Hoffnung, daß der Nachmittag, wo er wieder zu Berftande gekommen zu fein hoffte, ein gün- ſtigeres Refultat liefern werde, padte er fo ſchleunig wie möglich feine Papiere zufammen und ergriff die Flucht mit einer Schnelligkeit, als ob der Kopf brenne. Er eilte, wie Henoch, wenn er ihn gefehen, gelagt haben würde, in außgergewöhnlidhen Schritten und Sprüngen nad) Haufe; Niemandem ſonderlich Rede ftehend, wie doch fonft feine Art war, und trat erhitt und feuchend mit ven Worten bei Felicitas in's Zimmer: „Mutter, ich bin Secretair!”

Da Madame Drollinger ob diefer Botſchaft gefaßter blieb, als der Herr Sohn verhofft hatte, fo wäre er ob diefer Ruhe, die mit feinem freudigen Enragement ſeltſam contraftirte, faft bös geworben.

„Mutter,“ wiederholte er mit leuchtenden Augen, „haft Du es gehört, ich bin Secretair geworben ?“

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‚„‚ Allerdings, mein Sohn,” erwiederte Yelicitas, „aber da weiß ich fo viel, wie zuvor.“

Der glüdlihe Sohn verbreitete fih num eines Ausführlichern über fein außerorventliches Avancement, wie er e8 nannte, wobei er nicht ermangelte, die Hod)- berzigfeit des Doctor Eifenbeiß in den Himmel zu heben.

Die kluge Felicitas, welche ven Charakter des Doctors kannte, ſah fogleih ein, daß an der Stanveserhöhung bie zu verhoffende Erbichaft wohl die größte Schuld trage; gleichwohl ließ fie ſich nichts merken und theilte mütterlich die Freude des Sohnes.

Nachdem aber ver Herr Secretair den Freuden— becher über die glüdlihe Mutter Hinlänglich geleert zu haben glaubte, begann er, der Aufforderung von Seiten Eiſenbeißen's gemäß, mit demofthenifcher Beredtſamkeit fein Belehrungswerf, um Felicitas für die Teſtaments⸗ eröffnung zu ftimmen.

„Mutter,“ xief er, „wen Du nicht ſofort zum Herrn Stadtrichter eilft und auf Publication antraͤgſt,“ kann das ganze Erbe im Meere verſinken, wo es am Tiefſten iſt. Wahrhaftig, fein Augenblick iſt zu ver- lieren. Der Doctor iſt ganz meiner Meinung und muß das verſtehen.“

Felicitas, die nicht begriff, worin die große Gefahr liegen ſolle, wenn man dem Geſetze ruhig ſeinen Lauf laſſe, die in des Doctors indirecter Aufforderung nur eitle Neugier erkannte, und welche allen Anſchein zu vermeiden wünſchte, als könne ſie es mit der Erbſchaft nicht erwarten, da ſie überhaupt nicht wußte, ob ihr Name im fraglichen Teſtamente auch verzeichnet ſei, ſchlug wiederholt die Stürme ab, welche der von Dankbarkeit und Hochachtung begen, Eiſenbeiß

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beftochene Gamaliel gegen ihre. Willensfeftigfeit unter- nahın.

Der neugebadene GSecretair lief verzweifelt hin und wieder; er fühlte mit Schmerz, wie wenig er feinem neuen Posten Ehre made und daß feine Sarriere als

Charge d'affaires des Doctor Eifenbeiß nicht eben glanzvoll und mit großen Refultaten fich eröffne.

Während Gamaliel ala Miffionair und Heiden— befehrer feines Prinzipald vergebens arbeitete und ob ber- mütterlichen Standhaftigkeit, die er für entfeglichen Eigenfinn hielt, ordentlich wuthig ward, Fam ihm plöglih und unerwartet Succurs von Außen. Der Wirth zur Stadt Magdeburg und der Helvenfpieler fliegen eilfertig unter den Fenſtern vorüber und traten gerade in dem Augenblide in das Zimmer, als ver Secretair mit dem Schwure, daß er fi dem Doctor nicht mehr unter die Augen getraue, feine letste Patrone auf die fanfte, aber beharrliche Felicitas verfchoflen hatte.

VLagemann fiel fogleih mit der Thür in's Haus und fam um die Erlaubniß ein, im Namen ver Wittwe dem Stadtgerichte zufegen zu bürfen, richtete indeß fo wenig aus, wie der Gecretair, welcher, feiner abgefchlagenen Attafen eingedenk, ſich grollenb hinter den Ofen zurückgezogen hatte. Jetzt fuhr Hanno vor, aber wider Erwarten ſanft und weich; er ver— ſprach ſich glänzendere Reſultate, wenn er die ver- wandtſchaftlichen Sympathieen der Wittwe heraufbe— ſchwöre und begann ſogleich von ſeiner zweiten Frau, deren Tugenden er eben ſo in den Himmel hob, wie er: den Verluſt der Unerſetzbaren beklagte. Felicitas entſann ſich gar bald der ehemaligen Prima Donna und ſprach ihr aufrichtiges Bedauern über das früh— zeitige Dahinſcheiden der wackern Frau aus. Der

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tiefgebeugte Wittwer wollte in Wehmuth zerfließen als er ſolche Theilnahme entvedte, von der er das Beite verhoffte. Um feines Sieges gewiß zu fein, trodnete er ſich wiederholt die Augen, daß jelbft dem hinter dem Ofen vergrollenden Secretair weih um's Herz wurde, während der Magbeburger Wirth verftodt ver rührenden Scene zufchaute.

„sh verlor in der Seligen,” fuhr Felicitas fort, „nicht allein eine nahe Verwandte, ſondern auch eine bewährte Freundin.“

„Wer weiß,“ ſchluchzte der Schauſpieldirector, der vor innrer Wonne, welche dieſe Worte in ihm her- vorbrachten, denn auf nahe Verwandtſchaft hatte er im Traume nicht gerechnet, jetı feinen lauten Schmerz nicht länger zu bänbigen vermochte; - „Sie verloren eine nahe, theure Berwandte, ih eine Gattin; eine Mutter,” fette er mit ergreifender Stimme Hinzu, „wie fie felten wieder gefunden werden wirb hienieven.” Er ließ nad diefen Worten in unaus- ſprechlichem Schmerze ven Kopf langjam auf die Bruft finfen.

Ber dem erfhütternnen Worte Mutter erkun— digte fi die Wittwe ſogleich mit noch regerem' In= tereffe nach der Heinen Amanda, der fie das Gtriden gelehrt.

Hanno antwortete nicht, er ſtellte ſich ſprachlos und zeigte mit einer ausdrucksvollen Pantomime zum Himmel.

Felicitas verſtand ihn, fragte nicht weiter, ſondern _langte ebenfalls, um eine Thräne zu verbergen, nad) "ihrem Tafchentuhe. Es entftand eine minutenlange, aber ergreifende Stille; nur der Secretair, welden. die Barmherzigkeit, die er am Weh feiner Mitmen- jhen nahm, aus feinem Schmoll- und Grollwinkel

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bervorgetrieben hatte und der fi der Kleinen noch reht wohl zu entfinnen vermochte, unterbrach die Baufe durch Seufzer. Lagemann war höchſt ſeltſam zu Muthe, als er ſich ſo urplötzlich unter allgemeine Rührung verſetzt ſah. Er rutſchte wiederholt auf ſeinem Stuhle hin und wieder; doch verſprach er ſich von den Thränen der Madame Drollinger nur Gün- ſtiges. Dieſe Hoffnung hielt ihn aufrecht und be— wahrte ſeine gemeſſene Haltung. Er fand es bei ſolcher allgemeinen Trübſal für angemeſſen, auf ſeinem Geſichte gleichfalls die Trauerflagge aufzuziehen, in der Hoffnung, damit eher in den Hafen ſeiner Wünſche einzulaufen.

„Wenn es jetzt der Comödiant nur einigermaßen geſcheit anfängt,“ ſprach er zu ſich, „kann uns die Wittib nicht entgehen. Sie iſt windelweich und ein getührtes Weib ſchlägt keine Bitte ab. Ich werde mich daher wohl hüten, dieſe herrliche Rührung zu unterbrechen.“

Felicitas war die Erſte, welche ſich in ihrem Schmerze ſo weit erholte, über Krankheit und Ableben von Mutter und Tochter nähere Erkundigungen ein— zuziehen.

Der von Gatten- und Baterfchmerz übermannte Helvenfpieler braudyte geraume Zeit, bevor er mit- theilungsfähig wurde. Er gab ven troftlofen Gatten mit ſolcher Birtuofität, daß felbft Yagemann, an Frau und Kinder denkend, endlich nicht gleichgültig zu blei- ben vermochte. In wohlberechneten abgebrodjenen Sätzen theilte der Künſtler erft das Abſcheiden feiner zweiten Frau, alsdann die Himmelfahrt Amanden’s mit. „Dieſe zwei harten Schläge,” fügte er hinzu, „hätten ihn fast ſechs Monate breterunfähig gemadht, wodurch feine finanziellen Kräfte außerordentlich er-

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ſchöpft worden wären, fo daß er fi bis zu biefer Stunde noch nicht habe erholen können.”

Gamaliel, dem ein ſolches Mufter von Gatten und Bater noch nicht vorgefommen war, konnte fi nit enthalten, hervorzutreten und die Hand des Be— Magenswerthen zu erfaflen.

„Wohl find fie dunkel, die Wege der Vorſehung,“ fprad er mit fohöner Wärme, „zuweilen follten wir fogar irre werden an eimen Leiter dort oben; doch gerade in foldhen böjen Stunden müfjen wir die Hand des Allvaterd um fo inniger fefthalten. Sie wird ung buch Nacht und Wolfen über Klippen und Abgründe wieder in einen heiligen Gottesfaal führen, wo wir al die Geliebten wiederfinden, die wir in dem Dunkel des Lebens verloren.‘

„Ein erhebender Glaube,” geftand Hanno, tief "Athen holend, der dur die Worte des Secretairs wahrhaft geftärft zu fein ſchien.

„O nicht blos Glaube, Gewißheit, Gewißheit,“ fiel Gamaliel mit Eifer ein.

„a, wer das wüßte, feufzte der Schaufpielbivector, und fpielte leife den Sceptifer.

Sobald das Geſpräch auf Religion und Unfterb- lichkeit kam, gerieth der Secretair allemal in's Feuer; traf er nun noch dazu mit einem Gemüthe zufommen, das ſich mit Zweifeln quälte, fo loderte die edelſte Begeifterung duch fein ganzes Weſen. In feinen reinen Herzen flammte ein ſo kindlicher, befeligenver und unerjchütterliher Glaube an Gott, Himmel und Unfterblichfeit, daß er ſchon mandem vom Schickſal Gebeugten und an einer ewigen Gerechtigkeit Ver— zweifelnden zum rettenden Engel geworden war. Ga— maliel nahm ſich auch des zweifelnden Schauſpieldi— rectors ſogleich mit Liebe an und ſprach zu dem

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‚gebeugten und verbüfterten Herzen wahr und fchön. Leider aber verfehlte fein apoftolifcher Eifer bei Hanno feinen Zweck durchaus, denn der Schaufpieldirector Dachte weder an Gott noch Unfterblichfeit, worüber fi) Gamaliel fo herrlich ausließ, fondern an die Ver: - wandtichaftsgrade feiner- verftorbenen Frau. Ste waren ihm vor der Hand weit wichtiger, als die Glaubens— anfihten des Secretairs. Gleichwohl vernahm er ſcheinbar mit wahrer Andacht und Erbauung die Rede des frommen Jünglings, um erhoben und ge- ftärkt won dem Geiftlichen wieder auf's Weltliche über- gehen zu können.

Dem Wirth zur Stadt Magdeburg, wie ſehr er auch der allgemeinen Rührung mit unterlegen war, wollte Gamaliel's Vortrag, obſchon er andächtig zuhörte, gleichfalls nicht behagen. Er fürchtete, der zweifelnde Hanno werde fih in einen langwierigen Diskur über Religiofa verwideln und ganz ben Zweck des Hierjeins vergefien.

„Wenn der Comödiant,“ ſprach er für fih, „nur das einzige Mal den guten Einfall hätte, und feinen Schmerz infoweit moderirte, un wegen der Teftaments- eröffnung anzubohren. Eine fo günftige Gelegenheit fommt fobald nicht wieder. Wenn er die Sache nicht ganz einfältig anfängt, fo fönnen wir bereit morgen wiffen, woran wir find.‘

Gamaliel hatte unterdeß wie ein Peter von Amiens gegen die unfelige Zweifelfucht, dieſer Feindin alles inneren Friedens, dieſer Sünde- und Todgebärerin, geſprochen und er lebte der ſchönen Ueberzeugung, dem Director, wie Lagemann, das Himmelreich auf- geſchloſſen zu "haben, denn Beide fchwiegen und fchie= nen von der Wahrheit feiner Worte überzeugt und befiegt. Hanno mußte fihtbar Troft gefchöpft haben,

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benn feine Augen waren wieter troden und er be- gann leife und vorjichtig Madame Drollinger wegen ver Verwandtſchaft mit feiner feligen rau zu viſitiren. Ueber die Familienverhältniſſe der Dahingeſchiedenen wußte er ſo viel wie nichts; es war ihm nur noch exinnerlich, daß ſie eine geborene Seekrebs geweſen. Mit dieſem Seekrebs wollte er jetzt ſein Glück ver- ſuchen; er warf ihn der Wittwe vor, in der Hoff- nung, daß fie anbeigen werde. Dies geſchah auch. Felicitas erging ſich fogleih in genenlogijhe Aue- einanderfegungen, und Hanno entdedte mit Entzüden, wie wenige Sprofjen fie von einander ftünvden. ‘Der Seekrebs that wirklich Wunder, denn die Wittwe be- grüßte und befeligte plötzlich den Heldenfpieler mit dem Namen Better. Auch der Secretair freute ſich innigft der neuen Berwandtihaft und ward orbentlich ftolz, einem fo großen Bühnenfünftler durch die Bande bes Bluts fo nahe zu ftehen.

Lagemann hingegen ward feinerfeits wahrhaft eiferfükhtig ob Hanno’ genealogifhen Avancement. Er beneidete ihn von Herzen um die Vetterjchaft, die er zeither nur für eine Renommifterei gehalten. Ex befürchtete, der verwünfchte Seekrebs werde fih auf unverantwortlice Weife in die Erbſchaft einfneipen und fuhr in der Eile in der gefammten gens Lage- manniana umher, ob er nicht auch ein foldyes Meer- gewürm auftreiben könne, mweldes ihn dem Stamm- baume der Drollingr um ein Erfreuliches näher brächte. Er zählte daher der Pfarrerswittwe ein ganzed Namensregifter vor, deren Beſitzer jedoch zu feinem Leidweſen nicht für legitim und fuccefjionsfähig anerkannt wurden. Lagemann blieb zulegt in der Welt nichts übrig, als fein Pfeifenhandel und fein gemeinfchaftlihes Schnapfen mit dem verftorbenen

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Peter Drollinger. Gleichwohl war ſein Glaube, daß der dankbare Sohn in ſeinem Teſtamente hierauf Rückſicht genommen haben werde, größer als ſein Glaube über die Fortdauer nach dem Tode, welchen zu ſtärken der Secretair ſich ſo viel Mühe gegeben hatte. - Hanno, welcher zeither Arm in Arm mit Lage— mann gewandelt war, trennte fi) von dem Hotelier, ba er jet als Vetter der hoffnungsreihen Erbin auf eigenen Füßen fortzulommen hoffte. Der verlafjene Wirth zur Stadt Magveburg glaubte, um feine Erb- anwartichaft nad) Kräften zu documentiren, bie zärt- he Freundſchaft mit Peter Drollinger in das um: zmweifelhaftefte Licht zu fegen, bei welcher Erzählung det von Felicitas gevetterte Hanno ein bemitleidendes Lächeln ob der Nichtigfeit der Lagemann'ſchen Erb- anſprüche wicht zu ımterbrüden vermochte. Selbſt Madame Drollinger fehüttelte bei den Hoffnungen des Magdeburgers wiederholt zmeifelnd den Kopf. Nur Gamaliel, welcher die befcheivenen Wünfche der Sterb- lihen gern erfüllt jah, gejtand, wenn der Sohn um das zarte Verhältnig gewußt, e8 feinen Zweifel unter- liege, daß Herr Lagemann im letten Willen locirt fei. Der Hotelier fand ſich durch den menfchenfreund lichen Ausſpruch des jungen einſichtsvollen Mannes, dem er ſolchen Speenreihthum gar nicht zugetraut hatte, weit mehr erquidt, als durch deſſen vorige Slaubenspredigt. Sein dankbares Gemüth ergriff - zugleich die Gelegenheit, den Secretair aus Erfennt- Iihfeit zum Truthahnſchmauſe auf nächſten Mittwoch einzuladen, eine Ehre, weldie Gamaliel zeither in Niederroßla nod nicht widerfahren war.

Der Secretair fühlte fi) duch den Truthahn jo geichmeichelt, daß er in feinem Herzen dem Wirth

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zur Stadt Magdeburg einen der eriten Pläte im Teftamente wünſchte.

Aber jemehr Yagemann den jungen Drollinger in's Herz ſchloß, um fo erbofter ward er gegen ben Helvenfpieler, der ihn gar nicht mehr berüdjichtigte und al’ jeine Aufmerkſamkeit nur der ſchönen Muhme, wie er Felicitas nannte, zufommen ließ. Zugleich begriff er nicht und, ärgerte fi, daß der Breterfönig fein Avancement nicht benuge und auf die Teftamentd- eröffnung losfteure.

Der umfichtige Tirector würde dieſem Wunfche des Magdeburger, der auch der feine war, gerne nachgekommen fein, wenn er nicht hätte exit bei Fe— licita8 das erforverlihe Terrain gewinnen wollen, um eined glüdlihen Erfolges deſto ficherer zu jein. Er entfaltete daher feine ganze Liebenswürdigkeit, die ihm als darſtellender Künſtler im Helvenfache zu Gebote ftand. Dies würde ihn jedoch faun zum Zwecke geführt haben, denn Felicitas war feine rau, Die ſich leicht blenden lieg, hätte er nicht mit ziemlicher Difenheit feine finanziellen Beängftigungen und bie bringliche Nothwendigkeit feiner Abreiſe der gutherzigen Wittwe zu Gemüthe geführt.

AS Hanno den Sturm wegen der teftamentari= jhen Publicatien eröffnete, jo fiel auch Yagemann und dem Gecretair, leßterem wegen Eiſenbeiß, ein gewaltiger Stein vom Herzen. Cie ftanden aus Neibesfräften dem voranfchreitenden Helvenfpieler bet, welcher im Namen feiner ganzen darbenven Truppe tapfer voranſchritt.

Felicttas, von fo viel Etreitfräften zu gleicher Zeit und mit ausdauernder Hartnäckigkeit angegriffen, ergab fih endlich und ertheilte dem dramatiſchen Better in ihrem Namen die Erlaubniß, auf Tejtoments-

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eröffnung anzutragen, welche ihr als der nächſten Anverwandten des Kabul'ſchen Exrblaffers von Seiten bes Gerichts nicht verweigert werden konnte.

Viertes Kapitel.

Der Gotteskaſtenvorſteher Henod in feinen außer- gewöhnlichen Forſchungen über das Erbland Kabul unermüdlich, glaubte nichts Angelegentlicheres thun zu müſſen, als fih auch zur jungen Wittwe Urjula zu begeben, zu deren Freiern er gehörte, um fi) durch gelehrte Mittheilung über das fabelhafte Reich gleich- falls eine Stufe in den Himmel zu erbauen. Urfula hatte zeither feine geographiſchen roberungen, auf die er fi nicht wenig zu Gute that, ziemlih en bagatelle behandelt, bei Kabul hoffte er indeß, da dahin auc der Blid der verwittweten Glafermeifterin mit Sehnfuht gerichtet war, werde das eine Aus- nahme erleiden. |

Henoh hatte zu feinem großen Leidweſen nod mit zwei unerträglichen Nebenbuhlern bei Frau Urfula zu kämpfen, welche ihm, was vie Geographie betraf, nicht im Geringften gewachſen waren. Er begriff überhaupt nit, wie bie eingebildete Donna an ‚den rohen Späßen des ungeſchlachten Sprigen- und Schlauchfabrikanten Auerhahn, ſowie an dem aufßer- gewöhnlichen Phlegma und ver geiftigen Beſchränktheit des Papiermüller Grimbart Gefallen und Amufement finden fönne Während Auerhahn fein Freiwerber⸗ amt auf eine ſehr polternde, fede und verwogne Art

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betrieb, fo dag er von der Wittwe nur mit Mühe in den Schranken ver äußern Zucht gehalten werben konnte, ſaß Grimbart, die Hände über dem Bauche gefaltet, in ftummer Bewunderung und Icheinbarer Refignation vor dem ſchönen Bilde. Auerhahn ver- achtete geradezu feine beiten Nebenbuhler und fürchtete weder den Geographen, noch den PBapiermüller. Er ſchritt mit vollkommener Siegesficherheit einher und lebte der feften Weberzeugung, dag ihm das fchmude Weib nicht entgehen könne.

Frau Urfula, nad Art aller Goquetten, verbarb es mit feinem der drei Anbeter und gab jedem Hoff: nung, ohne daß es ihr in den Sinn gefonmen wäre, diefe Hoffnung zu erfüllen. Es fchmeichelte fie un- gemein, folde Männer bei der Stadt vor ihrem Triumphwagen zu erbliden; gleihwohl waren fie ihr alle drei zu alt.

Der Gotteskaftenvorfteher und der Bapiermüller, fd fie bei der Wittib zufammentrafen, was fehr häufig der Tall war, vertrugen ſich pafjabel; Grimbart hörte, die Hände wie gewöhnlid, über dem gravitäti— {hen Bauch gefaltet, mit großer Ruhe Henoch's Geo— grapbie mit an, fiel darüber gewöhnlich in einen fanften Schlummer, welchen Umftand der Gottesfaften- vorfteher benutte, der Frau Urfula fein Herz zu er— öffnen. Sobald jedoch Auerhahn in’® Zimmer trat, hatte der Friede ein Ende. Namentlich konnte Henoch ven Spriten: und Schlauchfabrifanten nicht erfehen.

Der Geograph dankte daher dem Himmel und allen Heiligen, al8 er bei der Wittwe in's Zimmer trat und nur den Papiermüller vorfand, welder be- reitd in jenem träumerifhen Zuſtande, der einem ge= funden Schlafe voranzugehen pflegt, mit gefalteten Händen im gewohnten Lehnftuhle ſaß.

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Urſula verbarg das Gähnen ihres Tieblihen Mun- des mit dem Tafchentuche, wie fie des Gottesfaften- vorſtehers anſichtig wurde. Dieſer aber begann mit einem zärtlichen Bücklinge wie folgt:

„Inſonderheit geſchaͤtzte Fran Urſula, es dürfte mein diesmaliger geographiſcher Vortrag von außer- gewöhnlichem Intereſſe für Hochdieſelben ſein, da er über ein Land ſich ausführlich verbreitet, aus welchem für ſämmtliche Drollinger'ſche Erben eine außerge— wöhnliche Glücksſonne emporgeſtiegen iſt.“

Alles was die Erbſchaft anlangte, war für Urſula von großer Wichtigkeit. Sie hieß daher Herrn Henoch mit einem Blicke willkommen, der den Gotteskaſten⸗ vorfteher in den dritten Himmel erhob. Er hoffte diesmal mit Sicherheit, ven Sprigen- und Schlaud;- fabrifanten aus dem Sattel zu heben und ſprach fo gelehrt wie möglidy über Kabul und Afghaniftan. Nachdem er Lage und Grenzen, Ylüffe und Gebirge dieſes afiatifchen Reichs mit Genauigkeit beftimmt und dabei eine Menge fremdländiſcher und kauderwelſch klingender Namen citirt hatte, unterbrady ihn bie etwas ungeduldige Urfula mit der Frage, cb nichts von "den Hofmaler in dem Buche ftehe? Henoch ſprach fein außergewöhnliches Bedauern aus, vdiesmal- ihren Wunſch nicht erfüllen zu können, fintenal von Privaten in einem bloßen Handbuche der Geographie kaum die Rede ſein könne.

„Sprechen denn die Leute in Kabul beutjch ?“

„Ei, wo denken Sie hin, Verehrteſte,“ lächelte gelehrt der Gotteskaſtenmann, „ein weit ſchwierigeres Idiom wird da geredet, als hier zu Lande.“

„Verſtehen Sie denn die fremde Sprache?“

„Dermalen noch nicht, aber ich hoffe mit der

Zeit —“

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„Verſteht fie denn der Herr Stadtrichter?“

„Wohl noch weniger,‘ verſetzte Henoch, „ich habe nie gehört, daß er in afiatiihen Meundarten zu Haufe wäre.”

„Aber mein Himmel,” fuhr die Wittwe fort, „wie will man denn erfahren, was im Teftamente ſteht, und dieſes ift gewiß in fabulifcher Sprache geſchrieben.“

Der Geograph hatte hieran wahrhaftig nicht ge— dacht und erwiederte: „Der Fall wäre wirklich außer⸗ gewöhnlich, doch hoffe ich, der Herr Hofmaler hat für eine beutfche Ueberjegung geforgt.”

„Das gebe Gott,“ fprady Urfula, und Henod fuhr fort:

„Das ganze Königreich wird in fiebenundzwanzig Provinzen oder Gebiete getheilt, deren beveutenbfte von einem Hakim beherrfcht werden. Letztere giebt e8 achtzehn und ihre Namen find: Herat, Yarra, Candahar, Ghasni, Kabul, Bamican, Ghore- band, Dſchella labad, Laghman, Peſchawar, Dera Ismael, Chan, Dera Ghaſi Chan, Schikapor, Sewi, Sind, Kaſchmir, Tſchotſch, Haſareh, Leia um Multan.“

Der Papiermüller fiel bei dieſer geographiſchen Mittheilung vollkommen in Schlaf; auch der Wittwe kam ein herzhafteres Gähnen an. Henoch aber, der einmal im Zuge, ließ ſich nicht irre machen.

„Das ganze Einkommen des Kabul'ſchen Reiche in ruhigen Zeiten,“ fuhr er fort, „kann beinahe auf drei Crors Rupien veranſchlagt werden; aber hier- von wird ein Eror an halb unterjochte Fürften ab- gelafien, die zufrieden find, ihr Einkommen als eine Bewilligung vom Könige zu beziehen. Das wirkliche

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Einkommen dürfte ſonach ſich nicht ganz auf zwei Cror belaufen.“

„Wie viel iſt denn ein Cror?“ frug unmuthig Urſula, der die Beſchreibung von Kabul nach gerade immer ennuyanter wurde.

„Das ſteht freilich nicht hier,“ bedauerte der Vorleſer; „es iſt dies eine außergewöhnliche Nach⸗ läſſigkeit von Seiten des ſonſt höchſt gelehrten Herrn Verfaſſers; doch gedulden Sie ſich nur kurze Zeit, ich werde mir all' erdenkliche Mühe geben, über be— ſagte Crors nähern Aufſchluß zu erhalten und Ihnen das Reſultat fofort mitzutheilen.‘

„Incomodiren Sie fi) nicht,“ verjetste die Wittwe, „dieſe Kabul'ſchen Crors ſind mir im höchſten Grade gleichgültig, wirklich unausſprechlich gleichgültig. Aber find wir noch nit zu Ende, Herr Gottesfaften- vorfteher ? |

„Muß nody um flein Wenig Geduld und Auf- metffamfeit bitten,” verſetzte dieſer; „das Wichtigſte kommt ſo eben, die Rechtspflege.“

„Daß Gott, die Rechtspflege,“ ſeufzte Unfula.

Henod) Tieg fi) durch dieſen Seufzer in feinem Bortrage nicht ftören und ſprach: „In den Städten wird die Yuftiz von dem Kadi, den Muftis, dem Amini Mekhemeh und dem Doroghai Adaulat verwaltet. Die ftreitige Sache wird nach den Vor— Ihriften der Schirra verhandelt, welche zuweilen durch die Beitimmungen des Puſchtunwalli mobi: ficirt werden.‘

Grimbart ſchnarchte wie ein Dachs. Urſula hatte das Fenſter geöffnet und fchaute, ein Liedchen ſum— mend, nach der Straße hinaus, wo diesmal zu ihrer nicht geringen Freude der Sprigen- und Schlaud: fabrifant daher fchritt und gerade auf das Haus zu-

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fam. Um von ber unerträglichen geographifchen Lection befreit zu werben, nidte Urſula Herrn Auerhahn fo freundlich und einladend zu, daß dieſer feine Schritte verdoppeln mit erhöhter Siegesficherheit in die Haus- thür einlief.

Henoch verbreitete fi) eben mit außergemöhnlicher Gelehrfamteit über die Organifation der kabuliftifchen Armee, die erin Durahner, Gholami Schahs, Karra Nokars und in die Dawatallab eintheilte, als Auerhahn, ohne vorher anzuklopfen, haſtig in das Zimmer trat und auf den Gegenſtand, der vor ſeinen Augen Gnade gefunden, zueilte.

Beim Anblicke des Spritzen- und Schlauchfabri— kanten, der ihm gar nicht ungelegener kommen konnte, ſchlug der Gotteskaſtenvorſteher mit einem Seufzer ſein Buch zu; denn jetzt war bei dem Aufruhr, den dieſer liebende Unhold verübte, an eine weitere Auf: merkſamkeit nicht zu denken. Auerhahn zog auch ſo— gleich ein grimmiges Geſicht, als er des Geographen anſichtig wurde.

„Schon wieder die verdammten Charteken,“ ſuhr er ihn rauh an, „Sie wiſſen doch, daß Sie damit die Leute zum Raſendwerden langweilen.“

Die Wittwe, ſchon zufrieden, über die Kabul'ſche Juſtizpflege und Heerverfaſſung nichts mehr hören zu dürfen, ſprach beſänftigend: „Der Vortrag war nicht unintereſſant, da er das unbekannte Land beſchrieb, wo mein guter Vetter, der Herr Hofmaler, lange Zeit ſich aufhielt.“

„Und über welches Sie, Herr Auerhahn,“ fügte Henoch gereizt hinzu, „ſich unfehlbar in bedeutender, außergewöhnlicher Finſterniß und Unkenntniß befinden. Doch,“ fuhr er ſich mäßigend fort, „ver wahrhafte Chriſt fol nicht Uebles mit Ueblem vergelten; ich

Stolle, fämmtl. Schriften. XVII. 5

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bin daher gar nicht abgeneigt, auch Ihnen über be— ſagtes aſiatiſches Ländergebiet, das für uns Nieder⸗ roßlaer und namentlich für die verehrten Erben des ſeligen Herrn Drollinger neuerdings von fo außerge⸗ wöhnlicher Wichtigkeit geworben, einiges Licht aufzu⸗ ſtecken, welches Ihr Inneres recht wohlthätig erleuch— ten und erwärmen dürfte.“

' Fran Urſula erfchraf ob dieſer Propofition und fie fah ven Sprigen- und Schlauchfabrikanten bittend an, daß er auf ſolche unerträgliche VBorlefung nicht eingehen möge.

Letzterer wußte ſich den Blick der Wittwe nicht recht zu erflären. Er glaubte anfangs, Urſula wolle ihn bereden, daß er fi dem Geographen füge und gerieth) im Kampf mit fi. Gleihwohl war feine Averfion vor allem gelehrten Weſen fo groß, daß er es nicht über fi) zu gewinner vermochte, vem Wun- ſche der Angebeteten nachzukommen. Er ſchlug daher dem Gotteskaſtenvorſteher ſeine Propoſition rund ab. Ein heimlicher Händedruck der Wittwe belohnte ihn. Auerhahn, durch ſolche unerwartete Gunſtbezeugung kühn gemacht, ergriff nun Gelegenheit, ſeinen ganzen Ingrimm gegen die Gelehrten, nichtsnutziges Volt, wie er ſie nannte, loszulaſſen. Er ſchritt ſcheltend im Zimmer auf und ab. In ſeinem Eifer packte er den ſchlafenden Grimbart an der Achſel und rüttelte ihn unverantwortlich.

„Nicht wahr, Papiermüller,“ rief er, „mit dem gelehrten Grimskram lockt man keinen Hund unter dem Dfen hervor?“

„Bewahre Gott,“ ſtammelte der Erwachte, ſich ſchlaftrunken die Augen reibend, ohne zu wiſſen, wo⸗ von die Rede ſei.

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„Da hören Sie's,“ ſprach Auerhahn zu Henoch, „der Papiermüller bezeugt's gleichfalls.‘

„Grimbart weiß nicht, was er ſpricht,“ entgegn der Gotteskaſtenvorſteher, „er iſt noch halb im Schlafe, ſonſt würde er als Mann von Einſicht nicht gegen ſein eigenes Intereſſe ſprechen; ohne Gelehrſamkeit und Literatur brauchten wir auch kein Papier. Dies müſſen Sie doch zugeben, Herr Grimbart?“

„Sehr wahr,“ erwiederte der Phlegmatiker und gähnte entſetzlich.

„Verſchlingen Sie mich nur nicht,“ ſprach Henoch.

„Poſſen,“ brummte der Spritzen- und Schlaud)- fabrikant, „unbedrucktes Makulatur verrichtet's auch.”

Da er aber das Geſpräch über Gelehrſamkeit überdrüſſig bekam, drehte er ſich mit grob chewaleres- fer Nonchalance einigemal auf dem Stiefelabſatze herum, trat keck zu Urſula und ſie in die Wangen kneipend, frug er: „Nun, ſchmucke Wittib, wenn ma— hen wir Hochzeit?”

Henoch erftarrte über dieſes unzarte Benehmen und über die indecente Frage, welche fein keuſches Ohr erröthen machte. Er hoffte, Urfula werde den Berwegenen derb heimfchiden; die Wittwe beugte ſich aber blos fchamroth über ihren Spinnroden und meinte, folde Rede könne fie bei ihrer Armuth nur für Spott halten, der Herr Sprigen- und Schlauch-, fabrifant denfe ficher an Fein Heirathen.

Auerhahn that jet einen rafenden Schwur, daß ex die beiten Abfichten babe, und jede Verzögerung nur ihr zur Laft falle. Ihre Armuth kümmere ihn " den Gudud; feine Sprigen und Schläuche gingen jettt bis nach Amerika und brächten fo viel ein, daß beide herrlich und in Freuden leben rennen, Sie

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brauche zu winken und das Schwein für den Hoch— zeitſchmaus folle noch heute. in den Stall. 5 Dem Öottesfaftenvorfteher warb bei biefem beter- mintrten Heirathsantrage nicht ganz wohl zu Muthe. „Die Weiber,“ fprad er für fih, „find ein an fid außergewöhnlich ſchwaches Gefchlecht, ſobald ernſtlich von Heirathen die Rede iſt. Ich hätte das bedenken und anſtatt von der Geographie doch mehr von der Hochzeit ſprechen ſollen. Der rohe Auerhahn ſcheint bei all' ſeiner Unwiſſenheit hier ein gewiſſes Inſtinet zu beſitzen. Indeſſen verhoffe ich denn doch, daß Frau Urſula nicht ſo ſchnell zu beſiegen ſein wird. Sie hat die Auswahl unter Dreien und wird ſich deshalb mit Recht bedenken, eh' ſie ihre Freiheit verkauft.“ | Henoch ſchien nicht ganz unrichtig philofophirt zu haben; die junge Wittwe, obſchon fie dem Fabrifan- ten keineswegs die Hoffnung nahm, wollte fid) doch aud zu feinem Verſprechen, noch vielweniger zu einem Eheverlöbniß verftehen, wie fehr auch Auerhahn in fie drang, mit welch' glänzenden Farben er feinen Sprigen= und Schlauchhandel vor Augen führte. Ur- fula hoffte in ihrem Innerften gar fehr auf die Erb— Ihaft. Hatte fie Exblaffer anſehnlich bedacht, jo war ihr Wille, mit den drei Freiern weniger Umſtände zu maden und biefelben, je nad den Umſtänden, gänzlich abzudanfen, denn ihr Herz hatte ſich einen weit jüngern Schag erforen. Es war dies der hüb- ſche Zinngießergejelle Florian, "ver tägli in der ge= genüberliegenden. Werkftätte feines Meifters von früh bi8 Abends unverdroſſen arbeitete und in feiner Un— ſchuld und Einfalt nicht ahnete, welchen Einprud er auf die junge Frau hervorgebracht hatte. Urfula, um den unternehmenden Auerbahn bei

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feinen fühnen Bewerbungen um ihre Gunft in ge= bührenden Schranfen zu halten, verwies ihn auf das beſcheidene Benchmen Henoch's und des Puapiermüllers, welch lettrer unverbroffen in feinem Lehnftuhle ſchlief. Der Gottesfaftenvorfteher fühlte ſich ſehr seihmeichelt durch diefe Anerkennung feines Verdienſtes. Er gab auf verblümte Weile zu verftehen, daß mahrhafte Bildung der Frauen nie zubringlid werde, und er feierte wirklich einen Heinen Triumph über Auerhahn. Seine Eitelfeit flüfterte ihm zu, daß er im Grunde

doch der am meiften Begünftigte unter den brei Frei— ern fei. Der Spritzen- und Schlauchfabrikant aber gerieth in Wuth und tobte. Nur mit Mühe gelang e8 der Wittwe, ihn zu befänftigen. Um ihn auf andre Gedanken zu bringen, leitete fie das Geſpräch auf die Kabul'ſche Erbſchaft.

„Darüber,“ meinte Auerhahn, noch immer unge halten und mürriſch, „werden wir bald in’s Klare fommen und erfehen, daß der afiatifhe Narr und

ofpinfel ganz Niederroßla fammt dem hochweiſen

tabtrath und insbeſondere alle die einfältigen Leute in den April gefchidt hat, welche ſich Etwas zu erben einbildeten.“

Frau Urſula machte ein bitterböſes Geſicht und nahm ſich feſt vor, mit dem ungalanten Freiersmann vierundzwanzig Stunden lang zu ſchmollen. Sie würde noch weit böſer auf ihn geworden ſein, hätte ſie ſeinen Unmuth nicht ſeiner Eiferſucht auf Henoch zur Laſt gelegt, eine Männeruntugend, die von den Weibern am Leichteſten verziehen wird.

Der Gotteskaſtenmann erkundigte ſich von wegen des „bald in's Klare kommen,“ da bis zur Teſta— mentseröffnung noch faſt ganzer fünf Wochen hin ſeien.

„Madame Drollinger,“ berichtete Auerhahn,

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„wahrſcheinlich weil ſie glaubt, in dem fabelhaften Teſtamente obenan zu ſtehen und es nicht erwarten kann, zur reihen Frau zu werden, hat ven lächer— lichen Einfall gehabt, auf ſoforlige Publication an⸗ zutragen.“

Urſula brannte vor Nengier um Näheres über dieſe für ſie ſo wichtige Angelegenheit; gleichwohl ſiegte der weibliche Schmollgeiſt und ſie frug nicht weiter. Dafür that's der Gotteskaſtenmann um ſo ergiebiger.

Auerhahn's Anfichten ‚über die Erbfchaft klangen eben nicht erbaulih für die hoffende Wittwe. „Ich laſſe mic todt ſchlagen,“ ſprach der Schlauchfabrikant in ſeiner polternden Redeweiſe, „es iſt alles blauer

Dunſt, Lug und Trug. Dem Drollinger lag's ſchon

als Beutlerjunge im Blute, die Leute zu foppen. Ein ſolcher davongelaufener Schlingel will Hofmaler ge— worden ſein! Es iſt zu lächerlich, dem Publikum ſolche Märchen aufzubinden. Der Betrug liegt übrigens vollkommen am Tage; denn ich will's nur geſtehn, es giebt gar kein Kabul in dieſer Welt, noch weit weniger einen König von Kabul, bei dem ein Hofmaler angeſtellt wäre.“

Henoch erſchrak über ſolche außerordentliche wiſ—⸗ ſenſchaftliche Verwahrloſung, welche eins der angeſe— henſten und wahlarrangirteſten aſiatiſchen Königreiche mir nichts dir nichts aus der Geographie ſtrich. Er ſchlug ſofort feine Erdbeſchreibung auf, um Auer— hahn eines Beſſern zu belehren, als ihn dieſer mit den Worten anfuhr: „Ihre Charteken machen mich nicht dumm; es ſteht viel gedruckt, an dem kein wahr Wort iſt.“

Er ſchüttelte bei dieſen Worten Grimbarten wie—

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der aus dem Schlafe und frug: „Nicht wahr, Pa- piermüller, e8 giebt gar kein Kabul?“

„Bewahre Gott,“ ftammelte viefer ſchlaftrunken und fi) die Augen reiben.

„Da hören Sie es, Muger Mann,” ſprach ver Schlauchfabrikant zu Henoch.

Urſula blickte ängſtlich und fragend zu Letz— term auf. |

Der Gotteskaftenvorfteher wollte verzweifeln. „Und wenn,“ rief er erboft, „ver gefammte Rath und bie gefammte Bürgerjhaft und die ganze Umgegend, ade— lige und bürgerliche Gutsbeſitzer, es läugnen, ein Ka— bul giebt's. Mag's mit der Erbſchaft, mit dem Hof: maler eine Bewandtniß haben, welde es will, aber ein Kabul giebt's, jo gewiß am Tage die Sonne ſcheint, ſo gewiß die Erde rund ift, fo gewiß ich He= noch beige und Gotteskaftenvorfteher bin.“

Er ſchlug fein Bud auf und las laut und ver:

nehmlih: „Kabul, auch Afghaniftan oder Kabuliften, umfaßt einen Flächenraum von ſechszehntauſend Qua⸗ tratmeilen, dehnt ſich tief in das Hindukuſch- und - Himalaja= Gebirge und begriff ehedem felbft einen Theil von Indien. In Often erheben fid) drei Berg⸗ fetten, welche —“

„Narrenspoſſen,“ unterbrach ihn der Spriten- und Schlauchfabrikant, „das Papier iſt geduldig; morgen iſt Teſtamenteröffnung, da werden aller Welt die Schuppen von den Augen fallen.“

„Und ob das Teſtament morgen oder über's Jahr eröffnet wird,“ beharrte Henoch, „ein Kabul giebt's. Ic begreife nicht,” wandte er ſich nicht ohne Heftig⸗ - feit- zu Orimbart, „wie Sie, als gebilveter Mann, ſo etwas bezweifeln können.“

„Ich ?“ frug der Papiermüller, „bewahre Gott.“

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„Er weiß niht, was er ſpricht,“ behauptete Auerhahn. | „Das glaub’ ih auch,“ meinte Henoch.

| Srimbarten Tieß e8 fehr ruhig, was der eine be- hauptete und der andere glaubte. Er fchlief bald abermal8; während die beiden andern Treier wieder , daran dachten, fich ihrer Herzenskönigin, der jungen Wittib, in angenehmen Lichte zu zeigen.

Fünftes Kapitel. .

Der Helvenfpieler Hanno hatte nad feinem Beſuche bei Felicitas nichts Angelegentlicheres zu thun, ale auf das Stadtgeriht zu gehen und als Bevollmäch— figtee der verwittweten Drollinger auf fchleunigfte Eröffnung des afiatiihen Teſtaments anzutragen. Er erhielt Die Refolution, daß die Publication in den Bormittagsftunden bes nächſtfolgenden Tages den Ge- fegen gemäß vorgenommen werden folle.

Es war kaum eine Stunde verftrihen, als ganz Niederroßla von dem hochwichtigen Ereigniß Kennt- niß hatte. Bon den erleuchteten Vätern der Stadt herab bis zum Schufterlehrling fprad Niemand von etwas Anvderm, als dem Teftamente. Die biverfen Erben waren die Helden des Tages, der Unterhaltung, der Schmeichelee und des heimlichen Neives. Der Schauſpieldirector ließ ſich wie ein heidnifher Gott be räudern und nahm die Weihrauchſpenden großmü- thig entgegen. Seiner gefammten Truppe, den total infolventen Soufleur nicht ausgenommen, ward ein

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anberweitiger achttägiger Credit eröffnet. Der Wirth zur Stadt Magdeburg hatte feine Gaftitube noch nie von Beſuchern fo, überfüllt gejehn, ald am Abenve jene® Tages, an weldem ber unternehmende Hanno auf Teftamentseröffnung gebrungen hatte. Nicht nur fammtlide Stammgäfte waren angelangt, ſondern aud eine große Anzahl folder Niederroßlaer, die man in der Regel jonft nie am öffentlichen Orten zu erbliden pflegte. Manche Ehefrau hatte diesmal ihre Averfion gegen das Schenfenleben zu befänpfen gewußt und dem Eheherrn Urlaub ertheilt, auf daß er Kundſchaft einziehe bei Lagemann. Letztrer ſelbſt betrachtete die— jen aufßererdentlihen Zulauf als einen Vorſegen des Teftaments und ſchritt, hoffnungsreich, fi) Die Hände reibend, liebevoll lächelnd als gefeierter Mann unter feinen Gäften auf und ab, überall Rede ftehenn, Aus- funft ertheilend und dabei das feltene Freundſchafts⸗ band, welches ihn und den feligen Peter Drollinger vereint, in ven Himmel erhebend. Mehre ver Stamm- gäfte benugten fogleih vie Gelegenheit, ven Hotelier auf die unvermeidliche Berbinplichkeit eines zu geben- den Schmaufes, fall er, wie nicht zu bezweifeln ftehe, im ZTeftamente bedacht ſei, aufmerffam zu machen. Lagemann flüfterte dann jedem, ver ihn wegen des Schmauſes anging, verſtändniß-innig in’d Ohr: „Wir trinfen Eins zufammen, aber ganz unter uns, ein Weinen fag’ ich, das fobald nicht wieder gefunden wird.” Hierdurch bejchwichtigte er die Einzelitimmen und verhinderte, daß fie Coalition machten, wo er leicht hätte zu einem Gratisſchmauſe gezwungen wer— ven fünnen. So dachte aber Jeder, er fei der all: einige Beneidenswerthe, auf welchen der Segen ber Erbſchaft überfliege und hütete fich, auf einem großen Feſtin zu beftehen.

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Magiſter Vetterlein, dem es gleichfalls gelungen war, eine entfernte Verwandtſchaftsſproſſe zur Familie Drolinger ausfindig zu machen, traktirte feine Ouar- taner in den geographifchen Lectionen mit bejondrer Borliebe faft nur mit Afien, obfhon dem Stunden- plane gemäß über das deutſche Königreih Hannover "zu beridhten war. Unmittelbar nah der befannten ftadtgerichtlihen Belanntmahung im Wochenblatte war er mit einem Sprunge von der Landdroſtei Lüne— burg nah Alien übergefeßt, wo er, unterftügt won feiner wißbegierigen Jugend, unermüdlich nach dem gefegneten Kabul forfchte.

Die gute Felicitas wußte fih, nachdem ihr Man- dator, der dramatifche Künftler, auf Zeitamentseröff- nung angetragen hatte, vor guten Freunden und Be— fannten nit mehr zu lafien. Ihr kurz zuvor noch jo wenig befuchtes Stühchen warb von Befuchern nicht leer; und fie hatte alle Gelegenheit, die Men— Ihen in ihren verſchiedenen Schwachheiten fennen zu lernen. Man überpurzelte fih in Aufmerkſamkeiten gegen eine Frau, die man zeither nur über die Ach— jeln angejeben hatte. Die Freundlichkeit und Freund: Thaftlichkeit ging fo weit, daß fie felbft dem Secre— tair, obſchon er alle Menfchen für halbe Engel hielt, etwas verdächtig vorkam.

„Mutter,“ ſprach er, „und wenn ich Alles glaube, jo glaube ich nicht, daß es allen ven Leuten jo um's Herz ift, wie fie thun.“

Felicitas lächelte und erwieberte: „Laß unfre. Erb- ihaftshoffnungen in Nichts zerfließen und Du wirft jeben, wie einfam unſer Stübchen bald wieder fein wird.”

Gamaliel verfegte traurig: „Aber das ift nicht Ihön von den Leuten.”

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„Die Welt ift nicht anders, mein Gama,“ ſprach Felicitas, „darum hab’ ich auch nur mit Außerftem Widerſtreben meine Einwilligung wegen der Eröffnung gegeben. Sollte, wie ich fürchte, die ganze Sache auf einen Scherz hinauslaufen, jo werde ich meine Boreiligfeit gewiß theuer genug zu bezahlen haben.“

„Wo denkſt Du bin, Meütterchen,“ antwortete ber Sohn; „auf dem Todtenbette vergeht dem Luſtig⸗ fien der Scherz. Auch meint Eiſenbeiß, daß hinter der Sauce wohl mehr ftede, als man vermuthe.‘

Neuer Beluh aus der Nachbarſchaft unterbrach dieſes Geſpräch, welches oft auf viefe Art zwifchen Mutter und Sohn geführt wurde.

Den geographifchen Verdienſten des Gottesfaften- vorfteher Henoch war es endlicd gelungen, fihb Bahn zu brechen und gebührende Anerkennung zu erlangen. Henoch gehörte in den Tagen unmittelbar vor der Zeftamentseröffnung zu Niederroßla unter die geſuch— ten Artiel. Er feierte Triumph auf Triumph. “Die erſten Patrizierfamilien riffen fih um den Mann. Wie Dienen ſog man die Worte über Kabul von feinem Munde. Zweimal fogar ward er zum regierenden Bürgermeifter entboten, um Auskunft zu geben, ba Seine Eminenz, wie e8 in dem Charakter großer Männer liegt, offen geftand, aus feiner Schulzeit ber fih nur Dufter auf Kabul befinnen zu fünnen. Henoch verließ ganz beraufcht von der Ehre, dem geftrengen Bürgermeijter ein Licht aufgeftekt zu haben, die Woh— nung befjelben, und warb vom Hochmuthsteufel hier: durch dermaßen befeflen, daß er den ihm begegnenden und grüßenden Bürgern faum zu danken vermochte,

Urſula träumte in den zwei legten Nächten vor ber teftamentarifchen Publication von nichts als Gold⸗ und GSilberfäden, türkiſchen Shawlen, Perlen und

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wohlriehenden Specereien, unter welden Herrlichkei⸗ ten der geliebte Zinngießer ald junger Türke auf und ab wandelte. Die drei Freier erjchienen in weniger vortheilhaften Coſtüme; der Papiermüller als Yaul- thier, der Spriten= und Schlauchfabrikant als Tollern- der Puter und Henoch al® graue Feldmaus. Urſula fühlte fi) daher am Morgen des Entſcheidungstages von den theil® vofigen, theil® beängjtigenden Träumen ganz abgemattet. Gleichwohl verfehlte fie nicht, fid) fobald als möglih in Staat zu werfen, um der Ge— richtsſitzung als hoffende und eroberungsluftige Erbin in Perſon beizumohnen.

Sp war denn endlich der große Tag herbeige-

fommen und bie enticheidende Stunde, wo der Inhalt des Kabul'ſchen Teftaments veröffentliht werden follte, hatte gefchlagen. Außer Velicitas, die durch Herrn Hanno vepräfentirt ward, hatten ſich ſämmtliche Erb- erfpectanten, Lagemann nicht ausgenommen, obſchon er höchftens durch die Noah'ſche Familie mit dem ſe— ligen Drollinger verwandt war, eingefunden und harr- ten mit verhaltenem Athen der Dinge, die da kommen ſollten. Boran faß Frau Urfula, troß der unrubigen Nächte ſchönſtens geputt, und coquettirte, jo gut es Drt, Zeit und Umſtände erlauben wollten, mit dem jungen Stadtgerihtsacceffiften, der vor Kurzem erſt die Univerſität verlaſſen und durch ſein ſtudentiſches Weſen die Blicke und Aufmerkſamkeit der ſchönen Niederroßlaerinnen int hohen Grade auf ſich zog. Zu— nächſt der jungen Wittwe hatte Hanno, dem ſeit ſei— nes Beſuchs bei Felicitas, wo ihm eine ſo erwünſchte Vetterſchaft in den Schooß gefallen, der Kamm ge— waltig geſchwollen war und der ſich bei dem heutigen

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Drama für den Hauptacteur hielt, eine höchſt fünft- lerifche plajtifhe tellung eingenommen. Durd eine gewifje angenommene vornehme Nonchalance hoffte er den Stadtrichter Jacoby, einen etwas abgefchloffenen und gemejlenen Mann, der nicht viel Worte machte, aber Alles mit Harem, ruhigen Blute überfchäute, zu ärgern, weil diefer ihm die Zejtamentseröffnung früs- her mit kurzen Worten abgefchlagen und jelbft durch Lagemann's großlebrige Gans nicht zu beftechen ge- wejen war. Der Präjes des Stabtgerihts nahm je= doch nad feinem Erjcheinen von der funftreihen Pan⸗ tomimit des Heldenſpielers, wovon ſich Yebtrer viel verſprach, Feine Notiz.

Neben dem colojjalen Hanno nahm ſich das Heine und dünne Figürlein des Duartus gar pofjirlidh aus. Während des Bühnenfünftlers Füße weit in dem Ge— richtsfale dahin lagen, erreichten BVetterlein’8 Beinchen " faum den Fußboden. Der Kleine firirte mit ange— ftrengter Aufmerkſamkeit alle die Präliminarien, Die. von Seiten des Gerichts zur Eröffnung des Kabul’ Ichen Teftaments getroffen wurden.

Hinter Vetterlein's Kopfe vagte ein langes blaſſes Gefiht mit ziemlich indifferenten Zügen hervor, wel- ches dem blonden Factor aus der Druderei angehörte. Süßmilch hatte von feinem Prinzipal Urlaub erhalten, damit er der merkwürdigen Gerichtsfigung beiwohne.

Neben ihm harıte Gamaliel in banger fehüchter- ner Erwartung auf den Ausgang der Dinge. Ob— ſchon Felicitas es nicht gewünfcht hatte, daß er bei der Teitamentseröffnung zugegen jei, fo hatte ihn doch Eifenbeiß mit dem gemefjenen Befehle auf's Stabt- gericht gejagt, daß er ihm (dem Doctor) unmittelbar nad beendigter Sigung Bericht abftatte über den Ausgang der Sache. Der Secretair hatte Eifenbeißen

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mit ver Hand geloben müffen, vom Rathhauſe direct nach der Expedition zurückzukehren.

Gamaliel empfand vor allem ohrigfeitlichen We- fen eine fo aufßerorventlihe Scheu, daß er nur mit angftflopfendem Herzen das Gerichtslocal betrat. Es Ionnte einem Verbrecher, der zum Tode verurtheilt werben follte, nicht ımheimlicher zu Muthe fein, als ihm.. Bergebens fprad er fihb Muth ein und juchte in fi den Gedanken zu befeftigen, daß er ja nicht als Mifjethäter, jondern als hoffnungsreiher Erbe vor den Schranken erjcheine; ein leiſes Zähneklappern war bemungeachtet nicht ganz zu unterbrüden, und von Zeit zu Zeit lief, wie man zu fagen pflegt, ihm der Tod über den Naden. Er grüßte mit Ehrfurcht den Gerichtsdiener, welchen vie Thür öffnete und wollte den befcheivenften Sit unter den für die Erben be- ftimmten Plätze einnehmen, nämlicdy den der Thür am nächſten, als ihm Hanno, der fein Eintreten bemerft, näher winfte und auf den Stuhl hinter fih und ber jungen Wittwe zeigte. Gamaliel rüdte diefer Auf: forderung des fünftlerifchen Vetters zu Folge aud wirklich einige Plätze vorwärts, aber bis hinter die Ihöne junge Frau wagte er ſich nicht, weil ihm das zu unbejcheiden dünkte. Hanno winkte abermals und abermal® avancirte der Secretair, jo daß er endlich neben dem Yactor und hinter VBetterlein und dem Directorial= Better zu fiten fam. Frau Urfula, wel- her Hanno’ wieverholtes Winken nicht entgangen war, wandte fi plöglih mit ihrem Geſicht zu Ga— maliel und flüfterte mit reizender Vertraulichkeit: „Sie fürchten fi wohl vor mir?“

Der Secretair ward ganz voth bei dieſer Frage, und konnte ſich ſchlechterdings auf nichts befinnen, was er darauf hätte erwievern ſollen. Er ftammelte .

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etwas Unverftänpliches, welches wahrſcheinlich befagen wollte, daß er ſich nicht fürchte; aber zu verfteben war's nit. Urſula hatte jet mit ihrer Coquetten- baftigfeit zwei Punkte zu beftreichen, den einen vor⸗ wärts, wo der Stabtgerichtsacceffiit faß, und etwas zur Linken, bi8 wohin ver ſchöne und erbichaftsreiche Gamaliel auf Hanno’8 wieverholtes Winfen vorge= rüdt war. Urſula machte daher eine Rechtsachtel- ſchwenkung und wendete ihr Yodenktöpfchen bergeftalt, daß fie dem Xcceffiften hinter feinem Gitter en face, und dem Secretaiv des Doctor Eiſenbeiß en profil, zu figen fan.

Gamaliel hatte, außer vor Eiſenbeiß und ber Obrigkeit, in diefer Welt vor Niemanden größern Reſpect, als vor einem weiblihen Individuum, Das in feinen beften Jahren, nämlich im fechszehnten bis zum ſechs und breißigften ftand, einen Refpect, wel- her um fo höher ftieg, je mehr der Secretair bie Bemerkung machte, : daß das Individuum zugleich hübſch ſei. Im diefem Falle geftattete er ſelten ei- nen Unterjhied zwifchen einer ſolchen Hübfchheit und einem Engel.

Frau Urſula war ihm alſo aud) eine Art Engel, obſchon er über ihre Coquetterie Mancherlei hatte munkeln hören. Cr begriff gar nicht, wie dieſes rei- zende Profil, nach welchem er von Zeit zu Zeit einen verftohlnen Blid warf, nicht einem eben fo fehönen Herzen und einer eben jo edlen Seele angehören folle.

Bei diefen antbropologifchen und philanthropiſchen Betrachtungen ftörte ihn Niemand fo jehr wie Lage mann, welcher dem Secretair fortwährend Etwas in's Ohr zu zifcheln Hatte und nit müde ward, dem jungen Manne feine Freundſchaft zu verfichern -

Der Birth zur Stadt Magveburg, obſchon ihn

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fein justus titulus berechtigte, auf den Erbftühlen Platz zu nehmen, hatte fi) gleihwohl unter die hof: ende Erbſchaar einzufhmuggeln gewußt und unmit- telbar hinter Gamaliel Pofto gefaßt. Er glaubte fteif und feſt, wenn aud nicht im Teſtamente, doch in einen Codicille oder Xegate vom dankbaren Sohne feines ſeligen Freundes bedacht zu fein.

Lagemann war ftet8 jehr vepfeliger Natur, und ba er diesmal feinen andern Abzugsfanal für feine . Suade fand, als den vor ihm fißenden Secretair, und laute8 Reden in der Gerichtsſtube unzuläffig war, jo wisperte er fortwährend feinem Vordermanne zu und filtrirte demjelben ununterbrochen al’ feine Hoffnun- gen, Befürchtungen, Ahnungen, gehabten Träume, fo wie eine umſtändliche Kritif des im Vordergrunde jeßhaften Erbperfonals zu.

Gamaliel hatte fhon alle Mittel aufgeboten, dem unermüblihen Schwäter auf zarte Weife zu erfen- nen zu geben, wie unangenehm ihm das bejtändige Gewisper fei, und felbft wiederholt fein Geficht in die verbrießlichften Falten gelegt und es dem Hotelier bingehalten. Diefer aber verftand dergleichen Andeu⸗ tungen nicht und dachte an fein Aufhören.

„Sehen Sie pur die Ölaferwittwe, fuhr er wispernd fort, „it Ihnen in Ihrem Leben ein coquet- tere8 Weib vorgelommen? Wie fie den Kopf dreht, das gilt nur Ihnen. Die Frau hat e8 auf Sie ab- gejehen; nehmen Sie ſich in Acht.‘

Der Secretair erſchrak, obſchon er den wahren Sinn des Geflüfters nicht verftand. Er begriff nicht, wofür. er ſich in Acht nehmen follte, warf wieder einen verjtohlnen Blick nah der gefährlihen Stelle, und traf gerade in die fehönen Augen der Wittwe, die zufällig nach ihm hinblidte. Dem Secretair ward

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ganz wunderbar zu Muthe bei dieſem DBlide, und er flug fchleunigft das Auge zur Erbe.

„Ste müſſen das Weib gar nicht anguden,” fuhr der Hintermann fort, „ſonſt laufen Cie in Gefahr; Sie wären der Erfte nicht.”

Während Gamaliel noch darüber nachdachte, wie die warnenden Worte des Magveburgers eigentlich zu verftehen ſeien, rief die Stimme des Gerichtspieners durch die balbgeöffnete Thür: „Der Herr Stadt- richter!“ Gleich darauf thaten fich beide Flügel weit auf, der Chef des Stadtgerichts trat in's Gemach, und ſchritt ernft nad) feinen Sefjel beim Seſſionstiſch. As er an dem Erbpublilum grüßen vorüberging, erhob fich dieſes fämmtlich zur Erwiederung; nur ver Helvenfpieler blieb figen und nidte blos ein Wenig mit dem Kopfe. Jacoby ſchien diefe Unhöflichkeit nicht zu beadhten und ging, jo wie er Pla genommen, zur Sache über.

Eine Todtenftille verbreitete fich jetst über die An— wejenden, dag man ven Fall eined Sandforns hätte hören können. Nach ven üblichen Yormalien und ale die Unverleßbarfeit der Tejtamentsfiegel von Ceiten der Erben war anerfannt worden, eröffnete Jacoby den legten Willen des ſeligen Haffansben-Mullah, über: reichte ihn dem beiſitzenden Actuarius, welcher aufftand und zu lefen begann wie folgt:

„Kabul, den zwölften des Ramaſan im... . Jahre

der Hegira.“

Bei diefen Worten fühlte ſich der Secretair von Lagemann auf die Schulter geklopft. Wahrſcheinlich wollte er fi) diber die ihm unbekannte Hegira Aus— funft erbitten; Gamaliel aber, vefjen ganze Aufmerf- ſamkeit auf den Inhalt des Teſtaments gerichtet und

Stolle, fämmtl. Schriften. XVII. 6

82 , deſſen Geduld hinſichtlich Lagemann's erfchöpft war, gab durch einen umwilligen Ruck zu verftehen, daß er ihn ungefchoren laſſen ſollte. |

Ä Der Stadtgerichtsactuar Kiefewetter, fo hieß das vorleſende Individuum, fuhr fort:

„sn nachfolgenden Blättern babe ich, Haſſan-ben Mullah, ehedem Balthafar Drollinger geheißen, Hof- maler, fo wie auch Hofchirurg Seiner Majeftät des Könige von Kabul, in Gegenwart des ehrmwürbigen Kadi Abdulla, fo wie des nicht minder ehrwürbigen Amini Mekhemed meinen Ietten Willen theil® eigen-' händig nievergefchrieben, theil® durch den verpflichteten Gerichtöfchreiber, Mulk Hiffer, nieverfchreiben laſſen.

„Nachdem ich vie milothätigen Anftalten der Haupt- und Reſidenzſtadt des Königreichs Kabul, wo mid Gott gefegnet und. wofelbft ich viele frohe und glüd- lihe Jahre verlebt, in dankbarer Anerkennung genügend bedacht zu haben glaube, fo iſt mein Wille und Gebot, daß die wenigen Ueberbleibfel meiner zeitlichen Glücks— - güter einigen Bewohnern Nieverroßla’s, einem Städtchen im Kreisdirectionsbezirke Waldenburg, des deutſchen Fürſtenthums X. X. gelegen, deren ich mich gleichfalls in dankbarer Anerkennung nad) Jahren noch erinnere, zu Gute fommen mögen, falls nämlich die reſpectiven Erben die Frachtipefen von Kabul bis Niederrogla aus eignen Mitteln zu beftreiten gewilligt find. Ich muß mir jedoch hierbei die Bemerkung erlauben und bitten, mehr auf die Gefinnung des Gebers, als auf den Werth ver Gabe zu fehen, da lettere überhaupt nur als ein Kleines Andenken an den bavongelaufenen Beutlerjungen zu betrachten find, da ihr Werth mit dem Toftfpieligen Porto allerdings in feinem Vergleiche

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Das hoffende Erbpublifum begann fid) von den

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Worten „wenigen Weberbleibfel” an bis zu dem „da der Werth mit dem koftfpieligen Borto in feinem Bergleih zu bringen iſt“ gegenſeitig mit feltfamen Gefühlen und noch feltjamern Gefichtern anzufchauen. Der Helvenfpieler fiel unmill- fürlic aus feiner chewalercsfen Poſition, Urfula vergaß ihre Soquetterie, und Lagemann flüfterte dem innerlich) erzitternden Gamaliel in's Ohr: „ic hab's faſt geahnt, daß der Kabul'ſche Hallunfe uns fammt und ſonders zum Narren gehabt hat.”

Kiefewetter las weiter:

„Demzufolge vermache ic) nachverzeichneten fieben Perfonen oder deren refpectiven Erben nad)verzeichnete Gegenftände aus meiner Hinterlafjenfcdaft.

I. „Dem ehrfamen Bürger und Beutlermeifter Elias Lucas Harnifh, meinem ehemaligen Yehrherm . oder deſſen Erben, cedire ich andurch die Krone meines zoologifhen Gabinets, nämlich ven nad der neuen indifhen Methode ausgeftopften Seehund, melden ih mit eigener Hand erlegt und der in ber einen Niſche meines Gartenpavillons aufgeftellt if. Ich verbinde mit dieſem Geſchenke den wohlgemeinten Zwed, dem ehrſamen Elias Lucas Harnifh, welcher mich ob meiner Malerei oft einen Seehund gejcholten, einen bilplihen Begriff von einem richtigen Seehunde beizubringen und ihn zugleidh zu überzeugen, daß zwiſchen mir und ber genannten Beftie noch ein wefent- licher Unterfchiev obwaltet.”

Ueber das ernſte Gefiht des Stadtrichters floh faum bemerfbar ein leifes Lächeln, während dem erb= Ihaftlihen Publikum durchaus nicht lächerlich zu Muthe war. Kieſewetter fuhr fort:

II. „Vermache ich dem Armenpfleger Franz Lange, der ſich meiner braven Eltern A} chriſtlich

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annahm, daß er die todtkranfe Mutter wegen rüditän- diger Miethe auf die Straße werfen wollte, den eijer- nen ‚zugefpigten refpectablen Pfahl, auf weldyen die tabuliftifchen Spitzbuben gejpießt werden, worauf fie dann in der Somne braten, und ben ich vor Kurzem. zu dieſem Behufe erft vom biefigen Kapidſchi Baſchi mit ſchwerem Gelde erhanvelt habe.“

II. „Cedire id) dem tapfern Schulmeifter, Ono- phrius Zeh, meinem" einftigen Educationsrathe und Pädagogen in dankbarer Erinnerung der zahllofen Büffe, Hiebe, Kopfnüffe, Pfötchen und ähnlicher Er- munterungsmittel, ein ächtes Bambusrohr mit filber- nem Griff, wie foldes fic Fein Paſcha zu ſchämen braucht, und ein foldes in Niederroßla nit zum zweiten Mal gefunden werden dürfte.“

IV. „Dem DBettelvoigte Tobias Mütze, da wir beide nie unter einen Hut zu bringen waren, vermache ich meinen kabuliſtiſchen Doctorhut, welchen ich mir in Ermangelung einer mediziniſchen Facultät zu Afgha— niſtan, nad) einer deſperaten Bruchoperation am Hof— koche, Hadſchi Baba, mit eigner Hand auf den Kopf geſetzt habe.“

V. „Der Jungfer Salome, welche während meiner

Beutlerlehrzeit in der Dachſtube des Harniſchen Hau— ſes ſeßhaft und vor lieber langer Weile nichts zu thun wußte, als mic beim Meiſter anzuſchwärzen, Heftimme ich ein Straußenei von anjehnlihem Um- fange, zu gefälligem Ausbrüten. Sollte Jungfrau bereit8 in ben Himmlifhen Saal eingejchritten fein, fo bleibt der refpectiven Nachkommenſchaft die Brütung überlaſſen.“

VL „Dem Bäder Breitkopf, über welchen in Nieverrogla ftete Klage megen zu leichten Brotes war, vermace ic ein Dutzend von denjenigen Nä—

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geln, womit von der hiefigen Bäderinnung diejenigen Meifter mit ven Ohren an ihre eignen Hausthüren genagelt werden, welche der gejetlihen Brottare nicht nachkommen. Auch folgt ein Töpfchen Honig bei, womit ein ſolcher ſpitzbübiſcher Teigaffe in warmem Sonnenſtrahle angepinſelt wird, zur allgemeinen Be— luſtigung und Leckerei benachbarter Bremen und Hor- niffen.“

Während um den einen Mundwinkel des Stabt- richters ein faft ununterbrodhenes Lächeln zudte, war dem Erbpublilum mit Schreden klar geworben, daß e8 auch diesmal, wie früher fo mancher ehrfamer Niederroßlaer von dem Hofmaler total genarrt worden ſei. Dem Helvenfpieler war aller Muth gefunfen. Jetzt half ihm auch die neuerworbene Betterfchaft "nichts, die ihn zeither fo hochfahren gemacht; er ließ ſchlaff und zerfnirfcht die Hände bangen, ohne auf eine künſtleriſche Plaftif weiter Rüdfiht zu nehmen. Bei Urſula fant das Köpfchen gleichfall8 wie bei einem Röslein, welches man zu begießen vergeilen hat. Acceffift und Gamaliel waren ihr nichts mehr, und die drei bejahrten Freier ftiegen um hundert Prozent. Betterlein feufzte unaufhörlich, während bei dem Secretair des Doctor Eifenbeiß die Thränen fehr nahe ftanden. Am Gefaßteften blieb der Factor. Sein Ge— fiht blieb fich fo ziemlich gleih, nur daß er häufiger

als gewöhnlich eine Prife zu nehmen pflegte.

Bei Lagemann wollte die angeborne Ruſticität fogar in laute Schelt- und Drohmworte gegen den Hofmaler ausbrechen, als der Stadtrichter ob des ungebührlihen Gebrummes mit feftem, ernſtem Blide aufſchaute und zur Ruhe verwies, während Kieſe— wetter, nachdem er wieder die Brille zurechtgerüdt, im Teftamente fortfuhr:

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„Endlich hinterlaffe ich

VII. „Dem Gafetier, Athanaſius Lagemann (der Genannte fuhr hier wie behert in die Höhe, und ftarrte mit aufgeriffenem Ohr und Auge wie bewußt- los vor ſich hin), welcher einſt als Hühneraugen⸗ operateur in Niederroßla Furore machte, und in be ſoffner Stunde mir faſt die Mittelzehe hinwegſchnitt, an welcher Operation ich ſechs Wochen lang zu hinken hatte, und wofür ihm mein ſel'ger Vater überdies fünf Dutzend Pfeifen als Honorar verehren mußte, für künftige Operationen aus meinem chirurgiſchen Beſteck nachverzeichnete werthvolle Gegenſtände:

a) Sharp's Bruchmeſſer; by) Klemm’s fünfförmige Rachenpolypenzange;

ce) Mureaux Mandelzange;

dd) Leber's Führungsſtäbchen; ) Benoit's Lippenhalter; f) Ohle's Kranichſchnabel; g) Theden's Rachenpolypen-Unterbinder; h) Gerangot's Mundſchraube; i) Percy's Sedaceumnadel;

k) Knauer's Schlundſchiebzange;

)) Savigny's Steisfiſtelmeſſer, und endlich

m) ein Etui zum Ohrlochſtechen.“

Der Wirth zur Stadt Magdeburg hatte während des Borlefens der chirurgifchen Inſtrumente beſtändig in ftiller Hoffnung gelebt, daß auf die für ihn jo nutzloſen Gegenſtände noch eine Kifte holländiſche Ducaten, oder eine Schachtel voll Perlen und Ebel: geſtein, was ſich allenfalls des Herbeiſchaffens nach Niederroßla verlohne, folgen werde; da aber mit dem „Etui zum Ohrſtechen“ der kabuliſtiſche Segen ſeine Endſchaft erteicht hatte, ſetzte ſich Lagemann mit einem Ausdrucke wieder nieder, der ſelbſt in einem

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Iaunigen Romane, wie vorliegender, nicht namhaft gemacht werden fann.

Kiefewetter las weiter:

„Dies ift mein Teitament oder letter Wille, ben ih in Beifein des ehrwürbigen Kabi Abdullah, fo wie des nicht minder ehrwürdigen Amini Mekhemed theil® eigenhändig niedergefchrieben, theils buch ben verpflichteten Gerichtsfchreiber Mulk Hiffar habe nieder⸗ ſchreiben laſſen.

„Sollten mir in der Folgezeit noch etwaige erb⸗ ſchaftliche Gedanken durch den Sinn fahren, fo follen fie codicillariſch dieſem meinem Teſtamente beigefügt, doch erft den fiebenten Tag nach Eröffnung des Öegen- wärtigen, ven Perfonen, fo e8 angeht, von Seiten des Gerichts mitgetheilt werben.”

Der Stadtrichter, nachdem er einen Blid auf den pappernen Wandkalender warf, erhob fih und ſchloß die Situng mit den Worten: „Da dem mitgetheilten Zeftamente ein Codicill in ber That beiliegt, fo werben die Anweſenden erfucht, zu anberweitiger Publication den fünften Mai Vormittags halb eilf Uhr an hiefiger Gerichtsſtelle ſich einzufinden.“

Sechftes Kapitel.

Ungefähr drei Stunden Wegs aufwärts von dem freundlichen Niederroßla, im höhern Gebirg, war in ein⸗ ſamer aber romantiſcher Gegend das Schloß Friedrichs⸗ hof gelegen, welches vor nicht zu langer Zeit ein franzöſiſcher Graf Morand, der als ergebener Anhänger

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Napoleon’8 auf der bourbonifhen Proſcriptionsliſte ‚von 1815 mit verzeichnet ftand, angefauft hatte. Hier lebte der aus ſeinem Baterlande Berwiefene im ehrenvollen Exil, abgefchieden von der Welt, nur im Ungange mit feinen beiden Kindern, dem adıtund- ‚jwanzigjährigen Victor, ver zehn Jahre jüngern Klo— 'tilde, dem Pfarrer aus dem nahgelegenen Dörfchen Friedberg, Leopold mit Namen, einen für einen Land— prediger fehr gebilveten,, freifinnigen, aber nichtöbefto- weniger äußerſt gottesfürhtigen Manne, und feinem ‚alten bewährten Diener und Kriegskameraden, Sean ‚Jaqued aus der Normandie. Morand gehörte mit zu ‚ven zahlreichen Kriegemännern jener Zeit, welde in dem Kaifer der Franzoſen ihren Gott verehrten, nur daß bei unfe erm Grafen die jeltene Ausnahme Itatt- fand, den im Glück angebeteten Helden aud im Un- - glüd treu geblieben zu fein,

WMit Napoleon’s abermaligem Sturze nad) dem furzen aber glänzenden Zeitraume ber hundert Tage, ſah auch Morand feine Laufbahn für beendigt an. Mit dem Abtreten feines Helden von der großen Schaubühne erfchien ihm der politifche Zuſtand Euro- pa’8 verwahrloft, und namentlich widerte ihn das neue Regiment feines Vaterlandes an. ern war e8 daher, daß ihm fein einfam gelegenes veutfches Eril die Heimath hätte wünſchenswerth machen follen; im Gegentheil fand er fih, nachdem er fajt fein halbes Leben im Felde und unter Waffenlärm ver- bracht, durch dieſe Stille und Abgefchloffenheit recht wohlthuend berührt. Bewandert in den mathemati- ſchen Wiffenichaften, und nicht unbelefen in der ge- Ihichtlichen und fchöngeiftigen Literatur. der Franzoſen und Deutfchen, beichäftigte er fich viel mit Lectüre, während er im vertrauten Geſpräch gern die große

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Napoleon'ſche Vergangenheit, welcher er felbft mit an- gehörte, vorüberziehen lieg. Mit dem Pfarrer Leopold disputirte er auch wohl gern über philoſophiſche und religiöfe Gegenſtände; während zwilhen ihm und feinem Sohne Victor, Frankreich, der franzöfiiche Charakter, die franzöfifche Geſchichte und franzöſiſche Berhältniffe faft den alleinigen Gegenftand der Unter- haltung bilveten; wo die beiden jedoch felten einexlei Meinung waren.

Victor, von einer deutſchen Mutter, einer Sachſin geboren, und auf veutfhen Schulen und Iniverfitäten gebilvet,. legte zu ſeines Vaters großem Leidweſen eine entſchiedene Abneigung gegen Frankreich und allem überrheinifchen Wefeh an den Tag. Sein ernfter Sinn fonnte nie an der franzöfifhen Dberflächlichfeit und Flatterhaftigkeit Geſchmack finden, während bie bei jenem Volke jo häufig vorkommende Yrivolität und Berhöhnung alles Heiligen feinem ftreng ſittlichen Charakter im höchſten Grade zuwider waren.

Ein reizendes Gemiſch deutſcher Anmuth und fran= zöſiſcher Grazie bot die jugendliche Klotilde dar. Ein engelhaftes Gemüth in feltener Vollendung weiblicher Form. Da fie die Mutter früh verloren, jo hing fie mit unenplicher Liebe an dem Vater, während ihr der Bruder für das Ideal eines jungen Mannes galt. Kaum dürfte ein Gefchwifterpaar gefunden werben, bei weldem ein größerer Einflang der Gemüther ftattgefunden hätte. Der Biene glei, die fih vom

Blumenftaube nährt, jog das Mädchen die milden -

Reden und Lehren von Munde des Bruders, welcher feinerjeits fi an der reinen, ſchönen Seele in idealer Form erquidte.

Es war an einem Nachmittage; ein warmer leifer Frühlingsregen fprühte befruchtend auf die knospen—

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reiche Erde herab. Hier und da blähten zeitige Kirſch- und Birnenbäume; in dem Garten von Friedrichshof ſchwellten die Purpuraugen der Pfirſichen; Lerchenge⸗ fang durchtönte die ftille Luft; Klotilde war zu ihrer Freundin Hermine, der Tochter des Previgers, auf die nahgelegene Pfarrwohnung hinüber gegangen als Morand, Victor und Leopold nah aufgehobener Mittagstafel noch bei einer Flafche alten Rheinweins im - vertrauten Geſpräche beifammen faßen. Das Speifezimmer, werin fih die Drei befanden, ging. nady den Walpbergen hinaus, die in einiger Ent- fernung anmuthig emporftiegen, und von welchen frühlingsvoller Vogelgeſang herübertönte. Die Tyenfter ſtanden offen. Erquidender Duft flieg aus dem Garten herauf.

Die auf dem Tifche Tiegenben vor Kurzem einge- troffenen politiihen Zeitungen, welche über bie Wort ſchritte der reactionairen Partei in Frankreich, über bie biutigen Unterbrüdungen des hier und da auf- tauchenden Bonapartismus, Über den revolutionären Geiſt Deutſchlands, Fialiens und ber pyrenãiſchen Halbinſel berichtelen, hatten dem Geſpräch eine ſehr ernſte Richtung gegeben. Es war eine längere Pauſe eingetreten; ein jeder ſchien mit feinen eignen Ge— danken beſchäftigt. Vietor ſtand mit verſchränkten Armen am Fenſter und ſchaute nach den Bergen hin- aus; der General rauchte fill feine Cigarre, während Leopold mit der Gabel auf feinen Defertteller Figuren beſchrieb. Da trat Iean Jaques in's Zimmer und meldete, daß fo eben ein. junger fhöner Mann von Niederroßla angelangt fei, welcher dem Herrn General einen Brief eigenhändig zu libergeben habe.

Morand befahl, daß der Ueberbringer hereintomme, und bald darauf trat Gamaliel in's Zimmer, welder

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von Doctor Eifenbeiß, vem Rechtsanwalte des Gene- rals, erfucht worden, ein Schreiben, das fiber eine Grenzftreitigfeit berichtete, perfönlih zu übergeben. Gamaliel erfüllte vergleichen Aufträge, die über Land gingen, fehr gern, darum hatte er auch als neucreirter Gecretair fein Bedenken getragen, fi dieſes Auf- trags zu unterziehen, obfhon er aus Unbelanntfchaft mit der vornehmen Welt den Beſuch bei hochgeftellten Leuten nicht ſehr liebte.

Nicht ohne Wohlgefallen ruhten die Blide des Generals, des Sohnes und des Predigerd auf dem ſchönen Jünglinge, der in tieffter Beſcheidenheit am Eingange ftehen blieb und fih in dem eleganten Zimmer nicht vorwärts gefrante.

- Morand trat freundlih auf ihn zu, nahm ben Brief in Empfang, und bot dem Schlichternen einen Stuhl an, worauf Gamaliel erft nach wieberbolter - Einladung Bla nahm. Bictor ſchenkte ein Glas mit Wein voll und reichte e8 mit folder Herzlichkeit den Gecretair dar, daß dieſer ganz bezaubert ‚von folder Güte und Herablaffung ward, und nicht wußte, wie er entſprechend genug danken follte. Er glaubte nit anders, als in einem Feenſchloſſe angelangt zu fein. |

„O wie gut find Sie,” ſprach er zu Victor, der ihm wie der Engel Gabriel erſchien.

„Wie befindet ſich mein guter Doctor?“ frug der General.

Gamaliel war ſehr froh, bier eine recht befriedi⸗ gende Antwort geben zu können.

„Vortrefflich,“ erwiederte er; und fügte muthiger hinzu: „Und wer ſollte das nicht beim jetzigen Auf⸗ erſtehungsfeſt!“

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Der General ſchien ihn hier nicht recht zu ver— stehen, der Secretair bemerfte e8 und fügte etwas leiſer Hinzu: „Ich meine, weil Alles jo grün wird und die Lerchen ohne Unterfaf fingen.”

„Sie find gewiß ein rechter Naturfreund ?” frug ber alte Krieger.

Gamaliel, welcher nicht begriff, wie Jemand fein Raturfreund fein fönne, und warum er allein eine Ausnahme machen folle, entgegnete mit einem eignen zum Mi ſprechenden Tone: „Das iſt jeder gute Menſch.“

„Wohl wahr,“ verſetzte der General, den dieſe Antwort innig anſprach; „nur ein. böſes, verſtocktes Gemüth kann die Pracht Gottes ohne Theilnahme ‚betrachten.‘

Diefe Worte waren Waffer auf Gamaliel's Mühle. Er erwieverte mit Wärme und ziemlicher Unbefangen- beit: „Ein böfes Gemüth ift nur krank, und zu feiner Heilung bietet Gott unabläffig die Hand, und läßt niht nad), bis es wieder genefen und feinen Frühling anlächelt. Ich glaube auch, daß der himm— liſche Vater feine Blumen für foldhe Leidende am Scönften blühen läßt, damit endlich die Herzen auf: und die Augen übergehen. ı

Jetzt war auch Leopold mit fichtbarem Intereſſe näher getreten und geftand, daß dies ein eben fo Ihöner als beſeligender Glaube fei.

Das Geipräd ward. immer wärmer und intere|= fanter. Der Secretair ließ unbefangen fein ſchönes, liebevolle Herz leuchten, feine Rede erhob fid) nicht felten zu poetifher Höhe; die große Schüchternheit hatte ſich verloren; er ſchien ganz vergeflen zu haben, daß er begeiftert zu einem vornehmen Manne ſpreche. Aber gerade dieſes ſich Gehenlaſſen gewährte dem

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ſchönen Jünglinge in den Augen der Anweſenden einen erhöhten Reiz. Man fchien gar nicht begreifen zu können, wie der profaifhe Advocat Cifenbeiß zu ſolch einem hochpoetiihen Briefträger gekommen ſei. Samaliel, der wie im Himmel lebte, fühlte ſich wiederholt die Hand geprüdt und warb um biogra= phiſche Mittheilungen erfucht, die ihm vollends aller Herzen gewannen; denn bie Liebe zu feiner Mutter. Felicitas verlich feiner ſchöͤnen Seele einen wunder: baren Glanz.

Der General befand fih in fo wohliger Stim⸗ nung, daß er Champagner bringen lief. Dean ftieß die Gläſer aneinander und ließ ven Frühling leben, vie nächte Roſenblüthe und tranf auf ein gefegnetes Weinjahr. Der Secretair, welder in feinem Leben feinen Champagner getrunken hatte, begann gleich nah dem eriten Glaſe von den ungewohnten Weine zu glühen. Cr glaubte gar nit mehr auf Erden zu leben, fo leicht, jo himmelvoll fühlte er jih. Er begann über Unfterblichkeit zu Iprechen, die ihm, wie ‚er behauptete, nody nie jo unumftößlich gewiß erichienen, als in der gegenwärtigen Stunde.

Auch der Himmel that das Seine, um den vier glüdlihen Menfchen das Yeben fo bezanbernd wie möglich zu machen. Der leife Regen hatte die früh— lingſchlummernde Landſchaft wunderbar erquidt; das filbergraue Gewölk begann ſich zu theilen, und bier und da bradh ein Stück blauer Himmel hindurch; nur über dem Walde im Often ſtand unbeweglich eine dichte graue Wand. Allmälig warn das Gewölk dünner und Lichter, und die Nachmittagsfonne trat fiegend hervor, Berg und Thal himmliſch erleuchtenn; über den Wald aber z0g ſich ein Regenbogen von

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ſeltener Schöne. Darunter ſangen die Lerchen, und friſches, erquickendes Grün blickte überall hervor.

Aus den Fenſtern des Speiſezimmers genoß man mit ſtummem Entzücken das koſtbare Frühlingsbild; dem Secretair ſtanden bie Thränen in den Augen; er entfann ſich nie einer fo wahrhaft feligen Stim- mung, und kam daher immer. wieder auf die Unfterb- lichkeit zurück, deren Gewißheit in ſchönen Momenten mit leuchtenden Lettern in ſeinem Innern brannte.

Hohe Seligkeit ſcheint aber den armen Gterb- lichen hienieden nie auf lange Zeit verliehen zu fein; fie ſoll wahrjheinlih nur ein Vorgeſchmack des Him- meld fein, da fie für die Dauer die irdiſche Hülle brechen würde. Die verflärte Seele dürfte in folchen Momenten feinen Augenblid Bedenken tragen, auf und davon zu flattern, den Sternen zu, wenn fie nicht von Fleiſch und Blut centnerweis umklammert und auf Erden zurüdgehalten würde. Dem Gecretair erging’8 fein Haar befier. Seine himmliſche Stim- mung ward plötzlich durch zwei Bedenklichkeiten geftört, bie an ſich nicht der Rede werth waren, an Gamaliel’s Bruft aber wie Geier fraßen.

Je mehr ſich nämlich die Nachmittagsſonne den Abenpbergen näherte, deſto nagender warb beim Secre- tair der Gedanke, daß er ganzer drei und brei viertel Stunde von Niederroßla entfernt fei, und daß er längft den Heimmeg hätte antreten follen, anftatt - bier als Fürft zu leben. Er gedachte mit Schreden, wie Telicitad in Sorge und Bangen gerathen werbe, wenn er nicht zur beftimmten Zeit eintreffe. Indeß baute er, ſobald nur der Abſchied, an weldhen er nicht ohne Wehmuth dachte, überſtanden fein würde, auf jeine Füße. Im auspauerndem Doublirfchritt hoffte er das Berfäuntte einigermaßen nachzuholen.

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Eine andere Bedenklichkeit fiel ihm aber noch weit ſchwerer auf's Herz, als der Gedanke an die Weite des Heimwegs. Er überlegte nämlich, wie er fo gaftfreundlich aufgenommen worden fei von dem Herrn General und Sohu, wie cr Rheinwein und felbft Champagner getrunfen, und daß es unter ſolchen Umftänden unerläßlich fer, ſich als Weltmann und ſplendid zu zeigen gegen die Dienerſchaft. Er erinnerte fih, irgenpwo fogar vernommen zu haben, daß in manchen Häufern die Berienung nur ſpärlich Yohn erhalte, und hauptfächlih auf die Douceure ange- wieſen fei.

Während diefer Betrachtungen, die fich ihm, je mehr er darüber nachſann, als unerfchütterliche Wahr- heiten herausſtellten, vifitirte und fummirte er mit geheimem Graufen verftohlen vie Baarfchaft feiner rechten Hofentafche, die ihm für einen Bedienten mit Ihönem hochrothen Kragen durchaus unzureichend er⸗ ſchien. Wieverholt ließ er die fünf Kupferlinge, die auf zwei halbe Krüge Bier und ein Stück Butter und Brot während des Heimmarfches berechnet waren, durch die Finger gleiten. Er mochte zählen fo viel er wollte, die Baarichaft in der rechten Hofentafche wollte nicht zunehmen, und daß im linken Sade und in den beiden Weftenbehältern nichts ſtack, wußte er genau, denn er konnte über den Stand feines Per: mögens allezeit prompte Rechenschaft geben.

Diefe vertracte Doucenrangelegenheit, die ihin zum Glück ganz fpät in den Sinn gefommen, denn außer- dem hätte ihm fein Tropfen Wein gefchmedt, um— hing die ganze Frühlingslandſchaft mit einem trüben Schleier, und verlieh feinem Benehmen wieder einige Befangenheit.

Er begriff bereits fo wel von der großen Welt,

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ba er einen hochadeligen Bedienten nicht mit Kupfer- geld abfpeifen könne, und hätte er zwei Scheffel voll Dreis und Bierlinge- befeffen. Das wäre gegen alle Delicatefje gemejen. Er fann demnach hin und wieder, wie er ſich ohne Dementi aus dieſer gefahrvollen Lage zu ziehen. vermöchte.

„Ein nobles Trinfgelb, “ſprach er für ſich, „geht der Dienerſchaft über Alles, und giebt man nicht drauf und drein, ſo iſt das Bolt im Stande, unfer- einen bei der Herrichaft in böfes Licht zu fegen. Es find mir Beifpiele davon erzählt worden. Mir aber wäre das äußerſt fchmerzhaft. Ich bin mit fo außer: ordentlicher Generofität aufgenommen worden. 8 bleiben nur in der Welt nur zwei Auswege, will id) mid, nicht blamiren. Entweder ich laffe dem Roth— fragen meine Uhr zum Iinterpfanve, die ich bei näch— ſter ſchicklicher Gelegenheit einlöfe, oder ich fprede ftolz; und abgebrohen: „Werde mid abfinden das nächte Mal!” wo id dann die Summe durch einen Erprejien unter verſiegelter Adreſſe an den Herrn Domeſtik gelangen Laffe.

Hinfichtlih des Zurücklaſſens der Uhr ftiegen aber alsbald neue Zweifel im’ Gehirne unferes Secretairs empor.

„Sie it von Tombak,“ fuhr er mit ſich berathend fort, „und gebt nur, fobald fie geſchüttelt wird; ein bloße8 Zierrath, denn als Uhr entfpricht fie ihrem Zwecke ſchlecht. Dies könnte Anftoß geben; aljo beiier, ih lafie e8 bei der vornehmen furzabgebrodenen Ver— heißung; der Rothkragen kann mir doch nicht in die Tafche fehen und wiflen, ob nicht Gold oder unver- äußerlihe Scauftüde darin fteden. Ich kann das Courant bereits verausgabt haben, in Wirthshäufern, an Bettler, wer weiß es?“

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Den Secretaiv warb wieder leicht und groß um's Herz, als er dieſe peinlihe Angelegenheit bei fi auf's Heme gebracht hatte. Die Radmittagslannfchaft verflärte fi von Neuem, und er wide ganz ber frohe Menſch wieder geworden fein, Hätte ihn nicht bie immter tiefer fintenne Sonne mehr benn je an den Aufbruch gemahnt.

Er recapitulirte fo eben bei fih, wie ver fchid- lihe Anlauf zur Netivade zu nehmen fei, ald ver General fih mit den gaftfreimblicyen Worten an ihn wandte: „Sie könnten heut' bei uns vorlieb nehmen, lieber Drollinger, wie find einmal fo froh. bei ein⸗ ander; ich laffe Sie morgen früh nach Niederroßla zurüdf „. Wie überraſchend und jchmeichelhaft dieſes Aner- bieten für Gamaliel war, fo konnte er es gleichwohl nicht annehmen, weil er feiner Mutter durch ein nächt⸗ liches Ausbleiben vie unruhvollſten Stunden bereitet haben würde. Er jtellte dies offenherzig vor um bat inftändig, auf jein Dableiben nicht länger zu be- jtehen, daß es ihm fchmerzhaft genug jei, den liebrei- hen Wunſch nicht erfüllen zu können.

‚Wohlen, verjette Morand , ‚jo behalten wir ed uns für ein ander Mal vor, aber ohne ein Feines Besperbrot dürfen Sie nicht von dannen. Sie fah- ven in meinem Wagen zurüd und meine flinfen Brau- nen werben Ihr Verſäumniß wieder einbringen. Wir bleiben noch zwei Stimbchen beiſammen, und Sie follen gleichwohl noch zeitig genug in Niederroßla eintreffen; eben ſchlägt es fünf Uhr.“

Zugleich befahl der General einem Diener, daß um ſieben Uhr die grüne Chaiſe vorfahren ſolle.

Gegen ſolche Liebenswürdigkeit, wie fie Gamaliel in ſeinem Leben bei einem ſteinfremden Manne nicht

Stolle, ſämmtl. Schriften. XVII. 7

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vorgefommen war, ließ ſich nichts einwenden. Man nahm nad) einiger Zeit wieder Plag zur Einnahme des Besperbroted, während draußen die Abendland haft in immer fehöner Beleuchtung trat.

