I LSHTM Digitized by the Internet Archive in 2015 https://archive.org/details/b21353207_0001 LSHTM EPITAPH AUS DEM KOCH-MAUS OLEUM IM INSTITUT FÜR INFEKTIONSKRANKHEITEN ZU BERLIN Gesammelte Werke von Robert Koch Unter Mitwirkung von Prof. Dr. G. GAFFKY und Prof. Dr. E. PFUHL Geh. Ober-Med.-Rat in Berlin General-Ober-Arzt a. D. in Berlin herausgegeben von Prof. Dr. J. SCHWALBE Geh. San. -Rat in Berlin ZWEITER BAND Erster Teil Mit 158 Textabbildungen, 11 teils farbigen Tafehi und der Abbildung der Grabstätte Robert Kochs im Institut für Infektionskrankheiten zu Berlin LEIPZIG 1912 VERLAG VON GEORG THIEME I Copyright by Georg Thieme 1912 I Inhaltsverzeichnis. Seite Berichte über die Tätigkeit der zur Erforschung der Cholera im Jahre 1883 nach Ägypten und Indien entsandten Kommission an S. Exzellenz den Staatssekretär des Innern Herrn Staatsminister vonBötticher. (Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte Bd. III. Berlin 1887 ) 1 Erste Konferenz zur Erörterrmg der Cholerafrage am 26. VII. 1884 zu Berlin. (Berliner Kli- nische Wochenschriß 1884, Nr. 31, 32 und 32 a.) Mit 5 Textabbikhmgen 20 Über die Cholerabakterien. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1884, Nr. 45) (51 \ Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage im I\Iai 1885. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1885, Nr. 37 A ) 69 Über den augenblicklichen Stand der bakteriologischen Choleradiagnose. (Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, 1893) 1(57 Entgegnung auf den Vortrag des Prof. Dr. 'S\. Schottelius ,,Zum mikroskopischen Nachweis von Cholerabazillen in Dejektionen". (Deutsche Medizinische Wochetischrift 1893, Nr. 31.) ISl Wasserfiltration und Cholera. (Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, 1893) . . 183 , Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892/93. (Zeitschrift für Hygiene und In- Vfektionskrankheiten, 1893.) Mit 10 Textabbildungen 207 Die Maßregeln zur Bekämpfung der Cholera. (Deutsche Viertel jahrsschrift für öffentliche Ge- sundheitspflege, 1895) 262 Beobachtungen über Erysipel-Impfungen am Menschen. (Zeitschrift für Hygiene und Infek- tionskrankheiten, 1896 ) 267 Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen. Rede, gehalten zur Feier des Stift ungstages der Militärärztlichen Bildungsanstalten am 2. August 1888. (Berlin 1888) 276 Seuchenbekämpfung im Kriege. Referat nach dem ersten Vortrage des Zyklus ,, Ärztliche Kriegswissenschaft", gehalten am 1.5. Oktober 1901. (Klinisches .Jahrbuch 1902) . . . 290 Die Bekämpfung des Typhus. Vortrag, gehalten in der Sitzung des Wissenschaftlichen Senats bei der Kaiser- Wilhelms- Akademie am 28. Novemlier 1902. (Veröffentlichungen ans dem Gebiete des Militär-Sanitütswesens. Berlin 1903) 296 Berichte des Geheimen Medizinalrates Prof. Dr. R. Koch über die Ergebnisse seiner Forschungen in Deutsch-Ostafrika. (Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte. Berlin 1898.) Mit 7 Textaljbildungen. I. Die Malaria in Deutsch-Ostafrika 307 II. Das Schwarzwasserfieber 321 Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. Vortrag, gehalten in der Abteilung Berlin-Char- lottenburg der Deutschen Kolonial- Gesellschaft am 9. VI. 1898. (V erhandlungen der- selben. Berlin 1897/98.) Mit 7 Textabbildungen 326 Ergebnisse der \vissensc haftlichen Expedition des Geheimen Medizinalrates Prof. Dr. Koch nach Italien zur Elrforschung der Malaria. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1899, Nr. 5) 344 / Über Schwarzwasserfieber (Hämoglobiniirie). (Zeitschrift für Hygiene xohI Infektionskrank- heilen 1899.) Mit 13 Textabbildungen ' 348 ^^Über die Entwicklung der Malariaparasiten. (Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrank- heiten 1899.) Hierzu Tafel XXX— XXXIII 371 / Erster Bericht über die Tätigkeit der Malariaexpedition. Aufenthalt in Grosseto vom 25. IV. ^ bis 1. VIII. 1899. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1899, Nr. 37 ) 389 Zweiter Bericht über die Tätigkeit der Malariaexpedition. Avifenthalt in Niederländisch-Indien ^ vom 21. IX. bis 12. XII. 1899. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1900, Nr. 5) . 397 — IV — Seite Dritter Bericht über die Tätigkeit der Malariaexpedition. Aufenthalt in Stephansort im De- zember 1899. (Deutsche 3Iedizinische Wochenschrift 1900, Nr. 17 v. 18) 404 Vierter Bericht über die Tätigkeit der Malariaexpedition, die Monate März und April 1900 um- fassend. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1900, Nr. 25) 412 Fünfter Bericht über die Tätigkeit der Malariaexpedition. Aufenthalt in Neu- Guinea während der Zeit vom 28. IV. bis zum 15. VI. 1900. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1900, Nr. 34) 416 1 Schlußbericht über die Tätigkeit der Malariaexpedition. (Deutsche Medizinische Wochenschrift \ 1900, Nr. 46) 418 / Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse der Malariaexpedition. (Deutsche Medizinische I Wochenschrift 1900, Nr. 49 u. 50 ) . ; 420 Ergebnisse der vom Deutschen Reich ausgesandten Malariaexpedition. Vortrag, gehalten in der Abteilung Berlin-Charlottenburg der Deutschen Kolonial- Gesellschaft am 5. XI. 1900. (Verhandlungen derselben 1900/01) . 435 V Address on Malaria to the Congress at Eastbourne. ( The Journal of State Medicine 1901, Nr. 10) 448 Die Bekämpfung der Malaria. (Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten 1903) . . 456 Über die Trypanosomenkrankheiten. Vortrag, gehalten in der Berliner Medizinischen Gesell- ^ Schaft am 26. X. 1904. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1904, Nr. 4,7.) Mit 5 Text- abbildungen 459 # ^Über die Unterscheidung der Trypanosomenarten. (Sitzungsberichte der Königl. Preuss. Aka- ^ demie der Wissenschaften. Berlin 1905) 473 (y^ Vorläufige Mitteilungen über die Ergebnisse einer Forschungsreise nach Ostafrika. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1905, Nr. 47.) Mit 24 Textabbildungen . 477 Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Piroplasmen. (Zeitschrift für Hygiene und Inf ektions- krankheiten 1906.) Hierzu Tafel XXXIV— XXXVI 487 1/ Über afrikanischen Rek\xrrens. Vortrag, gehalten in der Berliner Medizinischen Gesellschaft. (Berliner Klinische Wochenschrift 1906, Nr. 7.) Mit 10 Textabbildungen 493 X Uber den bisherigen Verlauf der deutschen Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit / in Ostafrika. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1906, Nr. 51) 509 Zweiter Bericht über die Tätigkeit der deutschen Expedition zur Erforschung der Schlafkrank- heit. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1907, Nr. 2) 525 / Dritter Bericht über die Tätigkeit der deutschen Expedition zur Erforschung der Schlafkrank- heit. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1907, Nr. 36) 531 Schlußbericht über die Tätigkeit der deutschen Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit \^ heit. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1907, Nr. 46) 534 Anthropologische Beobachtungen gelegentlich einer Expedition an den Viktoria- Njanza. Vor- trag in der Berliner Anthropologischen Gesellschaft am 21. März 1908. (Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1908.) Mit 20 Textabbildungen 547 ^ Über meine Schlafkrankheits - Expedition. Vortrag, gehalten in der Abteilung Berlin-Char- lottenburg der Deutschen Kolonial- Gesellschaft. (Berlin 1908.) Mit 22 Textabbildungen 563 ^ Bericht über die Tätigkeit der zur Erforschtmg der Schlafkrankheit im Jahre 1906/07 nach Ost- afrika entsandten Kommision. (Berlin 1909.) Mit 37 Textabbildungen und Tafel XXXVII bis XXXX 582 Berichte über die Bubonenpest in Indien und Afrika. Mai usw. 1897. (Titel) 646 tiber die Verbreitung der Bubonenpest. Vortrag, gehalten in der Deutschen Gesellschaft für V öffentliche Gesundheitspflege am 7. VII. 1898. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1898, Nr. 28) 647 Berichte über die Wertbestimmung des Pariser Pestserums. (Klinisches Jahrbuch. Jena 1902) 653 Die Lepra-Erkrankungen im Kreise Memel. (Klinisches Jahrbuch. Jena 1898) 670 Berichte über die Tätigkeit der zur Erforschung der Cholera im Jahre 1883 nach Ägypten und Indien entsandten Kommission') an S.Exzellenz den Staatssekretär des Innern Herrn Staats min ist er von Bottich er erstattet vom Geheimen Regiermigsrat Dr. R. Koch. Alexandrien, den 17. September 188.3. Ew. Exzellenz beehre ich mich über den Fortgang der Untersuchungen zur Er- forschung der Cholera*) ganz gehorsamst nachstehenden Bericht zu erstatten. Da die Cholera beim Eintreffen der Kommission in Ägypten bereits in schneller Abnahme begriffen war, so ließ sich von vornherein nicht erwarten, in diesem Lande das für den ganzen Umfang der Untersuchung erforderliche Material zu gewinnen; da außerdem die Zeit des Erlöschens einer Epidemie am wenigsten für die ätiologische Er- forschung derselben geeignet ist, so ging der ursprüngliche Plan dahin, in Ägypten die nötigen Vorstudien zu machen und diese, wenn die Epidemie sich nach Syrien ausbreiten würde, in solchen Orten, welche von der Cholera erst eben befallen wären und für die Untetsuchungen einen günstigen Boden geliefert hätten, zu verwerten. Der erste Teil dieses Planes hat sich bisher allen Wünschen entsprechend aus- führen lassen; denn die Kommission hat während ihres Aufenthaltes in Alexandrien noch hinglänglich Gelegenheit gefunden, das zum Vorstudium notwendige Material zu sammeln. Daß dies gelungen ist, verdanke ich weniger den Bemühungen der äeyp- tischen Behörden, welche allerdings vielversprechende Vei'heißungen gemacht und gleich am ersten Tage auch eine Choleraleiche zur Verfügung gestellt hatten, als dem Ent- gegenkommen der Ärzte des griechischen Hospitals, welche dadurch, daß sie Arbeits- räume und alle ins Hospital gelangenden Cholerakranken, sowie Choleraleichen zur Verfügung stellten, die Zwecke der Expedition in wirksamster Weise förderten. Anfangs hatte sich die Kommission in zwei zu ebener Erde und nebeneinander gelegenen hellen Zimmern des Hospitals eingerichtet. In dem einen Räume wurden die mikroskojDischen Arbeiten, im zweiten die Kulturversuche ausgeführt. Die Versuchstiere waren in beiden untergebracht. Als aber die Zahl der Versuchstiere zunahm und es auch zu gefährlich erschien, in denselben Räumen, in welchen man sich fast den ganzen Tag aufhalten mußte, mit den Infektionsstoffen zu manipulieren, wurden die Versuchstiere in einen vollständig abgetrennten Raum des alten Hospitals gebracht und dort die Infektions- versuche angestellt. Aus Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, 1887, Bd. III. Verlag von Julius Springer, Berlin. *) Den ersten, bisher unveröffentlichten Bericht siehe in der zweiten Hälfte dieses Bandes. D. Herausgeber. Koch, Gesammelte Werke. 46 2 Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cholera usw. entsandten Kommission. Das bisher zur Untersuchung gelangte Material stammt von 12 an Cholera Er- krankten und von 10 Choleraleichen. Von den Kranken wurden 9 im griechischen, 2 im deutschen und 1 im arabischen Hospital beobachtet. Die Ki'ankheitssymptome entsprachen in allen Fällen in jeder Beziehung denjenigen der echten asiatischen Cholera. Es wurden Proben von Blut dieser Kranken, vom Erbrochenen und von den Dejektionen derselben entnommen und unter- sucht. Da sich sehr bald herausstellte, daß das Blut frei von Mikroorganismen und auch die erbrochenen Massen verhältnismäßig arm daran waren, aber die Dejektionen be- deutende Mengen von Mikroorganismen enthielten, so wurden vorwiegend diese zu den Ansteckvings versuchen an Tieren benutzt. Obwohl die Zahl der sezierten Leichen nur gering ist, so hat es doch der Zufall so gefügt, daß dieselben ein für Orientierungszwecke höchst wertvolles Material bieten. Es sind die verschiedensten Nationalitäten darunter vertreten (3 Nubier, 2 Deutsch- Österreicher, 4 Griechen, 1 Türke), verschiedene Altersstufen (2 Kinder, 2 im Alter über 60 Jahre, die übrigen zwischen 20 und 25 Jahre alt) und Fälle verschiedener Krankheits- dauer. Am wichtigsten ist jedoch, daß die Leichen meistens unmittelbar nach dem Tode oder doch wenige Stunden später seziert werden konnten. Die Veränderungen, welche in den Organen und ganz besonders frühzeitig im Darm durch die Fäulnis bedingt werden, und welche die mikroskopische Untersuchung dieser Organe im höchsten Grade er- schweren und meistens illusorisch machen, wurden unter diesen Verhältnissen mit Sicher- heit ausgeschlossen. Ich möchte gerade auf diesen LTmstand um so größeres Gewicht legen, als es an anderen Orten kaum zu ermöglichen sein wird, ein für die mikroskopische Untersuchung so geeignetes Material zu gewinnen. Auch der Leichenbefund ließ ebenso Avie die Kj'ankheitssymptome keinen Zweifel, daß es sich hier um die echte Cholera handelt und nicht, wie von mehreren Seiten anfangs behauptet wurde, um choleraähnliche, sogenannte choleriforme oder choleroide Krankheiten. Im Blute, sowie in den Organen, welche bei anderen Infektionskrankheiten ge- wöhnlich der Sitz der Mikroparasiten sind, nämlich in den Lungen, Milz, Nieren, Leber, konnten keine organisierten Infektionsstoffe nachgewiesen werden. Einige Male fanden sich in der Lunge Bakterien, welche jedoch, wie sich aus dem Verhalten ihrer Form und ihrer Lagerung ergab, mit dem eigentlichen Krankheitsprozeß nichts zu tun hatten, sondern durch die Aspiration des erbrochenen Mageninhaltes in die Lunge gelangt waren. Im Inhalte des Darmes kamen ebenso wie in den Dejektionen der Cholerakranken außerordentlich viele und den verschiedensten Arten angehörige Mikroorganismen vor. Keine derselben trat in überwiegender Menge hervor. Auch bot keine sonstige An- zeichen, welche auf eine Beziehung zum Ivrankheitsprozeß hätte schließen lassen. Dagegen ergab der Darm selbst ein sehr wichtiges Resultat. Es fanden sich nämlich mit Ausnahme eines Falles, welcher mehrere Wochen nach dem Überstehen der Cholera an einer Nachkrankheit tödlich geendet hatte, in allen übrigen eine bestimmte Art von Bakterien in den Wandungen des Darmes. Diese Bakterien sind stäbchenförmig und gehören also zu den Bazillen, sie kommen in Größe und Gestalt den bei der Rotzkrankheit gefundenen Bazillen am nächsten. In denjenigen Fällen, in denen der Darm mikroskopisch die geringsten Veränderungen zeigte, waren die Bazillen in die schlauchförmigen Drüsen der Darmschleimhaut eingedrungen und hatten daselbst, wie die Erweiterung des Lumens der Drüse und die Ansammlung von mehr kernigen Rundzellen im Innern der Drüse beweisen, einen erheblichen Reiz ausgeübt. Vielfach hatten sich die Bazillen auch hinter dem Epithel der Drüse einen Weg gebahnt und waren zwischen Epithel und Drüsen- membran hineingewuchert. Außerdem hatten sich die Bazillen in reichlicher Menge an der Oberfläche der Darmzotten angesiedelt und waren oft in das Gewebe derselben Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cholera visw. entsandten Kommission. 3 eingedrungen. In den schweren mit blutiger Infiltration der Darmschleimhaut ver- laufenden Fällen fanden sich die Bazillen in sehr großer Anzahl, und sie beschränkten sich dann auch nicht allein auf die Invasion der schlauchförmigen Drüsen, sondern gingen in das umgebende Gewebe, in die tieferen Schichten der Schleimhaut und stellen- weise sogar bis zur MuskeUiaut des Darmes. Auch die Darmzotten waren in solchen Fällen reichlich von Bazillen durchsetzt. Der Hauptsitz dieser Veränderungen befindet sich im unteren Teile des Dünndarmes. Wenn dieser Befund nicht an ganz frischen Leichen gewonnen wäre, dann hätte man ihn wenig oder gar nicht verwerten können, weil der Einfluß der Fävilnis imstande ist, ähnliche Bakterienvegetation im Darme zu veran- lassen. Aus diesem Grunde hatte ich auch darauf, daß ich bereits vor einem Jahre im Choleradarm, welchen ich direkt aus Indien erhalten hatte, dieselben Bazillen und in derselben Anordnung wie jetzt in den ägyjitischen Cholerafällen gefunden, fi-üher keinen Wert legen können, weil immer an eine Komplikation mit postmortalen Fäulnisvor- gängen gedacht werden mußte. Jetzt gewinnt aber dieser frühere Befund, welcher am Darme von vier verschiedenen indischen Choleraleichen gemacht wurde, außerordentlich an Wert, da sich nunmehr ein durch Fäulniserscheinungen bedingter Irrtum sicher ausschließen läßt. Nicht unwichtig ist auch, daß dv^rch die Übereinstimmung in dem Verhalten des Darmes bei der indischen und der ägyptischen Cholera ein weiterer Be- weis für die Identität beider Krankheiten gewonnen wird. Die Zahl der zur Untersuchung gelangten Choleraleichen ist allerdings nur eine verhältnismäßig geringe, da aber die Bazillen in allen frischen Cholerafällen angetroffen wurden, dagegen in dem einen nach Ablauf des Choleraprozesses untersuchten Falle und bei mehreren anderen, an anderweitigen Ki'ankheiten Gestorbenen und vergleichs- weise ebenfalls daraufhin untersuchten Fällen vermißt wurden, so kann kein Zweifel darüber sein, daß sie in irgendeiner Beziehung zu dem Choleraprozesse stehen. Jedoch ist aus dem Zusammentreffen des letzteren mit dem Vorkommen von Bazillen in der Darmschleimhaut noch nicht zu schließen, daß die Bazillen die Ursache der Cholera seien. Es könnte auch umgekehrt sein und es ließe sich ebensogut annehmen, daß der Choleraprozeß derartige Zerstörungen in der Darmschleimhaut hervorruft, daß unter den vielen, im Darm beständig schmarotzenden Bakterien einer bestimmten BaziUenart das Eindringen in die Gewebe der Darmschleimhaut ermöglicht wird. Welche von diesen beiden Annahmen die richtige ist, ob der Infektionsprozeß oder ob die Bakterieninvasion das Primäre ist, das läßt sich nur dadurch entscheiden, daß man versucht, die Bakterien aus den erkrankten Geweben zu isolieren, sie in Rein- kulturen zu züchten und dann durch Infektionsversuche an Tieren die Kranklreit zu reproduzieren. Zu diesem Zwecke ist es vor allem notwendig, solche Tiere zur Verfügung zu haben, welche für den fraglichen Infektionsstoff empfänglich sind. Nun ist es aber bisher trotz aller Bemühungen nicht in unanfechtbarer Weise gelungen, Tiere cholera- krank zu machen. Man hat an Kaninchen, Meerschweinchen, Hvmden, Katzen, Affen, Schweinen, Ratten usw. vielfach experimentiert, aber immer erfolglos. Die einzigen Angaben, welche in dieser Beziehung Beachtung verdienen, sind von T h i e r s c h ge- macht, welcher nach Verfütterung von Choleradarm eine Anzahl von Mäusen am Durch- fall erkranken und sterben sah. Dieser Versuch ist von zuverlässigen Experimentatoren wie Burdon-Sanderson bestätigt, von anderen allerdings bestritten worden. Immerhin war es, da das Auffinden einer für Cholera empfänglichen Tierspezies von der größten Wichtigkeit ist, notwendig, diese Versuche zu wiederholen. Zu diesem Zwecke wurden, weil es sehr unwahrscheinlich war, daß die erforderliche Anzahl Mäuse in Alexan- drien bald zu beschaffen sein würde, schon von Berlin 50 Mäuse mitgeführt und mit diesen die Infektionsversuche sofort begonnen. Avißerdem wurden aber auch noch Affen, 46' 4 Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cliolera usw. entsandten Kommission. welche für einige menschliche Infektionskrankheiten, wie Pocken und Recurrens, die einzig empfängliche Tierspezies sind, gleichfalls für diese Versuche verwendet. Schließ- lich wurden auch einige Hunde und Hühner zu infizieren versucht. Aber trotz aller Bemühungen sind diese Versuche bislang gänzlich resultatlos geblieben. Es wurden die verschiedensten Proben von Erbrochenem, von Choleradejektionen und vom Darm- inhalt der Choleraleichen teils frisch, teils nachdem sie längere Zeit in kaltem oder warmem Räume gestanden hatten, teils getrocknet an die Tiere verfüttert. Aber es traten niemals choleraartige Erscheinungen ein, die Tiere blieben im Gegenteil vollkommen gesund. Es waren ferner von den im Darminhalt und in den Darmwandungen vorkommenden Bazillen Reinkulturen gemacht, und auch mit diesen sind Fütterungsversuche, zum Teil auch Impfungen ausgeführt. Einzelne dieser Reinkulturen bewirkten septische Er- krankungen, wenn sie verimpft wurden, aber mit keiner konnte Cholera erzeugt werden. Daß in den Dejektionen der Cholerakranken der Krankheitsstoff in wirksamer Form sehr oft enthalten sein muß, das ist durch vielfache Erfahrungen, namentlich durch das häufige Erkranken von Wäscherinnen, welche mit Dejektionen beschmutzte Cholera- wäsche zu waschen hatten, bewiesen. Auch im griechischen Hospital ist in der jetzigen Epidemie ein solcher Fall vorgekommen und eine Wäscherin, welche ausschließlich die Cholerawäsche zu besorgen hatte, an Cholera erkrankt. Es ist demnach wohl als sicher anzunehmen, daß in den zahlreichen zur Verwendung gekommenen Proben mindestens einige den Infektionsstoff enthalten haben. Wenn dennoch keine Resultate erzielt wurden, so kann es daran gelegen haben, daß die zu den Versuchen dienenden Tierarten für die Cholera überhaupt unempfänglich sind, oder daß noch nicht der richtige Modus der Infektion gefunden wurde. Sowohl in der einen wie in der anderen Richtung sollen die Versuche fortgesetzt und modifiziert werden, doch ist wenig Aussicht vorhanden, daß auf diesem Wege mit dem jetzt zur Verfügung stehenden Material etwas erreicht wird. Denn es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß allein in jenen Umständen der Grund für das Mißlingen der Infektionsversuche zu suchen ist. Es gibt noch eine dritte Er- klärung, für deren Richtigkeit sehr vieles spricht. In einem von der Cholera befallenen Orte hört bekanntlich die Krankheit auf, lange bevor alle Individuen durchseucht sind, und obwohl der Krankheitsstoff schließlich in großer Menge über den ganzen Ort aus- gestreut ist, so erkranken doch immer weniger Menschen, und die Epidemie erlischt mitten unter vielen für die Ansteckung empfänglichen Individuen. Diese Erscheinung ist nur durch die Annahme erklärbar, daß gegen Ende der Epidemie der Infektions- stoff an Wirksamkeit einbüßt oder wenigstens unsicher in seiner Wirkung wird. Wenn nun aber selbst die Menschen gegen Ende der Epidemie auf den Cholerainfektionsstoff nicht mehr reagieren, dann läßt sich nicht erwarten, daß dies bei Versuchstieren der Fall sein soll, über deren Empfänglichkeit für Cholera man noch nichts weiß. Für unsere Versuche standen uns nun aber nur solche Objekte zur Verfügung, welche am Ende der Epidemie gesammelt wurden, und deren Unwirksamkeit mehr oder weniger vor- ausgesetzt werden mußte. Es ist immerhin möglich, daß unter günstigeren Verhält- nissen, d. h. zu Anfang einer Epidemie, die Infektion von Tieren gelingt und damit auch sofort zu erfahren ist, ob die in der Darmschleimhaut von mir nachgewiesenen Bazillen die eigenthche Ursache der Cholera bilden. Soweit nun auch die von der Kommission bisher erhaltenen Resultate von der vollständigen Lösung der Aufgabe noch entfernt sind, und so wenig sie zu einer prak- tischen Verwertung in der Bekämpfung der Cholera geeignet sind, so dürfen sie in An- betracht der ungünstigen Verhältnisse und der kurzen Zeit der Untersuchung dennoch als günstige gelten. Sie entsprechen vollkommen dem ursprünglichen Zwecke der Orien- tierung und gehen insofern noch darüber hinaus, als durch den konstanten Befund von Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cholera usw. entsandten Kommission. 5 charakteristischen Mikroorganismen der ersten Bedingung, welche bei der Erforschung einer Infektionskrankheit zu erfüllen ist. Genüge geleistet und damit der weiteren For- schung ein bestimmtes Ziel gesteckt ist. Ew. Exzellenz wollen aus der gehorsamst gegebenen Darlegung hochgeneigtest entnehmen, daß die Kommission in der Lösung der ihr gestellten Aufgabe in Alexandrien nicht weiter zu gelangen vermag, als bisher geschehen ist. Es würde nunmehr die Frage an die Kommission herantreten, ob nicht an einem anderen von der Cholera heimge- svichten Orte Ägyptens die Untersuchungen fortzusetzen sind. Dem stellen sich aber unüberwindliche Hindernisse entgegen. In allen größeren Städten Ägyptens ist die Cholera bereits ganz erloschen. Nur in den Dörfern Oberägyptens macht die Epidemie noch einige Fortschritte. Durch Vermittelung des deutschen Konsulats wurde des- wegen eine Anfrage an den Ministerpräsidenten Cherif Pascha gerichtet, ob es möglich sei, in den von der Cholera befallenen Dörfern Material für die Untersuchung zu ge- winnen. Die hierauf erteilte telegraphische Antwort lautete aber folgendermaßen : Je ne puis conseiller ä Monsieur le Dr. Koch de se rendre dans les villages pour faire des autopsies, il est meme de mon devoir de Ten dissuader, car elles pourraient donner lieu ä de graves complications. Da überdies von zuverlässigen und des Landes kundigen Persönlichkeiten eben- falls versichert wurde, daß es unmöglich sei, in ägyptischen Dörfern Leichen zur Sektion zu bekommen, so mußte darauf verzichtet werden, dem Lauf der Cholera Nil aufwärts zu folgen. Auch in Syrien scheint die C*holera gegen alle Erwartung keinen Fuß gefaßt zu haben. Da die im Gange befindlichen LTntersuchungen nur noch für ungefähr 2 Wochen Beschäftigung verschaffen können, so werden die Arbeiten wegen Mangel an geeignetem Material alsdann vox'läufig unterbrochen werden müssen. Die Kommission ist aber von dem lebhaften Wunsche beseelt, das begonnene Werk fortzusetzen und womöglich auch die ihr gestellte Aufgabe zu lösen. Sie würde es schmerzlich empfinden, wenn die bis jetzt gewonnenen Resultate fruchtlos bleiben sollten. Die einzige Möglichkeit zur Fortsetzung der Untersuchung bietet sich zurzeit in Indien, wo in mehreren großen Städten, insbesondere in Bombay, die Cholera noch in einem Umfange herrscht, daß ein baldiges Aufhören derselben nicht zu erwarten ist. Auch würde sich dort unzweifelhaft der Anschluß an ein Hospital, welcher sich in Alexan- drien so sehr vorteilhaft erwiesen hat, am ehesten bewerkstelligen lassen. Ew. Exzellenz hochgeneigtem Ermessen stelle ich demgemäß ganz gehorsamst anheim, ob unter den obwaltenden Verhältnissen die Fortsetzung der Untersuchungen in Indien statthaben soll, und stelle ich mich, wenn Ew. Exzellenz für die Ausdehnung der Expedition nach Indien sich hochgeneigtest entschließen, zur Führung derselben auch ferner ganz ge- horsamst zur Verfügung. Auch die beiden ärztlichen Mitglieder der Expedition, die Stabsärzte Herr Dr. G a f f k y und Herr Dr. Fische r, sind bereit, sich an einer der- artigen weiteren Expedition zu beteiligen. Auf die Hilfe des Chemikers Herrn T r e s k o w, welche bei der Einrichtung und dem bisherigen Betriebe des Laboratoriums unent- behrlich war, würde ich für diesen Fall Verzicht leisten können. Ganz gehorsamst habe ich noch über weitere Arbeiten, welche die Kommission neben ihren LTntersuchungen über die Cholera auszuführen Gelegenheit fand, zu berichten. Ägypten ist sehr reich an parasitischen und ansteckenden Krankheiten, und es fiel daher nicht schwer, teils zum kontrollierenden Vergleich mit den bei der Cholera gewonnenen Resultaten, teils um über wichtige die Infektionskrankheiten betreffende allgemeine Fragen weitere Aufschlüsse zu gewinnen, geeignete Untersuchungsobjekte zu erhalten. Q Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cholera usw. entsandten Kommission. So habe ich bisher zwei Fälle von Dysenterie seziert. In dem einen, welcher akut verlaufen war, fanden sich in der erkrankten Darmschleimhaut eigentümliche Parasiten, welche nicht zur Gruppe der Bakterien gehören und bis dahin unbekannt waren. Dann sezierte ich im arabischen Hospital einen an Darmmilzbrand gestorbenen Araber. Die Erkrankung desselben ist wahrscheinlich auf eine Infektion durch Schafe zurückzuführen, welche aus Syrien in großer Zahl nach Ägjrpten importiert werden und hier massenhaft an Milzbrand fallen. Ferner bot sich die Gelegenheit im Griechischen Hospital sechs Fälle von biliösem Tj^hus zu beobachten, einer Krankheit, welche die größte Ähnlichkeit mit Gelbfieber besitzt, mit letzterem schon mehrfach verwechselt wurde und deswegen von größtem Interesse ist. Drei von diesen Kranken starben. Dieselben sind ebenfalls von mir seziert und sollen eingehend untersucht werden. Außerdem sind wiederholt Untersuchungen über Mikroorganismen in der Luft und im Trinkwasser von Alexandrien angestellt. Wenn noch Zeit dafür zu erübrigen ist, beabsichtige ich auch über die ägyptische « Augenentzündung Beobachtungen zu machen. In bezug auf die finanziellen Verhältnisse der Expedition bemerke ich ganz ge- horsamst, daß von dem beim Generalkonsulat in Alexandrien eröffneten Kredit bis zum heutigen Tage 2000 Mark erhoben, und damit alle Anschaffungen für die Einrichtung des Laboratoriums und sämtliche für den Unterhalt der Kommission erforderlichen Ausgaben bestritten sind. Die Arbeiten der Kommission, welche an und für sich recht anstrengend und zum größten Teil auch sehr unangenehmer Art sind, waren infolge der hohen Temperatur, welche hier herrscht, doppelt beschwerlich. Bis jetzt litt es der Gang der Untersuchungen nicht, daß sie auch nur einen Tag unterbrochen werden konnten. Trotzdem erfreuen sich sämtliche Mitglieder bis auf geringe in den klimatischen Verhältnissen begründete und schnell vorübergehende Unpäßlichkeiten eines guten Ge- sundheitszustandes. Sobald eine Unterbrechung der Arbeiten zulässig ist, halte ich es indessen für notwendig, eine Erholungspause von einigen Tagen eintreten zu lassen. Vorbehaltlich der von Ew. Exzellenz hochgeneigtest zu erteilenden Genehmigung be- absichtige ich teils zum Zwecke der Erholung, teils um den Hauptkrankheitsherd der Cholera in Ägypten zu besuchen und über das Verhalten der Krankheit daselbst Nach- forschungen anzustellen, die Kommission auf einige Tage nach Kairo zu führen. Ew. Exzellenz bitte ich schließlich ganz gehorsamst über die weitere Führung der Expedition hochgeneigtest mir Instruktion erteilen zu wollen. Suez, den 10. November 1883. Über die Tätigkeit der Kommission seit meinem letzten Bericht (dat. Alexandrien, den 17. September) habe ich folgendes zu berichten: Trotzdem nur noch vereinzelte Cholerafälle vorkamen, fügte es der ZufaU, daß noch die Sektion einer Choleraleiche im europäischen Hospital gemacht werden konnte, wobei in bezug auf das Vorkommen der Bazülen in der Darmschleimhaut derselbe Be- fund, wie in den früheren Fällen, erhalten wurde. Mit dem Darminhalt dieser Leiche, sowie mit den bis dahin gesammelten ander- weitigen Flüssigkeiten von Cholerakranken und Choleraleichen wurden die Infektions - versuche mit den verschiedensten Modifikationen fortgesetzt. Namentlich wurde ver- sucht, durch unmittelbare und möglichst hoch hinaufgebrachte Injektion in den Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cholera usw. entsandten Kommission. 7 Mastdarm der Versuchstiere, ferner durch Vermischen jener Substanzen mit Erde oder Wasser, Eintrocknen an Zengstoffen und einige Zeit später erfolgende Verfütterung an Affen, Hunde, Mäuse und Hühner eine Infektion zu erzielen. Aber alle diese Ver- suche blieben ebenso wie die früheren erfolglos. Nachdem diese Arbeiten ihren Abschluß gefunden hatten und nicht mehr zu er- warten war, daß noch weitere Gelegenheit zur Sektion von Choleraleichen sich bieten würde, begab sich die Kommission am 16. Oktober nach Kairo. Die Instrumente, Appa- rate und gesammelten pathologischen Objekte wiu'den, soweit sie für die Fortsetzung der Untersuchungen erforderlich waren, wohlverpackt nach Suez als Frachtgut vor- ausgesandt, um von da bei der Weiterreise nach Indien mitgeführt zu werden. — Während des Aufenthaltes der Kommission in Kairo wvu'de von Alexandrien eine nochmalige Zunahme der Epidemie gemeldet. Doch erschien die Rückkehr nach Alexandrien nicht zweckmäßig, weil sich voraussehen ließ, daß das neue Auflodern der Epidemie nicht erheblich und nur von kurzer Dauer sein würde. Außerdem hatten sich die Herren Dr. Schieß B e y und Dr. K a r t u 1 i s in Alexandrien mit sehr dankenswerter Bereitwilligkeit erboten, noch etwa vorkommendes Sektionsmaterial zu sammeln. Dies ist inzwischen geschehen, und ich habe von den genannten Herren von acht weiteren Choleraleichen die zur Untersuclnnig notwendigen Objekte erhalten. Als denjenigen Platz in Indien, welcher für die Fortsetzung der Untersuchungen am meisten geeignet schien, hatte ich anfangs Bombay in Aussicht genommen, Aveil daselbst im August und in der ersten Hälfte des September noch zahlreiche Cholera- todesfälle vorgekommen waren. Seitdem hat aber die Epidemie dort rapide abgenommen und ist anscheinend jetzt ganz erloschen. Nach dem Urteil verschiedener mit den indischen Verhältnissen vertrauter englischer Beamten wurde mir unter diesen Umständen Kal- kutta als die für die Zwecke der Kommission geeignetste Stadt bezeichnet, weil daselbst die Cholera beständig mehr oder weniger herrscht. Durch diese Mitteilungen wurde ich veranlaßt, Ew. Exzellenz um die Genehmigung zur Reise der Kommission nach Kalkutta gehorsamst auf telegraphischem Wege zu bitten. Bevor die Kommission Ägypten verließ, hielt ich es jedoch für unerläßlich, einige Fragen, welche für die Abwehr der Cholera von der größten Wichtigkeit sind, noch einem eingehenden Studium zu unterwerfen. Es handelte sich zunächst darum, ob die von mehreren Seiten und mit großem Nachdruck aufgestellte Behauptung richtig ist, daß die diesjährige Choleraepidemie Ägyptens nicht von Indien importiert, sondern im Lande selbst entstanden sei, und daß also in Zukunft in bezug auf die Produktion dieser gefährlichen Seuche Ägyj^ten mit Indien auf die gleiche Stufe gestellt werden müsse. Um hierüber ein Urteil zu ge- winnen, hat sich die Kommission noch von Alexandrien aus am 6. Oktober nach Damiette begeben, wo die Epidemie ihren Anfang gehabt hatte, und hat während mehrerer Tage dort die sorgfältigsten Untersuchungen über den Ursprung der Seuche angestellt. Über das gewonnene Resultat behalte ich mir ausführlichen Bericht vor. Weit wichtigere Fragen noch waren die über die Wirksamkeit der Quarantäne und die Verschleppung der Cholera durch die nach und von Mekka gehenden Pilger. Auch hiermit hatte sich die Kommission noch während ihres Aufenthaltes in Alexandrien beschäftigt und die Einrichtiuigen der Quarantäneanstalten in Gabarri und Mex bei Alexandrien, sowie der an der Mündung des östlichen Nilarmes bei Damiette liegenden Anstalt eingehend beschäftigt. Als aber in den letzten Wochen der Ausbruch der Cholera unter den in Mekka befindlichen Pilgern gemeldet, und die Bestimmung getroffen wurde daß die von Djeddah 8 Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erforschiung d. Cholera usw. entsandten Kommission. kommenden Pilger in Tor Quarantäne halten sollten, bot sich hiermit eine so überaus günstige Gelegenheit zur Information über diese wichtigen Verhältnisse, daß ich mich für verpflichtet hielt, dieselbe nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen. — Da jedoch keine regelmäßige Verbindung mit den ägyptischen Quarantäneplätzen am Roten Meere besteht, so blieb nichts übrig, als die Vermittelung der ägyptischen Regierung in An- spruch zu nehmen, um der Kommission den Besuch der Quarantänehäfen zu ermög- lichen. Auf eine vom deutschen Generalkonsulat ergangene Anfrage erbot sich Seine Hoheit der Khedive auch sofort, der Kommission den nach Tor mit Ausrüstungsgegen- ständen für das Quarantänelager gehenden Dampfer ,,Damanhur" für jenen Zweck zur Verfügung zu stellen, ein Anerbieten, welches dankbarst angenommen wurde. An- fänglich hoffte die Kommission diese Reise in der Weise ausführen zu können, daß sie nach dem Besuch von Tor und El Wedj an der Küste des Roten Meeres südlich nach Djeddah gegangen wäre und dort den Anschluß an eine der indischen Dampferlinien erreicht hätte. Dies ging jedoch nicht, weil die Kommission in Djeddah sich einer längeren Quarantäne hätte unterwerfen müssen und damit zu viel Zeit verloren hätte. Sie mußte daher von El Wedj nach Suez zurückkehren, um eine Fahrgelegenheit zu finden. — Am 30. Oktober begab sich die Kommission von Kairo nach Suez, am 31. Oktober fuhr sie nach Tor, am 2. November von da nach El Wedj und kehrte am 7. November abends nach Suez zurück, nachdem sie auf dem Rückwege dem Quarantänelager der Pilger in Tor einen nochmaligen Besuch abgestattet und schließlich noch die Quarantäne an den Mosesquellen bei Suez besichtigt hatte. Dieser Ausflug ist für die Kommission im höchsten Grade lehrreich gewesen. Es bot sich nämlich die Gelegenheit, beim ersten Besuch von Tor das für den Empfang der Pilger hergerichtete, aber noch unbelegte Quarantänelager zu sehen. An demselben Tage lief dann noch ein mit fast 500 Pilgern besetztes Dampfschiff des österreichischen Lloyd in den Hafen von Tor ein. Nach Angabe des Schiffsarztes war alles gesund an Bord. Aber beim Ausschiffen der Pilger und bei ihrer Überführung in das Zeltlager, was beides in Gegenwart der Kommission stattfand, zeigten sich schon einige Pilger schwer krank und der Cholera verdächtig, so daß sie sofort in das Quarantänelazarett geschickt werden mußten. Beim zweiten Besuch von Tor fand die Kommission noch ein zweites Pilger- schiff angekommen, dessen Pilger bereits gelandet waren. In beiden Zeltlagern war inzwischen die Cholera ausgebrochen; die Pilger des ersten Schiffes hatten drei Todes- fälle, diejenigen des zweiten Schiffes einen Todesfall an Cholera und entsprechend viele Erkrankungen. Bei der Anwesenheit der Kommission im Lazarett wurden eine Cholera- leiche und mehrere die charakteristischen Symptome der Krankheit bietende Kranke angetroffen. Im übrigen hat sich die Kommission bemüht, bei der Besichtigung der Quarantäneanstalten von El Wedj, Tor, bei den Mosesquellen und der Sanitätsanstalt in Suez einen möglichst tiefen Einblick in diese, für die Verschleppung der Cholera nach Europa so wichtigen Verhältnisse zu gewinnen, und glaubt sich sowohl durch eigene Untersuchungen als auch durch die bei den Beamten der Quarantäneanstalten und den Pilgern eingezogenen Erkundigungen in den Stand gesetzt, Ew. Exzellenz demnächst eine auf eigene Anschauung begründete und zuverlässige Beurteilung darüber liefern zu können. Erwähnt möge noch werden, daß auch die Kommission bei ihrer Rückkehr nach Suez mitsamt den Reiseeffekten eine Desinfektionsprozedur durchmachen mußte. Neben diesen unmittelbar mit der Cholera sich beschäftigenden Untersuchungen hat die Kommission ihre Forschungen über die damit im Zusammenhange stehenden Fragen, wie Wasserversorgung und Filtration des Wassers, Einfluß des Fallens und Steigens des Nils auf den Gang der Epidemie, Begräbnis wesen, Verunreinigung des Bodens durch Latrinen, meteorologische Verhältnisse usw. fortgesetzt. Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cholera usw. entsandten Kommission. 9 Außerdem wurden in Alexandrien noch zahlreiche Sektionen gemacht und dabei wertvolle Beobachtungen gesammelt über Dysenterie, über das Vorkommen von Tuber- kulose in Ägypten, ferner über Parasiten, welche im Blute der Pfortader leben (Distomum haematobium) und einen sehr häufigen Leichenbefund in Ägypten bilden. Auch bot sich Gelegenheit, noch andere wichtige durch Parasiten (Anchylostomum duodenale, Filaria sanguinis hominis) bedingte Krankheiten zu sehen. Ferner wurden fast 50 an der ägyptischen Augenkrankheit leidende Patienten untersucht und gefunden, daß mit dem Namen dieser Krankheit zwei verschiedene Krankheitsprozesse belegt werden. Der eine, welcher bösartiger verläuft, ist durch eine Bakterienart veranlaßt, welche den Gonorrhoemikrokokken gleicht und höchst wahrscheinlich damit identisch ist. Bei dem zweiten, weniger gefährlichen Prozesse finden sich regelmäßig in den Eiterkörperchen sehr kleine Bazillen. Die Rinderpest ist in Unterägypten in den letzten Monaten noch fortwährend, wenn auch nur vereinzelt, vorgekommen. Die Kommission hat sich infolgedessen viel- fach bemüht, auch diese Krankheit aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Leider waren aber alle Versuche, rinderpestkranke Tiere oder deren Kadaver zu erhalten, ver- geblich. Bei der Abreise aus Ägypten fühle ich mich verpflichtet, im Namen der Kommission die Umsicht und Sachkenntnis, mit welcher der Vertreter des deutschen Generalkon- sulats die Kommission bei jeder Gelegenheit unterstützt hat, in dankbarster Anerkennung hervorzuheben. Auch die ägyptische Regierung, für welche sich anfangs weniger Ge- legenheit bot, der Kommission für die Erreichung ihrer Zwecke förderlich zu sein, hat sich für die LTntersuchungen über die Entstehung der Cholera in Damiette und für das Studium der Quarantäneanstalten seitens der Kommission lebhaft interessiert und diese Arbeiten durch an ihre Behörden gerichtete Empfehlungen in jeder Beziehung unterstützt. Ganz besonders fühlt sich aber die Kommission noch Seiner Hoheit dem Khedive dafür zum aufrichtigsten Danke verpflichtet, daß derselbe ihr die Gelegenheit zu dem so sehr wichtigen Besuche der ägyptischen Quarantänehäfen gewährt hat. Kalkutta, den Ki. Dezember 1883. Die mit der Untersuchung über Cholera beauftragte Kommission ist am 11. De- zember in Kalkutta eingetroffen. Die Ankunft derselben erfolgte gerade beim Abgange der Post, so daß diese Meldung erst mit der nächsten, acht Tage später abgehenden Post geschehen konnte. Hierdurch ist es allerdings auch ermöglicht, Ew. Exzellenz bereits über den Beginn der Tätigkeit der Kommission in Kalkutta berichten zu können. Die Kommission reiste am 13. November mit dem englischen Dampfer ..Clan Buchanan" von Suez ab und erreichte Kalkutta am 11. Dezember. Das Schiff hatte in Kolombo einen Aufenthalt von 3^2 Tagen und in Madras von fast 2 Tagen. Diese Gelegenheit hat die Kommission benutzt, um sich über die sanitären Verhältnisse dieser Orte, sowie über ihr Verhalten zur Cholera zu informieren, soweit dies bei der kurzen Dauer des Aufenthaltes möglich war. In Kolombo wurde keine Cholera angetroffen ; den erhaltenen Mitteilungen zufolge soll die Insel Ceylon überhaupt seit etwa 5 Jahren ganz frei von Cholera gewesen sein und keineswegs, wie mehrfach angenommen ist, zu den endemischen Choleraherden gehören. In Madras herrscht dagegen augenblicklich die Cholera, in der Stadt selbst anscheinend in mäßigem Grade, dagegen heftig in einigen Städten des südlichen Teiles der Präsidentschaft, hauptsächlich in Madura und Tanjore. 