Das Gejpräh ward wieder fehr belebt und be- rührte die mannigfachſten Gegenftänve, als der Pre= biger Leopold daſſelbe plöglih mit ven Worten un— terbrah: „Apropos, lieber Drollinger, da fallt mir bei Ihrem Namen fo eben ein, find Site nicht bei der berühmten Kabul’ichen Erbſchaft betheiligt, die in diefen Tagen in Nieverroßla ſolches Auffehen erregt hat? Wenn ich nicht irre, kommt der Name ‘Drol- finger in der ftabtgerichtlihen Belanntmachung vor.”

In Gamaliel’8 Freudenbecher hätte Niemand einen herbern Wermutbstropfen werfen können, ald der Pre- diger mit dieſer Frage, während die beiden Morand's bei ven Worten: Kabul'ſche Erbſchaft fi einan- ver betroffen anſahen und ſehr gefpannt fehienen, ein Weiteres zu vernehmen.

Der Secretair theilte nun ziemlich betrübt mit, wie fein feliger DVetter fih unfehlbar nur einen Scherz mit den Niederroßlaern gemacht habe; das Te— ftament bedenke Perfonen, die nicht im Entfernteften zu den Erben gehörten, und überdies auf eine Art, daß der Schabernad veutli vor Augen liege. Zu größrer Evidenz feiner Behauptung führte er ven teftirten ausgeftopften Seehund, den fabuliftiichen Doc- torhut, das Straußenei zum Ausbrüten, und nod) einige der Zeftamentsclaufeln an.

„Und dieſes Teftament jollte wirklich aus Kabul ftammen, dajelbft verfaßt fein?” frug Victor mit großer Theilnahme. Ä

„Es unterliegt die8 wohl feinem Zweifel, ver- ſetzte Gamaliel, „pa diefe legtwillige Verfügung durch

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das britifche Gonfulat felbft anhero gelangt ift, wel= ches zugleich die Aechtheit des Actenftüds verbürgt.“

„Seltfam, höchſt ſeltſam,“ rief Victor noch immer ſehr bewegt; „aber wie ift denn Ihr Herr Better nah Kabul gekommen?“

„Darüber können wir durchaus feine Auskunft geben,” geftand der GSecretair.

„And wirklich Hofmaler fol er geweſen fein?” fuhr Bictor fort.

„Dies beftätigt der Berftorbene eigenhändig im Teſtamente.“

Victor, nachdem er wieder einen ſeltſamen Blick auf ſeinen Vater geworfen, war aufgeſtanden und ging in Gedanken das Zimmer auf und ab. Ga= maliel, weldyer vie Aufregung der beiden Morand's gar nicht bemerkte, erzählte unbefangen weiter:

„Dem Teftamente liegt zwar noch ein Codicill bei, das dem Wunfche des Teſtators zufolge erft acht Tage nach Eröffnung des Teftamentes publicirt wer- ben foll, aber was ift von einem Codicill zu hoffen, wo der eigentliche legte Wille nur Scherz treibt?

„Die Hoffnung, aus dem Morgenlande erbidhaf- ten zu wollen,” fuhr er nad) einer Paufe, als wolle er ſich felbft tröften, fort, „war auch zu vermefjen.”

„Und diefe Copicilleröffnung,” frug Victor weiter, „wann wird fie vor fi) gehen ?”

„Der Publicationstermin ift auf Uebermorgen an- geſetzt,“ antwortete Gamaliel.

Der junge Morand fchien noch Mehres fragen zu wollen, als Jean Jaques mit der Meldung in's Zimmer trat, daß der Wagen vorgefahren ſei. Zu— gleih ſchlug es fieben Uhr auf dem Thürmchen des Herrnhauſes.

Draußen ruhte der ſchönſte Frühlings abend auf

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Berg und Thal; alle Wolfen hatten ſich verzogen ; in reinem Blau athmete der Himmel, und die tief- gefunfene Sonne warf ihre rothen Strahlen verflä- vend über die junge Frühlingslandſchaft. Noch im: mer fangen die Lerchen, und im benachbarten Dorfe tönten die Abendgloden.

Man leerte die Gläſer auf baldige Wiederſehen; Gantaliel gejtand offenberzig (er hätte beinahe ge— [hworen, wenn er blo8 feinem überftrömenven Her- zen Gehör gegeben), daß er heut die fchöniten Stun— den feined Dafeind verlebt babe. Beim Aufbrucde fah. er ſich vergeblich nach einem dienſtbaren Geifte um, den er hätte wegen des Trinkgeldes vertröften können. Er konnte zu feinem derfelben hingelangen, ohne ven General, oder Victor, over den Prediger, in deren Mitte er fi) fortwährend befand, über den Haufen zu werfen. Erſt als er mit Jean Jaques Hülfe in ven Wagen kletterte, begannen feine Verheißungen, deren Wirkung er freilich nicht wahrnehmen konnte, da er zu fehr mit der immern Einrichtung der Equi— page beihäftigt war. Es ftiegen in ihm abermals Zweifel und Bedenken auf, ob es nicht fehicklicher ſei, wenn er fi als eine fo unbedeutende Perſon rüd- wärts fee; zugleich überlegte er jedoch, daß er ja mutterjeelallein kutſchire, und wie es da lächerlidy fe, verkehrt duch die Welt zu fahren. Der genojjene Champagner that das Seine und beftärkte ihn in diefer Anficht, daher er mit großem Muthe im Yond Platz nahm; er empfahl fich höflich dem Jean Jaques, nidte ununterbrochen nach dem Schloſſe hinüber, wo jeine Gaftfreunde durch die Glasthüre auf ven Bal- fon getreten waren, und genoß jest erſt Muſe, über den heutigen märchenhaften Nachmittag Betrachtungen anzuftelen. In einem fo prächtigen Wageu hatte er

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fein Leben lang nicht gefeflen. Wie dus im Innent Alles jo ſchön und bequem eingeridhtet'war, jo weich und elaftih. Es ſaß fi königlich im diefer Equi- page, gegen weldye vie zwei Niederroßlaer Gevatter- futfchen und der Einfpänner des Doctor Eifenbeiß. ſchlechterdings nicht in Vergleich zu bringen waren.

„Die Menfchheit,“ ſprach er für fih, „hat es doch außerordentlich weit gebracht in der Eleganz und Be— quemlichkeit.“

Um den vornaufſitzenden Kutſcher nicht als ein Menſch zu erſcheinen, der durch plötzlichen Glücks— wechſel ſtolz und ſtumm geworden, ergriff er die Ge— legenheit, ſich nach dem ungefähren Preiſe der Caroſſe zu erkundigen.

„Sp ein Wagen mag Geld koſten,“ ſprach er.

„Dieſer bier,” erwiederte Niklas, fo hieß der Kut— ſcher, „geht an; aber die neue Chaiſe, die in der Remiſe ſteht; ich weiß nicht, ob Sie dieſelbe kennen —“

Gamaliel geſtand ſeine Unkenntniß.

„Dieſe iſt unter Brüdern ihre Achthundert werth.“

„Um Himmelswillen,“ rief Gamaliel, „dafür be— kommt man ein ganzes Haus in Niederroßla.“

„Mag wol ſein,“ verſetzte der Wagenlenker; „die Sattlerarbeit beträgt allein über anderthalbhundert, das Geſtelle ıft direct von London.”

„Allerdings“ geſtand der Secretär, „der Trand- port über's Meer, per ift foftfpielig, aber achthun— dert —“

„Sleihwohl ift mir der Grüne lieber,‘ meinte Niklas, „Das Feder- und Räderwerk ift leicht und flinf; finden Sie das nicht?“

„Es fährt ſich wie im Himmel,” verſetzte Gama— liel, mit Niklas Meinung vollfommen einverftanden ;

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„man begeift gar nicht, wie man fo leicht und an- genehn vorwärts kommt.“

Niklas, der fih in dem Lobe feines Fuhrwerks jelbft gejchmeichelt fühlte, ließ die zwei Braunen noch herzhafter auftreten, fo daß die Frühlingsabendland- Ihaft zu beiden Geiten wie im Fluge vorüberzog. Er hoffte, daß fein Paflagier hierdurch Gelegenheit nehmen werde, feine Aufmerkſamkeit auch dem ſchmuck— gehaltenen, vortrefflihen Roßgeſpann, Niklas Stolz, zufommen zu laffen. Der Secretair verſtand aber jo viel wie gar nichts von Pferden und Pferdezucht; auch ermangelte ihm dafür aller Sinn. Eine alte Krafe, fo fie nur mit vier Beinen begabt war und an einigermaßen vorwärts konnte, galt ihm eben jo viel, wie ein arabifh Vollblut. Seine Anfprüde an ein Pferd waren wirflid außerordentlich bejcheiden. Es fiel ihm daher im Geringſten nicht ein, über die ftolzauftretenden Roſſe des Generald Morand ein Wort zu verlieren. Seine Seele war wieder bei ſei— nen edeln Wirthen in Friedrichshof, und nebenbei jhwelgte fie in dem goldnen Frühlingsabende zur Rechten und Linken.

Niklas, dem es als etwas Undenkbares erſchien, daß einem Gaſte ſeiner Herrſchaft der Namen der zwei vorantrabenden Braunen unbekannt ſein ſollte, und der gar zu gern ſeine Lieblinge in das Bereich des Discours gezogen hätte, begann nach einiger Zeit, da ſein Paſſagier keine Anſtalt traf, auf die Vorzüge ſeiner Vierfüßler anzuſpielen.

„Für die Pallas und den Hector,“ ſprach er, „ſind meinem, gnädigen Herrn vor ungefähr vierzehn Tagen hundertundzwanzig Friedrichsd'or in Golde vom Burgdorfer Baron geboten worden, aber er giebt fie

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nicht; und Niemand verdenkt ihm pas; fo ein Paar befommt er fobald nicht wieder.”

Der Secretair des Advocaten Eifenbeiß, fo eben poetiih verzüdt in Anſchauung des rofigen Abenpge- wölfes, fuhr bei Niklas Anrede aus feinem goldnen Traume empor. Cr hielt, da furz vorher von Ca- roffen des Generals die Rede war, die Pallas wie den Hector gleichfalls für vergleihen Locomotiven, und pflichtete, um dem braven Niklas nicht zu nabe zu treten, jeinen Anfichten wegen des Nichtverfaufs . bei, obſchon er nicht recht einfah, wozu der General einer folhen Wagenburg benöthigt fei.

„Ste find faum fieben Jahre alt,“ fuhr der Aut- ſcher fort.

„So? ſprach Gamaliel gutmüthig.

„Und gut dreffirt

„Das will ic glauben,” erwiederte der Paſſagier, obſchon er wiederum nicht recht begriff, was am Wa- gen zu breifiren jet.

„Laufen in die Millionen,” erzählte Niklas wohl- gefällig weiter. N

„Eine vortrefflihe Eigenfchaft,“ belobte der Se- eretair.

„Der Hector hat fogar einen Wolfsbiß.“

„Merkwürdig,“ erjtaunte der Secretair, „und wo ift er dazu gefommen ?‘

„Do in Polen,‘ war die Antwort.

„Aha,“ ſprach Gamaliel, dem ein glüdlicher Ge— danke Fam,” „ver Herr General bevienten fich ferner in der ruffiihen Campagne.“

‚Mein, lachte Niklas, „da war wohl an den bra- ven Hector noch nicht zu denken.‘

Gamaliel begriff jett in der That nicht, wie es gefommen, daß der Wagen des Generald Morand von

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einem Wolfe angebiſſen worden ji. Er ließ indeß bie Sache auf ſich berufen, und frug, ob der Biß den Wagen ſtark beſchädigt habe?

„Den Wagen ganz und gar nicht!“

„Ni cht 1.

‚Hector lief damals gewiß frank und frei umher,“ ſprach Niflas.

Dem Secretair ging enblih ein Licht auf, wen wohl der Schwager unter Hector und Pallas verftan- . ven habe. Er jchämte fi, fo widerſinnige Fragen gethan zu haben, und glaubte fein Verſehen nur da— burd) wieder gut machen zu können, wenn er bie Zus genven der vierfüßigen griedifchen Göttin und des vierfüßigen trejanifchen Helden aus Leibesfräften her- ausſtrich. Niklas fühlte fih dadurch fehr angenehm berührt, und begann eine erſchöpfende bippologifche Abhandlung, welder Gamaliel anfangs zwar mit großer Aufmerfſamkeit zubörte, die ihn endlich aber doch zu umfangreid, erſchien. Namentlich ward feine Aufmerfjanfeit durch einen Gegenftand abgelenft, ver allerdings geeignet war, ben andächtigſten Zuhörer über Pferbeweisheit abtrünnig zu machen. Als näm— ih der Wagen langſam einer Anhöhe emporfuhr, traten plößlid zwei mit ftäptifcher Aumuth gefleivete Frauenzimmer aus einem hellgrünen Birkenwäldchen, und famen des Weges daher. Gamaliel machte fo- gleich die äußerſt richtige Bemerkung , daß bie beiden Wanderinnen nod) dem jugendlichen Alter angehören müßten, denn Die zwei Damen waren Niemand an- ders als Klotilde Morand und des Pfarrers Tüchter- lein Hermine, welche fo eben von einem länblichen Spaztergange nad dem Schlofje heimfehrten.

Als Klotilde das väterlihe Geſchirr und den Ni— klas auf dem Bode erfannte, blieb fie ftehen und vie

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Hand gegen die eben untergehende Sonne haltend, bemühte fie fi, des im Wagen Sitzenden anfichtig zu werden, un der Hoffnung, einen aud ihr befann- ten Freund ihres Vaters zu erbliden.

Das Mäpchen, um ihre reizende Erfcheinung in bie Ichönfte Beleuchtung zu ftellen, konnte gar keinen glüdlidyeren Moment treffen, als den, wo Gamaliel an ihr vorüberfuhr. Bon ven Strahlen der Abenb- fonne zauberhaft umklungen, ftand fie in roſenrother Berklärung wie der Engel einer ſchönern Welt. ‘Der Secretair des Doctor Eifenbeiß hatte nur einen Blid auf die himmlifhe Erfheinung am Wege gethan, und feine Ruhe war mit einem Schlage dahin. Cr empfand plötlich einen ſolchen urfräftigen Stih im Herzen, daß er faft bewußtlos in den Fond zurüdfanf und darüber das Grüßen vergaß, worin ihn doch Niklas mit gutem Beiſpiele voranging.

Der Wagenlenfer war durch das plößliche Er— feinen der jungen Gräfin felbit überrafcht, daß er jein Pfervefapitel mit den Worten ſchloß: „Ja, es tft was ſchönes um ein tavellofes Pferd ; ich fünnte mein « Leben dafür lafien, aber fo ein ſchmuck Mädchen hat aud) feine Meriten.”

„Um Gotteswillen,” ſtammelte der von Schüß Amor rechtskräftig erlegte Gamaliel, jo er wieder zur Befinnung fam, „wer war denn das himmliſch reis zende Weſen?!“

„Ei, kennen Sie unfer ſchönes gnädiges Fräulein nicht,“ ſchmunzelte der Gefragte; „und ftehen jo gut uit dem gnädigen Bern; nicht wahr, das it ein Mädel, Bombenelement! und nicht ein Fünfchen Stolz; wir beide ftehen auf beftem Fuße; jie fpricht nie an= ders zu mir, ald „mein guter Niklas.“

est ward dem Paſſagier fein Kutfcher ordentlich

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zu einem Stüd heiliger Perfon, da er in der Nähe eines foldhen Engels wohnte, und überdies mit dem— felben, feiner Ausfage nah, auf gutem Fuße ftand.

„Ja, wer die einmal befommt,” fuhr Niklas red⸗ felig fort, „ver kann lachen, ver braucht feine Hand mehr anzurühren auf dieſer Welt. Man fchätt ven Alten auf feine dreimalhundert Taufend; zwei Kinder find nur da; der gnäd’ge Herr Graf, Gott verleihe ihm ein langes Leben, es iſt der befte Herr unter der Sonne; aber lange wird er's auch nicht treiben ; die Sampagnen haben ihn den Knar gegeben, dann ft Tildchen die reichite Erbin.

Niklas büßte ob dieſer legten Mittheilungen, weil fie den gräflichen Engel blos als reiche Parthie fehil- derte, und dem Gecretatr zu egoiftifch- vorfam, von feinem Heiligenfchimmer etwas ein.

Gamaliel befand fich Übrigens in höchſt verzwei- felter Lage. Er hätte ſich mögen den Kopf einftoßen vor Wuth, wenn nit das Innere der Kutſche mit weichem Polſter ausgefchlagen geweſen wäre. Er über- dachte nämlich jetzt jeine herfulifche Grobheit, ven himmliſchen Seraph, ver fo nah’ am Wege geſtanden und überdies, wie er ja gejehen, in ven Wagen hin- eingeſchaut hatte, nicht gegrüßt zu "haben.

„Ein ſolch' grobes, ungefchliffenes Betragen,“ wet- terte er, „ist ſicher noch nicht wagewefen, jo lange die Welt ſteht. Was foll die ghäd' ge Gräfin von mir denken? Allerdings kann ſie in Betracht ziehen, daß ich ſie nicht gekannt habe; aber als Grobian, als Menſch ohne alle Bildung erſchein' ich ihr immerhin. Ein vernünftiger Mann grüßt jede Dante, mit der er in jo nahe Berührung kommt, auch wenn er nicht gerade das Glück ihrer nähern Bekanntſchaft genießt. Der Teufel muß in dem verhängnigvollen Augenblide

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in mich gefahren fein, daß ih den Dedel nicht vom Kopfe bringen konnte. Ich bin der höflichite Menſch in ganz Nieverroßla, der jede Creatur grüßt, die von einem Weibe geboren ift, und werde gleichwohl zum radicalen Grobian, ald mir das erftemal in meinem Leben ein Engel in den Weg tritt.“

Dem Secretair war lange nichts fo außerm Spaße gewefen, als die Bernadhläffigung, die er ſich gegen bie Tochter feines Gaftfreundes hatte zu Schulven kommen laflen.

Die gefhäftige Phantafie malte ihm fehr bereit- willig und ausführlih, wie Klotilde bei ihrer Heim- funft über feine Grobheit ausführlichen Bericht ab- ftatten und in weldem höchſt ungünjtigen und undank- baren Lichte er feinen edeln Gaſtgebern erjcheinen müſſe.

Er wurde endlich) ganz wild ob ber wiaufgefor- derten Phantafien, legte fi) in den Fond zurüd und mochte von der Welt nichts mehr willen. Der ftille Trühlingsabenn, der warm und duftend herabſank, der himmliſche Abenpftern, der bereits ſchwach über den Abendbergen zu Ihimmern begann, war ihm nichts. Er wollte weder etwas hören noch fehen, während das Gift von Amors ſcharfem Pfeile in feinem Her— zen immer tiefer fraß.

Wie übrigend das weiſe Geſchick, fo über dem Leben und Treiben des Menſchen maltet, es immer fo einzurichten pflegt, daß jedes Malheur in der Re— gel auch ein Glück im Gefolge hat, fo bewahrte das bumpfe inpolente Hinbrüten, mit welchem ber ver- liebte Secretair in der einen Wagenecke lag, ihn vor einem andern Uebel, welches er außerdem nicht min- der ſchmerzlich als feine Unböflichkeit gegen vie junge Gräfin empfunven haben würde.

Die. Straße, auf welcher das muthige Geſpann da-

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hin braufte, hatte nämlich zumeilen Dorfichaften mit lachenden Wirthshausfchildern zu paffiren. Gamaliel würde ed nun in jeder andern Stimmung für uner läßlich erachtet haben, bei einem viefer Schilde Halt zu machen und dem Kutſcher einen erquidenden Labe— trunk reihen zu laſſen; denn er war von Natur au« ßerordentlich ſpendabel. In melde Pönitenz würde er aber bei dem Gedanken an feine kupferne Baar: Ihaft verſetzt worden fein! Er hätte wahre Todesangft ausgeftanden. Diesmal entging er verfelben, da fein ‚Inneres ob feiner Grobheit noch zu empört und fein Sinn davon erfüllt war. Die lodenden Schilder flo- gen daher, ohne ihren Zwed zu erreichen, an feinem Geſichte vorüber. Gleichwohl ſollte er hinſichtlich ſei— ner fünf Kupferlinge noch eine kurze, aber harte Prü— fung zu beſtehen haben.

Das Fuhrwerk mochte ungefähr noch ein Stünd- hen von Niederroßla entfernt fein, es war unterdeß dunkler geworden, am tiefblauen Himmel leuchteten wunderſchön die Sterne der Frühlingsnacht; doch ver Gecretair, nody immer voller Groll und Liebe, adıtete ihrer nicht; dafür begann ihn ein Stern zu intereffi- ren, der in geringer Entfernung vor ihm an ber Straße plöglid aufging und einen ziemlih trüben Schein umbherwarf. Der Secretair machte alsbald die besperate Entdedung, daß ed die Yampe des Chauf- jeehaufes ſei und ein Weiterfahren durch den officiel- len Balfen, der ſich quer über die Straße gelegt, unmöglid gemacht werde, fofern man nicht britthalb Silbergroſchen Weggeld erlege. Das hatte nod) ge- fehlt, um das Maaß von Gamaliel's Mißgeſchick voll zu machen. Wieder fuhr die Hand des Paſſagiers convulfivifch in die rechte Hoſentaſche und controlirte die Kupferlinge. Die unfruchtbaren Kreuzer hatten

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aber nicht gehedt, e8 waren wicht mehr und nicht we— niger als in Friedrichshof, nämlich fünf Stück.

Gamaliel begriff viesmal wirklich nicht, welch' ein Ende dieſer neue Unfall, an den ex nicht im Entfern- tejten gedacht, nehmen werde. Eine Menge Pläne burchzucten bligartig fein fibrivendes Gehen, einer abenteuerliher al8 der andre Erſt wollte er fi ſchlafend jtellen wie ein Todter, unaufmedbar, troß alles Rufens von Seiten Niklas und Des Gelverein- nehmers, in der Hoffnung, der Schwager werde enb- lich ſo viel Conduite befommen, die Summe, welche feine eigenen pecuniären Kräfte überftieg, zu verlegen.

„aber, überlegte er auf der andern Seite, „wenn Niklas in der Hoffnung eines ſplendiden Trinkgelds ſelbſt nichts zu jich geftect hat, fo wird man alle num denkbaren Belebungsverjuche mit mir vornehmen, man wird fein Mittel unverfuht laffen, mi in's wache qualvole Daſein zurüd zu rufen; und nach meiner gezwungenen Auferjtehung werde ih um fo blamirter daftehen, infolvent, als Bankeroteur.“

„Beſſer wäre e8, fuhr er nach einer Pauſe fort, während die verwünſchte Chauffeefternichnuppe immer näher fam, „ich entdedte mich dem Niklas und pumpte ihn an. Der gerade Weg bleibt immer der bejte und das kann einem Prälaten paffiren, daß er einmal ohne Geld fährt.‘

Kaum hatte er diefen Gedanken gefaßt, als ſchon wieder eine neue Idee geflogen fan.

„Das Gerathenfte unter obwaltenden Umftänven wäre,” rieth dieſe, „du ftiegft vor dem Chauffeehaufe aus und liefſt das Stündlein zu Fuße nad ber Stadt, während zugleich Niklas und ben Roſſen ein tüchtig Stüd Weg eripart würde.

Diefe neue Motion, die fein erfinderiſch Genie

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aufftellte, ehren ihm aller Weberlegung werth; bevor ex fie jedoch in alle ihre Theile zerlegt und einen je- den berfelben mit Weisheit erwogen, waren Pallas und Hector bereit8 beim Chauffeehausfirins und dem Wegbalken angelangt, welcher letztere ſich fofort auf Niklas ausprüdliches Peitſchengeknall in die Höhe zu leiern, begann.

Jetzt blieb dem zu Tode erſchrockenen Secretair, der ſich dem Zollhauſe noch gar nicht ſo nahe geglaubt batte, nichts übrig, als zu dem erften Mittel feine Zuflucht zu nehmen und in einen bärenmäßigen Schlaf zu fallen. Um ven Niflas über feinen Zuſtand außer allen Zweifel zu ſetzen, begann er ſogar höchſt ver- nehmlic zu ſchnarchen. Dazu hatte er die Augen feft zugebrüdt und mochte ſchlechterdings von nichts mehr wiffen. Das Schnarren und Krächzen des He— bebaums ging dem Schläfer duch Mark und Bein. Nach feiner Berechnung mußte jett der Martergalgen die Eulminationshöhe erreicht haben, die Paffage frei und der entſcheidende Moment, nämlich der des Zah— lens, gefommen fen. Gamaliel rührte ſich nit un Ihnarchte aus Leibeskräften. Dabei war fein Ohr wachſam wie ein Eifenbahnwärter. Er vernahm jekt, wie Niklas, dem der Hebebaum nicht jchnell genug ſich erhob, zu fluchen begann.

„Das währt allemal eine Ewigkeit,“ raiſonnirte der gräflihe Wagenlenfer, „eh' Ihr den verfluchten Balfen in die Höhe bringt; wie lange ſoll ich warten ?

„Daß Gott,” erfeufzte der Secretair, „nun wird Niklas grob; der bevenft nicht, daß fein Paflagier zahlungsunfähig ift; alfo fortgeſchnarcht.“

„Guten Abend,“ tönte jett die Stimme des Gel- bereinnehmer8 aus dem Fenſter herüber.

Niklas zog an und das Fuhrwerk braufte dahin.

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Der Secretair wußte nicht, wie ihm geſchah, als die Sache fo in Frieden und beifpiellos wohlfeil ablief. Erft nachdem er bereits eine anſehnliche Strede vie Einnahme hinter fi) hatte, wälzte ſich die Felſenlaſt von feiner Bruſt, fein Schnarchen ward leifer und er begann aus feinem Todtenſchlafe zu erwadhen.

Wenn Gamaliel von dem Fixum, welches ber General Morand mit der fürſtlichen Chauffeeeinnahme hinſichtlich des Weggeldes abgefchloffen, gewußt hätte, jo würde er fich feine Angft und fein forcirtes Schnar- hen allerdings haben erſparen können. Niklas, nadı= dem er bemerkte, daß fein Paflagier aus feinem Rie⸗ ſenſchlafe wieder erwacht, fette ihn felbft darüber in Klarheit.

Es ſchlug auf der Frauenkirche von Niederroßla gerade halb Neun, als Hector und Pallas, welche den Weg von Friedrichshof nach der Stadt in un- glaublich kurzer Zeit zurückgelegt hatten, durch's Stabt- thor trabten..

Siedentes Kapitel.

Die Schickſalſchläge müfjen hart fommen, bevor ver Menſch alle Hoffnung verliert, fo ſaß auch das Ka— bul'ſche Erbpublikum pünktlich acht Tage nad der Teftamentseröffnung wieder auf jeinem Plate im Stadtgeriht und hoffte auf das Codicill. Allerdings waren die Erwartungen diesmal gemäßigter. Denn hatte fi) das Teftament fehon als taube Nuß erwiefen, was war vom Codicill zu hoffen? Ein Erbe klammert ſich indeß wie der Ertrinfende an einen Strohhalm.

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Hanno's Uebermuth hatte ſich vollfommen gelegt, fein Credit war durch die gerichtliche Publication wor acht Tagen, trog feiner Vetterfchaft zur Wittwe Drol- linger, außerordentlich erjchüttert worden. Geine Truppe befand fih in gährenver Bewegung ; fein pol- ternder Alter war mit der zärtlihen Mutter bereits bei Nacht und Nebel auf und davon gegangen. Der Helvenfpieler dachte alfo bei‘ der heutigen Sejfion an feine mimiſch⸗plaſtiſchen Abfchweifungen, um den Stabt- rihter zu choquiren, fondern ſaß befcheiden, wie an— dre vernünftige Menjchen, auf feinem Stuhle in banger, zweifelvoller Erwartung der Dinge, die das Codicill mit fi bringen würde, Ihm blieb, für den Tall der kabuliftifche Teſtator in feiner ebenjo wun- derlichen als unfruchtbaren Methode zu legiven fort- fuhr, gleichfalls nichts. übrig, al8 den Fußtapfen ſei— ned polternden Alten zu folgen und das funftver- wahrlojte Niederroßla bei nächtliher Weile zu verlafjen.

Frau Urfula, deren Köpfchen ſich fonft nad allen Himmelsgegenden bewegte, jaß gleichfalls, obſchon jie in einem funfelnagelneuen Häubchen prangte, ziemlich) gejet auf ihrem Stuhl. Nur von Zeit zu Zeit warf fie einen Blick nah dem Acceſſiſten, währen Gamaliel diesmal weniger von ihr berüdfichtigt ward. Auch ihre Erbhoifnung jtand nur wenige Grave über dem Gefrierpunfte; fie war daher ihren drei Freiern, dem Sprisen- und Schlaucdhfabrifanten, dem ottes- faftenvorfteher, fo wie dem Papiernüllee die vergan— gene Woche weit liebenswürdiger vorgefommen als gewöhnlid. Auerhahn hatte ob feiner kabuliſtiſch— teftamentlihen Prophezeihung einen bedeutenden Sieg davon getragen.

Betterlein hoffte, daß der liebe Gott, deſſen wun= derbare Führungen er namentlich auf jeinen Reifen

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kennen gelernt hatte, einen armen Schulmann im Co— dicille gewiß nicht vergeſſen werbe.

Der Factor ſchnupfte nachvenklid und Gamaliel, der von dem neugierigen Eiſenbeiß abermals in bie teftamentlihe Seffion getrieben worden war, ſaß, in fügen Träumen, in welchen Klotilden's bimmlifche Ge⸗ ftalt aufs und nieverfchwebte, verſunken, wieder unmit- telbar vor Lagemann.

Legterer war unter allen Erbſchaftlern mit ber größten Hoffnung ausgeftattet. Er gab fih ganz dem wohlthuenden Gedanken hin, daß der kabuliftifche Zeitator im Codicille einfehen würde, wie wenig ihm (Lagemann) mit ven ftechenden im Teſtamente ver- machten Inſtrumenten gedient fei. Ueberhaupt glaubte der Hotelier vor den anweſenden Erben viel voraus zu haben, da ihrer ja mit feinem Worte im Xefta- ment Erwähnung gefchehen, während er namentlich aufgeführt und in Betracht ver übrigen Legatare am Brillanteften weggefommen ſei.

Das Intereſſe der Nieverroßlaer hatte hinfichtlich der afiatiichen Erbſchaft feit acht Jagen beveutend abgenommen. Der Hofmaler galt für einen Narren und Winpbeutel, wofür er ſchon früher in Niever- roßla befannt war, und Henoch's geographijche Mit⸗ theilungen janfen von Zag zu Tag im Werthe. Mit den Erben warb weit geringeres Aufbeben gemacht, ihre Freundſchaft weniger geſucht und die Beſuche bei ber Wittwe Drollinger erlitten eine fichtbare Abnahme. Kur Eifenbeig meinte kopfſchüttelnd, mit dieſem Te— jtamente ſei das Lied unmöglich zu Ende.

Felicitas fchien fo ziemlich Alles vorausgejehen zu haben und ertrug daher die unfruchtbaren Ergebnifje der Teftamentseröffnung mit faft heiterm Muthe, wel-

Stolle, fämmtl, Schriften. XVII. 5.

411%

hen Gamaliel, dem fo viele Hoffnungen in den Brun- nen gefallen waren, nicht begreifen fonnte.

Wieder rief der Gerichtöpiener durch die halbge- öffnete Thür: „per Herr Stadtrichter!“ Wieder fehritt Jacoby ernft grüßend nad) dem Seſſionstiſch, wieder entftand die lautlofe Stille, wieder erhob fih auf des Stadtrichters Wink Kiefewetter und begann zu leſen wie folgt:

. „Da mir, dem Haſſan-ben-Mullah, ehedem Bal- thaſar Drollinger genannt, in Betreff meiner Hinter- laſſenſchaft wirklich dich den Sinn gefahren, daß

mir außer den Gegenftänden, wo über ich in meinem | Teftamente bereits verfügt, durch die Güte der Vor—⸗ fehung noch anderweitig Glücksproſamen verleihen worden, fo verorbne ich die Gefpanntheit des Erb⸗ publifums erreichte hier einen auferorbentlichen Grab —. wie folgt:

„Erſtens ſollen vom laufenden Jahre an am je desmaligen Weihnachtsheiligenabend zehn Arme der Stadt Niederroßla ein jeder eine gute Pelzmütze mit Ohrenklappen, desgleichen ein paar Fuchsklauen ſo wie eine Klafter fünfviertelelliges Floßholz, wie jol- ches auf der Loſſa geflößt wird, erhalten. Die Ber- theilung geſchieht durch bie Armenbehörne. Wenn ein Armer das Beneficium drei Jahre hindurch genoffen, fo muß er auf das. vierte zum Beſten eines andern Bedürftigen verzichten und hat erft im fünften Jahre wieder Anſpruch, jo er nämlih von der Behörde für wärbig befunden wird. Die benöthigten Fonds

tauſend holländiſche Dukaten find von ber Nie-

Berroßlaer Armenverforgungscommiffion bei Siebecke 5 Comp. in Hamburg gegen Quittung zu erheben,

—æ anzulegen und von den Zinſen die bekkeffende Spende zu beſtreiten. Sollte ſich ein

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Ueberſchuß herausſtellen, jo ift folcher zur Verſchö— nerung ber freundlichen Promenaden Niederroßla’s zu verwenden.“

Bei den Worten „tauſend holländiſche Ducaten“ zuckte es gleich einem galvaniſchen Schlage durch die lebende und mit verhaltenem Athem zuhörende Erb⸗ mafſſe. Lagemann war fo wenig Meiſter feiner lei⸗ denſchaftlichen Bewegungen, daß er dem unmittelbar vor ihm ſitzenden Secretair des Doctor Eiſenbeiß einen heftigen Stoß in die linke Seite verjettte. Der vorleſende Kieſewetter ſelbſt gerieth bei der bedeutenden Summe einigermaßen aus dem Concepte; die Brille verſchob ſich auf ſeiner Naſe und er war genöthigt, ſie erſt zurecht zu rücken, bevor er weiter leſen konnte.

„Zweitens (lautete es im Kabul'ſchen Codicille) ſollen in den Wintermonaten von Michaelis bis Oſtern zehn anderweitige Arme von Niederroßla allſonn⸗ und fefttäglih eine kräftige und fchmadhafte Mittagsmahl⸗ zeit (beftehend aus Suppe, Braten, abwechjelnd mit Tleifh und Gemüfe) erhalten. Die Auswahl unter ben betreffenden Armen wird die Frau Baftorin, Te- licitas Drollinger over deren Nachkommen hier fühlte Gamaliel wieder Lagemann’s Fauft im Rüden zu übernehmen die Güte haben. Sollte aber, was mir fehr leid wäre, weder Madame Drollinger noch irgend Jemand am Leben fen hier richteten fi) wohlwollend Aller Blide und namentlih die von Frau Urſula auf den zeither wenig beachteten Cecre- tair, auf deſſen Rüden Lagemann wie ein Trommel- haſe arbeitete, daß ſich Gamaliel, der wie Hiob ge= litten endlich Ihmerzhaft ummanbte und ven Magde⸗ burger bat, ſich doch in ſeiner Freude einigermaßen zu moberiren fo Bat die Niederroßlaer Armenver- forgungsbehörbe die Auswahl unter ven ma, fo

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wie die weitere Beſorgung zu übernehmen. Die Spei— fung ſelbſt wird. vem Rathskellerpachter unter der Be⸗ dingung, für gutes und nicht zu theures Eſſen zu ſorgen, überlaſſen.“

„Der ſelige Herr Vetter,“ raunte hier Lagemann dem mit ãußerſter Spannung aufhorchenden Secretair ärgerlich in's Ohr, „bleibt doch ein Schlingel; konnte er ‚nicht der Stadt Magdeburg die Speiſung zumen- den, allmo fein jel’ger Vater, mein Freund, tagtäglich) einfehrte und die Pipen abfehnapfte. Der Kellerwirth wird die Armencommiffion ſchön barbiren, die Sup- pen will ich fehen und den Braten, daß Gott erbarm'!“

Der Actuarius fuhr fort:

„Die benöthigten Fonds zweitaufend Stüd holländiſche Ducaten ſind von der Niedertoßlar— Armenverſorgungsbehörde bei Siebecke und Comp. i Hamburg gegen Quittung zu erheben, ſofort —* thekariſch anzulegen und von den Zinſen vie betref⸗ fende Spende zu beſtreiten. Sollte ſich ein Ueberſchuß herausſtellen, ſo ſoll er zur Verſchönerung der Ma— rienhöhe, von wo man die ſchöne Ausſicht über das Loſſathal genießt und won wo ih oft den Sonnenun= tergang bewunbert habe, verwendet werben.“

Wie ſüß auch die bedeutenden Geldſummen, welche Erblafjer bei Siebede und Comp. in Hamburg des ponirt hatte, in den Ohren der Erben wiederflangen, da fie auf fehr großen Reichthum des verjtorbenen Hofmalers Hindeuteten, fo beflagte man doch, mit Ausnahme Gamaliel's, allgemein, daß Erblaſſer auf Koſten der rechtmäßigen Erben in Betreff des armen Geſindels ſolche Verſchwendung getrieben. Nur die Hoffnung, daß das Codicill ſein Glückshorn auf ſie in einem verhältnißmäßig um fo höhern Grave aus— ſchütten werde, ließ ihre Mißbilligung nur durch Mur—

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ren laut werben. Der SHelvenfpieler, welchem ver Kamm außerordentlich ſchwoll, begann ſich bereits wier der zu ſtrecken. Unter tauſend Ducaten konnte ihn, in Betracht der Vetterſchaft mit Felicitas, der ſel'ge Hofmaler gar nicht gedacht haben. Das ſtand feſt. Frau Urſula ertheilte im Innern ihren drei Freiern den Abſchied und fühlte unerwartetes Herzklopfen für den jungen ſchönen Secretair des Doctor Eifenbeif: Betterlein lächelte verflärt. Der Factor überlegte im Stillen, während er nachdenklich eine Prife nahm, ob nicht irgendwo eine Druderei zu verkaufen, und Lagemann meinte, nachdem das Bettelvolf fo über- reich bedacht fei, verhoffe er, daß die Reihe endlich an Leute fommen werde, die mehr Anfprucd hätten. Nur Gamaliel fühlte fih durd den Gedanken, daß jeine Mutter eine Wohlthäterin Bebürftiger geworden, jo glücklich, daß er an ein größeres Glück vor ver Hand nicht dachte.

„Drittens,“ fuhr Kiefewetter in der Codicillvor— Iefung fort, „find funfzehnhundert Ducaten bei Sies bede und Comp. in Hamburg zu dem Zwecke nieber- gelegt, daß von dem Ertrage diefer Summe breißig Thaler alljährlich als Prämien unter ſittſame und fleißige Schüler der Stadtſchule von Niederroßla ver= theilt werden. Der Reſt iſt auf ein Kleines Welt zu verwenden, welches alljährlih am ZXrinitatisfefte der Schuljugend auf der Schütenwiefe gegeben werben fol, und hat die ehrfame Geiftlichkeit für Erhebung und Anlegung der Summe, fo wie für Verwendung ber Zinfen nad) obgedachter Willensmeinung gefälligit zu verfügen.

„sn der Hoffnung, daß dieſe meine wohlwollen- den Gefinnungen für Niederroßla's Hülfsbedürftige jo wie für deſſen Schuljugend freundlich mögen an=

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erkannt werden und "daß der Himmel dieſen meinen letztwilligen Verfügungen feinen Segen gebe, ift aud) diefes in Gegenwart des ehrfamen Kadi Abdullah, fo wie des nicht minder. ehrwürbigen Amini Mekhemed abgefaßte Codicill hiermit geſchloſſen und durch meine Namensunterſchrift bekräftigt.“

Mitt dieſen Worten faltete Kieſewetter das Papier, woraus er vorgelefen, zuſammen, entwarf ein kurzes Protocol, nad deſſen Mittheilung der Stabtrichter die- Sibung aufhob und das Gerichtszimmer verließ.

Die Erbmaſſe ſah ſich ob dieſes ſo unerwarteten und allerdings höchſt troſtloſen Schluſſes gegenſeitig mit offenem Munde und ſtarren Blicken an. Es währte eine geraume Zeit, eh’ man ſich in fo weit erholte, um an ein Aufftehen und Nachhauſegehen zu denfen. Man fchien fi) gar nicht darein finden zu fönnen, daß die berühmte Erbſchaftsſache ſchon zu Ende fei. Kiefewetter, der achſelzuckend hervorgetreten war, verhehlte feineswegs, daß er eined ganz andern Ausgangs ſich gewärtig gewejen wäre. Indeß pflege ed mit ſolchen fremdländiſchen Tejtamenten in der Re— gel jo zu gehen.

Eine wahrhaft troftlofe Figur fpielte der Schau— fpieldivector. Seine ganze Geftalt fchien unter ver Laſt des Mißgeſchicks zufammen zu bredien. Er mur- melte erfterbend aus Don Carlos: „So herabgeftürzt aus allen meinen Himmeln!” Dann erfundigte er fid) bei dem Stadtgerichtsactuar, ob ſolch' ein gottvergeffe- nes, ruchloſes Tejtament nicht umzuftürzen fer?

Kiefewetter zuckte wieder mit ven Achfeln und meinte, daß Teftamenten, in welchen eine pia causa bedacht, nicht gut beizufommen fei.

„Ich werde Alles aufbieten,” verſetzte Hanno in- grimmig, „dieſes Codicill, welches alle Verwandtſchafts—

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grade fo bimmeljchreiend mit Füßen tritt, zu ver⸗ nichten. Es kann und darf in unferm aufgeflärten, gerechtigfeitsliebenden Lande feine Kraft haben. Was fünmert ung die Zeugenfchaft des elenden Mekhemed und wie der andere Ejel heißt; das find blinde Hei⸗ den, die den Teufel wifjen, was Rechtens. Nein, dies Codicill kann nicht gelten; die in Hamburg beponirten Summen müflen unter die rechtskräftigen Erben ver- theilt werden. Ich laſſe nicht nah, und ſoll ich bis zum Fürften geben,” hierauf rief ’er:

„Ih muß fie haben die Stabt Stralfund |

„Und wär’ fie mit Ketten am Himmel geſchloſſen!“

Während ver Helvenfpieler auf dieſe Art radotirte und mit Öewaltftreihen jchwanger ging, hatte Frau Urſula ihr Taſchentüchlein hervorgezogen und hielt es zierlih vor die Augen. Sie wußte, daß eine junge hübfhe Wittwe in Thränen dem Männerauge eine abſonderlich interejfante Erjcheinung gewähre. Sogar Kieſewetter, dieſer trodene Actenwurm, konnte ſolchen Anblick nicht ertragen und begann zu tröſten.

„Iſt denn wirklich keine Hoffnung, Herr Actuar?“ frug Urſula leiſe, dringend und mit thränendem Auge; „o entziehen Sie einer unglücklichen, in Thränen ge— badeten Wittwe Ihren hülfreichen Rath und Beiſtand nicht.“

Kieſewetter, der ſich wie ein Zappelmann vorkam, zog von Neuem die Achſeln in die Höhe.

Urſula hatte den Heldenſpieler vom Teſtamentum⸗ werfen ſprechen hören. Sie hielt dieſes Mittel für zweckmäßig und weiſe und klopfte deshalb bei Kieſe— wetter an.

„Da iſt wenig Hoffnung,“ entgegnete dieſer; „ja wenn die Armenverſorgungsbehörde und die Geiftlich- feit nicht dahinter ftäden, aber we dieſe beiven Be—

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hörden im Spiele find, da ift Alles vergebens, bie geben nichts heraus und wenn ſich alle Advocaten ber Welt die Köpfe einrennten.”

Das vorgelejene Codicill hatte auf das Erbpubli- fum einen nod weit ungünftigern Eindruck hervorge⸗ bracht, als felbft das Teſtament. Dort war doch nur die Rede von geringfügigen Gegenftänven, vie in Betracht ber Frachtſpeſen vollends allen Werth verloren; im Codicill hingegen kamen holländiſche Ducaten zur Sprache, die im unfernen Hamburg zu erheben und deren Anmut und Liebenswürbigfeit man aud in Niederrofla zu fchägen wußte. PViertaufenv- fünfhundert holländische Ducaten hatte der Hofmaler deponirt, welche, wenn fie unter bie ſechs hoffenven Erben, Lagemann inbegriffen, verhältnigmäßig wären vertheilt worden, einen eben doch einigermaßen zus. frievdengeftellt haben würben; jo aber fam bie ganze bedeutende Summe einzig und allein den Armen und der Schuljugend zu Gute, ohne daß die geſammte Erb— ihaar einen Asper erhielt.

„Wenn id) wenigſtens die Abfütterung des Bet— telvolkes erhalten hätte,“ ſprach Lagemann voller In= grimm, „wollt' id) nichts fagen, e8 wäre Wenig, aber Etwas; ver Hofmaler ift in meinen Augen en Schuft.“

Gamaliel, der des Magdeburgers Ingrimm ver— nahm, bat ihn, ſich zu moderiren, da er und ſeine Frau Mutter, die doch ſo nahe verwandt wären, ja auch nichts bekommen hätten.

Aber Lagemann, der von keinem Bedenken Etwas wiſſen wollte, erwiederte mit Heftigkeit: „Ich nehme mein Wort nicht zurück, der Hofmaler hat als Schuft an mir gehandelt. Wenn ich an der Stelle Ihrer Frau Mutter wäre, ließ ih mir die Suppen- und

ae

Bratengelver auszahlen und theilte fie mit dem hier

verfammelten Erbperſonale; es wäre dies zugleich

hriftich und rathfam, ein wahres Werl der Gerech⸗ tigkeit und Barmberzigfeit; dem Bettelwolfe taugt ein guter Fraß fo nichts, es wird übermüthig, vie Poli- zei kommt nicht mehr durch und die Revolution ift fertig. Ich zahle aus diefem beherzigenswerthen Grunde aud) fo wenig als möglid) Armenfteuer.“

Der Secretair fchauberte bei Lagemann's Bor: Ihlage und führte ihm das Inmoralifche deſſelben wor Augen; der Hotelier jchimpfte aber gottesläfterlih. Er bebauerte nichts mehr, als daß der Erblafjer bereits verblichen fei, fonft veifte er mit Inächfter Gelegenheit nad) Kabul, rückte ihm vor's Duartier und jjchlüge ihn mit jedem Hiebe einen Knochen entzwei. Es folle biefem Himmelſakramenter nicht wieder in den Sinn fommen, ehrliche Leute, Bürger und Hausbefiter an der Nafe herumzuführen.

Während aber die Exrbfchaftler- mit höchſt zerichla= ‚genem Gemüthe aus der Seffion nad) Haufe zogen und wo fie hinfamen, überall Berrübnig zur Schau trugen, Härten fih die Phyfiognomien von zwei fehr umfangreichen Claſſen der menſchlichen Gefellihaft in

Nieverroßla auf, nämlih die der Armen und ber

Schuljugend. Der Jubel Hang durch alle Gafjen und Häufer. Jeder der zahlreichen Armen, Krüppel und Lahme jahen ſich bereit8 zum nächſten Weihnachtshei— ligenabende in der ſtattlichen Pelzmütze mit wohl⸗ thuenden Ohrenklappen, ſo wie in wintertrotzenden Fuchsklauen einherſchreiten und im traulichen Stüb— hen hinter dem warmen Ofen ſitzen, oder Sonn= und Veiertags ihr gewürziged Süpplein und belicaten Bra— ten fohmaufen, obſchon nur zwanzig‘ Auserwählten dieſe unverhoffte Wohltbat zu Theil werben konnte.

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Nichtsdeſtoweniger ſah die gefammte Armenjchaft vem nächſten Winter mit frohem Muthe entgegen und feg- nete den eveln Hofmaler Hafjan-ben-Mullah; zugleich beſchloß ein jeder, der auf das Kabul'ſche Suppen⸗ und Bratenflipendium Anwartſchaft zu haben ver-

. meinte, der vielvermögenden Felicitas feine Aufwar-

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tung zu maden, von deren Sanftmuth und Güte man das DBefte erwartete. * .

Die gefammte Schuljugend freute fih auf das nicht allzuferne ZTrinitatisfeft. und ließ zu ihres eignen Quartus nicht geringer Betrübniß den Kabul'ſchen Hofmaler hoch leben.

Die übrige Bürger und Einwohnerfchaft konnte die. mildthätigen Gefinnungen des Balthafar Drollin- ger nicht genug loben, obſchon man nicht recht einſah, warm ber Kabulifte feine eigne in bürftigen Um— ſtänden lebende Tante nicht mit einem Legate bedacht, da er ihrer doch ausdrücklich im Kopitille erwähnt

hatte. Die übrigen Erbſchaftler fanden übrigens mit -

ihren Klagen wenig Anklang in der Stadt, da ihre Erbanſprüche von geringem Belang jchienen.

Lagemann wie Hanno ſahen ſich daher genüthigt, ihren Grimm gegenfeitig gegen einander auszulaffen. Niemand mochte auf ihre Verwünfchungen hören und Etwas darauf geben. Die Zwei riefen brennenden Schwefelregen und Höllenbrand auf vie Seele des verstorbenen Erblafjerd herab und wurden zugleich über den ſchwarzen Plan einig, das Codicill umzu- ſtürzen und der Armenverforgungsbehörde fo wie dem Glerus die‘ holländifchen bei Siebede und Comp. nie- dergelegten Ducaten, wie fie ſich ausbrüdten, aus ven Klauen zu rüden.

Mit den Hotelier und dem Heldenſpieler ſympa— thifirte vorzüglich der noch am Leben befinpliche Theil

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der Kabul'ſchen Teſtamentserben; nämlich der Bäder Dreitfopf, der fid) beim Brotbaden zuweilen noch immer nicht in die gefetlihe Taxe finden Tonnte und dem daher das Padet Spindenagel nebjt dem omind- jen Honigtopfe von Haffan-ben-Mullah zugedacht war, und der Armenpfleger Lange, der im Teſtamente für des Spießens würdig erklärt worden mar.

Die- beiden. Teitamentsclaufeln, in welchen ver jo eben genannten zwei Individuen gedacht war, hatten - übrigens das Gute, daß man von Polizei wegen dem Bäder ftrenger auf's Gewicht jah und dem harther⸗— zigen Armenpfleger mehr Menſchlichkeit anempfahl.

Felicitas, melde nie große Hoffnung auf bie Ka— bul’fche, Erbſchaft gefetst hatte und die nur ihres Ga⸗ maliel wegen es vielleicht gern gefehen hätte, wenn ihr eine kleine Summe zugeflofjen "wäre, fühlte fich durd dem ihr im Cobicill gewordenen Auftrag, ver ihrem mildthätigen Serzen innigſt wohlthat, für die untergegangene Erbhoffnung vollfommen entſchädigt. Es gewährte ihr der Gedanke, daß in ihre Hand das Wohl fo manches Hülfsbenürftigen gegeben fei, einen befeligenvden Genuß. Die Gute bedachte indeß nicht, welch' ein fjchiwierige und unbanfbares Geſchäft ihr geworden und der verblichene Erblafjer hatte daran wahrſcheinlich felbft am Wenigften gedacht. Bereits am Nachmittag vefjelben Tages, nachdem das Kodicill Bormittagd war ‚veröffentlicht worden, wimmelte es in dem Stübchen der Wittwe voll zudringliden und unverfhämten Bettelvolfes, welches ſämmtlich ein jäm- merliches Klaggejchrei erhob, in ber Hoffnung, "von Felicitas unter die zehn Suppenftipendiaten aufgenom- men zu werben. Gamaliel, den man felbjt auf ver Erpedition des Doctor Eiſenbeiß aufgeſucht hatte, führte ein ganze® Rudel Hülfsbedürftiger hinter ſich -

12 her, um fie ſeiner Mutter zu empfehlen. Wie er- Ihraf er aber, als er zu Haufe fchon Alles über füllt fand.

Die Wittwe fuchte endlich Die ungebetenen Säfte dadurch loszuwerden, daß fie die Namen Aller auf einen Zettel fchrieb. Sie erklärte hierauf, daß fie fih nad den nähern Umftänden eines eben erfundigen und alsdann die Auswahl unter ben ' Berürftigften und Würdigſten mit der möglichften Gewiflenhaftigfeit tref- fen würde.

Die drei Freier der Frau Urfula hatten in den nächſten Tagen nad Bekannwerdung bes Codicills nicht wenig durch die Launen der jetzt hoffnungslo— jen Erbin zu leiden; namentlid befam Henoch als Mitglied ver ducatenfreffenben Armenbehörde einen ſchweren Stand.

Auerhahn, welcher fo eben den tragifomifchen Aus- gang der Kabul'ſchen Erbangelegenheit erfahren hatte, war ftehenden Fußes zur Wittwe geeilt, um den Triumph. feiner Divinationsgabe zu feiern. War doch von je feine Rede gemejen, daß fi) Yrau Urſuka von wegen biefer fremdländiſchen Erbſchaft vergebend alarmire. Gleichwohl hatte e8 ihm außerordentlich gefallen, daß der Hofmaler Armuth und Schuljugend jo großmüs thig bedacht, und er ließ fi) darüber aus,

„Das ift gewiß,” ſprach er, „ein adıtbarer Kerl bleibt der Balthafar Drollinger, ſolchen Edelmuth hätt ich ihm nicht zugetraut. Daß für Sie nichts abfiel, Frau Urfula, und für den Lagemann und für den Comödianten, und wie fie alle heißen, bie dar— nad) lungerten, das wußt' ih; aber daß der Hof maler jo nobel für die Bebürftigen geforgt hat, das hätt! ich mein. Seel’ nicht geglaubt und das freut mid) doppelt.‘

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Daß fih Auerhahn durch dergleichen Anfichten und menjhenfreundliher Bemerkungen bei ber Wittwe nicht eben infinuirte, wird man ohne Betheuerung glauben; Urſula verhehlte auch feineswegs ihren In- grimm und meinte leivenjhaftlih, wenn er fie nicht, befjer zu unterhalten verjtehe, jo verzichte fie vecht gern auf feine Beſuche und feine Unterhaltung.

Auerhahn bemerkte, daß er zu weit gegangen, gab als kluger Feldherr nad) und meinte, es fei ihm au- Gerordentlich Lieb, dag Urſula im Kabul'ſchen Teſta— mente übergangen ; fie würde außerdem nur ſtolz und berfärtig geworben jein.

„Gewiß nicht,“ verficherte die Wittwe in gemäßig- terem Zone.

„Es iſt leichter, daß ein Kameel durch em Nabel- öhr che, * citirte der Sprigenfabrifant, „als daß ein Keicher in's Himmelveih komme. Reichthum hat nie Gutes gebracht; ich bin für vie ſchmucke Wittwe ent brannt und nicht für ihr Geld; id) würde fie heira- then, wenn —“ hier that er zur Belräftigung einen desperaten Schwur „wenn ihre ſämmtliche Habe in nichts als einem Hemde bejtünde, ja ſelbſt ohne legtered würde ich feinen Augenblid Bedenken tragen, ihr meine Hand zu bieten.“

Der Gottesfaftenvorjteher wandte ſich mit Abjcheu ab ob folder unzüchtiger Redensarten und Fran Ur— jula ſchlug verfhämt die Augen niever. Auerhahn, dem die Wittwe in ihrer Verſchämtheit und Züchtig- feit doppelt reizend erjchien, breitete die Arme aus und marſchirte jehr zärtlich auf ven Gegenſtand feiner Neigung zu. Urfula, die ihn ankommen Jah, flüd- tete fofettivend hinter den gottesfürdhtigen Henoch, den fie beſchwor, ihre Weiblichkeit vor der Zudring⸗ lichkeit Auerhahn's zu ſchützen. Henoch, von dem guten (

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Zwede begeiftert, that's und trat mit moralifchen Apo- ſtrophen dem Sprigen- und Schlauchfabrilanten ent- gegen, wie weiland der Papft dem Barbarenkönig.

Auerhahn, der dur die Flucht der Wittwe nur Hoch mehr für ihre Reize entflammt warb, ſchob ben Sittenprediger mit den Worten: „Ad, hof Gie der —“ unjanft auf die Seite und bemächtigte fich des leicht zu erhaſchenden Gegenftandes, welcher zu fchreien begann. Der Oottesfaftenmann fonnte folde babylo- niſch⸗ſodoinitiſche Greuel, wie er ſich ausdrückte, un= möglich länger mit anfehen; er hielt für das Beſte, um Frau Urſula's unſchud vor den Angriffen Auer- hahn's zu retten, in das Geſchrei der Wittwe tapfer mit einzuftimmen. Er begann ein wahres Zetermor- dio, jo daß ber unternehmende Liebhaber feine Beute, nachdem er ihr einen Kuß auf die Wange gebrüdt, fahren ließ und alles Ernftes ven Gotteskaſtler fragte, ob es mit ihm vapple? -

Während ſich die Beiden noch über bie Grenz⸗ linien des Anſtandes herum disputirten und wie weit ein gebildeter Mann gegen ein anftändiges. Frauen- - zimmer gehen dürfe, wälzte fi der Papiermüller durch bie. Thüre und jofort zu Frau Urfula,, bie ſchmollend am Fenſter ſaß, und die er höchlich betomplimentirte und begratulicte wegen ber Erbſchaft.

Als Grimbart bemerkte, wie ſich das Geſicht der Wittwe immer finſtrer ob ſeiner Gratulation verzog, denn Urſula vermeinte, der Papiermüller treibe ſeinen Scherz mit ihr, ſo glaubte er, ſeine Beglückwünſchung nicht klar und faßlich vorgetragen zu haben und be— gann daher laut und volltönend: „O du geſegnete Perle des Orients, kabuliſtiſcher Paradiesvogel, Zucker⸗ ftengel von Afghaniſtan und Generalerbin des groß- mogul'ſchen Hof⸗, Leib- und Magenmalerd —“ wo-

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durch es ihm endlich gelang, die Erzür! von ihrem Plage am Fenfter vollends zu vertreiben.

Auerhahn padte den Gratulanten bei din Schul- tern, jchüttelte ihn und ſprach: „Papiermüller, biſt Du bei Sinnen, treibft Du Deinen Spott mit Frau Urſula?“

Grimbart wandte ſich um und blickte verdutzt den Spriten- und Schlauchfabrikanten in's Geſicht. „Iſt fie denn nicht der Generalerbe?“ frug er.

Es ergab ſich jettl, dag ein Spaßvogel mit dem leihtgläubigen Papiermüller fi einen Scherz gemacht, und ihm gerade das Gegentheil von dem berichtet hatte, was das Codicill befagte.

Die Wittwe, obſchon fie heut keineswegs Urſache hatte, mit ihren Freiern zufrieden zu fein, war doch politifch genug, ihren Unmuth nicht gar zu laut wer⸗ den zu laſſen. Sie glaubte ſich vielmehr größern Nuten zu verfehaffen, wenn fie ihre Anbeter aus- forfchte, was fie wohl zu einer Teſtamentsumſtoßung meinten, und ging, was dieſes Kapitel anlangte, ziem- lid) muverholen mit der Sprache heraus. Henoch, als Mitglied der Armenverforgungsbehörbe, erſchrak außer- gewöhnlich ob jolcher dem wohlthätigen Codicille feind- lichen Geſinnungen; Auerhahn, welcher der Armuth gleichfalls zugethan war, erklärte geradezu den Willen des Hofmalers für unumftoßbar und verurtheilte im Boraus Jedermänniglich, der es wagen würbe, bie frevelnde Hand nad) ſolchem „geweihten” Gute aus- zuftreden, zur Bezahlung ſämmtlicher Prozeßkoſten. Grimbart, ebenfall® um feine Meinung befragt, ftellte ben philofophiihen Sag auf, daß Reichthum nicht glüdlih mache und Armengut abſonderlich feinen Se— ‚gen bringe

ar Diefe feierlichen erg Aufprüche wirk⸗

3. un

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ten nicht eben rofenfarben auf die Laune der Wittwe, welche fich jet, nachdem eine abermalige Hoffnung (denn auf den unternehmenden Auerhahn hatte. Ur— jula Stüde gebaut) in ven Brunnen gefallen war, ' weniger rückſichtsvoll äußerte Namentlich war fie auf den Spritenfabrilanten aufgebracht, welcher ihr hundertmal Schuß und Trutz zugeſchworen und eidig- lid) gelobet, Jedem unwiverrufliih Hals und Nüd- grat zu brechen, ver ihre Rechte ‘zu beeinträchtigen fih nur entfernt in den Sinn kommen laffe Sie fonnte jett niht umbin, den Bergeklichen auf fpitige Weife auf feine Schwüre aufmerkſam zu machen. Auer: hahn, ver aber in gewiffen Dingen feinen Spaß ver- ftand und vermeinte, wie dem aud war, er jolle der Wittwe mit Rath und That bei dem Umfturze des Codicills, das er nicht allein für gerecht, fondern auch für höchſt evelfinnig hielt, behäflich fein, vergaß feine erotiſche Stellung zu Urſula gänzlih und ward grob.

Dies hatte noch gefehlt, um der von ihren Freier jo wenig unterftügten Wittwe die Gegenwart ihrer drei Anbeter vollends unerträglich zu machen. Sie erflärte daher geradezu, daß fie einen Beſuch abzu= ftatten habe und begab ſich in’3 Nebenzimmer, um ein Umſchlagetuch umzuwerfen. Der Gotteskaftenmann verstand fogleih den Winf und empfahl fih. Er be— Dachte, daß auch feine Gegenwart in ter Geffion der Armenverforgungsbehörde von Nöthen ſei, um über die jo erfreuliche kabuliſtiſche Erbſchaftsangelegenheit eines Weitern. zu berathen. Auerhahn brummte von Weiberlaunen und fuchte gleichfall® nach ferner Mütze. Nur der Papiermüller, der fo eben erſt recht gemäch— Ich im gewohnten Lehnftuhl Pla genommen hatte, fonnte nicht begreifen, was der urplögliche Aufbrud) feiner beiden Nebenbuhler zu bedeuten habe. „Im

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Grunde war ihm diefes Fortgehen nicht unangenehm. Er konnte jet um jo ungeftörter Frau Urjula an- jehen und verfelben durch Blide, mit Worten befaßte er fih nit gerne, zu verftehen geben, wie hod) fie bei ihm ſtehe. Er erjchraf daher nicht wenig, als die Wittib veifemäßig mit Hut und Umſchlagetuch aus der Seitenthür trat und ihm zu verftehen gab, dag er Stuhl und Stube zu räumen habe.

Das war für Grimbarten viel verlangt. Er war fo eben nach mander Befchwerlichkeit im Hafen ver Xiebe eingelaufen und hatte im umfriedeten Lehnſtuhl Anfer geworfen, und fellte, faun warm geworben, bereit wieder aufbrehen. Der Papiermüller jtellte daher an Frau Urfula die nit unbillige Propofition, fie möge ihn fiten laſſen im Polſterſtuhle, bis zu ihrer Heimkehr; er wolle fi) dafür verbindlich machen, feinen Sig nit zu verlaffen; die Blide nicht wiß-

begierig umherſchweifen, ſondern einfältiglih auf feinen

gefalteten Händen ruhen zu laffen.

Urfula ſchien fehr ungehalten ob dieſer Petition und begriff nicht, wie der Papiermüller ſolch un— moralifches Berlangen ftellen Tünne.

Grimbart ſeinerſeits begriff wieder nicht, worin die Immoralität zu juchen fei, wenn man jo un ſchuldsvoll wie ein neugeboren Kind eine Zeit lang ruhig in einem Polfterftuhle ſitze. Es kam hierüber zu einem fleinen philofophifchen Disput, wo ſich's denn leider jehr bald heraus ftellte, daß ver Papier- müller der Dialektif feiner Gegnerin nicht gewachſen war. Bon ven fchlagenben Gründen der moralifchen Witte immer mehr in die Enge getrieben, hielt es Grimbart endlich für vathfam, feinen bequemen Sig lieber aufzugeben, als ſich Länger in unfruchtbaren Theorien mit ber. dialectifivenden Frau zu eerhöpfen:

Stolle, ſämmtl. Schriften. XVII.

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Er ſchob und förderte unter großer Anftrengung und unter mandem Seufzer feinen eignen Leichnam in bie Höhe und trat nicht eben mit der zufriedenften Miene den Rüdzug an.

„Ein andermal,” gab ihm Urfula noch den guten Rath auf den Weg, „laßt Euch nicht ſolch albernes Zeug weiß machen, wie heut wegen ver Erbſchaft.“

Der Papiermüller, von Natur fehr gutmüthig, bedankte fi) ob des guten Raths und bewegte ſich dabei langfam aus dem Haufe, worauf ihm die Wittwe nad einer Heinen Weile folgte.

Achtes Kapitel.

Der Frühling war in’8 Land gezogen, fein blühend Gewand ruhte auf Berg und Thal. Im den Wald— bergen jchlugen die Nachtigallen; Fliever und Afazien flanden in reicher Blüthe und wie ein blaues Band zog fid) die Loſſa durch die Landſchaft.

In dem Herrenhaufe zu Friedrichshof ftanden alle Venjter offen und der Frühling hing reich und ſchwer herein. Blumenduft umzog Schloß und Garten. Im Parke, ver unmittelbar an den Garten ftieß, herrſchte fröhliches Leben. Tinten, Grasmüden ſchmetterten um die Wette. Bon den Wiefen tönte Glodenflang ver Schaaf- und Rinderheerden und von den Bergen erſcholl die Art des rüftigen Holzhauers.

Es war ein wunderſchöner Frühlingspormittag, als Morand, feine Meerihaumpfeife pampfend, in dem Hauptgange feines Parts, welcher einen fühlen und

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angenehmen Schatten bot, langſam auf und ab wan-

delte, oft ftehen bleibend und mit feiner Tochter Iprechend, die ein Buch in’ der Hand an feiner Seite ging. Das Geſpräch des alten Krieger war nicht jelten von heftigen Geftifulationen begleitet. Hatte er eine Yeit lang geſprochen, dann beveutete er das Mädchen, daß es weiter leſe; denn er pflegte häufig den Commentar des vworgetragenen Autors abzugeben.

Hente war der Alte abfonderlih in Aufregung, der alte Schlachtengott blittte gewaltig aus dem noch feurigen, von dunkeln Augenbrauen überbujchten Auge. Klotilde trug aus einer vor Kurzem erfchienenen Gefchichte des großen Jahres Eintaufendachthundert- vreizehn Die Kataſtrophe von Dresden vor, welcher Morand an der Seite des Kaifers in Perſon bei- gewohnt hatte. Zuweilen nidte er Beifall, wenn der Berfafler treu und wahr erzählte, oft gerietb ex in Teuer, wenn die Erinnerung an die helvenfühne Yeit von Neuem vor feine Seele trat; doch finfter umzog fih feine Stirn, ſobald der Erzähler fi) partetifch zeigte oder gar den Mann des Jahrhunderts in Schatten zu ftellen wagte.

Bater und Tochter waren jett zu einer veizend gelegenen Laube gekommen, die am, Eingange bes Parks gelegen und reich mit blauen und weißen %lie- vertrauben umhangen war. Hier nahm der General Platz, zündete fih von Neuem den Meerſchaumkopf an, ber ihn im Eifer des Geſprächs ausgegangen war, und erjuchte Klotilden, in ber Lectüre fortzufahren.

Da wurden Schritte im Gange vernehmbar und Victor, welcher fo eben von Niederroßla zurüdfehrte, trat in die Laube.

Der General, ver bei der Rückkehr des Sohnes eine Zeit lang das Kriegsleben vergaß, „rfundigte

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fih fogleih nah der Kabul'ſchen Erbſchaft, worauf Victor Alles mittheilte, was er von dieſer feltfamen Begebenheit, welche die Morand'ſche Yamilie aus: nehmend bejchäftigte, erfahren hatte. Er erzählte exft von dem Hauptteftamente und deſſen humoriftifchen Le— gaten, welche dem General zwar ſchon durch Gamaliel befannt waren, und alsdann von dem armen= und ſchuljugendfreundlichen Codicille; und wie die Hoff- nung aller berjenigen, welche ven meiften Anſpruch auf die fremdländiſche Hinterlaſſenſchaft zu haben ge- glaubt, gänzlich zu Waller geworden wäre.

„Wie,“ erkundigte fi der General verwundert, „auch Felicitas und unſer wadrer Gamaliel find leer ausgegangen ?“

„Es ſcheint unglaublich,“ erwiederte Victor, „na⸗ mentlich da der Wittwe Drollinger in dem Codicill ausdrücklich gedacht' und ihr die Auswahl derjenigen Armen übertragen ift, welche künftig gefpeift werben follen, und gleihwohl ift es nicht andere. Man wundert jid) auch in Niederroßla allgemein darüber und die gute Felicitas wird von Vielen wahrhaft bedauert.

Weit mehr als die erbichaftlihen Verfügungen ſelbſt ſchien dem General indeß die Perfon des Erb- laſſers zu intereffiven. Er frug daher wieberholt, ob Victor nicht erfahren, wie der Maler nad) Kabul gekommen ſei, in welchen Berhältnifien er vajelbft gelebt und ob er verheirathet gemwejen oder nicht.

„Darüber,“ gab Victor zur Antwort, „blieb mein Nachforſchen völlig vergeblich.”

Aus dieſem und namentlih aus dem folgenden Geſpräche des Vaters mit dem Sohne, warb fo ziem- lich deutlih der Grund erfichtlih, warum fi bie Familie Morand in folhem Grade für den Rabul’- Ihen Zeftator intereſſirte. Bor einer längern Reihe

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von Jahren hatte fi auf dem Schloffe von Morand's Schwiegervater der romantiſche Fall ereignet, daß ein junger deutſcher Künftler, der als Portraitmaler eines bedeutenden Rufs genoß, zu dem Zwecke, die freiherr- liche Familie zu portraitiren, eine längere Zeit auf Wildenfels, jo hieß das Schloß, verlebte, fi mit allem Teuer der Jugend und Schwärmerei des Künft- ler8 in die reizende Olivia, die jüngere Schwefter von Morand’8 nahmaliger Gattin, verliebte. Das. Schickſal wollte es, daß die Leidenfchaft des jungen Malers nicht unerwiedert blieb. Da zu einer Ver— bindung bei dem Adelſtolze der Familie nicht Die entferntefte Hoffnung vorhanden war, jo faßte das lebende Paar, der allmächtigen Leidenſchaft erliegenp, den- fühnen Entfhluß, zu fliehen. Gie festen ihr Borhaben während einer flürmifchen Naht in's Werk und erreichten unangefodhten und wohlbehalten Ham— burg, wo ein Kauffahrteifahrer fo eben im Begriffe ftand, nad) Oftindien unter Segel zu gehen. Bal- thafar hatte ſich Empfehlungsbriefe an den Gouver— neur von Bombay zu verſchaffen gewußt. Bald befanden fich die Flüchtlinge auf offner See. Dlivia hatte von Hamburg aus die Ihrigen von ihrem Vor— haben, dem Geliebten ihre Hand zu reichen, in Kenntniß geſetzt. Mehrere fpätere Schreiben, die aus Ditindien eintrafen, gaben die Kunde, daß fi das. junge Paar nad dem Ritus der englifhen Kirche hatte einfegnen laffen und in recht glüdlichen Ver— hältnifjen lebe. Alle Bemühungen von Geiten der Berwandten Dlivia’s, fie zur Rückkehr in's Baterland zu bewegen, blieben erfolglos. Nach jpätern Nach⸗ richten hatten ſich die jungen Eheleute unter engliſchem Schutze nach Kabul, der Hauptſtadt von Afghaniſtan, begeben, wo Balthafar am Hofe des Könige als

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. Maler und Heilfünftler im größten Anfehen ftand, und bedeutende Neihthümer erwarb. Späterhin aber blieben, da bei dem Seekriege Englands und Trank: reichs an eine Correſpondenz mit jenen fernen Ländern nicht zu denken war, alle weitern Nachrichten aus und man wußte nicht, was aus Balthajfar und feiner jungen Gattin geworben war.

Dan kann fih alfo wohl venfen, von welchem Intereffe es für die Morand'ſche Yamilie fein mußte, als man plöglih von einem Teftamente Kunde erhielt, welches ein deutſcher Hofmaler in Kabul hinterlaffen hatte. Es unterlag feinem Zweifel, daß ver Zeftator Niemand anders als der geniale Maler fein könne, welcher Dlivien entführt; auch ſtimmte die humoriftifche Abfaſſung der [egtwilligen Verfügung ganz mit ver eigenthümlichen Art und Weife, wie man fie an dem jungen Maler auf Wildenfel® Gelegenheit gehabt fennen zu lernen, volllommen überein.

Daß Herr Haſſan-ben-Mullah nicht unwermögend geftorben, ging aus den anfehnlichen Legaten hervor, die er zum Bellen ver Armen und der Schuljugend von Niederroßla ausgejett hatte, aber was mar aus feiner Gattin, der emft jo wunderfchönen, Tieblichen Dlivia geworden? War fie noch am Leben und in welchen Verhältniffen Iebte fie, nachdem der Tod ihr denjenigen entriffen, dem zu Xiebe fie in vie ferne, fremde Welt gefolgt war? Olivia, die wegen ihres engelhaften Herzens und ihrer ftet3 vofigen Laune allzeit der Liebling ihrer Yamilie gewefen, warb aud) ſpäterhin noch immer von den Ihrigen geliebt, und man nahm das lebhaftefte Intereffe an dem reizenden Flüchtling. Wären nicht die Friegerifchen Zeiten da= zwifchen gefommen, jo würde man gewiß das Aeußerſte verjuht haben, die Entflohenen zur Heimfehr in’s

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Baterland zu bewegen; fo aber war, wie erwähnt, alle Communication zur See durdy den Krieg unmög- lich gemacht.

Große Hoffnung, um Näheres über den Teftator zu erfahren, fetten vie beiven Morand's auf das Hamburger Haus Siebede und Comp., bei welchem die anfehnlichen Legate für Nieverroßla’8 Arme und Schuljugend niedergelegt worden waren, und 'man befhloß fofort, ſich desfalls mit den genannten Handelshaufe in Eorrefpondenz zu fegen.

Neuntes Jtapitel.

Nie hat der Clerus zu Niederroßla, ſo wie die da⸗ ſige Armenverſorgungsbehörde eine Sache mit größerm Eifer angegriffen, als die Kabul'ſche Erbſchaft. Man entwickelte eine Thätigkeit, die ihres Gleichen ſuchte. Gleich in der erſten Conferenz kam man ohne große Debatten dahin überein, ven Hamburger Geldlachs in thunlichſter Schnelle in ven Hafen von Nieverroßla einlaufen zu laffen. Der Herr Superintenvent, welcher es vor der Hand dahin geftellt fein Tieß, ob Teftator in Kabul als rechtgläubiger proteftantifcher Chrift (ein Caſus, der ihn noch Tags vorher jchwere Sorge gemacht) geftorben oder in den Himmel des Propheten Muhamed's eingezogen fei, hatte ein umfangreiches, mit Bibelftellen und Gefangbuchverfen reich verziertes Sendſchreiben an Herrn GSiebede und Comp. in Hamburg aufgefett, das er in der Konferenz mit Rührung vortrug und weldes ſich des allgemeinften

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Beifalls zu erfreuen hatte. Nur der Stabtrichter ſchien, trog daß es fehr fromm in dem apoftolifchen Hirtenbriefe hHerging, "die Rührung des Cuperinten- benten und ver VBerfammlung nicht zu theilen. Er nahm die Epiftel mit nad) Haufe, änderte fie gänzlich um, und gab fie mit nächfter Gelegenheit nach Ham— burg auf die Bolt.

Zange ſah man in Niederrofla einer Poft nicht mit größerem Intereſſe entgegen als der hannövert- ſchen, welche die Hanıburger Briefſchaften überbrachte und die alle Wochen am Donnerftage eintraf. Den Sonnabend hatte der Stadtridter den Brief an Siebede und Comp. zur Poft gegeben und wenn das Hamburger Haus unmittelbar wiedergefchrieben, wie man zu Niederroßla fiher erwartete, mußte die Ant= wort bereit8 den nächſten Donnerftag eintreffen. se näher der verhängnißvolle Termin rüdte, um jo größer warb die Anzahl ber Zweifler. Hat der Hofmaler, hieß es, die rechtmäßigen Erben gefoppt, fo wird’8 der Armendirection und der Geiftlichfeit nicht beffer ergehen. Unter dem zweifelnden Publico ftanden wieder Lagemann und der Schaufpieler oben an. Die Beiden hatten ihren ſchwarzen Plan, das Teftantent umzuſtoßen, fo lange vertagt, bis fie auch der Sache gewiß wären, daß es wirklich etwas ums zuſtoßen gebe. Hanno, deſſen Truppe nach und nach in alle Welt gegangen und ſich wie ein treuloſer Bienenſtock von ihrem Weiſer getrennt hatte, lebte unterdeß zechfrei bei Lagemann, ver blos in dem Falle Zahlung verlangte, wenn dem Heldenſpieler der Umſturz des Teſtaments gelänge. Der Magdeburger hatte ſeinen Freundſchaftsbund mit Hanno blos auf die Zeit der erbſchaftlichen Ausgleichung geſchloſſen. Fiel vom Erbſchaftsbaume nichts ab und erwieſen

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ih die hoffnungsvollen Blüthen al8 taub, fo waren die Beiden gefchiedene Leute. Lagemann hatte das jeinem Mitftreiter gegen Kabul im Bertrauen offenbart und der andre die Sache vollfommen in der Ordnung gefunden.

„Bor der Hand,“ hatte der Magdeburger geftan- den, „ift meine Liebe zu Euch das Große nicht, denn daß Ihr jeden Tag, den Gott werden läßt, Eure langen Beine in der jeßigen nahrungslofen Zeit unter meinen Tiſch ſteckt, kann meine Affection und Leiden- ſchaft für Euch nicht erhöhen. Bedenkt dies und greift, unfere gemeinfchaftlihe Sache mit Ernſt an, ih traue Eurer Einfiht und Eurem Geſchick etwas zu; ein Comödiant ift im Intriguiren gefchidter, als ein andrer ehrliher Menſch. Erft wenn Ihr das Teftament umgeftogen habt, fo daß ein Theil der Kabul'ſchen Ducaten in unſre Taſche rollt, fühle ich, daß ich wahrhafte Liebe zu Euch fallen, ja daß ich Euch inbrünftig verein fünnte, wohin ich's bis jet noch nicht gebracht. Es ft auch natürlich, jede Liebe will ihren Grund haben.“ |

Hanno verſprach das Möglichfte.

„Der Gedanke an Eure Liebe, Tagemann,” ſprach er nicht ohne Pathos, „reicht allein hin, mi zu dem Außerordentlichſten zu begeiftern, jelbft wenn mein eigner Vortheil niht mit im Spiele wäre. Wenn nur,” fügte er etwas nachdenflicher hinzu, „pie Ducaten wirklich vorhanden find.‘

„Ich glaube doch, tröftete der Hotelier, „obſchon ich öffentlich das Gegentheil behaupte und ven Zweif- ler fpiele. Siebede und Comp. fünnen nicht ganz aus der Luft gegriffen fein. Freilich,” fügte er, nad) einer Panſe feufzend Hinzu, „ſollten wir auch diesmal genarrt fein, jo dürfte unſre beiverfeitige Freund:

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ſchaft einen Stoß erleiden, der nicht fo leicht wieder ungeſchehen zu machen wäre. Der Mittagstiſch wäre das erfte Opfer, welches fallen müßte.‘

„sch fehe das ein,” gab ver liberale Hanno zu, „obſchon nad den Lehren aller Jahrhunderte wahre Freundſchaft fich erjt in der Noth bewährt.”

„Das find Uebergelahrtheiten,“ entgegnete Lagemann, „ausjchweitende bizarre Lehren, die einen rechtfchaffenen Mann, wie Unfereinen, ruiniren würden. Ich hab’ e8 ſchon gejagt, Liebe und Freundſchaft wollen ihren folivden Grund haben;. im vorliegenden Falle befteht diefer aus Ducaten.“

Der Helvenfpieler vecitirte nit ohne Wehmuth:

„Am Golde hängt, Nach Golde —* Doch Alles.“

„Und iſt auch nicht mehr als recht und billig,“ meinte der Hotelier; „eine von der Natur höchſt ſchätz⸗ bare Einrichtung. Vergegenwärtigt Euch einen Menjchen ohne Ducaten und mit Ducaten, weldy ein himmel- großer Unterjchied.”

„Allerdings,“ jeufzte Hanno, welcher die Wahrheit dieſes Lagemann'ſchen Ausſpruches an feiner eignen Perſon in der ganzen Kraft erkannte.

„Ihr feid jett,” fuhr der Magdeburger, um feinen Ausſpruch gründlich zu motiviren, fort, „ein verdüſtert Gemüth, welch ein Menſch wäret Ihr z. B. im Beſitze von hundert Ducaten?“

„Sehr wahr,“ geſtand Hanno, tief ergriffen.

„Darum,“ ſchloß der Hotelier ſeine Rede mit der Nutzanwendung, „ſpannt Euere Einbildungskraft an, erdenkt etwas, ein Mittel, einen Ausweg, einen Angriff auf das Codicill, daß wir es ummerfen zu unjerm Heile.“

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Der Helvenfpieler verfprach fein Möglichſtes. „Stopft Euh auch den Magen nicht zu voll,” fügte Lagemann Hinzu; „das erfchwert das Denfen, und verfehludt nicht fo unverantwortlic viel- Lager- bier, das kann Euch nicht gedeihen. Ihr umnebelt das Gehirn, unnöthigerweife zehrt Ihr mid arm und Euch bringt Ihr um die Gedanken. Mäßigkeit ift eine Löblihe Tugend für Jung und Alt und nament- lich für einen Künftler, wo Genie die Hauptfache.”

Hanno, weldyer alle Urfache hatte, den Magdeburger beim Guten zu erhalten, weil fonft feine Wohnung und Koft gefährvet waren, wollte feinem Gaftgeber weiß maden, daß er feiner Stimme wegen nicht viel mehr als ein Sanarienvogel verzehre. Sein Eſſen fei nicht der Rede werth.

Anstatt aber durch die vorgeblihe Diät. Lagemann zu beruhigen, gerieth dieſer erſt vecht in's Teuer. „Ein folder Sanarienvogel, rief er, „ſoll nod) geboren werden; Ihr wolltet unfehlbar einen Strauß oder Lämmergejer als Beifpiel anführen. Da wollt! id nichts gejagt haben.”

„Indeß,“ fuhr er fich jelbft beherrichenn fort, „wir wollen uns nicht weiter ereifern; daß Euer Bauch zu den umfangreichften gehört in ganz Niederroßla, das lehrt die Erfahrung, die paar Tage werden hof- fentlih zu überftehen fein. Mir war's, ale ih auf Euern unverwüftlichen Appetit zu fprechen kam, aud zunächft mehr um Euern Geift zu thun, von weldem die Erbichaftserlangung abhängt. Ich bin ja nicht der Mann, der Alles auf die Goldwaage legt. Fallen mir ein paar Schock Ducaten in den Sad, will id gern vergefien, was Euer Minotaurusichlund meiner Küche für Schaden gethan. Der Donnerftag wird's ent- ſcheiden, ob ich umfonft geftopft habe oder nicht. Wenn

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eine Vergeltung exiftirt, jo kann es diefe unmöglich zugeben, daß ich Euch ohne Belohnung chriſtlich quartirt und traktirt. Darum hoffe idy immer, der Himmel hilft und das Codicill zertrümmern und wirft und ein artig Stüd davon zu.“ |

Die Sonne des berühmten Donnerftags war end— lid aufgegangen. Yagemann, welcher die Nacht zuvor kauderwelſch Zeug geträumt und ſehr viel auf Träume gab, konnte mit ſich nicht recht in's Klare kommen, ob die verworrenen Traumgebilde auf Glück ober Unglüd veuteten. Er blätterte unermüdlich in feinem Traumbdenter, vem Peter Waldmann, und zog ſelbſt wiederholt feine Ehe- nnd Bettgenoffin, Madame Lagemann, zu Rathe.

Mit nicht geringer Erwartung hatte der Superin- tendent und Doctor der Theologie, fo wie die geſammte Armenverforgungsbehörde ihr Lager verlafjen; denn heute mußte fich die große Frage, weldye den Nieder- roßlaern fo viel Stoff zum Nachdenken gab, entſcheiden; die verhängnißvolle Frage, ob der Kabul'ſche Hofmaler und Operateur es ernftlih im Codicill gemeint und bie breitaufendfünfhundert Ducaten wirflih in Hamburg vorhanden mwären.

Diejenigen Armen, welde in größter Hoffnung auf Das Suppen: und Belzmütenjtipenbium lebten, und ihre Anzahl war nicht gering, wallfahrteten bereits bei früher Tageszeit zum Conjtitutionsthore hinaus, durch welches die hannöverfche Poft anlangen mußte, um zu erfahren, ob der Bieripänner, ver halb adıt Uhr eintraf, wirflih den Kabuffchen Erbfad bei ſich führe. Hätte die Stadtſchule nicht bereits um ſieben Uhr ihren Anfang genommen, ſo würde unbezweifelt

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aud) die bei der Erbmafje gleichfalls betheiligte Schul: jugend ſich der Armuth angejchloffen und die ‘Pilger: ihaft angetreten haben. An ihrer Statt ſah man mehre Haus- und Grundbeſitzer, die der Neugier eben fo wenig zu widerftehen vermochten, der Poft entgegen zu wallfahrten und fich zugleich des ſchönen Frihlings- morgens zu erfreuen.

Endlich Jah man in der Ferne Staub aufwirbeln; vier rüftig daher trabende Schimmel wurben füchtbar, hinter welchen unmittelbar die ducatenſchwere Poftkutfche rollte. |

. Wie eine Lawine ſchloß ſich die vorausgeeilte Ar- muth dem Wagen an, veffen nebenher trabende Be— gleitung, je näher das Fuhrwerf dem Stadtthor fam, immer größer wurde In dem Poftwagen ſaß nur ein einziger Paſſagier, ein hannöverifcher Lanpftand, welcher auf einer Yerienreife ‚begriffen war, um ſich von den lanbtäglihen Strapazen zu erholen. Das außerhalb einhertrottirende Vol hielt den Poftinfaffen für ven eigentlichen Teſtamentsexecutor und ermangelte nicht, ihm die gebührende Ehrfurcht durch fortwähren- des Grüßen und Mützenſchwenken an ven Tag zu legen. Der Landftand, welcher dieſe unverhoffte Hul- digung jeiner parlamentarifchen Berühmtheit zu Gute hielt, obſchon er während der ganzen Seffion feine zehn Worte von fi) gegeben, dankte gerührt.

Der Poſtillon begriff gar nicht, was dieſe feier— liche Einholung, die ihm in Nieverroßla nie vorge— fommen war, zu bebeuten habe Er bekam allmiälig jelbft den höchſten Reſpect vor feinem Paſſagier, den er für einen im Incognito reifenden Prinzen ober fonftigen Potentaten hielt. In der Hoffnung eines "um jo fplenvivern Trinkgelds trieb er die Roſſe zu

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größerer Eile an, fo daß Das nebenher feuchende Publikum faum nachzufommen vermochte.

Bon Zeit zu Zeit tünte dem rothfragigen Wagen- lenfer das Wort Ducaten in's Ohr; dies beftärkte ihn nur mehr in feinem erfveulichen Verdachte. Endlich ſchlug, weil fih das Wort „Ducaten“ zu oft wieber- holte, ein Gedanfenblig durch fein Gehirn, daß er unfehlbar Rothſchild in eigner Perfon kutſchiere, und er trieb, von diefem Gedanken begeiftert, die Roſſe zu anßerordentlichem Trabe an, daß die nebenan galop- pirende Armuth und jugendliche Gaſſenbevölkerung als- bald wie mürber Zunder, wie reife Birnen und Pflaumen abfielen und zurüdblieben.

Im Pofthaufe hatte ſich unterdeß der Herr Supe- rintendent und ein Comite der Armenverforgungsbehörbe eingefunvden, welche erwartungswoll der Ankunft der gebenebeiten hannöverſchen Poft entgegen fahen. Lage: mann trank bereits in dem ber Poſt gegenüberliegenden Liqueurlaben den fiebenten Bittern, um fi für alle Fälle zu fatteln und allen großen Creignifien gefaßt entgegen fehen zu. können.

Endlich rafjelte der hoffnungsreiche Poftillon mit jeinem hannöverſchen Landftande vor und ward von einem Volkshaufen, der fih vor dem Poſthauſe ver— jammelt hatte, jubelnd empfangen. Das Landtagslicht gerieth jest im nicht geringe Verlegenheit. Es be= fürdtete, die Magiſtraten der Stadt würden ihn un- fehlbar mit wohlgewählten Revensarten befomplimen- tiven. Beredtſamkeit jelber aber war nie diejenige Eigenfhaft, womit ihn die Mutter Natur reichlich begabt hatte Er verdankte diefer Bernadhläffigung unfehlbar feine Wahl zum hannöverſchen Landtagsab⸗ geordneten, und er beichloß daher, ein nobles Incog= nito zu beobachten, indem er fi fo tief wie möglich)

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in die Ecke des Wagens zurückbog, ſo daß er von der ſchau⸗ und ducatenluſtigen Menge nicht mehr geſehen werben Fonnte. |

Letztere, welche nicht anders vermeint hatte, als ber Hamburger Teitamentserecutor, für biefen warb ber Landſtand allgemein gehalten, werde bei der .Poft außfteigen und golpftrenend aufs und niederwandeln, ward ziemlich ungehalten, als der Fremde weder etwas von fid) hören noch jehen ließ, auch würde man unfehlbar feinen Unmuth noch lauter zu erkennen gegeben haben, wenn nicht das Perrüdenhaupt Des Superintendenten jo wie bie Habichtönafe des zum Armencomite gehörigen Viceconſuls, welche beide Por⸗ trait8 am Boftfenfter fichtbar wurden, vie loyalen Niederroßlaer in den Schranken der Gefetmäßigfeit gehalten hätten. Die Büften der beiden hohen Nota=, bilitäten nahmen alsbald in noch erhöhterm Grade das Intereſſe des vor der Poft verfammelten Publikums in Anfprud, da man bemerkte, wie ſich die beiven Profils, nämlid das des Superintenventen und Das des PViceconfuls, die ſich gegenfeitig anfahen, auffallend verfinfterten. Bald darauf erſchien der Poftillon mit nody weit finfterern Geſichte als das ver beiben hoben Häupter und begann die Pferde, welche auf ber Station gewechjelt wurben, auszujpannen. Er hatte nämlih aus dem Paſſagierbuche erjehen, daß er keineswegs Rothſchild, jondern einen fimpeln Herrn Gundelfinger aus YBurtehude gefahren, welcher auch nicht die geringfte Anftalt zu irgend einem ZTrinf- gelde treffe.

Weit gerechtere Urfache zur Betrübniß hatten aber ber Herr Superintendent und bie verehrlihe Armen- behörde, denn Herr Siebede und Comp. hatte weder geantwortet noch die Kabulfchen Ducaten geſchickt.

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Der Doctor der Theologie ſah ſich in die traurige Nothwendigkeit verſetzt, feine nächſte Predigt total umt- zuändern, denn er hatte in vielen Stellen unverholen auf die menfchenfreundlichen Geſinnungen des feligen Hofmalers angefpielt.

Mit Blitesfchnelle verbreitete fi) Da8 Gerücht von der zu Waller gewordenen Erbſchaft in Niederroßla. Lagemann traf die Todesbotſchaft gerade, als er bis zum zehnten Bittern worgerüdt war. Ihm ward im erften Augenblide jo unwohl, daß er fich nieverjegen mußte und fein Wort hervorzubringen vermochte, Erſt nad) und nad) ftellte ſich der Redefluß wieder ein und ergoß fih in einen wahren Strom von Berwünfchungen über den todten Hofmaler. Der Magveburger ward diesmal von vielen Seiten auf das Rräftigfte unterftütt, namentlich ließ e8 die Belzmügen beraubte Armuth an weidlichem Schimpfen nicht fehlen.

Der hannöverſche Landſtand, in welchem man vor wenig Minuten noch einen glückbringenden Engel Gabriel frohlockend begrüßt, erhielt gleichfalls ſein ge— meſſen Theil von dem allgemeinen Unwillen. Bei ſeiner Einfahrt ein Gegenſtand der Freude und des Entzückens, begleitete ihn Haß und Verfolgung bei der Ausfahrt. Unter Schimpfen und Schreien der getäuſchten Schuljugend rollte der Burtehuder durch's Thor.

„Ich habe jetzt den Beweis in Händen, “ſprach er zu ſich, als ihm Niederroßla ein Stück im Rücken lag, „daß in der Welt nichts wankelmüthiger iſt als Volksgunſt, und werde bei der nächſten landtäglichen Seſſion nicht ermangeln, darauf hinzudeuten. Bei meiner Ankunft ward ich vergöttert und zum Abſchiede fehlte nicht viel, man hätte mich geſteinigt. O be— thörtes Volk!“

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In Niederroßla ſelbſt bedurfte es einer geraumen Zeit, bevor ſich die Gemüther beruhigten. Daß die ſo erquickende und erwärmende Ausſicht auf Suppen, Braten, Holz, Fuchsklauen und Pelzmützen zu Grunde gegangen, erregte großes Herzeleid; ſelbſt der Herr Superintendent und Doctor der Theologie kehrte äußerſt tiefſinnig nach ſeiner Wohnung zurück. Mit dem Comité der Armenbehörde war ein Gleiches der Fall.

Der Zorn gegen den Hofmaler erreichte den höch— ſten Grad. Einige fanatiſche Bettelweiber waren nicht übel gewillt, nach Kabul aufpubrechen und das Grab⸗ mal des Berftorbenen zu zerftören und zu verumreinigen.

Binnen vierundzwanzig Stunden ‚hatte ſich indeß die Aufregung: fo weit gelegt, daß man es nicht mehr der Mühe werth hielt, ven betrügerifchen Haf- janzben-Mullah in ven Mund zu nehmen. Die vad- Iuftige Frauenſchaar Hatte in Betracht ihrer jchlecht- beftellten Beſchuhung gleichfalls ihre kabuliſtiſchen Rei— fepläne auf günftigere Zeiten verfchoben und Alles trat in Nieverroßla in das gewohnte Bett der Unter- haltung zurüd. Bon dem Hofmaler war bald feine Rede mehr. Man hatte die ganze Zeit daher zu viel über ihn gefproden und war es endlich überprüffig geworben, hauptfählih da Die ganze Erbangelegeneit ein jo Shmähliches Ende genommen.

Gleihwohl war die Kabul'ſche Erbangelegenheit no nicht zu Ende, ſondern follte erſt vecht ihren Anfang nehmen und Nieverroßla mehr denn je in außerordentlihe Aufregung verfegen.

Stolle, ſämmtl. Schriften XVII. 10

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Zehntes Kapitel,

&; war brei Tage fpäter, als fi in ben Straßen Niederroßla's eine feit den lebten Kriegsjahren nicht gefehene Erſcheinung bliden Tieß, nämlidy ein reiten- der Poftbote, welcher vom Thore direct feinen Weg nach der Wohnung des Stadtrichters nahm, woſelbſt er abſtieg und mit einem gewichtigen Felleifen unter'm Arme bei Jacoby eintrat.

Die Nachrichten von diefem außerordentlichen Er— eigniß verbreiteten ſich mit Bligesfchnelle in der Stadt. Alles ftedte die Köpfe zufammen und man munfelte fonderbare Dinge. Vergeſſene Geſchichten vom Hof- maler und Kabul kamen wierer zum Borfchein. Man erfchöpfte fih in Bermuthungen. Hauptfählic war der ſchwere Muntelfad der Staffette der Gegenftand allgemeinen Nachdenkens.

Die Spannung in Nieverroßla erreichte indeß den höchſten Grad, als man ungefähr ein halb Stündchen nad) Ankunft des berittenen Fremdlings den Herrn Superintendenten ſchwitzend nad; dem Haufe Jacoby's eilen fahb, mehre Deputirte der Armencommilfion, jo wie da8 Gerichtsperſonal eilten gleichfalls herbei. Es fand eine Conferenz ftatt, die faſt zwei Stunden währte und welche die Niederroßlaer, weil fie nichts davon erfuhren, zur Verzweiflung brachte.

Lagemann, zu welchem die Kunde am Erſten ge- derungen, konnte e8 in feiner Behanfung nicht länger aushalten; eine Unruhe jonvergleihen hatte fich feines

ganzen Weſens bemächtigt. Er mußte fort, in's Freie, friſche Luft ſchöpfen. Er war eben im Br

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griffe, dieſen Vorſatz in Ausführung zu bringen, als Hanno, welcher in Folge der zu Grunde gegangenen Erbſchaft bereits ſeit zwölf Stunden gefaſtet hatte, athemlos durch die Thüre und ihm in die Arme ſtürzte.

„Ste find da!” waren ‚die einzigen Worte, bie ber Heldenfpieler zu ſtammeln vermochte.

Der Hotelier padte den Künftler krampfhaft und frug geichfalls athemlos: „Um's Himmelswillen, wer denn?“ |

„Die Ducaten!” ftöhnte Hanno und ſank erſchöpft in einen Seſſel.

Lagemann faltete andächtig die Hände „Ich ſehe,“ fprad er, „ver Himmel wil’s, daß ih Euch nicht umfonft gefüttert habe.“

„Und daß ich nicht verhungere!“

„Erzählt, ich beſchwöre,“ rief der Magdeburger.

Hanno, bei dem der Appetit alle andern Intereſſen verbrängte, erwieberte: „Exit etwas Maſſives, etwas Schinken, oder Preßwurſt, falten Braten, was da ift.”

Lagemann eilte felbft in die Küche und trug auf, jo viel der Tifch zu tragen vermochte. Dann faßte er neben dem efjenden Schaufpieler Pofto, diefer follte jett Ausführliches mittheilen, aber Hanno brauchte feine Sprachwerkzeuge zu nützlichern Angelegenheiten für feinen Magen. Er unbeſchreiblich und fah ven auf Kohlen fitenden Hotelier blos kauend an.

Lagemann rutſchte verzweiflungsvell auf und nie ber. Da er fah, daß der hungernde Hanno an fein Aufhören dachte, überfam ihn die Neue, fo reichlich aufgetragen zu haben, und er wollte eine Schüſſel nad der andern wieder hinwegtragen. Der Künftler buldete dieß indeß nicht, und umklammerte fo viel Speifebehälter, als ihn möglih war. Dabei jchüttete er unermüdlich neue Nahrung jenen örehwerfgengen

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zum Zermalmen vor, ohne daß Lagemann ein Wort aus dem Eſſer herauszubringen vermochte.

„Ihr müßt wahrhaft vom Freßkrampfe befallen ſein,“ meinte endlich der Magdeburger, „ein ſolcher Appetit iſt mir bei einem vernünftigen Menſchen noch nicht vorgekommen.“

„Nur wenig Geduld,“ preßte der Heldenſpieler ziemlich unarticulirt hervor, denn ſein Rachen, der einem Amalgamirwerke glich, ward nicht leer und an ‚eine verſtehbare Rede nicht zu denken. Dabei ſäbelte er von Neuem ein ſolch unüberſehbar Stück von dem Schinken los, daß Lagemann die Haare zu Berge ſtiegen.

„Mich muß der Leibhaftige geplagt haben,“ ſprach er für ſich, „dieſem Belial meine. halbe Vorrathskam— mer vorgeſetzt zu haben. Es geſchah in der erſten freudigen Ueberraſchung; ich fange an zu argwohnen, das unerſättliche Tigerthier hatte es nur auf einen fetten Imbiß abgeſehen, und frißt ſich wie die Rie— ſenſchlange bei mir auf ſechs Wochen voll.“

Als der Heldenſpieler ununterbrochen fortaß, ohne feinen harrenden und verlangenden Gaſtgeber die ge. ringjten Notizen wegen der Kabul’fhen Ducaten mit- zutheilen, ward Yagemann wuthig. Er wollte wenig- ftend die Schinkenſchüſſel vor neuen Angriffen in Eicherheit bringen und faßte darnach, aber Hanno fuhr fo desperat und morbfunkelnden Auges mit dem Icharfen Mefjer nach der zugreifenvden Fauſt, daß ver Magpeburger feine Rechte fchleunigft zurückzog und die Schüſſel unangetaftet ließ.

„Der Kerl ift gar fein Menfch mehr, dachte er fhaudernd bei fi), „Der morbet wegen einer Kalbs— feule. Mit Strenge ift bier nichts auszurichten, ich glaube, dieſe Hyäne ift im Stande und fieht mid,

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jo id ihr Etwas aus den Zähnen rüde, in ihrer" ER- brunft für einen leibhaftigen Schinken an und ſchnei— det mid, lebendigen Xeibes an. Ich muß fehen, daß ih den Bielfraß auf gütlihem Wege beikomme.“

„Aber fagt mir um aller Heiligen Willen, Lieber Hanno,” begann Lagemann, „hat denn Euer werth- gefhätter Magen nicht bald genug?”

Der Helvenfpieler, weldyer fo eben einen Schin— fenfnochen mit Rieſenkraft zerfnadte und ſich "mit Wolluft des nährenden Marktes bemächtigte, ſchüttelte den Kopf.

„Das muß ich geftehn,” fuhr Lagemann fort, „ic wollte alle bezahlenden Säfte, die bei mir einfehrten, erfreuten fid) eines fo umfangreichen Magens und ges jegneten Appetites. Ich wäre ein reicher Mann.”

„Glaub's,“ verfetste wieder höchſt unverſtändlich Hanno.

„Wie, glaub’8?” frug der Magbveburger, „aber bei Euch muß ich zum armen Manne werden, . wenn Ihr Eurer Freßraferei nicht bald Einhalt thut.“

Diefe Worte mochten dem Heldenſpieler feiner Antwort werth feheinen, denn er erwiederte nichts dar— auf und af.

Lagemann hielt’3 jett nicht länger aus, er ſprang anf und Tief verzweifelnd die Stube auf und ab, Hanno’n ftörte Died nicht.

Obſchon fi) der Magdeburger vorgenommen, fein Unglüd mit Faſſung und ald Mann zu tragen und den Meſſerbewaffneten nicht weiter zu veizen, jo konnte er es doc nicht über fich gewinnen, an den uner- müdfichen Freffer die fpite Frage zu richten, „ob er wohl ein Hamfter fer, der für die Wintermonate eintrage?“

Als der Heldenſpieler auch dieſe Anfrage keiner

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Berückſichtigung für nöthig erachtete, Tief Lagemann bie Galle vollends über. Er beabfichtigte einen neuen Angriff auf die nod ziemlich unberührte Schüffel mit Schweinsknöchelchen. Dieſe hatte fih aber der Künit- ler erpreß zun Deſſert auserfehen. Als gewandter echter entdedte er ſogleich des Magdeburgers böfen Angriffsplan. Diefer faßte nämlid in einiger Ent— fernung förmlich Pofto, um als Yämmergeier auf bie Schweinsknöchelchen herabzuftoßen und fie mit fammt der Schüffel in den Lüften davon zu führen Hanno war im Abjchlagen von dergleichen Angriffen nicht unbewandert. ALS daher Lagemanı auf die Schüflel Charge machte, pflanzte der Künftler Taltblütig feine mefjerbewaffnete Rechte wie ein Bajonnet auf dem be- drohten Punkte auf, und ließ den Feind nicht zus greifen. Der Magveburger mußte ſich wüthend zurüd- ziehen; Hanno ruhig weiter, das bedrohte Außen werk war vor der Hand gerettet.

Der unglüdliche. Hotelier, welder won Neuem zornvol das Zimmer auf und abrannte, drohte end— lich mit Magiftrat, Polizei und Nachtwächtern. Er beſchuldigte den Helvenfpieler geradezu eines Attentats auf feine Berfon.

„Mordanfall im eignen Logis,” ſprach er, „wird, glaub’ ich, doppelt hart geftraft. Es ift ein großer Unterfchied, ob man im Freien oder im Haufe an— gefallen wird.‘

Der Efjer befümmterte ſich wenig um dergleichen juriftifche Apmonitionen. Er ftand fo eben bei ven Scmeinsfnöchelden, in deren Zermalmen fein Gebiß wieder Gelegenheit fand, ſich in all feiner Gebiegen- heit und Energie zu zeigen.

Lagemann, ver verzweiflungsvoll hinter dem Eſſer auf und nieder ftieg und dabei wüthende Blide nad)

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den bereits geleerten Schüffeln und Zellern ſchoß, fonnfe, als er auch die Schweinsfnöchelhen in dem Schlunde bes Künftlerd verſchwinden jah, feines Arms nicht länger Meifter werden und gab im Vorbeigehen dem ungebetenen Gafte mit dem linken Ellenbogen einen herzhaften Puff, worauf er einen unverzüglicyen Sprung that, in der Furt, der gepuffte Eſſer könne ſich raſch umwenden. Diefer aber, viel zu fehr mit feinem Minifterium des Vordern befchäftigt, befüm- merte fi) wenig um die angegriffene Rückſeite, wo er weder Mund noch Schlund befaß, und duldete ge- laſſen Lagemann's Unbill. Letzterer, als er gewahrte, wie ihm ſeine Handlungsweiſe ſo für voll ausging, bekam Muth, auf dem betretenen Wege fortzufahren. Er defilirte leis auftretend abermals bei Hanno's Rücken vorbei und carambulirte denſelben diesmal mit dem rechten Ellenbogen. Er wußte in dem diesma— ligen Stoße feinen Ingrimm ganz beſonders zu mar— kiren. Der Eßkünſtler nahm auch dieſe zweite Affront gelaſſen hin. Vielleicht dachte er, daß dergleichen Er— ſchütterungen der Verdauung zuträglich ſeien.

Sobald man ein Vergehen nicht beſtraft, wird der Verbrecher in der Regel verwegener. Dies war auch bei Lagemann der Fall. Er ließ es bald nicht bei einem Puffe mehr bewenden, ſondern duplirte und triplirtee; und als Hanno, noch immer mit ben Schweinsknöchelchen befehäftigt, ſchlechterdings an feine Bertheivigung dachte, fo arbeitete er enblih als Hof- paufer mit beiden Fäuften auf dem breiten Rücken des Heldenſpielers umher, feine Wirbel zumeilen durd) urfräftige Knieſtöße unterjtügend.

Dieſes Lagemann'ſche Pedalconzert ward aber dem Heldenſpieler, zumal er am Ende des Deſſerts ſtand und ſein Appetit geſtillt war, und da die Stöße per—

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petuirlich auf diejenige Stelle von des Künftlers leib- lichen Gegenden berechnet waren, wo das Rüdgrat fein Ende erreichte, endlich ftörend. Er wandte fidh nm und drohte dem zurädprallenden Mufitus mit einem Schinkenknochen, deſſen Fleiſchmaſſen er bereits feinen Verdauungswerkzeugen überliefert hatte. Da der Magdeburger nicht zu erreichen war, fo begnügte ſich Hanno mit einem Lufthiebe. Zugleich fagte er: „fett wären wir.‘

Lagemann’s Ingrimm legte ſich fichtbar, als er vernahm, der Vielfraß habe die Sprache wieber er- halten. Er bemühte fih, den Berluft, welchen er durch den beifpiellofen Appetit des Künftlers erlitten, nad) Kräften zu verfchmerzen, und kam näher.

Der. gejättigte Hanno war ein ganz anderer Menſch al® der hungernde und eſſende. Cr fam dem Hote- lier ordentlid, liebenswärbig vor.

„So vernehmt das Außerordentliche,” begann er, indem er ſich behaglih den Bauch firih, und mit einem felbft gefchnitten Zahnſtocher vie Weberbleibjel der Mahlzeit aus den verſchiedenen Felsſpalten und Schluchten feines Gebiſſes zu Tage förderte, „es hat feine Ridhtigfeit mit dem Hofmaler.“

„Und die Ducaten?” fiel Lagemann haftig ein.

„Liegen fauber gerollt und gepadt beim Stabt- richter.“

„Und ſollen wirklich dem Pöbel und der Schul— jugend zum Opfer fallen?“

„Laut Codicill allerdings.“

„Ich hoffe, Hamnno, Ihr habt mich nicht umſonſt arm gefreſſen und verhelft mir zu dem Meinigen durch Euern anſchläglichen Kopf.“

„Ich habe gedacht, ich denke und werde denken,“ conjugirte der Heldenſpieler.

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„Das ift rechtſchaffen, aber pas Refultat Eures Gedachten und derzeitigen Denkens?“

„Seht dahin, Daß wir auf gerichtlichem- Wege dem Codicille nicht beikommen.“

„Mich rührt der Schlag, was nützt mir's da, Euern unergründlichen Magen wie einen Torniſter geſtopft zu haben?” |

„Ich denke doch.”

„Se? Erklärt Euch faßlicher.“

„Allerdings iſt dann erforderlich, daß wir von dem Gedanken ausgehen, vie Kabul'ſchen Ducaten ge- hören ung als rechtmäßigen Erben.”

„Wer zweifelt daran, wir haben doch zehnmal größres Recht, als der Pöbel und die Schulbuben.”

„Dann müſſen wir uns jelbft helfen.”

„Unbeftritten, felber ift ver Dann.

„Aber, Lagenann, e8 gehört Muth dazu und Geiftesgegenwart.” |

„Muth? Hm! Nun fo viel wird fi ſchon noch erübrigen laffen, um zu unferm Eigenthum zu ges langen.“

„Schlägt mein Plan fehl, fo fpazieren wir beide wißt Ihr wohin?” |

„Nun wohin denn?“

„In's Zuchthaus!”

„Gehorſamer Diener, ic bedank' mid) ſchönſtens.“

„Ich danke auch, darum, denke ich, ift das Beſte —“

„Wir laſſen die Sache ihren Gang gehen, die Ka— bul'ſchen Ducaten ſcheinen uns einmal nicht beſtimmt.“ Wuielfraß, wenn Ihe nichts Beſſeres -auscalculirt habt, veut mich der Biſſen Brot, ven Ihr bei mir verfchlungen. So viel konnt’ ich allenfall3 felber aus⸗ difteliren.“

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Hanno verfiel hier plöglich in Schweigen und ftrid) fih den Bauch, welche Manipulation ihm wohlzu— thun ſchien. Lagemann fchaute höchſt ärgerlich dieſem Beginnen zu. |

„Ihr wollt wohl Eure guten Gedanken aus dem Bauche ftreihen,” frug. er, „va wird freilich nicht viel Gejcheutes herausfommen, obſchon, dem Appetit nah zu jchliegen, Euer Magen in vortrefflidiem Zu: ftande fi) befinden muß. Doch daß wir nicht eins in's andere reden, ijt denn Euer Mittel, ver Ducaten habhaft zu werden, wirklich fo vesperat, daß große Gefahr dabei vorhanden?”

„Es iſt nicht anders,” gab Hanno zur Antwort, „am unfers Eigenthuns habhaft zu werden, bleibt nichts übrig, als daß —“

„Nun, als dag —“ erkundigte ſich der Hotelier angelegentlic.

„Aber, Lagemann, jo ein Wort über Eure Lip— pen. —“

Lagemann ſchwur aus Leibesfräften.

„Aber Eure Schwüre,” zweifelte der Heldenfpieler, „fann ic) darauf bauen? Lagemann, wenn Ihr ein Räufhchen habt, pflegt Ihr nicht zu willen, was Ihr ſprecht.“

Der Magveburger begann fi jet zu vermalebeien, daß weder im beraufchten noch nüchternen Zuſtande Jemand ein Wort erfahren jolle.

„Wohlen,“ Hub nun Hanno geheinmißvoll an, „um zu unfern Cigenthume zu gelangen, bleibt nichts übrig, als daß —“ hier ftodte der Sprecher aber- mals und wollte mit der Sprache nicht heraus.

„Ss fpreht doch, zum Satan,” drängte Lage— mann, „ich bin auf Alles gefaßt.‘

„Es bleibt nichts übrig, fuhr der andre fort,

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„als dag wir und der Ducaten auf verfteht mich wohl auf directem Wege verfichern.“

„panit bin id) vollfommen einverftanvden,” ver- jetste der Hotelier, „der gerade Weg bleibt der befte.“

Bertrauungsvoller fuhr der SHelvenfpieler fort: „Wir müfjen uns unferes Eigenthums verfichern, ohne daß Jemand groß davon erfährt, fo ganz in der Stille.” | „Es ift Dies eine edle Befcheidenheit, die uns fein

Menſch verargen wird,‘ meinte Lagemann.

„Wo möglich in nächtlicher Stille,” fügte Hanno bei.

„Ein guter Zweck nimmt auf feine Tageszeit Rückſicht,“ verfette der Magdeburger.

„sh ſehe, Daß Ihr einen anfchläglichen Kopf habt,” ſprach der andre weiter, „aljo rund heraus.”

„Rund heraus,” munterte Lagemann auf.

„Bir müfjen die Kabul’fchen Ducaten ftehlen.”

„Hm,“ erwiederte der Hotelier, ver ein derglei— hen moraliſches Mittel geahnt zu haben fchien, „fteh- len wollt’ id) e8 nicht nennen, wenn wir unfer Ei— genthum auf geheimnißvolle Weife in Befit nehmen.”

„Allerdings, geſtand Hanno, „der Ausprud iſt etwas bizarr.“

„Es ift eine volllommen rechtmäßige Handlung, obſchon fie der kurzfichtigen Welt anders erjcheinen dürfte.‘

Ufer Recht ift fo lauter wie Gold,“ ſprach der Künftler, „daß es die Gerichte nicht anerfennen, mas fönnen wir dafür?“

„Aber aber —“ begann jetzt Lagemann mit einem ſchweren Seufzer.

Hanno erkundigte ſich nach der Urſache des Seufzers.

„Wenn wir erwiſcht werden.“

„Freilich, erwiſchen dürfen wir uns nicht laſſen.“

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„Hanno, die Sache will überlegt fein.”

„Das will fie, allerdings.“

„Das Rifico ift ungeheuer.‘

„Der Lohn nicht minder.

„Ich wäre ruinirt auf Pebengzeit,” fuhr ver Ho= telier fort, „bin Bürger und Hausbefiter und ftehe auf dem Sprunge, Stadtverorbneter zu werben.”

„Mit diefer Charge,” meinte Hanno, „würde ſich allerdings unfer gerechtes Vorhaben in Betracht ver rückſichtsloſen Welt wenig vereinbaren.”

Lagemann ward immer bedenklicher. Endlich klopfte er bei Hanno an, ob diefer nidht allein das Wagniß auf fi) nehmen wollte Seine (Lagemann’8) Danf- barfeit würde ungeheuer fein.

Die Beiden faßen noch lange über dieſem wichti— gen Kapitel bei einander. Der böſe Wille war va, aber ver erforverlihe Muth fehlte.

Eitftes Kapitel,

Dis Scidfal hatte es gewollt, daß tie Bewohner von Niederroßla durch die Kabul'ſche Erbfrage zum dritten und legten Male aufgerüttelt werden follten und zwar diesmal auf eine Art und Weife, bei wel: cher weder die Pelzmügen und Fuchsklauen bepürftige Armuth, noch das Haupt der Stadt, der geftrenge Herr Bürgermeifter Sebaftian Flaminius, jo wie bie gefammte Senatorenſchaft gleichgültig zu bleiben ver- mochten.

Die Herren Siebede und Comp., bei welchen die

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im Kabul'ſchen Govicille erwähnte Ducatenfumme vom Hofmaler wirklich niedergelegt worden war, hatten es für ficherer erachtet, befagte Summe nicht durch die hannöver'ſche Poft, fondern durch einen erpreflen Bo— ten nad) Niederroßla gelangen zu laſſen. Diefer be- beutenden Geldſendung lag aber noch eine anderweitige teftamentarifche Verfügung bei, die vom Erblaſſer wenige Tage vor feinem Dahinfcheiden felbft aufge- fett worden war und dem Wunfche des PVerfaffers gemäß durch ven Stabtridhter, nad) vorhergängiger gerichtlicher Vorladung, den betreffenden Erben mitge- tbeilt werben follte.

Alfo während noch die beiden Biedermänner Hanno und Lagemann mit dem moralifchen Internehmen Ihwanger gingen, fi, ihres rechtmäßigen Eigenthums, wie fie ed nannten, auf möglichſt geräuſchloſe Art zu verfichern, erjchien im Wochenblatte won Seiten bes Stadtrichters eine abermalige VBorladung an die Drol- linger’ihen Erben, ſich an Gerichtsftelle einzufinden und der Eröffnung eines anderweitigen Codicills ge= wärtig fein.

Wie na einem warmen Yrühlingsregen, jo ho= ben ſich die zeither gefunfenen Häupter der Drollin- ger’ihen Erbihaar wieder empor. Selbſt der Helden— jpieler und der Magveburger faßten für den Fall, daß fie int zweiten Codicill rechtſchaffen bedacht wären, den hochherzigen Entſchluß, ihren geräufchlojen Plan aufzugeben.

Bereit nad) drei Tagen faß Jedermann wieder hoffnungsreicher denn je auf feinem gewohnten Plage im Stadtgericht; Frau Urfula im nagelneuen Häub- hen, ihre wohlwollenden Blicke zwifchen dem umgit- terten Acceffiften und Gamaliel theilnd. Hanno ſtreckte ſich fihtbar und Lagemann faß Tampfbereit

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hinter dem Cecretair, entweder feine Freude oder fein Leidweſen auf jenes Rüden laut werben zu lafien.

Abermals ſteckte der Gerichtsviener den Kopf durch die halbgeöffnete Thür und rief: „der Herr Stadt— richten,” und fo wie legtrer auf feinem Stuhle Platz genommen, und einige einleitende Worte vorangefchict hatte, begann auf feinen Wink Kiefewetter zu lejen wie folgt: -

„Da fih nah Abfendung der drei Ducatenfäd- lein an Siebede und Comp. in Hamburg in meiner Hinterlaffenfchaft noch einige Activa vorgefunden, und ic) diefelben gern nad bejtem Wiſſen und Gewiſſen an den Mann gebracht wünfchte, fo ift mein Wille, daß felbige allen folchen Perfonen in Nieverroßla zu Gute gehen, welche, wenn aud) im entfernten Grade, mit mir eine Verwandtſchaft nadyzumeifen im Stande find.”

As wenn ver heilige Geift fein Licht über die Erbſchaftler ausgegoffen, faßen bei diefen Worten des Actuarius Kiefewetter ſämmtliche Auditores mit leuch- tendem Antlit da; e8 fehlten nur die üblichen Flämm— hen über den Köpfen. Lagemann felbft war fo er- griffen, daß er feine höchliche Ueberrafhung dem Se— eretair durch einen freundſchaftlichen Puff mitzutheilen vergaß, wie fonjt feine Art war. Seine Hand war gelähmt, fein Mund ftand offen.

„Demnach,“ fuhr Kiefewetter fort, „it men Wille und Gebot, daß Felicitas Drollinger, meine nicht ge— nug zu verehrende Frau Tante, ald General- oder Univerfalerbin fuccedire. Sollte jie ſich bereits an dem- jenigen Orte befinden, wohin fie eigentlich gehört, nämlih im Himmel, fo folgt ihr Ehemann und ihre Nachkommenſchaft im Erbſchaftsrechte.“

Jetzt wandte ſich die lebendige Erbmaſſe mit einem

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Nude nad) dem Secretair um, während ihn Lage: mann von hinten krampfhaft anbohrte, fo daß Ga- maliel vor Seelenfreudigfeit und Rückenſchmerz aus der Haut zu fahren vermeinte.

„Felicitas Drollinger,” hieß es im Codicille weiter, „erbt aus meiner hinterlaffenen Baarjchaft. vie Summe von achttauſend holländischen Ducaten unter nachſte— henden Bedingungen, woven die erjte unerläßlich ift,

„Eritens: Cie endet einen ihrer Söhne, wo möglih den Erſtgebornen, den jungen Gamaliel, in Perſon nah Kabul, damit er vie Erbichaft erhebe. Die erforderlihen Gelder zur bequemen und anftän- digen Hin- und Zurüdreife wird ihm Herr Siebede und Comp. in Hamburg aushändigen. Collte jedod) feiner meiner Herren Coufind am Xeben fein, oder denſelben, was ich nicht hoffen will, die erforderliche Courage abgehen, jo muß leider meine gute Tante nit einem Abfindungsquantum von ber Hälfte ber Erbfumme vorlieb nehmen, die ihr gegen Quittung von dem oft erwähnten Hamburger Haufe ſofort aus- gezahlt werben fol.

„Zweitens: Sollte jedoch Herr Gamaliel oder einer feiner Brüder den erforverlihen Muth in ſich verfpüren, die allerdings etwas langwierige Keife an— zutreten, fo follen ihm die achttauſend ‚bei ven Ge— rihten zu Kabul beponirten Ducaten ungefchmälert ausgezahlt werden. Dafür bürgt ſowohl vie Gered)- tigfeitSliebe des afghaniftifchen Volkscharakters, jo wie ber noble Sinn des Königs, wie auch die Garantie des englifchen Confulats. Iſt aber der Herr Neveu mit den Goldſäcken Afghaniſtans glücklich in Nieder— roßla wieder eingetroffen, ſo ſtelle ich als zweite Be— dingung, daß ſich Frau Felicitas Drollinger, wo mög— lich das ein Stündchen von der Stadt freundlich

1.60

zwifchen den Bergen gelegene Gütchen Ciebeneichen anfauft und dem rechten Flügel, vefjen Fenſter nad) dem Buchenwalde hinausgehen, zur behaglichen Woh— nung für eine oder zwei Perfonen einrichtet. Wenn ed die Berhältnijje geftatten, jo fol fie wo möglich jelbft nach Siebeneihen ziehen. Da wird ſich eines Tags ein junger Wanderer einfinden und einen Brief von mir vorzeigen. Diefen Wandrer foll fie freund- lich aufnehmen, bewirthen und beherbergen, fo lange, bis fpäter vieleicht noch Jemand dazu ſich findet. Uebrigens bat fih Herr Gamaliel Drollinger oder derjenige feiner Brüder, der die Reife nah Kabul anzutreten gefonnen ift, innerhalb acht Tagen beim Stadtgeriht zu Niederroßla zu melden und feine des- falfige Entfchliegung abzugeben.“

Der fonft fo befcheidene und ſchüchterne Secretair erhob fich jett mit leuchtendem Antlig: „ein Wort jo viel als taufend, ich reife!” rief er mit großer Ent- ſchiedenheit.

„Bravo!“ munterte Lagemann auf, „ich fahre mit; Ihr ſeid dann billig und tretet fünf Prozent von der Erbſchaft ab, für die Gefahr, das Waſſer hat feine Balken, man kann caput gehen.” .

Die Erbſchaftsmaſſe blickte mit unglaublichen In— tereſſe bald auf Gamaliel, der noch immer helden— kühn daſtand, bald auf Kieſewettern; nach Letzterm in der Hoffnung, ob nach dem reichen Segen der Feli— citas nicht auch für ſie etwas Erkleckliches vom Erb— ſchaftsbaume abfallen werde.

Der Actuar aber bedeutete vor der Hand Gama— lieln, daß er feinen Entſchluß ſchriftlich beim Stadt— gericht einzureichen habe.

Der Secretair ſetzte ſich und ward von Lagemann angetrommelt. „Es bleibt bei den fünf Prozent;“

461

raunte letzterer, „uhr dürft Euch dem treuloſen Meere allein nicht anvertrauen. Ein Begleiter iſt unerläßlich, id) habe Erfahrung mit fremden Völkern umzugehen, ward im leßten Kriege mit- ven Stofaden immer am Beften fertig.‘

Riefewetter las weiter:

„Ferner leben noch in freundlicher Erinnerung aus meiner Knabenzeit zu Niederroßla die Muhme Sigis— munde, eine geborne Seekrebs

„Das war meine Frau,‘ vief hier Hanno auffah- rend, fo lang er war; „fie ftarb als mein vechtmäßig Eheweib, ich fann den Zodtenjchein beibringen von Mutter und Tochter.”

Der Actuarius winkte, und gab pantomimiſch zu verftchen, daß ‚dergleichen Erklärungen hierher nicht gehörten, und fuhr fort:

„Sollte fid) befagte Sigismunde Seekrebs bei Er— Öffnung dieſer leßtwilligen Verfügung noch unter den Lebenden befinden, jo erhält fie durch dieſes mein Codicill das Recht, einen PVertrauten nad Stabul zu jenden und Die ihr beftimmten fünfhundert Stüf Du—

caten in Empfang zu nehmen. Die Koften der Hin=

und Zurüdreife find vermöge eines Atteftes des Stabt- raths zu Niederroßla gleichfalls bei Siebecke und Comp. zu erheben.“

„Als rechtmäßiger Erbe meiner Frau, “ſprach der Heldenſpieler zu ſich, „kann mir die in Kabul depo— nirte Summe nicht entgehen; ſie iſt freilich ein wah— rer Pappenſtiel gegen das Erbtheil der Felicitas, aber in meinen Verhältniſſen nicht zu verachten, ſelbſt wenn ich mich den Gefahren der Seereiſe ausſetze.“

Herr Hanno bedachte freilich nicht, daß die Worte

des Codicills: „ſollte ſich beſagte Sigismunde Seekrebs bei Eröffnung dieſer lebtpilligen 1

Stolle, ſämmtl. Schriften. XVII.

162.

Verfügung noch unter den Lebenden befin- “den,” auf feine Perfon durchaus feine Anwendung . zuliegen. |

Nichtsdeſtoweniger ward der Künftler von feinem zeitherigen Cumpan und erbfchaftlicen Schidfals- und Leidensgenoſſen Lagemann wahrhaft beneivet.

„Da fieht man,” veflectirte diefer, „wie das Schid- jal ungerecht waltet; diefer Hanno, den id, gefüttert und logirt, deſſen Herz voll ift von allerhand ſchwar—⸗ zen Ränfen und Schwänfen, defjen Tugend gegen die meinige gar nicht in Betracht kommen fann, dieſer Menſch erbfchaftet und weiß gar nicht, wie er dazu fommt, während ih noch immer am bloßen Hoff- nungsknochen nage und mir die Zähne lahm kaue. Freilich wenn ich fünf Frauen gehabt, wovon id) drei zu Tode geärgert und zwei mir davon gelaufen, könnt' ich vielleiht auch Ducaten erben; jo hab’ id) mid) zeitlebens mit einer Einzigen begrügt, von ber es, obſchon fie ſchlecht fieht und fehwer hört, nod) jett nicht den Anfchein hat, als vb fie der liebe Herr- gott zu fih nehmen wollte, die Grümpler find ein- mal ein unverwüftliches Geſchlecht.“

Während Lagemanı dergleichen unerfreuliche Be— trachtungen anftellte, fiel abermals ein goldner Apfel vom Kabul'ſchen Erbſchaftsbaume einem der anmejen- den Ajpiranten in den Schooß, und zwar einem, bei dem man c8 am Wenigften erwartet hätte, nämlich dent langen blaffen, hagern Factor Süßmilch, für deſſen Wohlfahrt fi) der Hofmaler wahrhaft zu in- terejfiren ſchien. Der Druder war nur fehr entfernt mit Erblaffern verwandt, aber vie beiden waren Schulnahbarn gewejen und Balthafar verdankte feinen erſten Zeichnenunterricht, durch den er fpäter hauptfäch- lich fein Glück begründete, dem jungen Süßmilch, der

163 Ä

ſich auf die uneigennügigfte Weife feines lernbegieri- gen Schüler angenommen, welcher ihm fpäter aller- dings über ven Kopf wuchs. Dies hatte der Hof— maler nicht vergeffen und dem Factor taufend Duca- ten ausgefetst, jedoch unter derſelben Beringung, daß er fie perfönli in Kabul erhebe, wozu ihm vie er-

forderlichen Neifegelver bei Siebede und Comp. in

Hamburg angewiejen waren.

, Man hatte nie Herrin Süßmilch eine fo beijpiel- Ioje Brife nehmen jehen, al8 bei Nennung feines Na— mend und der taufend Ducaten. Weniger jchien ihm das perjünliche Erjcheinen zu behagen, denn dem Factor war das Waſſer als ein eben fo unficheres wie falſches Element befannt.

Der Actuarius fchüttelte rüftig meiter, in Folge welcher Anftrengung endlich auch für Frau Urſula und den Magiſter Vetterlein, für jeden Theil fünf— hundert Ducaten abfielen, jedoch ebenfalls unter der Bedingung der Selbſterhebung; der Wittib war es nachgelaſſen, einen Mandatar zu ſchicken, aber Vet— terlein ſollte, wie die übrigen Legatare, nach Aſien.

Noch immer ſaß Lagemann mit klopfendem Herzen und geſpitzten Ohren hinter dem begüterten Gamaliel und lauſchte, ob bei dem geſegneten Mannaregen ſein dürſtend Gebiet endlich nicht auch befruchtet werde, als Kieſewetter folgendermaßen zu leſen fortfuhr:

„Jetzt wüßte ich nicht, mit wem ich in Nieder— roßla irgend noch verwandt oder wem ich ſonſt eine Erkenntlichkeit ſchuldig wäre —“ ob folder unver— antwortlichen Vergeßlichkeit ſeufzte Lagemann außer⸗ ordentlich.

„Ich ſinne und ſinne, aber vergebens,“ hieß es im Teſtamente weiter.

Der Wirth zur Stadt Magdeburg ſthhnte laut

464

° und vernehmlicdh, gleihfam als wolle er dem Teftator feine im Codicill vergeilene Perſon in's Gedächtniß rufen.

„Demnach mag,“ fuhr der teſtirende Hofmaler fort, „der noch verbleibende Reſt meines baaren Vermögens, ungefähr in zweitauſend Ducaten beſtehend, einer An— zahl braver aber hülfsbedürftiger Familien in Kabul, welcher Stadt ich den größten Theil meiner zeitlichen Habe verdanke, durch gleichmäßige Vertheilung zu Gute kommen und habe ich die desfallſigen Verfü— gungen bei dem ehrwürdigen Mekemeh Doſt-Raya hierſelbſt niedergelegt.“

Sämmtliche Erben fanden das nur recht und bil- lich, nur Hanno und Frau Urſula, welche ihr Erb— theil durch die kabuliſtiſche Armuth auf unverantwort- liche Weiſe geſchmälert glaubten, ſchienen ſehr unzu— frieden damit.

„Das Bettelvolk in Europa und Aſien,“ brummte der Heldenſpieler, „ſcheint dem Hofmaler doch aus— nehmend am Herzen zu liegen, unſtreitig aus ehema— licher Verwandtſchaft; aber wie fommen die rechtmä- Bigen Erben dazu? Ich werde deshalb bei einem Rechtskundigen Nachfrage halten.”

Kiefewetter fuhr im Codiecille leſend fort:

„Sp wäre denn über meine fämmtlihe Baarfchaft nach beftem Wiſſen und Gewifjen verfügt ; meine lie— gende Habe, über die ih, nad den bier beftehenven - GSefegen, nah meinem Tode nicht verfügen Tann, fällt dem ftäntifchen Fiskus anheim. Was meine Mobiliar = Hinterlafjenfhaft anlangt, jo hat ein be- jonder8 bei den Gerichtsbehörden zu Kabul niederge— legtes Codicill beftimmt; ſämmtliches bewegliches Ver— mögen wird an den Meiſtbietenden verkauft und der Ertrag dem Ermeſſen der Magiſtratsbehörden gemäß

165

zum Beten milder Stiftungen anheimgeftellt. Nur. über einen Gegenftand von Werth hab’ ich mir freie Dispofition vorbehalten. Diefer Gegenftand be- fteht in einem drei Fuß langen Krofodille von gebiegenem Golde, mit großem Fleiße von dem erften. Goldſchmiede Kabuls gearbeitet. Ich Hatte dieſes feltene, an Werth auf dreitaufend Ducaten gejchätte Kunftwerk den Derwifchen der Abdallah-Moſchee für den Xall zugefichert, wenn es ihnen durch ihr Gebet . gelänge, mid) von meiner legten langwierigen Krank— heit zu befreien und mir die Geſundheit wieder zu geben. Da nun mein Tod bewiefen, daß ihr Gebet nichts gefruchtet, fo haben jene Derwifche aud auf das Krokodill feinen weitern Anſpruch und es ift da⸗ her mein Wille, daß dieſes ſaüber gearbeitete Thier dem kunſtſinnigen Magiftrate meiner Vaterſtadt Nie= vderroßla zu Gute komme und zwar auf Diefe Art, - daß der Herr Bürgermeifter ein Drittel und die übri= en Senatoren zwei Dritttheile des goldenen Unge— —* percipiren. Es ſoll zum Nutzen und From— men eines hochweiſen Raths geſchlachtet, das heißt, wenn ſich kein Käufer findet, eingeſchmolzen und par— zellirt werden. Zugleich ſtelle ich aber hierbei noch die unerläßliche Bedingung, daß der hochweiſe Rath zu Niederroßla ein Membrum aus ſeiner Mitte wähle, welches das Thier in Perſon in Kabul in Empfang nimmt und nach Hauſe geleitet. Wäre dies nicht der Fall, ſo würden dennoch die Derwiſche ſuccediren. Auch iſt ein hochweiſer Rath gehalten, die Reiſe- und Transportkoſten aus eignen Mitteln zu beſtreiten, da Herr Siebecke und Comp. in Hamburg hierzu mit den erforderlichen Fonds nicht verſehen iſt.

„Hiermit geſchieht mein letzter Wille und ich bitte zu Gott, daß ven biverfen Erben das ihnen zuge=

166 dachte Erbtheil, jo wie dem hochweiſen Rathe von Nieverrofla das Krokodill vet wohl befommen möge. | „Kabul, den 8. des Moharem des Jahres... Hebgira. Haffan-ben-Mullah, Hofmaler.’

Der ſonſt fo ernfte Stadtrichter konnte fich bei dem Krokodillvermächtniß wiederum eines Lächeln nicht enthalten, während die Erben, Gamaliel ausgenom= men, den Magiftrat um das golpne Thier von Her- zen beneiveten. Lagemann befand fi im troftlofer Desperation.

„Wenn nir ber Hofmaler, “ſprach er, „wenig= ſtens einen golpnen Sperling oder eine Art Fleder— maus oder jo was vermacht, ich hätte die Liebe ge— fehen; vie DBeftie, - wenn fie maffiv, war doc ihre funfzig Ducaten unter Brüdern werth. Ein jo un- danfbares hofmalendes Gemüth, das des beiten Freun— des ſeines Vaters nicht gedenft, während er dem Rathe höchſt überflüffiger Weife ein ganzes Krokodill in den Rachen fchiebt, ift mic noch gar nicht vorge- fommen. Ich wünjchte, dieſer golone Rader verfünfe im Meere, wo c8 am Tiefiten und das Crbichafts- heer dazu. |

In diefem Augenblide befann er fid) aber, daß er wegen der fünf Prozente jelbjt mitfahren wolle ; er nahm feinen übereilten Wunſch zurüd und be ſchäftigte fih) vor der Hann mit dem glüdjeligen Ga— maliel, der am Ziele aller feiner Wünſche ftand, und welchen er ſich fortwährend als Reiſecumpan aufprang.

Der Secretair, der über eine fo wichtige Angele- genheit ohne ſeine Meutter nicht ſogleich ein Pactum abjchliegen, in ver Freude ſeines Herzend auch dem Hotelier Feine abjchlägige Antwort geben wollte, jagte:

167

„aber, Herr Lagemann, Ihre Wirthſchaft, Ihr ange- brachtes Geſchäft, bedenken Sie!“

„Iſt meine Sache,“ fiel der Magdeburger eifrig ein, „ohne mich geht's fort, die Nahrung iſt jetzt 's Große nicht, meine Frau verricht's. Da Sie mir zehn Prozeut der Erbſchaft gewähren, hoff' ich den Schaden ertragen zu können; bekomme überdies die Welt zu ſehen und mache Erfahrung. Um letzteres iſt mir's eigentlich, nach Golde ſteht mein Sinn we— niger; Geld macht nicht glücklich, aber Erfahrung, Bildung, Weltſchau.“

Der Seecretair erſchrack, als Lagemann von den zehn Prozenten wie von einer ausgemachten Sache ſprach. Er gab nicht ohne Befangenheit zu bedenken, daß er zuvor doch mit ſeiner Frau Mutter, als der eigentlichen Erbin, wegen ber gewünſchten Tantième und der Mitfahrt Rüdipradye nehmen müffe.

Lagemann erflärte dies für überflüflig.

„Ihre Frau Mutter,” ſprach er, „wird Gott dan- fen, 'wenn ein erfahrmer Mann für jo Billige Sie begleitet, fo mutterfeelallein fünnen und dürfen wir Sie nit fort laſſen. Bon Nieverrofla bis Kabul iſt fein Katzenſprung, fragen Sie Henoch, der hat es ſchwarz auf weiß. Die Reife ift nicht ohne Gefahr; in Alten ift die Polizei nit jo auf den Beinen wie bei ung; man hat einen Schnitt in die Kehle, einen Strick am Halfe, ohne daß man weiß, woher er eigentlidy kommt; die Aſiaten befigen hierin Fertig— feit; der wilden Elephanten, geftreiften Panther und des wilden Viehs nicht zu gedenken; man wirb ge- freffen, verfchwindet von der Erde mit Haut umb Haar und fein Hahn kräht darum, weder ein afiati- ſcher noch europäiſcher; ich begreife nicht, . wie der Hofmaler jo durchgekommen if. Die zehn Prozent

168 |

find ein Spottgeld; ich Hoffe, Ihre Frau Mutter denkt billig und legt was zu; funfzehn, ja zwanzig, wäre nicht übermäßig, die Gefahren find darnach. Ich ver- laſſe Weib und Kind Ihretwegen, Haus und Hof, Kundſchaft und Alles; am den Abſchied darf: ic nicht denen, ev frißt mir das, Herz ab, ih fühl's und meine Frau wird's würgen, fie tann ſich den Knacks holen zeitlebens.“

Dem Secretair ward immer übler zu Muthe. Er fürchtete, Lagemann, deſſen Tugend er für feinen un- erfteiglichen Felſen hielt, könne fpäterhin auf Ver— ſprechungen von Seiten feiner pochen, an vie er felbft im Entfernteften nicht gedacht. Gamaliel ſchob daher angelegentlih überall feine Mutter dazwiſchen; doch der Hotelier nahm die Mitfahrt und die Prozente ale eine ausgemachte Sache an.

Während die Beiden nody über vie orientalijche Erpebition unterhandelten, fühlte ſich Oamaliel auf die Achjel geklopft. Er wande fih um und. blidte in bie Schönen Augen der Wittib, welche vecht ſchmachtend zu ihm aufſchauten.

„Vetter,“ flötete das ihöne. Weib, „nicht wahr, Ihr nehmt Euch einer aymen verlaffenen Wittwe an?“

Der Secretair wollte die Frage jo eben heilig be- theuern, als Urjula fortfuhr: „Und beforgt meine Angelegenheiten in Kabul? Da Ihr einmal die Ketje macht, ift e8 Euch ein Kleines, mein geringes Erb— theil zu erheben. Ich erjpare die Spejen und weiß das Meine in fichern Händen.“

Tagemann, welcher zwei Fliegen mit einem Schlage zu erlegen hoffte, erbot ſich ſogleich zum Beſten ber Wittwe zur Fahrt nah Dftindien. Sein Erbieten ward indeß jehr entjchieven zurückgewieſen.

„Nicht wahr, Better, fuhr Urſula zu Gamaliel

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gewendet mit vieler Wärme fort, „Ihr erzeigt dieſe Gefälligkeit einer armen Wittwe?“ |

Der Ceeretair, obfhon er faft zwei Jahre bei einem Juriſten ſchrieb, wußte ſich in dergleichen civil⸗ vehtlihen Aufträgen durchaus nicht zu benehmen. Er geftand dies offen. Lagemann befräftigte es; bie Wittwe ſprach aber: „Ich unterfchreibe eine Vollmacht, eine unumſchränkte Vollmacht, va ſchwinden alle Weit- läufigfeiten und Schwierigkeiten.”

Gamaliel bob fo tief Athem, daß es faſt wie ein Seufzer Hang. Er gedachte ver eignen Geſchäfte, die. auf ihn ruhten und denen. ev fi) kaum gewachſen fühlte, und follte nun auch als Mandatar für andre wirfen. Er verſprach indeß fein Möglichites, ohne die Sache gewiß zu machen, aber Urfula nahm, wie Tagemann, Alles für abgemacht an.

Die diesmalige Heimkehr der Erben aus der ftabtgerichtlihen Seffion gli einem Triumphzuge. Die Nachricht von dem reichen Erbſegen hatte fid) mit Bligesfchnelle verbreitet. Es entſtand ein fürm= licher Volksauflauf vor dem Rathhauſe. Namentlich „war Gamaliel ein Gegenftand des allgemeinften In— tereſſes und heintlichen Neides. Lagemann ſchritt ftolz an ſeiner Seite.

Der Secretair wußte nicht, wie er nach Hauſe kam. Er hielt Alles für einen Traum und mußte ſich wiederholt den Kopf reiben, um zu unterſuchen, ob er wirklich auf Erden wandle. Er war unver— mögend, auf alle die Fragen, die von den angeſehen— ſten Leuten unterwegs an ihm gerichtet wurden, Ant- wort zu ertheilen. Lagemann that’8 an feiner Statt um fo ergiebiger. Der glüdliche Erbe hatte jo voll- fommen den Kopf verloren, daß er jelbft vergaß, dem Doctor Eifenbeig Bericht abzuftatten, wie er doch ver:

470 ,

Iprochen hatte. Ihn drängte e8, vor allen Dingen jeiner Mutter an den Hals zu fallen. Er lieh fid daher auf lange Auseinanderfegungen während des Heimwegs nicht ein, fondern drängte vorwärts.

Als er.auf der Wachsbleiche bei Meifter Ziegen- balg’8 Haufe anlangte, fah er bereits einen großen Knäuel Menfchheit vor feiner Wohnung verfammelt. Aus der Ferne rüdte der Stadtmuſikus Kranich, wel- her die Gelegenheit zu einem paſſenden Stänpchen nie verfäumte, mit feinem Chor in jubelndem Ge— ſchwindmarſch, von der jämmtlichen jugenplichen Gaf- fenbevölferung umringt, eiligft heran. Noch nie hatte man in Nieverroßla eine ſolche Aufregung gejehen.

Zwoölſtes Kapitel.

Desgteichen hatte e8 wohl nie eine lebhaftere Sitzung im Rathscollegio zu Nieverroßla gegeben, als diejenige war, welche unmittelbar nad Bekanntwerdung Des zweiten Codicills ftattfand und die Herbeifchaffung des goldnen Krokodills aus Afghaniftan betraf. Mehre Senatoren, wadre Handwerker und Pabrifanten, hats ten jelbft ven berühmten Lorenzkircher Jahrmarkt in die Schanze gefchlagen, um der hochwichtigen Sitzung beizumohnen.

Das Rathscollegium zu Niederroßla beftand außer dem bereit8 oben erwähnten Bürgermeifter Sebajtian Flaminius aus folgenden ſechs, theils befolveten, theils gehaltlofen Senatoren oder Rathmännern, näm- lich dem Rathsactuar Zeifig, dem Quchbereiter, und

-

4174

Kämmereiverwalter Tambour, dem Horndrechsler Mate, auch der Baumeiſter genannt, weil ihm die Sorge der ſtädtiſchen Bauten oblag, ferner aus dem Mützen⸗ macher Kabel, dem Tabad- und Cigarenhändler Ger- fterberger und dem Drabtzieher Schlimper.

Es währte lange, ehe man zum Siben, gejchweige zum Delibriven fam. - Kabel, ver Mützenmacher, ein Sanguinifer, welcher überdies bei der Nadricht von dem Krokodil, wovon auch ihm eine Parcelle zufal- len follte, in aller Haft und. Freude eine Flaſche Rothwein getrunfen, umarmte, mit Ausnahme des Bürgermeifterd , welcher noch nicht zugegen war, ben fammtlihen Rath und ſchwur feierlichſt, daß, wenn man das Krokodil chriftlih theile, und ihm feinen Theil nicht zu knapp zumefje, er das Pfeifergäßchen, worin man bei nafjer Witterung zum Erbarmen bid an die Knie einfinke, zum Ruhm Niederroßla's auf eigne Koften pflaftern laſſen wolle. Dann verficherte er jedem feiner Gollegen feiner befondern Freundſchaft und Gönnerfchaft und umarmte die Rathöverfamm- lung zum zweiten Male, der Reihe nad).

Der Goldwerth des Krokodills war faft der allei- nige Gegenſtand des Geſprächs; Tambour, der um= fihtige Kämmerer, ſchlug vor, das Thier einem Könige anzubieten, der bezahle außer dem Gehalte aud bie Kunft und man braude es nicht einzufchmelgen. Schlimper, ver Drahtzieher und Patriot, war der Meinung, das morgenländifhe Erbe der Stadt zu verehren, als Denkmal hochherziger Begeifterung dee Rathes gegen feine Bürgerſchaft. Nur in Zeiten der höchften Noth folle für's Beſte ver Stadt zum Kro- fodille die Zuflucht genommen werben. Die übrigen Rathönitgliever wollten aber von folh einem Dent- mal hochherziger Begeifterung ſchlechterdings nichts

172

willen. Dagegen fchlug man dem Patristen vor, wenn er für feine Berfon auf feine Portion Krokodill verzichten und diefelbe feinen Collegen abtreten wolle, jo wäre man nicht abgeneigt, ſolche Enthaltfamteit mit großem Danke anzunehmen. Kabel, noch immer umarmungsluftig, fiel dem Drahtzieher zum dritten Male um den Hals und flehte,- feine Portion Kroko— bill ihm zu überlaffen, er wolle fie wohl anwenden. Schlimper mochte fih aber nur unter der Bedingung zu einer Reſignation hinfichtlicy feines Erbtheild ver- ftehen, wenn das Krofodill mit Haut und Haar zu einem gemeinnüßigen Zwecke verwendet werde.

„Aber mein Gott,“ erwiederte Mate der Käm— merer, „kann e8 denn einen gemeinnüßigern Zweck überhaupt geben, als wenn der Reichthum uns zu Gute kommt? Wir find das Haupt der Stadt, müf- jen denken, forgen und berathichlagen für dieſelbe. Was zu unferm Beten gefhieht, geſchieht auch zum Beften der Stadt und ift gemeinnützig.“

Schlimpern ausgenommen waren fämntlidye Nath- männer mit des Kämmerers Ausſpruch einverftanden; da trat der Bürgermeifter aus feinem Kloſet, wofelbft er von demjenigen Theile des Kabul'ſchen Codicills, worin von ihm, feinen Senatoren und dem Kroko— bille die Rede war, eine Abjchrift genommen.

Sp wie das Haupt der PVerfammlung fidhtbar wurde, trat fofort eine bemerfensmwerthe Stille ein. Selbſt der Mützenmacher that feinen Yieblofungen Einhalt. Der Bürgermeifter ging fogleid) zur Sache über, weshalb er die außergewöhnliche Verfammlung ausgefchrieben, und las nad einigen einleitenven Worten wie folgt:

„Nur über einen Gegenftand von Werth habe ich, Haflanzben-Mulluh, mir freie Dispofitton vorbehalten.

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Diefer Gegenſtand befteht in einem brei Fuß langen Krofodille von gediegenem Golde, mit großem Fleiße von dem erjten Goldſchmiede Kabuls gearbeitet. Ich hatte dieſes ſeltene, an Werth auf (hier erhob ver Borlefer bejonders feine Stimme) dreitauſend Ducaten gejhätte Kunftwerf den Derwifchen der Abpallah- Moſchee für den Sal zugefichert, daß fie e8 durch ihr Gebet dahin brädten, mid von meiner legten, lang— wierigen Krankheit zu befreien und mir die Gefund- heit wieder zu geben. Da nun mein Tod bewiefen, daß ihr Gebet nichts gefruchtet, fo haben jene Der- wiſche auch auf das Krokodill feinen weitern Anſpruch und e8 ift mein Wille, daß dieſes fauber gearbeitete ' Thier (die nun folgenden Worte wußte Herr Seba⸗ ftian Flaminius wieder ausnehmend zu betonen, wäh- rend die Rathmänner fich einander mit gravitätifchen Blicken anfchauten) dem Funftfinnigen Magiftrate meiner Vaterſtadt Niederroßla zu Gute fomme; und zwar auf diefe Art, daß der Herr (hier verneigten fi) ſämmtliche Senatoren) Bürgermeiſter ein Drit- tel (diefes Drittel marfirte Herr Ylaminius fehr vernehmlich) und die übrigen Senatoren zwei Drittel des goldenen Ungeheuer percipiren. Es fol zum Nuten und Frommen eine hochweiſen Raths ge- ſchlachtet, das heißt, wenn ſich fein Käufer findet, ein- geſchmolzen und parcellivt werden. Zugleich ftelle ich aber hierbei noch die unerläßliche Bedingung, daß (hier ward der Bürgermeifter wieder fehr laut und vernehmlich) der hochweiſe Kath zu Niederroßla ein Membrum aus feiner Mitte wähle, welches das Thier in Perſon in Kabul in Empfang nehme und nad Haufe begleite. Wäre dies nicht der Fall, jo wür— den dennoch die Derwifche fucceniven. Auch fol ein hochweifer Rath gehalten fein, die Reife und Trans⸗

N

174 J portkoſten aus eignen Mittelr zu beſtreiten, da Herr Siebede und Comp. mif den hierzu erforderlichen Fonds nicht verfehen, wie bei den andern Legataren der Fall ift.”

Die Rathmänner hatten den leßten Theil der Vor— lefung mit weit weniger Vergnügen vernommen, als den erſtern, und es trat, nachdem der Bürgermeifter geendet, eine große Pauſe ein, welche allgenteines Nach- denken zu verrathen fchien. Herr Slaminius fuhr fort:

„Deine Herren,” ſprach er, „wie groß das Glüd it, fo uns auf fo unerwartete Weife durch dieſe Erb⸗ ſchaft zu Theil geworden, und zu wie hohem Danke fie uns gegen den edeln Haſſan-ben-Mullah verpflich- tet, fo ſehen Sie doh auf der andern Geite ein, daß die Acquifition des Erbtheild nicht mit geringen Schwierigkeiten verbunden: iſt.“

„Das jehen wir,” geſtanden die Senatoͤren mit Einem Munde.

,So viel iſt eins,“ fuhr dus Haupt der Bürger- Ihaft fort, „einer aus un'ver Mitte muß nah Kabul, ſonſt fuccediren die Derwiſche.“

„Sonſt fuccediren die Derwiſche,“ erwiederten bie Rathmänner im Chor.

„Und das Dürfen wir nun und nimmer zugeben,‘ vief Flaminius energiſch.

„Nun und nimmer!“ tönte es eben ſo herzhaft rings um den Seſſionstiſch.

„Aber wer ſoll reiſen? Das iſt die Frage!“

„Das iſt die Frage,“ antwortete der Chor.

„Gern würde ich mich ſelbſt zur Weltfahrt ent—

ſchließen, fuhr der Bürgermeiſter fort, „wenn es

das allgemeine Beite gilt, ftehe ic) nie zurück, das ift befannt; aber meine Stellung als Conſul dirigeng, die mannigfacen Wirren in unfern ftäbtifchen Anges

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legenheiten, vie nie fo verwidelt ſich herausſtellten wie in der Gegenwart, machen meine perfönliche An- wejenheit mehr denn je unerläßlich. Sie werben dies einfehen, meine Herren Senatoren.”

Obſchon es faft Fein Einziger einfah, jo hatte man doch nicht den Muth, es gerade heraus zu fagen.

„Auch“ fcheint mir,” ſprach Flaminius weiter, „daß Erblaſſer, dem aus jeiner Jugendzeit die hiefigen Berhältniffe nicht. unbefannt find, unter dem „Mem— drum” nur einen der Herrn Senatoren verftanden hat. Bei feiner Borliebe für Nieverroßla, die ſich jo offenfundig herausftellt, ft fait als gewiß anzu— nehmen, daß es nicht in feinem Willen gelegen, dieſe geliebte Stadt auf längere Zeit ihres Hauptes zu berauben.‘'

Den Senatoren ſchien dies einzuleuchten, fie er= wieberten nichts. |

„Alſo bitte ich, die wichtige Sache zur Entfchei- „ung zu bringen, es ift feine Zeit zu verlieren, wenn wir dieſes Jahr noch zum Ziele gelangen wollen. Ic, lebe noch immer in der froben Hoffnung, daß fi) einer unter uns aus freien Stüden zur Reiſe entſchließen wird. Site ift nicht ohne Annehmlichkeit. Man befommt ein groß Stüd Welt zu fehen, erhält Gelegenheit, die mannigfachften Sitten und Gebräuche fennen zu lemen. Der glüdlihe Voyageur bevenfe, was er nad jeiner Heimfehr erzählen kann, abgejehen von dem ganz bejondern Verdienſte, das er fi) um das gefammte Rathscollegium erwirbt.“

Die frohe Hoffnung des Herrn Bürgermeiſters ſchien indeß nit in Erfüllung zu gehen und die er- wähnten Annehmlichkeiten der Reife feinen ermun— ternden Anklang zu finden. Vergebens überfchauten die Blide des Flaminius ver Reihe nad die Rath—

476

männer und fie verweilten mit fichtbarem Wohlmwollen auf dem Baumeifter.

„Mate, . begann das Bürgerhaupt in anerfen- nendem und ermunterndem Tone, „Ihr habt Euch in fehwierigen Fällen immer zu benehmen gewußt, fein mit allen Nationen ausgelommen zur Zeit der Einquartierung; dieſe Reiſe nad Kabul ift eigentlich ganz für Euren unternehmenven Geift geichaffen. An Eurer Stelle Tieß ich mir fie nicht nehmen. Ich bin überzeugt, daß ſämmtliche Herren Collegen verfelben Anficht find.”

‚Sa wohl,“ tönte es aus einem Munde, „Mate muß nad Kabul.”

Mate ſelbſt war. ganz andrer Meinung.

„Ich bin der einftige Mate nicht mehr, ſprach er ablehnenp, „ver fich ehedem mit Kofafen und Balch- firen und Kriegsvolk aus aller Herren Länder her- umgeftritten, die Jahre, das Gemeinwohl, die fojt- jpieligen Bauten, das jeige Lagerbier haben ihren, nachtheiligen Einfluß auf meine Conftitution nicht verfehlt. Ich käme wicht nad England, geſchweige nach Kabul.“

„Nichts iſt aber ſtärkender ale Seeluft,“ gab Flaminius zu bedenken, „vielleicht daß eine ſolche Er— holungsreiſe auf Eure Geſundheit recht wohlthätig wirkt. Man hat Beiſpiele. Wollet dies wohl über— legen, Herr Baumeiſter.“

„Und ſollte es mich meinen Antheil am Kroko— dille koſten,“ erklärte Matze, „mich bringt keine Macht der Erde auf meine alten Tage aus Niederroßla. Ich habe mich genug geplagt mein Leben lang, daß ich keine Luſt habe, mich zu guterletzt von einem Wallfiſche verſchlingen zu laſſen.“

„Oh, oh,“ mahnte der Bürgermeiſter, „von ſol⸗

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-

Gefahr kann ja die Rede gar nicht fein, fo viel ich mid aus meinen naturgefchichtlihen Forſchungen ent- finne, tragen die Wallfiſche nah Menfchenfleich weit weniger Gelüfte, als davon gefabelt wird.”

„Sie werben bei einem hochlöblichen Stabtrath von Niederroßla nit erft um Erlaubniß einkommen,“ brummtee der Baumeifter für fih. Darauf erwiederte er laut: „Thut's der Wallfiſch nicht, fo giebt's der andern Beitien in Menge, die einen friedlichen See— fahrer nah dem Leben tradhten. Nein, ic habe ber Prüfungen des Lebens genug beitanden und will Ruhe haben; aber da ift unfer verehrter College, der Herr Kämmerer Tanıbour, den fehe ih e8 an, daß er ſich die ehrenvolle Expedition nicht wird nehmen laſſen.“ Auf diefe Worte richteten ſich die Blide des gefammten Rathscollegiums auf Tambour, welcher nicht wenig erihraf, fo plöglich der Gegenftand der allgemeinen Aufmerkſamkeit zu werben. Noch bei weiten mehr aber gerieth er in Beftürzung, als ihn Flaminius folgender: maßen anredete: |

„Mate hat nicht Unrecht, in ver That, Euer feuriger Blick kann ſich nicht verleugnen. Da ſchlum— mern Thaten dahinter, die unſrer Stadt zum Ruhme gereichen werden. Auch ſpricht Euer kriegeriſcher unter— nehmender Name insbeſondere für die morgenländiſche Expedition. Der Name Tambour hat etwas Erjchiit- terudes.“ | |

Das Rathscollegium ftimmte, mit Ausnahme des Kämmerer, hier wieder vollflommen bei; dieſer aber jtredte beide Arme beſchwörend gegen feine Collegen aus und flehte, feiner ſchwangern Frau und feiner fünf lebendigen Würmer zu gevenfen, die in ihm ven einzigen Ernährer verlören, falls er auf ver Reife umkomme. An Muth fehle: es ihm nicht 8 zeige

Stoffe, ſämmtl. Schriften. XVII.

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allerdings fein Blid, aber‘ bie Femilienpflichten gingen ihm über Alles. Er ſchlage aber Schlimpern vor, der ſei bekannt als Patriot und habe überdies keine Kinder.

Die allgemeine Aufmerkfamkeit lenkte fich jetzt auf ‚ven Drahtzieher. Diefer blieb ſehr ruhig und erklärte, wegen fo einer precären Erbſchaft veife er nich zehn Meilen per Poſt, gejhweige um bie halbe Erde herum nah Kabul. Es jei die große Frage, ob die Kabuliften einen Pfifferling , herausgäben. Wenn man auch mit ben Leben davon komme, ſicher nicht ohne große Nafe, an der man zeitlebens zu tragen habe. Ihm gelte niht nah großem Mammon, jo viel er mit feiner Grau. brauche, habe er; die orientaliihe Exrbichaft laſſe ihn daher ſehr gleichgültig, wielweniger daß er fid ihrethalber follte der geringften Gefahr ausſetzen.

„Kabel, der Mützenmacher,“ ſchloß er, „würde ſich weit eher zur Reife eignen. Gr ift lebensluſtig. ſieht fich gern in der Welt un, hat pa Gelegenheit, Erfahrungen zu machen und berühmt zu werben.

Jegt wurde der Mützenmacher der Brennpunkt, der Aller Augen auf ſich 308.

„Faſt möchte ich es als einen Fingerzeig Des Schick— ſals anſehen,“ ſprach der Bürgermeiſter, „daß ſich unſer verehrter College Kabel zur Reiſe entſchlöſſe. Kabel und Kabul, welch' wunderſamer Zuſammenklang. In der That, ich bin erſtaunt.“

Der Mützenmacher, welchem bei der Anmuthung zur morgenländiſchen Fahrt aller Weinrauſch verflog, begann aus Leibeskräften zu proteſtiren und geberdete ſich weit verzweifelter als alle feine Vorgänger. Seine Averſion gegen die Seereiſe war außerordentlich und das Antlitz des Bürgermeiſters ward immer beſorgter. Die Anzahl der nach Kabul zu entſendenden Raths- mitglieder ward immer geringer. Es verbleiben nur

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nod) zwei, der igarrenfabrifant Gerftenberger und der Rathsactuar Zeifig, Hinfichtlih derer umu noch ungewiß war, ob fie die Neifenverfion der Uebrigen theilten.. Als man bei Gerftenberger anflopfte, warb der Mann orventlih grob und frug, ob man fein wohlangebradhtes Gſchäft ruiniren wolle, indem man ihn nad Kabul ſchicke. Seine Anwejenheit ſei unent- behrlich und felbft für den Fall, daß das ganze Krofopill fein Eigenthum werde, könne er fich feinen Schritt vom Haufe entfernen. oo.

„Aber, meine Herren,” begann mit großer Betrübniß der Bürgermeifter, „da e8 eine unwiderruflice Teſta— mentsflaufel ift, daß Einer aus unfrer Mitte nach Aſien wallfahrtet, jo ſehe ich nicht ein, wie Da8 werden ſoll und wie wir die jchöne Erbichaft, die und doch Allen recht wohl thun würde, acquiriren wollen?‘

Seine Blide ſchweiften während dieſer Rede weh- müthig über die Berfammlung und firirten’fid, enplich auf Zeifig, der zeither zähneklappernd, an feiner Protgfoll- fever fauend, vagefeflen hatte. Wie ein gefahrdrohendes Donnerwetter war ihm vie ganze Verhandlung zeither erfchienen. Er hatte ven Bli wiederholt herabfahren und von der Collegenſchaft abprallen ſehen. Sein Inſtinkt al8 geborner Unglücksvogel fagte ihm gleich im Anfang, daß der Wetterftrahl zu guterlegt ihn treffen und zer- malmen werbe.

Wie der Unglüdlihe geahnet, fo gefhah es; Fla— minius richtete jet feine Rede an jeinen Actuar, einem Manne, ver halb aus Aengftlichleit und halb aus Höflichkeit zufammengejeßt war, ver äußerſt felten und feinem geftrengen Principal, dem Bürgermeifter, nie widerſprach; deſſen Stellung faft ganz vom Raths⸗ collegio abhängig und der daher gezwungen war, fih faft ſelaviſch dem Willen beffelben, „zu fügen,

1;

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Zefig war ein herzensbraver Mann; er trat Nie: mandenr in den Weg und erfüllte feine Pflichten mit feltener Redlichkeit und Berufstreue; aber er war unbefannt mit der Welt und ihrem ſchnöden Treiben. Sein ganzes Leben lang war er, mit Ausnahme feines Aufenthalts auf der Akademie, nicht drei Meilen weit über das Weichbild feiner Vaterſtadt Nieverroßla hin— ausgefommen. Ueberdies gehörte Zeifig auch noch zu ven fogenannten Unglücksvögeln, denen felten Etwas gelang und die überall mit dem Heinen malitiöfen Dämon der Fehlſchlagungen zu kämpfen hatten. Na— 'mentlih war Died mit dem Actuar im Punkte der Liebe der Tall gewefen, immer hatte er, obfehon bie redlichſten Abfichten im Bufen führend, einem Glüd- lichern nachftehen müſſen und war daher Junggeſelle geblieben zeitlebens. Yu ihm aber wandte fidh, nach— dem das geſammte Rathscollegium auf die Reife nad Kabul verzichtet, der regierende Bürgermeifter und ſprach folgendermaßen:

„Senator, begann er, „ich bin überzeugt, ein ges ehrted Collegium ift allgemein damit einverftanden, wenn ih Sie für die jo ehrenvolle wie fruchtbringende Reife nad) Kabul auserlefe.“

Zeifig ſah ven Blitzſtrahl nieverzuden, erwiederte niht8 und man vernahm nur einen tiefen Geufzer, welcher der großen Scene ein eignes romantiſches Co— lorit verlieh.

„Senator,“ fuhr Flaminius fort, „je länger ich darüber nachvenfe, um fo überzeugenver ftellt fih mir der Gedanke, dag Niemand nıehr geeignet zu dieſer Weltfahrt fein dürfte.‘

Der Actuar ſeufzte.

„Sie find unverheirathet,” ſprach der Bürger- meifter weiter, „fein Weib und Kind weint vereint an

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Ihrem Grabe, felbft wenn e8 das Unglüd’ wollte, daß Sie von den Wellen verfchlungen würden.”

Zeifig Jah fich im Geifte bereits auf tiefem Meeres-- grunde ausgeftredt liegen, zwiſchen Korallen und Meer— gewürm, angefreflen von Haififchen.

„Sie find Yurift und zur gerichtlichen Empfang- nahme des Krokodills weit geeigneter, als die übrigen. Herren Senatoren. Ihnen werden die Rabuliften in Kabul fo leicht Fein X für ein U maden. Das bin. ich überzeugt. Was fagen Sie, meine Herren?”

Das fammtlihe Collegium mit Ausnahme des Actuars war der Anficht des Bürgermeiſters. Indeß erfundigte ſich Schlimper, weg denn unterdeg bie Actuariatsgejchäfte übernehmen follte.

Zeifig athmete bei diefer Frage in Etwas auf, er hielt ſich für unentbehrlich.

„Wie überhäuft ic) aucd mit Gefchäften bin,‘ er-

wieberte Flaminius, „fo werbe ich einftweilen als Actuar fungiren. Was thut man nicht dem allgemeinen Beten zu Gefallen! Die Saden von geringem Belang kann Pomfel, der Rathsfchreiber, übernehmen. Ex hat fo nur müßige Zeit.“ |

„Dann erlaube ich mir aber,” fuhr Schlimper fort, „no in Erwägung zu bringen, daß, da bie Reife nah Kabul feine Kleinigkeit if, dem Reiſenden, der ſich für uns alle aufopfert, eine beſondere Grati— fication zu Theil werde, und trage darauf an, falls fi) Herr Zeifig noch zur Wafferfahrt entfchließt, ihm bie Tantieme am Krokodil um fünf, Prozent zu ver- größern.” |

„Exit müſſen wir das Thier ſehen,“ entſchied der Bürgermeijter, „um nad der desfallfigen Größe zu urtheilen, ob Jeder Etwas ven feiner pars legitima abzugeben im Stande ift over nit. Eine weit _

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gewichtigere Frage jedoch ift es, welche jet unfer an= geftrengtes Nachdenken in Anſpruch nimmt, nämlich die gemeinjchaftlihe Aufbringung der Atzungskoſten für den Actuar, fo wie für Emballage und Fracht des ererbten Unthiers, da Erblaſſer bei Siebede und Comp. dafür eine Summe niederzulegen bebauerlicher Weife Anftand genommen hat.”

Beifig, der die ganze Zeit daher dagefefien hatte wie ein Vogel jeines Namens, der beregnet ift, gerieth, Da er bereit von den Asungstoften Iprechen hörte und vernehmen mußte, wie man feine Abfahrt als ausge- machte Sache verhanple, in file Wuth, die ihn alle Rüdfihten gegen den, Bürgermeifter und eim hohes Collegium aus den Augen verlieren ließen. Er, ber fein Leben lang faum aus dem Weichbilde Riederroßla 8 herausgelommen, follte mit Einemmale halb um die Welt und wieder retour fahren, und noh dazu in Begleitung eines Krokodills. In feinem fanften Ge- müth kochten Wehmuth, Angft und Zorn mit einander. Endlich Tief der Topf über und ber Gequälte plagte mit weinerliher Stimme die Worte hervor: „Aber ih mag nicht nad Kabul!”

„Suter Senator,” erwiederte Flaminius väterlich, „Sie weihen von der Hauptjache ab.“

Der liberale Schlimper, der gern Oppofition madte, meinte, gezwungen fünne ein conftitutioneller Staatsbürger nicht werden. Wenn Zeiſig natürliche Averfion habe vor Afien, jo jolle man die ererbte Beltie, und beitünde fie auch aus Perlen und Edel— geitein, fahren laſſen.

Der Bürgermeifter, dem fein Dritttheil im Kopfe herumging, fpannte, um die Oppofition nicht zu reizen und hartnädiger zu machen, gelindere Saiten auf.

„Der Rathsactuar Zeifig, Wohlgeboren,‘ ſprach

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er, „wird durch fortgefeßtes Nachdenken zu der Anficht gelangen, daß eine fchönere Gelegenheit, Ruhm umd Reichthum zu erwerben, fich nicht fo leicht wieder dar⸗ bietet. Ich werde ald ganz beſondre Anerkennung feiner Verdienſte ihm ein beſondres Kapitel in unfrer ſtädtiſchen Chronif einräumen. Nah Iahrhunderten wird fein Name genannt und gefeiert werden von ben nachwachſenden Entelgefchlechtern.” |

Sclimper wollte ſich mit dieſer Perfpective nicht ganz einverftanden erflären. „Die nachwachſenden Enkelgeſchlechter,“ meinte er, ‚können für Zeifig des- halb von weniger Belang fein, da er nicht verhei- rathet iſt.“

„Ja wohl,“ ſeufzte der Actuar, „auch fühl' ich mich durchaus nicht geneigt, noch in den Stand der heiligen Ehe zu treten.“

„Aber gerade dieſe Eheloſigkeit,“ gab Flaminius zu bedenken, „macht den Senator geſchickt zur Reiſe. Wir Andern alle würden Weib und Kinder in herz— zerreißendem Jammer zurüdlaffen. Bon wem bat Zeifig Urlaub zu nehmen? Einzig und allein von ung, und werden wir folchen in Gnaden nicht vorenthalten. - Sollte ihm etwas Menfchlihes begegnen; er kann ge- troft in's befjere Jenſeits eingehn, denn auf Erden für wen hat er zu forgen? Bei uns Andern verhalten fich die Umſtände ganz gegentheilig, Sie jehen das ein, meine Herren Senatoren?”

Alle jahen e8 ein; nur Schlimper war mit feiner Dppofition nicht todt zu machen. „Ich halte. e8,” ſprach er, „mit den Geifte einer conftitutionellen Ver— fafjung, deren fi) unfer Land Gott fei Dank zu er- freuen hat, ſchlechterdings unvereinbar, Jemanden, der nicht abſonderlich Luft dazu verfpürt, in ein fteinfrembes Land zu fchiden, wo Gefahren der mannigfachften

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Art feiner warten. Und went wir hundert golone Krokodille erbten, was find fie gegen ein Weenfchenleben, gegen das Wohl und Wehe eines conftitutionellen Staatsbürger8?"

Flaminius replicirte: „Bon einem Zwange Tann hier nicht die Rede fein, aber went wir unſern ver= ehrten Actuar auf die glänzenden Vortheile aufmerkſam zu nahen und bemühen, jo ihm aus der aftatifchen Fahrt zu Theil werden, fo liegt das feineswegs außer

dem Bereiche conftitutioneller Gefinnung und Gejeb- gebung. Ich hoffe, daß dies auch Ihre Anficht ift, meine Herten Senatoren.”

„Vollkommen,“ nidten die Andern und warfen dem unermübdlihen Opponenten, der mit foldhem Eifer gegen ihr Interefie ſprach, nicht eben die freundlichſten Blicke zu. Schlimper ließ ſich indeß nicht irre machen und fuhr fort, feine coriftitutionellen Anfichten in Anjehen zu erhalten. Zeifig felbft verhielt fich fehr leivend. Nach feinem vorigen desperaten Auftreten ſchien feine moralifche Kraft gebrohen. Das Collegium beſchloß daher, der Actuar folle vierundzwarnzig Stunden Bedenkzeit erhalten, worauf man eines Weitern zu verfügen gedenke. Man kam wieder auf die Atzungs- foften und berechnete, wie hoch wohl der Krofodill- transport von Kabul bis Nieverroßla ſich belaufen werde. Mit Screden hatte man in Erfahrung ges bracht, daß ver Hofmaler für jeden der übrigen Erben ein Reiſegeld von zweihundert Ducaten niedergelegt hatte. Berechnete man nun aud, daß Zeifig, bei deſſen weichem Charalter man bie Bereitiwlligkeit zur Fahrt als gewiß vorausſetzte, äußerft mäßig lebe, indem er nicht felten des Mittags einen halben Häring verzehre und alſo bei weiten nicht zweihundert Ducaten brauche wie die andern

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Freffer, fo gab wieder der Transport des Erbthiers ‚zu ben mannigfachſten Bermuthungen, Befürchtungen und Erörterungen Beranlaffung. Auch bei biefer Ver— handlung machte ſich Schlimper wieder als äußerſt unbequemer Opponent bemerkbar. Als nämlich von Zeiſig's Frugalität und dem halben Häringe die Rede war, meinte ber Horndrechsler: „Ein Geſandter des Raths zu Niederroßla dürfe nicht als Dredfreifer durch bie Welt fahren; im Gegentheil er müſſe vide thun, - Geld aufgehen und fich fehen laſſen, dies verlange die Ehre der Corporation, weldhe er vepräfentire; zwei Bouteillen Achten Aheinwein täglich, was ſei das; ferner gut Frühftüd; fünf Gänge Mittag und breit zu Abend; das fei unerläßlih, Seeluft zehre. Die Ehre gehe über Alles. Der Zeifig müſſe als Adler nad) dem Morgenlande flattern und königlich leben, jelbft auf die Gefahr hin, daß er das Krofopill aufzehre.“

Das übrige Collegium, ven Bürgermeifter nicht ausgenommen, war mit biefen hochfliegenden Anfichten des liberalen Schlimper’8 ganz und gar nicht einver- ftanden. Effen und Trinken, hieß es, made nicht ben Mann, plögliche Unmäßigfeit könne ſogar nach— theilig werben, namentlich in füdlichen Gegenden. “Der Actuar jei des Weins ungewohnt und fein Freund von Leckereien.

Während man fi über Zeiſig's Appetit herum— ſtritt, ſaß der Actuar ſelbſt ganz willenlos in ftilles Hinbrüten verfunfen auf feinem Plage. Die Ge— fahren der morgenländifchen Fahrt zogen in drohenden . Bildern feinem verbüfterten Gemüthe worüber, welches lettere ſelbſt durch Schlimper's in Ausficht geftellten feinen Weine und leckern Mahlzeiten nicht zu er— heitern war.

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Flaminius brachte endlich in Vorſchlag, daß wenn jedes Mitglied des Stadtraths funfzehn Thaler er— lege, die Koſten der Hin- und Herfahrt des Actuar mit ſammt des Krokodills hinlänglich gedeckt zu ſein ſchienen.

Der Baumeiſter warf die Frage auf, ob Zeiſig gleichfalls gehalten jein follte, als Rathsmitglied und Erbe die Reiſebeiſteuer zu entrichten?

„Warum nicht,“ erwieberte ber Bürgermeifter, „ge- niept er nicht die Annehmlichkeiten der Reife? Tauſend andre Unverheirathete würden fih um bie Gelegenheit reißen, fo vieler Herren Länder zu ſehen.“

Diefe Antwort gab dem Horndrechsler wieder allen Anlaß, die heftigfte Oppofition zu erneuern. Er ſprach fih auf's Entjchievenfte gegen diefe Ungerechtigkeit aus und dann aud) behauptete er, daß mit funfzehn Tha— lern pro Perſon ſchlechterdings nichts auszurichten fei. Funfzig Thaler müfle der Mann wenigſtens zahlen und der Herr Bürgermeiſter hundert.

Dieſe letztere ihn betreffende Zumuthung war dem Conſul Flaminius außerm Spaße.

„Wie jo hundert?” frug er im Zone des uns willigften Erftaunens.

„Sehr einfach,” erwiederte Schlimper, „weil Hoch— biefelben aud ein Drittel der fogenannten Erbmaſſe percipiren und wir andern uns mit zwei Dritteln begnügen müſſen.“

Diefed Argument schien den übrigen Beifigern jo einleuchtend, daß ſich Diesmal der Dpponent eines allgemeinen Beifalls erfreute.

Man vebattirte noch geraume Zeit, ohne zu einem erwänfchten Nefultate zu gelangen. Schlimper warb endlich ungeduldig und erflärte alle Verhandlungen über den Koftenpunft für unnüß, da der Actuar Zeifig

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jeine Bevenkzeit noch nicht überftanden. Bis dahın laſſe fi nod gar fein gültiger Beſchluß fallen. Das Collegium fah die Wahrheit des Gefagten ein und die Sitzung ward aufgehoben. j

Dreizehntes Kapitel.

Trot des reichen Erkſegens, der in Niederroßla ein- gezogen war, gab’8 doch überall Streit und Zwietracht. Borerft im Haufe der Felicitas, melde ihren Sohn ſchlechterdings nicht nah Kabul laffen und fih gern mit der Hamburger Abfindungsfumme begnügen wollte. Gamaliel träumte hingegen Tag und Nacht von nichts als Palmen und Lotusblumen, Perlen und Goldſand. Er hatte ale Welt auf feiner Seite, darunter die gewichtigften Autoritäten, wie den Doctor Eiſenbeiß, welcher gejagt hatte: „Wie ungern ih Sie einbüße, lieber Cecretair, fo liegt doch die Nothwendigkeit Ihrer Reife jo Har vor, daß ich Ihnen im Geringften in Ihrem Glüde nicht hinderlic fein mag.”

Gamaliel hatte die Worte des Doctor zehnmal feiner Frau Mutter zu Gemüthe geführt, aber immer vergebens, und außerdem eine Beredtſamkeit gegen die Hartnädige entfaltet, die oft zur poetifchen Höhe jtieg. |

„Ich wäre gebranpmarkt für Ewigkeit,“ rief er eines Tages aus, „wenn ich nicht die himmlifche Ges legenheit benußte, das ſchöne Morgenland zu jehen, jondern philifterhaft in Niederroßla auf der Scholle kleben bliebe.” j

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„Es haben Millionen glädlid und zufrieden ge= lebt, ohne das Morgenland gefehen zu haben,” er- wiederte ruhig die Mutter.

„Aber wo ſich eine ſolche Gelegenheit darbietet, iſt es Sünde, von ihr ‚feinen Gebrauch zu machen.“

„Es kann zugleich eine Gelegenheit fein, auf Ab- wege zu gerathen und ven Untergang herbeizuführen.”

„Ein junger Menſch muß fid) verfuchen.‘‘

„Aber nicht Gott verfuchen, ſchnöden Mammons halber.‘ -

„Hätte ber „Hofmaler wie Du gedacht, ſo erbten wir gar nichts.“

„Was Einem glückt, kann Hunderten mißglücken.“

Der weltfahrtluſtige Gamaliel, nachdem er mit all' ſeiner Beredtſamkeit nichts ausgerichtet, ſtand auf dem Punkte, an ſeiner eignen Mutter zum Rebellen zu werden, da that ſich die Thür auf und der Wirth zur Stadt Magdeburg, Herr Lagemann, trat in's Zimmer.

Der Secretair, obſchon Lagemann ſein Freund nicht war, trug ihm die zwiſchen ihm und ſeiner Mutter obſchwebende Streitfrage zur Begutachtung vor.

Dem Hotelier klangen die verweigernden Worte ber Wittwe ſüß wie Honigjeim, denn er fah ben Grund wohl ein, warum Madame Drollinger ihren Einzigen nicht mutterfeelallein in die fremde Welt ichiden wollte. Er hoffte daher, daß wenn er fi für feine Perfon als Keifegefährte und erfahrner Mann gegen billige Prozente anbiete, würde Felicitas mit gefüßten Händen fein Erbieten "annehmen.

Yagemann ging daher, feiner eignen Natur zus wieder, einmal jehr ruhig und feiner Meinung nad) jehr vhiloſophiſch zu Werke. Er ſprach von den mannig- fachen Gefährlichkeiten einer ſolchen Reife und ſtimmte

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Madame Drollinger binfihtlid ihrer Abneigung, ben . Sohn jo ohne allen Schuß reifen zu laffen, voll

fommen bei. Endlich fam er auf den Zwed feines Beſuchs, nämlich auf die Begleitung feinerfeits und die Prozente.

Der Hotelier hätte fi) übrigens den weiten Um⸗ weg und die vielen Worte in gewählten Nevensarten erfparen fünnen, denn Felicitas jah ſehr bald ein, wo Lagemann hinaus wollte. Sein wohlüberdachter Kriegs: plan hatte daher nicht den geringften Erfolg. Lieber würde Madame Drollinger ihren Sohn allein in Die weite Welt geſchickt haben, als in Begleitung dieſes eigenmüßigen und gemeinen Mannes.

„Nein, lieber Lagemann,“ ſprach fie mit ernftem- Kopfihütteln, „und wenn alle Schäße Indiens unter der Bedingung mein fein follten, daß mir dieſelben durch einen Familienvater herbeigefchafft würben, fo wollte ich lieber auf alles Geld und Gut verzichten, ehe ih das zugäbe, ehe meinetwegen ein Verjorger von Weib und Kind Gefahr lief. Ich würde wäh- rend der ganzen Reife feine ruhige Stunde haben und die ſchreckhafteſten Phantafien würden ſich meiner Geele bemächtigen. Sollte aber gar das nicht außer dem Bereiche des Unwahrjcheinlichen Tiegende Unglüd fi) ereignen, daß mein Abgefandter umkäme, fo wäre e8 für immer um die Ruhe meiner Tage gejchehen. Borwürfe und Gewifjensbiffe würden mich ununter- brochen peinigen und der Gedanke an die unglüdliche Familie, die ih um den Pater gebracht, den Reit meined Lebens vergiften.“

„Beite Madame Drollinger,” erwiederte Lage- mann, „ver Tod fann unfereinen auch zu Haufe am eignen Herde überraſchen, und wie gern begiebt man

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fih in Gefahr, wenn es das Wohl unfrer Familie betrifft.”

„Zugeſtanden, “verſetzte Frau Felicitas, „nur mag ich nicht die Schulp von Jemandes Untergange auf dem Herzen tragen.“

„Da kann wohl von keiner Schuld die Rede ſein, wenn ſich der Abgeſandte aus freiwilliger Entſchließung zur Reiſe erbietet.“

„Iſt wohl möglich, aber ich habe hier meine eignen Grundſätze, lieber Lagemann, in denen ich mich nicht wankend machen laſſe.“

Der Secretair, welcher dem zeitherigen Geſpräche mit großem Intereſſe gefolgt war, gab ſein Mißfallen an den letzten Worten ſeiner Mutter durch ein ver— nehmbares Brummen zu erkennen.

Lagemann benutzte dieſe aufrühreriſchen Töne, bie ihm ſehr ermunternd klanget, zu einem neuen An— griff auf den harten Sinn der Madame Drollinger, ward aber mit gleich unerwünſchtem Erfolge zurüd- gewiefen.

In dem Wirthe zur Stadt Magdeburg, nachdem er ſah, daß all’ feine Bemühungen fruchtlos blieben, fiegte endlich die urfprüngliche Natur; er wurde grob und verließ die Wohnung der Wittwe nicht in der beften Laune. Auch Oamaliel griff nad) feiner Mütze und eilte wuthig in bie Berge.

Lagemann war kaum die Wachsbleiche entlang geihritten, als er bie lange Geſtalt des Helvenfpielers erblictte, ver fo eben von einem Aovofaten fam, wo er bie traurige Gewißheit erhalten, daß mit feiner Kabul'ſchen Erbſchaft nichts fei, denn der Buchftabe bes Codicills laute Har und. veutlih, daß das Legat nur dann von Gültigkeit fer, wenn Madame Hanno, geborne Seekrebs, bei Eröffnung des letten Willens

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noch am Leben fe. Da dieſes nun wicht der Fall, jo habe Herr Hanno für feine Perfon nicht ven ge- ringiten Anſpruch.

Der Helvenfpieler, nachdem er dieſe wahrhaft nieder- Ihlagende Erfahrung gemacht, wandelte mit ziemlich gefenktem Haupte feines. Wegs, als er plößlich feinen Namen rufen hörte. Er ſah fihb um und erblidte den gleichfalls um die Erbſchaftshoffnung betrogenen Wirth zur Stadt Magdeburg, welcher mit höchſt des⸗ peraten Geſichtszügen auf ihn zuſchritt.

In Lagemann's Augen galt Hanno noch für einen gemachten Mann, denn er ahnete nicht, daß es mit deſſen Erbfſchaftsanſpruchen ſo miſerabel ſtehe. Er überwand ſeine zeither gefühlte Averſion gegen den inſolventen Bühnenkünſtler und begann ihm den Hof zu machen, in der Hoffnung, ſich dadurch eines Theils der Hanno'ſchen Erbſchaft zu verſichern.

Dem Bühnenkünſtler, der ſogleich erkannte, wie hier der Haaſe laufe, ging unerwartet in dem Magde— burger ein neuer Hoffnungsſtern auf. Er faßte ſo— gleich den Entſchluß, von der für ihn ſo wohlthätigen Unkenntniß des Hoteliers den möglichſten Nutzen zu ziehen. Er nahm daher die freundſchaftliche Annäherung von Seiten Tagemann’ 8 ziemlich fühl entgegen, worauf diefer um Vieles wärmer wurde.

Das von Neuem offerirte Logis fo wie comfortable Beföftigung war der erfte Freundſchaftsſchuß, den Lage— mann auf den vermeintlichen kabuliſtiſchen Erbtheilhaber abdrückte. Hanno wich jchonend aus, war einfylbig, zurüdhaltend, indirect ablehnend, wodurch Lagemann, ber fchon fürdhtete, der Erbe könne mit feinen fünf- hundert Ducaten im „wilden Manne,“ jeinem Tod— feinde, einfahren, nur verfeffener auf ihn wurde. Er überfchüittete den Heldenſpieler mit Gunftbezeugimgen

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und brachte es endlich, wiewohl nad vieler Mühe, dahin, daß Hanno wenigjtend verſprach, wieder ‘bei ihm zu efin. Die Wohnung fonnte er troß aller Ueberrevungsgabe nicht durchſetzen.

Mit Schmerz hatte Lagemann wiederholt die Be— merfung gemacht, daß "fein Begleiter Miene mache, von ihm loszukommen. Er ſchloß hieraus, daß Hanno, der nach feiner Berechnung jett ein gejuchter Mann war, anderweite Verbindung anzufnüpfen im Begriffe ftehe. Um ihn alfo mit unauflöslichen Ketten an feine Perfon zu fchliegen, gab er feinem Herzen einen gewaltfamen Stop. Er riß ſich felbft, nach heftigen innern Kampfe, zu einer That hin, welche ex im Leben nicht für möglich gehalten hätte. Als er nämlich mit Hanno an eine Gaſſenecke gelangt war, und dieſer wieder Miene nıachte, zu echappiren, faßte er den Helvenfpieler frampfhaft am Arme.

„Hanno,“ raunte er leife und vertrauungsvoll, „wenn Ihr Geld braudt —“

Wie Orgelton und Ölodenflang tönte dieſes in- haltſchwere Wort in des Heldenſpielers Gehörorgane wieder. Doch war er ſchlau genug und ließ ſich von ſeinem Wohlbehagen nicht das Geringſte merken. Er ſtellte ſich gerührt von folder Freundſchaft, machte ſich ſanft los, drückte Lagemann vielſagend die Hand und verſchwand mit den wohlwollenden Worten „danke wirklich“ in ein Seitengäßchen.

Dem Madeburger war es "gar nicht recht, daß ihm der Künſtler ſo zeitig entwiſchte. Er war auf Jedermann eiferſüchtig, dem Hanno in's Garn laufen könnte. Doch tröſtete er ſich damit, daß der Kabul'ſche Erbe ihm freundſchaftlich die Hand gevrüdt. Er be— ſchloß, jeine Freundſchaftsofferten, jobald er nad) Haufe füme, in erhöhterem Grade fortzufegen. .