10 Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cholera usw. entsandten Konmiission. In den von der Kommission besuchten Hospitälern der Stadt Madras wurden zwar keine Cholerakranke angetroffen, aber es bot sich die erwünschte Gelegenheit, die Einrichtung des Gefängnisses zu besichtigen, sowie Erkundigungen über die Wasserversorgung und Kanalisation dieser Stadt, welche in der Geschichte der Cholera eine bedeutende Rolle spielt, einzuziehen. Außerdem erhielt die Kommission von dem mit den Choleraverhält- nissen durch langjährige Erfahrung vertrauten Sanitary Commissioner Dr. F u r n e 1 1 sehr wertvolle Mitteilungen über das Verhalten der Cholera in der Präsidentschaft Madras, so daß der Aufenthalt in Madras ein für die Zwecke der Kommission sehr nütz- licher war. Bei der Ankunft in Kalkutta wurde die Kommission vom deutschen Konsul emp- fangen und am folgenden Tage zum Surgeon General with the Government of India Dr. J. M. C u n i n g h a m begleitet. Dieser nahm die Kommission in sehr liebenswürdiger Weise auf und sicherte derselben die möglichste Unterstützung sowohl in bezug auf Beschaffung der erforderhchen Arbeitsräume als die Verfügung über die in die Hospitäler Kalkuttas gelangenden Cholerafälle zu. Er führte die Kommission nach dem Medical College Hospital, woselbst vorzüglich geeignete, mit Gas- und Wasserleitung versehene Arbeitsrävime ausgesucht und der Komniission zur Verfügung gestellt wurden. Am 13. Dezember konnte die Einrichtung des Laboratoriums ausgeführt und, da ein Cholera- fall ins Medical College Hospital eingeliefert war, auch sofort mit den Arbeiten begonnen werden. Am 14. Dezember konnte bereits die Sektion einer vom General Hospital nach dem Medical College Hospital gesandten Choleraleiche und am nächsten Tage die Sek- tion von zwei weiteren Choleraleichen im Sealdah Hospital vorgenommen werden. Mit dem hierdurch gewonnenen sehr reichlichen und für die in Aussicht genommenen Experi- mente vorzüglich geeigneten Material sind eine Anzahl Versuche in Gang gesetzt, und die Kommission befindet sich wieder in voller Tätigkeit. Gegen Ende des November hatte die Zahl der Choleratodesfälle in Kalkutta ihr Minimum erreicht; seitdem ist sie jedoch wieder im Zunehmen begriffen, und nach dem Urteil der hiesigen Ärzte werden in der nächsten Zeit stets so viele Cholerafälle in die Hospitäler gelangen, daß es der Kommission an Untersuchungsobjekten nicht fehlen wird. Sehr wesentlich ist es auch, daß sich der Obduktion von Choleraleichen in den hiesigen Hospitälern anscheinend gar keine Schwierigkeiten entgegenstellen, und daß die Obduktionen frühzeitig genug nach dem Tode vorgenommen werden können, um durch Fäulnis bedingte Störungen in der Untersuchung auszuschließen. In Berück- sichtigung aller dieser Umstände bin ich davon überzeugt, daß in betreff des Ortes zur Fortsetzung der Untersuchungen über Cholera keine bessere Wahl getroffen werden konnte. Die ferneren Aufgaben, welche die Kommission in Hinblick auf die Gewinnung praktisch verwertbarer Resultate zu erledigen haben wird, habe ich zusammengestellt und erlaube mir dieselben Ew. Exzellenz im nachstehenden vorzulegen. I. Mikroskopische Untersuchung eines möglichst zahlreichen Obduktionsmaterials zur Erweiterung und zur Prüfung der in Ägypten erhaltenen Befunde über das Vor- kommen von Bazillen in der Darmschleimhaut von Choleraleichen. Insbesondere auch Versuche über spezifische Eigenschaften dieser Bazillen in mikroskopischer Beziehung, um eine sichere Unterscheidung derselben von anderen, in Gestalt und Größe ähnlichen Bazillen zu gewinnen. II. Nachforschungen über das Vorkommen von Cholera bei Tieren. Wieder- aufnahme der Infektionsversuche mit Cholerastoffen an verschiedenen Tiergattungen; namenthch auch mit Methoden, welche bisher noch nicht benutzt wurden, z. B. direkte Injektion in den Darm. Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cliolera usw. entsandten Kommission. H III. Gewinnung von Reinkulturen der im Darm der Choleraleichen gefundenen Bazillen und Benutzung dieser Reinkulturen zu Infektions versuchen an Tieren. IV. Bestimmung der biologischen Eigenschaften dieser Bazillen, insbesondere Sporenbildung, Lebensdauer, Verhalten in verschiedenen Nährmedien und bei ver- schiedenen Temperaturen . V. Desinfektionsversuche, um die Bazillen im Wachstum zu behindern resp. zu vernichten. VI. Untersuchung von Boden, Wasser und Luft in ihren Beziehungen zum Cholera- infektionsstoff, namentlich in bezug auf die Frage, ob derselbe in den endemischen Cholera- gebieten unabhängig vom menschlichen Körper, beispielsweise an bestimmte Zersetzungs- vorgänge im Boden gebunden, existieren kann. VII. Spezielle Nachforschungen über die Cholera Verhältnisse in Indien, und zwar: a) Zusammenhang der Cholera in den endemischen Gebieten mit besonderen Eigen- tümlichkeiten der daselbst lebenden Bevölkerung und ihrer Umgebung. b) Choleraausbrüche in Gefängnissen, unter Truppen, auf Schiffen. c) Verhältnisse der im endemischen Gebiete der Cholera am meisten heimgesuchten, sowie der von der Krankheit verschonten Plätze. d) Art und Weise der Verschleppung der Cholera über die Grenzen des endemischen Gebietes und die Wege, auf welchen die Verschlejjpung sowohl in Indien, als über die Grenzen Indiens hinaus stattfindet. (Die Kommission hat hierbei besonders die Be- förderung der Infektion diu'ch gewisse religiöse Gebräuche und die Ausbreitung der Ivi-ankheit durch das Pilgerwesen im Auge, ferner die Verbreitung durch Schiffahrt mid auf Handelsstraßen.) e) Die in Indien bewährt gefundenen Maßregeln zur Verminderung der Cholera in Gefängnissen und unter den Truppen und die Bedingungen, unter denen in einigen indischen Städten, wie Madras, Pondichery, Guntur, Kalkutta, eine auffallende Ab- nahme der Cholerasterblichkeit stattgefunden hat. Die Kommission beabsichtigt für den Fall, daß die Untersuchungen über die mikro- skopischen Erreger der Cholera nicht zu dem Grade der Sicherheit gelangen, um prak- tischen Maßnahmen zugrunde gelegt werden zu können, den unter VII aufgeführten Punkten eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen, um Ew. Exzellenz demnächst praktisch verwertbare Vorschläge zur Abhaltung resp. zur Minderung der Cholera- gefahr für das Deutsche Reich unterbreiten zu können. Kalkutta, den 7. Januar 1884. Ew. Exzellenz beehre ich mich im Verfolg meines Berichtes vom 16. Dezember v. J. über die Tätigkeit der Cholerakommission in Kalkutta ganz gehorsamst ferneren Be- richt zu erstatten. Die Kommission hatte sich der regen Teilnahme und besten U^nterstützung seitens der hiesigen Behörden und Hospital vorstände zu erfreuen. Fast sämtliche in den Hospi- tälern der Stadt zur Sektion kommenden C-holeraleichen konnten für die Untersuchung verwertet werden. Bis jetzt ist von insgesamt 9 Sektionen und außerdem von 8 Cholera- kranken Material gesammelt. Die einzelnen Fälle folgten in ziemlich gleichmäßigen Zeiträumen, so daß gerade hinreichend Zeit blieb, um die Untersuchung derselben nacli allen Richtungen hin diu'chführen zu können. Mehrere Fälle, welche nach sehr kurzem Verlauf und ohne jede Komplikation mit anderen Kranklieitszuständen tödlich geendet hatten, lieferten, da sie überdies sehr bald nach dem Tode seziert werden konnten, aus- 12 Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cholera usw. entsandten Kommission. gezeichnete Untersuchungsobjekte. Diesen günstigen Verhältnissen ist es zu verdanken, daß die Kommission bereits wesenthche Fortschritte in der Lösung der ihr gestellten Aufgabe machen konnte. Zunächst bestätigte die mikroskopische Untersuchung auch in allen diesen Fällen das Vorhandensein derselben Bazillen im Choleradarm, wie sie in Ägypten gefunden waren. In meinem gehorsamsten Bericht vom 17. September v. J. mußte ich es indessen noch unentschieden lassen, ob diese Bazillen nicht wie so viele andere Bakterien zu den regelmäßigen Parasiten des menschlichen Darmes gehören und nur unter dem Ein- flüsse des Krankheitsprozesses der Cholera in die Schleimhaut des Darmes einzudringen vermögen. Es fehlte damals noch an Merkmalen, um diese Bazillen von sehr ähnlich geformten anderen Darmbazillen unterscheiden zu können. Dieser Mangel ist nun aber glücklicherweise beseitigt. Denn mit Hilfe der im Gesundheitsamte ausgebildeten Me- thoden, welche sich auch bei dieser Gelegenheit vorzüglich bewährt haben, gelang es, aus dem Darminhalt der reinsten Cholerafälle die Bazillen zu isolieren und in Rein- kulturen zu züchten. Die genaue Beobachtung der Bazillen in ihren Reinkulturen führte dann zur Auffindung von einigen sehr charakteristischen Eigenschaften bezüglich ihrer Form und ihres Wachstums in Nährgelatine, wodurch sie mit Sicherheit von anderen Bazillen zu unterscheiden sind. Damit waren nun aber die Mittel an die Hand gegeben, um die Frage definitiv zu entscheiden, ob diese Bazillen zu den gewöhnlichen Bewohnern des Darmes gehören, oder ob sie ausschließlich im Darm der Cholerakranken vorkommen. Zuerst wurden mit Hilfe der Gelatinekulturen ebenfalls die Bazillen in den Dejek- tionen der Cholerakranken und im Darminhalt der Choleraleichen nachgewiesen, und zwar gelang dies in sämtlichen hier untersuchten Fällen. Dann aber wurde der Darm- inhalt anderer Leichen in gleicher Weise untersucht, und es stellte sich heraus, daß die Bazillen des Choleradarmes stets fehlten. Bis jetzt sind 8 Leichen von an Pneumonie, Dysenterie, Phthisis, Nierenleiden Verstorbenen untersucht. Ferner wurde der Darm- inhalt von verschiedenen Tieren, sowie andere bakterienreiche Substanzen darauf ge- prüft, aber bislang nirgendwo den Cholerabazillen gleichende Bakterien angetroffen. Wenn sich dieser Befund auch im weiteren Verlaufe als ein ganz konstanter herausstellen soUte, dann wäre damit ein sehr wichtiges Resultat gewonnen. Denn wenn diese mit spezifischen Eigenschaften begabten Bazillen ganz ausschließlich dem Choleraprozeß angehören, dann würde der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Auftreten dieser Bakterien und dem Choleraprozeß kaum noch einem Zweifel unterliegen können, selbst wenn die Reproduktion der Krankheit an Tieren nicht gelingen sollte. Aber auch in dieser letzteren Beziehung scheinen sich die Verhältnisse günstig zu gestalten, da in letzter Zeit einige der mit Tieren angestellten Experimente Resultate gegeben haben, welche weitere Erfolge hoffen lassen. Neben diesen Arbeiten hat sich die Kommission noch damit beschäftigt, sich über das höchst interessante und wichtige Verhalten der Cholera in der Stadt Kalkutta mög- lichst zu informieren. In Städten außerhalb Indiens, welche nur in längeren Zeiträumen der Cholerainfektion ausgesetzt sind, kann der Einfluß, welchen sanitäre Verbesserungen, z. B. Zufuhr von gutem Trinkwasser, Bodendrainage und dergleichen, auf die Cholera ausüben, nicht mit Sicherheit bestimmt werden, da das einmalige oder selbst wieder- holte Verschontbleiben eines solchen Ortes immer noch durch Zufälligkeiten bedingt sein kann. Dagegen muß in Städten, welche wie Kalkutta alljährlich eine beträchtliche CholeramortaHtät haben, jede Maßregel, welche der Cholera erfolgreich entgegenwirkt, eine mehr oder weniger bemerkbare und andauernde Herabsetzung der Mortalitätsziffer zur Folge haben. Nun hat aber in Kalkutta in der Tat seit dem Jahre 1870 die Cholera plötzhch in ganz auffallender Weise abgenommen. Vor 1870 war die alljährliche Cholera- Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cholera usw. entsandten Kommission. 13 Sterblichkeit in Kalkutta durchschnittlich 10,1 auf 1000 Einwohner. Seit 1870 ist sie auf 3, also um mehr als das Dreifache herabgegangen. Es ist dies eine Tatsache, welche die höchste Beachtimg verdient und zu Fingerzeigen für die erfolgreiche Bekämpfung der Krankheit führen muß. Nach dem fast einstimmigen Urteil der hiesigen Ärzte ist die Abnahme der Cholera allein der Einführung einer Trinkwasserleitung zuzuschreiben. Es wird eine wichtige Aufgabe der Kommission sein, hierüber durch eigene Anschauung und eigenes Studium ein selbständiges Urteil zu gewinnen. Zu diesem Zwecke hat die Kommission sowohl die Wasserwerke als auch die Kanalisationseinrichtungen von Kal- kutta besichtigt. Auch ist eine Anzahl Proben des Flußwassers vor und nach der Filtration in den Wasserwerken von Pultah untersucht und das der Stadt zugeführte Trinkwasser als von vorzüglicher Beschaffenheit gefunden. Aus medizinischen Zeitschriften habe ich ersehen, daß die zur Erforschung der Cholera nach Ägypten gesandte französische Kommission in dem von ihr erstatteten Berichte angibt, zu anderen Resultaten, als den von mir gehorsamst gemeldeten gelangt zu sein und im Blute Organismen gefvuiden zu haben, welche der Cholera eigentümlich sein sollen. Es könnte hiernach scheinen, daß die deutsche Kommission sich in ihren Forschungen auf einem falschen Wege befindet, und ich halte es deswegen für geboten, Ew. Exzellenz ganz gehorsamst meine Ansichten über jene Angaben darzulegen. Es kommen im Blute des gesunden Menschen neben roten und weißen Blutkörper- chen kleine rundliche blasse Formelemente, die sogenannten Blutplättchen, in wechseln- der Zahl vor. In manchen fieberhaften Krankheiten, z. B. Flecktyphus, Pneumonie, sind diese Gebilde sehr vermehrt, und sie sind wegen ihrer Ahnliclikeit mit Mikroorga- nismen schon mehrfach für Bakterien gehalten. Auch im Blute der Cholerakranken und Choleraleichen sind sie fast regelmäßig vermehrt, wie wir in den von uns unter- suchten Cholerafällen ebenfalls konstatieren konnten. Diese Tatsache ist übrigens nicht neu, sondern bereits von früheren Forschern erwähnt. Beispielsweise ist von D. D. Cunningham in seiner Schrift: ,,Microscopical and physiological researches into the nature of the agent producing cholera" schon im Jahre 1872 eine recht gute Abbildung dieser Formelemente des Cliolerablutes gegeben. Da nun selbst die bewährtesten Unter- suchungsmethoden im Cholerablute keine anderen Gebilde erkennen lassen, welclie bakterienähnlich sind, und da die von der französischen Kommission gegebene Be- schreibung auf die erwähnten Blutplättchen in jeder Beziehung paßt, so kann ich nicht anders annehmen, als daß die französische Kommission in denselben Irrtum wie vor ihr andere Forscher gefallen ist und die Blutplättchen für sj^ezifische Organismen ge- halten hat. Irgend einen ätiologischen Zusammenhang mit der Cholera können diese Blutplättchen schon aus dem Grunde nicht haben, weil sie, wie bereits erwähnt ist, auch im Blute gesunder und solcher Menschen vorkommen, welche an anderen Krank- heiten leiden. Kalkutta, den 2. Februar 1884. Die in meinon letzten Berichte vom 7. Januar er. noch unentschieden gelassene Frage, ob die im Choleradarm gefundenen Bazillen ausschließlich der Cholera angehörige Parasiten sind, kann nunmelir als gelöst angesehen werden. Es war anfangs außerordentlich schwierig wegen der ungleichen Verhältnisse, luiter welchen die pathologischen Veränderungen im Choleradarm sich darbieten, und wegen der großen Zahl der stets im Darm vorhandenen Bakterien das Richtige her- auszufinden. In den meisten Fällen erfolgt nämlich der Tod nicht auf der eigentlichen 14 Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erfprschimg d. Cholera usw. entsandten Koramission. Höhe des Choleraprozesses, sondern in der sich unmittelbar daran schließenden Reak- tionsperiode, in welcher so bedeutende Veränderungen in der Beschaffenheit des Darmes und seines Inhaltes eintreten, daß es unmöglich ist, aus solchen Fällen allein eine klare Vorstellung von dem Choleraprozeß zu gewinnen. Erst wenn man eine Anzahl von un- komplizierten Fällen zu sezieren und frische Erkrankungsfälle damit zu vergleichen Gelegenheit gehabt hat, gehngt es, einen richtigen Einblick in die pathologischen Ver- hältnisse der Cholera zu gewinnen. Aus diesem Grunde war es geboten, in der Deutung der in bezijg auf die Cholerabakterien erhaltenen Befunde die größte Vorsicht walten zu lassen und so lange mit einem bestimmten Urteil über ihr kausales Verhältnis zur Cholera zurückzuhalten, bis die volle Uberzeugung davon gewonnen war. Im letzten Berichte konnte ich bereits gehorsamst mitteilen, daß an den Bazillen des Choleradarmes besondere Eigenschaften aufgefunden wurden, durch welche sie mit aller Sicherheit von anderen Bakterien zu unterscheiden sind. Von diesen Merkmalen sind folgende die am meisten charakteristischen : Die Bazillen sind nicht ganz gerad- linig, wie die übrigen Bazillen, sondern ein wenig gekrümmt, einem Komma ähnlich. Die Krümmung kann mitunter sogar soweit gehen, daß das Stäbchen fast eine halb- kreisförmige Gestalt annimmt. In den Reinkulturen entstehen aus diesen gekrümmten Stäbchen oft s-förmige Figuren und mehr oder wenige lange, schwach wellenförmig gestaltete Linien, von denen die ersteren zwei Individuen und die letzteren einer größeren Zahl der Cholerabazillen entsprechen, die bei fortgesetzter Vermehrung im Zusammen- hange geblieben sind. Sie besitzen außerdem Eigenbewegung, welche sehr lebhaft und am besten in einem am Deckglase suspendierten Tropfen Nährlösung zu beobachten ist ; in einem solchen Präparat sieht man die Bazillen mit großer Geschwindigkeit nach allen Richtungen durch das mikroskopische Gesichtsfeld schwimmen. Ganz besonders charakteristisch ist ihr Verhalten in Nährgelatine, in welcher sie farblose Kolonien bilden, welche anfangs geschlossen sind und so aussehen, als ob sie aus stark glänzenden kleinen Glasbrocken zusammengesetzt sind. Allmählich verflüssigen diese Kolonien die Gelatine und breiten sich dann bis zu einem mäßigen Umfange aus. In Gelatinekulturen sind sie daher durch dies eigentümliche Aussehen mit großer Sicher- heit mitten zwischen anderen Bakterienkolonien zu erkennen und können von diesen auch leicht isoliert werden. Außerdem lassen sie sich auch ziemlich sicher durch die Kultur in hohlen Objektträgern nachweisen, da sie sich immer an den Rand des Tropfens der Nährflüssigkeit begeben und daselbst in ihren eigentümlichen Bewegungen und nach Anwendung von Anilinfarblösungen an der kommaähnlichen Gestalt erkannt werden können. Bis jetzt sind 22 Choleraleichen und 17 Cholerakranke in Kalkutta zur Unter- suchung gelangt. Alle diese Fälle wurden sowohl mit Hilfe der Gelatinekulturen, als auch in mikroskopischen Präparaten, meistens zugleich auch noch durch die Kulturen in hohlen Objektträgern auf das Vorhandensein der spezifischen Bakterien geprüft, und ausnahmslos konnten die kommaähnlichen Bazillen nachgewiesen werden. Dieses Resultat, zusammengenommen mit dem in Ägypten erhaltenen, berechtigt zu dem Schlüsse, daß diese Bakterienart regelmäßig im Choleradarm vorkommt. Zur Kontrolle wurden dagegen ganz in derselben Weise untersucht: 28 andere Leichen (davon 11 Dysenterien), ferner Ausleerungen eines Falles von einfacher Diarrhöe, von Dysenterie und von einem Gesunden nach überstandener Cholera, dann noch ver- schiedene gesunde, sowie an Darmgeschwüren und Pneumonie gestorbene Tiere, schließlich auch mit putriden Massen verunreinigtes Wasser (verschiedene Proben von städtischer Spüljauche, Wasser aus stark verunreinigten Sümpfen, Sumpfschlamm, unreines Fluß- wasser). Es gelang aber nicht ein einziges Mal, weder im Magen oder Darm der Menschen Berichte iib. d. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cholera usw. entsandten Kommission. 15 oder Tierleichen, noch in den Ausleerungen oder in den an Bakterien überaus reichen Flüssigkeiten die Cholerabazillen nachzuweisen. Da durch Arsenikvergiftung ein der Cholera sehr ähnlicher Krankheitsprozeß bewirkt werden kann, so wurde auch ein solcher Versuch angestellt, und ein Tier nach Arsenikvergiftung auf das Vorkommen der Komma- bazillen in den Verdauungsorganen geprüft, aber ebenfalls mit negativem Erfolge. Aus diesen Resultaten ist nun weiter der 8chluß zu ziehen, daß die kommaähnlichen Bazillen ganz allein der Cholera eigentümlich sind. Was nun das Verhältnis dieser Bakterien zur Cholera betrifft, so kann dasselbe, wie in einem früheren Berichte bereits gehorsamst auseinandergesetzt wurde, entweder ein derartiges sein, daß diese spezifische Art von Bakterien in ihrem Wachstum durch den Choleraprozeß lediglich begünstigt wird und sich deswegen in so auffallender Weise mit der Cholera kombiniert, oder daß die Bakterien die Ursache der Cholera sind und die Krankheit nur dann entsteht, wenn diese spezifischen Bakterien ihren Weg in den Darm des Menschen gefunden haben. Die erstere Annahme ist indessen aus folgenden Gründen nicht zulässig. Es muß nämlich vorausgesetzt werden, daß ein Mensch, wenn er cholerakrank wird, diese Art von Bakterien bereits in seinem Verdauungskanal hat, und daß ferner, da diese besonderen Bakterien sowohl in Ägypten als auch in Indien, zwei ganz getrennten Ländern, in einer verhältnismäßig großen Zahl von Fällen aus- nahmslos konstatiert wurden, überhaupt jeder Mensch dieselben besitzen muß. Dies kann aber nicht der Fall sein, denn, wie bereits angeführt wurde, sind die kommaähnlichen Bazillen niemals außer in Cholerafällen gefunden. Selbst bei Darmaffektionen, wie Dysenterie und Darmkatarrh, zu welchen die Cholera besonders häufig hinzutritt, fehlten sie. Auch ist zu berücksichtigen, daß, wenn diese Bakterien so regelmäßig im menschlichen Körper vorhanden wären, sie doch gewiß schon früher das eine oder andere Mal beobachtet wären, was ebenfalls nicht der Fall ist. Da also die Vegetation dieser Bakterien im Darm nicht durch die Cholera bewirkt sein kann, so bleibt nur noch die zweite Annahme übrig, daß sie die Ursache der Cholera sind. Daß dies aber auch in der Tat so ist, dafür spricht noch eine Anzahl anderer Tat- sachen in untrüglicher Weise. Vor allem ihr Verhalten während des Krankheitspro- zesses. Ihr Vorkommen beschränkt sich auf dasjenige Organ, welches der Sitz der Krankheit ist, auf den Darm. Im Erbrochenen konnten sie bisher nur zweimal nach- gewiesen werden, und in beiden Fällen ließ das Aussehen und die alkalische Reaktion der erbrochenen Flüssigkeit erkennen, daß Darminhalt und mit diesem die Bakterien in den Magen gelangt waren. Im Darm selbst verhalten sie sich folgendermaßen. In den ersten Ausleerungen der Kranken finden sich, solange sie noch eine fäkulente Be- schaffenheit haben, nur wenige Cholerabazillen; die dann folgenden wässerigen, geruch- . losen Ausleerungen dagegen enthalten die Bazillen in großer Menge, während dann gleichzeitig alle übrigen Bakterien fast vollkommen verschwinden, so daß die Cholera- baziUen in diesem Stadium der Krankheit nahezu eine Reinkultur im Darm bilden. Sobald der Choleraanfall aber abnimmt und die Ausleerungen wieder fäkulent werden, verschwinden die kommaähnlichen Bakterien in den Ausleerungen allmählich wieder und sind nach dem vollständigen Überstehen der Krankheit überhaupt nicht mehr zu finden. Ganz ähnlich ist auch der Befund in den Choleraleichen. Im Magen wurden keine Cholerabazillen angetroffen. Der Darm verhielt sich verschieden, je nachdem der Tod noch während des eigentlichen Choleraanfalls oder nach demselben eingetreten war. In den fi-ischesten Fällen, in denen der Darm eine gleichmäßige hellrote Färbung zeigt, die Schleimhaut noch frei von Blutergüssen ist und der Darminhalt aus einer weißlichen geruchlosen Flüssigkeit besteht, finden sich die Cholerabazillen im Darm in ganz enormen Massen und nahezu rein. Ihre Verteilung entspricht ganz genau dem 16 Berichte üb. cl. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cholera usw. entsandten Kommission. Grade und der Ausbreitung der entzündlichen Reizung der Darmschleimhaut, indem sie gewöhnlich im oberen Teile des Darmes nicht so zahlreich sind, aber nach dem unteren Teile des Dünndarmes hin zunehmen. Tritt dagegen der Tod später ein, dann finden sich die Zeichen einer bedeutenden Reaktion im Darm. Die Schleimhaut ist dunkel gerötet, im unteren Teile des Dünndarmes von Blutextravasaten durchsetzt und oft in den oberflächlichsten Schichten abgestorben. Der Darminhalt ist in diesem Falle mehr oder weniger blutig gefärbt und infolge der nun wieder eintretenden massenhaften Entwicklung von Fäulnisbakterien von putrider Beschaffenheit und stinkend. Die Cholerabakterien treten in diesem Stadium im Darminhalt immer mehr zurück, sind aber in den schlauchförmigen Drüsen und oft auch in deren Umgebung noch eine Zeit- lang ziemlich reichlich vorhanden, ein Umstand, der zuerst auf das Vorkommen dieser eigentümlichen Bakterien im Darm der ägjrptischen Cholerafälle aufmerksam gemacht hatte. Sie fehlen nvir in solchen Fällen vollständig, welche nach überstandenem Cholera- anfall an einer Nachkrankheit sterben. Die Cholerabakterien verhalten sich also genau so wie alle anderen pathogenen Bakterien. Sie kommen ausschließlich in der ihnen zugehörigen Krankheit vor; ihr erstes Erscheinen fällt mit dem Beginn der Krankheit zusammen, sie nehmen an Zahl dem Ansteigen des Krankheitsprozesses entsprechend zu und verschwinden wieder mit dem Ablauf der Krankheit. Ihr Sitz ist ebenfalls der Ausbreitung des Krankheitsprozesses entsprechend, und ihre Menge ist auf der Höhe der Krankheit eine so bedeutende, daß ihre verderbliche Wirkung auf die Darmschleimhaut dadurch erklärt wird. Es wäre allerdings noch zu wünschen, daß es gelingen möchte, mit diesen Bakterien eine der Cholera analoge Krankheit an Tieren künstlich zu erzeugen, um ihr ursächliches Verhältnis zur Krankheit auch ad oculos zu demonstrieren. Dies ist jedoch noch nicht gelungen, und es muß auch fraglich erscheinen, ob es jemals gelingen wird, weil allem Anscheine nach Tiere für die Cholerainfektion unempfänglich sind. Könnte irgendeine Tierspezies an Cholera erkranken, dann hätte dies in Bengalen, wo während des ganzen Jahres und über das ganze Land hinweg der Cholerainfektionsstoff verbreitet ist, irgend einmal in zuverlässiger Weise beobachtet werden müssen. Aber alle darauf gerichtete Erkundigungen sind negativ ausgefallen. Dennoch kann die Beweiskraft der vorhin angeführten Tatsachen durch das Nicht- gehngen des Tierexperiments nicht abgeschwächt werden. Auch bei anderen Infektions- krankheiten tritt uns dieselbe Erscheinung entgegen, so z. B. beim Abdominaltyphus und bei der Lepra, zwei Krankheiten, denen ebenfalls spezifische Bakterien zukommen, ohne daß es bisher gelungen ist, diese Krankheiten auf Tiere zu übertragen, und doch ' ist die Art und Weise des Vorkommens der Bakterien in diesen Krankheiten eine solche, daß unab weislich die Bakterien als die Ursache der Krankheit angesehen werden müssen. Dasselbe gilt auch von den Cholerabakterien. Übrigens hat das weitere Studium der Cholerabakterien noch mehrere Eigen- schaften derselben erkennen lassen, welche sämtlich mit dem, was über die Cholera- ätiologie bekannt ist, in Einklang stehen, mithin als weitere Bestätigung für die Richtig- keit der Annahme, daß die Bazillen die Choleraursache sind, dienen können. Am bemerkenswertesten in dieser Beziehung ist die wiederholt gemachte Be- obachtung, daß in der Wäsche der Cholerakranken, wenn sie mit den Dejektionen be- schmutzt war und während 24 Stunden im feuchten Zustande gehalten wurde, die Cholera- bazillen sich in ganz außerordentlicher Weise vermehrten. Es kann dieses Verhalten eine Erklärung für die bekannte Tatsache geben, daß die Cholerawäsche so häufig die Veranlassung zur Infektion solcher Personen abgibt, welche damit zu tun haben. Durch diese Beobachtung aufmerksam gemacht, wurden weitere Versuche angestellt und Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cholera usw. entsandten Kommission. 17 gefunden, daß dieselbe Erscheinung eintritt, wenn Cholerade jelvtionen oder Darnainlialt von Choleraleichen auf der feucht gehaltenen Oberfläche von Leinewand, Fließpapier und ganz besonders auf der Oberfläche feuchter Erde ausgebreitet wird. Nach 24 Stunden hatte sich regelmäßig die ausgebreitete dünne Schleimschicht vollständig in eine dichte Masse von Cholerabazillen verwandelt. Eine weitere sehr wichtige Eigenschaft der Cholerabakterien ist die, daß sie nach dem Eintrocknen so rasch absterben, wie kaum eine andere Bakterienart. Gewöhnhch ist schon nach dreistündigem Trocknen alles Leben in ihnen erloschen. Es hat sich ferner noch ergeben, daß ihr Wachstum nur in alkalisch reagierenden Nährsubstanzen regelrecht erfolgt. Schon eine sehr geringe Menge freier Säure, welche das Wachstum anderer Bakterien noch nicht merklich beeinflußt, hält sie in der Ent- wicklung auffallend zurück. Im normal funktionierenden Magen werden sie zerstört, was daraus hervorgeht, daß wiederholt bei Tieren, welche anhaltend mit Cholerabazillen gefüttert und dann getötet waren, weder im Magen noch im Darmkanal die Bazillen nachgewiesen werden konnten. Diese letztere Eigenschaft zusammen mit der geringen Widerstandsfähigkeit gegen das Eintrocknen gibt eine Erklärung dafür, daß, wie es die tägliche Beobachtung lehrt, bei dem unmittelbaren Verkehr mit den Cholerakranken und deren Produkten so selten eine Infektion erfolgt. Es müssen offenbar, damit die Bazillen in den Stand gesetzt werden, den Magen zu passieren, um dann im Darm den Choleraprozeß hervor- zurufen, noch besondere Umstände zu Hilfe kommen. Vielleicht können die Bazillen unbeschädigt durch den Magen gehen, wenn die Verdauung gestört ist, wofür die in allen Choleraepidemien und auch hier in Indien regelmäßig gemachte Beobachtung spricht, daß besonders häufig solche Menschen an Cholera erkranken, welche sich eine Indigestion zugezogen haben oder sonst an Verdauungsstörungen leiden. Vielleicht aber befähigt auch ein besonderer Zustand, in welchen diese Bakterien versetzt werden, und welcher dem Dauerzustande anderer Bakterien analog sein würde, dieselben, den Magen un- beschädigt passieren zu können. Es ist allerdings nicht wahrscheinlich, daß diese Veränderung in der Produktion von Dauersporen besteht, da solche Sporen erfahrungsgemäß viele Monate, selbst Jahre lebensfähig bleiben, während sich das Choleragift nicht länger als ungefähr 3 — 4 Wochen wirksam erhält. Trotzdem ist es sehr wohl denkbar, daß irgendeine andere Form von Dauerzustand existiert, in welcher die Bazillen einige Wochen in getrocknetem Zustande am Leben bleiben können, und in welchem sie auch imstande sind, der zerstörenden Wirkung der Magen verdaumig zu widerstehen. Die Umwandlung in einen solchen Zustand würde dem entsprechen, was P e 1 1 e n - k o f e r als Reifung des Cholerainfektionsstoffes bezeiclmet hat. Bis jetzt ist es noch nicht gelungen, einen solchen Dauerzustand der Cholerabazillen zu entdecken. Die von den experimentellen Arbeiten nicht in Anspruch genommene Zeit hat die Kommission benutzt, um ein sehr reichhaltiges Material über die Choleraverhältnisse Indiens inid speziell Bengalens, des endemischen Choleragebietes, entsprechend den in meinem gehorsamsten Bericht vom Iß. Dezember v. J. unter Nr. VII. bezeichneten Punkten zu sammeln. Außerdem wurden verschiedene für die Cholera sehr wichtige Punkte in Kalkutta und dessen nächster Umgebung besichtigt, unter denen besonders das Fort William und das Zentralgefängnis in Alipore zu erwähnen sind. Koch, Gesammelte Werke. 47 18 Berichte üb. d. Tätigkeit der zur Erforschung d. Cholera usw. entsandten Kommission. Kalkutta, den 4. März 1884. Ew. Exzellenz beehre ich mich über die von der Cholerakommission erreichten weiteren Resultate gehorsamst Bericht zu erstatten. Es ist eine auffallende Tatsache, daß die Cholera auch in ihrem endemischen Gebiet sich sehr oft an bestimmte Lokalitäten gebunden zeigt und daselbst unverkennbare und deuthch abgegrenzte Epidemien bildet. Besonders häufig werden derartig lokalisierte kleine Epidemien in den Umgebungen der sogenannten Tanks beobachtet. Zur Erläute- rung muß erwähnt werden, daß die über ganz Bengalen in unzähliger Menge verbreiteten Tanks kleine von Hütten umgebene Teiche und Sümpfe sind, welche den Anwohnern ihren sämthchen Wasserbedarf liefern mid zu den verschiedensten Zwecken, wie Baden, Waschen der Kleidungsstücke, Reinigen der Hausgeräte und auch zur Entnahme des Trinkwassers benutzt werden. Daß bei so mannigfaltigem Gebrauch das Wasser im Tank verunreinigt wird und keine den hygienischen Anforderungen entsprechende Beschaffenheit haben kann, ist selbstverständhch. Sehr oft kommt aber hierzu noch, daß Latrinen, wenn Einrich- tungen der primitivsten Art so genannt werden dürfen, sich am Rande des Tanks be- finden und ihren Inhalt in den Tank ergießen, und daß überhaupt das Tankufer als Ablagerungsstätte für allen Unrat und insbesondere für menschliche Fäkalien dient. Die Tanks enthalten deswegen in der Regel ein stark verunreinigtes Wasser, und es ist unter diesen Verhältnissen erklärlich, daß die hiesigen Ärzte solche um einen Tank gruppierte Choleraepidemien mit der schlechten Beschaffenheit des Tankwassers in Zusammen- hang bringen. Diese Tankepidemien sind keineswegs selten, und fast jeder Arzt, welcher eine große Erfahrung über Cholera hat, kennt eine mehr oder weniger große Zahl von Beispielen. Ich habe deswegen schon von Anfang an meine Aufmerksamkeit auf diesen Punkt gerichtet und den Sanitary Commissioner with the Government gebeten, mich davon in Kenntnis zu setzen, wenn eine solche Epidemie in leicht erreichbarer Ent- fernung von Kalkutta vorkommen würde. Dieser FaU ist nun in den letzten Wochen eingetreten. Aus Saheb-Bagan, zu Belliaghätta, einer der Vorstädte von Kalkutta, gehörig, wurden während weniger Tage ungewöhnlich viele Cholerafälle gemeldet. Die Erkrankungen beschränkten sich aussclüießlich auf die rings um einen Tank gelegenen, von einigen hundert Personen bewohnten Hütten, und es starben von dieser Bevölkerung 17 Personen an Cholera, während in einiger Entfernung vom Tank und im ganzen zuge- hörigen Polizeidistrikt die Cholera zur selben Zeit nicht herrschte. Bemerkenswert ist, daß derselbe Platz in den letzten Jahren wiederholt von Cholera heimgesucht ist. — Über den Beginn und Verlauf der Epidemie .wurden nun von der Kommission sorgfältige Unter- suchungen angestellt, wobei sich herausstellte, daß der Tank in der gewöhnlichen Weise von den Anwohnern zum Baden, Waschen und Trinken benutzt wird, und daß auch die mit Choleradejektionen beschmutzten Kleider des ersten tödlich verlaufenden Cholera- falles im Tank gereinigt waren. Es wurde dann ferner eine Anzahl Wasserproben von verschiedenen Stellen des Tanks und zu verschiedenen Zeiten entnommen, mit Hilfe der Nährgelatinekultur untersucht, und die Cholerabazillen in mehreren der ersten Wasserproben ziemlich reichlich gefunden. Unter den späteren Proben, welche am Ende der Epidemie geschöpft waren, enthielt nur noch eine, welche von einer besonders stark vervxnreinigten Stelle des Tanks herstammte, die Cholerabazillen, und zwar auch nur in sehr geringer Zahl. Wenn man berücksichtigt, daß bis dahin vergeblich in zahl- reichen Proben von Tankwasser, Sewage, Flußwasser und sonstigem allen Verunreini- gungen ausgesetztem Wasser nach den Cholerabazillen gesucht wurde, und daß sie zum ersten Male mit allen ihren charakteristischen Eigenschaften in einem von einer Cholera- Berichte üb. d. Tätigkeit der zm- Erforschung d. Cliolera usw. entsandten Kommission. \Q epidemie umschlossenen Tank gefunden sind, dann muß dies Resultat als ein höchst wichtiges angesehen werden. Es steht fest, daß das Wasser im Tank infiziert wurde durch Cholerawäsche, welche nach den früheren Beobachtungen die Cholerabazillen be- sonders reichhch zu enthalten pflegt ; ferner ist konstatiert, daß die Anwohner des Tanks dieses infizierte Wasser zu häuslichen Zwecken und namentlich zum Trinken benutzt haben. Es handelt sich hier also gewissermaßen um ein durch den Zufall herbeigefülirtes Experiment am Menschen, welches den Mangel des Tierexperimentes in diesem Falle ersetzt und als eine weitere Bestätigung für die Richtigkeit der Annahme dienen kann, daß die spezifischen Cholerabazillen in der Tat die &ankheitsursache bilden. Bis jetzt steht dieses Faktum allerdings noch vereinzelt da, aber immerhin zeigt uns dasselbe einen der Wege, auf welchen das Choleragift in den menschlichen Körper gelangen kann, und ich zweifle nicht, daß auch in anderen ähnlichen Fällen der Nach- weis der Cholerabazillen im Wasser oder sonstigen Vehikeln des Infektionsstoffes ge- lingen muß. Seit meinem letzten gehorsamsten Berichte sind ferner 20 Choleraleichen und die Dejektionen von 11 Cholerakranken untersucht, und es beträgt somit die Gesamtzahl der in Indien zur Untersuchung verwerteten Fälle: 42 Choleraleichen und 28 Cholera- kranke. Neue Resultate haben diese letzten Fälle allerdings nicht ergeben. Sie glichen den früheren in jeder Beziehung, namentlich auch in bezug auf das Verhalten der Cholera- bazillen. Außerdem sind noch eingehende Untersuchungen über den Einfluß verschiedener Substanzen, wie Sublimat, Karbolsäure und anderer desinfizierender Stoffe auf die Entwicklung der Cholerabazillen in Nährflüssigkeiten, ferner über das Verhalten der- selben in Kohlensäure und beim Abschluß von Luft angestellt. Auch wurden die Ver- suche, welche dazu dienen sollten, eine Dauerform der Cholerabazillen aufzufinden, imermüdlich fortgesetzt. Doch ist bis jetzt nichts derartiges aufgefunden. Die einzige Möglichkeit, die Cholerabazillen längere Zeit lebensfähig zu erhalten, besteht darin, daß man sie vor dem Eintrocknen bewahrt. In Flüssigkeiten bleiben sie wochenlang entwicklungsfähig, und es scheint alles darauf hinzuweisen, daß sie nur in feuchtem Zustande verschleppt und dem menschlichen Körper wirksam einverleibt werden können. Leider mußten die weiteren LTntersuchungen über diesen Gegenstand wegen der in diesem Jahre schon frühzeitig eingetretenen heißen Witterung aufgegeben werden. In den letzten Wochen war die Temperatur schon so hoch, daß nur noch unter großen Schwierigkeiten im Laboratorium gearbeitet werden konnte. Aber seit einigen Tagen ist es fast unerträglich heiß geworden, und es bleibt nichts anderes übrig, als die Arbeiten vorläufig abzubrechen. Einen umfassenden Bericht über die Tätigkeit der zur Erforscliung der Cholera im Jalire 1883 nachÄgypten und Indien entsandten Kom- mission hat ilir Mitglied G a f f k y, seinerzeit kaiserl. Reg. -Rat und Mitglied des Kaiserl. Ge- smidheitsamtes, nachträglich, unter Mitwirkung K o c h s , bearbeitet. Der (359 Seiten umfassende, mit Abbildungen im Text, 30 Tafeln und einem Titelbilde versehene) Bericht ist als Bd. III der „Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gestmdheitsamte" und separat (Berlin, J. Springer, 1887) erschienen. Der Heransgelier. 47 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin/) Um die von R o b e r t K o c h bei der Erforschung der Choleraätiologie in Indien erhobenen Befunde einer Prüfung zu unterziehen und die durch seine Beobachtungen und Schlußfolgerungen aufgeworfenen Streitfragen betreffend die Epidemiologie der Cholera zu erörtern, wurde im Jahre 1884 auf Veranlassung von Koch nach dem Reichsgesundheitsamte eine Reihe von Fachmännern eingeladen; am 26. Juli fand unter dem Vorsitze von Vir oho w die erste Konferenz statt, die in eingehenden Verhandlungen die zur Diskussion gestellten Fragen beriet. Anwesend waren nach dem sowohl in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift wie in der Berliner Klinischen Wochen- schrift veröffentlichten Stenogramm die Herren Geheimrat Professor Dr. v. Bergmann, Generalarzt Dr. Coler, Geheinnrat Dr. Eulenberg, Dozent Dr. B. Frankel, Stabsarzt Dr. G a f f k y, Geheimrat Professor Dr. Hirsch, Geheimrat Dr. Koch, Geheimrat Professor Dr. Leyden, Sanitätsrat Dr. S. Neiimann, Medizinalrat Dr. Pistor, Generalarzt Dr. Schubert, Geheimrat Dr. Skrzeczka, Geheinu-at Dr. Struck, Geheimrat Professor Dr. V i r c h o w, Regierungsrat Dr. Wolffhügel. Vor Eröffnung der Sitzung wurden von Koch einige mikroskopische Präparate, von denen Abbildungen nebenstehend beigefügt sind, sowie die Methoden der Präparation und des Verfahrens zur Kultur der CholerabaziUen gezeigt. „Die Präparation geschieht in der gewöhnlichen Weise. Es wird eine Schleimflocke aus der Dejektion oder aus dem Darminhalt auf einem Deckglase ausgebreitet und getrocknet. Das Deck- glas wird dann dreimal dtirch eine Gas- oder Spiritusflamme gezogen, mit einer wässerigen Lösung von Fuchsin oder Methylenblau Übergossen und nach einigen Sekunden abgespült, um sofort mikro- skopisch unter Benutzung eines Ölsystems V12 ' ^'^"^ Abbe sehen Beleuchtimgsapparates unter- sucht zu werden. Schnitte vom Darm, welcher in absolutem Alkohol gut gehärtet sein muß, werden am besten in einer starken wässerigen Methylenblaulösung 24 Stunden lang oder unter Erwärmen eine kürzere Zeit gefärbt und dann in der gewöhnlichen Weise behandelt. Der mikroskopische Nachweis allein genügt nur in verhältnismäßig wenigen Fällen zur Diagnose und es bedarf meistens zum sicheren Nachweis der Kommabazillen des folgenden Kulturverfahrens. Ein sehr kleines Schleimflöckchen wird in 10 ccm Nährgelatine (Fleischwasser-Pepton- Gelatine mit 10% Gelatinegehalt und schwach alkalischer Reaktion) gebracht und darin durch Bewegen der Flüssigkeit verteilt. Dann gießt man die flüssige Gelatine aiif eine horizontal liegende Glas- platte, welche dvu'ch darunter befindliches Eis abgekühlt ist. Die mit einem sterilisierten Glasstabe ausgebreitete Gelatine erstarrt sehr schnell. Die Platte kommt dann unter eine feucht gehaltene Glasglocke, bis die Bakterienkolonien sich entwickeln, und wird mit Zeis A. A. Okular 4 oder ent- sprechender Vergrößerung untersucht." Die eigentliche Sitzung wird von V i r c h o w mit einigen Begrüßungsworten eröffnet, sodann erhielt Koch das Wort zu einem Vortrag über seine Befunde. M. H. ! Wir brauchen für sanitäre Maßregeln möglichst fest begründete wissen- schafthche Unterlagen. Es handelt sich dabei nicht allein um sehr kostspielige Ein- richtungen, sondern auch um das Wohl und Wehe von vielen Menschen. Ganz besonders gilt dies für die Abwehr der Seuchen, mit welcher sich, wie man ohne Übertreibung sagen kann, die wichtigsten sanitären Bestrebungen beschäftigen. Wir sollten deswegen 1) Aus Berliner Klinische Wochenschrift, 1884. Nr. 31, 32 u. 32a. Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli ISSi in Berlin. 21 voraussetzen, daß gerade in dem Kampf gegen Seuchen von ganz festen und ^^issen- schaftlich durchgearbeiteten Grundlagen ausgegangen wird; aber leider ist das noch nicht überall der Fall und namenthch der Cholera gegenüber fehlt es an einer solchen festen Basis. ^lan hat allerdings eine Menge von Ansichten über das Wesen, die Figur 1. Figur 2. Sclinittpräparat von der Schleimhaut des Cholera- Deckglaspräparat vom Inlialt eines Cholera- darnis. Eine schlauchförmige Drüse (a) ist schräg darms. Kerne der abgestorbenen EpitheUen (a). durchschnitten. Im Innern (b) derselben und Halbkreisförmiger Kommabazillus (b). Beson- zmschen Epithel und Basalmembran ( c) zahlreiche f'^'?!"* charakteristische Gruppierung der Komma- KommabazUlen, 600 mal. bazillen(c). 600 mal. Figur 3. a i'i- hv ~: f-'^ j » , Figur 4. Deckglaspräparat. Choleradejektion auf feuchter Leinwand (2 Tage lang). Starke Vermekrung der Kommabazillen, darunter S-förmige (a). 600 mal. Deckglaspräparat. Vom Rande eines Tropfens Fleischbriüie mit Reinkultur der Komma- bazillen. Lange scliraubenförmige Fäden (a). 600 mal. Verbreitungs- und Infektionsweise der Cholera bereits geäußert, und es sind verschiedene Theorien darüber aufgestellt : aber die jMeinungen gehen doch noch soweit auseinander, sie stehen sich noch so schroff gegenüber, daß wir sie als Stützen, als Ausgangspunkte für unsere Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Seuche nicht ohne weiteres annehmen können. 22 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. So wird von der einen Seite behauptet, daß die Cholera eine aus Indien stammende spezifische Krankheit sei; von der anderen Seite wird dies bestritten und gesagt, die Cholera könne auch spontan in anderen Ländern entstehen und sei nicht durch eine spezifische Ursache bedingt. Der eine nimmt an, daß die Cholera nur durch Kranke und deren Effekten verschleppt wird, der andere läßt sie auch durch Waren, gesunde Menschen, Luftströmungen verbreitet werden. . Ebenso widersprechende Meinungen bestehen über die Bedeutung des Trinkwassers als Vehikel für den Infektionsstoff, über den Einfluß der Bodenverhältnisse, über die Frage, . ob in den Dejektionen der Kranken der Infektionsstoff enthalten sei oder nicht, über die Dauer der Inkubation. Alle diese Punkte sind aber gerade von der größten Wichtigkeit für die Abwehr der Cholera und es wird nicht eher ein erfolgreiches Vorgehen gegen die Krankheit möghch sein, ehe nicht über diese Grundfragen der Choleraätiologie eine Einigung erzielt ist. Figur 5. Jüngste Kolonien Vergrößerung. Die Choleraätiologie hat nun allerdings von den Fortschritten, welche wir- in der Kenntnis von der Ätiologie anderer Infektionskrankheiten gemacht haben, wenig pro- fitieren können. Jene Fortschritte haben sich hauptsächhch in den letzten 10 Jahren entwickelt, und gerade in dieser Zeit hat sich keine Gelegenheit geboten, über die Cholera, wenigstens nicht in Europa oder den in der Nähe gelegenen Ländern, For- schungen anzustellen, und in Indien, wo die Cholera ja fortwährend Material zur Forschung hätte bieten können, hat sich niemand gefunden, der sich mit dieser Aufgabe unter Zugrundelegung der neueren Untersuchungsmethoden beschäftigt hat. Es war deswegen in dieser Beziehung nicht ungünstig, daß die Cholera im ver- gangenen Jahre in Ägypten zum Ausbruch kam und damit die Gelegenheit geboten wurde, Studien über das Wesen und die Infektionsweise dieser Krankheit zu machen, ehe sie auf europäischen Boden übergriff. Diese Gelegenheit ist denn auch von ver- schiedenen Regierungen benutzt, welche Expeditionen zur Erforschung der Cholera dort hingeschickt haben. Mir wurde der ehrenvolle Auftrag zuteil, eine dieser Expeditionen zu führen. Als ich diesen Auftrag übernahm, war ich mir der Schwierigkeit der Aufgabe, die mir bevorstand, wohl bewußt. Man kannte eigentlich noch nichts von dem Cholera- Erste Konferenz ziar Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. 23 inf ektionsstoff ; man wußte nicht, wo man ihn suchen sollte, ob er etwa nur im Darm- kanal oder im Blut oder sonst irgendwo seinen Sitz hatte. Man wußte ferner nicht, ob es sich in diesem Falle auch um Bakterien handeln würde, oder etwa um 8proßpilze, oder dergleichen, oder gar um tierische Parasiten, z. B. Amöben. Allerdings haben sich nach dieser Richtung hin nicht so bedeutende Schwierigkeiten gezeigt, als in einer anderen Beziehung, wo ich sie eigentlich am wenigsten erwartet hätte. Ich hatte mir nämlich das Bild des pathologischen Befundes ganz nach der Schilderung der Lehrbücher kon- striüert und hatte angenommen, daß der Choleradarm eigentlich sehr wenig Verände- rungen darbietet und daß er mit einer reiswasserähnlichen Flüssigkeit gefüllt sei. Die Sektionen, die ich früher gesehen hatte, waren meinem Gedächtnis schon halb und halb entschwunden, so daß ich diese irrige Anschauung nicht korrigieren konnte. Ich war deswegen anfangs etwas überrascht und unsicher, als ich im Darm ganz etwas anderes zu sehen bekam. Schon gleich bei den ersten Sektionen zeigte sich, daß in der über- wiegenden Mehrzahl der Fälle außerordentlich tiefe und auffallende Veränderungen im Darm vorhanden waren. Andere Fälle wieder zeigten leichtere Veränderungen, und schließlich bekam ich auch solche Fälle zu sehen, welche dem Typus, der in den Lehr- büchern aufgestellt ist, einigermaßen entsprachen. Es gehörte aber doch eine gewisse Zeit und eine Anzahl von Sektionen dazu, ehe es gelang, sich einen richtigen Überblick zu verschaffen und alle diese verschiedenen Veränderungen, die mir entgegengetreten waren, richtig zu deuten. Ich will gleich hier bemerken, daß trotz der sorgfältigsten Untersuchung aller anderen Organe und des Blutes sich daselbst nichts gefunden hat, was auf das Vorhanden- sein eines Infektionsstoffes schheßen ließe. Das Interesse konzentrierte sich also schließ- lich auf die im Darm vorhandenen Veränderungen, und diese lassen sich ungefähr in folgender Weise gruppieren : Es kamen Fälle vor, in denen der untere Abschnitt des Dünndarms, und zwar am intensivsten unmittelbar oberhalb der Ileozökalklappe und nach oben zu abnehmend, dunkelbraunrot gefärbt, die Schleimhaut mit oberflächlichen Hämorrhagien durchsetzt war. In manchen Fällen war die Schleimhaut sogar ober- flächlich nekrotisiert und mit diphtheritischen Auflagerungen versehen. Dementsprechend war auch der Darminhalt keine reis wasserähnliche, farblose, sondern eine blutig-jauchige, stinkende Flüssigkeit. Andere Fälle zeigten einen allmählichen Übergang zu weniger tiefen Veränderungen. Die Rötung Avar in denselben weniger intensiv, schließlich nur noch fleckweise, und an diese schlössen sich solche an, in denen nur noch die Ränder der Follikel und P e y e r sehen Plaques gerötet waren. Diese letzterwähnte Form bietet ein sehr charakteristisches Aussehen, welches bei anderen Darmaffektionen wohl kaum noch vorkommt und der Cholera ganz eigen ist. In verhältnismäßig sehr wenigen Fällen aber war die Schleimhaut auffallend wenig verändei't; sie sah etwas geschwollen und weniger durchsichtig in den oberflächlichen Schichten aus, die solitären Follikel und die P e y e r sehen Plaques waren stärker prominierend. Die ganze Schleimhaut war leicht rosenrot gefärbt, aber es war nirgendswo zu kapillären Blutungen gekommen. In diesen Fällen sah auch der Darminhalt farblos aus; doch war er keineswegs immer wie Reiswasser, sondern ließ sich gewöhnlich eher mit einer Mehlsuppe vergleichen. Nur in einzelnen Fällen habe ich gesehen, daß der Darminhalt rein wässerig, schleimig war und verhältnismäßig wenige Flocken enthielt. Wenn man nun den Darm und dessen Inhalt mikroskopisch untersuchte, dann stellte sich heraus, daß in einigen Fällen, namentlich in denjenigen, wo die P e y e r sehen Plaques am Rande gerötet waren, dieser Röte entsprechend eine Einwanderung von Bakterien stattgefunden hatte. Es zeigten sich dann Bilder, wie Sie es in einem der vorgelegten Präparate gesehen haben, das von einem solchen Falle herstammt (Fig. 1). 24 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. Die Bakterien waren zum Teil in die schlauchförmigen Drüsen vorgedrungen, zum Teil hatten sie sich zwischen das Epithel und die Basalmembran geschoben und dadurch das Epithel gleichsam abgehoben. An anderen Stellen sah man, daß sie auch tiefer in das Gewebe hineingedrungen waren. Dann fanden sich solche Fälle, in denen hinter diesen Bakterien, die in bezug auf Größe und Gestalt ein bestimmtes Aussehen hatten, so daß man sie von anderen Bakterien unterscheiden und ihnen eine besondere Aufmerk- samkeit widmen konnte, verschiedene andere Bakterien in die schlauchförmigen Drüsen und das umgebende Gewebe eindrangen, z. B. größere dicke Bazillen und sehr feine Ba- zillen. Es bilden sich dadurch ähnhche Verhältnisse, wie bei nekrotischen, diphtheri- tischen Veränderungen der Darmschleimhaut und in Typhusgeschwüren, wo ebenfalls in die von pathogenen Bakterien zum Absterben gebrachten Gewebe nachträglich andere nicht pathogene Bakterien eindringen. Man mußte also von vornherein diese erst- erwähnten Bakterien als nicht ganz gleichgültig für den Choleraprozeß ansehen, während alles andere den Eindruck machte, daß es etwas Sekundäres sei; denn die erstbeschrie- benen Bakterien gingen immer den anderen voraus, sie drangen tiefer hinein und machten ganz den Eindruck, als ob sie den anderen Bazillen den Weg geebnet hätten. Was nun den Darminhalt betrifft, so ließ sich anfangs, da gerade solche Fälle zur Untersuchung kamen, die wenig geeignet waren und bei denen der Darminhalt schon eine blutig-fauhge Beschaffenheit hatte, kein klares Bild gewinnen. Es fand sich darin eine Unzahl der verschiedensten Bakterien, so daß man auf die eigentlichen Cholera- bazillen gar nicht aufmerksam werden konnte. Erst nachdem ich ein paar ganz akute und unkomplizierte Fälle seziert hatte, in denen es noch nicht zu Blutungen gekommen und in denen der Darminhalt noch nicht in faulige Zersetzung übergegangen war, er- kannte ich, daß je reiner, je frischer die Fälle sind, um so mehr eine bestimmte Bakterien- art auch im Darminhalt prävaliert, und es stellte sich sehr bald heraus, daß dies dieselben Bakterien waren, die ich in der Schleimhaut gesehen hatte. Dieser Befund mußte selbst- verständlich immer mehr und mehr die Aufmerksamkeit gerade auf diese Bakterienart lenken. Ich habe dieselben also nach allen Richtungen hin untersucht, um ihre besonderen Eigentümlichkeiten festzustellen, und kann hierüber folgendes mitteilen. Diese Bakterien, die ich wegen ihrer eigentümlichen Form Kommabazillen ge- nannt habe, sind kleiner wie die Tuberkelbazillen. Durch die Angabe der Dimensionen in Zahlen erhält man kaum eine richtige Vorstellung von der Größe, Länge und Breite von Bakterien; ich ziehe es deswegen vor. die Größen Verhältnisse von Bakterien mit anderen bekannten Objekten zu vergleichen, damit man sofort ungefähr ein Bild da- von gewinnt. Da die Tuberkelbazillen allen bekannt sind, so will ich die Cholerabakterien mit diesen vergleichen. Die Cholerabazillen sind ungefähr % oder höchstens % so lang als die Tuberkelbazillen, aber viel plumper, dicker und mit einer leichten Krümmung versehen. Diese Krümmung ist für gewöhnlich nicht stärker als die eines Komma; sie kann aber unter Umständen weiter gehen, bis zur halbkreisförmigen Krümmung (Fig. 2 u. 3). In anderen FäUen sieht man, daß die Krümmung eine doppelte ist, daß also an das eine Komma sich ein zweites anlegt, aber in entgegengesetzter Richtung, so daß eine s-Form daraus entsteht. Ich glaube, daß in beiden Fällen zwei Individuen nach der Teilung im Zusammenhang gebheben sind und danach den Anschein erwecken, als ob eine stärkere Krümmung da sei. In Kulturen findet sich aber außerdem noch eine sehr merkwürdige Entwicklungsform der Kommabazillen, welche für dieselbe sehr charakteristisch ist. In einem der vorgelegten Präparate ist diese Form in mehreren ausgezeichneten Exemplaren zu sehen und ich hatte Gelegenheit bei der Demonstration dieses Präparats besonders darauf aufmerksam zu machen. Die Kommabazillen wachsen Erste Konferenz zur Erörtermig der Cholerafrage aui 26. Juli 1884 in Berlin. 25 nämlich häufig zu mehr oder weniger langen Fäden aus (Fig. 4). Sie bilden dann aber nicht gerade Fäden, wie andere Bazillen, z. B. die Milzbrandbazillen, oder wie es nach dem Aussehen des mikroskopischen Bildes erscheinen könnte, einfach wellenförmig ge- staltete Fäden, sondern sehr zierliche lange Schrauben, die, was ihre Länge und ihr übriges Aussehen anbetrifft, die größte Ähnlichkeit mit den Recurrens-Spirochaeten haben. Ich würde sie, wenn man beide nebeneinander hätte, nicht voneinander unter- scheiden können. Wegen dieser eigentümlichen Entwicklungsform neige ich mich auch der Ansicht zu, daß der Kommabazillus gar kein echter Bazillus ist, daß er eigentlich eine Übergangsform zwischen Bazillen und Spirillen bildet. Möglicherweise handelt es sich hier sogar um ein echtes Spirillum, von dem wir ein Bruchstück vor uns haben. Man sieht auch bei anderen Spirillen, z. B. bei Spirilla undula, daß ganz kurze Exemplare nicht eine vollständige Schraubenwindung bilden, sondern nur noch aus einem kurzen Stäbchen bestehen, welches mehr oder weniger gekrümmt ist. Ich komme auf diesen Punkt, der durchaus nicht unwichtig ist, später noch zurück. Bei der Demonstration des einen Präparates, welches in Fleischbrühe kviltivierte Kommabazillen enthielt, haben Sie schon erfahren, daß man die Kommabazillen in Fleischbrühe züchten kann. Sie wachsen in dieser Flüssigkeit außerordentlich schnell und reichhch, und man kann dieses Verhalten benutzen, um ihre übrigen Eigenschaften zu studieren, indem ein Tröpfchen einer Fleischbrühekultur am Deckglas suspendiert, direkt mit starker Vergrößerung untersucht wird. Man sieht dann, daß die Komma- bazillen außerordentlich lebhaft beweglich sind. Wenn sie sich in Menge am Rande des Tropfens angesammelt haben und durcheinander schwärmen, dann sieht es ganz so aus wie ein Schwärm tanzender Mücken, und dazwischen tauchen ab und an jene langen schraubenförmigen Fäden auf, welche sich ebenfalls ziemlich lebhaft bewegen, so daß das Ganze ein eigentümliches und höchst charakteristisches Büd abgibt. Die Kommabazillen wachsen nun aber auch in anderen Flüssigkeiten, vor allen Dingen wachsen sie in Milch sehr reichhch und schnell. Sie bringen die Milch nicht zum Gerinnen und fällen nicht das Kasein aus, wie das viele andere Bakterien tun, welche in der Milch ebenfalls zu wachsen vermögen. Die Milch sieht also ganz unverändert aus; nimmt man aber einen kleinen Tropfen von der Oberfläche und untersucht ihn mikroskopisch, so wimmelt er von Kommabazillen. Sie wachsen ferner im Blutserum, worin sie sich ebenfalls sehr rasch entwickeln und reichlich vermehren. Ein sehr guter Nährboden für die Kommabazillen ist ferner die Nährgelatine, von welcher Sie vorhin eine Probe gesehen haben. Diese Nährgelatine kann dazu dienen, wie bereits bei der Demonstration des Kulturverfahrens auseinandergesetzt wurde, das Auffinden der Kommabazillen zu erleichtern und außerordentlich sicher zu machen. Es nehmen nämlich die Kolonien der Kommabazillen in der Nährgelatine eine ganz charakteristische und bestimmte Form an, die, soweit ich das bis jetzt übersehen kann und soweit meine Er- fahrung reicht, keine andere Bakterienart in gleicher Weise bildet. Die Kolonie sieht, wenn sie noch sehr jung ist, wie ein sehr blasses und kleines Tröpfchen aus (Fig. 5) , welches aber nicht vollständig kreisrund ist, wie sonst ge- wöhnlich diese Bakterienkolonien in Gelatine zu sein pflegen , sondern sie hat eine mehr oder weniger unregelmäßig begrenzte, ausgebuchtete, stellenweise auch rauhe oder zackige Kontur. Auch besitzt sie schon sehr frühzeitig ein etwas granuliertes Aussehen und ist nicht von so gleichmäßiger Beschaffenheit wie andere Bakterien- kolonien. Wenn die Kolonie etwas größer wird, tritt diese Granulation immer deutlicher hervor. Schließlich sieht sie so aus, wie ein Häufchen von stark lichtbrechenden Körnchen. Ich möchte das Aussehen einer solchen Kolonie noch am meisten mit demjenigen eines 26 Erste Konferenz ziu' Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. Häufchens von Glasstückchen vergleichen. Bei weiterem Wachstum verflüssigt sich die Gelatine in der nächsten Umgebung der Bakterienkolonie und letztere sinkt zu gleicher Zeit etwas tiefer in die Gelatinemasse hinein. Es bildet sich dadurch eine kleine trichter- förmige Vertiefung in der Gelatine, in deren Mitte die Kolonie als ein kleines weißliches Pünktchen zu erkennen ist (Fig. 5). Auch dieses Verhalten ist ganz eigentümlich; man sieht es wenigstens in dieser Weise bei sehr wenigen anderen Bakterienarten und meines Wissens nie so ausgeprägt, wie gerade bei den Kommabazillen. Am deutlichsten kann man das Einsinken der Kolonien beobachten, wenn man in der Art und Weise, wie es bei der Demonstration des Kultur Verfahrens beschrieben wurde, eine Reinkultur an- fertigt. Man sucht also unter dem Mikroskop mit schwacher Vergrößerung auf der Gela- tineplatte eine geeignete Kolonie aus, berührt dieselbe mit einem Platindraht, welcher vorher ausgeglüht ist, überträgt die Bazillen mit dem Draht in ein Reagenzglas mit Gelatine und verschließt letzteres durch sterilisierte Watte. Eine derartig erhaltene Reinkultur wächst dann in gleicher Weise, wie die Kolonie auf der Gelatineplatte. Ich besitze eine zahlreiche Sammlung von in gleicher Weise angelegten Bakterienreinkulturen, aber ich habe bei denselben niemals solche Veränderungen gesehen, wie sie die Komma- bazillen nach der Übertragung in die Gelatine hervorrufen. Man sieht, sobald die Kultur sich zu entwickeln beginnt, auch hier wieder einen kleinen Trichter (Fig. 5), der die Spitze des Impfstiches bezeichnet. Allmählich verflüssigt sich im Bereich dieses Impfstichs die Gelatine ; man sieht dann deutlich schon die kleine Kolonie, die sich immer mehr erweitert, aber stets bleibt oben eine tiefe, eingesunkene Stelle, welche in der teilweise verflüssigten Gelatine so aussieht, als ob eine Luftblase über der BaziUenkolonie scliAvebt. Es macht fast den Eindruck, als ob die Bazillenvegetation nicht aUein eine Verflüssigung der Gelatine, sondern auch eine rasche Verdunstung der gebildeten Flüssigkeit bewirkt. Wir kennen bereits eine Menge anderer Bakterienarten, welche die Gelatine in Reagenz- glaskulturen ganz in derselben Weise vom Impfstich aus allmählich flüssig machen. Aber es findet sich bei diesen niemals eine solche Vertiefung und auch niemals dieser blasenartige Hohlraum an der Oberfläche. Ich habe noch zu erwähnen, daß die Ver- flüssigung der Gelatine von einer einzigen isolierten Kolonie aus, wie es am besten in einer Gelatineschicht zu beobachten ist, welche auf der Glasplatte ausgebreitet ist, nie sehr weit um sich greift. Ungefähr auf 1 mm ist die Dimension des verflüssigten Be- zirkes einer Kolonie zu schätzen. Andere Bakterienarten können, wie sie in den vor- gelegten Gelatineplatten gesehen haben, die Gelatine in weit größerem Umfange ver- flüssigen, so daß eine Kolonie 1 cm und mehr im Durchmesser erreicht. Bei den im Rea- genzglas angelegten Kulturen der Kommabazillen breitet sich die Verflüssigung der Gelatine vom Impfstiche ausgehend allmählich und sehr langsam aus und bewirkt, daß nach ungefähr einer Woche der gesamte Inhalt des Gläschens flüssig geworden ist. Auf alle diese Eigenschaften, so unbedeutend sie an vmd für sich erscheinen, ist dennoch besonderes Gewicht zu legen, weil sie dazu dienen, die Kommabazillen von anderen Bakterienarten zu unterscheiden. Man kann nun ferner die Kommabazillen noch auf Agar-Agar, dem Fleischbrülle und Pepton zugesetzt ist, kultivieren. Diese Agar-Agar- Gallerte wird von den Komma- bazillen nicht verflüssigt. Dann kann man sie, was für gewisse Fragen sehr wichtig ist, auf gekochten Kartoffeln züchten. Sie wachsen auf Kartoffeln ganz ähnlich wie die Rotzbazillen. Letztere bilden, -wie Sie vielleicht an den gelegentlich der Hygieneaus - Stellung demonstrierten Kulturen gesehen haben, auf den Kartoffeln einen dünnen, breiartigen, bräunlichen Überzug. Diesem ähnlich, aber nicht ganz so intensiv braun gefärbt, sondern mehr hellgrau-braun sehen die Kulturen der Kommabazillen aus, wenn sie auf Kartoffeln gewachsen sind. Erste Konferenz zur Erörterung der Choloratrage am 26. Juli 1SS4 in Berlin. 27 Am besten gedeihen die Kommabazillen bei Temperaturen zwischen 30 und iO'^ C, aber sie sind auch nicht sehr empfindUch gegen niedere Temperaturen. Es sind Ver- suche darüber angestellt, welche gezeigt haben, daß sie noch bei IT^C recht gut, wenn auch entsprechend langsamer wachsen können. Unter 17^ C ist das Wachstum sehr gering und scheint unter 1(3°C aufzuhören. In diesem Pvnikt stimmen die Komma- bazillen merkwürdigerweise vollständig mit den Milzbrandbazillen überein, die auch für ihr Wachstum ungefähr diese Grenze der Temperatur nach initen haben. Ich habe einmal einen Versuch über den Einfluß noch niedrigerer Temperaturen auf die Komma- bazillen angestellt, um zu erfahren, ob sie nicht möglicherweise durch sehr niedrige Tempe- ratur nicht allein in ihrer Entwickelung verhindert, sondern möglicherweise abgetötet werden. Zu diesem Zwecke wurde eine Kultur eine Stunde lang einer Temperatur von — 10" C ausgesetzt; sie war während dieser Zeit vollständig gefroren. Als dann eine Aus- saat davon in Gelatine gemacht wurde, zeigte sich in der Entwickelung und im Wachs- tum auch nicht der allergermgste Unterschied. Sie vertragen das Frieren also ganz gut. Nicht so ist es mit der Entziehung der Luft und des Sauerstoffes. Sie hören nämlich sofort auf zu wachsen, wenn man ihnen die Luft entzieht, und gehören demnach, wenn man die Einteilung in aerobe und anaerobe Bakterien gelten lassen avüI, zu den aeroben. Man kann sich hiervon einfach in der Weise überzeugen, daß man, nachdem die Aus- saat in noch flüssige Gelatine auf einer Glasplatte erfolgt ist und die Gelatine eben zu erstarren beginnt, ein Blatt von Marienglas oder Glinnner darauflegt, welches mög- lichst dünn abgespalten ist und mindestens % der Gelatineoberfläche in der Mitte deckt. Das Glimmerblatt legt sich wegen seiner Elastizität vollständig der Gelatinefläche an und sperrt also an der bedeckten Stelle die Luft ab. Man sieht dann, sobald die Ent- wicklung der Kolonien erfolgt, daß letztere nur soweit, wie die Gelatme unbedeckt war, entstehen und nur noch ein klein wenig, etwa 2 mm weit, unter die Platte reichen, bis wohin noch eine Diffusion der Luft dringen kann. Aber unter der Glimmerplatte selbst wächst nichts. Es entstehen allerdings ganz außerordentlich kleine, dem bloßen Auge nicht sichtbare Kolonien, die wahrscheinlich von dem noch in der Gelatine ent- lialtenen Sauerstoff ihr Dasem gefristet haben, die sich aber nachher nicht weiter ver- größern. Übrigens ist der Versuch auch noch in anderer Weise gemacht. Es wurden Nährgelatine enthaltende Gläschen, welche mit Kommabazillen geimpft waren, unter die Glocke der Luftpumpe gesetzt und andere ebenso präparierte Gläschen zur Kon- trolle außerhalb der Luftpumpe aufgestellt. Es zeigte sich dann, daß die unter der Luft- pumpe befindlichen nicht wuchsen, wohl aber diejenigen, welche außerhalb derselben gestanden hatten. Setzte man nun aber die unter der Luftpumpe gewesenen später wieder der Luft aus, dann fmgen sie nachträglich zu wachsen an. Sie waren also nicht etwa abgestorben, es fehlte ihnen nur an dem nötigen Sauerstoff, um wachsen zu können. Ähnlich geht es, wenn man Kulturen in eine Atmosphäre von Kohlensäure bringt. Wäh- rend die zur Kontrolle außerhalb der Kohlensäureatmosphäre aufgestellten Kulturen in gewöhnlicher Weise heranwuchsen, blieben die in einem Kohlensäurestrom befind- lichen ganz unentwickelt. Aber sie sterben auch in diesem Falle nicht ab, denn nachdem sie längere Zeit in der Kohlensäui'e sich befunden haben, fangen sie sofort an zu wachsen, nachdem sie herausgenommen sind. Im ganzen genommen waschen die Kommabazillen, wie ich schon mehrfach an- gedeutet habe, außerordentlich rasch. Ihre Vegetation erreicht sehr schnell einen Höhe- punkt, auf dem sie nur kurze Zeit stationär bleibt und dann schnell wieder abnimmt. Die absterbenden Kommabazillen verlieren ihre Form, sie erscheüaen bald geschrumpft, bald haben sie em mehr gequollenes Aussehen, auch nehmen sie in diesem Zustande die Farbstoffe wenig oder gar nicht mehr an. Am besten kann man die eigentümlichen 28 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. Vegetationsverhältnisse der Kommabazillen beobachten, wenn man Substanzen, welche reich an Kommabazillen sind, daneben aber auch andere Bakterien enthalten, z. B. Darminhalt oder Cholerade jektionen auf feuchte Erde bringt oder auf Leinwand aus- breitet und in feuchtem Zustande erhält. Es vermehren sich dann die Kommabazillen in kurzer Zeit, z. B. innerhalb 24 Stunden, in außerordentlicher Weise. Andere mit ihnen zusammen vorkommende Bakterien werden anfangs von den Kommabazillen über- wuchert, es büdet sich da eine natürliche Reinkultur und man erhält bei der mikro- skopischen Untersuchung der Masse, welche von der Oberfläche der feuchten Erde oder Leinwand genommen ist, Präparate, welche fast nur noch Kommabazillen zeigen. Ein solches Präparat, von der mit Dejektionen beschmutzten und feuchten Wäsche eines Cholerakranken stammend, haben Sie gesehen. (Fig. 3.) Sehr lange hält indessen dieses üppige Wachstum der Kommabazillen nicht an. Nach 2 — 3 Tagen fangen sie an abzu- sterben und andere Bakterien kommen dann zur Vermehrung. Die Verhältnisse ge- stalten sich also ähnlich wie im Darm selbst. Da findet ja auch eine schnelle Vermehrung statt, wenn aber die eigentliche Vegetationsperiode, die nur kurze Zeit dauert, vorüber ist, und namentlich, wenn Transsudationen von Blut in den Darm erfolgen, verschwinden die Kommabazillen wieder und es entwickeln sich anstatt dessen wieder mehr die anderen, namentlich die Fäulnisbakterien. Ich möchte deswegen auch fast annehmen, daß, wenn man die Kommabazillen von vornherein in eine ausgefaulte Flüssigkeit bringt, die sehr viel von den Stoff Wechselprodukten anderer Bakterien und insbesondere der Fäulnis - bakterien enthält, sie gar nicht recht zur Entwicklung kommen, sondern bald absterben. Über diesen Punkt sind aber noch nicht hinreichend Versuche gemacht, das ist nur eine Vermutung, die ich auf Grund anderer mit Bakterienkulturen gemachter Erfah- rungen aufstellen möchte. Dieser Punkt ist insofern wichtig, weil es nicht gleichgültig ist, ob die Kommabazillen, wenn sie in eine Abtrittsgrube hineingelangen, dort einen guten oder einen sehr schlechten Nährboden finden. Im ersteren Falle werden sie sich vermehren und müßten durch Desinfektion zerstört werden, im letzteren aber würden sie absterben und es würde keiner weiteren Desinfektion bedürfen. Nach allen mir bis jetzt darüber zu Grebote stehenden Erfahrungen möchte ich das letztere an- nehmen. Am besten gedeihen die Kommabazillen in Flüssigkeiten, die nicht zu wenig Nähr- stoffe enthalten. Hierüber sind mehrere Versuche gemacht. Es wurden Verdünnungen der alkalisch reagierenden Fleischbrühe hergestellt und in diese eine Aussaat von Komma- bazillen gebracht. In einem dieser Versuche erwies sich die Fleischbrühe schon nach fünffacher Verdünnung nicht mehr als eine geeignete Nährlösung. In anderen Ver- suchen wuchsen die Bazillen noch in zehnfacher Verdünnung. Diese Versuche müssen selbstverständlich wiederholt und in ausgedehnterer Weise angestellt werden, um eine sichere Grenze zu finden, aber auf jeden Fall läßt sich schon aus diesen Resultaten er- kennen, daß man in der Verdünnung nicht sehr weit gehen darf und daß die Komma- bazillen doch eine gewisse Konzentration der Nährsubstanzen, in denen sie wachsen, beanspruchen. Bei den Kulturversuchen stellte sich dann ferner heraus, daß die Nährsubstanzen, wenigstens die Nährgelatine und die Fleischbrühe, durchaus nicht sauer sein dürfen. Sobald die Nährgelatine auch nur eine Spur von saurer Reaktion zeigt, dann ist das Wachstum der Kommabazillen schon ein sehr verkümmertes. Ist die Reaktion deutlich sauer, dann hört die Entwickelung der Bazillen vollkommen auf. Merkwürdig ist dabei allerdings, daß nicht aUe Säuren dem Kommabazillus feindlich zu sein scheinen, denn die Schnittfläche einer gekochten Kartoffel reagiert bekanntlich auch sauer, wenn ich nicht irre, infolge des Gehaltes an Apfelsäure. Trotzdem wachsen die Kommabazillen Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. 29 auf der Kartoffel recht üppig. Also man kann nicht ohne weiteres sagen : alle Säuren verhindern das Wachstum, aber auf jeden Fall gibt es eine Anzahl von Säuren, bei denen das der Fall ist. In der Fleischbrühe wird es wahrscheinlich die Milchsäure oder ein saures phosphorsaures Salz sein. Da der Einfluß entwicklungshemmender Substanzen auf das Wachstum der Komma- bazillen ein nicht geringes Interesse hat, so ist auch eine Anzahl anderer Substanzen daraufhin untersucht. Ich möchte bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam machen, daß die Entwicklungshemmving noch keine Desinfektion bedeutet; es handelt sich bei diesen Versuchen nur um die Bestimmung derjenigen Menge einer Substanz, welche eben ausreicht, um das Wachstum der Bakterien zu verhindern. Damit sind letztere aber noch keineswegs abgetötet, wie es die Desinfektion tun soll. Etwas Ähnliches hatten wir bei dem Experiment über den Einfluß der Kohlensäure auf die Kommabazillen erfahren, wobei auch nur, solange man die Kohlensäure wirken läßt, das Wachstum zurückgehalten wird. Dasselbe gilt also auch hier von diesen Zahlen, welche ich ihnen jetzt mitteilen werde. Jod ist bekanntlich von D a v a i n e als ein sehr intensives Gift für Bakterien bezeichnet, und unter bestimmten Verhältnissen ganz mit Recht. D a v a i n e hatte seine Versuche in der Weise gemacht, daß er eine Flüssigkeit, welche Milzbrandbazillen enthielt, z. B. Milzbrandblut, außerordentlich verdünnte, so daß er eigentlich schließlich nur noch reines Wasser hatte, in dem sehr wenige Milzbrandbazillen suspendiert waren. Dieser Flüssigkeit setzte er Jod hinzu, und da zeigte sich, daß die Milzbrandbazillen durch außerordentlich germge Mengen Jod abgetötet wurden. Nun liegen aber die Ver- hältnisse in der Praxis ganz anders. Wir haben niemals das Wachstum der Infektions- stoffe m remem Wasser zu verhindex'n, sondern im alkalischen Darminhalt oder im Blut oder Gewebssäften, und in diesen wird das Jod nicht frei bleiben, sondern sofort Verbindungen mit den Alkalien eingehen. Die Prüfung des Einflusses von Jod auf die Kommabazillen geschah nun in der Weise, daß Jodwasser einer Fleischbrühe, die gerade noch geeignet war, eine gute Nährflüssigkeit zu geben, zugesetzt wurde. Das Jod löst sich imgefähr im Verhältnis von 1 : 4000 im Wasser auf. Von diesem Jodwasser wurde 1 ccm mit 10 ccni Fleischbrühe gemischt, doch behinderte dieser Zusatz das Wachstum der Bazillen auch noch nicht im allergeringsten ; die Grenze, bei welcher Jod die Bazillen nicht mehr zur Entwickehuig kommen läßt, muß also noch weit unter der in diesem Ver- such zur Anwendung gekommenen Menge liegen. Mir scheint es indessen nicht nötig, darüber noch weitere Versuche anzustellen, da in der Praxis größere Mengen von Jod als diese nicht gegeben werden können. Der Alkohol hält die Entwickelung der Kommabazillen erst dann auf, wenn man 1 Teil zu 10 Teilen Nährflüssigkeit fügt, also bei einem Gehalt von 10%. Es ist das eine Konzentration, die man ebenfalls praktisch nicht mehr verwenden kann. Das Kochsalz wurde versucht bis zu einem Gehalt von 2%, ohne daß damit eine Behinderung im Wachstum der Kommabazillen erzielt wurde. Eisensulfat behindert erst, wenn man davon 2% der Nährflüssigkeit hinzusetzt. Gerade bei diesem Mittel, welches vielfach zvu- Desinfektion in Cholerazeiten gebraucht ist, möchte ich in Erinnerung bringen, daß ein Gehalt von 2 % erst die Grenze der Ent- wicklungsbehinderung ist. In dieser Konzentration tötet das Eisensulfat die Komma- bazillen noch nicht. Die entwicklungshemmende Eigenschaft des Eisensulfats hat wahr- scheinlich ihren Grund darin, daß aus der Nährlösung das Pepton und Albuminate, welche zur Ernährung der Bakterien dienen, ausgefällt werden, denn es entsteht beim Zusatz von 2% Eisensulfat in der Nährlösung em reicliliclier Niederschlag. Möglicher- weise wirkt außerdem noch die eintretende saure Reaktion hemmend auf das Wachstum. 30 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. Eine spezifische Wirkung auf die Bakterien scheint dieses Mittel demnach nicht zu besitzen und überhaupt kein eigenthches Tötungs- oder Desinfektionsmittel zu sein. Ich halte es sogar für möglich, daß man mit einem derartigen Mittel gerade das Gegen- teil von dem erreicht, was man beabsichtigt. Gesetzt den FaU, es wäre der Inhalt einer Abtrittsgrube zu desmfizieren, von der vorausgesetzt werden kann, daß Kommabazillen hineingekommen sind. Nach meiner Ansicht genügt schon der im Grubeninhalt vor sich gehende Fäuhiisprozeß, um die Kommabazillen zu töten. Wenn nun aber Eisen- sulfat bis zur sauren Reaktion zugesetzt vind dadurch der Fäulnisprozeß unterbrochen wird, dann erreicht man nichts anderes, als daß das Wachstum der Bakterien und auch der Kommabazillen nur eben aufhört. Getötet werden die Bakterien dadurch keines- wegs, und was die Kommabazillen anbetrifft, so werden sie dem ihnen nachteiligen Einfluß der Fäulnisbakterien entzogen und konserviert, anstatt vernichtet zu werden. Dieses Beispiel ist sehr geeignet, um zu zeigen, daß die Desinfektionsmittel gerade in dieser Beziehung richtig beurteilt und geprüft werden müssen, und daß man wohl zu unterscheiden hat, was nur fäulnishemmend und was wirklich tötend auf die Bak- terien wirkt. Das erstere kann möglicherweise gerade zur Konservierung der Infektions - Stoffe dienen. Von anderen Substanzen will ich nur kurz die Grenzwerte der Entwicklungs- hemmung anführen: Alaun 1 : 100. Kampfer 1 : 300. Ich hatte eigentlich von Kampfer eine stärkere Wirkung erwartet, aber mehrere sorgfältige Versuche haben ergeben, daß dieses Mittel nur einen geringen Einfluß auf die Kommabazillen besitzt. Karbolsäure 1 : 400. Diese Zahl stimmt ungefähr mit dem, was wir auch sonst von der Karbolsäure bei anderen Bakterien wissen. Pfefferminzöl 1 : 2000. Kupfersulfat 1 : 2.500. Dieses Mittel hat also schon eine ziemlich kräftige Wirkung. Aber wenn man ausrechnen wollte, wieviel Kupfersulfat man geben muß, um die Kommabazillen nur am Wachstum im Darmkanal zu hindern, so würde man doch zu Quantitäten kommen, die man einem Menschen nicht mehr geben kann. Chinm 1 : 5000 und Sublimat, das sich auch hier wieder als allen anderen Substanzen weit überlegen zeigt, 1 : 100 000. Bei diesen Versuchen über den Einfluß der entwicklungshemmenden Mittel ergab sich noch die auffallende Tatsache, daß die Kommabazillen außerordentlich leicht ab- sterben, wenn sie getrocknet werden. Man macht nämlich jene Versuche in der Weise, daß man auf Deckgläschen ein ganz kleines Tröpfchen bazillenhaltiger Substanz ein- trocknen läßt, und zwar wird gleich für eine Reihe von Experimenten ein größerer Vor- rat von solchen Deckgläschen präpariert. Auf ein solches Deckgläschen wird dann später von der Flüssigkeit, welche geprüft werden soll, ein Tropfen gebracht und im hohlen Objektträger der Entwicklüng überlassen. Als in dieser Weise verfahren wurde, wuchs in keinem einzigen Präparate etwas, auffaUenderweise aber auch in dem Kontroll- präparate nicht, das als Nährflüssigkeit reine Fleischbrühe bekommen hatte. Ich wußte anfangs gar nicht, wodurch das Ausbleiben des Wachstums bedingt sein könnte, und dachte zunächst daran, daß es an der Fleischbrühe liegen müsse, denn bei ähnlichen Versuchen mit anderen Bakterien war mir etwas Derartiges noch nicht begegnet. So kann man beispielsweise Milzbrandbazillen längere Zeit getrocknet auf Deckgläschen vorrätig halten, sie bleiben eine halbe bis eine ganze Woche lang in dieser Weise lebens- fähig. Als indessen die Untersuchung der Fleischbrühe zeigte, daß dieselbe tadellos war, mußte geprüft werden, ob nicht doch etwa die Kommabazillen infolge des Ein- trocknens auf dem Deckglase abgestorben waren. Um hierüber Auskunft zu erhalten, wurde folgender Versuch gemacht: Es wurde eine Anzahl von Deckgläschen mit einem Tröpfchen bazillenhaltiger Substanz versehen. Das Tröpfchen trocknete nach wenigen Minuten ein. Ein Deckglas wurde nun nach einer Viertelstunde, eins nach einer halben Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerat'rage am 20. Juli 1884 in Berlin. 31 Stunde, eins nach einer Stunde usw. mit einem Tropfen Fleischbrühe versetzt. Dann stellte sich heraus, und zwar sind mehrere Reihen solcher Versuche gemacht, daß die Kommabazillen zwar auf den in einer viertel, einer halben und einer ganzen Stunde getrockneten Deckgläsern noch zur Entwicklung kamen, aber manchmal schon nach zwei Stunden abgestorben waren; über drei Stunden konnte ich bei diesen Versuchen die Bazülen nicht am Leben erhalten. Nur wenn komi^akte Massen von Bazillenkulturen, z. B. die breiartige Substanz einer auf Kartoffeln gewachsenen Kultur getrocknet wurde, hielten sich die Bazillen etwas länger lebensfähig; offenbar weil in diesem Falle sehr viel später ein vollständiges Eintrocknen erfolgte. Aber auch unter diesen Verhältnissen ist es nie gelungen, die Bazillen länger als 24 Stunden in trockenem Zustande lebens- fähig zu erhalten. Dieses Residtat war zunächst insofern wichtig, als man mit Hilfe desselben sehr leicht prüfen konnte, ob die Bakterien einen Dauerzustand haben. Wir wissen ja, daß andere pathogene Bakterien, z. B. Milzbrandbakterien, welche Sporen bilden, in diesem Dauerzustande jahrelang getrocknet auf einem solchen Deckgläschen aufbewahrt werden können, ohne daß sie absterben. Wir wissen auch von anderen Infektionsstoffen, deren Natur wir noch nicht genau kennen, z. B. von dem Pockenstoff und von der Vakzme, daß sie längere Zeit, selbst mehrere Jahre hindurch, im getrockneten Zustande infektions- fähig bleiben können. In diesen Fällen handelt es sich um wirkliche Dauerzustände. Wenn nun also die Kommabazillen, welche als solche so ungemein schneU durch Trocknen getötet werden, unter irgendwelchen Verhältnissen in einen Dauerzustand übergehen, dann müßte sich das beim Eintrocknen sehr bald herausstellen. Es ist dies auf jeden Fall eine der wichtigsten Fragen für die Ätiologie einer In- fektionskrankheit und ganz besonders für die Cholera. Die Untersuchung darüber ist deswegen auch in einer möglichst sorgfältigen Weise und nach allen Riclitungen hin geschehen, und ich glaube kaum, daß sich in dieser Beziehung noch mehr wird tun lassen. Vor allen Dingen wurden Choleradejektionen und Darminhalt von Choleraleichen auf Leinwand in feuchtem Zustande gelassen, dauiit sich die Kommabazillen unter den gimstigsten Bedingungen entwickeln konnten. Nach verschiedenen Zeiten wurden Stücke der Leinwand getrocknet, also z. B. nach 24 Stunden, nach einigen Tagen, nach mehreren Wochen, um zu sehen, ob sich nicht doch in dieser Zeit irgendwie ein Dauerzustand gebildet haben würde. Denn die Infektion durch Cholerawäsche liefert das einzige un- bestrittene Beispiel für das Vorhandensein eines wirksamen Infektionsstoffes, welcher einem bestimmten Gegenstand anhaftet. Wenn irgendwo ein Dauerzustand zu finden war, dann hätte es gerade in der Cholera wäsche geschehen müssen. In allen diesen Versuchen hat sich aber niemals ein Dauerzustand nachweisen lassen. Wenn die getrockneten Sachen untersucht wurden, zeigte es sich, daß die Komma- bazillen abgestorben waren. Es sind dann ferner die Dejektionen in Erde gebracht imd zwar entweder mit der Erde gemischt oder an der Oberfläche der Erde ausgebreitet, welche entweder trocken oder fevicht gehalten wurde ; sie sind mit Sumpf wasser gemischt, auch ohne irgendwelchen Zusatz der Zersetzung überlassen. In Gelatinekulturen sind die Kommabazillen bis zu 6 Wochen kultiviert, ebenso in Blutseriim, in Milch, auf Kar- toffeln, auf welchen bekanntlich die Milzbrandbazillen außerordentlich schnell und reich- lich Sporen bilden. Es ist aber niemals zu einem Dauerzustand der Kommabazillen gekommen. Da wir wissen, daß die meisten Bazillen einen Dauerzustand besitzen, so muß dieses Resultat sehr auffallend erscheinen. Aber ich will hier an das, was ich be- reits früher erwähnte, erinnern, daß es sich hier höchstwahrscheinlich um einen Mikro- organismus handelt, der gar kein echter Bazillus ist, sondern der Grujope der schrauben- förmigen Bakterien, den Spirillen, näher steht. Wir kennen aber von den Spirillen über- 32 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. haiipt noch keine Dauerformen. Die Spirillen sind Bakterien, welche ein für allemal auf Flüssigkeiten angewiesen sind und nicht, wie die Milzbrandbazillen, unter Ver- hältnissen vegetieren, unter denen sie auch einmal einen trockenen Zustand zu bestehen haben. Es scheint mir deswegen, wenigstens soweit meine Erfahrung reicht, auch ganz aussichtslos zu sein, daß noch ein Dauerzustand der Kommabazillen aufgefunden werden könnte. Übrigens werde ich auch später noch auseinanderzusetzen haben, daß das Fehlen eines Dauerzustandes mit den Erfahrungen über die Choleraätiologie vollständig im Einklang steht. Zieht man alle bis jetzt geschilderten Eigenschaften der Kommabazillen in Be- tracht, dann muß man die Überzeugung gewinnen, daß dieselben einer bestimmten, gut charakterisierten Bakterienart angehören und daß sie sich mit Hilfe ihrer charak- teristischen Eigenschaften auch leicht erkennen und von anderen Bakterien unter- scheiden lassen. Nachdem diese Überzeugung gewonnen war, kam es vor allen Dingen darauf an, nunmehr festzustellen, in welcher Beziehung die Kommabazillen zu dem eigentlichen Choleraprozeß stehen, und zwar mußte zunächst untersucht werden, ob sie in allen Fällen von Cholera vorkommen und ob sie andererseits in allen Nicht-Cholerafällen fehlen, d. h. also ob sie der Cholera ausschließlich angehören. In dieser Richtung ist nun eine möglichst große Reihe von Fällen sehr gründlich untersucht. In Ägypten konnten 10 Obduktionen verwertet werden; allerdings sind diese nur mikroskopisch geprüft, denn die Eigenschaften der Kommabazillen, welche sie bei ihrem Wachstum in Nähr- gelatine zeigen, waren mir damals noch nicht hinreichend bekannt, um das Gelatine- verfahren für den Nachweis der Bazillen anwenden zu können. Aber ich habe mich durch sorgfältige mikroskopische Untersuchung davon überzeugt, daß die Komma- bazillen in allen diesen Fällen vorhanden waren. Dann sind in Indien 42 Obduktionen sowohl mikroskopisch, als auch zu gleicher Zeit durch Kulturen in Nährgelatine unter- sucht, und in keinem Falle wurden die Bazillen vermißt. In einer Reihe von Fällen, die ganz akut verlaufen waren, wurde im Darmkanal nahezu eine Reinkultur der Komma- bazillen angetroffen. Außerdem sind in Indien noch die Dejektionen von 32 Cholera- kranken in gleicher Weise untersucht, und jedesmal sind die Kommabazillen darin nachgewiesen. Auch die von Cholerakranken erbrochenen Flüssigkeiten sind sehr oft untersucht. Aber es wurden nur zweimal die Kommabazillen darin gefunden, und in diesen Fällen ließ die Beschaffenheit des Erbrochenen darauf schließen, daß es kein eigentlicher Mageninhalt war, sondern Darminhalt, der durch die Bauchpresse in die Höhe getrieben und entleert war. Die Flüssigkeit reagierte alkalisch und hatte auch ganz das Aussehen von Darminhalt. Ich habe die Kommabazillen ferner noch in den Präparaten von 8 anderen Obduktionen gefunden, welche ich zum Teil früher schon aus Indien zugeschickt erhalten, zum Teil aus Alexandrien von Dr. K a r t u 1 i s und Dr. Schiess-Bey bekommen hatte. Schließlich habe ich kürzlich noch in Toulon 2 Obduktionen mit Dr. S t r a u s s und Dr. R o u x gemeinschaftlich gemacht und so- wohl in diesen Fällen, als auch in den Dejektionen von 2 Kranken die Kommabazillen nachgewiesen. Bei diesen beiden Obduktionen in Toulon handelte es sich um außer- ordentlich charakteristische, ganz akut verlaufene Fälle. Der eine Mensch, ein Matrose, sollte als Rekonvaleszent von Malaria an demselben Tage aus dem Hospital entlassen . werden. Es kam aber nicht dazu, da er gegen 11 Uhr vormittags an einem Choleraanfalle erkrankte. Nachmittags um 3 Uhr starb er und die Leiche konnte bereits um %4 Uhr seziert werden. Ich will bei dieser Gelegenheit bemerken, daß auch bei fast allen anderen von mir untersuchten Fällen die Obduktionen ganz kurze Zeit nach dem Tode gemacht sind. Wir haben mehrmals unmittelbar nach dem Tode die Sektion gemacht, in den * Erste Konferenz ziu- Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. 