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„Der Satan mag willen,” ſprach er zornig für ji, „wer bereit8 die Angel nad) Hanno ausgewor- fen, denn daß er felbft auf das angebotene Darlehn Verzicht Teiftete, läßt mih das Aergſte befürchten. Es ift Doch eine verworfene, eigennüßige Welt; vor dem Codicille wollte fein Menſch etwas ‚von dem Komddianten wiffen; id) war der einzige, der mit ihn in Verkehr ftand und ihn fütterte; er wäre längft verhungert, war ih nicht, und jet reißt man fi um den Kerl. Ich muß wirklich das Aeußerſte auf: bieten, um ihn zu erhalten. Ex ift leichtfinnig und achtet das Geld nicht. Ich bin überzeugt, es ift mit ihm fein übel Gefhäft zu machen Wenn ich ihm hundert Ducaten binzähle, ift er im Stande, mir das ganze Erbtheil abzutreten. Baar Geld lacht. Ich muß fehen, was zu thun ift; aber da iſt aud nöthig, daß ich ſchleunig dazu thue, fonft fallt er - irgend einem Schnapphahne, wie wir leider die Menge haben, in die Hände.

Mit diefen Worten eilte der edle Lagemann gra= den Weges nad feiner Wohnung, um fo viel Gelb bereit zu legen, als er zu brauden glaubte, um mit dem Helvenfpieler, wie ev meinte, ein Gefchäftchen zu machen.

daft um viefelbe Zeit ald Lagemann bei Felicitas fih als Mentor Gamaliel's anbot, hatte Frau Urfula ihre Noth mit den drei Freien, welche fie mit aller Gewalt nah Kabul treiben wollte, zu welcher weit- läufigen Reife aber feiner die geringfte Neigung ver- ſpürte. Da es bei Oamaliel bei der fortwährenven Weigerung feiner Mutter, ihn von ſich zu laffen, im- mer unmahrjcheinlicher wurde, ob er vie orientalifche

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Fahrt überhaupt unternehmen werde, ſo hatte ſich Frau Urſula in ihrer Bedrängniß an ihre Anbeter gewandt.

Mit dem Papiermüller war gleich gar nichts an- zufangen, bei dem war Hopfen und Malz verloren. Seine jonft nit ergiebige Phantafie war bei dem Gedanken an eine foldhe Reiſe außerordentlich fpen- babel und malte ihm alle erdenkbaren Gefahren, Men- ſchenfreſſer, Feueranbeter, fabelhafte Götterthiere aus der Offenbarung Johannis, drei» und fiebenköpfige Ungeheuer mit ven colofjalften Schwänzen, der Erd⸗ beben und Vulkanausbrüche nicht zu gedenken.

Auerhahn, den das zweite Codicill äußerſt mali— tiös geftimmt hatte, weil dadurch feine Divinations- gabe eine große Niederlage erlitten, ſprach ſich noch ungeberbiger über die Zumuthung aus, nad) einem Lande unter Segel zu gehen, deſſen Exiſtenz er gar nicht zugeftand. Er begab fid) hinter feine Spriten und Schläuche in Sicherheit und meinte, fein ange: brachtes Gefhäft könne er wegen ber paar lumpigen Ducaten nicht vernegligiren.

Der Gotteskaftenvorfteher, welcher auf feinen Karten den Weg nach Kabul ausgerechnet hatte, erichraf ob der enormen Weite. Ex behauptete, daß wer nicht geographifche Kenntniſſe beſitze, ſich won jold einer Reife ſchlechterdings feinen Begriff machen fünne.

Urjula ließ fein Mittel unverfudht, ihren Anbe— tern die Vortheile einer ſolchen morgenländifchen Neife in gehöriges Licht zu ſetzen.

„Es unterliegt feinem Zweifel,“ ſprach fie zu Auerhahn, „daß Ihre Sprigen und Schläudye in Ka— buliftan eine völlig unbelannte Erfindung find. Sie können fpielend ein Gefhäft machen, fo glänzend wie fein früheres, abgefehen von dem Ruhme, ein Wohl: thäter jener Gegenden zu werben. Wer meiß wie Die

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Dinge kommen, Sie werden von Seiner Majeftät von Kabul mit Orden geſchmüdt, ja gendelt.”

„Wo die Engländer ihre Naſe hingeſteckt,“ erwie— derte der erfahrene Auerhahn, „da fehlt's weder an Spritzen noch an Schläuchen; das muß ich beſſer wif- ſen. Dieſes Volk concurrirt mit Gott und aller Welt und es bleibt ein ewiger Jammer, daß Napoleon mit dieſen H— nicht fertig geworden und ſie zu allen Teufeln gejagt hat.“

Nachdem Urſula erkannt hatte, daß Auerhahn ſelbſt durch ſeine Spritzen und Schläuche nicht zu bewegen war, die Kabul'ſche Reiſe anzutreten, wandte ſie ſich an ben Gottesfaftenmann, welchen fie zu verftehen gab, wie viel die Wilfenfchaft gewinnen würde, menn ein in der Geographie jo erfahrener Mann die Fahrt unternähme.

„Ich wage hier allerdings nicht zu widerſprechen,“ verfette Henoch, „aber gerade weil ich in der Geo— graphie nicht ganz unbewandert bin, erfenne ich die außergewöhnlichen Schwierigkeiten, die es mit dieſer Weltfahrt auf ſich hat, und zwar klarer als irgend ein andrer.

Nachdem Urſula alle Regiſter gezogen, um in ih— ren Anbetern die Reiſeluſt zu erwecken, nahm ſie zu dem letzten Mittel ihre Zuflucht, ſie bot auf verblümte Weiſe ihr Herz und ihre Hand demjenigen an, der ihr die fünfhundert Ducaten von Kabul herbeiholen wiürbe,

Henody wandelte bei dieſer Propofition, deren Sinn er allein erfannt zu haben fid) fehmeichelte, ein außergewöhnlicher Heroismus an. Er fah die Mög- Iichfeit,, feine Nebenbuhlee mit einem Schlage aus dem Sattel zu heben. Zugleich aber bedachte er auch, wie lange Zeit er zur Reife nöthig habe, unterdeß

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wären Auerhahn und der Papiermüller Hahn im Korbe. Auf eine junge heirathsluftige Wittwe feien feine Häufer zu bauen. Während er (Henoch) auf hoher See mit den Wellen kämpfe und mit wibrigen Winden und Seeungeheuern, hätten vie beiven Yurüd- bleibenden die bequemfte Mufe, das Herz ber Frau Urfula zu belagern, zu ftürmen und enblich zu erobern. Es konnte ſich vielleicht gerade ber traurige Fall er- eignen, daß wenn er nad) taufenverlei außergemöhn- lichen Abenteuern enplih aus dem Morgenlande heim- fehre, er gerade zu dem Momente eintreffe, wo Auer- hahn mit der Wittwe Hochzeit mache, wie zu ben ‚Zeiten der Kreuzzüge öfter vorgelommen fei und ven Boeten häufig Stoff zu den rührendſten Romanzen gegeben habe. Alſo auch die Ausſicht auf der— einſtigen ſüßen Minneſold konnte den Gotteskaſten- vorſteher nicht bewegen, den trauten heimathlichen Herd von Niederroßla zu verlaſſen und gen Kabul zu fteuern.

Auerhahn, welder den Sinn von Urfula’s ver- blünten Heirathsofferten endlich ebenfalls heraus be- kam, erwiederte auf feine gewohnte unzarte Weile: „Was da, wenn Sie mid) heirathen wollen, wozu das lange Brimbarium; id bin fein eigennüßiger Freier, der nad) Gelb und Gut geht; aud ohne die Kabul'ſchen Ducaten follen Sie e8 ganz leidlich bei mir haben. Eine Huge Grau, wie Sie, wird Thon mit mir auszufommen willen, wenn ich auch nicht alle Zeit zu den Yeinften gehöre.”

Frau Urfula that bei diefen Worten wieder fehr böfe und im Grunde war fie es aud. Sie begriff nit, nachdem ihre Freier jo wenig ritterlihen und galanten Sinn an ven Tag gelegt, wie fie ihres Erb- theild auf die am wenigſten koſtſpielige Weife hab—

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haft werden ſolle. Es blieb ihr jet nur noch der Ausweg, fih an PVetterlein und ven Factor Süßmilch zu wenden, welche feſt entſchloſſen waren, bie Reife: nad dem Oriente anzutreten.

Gamaliel hatte, wie wir geſehen, nach Lagemann's Niederlage bei Madame Drollinger ſeine Mütze ergrif— fen und war in höchſt desperater Stimmung hinaus in die Berge gelaufen. Hier grünte Alles wunder— ſchön und Grasmücken ſangen im Gebüſch. Aus dem tiefern Walde herüber tönte die Stimme des Guckucks. Der Secretair hörte ihn dieſes Jahr zum erſten Mal, und begann ſogleich zu zählen Er bradite e8 auf dreiundzwanzig, was ihn ziemlich heiter ſtimmte. |

Nach einiger Zeit fuhr der Secretair fort: „Was hilft es, daß wir plöglich reich geworden find, bin ich. venn deshalb froher geworden? Der ganze ſchöne Frühling geht mir zu Grunde, wenn id) nicht reifen darf. Vergebens blüht Alles umber und die Vöglein jhmettern, daß man möchte taub werden, aber Herz und Gemüth ift verftimnt und vernimmt nichte.“

Während dieſer mifanthropifchen Betrachtungen wa— tete Samaliel durch Gras und Blumen längſt des Fahrwegs, welcher nad) Friedrichshof führte. Es war biefe Richtung feit einiger Zeit fein Lieblingsfpazier= gang. Wenn er aus dem Stadtthore trat, ſchlug er ihn fast unmwilltürlih ein. Dann ſchwebte wohl zu= weilen vor feiner entzüdten Phantafie das Bild ber veizenden Klotilde wie eine Engelserſcheinung vorüber, und er vergaß Kabul, Erbſchaft und Alles und lebte blos in Kiückerinnerung an jenen feenhaften Augen- blid, wo er die Tochter de8 Generals vom Abend- xothe umklungen wie eine Heine Heilige erſchaut hatte.

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Die zeitherigen Erbangelegenheiten hatten dem Se— cretair nicht erlaubt, feinen Beſuch auf Friedrichshof zu wiederholen, wie jehr fein Herz jenen Morgenber- gen zuſchlug. Seit er in Erfahrung gebradt, daß ein eingeborner Engel dafelbft wohne, dachte er nur mit Zagen an einen abermaligen Beſuch. Er erin- nerte jid mit Cchredien an feine Grobheit, das ihn anfchauende Fräulein nicht begrüßt zu haben, und be- griff nicht, wie er fih mit einer Entſchuldigung herausfinden jollte, wenn er Klotilden auf Friedrichs— hof vorgeftellt wurde. Mit Dienerfhaft und Kutjcher war er wegen des Trinkgelds in’s Reine Er hatte fih ſehr honnet abgefunden und fomit eine jchmere Laft von der Bruft gewählt. Dafür lag der Gedanke an feine Grobheit wie ein Vorgebirge auf ihm.

As er fo mit fich felbft unzufrieden dahin wan— belte, ward plöglich feine Aufmerkjamfeit durch einen Wagen rege gemacht, der eiligft die Strafe daher rollte. Der Secretair, weldyer ziemlich leuteſcheu war und namentlih, wenn er fih im Frühlinge erging, gern ungeftört war, wollte fo eben in's büftre Ge— büſch flüchten, als er feinen Namen rufen hörte Er blieb ftehen und erfannte mit freudigem Schreden ven jungen Bictor, welder in dem Wagen daher Fam. Auf dem Kutjcherfige thronte der bekannte Niklas.

Samaliel, von der Tarantel der Höflichkeit ge= jtohen, machte augenblidlich rechtsumkehrt und eilte fpornftreih8 den Wagen zu, welder anhielt. Er mußte fofort einfteigen und ward von dem jungen Morand mit freundfchaftlihen Vorwürfen in Menge überhäuft, daß er jo wenig Wort gehalten und Fried— richshof nicht wieder bejucht habe.

Der Cecretair entjchuldigte fi mit feinen Erb— angelegenheiten, worauf ihm Victor mit der Frage

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in die Rede fiel: „Wiffen Sie ſchon, daß auch ich die Reife nach Kabul mitmache?“

Das hatte noch gefehlt, um Herrn Drollinger gegen feine Frau Mutter vollends in Rebellion zu jegen. Er Hagte Victor fein außerorventliches Miß⸗ geihie, troß feiner Sehnfuht nad dem Morgenlanve in Nieverroßla verbleiben zu müflen.

„Das ift allerdings Jammerſchade,“ klagte ver junge Morand, „id hatte auf Ihre Geſellſchaft ſo ſchöne Hoffnung gebaut.“

Dem Secretair waren die Thränen nahe. Er faßte im Innern den verzweifelnden Entſchluß, wie der ſelige Hofmaler auf und davon zu laufen.

„Ich werde ſelbſt mit Ihrer Frau Mutter pres chen, tröftete Victor, „wir wpllen fogleich bei ihr vorfahren, vielleiht, dag mir's gelingt, viefelbe für Ihre Abreife geneigter zu ſtimmen.“

Gamaliel verfprah fih von Victor's Einfluffe auf Felicitas allerdings mehr als von dem Lagemanm's, und er begleitete ziemlich hoffnungsreich den Sohn des Generals nach der Stadt zurück.

Als ſich das Fuhrwerk über das ſehr holprige Pflaſter von Niederroßla dahin bewegte, fuhr‘ ver Hohmuthstenfel in den Secretair und er wiünfchte, daß ihm fo viel Bürgerfchaft und Honorationen wie möglich begegnen möchten, um ihn in einer fo glän« zenden Equipage und an der Seite eines ftattlichen und vornehmen Herrn figen zu jehen. Er grüßte bereit8 mit Anftand und mit einer leichten ariftocre- tischen Hanpbewegung, die er Victor abgelaufcht hatte, die Entgegenfommenven, welche ſämmtlich ftehen blie- ben und verwunderungs- und ehrfurchtsvoll dem ba- hinfahrenden Secretair nachſchauten.

Als das Fuhrwerk in die Straße einbog, in wel-

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her die Stadt Magdeburg lag, begegnete man Yage- mann, weldher jo glüdlih geweſen, bes Selvenfpie- lers wieder habhaft zu werben und eben bemüht war, ber vermeintlichen Kabul'ſchen Erbengel, welcher große Unluft und Wiperftreben heuchelte, mit Gewalt nad) feinem Gafthaufe zu fuhrwerten.

Den beiden Biedermännern blieb der Mund weit offen ſtehen, als fie den Secretair hob zu Wagen daher kommen fahen. Hanno erinnerte ſich fogleich der Betterfhaft und grüßte ganz familiär, was Ga— maliel in eimas fatal war. Er befürchtete, Victor inne argwohnen, er ftehe mit dieſem Strohmian, deſſen comöbiantenhafte® Aeußere auf feinen großen innern Gehalt fliegen ließ, auf intimem Fuße, was feinesmegs der Tall war.

„Es ift der junge Franzoſe von Friedrichshof,“ ſprach Lagemann, als der Wagen vorüber war, „ba fieht man gleih, was eine Erbſchaft thut. Früher fah man den ärmlichen Schreiber nicht über die Adh- jeln an und jest fährt man mit ihm in demfelben Wagen. D die Welt liegt im Argen, Hanno, ebler Menfchenfreund, Ihr habt mir's immer nicht glauben wollen. Und diefe Morand's hätten’8 wahrlich nicht nöthig, fiten im Golde bis über die Ohren. Pfui über fold) eigennügiges Gefindel; da lob' ih mir den fimpeln Bürgersmann,

„Hanno,” fuhr der Hotelier fort, als man bei dem Gaſthaus angelangt war, „thut mir nur ben Gefallen und benehmt Euch, als ob Ihr zu Haufe wäret; Ihr würdet mich zu tief Fränfen, fo Ihr die geringften Umstände machen wollte. Betrachtet mein Beſitzthum wie das Eurige; unter wahren Freunden darf fein befondres Eigenthum ftattfinden. Das ift mein Grundſatz von jeher gewejen. et aber wol-

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len wir vor allen Dingen meinen nenangelangten Scharlachberger verfuchen; Freund, ein Weinden, ſag' ih; ein ſolches wächſt fobalb nicht wieder. Wenn Ihr nicht tapfer zufprecht, habt Ihr's mit mir zu thin.“

Mit diefen Worten faßte Lagemann den Helven- ſpieler freundſchaftlichſt unterm Arm und zog ihn durch die Thür ſeines Gaſthauſes. Hanno, obſchon es in ſeinem Innern jubelte, folgte ſcheinbar gezwungen und mit höchſt verdroſſenem Geſichte.

Als Victor und Gamaliel bei Madame Drollinger vorfuhren, trat ſoeben der Stadtrichter aus dem Hauſe, welcher mit der Wittwe eine lange Unterredung gehabt.

Vierzehntes Rapitel.

Die große Expedition nach dem Morgenlande war endlich beſchloſſen. Felicitas hatte ſich durch den Stadtrichter, den ſie als einen kenntnißreichen und ge— wiſſenhaften Mann kannte und achtete, wie durch den jungen Morand, welcher ſich Gamaliel als Reiſege— fährte anbot, bewegen laſſen, ihrem Sohne die Er— laubniß zur Reiſe nach Kabul zu ertheilen. Desgleichen war es einem hochmögenden und wei— ſen Rath von Niederroßla gelungen, den Rathsactnar Zeiſig, ob dieſer ſchon ſeinen Tod vor Augen ſah und deshalb ſein Teſtament niedergeſchrieben, für die Welt⸗ fahrt zu gewinnen Da aber Zeiſig rund heraus er- klärt hatte, daß er für feine Perfon allein fih nicht getraue, das Krokodill ganzbeinig nad) Niederroßla zu bringen, fo hatte ein hoher Rath in feiner Weis—

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heit zu bejchliegen gerubt, ihm einen Schug- und Zrußgefährten beizugejellen; und dieſer beſtand aus Niemandem anders, als aus dem Athanaſius Yage- mann, welcher fi feine Mühe hatte vervrießen laj- fen, dieſes Amt zu erlangen. mei fette Schweine jo groß wie Heine Ochſen, waren gefällt worben, umt den Senat für das Lagemann'ſche Reiſeproject gün— fig zu fiimmen. Mit ihrem Blute war der Bund befiegelt worden, welcher ven Hotelier und Zeiſig auch in fernen Welttheilen vereinen follte Nicht ohne Grund war der Magdeburger fo erpiht auf Kabul. Er lebte nämlich Hanno hatte feine Rolle mei- fterhaft gefpielt nod) immer ſtarr und fteif in dem bezaubernden Irrthum, daß der Helvenfpieler über fünfhundert Ducaten zu Disponiren habe; auch war e8 Lagemann gelungen, von dieſer Summe bereits einen anfehnlichen Theil fich zu verfihern. Die Wirths- hausrechnung des Künftlers- belief ſich allein auf funf- zig Ducaten, ver Magdeburger ſchonte troß der Freund- Ihaft feine Kreide; funfzig Stüd (ſämmtlich bejchnit- ten, Lagemann hatte mehrere Nächte mit der Teile ges arbeitet) waren Hanno baar unter der Beringung vom Hotelier überantwortet worden, daß er ihm ba= für zweihundert von der Erbjumme abtrete. Nur nad langem Wiperftreben und unter ver heiligen Berfiche- rung, daß ihm das Meſſer an der Kehle ftehe (wie dem auch jein mochte), war der Heldenſpieler zu be- wegen gewejen, den wucherifchen Accord abzujchliegen. Gleichwohl verblieben ihm nad) Lagemann's Meinung noch immer zweihundert Ducaten, welche dem gelddür— ftenden Sinne des Magdeburgers gewaltig in die Au- gen ftachen, fo daß er mit Hanno in abermalige Un— techandlung trat. Er bot noch funfzig Stüd für Ueberlaffung des gefammten Exbtheild ; ob dieſes Ge—

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bots aber ftellte fich der Künftler außerordentlich ent- rüftet, jo daß er lange nicht zu befänftigen war. Sa- gemann meinte, ein Freund dürfe dem andern nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen; aber Hanno, fortwährend aufgebracht gab zu verftehen, daß er nad ſolchem ſchändlichen Gebote nicht übel gewillt fet, bie ganze Freundſchaft aufzuheben. Jetzt ward bem Hotelier Angft und er legte nody zwanzig Ducaten zu. Hanno beftand ſchlechterdings auf Zweihundert. Lagemann beſchwor ihn bei feiner Freundſchaft, ob er foldhe Forderung vor feinem Gewiſſen und vor dem bereinftigen Richter zu verantworten vermüge? Hanno behauptete, es verantworten zu fünnen, aber Lagemann wollte darum nicht zahlen. Mean ftritt lange und wieder. Lagemann appellirte fortwährend an die Freundſchaft, ver Künſtler Desgleichen.

Ein Sprichwort fagt: „Berg und Thal kom— men zujammen” So ward aud mit ven beiben Diedermännern.

Der Handel war geſchloſſen, am nädften Tage zahlte Lagemann, nachdem er die Nacht vorher wie- der auf wahrhaft unverantwortliche Art gerafpelt, acht⸗ zig Stüd, wahre Schmetterlinge, und Hanno ſtrich fie feufzend ein, nachdem er vorher vermittelit eines Ichriftlihen Documents das Kabul'ſche Erbe feiner verjtorbenen Frau, geborene Seekrebs, an Herrn Atha⸗ naſius abgetreten hatte.

Im Beſitze dieſer Ceſſionsurkunde hatte nun der Hotelier nichts Angelegentlicheres zu thun, als den Se⸗ nat mittelſt eines doppelten Schweinemords zu ſeinem Gunſten zu ſtimmen und ihn zu beſtürmen, daß es ihm erlaubt ſei, dem Actuariats-Botſchafter als At— tahe nad) Kabul zu folgen. Er glaubte, wenn er als

ein Stüd diplomatifchsoffictelle Perſon in Le

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anlange, er die Erbſchaft mit weniger Schwierigkeiten werde erheben können ald außerdem.

Der Senat, da Lagemann auf feine anderweitige Bergütung Anſpruch machte und Zeifig ohne Beglei- ter ſchlechterdings nicht reifen wollte, überdies gerührt buch das fette Opfer, trug fein Bedenken, dem Ho- telier das Amt eines Attache in Gnaden zu be= willigen.

Alſo Lagemann fuhr mit nach Kabul, das ſtand feſt. Aber auch Hanno fuhr mit und das verhielt fih alfo. Frau Urſula, nachdem ſowohl Gamaliel, als auch ihre drei Anbeter das Geſuch, das ihr zu- fallende Erbtheil in Kabul zu erheben, abgelehnt, rich— tete ihre Blide auf Hanno, welder ihr allerdings alle erforderlichen Eigenſchaften für eine langwierige Reife zu befigen jchien, nur daß er etwas dyarlatanmäßig erfchien und ihm daher weniger zu trauen war. In— deß da ſich auch Vetterlein und der Yartor auf das Mandat nicht einließen, blieb feine andre Wahl. Sie trug aljo dem Helvenfpieler ihr Anliegen vor, wel- ches auch ohne weiteren Widerſpruch beftens acceptirt wurde. Dem Künftler fam die morgenländifche Fahrt höchſt erwünſcht. Er bedachte, daß er im PVaterlande fo nichts mehr nütze; außerden war er an ein unfte- te8 Leben gewöhnt und liebte das Abenteuerliche.

Demnad) ‘machten ſich in Niederroßla nachverzeidh- nete Perfonen zum Aufbruche nah Kabul fertig: Ga— maliel Drolinger in Begleitung des jungen Pictor Morand; Hanno als Mandatar der verwittweten Ur— jula Klugin; der Quartus Betterlein und der Factor Süßmilch; und endlic der Rathsactuar Zeifig nebft feinem Attaché und Mentor Athanafius Lagemann; leßtere zwei jvectaliter beauftragt, das goldne Kroko—

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bill, welches ein hochweifer Rath ererbet, wohlbehalten nad) Nieverroßla zu transportiren.

Die Reifeanftalten, welde von den verjchiedenen Individuen getroffen wurden, gehörten zu dem Außer- ordentlichten, wad man in Nieverroßla je erlebt hatte. Die ganze Stadt nahm durd Rath und That Theil an der Ausrüftung. Zeifig ward auf Magiftratsun- foften völlig neu befleivet und zwar mit einem \walfer- dichten Stoffe, deſſen Erfindung unferm Jahrhundert zur Ehre gereiht. Außerdem erhielt er ein Futteral für den ganzen Körper von Ölanzleinwand nebft einem Schifferhut, auf weldem das Stadtwappen von Nie berroßla in erhabner Arbeit prangte. Dieſes Wap- pen beitand in einem Dchjenfopfe mit nur einem Horne und verbanfte feine Entſtehung einer höchſt merkwürdigen Begebenheit. Es war im grauen Al- terthume, als Niederroßla nur noch den Rang eines Marktfledens einnahm, von einem benachbarten NRaub- ritter belagert und hart berennt worden. Die Belager- ten befaßen nur noch einen Ochfen und dieſer follte eben gejchladhtet werden, als beim jetigen Conſtitu— tionsthore ein mörberliher Lärm entjteht. Der Feind ift eingedrungen und ftürmt mordend die Straße ent- lang. Der Megger, der den Ochſen tödten foll, ver- liert ob des außerordentlichen Mordio den Kopf und ſchlägt blind darauf los, anftatt aber die Stim des Stierd zu treffen, zertrümmert er ihm das rechte Horn. Der Ochſe, von folder Handlung empört, reißt fich 108, ftürmt zum Schlachthauſe hinaus und zufälliger- weife dem ftürmenvden Feinde entgegen. Nachdem er nicht weniger denn ein Dutend der eingedrungenen Raubritter über den Haufen geworfen, eilt er durch's Thor in's Freie. Der Feind, durch dieſes völlig un— erwartete Ereigniß in Schreden gejeßt denn nad)

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damaligen Anſichten fonnte das wiüthende Beeſt mit nur einem Horne Niemand ander8 als ver Beelzebub fein, ergreift die Flucht. Die Nieverroßlaer, refolute Leute wie immer, benugen den glüdlichen Umftand, werfen das Thor zu und halten fi fo lange, bi faiferlicher Erſatz berbeieilt. Wegen feiner tapfern Gegenwehr warb Niederroßla zur Stadt erhoben und in dankbarer Erinnerung an den Ochſen, das wohl- getroffne Portrait deffelben mit einem Horne in das neue Stadtwappen aufgenommen. Dieſes venn trug der Rathsactuar Zeifig bei feinem Zuge nad Afgha— niftan auf feinem ladirten Schifferhute. Der Hut, fo wie der ganze vom Magiftrat gefchaffte Habit war, wie der Brautjtaat- einer Prinzeffin, acht Tage, lang unter dem Rathhauſe zu Jedermanns Anficht und Bewunderung ausgeftellt.

Dei Factor Süßmilch, ein für feine Gefunpheit jehr bejorgter Mann, hatte fi einen Wamms und Beinkleiver von Baumwolle anfertigen laſſen. Er beabfichtigte damit drei Fliegen mit Einem Schlage todt zu machen. Erſtens follte ihn dieſes neue Kleid, für den Fall er das. Unglüd habe, in's Waſſer zu fallen, jo lange auf der Oberfläche erhalten, bis Hülfe fäme, alsdann gegen die etwaigen Pfeile der Indianer hüten und drittens vor den Nachtheilen eines jchnel- len ZTemperaturwechjeld bewahren. Als Süßmilch in dieſem feltfamen Koſtüme feinen Probeausgang hielt, vermochte man den Mann nicht wieder zu erfennen. Seine dünne Figur war angejchwollen wie die eines DBürgermeifters.

In nicht minder baroder Tracht erſchien Lage— mann. Er fand Zeiſig's Slanztaffet eben jo unpaſſend wie Süßmildy’8 Baumwolle und erfchten daher in der Tracht eines ehemaligen Yanzenfnechts, faſt gänzlich

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in grobgegerbtem Rindsleder mit Pidelhaube und einer Art blechernen Bruftharnifh, worauf gleichfalls das Nieverroßlaer Stadtwappen zu fehen war. Er hielt Tegteres für unentbehrlih, da er im der diplo— matiſchen Eigenſchaft eines Attache ber Niederroßlaer Geſandtſchaft reiſte. Sein kriegeriſcher Anblick im— ponirte faſt noch mehr als Süßmilch's Baumwollen- habit, namentlich fand ſich die Schuljugend ſehr alar- mirt dadurch.

Vetterlein's Reiſecoſtüm beftand aus einen ziem—⸗ lich ungeſchlachten Tüffelrock, der bis auf die Knö— chel herabreichte und die kleine Figur des Quartus ganz verſchlang. Wenn er bei unfreundlichem Wetter den Kragen in die Höhe ftülpte, fo war vom Schul⸗ manne nichts zu erbliden und e8 gab nur einen wan- delnden Rod, höchſtens, daß die Duafte der Sad- müte, vom Winde hin und wieder bewegt, ein We— nig hervorragte. Betterlein wußte fi) trotzdem, daß er in dem Node total verſchwunden war, doch recht gut zurecht zu finden. Er fchaute durch eins der oberen Knopflöcher wie durch eine Schießſcharte. Ob— ſchon er nun vermittelſt ſeines Tüffels gegen den Re— gen vollkommen geſchützt war, ſo ermangelte er doch nie ohne Regenſchirm auszugehen, welch' letzterer ſich ſogleich entfaltete, ſobald ein dunkles Wölkchen am Horizonte emporſtieg. In dieſem Aufzuge hatte er in ſeinen früheren Jahren Deutſchland, die Schweiz und einen Theil Frankreichs durchwandert und dieſe Bekleidungsart ſehr praktiſch gfunden. Deshalb ſtand ſein Entſchluß feſt, auch Afghaniſtan im Tüffel und in Begleitung des Regenſchirms zu beſuchen.

Hanno's Garderobe war die einfachſte. Er beſaß eine ziemliche Fertigkeit im Umſchlagen und im Fal— tenwurfe des Carbonarimantels. Alle Helden in Män—

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teln ftellte ev ſehr maleriſch vermittelt feines Carbo- naris, dieſes Solitairs feiner Theatergarderobe, dar. Leider mußte er aber bereits ſeit Zeit auf dieſe Um— ſchlagevirtuoſität verzichten, da der Mantel in Gefell- ihaft des Waldes von Hermannftadt beim Meubleur Hantuſch verſetzt ftand und erft neuerdings durch Ver— mittlung des Attahe in den Beſitz des Eigenthünters zurüdgefehrt war. Im diefen Mantel, ſchwur ver Held, fei er unbefiegbar und getraue fich, ein zweiter Alerander, Alten zu erobern. So war die Ausrüftung der Nieverroßlaer Afgha⸗ nen bis in's geringfügigſte Detail vorgerückt und der Tag der Abreiſe auf Dienſtags den breiundzwanzig- flen Juni angefegt, ungefähr zehn Wochen nad ber erbichaftlihen Bekanntmachung im Wochenblatte.

Ende des erften Bandes.

Drud von Alerander Wiede in Leipzig.

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teln ftellte er jehr maleriſch vermittelft feines Carbo- naris, dieſes Solitaird feiner Thentergarverobe, dar. Leider mußte er aber bereits feit Zeit auf dieſe Um— Ichlagevirtuofität verzichten, da der Mantel in Gefell- Ihaft des Waldes von Hermannftant beim Meubleur Hantuſch verſetzt ſtand und erft neuerbings durch DVer- mittlung des Attadhe in den Beſitz des Eigenthümers zurüdgelehrt war. In diefen Mantel, ſchwur ver Held, fei er unbefiegbar und getraue ſich, ein zweiter Ülerander, Alien zu erobern. , Sp war die Ausrüftung der Nieverroßlaer Afgha⸗ nen bis in's geringfügigſte Detail vorgerückt und der Tag der Abreiſe auf Dienſtags den dreiundzwanzig- ſten Juni angeſetzt, ungefähr zehn Wochen nad) ver erbihaftlihen Bekanntmachung im Wochenblatte,

Ende des erften Bandes,

Drud von Alerander Wiede in Leipzig.

Fabian Stule's ausgewäßlte Schriften.

Bolls- und Familien= Ausgabe.

Adztzehuter Band.

Zweite Auflage.

Leipzig, Ernft Keil. 1858,

Die

Erbichaft in Kabul.

——

Komiſcher Roman

von

Serdinand Stolle.

Aweiter Band.

Zweite Auflage,

Leipzig, Ernft Ketl. 1858.

Die Erbſchaft in Kabul.

Komiſcher Roman.

Erfies Kapitel.

In einem jener blühenden Thäler Afghaniſtans, wo der Granatbaum in feltener Schöne blüht und das Waizenkorn hundertfältige Frucht treibt, da wo ber jchnellfließende Kabul in ven gewaltigen Indus mün⸗ bet, unfern ver ftarfbefeftigten Stabt Attok, deren Binnen und Minaret3 hinter Citronenwäldern hervor- laufchten, im Rüden ven majeſtätiſchen Himalaya mit feinen himmeldrohenden und mit ewigem Schnee be- deckten Gipfeln, jaß im: Garten feines Gaſtfreundes unter einer Laube blühenber Akazien ein Mann in ben vierziger Jahren, gekleidet in das fliegende Ge— wand der Afghanen und auf den Haupte einen Turban von Rafchemir. " Unmittelbar neben ihm hatte auf reichem, golddurch⸗ wirftem Teppiche eine zweite Geftalt in Afghanentracht Pla genommen, ungefähr zehn Jahre älter als vie eben erwähnte, welche mit ächt moslemſcher Ruhe und unerſchütterlichem Ernſte die Wolken ſeiner langen Pfeife zu den rothen Blüthen emporſteigen ließ. Betrachtete man die Geſichtszüge dieſer beiden Männer genauer, ſo war bei dem älteren die aſiatiſche Abkunft nicht zu verkennen, während der andre höch— ftend die dunklere Gefichtsfarbe mit den Bewohnern Irans und Turans gemein hatte. Beide waren in

“8 N

tiefe8 Schweigen verfunfen, der ältere verfolgte behag- Ih das blaue Gewölke feines Knaſters, das in felt- famen Kreifen und Ringen emporitieg, während bie Blicke des jüngern mit Wohlgefallen auf den Minarets von Attok ruhten, die im Abendfcheine immer .röther zu glühen begamıen.

Tiefe Stille ruhte über der Gegend, nur von fern vernahm man das Naufchen des Kabul, als ſich plöß- lih ein Abendwind erhob und die Luft mit himmliſchem Aroma erfüllte.

„Bei Gott,“ nahm jetzt der Vierziger das Wort, indem er mit Entzůcken die lieblichſten Düfte einathmete, „das ift Wohlgeruch aus den Gärten des Paradiefes. Bas find das für Blumen, Ismael, wären es bereits die Vorboten Hindoftans gu

„Der Abendwind geht über die Veilhengefilde von Peſchawer,“ erwiederte der Gefragte, „8 ift das Guli peigamber, die Roſe des Propheten, wie man fie weder in Border» noch Hinterafien kennt. Hörteft Du, Haſſan-ben-Mullah, nie von dem wunderbaren Dufte dieſer Veilchenfluren, die das Herz erfüllen mit unnenn= barer Wonne und berühmt find im Lande Zuran, fo weit die Echneegipfel leuchten des Himalaya?“

„Wohl vernahm ich oft von der gefeierten Roſe des Propheten, verſetzte Haflan, „wenn ich an Som= merabenden den Erzählern zuhörte in den Straßen von Kabul oder unter den fchattigen Tamarisfen auf und niederwallfahrtete im Königsgarten des Timur Schah; dod ihren Duft hab’ ich nie gefoftet bis zu diefer Stunde.”

„Es ift der legte Grup,” ſprach Ismael, „welchen Afghaniftan Dir fendet, mög’ er nie Deinem Ge—

dächtniß entichwinden, Haflan-ben-Mullah, mein

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Heimatheland wird dann im liebliher Erinnerung in Deiner Seele fortleben.“

„Es wird dies aud) ohne die Beildhen von Peſchawer,“ u verſetzte Haffan, der feiner innern Bewegung nur mit Mühe Meifter ward; „glaubft Du, Ismael, daß man ein Land wieder vergißt, wo man Gaftfreundfchaft und Liebe in reihem Maaße fand? Du weißt, daß viele Worte und Declamationen nicht meine Sache find, aber hier bein Abfchiede an der Grenze Deines Landes mag ich e8 wohl geftehen, daß die Jahre und Stunden, die ich, obſchon taufend Meilen von ver deutſchen Heimath, unter Euch verlebte. die glüdlichften meines Lebens waren; und wenn nicht das Licht meines Lebens in Euren Thälern erloſchen wäre, und id) das Theuerſte unter Euern Rofen hätte begraben müljen, würde ich wohl ſchwerlich an eine Heimfehr nad) dem Abend— lande gedacht haben.‘

„Und wer foll fünftig die Roſen begießen,” frug Ismael, nicht ohne Wehmuth, „vie auf dem Grabe der weißen Perle wachſen?“

„Das ſollſt Du thun, geprüfter Freund, erwie— derte Haſſan, indem er dem Frager die Hand mit einem Blicke reichte, aus welchem ungeheuchelter Schmerz und Liebe ſprach.

„Beim Propheten,“ betheuerte Ismael, „Du haſt keinen Unrechten gewählt; ſobald die erſten Frühlings— küſſe die finſtte Stirn des Hindukuſch berühren, und ſeine erſten Lawinen in die Thäler rollen, ſoll von meiner Hand gepflegt, die Schlummerſtätte in ſtiller Roſenpracht erblühn, die weiße Perle vom Paradieſe hernieder lächeln.“

Nach einer Pauſe längern Schweigens fügte er mit ſchmerzlichem Unwillen die Worte hinzu: „Gleich— wohl hätteft Du nit davon gehen follen.”

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„Alter Freund,‘ ermiederte Haſſan, ter wieder feine gewohnte Ruhe gefunden hatte, „Du wirft es nicht übel deuten, aber feit dent Heimgange meiner Dlivia iſt e8 mir felbft unter den Blumen Kabuls einfam geworden und wenn der Abend in der Verne fommt, ſehnt ſich jeder Menſch nach der Heimath.“

„Will's glauben,” verfegte Ismael, „obichon id) nicht begreife, wie e8 eine ſchönre Heimath geben könne, als die Aprifofenthäler der Duranen.“

„Auch im deutſchen Lande blühen die Aprifofen,” erwiederte Haſſan-ben-Mullah, „wenn "feine Thäler auch nicht in dem Grade leuchten und duften wie das Flußgebiet des Kabul.“

„Uebrigens,“ fuhr er nad) einiger Zeit in Nach— denken verjunfen fort, „möge mid) der Himmel be= wahren, daß ich meine Heimfehr einmal bereue. Dann wäre mir felbft die Rückkehr in die Thäler der Duranen abgeſchnitten.“

„Allerdings,“ geſtand Ismael, „für Kabul biſt Du geſtorben und begraben in Ewigkeit, und darum eben begreife ich bis dieſe Stunde nicht, was Dich zu dem freiwilligen und gefährlichen Tode und Begräbniſſe bewegen konnte. Ich glaube nimmer, daß der König Deiner Heimkehr in's Vaterland Hinderniſſe in den Weg gelegt haben würde.“

„Doch, doch,“ erwiederte Haſſan, „wie hoch ich in ſeiner Gunſt ſtand, ſo überwog ſeine Sorge für ſeinen Leib, den ich als Arzt behandelte, alle andern Rückſichten.“ |

Als Ismael hier zweifelnd den Kopf ſchüttelte, zog Haſſan ein Papier hervor, das er dem Freunde mit den Worten überreichte: „Wenn Du in meine Worte Bedenken feßeft, jo wird hoffentlich diefe Schrift Deine Zweifel bejeitigen.“

LE Be

Das Manufeript enthielt die Abjchrift eines eigen- - händigen Brief des Königs von Kabul, ſchon von längerer Zeit her datirt, an feinen erften Minifter, worin lettrer unter Androhung der ftrengften Ahnung aufgefordert ward, auf Haffan-ben-Mullah das ftrengfte Auge zu haben und ver Fleinften Reife deſſelben, welche eine Auswanderung zum Zweck haben könnte, die un= überfteiglichften Hinderniffe in den Weg zu legen.

Im ſchlimmſten Falle war der Miniſter bevoll- mächtigt, die äußerſte Gewalt anzumenben.

„Diele polizeiliche Aufſicht,“ ſprach Haflan, „hab’ ich mir gefallen laffen, fo lange Dlivia am “eben, nad) ihrem Scheiden warb mir dergleichen Bewachung um jo unerträglicher.‘

„Wenn dem fo tft,” erwieberte Ismael, „kann ich Deinen freiwilligen Tod nur loben; gleichwohl bleiben mir Deine ſonderbaren teftanentlihen Verordnungen ein Räthſel. Warum follen denn Deine Erben ihr Erbe in eigner Perſon in Kabul erheben?“

„Weil dies die einzige Bedingung,” verjette Haſſan, „unter der mir verftattet war, Gelder dem Auslande zuzumenben.‘

„Sonderbare Grille des Königs,” brummte Is— mael, „er hofft wahrſcheinlich durch Deine Erben Dich jelbft zu erſetzen.“

ü „Ss viel id mich der Perfünlichkeit diefer Erben

noch entjinne,” meinte Haffan, „dürfte Seine Miajeftät weniger gewillt fein, ihre Abfahrt unter polizeiliche Aufſicht zu ftellen. Ich nehme meinen leiblichen Vetter aus. Doc, diefer tft bedacht, auch wenn er die Reiſe nah Kabul nicht antritt.”

„Ich glaube überhaupt nicht,“ ſprach Ismael, „daß ſich einer der Erben auf ven Weg macht; die Länge und Beſchwerlichkeit der Reife ift unabjehbar.”

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„Man kann nicht wiſſen,“ erwiederte Haflın, „vie Gier nad Gelde verleiht dem Furchtſamſten Muth und begeiftert zu größten Anftrengungen. Wie dem jei; ich habe für meine Angehörigen Alles gethan, was in meinen Kräften ftand. Sollte einer oder ber andere nah Kabul kommen, fo ift er Dir, treu be= währter Freund, ohne deſſen evelmüthige Unterftügung ich meinen langgenährten Plan der Flucht nicht hätte in Ausführung bringen können, empfohlen.‘

„gen Wunſch iſt mein Befehl,” ſprach Ismael, „es ſoll mir große Freude gewähren, Dir auch in der Ferne gefällig zu ſein. Wie ungern ich Dich ſcheiden ſehe, ſo erkenne ich doch, daß Du Did. unter Deinem Volke, das Deinem Geiſte näher ſteht und Deinem Herzen vertrauter iſt, wohler befinden mußt als ſelbſt in der Hofburg zu Kabul. Darum hab’ ich Deinen Plan zur Flucht nie mißbilligt. Ge— denfe meiner alle Jahre einigemal, ich werde ‘Deiner täglich gedenken und nimmer vergeffen, daß ich vieles Willen, welches mich über nein Volt erhebt und zu hohem Anfehen gebracht hat, lediglich Deiner weiſen Belehrung verdanke. Wäre ih einige Jahrzehnte jünger, dann würd’ ih mit Div ziehen nad) Deiner Heimath, dem deutfchen Lande, mehre Jahre daſelbſt verweilen und mid) unterrichten mit allen Kräften und in folden Dingen, in welden mein Volt noch zurück fteht. Kehrte ih dann wieder nad Aighaniftan, jollte mein Wirken ein gejegnetes fein, denn id) würde das Erlernte gern mittheilen, allen denjenigen, welchen an anderweitiger Erfenntnig gelegen wäre. So aber bin ich zu alt und will mich gern begnügen mit dem, was ich Deinen Lehren verdanke.“

Während Ismael noch ſprach, bogen fid) auf der einen Seite der Laube die Zweige auseinander, ein

13 blühender Mädchenkopf, deſſen glänzendes Haupthaar in kunſtreichen Flechten herahfiel, ward ſichtbar und eine Silberſtimme frug: „Störe ich wohl?“

„Nur näher, Olivia,“ erwiederte lächelnd Haſſan— ben-Mullah und winkte mit der Hand, „Du ſtörſt uns im Geringſten nicht.“

Ein zwölfjähriges reizendes Geſchöpf in männliche Afghanentracht gekleidet, hüpfte jetzt in die Laube und ließ ſich neben ſeinem Vater nieder.

„Herrliche Nachrichten,“ jubelte die Kleine, „der Gaſtfreund Runſchid läßt Dir ſagen, Väterchen, daß die Karawane des Mirza Osman heut Morgen an— gelangt iſt und am Ufer des Indus lagert. Sie geht direct nach Lahora und beut uns die ſchönſte Gelegen— heit, das britiſche Gebiet zu erreichen.“ |

Der edle Runſchid, ein wohlhabender Handels- herr von Attok, dem der herrliche Yandjig, wo Die gegenwärtige Scene fpielte, angehörte, und welcher bereit8 ſeit Jahren mit Haffan-ben-Mullahb auf be— freundetem Fuße lebte, trat jett herein und bejtätigte die Ausfage Olivia's.

„Ihr Könnt nicht ficherer reiſen,“ ſprach er, „als mit Osman, der mein Freund ift und mit dem ich Euretwegen bereit8 gefprodyen habe. Bon. der ganzen Karawane kennt Euh Niemand, denn fie fommt direct von Bukarah und har Kabul nicht berührt, jondern ihren Weg über Kandahar genommen. Alfo entfhlagt Euch jeder Beſorgniß. Doc jetzt kommt, bie Sonne will eben verjcheiden und das Abendeſſen harret.“

Freudig ſprang Haſſan-ben-Mullah von ſeinem Sitze auf und folgte in Begleitung ſeiner Tochter und des ehrlichen Ismael dem Gaſtfreunde in deſſen reizend gelegenen und im morgenländiſchen Geſchmacke

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erbauten Gartenpavillon. Man genoß von hier bie feltenfte Ausfiht über die prachtuolle Gegend rings umher. Die untergehende Sonne färbte die reiche Landſchaft mit ihren rothen Tinten. Fern in Often bliste hier una da der goldne Spiegel des Indus durd Palmen und Tamarisken, welche malerifch die beiden Ufer beichatteten. In blauen Duft verliefen fi) in der Ferne die Gebirge von Hindoftan, während die ftolzen gewaltigen Mafjen des nahen Himalaya in prachtvoller Beleuchtung thronten.

„Aber jetzt erzähle mir vor allen Dingen, Freund,” begann Runſchid, nachdem man beim Mahle Plat genommen hatte, „wie it Div Deine Flucht ge= Iungen? Was mir Ismael von Deinem vorgebliden Ableben erzählt, Klingt faft wie ein Märchen Sche- hezerades.“

„Und gleichwohl hat er nur die Wahrheit ge— ſprochen,“ erwiederte lächelnd Haſſan. „Nachdem ich erkannt, daß mir kein Mittel blieb, aus der Haupt— ſtadt und der Gewalt des Fürſten zu kommen, ward ich krank, dann immer kränker, machte mein Teſta— ment nach allen Regeln Eurer Geſetzgebung und ſtarb endlich ſanft und ſelig in den Armen meiner Tochter Olivia und in Gegenwart Ismael's, welcher alsdann mein Begräbniß beſorgte und zwar auf eine ſo weiſe Art, daß ich gleich in der nächſten Nacht wieder zum Leben erwachen und in Begleitung Olivia's die Flucht ergreifen konnte. Ismael hatte die ganze Sache mit ſo viel Umſicht geleitet, daß mich ganz Kabul bereits wohlbehalten im himmliſchen Paradieſe angelangt glaubt, während ich mich derzeit noch ſehr behaglich im irdi— ſchen befinde und nichts mehr bedaure, als daß ich mich nun bald gezwungen ſehe, von meinen zwei treueſten Freunden Afghaniſtans zu trennen.“

in

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Auch der wackre Runſchid war viel zu evelfinnig, als daß er feinem Freunde zu feiner gelungenen Be— freiung nit von Herzen hätte Glück wünſchen jollen, obihon aud er wie Ismael bie Heimreife dallan's aufrichtig bedauerte.

„Wohlan!“ ſprach er, „es hat ſo ſein ſollen und der Wille Allah's geſchehe! Wir wollen uns aber die letzten Stunden des Beiſammenſeins nicht durch thö— richten Trübſinn verbittern. Zum Letztenmale athmet Ihr heute die Luft Afghaniſtans, zum Letztenmale weilt Euer Fuß auf ſeinem Boden; ſo mögen auch ſeine edelſten Früchte zum Lebewohl Euern Gaumen legen.

Runſchid erhob ſich bei diefen Worten und z0g den Vorhang, der vor einer nilchenartigen Marmorz halle herabfloß. Da leuchteten und bufteten im goldnen Schalen die koftbarften Früchte Afghaniftans: Aprikofen von Kabul, auf vierzehn verfchievene Arten zubereitet; Sranatäpfel von Ghizin, Feigen von Kan— dahar und Melonen von Peſchawer.

Haſſan und Olivia ſo wie Ismael, welche ſelbigen Tag eine geraume Strecke Wegs zu Fuß zurückgelegt hatten und deshalb nicht ohne Eßluſt waren, ließen ſich's trefflich ſchmecken und erfreuten ſich dabei der wunderherrlichen Abendlandſchaft, die nach und nach immer tiefer in die Schatten der Nacht hinabſank. Schon ruhte tiefe Dunkelheit in Thälern und Schluchten, aber noch immer glühten die Gipfel des Himalaya in unſterblichem Glanze.

Plötzlich hallte ein Kanonenſchuß von den Wällen Attoks herüber. Haſſan blickte befremdet auf und Olivia klammerte ſich ängſtlich an den Arm des Vaters, denn ſie fürchtete nicht anders, als an der Grenze Afghaniftand von dem Fürſten von Kabul noch auf- gehalten zu werben und hielt den Donner für ein

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Signal, welches ihre Flucht anßeige. Runſchid aber lächelte, als. gr die Furt des Mädchens gewahrte. „E83 gilt der Karawane Osman's,“ ſprach er beruhigend, „pie fo eben bei ben gelben Wellen des Indus anlangt und deren Ankunft ſtets buch einen Kanonenſchuß fignalifirt wird.‘ - Die Freunde blieben nod einen großen Theil ber Nacht bei einander. Man verabrevete die Art und Weife, wie man fünftig von Zeit zu Zeit in Corre- fponvenz treten wolle, und verfant dabei in Rüd- efinnerung vergangener Zeiten. Olivia war .in bie blüthenpuftende Nacht hinaus auf den Balkon getreten, weldher nah dem Garten hinaus ging. Dort am Fuße jene8 Gebirges, hinter weldem die Sonne fhlafen gegangen war und deſſen Höhen im letten Abenprothe glühten, ruhte das edelſte Meutterherz, das für fie fo früh zum Letztenmale jchlagen ſollte. Dlivia war faum neun Jahr alt, als die Mutter fchlafen ging unter die Blumen von Kabul. Sie hatte feine andre Heimath gefannt, als das fchöne, Thal am Fuße des Hindukuſch, wo die Aepfelbäume jo ſchön und fo voll blühen, daß fie oft wie im Schnee in herabgefallenen Blüthen watete; und gleihwehl wollte e8 ihr doch nie heimathlich werben in dem ſchönen Lande; fie fah ihre ſchöne und gute Mutter zu oft weinen unter ihrem Lieblingsbaume im Garten zu Kabul und viele Thränen galten alle ver fernen Heimath im deutſchen Lande. Die Heine Olivia hatte zu oft und zu viel aus Alterlihem Munde erzählen hören von vieler fernen deutſchen Heimath, als dag nicht auch in ihrer Bruſt eine wachſende Sehnfuht nach jenem Abend— lande hätte erwachen ſollen. Sie betrachtete daher ihre nächtliche Flucht an der Seite des Vaters wie eine

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Befreiung aus einem Kerfer, in welchem fie nur ei- nen Schatz zurückließ, das Grab ihrer Mutter.

Die Mondesfichel leuchtete bereits eine Hand breit über den Gebirgen Hindoftans, als die Freunde, dem Gebote des Propheten ungeachtet, das man überhaupt bei Abfchievsfeten weniger zu berüdfichtigen pflegte, zum Letztenmale die Becher mit dem muskatnußduf⸗ tenden Kabulwein an einander Flingen ließen. Man Ihwur ſich ewige Freundſchaft und vergaß dabei nicht, die holde „Roſenknospe,“ fo hieß Olivia, bei ven Afghanen hoch leben zu laflen.

ALS die Morgenfonne fi) von Neuem in den rau-= ſchenden Wellen des Indus badete, verließen Haffan- ben-Mullah in Begleitung feiner Tochter, von jeßt in Hindutradht gekleidet, die Blumengeftade Afghani- ſtans und gingen nad) Hindoften über, wo fie fich als fromme Pilger, welde auf einer Betfahrt nad) Katufir begriffen, der Karawane’ von Bulhara ans

ſchloſſen.

Zweites Rapitel.

Noch einer ziemlich abenteuerlichen Fahrt, bei wel— cher ſich die große Weltunkenntniß des Rathsactuar Zeiſig beſonders auf ergötzliche Weiſe kund gab, war das Niederroßla-Kabul'ſche Erbheer, unter Anführung des jungen Morand vermittelſt des königlich hannö— ver'ſchen Poſtwagens glüdlih und mwohlbehalten in der freien Reichs- und Hanſeſtadt Hamburg angelangt und in einem Gafthaufe unfern des Hafens abgeftiegen. Stolle, fänmtl. Schriften. XVII. 2

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Gamaliel's Herz, zeither von dem Abjchiebe bei Felicitas, die er in feinem Leben das erfte Mal ver- ließ und vom Heimweh etwas beengt, athmete wieder frei und groß und fein Auge leuchtete begeiftert, als der Maftenwald der großen Handelsſtadt vor ihm auf- flieg und das geräufchuolle Leben eines großartigen Verkehrs von allen Orten ber an fein Ohr ſchlug. Alles war ihm neu, fremd, außerordentlich. Victor, ‚welcher Hamburg bereit8 von früher her kannte, über- nahm das Amt des icerone und kaum hatte man einigermaßen Xoilette gemacht, al® die beiden jungen Männer bereits die geräufchvollen Straßen Hamburgs entlang wanbelten.

Weit weniger behaglich fühlte fi, mit Ausnahme Betterlein’8 und des Heldenſpielers, der übrige Theil der Reiſegeſellſchaft; Lagemann, die Hanno'ſche Ab- tretungsurfunde fortwährend bei ſich tragend, warb von quälenver Ungewißheit gepeinigt, ob ihm Siebede und Komp. vie Keifefpefen zahlen würden oder nicht. Im legten Falle war er übel dran; dann mußte er für die Ueberfahrt und Belöftigung felbft forgen, denn feine Würde als Attaché brachte ihm feinen rothen Heller. Der Rath zu Nieverroßla hatte ſich nicht zu der geringften Entihädigung verftanden. Ein Mann wie der Wirth zur Stadt Magdeburg fieht fid) aber für alle Fälle vor. So wie fid vie Gelegen- heit günftig zeigte, 309 er feinen diplomatischen Chef, den Actuar, auf die Seite und führte ſeditiöſe Reden gegen den Rath von Niederroßla.

„Eine ſolche Knickerei ift noch nicht dageweſen,“ begann er, „ich erhalte als Attaché keinen Kreuzer, und Sie mit Ihren dreihundert Gulden, die man be— willigt hat, wie wollen Sie auskommen in drei Welt— theilen; bedenken Sie die Länge des Wegs, die Em—

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ballage des Krokodills; ein ſolches Thier will ver- padt fein, daß ſich's nicht abſtößt, die Steuern und Gaben, die darauf haften, die Ausfuhr- und Grenzzölle.“

Zeifig zudte, vie Achſeln. „ES will eingetheilt fein,“ ſprach er; „indeß hoff ich in Betracht meines mäßigen Appetits, meiner frugalen Koft —“

„Was da,” eiferte Ragemann, „kommen Sie nur aufs Meer, da effen Sie für zehn Mann; Geeluft zehrt.“

Der Actuar ſchauderte, wenn er an's Meer dachte.

„Ihr Reiſegeld,“ fuhr ver Hotelier fort, „ift ver- frefien, eh’ wir um Afrika herumfahren.“ .

„Das wolle Gott verhüten!” feufzte Zeiſig.

„Dann liegen Sie krumm und hungern bi8 Kabul.”

„Wer vermöchte dies auszuhalten.‘

„Ich für meine Perſon wenigftend nicht,” fprad) Lagemann; „es tft übrigens eine Sünd' und Schande, die eigne Gefandtichaft verhungern zu laffen, troß ber’ brillanten Erbſchaft.“

Zeifig fühlte die Wahrheit dieſer Worte, doch war er viel zu loyal, um feine Beiftimmung laut werben zu laffen. Ä |

„Nie find diplomatiihe Perjonen jo gegen alles Völkerrecht behandelt worden,” fuhr der Magdeburger mit gefteigertem Ingrimm fort, .,‚eine ganze Geſandt— Ihaft dem Hungertode Preis zu geben, es ift him— melſchreiend!“

Der Actuarius ſchwieg und ſeufzte.

Lagemann hielt denſelben jetzt für reif, einen An— griff auf deſſen Rechtlichkeit zu wagen.

„Unter bewandten Umſtänden,“ ſprach er, „gebeut die eiſerne Nothwendigkeit, daß wir uns ſelbſt Recht ſchaffen.“

Zeiſig ſchrak zuſammen und lauſchte Fra? wo

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fein Attaché mit dieſen gefährlichen Reden hinaus- wolle.

‚Wenn alle Stränge reißen ‚“ erklärte der Hotelier, „ſchlagen wir der golpnen Beſtie den Kopf ab oder den Schwanz, verkeilen die Maſſe und ftillen unjern Hunger. Das Rathscollegium mag fih mit dem Rumpfe begnügen.”

Sih am anvertrauten Gute zu Ivergreifen, mar dem Actuar eines der außerorventlichiten Verbrechen, und er verhehlte feine Averfion gegen vergleichen Ge— finnungen dem Wirthe zur Stadt Magdeburg nicht. Diefer kümmerte ſich aber wenig um die Zeifig’Iche Averfion und fuchte dem revlihen Manne zu bewei- fen, daß Noth Eifen bredhe, wie viel weniger menſch⸗ lihe Satungen. Uebrigens verlöre europäiſche Ge- feßgebung in fremden Zonen ihre Kraft.

Die Lagemann’fche Dialectif wollte indeß bei dem ehrlichen Actuar nicht anſchlagen. Er blieb feit bei feiner Ehrfurcht Hinfichtlidy anvertrauten Gutes. „Das vefpective Krokodill,“ behauptete er mit vieler Beharr- lichkeit, „müſſe unverlegt an allen feinen Theilen einem hochweiſen Rathe von Niederroßla überantwor- tet werden.”

„Aber Sie haben doch,“ warf Lagemann ei, „als Senatömitglied jo gut Antheil am Krokodill wie die andern. Wenn Sie fih alfo ein Stüf in Er- mangelung andrer Subfivien abjchlagen und verfref= fen, geht’8 ja von dem Ihrigen.“

„Wenn ſchon,“ meinte Zeifig, „aber ih will mid eher felbft aneſſen, als die Integrität des mir anver- trauten Gutes verlegen.”

Da Lagemann fah, daß dem gemiffenhaften Be— amten nicht beizufommen fei, ftand er von jeinen Derfuhungen und Angriffen vor der Hand ab. Er

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wollte paflendere Gelegenheit abwarten und hoffte da= her viel vom erften Seeſturm, wo er dem Gewiſſen des äÄngftlichen Zeiſig's einen Träftigern Schlag bei- zubringen vermteinte. | Ein weit ruhigere® und behaglicheres Dafein als der Hotelier führte Hanno in Hamburg. Der größte Theil der Lagemann’fchen Ducaten ftaf kunſtreich ver= wahrt in einem ledernen Gürtel, welchen er Tag und Naht um feinen Leib trug. Er hatte fich lange nicht fo wohlhabend und forgenfret gefühlt wie dermalen. In der Heimath fonnte er e8 nie zu Etwas bringen, er hatte daher an ihr nichts zu verlieren; vielleicht daß ihm fein Glück im Morgenlanve blühte, Ob er mit dem erhobenen Erbtheile der Frau Urfula nad) Niederroßla zurüdfehren oder mit diefev Summe durchgehen und fih in Hindoſtan habilitiren und eine reihe Nabobtochter heirathen folle, darüber war er wit fih noch nicht vollfommen im Klaren. Vor der Hand ließ er die Zukunft auf fich beruhen und genoß der freundlichen Gegenwart.

Betterlein’8 Beſchäftigung war ungemein amüjan- ter. Er Hatte ſich vom Wirthe einen Stadtplan ge- liehen, mit deſſen Hülfe er das Ctraßenlabyrinth durchzog. Sobald er irre ward, z0g er den Grund— riß aus der Taſche, trat in die erfte befte Hausflur und orientirte fich.

Sehr ſchlimm erging e8 ihm in Altona. Im einem öffentlichen Garten, ber nicht eben von dem gewählteften Publitum beſucht wurde, wo aber bie Preife für Speifen und Getränke jehr billig geftellt waren, jah Vetterlein eine Tages dem Kegelfchieben zu: Als großer Freund diefes Spiels nahmen die hier üblichen hohen Kegel und colofjalen Kugeln feine volle Aufmerkſamkeit in Anſpruch und ed wandelte

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ihm die Luft an, an einer Parthie Theil zu nehnten, . damit er dereinfl in der Heimath erzählen könne, auch mit Hanfenten Kegel gefehoben zu haben. ‘Der- gleichen Reifexbenteuern war ex fehr zugethan. Bet- terlein erfundigte fich demnach bei einem Individuum, das gleichfalls ver Kegelei zufchaute, zu welchem Preiſe Das Spiel bier gejhoben würde und ob e8 wohl er- laubt fei, Antheil zu nehmen? Wußte es nun der Angerevete nicht bejjer oder wollte er dem Frager, weil dieſer ſich jo amgelegentlih nad) dem “reife des Spiels erfundigte, einen Heinen Schabernad fpielen, furz er gab zur Antwort, daß bier das Kegelgeld die Sauptfadhe ſei.

„Das kann den Kopf nicht koſten,“ dachte Vetter— lein bei fih, und überrechnete in Gedanken den Preis des Parthiegeldes in Niederroßla. Zugleich ward hier⸗ durch jeine Luft mitzufchieben fo groß, daß er dem Haufen der Kegelanten immer näher trat und auf Be- fragen eines ver legtern, ob er Antheil nehmen wolle, feine Zuftimmung gem ertheilte.

Das Spiel begann, gewährte aber Jedermann mehr Vergnügen, als unferm Quartus, deſſen Fleine Figur zu den ungeheuern Kugeln in gar feinem Ver— hältniffe ftand. Um nur einen foldhen zwölfzolligen Globus in die Höhe zu ‚heben, bevurfte Betterlein jeiner gejanımten zwei Arme, was den athletifchen Hanjeaten, weldye jfämmtlih ver arbeitenden Klaſſe angehörten, pojfirlih vorfam. Der Erfolg feines Schiebens war feiner Kraftlofigkeit vollkommen ange « meſſen. Die matte Kugel erreihte nur mit Mühe ihr Ziel und war jelten im Stande, ein oder zwei Kegel umzuwerfen, während die übrigen Mitjpielenden em Honneur nad dem andern jchoben. Die Spiel: art brachte e8 mit fih, dag der Mann vier Kugeln

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unmittelbar hinter einander zu fehieben hatte. Bereits bei der zweiten jchwitte Vetterlein wie ein Hammel- braten und bei der vierten, die in der Regel nie ihr Ziel erreichte, war er halb tobt.

„Es ift mein Glück,“ dachte er bei ſich, „daß es blo8 um's Parthiegeld geht, dieſes werd’ ich aber lei- der diesmal wohl bezahlen müſſen. Wer heißt mid mitſchieben. Ein folder Plack beim Kegeln ift mir noch gar nicht worgefommen. In Nieverroßla koſtet bie Parthie acht Pfennige, bei dieſen vierundzwanzig- pfündigen Kugeln kann fie leicht auf zwei Schillinge fommen. , Ein eben fo theures wie ſaures Bergnügen. Dafür kann ich aber auch dereinſt erzählen, mit ächten Hamburger Söhnen Kegel geſchoben zu haben.“

Das Spiel mwährte ziemlich lange. Vetterlein, welcher bald feine Arme nicht mehr fühlte, befam es höchlich überdrüßig. Endlich ging's zu Ende. Der Rechnungsführer zog über die ſchwarze Tafel einen energiſchen Strich und ſummirte den gegenſeitigen Verluſt und Gewinn. Am Uebelſten kam Vetterlein hinweg. Er hatte netto neunzig Point verloren. Als er gewahrte, wie die verlierenden Mitſpieler nach Gelde ſuchten, zog er auch ſeufzend ſeinen Beutel und zum Tafelrechner hervortretend, frug er, wie hoch ſich ſein Beitrag zum Parthiegelde belaufe?

„Das Kegelgeld,“ erwiederte der Gefragte, „haben die Gewinnenden zu tragen.“

Fil dachte der Quartus, „iſt das eine verkehrte Welt,“ und er frug ſchmunzelnd, „demnach hätt' ich nichts zu entrichten ?“

„O ja,” fuhr ver Andre fort, „Sie ftehen juft hod an der Kreide. Sehen Sie hier neunzig Point, den Point zu einem halben Schilling, beträgt fünf: und vierzig Schillinge.“

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„Ach, Sie ſcherzen,“ verſetzte Vetterlein, welcher wirklich glaubte, Jener treibe ſeinen Spaß mit ihm.

„Uebrigens kommen Sie noch billig hinweg,“ tröſtete der Anſchreiber, „in Betracht Ihres Malheurs haben wir das kleine Spiel geſchoben.“

Vetterlein, nachdem er mit Zähneklappern inne geworden, daß es ſich hier wirklich um fünfundvierzig Schillinge handle, die er zu bezahlen habe, wünſchte nichts mehr, als die Kunſt zu befigen, ſich unſichtbar zu machen. Da ihm aber für dieſe ſo wohlthätige Operation der unentbehrliche Zauberring mangelte, ſo wollte er mit dem Tafelrechner in Unterhandlung treten und einen billigen Accord abſchließen. Er bot fünf Schillinge und gab zu bedenken, daß er als Fremder die hohe Spieltare nicht gekannt und in der Meinung geftanden, es gehe blos um's Parthie- geld. Mit fünf Schillingen glaube er fein Mitfchie- ben honnet genug bezahlt zu haben.

Der Rechnungsführer flüfterte jet einigen ber Mitipielenden ein paar Worte ın’8 Ohr, die aber zum Schrecken Betterlein’®, weldyer den Bewegungen Des Eontroleurd Angftlih folgte, niht gut aufgenommen wurden. Plötzlich entftannd ein Gemurmel und eine rohe Stimme, die einem Matrofen, einem der Haupt- gewinner, angehörte, rief laut und vernehmlidh: „Wenn der Hund nicht bezahlt, fol er feinen ganzen Knochen nad) Haufe bringen.‘

Der entſetzte Vetterlein zweifelte feinen Augenblid, daß unter der erwähnten Thierart Niemand anders als er zu verftehen fei. Fieberfroſt durchſchauerte fein bedrohtes Gebein, und da ihm die Unverlegtheit feines kleinen Körpers doch lieber war als die fünf- undvierzig Schillinge, jo zahlte er diefe enorme Sum— me, wofür er in Niederroßla einen ganzen Sommer

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Kegel fchieben konnte, und verkeß die theure und gefährliche Wirthſchaft fo fchnell, als ihn feine klei— . nen Beinden zu tragen vermocdten. Er hatte ob der ausgeftandenen Angft dermaßen ven Kopf verloren, daß er wiederholt den Grundriß aus der Tafche zie- ben mußte, um ſich nah Haufe zu finden. Yugleich gelobte er ſich mit einem hochheiligen Eide, bevor er niht nach Niederroßla zurüdgefehrt fei, nie wieder eine Segelfugel anzurühren.

Auf eine ganz andre Art als die Uebrigen ver= | brachte der lange blonde Factor feine Zeit in Ham— burg. Er wahr in eine Liebfchaft mit feinem Man- farden vis-a-vis verwidelt und fpielte den ſchmach— tenden Schäfer mit aller Zartheit eines idealiſch Lie— denden. Wenn dem Schwärmer das heiß erjehnte Glück wirklic) zu Theil geworben wäre, den Gegen— ftand feiner Verehrung in die Nähe zu betrachten, fo ift kaum zu bezweifeln, daß fein Liebeswahnfinn einige Abkühlung erlitten haben würde. Die Ange— betete, eine PBojamentirerstochter, die fih vom Locken— verfertigen ernährte, ftand bereit im vierten Jahr— zehnt, war podennarbig und alles mögliche: außer hübſch. Die verkebten Demonftrationen des unver- hoffte Anbeter8 wurden von ihr nur zu bald be— merkt und es warb ihr ganz wunverbar zu Muthe, in ihrem Lebensfommer nod die lang vermißte Lie— besfonne aufgehen zu ſehen. Für ihre Umſtände fonnte fie feinen beſſern Berehrer finden, als den bünnhaarigen blonden Factor, welcher zu feinem und ihrem Glüde ziemlich ſchlecht ſah. Auh ihr Fam Süßmilch alsbald verflärt und ivealifch vor.

Daß das Glück der Menſchen hauptſächlich in ber Idee, in der Einbilvdung beruht, fehen wir an dem Nieverrofilaer Factor und der Hamburger Pofamen-

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tirertochter. Beide waren felig und machten den- erften Curſus der Liebe in al’ ven Kleinen roſenrothen Atomen und Überzuderten Brojamen durch, wie zwan- jig Jahre jüngere Leute. Eine ideale Liebe braucht erjtaunlich wenig zu ihrem Leben und Gebeihen. Ein Rouleauaufziehen, ein Fenfteraufmachen, ein Blumen-' topf, das find für fie alles Dinge und erotifche Tele- graphen von der höchften Wichtigfeit. Auch zwifchen dem Factor und feinem vierzigjährigen Gegenüber entſpann fich ein foldhes ſymboliſches Kreuzfeuer. Die Lodenfabrifantin ftellte einige Blumenftöde an's Fen— fter, welche fie häufig zu begießen pflegte, wobei fie fi) mit Sentimentalität gebervete.e Dem Factor ent- gingen nun ob feines kurzen Geſichts zwar die fei= nern Nuancen diefer weiblichen Kofetterie, aber fein verliebter Inſtinct witterte Doch fo viel, daß das fleigige Blumenbegießen feinen abjonverlichen Hafen habe. Der wonnige Gedanke, daß er wohl jelbjt ver Hafen fei, fihraubte feine Liebe und Seligkeit zur aufßerorventlihen Höhe.

Hiermit hätte ſich Süßmilch, wenn er gefcheut ge- wejen wäre, begnügen follen, aber ein Berliebter ift nie ganz gejhent. Der Factor ging weiter und legte fid), wahrjcheinlid” aus Nahahmungstrieb, gleichfalls auf die Gärtnerei. Dies hätte fein mögen, aber aud) hiermit war der blaffe Blondin nicht zufrieden. Die Liebe macht fühn und verwegen. Demzufolge ließ er ih Papier, Tinte und Feder geben und ſchrieb mit vieler Kunft und mit drei Zoll langen Buchftaben die beventungsvollen Worte: „Welch ein himmlifches Vergnügen iſt nicht Die Liebe!!!“ Die legten drei Ausrufungszeichen waren von einer wahren. riefigen Größe. Mit entzücktem Schauer las Aurikula, fo hieß vie Pofamentirertochter, die großartige Fractur

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des verliebten. Factors, und fie befhloß, das ſuße Bekenntniß nicht unerwiedert zu laſſen. Ein Stock mit brennender Liebe, den ſie unmittelbar darauf vor das Fenſter ſchob, follte ſymboliſch andeuten, daß die Flammen der Liebe auch in ihrem ſchwachen Herzen gezündet hätten.

Süßmilch, der ſich hinter ſeinen Hortenſien wie ein Luchs gelagert hatte und mit verhaltenem Athem . auf den Erfolg lauſchte, den feine Fractur in der

Manſarde gegenüber bervorbringen würde, war außer fih vor Entzüden, als er die urplöglihe Blumenaus- ftelung gewahrte, die mit feinem Papierzettel in zu auffallendem Rapporte ftand, als daß er biefelbe nicht hätte auf fich beziehen laffen. Nur aus der Blumen- art ſabſt konnte er wegen feiner Kurzfichtigfeit nicht ganz Hug werden. Bald ſchienen e8 ihm Roſen, bald Levkoien. Er mußte hierüber in's Klare kommen, dies ftand feft; der Gegenſtand war von zu großer Wichtigkeit. Liebe macht erfinderifh. Er entjann fich, daß ver Wirth ein ziemlich langlaufiges papiernes Perfpectivo befige, vermittelft welchem er und ſeine Säfte oft die Schiffe im Hafen zu beobachten pfleg= ten. Nach viefem für Süßmilch's Zuſtände jo wohl- thätigen Inftrumente erwachte jett fein Berlangen. Der Factor Kletterte fofort ein Stockwerk tiefer nad ber allgemeinen Gaftftube, wo er wußte, daß ber Guder ein Stüd des Inventariums ausmade. Süß- mild) entdedte auch alsbald ven Gegenftand feiner Sehnſucht, welcher ihn in den Liebeshimmel einführen ſollte, und ftürzte wie ein Lämmergeier auf ven Ge— genftand feiner Begierde, und war im Nu damit verſchwunden.

Nie hat wohl ein Aſtronom ſein Obſervatorium mit größrer Glückſeligkeit beſtiegen, als der Factor

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das Manſardenſtübchen. Auf der Sternwarte anges langt, traf er fagleih Anftalten, dem Xelefcope vie jenige Richtung zu geben, um feine Benus in mög— lichſt vollem Lichte zu exrbliden. Damit aber feine aftronomishen Beſtrebungen gegenüber nicht bemerkt würden, faßte er ganz im Hintergrunde Poſto, wobei ihm die altertbümlihe durchbrochene Bauart des Ka— chelofens vortreffliche Dienſte Lleiftete.

Ausgerüſtet, alle Himmel zu ergründen, that er er jetzt mit wonneſchauerndem Herzen einen verhängniß⸗ vollen Blick durch das Rohr, das er, um ber Po— ſamentirertochter jo nah’ wie möglich zu Tommen, aus⸗ nehmend verlängert hatte. Aber wie ſehr ward ſeine Erwartung getäuſcht, als er in eine undurchdringliche Nacht ſchaute. Er guckte eine Zeit lang mit dem rechten, dann mit dem linken Auge, dann wieder mit dem rechten; immer dieſelbe eghptifche Finſterniß. Blind war er nicht, denn er ſah außerdem alle Ge— genftände,, alſo mußte der Fehler an dem Rohre lie gen. Süßmilch ſchob daſſelbe ein Stüd zujammen. Alles umfonft. Liebe und Noth machen indeß erfin= beriih. Der Factor ftellte jet genauere Forſchungen über vie Eigenthümlichkeiten feines Teleſcops an und war jo glüdlih, vie Urſache von deſſen gänzlicher Undurkhfichtigfeit zu ermitteln. Bor dem Dcularglafe nämlich befand fich ein Heiner Schieber, um daſſelbe vor dem einbringenden Staube zu ſchützen. Süß— mild knaupelte mit Behnrrlichkeit jo lange, bis ex bie Finſterniß bejeitigt. Jetzt begannen die Objervationen von Neuem; leider mit bemfelben jchlechten Crfolge iwie früher, Der Factor machte die Bemerkung, daR auh das untere Glas mit einem Schieber verjehen ſei. Auch dieſer warb endlich befeitigt, das Rohr fo weit wie möglid) ausgeſchoben und der entſcheidende

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Blick follte gefchehen. Neues Mißgeſchick; Süßmilch fhaute in ein Nebelmeer ; alle obfervirten Gegenftänbe floffen coloffal und chaotiſch durcheinander! Der neue -Herfchel hob und förderte jetzt mit Unermüdlichkeit, um das Inftrument feiner Gefichtsfraft conform zu ftellen. Seinen PBrobirftein bildete hierbei eine unfern befindliche Teuereffe. Endlich hatte er alle Hinver- niffe bejiegt und ver Weg zu feinem -Himmelreiche ftand offen. Es galt jegt nur, das rechte Tenfter unter den vielen gegenüberliegenden zu treffen. Süß— mild zitterte wor freudiger Haft. Das Rohr irrte unficher bin und wieder und haſchte endlich ein Yen- fter, welches es fefthielt. Aber weld ein Sturzbad für den glühenven Liebhaber! Sein Auge erblidte ganz deutlich ein altes ſcheußliches Weib, das jo eben ungefhent und im tiefiten Neglige ein Bedürfniß verrichtete, welches freilich Niemand anders für fie verrichten konnte.

Der Factor prallte ſchaudernd und ſchamhaft zu= rüd und begriff nicht, wie bie Unverfhämtheit einer Srauensperfon jo weit gehen könne. Er bedachte frei- lich nicht, daß jenes unerfreuliche Geſtirn nicht ahnen fonnte, ſich telefcopifh im feinem unauffchieblichen Geſchäft firirt zu fehen.

Süßmilh, durch dieſes abſchreckende Phänomen nachdenklich gemacht, entvedte endlich, daß er ein ganzes Stockwerk zu tief gerathen fe. Er beſchloß alfo vorfichtiger zu Werke zu gehen, vifirte abermals und mit Ruhe, jedoch ohne auf ein erwänfchteres Refultet zu ftoßen. Sein Rohr ertappte diesmal ein Fenſter, hinter weldem es gleichfalls nicht eben poetifh Herging. in übelausfehennes Individuum ftand im Begriff, fi einen Nafenpolnpen aus- Ihneiven zu laſſen. Als Vorkur war daffelbe gerade

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befhäftigt, einige Nafenbäver zu nehmen. Wie bei einem Wallfifche ftieg der Waflerftrahl aus dem Ge— ruchsorgan egıpor, worauf ſich der anwejende Chirurg anſchickte, das Uebel an der Wurzel anzufaflen. Süß: mild) wartete die Operation felbft nicht ab, fonvern lenkte den Sternguder abermals ſchaudernd abwärts.

Dur die zwei Behlfahrten war er übrigens weile geworden und richtete jein Geſchoß zum dritten Male jo glüdlih, daß er diesmal wirklich in's Schwarze traf, nämlih in das erfehnte Fenſter der Geliebten. Die brennende Liebe, welche weithin leuchtete, kündigte den Treffer an. Aber welches Mißgeſchick, eben als ber Factor im Begriffe ftand, in den Hintergrund jeines Himmelreih8 einzubringen, fenkte fich ein graues Gewölf herab, das aus Iinnenem Zeuge beftand und nichts anders als ein Rouleau war.

Süßmilh hatte in der That mit allen Hinder- niffen der Aftronomie zu kämpfen; denn nichts wirkt auf Beobachtungen nadıtheiliger, als eine graue Wand, weldje ven Himmel bevedt.

Der Factor gerietd in eine wahrhaft exaltirte Stimmung, ob dieſes neuen und völlig unerwarteten Malheurs. Seine Phantafie geriethb in Wallung, ob= ſchon das bei ihm felten ver Fall war; aber die Sadı- lage war ver Art, daß auch eine höchſt proſaiſche Natur fi hinter der grauen Wand Allerlei zu denken vermochte.

Endlih ſchnarrte das Kouleau wieder aufwärts und die Pofamentiertochter erſchien bei offenem Fen— fter nad) forgfältig geordneter Toilette in aller Pracht und Herrlichkeit.

Der Factor, welcher wie ein Luchs auf feine Beute lauerte, erſchrak ob des unverhofften Sonnenaufgang dermaßen, daß er mit dem Teleſcop wieder die Rich—

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tung verlor. Er fuhr gitternd eine lange Zeit um— her, bevor er der brennenden Liebe wieder habhaft wurde, worauf er aber ſogleich losſchoß und der An- gebeteten an den Hals fiel. Bei näherer Befichtigung fühlte fi) fein Eifer indeß auffallend ab. Er machte die Entvedung, daß er ſich geirrt habe, benn die Trauensperfon gegenüber entſprach keineswegs dem Ideal, das in feiner Phantafie Pofto gefaßt hatte. Obſchon dieſes alternde Geficht gleichfalls verſchwen— deriſch von Locken umwogt wurde, jo fonnte daſſelbe doch unmöglich dem ſtattlichen Lockenkopfe angehören, der die ganze Zeit daher ſein Herz in Affection ge— nommen hatte. Es war unbeftritten eine ältere Schweſter, oder, was dem Factor weit wahrfcheinlicher erichien, die Frau Mutter.

Dem aufmerkffamen Yactor mit feinem Teleſcop entging nicht die geringfte Bewegung der Frau Mut- ter und er fonnte fi oft eines mißbilligenden Kopf- ſchüttelns wicht erwehren. Sie gebervete fih ja wie ein achtzehnjährigs Mädchen. Er bevauerte fein

Seal, das ihm bei einer ſolchen gefallfüchtigen Mut-

ter feineswegs gut aufgehoben ſchien. Plötzlich ward's ihm aber außer'm Spaße. Wenn ihm nicht alles trog, jo warf die Frau Mutter verliebte Kußhändchen herüber ; zugleich befeftigte fie an die bremnenve Liebe einen Zettel, worauf der Factor ganz deutlich buchftabirte: Mein Herz [hlägt einzig nur für Did, fü- Ber Fremdling!

„Das Weib ift verrüdt,” ſprach Süßmilch ganz aufgebracht und ftellte fofort feine nicht eben beloh- nenden aftrongmifhen Beobachtungen ein. „Eine fo gewiffenlofe Mutter ift mir noch gar nicht vorgekom— men; die will mid der einzigen Tochter abtrünnig

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machen. O Sitten, Sitten, wie tief feid ihr hier und da geſunken!“ |

Wie oft auch der Yactor |päterhin mit dem Te— Iefcope feinen zeitherigen Himmel durdyftöberte, fo war er doch nie wieder fo glüdlih, fein Ideal ausfindig zu machen. Immer erfchaute er nur die Frau Mut- ter, deren Anblick und grobe Kofetterie ihm nachgerade höchſt verhaßt wurden, jo daß er endlich die Forichun- gen auf ſich beruhen Tief.

Als Victor und Gamaliel nad einem Ausfluge in den Hafen in ihr Gafthaus zurüdgefehrt waren, fanden fie eine ſchriftliche äußerſt verbindliche Einla- dung zum Mittagseffen in Eppendorf bei Herrn Sie— bede und Comp. vor. Aber niht blos die beiven Genannten waren geladen, dieſelbe Ehre wurde aud) dem übrigen Kabul'ſchen Erbperſonal zu Theil, wel- ches deshalb in faſt convulſiviſche Bewegung gerieth. Die Firma Siebede und Comp. war berühmt in ganz Hamburg und e8 galt für eine nicht geringe Aus— zeihnung, namentlich für Kleinftäbter wie Lagemann, Zeifig, Detterlen, Süßmilch und Hanno, in einem jo vornehmen Haufe zu Gaſte gezogen zu werben, obwohl letzterer fortwährend renommirte,\ bei Fürften und Grafen zu Mittag gefpeilt zu haben.

Die Hauptfrage des größten Theil der Geladenen betraf vor allen Dingen eine paſſende Garderobe. Faſt ſämmtliche Coſtüms der Niederroßlaer waren wohl auf eine ſtrapazirende Seereiſe, aber nicht für ein Erſcheinen in einem glänzenden Salon, wie der bei Siebecke und Comp. berechnet. Vetterlein hielt ſich noch für am Geborgenſten, denn er gedachte ſeines ſchwarzen Candidatenfracks, den er als weiſer Mann für alle Fälle ſeinem Felleiſen einverleibt hatte; Ga— maliel ward von Victor ſtattlich und geſchmackvoll

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ausjtaffirt; aber für bie Uebrigen ſtand's ſchlimm. Am Uebelften war unftreitig Zeiſig daran, welder einen hochweifen Kath von Nieverroßla repräſentiren jollte und deſſen Exteurieur duchaus nicht zum Beſten be- ftellt war. In feinem wafjerdichten Coftüm konnte er doch unmöglich bei Siebede und Comp. feine Aufs wartung machen, das ſah man allgemein ein, und gleichwohl erlaubten feine ſpärlichen Diäten, bei welchen auf Garderobengelder nicht im Geringſten Rückſicht genommen worden war, durchaus keine Ertraausgaben. Hanno, welcher in Garderobenangelegenheiten aus ſeiner Heldenlaufbahn her nicht ganz ohne Praxis war, ſchaffte endlich Rath. Er trieb einen Juden auf, welcher ein ganzes Bund ſchwarze Fracks von den verſchiedenſten Umfängen herbei hockte.

„In einem ſchwarzen Fracke,“ erklärte ver Helven- fpieler, „kommt man durch die ganze Welt. Auf die Beinkleiver kommt weniger an; der rad iſt Haupt- ſache, ohne ihn ift ein Auftreten in der Gefellichaft nicht denkbar. Ich babe ‚daher eine Parthie Diefes unentbehrlidden und unſchätzbaren Kleidungsſtücks in Entreprife genommen. Gegen ein angemeffenes Aegui- valent bin ich gern erbötig, Jedermänniglich zu befraden nnd nöthigenfall® auch fonft bei der Toilette behülflich zu fein. Kleider machen Leute, dieſes Sprüchwort ift in Kraft getreten, fobald der Engel Adam und Eva mit dem feurigen Schwerte aus dem Paradieſe ge- jagt hatte. In Hamburg und namentlih in fo einem vornehmen Haufe, wie Giebede und Comp. wird hauptſächlich darauf geſehn. Laſſet Euch das gefagt fein, bevenfet, daß die genannte Firma die Reiſegelber auszahlt und mit aller Aufmerkfamkeit will behandelt fein.”

Abſonderlich waren c8 die Testen Worte ber Stolle, ſämmtl. Schriften. XVIII. 3

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Hanno'ſchen Rede, welche ihren Eindruck nicht verfehlten. Lagemann lag außerordentlich viel daran, ſich bei Siebecke und Comp. in Gunſt zu ſetzen; denn wer konnte wiffen, fo er Das genannte Handelshaus nicht bei Gutem erhielt, ob Herr Siebede dann geneigt war, die Eeffion der Hanno'ſchen Erbquote anzuerkennen. Er machte baher einen verzweifelten Ausfall auf das Gewiſſen des Rathsactuars, damit dieſes auf Koften des Krofo- dills faſhionable Kleidung ſchaffe.

Zeiſig befand ſich in verzweifelter Lage; auf ber einen Seite hatte er den hartnäckigen Verſucher abzu= wehren, auf der andern ängftete ihn das ftandesgemäße Ericheinen bei Siebede.

Der Wirth zur Stadt Magdeburg verfehlte nicht, die Einbildungsfraft des Niederroßlaer Botſchafters durch Schreckbilder aller Art in Bangen und Angſt zu verſetzen.

„Wenn wir nicht weltbürgerlich coſtumirt bei Siebecke erſcheinen,“ ſprach er, „ſo riskiren wir das Aeußerſte. Der gewaltige Kaufmann hält's für Ver— nachläſſigung und Affront und iſt im Stande, uns

und einem hochweiſen Rathe die goldne Beſtie trotz

allen teſtamentariſchen Verfügungen vor der Naſe hin— weg zu ſchnappen. Seine Verbindungen mit Kabul ſind vehement. Er hat dort mehr zu ſagen, als der Teſtator, welcher überdies ein todter Mann iſt. Wir müſſen hier nothwendigerweiſe die Wurſt nach der Speckſeite werfen, und nobel auftreten, unſerer hohen Miſſion, jo wie deni großen Renommé Herrn Siebecke's würdig. Ein abgetragener Frack reicht hier nicht aus, ein Mittagseſſen bei Siebecke verlangt mehr.“

Kleinlaut erkundigte ſich Zeiſig, was wohl Alles benöthigt ſei und wie hoch ſich ver desfallſige Koften- betrag belaufen möge.

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„Brad, Hofe, Gilet, Kaftor,” rechnete Lagemann, „Summa Summarum vierzig Neichsthaler; darunter getraue ich mir's nicht herzuſtellen.“

Zeiſig ſchauderte. Der Hotelier fuhr fort:

„Eigentlih fellten wir zwei als Diplomaten aud) noch in ſchwarzſeidenen Strümpfen und Schuhen, lestere wo möglich mit goldenen Schnallen, erſcheinen; die Diplomatie trampelt nicht in Cuiraſſierſtiefeln ein- ber, ſondern tritt fein leife auf, faum hörbar; aber ich hoffe, daß e8 Herr Siebede als aufgeflärter Mann fd fireng nicht nehmen wird. -

Zeifig wußte feinem Leibe feinen Rath. Lagemann that ven Vorſchlag, die benöthigte Summe vorzufchießen, wenn der Actuar als Entihädigungsquantum dem Krofodille ein Bein abjhlagen wolle.“

Bei Zeifig empörte ſich alles Rechtsgefühl ob dieſes Vorſchlags; er wies daher Lagemann's Zumuthung trotz ſeiner bedrängten Lage entſchieden zurück.

„Ich begreife aber nicht,“ ſprach der Attache, „was Euch eine Pfote ſo an's Herz gewachſen iſt; das Beeſt behält ja immer noch deren genug.‘

„Aber, mein Gott,’ erwiederte Zeifig, ängftlich und weinerlich, „ſie find nun einmal daran; wer fann dafür und Trevel wäre e8, nur eine Klaue zu ent⸗ wenden.“

„Wenn aber durch den Verluſt einer einzigen Pfote das geſammte Ungeheuer zu retten iſt, wie im gegenwärtigen Falle,“ gegenredete Lagemann; „ſchneidet man doch dem Menſchen Arm und Beine ab, um Kopf und Rumpf zu erhalten, welch letztere doch immer die Hauptſachen bleiben.‘

Trotz diefer politifch-mebicinifchen Beweisführungen wollte der gewiflenhafte Zeifig von einer Operation

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des Krokodills im Lagemann'ſchen Sinne noch immer nichts wiſſen.

Der Magdeburger, im Geiſte fortwährend ſpecu⸗ lirend, ſchlug dem Nieverroßlaer Charge d'Affaires einen andern Ausweg vor. Er verfprac fi und den Actuar hoffähig zu machen und aus dem beiten Kleider⸗ magazin zu equipiven, ‚wem ihm dieſer einen Theil feiner Krokodillquote abtrete. Zeiſig, von ber Noth getrieben, zeigte ſich diefem Vorſchlage nicht ganz ab- geneigt, worauf Lagemann ohne eine Definitiverflärung des Nieverroßlaer Geſandten abzuwarten, unmittelbar nad) ver zumächft gelegenen Kleiverhandlung eilte, von wo er alsbald beladen zurückkehrte. Er vechnete, daß wenn er Zeifig die Kleider nur erſt anprobirt habe, biefer nicht mehr zurück könne und daß er alsdann feine Beringungen nad) Belieben ftellen könne. So geſchah's auch. Lagemann Kleivete den Actuar eigen- händig und mit vieler Dienftbeflifienheit an und gab auf die fortwährenden Anfragen, wie viel er (Zeifig) von feinem Krokodillantheile ikm abtreten folle, die allezeit ausmeichende Antwort: „Das findet fich, guter Actuar.“

Nachdem der Lettere durch Lagemann's unglanb- liche Behendigkeit fo plötzlich volllommen metamorpho- firt daftand und der ſchlaue Magdeburger nicht er- mangelte, in wahrem Hymenton das magnifigue Ex— terieur de3 Herrn Actuar zum Himmel zu erheben, fo erwachte endlich auch in Zeifig der alte Adam, ver Actuar ward eitel. Lagemann fchleppte in der Eile alle Spiegel zufanmen, die er aufzutreiben vermochte, und fein Lob des neuen Gewands erreichte eine ercen= trifehe Höhe.

Zeifig wandelte nicht ohne GSelbitgefälligfeit vor den vortheilhaft geftellten Spiegeln auf und ab; er

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erkannte die große Wahrheit, daß Kleider Leute machen, in vollem Umfange an. Namentlid) war e8 der une meßlihe Bufenftreif, der wie ein Schneegebirge auf feiner Bruft empor ftieg, welcher fich feines bejonvern Wohlgefallens zu erfreuen hatte. . |

„Koh nie ſah ich einen jchönern Mann,” fuhr Lagemann, ben Actuar fortwährenn vom Kopf bie zum Fuße mufternd und bier unb da die legte Hand anlegend, lobpreiſend fort; „ned nie war ein Diplomat vortheilhafter coftümirt. Den will ich fehen, ber vor diefen majeftätifchen Frackſchößen, vor dieſer geblumten Weite, vor diefem Matador aller Bufenftreifen nicht in tieffter Ehrfurcht erftarrt und in ſprachloſer Bewun- derung aufſchaut.“

Je wohlthuenver Zeifig dieſe Hyperbeln berührten, um fo mehr fühlte fi) der Actuar angetrieben, nad) dem ungeführen Preife ber trefflihen Kleivung von Neuem zu fragen; aber Lagemann ließ ihm nicht zu Worte fommen und fuhr fort:

„Ich bin feft überzeugt, daß wenn Ihr in dieſem Coftüm Eure Aufwertung dem Beherrſcher von Kabul zu machen nicht verabjäumet, dieſer das ganze Teſta— ment zu Euren Gunften über den Haufen wirft. Laßt Euch umarmen, gefegneter Actuar, als alleiniger Krofodillarius; ich Kenne dann Euer Herz, melces fid) erinnern wird, wem es biefes Glück zunächſt zu danken.“ |

Der gewiflenhafte Zeifig, welchem ſchon Augft ward, er könne durch feinen Kleiwerlurus feinen Collegen das Erbtheil ſchmälern, ſprach die beruhigende Ueberzeugung aus, daß ſich ſeine Majeftät won Kabul, durch bloße Aenferlichfeiten in feinem Gerechtigfeitsfinne nicht werde irre machen laſſen.