33 meisten Fällen höchstens 2 oder 3 Stunden nach dem Tode, so daß die postmortale Fäulnis noch nicht verändernd auf die Beschaffenheit des Darmes und seines Inhaltes gewirkt haben konnte. Bei dem erwähnten Falle konnte man sich wie bei einef Anzahl von früheren Obduktionen nun ebenfalls davon überzeugen, daß im Darm in den ganz akuten Fällen nahezu eine Reinkultur von Kommabazillen vorkommt. Ich konnte diese Tat- sache den Herren Dr. S t r a u s s und Dr. R o u x, welchen es bis dahin noch nicht gelungen war, die Kommabazillen mikroskopisch oder durch Kultur auf festem Nähr- boden nachzuweisen, demonstrieren. Diese Herren waren, wie mir Dr. S t r a u s s mit- teilte, immer der Meinung gewesen, daß noch ein besonderer Kniff bezüglich der Prä- paration dazu gehöre, um die Kommabazillen zu färben und zu kultivieren. Sie haben sich dann aber davon überzeugt, daß nichts einfacher ist als dies, wenn für die Unter- suchung nur ein reiner und unkomplizierter Fall ausgewählt wird. Auch bei der zweiten Obduktion, an welcher ich mich in Toulon beteiligte, fanden sich die Kommabazillen im Darm fast in einer Reinkultur. Ich habe dann Herrn Dr. S t r a u s s gebeten, mir bei dieser Gelegenheit die Mikroben zu zeigen, welche seiner Angabe nach im Cholerablut vorkommen sollen. Aber in beiden Fällen waren diese Ge- bilde nicht zu finden. Rechnen wir nun alle diese Fälle zusammen, dann kommen nahezu 100 heraus, die auf das Vorhandensein von Kommabazillen untersucht sind, und üi allen sind sie gefunden. Aber nicht allein, daß sie vorhanden sind, hat die Untersuchung ergeben, sondern, wie ich schon mehrfach angedeutet habe, sie stehen auch immer in einem geraden Verhältnis zum Choleraprozeß selbst. Denn da, wo der eigentliche Choleraprozeß die tiefsten Veränderungen im Darm hervorruft, nämlich im unteren Abschnitt des Dünn- darms, fanden sie sich am reichlichsten; nach oben zu nahmen sie mehr und mehr ab. vSie erschienen in den reinsten Fällen nahezu in Reinkulturen. Je älter aber die Fälle sind und je mehr sekundäre Veränderungen im Darm stattgefunden haben, um so mehr traten sie in den Hintergrund. Auf Grund des von mir bis dahin untersuchten Choleramaterials glaube ich nun- mehr behaupten zu können, daß die Kommabazillen niemals bei der Cholera fehlen; sie sind etwas der Cholera Spezifisches. Zur Kontrolle ist nun eine ganze Anzahl anderer Leichen, Dejektionen von Kranken und Gesunden und sonstige Substanzen, die bakterienreich sind, in gleicher Weise unter- sucht, um zu erfahren, ob nicht doch diese bei der Cholera nie fehlenden Bazillen viel- leicht noch anderswo auftreten. Was zur Beurteilung des kausalen Zusammenhanges zwischen Kommabazillen und Cholera von größter Bedeutung ist. Zu diesen Unter- suchungsobjekten gehörte die Leiche von einem Menschen, der 6 Wochen vorher Cholera gehabt hatte und dann an Anämie gestorben war. In seinem Darm war absolut nichts mehr von Kommabazillen zvi finden. Es wurde ferner die Dejektion von einem Menschen untersucht, der 7 oder 8 Tage zuvor einen Choleraanfall gehabt hatte und bei dem die Entleerungen schon anfingen konsistent zu werden; auch in diesem Falle fehlten die Kommabazillen. Ich habe dann noch mehr als 30 Leichen gründlich untersucht, um mich immer wieder davon zu überzeugen, daß die Bazillen wirklich nur in Cholera- fällen vorkommen. Es wurden hierzu hauptsächlich Leichen von solchen ausgewählt, die an Darmaffektionen, wie Dysenterie oder an den in den Tropen so häufig tödlichen Darmkatarrhen gestorben waren, ferner Fälle mit Ulzerationen im Darm, ein Fall von Abdominaltyphus, dann mehrere Fälle von biliösem Typhoid. Bei dieser letzterwähnten Krankheit sind die Veränderungen im Darm auf den ersten Anblick denjenigen sehr ähnlich, welche bei schweren mit Darmblutungen verlaufenen Cholerafällen vorkommen. Der Dünndarm ist im unteren Abschnitt auch hämorrhagisch infiltriert, aber merk- Koch. Gesammelte Werke. 48 34 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. würdigerweise betrifft diese Veränderung beim biliösen Typhoid vielmehr die P e y e r - sehen Plaques, während sich dieselben bei der Cholera am wenigsten verändert zeigen. In allen diesen Fällen, in denen es sich hauptsächlich um Darmkrankheiten handelte, ist nun niemals etwas von Kommabazillen gefunden worden; die Erfahrung lehrt, daß derartige Darmaffektionen für die Choleraerkrankung ganz besonders disponiert machen. Man hätte also voraussetzen können, daß die Kommabazillen, wenn sie sonst vorkämen, gerade in solchen FäUen zu finden sein müßten. Außerdem ist eine ganze Anzahl von Entleerungen Dysenteriekranker untersucht, ohne daß die Kommabazillen jemals an- getroffen wurden. Diese Untersuchungen habe ich später in Berlin fortgesetzt, in Ge- meinschaft mit Dr. Stahl, meinem unermüdlichen und für die Bakterienforschung vielversprechenden Mitarbeiter, dessen Tätigkeit der Tod leider ein zu frühes Ende bereitet hat. Wir haben eine große Zahl von Entleerungen, namentlich von Kinder- diarrhöen, aber auch von Erwachsenen, ferner Speichel, sowie den an den Zähnen und auf der Zunge haftenden bakterienreichen Schleim auf das Vorkommen von Komma- bazillen geprüft, aber stets mit negativem Erfolg. Auch die verschiedensten Tiere sind daraufhin untersucht. Weil durch Arsenikvergiftung ein der Cholera sehr ähnlicher Symptomenkomplex erzeugt werden kann, so wurden Tiere mit Arsenik vergiftet und nachher untersucht. Es fanden sich allerdings eine Menge von Bakterien im Darm, aber keine Kommabazillen. Ebensowenig fanden sich letztere in der Spüljauche aus den Kanälen der Stadt Kalkutta im stark verunreinigten Wasser des Hughli-Flusses in einer Anzahl von Tanks, welche in den Dörfern und zwischen den Hütten der Ein- geborenen liegen vmd ein sehr schmutziges Wasser enthalten. Ich habe, wo ich nur irgendwie eine bakterienhaltige Flüssigkeit erreichen konnte, sie auf das Vorkommen von Kommabazillen untersucht, aber niemals solche darin gefunden. Nur einmal traf ich in dem Wasser, welches zur Flutzeit das östlich von Kalkutta gelegene Terrain des Salt-water-lake überschwemmt, eine Bakterienart, welche beim ersten Anblick eine ge- wisse Ährdichkeit mit den Cholerabazillen hatte; aber bei genauer Untersuchung er- schienen sie doch etwas größer und dicker als jene und ihre Kulturen verflüssigten die Gelatüie nicht. Nun steht mir aber, auch außer diesen Beobachtungen, doch schon eine ziemhch reiche Erfahrung über Bakterien zu Gebote, aber ich kann mich nicht erinnern, daß ich früher jemals Bakterien gesehen hätte, welche den Kommabazillen gleichen. Ich habe mit manchen gesprochen, welche sehr viele Bakterienkulturen gemacht und ebenfalls Erfahrung haben, aber alle haben mir erklärt, daß sie eine solche Bakterienart noch nicht gesehen haben. Ich glaube also mit Bestimmtheit aussprechen zu können, daß die Kommabazillen konstante Begleiter des Choleraprozesses sind und daß sie nirgends anderswo vorkommen. Es wird nunmehr die Frage zu beantworten sein, wie wir uns das Verhältnis zwischen dem Kommabazillus und dem Choleraprozeß vorzustellen haben. Für die Beantwortung dieser Frage kann man drei verschiedene Annahmen zugrunde legen. Man kann erstens sagen: der Choleraprozeß begünstigt das Wachstum der Kommabazillen, indein er ihnen den Nährboden vorbereitet und infolgedessen kommt es zu einer so auffallenden Ver- mehrung gerade dieser Bakterien art. Wenn man diese Behauptung aufstellt, dann muß man von der Voraussetzung ausgehen, daß jeder Mensch schon Kommabazillen in sich hat, wenn er cholerakrank wird, denn sie wurden in den verschiedensten Orten in Indien, in Ägypten, in Frankreich und in Menschen der verschiedensten Herkunft und Natio- nalität gefunden. Diese Bakterienart müßte bei dieser Annahme eine der verbreitetsten und gewöhnlichsten sein. Aber es ist das Gegenteil der Fall, denn sie kommen, wie wir gesehen haben, weder bei solchen, die an anderen Krankheiten leiden, noch bei Gesunden, noch außerhalb des Menschen an den der Bakterienentwicklung günstigsten Orten vor : sie Erste Konferenz zur Erörterung der Oholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. 35 erscheinen immer nur dort, wo die Cliolera auftritt. Diese Annahme kann also nicht als eüie zulässige angesehen werden und \\'ir müssen sie deswegen fallen lassen. Zweitens könnte man sich das regelmäßige Zusammentreffen der Kommabazillen und des Choleraprozesses in der Weise zu erklären versuchen, daß durch die Krankheit Verhältnisse geschaffen werden, durch welche unter den vielen Bakterien, die im Darm vorkommen, die eine oder andere Art sich verändert und die Form und Eigenschaften annimmt, die wir an dem Kommabazillus kennen gelernt haben. In betreff dieser Deutung muß ich nun aber gestehen, daß sie ohne irgendwelche tatsächliche Begründung, daß sie eine reine Hypothese ist. Wir kennen bis jetzt noch nicht eine derartige Umwandlung emer Bakterienart in eine andere. Die einzigen Beispiele von Umwandlung in den Eigen- schaften der Bakterien beziehen sich auf ihre physiologischen und pathogenen Wirkungen, aber nicht auf die Form. Die Milzbrandbazillen verlieren beispielsweise, wenn sie in einer bestimmten Weise behandelt werden, ihre pathogene Wirkung, sie bleiben aber in ihrer Form ganz unverändert. In diesem Beispiel handelt es sich außerdem auch um den Verlust der pathogenen Eigenschaften. Dies ist aber gerade das Gegenteil von dem, was bei der Umwandlung unschädlicher Darmbakterien in die gefährlichen Cholera- bazillen stattfinden würde. Für diese letztere Art der Abänderung von unschädlichen in schädliche Bakterien existiert überhaupt noch kein exakt bewiesenes Beispiel. Vor einer Reihe von Jahren, als die Bakterienforschung sich noch in den ersten Anfängen befand, konnte man noch mit einiger Berechtigung eine solche Hypothese aufstellen. Aber je weiter die Bakterienkunde sich entwickelt hat, um so mehr hat sich auch her- ausgestellt, daß die Bakterien gerade in bezug auf ihre Form außerordentlich konstant sind. Speziell in bezug auf die Kommabazillen will ich noch bemerken, daß sie alle die früher geschilderten Eigenschaften vollkommen beibehalten, wenn sie außerhalb des menschlichen Körpers weiter gezüchtet werden. Sie wurden beipielsweise mehrfach bis zu 20 Umzüchtungen in Gelatine kultiviert und hätten, wenn sie in ihren Eigenschaften nicht ebenso konstant wären wie andere Bakterien, bei diesem Versuch sich doch wieder in die bekannten Formen der gewöhnlichen Darmbakterien zurückverwandeln müssen, was aber keineswegs der Fall war. Es bleibt nunmehr nur noch die dritte Annahme übrig, daß nämlich der Cholera- prozeß und die Kommabazillen in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen, und ich kenne in dieser Beziehung keinen anderen als den, daß die Kommabazillen den Cholera- prozeß verursachen, daß sie der Krankheit vorhergehen und daß sie dieselbe erzeugen. Das Umgekehrte würde ja auf das herauskommen, was ich eben auseinandergesetzt habe, daß der Choleraprozeß die Kommabazillen hervorbringt, mid das ist, wie gezeigt wurde, nicht möglich. Für mich ist also die Sache erwiesen, daß die Kommabazillen die Ursache der Cholera shid. Nun kann man allerdings verlangen, daß, wenn dem so ist, auch weitere Beweise dafür erbracht werden, und vor allen Dingen, daß der Choleraprozeß auch experimentell durch die Kommabazillen erzeugt wird. Es ist denn auch in aUer erdenkhchen Weise versucht, dieser Forderung gerecht zu werden. Die einzige Möglichkeit, einen solchen direkten Beweis für die choleraerzeugende Wirkung der Kommabazillen zu Hefern, bietet das Tierexperiment, welches, wenn man den Angaben der Autoren ohne weiteres Glauben schenken könnte, auch ohne Schwierigkeit auszuführen sein müßte. Man hat behauptet, daß die Cholera bei Kühen, bei Hunden, bei Hühnern, bei Elefanten, bei Katzen und manchen anderen Tieren vorkäme, aber wenn man diese Angaben etwas genauer untersucht, findet man stets, daß sie ganz unzuverlässig sind. Bis jetzt besitzen wir eigentlich noch gar kein sicheres Beispiel, daß Tiere üa Cholerazeiten spontan an Cholera erkrankt sind. Auch alle Experimente, die bis jetzt an Tieren mit Cholerasub- 48* 36 Erste Konferenz ziu- Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. stanzen gemacht wurden, sind entweder direkt negativ ausgefallen, oder, wenn sie an- geblich positiv ausfielen, so waren sie doch nicht vollständig beweiskräftig oder wurden von anderen Experimentatoren widerlegt. Trotzdem haben wir uns auch mit dem Tier- versuche aufs eingehendste beschäftigt. Ich habe insbesondere, weil man auf die von Thierschan weißen Mäusen erzielten Resultate viel Gewicht legen mußte, von Berlin 50 Mäuse mitgenommen und alle möglichen Infektions versuche damit angestellt. Zu- nächst wurden sie mit Entleerungen von Cholerakranken und mit dem Darminhalt von Clioleraleichen gefüttert. Wir haben uns möglichst genau an die Versuchsanordnung von Thiersch gehalten und nicht allein mit frischem Material gefüttert, sondern auch, nachdem die Flüssigkeiten in Zersetzung übergegangen waren. Trotzdem diese Experimente immer und immer wieder mit Material von neuen CholerafäUen wieder- holt sind, blieben unsere Mäuse gesund. Es wurde dann an Affen experimentiert, an Katzen, Hühnern, Hunden und verschiedenen anderen Tieren, deren wir habhaft werden konnten, aber niemals haben wir etwas dem Choleraprozeß ähnliches bei Tieren erzielen können. Ganz ebenso haben wir mit den Kultm-en der Kommabazillen Versuche ge- macht, auch diese wurden verfüttert in allen mögliclien Stadien der Entwicklung. Als dann ferner das Experiment so angestellt wurde, daß Tiere mit großen Quantitäten von Kommabazillen gefüttert, dann getötet und der Inhalt des Magens und Darms auf Kommabazillen untersucht wurde, stellte sich heraus, daß die Kommabazillen schon im Magen zugrunde gehen und für gewöhnlich gar nicht in den Darmkanal gelangen. Andere Bakterien verhalten sich in dieser Beziehung anders, denn es wurde zufällig in Kalkutta ein sehr schön rot gefärbter Mikrokokkus gefunden, welcher an seiner auf- fallenden Farbe leicht zu erkennen war und sich für ein solches Experiment deswegen besonders gut eignete. Dieser Mikrokokkus wurde auf meine Veranlassung von Dr. Barclay m Kalkutta an Mäuse verfüttert und der Darminhalt dieser Tiere auf Kar- toffeln gebracht. Es bildeten sich dann wieder die roten Kolonien des Mikrokokkus, der also unbeschädigt den Magen der Maus passiert hatte. Die Kommabazillen gehen dagegen im Magen der Tiere zugrunde. Man mußte hieraus schließen, daß das Miß- lingen der Fütterungsversuche in diesem Verhalten der Kommabazillen seinen Grund haben könnte. Deswegen wurde der Versuch dahin abgeändert, daß man den Tieren die Substanzen direkt in den Darm brachte. Es wurde der Bauch geöffnet und die Flüssig- keit mit einer P r a v a z sehen Spritze unmittelbar in den Dünndarm injiziert. Die Tiere vertrugen diesen Eingriff sehr gut, aber sie wurden nicht krank davon. Wir haben ferner bei Affen versucht, durch einen langen Katheter die Cholerade jektion möglichst hoch hinauf in den Darm zu bringen. Auch dies ging sehr gut, aber die Tiere sind gesund ge- blieben. Es wurden auch, was ich noch erwähnen will, den Tieren vorher Abführmittel gegeben, um den Darm in einen gewissen Reizzustand zu versetzen, und dann die in- fizierende vSubstanz gegeben, ohne daß ein anderes Resultat erzielt wurde. Das einzige Experiment, bei welchem die Kommabazillen eine pathogene Wirkung äußerten, und welches mir deswegen auch anfangs Hoffnung machte, daß man damit doch zu einem Resultat kommen könnte, war, daß man Reinkulturen den Kaninchen direkt in die Blutbahn oder Mäusen in die Bauchhöhle injizierte. Die Kaninchen erscheinen nach der Injektion sehr krank, erholen sich aber nach einigen Tagen wieder. Mäuse starben dagegen 24 bis 48 Stunden nach der Injektion und es ließen sich die Kommabazillen im Blute derselben nachweisen. Man muß allerdings den Tieren ziemlich große Mengen beibringen ; und es ist nicht wie bei anderen Infektions versuchen, wo man die kleinsten Mengen anwendet und den- noch eine Wirkung damit erzielt. Um über die Möglichkeit, Tiere mit Cholera infizieren zu können, Gewißheit zu erlangen, habe ich mich in Indien überall erkundigt, ob bei Erste Konferenz ziu- Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. 37 den Tieren je ähnliche Krankheiten beobachtet sind. Es ist mir aber gerade in Bengalen versichert worden, daß niemals derartiges vorgekommen sei. In dieser Provinz findet sich eine außerordentlich dichte Bevölkerung und es gibt dort mancherlei Tiere, die mit den Menschen zusammenleben. Man sollte nun annehmen, daß in diesem Lande, wo überall und fortwährend Cholera vorhanden ist, die Tiere recht oft den Cholera- infektionsstoff und zwar in einer ebenso wirksamen Form wie die Menschen in ihren Verdauungskanal bekommen müssen, aber niemals ist dort beobachtet, daß Tiere an choleraartigen Zufällen erkrankt sind. Ich glaube deswegen auch, daß alle die Tiere, die uns zu solchen Versuchen zu Gebote stehen, und ebenso diejenigen, welche mit den Menschen gewöhnlich in Berührung kommen, sämtlich für Cholera immun sind und daß ein richtiger Choleraprozeß bei ihnen auch nicht künstlich erzeugt werden kann. Wir müssen daher auf dieses Beweismittel verzichten. Nun ist aber damit durchaus noch nicht gesagt, daß überhaupt kein Beweis für die pathogene Wirkung der Kommabazillen zu erbringen ist. Ich habe Ihnen ja schon auseinandergesetzt, m. H., daß ich für meine Person auch ohne diese Tierversuche mir keine andere Vorstellung davon machen kann, als daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Kommabazillen und dem Choleraprozeß existiert. Wenn es auch wirklich später noch gelingen sollte, bei den Tieren irgend etwas der Cholera Ähnliches zu pro- duzieren, so würde das für mich nicht mehr beweisend sein als die Tatsachen, welche uns jetzt schon zur Verfügung stehen. Wir kennen übrigens auch andere Krankheiten, die sich nicht auf Tiere übertragen lassen, z. B. Lepra, und doch müssen wir nach allem, was wir von den Leprabazillen wissen, annehmen, daß sie die LTrsache der Lepra sind. Wir müssen auch für diese Krankheit auf Tierversuche verzichten, weil bislang noch keine für Lepra empfängliche Tierspezies gefunden ist. Mit dem Abdoniinaltyphus verhält es sich wahrscheinlich ebenso; ich wüßte nicht, daß es schon gelungen wäre, Tiere damit zu infizieren. Wir werden uns damit begnügen müssen, daß wir das kon- stante Vorkommen einer bestimmten Art von Bakterien bei der betreffenden Krankheit und das Fehlen derselben Bakterien in anderen Krankheiten konstatieren. Die frag- lichen Bakterien müssen sich stets mit dem Infektionsstoff dieser bestimmten Krank- heit decken und, worauf ich namentlich Wert lege, das Vorkommen der pathogenen Bakterien muß ein den pathologischen Veränderungeii im Körper und dem Verlauf der Krankheit entsprechendes sein. Wir kennen auf der anderen Seite z. B. auch Tier- kranklieiten, die nicht auf den Menschen zu übertragen sind, z. B. die Rinderpest und die Lungenseuche. Wir begegnen hier einer in der Natur weitverbreiteten Erscheinung. Fast alle Parasiten sind nur auf eine oder wenige Tierspezies angewiesen, die ihnen als Wirt dient. Ich erinnere an die Bandwürmer. Viele Tierarten haben ihren eigenen Band- wurm, der nur bei dieser Art und keiner anderen sich zu entwickeln vermag. Wir werden also bei einer ganzen Anzahl von Infektionskrankheiten, zu denen auch die exan thematischen Krankheiten gehören, auf diesen Teil des Beweises ver- zichten müssen, und wir können das auch um so eher tun, als wir schon eine ganze Reihe von anderen Krankheiten kennen, die durch pathogene Organismen bedingt werden, bei denen die Verhältnisse aber im übrigen ebenso liegen und von denen wir mit aller Bestimmtheit wissen, daß die Krankheit durch die ihnen zugehörigen Mikroorganismen veranlaßt wird, während wir noch niemals gesehen haben, daß etwa die Krankheit einen spezifischen Mikroorganismus produziert. Ich glaube, daß hier ein Analogieschluß, nachdem man schon eine ganze Reilie von solchen durch Mikroparasiten erzeugten Krankheiten kennen gelernt hat, durchaus berechtigt ist. Übrigens stehen aber auch schon einige Beobachtungen zu Gebote, die eigentlicli so gut wie Experimente am Menschen sind. Wir können sie vollständig als Experiment^e, 38 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in BerUn. die sich unter natürlichen Verhältnissen vollziehen, auffassen. Die wichtigste derartige Beobachtung ist die Infektion solcher Personen, welche mit Cholerawäsche zu tun haben. Ich habe mehrfach Gelegenheit gehabt, Cholera wasche zu untersuchen, und habe, wie Sie sich auch selbst an einem der mikroskopischen Präparate überzeugen konnten, in der schleimigen Substanz, welche an der Oberfläche der mit Dejektion beschmutzten Leinwand sitzt, immer die Kommabazillen in ungeheuren Mengen und gewöhnlich ge- radezu in einer Reinkultur gefunden. Wenn also eme Infektion durch Cholera wäsche zustande kommt, dann kann dies, weil in diesem Falle die Kommabazillen die einzigen in Frage kommenden Mikroorga- nismen sind, auch nur dvu'ch diese geschehen sein. Mag nun die Übertragung in der Weise stattgefunden haben, daß die Wäscherin die mit Kommabazillen beschmutzten Hände mit ihren Speisen oder direkt mit ihrem Mund in Berührung gebracht hat, oder dadurch, daß das bazUlenhaltige Waschwasser verspritzt und einzelne Tropfen auf die Lippen in den Mund der Wäscherin gelangen; auf jeden Fall liegen hier die Verhältnisse so, wie bei einem Experiment, in welchem ein Mensch mit geringen Mengen einer Rem- kultur von KommabazUlen gefüttert wäre. Es ist in der Tat ein Experiment, welches ein Mensch unbewußt an sich selbst vornimmt und dem ganz die nämliche Beweiskraft zukommt, als wenn es absichtlich herbeigeführt wäre. Außerdem ist diese Beobachtung so häufig und von den verschiedensten Ärzten gemacht, daß die Zuverlässigkeit der- selben absolut keinem Zweifel unterliegt. Außerdem kann ich mich aber auch noch auf eine eigene hierher gehörige Beobachtung berufen. Es ist mir nämlich gelungen, in einem Tank, der das Trink- und Gebrauchswasser für sämtliche umwohnenden Men- schen liefert und in dessen unmittelbarer Umgebung eine Anzahl tödlicher Cholerafälle vorgekommen waren, die Kommabazillen mit allen ihren charakteristischen Eigen- schaften zu finden.- Es wurde dann später festgestellt, daß die Wäsche von dem ersten in der Nähe dieses Tanks an Cholera Gestorbenen in dem Tank gewaschen war. Das ist das einzige Mal gewesen, daß ich bis jetzt die Kommabazillen außerhalb des menschlichen Körpers nachweisen konnte. Am Ufer dieses Tanks befanden sich 30 bis 40 Hütten, in denen etwa 2 — 300 Menschen wohnten, und von diesen waren 17 an Cholera gestorben. Wie viele krank gewesen waren, Keß sich nicht genau feststellen. Ein solcher Tank liefert den Anwohnenden das Trink- und Gebrauchswasser, zugleich nimmt er aber auch alle Abgänge aus den Haushaltungen auf. Die Hindus baden täglich in demselben, sie waschen ihr Zeug darin, die menschlichen Fäkalien werden mit Vorliebe am Ufer desselben de- poniert, und wenn eine Hütte mit einer Latrine versehen ist, dann hat letztere ihren Abfluß nach dem Tank zu. Gerade so verhielt es sich auch mit dem in Frage stehenden Tank. Als die Kommabazillen in ziemlich reichhcher Menge und an mehreren Stellen des Ufers zum ersten Male gefunden wurden, hatte die kleine Epidemie ihren Höhe- punkt bereits erreicht. Kurze Zeit darauf, als nur noch vereinzelte Erkrankungen vor- kamen, fanden sich die Kommabazülen nur noch an einer Stelle und in geringer Zahl. Bei dem ersten Befund waren sie so reichhch, daß nicht allem durch etwa in den Tank gelangte Dejektionen und das Waschwasser von Cholerawäsche ihre Zahl bedingt sein konnte; es müßte eine Vermehrung stattgefunden haben. Bei der zweiten Untersuchung entsprach dagegen üire geringe Zahl nicht den kurz vorhergehenden zahlreichen Er- krankungen. Wenn letztere die BazUlen*in das Tankwasser geliefert hätten, dann hätten die Bazillen im Verhältnis zum ersten Befund diesmal weit zahlreicher sein müssen. Man kann also in diesem Falle nicht sagen, daß das Auftreten der Kommabazülen im Tank nur eine Folge der Choleraepidemie war. Es war im Gegenteil das Verhältnis ein solches, daß die Epidemie eine Folge der Bazillen sein mußte. Auf derartige Be- obachtungen, ganz besonders aber auf die Infektion durch Cholerawäsche müssen wir Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafi'age am 26. Juli 1884 in Berlin. 39 um so größeren Wert legen, als es uns vielleicht für immer versagt ist, erfolgreiche direkte Infektionsversuche mit den Kommabazillen anzustellen. Für meine Auffassung, daß die Kommabazillen die Ursache der Cholera sind, finde ich noch darin eine wesentliche Stütze, daß die ganze Choleraätiologie, soweit sie uns bekannt ist, durchaus im Einklang mit den Eigenschaften der Kommabazillen steht. Wir haben gesehen, daß die Kommabazillen außerordentlich schnell wachsen, daß ihre Vegetation rasch einen Höhepunkt erreicht, dann aufhört, und daß die Bazillen schließlich durch andere Bakterien verdrängt werden. Das entspricht genau dem, was im Choleradarm vor sich geht. Es läßt sich annehmen, daß, wie es bei anderen Bakterien der Fall ist, sehr wenige Exemplare, unter Umständen ein einziges genügt, um eine Infektion zu bewirken. Dem- entsprechend können wir uns sehr wohl vorstellen, daß einzelne Kommabazillen gelegentlich in den Darmkanal gelangen und sich daselbst sehr schnell vermehren. Sobald sie sich bis zu einem gewissen Grade vermehrt haben, werden sie einen Reizzustand der Darm- schleimhaut und Durchfall veranlassen, wenn dann aber die Vermehrung in steigender Progression vor sich geht und den Höhepunkt erreicht, dann lösen sie den eigentümlichen Symptomenkomplex aus, den wir als den eigentlichen Choleraanfall bezeichnen. Wir haben früher gesehen, daß die Kommabazillen höchstwahrscheinlich unter gewöhnlichen Verhältnissen den Magen, wenigstens bei Tieren, nicht passieren können. Auch das stimmt wieder mit allen Erfahrungen über die Cholera. Denn es scheint die Prädisposition bei der Cholerainfektion eine außerordentlich wichtige Rollo zu spielen. Es läßt sich annehmen, daß von einer Anzahl von Menschen, die der Cholerainfektion ausgesetzt waren, nur ein Bruchteil erkrankt, und das sind fast immer solche, die vorher schon an irgendwelchen Verdauungsstörungen, z. B. einem Magen- oder Darmkatarrh litten, oder welche den Magen mit unverdaulichen Speisen überladen hatten. Namentlich im letzteren Falle körnien niehr oder weniger unverdaute, nicht vollständig im Magen verarbeitete Massen in den Darmkanal übergehen und möglicherweise die im Mageii noch nicht abgetöteten Kommabazillen in den Darm hinüberführen. Gewiß ist ihnen die oft gemachte Beobachtung bekannt, daß die meisten Choleraanfälle sich am Montag und Dienstag ereignen, also an den Tagen, denen gewöhnlich Exzesse im Essen und Trinken vorausgegangen sind. Nun ist es allerdmgs eine eigentümliche Erscheüaung, daß die Kommabazillen sich auf den Darm beschränken. Sie gehen nicht ins Blut über, nicht einmal in die Me- senterialdrüsen. Wie kommt es nun, daß diese Bakterien Vegetation im Darm einen Menschen töten kann ? Um dies zu erklären, muß ich daran erinnern, daß die Bakterien bei ihrem Wachstum nicht allein Stoffe verbrauchen, sondern auch sehr verschieden- artige Stoffe produzieren. Derartige Produkte des Bakterienstoffwechsels kennen wir jetzt schon eine Menge, die sehr eigentümlicher Art sind. Manche sind flüchtiger Natur und geben intensiven Geruch, andere liefern Farbstoffe, noch andere giftige Substanzen. Bei Fäulnis eiweißhaltiger Flüssigkeiten, z. B. des Blutes, bilden sich Gifte, welche, da die Fäulnis nur eine Folge der Bakterien Vegetation, ist, Stoffwechselprodukte dieser Bakterien sein müssen. Manche Erschemungen sprechen dafür, daß diese Gifte nur von bestimmten Bakterienarten produziert werden, denn wir sehen, daß faulige Flüssig- keiten, das eine Mal einem Tier injiziert werden können, ohne eine Wirkung zu äußern, während sie sich ein anderes Mal sehr giftig erweisen. So stelle ich mir auch die Wirkung der Kommabazillen im Darm vor, welche durch giftige Stoffwechselprodukte bedmgt wird. Ich besitze für diese Amiahme noch besondere Anhaltspunkte. Es traf sich bei einem Kulturvorsuch, daß die Nährgelatine zugleich Blutkörperchen in ziemlich großer Zahl und Kommabazillen enthielt. Nachdem diese Gelatine auf eine Platte ausgegossen 40 Erste Konferenz ztir Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. war, wuchs eine Anzahl von Kolonien der Kommabazillen. Die Platte hatte ein Aus- sehen, als ob ein rötlicher Staub darin suspendiert sei, da man bei durchfallendem Lichte deutlich noch den Eindruck der einzelnen Blutkörperchen hatte. In dieser rötlichen feinkörnigen Schicht erschienen nun die Kolonien der Kommabazillen schon mit bloßem Auge wie kleme farblose Löcher. Wenn man sie mikroskopisch untersuchte, zeigte sich die auffallende Erscheinung, daß die Kolonien der Kommabazillen in ziemlich weitem Umkreise alle Blutkörperchen zerstört hatten, auch weit über die Grenze hinaus, inner- halb welcher sie die Gelatine verflüssigen. Also man sieht daraus, daß die Kommabazillen auf die Formelemente des Blutes, höchst wahrscheinlich auch auf andere Zellen, einen zerstörenden Einfluß ausüben können. Es ist außerdem eme Beobachtung von einem indischen Arzt, Dr. Richards in Goalundo, gemacht, welche ebenfalls für das Vorhandensein eines Giftstoffes im Inhalt des Choleradarms spricht. Dr. Richards hat zuerst Hunde mit großen Mengen von Choleradejektionen gefüttert, ohne daß dies bei den Tieren eine Wirkung gehabt hätte. Dann stellte er dieselben Versuche mit Schweinen an, welche seiner Angabe nach in sehr kurzer Zeit, 15 Minuten bis 2% Stunden, nach der Fütterung unter Krämpfen starben. Es handelte sich hier offenbar um eine Intoxikation und nicht, wie Dr. Ri- chards annimmt, um eine künstliche Cholerainfektion. Daß es sich in der Tat so ver- hält, geht besonders aus einem der Versuche hervor, in welchem der Darminhalt eines durch Fütterung mit Choleradejektion getöteten Schweines, das nach Dr. Richards Meinung die Cholera hatte, einem zweiten Schwein gefüttert wurde. Dieses zweite Tier blieb gesund und es konnte also eine Reproduktion des vermeintlichen Infektionsstoffes im Darm des zuerst gefütterten Schweines nicht stattgefunden haben. Wenn sich wirk- lich eine echte Cholera bei Schweinen erzeugen ließe, dann müßte doch mit dem Darm- inhalt eines solchen Tieres wieder ein zweites und von diesem ein drittes usw. infiziert werden können. Wenn diese Versuche auch nicht das beweisen, was Dr. Richards damit beabsichtigte, so sind sie doch insofern ganz interessant, als sie zeigen, daß in den Choleradejektionen unter Umständen Substanzen enthalten sein können, welche für Schweine giftig sind. Hunde schienen davon nicht berührt zu werden, Mäuse und viele andere Tiere ebenfalls nicht, wie unsere Versuche dar tun. Die Widerstandsfähigkeit anderer Tiere gegen dieses Gift und die Empfänglichkeit der Schweine dafür darf nicht überraschen, wenn man sich daran erinnert, daß auch von dem Gift, welches sich bis- weilen in der Salzfleisch- und Heringslake bildet, anscheinend nur Schweine getötet werden. Mit der Annahme, daß die Kommabazillen ein spezifisches Gift produzieren, lassen sich die Erscheinungen und der Verlauf der Cholera in folgender Weise erklären. Die Wirkung des Giftes äußert sich teils in unmittelbarer Weise, indem dadurch das Epithel und in den schwersten Fällen auch die oberen Schichten der Darmschleimhaut abge- tötet werden, teils wird es resorbiert und wirkt auf den Gesamtorganismus, vorzugs- weise aber auf die Zirkulationsorgane, welche in einen lähmungsartigen Zustand ver- setzt werden. Der Symptomenkomplex des eigenthchen CholeraanfaUes, welchen man gewöhnlich als eine Folge des Wasserverlustes und der Eindickung des Blutes auffaßt, ist meiner Meinung nach im wesentlichen als eine Vergiftung anzusehen. Denn er kommt nicht selten auch dann zustande, wenn verhältnismäßig sehr geringe Mengen Flüssig- keit durch Erbrechen und Diarrhöe bei Lebzeiten verloren sind und wenn gleich nach dem Tode der Darm ebenfalls nur wenig Flüssigkeit enthält. Erfolgt nun der Tod im Stadium der Cholera Vergiftung, dann entsprechen die Leichenerscheinungen jenen Fällen, in denen die Darmschleimhaut wenig verändert ist und der Darminhalt aus einer Reinkultur der Kommabazillen besteht. Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. 41 Zieht sich dagegen dieses Stadium in die Länge oder wird es überstanden, dann machen sich nachträghch die Folgen der Nekrotisierung des Epithels und der Schleim- haut geltend; es kommt zu kapillären Blutungen in der Schleimhaut, dem Darminhalt mischen sich Blutbestandteile mehr oder weniger reichlich bei. Die alsdann eiweiß- reiche Flüssigkeit im Darm beginnt zu faulen und es bilden sich unter dem Einfluß der Fäulnisbakterien andere giftige Produkte, welche ebenfalls resorbiert werden. Doch wirken diese anders als das Choleragift; die von ihnen hervorgerufenen Symptome ent- sprechen dem, was gewöhnlich als Choleratyphoid bezeichnet wird. Entsprechend der Auffassung, daß die Kommabazillen nur im Darm vegetieren und ihre Wirkung entfalten, kann man auch den Sitz des Infektionsstoffes nur in den Dejektionen der Kranken suchen, ausnahmsweise noch in dem Erbrochenen. Ich glaube übrigens, daß ich damit auch in Übereinstimmung mit den neueren Anschauungen bin. Allerdings findet diese Ansicht bei einigen Forschern noch Widerspruch, aber wir be- sitzen so unbestreitbare Beispiele dafür, vor allem die Infektion durch die Wäsche, daß es auch abgesehen von den Kommabazillen gar nicht in Zweifel sein kann, daß wirklich die Dejektionen den Cholerainfektionsstoff enthalten. Für die weitere Verbreitung des Infektionsstoffes ist die erste Bedinginig, daß die Dejektionen in einem feuchten Zustand bleiben. Sobald sie zum Trocknen kommen, verlieren sie ihre Wirksamkeit. Einer der häufigsten Wege, auf welchem der Infektionsstoff zur Verbreitung ge- langt und wovon wir ein Beispiel in der Tankepidemie gehabt haben, ist das Wasser. Wie leicht können Choleradejektionen oder das zum Remigen von Cholerawäsche be- nutzte Wasser in Brunnen, öffentliche Wasserläufe oder sonstige Entnahmestellen für Trink- und Gebrauchswasser geraten. Von da finden die Kommal)azillen vielfache Gelegenheit in den menschlichen Haushalt zurückzugelangen, entweder mit dem Trink- wasser oder mit dem Wasser, welches zum Verdünnen der Milch, zum Kochen der Speisen, zum Spülen der Gerätschaften, zum Reinigen von Gemüse und Früchten, zum Waschen, Baden usw. dient. Außerdem kann der Infektionsstoff auch auf kürzerem Wege in die Verdauungs- organe eines Menschen gelangen. Denn die Kommabazillen können sich unzweifelhaft auf Nahrungsmitteln, welche eine feuchte Oberfläche haben, längere Zeit lebensfähig halten, und es läßt sich wohl denken, daß sie durch Berührung mit beschmutzten Händen oder dergleichen nicht selten dahin hingebracht werden. Ich halte es auch gar nicht für unmöglich, daß der Infektionsstoff durch Insekten, z. B. durch Stubenfliegen, auf Speisen übertragen wird. In den meisten Fällen wird allerdings der Infektionsstoff mit den Dejektionen in den Boden gelangen und irgendwie einmal semen Weg in Wasser- behälter finden. Ich gehe also von der Annahme aus, daß niu' feuchte Substanzen, und zwar der verschiedensten Art — ich beschränke mich da durchaus nicht auf das Trinkwasser — , die in irgendeiner Weise durch feuchte Dejektionen verunreinigt werden, auch den In- fektionsstoff dem Körper zuführen können. Dagegen glaube ich nicht, daß der In- fektionsstoff der Cholera sich in einem trockenen Zustand erhalten kann, oder daß er, was dasselbe ist, durch die Luft übertragen wird. Denn die Verbreitung eines Infektions - Stoffes durch die Luft kann für gewöhnlich nur im trockenen, staubförmigen Zustande gesche^hen. Auch die Erfahrung spricht dafür, daß der Infektionsstoff in trockenem Zustande nicht verschleppt werden kann, denn wir wissen, daß bis jetzt die Cholera noch niemals durch Waren auf dem Wege von Indien hierher zu uns gekommen ist ; noch niemals haben Briefe oder Postsendmigen, auch wenn sie nicht, wie es jetzt viel- fach geschieht, durchstochen und geräuchert wurden, die Cholera gebracht. Die Cholera 42 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. ist Überhaupt, wenn man den Ursprung der einzelnen Epidemien genauer untersucht, noch nie anders zu uns gekommen als durch die Menschen selbst, und wenn es in einzelnen Epidemien auch nicht gelungen ist, denjenigen Menschen ausfindig zu machen, welcher den Cholerainfektionsstoff brachte, so darf man danach nicht glauben, daß hier eine Ausnahme stattgefunden hat. Denn wir müssen bedenken, daß nicht blos derjenige, der an der Cholera stirbt oder der einen unzweifelhaften Choleraanfall hat, geeignet ist, die Infektion zu übertragen, sondern daß alle möglichen Ubergänge zu dieser heftig- sten Form der Krankheit, ja ganz leichte Diarrhöen vorkommen, die wahrscheinlich ebenso infizieren können, wie der schwerste Cholerafall. Allerdings wird man über diesen wichtigen Punkt erst dann volle Gewißheit erhalten, wenn man auch die leichtesten FäUe durch die Untersuchung auf Kommabazillen als wirkliche Cholerafälle diagnostiziert. Es bleibt noch die sehr wichtige Frage zu beantworten, ob der Infektionsstoff außerhalb des menschlichen Körpers sich reproduzieren oder vermehren kann. Ich glaube, daß dies der Fall ist. Da die Kommabazillen auf einer Gelatineplatte wachsen, da sie auf einem Stück Leinwand oder in Fleischbrühe oder auf einer Kartoffel wachsen können, so müssen sie sich auch im Freien vermehren können, namentlich da wir ge- sehen haben, daß eine verhältnismäßig niedrige Temperatur ihnen noch die Entwicklung ermöglicht. Ich möchte allerdings nicht annehmen, daß die Vermehrung der Komma- bazillen außerhalb des Körpers etwa unmittelbar in dem Brunnen- oder im Flußwasser vor sich geht; denn diese Flüssigkeiten besitzen nicht diejenige Konzentration der Nähr- substanz, welche für das Wachstum der Bazillen erforderlich ist. Ich kann mir dagegen wohl vorstellen, daß, wenn auch die Gesamtmasse des Wassers in einem Behälter zu arm an Nährsubstanz für das Gedeihen der Bazillen ist, doch bestimmte Stellen die genügende Konzentration an Nährstoffen besitzen können, z. B. diejenigen Stellen, wo ein Rmnstein oder der Ablauf einer Abtrittsgrube in ein stehendes Gewässer ein- mündet, wo Pflanzenteüe, tierische Abfallstoffe u. dgl. liegen und der Zersetzung durch Bakterien ausgesetzt sind. An solchen Punkten kann sich ein reges Leben entwickeln. Ich habe früher vielfach solche Untersuchungen gemacht, und es ist mir oft begegnet, daß em Wasser fast gar keine Bakterien enthielt, während Reste von Pflanzen, nament- lich Wurzeln oder Früchte, welche darin schwammen, von Bakterien, und zwar vor- zugsweise Bazillen- und Spirillenarten, wimmelten. Selbst noch in der nächsten Um- gebung solcher Objekte war das Wasser durch Bakterienschwärme getrübt, welche offenbar den durch Diffusion bis auf geringe Entfernung sich ausbreitenden Nährstoffen ihren Nahrungsbedarf entnahmen. Ich glaube, daß wir auf diese Weise uns am allerleichtesten die Beziehungen des Grundwassers zur Verbreitung der Cholera erklären können. Also überall da, wo Wasser an der Oberfläche oder im Boden stagniert, m Sümpfen, in Häfen, welche keinen Ab- fluß haben, an Stellen, wo der Boden muldenförmig gestaltet ist, an sehr langsam fließen- den Strömen u. dgl. können sich die geschilderten Verhältnisse entwickeln. Dort werden sich am leichtesten in der Umgebung tierischer und pflanzHcher Abfälle konzentrierte Nährlösungen bilden und den Mikroorganismen Gelegenheit zur Ansiedelung und Ver- mehrung bieten. Dagegen überall da, wo das Wasser sowohl an der Oberfläche wie im Boden in einer schnellen Strömung begriffen und einem steten Wechsel unterworfen ist, kann dieses Verhältnis weniger leicht oder auch gar nicht eintreten. Denn die fort- währende Strömung verhmdert, daß es zu einer für pathogene Bakterien ausreichenden lokalen Konzentration der Nährsubstanzen in der Flüssigkeit kommt. Den Zusammen- hang zwischen dem Sinken des Grundwassers und dem Steigen mancher Infektions- krankheit möchte ich dadurch erklären, daß beim Sinken des Grundwassers auch die Strömung, die im Grundwasser stattfindet, eme viel geringere wkd. Außerdem werden Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. 