„Aber wolltet Ihr wohl, lieber Lagemann, mir

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jet die Kaufſumme dieſes werthoollen Anzugs, bie Ihr einftweilen zu verlegen vie Güte habet, envlich notificiren —“

„Wenn ich nicht ganz genau wüßte,“ fuhr Lagemann, ohne auf Zeiſig's Anfrage im Geringften einzugehen, apologiftifch fort, „daß Ihr der Rathsactuar von Niederroßla wäret, ich‘ erfennte Euch nicht.“

„Ich liebe Ordnung und Bünktlichleit in ſolchen Dingen —“

„Ein englifher Lord muß fich verſtecken; dieſe edle Haltung, dieſe Tournure

„Es iſt um Lebens und Sterbens willen —” ..

„Siebede und Comp. find weg, wem Ihr morgen erfcheint; wenn ich Alles fo genau wüßte —“

„Ich hoffe, Ihr laßt Euch nicht unbillig finden

„su Hanno's Fracke wäret Ihr geliefert lebens, ein Grabebitter ift nicht® Dagegen. Ich muß mic feldft Toben ob ver glüdlichen Idee, Euch total zu metamorphofiren —“

„Bagatelle für die Erhabenheit der Idee und ven Habit obendrein, Ihr cedirt mir für hundert Ducaten Krokodillmaſſe; dann bezahl ich felbft noch das Trink— geld für ven Schneiverjungen, welcher die Kleider her- geſchafft hat.”

„Hundert Ducaten Krokodillmaſſe,“ hauchte der Actuar erfterbend, „guter Lagemann, Ihr beliebt zu ſcherzen!“

„Hundert Ducaten, was iſt das für einen Mann, ber ein ganzes GSechstheil von dem goldnen Mino- taurus ererbt; das find höchſtens ein paar Schuppen, gegen meine großartige Idee, Euch zu einem neuen Menfchen gemacht zu haben.‘

Der Actuar ſah dies ein, aber gleichwohl erſchien ihm die verlangte Summe zu enorm. Er ftand Schon

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im Begriff, auf ven ganzen Anzug zu verzichten, als Lagemann fortfuhr: KR —* —** daß Ihr in Euerer damaligen Garderobe den Zweck der Reiſe vollkommen verfehlt. Glaubt Ihr, daß die Bewohner Kabuls nicht ebenfalls Ambition beſitzen, daß ſie wollen honorirt ſein und auf Etiquelte und vorzüglich auf ſtandesgemäße Kleidung ſehen? Mir kann's gleich ſein, ob Ihr von meinem großmüthigen Darlehn Gebrauch machen wollt oder nicht, ich behalte mein Geld, und weiß was ich habe, beſſer iſt immer, ih habe, als ich hätte.‘ |

In Zeifig’d Innerm kämpfte e8 gewaltig. Die Befürchtung, ohne Lagemann's Habit nicht durch bie Belt zu kommen, ward immer gewifler, fo daß er endlich nicht umhin konnte, auf das wucheriſche Geſchäft einzugehen.

Seufzend ftellte Zeifig die Ceffion aus, die der undhriftlihe Attache fogleih feiner Brieftafche einver- leibte, wo bereit8 die Hanno'ſche Anweifung ſtak.

Am folgenden Tage fuhren Nachmittags drei Uhr zwei elegante Equipagen mit betregter Dieuerſchaft vor, welche Herrn Siebede und Comp. angehörten und bes jtimmt waren, das Kabulheer und den jungen Morand, der Herren Siebede bereits brieflich bekannt, zum Diner nach Eppendorf zu transportiren. Bevor die Nieder- roßlaer mit ihrer Toilette zu Stande gefommen, hatte ed einer enormen Zeit bevurft; der ganze Tag, von frühem Morgen an, war darauf gegangen.

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Dritt ePxapitet.

Der ‚Kauffahrteifahrer, welcher die Erbſchaar nad) Bombay überfchiffen follte, war ein Englänver und hieß der Habicht. Der Kapitain nannte ſich John Bovens, der Schiffsarzt Dr. Barring und der Ober- ftenermann Hobhouſe. Die Kajliten der Paſſagiere waren mit möglichiter Bequemlichkeit und felbft nicht ohne Luxus ausgeftattet. Siebecke und Comp. hatten alle Sorge getragen, den Niederroßlaern die Meerfahrt fo comfortabel wie möglich zu machen. | Es waren denjelben drei Kajüten eingeräumt, zwei kleinere und eine größere. Von letzterer nahmen der Factor, der Quartus und Hanno Beſitz, während ſich in die andern beiden Bictor und Gamaliel und Zeiſig mit feinem Attahe Lagemann theilten. Außerdem gab es noch einen Sakon, der zum gemeinfamen VBerjamnt- lungsorte, ſo wie zum Speifelocale diente. Einige ab- feit8liegende Paflagierfajüten ſtanden noch leer, von denen es hieß, daß ihre Bewohner erſt in Cuxhafen an Bord kommen würden. | Der Augenblid der Abfahrt rüdte immer näher; noch erhoben fid, die Thürme Hamburgs in ftolzer Majeſtät, noch ertönte ringsumher das geränfchoolle Leben des Hafens; ſämmtliche Nieverroßlaer, nachdem ihre Gepäck an Bord gebracht worben war, hatten fid) auf dem Verdecke verfammelt und fehauten ven An— ftalten zur Abreife zu, welde alle Matrojen in bie eilfertigfte Bewegung feste. Sie mußten fid) oft manchen Puff der Schiffsmannſchaft gefallen laſſen, wenn fie zu unvorfidhtig den mit Seilen, Segeln und Stangen befhäfttgten Arbeitern in den Weg famen.

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Namentlich weh Yagemann ununterbroden von der einen Seite des Verdecks zur andern gejagt, jo daß er fi endlich fluchend in die Kajüte flüchtete.

faß bereit Zeifig im höchſt niebergeichlagener Stim- mung. Ihm war äußerſt weichli zu Muthe, Das Heimweh begann. fi) feiner zu bemächtigen.

„Ach,“ feufzte er für fih, „fähe ich doch licher hinter meinen lieben Actentife auf dem Rathhauſe zu Nieberroßla, over nad überſtandener Erpebitions- zeit unter ven fühlen Schießhauslinven bei einem Kruge Dünnbier.“

In diefer trüben Gemüthsftimmung war e8 orbent- lich mohlthätig fir Zeifig, daß er in Lagemann einen Geſellſchafter bekam. E8 war wenigftens eine befannte Seele aus dem Nieberroflaer Friedensthale, obſchon der Attahe für feine Perjon nichts weniger als für den Frieden geftimmt war. Cr jchimpfte über alle Maßen auf die Mateofen, welche ihm fo übel mit- geipielt hatten und ſchwur, das Berbed nicht eher wieder zu betreten, als bis e8 von den groben Un— holden geräumt fei.

„Actuar,“ fuhr er nad einer Baufe fort, „wie wär's, wenn wir ein Fläſchchen jelbander ausjtächen ? Ihr ſcheint mir auch nicht ver heiterfte und der Wein erfreut des Menfchen Herz. Vielleicht, daß ich bie mannigfaltigen PBüffe, fo ich erhalten habe, und ben Aerger darüber hinunterjpäle. Actuar, gebt Euerm Herzen einen Stoß, bebenft, daß wir ſo jung nicht wieder zuſammen kommen.“

Zeiſig war, ſeine pecuniären Verhältniſſe in Ueber⸗ legung ziehen, im Geringſten nicht aufgelegt, auf Lagemann’8 Vorſchlag einzugehen ; auh war feine melandolifhe Stimmung für's Poculiren gar nicht geeignet; der Attacke ließ indeß nicht nad, fehaffte

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ſelbſt eine Flaſche Rothwein herbei ind die Gläſer gen an einander.

+ „Das Krofodill ſoll leben!“ ſprach er, fein Glas

an den Mund bringend; aber in vemjelben Augen-

blide ertönte ein Kanonenfhuß, welder das Signal

zur Abfahrt gab, worüber ver Attahe bermaßen

erſchrak, doß die Hälfte des Rothweins ſeiner Weſte

zu Gute kam.

Zeiſig, der ſehr an Kurzfichtigkeit litt, und wel- chen der Donner nicht weniger erſchreckt hatte, glaubte im erſten Augenblide, als er das purpurne Gilet Lagemann's gewahrte, derſelbe habe einen Blutſturz bekommen und ſchrie kläglich nach Hülfe. Das ener- giſche Fluchen des Begoſſenen belehrte ihn indeß, daß“ die Lebensgefahr des Magdeburgers nicht gar zu groß war.

„Wir wollen jetzt ein wenig friſche Luft ſchöpfen.“ ſprach Lagemann, nachdem er die Flaſche faſt allein ausgetrunken, „und uns umſchauen. Wir können gar nicht weit mehr vom Meere ſein.“

Der Actuar ſchauderte, wenn er an das Meer dachte, von welchem er ſchon aus früher Jugendzeit gehört zu haben ſich erinnerte, daß es keine Balken habe. Unterdeß wurden die Schwankungen des Schiffs immer beträchtlicher. Der Attaché, welcher ſich ſo eben auf dem Wege nah der Kajlitentreppe befand, und weldhem der Weindunft auch feinen fichern Halt- punft verlieh, verlor das Gleichgewicht und fiel birectement auf den Bauch, wo er im Anfange fi) der ſchrecklichen Anficht Hingab, es hab’ ihn der Schlag getroffen, weshalb er entfetlich zu lamentiren begann. Zeiſig, aufs Höchfte erfchroden und von Nädhftenliebe getrieben, wollte dem am Boden Liegenven zu Hülfe ſpringen, als er gleichfalls in's Schwanken gerieth und

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unvermögend, ſich auf Nen Füßen zu erhalten, auf feinen Attaché zu liegen kam.

„Mein Gott,“ ſeufzte Lagemann, „was fällt Euch ein und wie ſpielt Ihr einem Unglücklichen mit!“

„Ach,“ jammerte der zu oberſt Liegende, welcher ſchlechterdings nicht begreifen konnte, wie er fo un- verſehens zu Falle gekommen, „wir ſind gewiß ſchon auf dem hohen Meere und der Sturm iſt losgebrochen.“

„Das ift aber nicht möglih, wir findyıfa. kaum eine Stunde von Hamburg fort! Das müßte ja mit GSiebenmeilenftiefeln gegangen fein.”

„Es wird leider. nicht anders ſein,“ verſetzte Zeifig, der zitternd auf des Magdeburgers Leichnam. liegen blieb, ohne die geringfte Anftalt zu treffen, ſich wieder zu erheben.

„Aber fo fteht wenigftens auf, ih kann faum ein Glied rühren.“

„Das Schwanfen ift fo bedeutend,“ gegenrebete Zeifig, „daß man ſich auf eignen Füßen nicht zu er- halten vermag. Ä

„Das mag Alles fein, aber Ihr könnt mir doch nicht zumuthen, daß ich Euch zeitlebens ald Matratze diene?“

Der Actuar fah das Billige, das in dem Ver⸗ langen feines Attache’3 lag, volllommen ein. Er richtete ih alfo nicht ohne Mühe empor, und fam wieder auf feine Füße zu ftehen; doch kaum war ihm Dies gelungen, als ein abermaliger Stoß ihn von Neuem zu Fall brachte; er fiel auf feine Hände und bildete die Figur eines vierfüßigen Thieres. '

Lagemann, welcher fi untervep an allen Theilen feines Körpers betaftet und die erfreuliche Entdeckung gemacht hatte, daß er diesmal vom Schlage noch ver- ihont geblieben, ward fogleid wieder übermüthig. _

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Er erblickte Zeiſig in unm ibarer Nähe neben Rh und fprah: „Ihr ftürzt ja wie ein Nußſack einmal Aber das andere; ich begreife nicht, wie Ihr Kabul erreichen. wollt, fo Ihr ein Glas Wein nicht ver- tragen könnt.“

„Ih bin die Nüchternbeit ſelbſt ,“ betheuerte der Actuar, „wer kann für Seeſturm.“ „ab da Seeſturm,“ behauptete Yagemdun, „fein Lüfte rret ſich. Das müßte mit fonberbaren Dingen“ zugehen, wenn man micht aufrecht ftehen

könnte.“ |

Er richtete fich fofort mit Mühe empor, dody kaum glaubte er das Gleichgewicht gefunden zu haben, als ein abermaliger Ruck des Schiffs ihm in biejelbe Stellung warf, in welcher fi Zeiſig befand.

Der Actuar, welcher ven neuen Fall hörte, drehte den Kopf und erblidte feinen Attache gleichfall® auf allen Bieren poftirt.

„Es it keine Möglichleit, aufrecht zu ſtehen,“ ſprach Lagemann, „ſolche Stöße verträgt fein Menſch. Das wirft ein Vieh um.”

„Ih mein’3 auch,” erwiederte der Actuar.

„Wir wollen bis zur Stajütentreppe vorkriechen,“ Ihlug Lagemann vor, „vielleiht daß die von oben hereindringende Luft uns ſtärkt.“

Zeifig pflichtete Beifall und man trat auf Händen und Füßen fi) vorwärts bewegend die Wanderung an. Unterwegs ſprach der Attahe: „Eine Geereije ift doch mit großen Widermärtigfeiten verknüpft. Wer ' “weiß, wie e8 mit unjeren übrigen Landsleuten und Keifegefährten ſteht. Wenn die auf dem Verdecke geblieben find, hat fie der Sturm unfehlbar in's Meer geſchleudert. Es war ein guter Gedanke von mir, daß ih Euch zum Weintrinfen animirte. Ihr mwäret

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höchſt wahrſcheinlich gleichfalls hinaufgeklettert und läget im Meere. Wollet das bedenken, Actuar!“

Zeiſig war bemüht, das Gegentheil zu behaupten, aber Lagemann ließ ihn nicht zu Worte kommen.

„Mein Gott, ſchweigt!“ ſprach er, „es unterliegt feinem Zweifel, Ihr wäret längft über Bord, jo ich Euch nit durch Wein an die Kajüte gefeflelt. Ihr könnt mich getroft als den Erretter Eures Lebens be= trachten. Wollet das wohl beherzigen, Actuar!“

Unter dieſem Zwiegeſpräch waren die beiden Bier: füßler an der Treppe, welche nach dem Verdeck führte, wohlbehalten angelangt.

„Hier geht's hinauf,” ſprach der Attache, „Actuar, wie ift Euch?‘

„Gar nicht zum Beſten, ſeufzte dieſer, „wenn ich bedenke, daß ich bis nach Kabul ſo fortkriechen ſoll.“

„Das ſollt Ihr nicht,“ belehrte Lagemann, „der Menſch gewöhnt ſich mit der Zeit an Alles. Zuletzt iſt's ihm egal, ob er auf dem Lande oder Schiffe lebt.“

„Aber wir ſind ſchon zu bejahrt,“ gab Zeiſig mit Trauer zu bedenken, „als daß wir dergleichen Strapazen lange aushalten ſollten. Ich bin wie zerſchlagen und es iſt mir auch ſonſt gar nicht recht.“

„So?“ verſetzte Lagemann, „bei mir findet juſt das Gegentheil ſtatt, ich fühle Rieſenkraft in meinen Muskeln. Freilich, Ihr waret von jeher kein Held. Ich wünſche Niemand etwas Böſes, aber daß Ihr Kabul nicht erreicht, wenn ich Alles ſo gewiß wüßte —“

Zeiſig ſtieß bier einen außerordentlichen Seuf- zer aus.

„Es wäre daher nur eines weiſen Mannes würdig,“ fuhr Lagemann fort, „wenn Ihr für den Fall Eures

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Todes mir die Vollmacht ausftelltet, an Eurer Etatt das Krokodill zu erheben.

Dem Actuar warb bei dem fortwährenden Schwan- fen immer unmwohler. Es überfam ihm ein Gefühl, wie er nie empfunden zu haben ſich erinnerte. Schon vermochte er Feine Antwort mehr zu geben.

Lagemann, welcher aus Zeiſig's Schweigen ſchloß, daß dieſer hinfichtlicdy einer Vollmacht volllommen ein- verftanden fei, fuhr im dunkeln Sciffsraume fort, dem Nieverroßlaer Rathsbotſchafter leidenſchaftlich zu⸗ zuſetzen.

„Ihr verdient einen wahrhaften Gotteslohn, “ſprach er, „wenn Ihr ſo bald als möglich an's Werk geht, ich werde für Feder, Tinte und Papier ſorgen. Wir ſind Alle ſterblich

Der Actuar fühlte das Inhaltreiche dieſer letztern Worte nie inniger, als in ſeinem gegenwärtigen Zuſtande.

„Mod vor dem Mittagseſſen,“ fuhr ver Attaché fort, „wollen wir das Inſtrument auffegen.”

Der Gedanke an das Mittagseflen erfüllte den Actuar vollends mit Grauſen.

Lagemann, der im Stillen bereit berechnete, wie viele Prozente vom Krokodille ihm bei Zeifig’8 Ab— leben wohl zufallen könnten und ver fogar nicht übel Luft hatte, das ganze Ungethüm zu unterfchlagen und in feinem Nuten zu verwenden, warb auf eine höchſt merfwürdige Weife in feiner innern Speculation unter= brochen.

Am obern Eingange der Kajütentreppe zeigte ſich nämlich ein langer dunkler Gegenſtand, der plötzlich mit ſeltener Rapidität die Stufen herabfuhr und auf den ſpeculativen Lagemann zu reiten kam. Es war Niemand anders als der Factor Süßmilch, welcher

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e8 vermöge feiner langen Beine auf dem Ihaufelnder Verdeck nicht Länger auszuhalten vermochte und in dem unteren Schiffsraume Schug ſuchte. Zufällig rutſchte er auf der oberften Stufe aus, welches feine fo urplötzliche Hinabfahrt und feinen originellen Sit auf Lagemann's Rüden zur Folge hatte,

„Alle Wetter,‘ * letzterer, „welches Ungethüm reitet denn auf mir?“

Süßmilch, der trotz der curiofen und überrafchen- ven Fahrt nicht alle Beſinnung verloren hatte, er— wiederte: „Ich bin es.“

„Da weiß ich jo viel wie Zuvor,” meinte ber als .Rappe fungirende Lagemann.

„Der Factor Süßmilch,“ gab jet ber Reiter nähere Auskunft.

„Wer heißt Euch zun Teufel auf mir reiten ?“

„Die Allgewalt der Umftänbe, guter Lagemann, ih bin an der Herabfahrt fo wie an dem Ritte fo unſchuldig wie ein neugeboren Kind.“

„Aber nicht fo leicht wie folh ein Wurm, das ſpür' ich,“ replicirte Lagemann, „ich wette, Ihr habt mir Schaden gethan, das kann Euch theuer zu ftehen fommen. Wenn Ihr mich zum Krüppel geritten, lege ih jofort Beſchlag auf Euer Kabul'ſches Erbtheil.“

Der Factor erfchrat bei diefen Worten dermaßen, daß er wie verfteinert auf dem Magveburger ſitzen blieb. Dieſer fchrie verzweifelt:

„So fteigt zum Satan endlich von mir herunter! Bin ic denn verdammt, heut’ aller Welt zur Unter- lage zu dienen?“

Diefe energifchen Worte fattelten den Reiter ab. Lagemann fchöpfte frifchen Athem, als neues Unge— mad) von oben über ihn hereinbrah. in triefendes Gewand flog herab, welches ven Attaché total über«

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deckte, ſo daß er eine Zeit lang weder Etwas ſah noch hörte. Zu gleicher Zeit kam Hanno die Kajüten⸗ ſtiege fluchend herabgeklettert. Dieſer hatte bisher in ſeinem Carbonari gewickelt und maleriſch an die eine Bruſtwehr gelehnt allen Schwankungen des Schiffs kühnlich Trotz geboten. Er träumte ſich nämlich in die Stelle des Hannibal, wie dieſer, Italien, die Wiege ſeines Ruhms, verlaſſend, unter Verwünſchungen nach ſeinem Vaterlande zurückkehrte. Plötzlich ward aber feine Hannibalsrolle auf ziemlich unbequeme Art unter- drohen. Eine Welle ſchlug über Bord und weichte den Helvenfpieler bi8 auf die Haut eim. Dieſer fuchte jest in's Trockne zu fommen und flüchtete nad ver . Kajütenthür. Da die Stiege, melde von bier nad) den untern Räumen führte, zu ſchmal war, um mit dem Garbonari bequem binabfteigen zu können, fo warf er den Mantel voran. Dies war aljo das naſſe Gewand, welches Lagemanı auf eine Zeit lang Hören und Sehen benahm. ‘Der Helvenfpieler, welcher feinem vorangeflognen Mantel folgte, erhöhte die am Tuße der Kajütentreppe entjtandene Verwidelung um Dieles. Er griff im Dunkeln vor allen Dingen nad) feinem Carbonari, in welchem ſich aber der unglüd- liche Lagemann bereit3 dermaßen verfangen hatte, daß er von Hanno an einem Beine mit in die Höhe ge= zogen wurde. Der Attache fehrie Zetermordio, aber e8 Hang nur dumpf, weil dad Gewand den Schall dämpfte.

Der Helpdenfpieler, welcher im Anfang nicht anders vermeinte, als e8 wolle fi ein Anderer feines vecht- mäßigen Eigenthums bemächtigen, zerrte mit einer Vehemenz am Carbonari, daß er den wie in einem Zaubermantel verwidelten Magdeburger faft das rechte Bein ausrenkte. Letzterer begann jet zu brüllen,

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und Hanno ahnte den Yufammenhang. Er erkannte Lagemann’d Stimme und beichloß ſogleich, die präch— tige Gelegenheit nicht unbenutt zu laſſen, um an dem verhaßten Magdeburger einmal ungeftraft fein Müthchen zu Fühlen. Er gedachte der zahliofen De— müthigungen, bie er fid in Nieverroßla von der Hab- fuht Lagemann's hatte gefallen laſſen müfjen; wie mandyen Xerger und Groll er gezwungen gewefen ein- zufchluden. Diesmal fonnte er urkräftige Rache neh- men, denn ber Berhaßte lag wie in einen Knäuel gewidelt wehrlos zu feinen Füßen.

Der Helvenfpieler gab ſich alſo das Anfehen, als betradhte er den Eniballirten für einen Dieb feines Mantel, ohne zu ahnen, wer wohl darin fteden fünne. Demzufolge erhob er ein gräßlich Donner- wetter und ein wahrer Strom von Flüchen und Schimpfworten ging aus feinem Munde,: welche ſämmtlich gegen den Mantelinfajjen gerichtet waren und dieſem ben Untergang anfünveten. Zu gleicher Zeit begann von Seiten des Helvenfpielers ein merf- würdiges Kneten, Puffen und Stoßen, orventlid me- thodiſch wie in einem türkfchen Babe; denn glaubte Hanno mit der einen Seite fertig zu fein, wanbte er den bereit halbtodten Klumpen um und die Arbeit begann von neuem. Während deſſen entfloß folgende abgebrodyene und berechnete Rede feinem Munde: „Bart, Du verdammter Bootsknecht, ih will Dir Deinen Diebefinn austreiben! Es ift gut, daß man mid) vor Dir gewarnt hat. Wie, kaum hab’ id) Das Schiff betreten und ſchon wilft Du mid beftehlen? Ei, Du Hallunfe! Wart, fobald ih Di hinlänglid) gegerbt habe, überliefere ic) Di Deinem Herrn, dem Gapitain, welcher Di kielholen wird. Er iſt es

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Stolle, ſämmtl. Schriften. XVII. '

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meinen fämmtlihen Landsleuten und Reifegefährten Ihuldig, daß er an Dir ein Erempel ftatuirt.”

Lagemann vernahm im Anfang die von zahlrei= hen Puffen begleiteten Worte des Helvenfpielers und erfannte mit Entfegen, in weldem für ihn fo un= glüdlihen Irrthum Hanno fi) befand. Er ftrengte daher feine letzten Kräfte an, feinen Peiniger die Au— gen zu Öffnen und zu bemeifen, daß er nicht der bie- bifhe Bootsknecht, ſondern der Wirth zur Stadt Mag- deburg fei; aber ver Helvenfpieler war viel zu eifrig mit Prügeln beſchäftigt, als daß er auf die überbies höchſt unverftänplihen Reclamationen Lagemann's hätte Rückſicht nehmen ſollen. Er fuhr in ſeiner Loh— gerberarbeit unermüdlich fort und ließ von dem un— glücklichen Attaché nicht eher ab, als bis dieſer keinen Arm mehr zu rühren im Stande und ed im Innern. des Carbonari bedenklich fill geworben war.

„Ganz todt will ich ihn nicht ſchlagen,“ ſprach Hanno zu fih, „obihon es die Canaille vervient hätte; ih vernehme feinen Yaut mehr, er dürfte vor ber Hand genug haben.“

Mit viefen Gedanken begann er den Carbonari zu fohütteln, wo denn endlich der halbtodte Lagemann herausfiel. Der Gemißhandelte lag am Boden und rührte fich nicht.

„Jetzt fol Dich erſt der Capitain in's Gebet neh— men,“ ſprach Hanno, noch immer den Unwiſſenden ſpielend, „ich gehe ihn zu holen.“

Der Heldenſpieler entfernte ſich, aber nicht um John Bovens zu requiriren, ſondern um ſich nach einem Kruge Waſſer umzuſehen, denn ver Magdebur⸗ ger ſchien wirklich mehr todt als lebendig. Hanno kehrte alsbald mit einem mit Waſſer gefüllten Waſch—

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beden zurüd, welches er ohne Umftände dem Halb: ohnmädhtigen über den Kopf fıhüttete.

In Folge diefer hydropathiſchen Kur fehrte Lage- mann in’8 Leben zurüd, war aber nidht im Stande, ein. Glied zu rühren. Er ächzte und feufzte erbar— mungswürdig.

Der Factor, welcher lange nicht hatte in Erfahrung bringen können, welcher hölliſche Kobold über den unglücklichen Lagemann gekommen, denn er hatte in der Dunkelheit nur die ununterbrochenen Püffe und des Magdeburgers entſetzliches Lamento vernommen, wagt ſich jetzt, nachdem es ſtiller geworden, mit einer brennenden Laterne hervor, die er in feiner Rrivat- fajüte angezündet, und gewährte der tragifhen Scene eine eigenthümliche Beleuchtung.

Da lag ver unglüdlihe Lagemann, ausgeftredt auf dem Boden, fo lang er war, und ſchien won Gott und Welt nichts mehr willen zu wollen. Zeifig, be= reits von der Seekrankheit ergriffen, war in einen Winfel gefrohen und befand fi in einem eben fo verzweifelten Zuſtande. Unwohlfein und Todesangſt jchüttelten abwechjelnd fein Gebein. Sein Untergang war ihm noch niemals fo gewiß gemejen, wie diesmal. Entweder, dachte er ſchaudernd bei fih, du würgſt dich jelber zu Tode oder wirft gewürgt, wie gegen= wärtig der unglüdliche Yagemann, ver jo eben unter Mörverhand feufzte. Zeifig glaubte in allem Ernite, das Schiff wäre von Seeräubern erobert, welche nun maflacrirten nach Herzensluft.

Nachdem Süßmilch mit. der Laterne den Ort des Schredend näher beleuchtet hatte, ereignete fidh eine große Scene. Der Helvenfpieler machte nänilich Die Entvedung, daß er ftatt des biebifchen Bootsknechts Lagemann fo übel mitgefpielt hatte.

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„Was Teufel, Lagemann, fein Ihr's?“ rief ex im Tone des höchſten Erftaunens, „ih babe Euch wahrhaft für einen ‚ganz “andern gehalten. Ei, das thut mir leid, da jeid Ihr einmal vecht unſchuldig zu einer Tracht Schläge gekommen.‘

„Mörder, hauchte der Attaché erfterbenn und wandte den Kopf abwärts. Die Scene würde von hoher Tragik geweſen fein, wenn nicht in bemjelben Angenblide, als Lagemann das pathetiihe Wort „Mörder hauchte, beim Actuar im Winkel die See- frantheit zum Ausbruch gelommen wäre.

Bei dem neuen ſeltſamen Geräuſch, welches bie Zeiſig'ſchen Eruptionen hervorbrachten, hielt der Fac— tor die Laterne höher und man fonnte nun bie ganze Wahlſtatt überfchauen, auf welder die Geſandtſchaft des hochweifen Raths zu Niederrofla ausgejtredt lag.

Hanno legte jest ſelbſt Hand an, den halbtodten Wirth zur Stadt Magdeburg nad feiner Kajüte zu Ihaffen, aud) trug er Sorge, daß dem Actuar ber bei Seekrankheiten unentbehrlihe Napf gereicht wurde.

Während folhe Morpgefchichten im Innern des Schiffs fid) zutrugen, waren Victor und Gamaliel nicht vom Verdeck gekommen. Die Beiden fonnten ji) ‚nicht fatt fehen, wie die grünen Ufer immer wei— ter zurüdtraten, die Elbe ein meerartiges Anfehen gewann und die Wellen immer höher fchlugen. Die zahlveihen SKauffartheifahrer, melde ven günftigen Wind benugend, ebenfall® im Hamburger und Alto= naer Hafen die Anfer gelichtet hatten, gewährten ein herrliches Schauſpiel. Der Habicht überholte eine Drigg und einen Schooner nad) dem andern, jo daß er endlich die gefammte Hamburg Altonaer Flotte im Rücken hatte und alle Segel entfaltend, ftelz voran— rauſchte.

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Jetzt erſt, nachdem er fih ‚an der Spike aller anderen Schiffe Jah, ließ John Bovens mit Voltern und Commandiren nad; fein mürriſch Gefiht nahm eine zufriedene Miene an und die Hände auf dem Rücken und Die Cigarre im Munde fchaute ev nicht ohne Wohlbehagen, wie alle feine Herren Collegen hinter ihm zurüdblieben. Er ward jett auch gejprä= iger und war fo artig, den jungen Morand und Samaliel auf .eine Flaſche Conftantiawein in feine Kajüte einzuladen. Mit vielem Vergnügen nahnıen bie Öenannten die Einladung an und bald befand man ſich in dem geräumigen und außerorbentlid) com- fortabel eingerichteten Cabinete des Schiffführers, wo man au einem jauber fervirten Tiihe Plag nahm, welder an dem einen Kajütenfenfter angebradht war, und von wo nian einer freien Ausſicht über die uns geheure Wafferflähe genoß. Der Conftantia funfelte und duftete, und die fauber geichliffenen Gläſer klan— gen an einander auf das Wohl des gaftlichen Wirthe.

Sir John's Geliebte war die dampfende Punfch- bowle oder aud) eine ächte Havanna-Cigarre.

- Immer majeftätifcher ‚erhoben fid) draußen Die grünen Wellen. Der Himmel war trübe, von Zeit zu Zeit vernahm man von Verdecke her die Stimme des Oberbootsmanns, welcher ven in dem Tauwerke hangenden Matrofen Befehle zurief. Auf dem Ber- dee befand fi von den Exrbfahrern Niemand als Betterlein, der ſich fortwährend übte, mit feinen klei— nen Beinen von einer Bruftwehr zur andern zu lau: fen, um fih au die Schwankungen des Schiffs zu gewöhnen. Dabei plagte er fortwährend den Ober bootsmann, oder wer ihm in ven Weg fanı, um ven Namen dieſes oder jenes Orts, der fid) an den Ufern

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der Elbe zeigte, welche er forgfältig in feine Brief: taſche notirte.

„sn Sarhafen,” fprah Sir John unter Anderm, „werden wir eine ziemlich ſonderbare Geſellſchaft an Bord befommen, auf die ich wirklich neugierig bin; einen todten Braminen und deſſen lebendige Frau, die mit dem Yeichnam ihres wor Kurzem auf einer Reife durch Europa verflorbenen Ehemannes nad In- dien zurüd will, um venfelben vafeldft zu verbrennen und, wie man jagt, fich desgleichen, wie es der gute Ton bei den Hinpufrauen verlangt. Der Schugherr dieſes halblebendigen und halbtodten Ehepaars iſt ſeltſamerweiſe ein Türke, ein vertrauter Freund des

Verſtorbenen, welcher in der Gegend von Delhi ſeß— haft und den Braminen auf feinen Reiſen fortwährend begleitete. Die Dienerſchaft wiederum befteht aus zwei Negern ans Schegambien, Tohu und Bohu mit Na- men, So wenigitend befagt mein Schifferbuh. Zu— gleich wird darin anbefohlen, die Wittwe mit der möglichſten Aufmerkſamkeit zu behandeln, da fie einen enormen Weberfahrtspreis bezahlt hat; auch ſoll Herr Abdullah, jo heift der Moslem, die Frau feines ver- ftorbenen Freundes mit dem eiferfüchtigen Auge eines Liebhaber bewachen und in diefem Punkte durchaus keinen Spaß verftehen.‘

„Das kann eine höchft interefjante, aber aud) eben fo langmeilige Sache werden,” meinte Victor. „Wie angenehm es ifl, eine Meerfahrt in Gefellichaft einer interejfanten Dame zu machen, um-jo ennuyan- ter ift e8, wenn biefelbe bejtändig von Argusangen bewacht wird, jo daß man ihr nicht nahen darf.”

„Die Wittwe ift wohl. jehr ſchön?“ frug Ga— naliel.

„It mir dermalen noch völlig unbekannt,“ erwie—

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derte Sir John, „venn im Schifferbuche fteht nichts darüber. Auch bezweifle ih, ob wir darüber je in's Klare kommen dürften; fie wird wohl mehr als einen Schleier übergezogen haben, wenn fie fih ja einmal öffentlich jehen läßt.‘

„Wiſſen denn die übrigen Paflagiere,‘. erfundigte fih Bieter, „von den neuen Reifegefeliſchafternꝰ Es

. wäre wohl wünſchenswerth, fie gleichfalls über die r: . Eigenthümlichkeit dieſer Leute in Kenntniß zu ſetzen, 7. Bamit nicht etwa einer unferer guten Niederroßlaer - im Gefahr läuft, mit Herrn Abdullah feindlich zufam- men zu treffen.‘ |

„Ich bin fo eben im Begriff, die Herren darüber in Kenntniß zu ſetzen.“ Er begab fi, von Gamaliel und Victor gefolgt, nad der Salonfajüte Hier fah es ziemlich trübfelig aus. Hanno lag auf einem ber Divans lang ausgeftredt und ſchnarchte nach Herzens- luft, während der Yactor, ſich über alle Maßen lang- weilend, in einer gegenüber befindlichen Ede jaß. Mur Betterlein war auf den Füßen und damit befchäftigt, die Notizen, welche er über die zahlreihen Kirchthürme auf der Reife daher auf feine Pergamenttafel verzeich- net, vermittelft ſchwarzer Zinte in fein Tagebuch über- zutragen und zu verewigen.

Zeiſig und der Attache waren gar nicht anweſend. Sie befanden ſich in der bejammernswertheſten Lage in ihrer Separatkajüte, der erſtre mit den Wirkungen der Seekrankheit kämpfend, der andere an den zahl- reihen Püffen des Helvenfpielers Taborirend. Beide Hagten ſich von Zeit zu Zeit ihre Roth.

Die Ankunft des Capitains brachte etmas Leben in den Salon. Hanno warb gewedt, ber Factor fam aus feinem Winkel und Betterlein war ganz Ohr. Man vernahm mit vielem Intereffe die Mähr

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von der feltjamen Reiſegeſellſchaft. Sir John fchärfte - wiederholt die Berhaltungsmaßregeln ein, weldhe man gegen dieſe Aſiaten und Afrikaner zu beobachten habe und hob hauptſächlich das Verbot hervor, die Bra— minin auf irgend eine Art zu beläftigen, weil man fih) außerdem großer perfönliher Gefahr ausſetze, da die Eiferfuht der Türken eine bekannte Sache ſei. Zugleich erhielt der Factor den Auftrag, den Actuar

jo wie Lagemann mit dem Stande der Dinge bekannt

zu machen.

Betterlein betheuerte feierlich, daß er dem Herrn Abdullah Feine Veranlaſſung zur Eiferfuht geben werde; aud Süßmilch verſprach Mäßigung und Ent: haltſamkeit; nur bei Hanno war's nicht ganz richtig. Er nahm ſich feft wor, bei erfter Gelegenheit ver Braminin unter den Schleier zu guden und erklärte dies, nachdem ſich der Capitain entfernt hatte, laut.

Sehen muß ich ſie,“ ſprach er, „und wenn der Großſultan mit allen Muſelmännern Wache hielte; vielleicht läßt ſich ſelbſt ein intereſſanter Liebeshandel anſpinnen. Das wäre kein übler Zeitvertreib auf der Meerfahrt, die mir nachgrade ennuyant wird.“

Vetterlein und der Factor konnten die Courage des Heldenſpielers nicht genug bewundern.

„Nein,“ verſetzte Vetterlein, indem er ſich aus Süßmilch's Doſe eine Priſe nahm, „das wäre meine Paſſion nicht, mich mit ſolch' einem wildfremden Fraueuzimmer einzulaſſen. Man weiß da nie, wie weit man gehen ſoll, und wie leicht kann man mit dem eiferſüchtigen Türken in unangenehme Berührung kommen.“

„Vor mir hat die Braminin Ruhe,“ erklärte der Factor, „und wäre es die Prinzeſſin Turandot in

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hoher Perfon. Es ift mit ſolchen Leuten nicht gut Kirſchen eſſen.“

Hanno belächelte die kleinbürgerlichen Anſichten des Quartus und des Factors.

„Freilich,“ meinte er, „in der Liebe muß man etwas wagen. Che man ſich's verfieht, kann man den Dold des eiferfüchtigen Türken zwilchen ven

Rippen haben; doch darin befteht eben ver ſüße Reiz,

der Sauber.‘

„Wo bier der ſüße Reiz und Zauber zu ſuchen it,“ meinte Betterlein kopfſchüttelnd, „wenn man ſo unverſehens angebohrt wird, begreife ich ſchlechter— dings nicht.“

„Ich auch nicht,“ geſtand der Factor.

„Sancta simplicitas,“ lachte Hanno, „der Zauber ruht eben in der Gefahr; die ſüßeſten Früchte der Liebe gedeihen nur am Abgrunde, wo man ſie mit Gefahr des Lebens pflücken muß.“

„Das ſind überſpannte Anſichten,“ ſprach Suß⸗ milch.“

„Ja wohl, im höchſten Grade überſpannt,“ fügte der Quartus hinzu.

Dem Heldenſpieler, den es ärgerte, daß ſich die Proſa ſeiner beiden Erbcollegen zu feiner poetiſchen Anſchauung nicht zu erheben vermochte, ward ſehr abſprechend. |

„Mit folhen verwahrloften, unglüdlihen Geſchö— pfen, wie Ihr,“ verfeste er, „denen nie jener befeli= gende Slodenton, jo man Liebe nennt, erflungen, deren winterödes Herz nie won einem Strahle dieſer Weltenſonne erwärmt worden iſt, läßt ſich über einen ſo erhabenen Gegenſtand allerdings nicht disputiren.“

Vetterlein und Süßmilch, welche in Betracht des Mundwerks und Phraſenthums dem Heldenſpieler kei—

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neswegs gewachſen waren, ‚glaubten ſich gegen Han no's Imfinuationen nicht befjer revangiren zu können, ‚als wenn fie feine erotiſchen Abdfichten Auf die Bra— minin geradezu für unmoralifh und als dem Chri- ftenthum für zuwider erflärten. Vetterlein ging nod) weiter und citirte das alte Tejtament, wo Moſes ausdrücklich gefagt babe: a ſollſt nicht begehren a deines Nächſien Weib u. ſ. w.

Jett warb der Helvenjpieler freigeiſtiſch und lä⸗ chelte mitleidig. „Beſchränkte Schulanſichten,“ ſprach er, „was geht mich das alte und das neue Teſtament an! Die Vernunft, welche nicht am todten Buchſta— ben klebt, iſt mein Leitſtern. Die Vernunftreligion iſt die einzig wahre, und die ſagt mir andere Dinge, als in der Bibel ſtehen.“

Vetterlein und Süßmilch, beides ſtrenggläubige Chriſten, ſchauderten ob ſolcher frivolen Anſichten. Der Quartus ließ ſich's hauptſächlich angelegen ſein, dem Freigeiſt in's Gewiſſen zu reden. Er mahnte den Heldenſpieler an das Sterbeſtündlein und gab ſich viel Mühe, ihn zu bekehren. Hanno blieb indeß ſehr gefaßt und begann endlich zu gähnen.

„Was das Sterbeſtündlein anlangt,“ ſprach er, „jo muß man's abwarten, jvor der Hand will id mein Cchlafftündlein abhalten, in weldem mid) ber Capitain geftürt hat. Es geht nichts über Die Be— quemlichkeit.‘‘

Mit viefen Worten fehrte er zu feinem Kajüten— Divan zurüd, wo er ſich mit vielem Behagen fo lang als möglich ausjtredte.

Der Factor flüſterte dem Quartus achſelzuckend in's Ohr: „'s iſt ein Comödiant.“

„Wahr, wahr!“ ſeufzte Vetterlein.

Süßmilch begab ſich jetzt nach der diplomatiſchen

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Kajüte, wo die Nieverroßlaer Rathsgeſandtſchaft her- bergte, um ſich feines Auftrags wegen der Braminin zu entledigen. Bevor er eintrat, hatte fich zwifchen Lagemann, der wieder etwas zu fich gefommen, ob= fhon er fein Glied zu rühren vermochte, und Zei- fig, der fortwährend an der Seekrankheit Titt, fol- gendes Geſpräch entjponnen.

Lagemann. Actuar!

Keine Antwort.

Lagemann (nach einer Pauſe). Rathsactuar!

Zeifig (giebt nur durch einen Seufzer zu erkennen, daß er den Auf vernommeıt.)

Lagemann. Was hat denn eine weife Gejek- gebung für eine Strafe auf !venjenigen Verbrecher ge= jegt, der einen unfchuldigen Menſchen halb zu Tode pufft und ftögt? Denkt einmal nah, Actuar, und theilt mir Eure Anficht mit.

Zeifig (mit gepreßter Stimme, in verwidel- ter Fall.

Tagemann. Ich finde bier gar nichts Ver— wideltes. Das Verbrechen kann gar nicht Harer am Tage liegen. Was fteht für eine Strafe darauf?

Zeifig (ächzt und giebt Feine Antwort.)

Lagemann (nad einer Paufe, während welder er auf Antwort gewartet). Welche Strafe, Actuar? Denkt doch ein wenig nad)!

Zeifig (fortwährend ächzend).

Lagemann. Aus Euerm ewigen Geächze werd’ ih nicht Hug. Seid ein Mann!

Zeifig. Ih kann nidt.

Lagemann. Narrenspofien! Der Menſch vermag viel, wenn er will.

Zeifig. Ich nid!

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Lagemann. Iſt denn ein ähnlicher Tall in Eurer Praris nie vorgefommen ?

Zeifig. Wüßte nicht.

Tagemann. Belinnet Euch nur. Ich dächte, an Prügeleien zu Nieverroßla wäre nie Mangel ge= weſen, namentlich zur Kirmeßzeit.

Zeifig. Unterfchienliche Mal.

Lagemann. Alſo wie ſtrafte das Gericht den Miſſethäter?

Zeiſſig (vermag wegen einer abermals nahenden Ka— taftrophe der Seekrankheit feine Antwort zu geben.)

Tagemann. Das ift wahr, ein miferablerer Rechtsanwalt ift mir noch nicht vorgefommen. Ac— tuar, jo gebt doch Antwort! (Bei Zeifig fam fo eben die Rataftrophe zum Ausbruche und zwar auf ziemlich hör—⸗ bare Weile.)

Tagemann. Daß Gott, da geht’8 ſchon wieder 08. So mäßiget Euch doch zum Satan, Ihr bringt ja feinen ganzen Darm nad) Kabul.

Zeifig befand fi) nicht in den Umpftänden, daß er zu großen Replifen aufgelegt geweſen wäre. Er glaubte den Geift aufgeben zu müſſen. Die Welt war ihm nichts. Die Natur fette ihren Reinigungs— proceß fort.

„Ihr feid wirklich unerſchöpflich,“ verſetzte Lage— „mann, „ich begreife nicht, wo es herkommt. Ein aus— genommener Hering iſt nichts gegen Euch. Ihr ge— hört fürwahr zu den Naturſpielen.

Zeiſig, welchem für kurze Zeit etwas leichter um's Herz geworden war, geſtand in einem freien Augen— blicke, daß wenn die Krankheit nicht bald nachließe, er daraufginge. Solches Würgen halte er nicht län— ger aus.

Dem Attaché klangen dieſe Worte nicht unange⸗

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nehm. Er verfprah fih große PVortbeile, falls er allein das Krokodill in Empfang zu nehmen und nad) Nieverroßla zu transportiven habe. Er verwünjcte daher den Heldenſpieler in Die tief unterfte Hölle, weil ihn diefer in einen Zuſtand verfegt hatte, in welchem er verhindert war, von Zeiſig's Krankheit den mög— lichſten Nutzen zu ziehen.

„Wenn ich Euch nur den Kopf halten könnte, guter Actuar,“ Sprach der Attaché, „es ift Dies ein Liebespienft, den ich meinem Todfeinde, um wie viel weniger nicht Euch, leiſten würde. Ihr glaubt alſo wirklich, Diesmal nicht Davon zu kommen?“

„Es geht jetzt etwas befjer, meinte ver Actuar mit ſchwacher Stimme.

„Das it blos ſcheinbar,“ erwieverte Lagemann, „vie Winpftile vor dem Sturme, die der Himmel dem Menfchen aus feinem andern Grunde befcheert, als damit er in Ruhe fein Haus beftellen und feine legtwilligen Verfügungen treffen kann.“

„Ich fpüre aber wahrhafte Erleichterung, hielt der Actuar entgegen.

„Alles ſcheinbar,“ beharrte Lagemann. „Wie ſoll's denn mit Eurer Portion Krokodill gehalten werden, guter Actuar, für den al, wie zu erwarten fteht, Ihr das Zeitliche gefegnet? Ich fellte meinen, Diefes fünne mir, ald Eurem Erſatzmann, keineswegs entge- ben? Freilich wäre das Beſte, wenn Ihr Euch durch ein paar Zeilen damit einverftanvden erflärtet. Es würde große, fpätere Weitläufigkeiten erjparen. Wie meint Ihr nicht auch, guter Actuar?“

Der gute Actuar meinte aber vor der Hand gar nichts. Es bereitete fih in feinen Eingeweiden ein neuer Zornausbruch der Seekrankheit vor, welches ver Kranke mit Wehmuth inne ward.

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„Später ein Mehreres,“ hauchte er erfterbend und brachte feinen Kopf wieder in diejenige Yage, um ber Natur den Prozeß zu erleichtern.

„Denn ic) auf den Beinen wäre,” fpradh er für fih, „ſollte mir's gar nicht fchwer werden, ven halb— todten Zeifig zur Unterfchrift einer letztwilligen Ber- fügung zu vermögen. Der Mann kann abſtehen wie ein Karpfen.”

Der Attahe vaffte daher feine ganze Kraft zu= jammen und fhleppte fih auf Händen und Füßen zu einem Stuhle in der Ede, worauf Schreibzeug und Papier lag; er verfaßte in der Eile eine Abtretungs- urfunde und froh mit tiefer zum kranken Yeifig, ber bereit8 wieder zu würgen begann.

„Wenn er nur diesmal nody nicht darauf geht,“ dachte Lagemann, und tappte voller Barmherzigkeit nach Zeiſig's Kopfe, um ihn zu halten. Der Attaché warb indeß für dieſe Dienftleiftung von Seiten bes Actuars übel bevient. Letzterer, ob der unerivarteten Hülfe ordentlicd erfchroden, wandte raſch den Kopf, ſah feinen Helfer einige Augenblide mit jeltfam ver- zerrtem Gefiht an, und wenn Yagemann der Kaijer gewejen, er fonnte ihn nicht fchonen. Die Natur wirkte zu gewaltig.

Der Attahe, auf den Händen und Füßen über- haupt nicht taftfeit, fiel bei dem urfräftigen Schuife total über den Haufen wie ein wohlgetroffener Hirſch. Erſt nah einer ziemlichen Pauſe erholte er ſich wie- ber und begann entjeßlih zu fluchen. Mit großem Verdruſſe gemwahrte er, wie aud die Abtretungsur= funde verunrveinigt und. vollkommen unbrauhbar ge- worden war.

„Ihr fein ein Schw —, Actuar, das Ihr's wißt,“ ſuhr er grob heraus, „ich begreife überhaupt nicht,

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wie Ihr dieſe nieverträchtige Krankheit hierunten ab- halten fünnt. Das ftinft ja wie die Peltilenz; vie ganze Kajüte wird verpeftet, man kann vie Cholera befommen.”

Zeifig vernahm wenig von der Lagemann’schen Zornreve. Er war viel zu fehr mit fid) ſelbſt be= ſchäftigt.

Der Attaché ſuchte jetzt die Thüre zu gewinnen, um die Folgen des Zeiſig'ſchen unpoetiſchen Attentats von ſeinem Leichname zu entfernen, als zur rechten Zeit der Factor hereintrat, um die beiden Niederroß— laer Diplomaten binfihtlich der Braminin, des eifer- ſüchtigen Herrn Abdullah und der beiden Mohren, Tohu und Bohu, in Kenntniß zu fegen.

„Gott Lob,” ſprach Lagemann, als er des Fac— tor8 anfihtig wurde, „daß fi eine Mienfchenfeele bliden läßt in unferm Elend. Der Actuar iſt ganz caduc. In feiner Nähe ift fein Weilen mehr. Sorgt doc dafür, werthgeſchätzter Factor, daß ich ein Beden mit friſchem Waffer erhalte Ihr jeht, daß ih faum auf allen PVieren vorwärts kann.“

Süßmilch war viel zu chriſtlich gefinnt, als daß er den Wunjch des Attache’s nicht augenblidlich hätte erfüllen ſollen. Er kehrte in Kurzem mit einem Napf frifchen Waſſers zurüd.

„E8 wurde mir auch ſchon wiederholt unangenehm zu Muthe,” meinte er, „aber jo fchlimm wie Zeifig hat mir die Wafferfahrt nicht mitgefpielt.”

„Ich befände mic, fiher auch vollkommen wohl,“ erwiederte Lagemann, „meine Natur verträgt Etwas, aber die Hanno'ſche Behandlung würde bie burabelite Gonftitution zu Grunde richten.”

Der gewillenhafte Factor erkundigte ſich jekt, ob fih Zeiſig ſowohl wie fein Attahe in demjenigen

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geijtesfreien Zuſtande bejänden, um tie Mittheilung, fo er zu eröffnen habe, anhören zu können.

„Was meine Berfon anbelangt, erwiederte Lage— mann, „kann id Alles vernehmen; erzählt alio ge= troft, werther Factor, was Ihr auf vem Herzen habt, ih halte unterdeß meine Reinigung.”

Die Mittheilung Süßmilch's, namentlich als die— ſer auf die Braminin zu ſprechen kam, gewann für Lagemann ein ſolches Intereſſe, daß er wiederholt den Mund offen behielt.

„Hauptſächlich,“ fuhr der gewiſſenhafte Factor fort, „habt Ihr Euch zu hüten, ven Herrn Abpullah nicht Beranlafiung zur Eiferfucht zu geben, ver Herr Gapitain läßt Euch dies ausdrücklich jagen.”

Lagemann, defjen Geift fortwährend fpeculirte und ver fi ſchon al8 einen Begünftigten ver verfchleierten Braminin träumte, wobei er fih ein artiges Sümm— hen zu machen gedachte, erwiederte: „Aber, beiter Factor, wer fann für fein Herz. Wir find alle Men— jhen. Ich jeße den Fall, die Braminin faßt Paſſion zu einem ven ung?’

„Dann muß uns der Gedanke, daß wir Chrijten find,” erwiererte Süßmilch, „auf dem Pfade ver Tu— gend erhalten.“

„Das iſt bald gejagt,” meinte der Attache, „ich denke auch chriftlih, aber tie Ausführung iſt ſchwer.“

„Der Aublid des ſcharfgeſchliffenen Dolchs, wel- hen Abdullah ftets bei fich führt,‘ meinte Süßmilch, „dürfte ung gewiß vie Abwege verleiven, wenn es Religion und Glaube nicht thut. Auch follen, laut Sir John's Ausjage, die beiden Mohren Tohu und Bohu beſtens drefjirt fein, denjenigen ſofort zu wür— gen, ver es wagen wollte, feine Blicke zur Braminin zu erheben.“

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„Und diefe Frau,“ frug der Attaché ungläubig, „zeift mit dem Cadaver ihres todten Eheherrn nad) Dftindien, um fi dort in Gemeinſchaft mit ihm ver- brennen zu laſſen?“

5 ° „So verlangt e8 die Sitte der Hindufrauen, gab ver Factor zur Antwort.

„Und fie ift jung, liebenswürdig und reich?“ er- kundigte ſich Lagemann.

„So ſagt man,” verſetzte Süßmilch.

„Factor,“ rief der Attachè in Extaſe, „das dürfen wir nicht zugeben!“

„Aber wie wollen wir es denn hindern, wenn es einmal der unabänderliche Beſchluß der Frau iſt?“

„Factor,“ fuhr Lagemann immer aufgeregter fort, „das dürfen wir nicht zugeben, partout nicht zugeben, und ſollten wir die ſchöne Dame ſelbſt heirathen.“

„Wie ſelbſt heirathen?“ frug Süßmilch verwun- dert, „ſeid Ihr denn nicht ſchon im Beſitze einer Frau?“

„Leider,“ ſeufzte der Magdeburger und gedachte der gebornen Grümpler; „aber was thut man nicht, um Jemanden vom Flammentode zu erretten.“

Der Factor verhehlte ſeine gerechte Mißbilligung nicht, daß auch Hanno unchriſtliche Abſichten gegen die Braminin zu hegen ſcheine, welche Mittheilung Lage- mann ſehr unwirſch ſtimmte.

„Dieſer Belial,“ ſprach er zu ſich, „kommt mir überall in den Weg; die Glaſermeiſterin konnte auch einen geſcheutern Einfall haben, als dieſen Menſchen nach Kabul zu ſchicken. Daß er mir hinſichtlich der Braminin in die Quere kommt, ſeh' ich im Voraus. Wenn ich den Kerl nur unfhäblich machen könnte.“

Während Lagemann noch darüber naclann, auf

Stolle, ſämmtl. Schriften. ZVIN.

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weiche Weile letzteres zu beiwerfitelligen fei, ging Das Schiff im Hafen von Cuxhafen vor. Anfer.

ur

Viertes Kapitel.

Ungefahr ſeit acht Tagen befand ſich die Niederroßlaer Erbſchaar auf dem Meere. Die unerbittliche allge— waltige Seekrankheit hatte na und nad) das geſammte Perjonale dermaßen in Anſpruch genommen, daß man alles Andere darüber vergaß:

Die aſiatiſch⸗-afrikaniſche Reiſegeſellſchaft hielt ſich ihrerſeits eben fo zurückgezogen in ihrem abgeſchloſſenen Sciffsraume; die Niederroßlaer wurden die Anweſen⸗ heit derſelben kaum gewahr. Die Braminin jelbft hatte noch feiner, auch nur einen Augenblick lang, ge- ſehen. Sie war mitten in der Nacht auf's Schiff ge- bracht worden und hatte feitvem ihre Kajüte nicht ver- laſſen. Die lange Geftalt des Türken, jo wie bie Herren Tohu und Bohu wollte Betterlein zwar eines Abends in der Dämmerung auf dem Berbede haben auf» und abjpazieren fehen, eine weitere Auskunft über vie räthjelhaften Paſſagiere vermochte er aber nicht zu geben. Wo ver Kaften mit dem eingemachten tobten Draminen fland, wußte Niemand. Ä

Diefer lethargiſche Zuſtand, in melden ſich Das Erbheer befann, währte eine geraume Zeit. Gamaliel und Bictor, welche ben biätetifchen Vorſchriften, bie ihnen Doctor Barring hinſichtlich des Seeübels gege- ben hatte, genau nachgefommen waren, befanden: fid) am erften wieder auf den Füßen und erfreuten ſich

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weit eher ihrer Geſundheit, als die übrige Geſellſchaft. Namentlich hatte die Krankheit, was man nicht hätte glauben follen, den Fräftigen Heldenfpieler hart mitge- nommen. Er mußte fein zeitheriges wahrhaft fchwel- gerifches Leben und die zahliofen Diätfehler jehr theuer bezahlen, denn er lag weit länger barnieder als Die übrigen Leidensgenoſſen; ja die Seekrankheit ging bei ihm fogar in ein langwieriges Fieber über, das ihn ganzlidh an das Bett feffelte.

Nächſt Gamaliel und Victor war Lagemann troß des bereit auf der Elbe beftandenen Malheurs ver erfte, welcher wieder nıunter war: Das fortwährende Unwohlfein Hanno's trug wejentlic zu feiner Wieder- herftellung bei, denn die Freude über des Gegners Mißgeſchick wirkte wahrhaft wohlthätig und reecre— irend.

Sp wie der Magbeburger einigermaßen auf feinen Fügen zu ftehen vermochte, vegte ſich fogleidy aud) Der Speculationdgeift- in ihm. Die Braminin, welche ihm feine Phantafie eben jo ſchön als reich vormalte, war der Brennpunkt feiner Aufmerkſamkeit. Er calculirte wie folgt: „Eh' ſich,“ dachte er, „vie Frau ihrem topten Mann zu Gefallen mit Haut und Haar verbrennt, ift fie zu Mlem fähig. Eine junge ſchöne Frau fürchtet fi zehnmal ärger vor dem Feuer als eine alte. Ich fenne die Weiber. Wenn fih’8 hier wirklich um's Berbrennen handelt, jo müßte ih nicht Lagemann heißen over hier ift ein. Sümmchen zu verbienen. -

„Wenn ich nur ein Junggeſell oder Wittwer wäre, fuhr er in feiner Berechnung fort, „trüg' ih ihr auf der Stelle meine Hand an; gelte ich nach ihren Be— griffen auch gerade für feine glänzende Parthie, fo muß mir dody jeder Unparteiifche zugeftehen, daß ich noch immer beiler als der Scheiterhaufen bi. Ich

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wollte fie meinetwegen aud blos zum Schein heirathen, wenn -fid’8 anders thun ließe, und mit Ausnahme der Vermögensverwaltung auf alle Rechte des Che- heren verzichten. Wenn man diefe billigen Bedingungen ber rau nur begreiflih machen könnte, ich bin überzeugt, fie greift zu; wer kommt gern in ben Flammen um?”

Hier bedachte aber ver ſpeculirende Attahe der Niederroßlaer Geſandtſchaft, daß er bereits verheirathet fei und feufzte tief.

„Ein Weib,” fprad er, „kann doch zuweilen zu einem wahren Beineifen werden. Was gab’ ich drum, wär’ ich jest Wittwer oder geſchieden! Nun figt mir die geborne Grümpler daheim und ftört meine jchönften Pläne Ich muß verfuchen, da es fih als Ehemann nit gut will thun laffen, mid der Braminin auf andre Art gefällig zu erweifen, und zwar je eher je Yieber, bevor der ſataniſche Hanno wieder bergeftellt ift und mir dazwilchen kommt.“

Nach einiger Meberlegung fuhr der Attadhe fort: „Daß Hanno hart und feit liegt, betrachte ich als em wahrhaftes Gejchent des Himmels. Es iſt die gerechte Strafe für den meuchelmörveriihen Angriff, ven er gegen mein Leben unternahm. Vielleicht geht der Böfe- wicht darauf. Es wäre eine Wohlthat für die Menfch- heit. Was nüßt er denn? An vergleichen Subjecten verliert die Welt nichts.‘

Während ſich Kagemann dergleichen menjchenfreund- lichen Gedanken in Betreff des Helvenfpielers hingab, fhlih der lange Factor, von der überſtandenen See— krankheit noch ganz angegriffen und geſchwächt in die Kajüte. Sein Geſicht, das ſich nie einer blühenden Farbe erfreute, glich dem eines Todten.

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„Wit Ihr es ſchon?“ flüfterte er mit heiferer Stimme.

„Was denn?” erkundigte ſich ver Attaché.

„Mit dem Hanno geht's ſichtbar zu Ende.“

„Wirklich?“ frug Lagemann, ſich vergnügt die Hände reibend, „erzählt doch, guter Factor.“

„Man glaubt nicht, daß er den Abend erleben wird.“ |

„Vortrefflich,“ jubelte ver Magdeburger im Innern. Laut erwieberte er: „Wir find alle fterblidh, guter Factor, was will der Helvenfpieler voraushaben ?%

„Aber jo jung,” gab Süßmildy zu bedenken.

„Der Tod fragt darnach nicht, belehrte Lagemann, „auch Fol ſich's jung am Beſten fterben. Man hat da nicht viel zu verlieren, ift noch nicht zu fehr an's Leben gewöhnt.”

„Es ftirbt aber Niemand gern,” verfette der Factor, „ſei er jung oder alt.”

„Geb' e8 zu, Lieber Süßmilch, aber offen geftan= den, wenn der Tod einmal ein Opfer von uns ver- langt, jo finde ich es ordentlich rechtſchaffen gedacht von ihm, wenn er den Helvenfpieler angelt. Gefteht jelbft, guter Factor, welche Ausfichten, welche Sarrieren fiehen dem Hanno offen. Nichts gelernt, feinen Tonds in Händen, was beginnen, wovon in Zukunft leben? Sein bischen Exbtheil hat er mir fchrift- lih abgetreten und die Summe, die er dafür er- ‚halten, wer weiß, wo fie bereit$ die vier Winde haben.” _

„Ein wenig loder ift er,” geftand ber Factor.

„Ein wenig loder,” rügte Lagemann, „ver lieder- lichfte Strid, der mir je vorgekommen. Bactor, wenn ich reden wollte —' |

„Pit, mahnte Süßmilch hriftlich, „er wird's nicht

f

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lange mehr treiben. Von Sterbenden lat uns nicht Uebels reden.“ |

„Ihr habt Recht,” geſtand der Attaché, „fahre er in Frieden, obſchon er es um mich nicht verdient hat. Der eine Arm thut mir heut nod)- weh von den Miß⸗ handlungen unter dem Carbonari.”

„S eht, erwiederte der ſanfte dactor, „Dafür muß ec nun in jener Welt Rechnung ablegen.” Iſt auch nicht mehr als billig,‘ meinte Lagemann; „alſo * ſteht wirklich wacklig, guter Factor?“ Wie geſagt,“ antwortete dieſer, „der Doctor Barring gibt ihm keinen Tag mehr.“

Der Attaché begann ſich bei diefen Worten wie- ber vergnügt Die Hände zu veiben; er bedachte, wie ihm jet hinſichtlich der reichen und ſchönen Braminin Niemand im Wege ftehe. Deshalb ward er aud nach— ihtig und menfchenfreundlicd gegen ben ſterbenden Hanno.

„Er fahre in Frieden,“ fprad er mit Salbung, „wir wollen ihm als Freund und Landsmann die müden Augen zuprüden und mit einem ftillen Bater- unfer in's Meer werfen. Mich foll er dereinſt nicht unter feinen Anklägern finden, obſchon id) die Erin— nerung an feine Mißhandlung fobald nicht verſchmerze.“

Der gutgeartete Factor freute fid) ob dieſer chrijt= lichen Gefinnungen des Magdeburgers ungemein und ſprach: „Das iſt edel gedacht von Eud, Yagemann, und der Lohn dafiir wird nicht ausbleiben.“

Der Gedanfe an Lohn wirkte noch ergreifender auf Lagemann's menfchenfreundliches Gemüth. Der Atahe ward ordentlich weich, gejtinmt bei dem Ge— Danfen an Hanno's Tod.

„Sa, ich vergebe Dir, befreiter Geiſt“ fprad er nicht ohne jhwärmerifhen Bathos, „ſchwinge Dich

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ungenirt empor, von pen Schladen ver Exde gereinigte Binde, Dein Lagemann verzeiht Dir, Dein Lagemann trägt Dir nichts nach in Die Ewigkeit!

„Ich glaube,“ wandte ſich der Attaché zum Factor, „dergleichen Geſinnungen önnen mir nur Segen bringen;

was meint Ihr?" „Nichts iſt gewiſſer,“ verſicherte der ſtrenggläubige Süßmilch.

„Ich glaube ſogar,“ fuhr Lagemann begeiftert und mit thränenvollem Auge fort, „daß wenn ich die mör— derlichen Püffe und Stöße, ſo ich unter dem Carbonari erhielt, mit Bruderliebe vergebe, ſie mir noch zu yimm⸗ liſchen Roſen erblühen.“

„Ich glaube es nicht nur, ich bin es feſt überzeugt, betheuerte ber Factor, der ebenfalls immer gerührter ward.

„Ach, das wäre herrlich,“ ſchwärmte der Strache, „vielleicht auf Erden fchon, was meint hr, guter Süßmilch?“ u

„Wenn auch auf Erden nicht, vereint gewiß.”

‚Rein, nein,” fuhr Lagemann verflärt fort, „hienieden Thon, Ahnung fagt mir’s, ich athme ſchon den himm⸗ lichen Duft.” |

„Man hat wiele Beiſpiele,“ geftand ver Factor, „daß gute Thaten ihren Lohn ſchon hienieden fandzn.

„So wird's auch bei mir fein, ich fühl's,“ riefbder Magdeburger, yſterbender Hanno, Deine Sünden ſind Dir vergeben!“

Auf dieſen ergreifenden Ausruf folgte eine feierliche Pauſe, welche der Gemüthsſtimmung Lagemann's und Süßmilch's vollkommen angemeſſen war. Sie ward indeß ſehr bald durch den Eintritt des Dieners von Doctor Barring unterbrochen, welcher Lagemann ſchleu⸗ nigſt zum Sterbelager des Heldenſpielers beſchied.

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„Er wird ohne meine Berzeihung nicht erfterben können,“ fprad der Attadhe, „ich eile, fie ihm zu bringen, um ver kämpfenden Seele den Himübergang zu erleichtern.”

„but dies; thut dies, edler Fremd,” mahnte der Factor mit frommem Cifer, „und der Himmel wird Euren Gang jegnen.”

„Das wird er, rief Lagemann vergebungsluftig, und folgte dem Diener zum Lager des Rranfen.

Mit Hanno ſtand's wirklich mijerabel, das Fieber hatte ihn dermaßen mitgenommen, daß er Auferft ſchwach war und faum zu reden vermochte Er fühlte, daß e& mit ihm zu Ende gehe und wollte daher vor- her fein Gewiſſen erleichtern.

„Lagemann,“ ſprach er mit leiſer Stimme, „ich habe mich ſchwer an Euch verſündigt.“

„Weiß ed, weiß e8,” erwiederte der Attache, „em- pfinde die Folgen noch), fobald ich die Arme ausftrede, die Gelenke find wie gebrodhen. Aber, Hanno, vergeben fol der Chriſt; ſeht, ich thue es; fterbt deshalb ge- teoft, ich wollte erft auf Schmerzensgeld antragen und Euern Nachlaß mit Beihlag belegen laſſen, aber id) thu's nicht.“

Wie nahfihtig fi) Lagemann in diefen Worten. auc vernehmen ließ, fo fchienen fie doch feinen beru- higenden Eindruck auf den Kranken hervorzubringen. Im Gegentheil verbüfterte fi deſſen Antlig fihtbar.

„Ihr meint wahrfcheinlich die Carbonarigeſchichte?“ frug er leife.

„Allerdings, die meine ich,” erwieberte der Attache, „und ich ſollte meinen, ich hätte Grund dazu.“

„Mein Gott,“ feufzte der Helvenfpieler, „das war ja ein eitler Scherz, den ſich ein Freumd gegen den andern erlauben darf.”

am \

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Der Magdeburger glaubte feinen Ohren nicht zu trauen.

„En Scherz,” rief er, und ſchon drohte ihn die chriſtliche Sanftmuth, mit welcher er zu dem Kranken getreten war, zu verlaſſen, „Ihr phantaſirt unſtreitig, ſonſt wollt ich Euch antworten.“

„Ib babe mich weit ſchlimmer an Euch ver— gangen,“ fuhr Hanno fort.

„Was?“ ſchrie Lagemann entſetzt, „noch ſchlim— mer vergangen? Hanno, bedenkt, was Ihr ſprecht, noch ſchlimmer vergangen? Ihr habt doch nicht Meuchelmördergedanken? Hanno, ich beſchwöre Euch, hier am Rande des Grabes, was wollt Ihr damit ſagen: ſchlimmer vergangen d!⸗

Der Kranke ward auffallend ſchwächer, daß er nicht zu antworten vermochte. er Attaché gerieth in unbeſchreibliche Angſt. Er befürchtete ſchon, der Heldenſpieler möchte unverſehens in die beſſere Welt gehen und faßte ihn deshalb am Arme.

„Bei Ewigkeit und Weltgericht, Hanno, redet,“ rief er dringend, „Ihr dürft mir nicht abfahren, be— vor Ihr mir nicht Euren Anſchlag gegen mein Leben entdeckt habt.“

Der Heldenſpieler, durch Lagemann's angſtvolle Ekſtaſe, die ihm wie furchtbare Beſchwörung klang, angeſtachelt, raffte alle ſeine Kräfte zuſammen und erwiederte:

„Gegen Euer Leben hab' ich mich weniger ver- gangen, wohl aber gegen Euern Geldbeutel.“

Das Wort Geldbeutel griff den Magdeburger noch weit jchmerzhafter in die Seele, als felbft das Be— fenntniß eines Meuchelmords es gethan haben würde.

„Gerechter Himmel,” rief er, „mas werd' ich ver- nehmen! Hannd zebet, ſprecht, beim ewigen Welt-

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gericht mit breitaufend Poſaunen und fiebenhundert Erzengeln, ſprecht.“

Dem Spreder lief bei dieſer Beſchwörung ber Schweiß ſtromweiſe von der Stimme. Der Helden- fpieler ward- immer ſchwächer. Sein Haupt ſank Eraft- 108 in's Kiffen. Lagemann fprang herbei, fchüttelfe das Kiffen auf, um dem Sterbenven feine Tage und das Sprechen zu erleichtern.

Hanno ftöhnte.

„Mein Gott,“ eiferte Lagemann, „verfchwendet Eure Kräfte Doch nicht mit unnützem Geftöhn, das verfteht Fein Menſch, ſondern benutzt ben noch vor- räthigen Athem zum Sprechen.”

Es trat jetzt eine höchſt verhängnigvolle Pauſe ein, in welcher ſich der Heldenſpieler etwas zu er— holen ſchien. Lagemann athmete neu auf, fein Herz arbeitete wie ein Schmiedehammer.

„Macht's kurz,” drängte der Magdeburger, „Ihr habt mich beftohlen, habt das Geld vergraben, wo liegt's, wie hoch beläuft fi) die entwendete Summe; nur raſch, ehe ver Tod Euch die diebiſche Gurgel zuſchnürt. |

„sn melden Münzforten habt Ihr den Raub be- gangen,” fuhr der unermüdliche Examinator fort; „die Summe muß fid) auf das Außerordentlichite belaufen, font würde Euer Gewiſſen nicht erwacht fein.“

Das wiederholte Schütteln von Hanno's Haupte zeigte, daß fih Lagemann in feiner Vermuthung wegen des Raubes irre, Der Attache wußte jet nicht, wo ihm der Kopf ftand. Er rang rathlos die Hände und rief fortwährend: „daß mir unglüdjeligen Mann dies Unglück noch paffiven mußte. Wer hätte das gedacht ?“ | |

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Doctor Barring, welcher jetzt in die Kajüte trat, erjuchte den verzweifelnden Lagemann, daß er Sid moderire und den Zuſtand des SKranfen durch fein eraltirtes Weſen nicht verfchlimmere.

„Was da,” lärmte Lagemann, „meinetwegen Tann ex fterben, wenn's ihm beliebt, aber der Mifiethäter fol mie zuvor befennen, welcher Frevelthat er fi gegen mich ſchuldig gemacht hat.”

Auf diefe, die höchſte Gefühlloſigkeit verrathenden Worte, faßte der Doctor ohne weitere Umftände ben Üttache bei dem’ einen Ohre und führte ihn, troß alles Sträubens zur Thür hinaus, die er hinter ihm zuſchloß. Ob viefer Behanplung gerieth aber Lage— mann außer ſich; er tobte wie ein Beſeſſener, er Ihinpfte auf den Doctor und den Helvenfpieler über alle Magen und rüttelte mit folher Vehemenz an ber Kajütenthür um Einlaß, daß der ganze untere Schiffe- raum in Aufruhr gerieth. Ja er lief in feiner blin- den Wuth aller Orts umber, ald wolle er die ganze Schiffsmannſchaft zu Hülfe rufen.

Plötzlich fühlte fid) der Tumultant von vier ner- vigen Fäuften gepadt, weldhe ihn mit Rieſenmacht in die Höhe hoben und forttrugen. Sein verzweifelter Hülferuf Half ihm zu nichts, denn die cine Fauſt hielt ihm die Kchle zu. Dem Attache verging Hören und Sehen während dieſes unerwarteten Transports. As er wieder zu ſich Fam, lag er auf dem Fußboden einer ganz fremden Kajüte, in derem Hintergrunde der Türke Abpullah in finſtrer Majeftät thronte. Un— mittelbar zu Lagemann's Seiten fnieten Tohu und Bohu, welche ven hülflos Ausgeſtreckten nicht eben mit den lieblichſten Blicken beäugelten.

Der Magdeburger befand ſich in einer höchſt un- angenehmen Lage. Gr fchauderte, wenn er in bie

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zwei fchwarzen, ‚grinzenden Larven fchaute, deren Augen fortwährend auf ihn gerichtet waren.

„Bas fol mit mir gefchehen, wadre Männer?‘ frug er leife.

Die Larven antworteten einige kauderwelſche Worte, die Lagemann durchaus nicht verftand und feirten un- heimlich. Dabei fchauten fie von Zeit zu Zeit nad) Abdullah, als erwarteten fie Befehle von demfelben.

Dem Attache, dem feine harte, horizontale Rage allmälig unbequem ward, wollte fi) jest mit halbem ‚Leibe emporrichten, ward aber jedesmal von Tohn - wieder auf den Rüden gelegt. Nach kurzer Zeit wie= derholte er feinen Verſuch, ver jedoch zu bemfelben Refultate führte.

Da dem Atache weiter kein Leids gefhah, fo gewann er endlich Muße, über dieſe fonderbare Behandlungsweiſe nachzudenken und Betrachtungen anzuftellen. Er fand bald, daß ſich feine ausgeftredte Lage mit der Würde eines Attache’8 der Nieber- roßlaer Rathsgeſandtſchaft nicht gut vereinbaren laſſe. Darum berief er fih auf feine diplomatiſche Stellung und ließ ſogar einige Bemerkungen von Berlegung des Völkerrechts fallen.

Trotz diefer mannigfahen Reclamationen feirten ihn Tohu und Bohu ununterbrochen an.

Lagemann dachte endlih, da man nicht die ge- ringfte Anftalt zu feiner Befreiung traf, von dieſer völkerrechtswidrigen Gefangenhaltung den Eapitain in Kenntniß zu fegen, er drohte fogar, laut um Hülfe zu rufen, wenn man ihn nicht unverzüglich aufftehen Lafle.

Das waren aber in den Ohren ber beiden Afrikaner, weldye von dem Niederroßlaer Dialect ebenfo wenig verstanden, als Lagemann von den Sprachen Afrika’s, höchſt überflüffige Redensarten.

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Dem Magdeburger ging enplih die Geduld aus. As er jah, daß feine Drohungen nichts fruchteten, begann er fie in's Werk zu führen und rief laut um Hülfe Aber faum war der verhängnißvolle Auf feinem Munde entfloben, als Tohu's ſchwarze Fauft wie ein Blitz nach feiner Kehle fuhr und fo heftig zugriff, daß der Attahe zu erftiden vwermeinte Zu— gleih blitte in Bohu's Hand ein haaricharfer Dolch, deſſen Spite direct nach des Magveburgers klopfendem Herzen gerichtet war.

Diefe Demonftrationen reichten vollflommen bin, Lagemann's Schreien vor der Hand Einhalt zu thun. Er lag ftill wie eine Maus, nur daß beim Anblid des Dolches feine Haare emporftiegen. Wie ruhig er übrigens da lag, um fo gewaltiger ftürmte es in jenem Innern. Er begann zu fürchten, daß es Ab- dullah und die zwei fehwarzen. Ungethüme auf fein Leben fünnten abgejehen haben, nur begriff er nicht, zu welchen Zwecke. Raubſucht konnte unmöglich zu Grunde liegen, denn was hätte man ihm vauben wollen, und bloßer Blutdurſt konnte e8 auch nicht fein, dann würde man nicht fo lange mit ihm fadeln. Oder follte Abdullah eime Ahnung von Lagemann's Abfichten auf die Braminin haben? Im legten Falle war der Magpeburger allervings geliefert. ‘Doc wo wollte der eiferfüchtige Türke hiervon Kunde haben, da der Attache ſich Hinfichtlich der Braminin nicht laut geäußert hatte?

Es blieb dem auf dem Rücken Liegenden in ber Welt nichts übrig, als die Sache abzuwarten. Dazu brauchte es aber eine ziemliche Zeit, denn Abpullah, welder mit unbefchreiblihen Phlegma feine lange Pfeife dampfte, ging fehr lange mit ſich zu Rathe,

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bevor er Befehl ertheilte, was weiter mit dem Attaché vorzunehmen fei.

Lesterer gab ſich indeß feinerfeitS ſehr nieber- ſchlagenden Betracdhtimgen hin. Er dachte wieder an Hanne umd zerbrady ſich vergeblih den Kepf, auf welche Art diefer ihn wohl beitohlen ober übervor- theilt haben könnte.

„Den Gelobentel nannte er ausbrüdlich,” ſprach Lagemann für fihb, „und gleihwohl will mid ver Helvenfpieler nicht beftohlen haben. Da werde ein Andrer Hug. Am Ende hat der Kerl blos phantafirt und id) habe mich vergeblich abgeängſtet.“

Diefer lebte Gedanke wirkte fo wohlthätig auf den Attaché, daß er einmal recht vernehmlich. Athem Ichöpfte.

Der Ton dieſes tiefen Athmens Hang aber dem Tohu wieder verdächtig; er befürdhtete, ver Magde— burger wolle abermals nad Hülfe rufen und ſchob demfelben feine Hand fo energiih unter bie Kinn— baden, daß ihm ver Angſtſchweiß aus allen Poren drang, während ſich Bohu's Dolchſpitze der arbeitenden Bruft des Attahe um ein Bedeutendes näherte.

„Gott im Himmel, man wird doch noch athment können,“ dachte Lagemann. „Eine ſolche Tortur ift mir in dieſem Leben noch nicht vorgekommen.“

Sobald der Magdeburger wie todt da lag und nicht den geringſten Laut von ſich gab, ließ Tohu mit der Hand los und Bohu zog den Dolch etwas zurück. Lagemann wagte jetzt kaum mehr aufzublicken. Er ergab ſich ſchweren Herzens in ſein unvermeidliches Schickſal, welches ihn in die Gewalt der Mohren geliefert hatte.

„Sollte ich denn von Niemandem vermißt wer—

L dachte er bei fih; „man ift wahrſcheinlich mit

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dem fterbenden Hanno beihäftigt und denkt gar nicht an mid, oder man glaubt mih auf einem gemiljen Drte beſchäftigt; aber fo lange Zeit, wie ich bereits hier liege, braucht ein gefunder Menjch nicht. Wenn der Zeifig Herz und Kopf auf dem rechten Flecke hätte, müßte ih längſt befreit fein; es ift wirklich unverantwortlid), jeinen Attahe fo lange außer Acht zu laſſen. Zeiſig iſt ein erbärmlicher Kerl, ihm zu Gefallen könnte ich längſt gejchlachtet und zu Wurft verarbeitet fein.‘

Lagemann wagte nad) einiger Zeit die Augen ein Hein wenig aufzufchlagen. Der lang vermißte Licht⸗ glanz wirkte aber dermaßen auf feine Gefichtsnerven, daß ihm ein Neiz zum Nießen anfam. Der Attache fühlte die nahende Erplofion, die ihn jedoch mit Angft und Grauen erfüllte Es war vorauszufehen, daR | fobald ver Funfen in feiner Nafe gezündet und bie erfchütternde Kataſtrophe erfolgte, Tohu und Bohn wieder wie behert zufahren und dem Niefer die‘ un- entbehrlichfte Lebensluft abſchneiden würden. Lage— mann, um alſo der Eruption zuvorzukommenund den Zündſchwamm in ſeiner Naſe zu erſticken, ſchnitt die außerordentlichſten Geſichter, die nur ein Menſch hervorzubringen im Stande ift. , Selbft Tohu'n und Bohu’n kamen dieſe phyſiognomiſchen Studien des Magveburgers fo neu und eigenthümlich vor, daß fie vor Wolluft bald fih, bald den am Boden liegenden Grimafier anfahen.

Indeß wie fehr auch Lagemann mit all feinen Sefihtsmusfeln und aus Neibesfräften bemüht war, den frabbelnden Funken todt zu machen, bie Nafe. bald hoch empor ftülpte, wie ein Kameelbudel, bald wieder fie ganz aus feiner Phyſiognomie vertilgte, bald zufpitte, bald aufblähte, es half Alles nichts, bie

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Natur ging ihren Gang, die Explofion entlud ſich nur um jo vollfräftiger.

Wie der Attache befürchtet hatte, jo gefchah es; faum brannte feine Naſe los, fühlte er auch Die ſchwarzen Fäuſte an ver Gurgel und die Dolchſpitze kitzelte diesmal fühlbar auf feiner Bruft.

Das Desperate Niefen Lagemann's war aber außerdem noch von anderen Folgen begleitet. Herr Abdullah, welcher die ganze Zeit über, gleichfam in ein Meer von Gedanken vertieft, mit unterfchlagenen Beinen auf feinem Poften im Hintergrunde. gethront hatte, ward durch das andgezeichnete Niefen feines Gefangnen aus einer Contemplative aufgewedt. Cr ſchien jett erit feinen Entſchluß zu faflen, was mit dem Niefer anzufangen fe. Nach feinen türkifchen Begriffen hatte Lagemann allerdings den Tod verbient, denn diefer Giaur hatte Die Frechheit: gehabt, in das Bereich feiner Kajüten zu dringen und einen vafenven Lärm zu vollführen. Wirklich war der Attache auch in feiner Aufgeregtheit ob des Hanno'ſchen Todten- bettbefenntniffes und über des Doctors fo furz ange- bundene Entfernungsweife fo unvorfichtig geweien, in das abgejchlofjene Schiffsterrain der Türken förmlich einzubrechen und ein Morbhalloh daſelbſt anzuftimmen. Faſt zu fpät erinnerte er fid jest mit geheimem Grauſen an das wiederholte Verbot des Capitains, ja das Bereich des Abdullah nicht zu betreten, weil er dann (Sir Yohn) felbft für das Leben des vor- wigigen Pafjagiers nicht ftehen könne.

Dieſes Verbot, welches alsbald mit Tlammen- lettern des ewigen Gerichts in Lagemann's Innerm zu leuchten begann, ließ ihn das Gefahrvolle feiner Lage in feiner ganzen Größe erfennen.

Alſo Abdullah war durch das gewaltſame Nieſen

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Lagemann's aus feinem angeſtrengten Nachdenken auf- gewacht und er gab nun feinen Denkvermögen die— jenige Richtung, welche die Beitrafung des fredhen Ein- dringlings zunächſt zum Zwecke hatte.

Auf ſeine Handbewegung ſprang Tohu auf und erwartete mit gebeugtem Haupte und mit über der Bruſt gekreuzten Armen die Befehle ſeines Gebieters. Der Mohr mußte vortrefflich abgerichtet ſein, denn

Abdullah machte blos eine Wendung mit dem Kopfe und fogleidh wußte Tohu, moran er war. Er eilte nad) einem Wandſchränkchen, aus welchem er eine Art rothwollene Schlafmütze hervorlangte, die vermittelſt einer Schnur wie ein Tabacksbeutel zuſammengezogen werden konnte. Mit dieſem ſeltſamen Kleidungsſtücke in der Hand kniete er bei Lagemann und zog das— jelbe dem Attahe über den Kopf, wie fehr tiefer auch durd) energiſches Hin- und Herwadeln feine un- beftreitbare Abneigung gegen derartige Bedeckung zu erfennen gab. Die rothe Mütze ward vermitteljt der Schnur unter dem Kinn ziemlich feſt zuſammenge— bunden, fo daß des Magdeburger Kopf gänzlich in dent wollenen Beutel ftaf, was ſich ſehr poſſirlich ausnahm.

Lagemann war aber ob biefer auffäligen Kopf- umfleivung nichts weniger als poffirlih zu Muthe. Er verfuchte nochmals um Hülfe zu rufen, aber die ſtraff angezogene Zwangsmütze dämpfte dermaßen je— den Laut, daß der Attaché ſich hätte die Lunge aus dem Leibe ſchreien können, man würde nichts ver- nommen haben. Zugleich beraubte ihn der nichts- würbige rothe Beutel feiner jfämmtlihen Organe und reduzirte ihn auf den allgemeinen Gefühlsfinn. Er ſah, hörte, roch und fchmedte nicht? mehr von ver Aupenwelt. Wenn er die Augen öffnete, lag Alles

Stolle, fämmtl. Schriften. XVII.

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wie dem Schiller'ſchen Taucher in „purpurner Finfter- niß.“ Er durfte über feine Lage gar nicht nachden— fen, wollte er nicht rein des Teufels werden. Sein fterbliher Leihnam war völlig in die Gewalt des türkiſchen Unholds gegeben. Man konnte ihm jekt den Bauch aufjchneiden, ihn ordentlich ausſchlachten wie einen Faſtnachtshammel, er konnte für folche Ope- ration gar nicht bequemer und einladender baliegen; er mußte ſich Alles gefallen laſſen. In feinem Leben hatte der Magdeburger nicht fo viel Angſtſchweiß ge- Ihwitt al® unter der rothen Mütze. Der ganze Kopf ftaf in einem warmen Bade. Sein fibrirendes Denf- vermögen durchfloh in der Eile alle türfifchen Ge- ſchichten, die er je gelefen, um wo möglich dem eigent- lichen Zwecke der rothen Müte auf die Spur zu fommen. Er entfann fi) wohl von der mörberifchen feivenen Schnur gelefen zu haben, aber nie von joldy einem baummollenen Beutel.

„Wer weiß,” raunte ihm feine aufgeregte Phan- tafte zu, „wir leben jeßt in einer erfindungsreichen Zeit, aud die Zürfen werben nicht zurüdgeblieben jein und haben ihre Fortichritte gemacht, ſei's aud) nur in Morbinftrumenten. Diefe Kopfzwangsjade gehört umftreitig unter die Marterwerfzeuge der neue= ften Zeit.‘

Diefe wenig troftreihen Reflexionen, welche ver philofophirende Lagemann unter feiner Müte anftellte, wurden plößlid unterbrochen und feine Ideenfolge er- hielt eine andere Richtung, als er gewahrte, daß ihm. einer der Mohren, ob e8 Zohu oder Bohn, vermochte er nicht zu enträthſeln, begann die Stiefeln auszu- ziehen. |

Die Schlüffe, welche Das denkende Weſen in Ya- gemann’d umftricten Kopfe aus dieſem Gtiefelaus-

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ziehen folgerte, waren überrafchenn, aber Feineswegs befriedigend. Der Attache begriff ſchlechterdings den Zweck nicht, er mochte fünnliren fo viel er wollte. Als die .‚Stiefeln herunter waren und e8 auch über die Etrümpfe herging, glaubte Tagemann mit Sicher- heit die Behauptung aufftellen zu dürfen, daß es zu— nächſt auf feine nadten Füße abgefehen fei. Im Grunde war ihm dies nicht ganz unlieb ; e8 war doch immer beffer, als wenn Abdullah unmittelbar beim Halfe angefangen hätte,

Die Füße des Attach waren, Danf der uner- müpdlihen Behendigkeit Tohrs „und Bohu's, bald Iplitterfafennadt wie fie dee Herr Gott erſchaffen. Ihr Inhaber aber befand fih in äußerſter Spannung, was man wohl mit feinen Läufen anfangen werde.

Plöglicd, fühlte fih das Rothhaupt von mehren Fäuſten nicht eben auf die ſanfteſte Weife mit dem ganzen Leibe emporgehoben und auf eine erhöhete Ebene gelegt. Dieſe Erhöhung jchien ihn aber von durchaus feiner guten Vorbedeutung zu fein. Lage— mann fam fi) vor wie ein Opferlamm auf einem heidniſchen Altar; er befürchtete jeden Augenblid, daß man einige energifche Fleiſchergriffe nad) feiner Kehle thun und den Dolch, welchen Bohu bei fih trug, ihn fanft zwifchen die Rippen fehieben wilrbe.

Nichts ift bei einer ſolchen Execution, wie fie der Attaché zu beftehen hatte, peinlicher al8 die Langſam— feit, womit die Erecutoren zu Werke gehen. Nach Lagemann's Erhöhung trat wieder eine ziemlich lange Paufe ein, wo man den Rothklopf ruhig Liegen ließ, ohne ihm das geringfte Weh zuzufügen. Letzteres fügte fid) der Magdeburger aber felbft zu, indem er ben ausfchweifennften Phantafien erlag. & „De jebes

a

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Geräuſch der Außenwelt nur ſehr unvollkommen zu ſeinen rothverbrämten Ohren gelangte, jo muthmaßte er die ſchaudererregendſten Dinge. Bald klang es ihm, als ſchiebe man einen hohlen Topf heran und nichts war gewiſſer, als daß man ihm. das Blut ablafjen wollte, bald wieder war's als fchleife man Meſſer.

Nach derlei traurigen Vermuthungen griffen enb- lich wieder ein paar barbariſche Fäuſte nach Lagemann's entblößten Füßen und zogen dieſelben in die Höhe. Dies war eine äußerſt verdächtige Demonſtration für den Attache.

„Das Gott erbattn ,“ krächzte er unter dem rothen Beutel, „fie hängen mid an den Beinen auf.”

So fhlimm, wie Lagemann befürditete, follte es nicht werden. Die Mohren legten feine Füße nur auf eine Art Geftelle, fo daß fie ein Stüd in bie Luft zu Stehen famen. In dieſer nicht ganz beque= nıen Yage mußte ſich's der Attache wieder eine ziem- lihe Zeit gefallen laffen, bevor man weiter vorwärts ſchritt. Die türkifche Nechtspflege ſcheint fi) am deut— ſchen Prozeßgange ein Mufter genommen zu haben.

Lagemann glid in feiner fonverbaren Lage einer Schnecke, weldye ihre Fühlhörner weit von fich ftredt; bei ihm nämlich vertraten die ausgefpreizten Beine die Stelle der Fühlhörner. Wirklich war aud fein Gefühl, da ihm die übrigen vier Sinne abgingen, lediglich auf feine zwei Beine beſchränkt. Auf viejen entblößten und bedrohten Theil hatte er feine unge= theilte Aufmerkſamkeit concentrirt. Ä

Nach einiger Zeit vernahm der erwartungsvolle Lagemann ein fonderbares Geflapper, als wenn Je— mand ein Bund Stöde irgendwo hervorlangte. Gleid) darauf aber hätte er vor Schmerz laut aufjchreien

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mögen, wenn ihm nicht bie rothe Müte daran gehin- dert. Es war ihm nämlih, als ob man mit einer glühenden Kohle einen Strih über feine entblößte vechte Fußſohle zöge. Mit einem Zetermordio hinter dent Beutel wollte er fchleunigft das eine angeftrichene - Sühlhorn einziehen, aber nervige Fäuſte griffen in das Snieegelenf und vereitelten das eben nicht unbillige Beitreben.

Ehe nody der Attahe ob dieſes höchſt unzarten und echttürfifchen Verfahrens hinreichende Betrachtung anzuftellen vermochte, erhielt das Iinfe Bein ebenfalls feinen feurigen Strich. Abermaliger Verſuch zum Zurüdziehen. Abermaliger Griff in das Kniegelenk.

Der ausgefpreizte Magveburger glaubte jetzt alles Ernſtes, dag man ihn mit glühenden Eiſen auf den Fußſohlen gebrandmarkt habe, aber fein fonft richti- ges Gefühl täujchte ihm diesmal dennoch. Der feurige Strich, der nad) Lagemann's Meinung von einem glühenven Eifen herrührte, war nur die Folge eines Stodhiebes, und die ganze Prozedur, die man mit dent Attahe vornahm, -war nichts weiter als die im der Türkei fo beliebte Baftonade.

Lagemann vereinigte jet wirklich Geſicht, Gehör, Geruch und Geſchmack in ſeinem Fußgeſtell, um der höchſt unangenehmen Sache auf die Spur zu kommen; aber bei jedem neuen Streiche fuhr ſein Ich wie be— ſeſſen aus dem beklagenswerthen Theile zurück.