43 die an der Oberfläche zur Verfügung stehenden Wassermengen erheblich beschränkt und es muß deswegen viel eher zu solchen Konzentrationen, wie ich sie für das Wachs- tum der Bakterien voraussetze, kommen. Wenn wir annehmen, daß der Cholera ein ganz bestimmter spezifischer Orga- nismus zugrunde liegt, dann können wir nicht an eine autochthone, von beliebigen Orten ausgehende Entstehung der Cholera denken. Ein solcher spezifischer Organismus, und wenn es auch nur ein Kommabazillus ist, folgt doch ebenso den Vegetationsgesetzen wie eme hochentwickelte Pflanze. Er muß sich immer wieder aus seinesgleichen ent- wickeln und kann nicht so ohne weiteres aus anderen Dingen oder aus emem Nichts her- vorgehen. Da aber die Kommabazillen nicht zu den überall verbreiteten Mikroorga- nismen gehören, so sind wir gezwungen, die von ihnen abhängige Krankheit auf ganz bestimmte Örtlichkeiten zurückzuführen, von denen diese spezifischen Mikroorganismen uns zugeführt werden. W^ir können es uns also nicht etwa so vorstellen, als ob ausnahms- weise im Delta des Nils, weil dasselbe in einigen Punkten dem Gangesdelta ähnlich ist, die Cholera von selbst entstehen könne, wie das im vorigen Jahre ja allen Ernstes be- hauptet ist. Ebensowenig können wir uns z. B. denken, daß hier bei uns in Europa die Cholera entstehen sollte, ohne vorherige Einschleppung des Kommabazillus. Man hat auch schon einmal den Versuch gemacht, eine in Europa vorgekommene Choleraepidemie, die scheinbar isoliert in Polen entstanden war, als autochthon entstanden hinzustellen, aber später hat sich dann herausgestellt, daß es doch nicht angängig war, diese Art der Entstehung gelten zu lassen. Die Cholera hatte sich nämlich in Rußland an verschiedenen Stellen noch in kleinen unbeachteten Epidemien erhalten und war nach Polen durch Truppen verschleppt. Noch kürzlich habe ich etwas Ähnliches erfahren. Vor etwa 10 Jah- ren brach in der Stadt Hama in Syi'ien plötzlich die Cholera aus, und man wußte nicht, wie sie dorthin gekommen war. Vielfach wird noch jetzt behauptet, sie sei autochthon entstanden. Ich wurde kürzlich in Frankreich von französischen Ärzten darüber inter- pelliert und konnte, da in der Literatur nichts Bestimmtes über den Ursprung dieser Epidemie zu finden ist, nur darauf antworten, daß die Einschleppungsweise in diesem Falle bis dahin nicht aufgeklärt sei; aber ich sprach meine Überzeugung aus, daß der Ursprung der Cholera m Syrien auch auf Indien zurückgeführt werden müsse, indem ich zugleich darauf hinwies, wie die scheinbar autochthon entstandenen Epidemien in Syrien und Ägypten sich an den Verkehrsweg von Indien nach Europa oder die nächste Nähe desselben halten, aber niemals an Orten entstehen, welche gar keine Beziehungen zu Indien haben. Schon bald darauf bin ich durch einen Zufall in die Lage versetzt, auch über den LTrsprung der Epidemie in Syjrien eine befriedigende Äufklärung zu be- kommen. In Lyon teilte mir nämlich Professor L o r t e t. der während dieser Epidemie selbst in Hama gewesen ist und Nachforschungen über die Herkunft dieser Cholera angestellt hat, mit, daß die Cholera durch türkische Soldaten von Djedah nach Hama gebracht sei. Unzweifelhaft spontan außerhalb Indiens entstandene Choleraepidemien kennen wir bislang nicht, und es stimmt also auch in diesem Punkte die Erfahrung mit der Vor- aussetzung, daß die Cholera durch einen spezifischen Organismus bedingt ist, welcher seine Heimat in Indien hat. Nun sind die auf die Cholera bezüglichen Verhältnisse in Indien ganz eigener Art. Ich glaube nicht, daß ganz Indien das Vaterland des Kommabazillus ist. Früher hat man zwar behauptet, die Cholera sei in Ceylon, in Madras, in Bombay heimisch und sei somit fast über ganz Indien verbreitet, doch ist dies andererseits und mit Recht be- stritten. Nur über die Provinz Bengalen besteht keine Meinungsverschiedenheit. Alle Autoren sind darüber einig, daß das Delta des Ganges die eigentliche Heimat der Cholera 44 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. sei. Auch ich habe die Überzeugung gewonnen, daß es in der Tat so ist und weitere Choleraherde in Indien nicht existieren. Denn die emzige Gegend in Indien, wo die Cholera beständig in ganz gleichmäßiger Weise Jahr für Jahr herrscht, ist das Gangesdelta; an allen anderen Stellen macht sie bedeutende Schwankungen oder erlischt oft gänzlich für kürzere oder längere Zeit. An einzelnen Orten, wie z. B. in Bombay, verschwmdet sie auch niemals ganz, aber es ist höchst wahrscheinlich, daß sie durch den außerordent- lich regen Verkehr mit dem übrigen Indien immer wieder von neuem dorthin einge- schleppt wird. Auf dieser Karte der Provmz Bengalen sehen Sie das Gangesdelta, welches nach Westen vom Hughli-Fluß, einem Arm des Ganges, und im Osten vom Brahmaputra begrenzt wird. In diesem ganzen Gebiet und an den Ufern des Ganges aufwärts bis Benares herrscht die Cholera beständig. Bei einer genaueren Betrachtung der Karte muß es auffallen, daß der obere Teil des Delta mit Ortschaften dicht besät ist, während die Basis des Drei- ecks ganz unbewohnt erscheint. Dieser unbewohnte Landstrich, Sundarbans genannt, umfaßt ein Areal von 7500 englischen Quadratmeilen und scheidet sich von dem dicht bewohnten nördlichen Teil des Delta durch eine ganze scharfe Linie. Hier lösen sich die großen Ströme Ganges und Brahmaputra m ein Netz von Wasserläufen auf, in denen bei Ebbe und Flut dav, mit dem Flußwasser sich mischende Meerwasser hin und her wogt und zur Flutzeit weite Strecken der Sundarbans unter Wasser setzt. Eine üppige Vegetation und ein reiches Tierleben hat sich in diesem unbewohnten Landstrich entwickelt, der für den Menschen nicht allein wegen der Überschwemmungen und Avegen der zahlreichen Tiger unzugänglich ist, sondern hauptsächlich wegen der perniziösen Fieber gemieden wird, welche jeden befallen, der sich auch nur ganz kurze Zeit dort aufhält. Man wird sich leicht vorstellen können, wie massenhaft vegetabüische und tierische Stoffe in dem Sumpfgebiet der Sundarbans der Zersetzung unterliegen und daß hier die Gelegenheit zur Entwicklung von Mikroorganismen geboten ist, wie kaum an einem anderen Platz auf der Erde. Ganz besonders günstig ist in dieser Be- ziehung das Grenzgebiet zwischen dem bewohnten und unbewohnten Teil des Delta, wo die AbfaUstoffe aus einem außerordentlich dicht bevölkerten Lande von den Fluß- läufen herabgeschwemmt werden und sich mit dem hin und her flutenden, bereits mit Zersetzungsstoffen geschwängerten Brackwasser der Sundarbans mischen. Unter eigen- tümlichen Verhältnissen muß sich diesen eine ganz eigenartige Fauna und Flora von Mikroorganismen entwickeln, der aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Cholerabazillus angehört. Denn alles deutet darauf hin, daß die Cholera in diesem Grenzgebiet ihren Ursprung hat. Alle größeren Epidemien beginnen mit einer Zunahme der Cholera im südlichen Teil von Bengalen. Jessore, von wo die ersten Nachrichten über die Epidemie von 1817 kamen, liegt an der Grenze der Sundarbans, und Kalkutta, welches jetzt der ständige Herd der Cholera ist, wird durch einen sumpfigen und wenig bewohnten Strich Landes mit den nahen Sundarbans verbunden. Nun findet aber weiter der Kommabazillus in dem an seine mutmaßliche Heimat angrenzenden Gebiete die denkbar günstigsten Verhältnisse, um sich einzunisten und von einem Menschen auf den anderen übertragen zu werden. Niederbengalen ist nämlich ein vollkommen flaches Land, welches sich nur ganz unbedeutend über das Meeresniveau erhebt und während der tropischen Regenzeit fast in seiner ganzen Ausdehnung unter Wasser gesetzt wird. Jeder Mensch, der sich dort anbaut, muß also, schon um sich vor diesen alljährlichen Überschwemmungen zu schützen, seine Hütte auf ein erhöhtes Terrain stellen. Man sieht diese Bauart in allen Dörfern im Delta, auch in Kalkutta selbst, namentlich in unmittelbarer Nähe •! Erste Konferenz zur Erörterung der Claolerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. 45 und in den Vorstädten von Kalkutta, die mehr oder weniger einen Dorfcharakter tragen. Jedes Haus oder eine Gruppe von Häusern steht auf einer flachen Bodenerhöhung, welche dadurch entstanden ist, daß man einer neben dem Bauplatz gelegenen Stelle die Erde wegnahm und die Baustelle damit erhöhte. Die auf diese Weise entstandene Vertiefung füllt sich mit Wasser und büdet einen sogenannten Tank. Eine jede Hütte oder Gruppe von Hütton muß deswegen einen mehr oder weniger großen Tank haben, und ilire Anzahl ist dementsprechend eine sehr große. Allein die Stadt Kalkutta hatte bis vor kurzem noch gegen 800 Tanks, trotzdem schon sehr viele aus sanitäts-polizeiliclien Gründen zugeschüttet sind. In den Vorstädten von Kalkutta finden sich jetzt noch außerdem mehr als tausend Tanks. Welche Rolle die Tanks im Haushalte der indischen Bevölkerung spielen und wie sie geeignet sind, die Cholera zu verbreiten, das habe ich bereits früher erwähnt. Es liegt auf der Hand, daß eine Verbesserung in der Wasserversorgung in jenen Gegenden einen entschiedenen Einfluß auf die Choleraverhältnisse ausüben muß. In W^irklichkeit hat sich dies auch mit aller Evidenz in Kalkutta gezeigt. Diese am Hughli- Fluß gelegene Stadt hat gegen 400 000 Einwohner und in den Vorstädten leben min- destens ebensoviel Menschen. Bis zum Jahre 1870 hat Kalkutta, d. h. die innere Stadt, jährlich ungefähr zwischen 3500 und 5000 Todesfälle an Cholera gehabt und die Vor- städte dementsprechend. .Schon von 1865 ab fing man an, die Stadt zu kanalisieren, und zwar zuerst den StadtteU, welcher von den Europäern bewohnt und am weitläu- figsten bebaut ist. Später hat man allmählich auch die übrige Stadt mit Sanimelkanälen versehen, aber bis zum Jahre 1874 waren noch nicht viele Häuser in demjenigen Teile der Stadt, welcher von den Eingeborenen bewohnt wird, wirklich angeschlossen. Nur in einigen Vierteln war damals das Kanalnetz vollständig ausgebaut, wie auf dem hier vorliegenden Plan zu sehen ist. Seitdem ist fortwährend an der Vollendung der Kanali- sation gearbeitet und dieselbe ist jetzt ziemlich weit gefördert. Eine Eigentümlichkeit von Kalkutta muß ich bei dieser Gelegenheit noch erwähnen. Im Innern der Stadt, mitten zwischen massiven Häusern und palastartigen Villen, finden sich dorfähnliche, dicht zusammengedrängte Gruppen von Hütten, welche ausschließlich von Eingeborenen bewohnt werden. Man nennt diese innerhalb der Stadt gelegenen Dörfer bustees. Abtritte, Latrinen oder dergleichen besitzen die Hütten eines bustee nicht. Aller Schmutz sammelt sich zwischen den Wohnungen an, kann wegen der engen Bauart nur unvollkommen entfernt werden und gelangt schließlich dkekt oder vom Regen dahin gespült in die Tanks, die natürlichen Sammelbassins für allen flüssigen Unrat. Von einem Anschluß solcher Hütten an die Kanalisation kann überhaupt keine Rede sein. Zu gleicher Zeit mit der Kanalisation ist der Bau einer Wasserleitung für Kalkutta in Angriff genommen. Das Wasser wird mehrere Meilen oberhalb Kalkutta aus dem Hughli entnommen, gut filtriert und dann der Stadt zugeführt. Die Wasserleitung wurde im Jahre 1870 eröffnet. Vom Jahre 1865 bis 1870 war der Effekt der immer mehr sich ausdehnenden Kana- lisation auf die Cholerasterblichkeit in Kalkutta nicht bemerkt. Aber sofort nach Er- öffnung der Wasserleitung nahm die Cholera ab und hat sich seitdem durchschnittlich auf dem dritten Teil der früheren Höhe gehalten. Auch die seit 1870 erheblich ver- vollständigte Kanalisation hat diese plötzlich mit der Zufuhr eines guten Trinkwassers eingetretene Abnahme der C'holera nicht etwa noch weiter gebessert. Man kann des- wegen den günstigen Effekt in diesem Falle auch nur der Wasserleitung zuschreiben. Wenn trotzdem die Cholera immer noch verhältnismäßig häufig in Kalkutta ist, so liegt das daran, daß ehi großer Teil der Bevölkerung seinen Wasserbedarf nicht aus der 46 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. Leitung, sondern in althergebrachter Weise aus dem Hughh oder aus den zahh-eichen Tanks entnimmt. In den Vorstädten, die mit der Stadt in unmittelbarem Zusammenhang und in lebhaftestem Verkehr stehen, aber an der Wasserleitung nicht partizipieren, ist die Cholerasterblichkeit dieselbe geblieben wie früher. Noch deutlicher hat sich der Einfluß der Wasserversorgung im Fort William, welches fast inmitten der Stadt am Hughli liegt, gezeigt. Das Fort selbst ist nicht kana- lisiert und kann auch wegen der Entfernung der nächsten städtischen Kanäle von der Kanalisation der Stadt nicht beeinflußt werden. Die Grund wasserverhältnisse müssen noch genau dieselben sein wie zur Zeit der Erbauung des Forts. Früher wurde die Be- satzung des Forts alljährlich von Cholera schwer heimgesucht. Aber seit Anfang der sechziger Jahre lenkte sich die Aufmerksamkeit der Offiziere auf das Trinkwasser; das- selbe wurde möglichst vor Verunreinigung bewahrt und seitdem nahm die Cholera er- heblich ab. Zugleich mit der Stadt erhielt dann auch das Fort ein durchaus zuverlässiges Wasser und von da ab ist die Cholera aus dem Fort verschwunden. Dieser Fall kann als ein regelrechtes Experiment gelten, bei dem alle Verhältnisse unverändert geblieben smd bis auf das Trinkwasser. Wenn die Cholera das Fort jetzt nicht mehr heimsucht, so kann das nur dem veränderten Trinkwasser zugeschrieben werden. Es gibt noch ähnliche, wenn auch nicht so schlagende Beispiele vom Einfluß des Trmkwassers auf Cholera in anderen indischen Städten. So hat in Madras, seitdem eine Wasserleitung eingeführt ist, die Cholera bedeutend abgenommen. Dasselbe gilt von Bombay. Besonders interessant ist in dieser Beziehung das Verhalten von Pon- dicherry. Früher kam in dieser Stadt Cholera sehr häufig vor. Vor einer Reihe von Jahren sind artesische Brunnen dort angelegt, die eine Tiefe von 300 — 400' haben und von dieser Zeit an verschwand die Cholera aus Pondiclierry. Im letzten Frühjahr jedoch kam plötzlich die Meldung, daß die bereits als sicher angenommene Immunität von Pon- dicherry sich doch nicht als zulässig erwiesen habe, da die Cholera daselbst wieder auf- getreten sei. Ich wandte mich infolgedessen an Dr. Furuell in Madras, welcher sich hauptsächlich mit dem Verhalten der Cholera in Pondicherry beschäftigt und sie immer verfolgt hat, und erhielt von ihm die Auskunft, daß in der Tat in Pondicherry eine An- zahl von Cholerafällen vorgekommen seien, aber ausschließlich in den Stadtteilen, welche noch nicht mit artesischen Brunnen versehen sind. Wenn ich Ihnen, hier einige Beispiele für den Nutzen einer guten Trinkwasser- versorgung angeführt habe, bedarf es nach meinen früheren Ausführungen wohl kaum der Versicherung, daß ich nicht etwa ein Anhänger der exklusiven Trinkwassertheorie bin. Ich möchte überhaupt jeden prinzipiellen Standpunkt vermeiden, sondern ich glaube, daß die Wege, auf denen die Cholera in einem Orte sich verbreiten kann, außer- ordentlich verschieden sind, und daß, da fast jeder Ort seine eigenen Verhältnisse hat, die gründlich zu erforschen sind und denen entsprechend sich auch die Maßregeln ge- stalten müssen, welche zur Abwehr der Seuche für den betreffenden Ort dienen sollen. Auch in Indien hängt die Ausbreitung der Cholera vom menschlichen Verkehr ab und sie wird hauptsächlich durch das in Indien in ganz ungewöhnlicher Weise ent- wickelte Pilgerwesen bedingt. Wir machen uns kaum eine Vorstellung davon, welchen Umfang das Pilgerwesen in Indien hat. Um Ihnen ein Beispiel davon zu geben, will ich nur die beiden Hauptpilgerorte anführen, Hurdwar und Puri. Das sind Orte, nach denen alljährlich Hunderttausende, manchmal über eine Million Menschen aus ganz Indien zusammenströmen. Dort bleiben die Pilger mehrere Wochen lang, sie sind auf den engsten Raum zusammengepfercht und leben in der erbärmlichsten Weise. Auch an diesen Orten finden sich überall Tanks, in denen Tausende von Menschen baden und Erste Konferenz zur Erörterung der Choleratrage am 26. Juli 1884 in Berlin, 47 aus denen sie trinken. Dies suid Zustände, die es durchaus nicht wunderbar erscheinen lassen, daß die Krankheit, wenn sie unter die Pilgerscharen gerät, sich über ganz Indien rasch ausbreitet und überall hingelangt. Den weiteren Weg über die Grenzen von Indien hinaus hat die Cholera ursj)rünglich durch Nordindien nach dem Inneren von Asien, von da nach Persien und dann weiter nach dem Süden von Europa genommen. Das ist aber anders geworden, seitdem der Handelsverkehr nicht mehr auf dem Karawanenwege durch Persien, sondern auf dem Seewege durch das Rote Meer und den Suezkanal geht. Ich glaube kaum, daß jetzt noch auf dem Landwege durch Asien eine Verschleppung der Cholera zu fürchten ist. Es ist ja nicht gerade unmöglich, daß sie auch noch einmal diesen Weg nimmt, aber es ist nicht wahrscheinlich. Dagegen wird der andere Weg, der Seeweg von Indien lier durch das Rote Meer und namentlich von dem Hauptausgangshafen, von Bombay, nach meiner Meinung von Jahr zu Jahr gefährlicher. Man kann von Bombay, was ja selten frei von Cholera ist, jetzt schon in 11 Tagen nach Ägypten, in 16 Tagen nach Italien gelangen, und man kann in 18 oder höchstens 20 Tagen in Südfrankreich sein. Also das sind Zeit- räume, die gegen früher so außerordentlich kurz geworden sind, daß dadurch die Gefahr der direkten Importation der Cholera von Indien nach Europa eine immer größere wird. Da für diese Verhältnisse die Art und Weise, wie die Cholera auf Schiffen ver- läuft, von besonderem Interesse ist, so möchte ich mir hierüber noch eine Bemerkung erlauben. Es ist mir immer auffallend gewesen, daß eigentliche Choleraepidemien nur auf Schiffen vorkommen, welche eine größere Menge von Menschen an Bord haben, während auf Schiffen mit geringer Bemannung, also auf allen Handelschiffen, selbst wenn in den ersten Tagen der Fahrt Cholerafälle vorkommen, sich niemals Epidemien entwickeln, welche sich wochenlang hinziehen. Weil diese Sache von der größten Wichtigkeit nicht allein für die Ätiologie der Cholera, sondern auch für den Schiffsverkehr ist, habe ich soviel als naöglich Erkundigungen darüber eingezogen und jene Beobachtung vollkommen bestätigt gefunden. Wenn es sich also um Fragen handelt, welche sich auf Schiffscholera beziehen, dann müssen wir unser Augenmerk auf Schiffe richten, welche dem Massentransport von Menschen dienen, wie Truppentransportschiffe, Pilger-, Kuli- und Emigranten- schiffe. Auf diesen kommt, wenn sie von cholerainfizierten Häfen ausgehen, die Cholera nicht so selten vor, wie öfters angenommen wird. Man begegnet mitunter dem Bestreben, den Schiffsverkehr als ganz ungefährlich in bezug avif Cholera Verschleppung hmzustellen, indem man ausrechnet, daß auf soundsoviel cholerafreie Schiffe nur eins komme, auf welchem Cholera ausbrach. Dieser Rechnung ist allerdmgs entgegenzuhalten, daß, wenn auch unter 1000 Schiffen nur eins Cholera an Bord hat, selbstverständlich dieses eine Choleraschiff genau ebensoviel Unheil anrichten kann, als wenn alle 1000 mit Cholera infiziert gewesen wären. Beschränkt man sich jedoch bei der Berechnung des Verhält- nisses von cholerafreien zu cholerainfizierten Schiffen auf die Massentransportschiffe, dann fällt das Resultat, wie gesagt, weit weniger günstig aus, als man gewöhnlich meüit. In den Reports of the Sanitary Commissioner with the Government of India vom Jahre 1881 findet sich eine höchst interessante Zusammenstellung über die Cholera auf Kulischiffen, welche von Kalkutta abgegangen sind. Diese Schiffe sind nicht sehr groß, befördern aber trotzdem 300 — 600 indische Arbeiter, sogenannte Kulis, meistens nach den englischen Kolonien in Amerika. Von solchen Schiffen fuhren im Laufe von 10 Jahren 222 und von diesen hatten 33 Cholera, und zwar dauerte die Epidemie auf 16 Schiffen länger als 20 Tage. Man kann sich danach leicht eine Vorstellung machen, wie groß die Gefahr einer Choleraeinsehleppung für das näher gelegene Europa sein 48 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. müßte, wenn ein ähnlicher Arbeitertransport von Indien z. B. nach Ägypten oder nach irgendeinem Mittelmeerhafen ginge. Über eine Frage der Choleraätiologie, welche mehr ein theoretisches Interesse bietet, habe ich noch nicht Gelegenheit gehabt mich zu äußern und möchte sie deswegen nur noch kurz berühren. Es handelt sich nämlich um die Erklärung der merkwürdigen Tatsache, daß die Cholera außerhalb Indiens immer wieder nach einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum verschwindet. Mir scheint dieses Erlöschen der Seuche durch verschiedene Faktoren bedingt zu 'sein. Zunächst halte ich es für feststehend, daß schon der einzelne Mensch, wie bei vielen anderen Infektionskranklieiten, durch das einmalige Überstehen der Cholera eine ge- wisse Immunität erlangt. Diese Immunität scheint nicht von allzu langer Dauer zu sein, denn man hat genug Beispiele, daß ein Mensch, der während einer Epidemie be- fallen war, in einer anderen zum zweitenmal an der Cholera erkrankte; aber man hört sehr selten, daß jemand in derselben Choleraepidemie zweimal befallen wird. Ein mehr- faches Erkranken müßte aber gerade bei der Cholera öfter vorkommen, weil der Mensch, der von einem Anfall genesen ist, meistens nach wenigen Tagen wieder in dieselben Ver- hältnisse zurückkehrt und sich auch immer wieder denselben Schädlichkeiten und der- selben Infektionsquelle aussetzt. Außerdem sprechen noch einige Erfahrungen, die in Indien gemacht sind, dafür, daß eine gewisse Immunität nach dem Überstehen der Cholera gewonnen wird. In gleicher Weise nun wie das einzelne Individuum eine Immu- nität erlangen kann, können, wie vielfache Erfahrung lehrt, auch ganze Ortschaften für eine gewisse Zeitdauer mehr oder weniger immun werden. Man sieht sehr oft, daß, wenn die Cholera einen Ort ergriffen und ihn durchseucht hat und dann im nächsten Jahre wieder dahin kommt, dieser Ort fast ganz verschont bleibt oder nur sehr leicht ergriffen wird. Als zweiten Grund für das Erlöschen einer Choleraepidemie muß das Fehlen eines Dauerzustandes geltend gemacht werden, mit Hilfe dessen der Infektionsstoff den seiner Weiterentwicklung ungünstigen Zeitraum der Immunität einer Bevölkerung über- stehen könnte. Endhch ist noch der Umstand zu berücksichtigen, daß die Temperaturen, die unter 17" sind, auf das Wachstum der Bazillen außerhalb des Körpers so ungünstig wirken, daß eine Vermehrung nicht mehr stattfinden kann. Wenn alle diese Faktoren zusammen- wirken, wenn also der Winter kommt und nur noch eine mehr oder minder immune Bevölkerung für die Epidemie übrig ist, dann muß, da kein Dauerzustand des Infektions- stoffes besteht, auch die Epidemie erlöschen. Ehe ich schließe, möchte ich noch mit ein paar Worten auf die Nutzanwendung eingehen, die wir aus der Entdeckung der Cholerabazillen ziehen können. Gewöhnlich heißt es: Ja, was nützt uns eine solche Entdeckung? Wir wissen nun allerdings, daß die Cholera durch Bazillen verursacht wird, aber trotzdem können wir diese Krankheit noch nicht besser kurieren als früher. Ich erinnere mich, daß man sich vielfach in gleicher Weise auch über die Entdeckung der Tuberkelbazillen geäußert hat. Wer diese Dinge ganz allein vom Standpunkt des rezeptschreibenden Arztes betrachtet, hat allerdings recht, daß er noch keinen greifbaren Nutzen vor Augen hat, und doch sollten auch diese Kritiker bedenken, daß eine rationelle Therapie für die meisten Krankheiten und insbesondere für die Infektionskrankheiten nicht eher erhalten werden kann, als bis wir die Ursachen und das Wesen derselben erkannt haben. Von der Entdeckung der Cholerabazillen verspreche ich mir aber auch ohnedies jetzt schon recht erheblichen Nutzen. Zunächst denke ich an die Verwertung in diagnostischer Beziehung. Es ist überaus wichtig, daß Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerat'rage am 26. Juli 1SS4 in Berlin. 49 gerade die ersten Fälle, die iii ii'gendeineiu Lande oder Orte vorkommen, richtig diagno- stiziert werden. Meiner Ansicht nach kann man jetzt durch den Nachweis der Cholera- bazillen mit Sicherheit konstatieren, ob Cholera vorliegt oder nicht. Das scheint mir doch ein ganz wesentlicher Vorteil zu sein. Ferner glaube ich, daß, nachdem wir die eigentliche Krankheitsursache und deren Eigenschaften kennen gelernt haben, die Ätiologie der Cholera in bestimmten und festen Umrissen konstruiert werden kann und daß man endlich einmal aus diesen vielen Wider- sprüchen herauskommt. Wir werden nunmehr feste Unterlagen für ein einheitliches und zielbewußtes Handeln gewinnen. Einen ganz besonderen Nutzen verspreche ich mir von der Beobachtung, daß die Kommabazillen durch Trocknen getötet werden. Allerdings hätte die Tatsache, daß der Cholerainfektionsstoff durch Trockenheit ver- nichtet wird, an der Hand der Erfahrung eigentlich schon früher gefunden werden sollen, aber es fehlte an experimentellen Stützen und man war immer unsicher darüber. Jetzt können wir die Eigenschaft des Infektionsstoffes ganz bestimmt als Tatsache hinstellen und in Zukunft damit rechnen. Hieraus können wir aber vor allem den Vorteil ziehen, daß der schrecklichen Vergeudung von Desinfektionsstoffen endlich doch einmal ein Ziel gesetzt wird und daß nicht wieder, wie in den letzten Epidemien, Millionen in die Rinnsteine und Abtritte geschüttet werden, ohne daß es auch nur das geringste ge- nützt hat. Ich gebe mich übrigens sogar der Hoffnung hin, daß auch tlierapeutisch die Kennt- nis von den Kommabazillen zu verwerten ist. Man wird in Ziüiunft selbst in leichteren Fällen und in den Anfangsstadien die Diagnose maclien können. Dementsprechend werden auch therapeutische Versuche an Sicherheit gewinnen, wenn nmn weiß, daß der Kranke wirklich an Cholera leidet. Eine frühzeitige Diagnose muß aber von um so größerem Werte sein, als die Aussicht auf therapeutische Erfolge gerade in den An- fangsstadien noch am größten sind. Im Anschluß an den Vortrag sijricht Virchow') im Namen aller Anwesenden K o c h seinen allerherzlichsten Dank aus. ,,Wir waren ja einigermaßen durch die eingehenden und lichtvollen Berichte, die er während der Eeise geschickt hatte, in der Lage, den Weg seiner Untersuchungen zu verfolgen, indes ich kann wenigstens von mir, und ich denke, das wird auch Ihnen so gegangen sein, sagen, daß die detaillierte und ausführliche Darlegung, wie wir sie heute gehört haben, ganz wesentlich gewesen ist, van uns ein Urteil bilden zu können. Ich erkläre ausdrücklich für mich, daß ich es von Anfang an für höchst walirscheinlich gehalten habe, daß der Bazillus in der Tat das ens morbi sei, indes nach dem, was ich heute hörte, haben meine Vorstellungen doch ein ganzes Stück an Sicherheit mehr gewonnen." Die aiü' den 28. .Juli, aljends 7 Uhr, verlegte Diskussion, zu der sich auch Geheimrat Professor Dr. Bardeleben eingefunden hatte, während Geheimrat Struck bei ihr fehlte, schloß sich an die von Koch dafür aufgestellten Leitsätze an. Diese lauteten: L Wird die Cholera durch einen spezifischen, nur aus Indien koiumenden In- fektionsstoff erzeugt ? 2. Wird der Infektionsstoff nur durch den menschlichen Verkehr verschleppt ? 3. Welches sind die Träger des Infektionsstoffes im Fernverkehr: Schiffe, Waren, Briefe, gesunde Menschen, infizierte Menschen ? 4. Welches sind die Träger des Infektionsstoffes im Naliverkelir : Choleraleichen, Choleraeffekten, Wäsche, Nahrungsmittel, Trink- und Gebrauchswasser, Luft, Insekten ? 5. Ist eine direkte Übertragving möglich, oder mui3 der Infektionsstoff eine Art Reifung oder Generationswechsel im Boden oder sonstwo durchmachen ? 6. Wird der Infektionsstoff im Menschen reproduziert oder geschieht dies unabhängig vom Menschen im Boden und dient alsdann der Mensch (Tiere usw.) nur als Träger ? ') Die Bemerkungen der anderen Redner sind hier auszuglich nur so weit wiedergegeljen, als zum Verständnis der Antworten Kochs notwendig erschienen ist. D. Herausgeber. Koch, Gesammelte Werke. 49 50 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. 7. Ist der Inf ektionsstof f in denDejektionen, eventuell im Erbrochenen enthalten, oder findet er sich auch im Blute, Urin, Schweiß, Atemluft ? 8. Besitzt der Infektionsstoff große Widerstandsfähigkeit, Dauerzustand ? 9. Wird er durch Trocknen innerhalb kurzer Zeit vernichtet ? 10. Kann der Infektionsstoff auf anderen Wegen als durch den Verdauungs- kanal in den Körper gelangen ? 11. Sind besondere individuelle Dispositionen erforderlich, um ihn wirksam werden zu lassen ? 12. Wie lang ist das Inkubationsstadium ? 13. Gibt das einmalige Überstehen der Cholera Immunität für eine gewisse Zeit ? 14. Ist der Cholerainfektionsstoff mit den Kommabazillen identisch ? 15. Kann die Wirkungsweise der Bazillen als eine Intoxikation aufgefaßt werden ? 16. Ist der Nachweis der Kommabazillen diagnostisch verwertbar? Zu der ersten Frage: ,,Wird die Cholera durch einen spezifischen, nur aus Indien kommenden Infektionsstoff erzeugt?" bemerkt Koch: Ich habe es für nötig gehalten, diesen Satz aufzustellen, weil von manchen Seiten, auch noch wieder in allerletzter Zeit, in Zweifel gezogen ist, daß die Cholera überhaupt eine spezifische und eine aus Indien stammende Krankheit sei. Namentlich mit Bezug auf die agj^Dtische Epidemie ist im letzten Jahre von mehreren Autoren ein solcher Zweifel ausgesprochen. Was die von mir aufgestellten Sätze betrifft, so bin ich nicht der Meinung, daß dieselben alles enthalten, was überhaupt zu diskutieren ist, und stelle anheim, Sätze zu streichen oder neue hinzuzufügen. Ich habe mich absichtlich immer des Ausdrucks ,, Infektionsstoff" bedient. Die Frage über die Bedeutung der Kommabazillen kommt ganz zuletzt, weü ich niemandem in seinem Urteil über das Wesen des Infektionsstoffes vorgreifen wollte. V i r c h o w erklärt, daß über diesen Punkt kaum eine Diskussion erforderlich ist, und Hirsch bemerkt, daß auf der Sanitätskonferenz 1874 in Wien darüber vollkommene Übereinstimmung geherrscht hat. Angeschlossen wird Punkt 7: ,,Ist der Infektionsstoff in den Dejektionen, eventuell im Erbrochenen enthalten, oder findet er sich auch im Blute, Urin, Schweiß, Atemluft ?" V i r c h o w bemerkt, daß die Frage nur dadurch aufgeworfen ist, weil die nach Ägypten entsandte französische Cholerakommission geglaubt hat, die Infektionsstoffe in anderen Körper- teilen zu finden. Daran schließt Koch folgende Worte: Ich habe diesem Satze nichts hinzuzufügen. Ich kann mich nur auf das beziehen, was ich neulich gesagt habe. Meiner Ansicht nach ist der Infektionsstoff nur in den Dejektionen, ausnahmsweise auch einmal im Erbrochenen enthalten; aber alle übrigen Dinge, welche in Frage kommen könnten, also namentUch Urin und Schweiß, dann die Atemluft kann ich nicht für Träger des Infektionsstoffes halten. Auch im Blut kann er schon aus dem Grunde nicht enthalten sein, weil noch niemals bei Sektionen eine Infektion vorgekommen ist, während doch von anderen Krankheiten, deren Infektions- stoff sich im Blute befindet, z. B. von Milzbrand und Recurrens, schon eine Anzahl solcher Infektionen bekannt sind. Punkt 16: ,,Ist der Nachweis der Kommabazillen diagnostisch verwertbar?" Auf die Bemerkung Virchows, daß damit zugleich die Frage gegeben sei, inwieweit der Kommabazillus als das eigentliche Agens anzusehen sei, sagt Koch: Dann würde sich allerdings die Frage Nr. 16 mit 14: ,,Ist der Cholerainfektionsstoff mit dem Kommabazillus identisch?" decken. Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. 51 Man würde also diese beiden Punkte zusammenfassen können. (Zustimmung.) Ich habe bei AufsteUung der Frage unter Nr. 16 namentlich daran gedacht, ob wohl die praktische Ausführung des Verfahrens zum Nachweis der Kommabazillen nicht über dasjenige hinausgeht, was man von jedem Arzt oder wenigstens von jedem Sanitäts- beamten verlangen kann. Letzteren würde es doch zvmächst zufallen, eventuell die Dia- gnose zu stellen. Ich dachte dabei viel weniger an die therapeutische Seite der Frage, als an die sanitätspolizeiliche Verwertung und daß womöglich die ersten Cholerafälle sofort diagnostiziert werden müssen. Kann man nun den Sanitätsbeamten zumuten, daß sie mit den erforderlichen Methoden soweit vertraut sind, um die Diagnose in zu- verlässiger Weise stellen zu können ? Ich erlaube mir hierbei nochmals ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß das Mikroskop allein nur in wenigen Fällen hierzu genügt; es ist vor allem notwendig, auch das Kulturverfahren zu kennen. Nach V i r c h o w s Meinung fehlen noch immer einige Momente der Sicherheit, um den Cholerainfektionsstoff mit dem Kommabazillus als identisch zu betrachten. Bisher sei es nicht ge- lungen, auf irgendeine Weise durch Ül:>ertrag\mg des Kommabazillus auf Tiere die Cholera zu er- zeugen. K o c h hätte mitgeteilt, daß es R i c h a r d s gekmgen sei, bei Schweinen dvu'ch Verfütterung von Inhaltsmassen des Choleradarms eine schwere Infektion herbeizuführen, es handelt sich aber darum, wieweit derartige Zufälle mit der Cholera als identisch angesehen werden können. Dazu bemerkt Koch: Ich möchte nur bezüglich der Versuche von Richards xiocli in Erinnerung bringen, daß man sie eigentlich gar nicht anders auffassen kann als eine Intoxikation. Die Schweine starben in unglaublich kurzer Zeit; nach höchstens 2].^, Stunden, und das kann man nicht mehr als eine Infektionskranklieit auffassen. Namentlich ist auch die Reproduktion des Infektionsstoffes in dem Versuch von Rieh a r d s nicht gelungen. Dennoch will ich keineswegs behaupten, daß es gar kein Tier gibt, an dem nicht möglicher- weise doch noch einmal der Infektionsversuch gelingen könnte. Ich habe neulich immer nur gesagt, daß man bei allen den Tieren, mit denen bis jetzt experimentiert ist und die bis jetzt in Choleragegenden mit Menschen in Berührung gekommen sind, niemals etwas Choleraartiges beobachtet hat. Also ich halte auch diese Frage durchaus noch nicht für abgeschlossen. Ich möchte nur betonen, daß die Versuche von Richards nicht im geringsten etwas gegen die Bedeutung der Kommabazillen beweisen ; im Gegenteil, mir sind sie mehr als eine Bestätigung meiner Auffassung der Choleraätiologie erschienen, weil man auf diese Weise erfährt, daß sich im Darminhalt unter dem Eiafluß der Komma- bazillen eine toxische Substanz bildet. Nach einer Zwischenbemerkung von Hirsch : Ich habe in der letzten Zeit noch Gelegenheit gehabt, Material von Cholera nostras zu untersuchen. Nämlich Schnitte von der Darmschleimhaut eines sehr schweren und schnell tödlich verlaufenen Falles. Es waren keine Kommabazillen, dagegen eine Menge anderer Bazillen an der Darmoberfläche und in den schlauchförmigen Drüsen zu selien. Aixßerdem erhielt ich Präparate aus Wien geschickt von Fällen, die dort vorgekommen sind, von denen man allerdings noch nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob es Cholera nostras oder ob es Hitzschlag sei. Es waren Deckglaspräparate mit dem Darminhalt von zweien dieser Fälle. Kommabazillen waren nicht darin nachzuweisen. Nach einer kurzen Erörterung über das sporadische oder epidemische Auftreten von Cholera nostras weist V i r c h o w darauf hin, daß nach Ansicht von K o c h mit dem bloßen mikroskopischen Nachweis der Kommabazillen die Diagnose nicht gesichert sei, und er knüpft daran die Frage: wenn ein zweifelhafter Fall vorliege, der klinisch der Cholera asiatica ähnele, imd es würde durch die mikro- skopische Untersuchung festgestellt, daß zahllose Bazillen in den Entleerungen vorhanden seien, wäre Koch dann zweifelhaft, ob es ein echter Fall sei ? Darauf erwidert K och: Ich würde in diesem Falle auch nicht einen Moment in Zweifel sein. Aber es kommt nicht sehr oft vor, daß man schon bei der mikroskopischen Untersuchung für die Diagnose 49* 52 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. ausreichende Mengen von Kommabazillen findet. Meistens ist noch das Kulturver- fahren erforderlich, welches niemals in Stich läßt. Ich wiederhole deshalb die Frage, ob der Nachweis der Kommabazillen sich auch praktisch verwerten läßt, und in dieser Beziehung meine ich doch, daß es nicht ganz gleichgültig ist, ob man z. B. bei dem aller- ersten Fall, der etwa durch Schiffe oder sonstwie eingeschleppt wird, sofort mit Sicher- heit feststellen kann, ob es wirklich Cholera ist oder nicht. Wie Herr Hirsch eben sagte, half man sich bei Cholera nostras -Fällen damit, daß man wartete, ob die Kranken gesund wurden oder nicht. Auch dann weiß man es noch nicht, denn auch Menschen mit Cholera asiatica können gesund werden. Man muß also noch länger warten, bis die FäUe sich hävifen ; dann ist aber der günstigste Moment zum Handeln vorüber. Ich glaube doch, daß es unter allen Umständen sehr wichtig ist, gerade die ersten Fälle sofort als solche zu konstatieren und durch geeignete Maßregeln unschädlich zu machen. Wenn auch die frühere Praxis schließlich genau mit derselben Sicherheit darüber entscheiden konnte, ob Cholera asiatica vorlag oder nicht, so kam diese Entscheidung doch immer etwas spät, gerade wann die beste Zeit des Handelns vorüber ist. Die Diagnose der ersten Fälle ist übrigens nicht nur für die allererste Einschleppung der Cholera nach Europa, sondern auch beim Erscheinen der Cholera in einem Orte von größter Bedeutung, weil auch hier die ersten Fälle durch Isolieren unschädlich gemacht werden können. Will man aber mit der Diagnose warten, bis em halbes Dutzend und mehr Fälle vorgekommen sind, dann hat man eigentlich schon die Übersicht und die Herrschaft über die Krank- heit verloren. Was nun die Schwierigkeit der Methode zum Nachweis der Bazillen be- trifft, so glaube ich, daß die Färbung der Tuberkelbazillen, die sich doch sehr rasch eingebürgert hat, schwieriger ist als die Herstellung einer Kultur von Kommabazillen. Ich denke mir : so gut wie sich die meisten Ärzte auf das Färben der Tuberkelbazillen eingeübt haben, könnte man auch von den Sanitätsbeamten, wenn auch nicht von allen, so doch von der Mehrzahl verlangen, daß sie eine solche Untersuchung ausführen können. Auf eine Frage von Schubert, in welchem Stadiima der Erkrankimg die Kommabazillen sich finden, sagt Koch: Ich habe die Bazülen in mehreren Fällen gesehen, die eben ins Krankenhaus ge- liefert wurden ; allerdings sind auch dies nicht immer die ersten Stadien der Krankheit. Doch habe ich in Toulon einen im Hospital erkrankten und nach wenigen Stunden ge- storbenen Menschen untersucht, in dessen Darminhalt die Kommabazillen in großer Menge zu finden waren. Ein von diesem Falle herstammendes Präparat habe ich Ihnen vorgelegt. Demnach nehme ich an, daß die Bazillen schon sehr frühzeitig nachzuweisen sind und daß die ersten farblosen wässerigen Entleerungen eine große Menge Bazillen enthalten müssen. Auf die wiederholte Frage von Schubert, ob in den Dejektionen bereits zu Beginn der Krankheit die Konmaabazillen konstatiert sind, wiederholt Koch: Ja, das kann ich bestätigen. Hirsch fragt, ob ein Fremder, der nach Berlin zugereist sei, der an choleraverdächtigen Erscheinungen erkrankt sei und in dessen Darmentleerungen der Bazülus nicht nachweisbar wäre, von Koch unter Observation gestellt würde. Dazu bemerkt Koch: Ich würde einen solchen Menschen entschieden als verdächtig unter Beobachtung stellen. Aber dadurch wird durchaus nicht das, was ich beabsichtige, eingeschränkt, meine Intentionen gehen noch weiter. Und auf eine Zusatzbemerkung von Hirsch: In der Praxis kommt es wohl nicht so häufig vor, daß jemand aus einem Choleraort angereist kommt und sofort an einem unzweifelhaften Cholerafall erkrankt. In diesem Falle könnten wir, wenn alles ganz klar und offen liegt, auch das Mikroskop und das a Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 2(5. Juli 1884 in Berlin. 53 Kulturverfahren beiseite lassen. Einen solchen Menschen würde ich ohne weiteres als Cholerakranken behandeln und isolieren. Gewöhnlich geht es aber anders. Vorläufig be- schränkt sich die Cholera noch auf Südfrankreich. Ich will nun aber den Fall setzen, es er- eignet sich em choleraartiger Fall in eüier deutschen Stadt und man würde die Kommaba- zillen in diesem Falle nachweisen, dann muß man sich doch sagen : der Infektionsstoff ist nun schon in der Stadt. Dann wird man doch noch ganz andere Maßregeln ergreifen, als daß man sich darauf beschränkt, den Menschen zu begraben und seine Sachen zu desinfizieren. Ich glaube, daI3 es gerade unter dex"artigen Umständen außerordentlich wichtig ist, die Diagnose zu stellen. Es ist ja das immerhin kein sehr häufiger Fall, daß die Cholera so weite Sprünge macht, aber sie hat es doch schon verschiedentlich getan, und es wäre gar nicht undenkbar, daß bei dem jetzigen Reiseverkehr plötzlich irgendwo in einem Nachbarlande von Frankreich die Cholera zum Ausbruch kommt. Es wäre nicht un- möglich, daß man sich lange Zeit dagegen sträuben und damit trösten wird, daß es nur Cholera nostras sei ; aber inzwischen werden der Fälle immer mehr und mehr, und wenn man sich endlich dazu entschließt, auf Grund der immer häufiger werdenden Todesfälle auszusprechen, daß es doch Cholera asiatica ist, dann ist es auch wieder zu spät, um die Epidemie noch einzudämmen. Also ich muß doch immer die Notwendigkeit des Nachweises der Kommabazillen in diagnostischer Beziehung aufrecht erhalten. Auf den Hinweis von B. Frankel und P i s t o r auf die Schwierigkeit der Technik des Bazillennachweises sagt Koch: Ich glaube doch, daß die Schwierigkeiten des Verfahrens überschätzt werden. Sie haben es neulich selbst gesehen, es sah doch sehr einfach aus. Die Nährgelatine ist außerdem jetzt käuflich zu haben. Man hat also nur die Gelatine zu erwärmen, mit einem Schleimflöckchen aus der Dejektion zu mischen und auf eine Glasplatte auszu- gießen. Die Platte wird dann unter eine Glasglocke gebracht oder in Ermangelung einer solchen zwischen zwei aufeinandergedeckte Teller gelegt, wie wir es bei unseren Versuchen in Kalkutta gemacht haben. Auch in bezug auf die Beschaffung der Dejek- tionen möchte ich annehmen, daß die Verhältnisse bei der Cholera außerordentlich günstig liegen. Sie wissen ja, daß die Dejektionen zum großen Teil in die Wäsche hineinkommen. Man braucht sich nur em mit Dejektion beschmutztes Hemd geben zu lassen, wie ich das mehrfach getan habe, und einige von den Schleimflöckchen, die der Leinwand an- haften, zu untersuchen. Es ist dies das allergünstigste Untersuchungsobjekt, um die Diagnose zu stellen, und das steht doch gewiß sehr leicht zur Verfügung. Eines besonderen Wärmeapparates bedarf man zur Herstellung der Kulturen nicht, die Sommertempe- ratur im Zimmer genügt immer, um die Kommabazillen zum Wachsen zu bringen. Auf die Bemerkung von B. Frankel, daß in seinem Zimmer in den letzten Tagen nur 16" C gewesen sei, fährt Koch fort: Dann müßte man im Notfalle ein wenig heizen lassen. Also besondere, kompli- zierte Apparate sind dazu nicht nötig. Meines Erachtens ist die Methode mindestens ebenso leicht zu handhaben, wie die Tuberkelbazillenfärbung. S. N e u m a n n betont unter anderm, daß die Untersuchung von choleraverdächtigen Prä- paraten und die Entscheidung in Berlin stattfinden müsse. V i r c h o w hält es für wünschenswert, daß gewisse Zentralstationen liegründet werden, wohin ^Material zur Untersuchung gesandt wird. Gegenüber seiner Auffassung, daß ein paar Tage vergehen werden, ehe die Vegetation der Bazillen genügend zur Erkenntnis vorgeschritten sei, bemerkt K o c h : Das kann in 24 Stmiden geschehen. Er fährt dann weiter fort: Das Versenden von Cholerastoffen scheint mir doch bedenklich zu sein. Es wäre wohl richtiger, den mit der Untersuchung Beauftragten an Ort und Stelle zu schicken. Ich glaube auch, daß sich dementsprechende Einrichtungen treffen lassen. Ich hoffe. 54 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. daß später ein jeder Physikus eine solche Untersuchung machen kann. Wenn sich die Untersuchungsmethode erst eingebürgert hat und wenn jeder es einmal gesehen hat, dann ist es gar keine schwierige Sache mehr, aber das wird sich allerdings nicht so rasch machen lassen. Ich stimme da vollständig mit dem Herrn Vorsitzenden überein, daß die Ärzte sich erst allmählich mehr und mehr damit vertraut machen werden, aber des- wegen könnte doch schon in größeren Städten der eine oder andere zu finden sein, der einer solchen Untersuchung gewachsen ist und der sofort an Ort und Stelle gehen könnte. Punkt 8 und 9: „Besitzt der Infektionsstoff große Widerstandsfähigkeit, Dauer- zustand, wird er durch Trocknen innerhalb kurzer Zeit vernichtet?" V i r c h o w leitet die Diskussion mit dem Hinweis darauf ein, daß nach Ansicht von P e 1 1 e n - k o f e r nicht der Kommabazillus, sondern erst eine noch zu findende Dauerform als das gefährlichste Element betrachtet werden müßte. Dazu Koch: Ich will noch einmal daran erinnern, daß meine Überzeugung von dem Fehlen eines Dauerzustandes, d. h. einer besonders großen Widerstandsfähigkeit des Cholera- infektionsstoffes sich nicht allein aus meinen Beobachtungen über das Verhalten der Kommabazillen gebildet hat, sondern daß auch alle früheren Erfahrungen schon dahin führen mußten. Wir haben eigentlich gar kein Beispiel, aus dem mit Sicherheit her- vorgeht, daß der Infektionsstoff sich lange halten könnte, und ich muß immer wieder auf das Verhalten der uns bereits bekannten, mit einem Dauerzustand versehenen Infek- tionsstoffe verweisen; der Choleramfektionsstoff müßte sich diesen doch konform ver- halten. Das ist aber nicht der Fall. Ich habe die Beispiele von Müzbrand und von Pocken angeführt, von denen die Erfahrung vielfach gelehrt hat, daß der Infektionsstoff gerade im getrockneten Zustande, z. B. im Luftstaub, in Lumpen, in Wolle u. dgl. sich ver- hältnismäßig lange Zeit gehalten hat. Etwas Ähnliches kennt man von der Cholera gar nicht, und deswegen hätte man eigentlich schon im voraus sagen müssen : es kann da keinen Dauerzustand geben. Allerdings habe ich jetzt eine Zeitungsnotiz zugeschickt bekommen, wonach behauptet wird, daß in Kriegstetten in der Schweiz eine Cholera- epidemie vorgekommen sei infolge einer aus Zürich stammenden Lumpensendung. Die ganze Sache ist aber so oberflächlich beschrieben und man erfährt nicht, ob alle anderen Infektionsmöglichkeiten ausgeschlossen gewesen smd, so daß ich auf diese Notiz doch nicht viel geben kann. Bis jetzt würde das der einzige Fall sein, wo man einmal eine Übertragung durch Lumpen konstatiert hätte, während doch gewiß unendlich viel Lumpen in den Verkehr gekommen sind, die mit Choleradejektionen beschmutzt waren und keine Cholera erzeugt haben. Auf die Bemerkung von L e y d e n, daß in einem Falle ein aus Amerika verschickter Koffer in Mühlhausen eine Infektion vermittelt haben solle, sagt Koch: Meines Wissens existieren, wie ich bereits mehrfach erwähnt habe, unanfechtbare Beispiele, daß der Cholerainfektionsstoff in getrocknetem Zustande sich längere Zeit wirksam gehalten hat, nicht, und ich muß deswegen, auch ganz abgesehen von den Beobachtungen über die Kommabazillen, den Satz für richtig halten, daß kein Dauer- zustand besteht und daß der Cholerainfektionsstoff durch Trocknen in kurzer Zeit vernichtet wird. Nach weiteren Ausführungen von Hirsch über den von L e y d e n erwähnten Mühl- hauser Fall: Darf ich mir zunächst die Frage erlauben, welches die längste Zeit gewesen, binnen welcher in wohl konstatierten Fällen durch Effekten die Ansteckung vermittelt wurde ? Hirsch beantwortet die Frage nicht mit Sicherheit ; es mögen 5 — 6 Tage, also Zeit geiuig zum Trockenwerden der Effekten dazwischen gelegen haben. Ich dachte, es würde sich um eine Dauer von 4 — 6 Wochen gehandelt haben. Erste Konfeienz zur Erörterung der C'holerafrage am 26. Jvili 1884 in Berlin. 55 Nach einer kurzen Zwischenbemerkung H i r s c h s , er lege auf diesen ihm zu dunkel erscheinenden Fall keinen Wert und habe ihn nur mitgeteilt, weil Herr Leyden ihn erwähnt habe, fährt Koch fort: Der Mühlliauser Fall läßt «ich nicht verwerten, da es einen Ort betrifft, wo kurze Zeit vorher die Cholera herrschte. Ich halte übrigens sogar eine Zwischenzeit von 4 bis 6 Wochen zwischen einem Cholerafall und dem Ausbruch eüaer Epidemie, welche durch Effekten vermittelt wurde, mit meinen Auffassungen noch durchaus vereinbar. Das ist noch kein Dauerzustand, der in einem solchen Falle vorliegen würde. Von Milz- brand besitze ich Material in getrocknetem Zustande, das nach 12 Jahren noch wirk- sam ist. Wir haben bei den Pocken Beispiele, daß Ansteckung nach 1 Jahr und länger erfolgte. Von der Vakzine wissen wir, daß sie sich mehrere Jahre im trockenen Zu- stande hält. Das nenne ich Dauerzustand. Zusammengepakte Wäsche kann nach einigen Wochen noch feucht sein und somit lebensfähige Kommabazillen enthalten. Wir haben, wie ich neulich noch besonders anführte, in den Reagenzgläschen die Kommabazillen 6 Wochen und länger am Leben erhalten, sie hatten dennoch keinen Dauerzustand ge- bildet. Sobald man sie dann trocknete, starben sie sofort ab. Zu Gunsten meiner An- nahme ermnere ich noch an das, was ich früher über die Schiffscholera erwähnte. Es ist doch sehr merkwürdig, daß auf gewöhnlichen Handelsschiffen, welche doch auch alle möglichen Dinge an Bord führen, die aus Choleragegenden kommen und also eigent- lich den Infektionsstoff in der einen oder anderen Form enthalten müßten, niemals die Cholera anders als in den ersten Tagen nach der Abfahrt vorkommt. Bei den großen Tran.^portschiffen aber verhält sich die Sache ganz anders. Der Ausbruch der Krank- heit fängt gewöhnlich auch schon bald nach Abgang des Schiffes an, zieht sich aber nachher lange hin, bis zu 2, 3, 4 Wochen und noch länger. Es ist doch auffallend, daß nur auf solchen Schiffen, die viele Menschen an Bord haben, der Infektionsstoff sich in emem solchen Dauerzustand befinden und nun immer nach und nach zur Wirkung kommen sollte. Weswegen kommt das nicht auch einmal auf einem Kauffahrer vor, oder auf solchen Schiffen, auf denen nur wenige Menschen sind, die nicht so dicht zu- sammengedrängt sind ? Dies ist meiner Meinung nach eins der schlagendsten Beispiele dafür, daß für gewöhnlich der Infektionsstoff außerordentlich rasch abstirbt und daß er nur in den Menschen selbst sich erhält durch fortlaufende Ansteckung, welche gerade in diesen außergewöhnlichen Verhältnissen durch das so enge Zusammenleben der Men- schen ermöglicht ist. Man hat bei allen Epidemien, die auf größere Strecken hm über See verschleppt sind, immer nur die Menschen in Verdacht ziehen können. Die An- gaben, die hin und wieder wohl über die Verschleppung durch Waren oder Effekten von Reisenden gemacht sind, haben sich nachher als unsichere herausgestellt. Also ich glaube, daß auch schon aus allen diesen Tatsachen, die wir der Erfahrung entnehmen, die Richtigkeit dieser Sätze erwiesen wird. V i r c h o w und Hirsch gehen sodann weiter auf die Frage des Dauerzustandes ein und Hirsch betont, daß Erfahrungen vorliegen, che es im höchsten Grade wahrscheinlich machten, daß die Cholera an einem Orte, in welchem sie epidemisch geherrscht hatte und mit Eintritt kalter Jahi-eszeit erloschen war, im folgenden Jahre von neuem auftrat, ohne daß man auch nur entfernt an eine neue Einschleppung des Krankheitsgiftes denken konnte. Dazu Koch: Ein Dauerzustand, wie wir ihn von anderen Bakterien kennen, würde das niemals sein, und diese Frage würde also nicht zur Erörterung dieses Satzes gehören. Es würde eigentlich eine ganz neue Frage aufzustellen und als solche zu diskutieren sein, wenn nicht mit dem Ausdruck Dauerzustand" Verwirrung angerichtet werden soll. Aber ich muß gestehen, daß diese Frage der vollen Erwägung wert ist. Nachdem ich gesehen habe, daß die Kommabazillen eine sehr niedrige Temperatur ertragen können, und da ich weiß, daß sie abgetrennt vom menschlichen Körper existieren können, z. B. auf 56 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. Kartoffeln, oder daß sie im Reagenzglas mit Gelatine oder auf Wäsche eine Zeitlang ihr Dasein fristen können, halte ich es wohl für möglich, daß etwas Derartiges vorkommen kann und daß sich die Kommabazillen durch ein verlangsamtes Wachstum unter be- schränkenden Verhältnissen eine Zeitlang an geeigneten Stellen im Boden oder sonst- wo zu halten vermögen, ohne daß sie Gelegenheit zur Infektion finden. Möglich ist das auf jeden Fall, aber es fehlt mir darüber an Erfahrung, und ich kann mich nicht be- stimmt darüber aussprechen. Man müßte dazu in solchen Orten, aus denen die Cholera verschwunden ist, noch eine Zeitlang Boden und Wasser und alles das, was möglicher- weise noch Infektionsstoffe enthalten könnte, gründlich untersuchen. Das ist eine Frage, deren Lösung der Zukunft angehört, die aber jedenfalls sehr wichtig ist. In Kalkutta konnten solche Untersuchungen selbstverständlich nicht gemacht werden, weil die Cholera dort keine Pausen macht. Erst bei einer Epidemie in Europa kann diese Frage gelöst werden, und ich glaube, daß es sehr zweckmäßig ist, sie in Anregung zu bringen. Es werden sich auf diesem Wege ganz gewiß manche der von Pettenkofer gefundenen Tatsachen leichter als bisher erklären lassen. Auf die Frage von Hirsch, ob unter den aufgestellten Diskussionsfragen auch die Beziehung des Bazillus zu Temperaturverhältnissen erwähnt sei, konstatiert Koch: ,,Das ist hier nicht in Betracht gezogen." Punkt 10: ,,Kann der Infektionsstoff auf anderen Wegen als durch den Verdauungs- kanal in den Körper gelangen?" Ich habe diese Frage hauptsächlich deswegen zur Diskussion vorgeschlagen, weil Pettenkofer der Ansicht ist, der Infektionsstoff könne auch durch Atmung und durch die Lungen in den Körper eindringen. Weil das von so gewichtiger Seite ausgesprochen ist, wäre es doch sehr wünschens- wert, über diese Frage zu diskutieren. Auf die Frage von B. Frankel, ob die Bejahung der in Punkt 10 aufgeworfenen Frage die Infektion durch die Luft ausschließen solle, sagt Koch: Ich glaube bei meinen Mitteilungen neulich schon darauf hingewiesen zu haben, daß ich mir doch Verhältnisse denken kann, unter denen der Infektionsstoff auch einmal durch die Luft übertragen wü-d. Das kommt aber nur ausnahmsweise vor, und die Ver- schleppung kann denn auch nur auf sehr kurze Distanzen vor sich gehen. Man kann es deshalb immer noch als Regel gelten lassen, daß durch die Luft eine Verschleppung nicht stattfindet. Eine Ausnahme von dieser Regel kann beispielsweise unter folgenden Verhältnissen zustande kommen. In Alexandrien münden in den neuen Hafen die Kloaken ein. Der Inhalt dieser Kloaken mischt sich mit dem Meerwasser, welches nahe am Strande dementsprechend schmutzig aussieht. Wenn man sich nun an diesem Strande aufhält, dann kann man sehr bald bemerken, daß fortwährend ein Teil von diesem verunreinigten Seewasser durch die Brandung zerstäubt wird. Wie reichlich die Verstäubung ist, mögen Sie daraus entnehmen, daß ich nach ungefähr 5 Minuten das verstäubte Seewasser von den Brillengläsern abwischen mußte, weil ich am Sehen behindert war. Da kann ich mir wohl denken, daß, wenn durch die Kloaken irgendein Infektionsstoff, z. B. Cholera- dejektionen, an den Strand gespült und da fortwährend verstäubt wird, derselbe den Anwohnern durch den Luftstrom zugeführt werden kann. Mag sich nun der Infektions- stoff auf Nahrungsmittel niederschlagen, oder mag er eingeatmet werden, so kann er immer in die Verdauungsorgane gelangen. Das ist allerdings der einzige mir bis jetzt bekannte Fall, in dem ich überzeugt bin, daß der Infektionsstoff durch die Luft ver- schleppt werden kann. Ich will noch erwähnen, daß gerade in den Häusern am neuen Hafen von Alexandrien, welche in der Nähe der Kloakenausmündung stehen, eine An- zahl von Cholerafällen vorgekommen ist. Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. 57 L e y d e n erinnert daran, daß verhältnismäßig häufig Leichenträger erkranken und dann und ^^•ann auch mancher aus dem Gefolge einer Choleraleiche. Zunächst möchte ich zu dem, was Herr L e y d e n gesagt hat, bemerken, daß es doch auffallend ist, wenn nur die Leichenträger und das Leichengefolge erkrankten, während wir doch wissen, daß gerade Krankenwärter und Ärzte, die doch in viel innigere Berührung mit dem Kranken und mit staubförmigen Abgängen desselben kommen, lange nicht in der Weise leiden, wie gerade die beim Begräbnis beteiligten Menschen. Auf die Erwiderung, daß in der Danziger Epidemie von 1866 eine ganze Reihe von Kranken- wärtern erkrankt imd gestorben sei, daß aber die Äi-zte bei weitem nicht soviel und solange bei den Kranken beschäftigt wären, sagt Koch: Es kommen auch in Krankenhäusern Choleraepidemien vor, aber im großen und ganzen kann man sagen, daß Ki-ankenwärter und Ärzte nicht viel häufiger erkranken als andere Menschen. Sie sind gewöhnt, sich zu reinigen und zu waschen, nur gegen den Staub würden sie sich nicht schützen können, während die Leichen träger und das Leichen- gefolge insofern immer einer besonderen Gefahr sich aussetzen müssen, als sie in das Sterbehaus hineingehen und dort meistens etwas genießen. Sie kommen da nicht bloß mit staubförmigen Dingen in Berührung und eine Infektion derselben kann auf viel- fache andere Weise zustande kommen. Dann wissen wir doch — wenn ich nicht irre, hat Herr Hirsch darüber in seiner Beschreibung der Epidemie vom Jahre 1872 berichtet — , daß diejenigen Menschen, welche die Leichen von Flößern transportiert hatten, die Cholera bekamen. Das kann aber kaum dvu'ch staubförmige Bestandteile gekommen sein. Höchst wahrscheinlich haben sich die Leute die Hände beschmutzt und nachher mit den beschmutzten Händen gegessen. Ich glaube, daß bei den Leichenträgern immer noch die Erklärung der un- mittelbaren Übertragung durch Nahrungsmittel oder durch beschmutzte Hände viel näher liegt als durch Staub. Wenn der Staub infizierend wäre, müßten ja ähnlich wie bei einer anderen Kategorie von Infektionskrankheiten, z. B. exanthematischem Typhus oder Masern, Scharlach, eine viel größere Anzahl unmittelbarer Ansteckungen bekannt sein. L e y d e n betont, daß er den Staub nicht gemeint habe, aber keine Schwierigkeit darin sehe, anzunehmen, daß, wenn eine starke Verdunstung stattfindet, Keime des Infektionsstoffes in der Atmosphäre suspendiert sein könnten. Dem muß ich allerdings widersprechen. Alle Erfahrungen, die wir über Infektions- stoffe und über Mikroorganismen besitzen, sprechen dagegen. Ohne daß die Flüssigkeit zerstäubt wird oder daß Blasenbildung stattfindet, können die Bakterien sich niclit aus einer solchen Flüssigkeit erheben. Die Flüssigkeit muß erst eintrocknen, die ein- getrocknete Masse muß in Staubforra gebraclit und dami durch den Luftstrom fort- geführt werden. Wäre der Infektionsstoff in getrocknetem Zustande haltbar, dann müßte bei den großen Mengen von Choleradejektionen, welche auf Kleidern, Betten usw. trock- nen und fortwährend staubförmig in die Luft gelangen, von den Kranken viel häufiger eine direkte Ansteckung z. B. in demselben Zimmer, in demselben Krankensaale vor- kommen. Was schließlich noch die Einschleppung durch Gesunde betrifft, so wird von einer solchen sehr selten berichtet. Es ist wahrscheinlich, daß irgendwelche andere Dinge dabei im Spiel gewesen sind, z. B. daß jemand Eßwaren oder sonst etwas mit- gebracht luid seinen Angehörigen gegeben hat oder daß der scheinbar Gesunde doch einen ganz leichten C^holeraanfall gehabt hat, der unbemerkt geblieben ist. Tj e y d e n erwähnt einen Fall, wo ein junges Mädchen, das in ein Haus gegangen sei, um fiir eine an der Cholera gestorbene Frau ein Leichenkleid anzufertigen, selbst gesund geblieben sei, da- gegen deren Älutter, die gar nicht mit der Cholerakranken in Berührung gekommen sei, an der Cholera erkrankt und gestorben wäre. Betreffs der Verschleppung durch Gesunde möchte ich noch hervorheben, daß es sich doch hier um eine ganz andere Art und Weise der Verschleppung durch gesunde 58 Erste Konferenz zur Erörterung der Choleratrage am 26. Juli 1884 in Berlin. Menschen handelt, als P e 1 1 e n k o f e r annimmt. Nach P e 1 1 e n Ic o f e r hängt sich der aus dem Boden stammende, in der Luft verteilte Infektionsstoff einem Menschen an, er haftet an ihm vind an seinen Kleidern und kann auf große Entfernungen hin verschleppt werden. Das Beispiel, welches Herr L e y d e n anführt, ist ein ganz anderes und stimmt mehr mit dem, was ich annehme. In solcher Weise kann auch einmal der Gesunde Träger des Infektionsstoffes werden, doch wird das nur höchst selten vorkommen und die Verschleppung kann nur auf sehr geringe Entfernungen geschehen. Es ist also auch nicht daran zu denken, daß die Cholera möglicherweise durch den Seeverkehr auf diese Art zu uns gebracht werden kann. Punkt 6. ,,Wird der Infektionsstoff im Menschen reproduziert, oder geschieht das unabhängig vom Menschen im Boden und dient alsdann der Mensch (Tiere usw.) nur als Träger ? V i r c h o vv wirft die Frage auf, wie es komme, daß, obwohl der Bazillus ein wesentlich aerober ist, der menschliche Darm einen besonders günstigen Platz für seine Entwicklung darstelle. Ja, diese Frage habe ich mir auch schon vorgelegt. Aber es muß doch freier Sauer- stoff im Darm zur Verfügung stehen oder es müssen wenigstens solche Verbindungen vorhanden sein, welche dem Bazillus den Sauerstoff liefern. Wir sehen die Bazillen lebend in großen Massen im Darm und sehen andererseits, daß, wenn wir ihnen außer- halb des Körpers die Luft entziehen, sie dann sofort aufhören zu wachsen. Ich folgere daraus, daß die Bakterien im Darm in irgendeiner Weise Sauerstoff finden müssen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß im Darm noch eine ganze Anzahl anderer Bakterien vorkommen, die auch bei Luftabschluß nicht wachsen. Auch das Oidium lactis, welches Sauerstoff zu seiner Entwicklung bedarf, kommt bisweilen im Darm sehr reichlich vor. Nach einigen Bemerkungen von L e y d e n , Bergmann und V i r c h o w: Vielleicht könnten die Kohlenhydrate einen Ersatz liefern. Bislang wissen wir nur, daß die Bazillen bei Entziehung des Sauerstoffs nicht wachsen und ebenso nicht in Kohlensäureatmosphäre. V i r c h o w hält die Frage für wichtig, inwieweit die Infektionsstoffe im Boden reproduziert werden und der Mensch nur als Träger diene. Es wäre denkbar, daß beides vorkomme, sowohl die Reproduktion im Menschen, als auch die im Boden. Dazu erklärt Koch: Das wird sich nicht eher entscheiden lassen, als bis cholerainfizierte Lokalitäten untersucht werden können. V i r c h o w scheint die Möglichkeit, daß im Boden eine Vermehrung stattfindet, aus den bisherigen Erfahrungen direkt zvi folgen. Daraus, daß man diesen Satz teilweise bejahen kann, ergibt sich am besten, daß doch noch eine Einigung über die verschiedenen auseinandergehenden Meinungen zu erzielen sein wird. Punkt 5: ,,Ist eine direkte Übertragung möglich oder muß der Infektionsstoff eine Art Reifung oder Generationswechsel im Boden oder sonstwo durchmachen ?" Nach einer Bemerkung von V i r c h o w : Das bezieht sich nicht allein auf den Boden, sondern es ist auch behauptet, daß der Infektionsstoff selbst in der Cholerawäsche einer besonderen Reifung bedürfe, weil die Wäsche in ganz frischem Zustande nicht infektionsfähig sei. Diese Annahme stützt sich hauptsächlich auf die Versuche von T h i e r s c h, und darüber hätte ich sehr gern ein Urteil gehört, inwieweit das begründet ist. Ich glaube, daß die Wäsche schon un- mittelbar nach der Beschmutzung ansteckend ist. Ist vielleicht irgendwie ein Beispiel bekannt, aus dem man schließen könnte, daß erst eine Art Reifung und Umwandlung des Infektionsstoffes nötig gewesen wäre ? Mir ist nichts bekannt. * Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 188-4 in Berlin. 59 Die Diskussion über die Punkte 3 und 4 wird vereinigt. Wird der Infektionsstoff nur durch den menschlichen Verkehr verschleppt, welches sind die Träger des Infek- tionsstoffes im Fernverkehr: Schiffe, Waren, Briefe, gesunde Menschen, infizierte Menschen. Welches sind die Träger des Infektionsstoffes im Nahverkelir: Ciholera- leichen, Choleraeffekten, Wäsche, Nahrungsmittel, Trink- und Gebrauchswasser, Luft, Insekten. Auf die von S k r z e c z k a und V i r c h o w besonders erörterte Frage, inwieweit Lumpen die Cholera verbreiten können, bemerkt Koch: Ich kann mich dem gegenüber nur darauf berufen, daß das in der Praxis überhaupt noch nicht vorgekommen ist, bis auf den Fall, den ich Ihnen lieute sclion angeführt habe, der mir sehr fraglich zu sein scheint. Es müßte doch, da man früher meines Wissens gar nicht so großen Wert auf die Unterdrückung des Lumpenhandels in Cholerazeiten gelegt hat, öfter vorgekommen sein. Die Frage der Möglichkeit der Infektion durch Lumpen ist auf den Cholerakongressen in Wien und in Konstantinopel angeregt, und niemand hat ein Beispiel anführen können, daß durch Lumpen, z. B. bei der Bearbeitung derselben in Papierfabriken oder sonstwo einmal die Cholera entstanden sei. Daraus möchte ich doch schließen, daß die Behandlung und Verarbeitung der Lum])en eine derartige sein muß, daß der Cholerainfektionsstoff zugrunde geht. Dieser Frage ist übrigens gar nicht so große Bedeutung beizumessen. Was soll es uns viel nützen, wenn wir den Lumpenhandel unterdrücken, während wir cholerakranke Menschen über unsere Grenzen kommen lassen müssen. Die Möglichkeit, daß durch Lumpen der Infektions- stoff übertragen wird, kann nach den jetzigen Erfahnnigen nur eine unendlich geringe sein, während die Möglichkeit, daß uns die Cholera durch scheinbar gesunde Menschen ins Land gebracht wird, eine ungemein größere ist und die können wir nicht abwehren. V i r c h o w wirft die Frage auf, ob es eine Grenze gibt, wo der Bazillus nicht mehr lebens- fähig ist, oder ob er beliebig lange im Wasser existieren und wirksam Ijleiben kann. Soweit meine Erfahrungen bis jetzt reichen, scheinen die Kommabazillen in reinem Wasser ziemlich rasch abzusterben ; nicht sofort, wenn man sie hineinbringt, aber nach einigen Tagen. Sie können sich nicht bloß nicht vermehren, sondern sie scheinen auch nach einiger Zeit zugrunde zu gehen. V i r c h o w weist dann darauf hin, daß che anderen Punkte zum Teil schon erörtert sind. Es bleiben nur noch Punkt 11, 12, 1.3 und 15 übrig. ,,Sind besonders individuelle Dispositionen erforderlich, um ihn (den Infektionsstoff) wirksam werden zu lassen ? Wie lange ist das Inkubationsstadium ? Gibt das einmalige Überstehen der Cholera Immunität für eine gewisse Zeit ? Kann die Wirkungsweise der Bazillen als eine In- toxikation aufgefaßt werden. Dazu bemerkt V i r c h o w: Von diesen Punkten möchte ich fast glauben, daß es nicht nötig wäre, sie liier zum Gegenstande einer Erörterung zu machen. Es sind so weitgehende Fragen, die sehr viel Details erfordern, und die doch auch nicht so unmittelbar mit den Fragen zusammenhängen, welche ims gegenwärtig beschäftigen und welche zunächst eine unmittelbar praktische Bedeutung haben. Wenn Herr K o c h nicht sehr großen Wert darauf legt, dann möchte ich vorschlagen, daß wir vorläufig diese Fragen in suspenso lassen. Vielleicht findet sich in späterer Zeit Gelegenheit, daß wir noch einmal darauf zurückkommen. L e y d e n ist der Meinung, daß eine gewisse lunnunität gegen eine nochmalige Erkrankung der Cholera durch ihr einmaliges Überstehen erworben zu werden scheint. Jedenfalls geht daraus hervor, daß die Fälle sehr vereinzelt sein müssen. Auf die Frage von Hirsch, ob Koch etwas über die Inkubationszeit der Cholera kon- statiert habe, erwidert Koch: Ich habe aus eigener Erfahrung nichts weiter konstatieren können. Was mir ^dar- über bekannt ist, ist aus der Literatur entnommen. Es wäre mir aber selir lieb, wenn 60 Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884 in Berlin. ich wenigstens noch über diesen Punkt das Urteil der Versammlung hören könnte. Meiner Ansicht nach gibt es kein langes Inkubationsstadium. Alle die Fälle, in denen ein scheinbar langes Inkubationsstadium beobachtet ist, lassen auch eine andere Er- klärung zu. V. Bergmann ist der Meinimg, daß man bei drohender Choleraepidemie den praktischen Ärzten den Rat geben soll, sich angesichts der verschiedenen Streitfragen zunächst an die hier ent- vnckelte BazUlentheorie zu halten. Dem gegenüber erklärt Koch: Ich möchte von diesem Vorgehen abraten. Das würde doch wieder auf das hin- auskommen, was wir vermeiden wollen, es würde ein bestimmtes Urteil über die ganze Auffassung der Choleraätiologie sein. Ich denke mir, jeder möge sich selbst sein Urteü nach dem, was hier verhandelt ist, bilden. über die Cholerabakterien. ) Von Dr. R. Koch. Es gibt einige Bakterieiitarteii, welche so charakteristisch geformt sind, daß sie durch ihre eigentümhche Gestalt von anderen ähnlichen Arten ohne weiteres unter- schieden Averden können, Avie z. B. die Recurrensspirochaeten. GeAvöhnlich genügen aber die morphologischen Eigenschaften der Bakterien nicht, um sie mit Sicherheit unter- scheiden zu können, und es stellt sich dann die Notwendigkeit heraus, andere Eigen- schaften derselben diagnostisch zu verAverten. So bietet für die Tuberkelbazillen das eigentümliche Verhalten gegen Farbstoffe ein sicheres Erkennungsmittel. Die besten Anhaltspunkte zur Unterscheidung bieten die Bakterienarten aber erst dann, Avenn es möglich ist, ihr Verhalten in Reinkulturen zu untersuchen. Erst dann lassen sich die wesentlichsten biologischen Eigentümlichkeiten der Bakterien, wie z. B. Wachstum und Verhalten auf verschiedenem Nährboden, bei verschiedener Temperatur, Bildung von Dauerformen, pathogene Eigenschaften usw. feststellen. Je AA^eitere Fortschritte in der Erforschung der Bakterien gemacht sind, um so mehr hat es sich herausgestellt, daß es ganz unerläßlich ist, die Eigenschaften einer Bakterienart nach allen Richtungen hin zu prüfen, bevor man ein Urteil über die Identität oder Differenz derselben in bezug auf solche Bakterien abgibt, welche in einer oder selbst mehreren Eigenschaften jenen gleich zu sein scheinen. So gibt es manche Bazillenarten, welche morphologisch fast gar nicht voneinander zu unterscheiden sind, welche sich aber in Reinkiüturen Avesentlich verschieden voneinander verhalten, wenn sie auf Kartoffeln oder in Nährgelatine oder auf erstarrtem Blutserum gezüchtet Averden. Dies gilt nun aber auch ganz besonders von den Cholerabazillen ; sie können eben- falls in bezug auf die eine oder andere Eigenschaft anderen Bakterienarten so ähnlich sein, daß es unmöglich wäre, sie gerade in diesem Punkte davon zu unterscheiden. So sind beispielsweise ihre Kidturen auf Kartoffeln denjenigen der Rotzbazillen im makro- skopischen Aussehen außerordentlich ähnlich, mit vielen anderen Bakterien teilen sie die Eigenschaft, die Nährgelatine langsam zu verflüssigen, noch anderen sind sie morpho- logisch sehr ähnlich usav. Aber es AAäirde sehr vmrichtig sein, Avemi man sie mit den Rotz- bazillen identifizieren wollte wegen des Aussehens der Kartoffelkulturen, mit anderen Bazillenarten Avegen der besonderen Art und Weise, in welcher sie die Nährgelatine verflüssigen, oder mit denjenigen Bakterien, Avelche mit ihnen nichts AA-eiter gemein- schaftlich haben als die gekrümmte Form. Auch die Cholerabazillen werden ebenso wie die Mehrzahl der übrigen Bakterien durch die Gesamtsumme der Eigenschaften, Avelche ihnen zukommen, charakterisiert und können also aucli nur durch Berücksich- tigung aller ihrer uns bekannten Eigentümlichkeiten diagnostiziert AA^erden. Ja, Avir müssen sogar noch weiter gehen, indem AAdr berücksichtigen, daß uns bis jetzt doch bei ') Aus Deutsche ^Jedizinische Wochenschrift, 1884, Nr. 45. 62 über die Cholerabakterien. weitem noch nicht alle Eigenschaften der Cholerabazillen bekannt sind. Wir werden nämlich selbst in dem Falle, daß uns in Zukunft Bakterien begegnen sollten, welche ihnen in mehreren der bislang als charakteristisch angenommenen Eigenschaften sich sehr ähnlich oder gleich verhalten sollten, noch nicht berechtigt sein, diese ohne weiteres als gleichartig mit den Cholerabazillen zu erklären, sondern es müßte noch sorgfältig untersucht werden, ob nicht doch noch andere bislang unbeachtet gebliebene Unter- schiede zwischen den beiden Arten bestehen. Auf diese Erfordernisse für den Nachweis der Cholerabazillen habe ich, so oft sich nur eine Gelegenheit bot, nachdrücklich hingewiesen. Insbesondere ist noch ge- legentlich der im Gesundheitsamte zur Erörterung der Cholerafrage gehaltenen Kon- ferenz mehrfach davon die Rede gewesen. Um so mehr durfte ich wohl erwarten, daß, wenn ich von Cholerabazillen oder Kommabazillen sprach, dies nicht anders aufgefaßt werden konnte, als daß ich damit die mit einer Anzahl von genau beschriebenen Eigen- schaften versehenen im Cholera darm gefundenen Bazillen gemeint habe. Dennoch bin ich hierin von manchen nicht recht verstanden und ich muß deswegen nochmals aus- drücklich erklären, daß nur solche Bakterien in bezug auf ihre Identität mit den Cholerabazillen in Frage kommen können und eine weitere Prüfung verdienen, welche ihnen in allen von mir erwähnten Punkten etwa gleichen sollten. Es kommt gerade hierauf sehr viel an, weil bekanntlich der Beweis von dem ur- sächlichen Zusammenhang zwischen Kommabazillen und Cholera im wesentlichen dar- auf hinausgeht, daß die im Choleradarm gefundenen Bazillen eine spezifische Art bilden und dem Choleraprozeß ausschließlich zukommen. Sollte sich irgendwo unabhängig von Cholera eine Bakterienart finden, welche wir mit den jetzigen Hilfsmitteln von den Cholerabazillen nicht zu unterscheiden vermöchten, dann wüi'de jener Beweis an Sicher- heit verlieren, und wir würden ferner, wenn derartige Bakterien in den Ausleerungen von Kranken oder in den menschlichen Verdauungswegen vorkämen, den Nachweis der Cholerabazillen nicht mehr zur Diagnose der Cholera in zweifelhaften Fällen ver- werten können. Von wie weittragender Bedeutung aber gerade in dieser Beziehung die Verwertung unserer Kenntnisse der Cholerabazillen sind, bedarf keiner weiteren Darlegung, nach- dem dies in der Konferenz ausführlich auseinandergesetzt wurde und somit bei den Lesern dieser Wochenschrift als bekannt vorausgesetzt werden darf. Es handelt sich dabei um die wichtigsten Maßregeln zur Abwehr der Cholera und es durfte wohl erwartet werden, daß diejenigen, welche sich mit Untersuchungen über die Cholerabazillen und die damit zusammenhängenden Fragen beschäftigen wollten, sich der Verantwort- lichkeit, welche sie damit übernahmen, bewußt gewesen wären und nicht unvorbereitet mit dieser keineswegs leichten Aufgabe befassen würden. Leider hat sich diese Vor- aussetzung nicht erfüllt. Nicht wenige haben sich mit großem Eifer sofort an die Arbeit begeben, sind aber wegen der ungenügenden Vorkenntnisse zu Resultaten gelangt, welche nichts weniger als zur Förderung der Sache gedient haben. Es haben sogar solche Mikroskopiker, welche noch nicht einmal die erforderliche Übung in der mikroskopischen Unterscheidung der Bakterien besaßen, sich dennoch bewogen gefühlt, über Cholerabakterien Untersuchungen anzustellen. So erhielt ich eine Anzahl mikroskopischer Präparate und Substanzen zugeschickt, deren Absender Kommabazillen darin konstatiert haben wollten. Aber nicht in einem einzigen dieser Objekte vermochte ich jenen Befund zu bestätigen, und es blieb sogar mehrfach ganz unaufgeklärt, was wohl die Verwechslung mit den Kommabazillen veranlaßt haben könnte. Nur einen der Absender, Herrn Dr. K 1 a m a n n in Luckenwalde, will ich hier 1) Deutsche Med. Wochenschrift, 1884, Nr. 32. (Diese Werke, Bd. II, p. 20 ff. D. Herausgeber.) über die Cholerabakterien. 63 ausdrücklich erwähnen, da derselhe über seine Beobachtung auf der Nat urforscherversamm- lung zu Magdeburg eine Angabe (cf . Tageblatt der Naturforschervers. p. 223) gemacht, die- selbe aber bis jetzt nicht berichtigt hat. Es ist im Tageblatt gesagt, daß Klamann im August dieses Jahres in den Ausleerungen bei Cholera nostras gekrümmte Bazillen und spirillenartige Gebilde gefunden habe, welche genau dem Aussehen der von Fin kler demon- strierten entsprachen. Herr Dr. Klamann hatte die Güte, mir einige seiner Präparate, teils von den Ausleerungen, teils von Kulturen herrührend, zur Einsicht zu übersenden, aber weder ich noch andere Mikroskopiker haben in denselben auch nur irgend etwas auf- finden können, was so ausgesehen hätte wie gekrümmte Bazillen oder spirillenartige Gebilde. Es ist nicht naeine Absicht, hier eine Kritik über alles, was in letzter Zeit in bezug auf Kommabazillen geschrieben ist, zu geben. Nur über zwei Arbeiten, welchen in der medizinischen Presse eine größere Bedeutung beigemessen ist, will ich noch einige Be- merkungen machen, um an diesen Beispielen die wesentlichsten Fehler, welche in dieser Beziehung gemacht wurden, auseinanderzusetzen. Die eine dieser Arbeiten ist von T. R. L e w i s geliefert und in der Lancet (8ept. 20. 1884 p. 513) veröffentlicht. Lewis hat darauf hingewiesen, daß im Mund Speichel gekrümmte Bazillen vor- kommen, welche den Cholerabazillen in ihren Größenverhältnissen sehr nahe kommen. Dies ist keineswegs eine neue Beobachtung. Es war schon seit Jahren bekannt, daß solche Bakterien im Speichel und besonders im Zahnschleim zu finden sind. Ich habe deswegen auch diesem Punkte besondere Aufmerksamkeit gewidmet und vielfach Speichel, welcher derartige Bakterien enthält, mit Hilfe von Nährgelatine in derselben Weise wie die Cholerabazillen untersucht, dabei aber die Überzeugung gewonnen, daß jene sich ganz anders verhalten wie diese und mit den Kommabazillen gar nicht zu verwechseln sind. Es ist auch in der Konferenz von mir ausdrücklich erwähnt, daß Speichel und Zahnschleim von mir mit negativem Resultate untersucht sind. Um so mehr hätte Lewis Veranlassung gehabt, sich nicht allein auf die mikroßkoi>ische Untersuchung der Speichelbakterien zu beschränken, wie er es getan hat. Übrigens wird es einem ge- übten Mikroskopiker sofort auffallen, daß die gekrümmten Bazillen des Speichels etwas größer, schlanker und an den Enden weniger stumpf sind als die Cholerabazillen. Wenn die Färbung nicht zu intensiv ist, erscheinen die Enden der Speichelbakterien auch weniger dunkel gefärbt als die Mitte. Man würde also schon hinreichend Grund haben, allein auf morphologische Unterschiede gestützt, diese beiden Bakterienarten auseinander zu halten, selbst wenn, wie Lewis nachgewiesen hat, einzelne Exemplare der einen Art mit einzelnen der anderen Art in den Größenverliältnissen wenig differieren. Mit der Messung einiger Individuen der beiden Arten hätte die Untersuchung also nicht ab- geschlossen werden dürfen, so mühsam und verdienstlich auch im übrigen diese Arbeit sein mag. Aus den Zeiten, wo man sich darauf beschränkte, Bakterien zu messen und dann sein LTrteil über dieselben abzugeben, sind wir doch schon lange heraus. Hätte Lewis sich der geringen Mühe unterzogen und den bazillenhaltigen Speichel mit Nähr- gelatine untersucht, dann würde er sofort erkannt haben, daß seine Kommabazillen in neutraler oder schwach alkalischer Fleischwasser-Peptongelatine überhaupt nicht wachsen, während die Korhmabazillen der Cholera ausnahmslos darin zur Entwicklung gelangen. Beide Bakterienarten unterscheiden sich also in ihren biologischen Eigen- schaften sehr wesentlich, und es ist nichts leichter, als die von Lewis als identisch mit den Cholerabazillen angesprochenen Bakterien von diesen zu unterscheiden. Die zweite hier in Frage kommende Arbeit ist die von F i n k 1 e r und Prior, über welche eine vorläufige Mitteilung in Nr. 36 der Deutscli. Med. Wochenschr. gemacht und ausführlicher auf der Naturforscher- Versammlung in Magdeburg berichtet wurde. 64 Uber die Cholerabakterien. Diese beiden Forscher trifft nun ganz besonders der Vorwurf, daß sie sich ohne genügende Vorkenntnisse und Vorbereitung an ihre schwierige und verantwortliche Aufgabe begeben haben. Zur Begründung dieses Urteils brauche ich nur folgendes an- zuführen. Über die Methode der Isolierung von Bakterien behufs ihrer Reinkultur auf festem Nährboden ist in den letzten Jahren sehr viel geschrieben, während der vorjährigen Hygieneausstellung ist dieselbe vielen Hunderten von Ärzten im Pavillon des Gesund- heitsamtes demonstriert, in dem Bericht über die Konferenz ist die Art und Weise, in welcher die Kommabazillen zu isolieren und in Reinkulturen zu züchten sind, ganz genau beschrieben. Es war also jedem, der sich für die Sache interessiert, hinlänglich Ge- legenheit geboten, sich über die Untersucliungsmethode zu informieren. Namentlich ist aber noch in den letzten Jahren bei den Verhandlungen über die Ätiologie der Tuber- kulose so vielfach die Rede von der Benutzung des festen Nährbodens für Bakterien- kulturen gewesen, und von den außerordentlichen Vorteilen dieser Methode, welche sie für Untersuchungen über pathogene Bakterien bietet, daß selbst derjenige, welcher sich noch nicht speziell mit Bakteriologie beschäftigt hat, die Entschuldigung nicht geltend machen kann, diese Methode sei ihm unbekannt gewesen. F i n k 1 e r und Prior erwähnen nun aber ausdrücklich, daß sie sich schon mehr- fach mit Bakterienuntersuchungen beschäftigt haben und zählen zu ihrer Legitimation ihre früheren Arbeiten auf; sie sagen auch, daß sie ,,über Kulturen manche Erfahrungen gesammelt" hätten und behaupten, ,,der Methode, die schon Gewohnheit geworden ist für dergleichen Untersuchungen", in ihren Züchtungsversuchen gefolgt zu sein. Worin die Methode von F i n k 1 e r und Prior indessen bestand, möge aus den eigenen Worten derselben entnommen werden. An einer Stelle wird die Methode folgen- dermaßen beschrieben: ,,Wir nehmen aus den Stuhlentleerungen kleine Partikelchen getrennt und pflanzen sie teils auf feuchte Leinwand, teils auf Kartoffelstücke". Im Bericht der Naturforscherversammlung heißt es wörtlich: ,,Es muß weiter nachgewiesen werden, daß er spezifische Eigenschaften hat. Zu diesem Nachweis züchtet man den Mikrokokkus r e i n , d. h. man sucht ihn auf künstliche Weise durch Züchtung und wieder neue Züchtung weiter zu impfen und weiter wachsen zu lassen, bis alle anderen Mikro- organismen durch die für sie ungünstigeren Bedingungen im Wachstum und der Ver- mehrung zurückblieben und nur der eine bestimmte Mikroorganismus übrig blieb." Die gewöhnliche Methode der Bakterienkultur auf festem Nährboden besteht be- kanntlich darin, daß man die einzelnen Keime möglichst weit auseinanderzubringen sucht, damit sie getrennt voneinander zur Entwicklung kommen. Man bringt die bak- terienhaltige Masse zu diesem Zwecke in flüssig gemachte Nährgelatine, verteilt sie darin soviel als möglich, und läßt nun die auf eine Glasplatte ausgegossene Gelatine recht schnell erstarren. In dieser Weise ist es zu erreichen, daß die einzelnen in der Gelatine verteilten Bakterien an getrennten Stellen fixiert werden und jeder Keim ungestört durch andere Bakterien imd unvermischt mit denselben an seinem besonderen Platze sich vermehren und zu einer schließlich auch dem bloßen Auge sichtbaren Reinkultur heranwachsen kann. Das Prinzip der ganzen Methode besteht also darin, daß man aus einzelnen Individuen entwickelte Kolonien zu gewinnen sucht. Auf Kartoffeln die Tren- nung mehrerer durcheinander gemengter Bakterienarten auszuführen, bietet außer- ordentlich viel mehr Schwierigkeit als das Verfahren mit Gelatine. In den meisten Fällen gelingt die Trennung pathogener Bakterien von nichtpathogenen auf Kartoffeln über- haupt nicht, weil die überall verbreiteten Fäulnisbakterien gerade auf Kartoffeln so üppig wachsen, daß sie alle anderen bald überwuchern. Man benutzt daher die Kartoffel als Nährsubstrat für pathogene Bakterien nur dann, wenn man die letzteren bereits über die Cholerabakterien. 