Tohu und Bohu verrichteten ihr Strafamt mit einer Accurateſſe, die nichts zu wünſchen ließ. Sie bearbeiteten die unglücklichen Fußſohlen mit Kunſt und Geſchick, ſo daß ſie bei dem ſiebenten Schlage bereits zu bluten anfingen.

Lagemann wollte ſchier aus der Haut fahren ob dieſes kannibaliſchen Schmerzes. Sein rothes Haupt

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fuhr verzweifelt bin und wieder, während fi bie. Mohren nit im Geringften in ihrer Arbeit flören ließen. Die Schläge folgten nicht willkürlich auf ein- ander, ſondern methodiſch in abgemefjenen Pauſen, gleichſam um den Patienten Zeit zu laffen, über die Operationen nachzudenken.

Sp währte die Marter eine gute halbe Stunde. Lagemann hatte ſich bereit hundertmal den Zob ge- wünjcht und ftellte fogar convulſiviſche Verſuche an, fi mit den eigenen Händen zu erwürgen; aber vie wahfamen Mohren verhinderten jedes derartige At- tentat, indem fie die felbjtmörberifhen Fäuſte auf Lagemann's eigener Bruft zufammenbanden. Sie tha= ten dies wahrjcheinlic auch zu ihrem eignen Velten, denn der Gefolterte focht todtverachtend mit den Ar= men in der Luft und theilte nicht eben ſanfte Schläge und Stöße aus.

Wie indeß in der Welt jedes Ding fein Ende hat, fo gefhah’8 auch mit der türkifchen Execution. Nachdem vie unglüdlichen Fußſohlen dermaßen zuge- richtet waren, daß ihr Beſitzer unter vierzehn Tagen an fein Auftreten denken fonnte, band man den Ge— folterten lo8, ohne jedoch die rothe Kappe zu lüften; wieder griffen die gewaltigen Arme zu, und trugen den Attache davon. Außerhalb des Bereichs von Ab- dullah ward er auf den Boten gelegt und ihm die rothe Müte abgezogen. Auch vergriff man fic kei— neswegs an feinem Eigenthum, jondern legte Stiefeln und Strümpfe gewilfenhaft neben ihm nieder.

Sobald der Attaché einigermaßen wieder zu fid) fom, begann er zunädft Unterfuchungen über feine

_ eignen Füße anzuftellen, wobei er jedoch Die aller= traurigſten Erfahrungen machte. Wie Pumpenſtiefeln waren ſie aufgeſchwollen und er begriff gar nicht, wie

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er fie je wieder zum Gehen werde benutzen können. Eines ſolch' nieberträdhtigen Schmerzes wußte er fid) in feinem ganzen Leben nicht zu erinnern. Er war nicht vermögen, ſich von der Stelle zu rühren. Wo ihn Tohu und Bohu hingelegt, da lag er. Er gli ganz Braun dem Bären, nachdem dieſen fein Neffe Keinede beim Bauer NRüfteviel fo übel mitgefpielt. Der Factor war der Erfte, welcher ihn in dieſer be= dauerungswürbigen Lage vorfand. Süßmilch flug Lärm und bald hatten fih fämmtliche Niederroßlaer mit Ausnahme Hanno’8 um den übelzugerichteten . Zandsnıann verfammelt.

Sünftes Kapitel.

Die Lagemann'ſche Baſtonade bildete eine geraume Zeit den Gegenſtand des Geſprächs auf dem Schiffe. Während Steuermann und Matroſen berſten wollten vor Laden, erfüllten ſich die Gemüther des Raths— aetuars, Sußmilch's und Vetterlein's mit Grauen und Entſetzen. Mit ſcheuen Blicken nur betrachtete man das Terrain des blutgierigen Türken und hütete ſich wohl, demſelben im Entfernteſten zu nahe zu kommen.

Der Magdeburger lag nicht weniger denn acht Tage und acht Nächte auf einem Flecke. Er ver- mochte von feinen Füßen nicht ven geringften Ge— braud zu machen. In feinem Gemüthe ſah's höchſt beöparat aus. So wie er einigermaßen zu ftehen ver- mochte, eröffnete er eine energifche Conferenz mit Zei⸗ fig, welche Letzterem keineswegs erbaulich klang.

‘u

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„Stülpen Sie Ihren Hut mit dem Ochſenkopfe determinirt auf den Kopf,“ ſprach er zum Actuar „und rücken Sie dem Türken vor's Quartier. Sie dürfen ſolche Schmach nicht auf ſich ſitzen laſſen, partout nicht; bedenken Sie, daß in meiner Berfon das ge⸗ fammte Nieverroglaer Rathscollegium bundsföttifch be= leidigt, fo wie da8 gefammte Bölferreht mit Füßen getreten it. Ih bin Ihr Attahe und integrivender Theil der Niederroßlaer Geſandtſchaft. Sie find durch meine Baſtonade eben fo beleidigt, als hätten Cie dieſelbe jelbft erhalten.“

„sh würde ob folder Mißhandlung unfehlbar den Geift aufgegeben haben,“ geftand zagend der Actuar.

„Weichen wir nicht von der Hauptfrage ab,” er- wiederte Lagemann ärgerlich, „Suchen Sie Ihren Hut mit dem Stadtwappen und verlangen Sie Aubienz und Satisfaction vom Türken.“

„Ich bezweifle nur,‘ gab Zeifig zu bebenfen, „ob

Herr Abdullah in der Heraldik fo weit vorgefchritten fein dürfte, unfer Stadtwappen zu erfennen und zu reſpectiren.“ „Nennen Sie das türkiſche Ungeheuer nicht Herr, ſondern Hund,“ eiferte Lagemann, „er verdient kei— nen civiliſirten Namen. Befeſtigen Sie oberhalb des Ochſenkopfs die Landescocarde, ich hoffe, die reſpectirt er. Behalten Sie aber den Hut auf dem Kopfe, wenn Sie mit dem Satan ſprechen, damit er Wap⸗ pen und Cocarde ſieht; auch imponirt das mehr.“

„Aber den Fall geſetzt,“ frug Zeiſig, „ver Mujel- mann refpectirt Wappen und Cocarde nicht, was dann, lieber Lagemann?“

„Bas dann?“ fpottete der Attache, „Sie müffen fid) der vielen Bebenklichkeiten entſchlagen; Cie brin=

a“ es jonft im Leben zu nichts. Bedenken Sie, daß

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Sie ald Diplomat durch die Welt fahren, deſſen Ber- . Ton gebeiligt iſt.“ Ä |

„Aber wenn Abdullah davon Feine Notiz nimmt, wie er dies bei Ihnen als meinem Attaché bewies fen hat?‘

„Ich wünſchte, Sie ſäßen im Pfefferlande mit Ihren ewigen „aber's!“ Sein Sie dod nur ein Ein- zigesmal ein Mann,“

„Aber, ich befürchte nur, daß mid) gerade dieſes Einzigemal wenn auch nicht ven Kopf doch die Füße foften kann

„Pollen, die Wuth des Türken hat fih an mei- ner Perſon hinlänglich geſättigt.“

„Sie kann auch wilder geworden ſein.“

„Wohlan, ſo bluten Sie für's Vaterland, wie ich geblutet habe, und wir behalten uns Regreß und Schmerzensgeld vor, ſobald wir an's Land ſteigen.“

„Ich wollte im Nothfalle wohl bluten,“ verſetzte Zeiſig, „aber ich fürchte, ich halte es nicht aus.“

„Einbildung, Sie haben nicht viel Fleiſch auf dem Leibe, eine Baſtonade iſt für Sie ein Kinderſpiel. Es iſt bei Ihnen gar nichts abzuſchlagen.“

„Ich weiß, was ich weiß,“ beharrte der Actuar, der ſchlechterdings keine Neigung in ſich verſpürte, Herrn Abdullah wegen der Lagemann'ſchen Baſtonade zur Rede zu ſtellen, „ich kenne meine Natur, eine ſolche türkiſch-orientaliſche Behandlungsweiſe hält mein Körper nicht aus.”

Lagemann war fehr aufgebradht, als der Nieder- roßlaer Gefandte ſich zu einem Beſuche beim Türken durchaus nicht verftehen wollte. Er hatte einen bop- pelten Zwed, daß er Zeifig jo angelegentlich antrieb, dem Abdullah, wie er fid) ausprüdte, vor's Duartier zu rüden. Erſtens hoffte er, daß fi der Mufel:

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mann Doch vielleicht bewegen Taflen könnte, feine bar- barifhe Handlungsweife gegen den Attache einzufehen und um weitres Aufſehen zu vermeiden, einen Beutel mit türkischen Piaftern als Schmerzensgeld herauszu- rüden. Diefe Hoffnung war indeß bei Lagemann, wie er den Türken kennen zu lernen Gelegenheit ge: habt hatte, ſehr ſchwach. Weit größre Hoffnung baute er auf den andern Zweck ber Zeiſig'ſchen Miffion, hämlich, daß der Actuar gleichfalls abbajtonadet wer- ben möge. Der edle Magdeburger erfreute ſich nämlich einer jo ſchönen Seele, daß er alle Ueble, fo ihm widerfuhr, auch andern gönnt. Nichts war ihm da— ber unerträglicher als der Gedanke, allein die türkifche Zortur haben überftehen zu müfjen. Bon Herzen gern hätte er dem Heldenfpieler, dem Duartus und Factor, furz jedermann ein ähnliches fchmerzreiches Abenteuer gewünſcht.

Während Lagemann noch bemüht war, den Nie— derroßlaer Rathsbotſchafter für einen Beſuch bei Ab⸗ dullah geneigt zu ſtimmen, trat der lange Factor mit der Nachricht in's Gemach, daß Hanno jetzt außer Gefahr ſei. Das letzte Mittel des Doctor Barring habe vortrefflich angeſchlagen und die gefährliche Kriſis ſei glücklich überſtanden.

„Unkraut verliert ſich nicht,“ dachte Lagemann bei ſich, doch war er froh, daß Hanno geneſe. Er hoffte nun baldigſt hinter das Geheimniß zu kommen, wo- mit ihn der todtkranke Heldenjpieler jo gepeinigt hatte. Da feine Beredtſamkeit bei Zeifig wegen des Beſuchs beim Türken ohne allen Erfolg blieb, jo wandte er ſich an den Factor, damit diefer es dem Actuar gleich- falls begreiflih mache, wie nothwendig und der Würde Niederroßla's angemefjen es fei, wenn Zeifig dem Ab— dullah vor's Quartier rücke.

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Die Discuffion wegen einer AYurebeftellung des Abdullah ward plöglih auf eine höchſt energifche Weile unterbrochen. Alle drei Disputanten fielen mit einem Schlage die Länge nad auf ven Boden. Als man in ſoweit wieder zu fi gelommen war, um über das Die und Warum einer fo unerwarteten Niederlage Betrachtungen anzuftellen, vernahm man ein wahres Donmergepolter auf dem obern Verdeck und in dem— jelben Moment fam Betterlein wie in der Luft durch die Kajütenthür hereingeflogen.

Es hatte ſich plöglich ein Orkan erhoben und eine Riefenwelle das Schiff auf die Seite geworfen. . Der Himmel umzog fi fchwärzer und das Toben bes Sturmed ward bedeutend. Es war das erjte Unmet- ter, welches den Habicht auf feiner Fahrt ereilte und erichien den Niederroßlaern in feiner ganzen unge— wohnten Furchtbarkeit.

Zu dem Orfane hatte fih, um das Schaufpiel des Schredens vollitändig zu machen, ein Gewitter gejellt und die vom Sturm gepeitfchten und Donner durchrollten Wafjerberge gewährten einen fürchterlich majeftättfchen Anblid. Die tieffinftre Nacht ward von den flammenvden Bligen* von Secunde zu Secunde fonnenhaft verklärt.

Der Capitain Sir John erſchien jest in feiner Heldengröße. Mit einer Ruhe, als gelte ed einem unbedeutenden Manöver auf ftilem Meere, ertheilte er jeine Befehle. Seine Stimme durdhpreng Sturm, Donner und Wellengebraus und ob alle bewegliche Sachen auf dem Schiffe über und untereinander ftürz-, ten, ob Tod und Verderben von allen Seiten herein- zubrechen drohten, behielt er dennoch all ſeinen Gleich— muth, ja ſeinen Humor wie beim ſchönſten Wetter.

„Wenn der Sturm ſo anhält,“ meinte er in ge-

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mann boch vielleicht bewegen Tafien könnte, feine bar- barifche Handlungsweife gegen den Attache. einzufehen und um weitres Auffehen zu vermeiden, einen Beutel mit türkifchen Piaftern als Schmerzensgeld herauszu- rüden. Diefe Hoffnung war indeß bei Lagemann, wie er den Türken kennen zu lernen Gelegenheit ge- habt hatte, fehr ſchwach. Weit größre Hoffnung baute er auf den andern Zweck der Zeifig’ihen Miffion, hämlid), daß der Actuar gleichfalls abbaſtonadet wer- den möge. ‘Der edle Magdeburger erfreute fid) nämlich einer jo fchönen Seele, daß er alles Ueble, fo ihm widerfuhr, aud) andern gönnte. Nichts war ihm da= her unerträglicher als der Gedanke, allein die türfifche Zortur haben überftehen zu müſſen. Von Herzen gern hätte er dem Helvenfpieler, dem Duartus und Factor, furz jedermann ein ähnliches fchmerzreiches Abenteuer gewünſcht.

Während Lagemann noch bemüht war, ven Nie⸗ derroßlaer Rathsbotſchafter für einen Befuc bei Abe dullah geneigt zu ſtimmen, trat der lange Factor mit der Nachricht in's Gemach, daß Hanno jetzt aufer Gefahr je. Das legte Mittel des Doctor Barring habe vortrefflich angejchlagen und die gefährliche Krifis jei glüdlid, überftanden.

„Unkraut verliert ſich nicht,’ dachte Lagemann bei ſich, dod war er froh, daß Hanno genefe. Er hoffte nun baldigft Hinter das Geheimnig zu fommen, wo= mit ihm der todtkranke Heldenſpieler ſo gepeinigt hatte. Da ſeine Beredtſamkeit bei Zeiſig wegen des Beſuchs beim Türken ohne allen Erfolg blieb, ſo wandte er ſich an den Factor, Damit dieſer es dem Actuar gleich- falls begreiflich mache, wie nothwendig und der Würde Niederroßla's angemefjen es fei, wenn Zeifig dem Ab— bullah vor’8 Quartier rücke.

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Die Discuffion wegen einer AYuredeftellung des Abdullah ward plöglih auf eine höchſt emergifche Weiſe unterbrochen. Alle drei Disputanten fielen mit einem Schlage die Länge nad) auf den Boden. Als mun in foweit wieder zu fi gefommen war, um über das Wie und Warum einer jo unerwarteten Niederlage Betrachtungen anzuftellen, vernahm man ein wahres Donnergepolter auf dem obern Verdeck und in dem— felben Moment kam Betterlein wie in der Luft durch bie Kajütenthür heveingeflogen.

Es hatte ſich plötlich ein Orkan erhoben und eine Riefenwelle das Schiff auf die Seite geworfen. . Der Himmel umzog ſich fchwärzer und das Toben bes Sturmes ward bedeutend. Es war das erjte Unwet— ter, welches den Habicht auf feiner Fahrt ereilte und erſchien den Niederroflaern in feiner ganzen unge- wohnten Furchtbarkeit.

Zu dem Orkane hatte fih, um das Schaufpiel des Schredens vollſtändig zu machen, ein Gewitter geſellt und die vom Sturm gepeitſchten und Donner durchrollten Waſſerberge gewährten einen fürchterlich majeſtätiſchen Anblick. Die tieffinſtre Nacht ward von den flammenden Blitzen von Secunde zu Secunde ſonnenhaft verklärt.

Der Capitain Sir John erſchien jetzt in ſeiner Heldengröße. Mit einer Ruhe, als gelte es einem unbedeutenden Manöver auf ſtillem Meere, ertheilte er ſeine Befehle. Seine Stimme durchdreng Sturm, Donner und Wellengebraus und ob alle bewegliche Sachen auf dem Schiffe über und untereinander ſtürz⸗ ten, ob Tod und Verderben von allen Seiten herein- zubrechen drohten, behielt er dennoch all feinen Gleich— mutb, ja feinen Humor wie beim fhönften Wetter.

„Denn der Sturm jo anhält,” meinte er in ge-

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mächlichem Gonverfationstone zu Victor, als biefer fih bei ihm nah dem Stande der Dinge und ber Größe der Gefahr erkundigte, „jo kann fi unfer Koch die Abenpmahlzeit erfparen, wir fonpiren alsdann nicht fowohl auf dem Meeresgrunvde, als werben vielmehr joupirt von Fiſchen und Meergewürm.“

Als ſich ſo eben eine weiße, geiſterhafte und ver— derbenſchwangere Welle dem Schiffe näherte, ſagte er: „Wenn Ihr den Tod noch nicht geſchaut habt von Angeſicht zu Angeſicht, ſo ſieht er aus wie dieſe Welle, welche ſehr Uebles im Sinne führt.“

Zugleich donnerten wieder ſeine Befehle im wun— derlichen Kauderwelſch; von Neuem fuhren die Ma— troſen wie behert auf und nieder und gaben dem Schiffe eine ſolche Richtung, daß die gefahrdrohende Welle nicht ihre ganze Gewalt an dem Schiffe ent- laden konnte.

Auch Gamaliel hatte ſich auf's Verdeck herausge- wagt, hielt eine Strickleiter umklammert und ließ ſich willenlos mit dem Schiffe auf- und abſchleudern. Auf Victor's Anfrage, ob er und Drollinger nicht etwas helfen könnten, ſchüttelte Sir John den Kopf.

„Jetzt noch nicht,“ ſprach er, „ſobald das Schiff keinen Leck bekommt, hat es keine Noth; aber wir müſſen alle Augenblicke befürchten, daß die Planken berſten und das Waſſer den untern Schiffsraum füllt. Dann könnt Ihr pumpen, ſo viel Ihr Luſt habt. Ich werde vor der Hand in den Kajüten die Pumpen an— legen laſſen. Die Paflagiere müſſen in den zweiten Schifferaum hinab. Falls Ihr Euch hier oben nicht gefallt, würde ich gleichfalls vathen, in den ficherern obwohl unbequemern Gewahrfan des zweiten Dede Euch zu verfügen.”

Samaliel und Bictor erklärten, bein Capitain

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aushalten zu wollen, während Leßterer einigen Mar teofen den Befehl ertheilte, die Kajüten ver Nieder- roßlaer zu räumen.

Lagemann, Zeifig, ver Factor und Betterlein be= fanden ſich ebenfall® in feinem beneidenswerthen Zu— ftande. Sie glaubten ſämmtlich, daß ihr letztes Stündlein gekommen ſei und waren über alle Maßen demüthig und gottesfürchtig.

Als die Matroſen eintraten, die Kajute zu ränu⸗ men, lagen alle Vier brüberlidh umarmt wie ber Rattenfönig auf dem Boden. Obſchon unter obwal- tenden Umftänden Jedem das Lachen hätte vergehen jollen, jo brachen die rohen Schiffeleute doch in ein unmäßiges Gelächter aus, als fie die Nieverroßlaer in jo herzbrechenper Umarmung erblidten.

Die am Boden Liegenden ſchöpften neuen Athem, und neue Hoffnung zog in die angſterfüllte Bruſt, als ſie die Bootsleute ſo urkräftig lachen hörten. Sie ſchloſſen daraus, daß die Gefahr vorüber ſei.

„Wie fteht’g denn mit dem Sturm und Gemit- ter?” erfundigte fi) Lagemann, welcher zuerit die Spradye wieder erhielt.

„Voxtrefflich,“ war die Antwort, „wenn das Un- wetter jo forttobt,. find wir um Mitternadht al’ int Himmel.” |

„Diefes Unglüd wolle doch ein grundgütiger Gott verhüten! vief der Attache ſchaudernd und die An— dern ftimmten ein.

„Ho, ho,“ verſetzte ein Matrofe, „it das ein fo großes Unglück, bald in den Himmel zu kommen?’

„Dir ftehen ſämmtlich in ven beiten Jahren,“ gab Lagemann zu bevenfen.

„Was da,” lachten vie Bootsleute, „‚geitorben

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muß einmal fein, ob ein paar Jahr früher over Tpä- ter, kommt auf eins heraus.” |

Die Nieverroßlaer, auf der Erbicdhaftsreife begrif- fen, gingen von andern Prinzipien aus. Sie modh= ten vom Tode fchlechtervings nichts willen, am we⸗ nigftend Lagemann. Cr klagte, daß er aufs Ableben noch gar nicht vorbereitet fei.

Die Matrofen ließen fih auf feine weitere philo=- ſophiſche Auseinanderjegung über Tod und Unfterb- lichkeit ein, ſondern mahnten die Niederroßlaer, auf- zufiehen und die Kajüte zu verlaſſen.

- ‚Aber wo jollen wir denn bin?” frug Lagemann zähneklappernd.

„Ein Stockwerk tiefer,“ war die Antwort.

„Aber warum will man und hier vertreiben?“ er- fundigte ſich der Attache meiter.

„Damit Ihr nicht den Pumpen im Wege ſeid,“ erwieberte ein Matroſe.

„Weh, jo dringt wohl das Waſſer ſchon ein?”

„Es wird nicht lange dauern und wir haben alle Schiffsräume voll.‘

Die Nieverroßlaer wurden bei dieſer Rede wieder von Entjegen gepadt; gleihwohl rührten fie ſich nicht von der Stelle.

„Alone, erhebt Euch,“ commandirten die Boot8- leute, „wollt Ihr bis zum jüngften Tage hier Liegen?‘

Der menſchliche Rattenfönig fette fich jet etwas in Bewegung, aber er war mit feinen acht Armen und Füßen dermaßen in einander verwachſen, daß es viel Mühe machte, ven Knäuel aus einander zu bringen.

Die Matrofen machten nicht viel Umftände, fon- dern padten einen nad den andern, fehüttelten fo lange, bi8 die Mebrigen abfielen, trugen ihn aus ber Kajüte und ſchoben ven Halbbewußtlofen durch eine

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Tallthüre wie einen Geföpften, auf vie Gefahr hin, daß er Arm und Beine bredhe, in den untern Raum, wo er mit ziemlichem Geräuſch auf den Boden fiel.

Lagemann, als er hinabtransportirt wurde, be= faß noch fo viel ©eiftesgegenwart, den Matrofen ihr gewiffenlofes Fluchen zu Gemüthe zu halten.

„Wenn Ihr von Eurem rafenden Gefluche nicht ablaßt,“ ſprach ev, „To iſt's kein Wunder, dag wir allefanınıt zu Grunde gehen. So moderirt Euch doch in Etwas und bedenkt, daß Ihr Chriften ſeid.“

„Was räjonnirt die Landratte,“ tönte e8 zur Ant- wort, „Ichlagt ihr den Hirnſchädel ein, fo fie muckt.“

Lagemann hielt e8 nad) diefer Aeußerung für ans gemeflener, dem rohen Schiffsvolke feine moralifchen Zumuthungen weiter zu ftelen. Er verſchwand gleich darauf in der Tiefe und fiel auf Zeiſig, welder als matter Karpfen bereits unten am Boden lag.

Auf den Attaché folgte Vetterlein. Dieſer glaubte in der Angft feined Herzens, er folle über Bord ge= worfen werben, um das Schiff flott zu machen. Kr firampelte daher aus Leibesfräften, als er von einem der hanpfeften Matrojen in die Höhe gehoben ward, aber feine Widerfpenftigfeit vermochte nicht® gegen bie höhere phufifche Gewalt. Er fam auf Lagemann zu liegen, welcher entſetzlich aufſchrie, als er noch ein andres lebende Weſen auf fich verfpürte.

Gebt Fam die Reihe an den Factor, welcher dem dunkeln Gefchic feiner Landsleute und Gefährten folgte und in dem dunkeln Sciffsraum krochen nun bie vier Niederroßlaer wie Krebje auf und nieder, beftän- dig einander in den Weg kommend und einander anftogend.

Durch die Fahrt in die Tiefe waren fie, big auf Zeifig, welcher ven Geift aufzugeben vermeinte, ſo f

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ziemlid) wieder zu ſich gelommen und führten unter⸗ irdiſche Geſpräche.

„Wenn wir nur wenigſtens ein Licht hätten,“ ſprach der Attaché, „daß wir unſer Unglück etwas beleuchten könnten, ſo tappt man in Egypten wie zur Zeit der Finſterniß; ſeid Ihr das, Factor?“

Mit dieſen Worten hatte er ein Bein gefaßt und wußte nicht, wen es zugehörte. Betterlein meldete fih als Eigenthümer, indem er es zurüd und an ſich zog. „Heiliger Himmel,“ ſchrie plötzlich eine Stimme, welche dem Factor angehörte, „mir lief ſo eben ein Mühlrad über ven Leib. Ich bin ganz breit gedrückt.“

„Poſſen,“ tröjtete Lagemann, „wo fol ein Mühl- rad herfommen? Dergleichen gibt's nicht auf Schiffen.” .

Süßmilch hatte fo ganz unrecht nidht, nur irrte er fich in dem Gegenſtande, der ihm über den Bauch gerollt war. Diefer beftand in einem Faſſe mit Spi- ritus, welches bei jeder ftarfen Schwankung des Schiffe von der einen Wand zur andern rollt. Es mar das einzige Mobiliar in dem ftocfinjtern Raume.

Betterlein, des unnüten Herumkriechens auf Hän— den und Füßen (ein aufrechtes Gehen war wegen ber niedrigen Dede, an welcher man jeven Augenblid mit dem Kopfe anjtieg und wegen bes unerhörten Schwan= fen des Schiffs unmöglich) überbrüßig, hatte fih in eine Ecke geflüchtet, wo er fi) an eine eiferne Klam— mer anhielt und außftredte, um ein wenig Ruhe zu genießen. Leider follte ihm dieſe nicht lange zu Theil werben. Er fühlte ſich plöglid won einem feiner Un— glüdsgefährten an den Haaren gezauft und auf höchſt Ihmerzhafte Art an der Naſe gezwidt. Er that mit dem Kopfe einen energiſchen Ruck rückwärts und machte den Landsleuten Vorwürfe, daß man ſich

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in ſolchen Stunden der Gefahr dergleichen Scene \ erlaube,

„Ih war's nicht, * vertheidigte ſich ver Factor, welcher vor allen Dingen trachtete, den vermeintlichen Mühlftein aus dem Wege zu befommen, ver nun be- - vet? zweimal an ihn angerollt und ihm fat vie Seele aud dem Leibe gepreßt hatte.

„sh auc nicht,” feufzte Yeifig aus einer ent- fernten Ede des Raums, wo er wie ein Häufchen Unglück zufammengefauert ſaß. | Betterlein, welcher troß dieſer Zufiherungen von

Neuem an den Haaren gezwidt wurde, richtete nun ſeine mißbilligende Rede an Lagemann.

„Daß Ihr doch,“ ſchalt er, „Eure Schabernacken nie laſſen könnt, Lagemann. Es iſt dies ein rechter Schattenpunkt in Eurem Charakter.“

Der Attaché, welcher ſich nie ſo unſchuldig gefühlt wie diesmal, betheuerte aus Leibeskräften, daß ihm ein Schabernack nicht entfernt in den Sinn gekommen ſei. Er habe mit eigner Noth zu kämpfen.

Vetterlein wußte jetzt nicht, was er denken ſollte. Alle Welt verſicherte ihre Unſchuld und gleichwohl zauſte es ihn hartnäckig in den Haaren, ſobald er den Kopf ausſtreckte. Um ſich nun handgreiflich zu überzeugen, daß es Niemand anders als der boshafte Magdeburger ſein könne, griff er bei abermaligem Zauſen raſch über ſich, um die Hand des Miſſethäters zu erhaſchen und ihn in flagranti zu ertappen. Aber mit Entfeßen fuhr er zurüd, als er eine lebendige Ratte padte, die ihn noch dazu in ben Finger biß. Der Duartus erhob ein Zetermordio ob biefer Ent- dedung und traf fofort Anftalt, die Schiffswand zu verlaffen und wieder nach der Mitte zu fteuern.

In demfelben Augenblide fühkte —* Fa Zeifig

Stolle, ſämmtl. Schriften XVII,

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angefreffen und zwar an dem Theile feines Körpers, ter beim Nieverfauern faft den Fußboden berührte. Er feste fi ebenfalls fo fchleunig wie möglid in Dewegung und froh der Mitte zu, wo er mit Vet— terlein, feinem Rattenleivensgefährten, fopflings zu- fammenftieß. Die beiden tauſchten eben ihre bittern Erfahrungen aus, als auch Lagemann hinreichende Beranlaffung fand, in ein Zetermordio auszubrechen. Das Rad des Schickſals, die Spiritustonne, welche bin und wieder follernd, fchon den Factor fo übel mitgejpielt, hatte auch ihn erreicht und war ihm Direct über die Hinterfüße gegangen.

Es kann wohl faum eine troftlofere Lage gedacht werden, als diejenige war, in welcher fich die vier unglüdlichen Niederroßlaer befanden. Keinen Augen blit fiher, wie neuwafchnes Linnenzeug von dem ge= füllten Spiritusfaffe gerollt und lebendigen Leibes von den Ratten angefreflen zu werden, glichen fie wirklich ven Berdammten im unterften Höllenpfuhl.

Indeß kann ver Menſch Unglaublicyes ertragen, bevor er total verzweifelt und aus der Haut führt. Die Niederroßlaer Tieferten den Beweis. Cie ftreng- ten ihre gefammten Geiftesfräfte an, um fi aus ber unerträglichen Lage zu befreien.

Lagemann that ven Vorſchlag, fid) wieder zu con= zentriven, zu umfchlingen und als Vereinsförper dem Ungemad die Stirn zu bieten.

„Es tft Dies das Befte, mas wir thun können,” ſprach er, „wir fchlagen dann mit vereinten Kräften die Angriffe der Ratten ab und legen uns als Vor— gebirge dem umherrollenden Gegenftande, der nad) meinem Dafürhalten fein Mühlftein, ſondern eine ge- füllte Tonne ift, in den Weg.”

„Wäre ed nicht gerathener,‘ gab der Factor zu

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bevenfen, „wir juchten wieder die Oberwelt zu ge= winnen? Ich will Lieber im Maſtkorbe fchaufeln, auf die Gefahr Hin, in's Meer zu fallen, als in dieſer Morphöhle länger verweilen.”

„Es ift dies auch meine Meinung,‘ verfetste ber Duartus; „die Ratten fcheinen von beifpiellofem Ap- petite, und unfereind hat, was ben Leib anbelangt, nicht viel zuzuſetzen.“

Auch der Actuar pflüfterte bei.

Der praftifche Lagemann erwiederte: „Ihr ſprecht, wie Ihr es verſteht. Unferm Kalle nad zu fchließen, müffen wir ein halbdutzend Ellen in die Tiefe gefahren fein. Die Fallthür ift zugeichlagen, feine Stiege führt nad) der Oberwelt; zudem herrſcht hier eine Fin— fterniß, daß man die Hand vor den Augen nicht fieht. An ein Entkommen ift unter ſolchen Umftänvden nicht zu gedenken. Alſo vereinigen wir uns; Bruſt an Bruſt trägt fi das Mißgeſchick Leichter.“ J

Die Rede Lagemann's fand Anklang und man be— ſchloß, ſeinen Vorſchlag in Ausführung zu bringen. Dies war aber nicht ſo leicht. Von allen Seiten kroch man zwar gegen einander, aber die heftigen Schwankungen des Schiffe, jo wie die rückſichtslos auf- und niederrollende Tonne erjchwerten eine Ber- einigung. Jeder griff in der Dunkelheit um fi), um wo möglich einen Landsmann zu erhaſchen. Endlich thaten die weitaußgreifenden Arme des Factors einen Fang. Es war der Actuar. Sogleich annoncirte Süßmilch das glückliche Ereigniß mit den Worten: „Wir haben uns.“

Ber?” frug Lagemann in die Nacht.

„Ich und Zeiſig,“ war die Antwort.

„Haltet feſt an einander,“ rieth der Attaché und ſteuerte dem Orte zu, von woher der Ruf erflungen

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war. Nach ziemlich langen Umhertappen . gelang es ihm, die Bereinigung zu bewerfftelligen.

„Seid umſchlungen, theure Landsleute,“ ſprach er, „jetzt ſoll uns nichts mehr trennen. Schlagt die Arme um einander brüderlich.“

Jetzt fehlte nur noch Betterlein. Dieſer irrte als detachirtes Corps einſam in dem weiten Raume um— her und jammerte über alle Maßen, daß er der Ge— fährten nicht habhaft werden konnte.

„Quartus, wo ſteckt Ihr?” frug Lagemann.

„Hier,“ tönte es kläglich aus entfernter Ecke.

„Kriecht dem Schalle nach.“

Vetterlein befolgte dieſen Rath. So kam endlich die Quadrupelallianz zu Stande. |

„wenn jest die Tonne kommt,“ ſprach der um— fichtige Attahe, „fo wollen wir uns bemühen, ber= jelben babhaft zu werden. Wir nehmen das Beeſt alsdann in die Mitte und verhindern das Auf- und Niederrollen.“ |

Diefen lettern Borfchlag Lagemann's auszuführen war nut vielen Schwierigkeiten verbunden. Die Tonne fam angeprallt, aber eh’ man ihrer habhaft werben konnte, war fie ſchon wieder zurüdgerollt. Ihr An- lauf erjchütterte aber jevesmal das Duarre gewaltig und ließ höchſt unangenehme Empfindungen zurüd. Es bedurfte geraume Zeit, bevor man das wider— ſpenſtige Locomotiv zwifhen Süßmilch's und Zeiſig's Leichnam dermaßen placirt hatte, daß ein Weiterrollen verhindert wurde. Neben den zwei Genannten waren Vetterlein und Lagemann gelagert.

Der Factor fand ſich nach einiger Zeit Mr der Bemerkung veranlaft, daß ſich's Feineswegs bequem liege. Auch Zeifig pflichtete feufzend bei. Der At«

r\ tache tröftete. In Betracht der umherrollenden Tonne

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liege man wie im Himmel. Süßmilch konnte dieſem Ausfpruche nicht beipflichten.

„Für bie Länge, “ſprach er, „halt ich's nicht aus, Was meinen Sie, Actuar?”

„Bei mir dürfte derfelbe Val eintreten,” gab dieſer zurüd, Ä

„Bir wechſeln fpäter,” verhieß Lagemann.

„Das ift höchſt wünſchenswerth und zwar je eher je lieber,“ meinte der Yactor, „mein Arm, dev zu- nächſt liegt, ift bereit mürbe.“ Ä

Die Ratten, welche bei dem Bereinigungswerfe der Niederroglaer ſich etwas zurüdgezogen hatten, fehrten wieder, al8 man ruhiger lag. Auf den um- glüdlihen Quartus, an deſſen Perrüde fie abſonder— lichen Geſchmack gefunden, geſchah wieder ver erfte Angriff. Vetterlein ſchrie wie ein Geſpießter un, hieb mit Todesveradhtung um fih. -

Dieſe energifchen Ausfälle ftörten indeß Die gefrä- ßigen Beſtien diesmal weniger. Sie überfletterten ben Kleinen Körper Betterlein’®, welcher mit auferor- dentlicher Vehemenz nad) allen Seiten ausfchlug, fo dag er dem Factor fehr befchwerlih fiel, ver auch nicht ermangelte, feine höchſte Mißbilligung ob folcher Strapazen auszufprechen. Betterlein befand ſich in- deß keineswegs in der Lage, auf Süßmilch's Mip- ſtimmung Rüdficht zu nehmen. Der Zweck, die Rat— ten abzufchütteln, ging ihm. über Alles, Wirklich gelang ihm dies aud durch gewaltiame Anftrengung; aber vie Folge davon war, daß die langgeſchwänzte Ratte über den Factor herfiel.

Süßmilch, von zwei Seiten angegriffen, der Spi- vitustonne und ben Ratten, geriet in aufßerorbent- liche Extaſe. Er wälzte in ver erften Verzweiflung das Spiritusfaß geradezu Zeifig auf den Peib. Die:

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jer glaubte nicht anders, als ein Welttheil läge auf. ihm; er nahm feine legten Kräfte zufammen und beförberte vermöge eined ausdrucksvollen Katzenbuckels, er lag nämlich auf dem Bauch, die nicht eben be— neidenswerthe Weltkugel auf Lagemann, über welchen ſie hinweg wieder in's Freie rollte, um ihr voriges läſtiges Spiel von Neuem zu beginnen.

So war es einem halben Dutzend Ratten gelun- gen, das Niederroßlaer Ouarre total zu fprengen; denn ein „Leder war jett auf die Vertheidigung feiner eige- nen Perſon bedacht. Es entitand nım em entjeßli- her Fauſtkampf, der zwar zunächſt gegen die Schiffs- ratten berechnet war, aber mandyer ver zahllofen Püffe traf auch Unſchuldige.

Das Mißgeſchick vol zu machen, begann num die Tonne wieder ihr hölliſches Weſen und bohrte bald biefen bald jenen ber bemitleidenswerthen Niederroß- Lxer in den Grund.

An ein feſtes Zufanımenhalten ver Unglüdsgefähr- ten war nicht mehr zu denken. Lagemann, welcher fi) bei der Bereinigung noch am Beſten befunden hatte, brachte die Centralifationsfrage wieder in An— vegung, fand aber feinen Anklang. Die Ueberrum— pelung der Tonne, wie verteufelt unbequem fie war, fürchtete man weniger als den Angriff der unheimli— dien gefhwänzten Säfte, welde mit unermüplicher Deharrlichfeit ihren Hunger zu ftilen fuchten.

Es war, wie bereits erwähnt, ftodfinfter in dem Schiffsraume, worin die Nieverroßlaer eingefperrt waren. Demzufolge ereignete fich die grauliche Er— Iheinung, daß die Augen der Ratten wie Heine Lich- ter leuchteten. Lagemann, nachdem er dieſe Bemer— fung gemacht, trat mit feinen großen Ctiefeln wie

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befefjen nad den Feuerfunken und gab den Anvern den guten Rath, feinem Beiſpiele zu folgen.

Jetzt glich der. Schiffsraum einer Del- und Walk— mühle. Jeder ſprang vell Eifer nad) den lichten Punkten, um fie auszupugen. Oft verlor man darü— ber das Gleihgewiht und fiel die Länge lang auf den Boden. Zuweilen unterbrach auch bie rollende Tonne die Springübungen, indem fie diefen oder jenen die Beine unter dem Leibe hinweg nahm.

Die vier Niederroflaer Erbfahrer vollführten einen wahrhaften bethlehemitifchen Kindermord unter der egyptifchen Landplage; alle Mittel waren erlaubt ge= gen die gefräßige Thierart. Der fonft fo fanfte Zeifig arbeitete mit einer Wuth an dem Bernichtungswerfe, die man feinem chrijtlichen Gemüthe gar nicht zuge— traut hätte. Der Factor als Rattenvertilger war fein Menſch mehr, er gerirte fih als Wolf in einer Läm— merheerde. Betterlein knipſte mit einem colofjalen Appartementſchlüſſel, den er ftetS bei fich trug, wie die Schulknaben nach Pfirfichlernen, nach den illumi— nirten Rattenföpfen, während Lagemann wie ein Win- zer in der Weinkufe mit feinen Dragonerftiefeln auf und nieder trat. Aud Die Tonne trug durch ihre unermüdliche Beweglichkeit zum Untergange der Rat: ten bei.

Solchen vereinten Bemühungen fonnte der Sieg niht ausbleiben. Die gefhwänzten Gäfte wurden nad) einer radicalen Niederlage total in die Flucht geihlagen, jo daß die Niederroflaer endlich Luft be= fomen und ihre Aufmerkſamkeit wieder der Tonne zu= wenden fonnten.

Lagemann war hier wieder derjenige, ber durch feinen weifen Rath bedeutenden Einfluß auf feine Gefährten gewann. Er flug vor, des Faſſes fi

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zu bemädhtigen und nachzuſehen, welde Flüſſigkeit dar- innen aufbewahrt fei. Fände fi etwas Geniekba- red vor, jo wolle man fich recht fatt trinken und den Ueberreft auslaufen laſſen. Es Tiege fih ja an ben Fingern abzählen, daß eine leere Tonne weit leichter zu bewältigen fei, als eine gefüllte. Was vie Sünb- fluth anlange, vie entftehen könne, jo würde fih in dem weiten Raume ſchon irgend eine Deffnung vor- finden, wo die Näffe ablaufen könne, aud würden ba die vielen Rattenleihname hinweggeſpült. Dieſe Rede fand allgemeinen Beifall. Man bemunderte das Genie und Denkvermögen des Attaché's; ſelbſt der gereifte und welterfahrene Betterlein bekam Refpect vor der geiftigen Größe des Magveburgers, benn auf alle dieſe Vorſchläge wäre er in feiner Weisheit nicht gelommeen.

Man ftellte fefort wieder Jagd auf die Tonne on. Da man fie nicht fah, fo mußte man ihrem . Donnergepolter nachtappen. Bei diefen nächtlichen An— griffen ward Lagemann einmal, der Factor dreimal, Betterlein fünfmal und der unglüdlicye Zeifig neun- mal von dem follernden Ungeheuer über ven Haufen gerannt. Berheerend wie eine Lawine rollte das Spiritus- faß durch den dunkeln Raum, rülkſichtslos Alles nie= derreißend, was fi in den Weg ftelltee Endlich wollte e8 der Zufall, daß fie in ihrem Laufe durch die Körper des Actuars und Betterlein’d, welche über einander am Boden lagen, gehemmt wurbe. Lage— mann fchloß fogleih aus der PBaufe, die nad dem Donnergepolter eingetreten war, daß jet ein günſti— ger Moment fei, des ungeberbigen Yeindes habhaft zu werden. Betterlein’8 Signalruf fam ihm hierbei zu ftatten.

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„Hier liegt fie,” rief der Quartus.

„Wo denn, wo?” frug Lagemanı.

Der am Boden Liegende erhöhte feine Stimme und wieberholte: „Hier, hier!“

Setzt vermochte fi) der Magdeburger einigermaßen

‚zu orientiven. Er tappte über todte Ratten nad) ber Gegend hin, wo Betterlein feine Stimme erhob.

„Endlich hab’ ich fie,” rief der Attahe trium- phirend und war fogleid jo vorfihtig, die Tonne auf den Boden zu ftellen, jo daß fie vom nun an weni— ger Luſt zum Davonlaufen befam.

Der unermüblihe Lagemann vifitirte jet nad) dem Spundlode. Das war aber mit folder Accu— rateffe verwahrt, daß ohne die nöthigen Inftrumente ein Eindringen nicht möglich war.

„Bir werben müffen den Boden einfchlagen,“ meinte der Attahe; „aber womit? das ift die Frage.” Betterlein mußte den Appartementsichlüffel hergeben, mit welchem er die Ratten vor den Kopf geworfen. Lagemann bediente ſich mit ſolchem Eifer dieſes we— nig brauchbaren Inſtruments, bis zu Aller Leidweſen der Bart abbrach.

„Nun ſind wir nicht beſſer daran als zuvor,“ meinte er. „Wer wagt es, hinaufzuklettern, um viel⸗ leicht mit den Füßen den Boden zu zertrümmern? Nach meinem Dafürhalten könnte das der Quartus vermöge ſeiner kleinen Statur am Beſten bewerkſtelli⸗ gen. Wir andern Alle würden zu heftig mit dem Kopfe anſtoßen.“

Die Niederroßlaer, mit Ausnahme Vetterlein's, waren ſämmtlich der Anſicht Lagemann's. Der Quar—⸗ tus proteſtirte heftig gegen den Vorſchlag.

„Wir halten Euch,“ beruhigte der Attaché.

„Aber wenn ich durchfahre, kann ich einen Knacks

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davon tragen zeitlebens,” gab Betterlein zu bedenken. „sn der Tonne kann auch Del ſtecken.“

„Es riecht nah Spiritus,” betheuerte Lagemann.

„Gleichviel, ih danke.” |

„Aber ich begreife nicht,“ meinte der. Sactor, im Finſtern mit dem Kopfe ſchüttelnd, „wie Ihr Euch einer jo gemeinnütigen Unternehmung entziehen könnt. Hätte mid die Natur nicht fo geftredt erjchaffen, würde ich feinen Augenblid Bedenken tragen, dem Gemeinwohl dieſes Opfer zu bringen.”

Auch dieſe factorlihe Ermahnung wollte feine Früchte bringen und Betterlein fi zu dem Empor— Klettern auf die Tonne nicht verftehen.

Diefe höchſt unfruchtbaren Verhandlungen wurden plöglid auf ſehr unfanfte Weife unterbrochen. Eine heftige Schwantung des Schiffs, wo dieſes mit Blitzes⸗ jchnelle von einem Wogenberge in den Meeresabgrund gefchleudert wurde, warf alle vier Delibrirenden im Augenblide mit ſammt der Tonne über den Haufen.

Sie hatten fih kaum von ihrem Schred etwas erholt, als ein neues Ereigniß ihre Aufmerkjamteit in Anfpruh nahm Die Yallthüre, durd welche fie jünmtli von den rohen Matrofen herabgeworfen worden waren, that fih auf und es erfolgte ein neuer dumpfer Fall.

Lagemann war jehr begierig, wer wohl der neue Scidfalsgefährte fein möge, und ob man von ihm nicht Nachricht erhalten könne, wie e8 auf ber Ober welt hergehe. Er kroch fofort nad) der Richtung hin, wo jeiner Berechnung nad der Herabgeworfene liegen mußte, welcher ſich indeß nicht rührte und feinen Laut von fid) gab.

„Der hat unfehlbar feinen Tod gefunden,” dachte der Attahe, „es iſt auch fein Wunder, bier ben

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Hals nicht zu brechen, und id) begreife nicht, wie wir vier fo glüdlich davon gekommen find.“

AS. der Magdeburger jo weit auf Händen und Füßen vorwärts gebrungen war, daß er glaubte, dem neuen Ankömmling ziemlich nahe zu fein, rief er: „Heda, guter Freund, wer ſeid Ihr und wie ſteht's oben auf dem Schiffe?“

Ein tiefes Seufzen war bie einzige Antwort.

„Ihr habt Euch gewiß Schaden gethan beim Her- abfallen?“ erkundigte ſich der Attahe und ftellte fich ſehr theilnehmend.

„Ich bin der unglückliche Hanno,” tönte es zus rück, „den man auf barbariſche Weiſe aus ſeinem Bett geriſſen und in dieſe Mordhöhle geworfen hat.“

Dem Magdeburger war dies Zuſammentreffen gar nicht unlieb. Es war das erſte Mal, daß ihm wie— der Gelegenheit ward, ſich mit dem Heldenſpieler zu unterhalten. Ex beſchloß fogleih', den günſtigen Mo- “ment zu benuten und in Hanno zu bringen, daß er ihn: das Geheimniß wegen des Betrugs entvede, wel- ches dem Attache die ganze Yeit über wie eine Cent- nerlaft auf der Bruſt gelegen. Der SHelvenfpieler, nachdem er Lagemann an ber Sprache erlannt, war aber keineswegs aufgelegt, Beichte zu fißen oder viel- mehr zu liegen.

„En andermal, Lagemann,“ erwiederte er mit matter Stimme, „wenn ich vollkommen bergeftellt bin, jet wird mir das Neben zu fauer.“

„Barum wollt Ihr aber das Geheimniß auf die lange Bank fchieben,” fuhr der Attache dringend fort; „ſo Ihr auf Eure Wieverherftellung wartet, erfahr' ich's im Leben nicht, denn daß Ihr nicht wieder auf: fommt und Daraufgeht, iſt ausgemacht.”

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„Der Arzt hat große Hoffnung, hielt Hanno da—⸗ gegen, „auch ift mir feit einigen Tagen beſſer.“

„Einbildung,“ erwiederte der Attaché, „‚voreilige Phantaſiegebilde. Ich gebe auf Eure Wiederherſtel⸗ lung keinen Heller. Alſo beichtet; erleichtert Herz und Gewiſſen durch aufrichtiges Bekenntniß, es iſt um Lebens und Sterbenswillen. Um wie viel habt Ihr mich denn eigentlich beſtohlen oder betrogen, und wie war das bei meiner Wachſamkeit möglich? Was habt Ihr mit dem unrechten Gute angefangen? Habt Ihr's ſchon verthan oder vergraben? Schenkt mir reinen Wein ein, Hanno, bedenkt die Sterbeftunde, die Euch näher fteht, als ihr meint.‘

Um feiner Rede mehr Eindrud zu verfchaffen, war Lagemann dem am Boden liegenden Helvenjpie- ler ganz nahe gekrochen, fo daß er zu feinem Miß- gefhik gerade unter vie Fallthür gerathen mar. Plöglih that fih diefe von Neuem auf, ein neues Schlachtopfer flog herab und kam höchſt ſeltſamerweiſe auf den Attahe zu fißen.

Diefem konnte, während er dem verftedten Hanno in's Gewiſſen redete, gar nichts Fataleres paſſiren, als dieſer unerwartete Ritt. Er ſchüttelte und bäumte ſich, aber der Reiter ſaß ſattelfeſt.

Hanno, welcher das Geräuſch des Herabfahrens vernommen und welchem Lagemann's Anftgengungen, bes ungebetenen Ritter ledig zu werben, nicht ent= gingen, erfundigte fid) nad) dem neuen Ankömmling.

„Der Teufel mag willen, was das für ein Kerl iſt,“ erwiederte der berittene Attache, der ob feines Obermanns immer aufgebradhter wurde und bie außer- ordentlichſten Anftrengungen traf, den beharrlichen Reiter abzufatteln.

Der Ritter ſchien ſich übrigens auf feinem Plate

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dermaßen zu gefallen, daß er Gegenanitalten traf, das widerfpenftige Roß zur Ruhe zu bringen. Er fuhr Lagemann mit ein paar Niefenfäuften nad der Kehle und brüdte fo vehement, daß der Berittene ſchier vermeinte, aus der Haut zu fahren. Wenn ihn nicht Alles trog, fo hatte er mit dieſem SKehlgriffe bereits in der türkiſchen Kajüte Bekanntſchaft gemacht. Er argwohnte ſogleich nicht ohne Fieberſchauer, daß Tohu oder Bohu als Alp auf ihm'fite, und er täuſchte ſich nicht. Es war Bohu, welder auf Befehl ſeines Herrn den Matrofen hatte follen zur Hand gehen, aber venfelben nur im Wege gewefen und von ihnen als unbraudhbare Möbel entfernt und in den untern Schifferaum zu den Nieverroßlgern geworfen wor— ‚ben war.

Etwas afrilanifches Gemurmel fette e8 dem angit- Ihwigenden Attaché vollends außer Zweifel, und er machte jett ald Roß keine Sprünge und Paraden mehr, jondern war lammfromm geworben, in ber Hoffnung, der Schwarze werde enbli von ſelbſt abſteigen.

Dies geſchah auch nach einiger Zeit, Bohu ver: ließ Lagemann und kroch weiter vorwärts, wo er alsbald mit den übrigen Niederroßlaern Belanntfchaft machte, was zu eigenthümlichen Scenen Beranlaf- jung gab.

Suerft ftieß der Afrikaner auf den Factor, wel⸗ cher ihn für Lagemann hielt und ſich nach dem Hel— denſpieler erkundigte, von deſſen Ankunft er Kenntniß erhalten hatte. Bohu gab keine Antwort; da ihm aber das Umherkriechen auf dem Boden zu unbequem war, ſo beſchloß er wieder den Ritt zu verſuchen und beftieg den Factor.

Süßmilch, ven Schwarzen noch immer für Lage—

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mann haltend, drückte unverholen feine Mißbilligung über ſolches Verfahren aus,

„Welche Unbilligkeit,“ ſprach er, „Lagemann, ich bin doch nicht Euer Pferd, fteigt ab; der Aufenthalt hierjelbft ft an fi) nicht angenehm, und dieſe Laft! Mein Gott, wie ſchwer ſeid Ihr, ich hätt! Euch gar nicht für fo gewichtig gehalten. So fteigt doch ab! Es ift jegt feine Zeit zum Scherz. Ich bitte, La— gemann.“

Der vermeintlihe Lagemann Tieß ſich durch Des Factors Abmahnung nicht irre und abwendig machen, jo daß enbli dem fanften Süßmilch bie Geduld aus— ging und er ebenfalls zu courbetiven begann Dies würde ihn: indeß wenig Nuten gebraht haben, wenn ihm diesmal nicht die Tonne zu Hülfe gelommen wäre. Sie machte einen energijhen Angriff gegen den Factor, warf ihn um, fo daß Bohu das Gleich— gewicht verlor und von dem Rüden Süßmildh’8 herabfiel.

Plöglih vernahm man die nah Hülfe rufende Stimme Zeiſig's. Das Unglück war jett über den Actuar hereingebrohen und er dem umhergreifenden Mohren in die Zange gerathen. Sein richtiger In- ftinft fagte ihm glei, daß ſolche barbarifche Griffe unmöglich von europäiſchen Fäuften herrühren könnten. Bohu ſchlug mit feinen Klauen wie mit Enterhafen in Zeiſig's Schultern. Letzterer witterte die unheim= liche Nähe und ſchrie entſetzlich.

Lagemann ſchloß aus dieſem Geſchrei ſehr folge— richtig, daß der Afrikaner ſeinen diplomatiſchen Chef erwiſcht habe.

„Mag er ſehen, wie er loskommt,“ dachte er bei ſich, „ich menge mich nicht darein.“ Er verſuchte hierauf wieder mit Hanno in Converſation zu treten,

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wozu aber dieſer nicht die geringfte Luft verjpürte, da er fid zu ſchwach und abgefpannt fühlte, |

Süßmilch, welder aus Zeiſi'gs Hülferuf vermu- thete, Daß der jchabenfrohe Lagemann ihn ebenfalls beftiegen habe, ſprach ernſtlich dem Attahe in's Ge— wiſſen. Vetterlein waͤr derjenige, welcher dem Schreier zu Hülfe kroch, um zu fühlen (zu ſehen war nichts), was es gebe. Ihm ward aber ein übler Lohn für feine Dienſtgefälligket. Der Mohr packte ven Heran- friehenven anı Rodfragen und zog ihn mit ungeftü- mer Zärtlichkeit an ſich.

Jetzt ward auch der Quartus mit Graufen inne, daß noch ein andres nicht aus Niederroßla abitam- mendes Weſen im finftern Raume ſich einherbewege. Wäre er nicht ein ſo aufgeklärter Mann geweſen, ſo würde er unfehlbar an den Teufel in Perſon geglaubt haben, denn die Fauſt, die ihn am Rockkragen ge— faßt hatte, ſchien ihn mit Klauen begabt. Er ſchüt— telte alfo aus Leibeskräften, um loszulommen, aber dem Schwarzen mochte es Spaß machen, mit ben Niederroßlaern fein Spiel zu treiben. Er prefte den Quartus mit Innigfeit an fi) wie einen Sohn und Inusperte ihn mit, feinen diden aufgeworfenen Lippen nah afrifanifcher Zärtlicyfeitsfitte über das ganze

eſicht.

Vetterlein ſchrie entſetzlich. Er glaubte, der un— ſichtbare Unhold, in welchem er jetzt gleichfalls den Afrikaner ahnte, wolle ihn anfreſſen.

Ob dieſes außerordentlichen Zetermordio's ward Bohu ungeduldig. Er ſtellte fein Knuspern ein, nach⸗ dem er dem Quartus nochmals kräftig in die Naſe geblafen‘, welches für Vetterlein eine ſehr unangenehme Empfindung hervorbrachte, und warf ihn unwillig von ſich. Das war dem Quartus recht lieb. Er betaſtete

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fh am ganzen Körper und nachdem er noch Alles ‚beifammen fand, war er zufrieven, mit blauem Auge davon gekommen zu jein. J

Zeiſig, da er vermöge ‚einer belegten Stimme weniger fehrie ald der Quartuß, batte noch geraume Zeit mit den Zärtlichfeiten Bohu's zu kämpfen. Er war in feinem Leben nicht jo geherzt worden wie jet. auf dem atlantifhen Ocean im finftern Schiife- raume.

Bon den fünf Niederroflaern hatte jet jeder feine Noth. Hanno war nody halb krank, der Attache mühte fich vergebens, den Helvdenfpieler zum Geftänpniß zu bringen. Süßmilch kämpfte raſtlos mit der Tonne, die. er durchaus zum Steben zu bringen verjuchte. Betterlein froh ruhlos umher, fortwährend in Furcht, feinem afrifanifchen Liebhaber in vie Arme zu gera- then; und Zeifig wußte fih vor den fonderbaren Yieb- fojungen Bohu's nicht zu retten. Der Schwarze hatte ben Actuar, nicht ohne Wivderftreben von Seiten des Lettern, auf den Rüden gelegt und frabbelte ihn mit einer eigenthümlichen Geſchicklichkeit am ganzen Leibe von oben bis unten. In jeder andern Lage würde Zeifig gegen diefe Operation nichts eingewenbet haben, denn fie that ihm wohl, aber immer jchwebte er in der Angft, das feltfame Manöver fünne leicht mit einen Öurgeleinvrüden endigen. Sein Herz pochte daher jedesmal lauter, wenn die Hände Bohu's fid) dem Halſe näherten.

Diefe mannichfache Trübfal der Niederroßlaer Lei= densgefährten follte indeß plößli durch eine neue allgemeine Noth verdrängt werben, gegen welche alle zeither überftandenen Mühfeligfeiten und Drangjale in gar feine Betrachtung kommen fonnten.

Es war nämlich Zeifig, welcher, auf dem Nüden

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ausgeftredt Tiegend und von Bohu ſich frottiren Taf- ſend, zuerjt die Bemerkung machte, daß es ihm jchiene, als werde der Fußboden etwas feudht. Hanno, der gleichfalls ausgeftredt lag, fand fi) alsbald zu der— jelben Bemerkung veranlaft. Lagemann, der jet um: herfriehend die Sache ernftlicher unterfuchte, meinte, es müſſe hereinregnen.

Bald war die Aufmerkſamkeit ſämmtlicher Erb⸗ ſchafter auf dieſe neue und unerwartete Erſcheinung gerichtet. Zeiſig, der es mit dem Rücken in der Näſſe nicht länger auszuhalten vermochte, hatte ſich frei— willig den Liebkoſungen Bohu's entzogen und nahm ſeine frühere Stellung als Vierfüßler ein.

Unterdeſſen wuchs das Waſſer auffällig in dem Schiffsraume und mit ihm die Angſt der eingefperr- ten Niederroßlaer. Lagemann's Hypotheſe wegen des Hereinregnend fand gar feinen Anklang; der Attache glaubte jelbit nicht daran. Es war nur zu gewiß, daß das Schiff bei dem fortwährennen Hin- und Herwerfen einen Led befommen. Der wachſende Tu- mult in den obern Räumen verkündete gleichfalls nichts Gutes,

Wirklich befand ſich das Schiff aud in beveuten- ver Gefahr. Noch immer war Meer und Himmel in undurchdringliche Nacht gehüllt, nur momentan von den Bligen flammend gefpalten. Die Wellen tobten mit unermüdlicher Wuth gegen das Gebäu von Menfchen- hand, welches kaum zu wiberftehen vermochte.

Gleich den eifrigften Matroſen arbeiteten Victor und Oamaliel an den Pumpen, denn bereit8 hatte das Schiff mehrere Lecks erhalten. Die zwei jungen Männer wurden plöglih nad ber Kajüte des Capi- tains berufen und ihre Plätze durch ein paar Boots— leute erſetzt. Als fie zu Sir John in’s Gemad tra=

Stolle, ſämmtl. Schriften. XVII. i

ik

ten, jegte dieſer ſo eben feinen Fräftigen Namenszug unter eine Schrift, welche er aufgefett hatte. Man merkte dem alten Seehelven den furchtbaren Inhalt dieſes Schreibens im Geringften nicht an. Er hatte eine Said Champagner entlorkt und die Gläfer gefüllt.

„Einen Schlud zur Stärkung,” fprad er, die ſchäumenden Gläfer präfentivend. „Die Gefahr ift darnach. Wenn der Himmel nicht Zeichen und Wun- ver thut, halten wir uns feine Stunde mehr. Ich habe daher das Schickſal des Habichts kurz zu Pa- pier gebracht und bitte um größrer Glaubhaftigkeit halber um Eure beiberfeitige Unterſchrift. Das Do: cument wird in einer Iuftleeren, hermetiſch verfchloffe- nen Flaſche aufbewahrt. Es ſoll der Bote unfers Untergangs an die Ueberlebenven fein.” ,

Samaliel wie Victor war nit wohl zu Muthe bei diefen Worten des Capitains. In blühender Ju— gend und Geſundheit lag das Leben nod fo rofig und Iodend vor ihnen, Dazu der Gedanke an bie in der Heimath zurücgelaffenen Lieben. Gleichwohl fiegte in beiden Jünglingen der moraliihe Muth und fie unterzeichneten mit ziemlich fichrer Hand ihre Namen.

Als man die Kajüte verlaffen hatte, ſchien das Unwetter feinen höchſten Grab erreicht zu haben. Zau- und Segelwerf waren zerriffen und man war genöthigt, die Maften zu kappen. Mehrere der Bootsleute hat- ten, das Fruchtloje ihrer Anftrengungen einjehend, fih auf die Knie geworfen und erhoben im frampf- haften Gebet die Arme zum Himmel, wurben aber fogleich wieder von dem wachſamen Capitain an ihre Poften getrieben.

Bictor und Gamaliel arbeiteten mit dem Muthe ver Berzweiflung, ven fteten Untergang vor Augen. Aber mit der Zeit fhwanden auch ihre Kräfte.

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Woge an MWoge donnerte gegen das Schiff. Eine

ſchien eiferfüchtig auf die andere, daß ihr die Beute entgehen fünne. Wilder als je heulte der Sturm durd) die Waſſerwüſte. Ununterbrochen rollte der Donner und die Blitze flammten ohn' Unterlaf. : Da im Augenblid der höchſten Gefahr, ale das Waſſer in den Räumen troß ber übermenfchlichen Anftrengung von Seiten der Matrofen immer höher ftieg und das Schiff jeden Augenblid zu finfen drohte, erjhien von Blitzen umleuchtet Die hohe Geftalt des Abdullah, an feiner Hand die ſchöne Blume Hindo- ftans geleitend. Raſch fehritten die Beiden nach dem Borbertheil des Kauffahrers.

Wie das MWefen einer ſchönern Welt leuchtete von bimmliihem Feuer verflärt die edle Frauengeſtalt am äußerſten Ende des Schiffs. Weithin wehte ihr blen- dend weißer Schleier in die Nacht. Ste hatte ihre Arme erhoben, als wollte fie die tobenden Elemente beſchwören. Sämmtlihde Matroſen ftürzten auf die Kniee; fie glaubten an die Erfeheinung eines Geiftes und hielten ihre legte Stunde für gekommen. Gama- fiel und Bictor, welcher mit dent Erdenleben abge- Ihloffen, für die Fahrt in's unbekannte Jenſeits fich brüderlich umfchlungen hielten, fühlten ſich wunderbar erhoben durch bieje überirdiſche Erfeheinung. - Sie er- Ihien ihnen wie der frühlingsvolle Führer nad) dem Lande jenfeitd der Gräber.

Da nahte fich ſchwarz und. verhängnißvoll eine Rieſenwelle; weißer Schnee kräuſelte voran; ſie kam näher und näher, ward größer und größer, jetzt himmelhoch; ein herzzerreißender Schrei und Schiff und Mannſchaft verſanken in die Tiefe des Meeres.

8 *

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Sechstes Kapitel.

Einſam rauſchte der Abendwind in den hohen Pal— men ded Borgebirge® St. Anna auf der Weftküfte von Afrika, wo unfern des Strandes, am Cingange eines Gummiwaldes, , die Schiffbrüdhigen des Habichts ihre dürftigen Hütten aufgefchlagen hatten.

Jene Niefenwelle, welche die Unglüdlichen in ih- rem Schooße verbarg, hatte zugleich das Gute gehabt, das Schiff zwiſchen Klippen zu werfen, wo es ſich fo Lange zu halten vermochte, bis Matrofen und Paf- jagiere die Nettungsboote beftiegn. in andrer glüdliher Stern wollte e8, daß das Kontinent von Afrika nicht entfernt war und den bis zum Tod er- Ihöpften Mannfchaften, nach beifpiellofen Anftrengun- gen, die Landung geftatteten. Nur zwei Menfchen- leben waren Beute ded empörten Elements geworben, ein Matrofe und ein Schiffsjunge, während fammt- liche Niederroßlaer, felbft der noch halbfranfe Hanno, fo wie Herr Abdullah nebft der fchönen Braminin und Tohu und Bohu, glüdli das Land erreicht hatten.

Es würde vorliegende Gefchichte zu weit ausjpin- nen, wollte man das eben fo außerordentliche wie ge— jährliche Abenteuer, das die Nieverroßlaer in Gejell- ſchaft Bohu's bei dem eindringenden Wafler in ih— vem höchſt incomfortaben Schiffsraume zu beftehen hatten, ausführlicher bejchreiben. Nur fe viel ſei er- wähnt, daß bei dem Wachſen der Flüffigfeit einer auf den andern zu fleigen bemüht war, um dem Er— trinfen zu entgehen; daß Lagemann, jeve KRüdficht der Humanität verlegend, Alle8 in Grund und Bo-

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den trat, um nur feine theure Perfon im Trodnen zu erhalten; wie der Kleine Betterlein bie beflagens= wertheite Rolle fpielte, der lange Factor aber ver- möge feiner langen Figur von Schickſal am Meiften begünftigt wurde. Bei alledem würden die guten tm zweiten Schiffsraume befindlihen Niederroßlaer eines elendiglichen Todes gejtorben fein, wenn nicht Victor und Gamaliel als ihre Retter erichienen wären. Bon den Matroſen gedachte Niemand der Eingejperrten, jelbjt der Capitain fchien ihrer vergeffen zu haben, als im höchſten Augenblide der Gefahr, wo das Waller in den unteren Räumen immer höher ftieg, Morand und Drollinger, wie von einem Gedanken ergriffen, nad) dem zweiten Ded hineilten, bie Fall⸗ thüre öffneten und eine Leiter hinabließen.

Den Niederroßlaern ging das Waſſer bereits an den Nabel, Vetterlein ragte nur als Büſte aus der Fluth.

Kaum hatten die Schiffbrüchigen das Land be— treten, als die Matroſen ſogleich Hand anlegten, eine Anzahl Hütten aufzubauen, wozu der in der Nähe gelegene Gummiwald hinlänglich Material bot. Zu gleicher Zeit trat eine Art Kriegsrath zuſammen, um über die Frage zu belibriren, was unter obwaltenden Umftänden zu thun fe. Das berathende Collegium beftand aus dem Sapitain, den Doctor Barring, dem Hochbootsmann und einigen der älteften und erfah- renften Matrofen. Aud) Abdullah und Victor wur- ben dazu gezogen, während Gamaliel bejchäftigt war, feinen Landsleuten Troſt zuzufprechen, die von allen: moraliihen Muthe verlaflen, in der niedergefchlagen- ften Stimmung in einiger Entfernung unter bem Schatten einiger Maulbeerbäume fich gelagert hatten. Selbft Lagemann jhien auf afrifanifhem Grund und

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Boden gar nicht der Alte mehr. Er lag, von Gott und Welt nichts willen wollend, lang ausgeftredt im Sande und verwünfchte den Speculationsgeift, ver ihn nad) fernen Rändern getrieben. Der Rathsactuar mochte Tieber gar nichts denken, er machte die Bemer⸗ fung, daß er fid in einem foldhen unangeftrengten Zuftande am Leiplichften befinde. Der Factor und Betterlein, welche es in ihrer Philofophie noch nicht bi8 zu diefem Zeiſig'ſchen nichtventenden Höhepunft gebracht hatten und fid noch mit Scrupeln und Zwei— teln aller Art über. Gegenwart und Zukunft plagten, befanden fich deshalb auch weit miferabler. Die Zu— funft gähnte wie ein ſchwarzes Todesthor vor ihnen und ber Gedanfe daran entprefte ihnen mehr wie einen Seufzer. Hanno's Lage konnte noch für Die ryafjabelfte gelten. Bon ver Landluft fühlte er fid) als Reconvalescent wunderbar geftärft, und wenn er an das dachte, was er durch den Schiffbruch verlo- ren, fo ließ fih dieſer Berluft ertragen. Hatte er doch ſelbſt fein beveutenpftes Mobiliarvermögen, den Carbonari, gerettet, welcher ihn jet als Schattendach gegen den Sonnenbrand, jo wie als Schuß gegen bie kalte Nachtluft trefflidh zu Statten fam. Die Duca⸗ tenwurſt trug er beftändig um ven Leib, desgleichen die gerichtliche Vollmacht der verwittweten Glaſermeiſter Kluge zu Erhebung der Kabul'ſchen Erbſchaft.

Die Blume Hindoftans, ſobald fie das Land be= treten, war auf Abdullah's Winf tief verjchleiert nad einem unfern gelegenen Palmenhain gebracht worden, wo Tohu und Bohu ſogleich bemüht waren, eine Hütte für fie zu erbauen.

Dafür war fein Mangel an buntfarbigem Geflü- gl aller Art, deſſen eintöniges ſchrillendes Geſchrei mit feinem glänzendem Farbenſchmuck in vollem Wi-

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derſpruche fand. Ein noch weit unheimlicheres Ge: fühl als dieſes Vögelgefchrei erregte aber namentlich) bei den Nieverroßlaern das Geheul der zahlreichen Schakals, die fi) des Nachts ziemlich fnahe heran: wagten. Dieſes unheimliche Gefühl erreichte feinen höchſten Grad und ging in gelindes Hanrfträuben über, als fih im nahen Gebirg das Gebrüll eines Löwen vernehmen’ lieh. .

Wenn die Nieverroßlaer, die alle zufammen eine und dieſelbe Hütte bewohnten, während der Nacht ſolche außergewöhnliche afrifanifhe Töne hörten und entjegt mit den Köpfen zufammen fuhren, wie bie Schafe beim Wetterleuchten, jo konnten fie nicht genug ver lieben Heimath und des gebenebeiten Nieverroßla gevenfen, wo Jahr aus Jahr ein nur Das fanfte Ge- brüll einer frommen Kuh und das friedliche Geblök eine? Hammeld oder das muntre Gebell eined wach— famen Hofhundes und im Frühling herzerquidenver Bogelgefang durch die Lüfte tönt.

„Dieſes Afrika,” behauptete Lagemann, welchen fo eben ein Moskito auf die Nafe geftochen hatte, ohne daß er deſſelben hätte habhaft werden können, „muß der Herrgott wirklich in feinem Zorn erjchef- fen haben.” _ '

„Es ift das unerträglichite Land, das mir je vor- gefommen ift,“ vwerficherte der Factor, der gleichfalls auf der Moskitojagd begriffen und von den Stichen diefer beläftigenden Infectenart ganz wuthig geworben war; „bei „und zu Haufe moleftiren höchſtens bie Stechfliegen; aber ihre Stiche find wahrhaftes Zuder- leden gegen dieſe afritanifche Wespen, die man zum Ueberflug nicht einmal erhafchen kann, um feine Wuth auszulaſſen.“

„Ich habe die kleinſte Oeffnung verſtopft,“ ſprach

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der Attahe, „und begreife nicht, wie die Beſtien hereingefommen find, e8 muß ein ganzer Schwarm ‚fein. Das ſummt wie m einem Bienenftode.‘

„Ih begreife nicht, meinte Süßmilch, „wie bie Andern bei dieſem Gefurre fchlafen können. Ich bin nit im Stande, ein Auge zuzuthun.‘

„Ich aud nicht,” verſetzte Lagemann; „aber fie follen gleidy munter werben, ich fehe nicht ein, warum wir Zwei allein wachen.“

Er begann mit diefen Worten dem Helvenfpieler, dem Quartus und Zeifig fo determinirt auf ven Füßen herumzutreten, daß der Eine fluchend, die Andern ächzend aus dem Schlafe emporfuhren.

„Was giebt's?“ erkundigte fi) Hanno.

„Ein Löwe, ganz in der Nähe,“ log Lagemann, und bewirkte dadurch, daß Vetterlein in der Ecke, wo er lag, ſich wie eine Ringelraupe zuſammenrollte und unter ſeinen Tüffel verkroch.

Hanno wollte des Magdeburgers Ausſage keinen Glauben beiſtimmen, weil außerdem die ausgeſtellten Wachen Lärm gemacht haben würden.

„Ich habe das Unthier deutlich mit ſeiner Rie— ſennaſe an der Hüttenthür ſchnobern gehört,“ log der Attache weiter; „vie Wachen haben unfehlbar geſchla— fen oder find bereits zerriſſen.“

Außer Lagemann und dem Factor, weldjer des Magdeburgers Worten am menigften Glauben bei— maß, laufchte Alles mit verhaltenem Athen und flopfendem Herzen. Aber man vernahm von dem Löwen nichts; deftomehr von dem unerträglichen Ge— fumme der Muskito's, welchen es vermöge ihrer Sta— hel gelang, alsbald die Aufmerkſamkeit der Nieder: roßlaer von dem Wüftenkönige ab= und ihrer bei wet- tem Heinern Perſon zuzuwenden.

„in

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Die Geplagten litten außerordentlich; Hanno wurbe

ganz raſend. Der Schmerz der Stihwunde ward durch ben Ingrimm vermehrt, dag man des Stechers nie habhaft werben konnte. Der Factor ohrfeigte fih in Einem fort, in ber Hoffnung, eine folche geflügelte Beitie auf dem Kopf zu treffen, aber er traf gewühn- lid nur feinen Baden. Zeifig hatte den Kopf bis tief in die Schultern eingezogen und fuchte die Mos— fito’8 dadurch von fih abzuhalten, daß er fortwäh- rend in die Luft blies, welches bei feiner eben nicht burabeln Bruft feine Kleinigkeit war.

Am Meiften unter den Nieverroglaern hatte aber der Quartus auszuftehen. Wie bereits erwähnt, war biefer in den äußerſten Winfel der Hütte gefrochen und hatte fi) unter feinen Züffel verborgen. Leider aber wollte e8 das Mißgefchid, daß fid) einer Der ge— flügelten Duälgeifter unter dem Kalmud gefangen hatte, Nun hätte man allerdings glauben jollen, Betterlein würde ſich des böfen Teindes haben be- mächtigen können, aber der Fang wollte dem Quar— tus fchlehterdings nicht gelingen. Bergebens fuhr er mit der Hand zahllofe Mal nad) dem Gejurre, das von feinem rechten Ohr. nicht hinwegzubringen war.

Die Sadhe kam dem Ouartus endlich jo rväthfel- haft vor, daß er eine Zeit lang in der Meinung ftand, es fünne gar fein Inſect fein, was da jurre, jondern der Fehler müffe in feinen Gehörorgan lie— gen. Er fürdtete fogar, fi im Gehirn etwas ges Iprengt zu haben. Diefe Furcht trat indeß bei ven fortwährenden Stihen, die er im Gefiht auszuhalten hatte, in den Hintergrund und warb ganz befeitigt, als das Moskito vorzugsweile die Nafe zum Angriffs- punkte erwählt hatte. Jetzt glaubte Betterlein, ex bürfe nur zulangen, und er fchnappte wie ein routi—

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nirter Fliegenfänger nad dem Inſect; aber auch dies⸗ mal war es feine Möglichkeit, befſelben habhaft zu werden. Der Quartus ſah ſich —8** genöthigt, den Tüffel zu lüften, wodurch aber das Unglück nur ver- größert wurde, denn jett ſtak fein Kopf wie in einem Bienenfhwarm. Im diefer verzweifelten Lage erfun- tigte er fi) bei den übrigen Leidensgefährten, wie fie e8 wohl anfingen, um bes unausftehlichen Gezie— fer8 los zu werben. Zeiſig, welcher feinen Athem zum Blafen brauchte, konnte. dem Frager nicht dienen, jo gern er fonft gefällig war; Süßmilch, ver das Unzwedmäßige feiner Obrfeigen endlich) einfahb, wußte feinen Rath; dem Helvenfpieler war es endlich durch einige kühne Faltenwürfe ſeines Carbonari gelungen, die Moskito's auf einen Augenblick von ſich zu ver— ſcheuchen. Er benutzte den günſtigen Moment und fuhr mit der Geſchwindigkeit einer Maus unter fei- nen Mantel, den er ſo geſchickt zu wideln verftand, daß ihm fein Beißer bekommen konnte. Keine Macht der Erde würde ihn vermodht haben, fein Gewand zu lüften, um Red’ und Antwort zu ſtehen; aud) hatte er Vetterlein's Anfrage hinter feiner dreifachen Tuchwand nicht verftanden. Lagemann hatte ſich wie ein Ameifenlöwe mit dem Kopfe in den Sand gegra= ben und war vellfommen fpradhlos.

Betterlein wiederholte feine Anfrage und erhielt endlid vom Factor den guten Rath, ftill zu halten und es mit Geduld abzuwarten, bis ſich Die Beftien "did und fatt gefoffen hätten. Wie wenig diefe Worte annehmlich klangen, fo beſchloß der Quartus dennoch einen Verſuch zu wagen und hielt den Kopf mit einer ſtoiſchen Ruhe den Moskito's hin, in der Hoff: nung, das Geziefer werde nach gelöſchtem Durfte wie Blutigel abfallen.

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Aber ſolche unerfättliche Beftien waren. dem Ouar- tus in feiner Lebenspraris noch nicht worgefommen. Die Mosfito’s, welche fi jett ganz ungeftört fühl- ten, concentrirten fat ihre ganze Heeresmacht am Kopfe Betterlein’d. Diefer litt wie ein Hiob und zog die Grauſen erregenpften Geſichter. Als ſich aber der Appetit der Moskito's aud gar nicht fättigen wollte, konnte er's nicht länger aushalten und er be- gann wieder wie früher zu fchütteln und mit ben Armen zu fechten.

„Das war ein verzweifelter Rath, Factor, ben Ihre mir gegeben,” ſprach er, „ic, werde dieſe Nacht mein Lebetag nicht vergeijen. Ich hab’ mid doch ums gejehen in der Welt, war in Pranfreih und ber Schweiz, aber folhe Bein Hab’ ich nie erlitten.“

„Ih aud nicht,” antwortete der Factor in dum— pfem Zone, denn er ſtak mit dem Kopfe in einer Art Budelmüte, die er von einem Matrojen erhan= delt hatte,

„Eure Stimme jcheint mir etwas belegt,‘ erfun= digte ſich BVetterlein, fortwährend mit den Moskito's kämpfend, „Ihr ſprecht ſonſt fonorer.”

„Ih ſpreche durch die Pudelmütze,“ tönte es aber- mals wie Grabeston.

„Das iſt etwas anderes,“ meinte der Quartus, „gewiß wegen des afrikaniſchen Geziefers, von wel— chem ich derzeit noch nicht begreifen kann, zu welchem Zwecke es der liebe Herrgott eigentlich geſchaffen hat.“

„Die Wege der Vorſehung ſind dunkel,“ ſprach der Factor.

„Allerdings,“ geſtand Vetterlein, „und zuweilen auch etwas läſtig; es iſt das nicht in Abrede zu ſtel— len. Fühlt Ihr denn Linderung durch die Mütze?“

„Es paſſirt!“

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„Wie tief ſitzt ſie denn?“

„Bis unter's Kinn.“

„Das laß ich gelten, da müßt Ihr wie im dim⸗ mel wohnen, Factor.“

„Es läßt ſich halten.‘

„Bedenkt mich, der ich den Ungethümen völlig bloß geſtellt bin; wenn ich nur auch Etwas über den Kopf zu ziehen hätte.“

Der Factor wußte hier keinen Rath und ſchwieg.

„Run möcht' ich aber un alles in der Welt wife ien, fuhr Betterlein nad, einer Weile fort, „was fo ausdauernd ſchnaufte; das kann doch unmöglid ein Menſch ſein?“

Zeiſig nämlich blies noch immer gegen bie Mos⸗ kito's, aber bei weitem nicht mehr mit ſolcher Vehe— menz wie früher; der Athem war ihm faſt ganz aus— gegangen und ſein Blaſen glich mehr einem Röcheln.

„Das klingt ja,“ fuhr Vetterlein fort, „als ob ein Menſch im Sterben läge. Seid Ihr's, Actuar, der ſo beharrlich keucht?“

„Leider!“

„Gebricht's Euch an Athem?“ „Allerdings!“ „Aber dergleichen Töne hab' ich ſonſt nicht von

Euch vernommen?“

Zeiſig erklärte den Grund ſeines Keuchens, worauf Vetterlein ebenfalls zu blaſen anfing. „Es hilft nicht viel,“ meinte der Rathsactuar. „Das merk' ich,“ erwiederte der Quartus, welcher trotz alles Blaſens der Moskito's nicht los wurde. Noth macht erfinderiſch. Vetterlein nahm endlich wieder die Zuflucht zu ſeinem Tüffel, unter welchem er ſich diesmal mit ſo viel Geſchick verkroch, ſich der— maßen zuſammen ringelte und ſo vorſichtig alle Oeff—

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nungen verftopfte, daß es feinem Moskito möglid) war einzubringen. Obſchon feine Lage nicht zu den comfortabelften gehörte, fo dünkte fi ver Quartus dennody in Abraham's Schoof.

Bis auf Zeifig waren jetzt alle Nieverroßlaer vor - den Mosfito’8 untergebracht. Der Actuar, welder endlich einſah, daß, wenn er fo fort blafebalkte, er. fi) die gefammte Lebensluft aus dem Leibe pumpe, ſuchte fih endlich dadurch zu helfen, daß er fein Antlig mit Erdmaſſen bevedte, die er aus dem Fuß— boden bergwerkte. Ueber die Ohren ftriegelte er fo viel Haare, als er von diefem Artikel aufzubringen vermochte. Die Hände ſchob er nah vollbradhtem Begräbniß feines Kopfes in bie Hofentafhen. So lag er auf dem Rücken ausgejtredt wie ein Halbbe- grabener mit dem Gefiht unter kühler Erde, und wenn er aud) das verdächtige Gefurre ver Moskito's noch deutli genug und oft ganz nahe an feinem Ohre vernahm, fo war er dod vor ihren Stidhen jo ziemlich gefichert. Zeiſig glich außer feiner Tage auch noch dadurch einem Todten, daß er unter feiner Exb- frufte ſich fo ftill wie ein Mäuschen verhielt; denn immer fürdhtete er, das Erdreich könne, namentlich) was feine incruftirte Nafe anbelange, herabfallen und die Moskito's einen neuen Angriffspunft erhalten; an ein auf die Seite Iegen war gar nicht zu geben- fen. Er mußte in feiner verfteinerten Lage regungs- 108 verharren. Nichts deſtoweniger fand er feinen dermaligen Zuftand gegen den vorigen, wo feine Lun— gen wie Schmiedebälge gearbeitet hatten, wahrhaft bes neidenswerth.

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Siedentes Kapitel.

Wahrend ſich die Geſandtſchaft der Schiffbrüchigen, worunter Victor und Gamaliel, unter Beſchwerden al⸗ ler Art durch die Wüſte nach dem Senegal und der daſelbſt gelegenen franzöſiſchen Factorei durchzuſchla— gen ſuchte, befanden ſich die Zurückgebliebenen nicht eben in der angenehmſten Lage. Namentlich hatten die Niederroßlaer mit vielen Unannehmlichkeiten zu kämpfen. Bald war es die unerträgliche Hitze, bald die Moskito's, bald Schlangen und anderes afrika⸗— nifches Ungeziefer, das fie beläftigte.e Um das Mif- geſchick vollzumachen, hatte ein tropifher Wirbelwind ihnen die Barade über den Köpfen hinweg entführt, fo daß fie plößlich unter freien Himmel faßen.

„Das muß ich geftehen,“ meinte Lagemann, als alle fünf Erbichafter dicht gefhaart um ein Teuer lagen und ihren Hunger mit Datteln und wilden Melonen ftillten, „ein niederträchtigeres Land als die- jes Afrika ift mir weit und breit nicht vorgefommen; e8 fehlt nur, daß ein feuerfpeiender Berg feinen Rachen aufthut oder dad Meer austritt und und hinweg- ſchwemmt.“

„Weder in Frankreich noch in der Schweiz iſt mir Aehnliches vorgekommen,“ verſicherte der Quartus.

Lagemann fuhr fort, ſich auf äußerſt gehäſſige Art über Afrika zu äußern. Er machte ſeinem Verdruſſe durch eine Menge Schimpfwörter Luft, und ſchien trotz feiner ſtarken Ausdrücke bei feinen Leidensgenoſ⸗ ſen Anerkennung zu finden; nur im Geſichte Hanno's gab ſich eine höchſt abſprechende Miene bei den Wor— ten des Attache’s Fund. Dieſer, der den Heldenſpie—

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ler feit der Carbonarigeſchichte nicht erjehen konnte, ärgerte ſich Über dieſe abſprechende Miene.

„Ihr ſcheint nicht ganz meiner Meinung zu ſein, Heldenſpieler?“ frug er.

„Jedes Land hat feine Vorzüge und feine Schat— tenſeiten,“ erwiederte Hanno mit Philofophie.

„Vorzüge?“ lachte Lagemann, „da möchte man wohl eine Laterne anzünden, um dieſe zu finden.“

Hanno behielt den [pöttiihen Zug um den Mund, welchen Lagemann nicht leiden konnte, bei. Sein ganzer Habitus ſchien zu fagen: „Wie fanıı der Blinde von der Farbe ſprechen.“ Yagemann ward dadurch nur aufgebrachter.

„Nun, gelehrter Mann, frug er fpigig, „Io nennt ung doch einige Vorzüge; wir find Alle begie- rig.“ Betterlein, Süßmild und Zeifig drückten ſämmt— (id ihre gejpannte Erwartung nady ven Vorzügen Afrika's aus.

„Zu viel reden macht ungeſund,“ antwortete Hanno geheimnißvoll und ließ ſich über Die Vorzüge weiter nicht aus. - Der neugierige und argmöhnifche Attahe warb aber jest nur um fo verſeſſener darauf. Der Heldenſpieler war aufgeftanden und wanderte, die Hände auf dem Rüden, wie in tiefe8 Simmen verloren, am Strande auf und ab. Lagemann fprang auf, eilte ihm nad and erfaßte feinen Arm. Die Beiden promenicten lange im Geſpräche bin und wieder.

„Hanno,“ begann der Magdeburger, „Landsmann und Freund, Ihr habt etwas auf dem Herzen, Euer edles deutſches Geſicht kann ſich nicht verftellen. Ein Plan durchkreuzt Euer Inneres, ich ſehe ed. Seid offen, in fremden Landen thut Offenheit wohl, ent- deckt Euh mir. Wollen wir vielleicht die. Braminin f

128 beftehlen? Sie muß anfehnlihen Schmud beſitzen; fie iſt jett oft allein, der Türke macht häufige Parthien in's Pand und fehrt erft ſpät zurüd. Was nützt der Frau der Bettel?“

Hanno ſchaute den Sprecher mit einem Blide an, groß, gebieterifch und ſtolz, welcher zu fragen fchien: „zu weldyer Schanbthat willit Du mid) verleiten, Elen- der?” aber Lagemann ließ fi dadurch nicht irre machen.

„Thut doch nicht fo tugendlich, Hanno,” ſprach er vertraulich, „wir kennen uns ja; Ihr nehmt's von Altare.”

Der Helvenfpieler wollte ob dieſer Infinnation im Gefühl feiner Würde aufbraufen, aber er gedachte an den Betrug, den er felbft an dem Magpeburger ver= übt und begann fid) zu mobderiren.

„Es mag Euch diesmal hingehen,‘ ſprach er,. „aber hütet Euch, mid auf Ähnliche Art zu reizen. Wenn Jemand meine Ehre angreift, dann bin ich fein Menih mehr |

„Ss tft es eine andre Speculation,” fuhr ber Attache fort,” „vie Euch im Kopfe umhergeht. Schüt- tet Euren beſchwerten, forgenvollen Buſen aus, fehüt- tet aus, Hanno, in die Arme der Freundſchaft. Was wolltet Ihr mit den Vorzügen dieſes elenven Landes fagen? Ihr verbandet einen geheimen Sinn mit dieſer Rede, ih ſah's Euch an, leugnet nit. Ihr habt eine Entdeckung gemacht.“

„Allerdings,“ tönte es inhaltsſchwer.

„Wirklich?“ rief Lagemann erfreut, „ſeht, bin ich nicht ein Schlaukopf, der den Leuten die Gedanken aus dem Geſichte lieſt?“

„Wenn ich mich ganz auf Eure Verſchwiegenheit verlaſſen könnte, Lagemann

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„Hanno, Ihr beleidigt mich; ein Todter, ein Fiſch find ein Schwäter gegen mid.“

„Wohlen, fo vernehmt und eritaunt —“

Der Magdeburger fpannte feine Ohrmusfeln mit einer Vehemenz an, als wollte er das Gras wachſen hören. Da indeß der Helvenjpieler, wie das zu Zei— ten feine Gewohnheit war, nad ven Worten „ver= nehmt und erftaunt” eine große Paufe eintreten ließ, ward der angeftrengte Hörer ungebuldig und fagte: „Wenn ich aber erftaunen jol, muß ich aud) was zu erſtaunen haben.“

„Rad zuverläjjigen Nachrichten,” begann ver Helvenfpieler mit nachdrucksvoller aber etwas gepämpf- ter Stimme, „Sollen ungefähr brei Stunden von hier —“

Hier ſchien dem Sprecher wieder der Athen aus- gegangen zu fein, jo daß ſich Lagemann zu der Frage veranlaßt fand: „Nun, drei Stunden von hier, was it denn ba?“

„Da follen,“ fuhr der geheimnißvolle Berichter- ftatter fort, „die Goldſtücke wie Kiefelfteine umher— liegen.”

Das Erfte, was Lagemann vomahn, nachdem er ob dieſer aufßerordentlihen Kunde Hanno’8 wieder etwas zu ſich felbit gekommen war, war, daß er’ fidh nady dem ziemlich umfangreichen Sade umſah, dem einzigen Mobiliarverniögen, welches er aus dem Schiff⸗ bruche gerettet hatte.

„Es entſteht nun billig die Frage, ob wir eine Excurſion nach dem Goldlande wagen?“ fuhr ver Helbenfpieler fort.

„Und ob!“ rief leivenfhaftlid der Magdeburger, ° von Hanno's Worten wie behert. „Aber Silentium! fonft fchaufelt uns die übrige Rotte ven Mammon

Stolle, fämmtl. Schriften. XVIII. 9

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vor der Nafe hinweg. Wenn ih nur wüßte, wo mein Reiſeſack hingerathen wäre. Ich glaube, Zeifig hat ſich deſſelben als Kopffiffen bemächtigt. Wart’, ih will Dich lehren, Did) an fremdem Eigenthume zu vergreifen.”

„Freilich,“ gab Hanno nach einer Pauſe zu beven- fen, „die Sache ift nicht ohne alle Gefahr.“

„Poſſen, Gefahr,” meinte Lagemann leichtfertig, ‚wo ſoll Gefahr herfommen ?“

„Löwen, Panther, Klapperſchlangen.“

„Allerdings,“ verſetzte der Attaché erſchrocken, „an dieſe Beſtien hab' ich in der erſten Rage nicht gedacht.“

„Auch ſollen ſich in der Goldprovinz nicht ſelten wilde Negerſtämme zeigen!“

„Das wäre der Teufel,“ brummte Lagemann nachdenklich. Furcht und Golddurſt begannen einen kurzen, aber entſcheidenden Kampf, in welchem letzte— rer die Oberhand behielt.

„Hanno, deutſcher Jüngling, Zierde Deines Ba- terlantes, groß als Menſch und Künftler,” rief ver Magdeburger eraltirt, „wir magen e8, bie Löwen werden nicht gleich beifen! Man darf dieſes Bolf übrigens nur ftarr anfehen, jo ergreift es die Flucht. Bedenkt, hofinungsvoller junger Mann, daß und das Gold im ganzen Leben nicht wieder fo vor die Nafe gelegt wird.‘

„Das iſt wahr,“ geſtand ver Helbenjpieler, „eine jo günftige ‚Gelegenheit möchte fi) fo leicht nicht wie= ber finden.‘

„Kabul ift noch weit,“ fuhr der Attachs Teiden- ſchaftlich fort; „wer weißt, ob wir je hinfommen. Hier haben wir's bequemer. Alſo zugelangt, wir find ein- mal in Afrika.”

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„Wohlen, ic bin dabei,” ſprach Hanno, „aber Lagemann redliche Theilung.“

„Ein Schuft, wer eine Unze veruntreut,“ ſchwur der Magdeburger aus Leibeskräften.

Indeß fuhr ihm doch trotz ſeiner Aufgeregtheit ein höchſt nüchterner und proſaiſcher Gedanke durch den Kopf; nämlich wie, wenn der ſpitzbübiſche Hanno nur eine Falle gelegt hätte; er gedachte dabei ſeiner Drangſale unter dem Carbonari.

Lagemann ward durch dieſen Gedanken dermaßen

abgekühlt, daß er vorerſt nähere Erörterungen über

das Ob und Wie des Goldlandes anſtellte.

Der Heldenſpieler nannte jetzt ſeinen Gewährs— mann, den Matroſen Hiob, mit welchem er auf ziem— lich vertrautem Fuße ſtand.