65 in Reinkulturen gewonnen hat und untersvichen will, ob sie auch auf eineni pflanzlichen Nährboden zu gedeihen vermögen. Dem F i n k 1 e r - P r i o r sehen Verfahren der Bakterienkultur liegt aber ein ganz anderes Prinzip zugrunde. Die Kultur beginnt damit, daß aus den Stuhlentleerungen kleine Partikelchen entnommen und auf Leinwand oder Kartoffeln verpflanzt werden. Mögen diese Partikelchen nun so klein als nur irgend möglich gemacht werden, so ent- halten dieselben doch immer noch Tausende von einzelnen Bakterien, welche sehr ver- schiedenen Arten angehören können und welche auch, sofern sie auf Kartoffeln über- haupt zu wachsen vermögen, sich durcheinander vermischt vermehren werden. Eine Trennung der einzelnen zur Aussaat gelangenden Keime findet dabei überhaupt nicht statt, ist aber auch von den Erfindern dieses Vei'fahrens gar nicht beabsichtigt; denn sie rechnen darauf, daß bei weiteren in derselben Weise ausgeführten Umzüchtungen einer der ausgesäten Organismen die anderen überwuchern, schließlich aus dem Kampf ums Dasein als Sieger hervorgehen und eine Reinkultur bilden soll. Dabei wird außer- dem die Voraussetzung gemacht, daß die übrigbleibende Bakterienart auch gerade diejenige ist, für welche sich F i n k 1 e r und Prior besonders interessieren. Man ersieht hieraus, daß das F i n k 1 e r - P r i o r sehe Verfahren mit dem ge- wöhnlichen Kulturverfahren nicht das mindeste gemein hat, daß es im Gegenteil gerade das entgegengesetzte Prinzip verfolgt. Es beweist aber auch, daß die Erfinder desselben, obwohl sie sich angeblich manche Erfahrungen über Kulturen gesammelt haben, weder das gewöhnliche Gelatine verfahren kennen, noch auch sich jemals früher mit Bakterien- kulturen auf Kartoffeln beschäftigt haben ; weil sie sonst wissen nrußten, daß es in dieser Weise überhaupt unmöglich ist, Reinkulturen zu erzielen. Denn in dem Bakterien- gemisch, welches in den aus Stuhlentleerungen entnommenen Partikelchen enthalten ist, finden sich immer mehrere Arten, welche recht kräftig auf Kartoffeln wachsen und ungestört nebeneinander zur Entwicklung kommen. Ferner können aber bei diesem Verfahren auch nicht einmal die später eindringenden Verunreinigungen ausgeschlossen werden, so daß nach einer Anzahl von Umzüchtungen immer noch ein Bakteriengemisch vorhanden ist, von dem gar nicht mehr behauptet werden kann, daß alles, was darin enthalten ist, auch wirklich der ursprünglichen Aussaat angehört. Auch in der Auffassung von den Entwicklungszuständen der Bakterien gehen F i n k 1 e r und Prior ihre eigenen Wege. Jeder Anfänger in der Bakteriologie kennt das eigentümliche Aussehen eines sporenhaltigen Bazillus, wie es beispielsweise in der auch von F i n k 1 e r und P r i o r zitierten photographischen Abbildung im ersten Bande der Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte dargestellt ist. Die unge- färbte Spore liegt in der Mitte des Bazillus und die beiden Enden des letzteren, welche noch unverändertes Plasma enthalten, haben den Anilinfarbstoff aufgenommen und erscheinen deswegen dunkel gefärbt. In einem weiteren Stadium verschwinden auch die färbbaren Enden des Bazillus, mid die ungefärbte Spore bleibt zurück. F i n k 1 e r und Prior fassen nach dem Wortlaut des Tageblattes der Naturforscherversammlung und nach den mir an einem ihrer Präparate gegebenen Erklärungen den sporenhaltigen Bazillus nicht in dieser allgemein bekannten Weise auf. Der mittlere ungefärbte Teil wird von ihnen als Sporenträger bezeichnet und die gefärbten Enden sollen zwei Sporeir sein. Letztere werden nach F i n k 1 e r und Prior von dem Sporenträger ausgestoßen und wimmeln im Gesichtsfeld herum, während die leeren Hülsen des Sporenträgers (von anderen Mikroskopikern als die eigentlichen Sporen angesehen) dazwischen liegen. Daß es nur in wirklichen Reinkulturen möglich ist, die Entwicklungszustände der Bakterien zu untersuchen, wird heutzutage niemand mehr bestreiten. F i n k 1 e r und Prior konnten aber wegen der Eigentümlichkeit des von ihnen erfundenen Kultur- Koch, Gesammelte Werke. 50 66 über die Cholerabakterien. Verfahrens keine Reinkulturen haben und haben sie auch in der Tat nicht gehabt, wie wir später sehen werden. Deswegen entbehrt aber auch alles, was sie über angebliche weitere Entwicklungszustände der von ihnen untersuchten Bakterien mitteilen, jeder Sicherheit, und ich darf es wohl unterlassen auf die Spirillen, Kulturpunkte und ge- platzten Ammen, welche aus jenen von dem Sporenträger ausgestoßenen Sporen her- vorgehen sollen, weiter einzugehen. Diese beiden Proben genügen hinlänglich, um zu zeigen, daß F i n k 1 e r und Prior sich weder mit den einschlägigen Unter suchinigsmethoden, noch mit der Biologie der Bakterien vertraut gemacht haben, und daß sie also, gelinde gesagt, sich noch nicht einmal die Anfangsgründe der Bakteriologie angeeignet hatten, als sie ihre so viel Auf- sehen machenden Untersuchungen ausführten. Nichtsdestoweniger bin ich den Herren Fink 1er und Prior zu Dank ver- pfüchtet, daß sie mir ihre Präparate gezeigt und eine Probe ihrer Bakterienkultur, letztere allerdings nur nach mehrfacher brieflicher und telegraphischer Aufforderung, überlassen und mich dadurch in den Stand gesetzt haben, mir eine Vorstellung von dem zu machen, was sie eigentlich unter den Händen gehabt haben. Von der Kultur, welche, wie ich voraussetzte, dem besten Material entstammt, das F i n k 1 e r und Prior zur Verfügung hatten, ist in dem Begleitschreiben gesagt, daß sie ,, ziemlich rein" und ,,aus faulem Stuhl aufgezogen" sei. Die Untersuchung desselben mit Hilfe des Gelatineverfahrens ergab, daß in ihr enthalten waren vier verschiedene Bazillenarten, nämlich erstens eine die Gelatine nicht verflüssigende, dieselbe aber grün färbende Art, zweitens ein die Gelatine nicht verflüssigender kurzer gerader Bazillus, drittens ein die Gelatine verflüssigender und an der Oberfläche derselben eigentümliche Figuren bildender ebenfalls gerader Bazillus, viertens ein die Gelatine verflüssigender in wenig bestimmter Form auftretender, vor- wiegend aber leicht gekrümmter oder zitronenförmig gestalteter Bazillus. Nur der letztere Bazillus interessiert uns hier. Derselbe zeigt in Deckglaspräparaten, gefärbt und in Wasser untersucht die erwähnte Form, welche mit der Gestalt der Cholera- bazillen nur wenig Ähnlichkeit hat. Erst nachdem das Präparat eingetrocknet und in Kanadabalsam eingelegt ist, zeigen sich diese Organismen durch das Trocknen einge- schrumpft und in ihrer Form derartig verändert, daß manche Exemplare den Cholera- bazillen ähnlich erscheinen. Im ganzen genommen sehen sie aber auch in diesem Zu- stande plumper und größer aus, als die Cholerabazillen. Sehr wesentlich unterscheiden sie sich aber von letzteren in ihrem übrigen Verhalten. Sie wachsen viel energischer und schneller als die Cholerabazillen sowohl in Gelatine als auch ganz besonders auf der Kartoffel. Die Einzelkolonien in der Gelatine sind bei schwacher Vergrößerung immer von gleichmäßig nmder Form, von fein granuliertem Aussehen und verflüssigen die Gelatine sehr schnell in weitem Umkreise, so daß, wenn auch nur verhältniß mäßig wenige Kolonien sich auf einer Gelatineplatte befinden, die sämtliche Gelatine bereits nach 2 — 3 Tagen verflüssigt ist. Die Cholerabazillen bilden dagegen in der Gelatine nicht gleichmäßig runde, aus stark glänzenden Bröckchen bestehende, verhältnismäßig langsam heranwachsende und die Gelatine dementsprechend auch nur in geringer Ent- fernung verflüssigende Kolonien. Sehr auffallend zeigen sich diese Unterschiede an Kulturen im Reagenzglase. Die Cholerabazillenkultur entwickelt sich bei gewöhnlicher Zimmertemperatur langsam, der Impfstich sinkt in seinem oberen Teile ein und ver- flüssigt seine Umgebung nur sehr wenig, so daß das eigentümliche Aussehen entsteht, als ob eine Luftblase an der Spitze des Impfstiches sich befindet. Der untere Abschnitt des Impfstiches bleibt tagelang dünn und sieht aus wie ein weißlicher Faden, weil die Verflüssigung der Gelatine nur ganz allmählich von oben nach unteri fortschreitend vor über die C'holerabakterien. 67 sich geht. Eine Kultur der F i n k 1 e r - P r i o r scheu Bakterien im Reagenzglas er- scheint dagegen bereits nach 1 — 2 Tagen in der ganzen Ausdehnung des Impfstiches fast gleichmäßig und in großer Ausdelmung verflüssigt; sie sieht deswegen schon sehr frühzeitig nicht mehr fadenartig aus, sondern gleicht in ihrer Gestalt mehr einem läng- lichen Sack oder Strumpf. Eine tiefe Einsenkung und Blasenbildung zeigt der Impfstich niemals an seinem oberen Ende. Auf Kartoffeln wachsen die F i n k 1 e r - P r i o r scheu Bakterien bei Zimmer- temperatur, also bei 17 — 19" C' sehr üppig und bilden eine blaß graugelb gefärbte, schlei- mige Masse, an deren Rande die Substanz der Kartoffel auffallend weiß verfärbt aus- sieht. Die Cholerabakterien wachsen bei der gleichen Temperatur auf Kartoffeln über- haupt nicht ; nur im Brütapparat sind sie auf Kartoffeln zur Entwicklung zu bringen und sie bilden dann sehr langsam heranwachsende ziemlich dunkelbraun gefärbte Kolonien. Es haben sich noch manche andere Unterschiede zwischen den beiden Bakterien- arten herausgestellt, welche ich als weniger wesentlich übergehe, da die geschilderten bereits zur Genüge erkennen lassen, daß es sich hier um zwei ganz verschiedene Mikro- organismen handelt, die gar nichts miteinander zu tun haben, und die auch an der Hand der mitgeteilten Merkmale leicht voneinander zu unterscheiden sind. Es würde nun noch die Frage zu beantworten sein, in welchem Verhältnis die frag- lichen Bakterien zu den von F i n k 1 e r und Prior bereits beobachteten Cholera- nostras-Fällen stehen, wobei icli es ganz unerörtert lassen will, ob die Symptome dieser Fälle berechtigen, sie als Cholera nostras zu bezeichnen. Die Kultur, in welcher die F i n k 1 e r sehen Bakterien enthalten waren, stammte ..aus faulem Stuhl", war also nicht aus den frischen Entleerungen der Kranken gewonnen. Da außerdem bei dem Finkler-Prior sehen Kulturverfahren spätere Verunreinigungen nicht ausge- schlossen sind, so läßt sich aus dem Vorhandensein der Bakterien in der Kultur über- haupt noch nicht schließen, daß dieselben auch ursprünglich in den Ausleerungen der Kranken enthalten gewesen sind. Dies würde man nur nocli aus Präparaten erkeniien können, welche von den frischen Ausleeiungen gemacht sind. Solche Präparate haben F i n k 1 e r und Prior mir gezeigt, und es ist auch wohl in diesem Falle anzmiehmen, daß dies solche Objekte waren, welche sie für die am meisten beweisenden hielten. In diesen Präparaten nun habe ich nur die in allen Stuhlentleerungen regelmäßig vorkommen- den kurzen Bazillen von verschiedener Dicke finden können, aber keine Kommabazillen. Hiernach halte ich es keineswegs für bewiesen, daß die fraglichen Bakterien den von F i n k 1 e r und Prior beobachteten Fällen von Diarrhöe eigentümlich sind, es ist mir im Gegenteil im höchsten Grade vmwalu'scheinlich, mid ich möchte vielmehr an- nehmen, daß sie später durch irgendeinen Zufall in die faulende Ausleerung oder gar erst in die Kultur hineingeraten sind. Bei dieser Gelegenheit will ich noch bemerken, daß ich in letzter Zeit drei Fälle von unzweifelhafter Cholera nostras, darunter zwei tödliche, uiitersucht habe. In keinem derselben konnte, obwohl die Ausleerinigen und der Darminhalt des einen sezierten Falles auf das Sorgfältigste mikroskopiscli und mit dem Gelatineverfalu'en geprüft wurden, Kommabazillen nachgewiesen weiden. Besonderes Interesse bot ferner noch ein Fall von Arsenik Vergiftung, welcher unter heftigem Erbrechen, Durchfall und (loUapsus in ungefähr 10 Stunden tödlich geendet hatte. Der Darm hatte vollkommen das Aus- sehen eines Choleradarmes, ebenso auch der Inhalt desselben. Letzterer enthielt zahl- reiche lebenskräftige Bakterien, unter diesen aber keine Spur von Kommabazillen. Überhaupt sind seit meinen letzten Mitteilungen über die Cholerabazillen die Nach- forschungen nach Bakterien, welche zu einer Verwechslung mit der.selben führen könnten, unermüdlich fortgesetzt, ohne daß es gelungen wäre, derartige Bakterien aufzufinden. 50* 68 über die Cholerabakterien. Es werden seit einiger Zeit im Gesundheitsamte Kurse abgehalten, um eine größere Anzahl von Ärzten mit den zum Nachweis der Cholerabazillen dienenden Methoden bekannt zu machen. Bei dieser Gelegenheit sind bereits viele Hunderte von Einzel- untersuchungen gemacht von Ausleerungen gesunder und kranker Menschen, nament- lich diarrhöischer und dysenterischer, ferner vom Speichel, Zahnschleim, von allen möglichen anderen Substanzen, welche Bakterien enthalten; aber niemals sind uns da- bei Mikroorganismen begegnet, welche mit den Cholerabazillen verwechselt werden könnten. Sowohl das Ergebnis dieser Massenuntersuchungen, wie die vergeblichen Bemühun- gen anderer, welche den Cholerabazillen gleiche Bakterien anderswo als in Choleraobjekten zu finden vermeinten, welche Befunde sich aber sämtlich als Irrtümer herausgestellt haben, bestätigen alles, was ich früher über die Beziehungen der Kommabazillen zur Cholera gesagt habe. Die Kommabazillen sind spezifische, ausschließlich der Cholera asiatica angehörige Bakterien. Solange dieser Satz nicht widerlegt ist, bleiben auch alle die Schlüsse, welche ich aus demselben in bezug auf die diagnostische Verwertbarkeit dieser Bakterien und über ihr ursächliches Verhalten zum Choleraprozeß gefolgert habe, in ihrem vollen Rechte. Übrigens gewinnt es den Anschein, als ob auch die Forderung derjenigen Zweifler in Erfüllung gehen soll, welche den Beweis für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Kommabazillen und Cholera nicht eher für erbracht ansehen wollen, als bis es gelingen würde, mit Reinkulturen der Kommabazillen an Tieren künstlich Cholera zu erzeugen. BekanntHch ist es den Professoren R i e t s c h und N i c a t i während der letzten Choleraepidemie in Marseille gelungen, an Hunden und Meerschweinchen choleraartige Zustände zu erzeugen, wenn den Tieren der Ductus choledochus unterbunden und eine gewisse Menge einer Reinkultur von Kommabazillen in den Zwölffingerdarm injiziert wurde. Später soll der Versuch bei Meerschweinchen auch ohne Unterbindung des Ductus choledochus gelungen sein. Diese Versuche sind im Gesundheitsamt in letzter Zeit wiederholt, und zwar wurde die Reinkultur so weit verdünnt, daß die injizierte Menge kaum ein Hundertstel eines Tropfens der Kulturflüssigkeit enthielt. Die Flüssigkeit wurde, ohne vorher den Ductus choledochus zu unterbinden, in den Zwölffingerdarm injiziert. Mit wenigen Ausnahmen starben die so behandelten Tiere nach 1 — 3 Tagen. Die Schleimhaut des Dünndarms war gerötet, der Inhalt desselben wässerig, farblos oder mitunter schwach rötlich ge- färbt und zugleich flockig. In dem Darminhalt befanden sich die Kommabazillen in einer Reinkultur und in außerordentlicher Menge. Es lagen hier also ganz dieselben Erscheinimgen vor, wie sie der Choleradarm in frischen Fällen zeigt. Eine etwa gleich- zeitig wirkende Intoxikation durch giftige Produkte, welche in der zur Injektion ver- wendeten Kulturflüssigkeit enthalten sein könnte, ist wegen der geringen Menge der gebrauchten Infektionsmasse ausgeschlossen. Die Tierversuche sind auch nach anderen Richtungen hin wieder aufgenommen und haben dabei ergeben, daß den Kommabazillen unzweifelhafte pathogene Eigen- schaften zukommen. Unter diesen Umständen wird es wohl geratener sein, von den in neuerer Zeit in Vorschlag gebrachten Versuchen an Menschen, welche sich erboten haben, Reinkulturen der Kommabazillen zu genießen. Abstand zu nehmen und vor- läufig noch an Meerschweinchen und anderen Versuchstieren weiter zu experimentieren. Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage im Mai 1885.') Verhandelt Berlin, im Kaiserl. tJesundlieitsamt am Montag, den -t. Mai, nachmittags 6 Uhr. Anwesend die Herren: Geheimrat Prof. Dr. Bardeleben, Geheimrat Prof. Dr. v. Berg- mann, Generalarzt Dr. v. Co 1er, Geheimrat Dr. Eulenberg, Prof. Dr. B. Frankel, Stabsarzt Dr. Gaffky, Geheimrat Dr. Günther (Dresden), Geheimrat Prof. Dr. Hirsch, Geheimrat Dr. Kersandt, Geheimrat Prof. Dr. Koch, Direktor des Kaiserl. Gesundheitsamts Geheimrat Köhler, Generalstabsarzt Prof. Dr. v. Lauer, Geheinu'at Prof. Dr. Leyden, Generalarzt Dr. M e h 1 h a u s e n , Sanitätsrat Dr. S. N e u m a n n , Geheimrat Prof. Dr. v.Petten- kofer (München), Medizinalrat Dr. Pistor, Generalarzt Dr. Schubert, Geheimrat Prof. Dr. Skrzeczka, Wirkl. Geheimrat und Vorsitzender der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen Sydow, Geheimrat Prof. Dr. Virchow, Generalarzt Dr. W e g n e r , Regie- rungsrat Dr. Wolffhügel. Als Leitsätze für die Verliandlungen war folgendes Programm aufgestellt: 1. Darlegung und Diskussion der neueren, seit der letzten Sitzung gewonnenen Erfahrungen über die Cholerabakterien, mit besonderer Berücksichtigung ihrer Dauerfähigkeit. 2. Verbreitung der Cholera durch den menschlichen Verkehr, insbesondere durch Pilger und Schiffe. 3. Einfluß des Bodens, der Luft und des Wassers. 4. Praktische Konsequenzen in bezug auf die gegen die Cholera zu ergreifenden Maßregeln. 5. Weitere Gegenstände, welche von den Teilnehmern zur Diskussion gestellt werden . Zu Punkt 1 hält Koch* auf Aufforderung von V i r c h o w einen zusammen- hängenden Vortrag : M. H. ! Als Einleitung zu unseren Verhandlungen beabsichtige ich, Ihnen einen kurzen Rückblick über den Gang der Choleraforschungen seit unserer letzten Kon- ferenz zu geben und daran einige Mitteilungen über Untersuchungen anzuknüpfen, die ich in Gemeinschaft mit den Herren Dr. Weisser und Dr. F r a n k über die patho- genen Eigenschaften der Cholerabakterien und einige damit verknüpfte Fragen vor- genommen habe. Wie Sie sich wohl noch erinnern werden, hatten die Untersuchungen der zur Er- forschung der Cholera nach Indien gesandten Kommission ergeben, daß bei der Cholera, und zwar hauptsächlich im Darm der Choleraleichen und in den Dejektionen der Cholera- kranken, ein der Gruppe der Bakterien angehöriger Mikroorganismus vorkommt, der sich durch bestimmte Eigenschaften von allen übrigen Bakterien unterscheiden läßt und also als eine spezifische Art anzusehen ist. Da diese Bakterienart nie irgendwo anders gefunden wurde als bei der Cholera, so handelte es sich also um einen für die Cholera charakteristischen und mit ihr in engster Beziehung stehenden Mikroorganismus. ^) Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1SS5, Nr. 37 A. 70 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. Sie erinnern sich ferner der Schlußfolgerungen, welche ich, teils auf Grund dieser Zu- sammengehörigkeit von Cholerabakterien und Cholera, teils auf Grund der Überein- stimmung zwischen dem Verhalten der Cholerabakterien und den epidemiologischen Erfahrungen, gezogen habe, und welche darauf hinausgingen, daß in diesen Bakterien die Ursache der Cholera zu suchen ist. Es ließ sich nun erwarten, daß meine Angaben nicht so ohne weiteres angenommen werden würden ; ich habe das selbst auch niemals vorausgesetzt, und es mußte mir sogar sehr wünschenswert erscheinen, daß meine Untersuchungen nach allen Richtungen hin mit möglichster Gründlichkeit, mit recht eingehender Kritik nachgeprüft wurden. Das ist denn auch im weitesten Umfange geschehen. Eine Menge von Forschern, be- rufenen und unberufenen, hat sich mit dieser Frage beschäftigt und sind zu Ergebnissen gekommen, über die ich ihnen jetzt einen kurzen Überblick geben möchte. Es würde allerdings zu weit führen, wenn ich Ihnen über alles, was über die Cholerabakterien inzwischen geschrieben ist, berichten wollte, und ich werde mich deswegen nur auf die hervorragendsten Arbeiten beschränken. Die ersten, welche über die Beziehungen der Cholerabakterien zur Cholera etwas veröffentlichten, waren F i n k 1 e r und Prior, die, wie Ihnen allen wohl bekannt sein wird, der Meinung waren, daß sie bei der Cholera nostras einen Mikroorganismus gefunden hätten, der von den Cholerabazillen nicht zu unterscheiden sein sollte. Wenn diese Angabe richtig gewesen wäre, dann wäre natürlich die Bedeutung der Cholera- bakterien ganz hinfällig geworden. Ich erhielt durch das Entgegenkommen der Herren F i n k 1 e r und Prior selbst die Gelegenheit, die von ihnen gefundenen Bakterien eingehend untersuchen und mit den von mir gefundenen Cholerabakterien vergleichen zu können. Dabei stellte sich sehr bald heraus, daß doch recht wesentliche Unterschiede zwischen diesen beiden Bakterienarten bestehen. Ich will Ihnen statt aller langen Be- schreibungen Präparate zeigen, an denen Sie sich selbst von dem verschiedenen Ver- halten überzeugen können. Ich übergebe Ihnen hier zwei Gefäße. In dem einen befinden sich Reinkulturen von Cholerabakterien in Reagenzgläsern, welche Nährgelatine ent- halten und durch einen Wattepfropf verschlossen sind. Sie erkennen leicht das charak- teristische Wachstum der Cholerabakterien, welche in der Nährgelatine einen dünnen, weißlichen Faden von der Länge des mit einem Platindraht ausgeführten Impfstiches bilden. Die Verflüssigung, die von der Kultur in der« Gelatine bewirkt wird, beginnt am oberen Ende des Fadens und geht sehr langsam vor sich ; es tritt zugleich eine Schrump- fung oder Eintrocknung an dem oberen Ende des Fadens ein, und es bildet sich daselbst eine trichterförmige Vertiefung, die, wenn man das Glas bei durchfallendem Lichte ansieht, wie eine Luftblase erscheint. Die ganz in derselben Weise hergestellten, in diesem zweiten Glase befindlichen Kulturen von F i n k 1 e r verhalten sich wesentlich anders. Sie verflüssigen die Gelatine sehr viel schneller, und zwar in der ganzen Ausdehnung des Impfstiches. Es kommt deswegen nicht zu jener Eintrocknung oder Resorption eines Teils des Fadens, und Sie vermissen daher auch die scheinbare Luftblase om oberen Teile der Kultur. Ich will aber gleich darauf aufmerksam machen, daß diese Blase, die man hier bei den Cholerakulturen sieht und bei den F i n k 1 e r sehen Kulturen vermißt, nicht etwa das einzige Unterscheidungsmerkmal ist. Man hat gesagt, daß sich unter Umständen auch bei den F i n k 1 e r sehen Kulturen einmal eine solche Blase bilden könnte. Das ist richtig ; wenn man sie nämlich bei möglichst niedriger Temperatur, also recht langsam, wachsen läßt, kann es ebenfalls zu einer Blasenbildung wie bei den an und für sich in der Gelatine langsamer wachsenden Cholerabakterien kommen. Diese Kulturen, welche Sie hier sehen, sind aber unter ganz gleichen Bedingungen, namentlich in Gelatine von gleicher Konzentration und bei gleicher Temperatur, gewachsen, sie Zweit« Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. 71 müßten also, wenn sie derselben Bakterienart angehörten, auch in ihrem Aussehen in der Gelatmekultur sich ganz gleich verhalten, was aber nicht der Fall ist. Wenn Sie die Cholerakulturen mit den F i n k 1 e r sehen vergleichen, werden sie bemerken, daß die ersteren kaum Andeutungen von Verflüssigung zeigen und im unteren Teil fadenförmig dünn erscheinen, während die F i n k 1 e r sehen schon einen großen Teil der Gelatine verflüssigt haben und eine sackartig geformte, verflüssigte Stelle mit trübem Inhalt bilden. Dies ist aber, wie gesagt, nicht der einzige Unterschied. Auch die Stoffwechsel- produkte dieser beiden Bakterienarten sind verschieden, was sich schon daraus ergibt, daß die Kulturen der F i n k 1 e r sehen Bakterien einen stinkenden, die der Cholera- bakterien emen ganz eigentümlich aromatischen Geruch verbreiten. Ferner verhalten sie sich wesentlich verschieden, wenn man sie auf gekochten Kartoffeln wachsen läßt. Die Cholerabakterien kommen bei gewöhnlicher Zimmertemperatiu- auf Kartoffeln über- haupt nicht oder nur so unbedeutend zur Entwicklung, daß man mit bloßem Auge nichts davon bemerkt. Sie sehen hier eine solche Kartoffel, welche vor 6 Tagen mit Cholerabakterien besät wurde, ohne daß bis jetzt an der Stelle der Aussaat das geringste gewachsen ist. Dagegen hat sich auf dieser zu derselben Zeit mit F i n k 1 e r s Bakterien besäten Kartoffel, wie Sie sehen, in der Mitte eine graugelblich erscheinende schleimige Masse gebildet, welche aus einer massenhaften Vegetation der F i n k 1 e r sehen Ba- zillen besteht. Dieselben Resultate über die Differenz der beiden Bakterienarten sind auch von anderen ganz unabhängig von meinen Untersuchungen erhalten, z. B. von Dr. van E r m engem, welcher von F i n k 1 e r und Prior ebenfalls Kulturen ihrer Bakterien erhalten hatte. Ich möchte nur noch erwähnen, daß es mir überhaupt fraglich erscheint, ob die von F i n k 1 e r gefundenen Bakterien der Cholera nostras angehören, wie F i n k - 1er angenommen hat. Sie sind nämlich in Entleerungen von Menschen gefunden worden, die an Durchfall litten, und zwar nicht in den frischen Ausleerungen derselben, sondern nachdem die Entleerungen sich 14 Tage in faulendem Zustande befunden hatten. Ich habe mikroskopische Präparate der frischen Entleerungen selbst gesehen. Dieselben enthielten nicht die eigentümlichen Formen der F i n k 1 e r sehen Bakterien, sondern andere Formen, die nach der Auffassung von F i n k 1 e r in den Entwicklungskreis jener gehören sollten. Es sind übrigens, wie ich gleich hier bemerken will, eine Reihe von Cholera nostras-Fällen von verschiedenen Beobachtern auf das Vorkommen von kommaförmigen Bakterien untersucht. Schon bei unserer ersten Konferenz konnte ich über einige Fälle berichten, in denen es nicht gelungen war, irgend etwas zu finden, was den Cholerabakterien ähnlich sei. Nachdem sind mir noch mehrere Fälle, zum Teil tödliche, mit demselben negativen Resultat vorgekommen. Aber auch andere Beob- achter haben zahlreiche weitere Fälle in gleicher Weise untersucht, z. B. van E r - m e n g e m, Watson Cheyne, Biedert u. a., aber niemand hat bei Cholera nostras Bakterien gefunden, welche den Cholerabakterien oder den F i n k 1 e r sehen Bakterien gleich gewesen wären. Als zweite bemerkenswerte Arbeit über die Cholerabakterien habe ich die von Klein zu erwähnen. Bekanntlich war Klein von der englischen Regierung nach Indien geschickt, um dort ebenfalls Untersuchungen über die Choleraätiologie anzu- stellen. Die bis jetzt vorliegenden Berichte K 1 e i n s lassen darauf sehließen, daß er ausschließlicli darauf ausgegangen ist, meine Angaben zu widerlegen. Ich habe bis jetzt wenigstens in Klein s Veröffentlichungen nichts anderes gefunden, als was direkt mit meinen Resultaten in Widerspruch steht. Etwas Neues und Positives hat Klein von seiner Expedition nicht gebracht. Ein anderes Ergebnis ließ sich allerdings auch kaum erwarten, denn schon bevor er nach Indien ging, war sein Urteil über meine An- 72 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. gaben entschieden. Er versuchte schon damals zu beweisen, daß ich mich in Wider- sprüchen bewege. In Ägypten hätte ich die in der Wand des Dünndarms gefundenen Bakterien mit Rotzbazillen verglichen, diese seien aber keine gekrümmten, sondern gerad- Imige Bazillen. In Indien seien dann mit einem Male aus den geraden krumme Bakterien geworden. Dieser Einwand ist später auch von anderen erhoben; aber — um diese An- gelegenheit gleich hier zu erledigen, — wer das behauptet, der hat offenbar noch nie- mals nebeneinander ein Schnittpräparat von Cholerabazillen und von Rotzbazillen ge- sehen. Ich habe mir erlaubt, Ihnen solche Präparate hier aufzustellen, und Sie werden sich überzeugen, daß es recht schwierig ist, in denselben die beiden verschiedenen Bak- terienarten zu unterscheiden. Die Rotzbazillen sind allerdings gewöhnlich geradlinig, aber sie smd kemeswegs starre Gebilde, sondern weich und nachgiebig und nehmen im Gewebe zwischen dicht aneinader gelagerten Zellen, welchen sie sich anschmiegen müssen, sehr häufig mehr oder weniger gekrümmte Formen an. Andererseits tritt in Schnitt- präparaten die gekrümmte Gestalt der Cholerabazillen nicht so scharf hervor. Man kann deswegen diese beiden in ihren Größenverhältnissen sehr nahestehenden Bazillen recht wohl miteinander vergleichen, und ich würde auch jetzt noch keinen Augenblick an- stehen, wenn ich für jemanden, der die Cholerabakterien noch nicht gesehen hat, die Rotzbazillen dagegen kennt, ein Vergleichsobjekt behufs schneller Verständigung wählen sollte, die Rotzbazillen in Schnittpräparaten — und von solchen war ja nur die Rede, als ich aus Ägypten berichtete — hierzu zu benutzen. Mit welcher staunenswerten Unkenntnis in der Bakteriologie man diese Angelegen- heit behandelt hat, mögen sie aus dieser Abbildung ersehen, welche von Lancaster in der Nature vom 25. Dez. 1884 veröffentlicht ist. Lancaster nimmt in dieser Frage denselben Standpunkt ein wie Klein und sagt, daß es ein entsetzlicher Irrtum meiner- seits sei, die Rotzbazillen mit den Kommabazillen zu vergleichen. Um das zu beweisen, bildet er hier einen Rotzbazillus und daneben einen Heubazillus und einen Tuberkel- bazillus ab. Wie Sie sehen, sind diese verschiedenen Bazillenarten ungefähr von derselben Größe. Der Rotzbazillus scheint sogar noch länger und stärker zu sein als der Heu- bazülus. Die Größenunterschiede sind aber in Wirklichkeit ganz bedeutend, und zwar sind der Rotzbazillus und der Tuberkelbazillus beide sehr viel kleiner als der Heixbazillus. Lancaster hat also offenbar noch niemals in seinem Leben emen Rotzbazillus ge- sehen, trotzdem hielt er sich aber doch für berechtigt, über das Aussehen der Rotz- bazillen und ihre Ähnlichkeit mit Cholerabazillen, welche er damals gewiß auch noch nicht in Schnittpräparaten gesehen hatte, sein UrteU abzugeben. Ein weiterer Einwand K 1 e i n s , welcher allerdings sehr untergeordneter Be- deutung ist, aber die Art und Weise seiner Polemik kennzeichnet, besteht darin, daß die Cholerabakterien gar nicht emmal Bazillen, sondern Spirillen seien. Ich hatte in meinen Mitteilungen gesagt, daß sie wegen ihrer gekrümmten Form wohl eine Mittel- stellung zwischen den Bazillen und Spirillen einnehmen möchten, da ich der Meinung bin, daß die Unterschiede zwischen Bazillen und Spirillen noch nicht genügend fest- gestellt sind und ich es für verfrüht halte, jetzt schon derartige strikte Trennungen machen zu woUen. Mir ist es übrigens einerlei, ob man die Cholerabakterien Bazillen oder Spirillen nennt, wenn man nur die übrigen Eigenschaften berücksichtigt und auf diese Wert legt; auf den Namen kommt in diesem Falle doch am wenigsten an. Daß übrigens auch ein Botaniker von Fach, nämlich de B a r y, gekrümmte Stäbchenbakterien noch Ba- zillen nennt, dafür kann ich Ihnen hier einen Beleg geben. Sie finden nämlich hier in seinem neuesten Werke über Morphologie der Pilze die Abbildung der von ihm als Ba- cillus Megaterium benannten Bakterien. Diese Bazillen sind deutlich gelo'ümmt und sehen aus wie große Kommabazillen. Also ich glaube auch in dieser Beziehung Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. 73 keinen Fehler zu begehen, wenn ich die Cholerabakterien vorläufig als Bazillen bezeichne. Weiter will Klein die Cholerabakterien sowohl im Zahnschleim gesunder Menschen, als auch bei anderen Krankheiten gefunden haben, namentlich bei solchen Menschen, welche an Durchfällen litten, z. B. Phthisikern, Dysenterischen. Er behauptet außer- dem, daß sie auch bei Cholera nur in einer ganz geringen Zahl vorkämen, und daß, je früher die Obduktion gemacht werde, eine um so geringere Zahl anzutreffen sei und größere Mengen nur in später obduzierten Leichen gefunden würden. Auch hierin be- findet sich K lein nicht allein mit mir, sondern mit allen anderen Beobachtern, welche in kürzester Frist nach dem Tode die Kommabazillen in Menge fanden, in Widerspruch. Er schiebt mir ferner die Behauptung unter, daß die Kommabazillen durch Säuren schon in geringer Konzentration getötet würden, was doch ganz irrig ist. Ich habe bei meinen früheren Mitteilungen überhaupt nicht von der Tötung der Kommabazillen gesprochen, sondern, wie Sie sich wohl noch erinnern werden, nur von einer Entwicklungs- hemmung derselben durch verschiedene Substanzen und unter anderem auch von dem Ausbleiben des Wachstums in sauer reagierender Gelatine. In Indien selbst will Klein alsdann in demselben Tank, in welchem wir die Komma- bazillen gefunden hatten, letztere ebenfalls, aber zu einer Zeit, nachgewiesen haben, als die Bewohner des Tanks cholerafrei waren. Nun muß ich aber sagen, daß jemand, der bei verhältnismäßig so einfachen Dingen soviel Irrtümer begeht, wie Klein es ge- tan hat, für mich in dieser Frage nicht mehr kompetent ist. Mag der Himmel wissen, was Klein da gefunden hat, ob das echte Cholerabakterien gewesen sind oder nicht vielmehr dieselben Bakterien, welche er in den Ausleerungen Phthisischer oder im Speichel gesunder Menschen fand und für Cholerabakterien hielt. Der Bericht von Klein hat übrigens auch in England eine sehr eingehende und sachgemäße Kritik durch Dr. W a t - s o n C h e y n e gefunden. Klein mußte infolge der unwiderleglichen Einwendungen, welche ihm von Dr. Watson Cheyne gemacht wurden, die meisten seiner Be- hauptungen oder ziemlich alle, auf die es ankommt, ziu'ücknehmen und damit die Un- zuverlässigkeit seiner früheren Angaben in drastischer Weise dokumentieren. Er hat namentlich zugeben müssen, daß die Cholerabazillen denn doch verschieden seien von den bei Phthisis, Dysenterie und den im Munde vorkommenden Bakterien. Er hat dann ferner zugestanden, daß er die echten Cholerabakterien in allen Fällen von Cholera ge- funden habe. Also kommt er schließlich, allerdings gezwungen, genau zu demselben Resultat wie ich, daß nämlich die Cholerabakterien eine spezifische Art sind und aus- schließlich der Cholera zukommen. Allen den Folgerungen, welche sich hieraus ergeben, wird sich Klein, wenn er sich nicht von neuem in Widersprüche verwickeln will, auf die Dauer auch nicht entziehen können. Ich komme nun zu den Untersuchungen von E m m e r i c h. Derselbe hat in Neapel bei neun C!holeraleichen und einem Cholerakranken im Blute und teilweise auch in den inneren Organen eine ganz besondere Bakterienart gefunden. Er hat daneben auch die echten Cholerabazillen gesehen, aber, wie er sagt, nicht in allen Fällen, und er hält des- wegen die von ihm gefundenen für die eigentlichen Cholerabakterien. Diese Unter- suchungen von E m m e r i c h und ganz speziell die Methoden, welche er dabei befolgt hat, sind schon von Flügge einer Kritik unterzogen worden, welcher ich mich voll- ständig anschließen kann ; ich halte dieselbe für sachgemäß und durchaus gerechtfertigt. Ich möchte nur noch ganz kurz hervorheben, daß E m m e r i e h sich mit seiner Be- hauptung von dem regelmäßigen Vorkommen der Bakterien im Cholerablut mit sämt- lichen übrigen Forschern, die das Cholerablut und die Choleraorgane untersucht haben, in Widerspruch befindet. Der wesentlichste Einwurf, welcher ihm indessen gemacht 74 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. werden muß, ist der, daß er sich einer fehlerhaften Methode bedient hat. Er hat eine gewisse Menge von Blut und von Substanzen aus den inneren Organen in Reagenzgläser mit Nährgelatine gebracht xuid hat dann diese Reagenzgläser mit nach München ge- nommen und dann erst daraus Reinkulturen gezüchtet. Das erinnert mich an die Art und Weise, wie H a 1 1 i e r früher seine Cholerauntersuchungen anstellte, der aus Berlin, wenn ich nicht irre im Jahre 1866, eine Flasche mit Choleraausleerungen ge- schickt bekam, dieselbe verkorkt bis zum nächsten Frühjahr stehen ließ und dann unter möglichsten Kautelen untersuchte. Emmerichs Fehler ist nicht ganz so stark, aber im Grunde genommen ist es doch derselbe Fehler. Ich habe jetzt zufälUg Gelegen- heit gehabt, Kenntnis von den Untersuchungen zu erhalten, welche Professor C e c i in Genua gelegentlich der Choleraepidemie in dieser Stadt gemacht hat. Er hat ganz genau dieselbe Methode befolgt wie E m m e r i c h , er hat auch Blut aus Choleraleichen genommen und kleine Stückchen von der Milz, den Nieren und sonstigen Organen aus Choleraleichen mit vorher ausgeglühtem Platindraht in die Gelatine gebracht. C e c i hat abet nur ganz frisch obduzierte Leichen verwandt und hat mit größter Sorgfalt gearbeitet. Er hat z. B., wenn er aus der Leber etwas entnahm, einen senkrechten Schnitt durch das Organ gemacht und auf diesen Schnitt mit einem von neuem geglühten Messer noch einmal einen senkrechten Schnitt geführt, dann erst von der zweiten Schnittfläche etwas entnommen und in die Nährgelatine gebracht. Es sind in dieser Weise, wie er mir versicherte, weit über 100 Versuche gemacht. Bei seiner Anwesenheit hier konnte er mir noch gegen 50 solcher Reagenzgläschen zeigen, welche zum Schutz gegen Verdunstung nachträglich mit einem Paraffinverschluß versehen waren. Auch nicht in einem einzigen Gläschen war von dem Blut oder von den Organstückchen eine Bakterienvegetation ausgegangen. Dieses Resultat steht also ebenfalls in direktem Widerspruch mit dem von Emmerich erhaltenen. Emmerich hat nun aber ferner angegeben, er habe bei Tieren mit seinen Bakterien Symptome hervorrufen können, die vollständig denen von Cholera asiatica entsprächen; er hätte seine Bakterien subkutan injiziert und zwar in reichlicher Menge, dann seien die Tiere nach einiger Zeit gestorben, und der Darm habe ganz das Aussehen eines Choleradarmes geboten. Auch das würde, wenn es sich, wie ich durchaus nicht bezweifle, so verhält, nicht im geringsten beweisen, daß nun, abgesehen von allen sonstigen Bedenken und trotz der fehlerhaften Methode, vermittels deren die Bakterien reingezüchtet waren, diese Bakterien etwas mit Cholera zu tun hätten. Man kann nämlich mit verschiedenen Bakterien — wie ja hinlänglich bekannt ist — - bei Tieren choleraähnliche Symptome hervorrufen. Ich habe bereits vor einer Reihe von Jahren einmal mit Bakterien experimentiert, mit denen man eine Art von Septi- cämie bei Kaninchen hervorrufen konnte. Ich mußte auch größere Quantitäten sub- kutan injizieren, um die Tiere zu töten, und es fanden sich dann eigentümliche Verände- rungen am Darm, welche den von Emmerich beschriebenen durchaus entsprachen. In sehr charakteristischer Weise lassen sich auch die von Emmerich beschriebenen Symptome durch eine von Professor B r i e g e r aus menschlichen Fäzes isolierte patho- gene Bakterienart bei Meerschweinchen erzielen. Ich werde morgen einigen Tieren eine subkutane Injektion mit diesen Kotbakterien machen lassen, damit Sie sich selbst von dem eigentümlichen Befund überzeugen können. Dies sind nun im wesentlichen die Einwände, welche gegen die Kommabazillen geltend gemacht wurden. Ich glaube Ihnen gezeigt zu haben, daß dieselben unbe- gründet sind. Meine Angaben haben aber andererseits vielfache Bestätigung erhalten. Sehr viele haben sich inzwischen damit beschäftigt, den Speichel und Zahnschleim, die Darmausleerungen von Gesunden und Kranken, Faulflüssigkeiten und sonstige Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. 