„Aber warum,“ examinirte der plötzlich ſehr zwei— felhaft gewordene Attaché weiter, „warum gebt denn Hiob nicht ſelbſt und lieſt ſich die Mütze voll ?“

„Laut Ordre des Capitain darf Keiner das Lager auf tauſend Schritte verlaſſen.“

„So wären wir die einzigen Glücklichen,“ frug Lagemann, „die von der ſchönen Gelegenheit Ge— brauch machen könnten?“

„Außer dem Türken allerdings.“ |

Jetzt ging dem Attahe ein Licht auf. Er mußte nun, was deſſen einfame Landparthien zu bebeiten hatten. Zugleich floh ein neuer leuchtender Gedanke durch ſein Gehirn und zündete.

„Rah Eurer Ausjage, Seelenfreund,” frug er, „wäre alſo Gold in Menge zu haben?“

„Hundertmal mehr, verſicherte Der Helvenfpieler, „als wir Beide fortzubringen im Stande find.”

„Wohlen,“ ſchlug nun der Attaché vor, „wie wär's, wenn wir riftlich dächten und unfern Lands⸗

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leuten ‚auch etwas zufommen Tiefen, da am Golde fein Mangel if. Wir müflen fie anftadheln, vie Neife mitzumahen. Es ift auch wegen ber wilden Thiere, fünf Perfonen werden weniger angefallen, als zwei einfame Wanderer. Mögen ſich die Landsleute die Taſchen vollpaden, ſpäterhin prozeſſiren wir es ihnen wieder ab. Für unſere Packeſel find ſie gut.“

Leider aber fand die Aufforderung, welche Lage— mann unmittelbar darauf an die Niederroßlaer er- geben ließ, fih zum Abmarſche nad) dem Goldlande bereit zu halten, durchaus feinen Anklang. Weder Zeifig, noch der Factor, noch der Quartus, wie fehr letsterer auch dem eveln Metalle, um deſſen Erhebung e3 ſich handelte, zugethan war, zeigten den erforber- lichen Muth, tiefer in's Land einzubringen.

- Der Magpeburger fprady wie ein Demofthenes von dem neuen Potofi ; aber wenn der Factor eine nachdenkliche Priſe nahm, ſo konnte man darauf rech= nen, daß ein Schütteln feines Kopfs die Folge war. Betterlein ertheilte unter feinen Kalmud hervor, den er als Zelt gegen die Sonne nidht ohne Kunft auf- geichlagen hatte, gleichfall® eine verneinende Refolution und Zeifig konnte ſich nicht genug über die Tollfühn- heit feines Attahe und des Heldenſpielers entjegen, welche in die Wildniß eindringen wollten, wo feiner Meinung nad) vor Löwen, Salamandern und Draden fein Apfel zur Erde konnte.

„Bedenkt, Bürger Niederroßla's,“ fuhr Lagemann

haranguirend fort, „was Ihr Euch ſelbſt, was Ihr Eurer Vaterſtadt, Eurem Ruhme ſchuldig ſeid.“

„Das Denken fällt uns ſchwer,“ erwiederte der Factor ziemlich kurz und ungehalten, um die unfrucht- bare Debatte abzubrecheu. |

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Der Magbeburger ließ ſich durch diefe abfprechenve

Bemerkung keineswegs aus dem Concepte bringen.

„Niemand,“ ſprach er, „wird es dereinſt in Eu⸗ ropa glauben, daß Ihr nicht einmal die Hand aus— geſtreckkt habt nach den Goldſtücken; die europäische jugendliche Gaſſenbevöllerung wird mit Fingern auf Euch zeigen ob foldher unerhörten Feigheit.“

„Aber wenn wir gefreilen werden,” Tieß fich bie dünne Stimme Betterlein’8 vernehmen, „wie dann, lieber Herr Lageniann?“

„Einfalt! Wer fol Euch freffen ; die hieſigen Lö— wen find gar nicht fo biljig, als man uns in Europa vorgefabelt hat; man braucht fie nur ftarr anzufehen, jo nehmen fie den Schwanz zwifchen die Beine und er= greifen die Flucht, als würden fie vom Teufel gejagt.”

Die nachdenkliche Prife, welche ſich der Factor bei diefen Worten nahm, zeigte deutlich, daß er in biefe angebliche Löwenfurcht einigen Zweifel ſetze.

„Sagt jeden Matroſen,“ fuhr ver beredte At- taché fort, „für Die giebt's feinen größern Spaß, als jolh’ einen Langſchwanz in die Wüfte zu treiben.”

Troz dem aber, daß fih Lagemann alle Mühe : gab und feine ganze Kevefunft aufbot, Tonnten fi) bie drei Niederroßlaer für den kühnen Zug in's Golb- land nicht entſchließen. Der Magbeburger warb enb= (id) aufgebracht und anzüglid.

„Wie?“ rief er, „Ihr wollt nad Kabul, das noch viertaufend Meilen von hier entfernt ift und wagt nicht einmal eine Heine Tandparthie won wenigen Etunden zu unternehmen ? Wift Ihr nit, daß die afiatiichen Löwen und Schlangen zehnmal größer, ftär= fer und blutgieriger iind, als die hiefigen —“

Hier ſah der Duartus den Factor fragend an.

„Ihr wolt mit geringem Muthe eine jo große

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Reife unternehmen, deren Mühfeligfeiten, Drangjale und Gefahren gar nicht abzufehen find; und warum ? Ein paar lumpiger Ducaten willen, währen die Gold— Humpen, woraus befanntlih die Ducaten gemacht werden, wenig Schritte von hier aufzulefen find und zwar am Werthe zehnmal mehr, als die ganze Hin= terlaffenihaft de8 Hofmalers beträgt. Ein einziger Gang nad dem Goldlande, dem wir nie wieber fo nahe fommen, als gegenwärtig, und wir können ung die ganze langwierige Kabulfahrt erjparen, von der überhaupt zu befürchten ſteht, daß wir von ihr nicht lebendig wiederfehren. Ein glüdliches Geſchick wollte e8, daß wir gerade an bdiefer Goldküſte Schiffbruch litten; laſſet uns nicht undankbar fein gegen einen jo guten Genius, der uns hierherführte. Wie leicht fönnte er ungehalten werden ob unfrer Hartnädigfeit und unfrer jpätern Fahrt Widerwärtigfeiten aller Art in den Weg legen. Bedenkt, daß menn wir das dar— gebotene Glück ergreifen, wir in Kurzem wieder als reiche Leute unjern glorreihen Einzug in Niederrofla halten können, ohne die halsbrechende Reife nad) Ka— bul unternommen zu haben.”

Es war nicht zu leugnen, daß diefe letztere Rede des Attaché's einen weit größern Cindrud auf bie drei zuhorchenden Niederroßlaer hervorbrachte, als die frühere Namentlich fang die Ausſicht, bald nad dem gejegneten Niederroßla heimziehen zu können, und zwar als wohlhabende und begüterte Leute, ausneh— mend Tieblicd in den Ohren Zeifig’s, Vetterlein’8 und jelbft des Factors. Lagemann, ver fogleih einſah, welcher Theil feiner Rede ſich des abfonverlihen Wohl- gefallens der Landsleute zu erfreuen hatte, ermangelte nicht, ſich eines Weitern darüber zu exrpectoriren.

„Bedenkt,“ fuhr er mit leuchtenven Bliden fort,

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„bevenkt, Freunde und Mitbürger, wir fchreiben jet Dctober,; wenn Wind und Wetter günftig find, Fün= nen wir bereit zur heiligen Weihnachtszeit unfern gefegneten Einzug in der Vaterſtadt halten, wie die heiligen drei Könige, von Jung und Alt hod) gefeiert. Bedenkt, was wir erlebt, was wir gefehen und ge= hört, welche Abenteuer und Drangfale und Gefahren wir bejtanden. Was vermögen wir Alles: zu erzüh- Ien in den langen Winterabenden, wenn die Lofja zu Stein gefroren, der Himmel von Schneewolfen um- bunfelt ift, ver Nordfturm an Giebeln und wohlver- wahrten Fenſtern rüttelt und wir wieder in ben ge- müthreichen, ofenerwärmten Stuben Niederroßla's in dem Schooße unſerer refpectiven Familien fiten, rings umher die gefpannte Nachbarſchaft, aufgepflanzt wie Delgöten, mit offenen Mäulern und Naſen.“

Diefe idylliſche Schilderung that wahrhafte Wun- . der auf die zuhorchenden Nieverroßlaer. Das Heim- meh kehrte zurüd mit feinem wollüftigen Schmerze. Detterlein ftrich fi mit einem Zipfel des Kalmucks über die feuchten Augen; der Factor ſeufzte, drehte den Kopf auf fonverbare Weife und nahm fich eine Deiperationsprife. Der weiche Zeifig ftrebte verge- bens, feiner Wehmuth äufßernden Gefichtsmusfeln Herr zu werden, fie zogen ſich breit und breiter, bis der Bod dazu kam, welcher ihn direct in den Rüden ftieß, daß jein funftes Gemüth überfloß vor Wehmuth und Schludyzen.

Lagemann überfchaute nicht ohne ftillen Triumph den Gemüthszuſtand feiner Landsleute, er warf einen Siegerblid auf Hanno, welder in feinen Carbonari gehüllt, als ftummer Zufhauer die Rührſcene anjah.

Selbft Zeifig ſchien, troß dem, daß er den menig- ften Muth beſaß, durch Lagemann's Idylle für die

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Goldfahrt gewonnen, wenn ihm nit ein Gedanke ſchwer auf's Herz gefallen wäre.

„Aber,“ rief er mit gefalteten Händen und thrä= nenfeuchten Blicken, „was ſoll aus befagtem Krokodill werden für einen hochweiſen Rath?“

„Mag das Beeſt bleiben, wo es iſt,“ erklärte der Magdeburger kurz; „wir laſſen beim nächſten Yuftiz= amte den Schiffbruch protokolliren, auf dem Bauche können wir nicht nach Kabul ſchwimmen. Der Rath mag ein anderes Membrum aus ſeiner Mitte ſchicken. Ihr habt das Eure gethan, Actuar, und ich das meine.“

Der Heldenſpieler, welchem dieſe Worte aus La— gemann's Munde gar nicht unangenehm klangen, ſtimmte aus voller Ueberzeugung bei.

„Es unterliegt feinen Zweifel,“ pflichtete ex bei, „daß jo ein totaler Schiffbruch, wie wir erlitten, alle europäifche Verträge ungültig macht.“

Zeifig ſchien einigermaßen beruhigt; er würde fidy jelbft der Expedition nad) dem Goldlande angejchlof- jen haben, hätte nicht der Factor zu höchſt ungele= gener Zeit die Thiere der Wildniß in Erinnerung gebradht.

„Wir find hier am Meeresftrande kaum ficher vor den Zähnen hungriger Beſtien,“ ſprach er, „wie mag e8 erſt tiefer im Lande hergeben.“

„Hinein in ven Wald find wir bald,“ bemerkte jest auch Betterlein, „aber das Hinaus fteht auf einem andern Blatte.““

Der Magdeburger war es endlich überbrüffig, fich wegen feiner muthlojen Landsleute die Lunge wund zu reden. Er ſchoß den legten Pfeil auf das furdt- jame Heer und war diesmal jo glüdlih, die Scheibe zu treffen.

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„Wohlan,“ ſprach er, „thut was Euch beliebt; ich werde mich mit Herrn Hanno allein auf den Weg machen. Wir ſacken fo viel Gold ein, als wir be= bürfen, um unfere übrige Lebenszeit in Niederroßla herrlich und in Freuden zu leben, und fahren mit erfter Retourgelegenheit nad Europa zurück. Ihr mögt dann fehen, wie Ihr lebendig nach Kabul ge- langt. Uns ift e8 eimerlei. Nicht wahr, Hanno?“

„Allerdings, geftand vdiefer zu, „uns bleibt in der Welt nichts übrig, Was follen wir in Kabul, wenn wir hier ohne Erbſchaft das Geld in Haufen vorfinden? Die Olafermeifterin mag fehen, wie fie zu ihren paar lumpigen Ducaten kommt; ich fahre mit Lagemann zurüd.”

Diefe beiderfeitige Erklärung brachte einen höchſt niederſchlagenden Eindrud auf die übrigen drei Nies verroßlaer hervor. Namentlich gerieth der Actuar in äußerſte Beſorgniß, daß ihn fein Attahe verlaffen wollte. In feinen Innern kämpfte e8 gewaltfanı. Heimmeh und Löwenfurcht rangen mit einander. Enb- lich fiegte die Verzweiflung.

„Ih gehe mit in's Goldland,“ erflärte ev mit vieler Refiguation.

„Brav, Actuar,“ lobte Lagemann, „baran erfenne ich den würdigen Repräſentanten eines hochweiſen Raths von Niederroßla.“

„Ich gehe auch mit,“ ſtimmte reſolut der Quar— tus bei, welcher durch Zeiſig's heroiſches Beiſpiel Muth bekam.

„Wenn's dann nicht anders fein fann, meinte ber Factor, eine wahre Defperationsprife in die Naſe befördernd, „ſo ſei's; unter Wölfen findet ſich ſelbſt der Vernunftbegabtefte zum Heulen genöthigt. An Warnung meinerſeits hat's nicht gefehlt; wenn wir

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verjchlungen werden mit Haut und Haar, wach’ ich meine Hände.“

„Pollen, Factor,“ ermuthigte der Attaché, „ſeid fein Hypochonder, wer foll Euch verſchlingen?“

„Kun wer anders, ald die Töwen, Panther, Klap- perſchlangen, Zibethlagen und wie die Naturgejchichte weiter bejagt.‘

„Ah, lachte Lagemann, „wißt Ihr denn nicht, daß die Löwen einen gar fcharfen Bid haben und fid) den Braten herausſuchen, jo fie die Wahl haben? Wenn es ja zum Freſſen kommen follte, wäret Ihr der Letzte, der verjpeijt würde. Ihr ſeid der Längite und Dürrfte, habt nicht zwölf Pfund Flifh am Leibe; ich glaube, daß Eudy ein Löwe höchſtens be— riecht und fopffchüttelnd weiter geht.. Er müßte denn beifpiellofen Hunger haben.‘

Süßmilch dankte zum erften Male in feinem Le— ben dem Himmel für jeine wirklich unbejchreibliche Magerkeit.

„Da wär mir eher für den Duartus bange,“ fuhr Yagemann, welder auf Vetterlein's Koften dem Factor Muth einjprehen wollte, fort, „ſein kleiner gedrungener Körper ſticht weit appetitliher in Die Augen. Er ift, fo zu fagen, ein vecht in die Augen jtechender Biſſen.“

Dem Duartus fiel bei diefen Worten das Herz vor die Füße. Er war fohon im Begriff, feine Zu: . jage wegen der Theiluahme an ver Expedition in’s Goldland zurüdzunehmen, als ihn der Attaché wieder zu beruhigen wußte.

„Wir nehmen Eud in die Mitte,‘ tröftete er, „leid deshalb ohne Furcht. Weberhaupt begreife ich nicht, was man fi in joldhen Grave über Gefahren abängitet, Die nody gar nicht da find. Vor einer Ge—

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» jelichaft haben die Beftien in der Regel Reſpect, namentlih wenn ein lautes fröhliches Lied angeftimmt wird.”

Der Helvenfpieler räufperte fit) und fang mit ‚einem grandioſen Bierbaffe:

„Hier im ird'ſchen Jammerthal Gab's no nichts als Plack und Dual —“ u. |. w.

„Sehr brav,“ lobte Lagemann, „Eure Stimme, Hanno, ift allein hinreichend, alle Beitien Afrika's in Reſpect zu halten. Wenn wir alfo in Gefahr fom- men follten, fingen wir ein luftig Lied und Hanno mag als Vorſänger fungiren.

Die Niederroßlaer trafen jest alle Anftalten zu der bevorftehenden Expedition. Hauptfählid war man um Säde und Beutel bemüht, damit man die goldne Beute transportiven könne. Hanno erweiterte ver- mittelft Nadel und Zwirn troß dem geſchickteſten Schneider die Seitentafche feines Carbonari's zu einem wahren Wallfiſchbauche. Er hatte Raum genug, um ein paar Centner Gold hineinzufteden. Lagemann, noch unerſättlicher, betrachtete feinen Scheffelfad mit

wahren Liebesblicken. Diefer Sad war ihm jet nicht,

um einen Königsmantel feil. Er ſah es für einen abfonderlihen Wink des Schickſals an, daß er aus dem Schiffbruche gerade dieſen, für feine dernaligen Umftände jo hochwichtigen Gegenftand gerettet hatte. Betterlein unterfuchte die geräumigen Taſchenſchlünde ſeines Kalmucks, welche er mit großer Gemiffenhaf- tigfeit Ieerte und die diverſen Nähte infpicirte, damit durch die Goldlaſt feine Trennung entftehe. | Wie groß ift doch die Allgewalt des Goldes; der Factor leerte fogar feinen größten Schatz, den leder— nen Beutel, in welchem fid) ver Vorrath feines Le—

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bensbalfams, der Edynupftabad, befand. Als der Ha— bicht dem Sinfen nahe war, hatte Süßmilch, wie jener alte Hufar nach feiner Pfeife, zuerſt nad fei= nem Tabacksbeutel gegriffen und denjelben vom Unter= gange gerettet.

Als ver Befcheivenfte unter den Nieverroßlaern mußte Zeifig betrachtet werden. Er war der Einzige, welcher feine weitere Vorbereitung zur Reife in's Goldland traf. Auf Befragen, wo er das Gold ber- gen wolle, erklärte er, daß er für feine Perfon nur Wenig, brauche und diefes füglich in feiner Sackmütze Raum finde Erſt auf Lagemann's bringendes An⸗ rathen ftedte er noch ein blaufattunenes Reſerveta⸗— ſchentuch zu fih, um daſſelbe nöthigenfall® mit Gold— ftüden zu füllen.

Dem Gapitain, meldier das Obercommando wie auf dem Schiffe fortführte, erflärte Lagemann im Namen des Erpevitionsheeres, daß man eine Land⸗ parthie vorhabe, um fih Afrika ein Wenig näher zu betrachten, man ſei doch einmal da und habe Muſe. Es würde fonft gar zu feltfam klingen, wenn man bereinft in Europa erzählen müfje, zwar in Afrika gewefen zu fein, aber nur ein Stück Meeresitrand von dem großen Lande gejehen zu haben.

Sir John rieth von der Parthie ab. Wenn auch weniger die wilden Thiere zu fürchten wären, meinte er, fo fünne man doch leicht diefem oder jenem ber umherſchweifenden Negerftämme in die Hände gera= then und in die Gefahr kommen, als Sclave verkauft zu werben.

Lagemann, welcher in des Capitains mwohlgemein- tem Rathe nur die Abfiht zu entveden glaubte, bie Niederroßlaer vom Goldlande abzuhalten, erwieberte,

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daß man mur mit der größten Vorfiht umd keine halbe Stunde weit vorzubringen gedächte.

„sh wil Euch wenigftend ein paar erfahrene Matrofen mitgeben, fuhr Sir John fort, „damit Ihr nicht ganz ohne Schu ſeid.“

Auch für dieſes Anerbieten dankte der Attache böflichft, weil er fürdhtete, die Matrofen könnten die Goldfahrt vem Kapitain verrathen und diefer wiederum fünnte den Niederroßlaern die Beute abnehmen.

Der Aufbrud) wurde auf den nächſten Morgen feftgejegt, und in der That trat zur bejtimmten Stunde das Erbheer jeine Wallfahrt nah dem In— nern von Afrika an.

Es währte nicht lange, al8 man im Schatten bes unfern vom Meeresitrande gelegenen Gummiwaldes muthig dahinſchritt. Man hatte fi zuvor durch ein tüchtiges Frühftüd, wobei auch Dem geretteten Cognac— fäßchen nicht wenig war zugejprochen worden, für das bevorftehende Wagftüd nad) dem Goldlande wirbig vorbereitet. Voran wandelte Hanno, malerifh in ven Carbonari wie in eine Toga gewidelt, als tete bes Niederroßla ſchen Armeecorps. Mit der einen Hand hielt er den Carbonari, in der andern führte er einen gewaltigen Bambus, Hinlänglich ftarf, um der ange- febenften Schlange einen urkräftigen Hieb zu ver- fegen und ihr Hören und Sehen, Stechen und Beißen auf Lange Zeit zu verleiven. Gegen vierbeinige Un— geheuer hoffte man durch Geſang froher Lieder und Ihlimmften Falls durch die Augenſprache auszukommen.

Dem SHelvenfpieler folgte die Hauptmacht drei Mann hoch, Süßmilch, Zeiſig und der Quartus in den Mitte Arm in Arm marfchirend.

Den Nachtrapp repräfentirte Lagemann, welcher zugleich das Commando des gejammten Zugs über-

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nemmen hatte. Als Zeichen feiner Würde führte er emen halten Cavalleriefäbel, ven er von einem Ma— trofen eigens erhandelt hatte und welchen er bei jeder wichtigen Gelegenheit, namentlid beim Ausmarſch aus dem Lager befehlshaberiſch ſchwang. Es war, nebit dem Bambus des Heldenſpielers, die einzige Waffe, welche das Erbheer bei ſich führte.

Eo lange ver Cognac feine Wirkung that, bie Herzen ſtark hielt und die Füße belebte, und fo lange der kühlige Schatten der freunvlihen Gummibäume aushielt, ging die Sache charmant und das Expedi- tionsheer hätte fih nimmer träumen laflen, daß ein afrifanifher Wald einen jo angenehmen Morgenfpa- ziergang gewähren fünne.

Was aber den Nieverroßlaern das Beſte dunkte, war, daß fie weder von einer Schlange, nody einem Löwen over fonft einem Ungethüm behelligt wurden. Nur fremdartiges Geflügel flatterte und Freifchte bier und da in den Zweigen.

Unter fo angenehmen Verhältniſſen ftieg der Muth des Expeditionsheeres wahrhaft. Selbſt das Trium- virat des Mitteltreffens jchritt mit vieler Yuverficht. Man überlegte bereits, wie man das afrikaniſche Gold am Beſten anlegen follte, ob in preußifchen Staats- ſchuldſcheinen, oder öſterreichiſchen Metalliques, oder polniſchen Pfandbriefen, oder in Eiſenbahn-, Maſchi— nenbau-, Steinkohlen-, Baieriſchen Bier- oder Chem- nitzer Bobinetactien, als Lagemann von Neuem den halben Säbel ſchwang und ein energiſches Halt com— mandirte.

Ein pompöſer Himbeerftrauch, dergeſtalt mit Früch— ten überſäet, daß davon das Bundescontingent eines deutſchen FürftenthHums hätte fatt werden können, war ber Grund zu Lagemann’8 energifchem Halt, Der

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Co mmandant zeigte mit dem Säbelfragment nad) dem Strauche und motivirte feinen Befehl durch die Worte: daß der Soldat nicht immer marjchiren könne und von Zeit zu Zeit Halt machen und etwas genießen milffe, um fih für die noch bevorjtehenden Strapazen zu ftärfen.

Die Hauptmacht, der Gros ter Arınee, melcher in der Mitte marjchirte, fand die Anficht und den Aus— ſpruch ihres Commandanten ebenſo weife als beher- zigenswerth. Da der Factor wie Vetterlein und Zeiſig bereits in Niederroßla leidenſchaftliche (unbeſtritten das einzige „Leidenſchaftliche“, was an dem Actuar anzu= treffen) Himbeereffer waren, fo "fingen fie fofort 'an zu eſſen, ohne das erforderliche militäriſche Commando abzuwarten, welcher Suborvinationgfehler von Seiten bes General en chef einer milden Rüge nicht entge- hen fonnte.

Die Niederroßlaer konnten ſich in ihrem Leben nie eines Falles erinnern, wo ihnen die Himbeeren jo bequem gehangen hätten, al8 hier in dem afrifa- niſchen Urwalde. Sie brauchten fih nicht zu büden wie in Europa, felbft der lange Factor nicht, oder bie Hände zu Hülfe zu nehmen, fondern hatten nur den Mund aufzumachen und brauchten nur zu beißen, jo unbejchreiblich bequem baumelten vie dunfelrothen, fehweren, traubenartigen Beeren direct vor den Nafen.

Der Magdeburger, nachdem er als vorfichtiger Feldherr überall umhergeſchaut, ob ſich nicht irgend— wo ein Feind blicken laſſe, ſteckte ſeinen Säbeltorſo in ein für dieſen Behuf erweitertes Knopfloch ſeines engliſchen Fracks und ſchloß ſich, da nirgends ein An— griff zu befürchten ſtand, feinem ſchmauſenden Heer— haufen an; während Hanno ſich in ſtrategiſchen Com— binationen vertiefte. Ihm war der ebenſo ſchwierige

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wie ehrenvolle Auftrag geworden, den rechten Weg durch den Wald nach dem erſehnten Goldlande aus— findig zu machen. Er mußte alſo den Kopf auf dem rechten Flecke behalten und durfte deshalb den Ma— gen nicht über Gebühr überladen. Die Mittheilungen Hiob's über das afrikaniſche Potoſi ſchwankten etwas in's Ungewiſſe. Er hatte nur ſo viel mit Beſtimmt— heit erfahren, daß das Goldland keine zwei Stunden ſüdwärts vom Meeresufer ſeinen Anfang nehme. Auf weitere Angabe der betreffenden Lokalitaͤten hatte ſich Hiob nicht eingelaffen, und man fann daraus ermei= fen, daß dem Helvenfpieler jest Allee daran Liegen mußte, in der Himmelögegend nicht confus zu werben.

Daher ftand er, wie gejagt, in mathematifchen Berehnungen und Himmelsbeobachtungen vertieft, ein zweiter Newton, ein paar Schritte abwärts. Weber das Mitteltreffen der Himbeereffer, noch felbft ver gleichfalls fpeifende General en chef wagten e8, ben großen Strategen, von deſſen geſchickter Leitung ver glüdlihe Ausgang des ganzen Unternehmens abhing, in feinem Calcül zu ftören.

Es herrſchte daher im ganzen Heere eine beveut- fame Stille, die plöglid) auf eine höchſt überraſchende Weiſe unterbrochen werden ſollte. Dem einfamen Den fer und Strategen im Garbonart flog nämlich mit einen Male eine fauftgreße Wallnuß jo determinirt an den Kopf, daß die antique Geftalt troß des male- riſchen Faltenwurfes des weitichmeifigen Mantels das Gleichgewicht verlor, in's Schmanfen gerieth und etwas reſoluter als der „sterbende echter” in's weiche Moos zu Tiegen fam. Ein nichtswürdiges, ohrenzerrei- Bendes Gelächter begleitete den Fall des Mathematikus,

Das effende Heer, deſſen Front zeither dem gaft: lichen coloffalen Himbeerftrauche zugewendet war, fuhr

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wie vom DBlig getroffen zufammen und fohaute fi - erſchrocken und zitternd gegenfeitig an, während das wivernatürliche Gelächter, das gar fein Ende nehmen wollte, ihm die Haare ferzengerade zu Berge trieb. Der Oberbefehlshaber, welcher gleihfalls erſchrocken war, bebielt wenigftens jo viel Contenance, daß er wiederholt convulſiviſch nach feinem Schwerthefte am Knopfloche tappte.

Nichts bringt im menſchlichen Einbildungsvermö- gen einen peinlichern Eindruck hervor, als cin Feind, von dem man angegriffen wird und den man nicht ſieht. Es iſt dann nicht anders, als habe man e8 mit Geiftern zw thun, mit denen befanntlich fein gut Kirſcheneſſen ift.

Die Nieverroßlaer befanden fid) in derſelben Lage. Sie glaubten ſich von irgend einem unfichtbaren Wald— geifte attafırt, namentlich konnte nad) ihrer Anficht das unmenfchliche, haarfträubende Gelächter nicht aus einer irdiſchen Kehle hervorgehen. Niemand entvedte den vermogenen Schügen, welcher den Mathematikus zu Boden geftredt; auch war Died nicht gut möglich, denn das Mitteltreffen, nachdem feine Front gegen den Himbeerftraud etwas erfchüttert war, ftellte, ben Feldmarſchall nicht ausgenommen, feine Nachforſchun⸗ gen an, fondern blidte ſich gegenfeilig ftarr einander in's Gefiht. Sonach ward den auf dem NRüden im weichen Mooſe liegenden Helvenfpieler zuerft das Glück zu Theil, feines lachluftigen Feinftes anfichtig zu wer: den. Diefer war Niemand anders, als ein zwei Fuß großer, langgefhwänzter, im Geſicht blau und voth tätomieter Drang = Utang, welder, den Schwanz funftreih um eimen Aft gefchlungen, halb in ver Schmebe hin und wieder jchaufelte und vermahrlofte Gefihter ſchnitt. Unfehlbar fchien ihm fein Wurf,

Stolle, fümmtl. Schriften. XVIII.

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wodurch die Carbonarigeſtalt ſammt dem Bambus zu Boden geſtreckt worden, viel Vergnügen zu machen.

Der Mathematikus fand es endlich zweckmäßiger, ſeine ausgeſtreckte Lage zu verändern und ſich wieder auf zwei Beine zu ſtellen. Er unterſuchte ſeinen Kopf, wo zwar kein Loch ausfindig zu machen war, aber eine ziemliche Beule. Diefe etwas ſchmerzhafte Er- höhung ſtimmte den Inhaber keineswegs freundlich gegen das feixende Zerrbild der Menſchengeſtalt, wel⸗ ches mit dem Schweif am Baume hing. Hanno zog feine Stirn in grauſe Falten, ſchimpfte aus Leibes- träften und drohte mit vem Bambus.

ALS Lagemann aus Hanno's unehrerbietigem Schim⸗ pfen die Yolgerung zog, daß es mit dem Feinde nicht weit her fein könne, zog er ben halben Cavalleriefä- bel vollends aus bem Knopflohe und ftellte weitere Nachforfhungen an. Da er ſah, wie der Mathema- tikus muthig und drohend den Bambus fchwang, hielt er den unfichtbaren Feind bereit8 auf dem Nüdzuge begriffen und glaubte es feiner Stellung als Ober- befehlshaber ſchuldig zu fein, jofort zu einem Angriff aufzumuntern.

„En avant,“ commandirte er, „wir bürfen ben Hanno nicht im Stiche laffen, folgt mir insgefammt und wär’! zum Tode.“

Wie aber das Mitteltreffen vom Tode hörte, ver- fpürte es nicht die geringfte Neigung zur Nachfolge. Es verharrte mit feltener Beharrlichkeit auf feinem Plate und ſah ſich wie vorher gegenfeitig einander in's Geſicht.

Der Attaché hatte endlich durch vorſichtiges Avan— cement ſeine Vereinigung mit dem Heldenſpieler be— werkſtelligt. Auch er war jetzt des Feindes anſichtig geworden. Sein Muth wuchs erſtaunlich, da er nur

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einen Affen und zwar von höchſt mittelmäßiger Sta- tur erblidte. Er begriff gar nicht, wie dieſer Knirps einen ‚Angriff hatte wagen fünnen, fühlte ſich in jeiner Würde als Oberfeloberr ordentlich gefränft und er- muthigte den Mathematifus zum muthigen VBorwärts- bringen.

„Mit dieſem Pavian,” ſprach er verächtlich, „wer- den wir wenig Umftände machen; Hanno, leiht mir einmal Euern Bambus.‘

„Ih trenne mich nicht gern von meiner Waffe,“ zögerte diefer, „man kann nicht willen, welcher neue, unerwartete Angriff —“

„Seid fein Thor, lachte der unternehmenvde La— gemann, „nur zwei Minuten, damit id) dieſes nichts— würdige Blaumaul ob feiner Verwegenheit abſtrafe.“

Er nahm mit diefen Worten dem Strategen den Bambus aus der Hand und drang fühn gegen den Langfhwanz vor. Diefer wartete indeß die Ankunft des Magdeburgers nicht ab, widelte fih vom Aſte los und flüchtete mit Gepraſſel auf den Himbeer- ftraud, an deſſen Seiten die Triumvirn noch wie an= genagelt ftanden.

Während aber der Attahe ob der Flucht des Gegners ein Siegesgeſchrei erhob, warb das Kleeblatt buch das Gepraſſel in nächſter Nähe und durch vie unerwartete Ankunft des Affen total auseinanderge- Iprengt. Der Factor war bemüht, in weitausgreifen- den Schritten die beiven Heerführer zu erreichen, warb aber durch Betterlein, welcher in ber Angſt wie ein hun griger -Rarpfen nad feinen zwei Rodihößen Ihnappte, feitgehalten. In feiner Defperation fhleifte ber Factor den Quartus wie Achill den Hector hinter fih ber und langte endlich, aus Leibeskräften Teu- hend, bei Hanno. und Lagemann an. Dr erſt fiel

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Betterlein ab und kam wieder auf feine zwei Yüße zu ftehen.

Nachdem ſich der Factor ebenfalls überzeugt hatte, daß der ganze Schred nur von einem mäßigen, etwas langgeſchwänzten Affen herrühre, jo befam er bie Sprache wieder und benutte Diefe vor allen Dingen dazu, feine unbedingte Mißbilligung gegen Betterlein’s Einbeißerei auszuſprechen.

Der Magdeburger war durch ſeinen Sieg gegen den Pavian ſo unternehmungsluſtig geworden, daß er nicht übel Luſt hatte, die Verfolgung fortzuſetzen. Indeß ward er von Hanno unter dem Vorgeben da— von zurückgehalten, daß das Expeditionsheer vor Al- lem darauf bedacht fein müfle, das Goldland zur rechten Zeit zu erreihen. Man jei noch ziemlich weit entfernt und man dürfe fih durch Nebendinge nicht von der Hauptjache ableiten Laffen.

Lagemann fah das ein und zähmte feinen Muth. Er erinnerte ſich wieder feiner Eigenfchaft als Ober— befehlshaber und traf die desfalljigen Anjtalten. Vor allen Dingen mußte ihm daran gelegen fein, wieder Ordnung in das Heer zu bringen. Er hielt daher Revue und vermißte den Actuar. Diefer war, als das Meitteltreffen durd) den Drang -Utang fo plötlid) auseinander gejprengt worben, in's Gras gefallen, wo er noch lag, und zwar auf dem Bauche.

Lagemann ertheilte daher fofort dem Factor den Befehl, als Ordonanz Zeifig die Meldung zu brin= gen, aufzuftehen und das Mitteltreffen zu vervoll- ſtändigen.

Der Factor, gehorſam dem erhaltenen Befehl, verfügte ſich nicht ohne bedächtigen Seitenblick nach dem Aſte, wo der Drang-Utang herbergte, an Ort und Stelle, wo Zeifig lag.

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„Actuar,“ begann er, ihn fanft angreifend, „er- mannet Eudy, die Gefahr ift vorüber; ed war nur ein fimpler Affe. Die Reife foll fortgehen.

Zeifig war’8 indeß gar nicht wie ermannen. Der Schreck war ihm in ven Magen ‘gefahren und hatte dafelbft eine beveutende Revolution zu Wege gebracht. Eben als ihn ver Factor leife am Arme zupfte, um ihn zum Aufſtehen zu bewegen, half fih die Natur und befreite de Actuar® Magen von einem Theile der überflüffigen Hümnbeeren. Süßmilch gewahrte mit Schrecken Zeiſig's Kampf "und als er näher nachſah, glaubte er nicht anders, als ver Unglückliche habe einen Blutfturz befommen. Er rief Häglih nad) Hülfe, worauf Lagemann in Perfon herbeieilte, um die Sache zu unterſuchen.

„Ein Blutſturz ift e8 nicht,” beruhigte der At⸗ tache, „Zeiſig hat ſich etwas übernommen.“

Dem Actuar war erbärmlich zu Muthe. Erſt den vereinten Bemühungen Lagemann's und des Factors gelang es, den Kranken auf die Beine zu bringen.

„Nehmt ihn in die Mitte,” ſprach der Attaché zu Süßmilch und Vetterlein, „va wird es fchon gehen, - Hoffentlih daß er ſich bald erholt; wer heißt ihn,

in den Himbeeren fi zu übernehmen.‘

Betterlein war nicht ohne Beſorgniß, die Kranf- heit des Actuard könne währenn der Armführung nod) einige Ausbrüche erleiden.

„Ex fieht noch recht blaß aus,” ſprach er, „ich befürchte, die fchlimmen Zufälle wiederholen ſich. Ruhe wäre daher wohl mwünfchenswerther als mars Ihiren. Actuar, wie ft Euch, ſeid Ihr nicht aud) meiner Meinung ?'

Zeifig war vor der Hand gar feiner Meinung, wie überhaupt aud) feines Wortes mächtig, Er ließ

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den Kopf hängen und blieb dem Duartus die Ant= wort ſchuldig.

„Länger verweilen fönnen wir auf feinen Fall,“ ſprach Lagemann, auf feines Botſchafters Umſtände weiter keine Rückſicht nehmend. Zugleich überlegte er, daß ber krankhafte und ſchwache Zeiſig bei ber gan- zen Expedition überhaupt ein mehr. bejchwerliches, als nutenbringendes Meubel ſei. Er fuhr daher fort: „Sollte ver Actuar den no bevorftehenden Strapa⸗ zen nicht gewachſen fein, fo bleibt ung nichts übrig, als ihn einftweilen hinter einen Strauch zu legen, wo er die mannigfachen Chifanen, ſo fein Band noch über ihn verhängen follte, in Ruhe abwarten farm. Bei der Heimkehr nehmen wir ihn wieder mit.”

Wiewohl Zeifig das Spreden fehr ſchwer ward, fo war doch die Lagemann'ſche Zumuthung, wegen des Strauches, zu ftarf, als daß der Betheiligte da— bei hätte ſtillſchweigen können.

„Ich komme ſchon mit fort,” krächzte der Bot- ſchafter.

„Ihr überfchätt Euch, guter Actuar,“ erwiederte der Attached, ver feinen biplomatijchen Gaft, da er den Marſch nur behinderte, vor's Leben gern los ge- weſen wäre.

„Wenn nur die böfen Anfälle nicht wieberfehren, meinte Vetterlein, „da wollen wir ihn ſchon fort⸗ bringen.“

Zeiſig verſicherte dem Quartus, daß er ſich ſo wohl, wie der Fiſch im Waſſer fühle; nur etwas ſchwach ſei ex.

„Ihr wäret mein Fiſch,“ brummte der Attache unzufrieden, „Ihr feht mir eben nicht darnach aus.“

„Wie geſagt,“ beharrte Zeiſig, „wie ein Fiſch im Waſſer.“

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Der Factor, welcher die blaſſen Geſichtszüge mit Kennerbliden betrachtete, nahm. fid eine Prife und jhüttelte in Betracht des Fiſches mit dem Kopfe.

„Der Factor ſchüttelt auch,“ ſprach Lagemann, „und mit Recht; ich glaube nicht, daß wir ben Hin⸗ fälligen taufend Schritte weit bringen. Meinetwegen! Des Menſchen Wille ift fein Himmelreich; wer nicht hören will, mag fühlen. Indeß erflär’ ih, vermöge meiner amtlichen Machtvollkommenheit als Heerführer jo viel, daß, jo wie der Actuar eine auffällige Hin- fälligfeit bliden läßt, derſelbe unwiderruflich ad de- positum niedergelegt wird.”

Der Factor, ſtets menfchenfreundlich gefinnt, gab zu bevenfen, daß dies eine zu undhriftliche Verfah⸗ rungsart gegen eimen allgemein geachteten Lands— mann fei.

„Noth kennt fein Gebot,” entſchuldigte ſich La— gemann; auch Hanno geſtand, daß man wegen Zei- ſig's fortwährendem Unwohlſein unmöglich die für gefammte Niederroßlaer jo wichtige Erpedition gefähr- den könne.

Unter biefer für den Actuar höchſt unerquidlichen Unterhaltung fette fi der Zug in ber vorigen Ord⸗ nung wieder in Bewegung; nur daß anjtatt: Better: lein’8 , diesmal Zeifig in der Mitte ging. Lagemann, um für jeden etwaigen neuen Angriff vorbereitet zu fein, übte fih in der Führung feiner Waffen, indem er mit der halben Klinge tapfer in die benachbarten Geſträuche einhieb. Die Flucht des Drang= Utangs, ber fich nicht wieder bliden. ließ, hatte ihm all feine friegerifche Haltung wievergegeben.

Dean war nicht weit gefommen, ald Hanno plöß- lich äußerſt nachdenklich ftehen blieb und in die Höhe ſchaute. Die nachfolgende Armee machte gleichfalls

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Halt und blidte, felbft den Actuar nicht ausgenom= men, wie fchwer e8 ihm ankam (ver Factor hielt ihm den Kopf), ebenfalls in die Höhe, ohne etwas Außer⸗ gewöhnliches wahrzunehmen.

Der Helvenjpieler fuhr fort, ſich angeitrengten Beobachtungen am Himmel hinzugeben, obſchon von leßterem, wegen bes dickbelaubten Waldes, nicht das Geringfte zu jehen war. Lagemann, fo wie der Factor und Betterlein gudten ſich faft die Augen aus, End= (id that Allen ver Hals weh von dem ununterbro= chenen fruchtlojen In⸗die-Höhe-blicken und der Attache vermochte e8 nicht Länger über fich zu gewinnen, bei Hanno Erkundigungen über den Zweck ber aftrono- mifhen Bemühungen anzuftellen.

„Kann mir denn Niemand ſagen,“ frug num bie= fer, „mo eigentlid die Sonne ſteht?“

Das war allerdings eine Magifter-Frage für die Niederroßlaer, die fo tief im Urwalde ftafen, daß fie niht einmal den Himmel, viel weniger von der Sonne etwas fahen. Ein böfes Gefchid hatte e8 nun gewollt, daß der Helvenfpieler, als ihn ver Wallnuß- wurf zu Boden ftredte, die Richtung der Himmels- gegenvden total verloren; das übrige Heer, weldes ven Himbeerſtrauch von allen Seiten befraß, tappte in Betracht der Weltgegenven ebenfalls im Yinftern. Selbft der Obergeneral hatte die Sorge für den Weg ganzlid, dem Mathematifus überlaffen, deſſen Weis— heit jetst gleichfalls ihr Ende erreicht hatte.

Die Bäume des Urwaldes waren von jo thurm— hoher Höhe, ihre Stämme von foldem Umfange, die weitragenden, ftarfbelaubten und von Schlingpflanzen der mannigfachften Art durchwucherten Aefte von jol= her. Dichtigkeit, daß nur hier und da ein tellergroßes Stüd Himmel durch die ehrwürdigen Kronen in die

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Dunkelheit herabfiel;. von dem ſtrahlenden Tagesge— ftirne, jo wie von deffen Stande aber war fchlechter- dings nicht zu ermitteln.

„Es wird und am Ende wahrhaftig nichts übrig bleiben,‘ fprady der Helvenfpieler, dem es nicht wenig fatal mar, die Richtung verloren zu haben, „als einen ber hohen Stämme zu erfteigen, um des Stan- des der Sonne anfihtig zu werben; ohne ihr ift e8 feine Möglichkeit, ſich weiter fortzufinden; abgejehen, dag wir das Goldland nicht erreichen, jo laufen wir noch Gefahr, den Rüdweg zu verlieren.”

Das waren allerdings Bedenklichkeiten, vie Ueber- legung verlangten.

„sn meiner Jugend, meinte ber Oberfeldherr Tagemann, „war mir fein Baum zu hoch, ich mußte hinauf; mit den Jahren hat fid) das gelegt; die Knochen find mir fteifer geworben, fonft würde id) feinen Augenblid Bedenten tragen, fürs allgemeine Befte die Auffahrt zu wagen. Aber wenn ich nicht irre, fo bat der Quartus häufig von feinen Kunit- reifen, die er an gefährlichen Stellen .angeftellt, ge= ſprochen; ic) zweifle daher feinen Augenblid, daß er die günftige Gelegenheit ergreifen wird, einen that= fählihen Beweis feiner Turngeſchicklichkeit an ven Tag zu legen und fih um das Heer verbient zu ma= hen. Nöthigenfalls wollen wir am Fuße des Stam- med den Kalmud ausgebreitet halten, damit er fei- nen Schaden nimmt, fo er herabfällt.“

Betterlein fühlte fih diesmal bei feiner Ambition angegriffen, und war auch nicht abgeneigt, einen Ver— ſuch zu wagen.

„Ed iſt freilich lange her, daß ih mich mit Baumfkletterei abgegeben habe,” ſprach er, „indeß unter

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obwaltenden Umſtänden halte ich es für Pflicht, das Möglichfte zu bewerfftelligen.”

Lagemann lobte diefe Gefinnung und Betterlein trat wirflih nicht ohne Geſchick die Himmelfahrt an. Es war dieſelbe auch mit feinen großen Schwierig: feiten verbunden, da vie vielen Anhaltepunfte das Emporklettern erleichterten. Zum Weberfluß hielt ver Factor und Marſchall Lagemann den Ralmud des Duartus ausgebreitet.

Süßmilch, weldher ob feiner langen Beine es nie in der edeln Turnkunſt zu etwas Crfprieglichen ge- bracht hatte, war ganz verwundert, als er Betterlein wie ein Eichhörnchen durch die Hefte Klettern jah. Seine einzige Beſorgniß beftand nur darin, daß ber fühne Boltigeur ihm mit der Zeit auf den Kopf fal- len möchte. Er rief daher ven Himmelfahrer ven guten Rath nad, fih ja feit anzubalten und um alle Welt keinen Fehltritt zu thun.

„Denn Betterlein, fprady er zu Lagemann, „auch nicht jchwer wiegt, jo könnte er und doch in Betracht der Höhe des Baumes beim SHerabfallen übel mit- ſpielen.“

Zeiſig kam der Aufenthalt und die Kletterei Vet— terlein's recht gelegen. Er konnte da mehren Anfor- derungen ber Natur mit Muſe Genüge leiſten, ohne den Marſch der Colonne im Geringiten zu ftören.

Das zweibeinige Eichhorn hatte endlich den Gi- pfel des miajeftätifchen Ulmenbaumes erreicht und modhte von dem hohen Standpunkte aus eine recht angenehme Ausficht genießen. Wenigftend renommirte er jehr damit.

Hanno trat jett in wiſſenſchaftlichen Rapport mit dem Oberwäldler und erfundigte ſich vor allen Din- gen nad) der Himmeldgegend. |

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„Eine wahre Pracht,“ verfiherte der Quartus von oben herab; „Ihr habt wirklich feine Idee da— von. Ih babe halb Frankreich und die Schweiz durchwandert, aber ſolch' erquidende Ausfiht ward mir noch nie Sol ih Euch vielleicht eine Kleine Beſchreibung davon mittheilen ?'

„Später, fpäter, guter Quartus,“ antwortete Hanno, „jet fagt nur vor allen Dingen, wohinein die Sonne jteht, damit wir das Goldland auf dem geradeiten Wege erreichen.‘

„Das Goldland,“ veplicirte e8 aus dem Wipfel der Ulme; „ei, das ſeh' ich ganz beutlich; es fchim- mert gar herrlich in der Sonne.“

Lagemann warb durch dieſe frohe Kunde ausneh⸗ mend erheitert. Er vereinigte daher ſeine Bitten mit denen des Heldenſpielers, daß der Quartus die Hint- melsgegenden ſignaliſiren möchte. Vetterlein aber, der ſich auf ſeine Kletterkunſt nicht wenig zu Gute that, glaubte auch einmal ſeinen Kopf aufſetzen zu müſſen und fuhr noch geraume Zeit fort, über die herrliche Ausſicht zu poetifiren, indem er die im Waldesdunkel Begrabenen nicht genug bedauern fonnte, daß fie auf eine Theilnahme an feinem Ergötzen verzichten mußten.

„sn der That,” rief er, „beflagen muß id) Euch von ganzem Herzen, die Ihr vermöge der Ungelen- figkeit Eurer Glieder nicht berufen feid, an meinem Entzüden Theil zu nehmen; es ift eine edle Kunft das Klettern. In meiner Jugend war id ſtärker darin. Nicht weniger denn ſechs Mal hab’ ich ven Preis davon getragen bei dem Prämien = Stangentlet- tern zu Kleinhennersdorf, wo alljährlih zum König— fchiegen die geübteften Turner von weit und breit ber fich verjammelten. Es war ein fhönes Feſt, das Königſchießen zu Kleinhennersporf, ich denfe nie ohne

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Rührung an daſſelbe zurüd; es fiel aljährlih auf den Tag Bartholomäi und die zwei folgenden Tage. Traf ſich's, daß Bartholomäi ein Sonntag war, ſo begann e3 den darauf folgenden Montag und envete mit einem folennen Sternſchießen den Donnerftag. Der Schütenauszug erfolgte in der Regel den Sonn- tag und der Königsſchuß die Mittwoch.“

Lagemann und Hanno wollten verzweifeln ſelbſt dem Factor fam die Sache etwas gedehnt vor. Alle Bitten und Redensarten, jelbft Drohungen, ihn zur Bezeichnung der Himmelsgegenden zu vermögen, wa— ren vergeblid. -

„So .ih eine Windbüchſe bei mir hätte,“ ſchwur endlich Lagemann in ſtiller Wuth, „ich ſchöſſe den Kerl wie einen Spatzen herunter.“

Hanno frug, ob nicht eine Möglichkeit vorhanden wäre, den Quartus mit Wallnüſſen, deren es hier in Menge gab, zum Rüdzuge zu nöthigen. Er behaup⸗ tete zugleich, einen guten Wurf zu befigen.

„Bas hilft das,” entgegnete ungınthig der Mag— deburger, „man ſieht ja den Hallunken gar nicht, er muß ganz oben auf dem Wipfel ſitzen. Welcher Wurf ſollte ihn da erreichen! Wir würden ihn nur unnöthiger Weiſe reizen, ohne zu unſerm Zweck zu kommen. Das Beſte iſt, wir erklären ihm, daß, wenn er nicht herabſteigt, wir ohne ihn die Wanderung fort⸗ jegen würden. Wir entfernen ung Dann Wenige Schritte, halten ung ganz ftill, ich wette, er verläßt dann jo fehleunigit mie möglich fein Neſt.“

Diefer Borfchlag Lagemann's fand Beifall. Ihm zu Folge rief Hanno mit Stentorftiimme: „Quartus, zum dritten und lesten Male, entweder Ihr fteigt nieder oder wir laſſen Euch fiten und marſchiren weiter.

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Vetterlein, welcher erhaben über ſeinen Gefährten wie ein Gott in freien Lüften ſchwebte, war weit entfernt, auf dergleicheu Drohungen aus der Tiefe das geringſte Gewicht zu legen. Es ſchmeichelte ihm nicht wenig, daß man ſich ohne ſeine am Himmel gemachten Erfahrungen nicht fortzufinden vermöchte. Er pochte auf ſeine Unentbehrlichkeit und fuhr daher fort, ſich über vie Eigenthümlichkeiten und Vorzüge des Sleinhennersporfer Königſchießens eines Weitern zu verbreiten.

‚Die Anzahl der Schützen,“ ſprach er, „war nicht unanfehnlih und tüchtige Hähne darunter, ſämmtliche Kevierförfter der Umgegend nahmen Theil; da hab’ ich jelbft erlebt, daß ver Hegereiter Faulring fünf Mal unmittelbar hinter einander den Nagel jchoß. Auch die Prämien waren ganz refpectabel. Der Kö— nigſchuß wurde ſtets mit einem fetten Hammel und drei Dutzend Schlackwürſten honorirt. Mein Better, der Stabtjchreiber, trug ſelbſt einmal den Preis da- von. Den Hammel hättet Ihr fehen follen, mir ift ein folcher nie wieder zu Geficht gekommen; er hätte auf jeder Viehausftellung Furore gemadt. Die Fül- lung der Schlackwürſte war verzüglih; ih habe fie ſelbſt gefoftet ‚und kann es ſonach authentiſch bezeu⸗ gen; weder in Frankreich noch in der Schweiz hab' ich ſpäter delicatere Würſte angetroffen. Was die übrigen Prämien betraf —“

„Kommt glücklich nach, Quartus,“ tönte jetzt die Stimme des Heldenſpielers und die, Karavane brach mit abſichtlichem Geräuſch auf, rücte ungefähr funf- zig Schritte vor, wo fie hinter dichtem Gefträud Halt machte und ſich jo ruhig wie möglich verhielt, um dem Duartus glauben zu machen, fie fei wer weiß wie weit,

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Betterlein hielt im Anfang Hanno’8 Ruf ſowie den darauf folgenden Aufbruh für einen bloßen Schreckſchuß und ließ fih im Geringſten nicht in ver Beſchreibung des Kleinhennersdorfer Königfchießens ſtören. Er erzählte recht con amore und gefiel ſich außerorbentlih im ber Erinnerung an jene rojenro- then Zeiten. Als e8 ihm endlich aber doch bedünkte, als ſei es unter ihm recht ſtill geworden, ließ er in ſeinen Memoiren eine Pauſe eintreten und horchte; fein Laut regte ih. Er beugte nun den Kopf und gudte zwifchen dem Blättergrün hinab nach der Tiefe, da war Alles leer und das gefammte Erbheer ver- Ihwunvden. Dem Quartus pochte bei diefem Anblide da8 Herz hörbar. Er hoffte indeß, die Landsleute würden fih nur wenige Schritte entfernt haben, fo daß fie feine Stimme nod zu vernehmen möchten. Um aljo ihre Aufmerkſamkeit zu feleln, ließ er die Beſchreibung des Kleinhennersborfer Königſchießens vor der Hand auf fih beruhen und fam wieder auf die Himmeldgegend und ven Stand der Sonne zu Iprehen, aber nur im Allgemeinen. Ex hoffte auf biefe Meittheilung fiher, von Hanno oder Lagemann wieder über die Richtung des Wegs befragt zu wer- den. Über feine Anfrage erfolgte; es: blieb fo ftill wie zuvor, Der Duartus, dem es ſchon ganz un- heimlich ward, gucte nochmals herab, und da er auch diesmal Niemanden erblidte, jo ſchoß er feine letzte Patrone ab, indem er ausrief, fo laut er konnte: „Verſammelt Euch Alle unmittelbar am Stamme ver Ulme, damit ih Euch den Stand der Sonne, fowie die wahre Richtung, fo Ihr zu nehmen habt, be= zeichnen kann.“

Auf diefe Worte kroch Betterlein mehre Fuß tie- fer und laufchte und fchaute unter fi nad allen

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Ceiten in der gefpannteften Erwartung und mit |ver- haltenem Athen.

Auch diesmal blieb es ftil, feine Antwort ließ fi vernehmen, fein Niederroßlaer fich bliden. Jetzt hätte man dem Duartus Millionen bieten können, nur eine Minute noch auf der Ulme auszuharren, e8 wäre ihm nicht möglich geweſen.

„Wehe mir Unglüdjeligen, fie haben mid) allein gelafjen; wer weiß, ob es mir je gelingt, ihrer wie- ver habhaft zu werden. Sie müſſen bereit8 einen außerorventlihen Vorſprung erreiht haben, daß fie meine Stimme nit vernommen und id) fchreie Doc, als hätte ich Todte aus dem Grabe wach rufen wollen.‘

Unter folhen Gedanken Hetterte der Quartus mit einer Behendigfeit von feinem hohen Standpunfte herab, daß er wiederholt in Gefahr lief, den Hals zu bredjen.

Zu ebener Erde angelangt, erhob er ein wahres Zetergefchrei, in weldem man ununterbrochen nur die Namen Hanno und Lagemann unterſchied. Dabei lief er verzweifelt bald bier, bald dahin und fehrte immer wieder zu dem Ulmenbaume zurüd, von deſſen Gipfel herab er das Kleinhennersdorfer Königfchießen fo anmuthig beichrieben hatte,

Nicht ohne Bergnügen vernahmen die hinter dem Strauche verjtedten Niederroßlaer, wie die Lift ihren Zweck erreicht hatte. Auf Lagemann's Rath ließ man den Quartus nody eine Zeit lang in Verzweiflung untherfchweifen.

„Er hat e8 um und verdient,“ fprach der Attache.

Auch Hanno, melden Betterlein hauptſächlich durch die Bejchreibung des Kleinhennersporfer Königſchieſ⸗ ſens gelangweilt hatte, pflichtete vem Attache bei. Nur der fanfte und chriftlic) gefinnte Factor, als er

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den kläglichen Hülferuf feines Freundes Betterlein vernahm, hatte Mitleid und wollte den Rufenden antworten.

„Daß Ihr Euch nicht unterftehet,” gebot Lage— mann nachdrücklich; „der Quartus leidet nur die ge- rechte Strafe”

Die Verzweiflung Betterlein’8 hatte jet den höch— ſten Grad erreicht, nachdem der einſam Umherirrende die Entdeckung gemacht, daß die Erbſchaar auch fei= nen Kalmud, auf welchem er die außerorventlichften Stüde hielt, mit entführt hatte. Mit dem Berlufte feines, über dreißig Jahre alten Jugendgefährten, fah er auch ſich für verloren an und begann deshalb bitterlih zu fchluchzen.

Den Factor, welcher hinter feinem Straude allen Gemüthszuſtänden feines Freundes treulichft folgte, ging dieſes Schluchzen durd und durch; er warb

ebenfalls ganz zu Thränen gerührt, und er fam aber- mals beim General Tagemann um Schonung ein.

Diefer aber, welcher fit nebit Hanno an dem Schmerze des Duartus weidete, wollte ſchlechterdings nichts von Schonung willen. Er griff mit einer drohenden Miene nad) feinem Dragonerfäbel und 'ge- bot Ruhe.

Die gutgemeinte Süßmilch'ſche Betition follte in— deß plößlih auf eine Art unterjtütt werben, welche nit gut Widerrede zuließ, und die vier Niederroß: laer, wie mit einem Wetterfchlage aus ihrem Berfted heroortrieb.

Hanno nämlich, welder neben Lagemann pojftirt durch eine Deffnung in dem Strauchwerfe mit großem Gaudium dem verzweifelten Auf- und Abgaloppiren Vetterlein's zufhaute, fühlte ſich unverſehens an fei- nem Carbonari gezupft. Er fehaute hinter fi) und

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blidte einem züngelnden Schlangenfopfe direct in's liebe Antlitz. Ein Schredensruf und ein Sprung in's Freie, war das Werk eines Augenblicks. Lage— mann, weldher des originellen Kopfs gleichfalls an- fihtig wurde, folgte mit derfelben Behendigkeit. Nur ber bedächtige Yactor, der neben Zeifig am Boden ſaß, begriff nicht das urplößliche Verſchwinden des Heldenſpielers und bed Attache's. Erſt auf Lage— mann's Zuruf, ſich umzuſehen, welchem Süßmilch wie der Actuar gewiſſenhaft nachkamen, erſchauten Beide, in einem und demſelben Augenblide, das riefige Un- geheuer und wälzten fi), einer’ ven andern überpur= zelnd, mit unnachahmlicher Sqhneliigtei aus der ges fährlichen Nähe.

Niemanden konnte aber "bie Boa oder welcher Gattung die Schlange fonft angehören mochte, einen angenehmern Dienft ermweifen, als dem Quartus, der ſich ſchon feit einiger Zeit für einen verlorenen Mann gehalten. Er glaubte feinen Augen nicht zu trauen, al8 er in der erfreulichiten Nähe die Geftalten Han- no’8 und Lagemann's auftauchen jah.

Dald au wurden der Factor und Zeifig fihtbar und das Erbheer concentrirte fih von Neuen. Die jüngite Gefahr ſchloß, wie dies immer zu gefchehen pflegt, die Gemüther inniger an einander, fie ver- ſcheuchte die innere Ywiftigfeit und verlieh dem Ganz zen größere Einheit.

So fam auch Betterlein ob feiner ausführkihen Beihreibung des Kleinhennersdorfer Königsſchießens biesnal mit einem blauen Auge davon. Man war bereiter denn je zu vergeben und zu vergefien, wenn er nur länger feinen Anſtand nähme und feine. auf dem Ulmenbaume angeſiellten Himmelsbeobachtungen zum Beſten gebe.

Stolle, ſämmtl. Sqhriften. XVII. 11

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Niemand zeigte ſich jetzt bereitwilliger als Vetter⸗ lein; von Kleinhennersdorf war' feine Rede mehr, und fo gelang e8 dem Helvenfpieler, den richtigen Weg nad) dem Golblande wieder ausfindig zu machen. Es war auch fürwahr die höchſte Zeit, wollte man am felbigen Tage wieder dad Lager erreichen.

Lagemann ftellte die vorige Heerordnung her, zückte fein Schwert und commandirte zum Abmarſch.

Man fette fih in Bewegung. Nichts flößte aber dem Exbheere größere Beſorgniß ein, als das Ge— fräud, in weldem fich die grau=grüne Schlange ge= zeigt hatte. General Lagemann machte daher eine entſcheidende Tlanfenbewegung, wodurch er das ver= dächtige Geſträuch weit zur Rechten Liegen lie.

So bewegte fi) der Zug in ziemlicher Eintönig- feit vorwärte. Es warb wenig geſprochen. Jeder ſchien mit fi beſchäftigt und war in Gedanken in Niederroßla, wo er von dem in Afrika erbeuteten Golde in behaglicher und beneidenswerther Gemäch— lichkeit lebte.

Lagemann durchkreuzte in Gedanken die ganze Um— gegend von Niederroßla und inſpicirte alle Güter,

von denen er wußte, daß ſie zum Verkauf ſtanden.

Dieſe heitern und anmuthigen Phantaſiegebilde ſollten indeß durch ein abermaliges Abenteuer unter— brochen werden, wodurch die bisher auf der Wande— rung nad) dem Goldlande erlebten: Begebenheiten in Nichts zerfielen.

In ziemlicher Entfernung ließ fih ein dumpfer Ton vernehmen, welcher fogleid) das Intereſſe und die Aufmerkfamteit ſämmtlicher Niederroßlaer in An- ſpruch nahm, und über beffen Urfprung und Urſache man den verſchiedenartigſten Bermuthungen fi hingab.

Lagemann commandirte Halt, damit man ftill lau⸗

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ſchen könne, ob fih der Ton nit von Neuem hören laſſe. Man brauchte nicht lange zu warten. ‘Der. jelbe Ton warb vernehmbar und diesmal um ein Be- deutendes näher.

„Wenn das nicht ein Löwe iſt,“ ſprach der Hel- venfpieler, „jo will ih nicht Hanno heißen. Wir müſſen gınd auf das Schlimmfte gefaßt machen.‘

Lagemann hatte fid) von den Matrofen fo. viel von der Hafenherzigfeit der Löwen vorerzählen laſſen, daß er davon vollfonmen überzeugt war und baher ob Hanno's verhängnigvollen Worten die Befinnung feineöwegs verlor. Im Gegentheil zeigte er fich wider Erwarten gefaßt, und behauptete jene Ruhe, welche bei einem Heerführer von jo hobem Bertheil ift.

„Befinnt Euch nur auf ein luſtig Lied,’ fprad) er, „fjobald das Gebrüll näher kommt, fingen wir dieſes, und Ihr werdet gewahren, wie die Beſtie Ichleunig Reißaus nimmt.“

Weder dem Factor, noch Zeifig, no dem Duar- tus war fingeluftig zu Muthe.

Indeß bewirkte die hohe Zuverſicht, welche der General bewies, daß das Mitteltreffen nicht alle Hal- tung verlor.

„Für den Tal der Löwe,“ fuhr Lagemann fort, „unſern Gefang nicht reſpektiren ſollte, jo müſſen wir uns allerdings auf unfere Augen verlaffen. Sie ges währen unbeftreitbare Sicherheit. Dann möge ber- jenige von uns, welcher fid) der größten Augen zu erfreuen hat, fühn voranfcreiten, den Löwen unun- terbrochen ſtarr anfeben und ihm direft auf ven Leib rüden Nur darf man nicht bie geringfte Furcht zeigen, ſonſt fpringt das Unthier zu und padt. Wer wäre aber unter ung im Befite ber größten Augen?

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Wen hat wohl ein gütiges Gejchid mit dem vortreff- lichten Sehorgan ausgeftattet ?“

„Anbeftritten ven Quartus,“ ſprach Hanno.

„Mich?“ Frug erfchroden Betterlein, „bewahre der Himmel, id habe ja wahre Maulwurfsaugen.“

„Sch berufe mich auf das Zeugniß aller Anweſen⸗ den,“ beharrte der Heldenſpieler.

Seht mich einmal an,” ſprach nun ber General ernit zum Duartus, um fich von der Peripherie fei- ned Auges perfönlich zu überzeugen.

Der Aufgeforverte zog die Augenwimpern jo nabe wie möglih zufammen und blinzelte den Feldherrn an, als ſchaue er in vie Sonne.

Der Angeblidte zog die Stirne kraus.

„Wenn Ihr,” ſprach er, „vem Löwen mit biejer Phyfiognomie fommt, ſeid Ihr verloren. Von Euern Augen ift ja Jo gut wie nichts zu ſehen.“

„Darum eigne ih mich auch nicht, dem Löwen entgegen zu gehen.‘

„Eigenfinn, fo ſperrt doch einmal Die Klogen auf und ſchaut mich groß an.”

„Belcheidenheit verbietet mir

„Wenn ih e8 Euch als Feldherr gebiete, ver- ſchwinden alle Rüdfichten der Beſcheidenheit. Alſo ftarr mir in's Auge geblid. Habt Ihr etwa fein gut Gewiſſen?“

„Das ruhigfte von der Welt.‘

„Wohlen, Auge in Auge Denkt, ich wär’ ber Löwe.

„Das fallt mie ſchwer.“ |

„So thut wenigftens, als wär’ ich der Löwe.“

„Ih glaube, der Factor

„Richt da Factor, von Eud) ift jet die Rede.“

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„Seine majeftätifche Figur; mich würde das In thier nicht für voll anſehen.“

„Das iſt wahr,“ meinte Lagemann nachdenkend.

„Er beſitzt Haltung,“ fuhr Vetterlein ermuthigt fort, „ich gu, er weiß fich zu benehmen bem Lö⸗ wen gegenü

Sußmilch, , welcher äußerſt aufmerkſam geworben, als die Rede auf ihn gekommen, widerſtritt die Ver⸗ muthung Detterlein’8 auf das Hartnädigfte.

„Ich will mid) nicht felbft in Schatten ſtellen,“ ſprach er, „aber daß ih einem ſolch' blutgierigen Un- geheuer gegenüber bie Contenance verliere, getraue ich mir mit einem körperlichen Eide zu erhärten.“

Hanno vermittelte die Sache dahin, daß, im Fall der Löwe erſchiene, Keiner zwar worangehen, aber Jeder das Seine thun follte, um das Unthier in Res ſpect zu halten. |

„Bor ‚allen Dingen nur feine Furcht,“ befahl Lagemann, „das ift Hauptbebingung. Uebrigens,“ fügte er beruhigend hinzu, „glaube ih noch gar nicht, baß ber gehörte Ton von einem Löwen herrührte.“

Daß dem fo war, warb burd die Wieverholung des bonnerähnlichen Tones, ber jet weit näher ge= fommen und einem bumpfen Gebrüll gli), ziemlich außer Zweifel geftellt.

Das Mitteltveffen zitterte bei dem furdhtbaren Klange wie Espenlaub; ſelbſt dem Helvenfpieler warb nicht wohl zu Muthe Nur Lagemann, auf die Er- ' fahrung und Erzählung der Matroſen vertrauen, be= hauptete eine bewunvernswürbige Faflung.

„Der Löwe fcheint näher zu kommen,” ſprach er, „ielleiht daß er Menſchenfleiſch in feinem Gebiete wittert. Wir müſſen jett über das fröhliche Lied übereinfommen, das wir bei feinem Erjcheinen an-

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fiimmen. Ich werde den zweiten Baß übernehmen. Hanno mag den erften fingen. Wär’! nicht gerathen, wir bielten vorher eine Heine Probe?”

Der Heldenfpieler räufperte fih und begann un— cultivirte Töne hervorzuftogen; auch Lagemann übte fi) in einigen anmuthigen Läufern und Coloraturen; aber mit Süßmilch, Betterlein und dem Actuar ſtand's trübfelig. Sie waren alle ‘Drei von Natur feine Helden im Geſang und jett ſchien ihnen bie Angft abjonderlih die Kehle gefchnürt zu haben.

„Könnt Ihr den: Jäger aus Churpfalz?” er- kundigte ſich Lagemann als Vorſänger.

„Ich kann ihn,“ erwiederte Hanno und begann: „Gar luſtig iſt die Jägerei, Tralli, tralla, tralla u. |. w.

Da der Hauptarmee der Jäger aus Churpfalz gänzlich unbelannt war, fo ſprach fid) Lagemann äu⸗ Berft mißbilligend über ſolche Ignoranz aus.

„Könnt Ihr denn,“ frug er und fang:

„Auf, —8 am Roſenſaume Den Lenz, eh' er entflieht!“ Allgemeines Kopfſchütteln. „Oder,“ fuhr Lagemann fort und ſang: „Deutſches Herz, verzage nicht, Thu' was Dein Seriffen ſpricht!“

Wieder allgemeines Kopfſchütteln.

„Mit Euch iſt in der That auch gar nichts an⸗ zufangen,“ zankte der worfingende Oberfeldherr. „Wie ſteht's denn mit:

„Daß Eva fih am Apfelbaume

Gelabt im Paradies, Kein Menſch verargt ihr dies!‘

Hätte man weniger Furcht vor dem Löwen ge- habt, fo würde man gewiß nicht ermangelt haben,

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dem Magdeburger ob feines Lieverreihthums reichlich Lob zu fpenden. So aber berüdfichtigte man feine Rhapjodien weniger und hielt nur das Ohr der Ge gend zugefehrt, von woher fi) das erfchütternde Ge- brüll hatte vernehmen laſſen.

Lagemann, um feine unmufilalifchen Landsleute in ihrer ganzen Blöße binzuftellen und feinen Ge- * fangsruhm außer allen Zweifel zu ftellen, fuhr fort, vie Anfangsſtrophen von einer Menge Liedern und Arien herzufingen, wobei er fein zagendes Mitteltref- fen mit vieler Hoffart anfah.

„Wie,“ frug er, auch das herrliche:

„Preis Dir, Herrmann, Volkserretter, Der wie Gottes Donnerwetter , Im die Seinde Deutſchlands ſchlug!“

Als der Sänger aud) diesmal feine befriedigende Antwort erhielt, fand er fich enplid zu der Frage veranlaßt: „Wber, Factor, e8 hat doch jeder Menich feine Lieblingslieder, wie fteht’8 mit Euh? Ihr wer- det doch nicht ganz von Gott verlaffen fein, daß Ihr nicht auch eine Arie vorzutragen verſtündet?“

„D ja,“ erwieberte der Factor, defien Muth durch das Stillihweigen des Löwen wieder gewachfen war und der Stimme befommen hatte. |

Süßmilch feste jett feine Singorgane in Stand, wobei wunderbare Töne zum Borfchein famen. Vor— her ging ein langwierige Räufpern, Hüfteln, Aech— zen. Endlich ſchien ihm die Kehle hinreichend ge= ſtimmt und er begann:

„Ich bin ein beutiches Mädchen, Mein Aug’ ift blau und janft mein Blick.“

Selbft Zeifig jah den Quartus, ob dieſer außerge- wöhnlichen Klänge, die an fein Obr fchlugen, betroffen an.” Hanno fiel fat um vor Lachen, während Lage-

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mann in ftolzer Siegesficherheit mit einem unnach— ahmlich mitleivigen Lächeln auf den Sänger blidte.

Durch die totale Niederlage Süßmilch's in der eveln Geſangskunſt bekam aber jest auch Vetterlein Muth, ſich hören zu laſſen. Ohne daß es aljo eine Aufforderung von Seiten Lagemann's beburft hatte, flimmte er feine Kehle und. begann mit ſehnſuchtsvol⸗ lem Ausbrud:

„Ab könnt’ ih Molly Faufen Für Gold und Edelſtein.“

Berwundert blidte Alles auf den neuerjiandenen Sänger. Er begann Triller zu fchlagen und zulett gar zu jodeln. Lagemann ward ordentlich eiferfüchtig ob Betterlein’8 Succeß: er ließ ihn nicht ganz zu Ende fingen, fondern unterbrady ihn mit ben Wor- ten: „Diefes Lied ift doch nichts im Vergleich des herrlichen:

„Tochter nie entweihter Tugend, Mit des Himmels Reiz geſchmückt.“

Er fang alle vier Verſe dieſes Liedes.

„Da muß fih,” ſprach er, als er zu Ende war, „ebenfowohl Vetterlein's Molly als des Factors deut⸗ ſches Mädchen verſtecken. Welch' erhabene Moral liegt in dem Liede.

„Nicht minder ſchön iſt:

„Des Künſtlers Reich iſt die Natur, Ihm huldigt See und Hain und Flur, Was immer ſeine Blicke ſah'n

Iſt ſeinem Pinſel Unterthan.“

„Ferner:

„Mein Herr König von Spanien, Wie theuer iſt ſein Königreich.“

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„der das zarte: „Sie ſchwur, daß fie mich Tiebe, Keinen (andern Umgang habe Als nur mit mir.”

„Nicht minder anfprechend :

„Der Graf bot feine Schäte mir Bon Gold und Ebelfteinen.’’ „Berner höchft ergreifend ift Die Arie, welche be- ginnt: „Ha, mein Appius, der Bater will mich morben, Weil Du mid liebſt.“ „Lieblih in die Ohren fallend: „Als Hirten ftehen wir und lauſchen.“ „Wahrhaft erheben: „Wort des Troftes, Wiederſehn.“

Die muſikaliſche Academie, welche Lagemann in Gegenwart feiner Truppen zum Beten gab unb wor- auf er fi) nicht wenig zu Gute that, follfe indeß durch einen urfräftigen Ton plöglih unterbrochen werden. Der Löwe, den man fchon über alle Berge geglaubt, ließ fi wieder vernehmen und diesmal in jo beveutungsvoller Nähe, dag dem größten Theil bes Erbheeres fchleunigft die Haare. zu Berge fliegen.

Lagemann dachte vor der’ Hand an feine Yort- ſetzung feiner Chanſons, fondern traf die nöthigen Vorkehrungen für den Fall, daß ver Löwe fih in. - Leibes= und Lebensgröße zeigen follte.

„Da wir fein Enfemble im Geſange zujammen- bringen,” fprady er, „jo wird e8 das Gerathenite fein, wenn ever das Lieb anftimmt, worin er glaubt das Meifte zu leiften. Der Factor kann fein „Deutſches Mädchen” anftimmen, der Duartus: „Ad könnt' id)

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Molly kaufen,” Hanno das Trinklied aus dem Yrei- ſchütz und der Actuar, der über feinen ganzen Ton in feiner Kehle zu gebieten hat, mag meinetwegen quiefen oder miauen, wie's ihm beliebt, je Lauter- deſto beſſer. Ich Bin überzeugt, wenn Jeder das Seine thut, fo wird ber wierbeinige Unhold je eher je lieber die Flucht ergreifen. Die Hauptjache freilich befteht darin, daß Alle kräftig einfallen und aus Lei— beöfräften ihre diverſen Stimmen erheben. Es kommt diesmal weniger auf den Wohlflang, als auf Behe- menz des Geſanges an. Ih und Hanno Fönnen es freilich nicht allein machen. Ich glaube nicht, daß wir Beide allein den Löwen zur Raifon bringen.”

„Auh wird es nicht undienlih fen,” fuhr er fort, „daß wir uns möglichft zufammen ſchaaren, da— mit der Löwe eine compacte Maſſe vor fi) erblidt, welche anzugreifen er wohl Bedenken tragen dürfte.“

Diefer letzte Vorſchlag fand im Miitteltreffen ben meiften Anklang. Man drängte fich orbentlih, um die Concentration fo ſchnell wie möglih zu bewerf- ftelligen. | „So wie ih das Zeichen gebe, ſprach Lagemann, „fallt Ihe Alle ein. Bor der Hand wollen wir uns ruhig verhalten. Es wäre doch möglich, daß der Löwe feinen Angriff beabfichtigte.

Wieder rollte das furchtbare mujeftätifche Gebrüll durdy den Wald, deſſen Urheber jest gar nicht weit entfernt fein fonnte. Der Ton wirkte aber fo ges waltſam auf das engconcentrirte Heer, daß es faft aus einander geplatt wäre. \

„Ber zudt und rudt denn fo ungeberdig?” frug Lagemann in höchſt ftrafendem Tone; „id dächte Ihr wäret e8, Factor?”

„Ih Kann mir nicht helfen,“ entſchuldigte ſich

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dieſer, „ich kann das Brüllen nicht vertragen, e8 reift mid, jevesmal herum; wer kann für feine Nerven.”

„Der Menſch vermag viel über fi, fo er nur will,“ ſprach Lagemann, „jett. will ich mich aber als Conmmandant auf meinen Poften begeben, nämlich) hinter die Fronte, damit ich beſſer Alles überfchauen und namentfid) das Enfemble des Geſanges richtig leiten kann.“

Er zog den Dragonerſäbel aus dem erweiterten Knopfloche, um ihn als Commandoſtab und Taktir⸗ ſtock zugleich zu gebrauchen.

Der Factor hielt mit dem einen Arme den Hel⸗ denſpieler inbrünſtig umſchlungen, während er mit dem andern den Actuar zärtlich an's Herz drückte. Zwi— ſchen Zeiſig und Süßmilch guckte das Antlitz des Quartus ziemlich zerſtört hervor.

Der unmittelbar im Rücken des Herzens aufge— pflanzte Oberbefehlshaber ward nicht müde, dem za— genden Corps Muth einzuſprechen und daſſelbe zu kühner Ausdauer anzufeuern.

„Ihr werdet ſehen,“ ſprach er, „es hat keine Noth und wäre der Löwe noch ſo groß, an einen Geſang, wie wir anſtimmen, iſt er nicht gewohnt. Ich bin überzeugt, daß er die Flucht ergreift, ohne daß es unſerer Sehwerkzeuge bedarf.“

Da entſtand in den benachbarten Geſträuchen mit einem Male ein entſetzliches Gepraſſel. Es hätte nicht viel gefehlt, ſo wäre das Centrum des Heeres durch des Factors convulſiviſche Nervenzufälle geſprengt worden. Lagemann, welcher im Rücken der Schlacht⸗ linie ſtand, hatte aus Leibeskräften zu halten. Zu— gleich gab er das Zeichen zum Beginn des Geſanges.

„Stimmt an,“ rief er, „das war er, nur herz⸗ haft eingefallen. Es ift die einzige Rettung.‘

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Er jelbit begann nun mit durchdringender Stimme, deren Vehemenz man die nahende Gefahr etwas an merkte: |

„Beim großen Faß zu Heibelberg, Da flgt ber FG ie, ß Und auf dem —5 Johannisberg Ein hochwohlweiſer Rath.“

Im Baſſe fiel ver Heldenſpieler ein:

„Hier im ird'ſchen Jammerthal Gäb's doch nice als Plad und Dual, Hätt' der Stod nit Trauben.”

Der Factor, Betterlein und Zeiſig -[perrten zwar, wie Heine hungrige Staare, die noch nicht ausfliegen fönnen, inftinttmäßig die Mäuler auf, aber fie waren nit im Stande, vor Angft einen Ton hervorzu— bringen.

„So fingt doch zum Teufel,“ rief ihnen Lage— mann zu, „wir find .fonft verloren!” und begann mit erhöhter Stimme:

„Beim großen Faß zu Heidelberg.‘

Da preften Factor, Quartus und Actuar aus Leibesfräften und mit Verzweiflung Wie Blafebälge dehnten ſich ihre Lungenflügel aus, die Mäuler fpreiz- ten ſich auf, als gelte es Erdkugeln zu verfchlingen; die drei verzerrten Gefichter glichen denen von Ver— banımten im äußerften Höllenpfuhl. Endlich kamen Töne zum Borfchein, Töne, wo ſich alle Menjchen- haare jo fchleunig wie möglich würden empor gebäumt haben, wenn fie bei ven Triumvirn nicht fchon ker— zengrade geftanden hätten.

Während Lagemann fortwährend mit besperater Stimme wiederholte:

„Beim großen Faß zu Heidelberg,“

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und der Helvenfpieler im tiefften Baſſe:

„Würfelſpiel und Kartenluſt,“ krächzte der Factor:

„Ich bin ein deutſches Mädchen, Mein Aug’ ift blau und ſanft mein Blick,“

und Betterlein:

„Ach könnt’ ih Molly Taufen,

Fir Gold und Edelſtein.“ Zeiſig, der fih in der allgemeinen Noth fchlechtervings auf feine Arie zu befinnen wußte, und doch auch das Seine zum allgemeinen Beiten beitragen wollte, um nicht vom Löwen verfchlungen zu werben, befolgte den Rath, weldem ihm Lagemann früher gegeben und quiefte und miaute aus Leibesfräften.

Nichtspdeftoweniger warb ber vermeintliche Löwe

fihtbar, welcher aber nichts weiter als eine hochauf- geſchoſſene Giraffe war. Sie jtedte neugierig den auf langem Halje fitenven Kopf durch die Zweige, um zu ſehen, was wohl da unten für ein Conzert aufgeführt werde; doch kaum hatten die Triumvirn ven feltfa- men Kopf gefhaut, der nicht weniger denn zehn El- en body herabgudte, als troß Lagemann's und Han- no's Geiftesgegenwart die gefanımte Akademie über den Haufen fil. Man würde beim Anblide des Löwen nicht jo erfchroden fein, als bei diefem Gi« taffenfopfe, der wie aus ven Wollen herabjchaute. Daß der liebe Gott ein To baumlanges Thier ge= Ihaffen, davon hatten weber der Factor noch Zeifig eine Ahnung gehabt, und der Quartus, objchon er zu Niederroßla feiner Schuljugend Naturgefchichte über bie vierfüßigen Thiere hatte vorgetragen, war doch von der riefenhaften Erſcheinung dermaßen angegriffen, daß ihm

„Ah könnt' ih Molly laufen’

-

ATS.

Ichlechterdings in ver Kehle fteden blieb. Der Yactor befam wieder Nervenanfälle und Zeifig glaubte ſich bereits verfchlungen.

Bergebend ermahnte der Oberfelvherr und Hanno, welche den überaus frieplichen Charakter ver Giraffen . fannten, SHeldenfinn zu entwideln. Es war Alles vergeblih. Das Mitteltreffen lag wie erfchoffen re— gungslos, einer über den andern.

„Es ift ja der Löwe gar nicht,‘ rief Yagemann, „jondern nur eine Giraffe, welde fein Kind be= leidigt.“

Die Giraffe ſchien ebenfalls . fein Held zu fein. Sie z0g den Kopf wieder zurüd, getraute fih nicht näher und man hörte fie nach einigen Secunven nad) einer andern Richtung hin abtraben.

„Das Thier ift unftreitig vor dem Löwen geflo= hen,” meinte Hanno.

„Kann wohl fein,‘ erwieverte Lagemann; „aber wir können jet auf Seine Majeſtät nicht länger warten. Unfehlbar hat der Löwe wieder den Rück— weg angetreten, denn fein Gebrüll, das ſich von Zeit zu Zeit vernehmen läßt, tönt weit entfernter. Wenn wir und jeßt nicht rüftiger dazuhalten, erreichen wir das Goldland auf den Nimmermehrstag; und da ift im Grunde Niemand jchuld als diefe drei Schäder. Wie fie wieder baliegen, die abgeftohenen Kälber. E83 wäre wirklich vernünftiger gewefen, Hanno, wir hätten vie Goldfahrt ohne dieſes Volk unternommen. Wir könnten längft das Ziel unferer Reife erreicht haben. Wie lange wird es jet wieder Zeit brau— hen, die Gebrechlichen auf die Beine zu bringen.”

„Sch bin dafür, daß wir weiter feine ümſtände mit ihnen machen und fie ruhig liegen lafjen, wenn fie dem erften Aufgebot nicht folgen,” meinte Hanno,

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„Es ift Dies auch meine Meinung,” fprad) Lage⸗ mann, „ſolche Schächer verdienen gar feine Schätze. Auch haben fie, falls fie nicht die Reiſe in's Gold⸗ land mitmachen, durchaus feinen Anſpruch auf unfere Beute.”

„Das verfteht ſich,“ erwiederte ber Heldenſpieler, „nicht ein Prozent treten wir ab.“

„Ih wüßte auch nicht wofür,“ verfeßte der At⸗ taché und wandte ſich zu ben Triumvirn, bie noch immer wie todt im Graſe lagen. Der Anblick der großen Giraffe hatte wirklich einen unbeſchreiblich nie— derſchlagenden Eindruck auf ſie hervorgebracht.

„Hollah,“ ſprach Lagemann, den nervenſchwachen Factor mit dem Fuße anſtoßend, „die Reiſe geht vorwärts. Wollt Ihr mit oder lieber hier warten bis wir wiederkommen?“

Süßmilch warf vor allen Dingen einen ſcheuen Blick nach dem Orte, wo ber Kopf der Giraffe her- vorgeblidt hatte.

„It das Ungeheuer fort?“ frug er ängftlich.

„zange chen,” gab der Attahe zur Antwort, „jest kommt aber, id und Hanno warten feinen Au⸗ genblid länger.

„Ich dächte, wir kehrten nad dem Lager zurüd,’ gab Süßmilch den wohlgemeinten Rath, „es ift doch das eine befjer wie das andere. Was meint Ihr, Logemann? Unfer undriftliher Golddurſt hat uns bereit8 in eine Menge von Gefahren geftürzt und wer kann willen, welche unſrer nod) erwarten.”

„Es ift dies auch meine Meinung, verſetzte ber Duartud. „Ich glaube, der afrikanifhe Reichthum ft und nicht beftimmt. Ih ftimme auch für ben Rückzug.“

„Ich auch,“ ſeufzte Zeiſig.

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„Ihe habt gar nichts zu ſtimmen,“ fuhr Rage- mann feine Truppen hatt an. „Wenn Euch das Herz in die Hofen gefahren ft, jo feheert Euch zum Teufel. Ih und ver Helvenfpieler, wir werben ung auf dem Wege des Ruhms und der Beute durch Eure Dafenyerzigteit nicht aufhalten laſſen. Nicht war, Hanno?’

Bewahre der Himmel,“ antwortete dieſer.

„Ein ächter Mann bleibt nicht auf halbem Wege ſtehen,“ ließ ſich ver Altahe eines Weitern verneh- men; „aber Ihr werdet e8 in Eurem Leben zu nichts bringen. Wer nichts wagt, kann nichts gewinnen.”

„Run, id dächte wir hätten gewagt,” gab Vet— terlein zu bedenken, „haben wir es bis jett nicht mit lauter Ungeheuern zu thun gehabt?“

„Bagatellen,“ verjegte Lagemann abiprechen, „wenn die Gefahren nicht jchlimmer kommen, find fie nicht der Rede werth.“

PVetterlein gudte hier den Factor bedeutfam an, welcher fich ſehr kopfichüttelnd eine Prife nahm.

„Uebrigens frage ich jett zum allerlegten Male, ob Ihr uns nah dem Goldlande noch folgen wollt oder nicht?“

„Sch wollte mir nur zuvor noch die Bemerkung erlauben —“ gab Süfmild zu bevenfen.

„Hier werden gar feine Bemerkungen erlaubt,” fiel der Attachs abſprechend ein.

„Es wäre nur von wegen —“ meinte der Factor.

„Nichts da,” entſchied kategoriſch Lagemann, wel- cher Süßmilch abermals nicht ausreden ließ, „Ihr habt nur zu erklären, ob Ihr uns folgen wollt oder nicht.“

„Ich dächte, wir wollten nicht, verſetzte nad) einer Paufe Eeinlaut der Quartus.

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„Das dacht’ ih auch,” meinte ver Yactor eben- falls nady einer Baufe, „denn, wenn man alle die obwaltenden Berhältniffe und Umſtände in veifliche Ueberlegung zieht, jo ftelt fih am Ende faft unwi- derruflih heraus, dap —“

„Ihr Ejel ſeid,“ ſprach teoden Lagemann, und nahm den Heldenjpieler am Arm; „kommt, Hanno,” fuhr er fort, „mit dieſen Gevatter Schneidern und Handſchuhmachern ift nichts anzufangen. Laßt uns unſerm Sterne allein vertrauen.” j

„a, das wollen wir,” erwiederte der Helden⸗ ſpieler und feiner einftigen Kumft fi) erifnernd decla⸗ mirte er:

„Da Stehen wir ein entlaubter Baum, Doch innen im Marke lebt bie jchaffende Gewalt.‘

Mit diefen Verfen aus dem Wallenftein verſchwan— ven Lagemann und Hanno im Gebüſch und ließen ihr zeitheriges Mitteltreffen in einer höchſt merkwür⸗ digen Gemüthsftimmung zurück.

Einen folhen Staatsſtreich, mitten allein in einer heidnifchen Wildniß von den eignen Heerführern zu- rüdgelaflen zu werden, das hatten fie nicht erwartet; und je länger und angeftrengter fie über vdiefen Fall nachdachten, in deſto graufigerm Lichte erfchten er ihnen,

„Sie find vielleicht nicht weit und fehren bald wieder, meinte tröftend der Factor, obſchon er an diefen Troſt ſelbſt nicht vecht glaubte.

„Wir hätten uns doch nicht trennen ſollen,“ ſprach Vetterlein mit äußerſt beforglichen Geſicht.

„Wollen wir ihnen nicht nacheilen, ſie können keine hundert Schritt entfernt ſein?“ ſchlug Süß⸗ milch vor.

„Wenigſtens wollen wir ihnen zurufen,“ ſprach Vetterlein, „bevor der Zwiſchenraum zu geb wird.“

Stolle, ſämmtl. Schriften. XVIII.

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Die Ausführung dieſer BVetterlein’jchen Idee ließ diesmal nicht lange auf fid) warten. .

„Herr Lagemann! Herr Lagemann,“ rief bie Stimme des Duartus aus Leibesfräften, „wir haben und anders bejonnen.”

„Dann folgt uns fchnell, ertönte eine Antwort aus der Entfernung.

Die drei Nadnüger reſolvirten fich daher ſchnell und.fuchten ihre Vereinigung mit Hanno und dem Alttaché zu bewerfftelligen. Sie waren auch bereits ben beiden Feldherren jo nahe gekommen, daß fie fich mündlich unterreden konnten, als eins ber außerordent⸗ lichften Ereigniſſe die nachfolgende Truppenmacht plöß- lid) wie angebonnert ftehen hie ieß.

Ein gewaltiges Rauſchen in dem Gebüfh vor ihnen ließ fid) vernehmen, e8 war nicht anders, als wenn mehre Compagnien Fußvolk durch's Gefträuch brächen. Höchſt befrempliches Gemurmel ſchlug an das zagende Ohr des nachfolgenden Heeres. Plotzlich ertönte kreiſchender Hülferuf von Seiten Hanno's und Lagemann's.

„Zu Hilfe, Factor, Quartus, um aller Barm- herzigkeit willen,” ſcholl e8 verzweifelt durch den Wald, „wir find überfallen!“

Die beiden nah dem Goldlande voranjcreiten= den Feldherren waren einem umberfchmweifenden Ne- gerftamme in die Hände gerathen. Eh’ fie zur Be— finnung kommen konnten, fühlten fi) der Attaché wie der Helvenfpieler von ſchwarzen Fäuften gepadt und der Erfte fich feines halben Dragonerfäbels, der An- bere feines Carbonaris und des Bambusftods beraubt. Zu gleiher Zeit band man ihnen die Hände auf den Rüden und einige urkfräftige Peitſchenhiebe deuteten

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ven Gefangenen an, daß fie fih in Marſch zu ſetzen und ihren ſchwarzen Gebietern zu folgen hätten. '

Daß unter obwaltenden Umftänden das Mittel- treffen, ohne dem Hülferuf im ntfernteften nachzu— fommen, ſchleunigſt den Rückmarſch antrat und zwar in ausbauernd geftredtem Galopp, wird Niemandem Wunder nehmen. In der That gelang es auch, 'wie- wohl nad einer beifpiellos forgirten Retirade, dem gehetsten Stleeblatt, noch im Laufe deſſelben Tages das Lager zu erreichen, wo man allerdings wie tobt hin- fiel und faum fo viel Kraft hatte, den Capitain von der unerhörten Begebenheit in Kenntniß zu feten.

Achtes Kapitel.

Was ungefähr acht Tagen fehrten Gamaliel, Bictor und Zohu in einem geräumigen Boote vom Yort St. Louis nad) dem . Borgebirge St. Anna, wo bie Schiffbrüdigen ihre Hütten aufgeſchlagen, zurüd.

Es dürfte jet dem Leſer nicht ganz uninteref- fant fein, das fernere Schidfal Lagemann's und Han—

no's, welche fich gefangen in den Händen ber Man— dingo-Neger befanden, zu erfahren.

Wie ſchon angedeutet worden, machten die Neger nicht die geringften Umſtände mit den. zwei gefange- nen Europäern. Im Gegentheil festen fie alle Hu— manitätsmaßregeln auf das Auffallenpfte aus ben Augen. Auf ein paar Hiebe mehr oder weniger Tam e8 der wilden Horbe nicht an.

Lagemann, ber es ſelbſt in ver waurigſten Lage

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nicht unterlaffen konnte, Vorwürfe zu machen, lag dem um feinen Mantel höchlich beftürzten Heldenfpie= ler fortwährend in den Ohren. |

„Ber nur Euch folgt, Hanne,“ ſprach er mit ſtillen Ingrimm, „ver kann fidher fein, zu Grunde zu gehen, wenn er nicht gar gehenkt wird. Das hat ' man nun von Eurem Goldlande. Ein Teufel muß Euch den Rath eingegeben und ein anbrer Teufel mic geblendet haben, auf Euern Vorſchlag zu folgen. Nun fteht uns die erlabende Ausficht bevor, entweder heut’ Abend noch geichlacdhtet und gebraten oder nädh- fir Tage in die afrilanifhen Bergwerke im Innern als Sclaven ‚verkauft zu werden. Man folge nur einem Comödianten!“

Ein aufßerorventliher Senfzer von Seiten Lage— mann’3 folgte viefen Worten.

Der Helvenfpieler, welcher mit auf dem Rüden gebundenen Händen neben dem Attacye einherjchritt, tröftete.

„Vielleicht,“ fprad er, „daß wir noch gerettet werden; Zeiſig, Vetterlein und der Yactor find ge— wiß glücklich entfommen und ſchlagen Lärm; der Fac— tor hat erftaunlid lange Beine und kann beifpielloe ausſchreiten.“

Der Magdeburger wollte auf dieſe Hoffnung nicht viel geben.

„Eh' ſich dieſe Hottentotten,“ meinte er, „nach dem Lager finden, können wir bereits zwei Mal ge— ſchlachtet, gebraten, verſchlungen und wieder verdaut ſein.“

„Dann freilich käme die Rettung zu ſpät,“ ſprach dumpf der Heldenſpieler.

„Das ſag' ich auch,“ replicirte Lagemann; „im Gegentheil wär’ mir's recht lieb, wenn die Schwar—

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zen das nichtsnutzige Kleeblatt ebenfalls mit erwiſcht hätten. In Geſellſchaft trägt ſich Ungemach leichter.“

„Ihr habt ja meine Geſellſchaft,“ tröſtete Hanno.

„Die iſt darnach,“ entgegnete der Attahe. Nach einer Baufe fuhr er fort: „Es ift in der That zum Raſendwerden, daß gerade mid) dieſes Unglüd treffen muß, während die Dummheit glüdlic davon kommt.”

Bei den überftandenen Prüfungen dachte er wieder feiner Leiden unter Hanno's Sarbonari, und ihm ward in feinem Unglüd wenigſtens bie Oenugthuung, dieſen verwänfchten Mantel jetzt in feinblicher Hand zu wiſſen.

„Nun habt Ihr auch einen Mantel gehabt,” ſprach er ſchadenfroh.

„Leider,“ ſeufzte der Heldenſpieler und ließ in Erinnerung an ſein Kleidungsſtück, in welchem er zeither allem Mißgeſchick getrotzt und in welchem er, ein zweiter Alexander, halb Aſien zu durchwandern gedachte, betrübt das Haupt ſinken.

„Keine Strafe iſt gerechter,“ fuhr Lagemann fort, „gedenkt der Frevelthat, vie Ihr vermittelſt des ver= wünfchten Carbonari allein gegen mid verübt habt. Wenn e8 überhaupt mit Gerechtigkeit auf Erden zu— ginge, jo müßtet Ihr, bevor man Euch bratet, eben- falls unter Eurem eignen Mantel fo zugerichtet wer- den, wie Ihr mid, einft zugerichtet habt.‘

„Lagemann,“ ſprach Hanno, „ſeid nicht fo nach— tragend, wer weiß, wie wenig Stunden wir noch auf dieſer ſchönen Erde zu wandeln Haben.”

„Wer iſt denn daran ſchuld,“ fuhr der Magde— burger auf, „daß ich nicht länger mehr auf dieſer ſchönen Erde, die ich im Vorbeigehn geſagt, übrigens gar nicht ſo exemplariſch finde, wandeln ſoll? Kein Menſch als Ihr. Es iſt entſetzlich, in feinen beſten Jah— ren eines Comödianten willen hingeopfert zu werden.“

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e Der Helvenfpielee war ob der bevorftehenven To⸗ desſtunde ſehr weich geſtimmt.

„Lagemann,“ fuhr er fort, „bedenkt daß Ihr ein Chriſt ſeid —“

„Und Ihr ein Heide,“ unterbrach ihn der Attache.

„Dergebung in der Todesſtunde ift mas Schö⸗ nes —“

„Einbildung, wo ſoll in der Todesſtunde das Schöne herkommen?“

„Man ſchlummert ſo ſanft und ſelig hinüber.

„Ich mag aber noch nicht fanft und felig hin— überfchlummern, fuhr der Attache den unberufenen Geeljorger von Neuem an. „Es kommt nichts .her- aus dabei; ich weiß es.“

„Lagemann, wie gottlo8 ſprecht Ihr.‘

„Der Teufel möcht's nicht.”

„Bas ich für Euch thun kann, Euch den Hinüber- gang zu erleichtern, will ich gerne thun.”

„Ihr wär't der Mann darnad).”

„Ich glaube doch, daß id Etwas thun könnte; wenigftend würde es Eud den Abſchied vom Leben weniger ſchmerzensreicher machen.“

„Ihr wollt mich wahrſcheinlich vorher in der Stille erdroſſeln, damit ich nicht unter den Fäuſten der Schwarzen das Leben aushauche. Ich bedanke mich. So weit ſind wir noch nicht.“

„Lagemann, weld ein Gedanke. Es fer ferne von mir, an Euren ftattlihen Leichnam Hand anzu— legen.”

„Außerdem begreife ich nicht, was Ihr noch für mich thun könntet ?“

„Viel, viel, guter Lagemann.“

Der Attaché, von neuer Lebenshoffnung ergriffen, glaubte jetzt, Hanno wiſſe ein Mittel, ihn, vielleicht

*

1,83

mit eigner Aufopferung, aus den Klaunen der Schwar- ‘zen zu vetien.

„Wenn Ihr während der Nacht,“ ſprach er, „viel- leiht mit den Zähnen meine Hände freimachen künn- tet, jo wollt! ih dann ſchon fehen, wo der Zimmer— mann daß Loc gelafien hat. Hanno, eine ſolche That gereichte Euch fürwahr zur Ehre. Ich würde fie Euch nie vergefjen. Auch müßt Ihr bevenfen, dag Ihr fie mir ſchuldig fein, denn wer bat mid denn in dieſen bejammernswerthen Zuſtand gebraht? Einzig und allein Ihr.“

„Nein, Lagemann,“ erwieberte der SHelvenfpieler, „macht Euch feine trügerifchen Hoffnungen. Aus ven Klauen der Feinde vermag ih Euch nicht zu retten, fo gern ich) wollte; wir find viel zu ftarl und zu vor- fihtig bewadt. Nein, Euer fterbliher Leichnam ber fahre in Gottesnamen dahin und werde wieder Afche, weldyes er fchon früher geweien. Aber, Euch ven Tod zu erleichtern, Euh den Berluft des Lebens weniger fühlbar zu machen, dazu hab’ idy ein Mittel.”

„Wenn Ihr meinen Leib nicht zu retten vermögt, hole der Teufel Euer Mittel.”

„Lagemann, ſeid doch nicht fo trotzig in den letz⸗ ten verhängnißvollen Stunden. Geht in Euch.“

„Das iſt bald geſagt, geht in Euch, wenn man noch ganz außer ſich iſt.“

„Vernehmt mein Mittel, ich beſchwöre Euch, wird Euch nicht allein, es wird auch mir zu —* hafter Beruhigung gereichen.

„So es in Euern Nuten ſchlägt,“ proteftirte der Magveburger, „mag ich nichts wiſſen.

„Weder in meinen noch in Euern irdiſchen Nutzen ſchläglo, und es iſt nur, um froher aus der Welt zu gehen.“

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„Ihr mögt mir fagen, was Ihr wollt, id) werde einmal nit froh ſcheiden. Wahricheinli ein mora= liſcher Troſt, fpart ven für Euch felbft auf.”

„zagemann,” hub jest der Heldenſpieler mit ſehr bewegter Stimme an, „unfere Stunden find gezählt, vernehmt jest das große Geheimniß, warum hr mid) fo oft angegangen und das ih Euch bis jeßt immer verfchwiegen habe.’

„Was wird's fein?” erwieberte unmuthig ber Attaché, „Ihr habt mich beitohlen.‘

„Richt fo eigentlich beftohlen, jondern

„Oder betrogen, daß mir hätte grün und blau mögen werben, mcht wahr?“

„Allerdings grün und blau würde Euch geworben In fo ich Euch das Geheimnig früher entdeckt

ätte.“

„Sehr großmüthig, mir das Geſtändniß erſt zu thun, da mir's nichts mehr nützen kann. Alſo beich— tet getroſt, mich ſoll's ſehr ruhig laſſen.“

„Das hoff' ich auch. Lieber Lagemann, nicht wahr, Ihr waret auf der Reiſe nach Kabul begriffen, um das Erbtheil in Perſon zu erheben, das ich Euch abgetreten hatte —“

„Allerdings, und das id Euch mit fchwerem Gelde abgefauft —“

„Die Ducaten waren zwar etwas leicht —“

„Für Euch noch viel zu ſchwer, aber ich begreife nicht, was Ihr da Dinge erzählt, die ſo allbekannt ſind wie zweimal vier.“

„Doch nicht ſo ganz wie Euch ſcheinen dürfte, denn wenn Ihr auch nach Kabul gekommen wäret, würdet Ihr dennoch kein Erbtheil für Euch vorge— funden haben.“

„Wie ſo?“

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„Weil ich gar Feines zu verlaufen hatte. Meine Frau ftand allerdings mit im Teftamente, aber nur für ihre Perfon und für den Fall, daß fie nod am. Leben fei; auf mid ging daher, nad der ausprüd- Iihen Erklärung des Teſtaments, nicht ein Pfennig über. Ich begreife daher heute noch nicht, wie Ihr mid für einen der Erben halten konntet und mit mir ein für mid), troß ber leichten Ducaten, eben fo vortheilhaftes als für Euch nachtheiliges Geſchäft ab— ſchließen konntet.“

„O Heidenhund,“ brauſ'te der Magdeburger los, „wenn nicht die Stricke mich verhinderten, ich würgte Dich auf der Stelle.“

Er ſchrie dabei ſo laut, daß ein paar energiſche Peitſchenhiebe ihn daran erinnerten, daß er Gefan⸗ gener ſei. Zugleich wirkte der Gedanke, daß er un=. ter ſeinen dermaligen Verhältniſſen ja ſo auf Kabul verzichten müßte, ſehr beruhigend. Er ging daher vor ſich hin, ohne ein Wort weiter von ſich zu geben.

„Nicht wahr,“ erkundigte ſich nach einiger Zeit Hanno mit leiſer Stimme, „Ihr werdet jetzt ruhiger in den Tod gehen? Der Werth Eures Lebens iſt nach meiner Erklärung um hundert Prozent gefallen. Was iſt ein Leben ohne Erbſchaft? Auch ich fühle mich nach dem Geſtändniß, das mich fo lange, Zeit beſchwert, ſo leicht, als habe ſich ein Vorgebirge von der Bruſt gewälzt.“

„Ich wünſchte,“ raunte der Enttäufchte ingrimmig, „es wälzten ſich drei tauſend fünfhundert Vorgebirge mit ſammt dem Mond und allen Planeten auf Eure verbrechenvolle Bruſt und drückten Euch zehn tauſend Klaftern tief in den Erdboden hinein bei dem Ge— danken, einen ehrlichen Mann, der Frau und Kinder hat, in's Unglück geſtürzt zu haben, denn ohne Euren

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menſchheitſchaudernden Betrug wäre mir's nicht im den Sinn gelommen, das friedliche Nieverrofla zu verlaffen, wo ih die Hoffnung hatte, mit Nächften Stadtverorbneter zu werben.“ |

„Was wäret Ihr auch weiter als Stadtverord⸗ neter in Niederroßla!“ tröftete der Helvenfpieler.

„Mehr wie Ihr, hoff ich.”

„Das ift immer no nicht viel! Bedenkt, daß Alles eitel ift. Nie war mir der Gedanke Elarer als jet; mit meinem Carbonari, dem treuen Begleiter in Leid und Freud’, hab’ ich gleichſam den alten Men— [hen aus und einen befjeren angezogen.‘

„Ih wünſchte es wäre früher gefchehen.”

. „Es ift immer noch Zeit, wenn ed nur vor- dem

Tode gefhieht. Bei Euch, Lagemann, fcheint es aber nicht der Tall.” „Wer hätte ſich denn träumen laſſen,“ erwieberte dieſer ungehalten, „daß die Reiſe ſo ſchnell fortgehen ſollte? Ich ſtehe noch in den beſten Jahren. Kein Menſch denkt da, mit ſich abzuſchließen. Bei mir iſt es überhaupt eine etwas verwickelte Geſchichte. Ich brauche Zeit dazu.“

„Macht es kurz,“ rieth der Heldenſpieler.

„Das iſt bald geſagt. Dazu gehört vor allen Dingen Sammlung, und in meiner gegenwärtigen Stimmung —“

„Ich bin ſchnell fertig geworden,“ meinte Hanno, „meinetwegen kann's dieſe Stunde fortgehen.“

„Ich glaube, Ihr geht da zu leichtſinnig zu Werke, Euer Sündenregiſter kann das kleinſte nicht ſein.“

„Meiſt Uebereilungsfehler.“

„Zählt Ihr die Carbonarigeſchichte auch zu den Uebereilungsfehlern?“

„Warum nicht? Ein jovialer Scherz.“

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„Das muß ich geftehen, Ihr Eonntet mir das Le— benslicht ausblaſen.“ 7

„SH kannte Eure gute Natur.”

„Wie ſteht's denn aber mit dem Exrbjchaftsbetruge, den Ihr Euch gegen mic habt zu Schulden kommen laffen? Etwa auch ein Uebereilungsfehler?‘

‚Nein, der war Verbrechen; indeß hat er doch auch fein Gutes gehabt.”

„Da bin ich begierig.“

- „Ward er nicht die Veranlaſſung, daß Ihr jett zur Buße bereit fein? In Niederroßla hättet Ihr Euer ‚Leben lang nicht daran gedacht.”

„Das könnt Ihr nicht willen, Hanno.

„Mebrigens, ich begreife nit, worin das Un glüd Liegt, frübzeitig das mühenolle Leben zu ver- laſſen.“

„Da ſieht man Euren Leichtſinn.“

„Bas verliert man denn?“ Ä

„Ihr allerdings fehr wenig; aber ich, angeſeſſener Bürger zu Nieverroßla, ein wohlangebrachtes Geſchäft, in nädjter Zeit Stadtverordneter.“

„Das find alles irdiſche, vergängliche Herrlichkei= ten, die einen unfterblihen Geift nicht befriebigen können.“

„Ich war aber zufrieden damit; ich bin nicht jo unbeſcheiden wie Ihr.”

„Auch ift e8 eine Gabe ver Götter, frühzeitig zu fterben.”

„Bas das wieder für ausſchweifende Ideen find; da brauchte man ſich ja lieber gleich gar nicht gebä- ven zu laſſen.“

„Es ‚ift noch immer bie Frage, ob ber nicht glüd- fiher, der nie geboren ward.”

„Wenn man aber einmal geboren ift, wie bei ung

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Beiren rer Fall ift, fo bleibt man dech lieber da, als tag man jo ſchnell als möglich wieder abtritt.“

„Glaubt Ihr an eine Unfterblichfeit, Kagemann

„Das find Facultätsfragen, mit denen hab’ id mich nie befaßt.“

ann ſeid Ihr allerdings zu beflagen.“

„Run, ich dächte mit Eurer Weisheit über Un— fterblichfeit fünnte e8 das Große auch nicht fen. So viel ich mid, entfinne, war Euer Dichten und Trad- ten jaft nur auf den Leichnam gerichtet. Ich denke noch mit Schaudern zurüd, was wid) biefer werthe Leichnam koſtet; er fraß ſtets für zwei, meine Bücher in —— tonnen e8 bezeugen.

„Gleichwohl hab’ id nie ganz unterlaſſen, auch für das geiftige Wefen Sorge zu tragen. Seine Cr- ziehung hat mir ftet8 am Herzen gelegen.”

„als Ihr mich fo colofjal betrogt, konnte dieſe Erziehung noch nicht weit gediehen fein.”

„Allerdings, der Weg der Tugend iſt zu glatt, daß man nicht zuweilen ausgleiten und fallen ſollte.“

„Ich dächte, Ihr wäret gar nicht zum Aufftehen gefommen.”

„Ih mar beifer als mein Ruf.“

„Dazu gehörte auch nicht viel, denn mit leßterm

ſah's verteufelt ſchlecht aus.“

„Lagemann, wir wollen doch die noch kurz zuges meſſenen Stunden und durch Vorwürfe nicht verbit- tern, und die dem Gemüthe nöthige Ruhe entziehen, welche zu einem Einfehren und Abjchliegen mit uns ſelbſt von fo hoher Wichtigkeit iſt.“

„Ich mag's anfangen wie ich will,“ geſtand der Attache, „ich kann mit mir nicht in's Klare komm Dazu bedarf's Zeit, ich nehm’ es nicht fo auf die leichte Achfel wie Ihr.’

|

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„Geſtorben muß einmal fein,“ fuhr der Helden— jpieler tröftend fort, „ein paar Jahr mehr oder wes niger was thut's.“

„Run, ein paar Jahr, das thut Ihon etwas; id) nehme fie gern nut; namentlich bei den ‚jegigen Aus ſichten wären ſie gar nicht zu verachten.“

„Es kann auch fein,” ſprach Hanno, „daß und die ſchwarzen Teufel das Leben ſchenken; aber unter einer Bedingung, die auszuſprechen eine Sünde iſt.“

„Bedingung, welche Bedingung?“ frug Lagemann.

„Ich wag' es kaum, ſie zu denken, aber das Le— ben würden wir erhalten.“ |

„Wagt es getroft, Hanno,” munterte der zu neuer Lebenshoffnung erſtarkte Attache auf, „ich verantworte e8 auf jedem Tall.‘

‚Mein, Lagemann, ed wäre zu entſetzlich.“

„Wenn wir das Leben erhalten fünnen, feh’ ich ſchlechterdings nichts Entſetzliches; alfo heraus damit, ih will's willen.‘

Der Helvenjpieler zügerte, Lagemann drängte, Endlich ergab ſich Lebterer und ſprach: „Es bepürfte nur, daß mir unfern Glauben abſchwören, Mufelmän- ner würden, zehn Weiber heiratbeten und berrlih und in Freuden lebten.“

„zehn Weiber?”

„Darunter nicht.“

° rad ih ſchwöre Das Chriftenthum ab.” „Die? Ihr, ein vechtgläubig Getaufter, ich will's nicht glauben.”

„Mir ganz einerlei, aber ich ſchwöre. Ich Fann ja, wenn id) wieder unter Chriften fomme, die zehn —* abſchaffen und thun, als ob nichts vorge⸗ allen.“

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„Rein, Lagemann, für fo entartet hätt ih Euch nicht gehalten.”

„Ich wette, Hanno, Ihr macht's gerade fo wie ich.”

„Die verfennet Ihr mich, Lagemann.“

„Hanno, thut doch nicht fo, ich kenn' Euch nicht

von geſtern.“ „sn Sachen der Religion hab’ ich meine Grund— üße, u

„Die hat ein Jeder.“

„Eh ih Mufelmann würde, ja da wäre ich eher im Stande, den lebten Blutstropfen zu verfprigen

„Run ba fprist zu, ich will mein Blut behalten. In ſolchen Dingen hat Jeder feine befondern Anſich— ten. Ich denke aufgeklärt.‘

„Für meinen Glauben könnt' ich Alles wagen. Tod und Scheiterhaufen follten mich nicht abtrünnig machen von der Religion meiner Väter.‘

„Das klingt Alles recht ſchön, Hanno, aber wenn's dazu kommt, wenn’8 heißt, jest knie nieder, Chriftenhund, jest wollen wir Div den Bauch auf- jhneiden, Hanno, das ift ein fitliches Ding. Und auf der andern Seite zehn Weiber und ein eben voller Freude und Wonne.“

„Meinetwegen vreitaufend Weiber.‘

„Hanno, Menſch ˖ bleibt Menfh. Die Verfuhung ift groß. Webrigens find unter den Türken auch ehr- liche Leute, und wer rechtſchaffen lebt, kann in ber türfifhen Religion auch felig werben. Ehedem waren freilich die Leute noch fo beihränft, daß fie nur den Bekennern ihres Glaubens bereinftige Seligfeit zuge- ftanden. Aber die Zeiten haben fich geändert. Der Samen der Aufklärung hat Wurzel geſchlagen. Auch ich bin ein Freund der Aufklärung.“

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„Allerdings, ftrafte ver Heldenfpieler, „weil dieſe aufgeflärte Lehre Euren ſündigen Gelüften zufagt.‘

„Ich will ja blos mein Leben retten, ſſo merft doch auf, das ift doch fein fündig Gelüft, zumal wenn ich auf die zehn Weiber verzichte.‘

Die Glaubensftreitigfeiten zwifchen dem⸗ religiöfen Heldenfpieler und dem aufgellärten Lagemann wurden plötzlich unterbrochen, indem ber Negertrupp Halt machte und einen Kreis um ben Anführer bilbete. Es kam hier zu einer ziemlich anhaltenden ‘Debatte, welche von heftigen Geſtikulationen begleitet war. Man fchien unter ſich nicht einig werben zu können, was mit den beiden Gefangenen anzufangen jei.

Lagemann wie Hanno ſchauten dieſem ſchwarzen Zandtage nicht ohne Beſorgniß zu. Beide befürchte- ten das Schlimmite.

„Wenn man ihnen nur be greiflich machen könnte,” meinte der Erftere, „daß es das Vortheilhafteſte für fie wäre, wenn fie und gegen Löſegeld frei gäben; ih bin überzeugt, daß unjre Landsleute das Mög- lichſte thun würden, die Summe aufzutreiben, um uns vom Tode und fchimpflicher Sclaverei zu retten.”

„Die will man aber eine ſolche Propofition dem Ihwarzen Bolfe beibringen?” frug der Heldenſpieler.

Lagemann glaubte jet wenigſtens den Verſuch wagen zu müſſen. Er mandte ſich zu dent Neger, welcher als Schildwache bei den beiden Gefangenen

zurüdgeblieben war, und da er die Hände nicht frei hatte, ‚welche man ihm auf dem Rüden zufammenge- bunden, fo machte er mit dem rechten Fuße eine Ban- tomime, weldye Geldzählen verfinnbilolichen follte,

Die Schwarze Schildwache, die indeß hierin nur außerafrifanifche Zauberformeln argmohnte, Tiefe feine Peitfche fogleih dermaßen auf Lagemann's Rüden

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bin und wieder tanzen, daß dieſer von feiner panto— mimiſchen Vorſtellung ſchnell zurückkam.

„Nein,“ ſprach er reſignirt, „mit dieſer Thierart iſt nichts anzufangen. Ein deutſcher Pudel iſt ein Genie gegen dieſes Volk.“

Unterdeß ſchien die afrikaniſche Nationalverſamm⸗ lung ihren Beſchluß gefaßt zu haben. Der Kreis that ſich auf und die Reiſe ging weiter. Den beiden Gefangenen kam dieſe Art zu wandern höchſt unbe— haglich vor; denn die Schwarzen legten jetzt einen vehementen Schritt ein, daß Lagemann und Hanno, um mit fortzukommen, beſtändig traben mußten.

„Es iſt doch ein trauriges Geſchick, feinem Unter- gange im Galopp entgegen laufen zu müſſen,“ meinte Lagemann.

„Wenn die Beſtien wenigſtens einmal Halt mach— ten,“ ſprach Hanno, „daß man ausruhen könnte. Das iſt ja ein engliſches Wettrennen.“

„Ich werde mit eheſtem liegen bleiben,“ bemerkte der Attachs.

„Die Schwarzen können unmöglich Lunge und Milz im Leibe haben,“ keuchte der Heldenſpieler.

Indeß währte die Jagd noch geraume Zeit, be— vor man den Ort erreichte, wo der Stamm ſein La— ger aufgeſchlagen hatte. Lagemann, mehr todt als lebendig, ſtürzte wie ein gefüllter Sack zur Erde. Nur durch fortgeſetzte Schläge war er die letztere Zeit auf den Beinen zu erhalten geweſen.

Letzterem war der Muth total geſunken.

„Wenn wir jetzt geſchlachtet werden,“ ſprach er, „müſſen wir einen Wildpretbraten abgeben, der nichts zu wünſchen übrig läßt. Denn mehr gehetzt kann kein Thier werden. Ich glaube, die Jagd geſchah

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aus feinem andern Grunde, als unfer Fleiſch wohl⸗ ſchmeckender zu machen:

„She feid ein rechter Hypochonder geworden,“ er⸗ wiederte Hanno. „Fortwährend habt Ihr den Tod vor Augen.“

„Nach dergleichen Motion pflegt man nicht eben Hypochonder zu ſein,“ erwiederte Lagemann.

„Das mein' ich auch,“ verſetzte Hanno, „darum begreif' ich eben Eure düſtern Gedanken nicht. Bei mir findet gerade das Gegentheil ſtatt; die Xebens- luft war nie in fo großem Grade vorhanden, ſo wie auch der Appetit.“

„Lebensluſt hätt' ich ſchon ebenfalls noch,“ gab Lagemann zur Antwort; „aber die Anſtalten, die man da trifft, ſehen mir bedenklich aus; ſehet, ſie zünden wahrhaftig ein Feuer an. Es fragt ſich jetzt, ob man uns zu eſſen geben oder ſelbſt aufeſſen wird.“

In dem Lager befand ſich auch die ſchwarze Ma— jeſtät des Negerſtammes, welche auf einem hölzernen Seſſel vor einer der Hütten des Kraals ſaß. Das Miniſterium ſchien um den König verſammelt und allem Anſchein nach waren Lagemann und Hanno der Gegenſtand des afrikaniſchen Conſeils. Wenigſtens geruhten Seine Majeſtät, ſowie die Großwürdenträ— ger, oft nach dem Orte hinzublicken, wo ſich die bei— ven Schickſalsgenoſſen in's Gras geftredt hatten. Dem Magdeburger entgingen diefe Blicke nicht, und er er- mangelte nicht, feine desfallfigen Bemerkungen gegen den Heldenfpieler laut werden zu laſſen. ſe „Wir ſcheinen ihnen von ſpeciellem Intereſſe zu ein.“

„Ich wünſchte, ich wäre ihnen eben ſo unintereſ⸗ ſant, als fie mir,” erwiederte Hanno; „aber einen

Stolle, ſämmtl. Schriften, XVIII. 13

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Hunger empfinde ih, ber nicht anmaßender genannt werben kann.‘

„In dieſem Leben werdet Ihr wohl nichts mehr zu eſſen befonmen.‘

„Das wäre traurig,” erwieberte der Helvenfpieler, „mit hungerndem Magen zu fterben ift mir immer für das größte Unglüd auf Erden erfchienen. Die weifen Gejeßgebungen ſcheinen das eingefehen zu ba- ben; daher man felbft dem Berbrecher die fogenannte Hentergmahlzeit reicht, wo es ſplendid hergeht.“

Lagemann konnte von feinen hypochondriſchen To— desgedanken durchaus nicht loskommen.

„Ob es nur in jener Welt auch etwas zu brocken und zu beißen giebt?” frug er.

„Zu wünjhen wär's.‘

„Freilich Klöße, Pudding, Rinderbraten und der— gleichen maſſive Lebensmittel wird es wohl nicht ge— ben. Die Geiſter leben von der Luft.“

„Ich kann mir da ein eigentlich Sattwerden nicht denken,“ erwiederte Hanno.

„Für Euch wird es einmal jhlimm werben, Hel— benfpieler, eine gute Mahlzeit ging Euch über Alles.“

„Das iſt wahr.“

„So eine braungebratene Martinsgans mit ge— ſchmorten Kartoffeln —“

„Ich bitt' Euch, Lagemann, laßt das

„Oder ein polniſcher Karpfen mit Sn und Krautſalat.“

„Lagemann, wozu das jetzt?“

„Das müßt Ihr doc geſtehen, meine Kirmeß— und Faſtnachtſchmäuſe hatten ſich gewaſchen. Als Ein- gang ftet3 die brodelnde Wurſtſuppe.“

Hanno ftieß bei dem Gedanken an die Wurftfuppe, bie ihm über Miles ging, einen jo herzbrechenden

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Geufzer aus, daß der Magdeburger nicht anders glaubte, als fein Geführte habe den Geift aufgegeben. Er drehte fih daher nad ihm um, und als er ven Heldenfpieler noch lebendig fand, fuhr er fort, ben einftigen Reichthum feiner Küche mit vieler Umftänp- lichkeit vorzumalen; denn er konnte es ſelbſt in ver traurigften Situation nicht unterlaffen, feinen Mitmen- ſchen einen Schabernad zu fpielen.

Bei den Fricandeau's mit Kapernfauce und dem wilden Schweinsfopf, bei welchem Tettern Lagemann mit befonderer Vorliebe verweilte, wand ſich der hungernde Künftler wie ein Wurm auf dem Boden.

Des Magveburgers -mälerifhe Küchenmenoiren wurden indeß durch zwei Fäufte, welche ihn unmit— telbar an den Ohren faßten und tüchtig zauften, ur- plöglic) unterbrohen und für Hanno zu erwünſchtem Ende gebracht. Die Fäufte gehörten Niemandem als der Schwarzen Schildwacht, welche den nachtheiligen Einfluß gewahr worden, den Lagemann's Relationen auf den Helvenfpieler hervorbrachten und die fie für Hexerei hielt.

Der an den Ohren gezanfte Lagemann begriff gar nit, wodurd) er den Zorn der Schildwacht auf ſich gezogen haben Fünne, und gab die Mißhandlung levig- lic) ver barbarifhen Laune der Schwarzen fchuld.

Er beklagte fid) darüber bei Hanno, welcher aber in der Furcht, Lagemann könne noch mehr Gerichte vor die glühende Phantafie citiren, ſich beide Ohren zubielt. Erſt nach geraumer Paufe warb feine Seele dem Schalle wieder zugänglih, und er vernahm des Magveburgers feufzende Worte: „Ia, wer hätte ab- nen fünnen, daß ih, der Eigenthümer von fo vielen eßbaren Herrlichkeiten, in meinen beften Jahren rohen

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ſchwarzen Menſchen⸗ Ungeheuern ſelbſt zum Unterhalte dienen würde.

Lagemann's Seufzer ſchien diesmal wirklich in Erfüllung gehen zu wollen. Zwei Neger, wahrſchein⸗ lich abgejandt von Seiner Majeftät, erfchtenen, faßten den etwas wiberftrebenden Attahe an beiden Armen und führten ihn vor den Thron Seiner ſchwarzen Herrlichkeit, wo fie auf einen Winf den Nieverroßlaer Hotelier zu entfleiden begannen.

Lagemann ahnte aus dieſer Entkleidung das Schlimmſte und verſtand ſich erſt nad) vielem Wider- ſtreben dazu. Nur durch häufige wiederholte kräftige Griffe gelang es den Schwarzen, ein Kleidungsſtück nach dem andern dem Attache zu entwinden. Die Averfion des letztern gegen bie Entfleidung ward noch vermehrt, als er plößlich gewahrte, wie einer der in der Nähe ftehenden Neger ein Rafirmefjer hevorzog.

Als man den Widerjpenftigen bis auf's Hemd entkleidet hatte, legte man ihn ſo lang er war auf den Boden, und Seine Majeſtät geruhten höchſteigen— händig den Körper des vor Angft am ganzen Leibe ſchwitzenden Lagemann zu betajten und zu durchkneten.

Der unglüdlihe ci-devant Hotelier von Nieber- roßla glaubte in feiner bevrängten Lage, man wolle ihn fleifhermäßig unterfuchen, ob er aud) gehörig an- gejegt, um ver Ffüniglihen Zafel feine Schande zu machen. |

Nachdem fi Seine Majeftät überzeugt, daß die weißen Männer gerade eben jo gebaut wären, wie feine Unterthanen, darum hatte er den Magdeburger unterfucht, nahm er wieder auf feinem GStuhle Plaß, und Lagemann ward zu feiner eben jo großen Ver— mwunberung als Freude wieder angefleivet. Letztere würde vollfommen ungetrübt gewejen fein, wenn nicht

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der Schwarze mit dem bligenden Barbiermeffer fort- während in der Nähe des Königs geftanven hätte,

Mehre der hohen Würbenträger machten jetzt verfchievene pantomimifche Bewegungen, um fich dem weißen Manne verftändlih zu machen; ber weiße Mann aber verftand fchlechterbings nichts von all’ dieſen telegraphifchen Geſtikulationen. Cr fchüttelte fortwährenn mit dem Kopfe, indem er beſtändig aus— rief: „Nir verfteh,” welchen Ausprud er aus fernen Converfationen mit den Kofaden gewohnt war.

Endlich reichte man ihm das Barbiermeffer und zeigte unverholen auf den Hals.

„Daß Gott,” dachte der Hotelier, „da ſoll ic mir wahrfcheinlich mit eigener Hand bie Kehle ab— ſchneiden. Das ift doch eine gräglihe Zumuthung.“ Jetzt that der Attaché erft recht, als ob er bie Schwarzen nicht verſtünde.

Nun zeigte man auf Seine Majeftät, welche auch ſogleich den Hals entblößte und bereitwillig hinhielt.

„Alſo dem Könige ſelbſt fol ich die Gurgel durd- Ihneiden?” dachte Lagemann; „das ift was Anders. Wahrſcheinlich getrauet fih Niemand von feinen ges treuen Unterthanen an den gebeiligten und gefalbten Corpus,

Er unterfuchte jetzt curagös bie Schärfe des Ra⸗ ſirmeſſers und fand, daß fie nichts zu wünſchen übrig laſſe.

„Unfehlbar,“ fuhr der Attache in feiner Gedan—⸗ kenfolge fort, „iſt es ein Tyrann, welcher den Tod verdient hat; er würde ſonſt nicht ſo gutwillig den Kopf herhalten. Ich vertrete blos das Schwert der Gerechtigkeit und habe mir wegen ſeines Ablebens keine Vorwürfe zu machen.“

Er war eben im Begriffe an's Werk zu gehen,

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um Seiner ſchwarzen Majeftät den Kopf vor die Füße zu legen, al® eine innere Stimme ihm zurief: „Bift du des Teufels, Lagemann, was ftehft du im Begriffe zu thun? Königsmord! Bedenke wohl, was du thun willſt. Wenn nun die Schwarzen etwas ganz An— deres gemeint haben und du fäbelft in aller Ruhe bie fünigliche Kehle durch? Das wäre entfeglich, und du wäreſt unfehlbar der Erfte, welcher Seiner Maje⸗ ftät in's dunkle Jenſeits folgte. Alſo überlege wohl, bevor du zuſchneideſt.“

Während er noch mit fich berathend daſtand, er— tönte plöglic die Stimme des Heldenſpielers, welcher ben zeitherigen Proceduren and der Ferne zugefchaut hatte, und ihm zurief: „Seht Ihr denn den Wald vor Bäumen niht? Der Kerl will barbirt fein.”

Jetzt ging dem Attaché ‚ein Licht auf. Er be— trachtete fi) den Bart Seiner Majeftät genauer und fand, daß er wirklich von ausnehmender Fänge ſei.

„Hanno hat wahrhaftig recht,“ ſprach er für ſich, „den Bart ſoll ich ihm abnehmen. Wie konnte ich nur fo thöriht fein, an den Hals zu denken? Da würd’ ich mir was Schönes angerichtet haben.”

Jetzt entjtand aber die Frage, wie er ohne Beden die Ihwarze Majeſtät einfeifen ſollte. Er ſchaute ſu— hend im Kreife der Großmwürdenträger umher. Dies— mal ſchien man feine Blide zu verſtehen. Mean brachte eine Art irvenes Waſchbecken, in welchem eine weiße Mafje ſchäumte. Der Attaché überzeugte ſich durch den Geruch alsbald, daß dieſer Schaum aller- dings nicht von Seife herrührte. Indeß ließ ihn das ſehr gleichgültig und er ging mit vieler Zuverſicht an's Werk.

Die Aufmerkſamkeit ſämmtlicher Anweſenden er— reichte den höchſten Grad, als Lagemann Seine Ma—

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jeftät einfeifte. Man drängte ſich ordentlich, felbft auf Gefahr, die afrifanifche Etiquette zu verlegen, um dem europäiihen Barbier, welcher feinem neuen Amte feine Schande machte, zuzufehen. Bei den Schwarzen war die Sitte des Barbierens noch etwas völlig Neumo— diſches. Seine Majeftät und einige Große waren bisher die Einzigen, welche diefer Neuerung huldigten. Leider aber waren fie von ihren zeitherigen gänzlich ungeſchickten ſchwarzen Barbieren dermaßen gejchunven worden, daß bei ihnen der Act des Barbierens unter die Torturen gehörte. Es wär daher nur ein weiſer Rathsbeſchluß zu nennen, einem Weißen das Bar⸗ bieren zu übertragen.

Die Blide Aller waren, während Lagemann jeines neuen Amtes mit Eifer oblag, auf die Gefichtszüge Seiner Majeftät gerichtet, deren Ruhe und Heiterkeit man nicht genug bewundern konnte. Man war näm⸗ lich zeither gewohnt gemejen, den König unter den ſchwarzen Barbieren wie einen Hiob leiden und gleich dem Laokoon die ſchmerzensreichſten Gefichter ſchneiden zu ſehen. | Kaum hatte Lagemann geenvdet und feine verbind- liche Berbeugung gemacht, als man ſämmtliche Groß- würbenträger, wie mit einem Schlage, zur Erbe fal- len und die Arme flehend zum Könige emporheben ſah. Diefer war ob ver ſchmerzlos überſtandenen Dperation jo wohl gelaunt, daß er allerhöchftgnäbig mit dem Kopfe nidte. Sofort nahm der Großſiegel⸗ .bewahrer auf einem Seſſel Pla und Lagemann ward bedeutet, die Operation des Bartabnehmens aud an dem Chef des Minifterii vorzunehmen.

Der Attaché glaubte fich bei fo hochgejtellten Per- fonen infinniren zu müſſen, und er ſchor daher den

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Chef mit derſelben Geſchicklichkeif, wie er deſſen Mo— narchen geſchoren hatte.

Neue geſpannte Aufmerkſamkeit, neues allgemeines Entzücken.

Nach dem Miniſterpräſidenten kam ver Cultus— miniſter an die Reihe. Nach dem gereinigten Cultus der Vorſteher der Rechnungskammer. So folgte ein Departementschef nach dem andern. Lagemann hatte zu thun wie ein Barbier zur Zeit der Leipziger Meſſe. Nachdem er das geſammte Miniſterium und auch bereits ein Paar geheime Rathe abbarbiert hatte und bemerkte, daß immer neue Fußfälle geſchahen und Seine Majeftät fortwährend huldreich mit dem Kopfe nidte, jo ward ihm die Sache nachgerade doch etwas langweilig, und er warf von Zeit zu Zeit Seiten- blide nad) der Gegend des Selbenfpielers, ohne jedoch deſſelben anſichtig zu werden.

„Ich ſehe nicht ein,“ ſprach er für ſich, „warum ich allein alle Oberbehörben des ſchwarzen Königreichs zafiten jol, während Hanno im weichen Graſe Die langen Ötieber ftredt, faulenzt und Gott einen from= men Mann fein läßt. Er mag mich ablöfen. Als officieller Bartabnehmer des Ddiplomatifchen Korps werde ih mid nicht decanailliren und aud) ben Ihwarzen Pöbel rafiren. Den kann der Heldenfpieler ſchinden. Gleich und gleich gefellt ſich.

„Aber ich möchte wirklih wiſſen, wo er ſteckt,“ fuhr er nad einer Pauſe fort, als er eben einen ſchwarzen Oberappellationsrath unter dem Meſſer hatte, „auf feinem vorigen Plage befinet er fih nicht mehr. Wahrfcheinlih hat er ſich in's tiefe Gras ge- wühlt, und vor Hunger fo zufammengerollt, vaß man von ihm nichts gewahr wird,“

Indeß, je länger Lagemann als Bartabnehmer

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fungirte, deſto ftumpfer ward fein Meſſer, und es konnte daher fein Wunder nehmen, wenn fih auf den Gefichtern der diverfen Näthe während des Barbie rend weniger Heiterkeit ausſprach, als bei den vor- herbarbierten Miniſtern und bei Seiner Majeftät. Auch nahm es der Attache. bei den Perfonen zweiten Ranges bei weitem nicht mehr fo genau. So hatten namentlich ein paar Pupillenräthe fürchterlich auszu= ftehen, denn der Magdeburger nahm ſich bei ihnen nicht einmal die Mühe, das Meſſer frifch abzuziehen. Die beiden Opferlämmer begriffen daher gar nicht, worin die Wohlthat der von Seiner Majeftät und dem Gefammtminifterio fo hoch gepriefenen Barbier- methode zu fuchen jet.

Lagemann, objhon es ihm nicht wenig ſchmei— chelte, er Oberhofbarbier dem Heldenſpieler vorge- zogen worden zu fein, man muß dir dod mehr Grüße zugetraut haben als ihm, dachte er, är- gerte ſich gleichwohl, daß Hanno fo ungeftört der Ruhe pflegen durfte, während er die Waldungen auf den ſchwarzen minifteriellen und geheimräthlichen Phy- fiognomien zu vertilgen hatte Er beichloß daher, Rache zu nehmen und ruinirte das Mefjer mit Ab- fiht. Sein Zweck hierbei war biefer, den SHelven- fpieler als feinen Nachfolger zu inftalliren und dem⸗ felben das Meſſer in einem Zuftande zu überliefern, daß -er unmöglih Ehre damit einzulegen im Stande war. Hanno follte den Schwarzen jchledhtervings in der Glorie eined Schinders erfcheinen, und ihm, dem officielen Oberhofbarbier, zur Folie dienen.

Lagemann hatte wiederholt feine unverholene Aver- fion gegen ein Weiterarbeiten an den Tag gelegt und häufig nah der Gegend hingezeigt, wo . feiner Meinung nach der Helvenfpieler im hohen Graſe lie=

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gen mußte; aber die hohen Behörden waren zu ver⸗ ſeſſen auf ſeine Kunſt, als daß ſie geneigt geweſen wären, ſeine negirenden Geſten zu verſtehen. Noch ſtand die ganze Commerziendeputation bebartet vor ihm und drang auf Expedirung. Wenn fie weiſe ge⸗ wejen wäre, fo würde fie ſich allerdings an ven bei- den Bupillenräthen ein DBeifpiel genommen haben; aber des Attache’8 Auf als Barbier ftand bereits zu feit, als daß er fo leicht Hätte erfchüttert werben fönnen. Er mußte alfo in einen ſauern Apfel beißen, und fih mit feinem fchartigen Meſſer über die Com—

" merziendeputation hermachen. Die genannte Deputa- tion batte unftreitig in einen noch fauerern Apfel zu beißen. Der Magveburger richtete diefe Behörde gottesjimmerlih zu. Das Blut floß in Strömen. Jeden andern Barbier würde man auf der Stelle er= würgt haben. Der Attadhe konnte aber als Ober hofbarbier ſchinden nad) Herzensluſt. Wohl Jedem, der einmal einen Ruf erworben.

Nachdem die wohllöbliche Commerzien-Deputation hinlänglich Haare und Blut gelaſſen hatte, legte der Attahe das Meſſer auf die Erde und erklärte durch eine ausdrucksvolle Geberde, daß nun die Freude ihr Ende habe. Wenigjtens für feine Perfon ſei er nicht länger im Stande zu rafiren. Zugleich aber zeigte er mit ſolcher Beharrlichkeit nach der Stelle, wo der Helvenfpieler im Graſe lag, daß die Schwarzen .end= lic, aufmerkfam wurden und ihnen ein Licht aufging, was der Attahe wohl meine. Man eilte nad Hanno’8 Pagerplag; aber welche Entvedung, welcher Schreden, welche Verwirrung entſtand plöglid. Der Helvenfpieler hatte die Zeit, während welcher Lage— mann das Geſammtminiſterium und die hoben Be— hörden vafirte, bejjer benugt und war auf und davon

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gegangen. Er hatte alſo die Schwarzen feinerfeits ebenfalls barbiert. Des Attaché's Kunftfertigfeit war die Urſache gemwejen, daß felbft der Poften, welcher den Heldenfpieler zu bewachen hatte, e8 nicht unter= laſſen fonnte, näher zu treten und die wunderbare Kunft Ichärfer in's Auge zu faflen, wobei ihm ber zu Bewachende außer Acht gekommen.

Die erfte Folge von Hanno’8 Flucht war, daß fih die. gefchorene Majeftät mit ſammt dem gefchornen Minifterio, den Geheimräthen und her gejchundenen Gommerziendeputation auf den Weg machte, um des entiorungenen Ylüchtlingd Habhaft zu werden. Der Hofbarbier ward einftweilen, damit er nicht ebenfalls Fluchtideen befomme, jondern zum Nuten und From⸗ men der Fünftigen Bärte für die ſchwarze Gefellichaft erhalten werde, mit einem armsbiden Schiffstaue an einen Cedernbaum gebunden. Das Tau wand fidh mie eine Rieſenſchlange nicht weniger denn jehsmal um ben Attahe und den Stamm. Zum Weberfluß ließ man nod zehn Mann Bewachung zurück.

Etwas Fataleres konnte Lagemann nicht paffiren, ald die Hanno'ſche Flucht. Erſtens mußte er nun allein die Martern der Gefangenfhaft ertragen; denn daß man ihm nicht mehr das Leben nehmen würde, fett man fein Rafirtalent kennen gelernt hatte, deſſen glaubte er ziemlich gewiß zu fein; alsdann beneibete er den Helnenfpieler ob feiner Freiheit, und britteng batte er feinem entwichenen freunde den engen und unbequemen Gewahrfam zu verdanfen, in weldhem er fid) dermalen befand. Seine Dejperation gab fih in abgebrochenen Monologen kund.

„Da fleht-man,” ſprach er, „was Bollögunft zu - bedeuten hat, und namentlich wild afrikaniſche. Erſt haben fie mic bis in ven britten Himmel erhoben,

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weil ich fie von ihren nichtenutigen Bärten befreite; gleich) darauf werd’ ich angebunden wie ein wildes Thier. Ich wünſchte, ich hätte dem Volke die Keh— len abgejchnitten, |tatt der Bärte, Seiner Majeſtät wie tem Oefammtminifterium.”

Nah einer Paufe:

„Wenn fie den Helvenfpieler nicht einfangen, - ſchneid' ich mir bei erfter Gelegenheit die Kehle felber ab; mutterfeel allein mag ich nicht unter biefem ſchwar⸗ zen Geſindel leben.

„Es iſt zwar eine Möglichkeit, daß Hanno das Lager erreicht und dem Capitain meinen Aufenthalts- ort anzeigt. Da wäre e8 nicht unwahrfcheinlih, daß. id) gerettet würde. Aber ich befürchte nur, der Sa⸗ tan thut den Mund nicht auf meinetwegen und läßt: mid ruhig in den Händen ver Neger. Er iſt Egoift durch und durch. Es geſchieht ihm vielleicht ein großer Sefalle, wenn ich nicht wieder komme, dann ift er mit einem Male aller Rechenſchaft überhoben, die ich wegen des beifpiellofen Betrugg an ihm nehmen könnte. Gerechter Himmel, wie kann nur der Menjch jo tief finfen, ſolche Schanbthaten an feinen eignen Bekannten und Freunden begehen.‘ \

Wenn der Helvenfpieler äußerte, daß er befler als fein Ruf fei, fo lieferte er davon einen ſchlagen— den Beweis unmittelbar nach feiner Flucht, wenigſtens handelte er beffer al8 der angebundene Lagemann von ihm dachte.

Hanno hatte nad) feinem unbemerkten Aufbruche faum einige Stunden zurüdgelegt, als es das Glüd wollte, daß er auf eine Abtheilung ver von Sir John abgeſchickten Matroſen ftieß. Anftatt in ihrer Gejell- Ihaft ruhig nach dem Lager zurüdzufehren und Lage— mann jeinem Schickſal zu überlafien, jo that ex

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diesmal gerade das Gegentheil. Er encouragirte bie Meatrofen, ihm zu folgen, und hatte den Muth, fie birect nach dem Negerkraal zurüdzuführen. Cr ges traute ſich, mit Diefer, obwohl geringen Mannſchaft der ſchwarzen Rotte die Spite bieten zu fünnen, ben Attaché zu befreien und fich gelegentlih an den Bar— baren, die. ihn jo übel mitgefpielt und halb verhungern hatten laſſen, zu rächen.

Lagemann, obſchon Oberhofbarbier und eines gro= Ben Rufes ſich erfreuend, befand ſich gleichwohl in der miferabelften Lage. Die Schwarzen hatten ihn mit folcher Accuratefle an dem Cebernbaume befeftigt, daß er fein Glied zu rühren vermechte. Selbſt die Arme befanden fi innerhalb des Schifistaues. Nur den Kopf konnte er bewegen, und das that er auch, und zwar mit einer Vehenenz,; die ſich höchſt poffir- fh ausnahm, obſchon ihm keineswegs poffirlih zu Muthe war. Die Moskito's hatten e8 auf ihn abge- fehen. Man venfe ſich die verzweifelte Lage. Am ganzen Leibe gefeflelt und am Kopfe das nichtönugige Geziefer.

Der Attaché glaubte ſeinen Geiſt aufgeben zu müſſen. Vergebens war ſein Hin- und Herwerfen des Kopfes, fein Blaſen, Sprudeln, Nieſen; die Mos⸗ fito’8 waren außerordentlich zahm und ganz und gar nicht ſchüchtern. Vergebens hatte er durch alle mög— liche Laute, die er in der Kehle aufzutreiben vermochte, bie zehn ſchwarzen Wächter, welche um ihn hergelagert waren, von feinem Webelbefinden in Kenntniß gejett und aufgeforbert, etwas zur Verminderung feiner Lei⸗ den beizutragen. Aber den Barbaren gewährten die ſeltſamen Töne und Capriolen des Gefeſſelten höch— liches Vergnügen. Sie feirten und grinzten bald den Gefeſſelten, bald ſich einander mit wilder Frohlichteit

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an, und ihre Heiterkeit nahm in dem Grabe zu, als ter Gemarterte feine Schmerzenslaute in den wunder⸗ barften Cadenzen varürte, Als er endlich gar zu heulen begann, wälzte ſich die gefanmte ſchwarze Rotte wie närrifh im Graſe umher und ſchlug Purzelbäume vor Wolluft.

Nah endlofen vier Stunden, die dem Attache wie vier Jahre erfchienen, follten feine Leiden ihr Ende finden. Hanno nahte mit der Befreiungsarmee. Die zehn Wächter ergriffen die fchleunigfte Flucht und ließen den gefeffelten Prometheus ohne Kampf in ven Händen der Europäer.

Der Attahe war mehr todt als lebendig. Er gab nur wenige Worte von fi; worauf fein Kopf, um die Mosfitoftiche weniger fhmerzhaft zu machen, wie eine Blumenzwiebel in fette Erde emballirt wurbe,

Nachdem man fih an dem Frucht- und Brotvor- rath, weldhen die Schwarzen im Straal zurüdgelaffen, weiblid) geftärft hatte, wurde der Rückweg angetreten. Tagemann gli, was feine Kopfbedeckung anlangte, einem veitenden Artilleriften der einftigen Napoleoni— [hen Kaifergarde. Einen folden Umfang nahm das Territorium ein, welches er auf dem Kopfe trug und woran er wie ein Atlas zu jchleppen hatte. Yu ve= den war ihm nicht erlaubt, denn fo wie er ben Mund aufthat, drohte ein Erdfall. Alfo fchwieg er, obſchon ihm dies äußerſt ſchwer ankam; denn Lage mann war nicht der Mann, ein fo graufiges Aben- teuer, wie er erlebt hatte, auf dem Herzen zu be= halten. ——

Ohne von dem Negerſtamme oder durch reißende Thiere nochmals behelligt zu werden, erreichte man nach einem ziemlich langwierigen Marſche das Lager, wo Alles zur Abfahrt nach St. Louis bereit ſtand.

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Die Niederroglaer ftaunten ihren wiedergefundenen Landsmann, als er mit jeinem Rieſenkopfe anlangte, wie ein Wunberthier an. Zeiſig erkannte feinen At- tahe nicht wieder, und der Yactor, als er das Kopf- gebäude näher betrachtete, nahm fich fopfichüttelnn eine Brife.

Nach einer wegen ber übergroßen Hite nicht eben angenehmen Küftenfahrt gelangte man nad dem Ha- fen von St. Louis, wo mehre theils nad) Europa, theils nach Oftindien beftimmte Schiffe vor Anker lagen.

Sir John trug für die Nieberroflaer die mög— lichſte Sorge. Sie erhielten auf dem Oftindienfahrer ein faft eben jo gutes Unterfommen, als fie auf dem Habicht gefunden, ohne daß fie einen Heller mehr als die in Hamburg feftgefettten Fahrpreiſe zu entrichten gehabt hätten.

Lagemann, nachdem er nicht weniger denn vierund- zwanzig Stunden die Artilleriebärmüte auf dem Kopfe gehabt, denn fo lange waren die Borfichtsmaßregeln gegen die Moskitoftiche unerläßlich, entpuppte fich end- Ich und befam die Sprache wieber.

Die Beichreibung feiner Leiden grenzte geradezu an's Afchgraue. Er warb allemal ganz außer fidh, wenn er nur darauf zu fprecdhen kam. Noch mehr gerieth er aber in Aufruhr, als der Tag der Abfahrt heranrüdte. Cr mußte nämlich jegt nicht, ob er noch mit nad) Kabul oder mit Sir. John zurüd nad Europa fegeln follte, da nah Hamno's Bekenntniß fein Antheil an ver Erbſchaft ſo gut wie im Monde lag. Seine Wuth gegen den Heldenſpieler, obſchon dieſer ihn mit Lebensgefahr aus den Händen der Schwarzen und von ber Anſtellung eines Oberhofbar⸗ biers befreit, überftieg alle Grenzen und ging mehre Male fo weit, daß er den eſlüchteten Hanno, ein

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blankes Meſſer in ver Hand, im ganzen Schiffsraume ſuchte, um ihn unwiderruflich todt zu ſtechen. Erft nachdem der Helvenfpieler einen großen Theil ver für das abgetretene Erbtheil erhaltenen bejchnittenen Ducaten wieder herausgegeben und. ihm außerdem noch mandye annehmbare Propofition geftellt, ward er etwas ruhiger und beſchloß die Kabulfahrt als finpler Attache mitzumachen.

„Seid fein Thor, Lagemann,“ hatte Hanno zu ihm gefproden, „und reißt Euch den Kopf nicht ab wegen der paar lumpigen Ducaten. Das Krokodill, welches ja doch die Hauptfadhe ift, kann Euch ja gar nicht entgehen. Hier meine Hand darauf, daß ih Euch dazu verhelfe.e Wenn wir es einmal in unferer Gewalt haben, ſoll der Rath von Nieverrofla nicht eine goldene Klaue davon zu fehen befommen. Ich begreife auch nicht, wie der Rath zu dieſer Selten- heit fommt, womit er fie verdient hätte. Diefe fau— len Senatoren fiten behaglih in Nieverrofßla und laſſen Gott einen frommen Mann fein, während Ihr mit Leibes- und Lebensgefahr Euch für fie durch Die halbe Welt fchlagt. Nein, dem Verdienſte ſeine Kro= nen! Euer muß das Krokodil fein, Yagemann, und - ſoll ich e8 dem Könige von Kabul mit Gefahr meines Lebens stehlen.”

„Aber Zeiſig,“ ftellte der Attahe in Erwägung, welchem Hanno's Rede fo ſüß wie Honig Hang.

„Zeiſig?“ frug lächelnd der SHelvenfpieler, „wo zwei Geiſter wie wir vereint wirken, wie fanı dba ein Zeifig in Betracht kommen?”

„Das ift allerdings wahr; geitand Lagemann, „aber wie wären denn fonft Eure Ipeen hinfichtlich bes Krokodills? Daß wir es nämlich in unfere Ges walt bekommen?“ |

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„Auf die einfache Weiſe,“ verſetzte der Helden jpieler , „auf der Heimreife, went wir uns nod in Indien befinden, beftechen wir ein paar Mlohren, bie- ſes Volk ift zu Allem zu gebrauden; dieſe müſſen dad goldene Beeft fehlen, wir wollen e8 ihnen ſchon zufchieben, daß fie leichter Spiel haben; dann begiebt fi einer von und Beiden mit den Mohren nad) der erjten beiten indiſchen Stadt; in den inbifhen Städ⸗ ten aber wimmelt e8 von Goldſchmieden, welche fich die Hälſe bredien um ſolch' ein goldenes Meifterwerf. Wir verfeilen das Thier, und Ihr ſeid ein gemad)- ter Mann.”

„Es fol mir auch auf ein paar Prozente für Euch nicht ankommen,” verhieß Lagemann, dem bei dem Gedanken an das Krokoͤdill immer holpfeliger um's Herz wurde.

„Zeiſig wird fi) freilich den Hals abreißen,” fuhr er nad einer Paufe fort.

Hanno zudte die Achfeln.

„Das fteht bei ihm,‘ ſprach er, „warum unter= nimmt er Expebitionen, denen er nicht gewachſen ift. Zu folden Dingen gehört Kopf und Herz. Uns hätte der Stadtrath ſchicken ſollen.“

„Das iſt wahr,” geſtand der Attaché.

„Gegen chriſtliche Theilung und Vergütung der Reiſeſpeſen hätten wir das Möglichſte gethan.“

„Unbeſtritten.“

„So bekommt er gar Nichts und es geſchieht ihm recht. Wer heißt ihn knickern bei ſo reicher Erbſchaft.“

„Es iſt die verdiente Strafe,“ ſprach Lagemann.

„Wir müßten Eſel ſein, wenn wir nicht zulangen wollten,“ meinte Hanno.

Stolle, ſämmtl. Schriften. XVIII. 14

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„Zumal, da die Expedition in's Golbland fo wahrhaft gottesjänmierlih abgelaufen iſt.“

„Eure Leiden unter den Schwarzen muß Euch ber Stadtrath von Nieverroßla ſplendid vergüten.”

„Es freut mid, Hanno, daß Ihr ein Einfehen habt, die Moskitohölle vergeh’ ich in tauſend Jahren nicht.” „Seven Stih muß Eud der Rath von Nieber- roßla wenigftend mit zehn Ducaten aufwiegen. Ic} jelbft werde dafür Sorge tragen.

„Hanno, wenn ich nod) jüngft zornig auf Euch —“

„Gerechte Aufwallung, nicht mehr als billig.“

„Wenn ich in der Hite einige Worte und Re— densarten —"

„sn der Leidenſchaft fährt Manches heraus —“

„Hanno, wenn Ihr könntet —“

„Alles vergeben und vergeſſen

„Ja, wenn Ihr das könntet —“

„Es iſt geſchehen!“

„An mein Herz, edler Sterblicher,“ rief jetzt Lage— mann in überſtrömendem Gefühle, „von jetzt ſoll nur der Tod uns trennen.“

Der fromme Zeiſig ahnete nicht, welches Complot in ſeiner nächſten Nähe und von ſeinem eigenen At— tache geſchmiedet wurde.

Als der Tag der Abfahrt gefommen war, ereig- nete ſich nod) eine ziemliche tragifhe Scene zwifchen Herrn Abdullah und feiner Pflegbefohlenen, der Blume Hindoſtans. Letztere fträubte fi) aus allen Kräften, dem Türken nad) dem Schiffe zu folgen, welches nad) Oſtindien beftimmt war. Als letzterer endlich gend= thigt war Gewalt zu brauchen, zog das ſchöne Weib einen Dolch. Dabei rief ſie mit ihrer Glockenſtimme fortwährend in gebrochenem Engliſch: „Ich mag nicht

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nach dem Lande, wo die rothe Blume des Lotos blüht; das Meer hat die ſchlanken Glieder verſchlungen, welche mich einſt umarmt; dic Flamme verlangt ihr Opfer, ich kann ihr feines bringen; was foll id} ohne Ihn in Brama’s Neich; die Schweftern würden mit Händen zeigen auf die Chrlofe. Ich bin nicht werth, die füße Luft der Heimath zu trinken. Ich will zu: rüd nad) dem rauhen Norden und daſelbſt ruhlos beten, bis Brama mid erlöſt.“

Abdullah's Lippen zitterten vor Wuth; leiſe zog er auch ſeinen Dolch, und war im Begriff, ſich auf bie ſchöne Indierin zu ſtürzen, als der rüſtige Sir John, welcher mit regem Intereſſe der Streitſcene zugeſchaut hatte, dem Wüthenden in den Rücken fiel und mit Rieſenkraft feſthielt. Vergebens rang der Türke aus Leibeskräften gegen den gewaltigen Gegner. Zu gleicher Zeit rief er ſeinen beiden Mohren zu, die Braminin mit Gewalt nach dem Oſtindienfahrer zu bringen. Sir John befahl dagegen ſeinen Ma— troſen, dies zu verhindern. Endlich gelang es dem Abdullah, einen Augenblick lang die dolchbewaffnete Rechte frei zu bekommen. Sogleich ſprang ein Blut— ſtrahl aus des Capitains rechtem Arme. Dies war aber zugleich das Zeichen zu Abdullah's Entwaff- nung. Alles ftürzte auf ihn und machte den Rafen- den wehrlos.

Sir John erflärte jet, daß Milady Feine Scla- pin fei und daß ihr als unabhängige Wittwe freis jtehe, zu leben, wo es ihr beliebe. Niemand dürfe fi) an ihrer Freiheit vergreifen, und ſo es die Dame wünſche, werde er fie mit zurüd nad Europa nehmen.

Co wie Bohu und Tohu wahrnahmen, daß ihre Gebieterin bei den Europäern Schutz fand, erflärten fie fi gleichfalls in Snfurvechonsquftand gegen Ab-

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dullah und wollten von ihrer Herrin nicht laſſen. Alle drei wurden auf das Schiff gebracht, welches jo eben nady Europa abzugehen im Begriff ſtand. Der Türke tobte wie ein Beſeſſener und ftieß ggttesläfter- liche Redensarten aus, die zum Glüd Niemand ver- ftand. Er beitand darauf, gleihfalls nad Europa zurüdgenommen zu werden, worauf aber Sir John niht einging. „Die Milady,“ erwiederte dieſer, „habe ſich unter ſeinen Schutz begeben und er dürfe nicht geſtatten, daß ein für ſeinen Schützling ſo ge— fährliches Individuum auf das Schiff mit aufgenom- ‚men werbe.”

Abdullah, nachdem er einfah, daß gegen den hart- füpfigen Seemann nichts auszurichten ſei, veclamirte jettt wenigftend ein Käftchen mit Diamanten, das fich im Gewahrjam der Braminin befand. Ohne die ge- ringfte Weigerung von Seiten der legtern ward ihm diejes überantwortet, worauf fi fein toller Raptus fihtbar legte.

Bereit am andern Tage lichtete das nach Europa beſtimmte Schiff die Anker, nachdem Sir John zu— vor ſämmtlichen Niederroßlaern noch ein recht heiteres Diner gegeben hatte. Nur höchſt ungern trennten ſich Victor und Gamaliel von dem wackern Capitain und dem intelligenten Doctor Barring, welcher gleich— falls nach Europa zurückkehrte.

Der Oſtindienfahrer, welcher die Erbſchaar und den Herrn Abdullah am Bord hatte, trat einige Tage ſpäter ſeine Reife an.

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Jieuntes Kapitel.

G; hieße die Anzahl ver Kapitel diefes Buches in's Unendlihe vermehren, wollte man die Abenteuer. der Nieverroßlaer, bevor fie das gewaltige Afrika umfchifit, Dftindien und fpäter Afghaniftan erreiht, mit der zeitherigen Ausführlichfeit befchreiben.

Der große Tag, wo die von dem Hofmaler Haf- ſan-ben-Mullah nievergelegte Erbſchaft ven Nieder- roßlaeın von Seiten der Kabul'ſchen Gerichte überge—. ben werben follte, war erſchienen. In hoher Galla verfügten ic die Exrbfahrer, theil® zu Wagen, theils zu Roß nad dem Juſtizhofe. Der umfichtige Lage— mann hatte in der Eile das Niederroßlaer Stabtwap- pen mit dem eingehörnten Ochſenkopfe, das unter- wegs verloren gegangen war, von einen Kabul’fchen Blechſchmied als Doublette anfertigen laſſen und fich und den Actuar, als diplomatische PBerfonen, damit behangen.

Obſchon die Afghanen in ihrem gefelligen Um— gange nicht ohne mannigfache Ceremonie find, fo fa- . men dergleichen doch bei dem GerichtSperfonale und bei deſſen Verhandlungen keineswegs vor. Sobald die Documente der Erbfahrer für richtig befunden worben waren, nahm die Auszahlung der Legate ihren Anfang.

Zuerft kam Gamaliel Drollinger, als Haupterbe, an die Reihe. Er erhielt eine jo bedeutende Summe in Golde ausgehändigt, daß ſämmtliche Miterben in Erſtaunen geriethen und Lagemann vor Neid faft ver- - gehen wollte.

„Es geht doc, nirgends ungerechter zu als in ber Welt,“ raunte er dem Helvenjpieler in’d Ohr, „wo⸗

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mit bat diefer Gelbjchnabel foldhe Unſummen verbient, während wir gefetten Männer hier ftehen und das Zufehen haben? Hoffentlich daß es ihm nicht gebeiht. Es kann fein Segen aus diefem unverbienten Mam- mon herausfommen. Was meint Ihr, Hanno?‘

Der Helvenspieler zudte mit den Achſeln.

„Aber zum Teufel, Hanno,” fuhr der mit dem eingehörnten Ochſenkopfe decorirte Attache fort, deſſen gierige Blide das Gerihtslocal nah allen Richtungen durchkreuzten, „wo ftedt nur das Krokodill?“

„Ich babe mich auch ſchon darnach umgefchaut,‘ erwiederte der Heldenſpieler, „wahrſcheinlich hat man ed als Cabinetsſtück hinter irgend einem ver zahlrei— hen Borhänge verborgen.”

„Hanno,“ ſprach Yagemann dringlid, „vie Stunde ist feierlich, ein Schwur gilt jeßt vie. Schwört mir in dieſer feierlichen Stunde, mid, Eurem Verſprechen gemäß, bei dem großen Unternehmen, wo id) Das golone Thier rauben und in unferm Nuten verwen den werde, getreulichſt beizuitehen.”

Der Helvenpieler, deſſen Blide fid) von den Gold— haufen, die Gamaliel ausgezahlt erhielt, nicht los— reißen fonnten, bob mechaniſch die drei Finger der vechten Hand ein menig und ſprach: „Ich ſchwöre.“

„Ihr fcheint mir nicht ganz ficher bei der Sache, Hanno,” fuhr Lagemann mißbilligend fort, „gebt nicht Leihtfinnig mit einem Schwure um, bedenkt, was er zu fagen hat.“ |

„Ich weiß es,“ verſetzte der Helvenfpieler.

„Das iſt mir lieb. Ferner ſchwört mir, Hanno, Eudy mit einem Dritttheil der Krokodillmaſſe begnü- sgen zu wollen, wie Ihr mir ebenfalls bereit3 wieder- holt verſprochen habt.‘

an

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Wieder erhoben fich die drei Finger des Helven- jpielerd und abermals ertönte: „Ich ſchwöre.“

„sh hoffe, daß Euch namentlich dieſer zweite Schwur von Herzen geht. Bedenkt wohl, daß Ihr mir wegen des welthiftorifchen Betrugs, jo ihr Eud gegen mich habt zu Schulden kommen lafjen, eine

Heine Erfenntlichkeit ſchuldig ſeid. Bedenkt wohl, daß, wenn ih mih an der Krofodillmafje nicht einiger- maßen erholen kann, ich ein total ruinirter Mann bin und allein durch Eure Schuld. Eigentlich hätt’ ih als Gatte und Bater auf drei Viertheile An- ſpruch; Ihr als einzelner Menſch folltet Euch wit einen Biertheil begnügen; aber ich will chriſtlich den— fen und aus Freundſchaft und aus wirflid, väterlicher Zuneigung zu Euch mit zwei Dritttheilen vorlieb nehmen.“

Hanno vernahm wenig von den Reden Lagemann's, der ihm beſtändig in den Ohren lag, und gab ſeine Zuſtimmung nur von Zeit zu Zeit durch Kopfnicken zu erkennen.

Eben erhielt der Factor ſein Erbtheil ausgezahlt. |

„Run möcht ich in aller Welt willen, wo das Krokodill bleibt,‘ begann Lagemann von Neuem, und abermal8 durchſuchten feine Blide mit Sorgfalt bie entlegenjten Tiefen und Winkel des jehr geräumigen Gerichtsſaales.

Nach dem Factor kam Vetterlein an die Reihe. Ihm folgte Hanno als Mandatar der verwittweten Glaſermeiſterin Klugin.

Alle hatten ihr feſtgeſetztes Theil in Empfang ge— nommen, nur die mit dem eingehörnten Ochſenkopfe gekrönte Geſandtſchaft des Stadtraths von Nieder- roßla ſaß noch erwartungsvoll, und verhoffte jeden Augenblick von afghaniſchen Dienern der Gerechtigkeit

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das goldne Krofodill herbeigetrieben zu fehen. Lage— mann war nod) weit mehr auf den Anblid des gebe- nebeiten Thieres verfeflen als felbft ver Actuar; denn er wollte aus der Größe deffelben ſich einen unge— fähren Ueberfchlag machen, wie viel ihm wohl bie ge- ftohlenen Zweibritttheile in Baufh und Bogen abwerfen könnten.

„Ihr müßt eine majeſtätiſchere Poſitur anneh— men,” raunte er Zeiſig zu, der im ziemlich verküm— merter und ängftliher Stellung unmittelbar vor ihm faß, „pamit Ihr einen hochweifen Rath zu Nieber- roßla feine Schande macht. Mehr die Schultern zu= rüd, den Rüden gerade, Bruft heraus; ein gebieteri- ches, aber vornehm nadläffiges Air angenommen!‘

Er felbft verfehlte nicht, feinen eigenen Rath— Ihlägen auf das Genauefte nachzukommen. ‘Durch Streden und Dehnen feiner Geftalt, Räufpern und Schnauben mit beiden Nafenflügeln war er bemüht, feine Perfönlichfeit in den Augen des Gerichtsperſo— nal8 in denjenigen Reſpect zu ſetzen, auf weldyen er als Geſandtſchaftsattache in hohem Grabe glaubte Anſpruch machen zu dürfen. Zu gleiher Zeit war er bemüht, eine möglichſt erhabene Stellung einzu— nehmen, um das blecherne Nieverroflaer Stabtwap- pen, welches auf feiner Bruft prangte, in die gün— ftigfte Beleuchtung zu ftellen.

Da ergriff der vorfitende Amini Mekhemed von Neuem das Wort und fprad):

„Laut Teſtaments des Erblaſſers iſt auch noch über ein goldnes Krokodill, ſo ſich in deſſen Hinter— laſſenſchaft vorgefunden, verfügt worden. Dem Wil— len des verſtorbenen Haſſan-ben-Mullah gemäß ſollte dieſes durch feinen Goldwerth wie durch ſeine kunſt—⸗ reihe Arbeit gleich ausgezeichnete Werk einen wohl-

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weifen Rathe zu Niederroßla zu Theil werden, falls derſelbe geneigt wäre, ein Mitglied aus feiner Mitte nad Kabul zur Abholung des Thieres zu fenden. Leider ift aber nad Publicirung des Hallanzben- Mullah'ſchen Teſtaments ſofort ein Prozeß hinficht- lich dieſer lettmwilligen Verfügung beim hödhften Ge— rihtshofe anhängig gemacht und nad mehrmaliger abgeworfener, Seiten Erbwädters zur Wahrung ver Erbmafje angeftellten Appellation zum Nachtheil des Erblaſſers entſchieden worden. Die prozefjualiichen Gegner , ſämmtliche vefpective Derwifche biefiger Ab— dullah-⸗Moſchee haben ein eigenhändig abgefaßtes Ac- tenftüd des verftorbenen Hafjfan-ben-Mullah zn pro= duciren gewußt, worin ihnen das Krokodill in aller Form Rechtens für den Todesfall zugefprocdhen wor den. Daß Erblaffer in dem fpätern Tejtamente über befugtes Krokodill anderweitig verfügt, worgebend, bie Derwifche befüßen fein Recht an diefem Erbtheil, weil fie durch ihr Gebet Exrblaffern nicht vom Tode geret- tet, hat ein hoher Gerichtshof für rechtsbindend anzu— erkennen fich wicht geneigt gefunden und das Erbrecht der Derwiſche dem Erbrechte des wohlweiſen Rathes zu Nieberroßla für berogirend erachtet.

„Dit Bedauern fieht fi) daher die niebergejette Erbeommiffion zu der Erklärung genöhtigt, einem wohlmeifen Rathe befügtes goldenes Krofobill nicht - ausantworten zu fünnen, indem ſolches bereit vor länger denn drei Monaten, unmittelbar nad erfolg: ter Publication des Urthels höchſter Inftanz, von den refpectiven Derwifchen ver Abdullah-Moſchee, den Ober- derwiſch an ver Spite, in Pomp abgeführt und zum Beiten ihres Ordens verwendet worden ift.

„Zugleih hat jedoch ein hoher Gerichtshof, ſtets von dem Grundſatze ausgehend, ftrenges echt mit

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möglichſter Billigfeit zu vereinen, die Verfügung ge— troffen, daß dem nad Kabul entjendeten Mitgliede des hochweiſen Rathes von Nieverroßla nicht nur fämmtliche Neifetoften vergütet, ſondern auch für Die mannigfahen Gefahren und Beichwerben ver lang= wierigen Reife eine Entfhädigungsfunme won taufend Ducaten von den Derwifchen der Abpullah-Mofchee ausgezahlt werden, welche Summe unjer Zahlmeifter beauftragt ift, ſofort betreffendem Mandatar des Stadtraths zu Niederrofla als rechtmäßiges Eigen- thum zu überantworten.”

Während alſo der Yahlmeijter einen neuen Sad herbeifuhrwerfte und wieder zu zählen begann, be= mühte ſich ein feit langen Jahren in Kabul wohnen- der Schwabe, welcher für vie Erbfejfion eigens ale Dolmetſcher requirirt worden war, die für den Rath von Niederropla jo niederjchlagende Rede zu verdeut- ſchen.

Als er an die verhängnißvolle Stelle kam, mo von einem hohen Gerichtshof der Staptrath bes Kro— kodills für verluftig erklärt wurde, fanf Zeifig, wel- hen ſchon Die vorhergehenden unheilſchwangeren Pe⸗ rioden in das heftigſte Zittern verſetzt und das Ge— ſicht mit Leichenbläſſe überzogen hatten, bewußtlos in die Arme des Factors, welcher unmittelbar neben ihm ſaß, während ver Attaché mit ſammt ſeinem Stuhle zuſammenbrach.

Man ſprang Zeiſig zu Hülfe, wodurch ein ziem— licher Tumult entſtand und die Vorleſung unterbro— ‚den wurde. Erſt nach geraumer Zeit brachte man den Bewußtlofen wieder zu fid) und fette ihn in den Stand, den Schluß der gerichtlichen Vorleſung zu vernehmen. Hier nun warb ihm die glänzendfte Ge— nugthuung, und auf den großen Schreck folgte große

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rende, ſich als perfühnlicher Erbe fo großmüthig und reichlich bedacht zu fehen.

Er hielt Anfangs die ganze Sache für einen ſchö— nen Traum; als er aber von Gerichtswegen erſucht ward, bie aufgezählte Summe durckhzufehen, fih von ihrer Nichtigkeit zu überzeugen und fie in Empfang

zu nehmen, würde er unfehlbar dem vorfigenden Amin

Mekhemed, fo wie der gefammten Erbcommiſſion um den Hals gefallen jein, wäre er nicht durch Die ver- Ihiedenen Schranfen und Barrieren daran verhindert worden. Er breitete fehnend feine Arme aus und umfaßte Alles, was in feine Hand fam. Vor der Hand wars der Factor. Er würgte ihn förmlich, um feine. Freude thatſächlich auszulafien, fo daß ihn Süßmilch vor allen Dingen Mäßigung anempfahl..

In äußerſt froher Gemüthsftimmung nahmen bie Erbfahrer Abſchied von der Erbcommiffion. Ihr Hauptzwed war erreiht. Ninmer hätte man geglaubt, dag man’ mit den Gerichten von Kabul fo ohne alle Schwierigfeiten und ohne Sporteln, woran man in Europa gemöhnt war, aus einander kommen würde.

Glücklich und golobeladen traf man Anftalt, den Gerichtsſaal zu verlafien. As man fid) aber nad dem Attache umfchaute, war er weder zu fehen noch zu hören. Bei dem allgemeinen Tumult, welden Zeifig’8 Ohnmacht zu Folge hatte, war er unverſehends abhanden gekommen.

Den Erbfahrern blieb jegt nichts übrig, als ohne Lagemann ben Rückweg anzutreten Diejer erfolgte in derfelben Ordnung und mit demjelben Pompe wie der Hermweg, nur daß es in den Gemüthern ber Nie- derroßlaer weit fröhlicher ausſah.

Leider aber war die Prozeſſion noch nicht weit vorgeſchritten, als ſie durch eine große Menſchenmenge

220 | aufgehalten wurde, die einen Maulbeerbaum umflu= thete Die Niederroßlaer konnten lange nicht Flug werden, was wohl diefer Auflauf zu beveuten habe, als fie näherfommend wer malt ihren Schreden da hing der Attaché der Niederroßlaer Rathsge— fandtfchaft an einem Afte des Maulbeerbaumes Das noch auf feiner Bruft ‚prangende Stadtwappen ließ feinen Zweifel über die Identität ber Perfon übrig. Der Edle, nachdem er feine Pläne auch auf Das von den Derwilhen der Abdullah-Moſchee in Be— fhlag genommene Krokodill, das er in Gemeinfchaft Hanno's zu ftehlen beabfichtigte, gefcheitert ſah, ver- mochte ein Leben nicht länger zu ertragen, und hatte demfelben mit eignecr Hand unter dem Kabul’fchen Maulbeerbaume ein Ziel gefekt.

Alle Berfuche, den Selbftmörder in's Leben zu= rüdzurufen, waren erfolglos; fo blieb ven beftürzten Nieverroßlaern nichts übrig, als den entarteten Lands— mann den nächſten Morgen in aller Stille, fern von der Stadt, in einem Cedernwäldchen am Fuße des Hindukuſch zu begraben.

Nachdem der Hauptzwed der Kabulreiſe erreicht war, wollte e8 den Exbfahrern wenig mehr in ber Hauptitadt Afghaniftans gefallen. Man fehnte fid, nad) der Heimath. Alle Palmen und ofen des Orients vermögen das ftille heimathliche deutſche Lin— dendach nicht vergeffen zu machen. Die gewaltfame Toresart Lagemann's, obfchon verfelbe megen feines unleidlihen Charakters feineswegs beliebt war, mochte aud) das ihre beitragen.

Nachdem man den betreffenden Behörden Kabuls wegen ber liberalen Auswanderung der Erbſchaft noch— mals den gebührenven, fowie für die gaftliche Auf- nahme den wärmften und innigften Dank ausgeſpro—

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hen und fie als geringe. Erfenntlichleit mit mannig- fachen europäiſchen Gegenftänden, welche der umſich— tige Victor in Bombai eingehandelt, beichenft und ausnehmend erfreut hatte, verließ man Kabul an ei— nem ſchönen Frühlingsmorgen.

Bereitd nach mehren Wochen trug ein ftattlicher Kauffahrteifahrer, dejjen weiße Segel von dem gün— ftigen Winde gejhwellt wurden, die Erbſchaar nad) der umfriedeten Heimath.

Zehntes Rapitel.

Bereits im Herbſt deſſelben Jahres, eben als die Aſtern zu blühen begannen, vereinigte das Weichbild von Niederroßla ſämmtliche Erbfahrer. Kaum war die Nachricht von ihrem Herannahen bekannt worden, als ein förmlicher Aufruhr entſtand, wie ſolcher in Niederroßla nie war erlebt worden. Sämmtliche Be— wohner der Stadt, mit Ausnahme der Sterbenden und Gebärenden, zogen den aſiatiſchen Ankömmlingen ſtundenweit entgegen, obſchon der Stadtrath, der ebenfalls zu Haufe blieb, in Ermangelung des gold— nen Krokodills alle Empfanggsfeierlichkeiten ausdrücklich verboten hatte.

Alles war voll Jubel und guter Dinge, bis auf den Senat, den Bürgermeiſter Sebaſtian Flaminius an der Spitze und die verwittwete Lagemann, geborne Grümpler, welche indeß nur auf einem Auge weinte, der Leute halber, während fie mit dem andern gleich— falls lachte. Es Hätte der guten Frau gar nichts

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Schlimmeres paffiren können, als wenn ihre, am Fuße des Hindukuſch vuhender, zänkiſcher und eiferfüchtiger Eheherr mit der Erbſchaar heimgefehrt wäre und bereit3 eine Art Stellvertreter zur Stadt Magdeburg vorgefunden, welch' Lebterer bald nach des Attache’s Abfahrt den fchwierigen Poften eines Hausfreundes übernommen hatte.

Der Stadtrath ſeinerſeits aber fpie wirklich Teuer und Flammen, und war feit entfchloffen, mit ben Derwifchen der Abdullah-Moſchee einen Kampf auf Leben und Tod zu beginnen. Erſt die wiederholte Warnung des Doctor Eifenbeiß, welder den Sat aufftellte, daß e8 einer weltlichen Behörde auferordent= lid, jchwer, wohl gar unmöglich falle, einen Schatz, welchen die Kirche bereit an ſich genommen, wieber heraus zu prozeffiren, bewog das hohe Collegium, die Sache einer fpätern Berathung, vorzubehalten.

Zeifig, welcher nicht nur im Befite von taufend Ducaten, fondern zugleich als gereiſ'ter Weltmann nad) Niederroßla heimfehrte, gelangte zu weit größe— vem Anfehen, als dies früher mit ihm der Fall ge— weſen war.

Mit dem Factor und dem Duartus war e8 eben

fo. Ihr Ruhm ftand hoch wie die Sterne. Wenn

in der erſten Zeit einer der Erbfahrer über die Straße ging, jo blieben die Leute ftehen und fchauten ven Dahinfchreitenden gleid) einem Wunbderthiere nad): erſchien er aber in Gefellfchaft, jo ward ihm ſtets der Ehrenplag zu Theil, und Jedermann ſchwieg und Aller Augen hingen an feinem Munde, wenn fi der— felbe aufthat, um Creigniffe und Dinge zu verfün- ben, die zuvor in Nieverrofla nie waren gehör worden.

Hauptſächlich ftieg Zeifig’8 Credit, als er feinen

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Sollegen und einigen der angefehenften Honoratioren der Stadt bei der verwittweten Lagemann ein fplen- dides Mittagseffen gab, bei welcher Gelegenheit er dent Stabtrathe die fämmtlichen Reifefpefen, fo feine Perfon benöthigt gehabt, zurüderftattete. Die Wuth ber weifen Behörde gegen die Derwilche der 'Abpul- lah-Moſchee legte ſich jetzt auffallen.

Der Heldenſpieler Hanno war durch den gemalt- famen Tod feines Freundes Lagemann fo erjchüttert worden, daß er von Stund’ an den alten Adam aus- zog und ein beflerer Menſch wurde. Nachdem er den Attahe mit eigner Hand vom Maulbeerbaume losge-⸗ fchnitten, forgte er mit wahrer Pietät für deſſen Be— gräbniß, wodurch er fehr in der Achtung ter Erb- fahrer gewann. Aber die Befjerung war bei ihm nicht blos eine ſchöne Wallung, fondern hatte tiefer Wurzel gefchlagen. Mit Gewillenhaftigfeit bewahrte er das Erbtheil der Wittwe und zahlte e8 ihr von Heller zu Pfennig aus, ohne auf die geringfte Ent- ſchädigung Anfprud zu machen. Gute Werfe beloh- nen ſich ftets. Aus Dankbarkeit reichte ihm bie hüb- Ihe Wittwe ihre Hand. Er legte fpäter eine viel- befuchte Turnſchule an und lebt noch heutzutage in behaglihen Verhältniffen und als geachteter Mann in Niederroßla. |

E83 bedarf gewiß feiner Berfiherung, daß es auf dem benachbarten Friedrichshof nad Nüdfehr der Ka— bulfahrer nicht minder freudvoll herging. Bereits feit längerer Zeit lebte daſelbſt die edle Telicitag, welche den Tiebenden Bitten des Generals und Klo— tildens nicht Länger hatte widerftehen können. Unmit- telbar nad) Gamaliel! 8 und Victor’ 8 Abreife waren

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diefe guten Menfchen einander näher befannt worden und hatten fi jo innig verftanden, daß ihnen eine jevesmalige Trennung ſchwer fiel, Das gemeinfchaft- liche Interejfe an den abweſenden Geliebten band fie nur fejter an einander. Darum war faum eine Woche nad Pictor’8 und Gamaliel's Abreife verfloffen, als Felicitas nach Frievrihähof z0g. Die Mutter Ga— maliel’3 hatte aus feinem andern Grunde den Bitten der neuen Freunde fo lange wiberftanden,, als weil fie dem Wunfche des Teſtaments nachkommen zu müf- fen glaubte, vem zu Folge fie das Gut Siebeneichen faufen und eines Abends den unbefannten Pilger er- warten ſollte. Sie hatte fih über dieſe Stelle im Zeftament gar oft im Stillen den Kopf zerbrochen, und auch Morand rieth bin und wieder, ohne den dunfeln Sinn enträthfeln zu können.

Endli Hatte der General mit den Worten: „Wenn Ihr Fremdling Sie auf Giebeneichen nicht vorfindet, wird er Ste ſchon auf Friedrichshof auf: ſuchen,“ die letzte Bedenklichkeit der Wittwe nieder- geſchlagen und ſie ward eine Bewohnerin des ſchönen Schloſſes, wo ſie wie ein Glied der Familie gehalten wurde. Klotilde hing mit kindlicher Liebe an der edeln Frau, und dieſe wieder fand an dem holden Mädchen einen Erſatz für den abweſenden geliebten Sohn.

General Morand hatte nicht unrichtig prophezeiht. Nach Verlauf eines halben Jahres ſtellte ſich der Pilger, welcher Felicitas vergebens auf Siebeneichen geſucht hatte, wirklich auf Friedrichshof ein. Es war Niemand anders, als der Hofmaler mit Olivien. Er erſtaunte nicht wenig, hier außer ſeiner Tante auch die Familie ſeiner geliebten Gattin, welche unter den Roſen Afghaniſtans ſchlief, anzutreffen.

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Wer vermöchte die mannigfachen Entdeckungsſcenen "würdig zu ſchildern und die darauf folgende Freude? Setzt: ward der Ankauf von Siebeneichen ganz: aufge- ‚geben. Auch Balthafar mußte in Friedrichshof blei- ben, weldye8 der wohnlichen Räume in Menge darbot,

Ein wahrer Himmel fanf von nun auf die glüd- fihen Schloßbewohner hernieder, der nur von ben Sorgen für die geliebten Stabulfahrer zuweilen ge- trübt ward. Aber dem Klaren, blauen Herbithimmtel des nächſten Jahres und den ſich färbenden Aitern war es vorbehalten, auch dieſe Wolfen zu verſcheu— hen. Gamaliel und Bictor fehrten um eine Welt reiher an Erfahrung, geprüfter und Fräftiger zu ben Ihrigen zurüd. Hatte Letzterer auch nur das blü— hende Grab derjenigen gefunden, wegen ber er bie weite Reife überhaupt angetreten, fo bereute er doch keineswegs vie Weltfahrt an der Seite des geliebten Freundes unternommen zu haben. Kanm aber hatte Gamaliel die ſchöne Olivia erfhaut, als e8 munder- bar licht in feinem Innern ward. Ja, fie war e8 gewefen, die im fernen Weltineer von der Abendfonne verflärt ihm vorübergeſchwebt. Der Himmel Afgha— niftans hatte feinen Einfluß auf Das veizende Ge— ſchöpf nicht ganz verläugnet. Ihr Teint war etwas dunkler, ihr Auge feuriger und ihr Wuchs üppiger al8 der Klotilden’s, und obſchon faum vierzehn Früb- linge zählend, glich fie einer Jungfran von achtzehn.

Und es mährte nicht lange, da keimte neue Liebe und neue ftille Seligfeit zog ein in die ſchönen Hal— len von Friedrichshof. Gamaliel's und Klotilden’s

Herzen Hatten ſich gefunden einerſeits, währen Bictor Stolle, fimmtl, Schriften. XVIIT.

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und Olivia in inniger Piebe für einander erglühten. Alle Mühfeligkeiten der Weltfahrt, welche Victor be- ftanden, um die Mutter aufzufinden, follten durch Die veihhe Liebe der veizenden Tochter taufendfältig ver- gokten werden.

Und ein Frühling zog über das Land und noch einer; da gab's eine Doppelhodhzeit zu Friedrichshof. Daß hierbei weder der Rathsactuar Zeifig, nody der Buchdrudereibefiger Süßmilch, noch der Tertius Vet— terlein, noch der Turnlehrer Hanno fehlten, bedarf wohl keiner Erwähnung. Befand ſich doch ſelbſt der alte Doctor Eiſenbeiß unter den Geladenen. |

Als aber die Hochzeitägäfte gerade bei Tafel ſa— fen, den feligen Brautpaaren ein Lebehoch nach dem andern gebracht wurde und die Champagnerpfropfen Tprangen, als jollte eine Brefche in den Himmel ge- ſchoſſen werben, erhob fih plötzlich vom Schloßhofe herauf ein mörderliches Geſchrei. Ein panifcher Schre- den bemächtigte fi der im Haufe hin- und wieber- laufenden Dienerfchaft, und unter den Ausrufe: „Der Teufel kommt! Der Teufel kommt!” ftürzte eins über das andere,

Erſchrocken eilten Brautpaare und Gäfte nad) den nad) den Hofe führenden Fenſtern. Da war ein ge= waltiger vierjpänniger Reiſewagen vorgefahren, und eben Jah man zwei Mohren beſchäftigt, eine wunder— Ihöne Frau aus dem Wagen zu geleiten. .

„Die Blume Hindoftans!“ rief Gamaliel, und verfhwand, ohne ein Wort weiter zu verlieren, durch die Saalthüre.

„Si John!“ rief Victor, und ftürzte dem Freunde nad). | eu ‚Doctor Barring!” rief Hanno und folgte gleich— alls.

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Zeifig, Betterlein und Süßmilch Elatjchten aber ..jubelnd in die Hände und riefen ununterbrocden: „Tohu, Bohu, Tohu, Bohu, das ift prächtig!“

Und fie waren es. Der wadre Gapitain hatte zufällig von dem doppelten Hochzeitfeſte Kunde er- halten und diefe Gelegenheit benutzt, aud) feine junge Frau den einftigen Reiſegefährten vorzuftellen. Diefe war aber Niemand anders, als die reizende Brami— nin, und die Sache alfo zugegangen. Sir John, als eifriger Ehrift, hatte e8 unmittelbar, nachdem fid) die Blume Hindoftans unter feinen Schuß begeben, nicht unterlaffen fünnen, der Heidin die Vorzüge des Chriſtenthums, wo ſich die Wittwen nicht zu ver— brennen brauchen, anſchaulich zu machen. Bei diefem Löblihen Bekehrungswerke war er aber jelbft vom Meiberhaffer zum Liebhaber befehrt worden. Kurz, der befehrte Hageftolz heirathete fpäter. “Die befehrte und getaufte Heidin befand ſich ganz wohl in dem neuen Stande. Um die junge Frau nicht immer in Angft und Bangen zu verjeßen, hatte er dem wüſten Seeleben entjagt und fid) in ven gejegneten Vierlan— den Hamburgs ein höchft freundliches Landgut ge= fauft, wo er endlid in Erfahrung bradıte, daß ſich's daſelbſt doch beſſer leben laſſe, als zwiſchen Himmel und Wellen. So fügt ſich's in der Welt.

Doctor Barring, namentlich ſeit dem letzten Schiff: bruche und dem Aufenthalte an der afrikaniſchen Küſte dem Seeleben gleichfalls abhold, hatte ſich in Hamburg niedergelaſſen, woſelbſt er als praktizirender Arzt eines ausgezeichneten Rufes genoß. Wöchentlich fuhr er regelmäßig einmal in die Vierlande nach dem Gute feines alten Freundes, wo man ſich in ſtillum⸗ blühter Laube, wenn der Abenpftern herrlich ftrahlte und Cöleftine, dieſen Namen Hatte die Blume Hin-

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boftans in ver Taufe erhalten, die buftende Erdbeer— faltefehnle auftrug, gern der einftigen Seeſtürme er- innert. Mit Freuden faßte er den Gedanken bes wadern Eir John auf, die einftigen Keifegefährten des Habichts bei ihrem Hochzeitsfeſte zu überafchen. Tohu und Bohu wollten rein närriſch werben vor Freuden, als die Reife fortging.

Eine ſchönere Weberrafhung aber als dieſer un verhoffte Beſuch der Hamburger fonnte namentlich den beiden Bräutigam nicht werden. Noch lange nad) der Hodhzeitfeier mußten erjtere auf Friedrichshof ver— weilen. Es waren die letzten Hochzeitgäfte, welche das glüdlihe Schloß verliefen.

Bon dem Türken Abdullah, welcher ven Erbfah— rern bereit3 in Bombai aus den Augen gelommen, hat man nie wieder Etwas vernonmen.

Ende Des zweiten und lebten Bandes.

Trud von Alerander Wiede in Yeipzig.

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