75 Bakteriengemische zu untersuchen, aber alle zuverlässigen Beobachter sind darin einig, daß sie nichts auffinden konnten, was mit den .Cholerabakterien identisch ist. Im Ge- sundheitsamt sind während der Cholerakurse mehr als 150 Ärzte in dem Nachweis der Cholerabakterien unterrichtet, und es wurden bei dieser Gelegenheit viele hunderte Untersuchungen von Speichel, Fäzes usw. gemacht, aber mit Ausnahme eines später zu erwähnenden Falles sind uns niemals die charakteristischen Cholerabakterien be- gegnet. Gleichzeitig haben sich alle, welche mit der bakteriologischen Forschung hin- reichend vertraut sind, davon überzeugt, daß die Cholerabakterien von allen anderen Bakterien gut zu unterscheiden sind, und daß ihre charakteristischen Eigenschaften uns berechtigen, sie als spezifisch, als eine selbständige Art anzusehen. Außerdem hat nun aber auch die Ausbreitung der Cholera während des vergan- genen Jahres in Europa einer Anzahl von Ärzten Gelegenheit gegeben, meine Angaben unmittelbar durch die Untersuchung von Cholerakranken und -leichen naclizuprüfen und fast ausnahmslos zu bestätigen. Die ersten eingehenden Untersuchungen sind von N i c a t i und R i e t s c h an- gestellt, welche ich während meines Aufenthaltes in Marseille mit den Untersuchungs- methoden bekannt gemacht hatte. Sie haben eine größere Reihe von Fällen, wenn ich nicht irre mehr als 200, auf das Vorhandensein der Kommabazillen geprüft und letztere ohne Ausnahme gefunden. Fast gleichzeitig hat van E r m e n g e m die Epidemie in Marseille zu Cholera- studien benutzt und die Kommabazillen ebenfalls in keinem Falle vermißt. Dasselbe berichtet B a b e s , W a t s o n C! h e y n e und Pfeiffer nach ihi en Beobachtungen in Paris. In Italien sind die Kommabazillen von C e c i , E s c h e r i c h , A r m a n n i und F e d e gefunden. Neuerdings hat auch Schottelius etwas über positive Befunde in Turin veröffentlicht. Die Mitteilungen von C e c i über seine ursprünglich gemeinschaftlich mit K 1 e b s gemachten Untersuchungen sind insofern von Interesse, als diese beiden Forscher an- fangs berichteten, daß sie nicht in allen Fällen die Kommabazillen gefunden hätten, und daß letztere auch bei anderen Krankheiten, z.B. nach K 1 e b s in einem Falle von Pneumonie, von ihnen nachgewiesen seien. Später hat sich nun aber C e c i , welcher mit unzureichenden Systemen gearbeitet hatte, ein Z e i ß sches Mikroskop mit Ölsystem angeschafft und mit diesem nachträglich in seinen Präparaten und Kulturen die Komma- bazillen konstatiert, so daß er jetzt, wie er mir selber sagt, von dem regelmäßigen Vor- kommen derselben bei Cholera überzeugt ist. Von dem vorhin erwähnten Pneumonie- falle erhielt ich ein Präparat, sowie eine Probe der fraglichen Ausleerung von K 1 e b s zugeschickt, aber es gelang mir nicht, in diesen Objekten C^holerabakterien aufzufinden. Ich glaube auch nicht, daß K 1 e b s noch darauf besteht, die fraglichen Bakterien, da alle Kulturversuche negativ ausgefallen sind, mit den Cholerabakterien, allein auf eine sehr zweifelhafte morphologische Ähnlichkeit hin, zu identifizieren. Hieran kann ich dann noch eine Mitteilung über weitere eigene Erfahrungen an- knüpfen. Als ich Kalkutta verließ, übergab ich den Rest von Deckgläsern, der mir noch zur Verfügung stand, Herrn Dr. D i s s e n t. Arzt am Sealdah-Hospital, mit der Bitte, sie mir mit dem Darminhalt von Choleraleichen zu präparieren. Dr. D i s s e n t, dem ich schon während meines Aufenthaltes in Kalkutta vielfache Hilfe bei der Beschaffung von Untersuchungsmaterial und sehr wertvolle Mitteilungen über die Choleraverhält- nisse in Bengalen zu verdanken hatte, hat sich auch dieser Aufgabe mit größter Be- reitwilligkeit unterzogen und hat im Laufe eines halben Jahres von etwas mehr als 76 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. 80 Cholerafällen Deckgläsclien, und zwar von jedem Falle ungefähr 5 Deckgläschen, gesammelt und mir zugeschickt. Doch waren nur 79 Fälle verwertbar, da einige Deck- gläser durch den Transport verdorben waren. Von diesen 79 Fällen, welche hier von den Herren Dr. Dr. Weisser und Frank untersucht wurden, betrafen 76 Obduktionen und 3 Dejektionen von Kranken. Von der Gesamtzahl wurden nur in 5 Fällen die Komma- bazillen vermißt, und in diesen 5 enthielten die Präparate sämtlich viel rote Blutkörper- chen, woraus zu schließen war, daß sie Fällen angehörten, welche sich in einem späteren Stadium befanden. Dann waren 37 Fälle mit Bazillen in einer mäßigen Zahl, aber doch so, daß man sie noch mit Sicherheit nachweisen konnte. Unter diesen waren 30 mit bluthaltigem Darniinhalt, nur 3, bei denen es fraglich war, ob Blut vorhanden sei, und 4 ganz ohne Blut. Von 27 Fällen enthielten die Präparate sehr viel Bazillen, und in 10 Fällen konnte man nahezu eine Reinkultur finden. Bei letzteren bestätigten sich wieder die früheren Beobachtimgen, daß nämlich der betreffende Fall einen um so rapi- ■ deren Verlauf gehabt hat, je reichlicher und reiner die Kommabazillen gefunden wurden. Ich habe Ihnen dann noch etwas zu zeigen, was ein gewisses Interesse beansprucht ; es ist eine Anzahl von Cholerakulturen, welche verschiedenen Ursprung haben. Ich er- hielt nämlich von fast allen denjenigen, die die Cholerabakterien während der letzten Epidemie aufgefunden haben, Proben ihrer Kulturen, und es schien mir von Wert zu sein, letztere daraufhin zu prüfen, ob sie sämtlich in ihren Eigenschaften übereinstimmen würden. Ich habe sie zu diesem Zweck gesammelt, und Sie sehen hier also Kulturen aus Marseille, drei verschiedene aus Paris und zwei aus Italien. Daneben befindet sich zum Vergleich eine von mir aus Toulon mitgebrachte Kultur. Irgendein Unterschied ist an diesen Kulturen nicht zu bemerken, und sie verhalten sich auch im übrigen bei der Untersuchung mit starker Vergrößerung und in bezug auf ihre pathogenen Eigen- schaften vollkommen identisch. Alles dies bestätigt also den von mir bei unserer früheren Konferenz aufgestellten Satz, daß die Cholerabakterien ausschließlich der Cholera zukommen, in vollem Um- fange. Irgend etwas von Bedeutung ist auch durch die neueren Untersuchungen zu dem, was ich schon damals mitgeteilt habe, nicht hinzugekommen. Nur in bezug auf das Tierexperiment ist ein Fortschritt gemacht, indem es N i c a t i und R i e t s c h gelungen ist, durch Injektion von Choleradarminhalt und Kulturen der Kommabazillen in das Duodenum von Hunden und Meerschweinchen diese Tiere zu infizieren. Diese Versuche sind dann später hier im Gesundheitsamt, ferner von Babes, Flügge, Watson Cheyne wiederholt und bestätigt. R i e t s c h und N i c a t i glaubten anfangs die Infektion nur durch Ausschluß der Galle erreichen zu können und unterbanden deswegen den Ductus choledochus ; sie fanden aber später, daß das Experiment auch ohne diese Unterbindung gelingt. Auch unsere Versuche wurden teils mit, teils ohne Unterbindung des Ductus choledochus ausgeführt und ergaben folgende Resultate. Von 10 Meerschweinchen mit Unterbindung des Gallenganges und Injektion von Kulturen der Kommabazillen in das Duodenum starben 6 in den ersten beiden Tagen an Cholera, die übrigen starben später an den Folgen der Unterbindung. Sie sehen hier die in Alkohol aufbewahrten Bauchorgane von einem solchen Meerschwein- chen, welches die Infektion überstand, aber sehr bald abmagerte und am 9. Tage nach der Operation starb. Die Gallenblase ist kolossal ausgedehnt, ebenso auch der Ductus choledochus oberhalb der Unterbindungsstelle; von Peritonitis ist in diesem Falle nichts zu bemerken. Einem anderen Meerschweinchen, welches am 12. Tage nach der Operation starb, war die Gallenblase geplatzt und die Bauchhöhle mit Galle gefüllt. Die beiden übrigbleibenden Meerschweinchen waren an Knickung und Verschluß des Darmes in- folge peritonitischer Adhäsionen in der nächsten Umgebung der Unterbindungsstelle Zweite Konferenz zur Erörterung der C'holerafrage. 77 zugrunde gegangen. Bei diesen Experimenten fiel es mir bereits auf, daß, je besser die Operation gelang, und mit je weniger eingreifenden Manipulationen für die Tiere die Operation verbunden war, um so weniger Aussicht blieb, die Tiere an Cholera sterben zu sehen. Von den 18 Tieren, welche nur eine Injektion in das Duodenum erhielten, ohne daß der Gallen gang unterbunden wurde, sind 13 an Cholera gestorben. Es wurden gleichzeitig auch Kontrollversuche gemacht, indem andere Bakterienarten, z. B. Micro- coccus prodigiosus, verschiedene Bazillenarten usw. hi das Duodenum von Meerschwein- chen gespritzt wurden. Von diesen Tieren, bei welchen die Unterbindung des Gallen - gangs unterblieben war, starb keins. Dies zeigt also, daß die Operation an und für sich für die Tiere ungefährlich ist. Klei n behauptet, daß die Meerschweinchen bei diesem Experiment nicht an Cholera, sondern an Septicämie sterben. Aber nach meinen Er- fahrungen läßt sich die Gefahr der Septicämie bei dieser höchst einfachen Operation mit Sicherheit ausschließen, und man muß es schon recht ungeschickt anfangen, um die Versuchstiere an Septicämie zu verlieren. Auch bei dieser Versuclisanordnung, ohne Unterbindung des Gallengangs, erhält man um so weniger positive Resultate, je geringer der Eingriff ist und je weniger der Darm beim Aufsuchen und Hervorziehen des Duodenum gequetscht oder gezerrt wird. Deswegen gelingt der Versuch auch nur ausnahmsweise, wenn man sich darauf beschränkt, die Bauchhöhle nur in geringer Ausdehnung zu öffnen und die Injektion nicht in das tiefliegende Duodenum, sondern in die erste vorliegende Darmschlinge zu machen. Von den Meerschweinchen, welche in dieser Weise operiert wurden, ist nur eins an Cholera gestorben. Die übrigen blieben am Leben. Es wurde dann noch an 4 Kanmchen der- selbe Versuch gemacht, ohne daß eins davSyrien" : „Nach- dem Syrien im Sommer 186.5 schwer von Cholera heimgesucht worden war, hatte das Land Ruhe bis dieses Jahr (1875), wo im April zuerst Hama ergriffen wurde, eine Stadt von etwa 30 000 Ein- wohnern, mit einer Garnison, am Orontes zwischen Damaskus und Aleppo gelegen. Weit und breit um Hama imd in Syrien war keine Cholera, als sie plötzlich in einem Teile dieser Stadt im Militärspital ausbrach. Man dachte zunächst an Einschleppung durch Kranlve von außen, und zwar durch Soldaten, denn kurz zuvor war eine Anzahl Rekruten angelangt, und im ^Nlilitärspital zeigte sich die Epidemie zuerst. Aber eine nähere Untersuchung, welche die Gazette möcücale d'Orient und daraus auch das .Journal de Smyrne vom 28. August 187.5 mitteilt, hat alsbald herausgestellt, daß die Rekruten sämtlich aus All)anien über Beirut und Damaskus gekommen waren, imd daß diese weder während der Überfahrt zur See nach Ivleinasien, noch A^ährend der Reise zu Lande mit einem choleraverdächtigen Orte oder mit Provenienzen daraus in Berührung gekommen waren. Dann sagte man, die Cholera sei schon seit dem Winter in Jlama gewesen und dort durch eine persische Pilgerkarawane eingeschleppt worden, welche von Bagdad kam. Die Untersuchung ergal> aber mit aller Bestimmtheit, daß diese Karawane aus Leuten bestand, die sich wohl befanden, keinen einzigen Krankheitsfall wälnend ihres Aufenthaltes hatten, und ebenso gesimd fort zogen, als sie gekommen waren. Auch war weder in Bagdad noch im lledschas oder Yemen Cliolera, bevor sie in Uama ausbrach. Also selbst wenn die Soldaten auch vom Hedschas gekommen sind, so können sie die Cholera nicht mitgebracht haben, denn die Cholera brach in Hama früher aus als im Hedschas. Der Keim ist wahrscheinlich schon sehr viel früher über Syrien verbreitet worden, und in Hama hat er sich nur zuerst epidemisch entwickelt, gerade so wie es in Ägypten gegangen ist, wo auch der Verkehr aus Indien den Cholerakeim regelmäßig verbreitet, aber nur selten sich das Moment der zeitlichen Disposition dafür findet. Wir werden das in Em'opa ebenso bald wieder zu sehen be- kommen. Ich kann also nach meinen Erfahrimgen auf diese Anschauungen, die Herr Geheimrat Koch in bezug auf den Verkehr vertritt, durchaus nicht eingehen." In der dritten Sitzung Mittwoch, den 6. Mai, wird auf Vorschlag von Vii'chow mit dem Schluß der Diskussion über Punkt 2 die Debatte über Punkt .3, Einfluß des Bodens, der Luft und des Wassers, verbunden. G ü n t h e r bringt Belege für die Behaui)tung von v. P e 1 1 e n k o Ter, daß die Verbreitung der Cholera in Sachsen nicht in ganz gleicher Weise erfolgt sei wie die Verbreitung des Eisenbahn- verkehrs. Hirsch stimmt dem bei, glaubt aber folgenden Satz aufstellen zu können: Nicht jeder Verkehr vermittelt die Verbreitung der Cholera, außerhalb Indiens aber ist sie stets an den Vcikehr — den persönlichen oder sachlichen — gebunden. Dann bemerkt K o c h: M. H. ! Sie haben gestern nach Schluß unserer Sitzung eine Anzahl Tiere gesehen, welche nach Cholerainfektion gestorben waren, und einige Tiere, welche die von mir frülier geschilderten Krankheitssymptome zeigten. Die Tiere gehörten zu einem Versuch, bei welchem 14 Meerschweinchen in der beschriebenen Weise, also mit Natronlösung, cholerabazillenlialtiger Flüssigkeit und einer intraabdominellen Injektion von Opium- tinktur behandelt waren, und von denen bis jetzt 10 gestorben sind, sämtlich unter den charakteristischen Erscheinungen ; zwei sind so schwer krank, daß sie wahrscheinlich noch während unserer heutigen Sitzung eingehen werden ; die beiden letzten Tiere sind anscheinend munter, doch können sie noch erkranken, da seit der Infektion noch nicht 48 Stunden verflossen sind und unter Umständen die Wirkung noch am 3. Tage eintreten kann. Es werden also im günstigsten Falle von diesen 14 Tieren zwei überleben. Sie können aus diesem Versuche entnehmen, mit welcher Sicherheit man die Tiere durch die von mir angegebene Methode infizieren kann. Sie haben dann ferner gestern zwei Präparate gesehen, das eine ein Schnittpräparat von Cholerabazillen in der menschlichen Darmwand, das andere ein Schnittpräparat, welches von einem mit Rotz infizierten Tier herrührt. Ich hoffe, daß Sie sich auch an diesen Präparaten davon überzeugt haben, daß die beiden Bakterienarten im Sclniitt- präparat sehr ähnlich sind, und daß ich vollständig berechtigt war, als ich zum erstenmal Koch, Gesammelte Werke. 53 114 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. Über die Cholerabakterien aus Ägypten berichtete, die Cholerabakterien mit den Rotz- bazillen zu vergleichen. Obwohl, wie Sie gesehen haben, in Schnittpräparaten, auf welche allein sich meine Mitteilungen aus Ägypten bezogen, die Cholerabazillen je nach der Stellung, in welcher sie sich dem Auge des Beobachters darbieten, nicht immer krumm und ebenso die Rotz- bazillen nicht immer gerade erscheinen, so hat man doch in jenem Vergleich einen Wider- spruch finden und daraus ableiten wollen, daß ich die wirklichen Cholerabazillen in Ägyp- ten gar nicht gesehen hätte. Das vorgelegte Cholerapräparat habe ich absichtlich einem Darmstück entnommen, in welchem ich schon in Ägypten dieselben Bazillen nachgewiesen habe. Jeder einigermaßen geübte Mikroskopiker wird in diesem Präparat sofort die echten Cholerabazillen wiedererkennen. Für die eigentliche Bedeutung der Cholera- bazillen würde es übrigens ganz gleichgültig sein, ob ich die echten Cholerabazillen in Ägjrpten oder in Indien gesehen habe, und ich würde deswegen auf diese höchst unter- geordnete Streitfrage gar nicht eingegangen sein, wenn mich nicht die Tendenz, welche offenbar damit verbunden ist, veranlassen würde, die Sache richtig zu stellen. Auch Herr v. Fetten kofer, welcher sich übrigens in dieser Angelegenheit nur englischen Autoren angeschlossen hat, erwähnt in einem Artikel in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 5. April 1885, nachdem er gesagt hat, er setze seine Hoffnung auf das Kurzstäbchen, welches Emmerich auf seinem Spaziergang nach Neapel in den Or- ganen von Choleraleichen gefunden habe, daß der Kommabazillus erst in Indien Koch so gewaltig zu imponieren anfing, nachdem er ihn in seinen Berichten von Ägypten aus mit keinem Wort der Erwähnung für wert gehalten habe. Ich glaube, daß auch Herr v. Fetten kofer sich an dem gestrigen Fräparat davon überzeugt hat, daß diese Bemerkung denn doch nicht ganz den Verhältnissen entspricht, und ich darf wohl erwarten, daß er diesen Ausspruch in irgendeiner Weise berichtigt. Herr v. Fetten kofer hat ferner gegen meine Auffassung von der Immunität, welche eine Folge der Durchseuchung ist, Bedenken erhoben. Ich habe indessen die Verhältnisse durchaus auch nicht so hingestellt, daß die Immunität nun etwa wieder alles erklären soll; sie ist meiner Meinung nach nur imstande, manche dunkle Funkte, für die wir uns bis jetzt noch gar keine Erklärung schaffen konnten, aufzuhellen. So z.B. das eigentümliche Verhalten von Choleraepidemien, die in zwei aufeinanderfolgenden Jahren einen Ort befallen, wobei in der Regel die im ersten Jahre herrschende Cholera sehr heftig, die im nachfolgenden Jahre dagegen unbedeutend ist. Ganz gewiß spielt daneben noch eine ganze Anzahl anderer Faktoren eine Rolle. Ich habe ja schon bei unserer ersten Konferenz auf solche Faktoren hingewiesen, z. B. auf das Trinkwasser, dessen Einfluß wir zuschreiben müssen, daß das Fort William, welches früher ein Choleraherd war, in einen immunen Ort verwandelt ist. Aber auch das Trinkwasser ist nicht immer der einzige Faktor, dem man neben der Immunität allein eine Bedeutung für die Choleraausbreitung zuweisen kann. Es gibt entschieden noch manches andere, was unter Umständen eine größere Rolle als Trinkwasser, Immunität und Verkehr spielen kann. Ich möchte nur immer wieder betonen, daß wir uns nicht etwa von vornherein die Sache zu einfach vorstellen und irgendeinen Faktor heraus- greifen und zu sehr in den Vordergrund stellen, z. B., um mich gleich bestimmt aus- zudrücken, das Trinkwasser oder das Grundwasser oder die Luft, und daß man nun meint, es muß alles diesem einen Faktor zugeschrieben werden. Ich bin der Meinung, daß wir noch sehr lange zu tun haben werden, ehe wir uns vollständig alle Eigentüm- lichkeiten der Choleraätiologie erklären können, daß wir aber fortwährend suchen müssen, alle diese einzelnen Faktoren keimen zu lernen und den Wert und den Grad ihres Ein- flusses in jedem einzelnen Falle zu bestimmen. Zweite Konferenz zui- Erörterung der C'holerafrage. 115 Mit dem Auflodern, mit dem plötzlichen Erscheinen und Verschwinden von solchen Epidemien geht es ganz ähnlich wie mit manchen Vegetationsprozessen. Es kann z. B. ein Jahr ein gutes Kornjahr, zugleich aber ein recht schlechtes Obstjahr, ein anderes wieder ein gutes Weinjahr sein. Wir können aber nicht behaupten, daß das stets ent- weder allein vom Regen abhängig sein soll oder von der Sonne oder von der Temperatur. Zum Gedeihen vurserer Kulturpflanzen ist das Zusammenwirken aller drei Faktoren erforderlich, außerdem aber noch zahlreicher anderer, z. B. Beschaffenheit des Bodens, Fernbleiben von Beschädigungen durch Insekten und pflanzlichen Parasiten usw. Das- selbe gilt nicht minder von den niedrigsten Pflanzenformen, zu denen die pathogenen Bakterien gehören. Auch diese sind unzweifelhaft so komplizierten Bedingungen imter- worfen, daß wir uns in großem Irrtum befinden würden, wenn wir ihr Auftreten und Verschwinden uns etwa nur vom Verhalten der Luft, des Regens, des Grundwassers abhängig denken wollten. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf eine ganz eigentümliche Erscheinung auf- merksam machen, der ich allerdings keine größere Bedeutung weiter beimesse, die aber doch ein gewisses Analogon geben kann für die Vegetationsverhältnisse solcher j^atho- gener Bakterien, welche auf die Außenwelt angewiesen sind. Die 8tadt Bombay ist seit einer Reihe von Jahren mit einer Wasserleitung versehen, die von einer benach- barten Insel hergeführt ist. Man hat ein Tal zum Teil durch einen Damm abgesperrt und dadurch einen künstlichen See geschaffen, den Vehar Lake. In diesem See, der durch die Wassermassen der tropischen Sommerregen gefüllt wird, zeigt sich nun in jedem Frühjahr, einige Monate bevor der Monsun beginnt, daß das Wasser sich plötz- lich trübt, und zwar infolge des Erscheinens von zahllosen Mikroorganismen. Der Ab- bildung nach zu urteilen scheint es eine Bakterienart zu sein. Unmittelbar mit dem Be- ginn des Monsuns, jedoch ehe die Regen einen wesentlichen Einfluß auf das Wasser ausgeübt haben, verschwindet mit einem Male die Bakterien Vegetation und das Wasser wird klar. Auch in diesem Falle kann man nicht sagen, daß etwa der Regen durch eine starke Verdünnung des Wassers oder in anderer Weise einen Einfluß auf das Wasser des Vehar Lake gehabt habe. Auch solche Mikroorganismen haben ihre ganz bestimmten Vagetationsperioden, ohne daß wir mit Bestimmtheit sagen können, wodureli dieselben bedingt werden. Doch ich kehre wieder zur Diskussion über die Immunität zurück. Es wundert mich nicht wenig, daß Herr v. P e 1 1 e n k o f e r von derselben jetzt absolut nichts mehr wissen will. Griesinger war ein großer Freund dieser Anschauung; er hat gesagt, daß neben dem Wohlstand und guten hygienischen Verhältnissen nichts niehr schützend wirke als ein einmaliges Überstehen der Cholera. Das ist doch deutlich genug gesprochen. Und Herr v. Pettenkofer hat ebenfalls früher einer anderen An- sicht gehuldigt als jetzt. Ich fand in einer seiner Schriften, daß er sagt: Wir wissen, daß ein einmaliges Überstehen der Krankheit fast mit absoluter Sicherheit gegen ein zweites Befallenwerden schützt. Dann heißt es in dem Choleraregulativ, welches von den Herren Griesinger, v. Pettenkofer und Wunderlich herausgegeben ist: Hat ein Truppenkörper die Cholera überstanden, so erlangt er dadurch auf längere Zeit eine gewisse Unempfänglichkeit oder Immunität dafür. Sie sehen also, daß die Choleraimmunität nach stattgefundener Durchseuchung nicht etwa meine Erfindung ist, sondern daß ich mich auf die besten Autoritäten stütze. Es ist auch in den Verhand- lungen der internationalen Cholerakonferenzen, so insbesondere der von 'Konstantinopel, von der Immunität viel die Rede gewesen. Ich erwähnte gestern bereits die Erfahrungen aus dem Krimkriege, aus welchen ich zur weiteren Begründung meines Standpunktes noch einige Angaben hervorheben 53* 116 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. möchte. Die Choleraepidemie erreichte in der französischen Armee und Flotte sehr rasch ihren Höhepunkt, und es hatten z. B. 5 Schiffe zusammen 456 Mann an Cholera verloren ; die gesamte Flotte zählte in 8 Tagen 800 Tote. Von diesem Zeitpunkt an nahm dann aber die Cholera sehr rasch ab, und es kamen bis zum Ende des Krieges auf der französischen Flotte nur noch vereinzelte Cholerafälle und kleine vorübergehende Re- krudeszenzen vor, und zwar nur auf solchen Schiffen, welche noch nicht akklimatisierte Truppen führten. Auch bei der Armee machte man dieselbe Beobachtung, denn jedes- mal, wenn frische Truppen kamen, loderte die Krankheit wieder auf. Dieselbe Erfahrung zeigte sich während des Feldzuges von 1866, worüber in der Cholerakonferenz zu Weimar von Wunderlich eingehende Mitteilungen gemacht sind. In Indien ist diese Erfahrung praktisch verwertet. In den Vorschriften über das Verhalten der Truppen im Falle des Ausbruchs der Cholera ist empfohlen, eingeborene Krankenwärter zu nehmen, weil es, wie in einer Anmerkung gesagt ist, eine ganz fest- stehende Tatsache sei, daß die eingeborenen Truppen an Cholera viel seltener und in viel geringerem Grade erkranken als die europäischen Truppen. Man nimmt also die Krankenwärter aus der durchseuchten Bevölkerung, weil man beobachtet hat, daß diese viel weniger empfänglich ist. Es ist übrigens auch in Indien eine alte Erfahrung, daß die neu ankommenden europäischen Truppen von der Cholera am ärgsten ergriffen, manchmal geradezu dezimiert werden, daß sie aber, nachdem sie eine gewisse Zeit in Indien zugebracht haben und, wie ich annehme, immun geworden sind, diese Empfäng- lichkeit für die Cholerainfektion mehr und mehr verlieren. Dasselbe gilt auch von der Schiffsbevölkerung. Es wird versichert, daß alle diejenigen, welche sich längere Zeit in Indien aufhalten, z. B. an den indischen Küsten fahren, viel weniger gefährdet sind, als solche, die frisch ankommen. Nach meiner Überzeugung ist das so oft beobachtete zeitliche Fehlen der Disposition in vielen Fällen durch die Immunität infolge einer Durch- seuchung zu erklären. In bezug avif die Pilgercholera hat Herr v. Pettenkofer wohl recht, wenn er sagt, daß die Cholerazunahme in dem Pilgerorte Puri, von dem ich gestern gesprochen habe, zum Teil dem Zusammenströmen einer so großen Menschenmasse zuzuschreiben sei; wo mehr Menschen sind, können natürlich auch mehr an Cholera sterben. Sie woUen jedoch wohl berücksichtigen, daß diese plötzliche Anschwellung der Cholera in Puri und in Midnapur gerade in die Regenzeit fällt, also in eine Zeit, wo in allen unter gleichen klimatischen Verhältnissen befindlichen Orten die Cholera auf ein Minimum herab- sinkt. Gerade deswegen sehe ich die Pilgercholera in Puri als ein so ausgezeichnetes Beispiel für den Einfluß des menschlichen Verkehrs an, weil trotz des Fehlens der zeit- lichen Disposition der gesteigerte Verkehr eine so bedeutende Choleramortalität zur Folge hat. Käme es allein auf die zeitliche und örtliche Disposition an, wie Herr v. Petten- kofer annimmt, dann dürften in Puri, auch wenn die Zahl der Pilger noch zehnmal größer wäre, während der Regenzeit gar keine oder doch nur sporadische Cholerafälle vorkommen. Auch in bezug auf den Eisenbahnverkehr muß ich noch einmal auf die ganz un- trügliche Beobachtung der Übertragung von Odessa nach Altenburg hinweisen. Dieses Faktum läßt sich nicht aus der Welt schaffen, und es handelt sich dabei keineswegs um einen Fall, der nur zufällig klappt. Ich wüßte nicht, wie es hätte zugehen sollen, daß die Cholera in irgendeiner Weise ohne den menschlichen Verkehr einen Sprung von Odessa nach Altenburg machte. Außer diesem Beispiel gibt es aber noch viele an- dere, in denen die Cholera nach entfernten Hafenplätzen, nach Inseln usw. verschleppt wurde, und welche keine andere Deutung zulassen, als daß die Cholera durch den mensch- lichen Verkehr dahin gelangte. Es würde zu weit führen, alle diese Beispiele einzeln Zweite Konferenz zur Erörterung der C'holerafrage. 117 zu erörtern. Eine einzige positive Beobachtung, wie die von Altenburg genügt, um die Möglichkeit der Verschleppung durch den Verkehr und speziell durch den Eisenbahn- verkehr zu beweisen. Und darauf kam es hier zunächst nur an. Herrn v. Petten- k o f e r möchte ich indessen nur an ein von ilini selbst berichtetes Beispiel erinnern, nämlich an das Verhalten der Cholera in Malta und Gozo. Es liegt doch in bezug auf zeitliche und örtliche Disposition meines Wissens gar kein Grund vor, daß die C'holera eher nach Malta als nach Gozo kommt; und doch beginnt sie ausnahmslos auf Malta, welches direkten Schiffsverkehr mit anderen Ländern hat, während Gozo nur durch Malta mit der übrigen Welt verkehrt. Herr v. P e 1 1 e n k o f e r hat früher dieses Bei- spiel auch gewöhnlich als einen Beweis für den Einfluß des Verkehrs benutzt. V. Pettenkofer: Auch noch! Sie haben mich vollständig mißverstanden in der ganzen Reihe von Darlegungen, die Sie eben gemacht haben! Aber ich glaube mich doch nicht geirrt zu haben, daß Sie sagten, die Verschleppung der Cholera nach Altenburg sei nicht unbedingt dem Verkehr zuzuschreiben. v. Pettenkofer: Ja, aber es kann Zufall sein! Dann kann man dies ebensogut auf Malta und Gozo anwenden ; dann kann das auch Zufall sein. v. Pettenkofer: Das ist aber nicht einmal vorgekommen, sondern soundso oft. Ich nehme den Verkehr ja als Älittel für die Verbreitung der Cholera an, aber ich lasse ihn nicht so direkt vom Menschen ausgehen wie Sie. Wenn es auf Massenbeobachtungen ankommt, dann habe ich auch dafür noch ein Beispiel, welches Herr v. Pettenkofer selbst angegeben hat, aus der bayrischen Epidemie von 1854. Es wurden damals Nachrichten gesammelt über alle diejenigen Fälle, in welchen die Einschleppung der Cholera durch den Verkehr nachzuweisen war, und da stellte sich denn heraus, daß in 214 Fällen die Einschleppung dem Verkehr zu- zuschreiben war und in 81 sich nichts Bestimmtes nachweisen ließ. Das kann doch nicht mehr dem Zufall unterworfen sein; das ist nicht mehr ein einzelner Fall, sondern hier stehen 214 positive Beobachtungen 81 negativen gegenüber. Danach zu urteilen muß doch der Einfluß des Verkehrs ein recht großer sein. V. Pettenkofer: Das habe ich nicht bestritten und bestreite es heilte noch nicht! Ich stimme in dieser Frage Herrn Hirsch vollständig bei, daß es nicht darauf ankommt, die Fälle zu suchen, in denen wir zufällig den Verkehr nicht mehr nachweisen kömien, sondern daß wir zufrieden sein müssen, wenn es in einer gewissen Anzahl von Fällen gelingt, den Faden nachzuweisen, und daß man in solchen Fällen, wie sie Herr Günther angeführt hat, wo der Faden einmal nicht zu finden war, nicht behaupten kann, daß der Verkehr keine Rolle gespielt habe ; im Gegenteil, wir müssen aus der ver- hältnismäßig großen Zahl von positiven Fällen schließen, daß auch die negativen vom Verkehr bedingt wurden und daß es nur nicht gelungen ist, den Nachweis zu führen. Wir werden auch wahrscheinlich niemals dahin kommen, in allen Fällen den Faden zu finden. Meiner Ansicht nach liegen die Verhältnisse bereits so, daß man nicht fragen muß : hat auch der Verkehr bei der Ausbreitung der Cholera von einem Orte nach einem anderen eine Rolle gespielt ? sondern es ist die Frage zu stellen : gibt es denn überhaupt Fälle, in denen der Einfluß des Verkehrs mit Sicherheit auszuschließen ist ? Mir sind solche nicht bekannt, ich möchte aber auch an die Herren Günther und v. P e 1 1 e n - k 0 f e r die Frage richten, ob sie derartige Fälle kennen, und ob sie meinen, daß auch in größere Entfernungen, z. B. nach entfernten Häfen die Cholera ohne den mensch- lichen Verkehr gelangen kann ? Es scheint, daß Herr v. Pettenkofer seine Ansichten über den Einfluß des Verkehrs hauptsächlich auf Grund der Mitteilungen des Sanitary Commissioner M. D. C u n i n g h a m über die indischen Cholera Verhältnisse geändert hat. Aber ich habe 118 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. bereits darauf hingewiesen, daß C u n i n g h a m s Angaben und Berichte mit großer Vorsicht aufzunehmen sind. Es gab eine Zeit, wo auch Cuningham ganz anderer Meinung war und wo auch er annahm, daß der menschliche Verkehr eine ganz bedeu- tende Rolle spiele. Im Jahre 1867 fand das große Pilgerfest in Hurdwar statt, und es wurde durch die zurückkehrenden Pilger über das ganze Land die Cholera in außer- ordentlichem Maße verbreitet. Damals hat Cuningham die Beziehungen zwischen Pilgerwesen und Cholera gründlich untersucht und ist zu dem Schlüsse gekommen, daß die Cholera in der Tat von Hurdwar nach vielen Richtungen hin durch die Pilger verschleppt war. 12 Jahre darauf bei der nächsten großen Pilgerversammlung im Jahre 1879 versuchte er das Gegenteil zu beweisen. In dieser Zeit hatte er seine Meinung voll- ständig geändert. 1867 stand er noch auf dem Boden einer objektiven Anschauungs- weise und seiner eigenen praktischen Erfahrung, später fing er an, theoretische Betrach- tungen über die Cholera anzustellen, er hatte in seinem Amte keine unmittelbare prak- tische Fülilung mehr mit den Choleraverhältnissen und es verwischten sich bei ihm allmählich immer mehr die aus eigener Anschauung gewonnenen Erfahrungen. So kam es, daß er schließlich die Cholera vom Einfluß des Monsuns abhängen Heß und, wo sich nur irgendeine Gelegenheit bot, gegen jede Beziehung zwischen menschlichen Verkehr und Cholera eiferte. Man darf durchaus nicht die Choleraverhältnisse in Indien nach den subjektiv gefärbten Generalberichten des Sanitary Commissioner M. D. Cuning- ham beurteüen, sondern man muß, wenn man eine Vorstellung von der wirklichen Lage der Dinge erhalten will, die Berichte zu Rate ziehen, welche von den Sanitary Commissioners der einzelnen Präsidentschaften geUefert werden, aus denen Cuningham sich seinen Bericht erst zurechtschneidet. Wenn man diese Originalberichte ansieht, die nicht vom grünen Tisch herkommen, sondern aus dem praktischen Leben, dann erscheint die Sache in einem ganz anderen Lichte. Man findet nämlich auch nicht einen einzigen unter diesen Berichten, wenigstens unter denen, die mir zugänglich gewesen sind, in dem nicht mit voller Entschiedenheit gesagt wird, daß das Pilgerwesen in Indien die Hauptrolle für die Ausbreitung der Cholera spielt, und daß das Trinkwasser eine der wichtigsten Ursachen der Infektion ist. Es ist auffallend, daß solche mit der Auffassung Cuninghams nicht harmonierenden Ansichten in den offiziellen Reports begraben bleiben, wo sie kaum jemandem zu Gesicht kommen, und daß die englisch-indischen Ärzte es unterlassen, ihre persönliche wissenschaftliche Überzeugung in der medizinischen Presse oder auf andere geeigirete Weise zur Geltung zu bringen. Um dieses Verhalten der betreffenden Ärzte zu erklären, muß ich indessen darauf aufmerksam machen, daß es in Indien fast gar keine unabhängigen Ärzte gibt. Sie befinden sich sämtlich im Staats- dienst, und C u n i n g h a m, welcher an der Spitze des indischen Sanitätswesens steht, ist ihr Vorgesetzter, und es sprechen manche Tatsachen dafür, daß er die Disziplhi auch auf wissenschaftliches Gebiet ausdehnt. Ich lege Ihnen hier eine Schrift vor mit dem Titel: ,,0n the communicability of cholera by human intercourse" ; ich glaube den Ver- fasser zu kennen, es wird einer der höheren Medizinalbeamten in Indien sein. Derselbe hat aus den Cuningham sehen Generalberichten die Stellen gesammelt, welche als Beweise dafür dienen könnten, daß entgegen der allbekannten Cuningham sehen Theorie die Cholera doch durch den Verkehr verbreitet wird. Der Verfasser riskiert es aber nicht, seinen Namen zu neixnen, gibt aber seinem Buche das Motto: Magna est veritas et praevalebit. In einer Anmerkung sagt der Verfasser ganz unumwunden, daß die Art und Weise, wie Cuningham seinen Einfluß geltend mache, ,,in moving the Government of India to suppress all expression of opinion from other Sanitary Commissioners and Medical Officers who differ with him" große Erbitterung unter den mdischen Ärzten hervorgerufen habe. Es darf auch keiner dieser Ärzte wagen, ohne Zweite Konferenz zuv Erörterung der Cholerafrage. 119 sich den größten Unannehmlichkeiten auszusetzen, seine abweichende Meinung öffent- lich kund zu geben, wie ein Faktum beweist, welches in der zur Zeit der Health-Ex- hibition in London tagenden epidemiologischen Gesellschaft zur Sprache gebracht wurde. Ein Militärarzt, der sich in einem Fachblatte gegen die C u n i n g h a ni sehen Theorien geäußert hatte, wurde nämlich ohne weiteres gemaßregelt, indem er nach einer abge- legenen Station versetzt wurde, wo er sich überlegen konnte, ob es angemessen sei, einer anderen wissenschaftlichen Mehiung zu sein als der Vorgesetzte. Ich bringe diese Dmge hier absichtlich zur Sprache, weil ich dazu beitragen möchte, daß sie in mögüchst weiten Kreisen bekannt werden, und weil ich hoffe, daß der Druck der allgemeinen Meinung denn doch dazu beitragen wird, eine Änderung in diesen Zuständen herbeizuführen. Es ist von der größten Wichtigkeit nicht allein für die medizinische Wissenschaft, sondern vor allem für das Wohl der immer aiifs neue durch die Cholera bedrohten Mensch- heit, daß gerade am Herde der Seuche, in Indien, die sorgfältigsten Untersuchungen über die Cholera ausgeführt werden, und daß diese Aufgabe in die Hand von unabhän- gigen, durch goiivernementale und handelspolitische Rücksichten unbeeinflußten For- schem gelegt wird. Auch ist es sehr wünschenswert, daß alle in Indien gemachten Be- obachtungen über Cholera zur allgemeinen Kenntnis gebracht und daß es nicht in das Belieben eines Einzelnen gelegt wird, eine Art Zensur auszuüben und nur das in die Öffent- lichkeit gelangen zu lassen, was mit seinen möglicherweise einseitigen oder gar irrtüm- lichen Anschauungen übereinstimmt. Bisher kannten wir die indischen Cholera Verhält- nisse nur aus den C u n i n g h a m sehen Berichten, und ich hatte mir aus diesen, sowie aus den Mitteilungen des Herrn v. P e 1 1 e n k o f e r, welcher, wie mir scheint, sich auch ausschließlich an C u n i n g h a m s Berichte gehalten hat, den Eindruck gewomren, daß in Indien kein Mensch die Cholera für eine übertragbare Kranldieit halte, war aber aufs höchste erstaunt, als ich selbst nach Indien kam und dort das gerade Gegenteil davon fand. Jeder Arzt, mit dem ich in eine Unterhaltung über Cholera kam, versicherte sofort ohne speziell darüber befragt zu sein, daß das Pilgerwesen die meiste Veranlassung zur Verschleppung der Cholera in Indien gebe und man hegte auch nicht den mindesten Zweifel darüber, daß die Cholera eine übertragbare Krankheit sei. Ich habe nun noch einiges über die Schiffscholera zu sagen. Herr v. Pettenkof er hat mir vorgeworfen, daß ich nur über die Ausnahmen berichtet hätte. Ich wüßte nicht, daß das geschehen sei. Ich habe die Massentransporte auf den Kulischiffen als Beispiel gewählt. Meiner Ansicht nach ist dies überhaupt wohl das einzige Beispiel, welches sich für diese Frage statistisch verwerten läßt. Es ist nämlich eine ganz auffallende Erscheinmig, über die ich auch schon in der ersten Konferenz mich geäußert habe, daß in bezug auf die Cholera ein gewaltiger Unterschied besteht zwischen Schiffen mit vielen Menschen an Bord, wie Pilger-, Kuli- imd Truppen transportschiffen und den Handelsschiffen mit verhältnismäßig wenigen Menschen an Bord. Auf letzteren Schiffen mit geringer Besatzung sind noch niemals eigentliche Choleraepidemien vorgekommen. Es können ein paar vereinzelte Fälle auftreten, die fast immer einige Tage nach dem Abgang des Schiffes sich ereignen, und dann ist alles vorbei. Eigentliche Schiffsepidemien kommen nur auf Schiffen mit Massentransporten vor. Wenn wir über Schiffsepidemien Studien ar stellen wollen, dann dürfen wir also nicht Handelsschiffe berücksichtigen, sondern müssen uns an Schiffe halten, welche für den Massentransport bestimmt sind. Nun kann man aber doch kehie Cholerastatistik über Auswanderersclüffe machen, die aus unseren Häfen zur Zeit einer Choleraepidemie auslaufen. Das werden im ganzen viel- leicht 2, 3 Schiffe sein, die gerade zur Zeit der Epidemie fahren. Ich glaube, daß wir auch für diesen Zweck das beste und zwar in diesem Falle wohl das einzige geeignete Untersuchungsmaterial in Indien finden, wo aus einem gleichmäßig infizierten Hafen 120 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. wie Kalkutta alljährlich eine ganz bestimmte Anzahl von Massentransportschiffen ab- gehen. Ich habe 3 hintereinander folgende Jahre gewählt, also im ganzen ungefähr 70 Schiffe zum Vergleich herangezogen. Nun finde ich, daß von diesen 70 Schiffen 22 Choleraepidemien an Bord gehabt haben. Dann konnte ich mit Fug und Recht daraus schließen, daß unter den gegebenen Verhältnissen die Cholera durchschnittlich auf dem dritten Schiff ausbricht. Ich meine, daß das eine Rechnung ist, an der sich nichts deuteln läßt, und es handelt sich dabei auch durchaus nicht etwa um einen Ausnahmefall, sondern wir haben einen größeren Zeitabschnitt und verhältnismäßig große Zahlen benutzt, also Verhältnisse, wie man sie fiir diesen Fall eigentlich nur gebrauchen kann. Es wurde dann darauf hingewiesen, daß die Cholera auf Schiffen immer gruppen- weise ausbricht. Dies ist allerdings eine auffallende Tatsache und zeigt sich fast in allen Schiffsepidemien. In den meisten Fällen bleibt die Schiffsmannschaft ganz verschont, oft beschränkt sich die Epidemie auf die Zwischendecksbevölkerung oder selbst auch in dieser noch wieder auf einzelne Gruppen. Nun kann das aber nicht so wunderbar erscheinen, wenn man sich die Schiffsverhältnisse vergegenwärtigt. Bei solchen Massen- transporten werden die auf dem Schiffe untergebrachten Passagiere in Gruppen abge- teilt, sogenannten Backgesellschaften, welche zusammen wohnen, schlafen und essen. Auf dem Schiffe kann sich die dicht zusammengepferchte Bevölkerung wenig durch- einander bewegen und mischen. Nur die zu einer Gruppe, zu einer Backgesellschaft gehörigen Menschen bleiben unter sich in fortwährendem Verkehr und in engster Be- rührung, und da finde ich es ganz natürlich, daß ein Infektionsstoff sich auf eine oder Avenige solcher Gruppen beschränkt. Namentlich wird dies bei dem Cholerainfektions- stoff der Fall sein, den wir uns ja nicht als so leicht übertragbar, oder wie man sich früher auszudrücken pflegte, als so flüchtig vorstellen dürfen wie den Pockenstoff. Ich denke mir, daß die unmittelbare Übertragung bei Cholera überhaupt die Ausnahme ist. Aber kann man sich wohl eine günstigere Gelegenheit für die unmittelbare Übertragung des Cholerainfektionsstoffes denken, als innerhalb einer solchen Backgesellschaft auf dem Schiffe, wo die Ausleerungen der Cholerakranken gar nicht in der Weise beseitigt werden können, wie das auf dem Lande möglich ist. und wo die feuchte Seeluft ein schnelles Absterben des Infektionsstoffes verhütet ? Daß es unter diesen Ausnahmeverhältnissen auch zur unmittelbaren Übertragung kommt, darf uns gewiß nicht überraschen. Nun habe ich aber vermißt, daß Herr v. Pettenkofer sich auf die Frage der Inkubationsdauer bezüglich der Choleraepidemie auf dem Matteo Bruzzo eingelassen hat. Sie erinnern sich, daß auf dem Schiff der erste Fall angeblich sich am 34. und der letzte am 52. Tage ereignet hat. Herr v. Pettenkofer hat sich in seinen Schriften immer dahin geäußert, daß man derartige Fälle nicht anders auffassen könne, als daß alle Choleraerkrankungen auf Schiffen einer Infektion zugeschrieben werden müssen, welche noch auf dem Lande, auf dem Boden, von dem die Menschen gekommen sind, stattgefunden hat. Wir müßten also auch in diesem Falle annehmen, daß die Inkubation der einzelnen Erkrankten 34 bis 52 Tage gedauert hätte, während sie doch in allen sicher beobachteten Fällen auf dem Lande immer nur durchschnittlich 3 Tage beträgt und über 5 Tage nicht hinausgeht. Auf dem Crocodile haben wir etwas Ähnliches. Einzelne Fälle kamen unmittelbar nach der Abfahrt vor, andere bis zum 17. Tage. Auch da müßten Mir nach Herrn v. Pettenkofers Auffassung wieder annehmen, daß alle von der Cholera Ergriffenen auf dem Lande infiziert wurden, dann den Krankheitsstoff latent beherbergten und der eine bald nach der Abfahrt, der andere am 17. Tage erkrankte. Das Inkubationsstadium schwankt allerdings bei manchen Infektionskrankhe'ten innerhalb einer gewissen Breite, aber so große Differenzen der Inkubationsdauer hat doch keine andere Krankheit. Es will mir als Arzt nicht in den Sinn, in diesem Falle Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. 121 ohne zwingende Gründe eine Ausnahme von dei' Regel anzunehmen und ich möchte bitten, mir darüber eine Erläuterung zu geben, wie wir diese von Herrn v. P e 1 1 e n - k o f e r aufgestellte Theorie mit unserer ärztlichen Erfahrung in Einklang bringen sollen. Vielleicht wird mir geantwortet werden, daß die Menschen nicht sämtlich be- reits infiziert an Bord gekommen zu sein brauchen, sondern daß sie den Infektionsstoff in irgendeiner Weise, z. B. an der Kleidung oder sonst wie mit sich führten, und daß der liifektionsstoff nicht eher in ihren Körper gelangte, als kurz vor dem Ausbruch der Kranklieit. In dieser Weise könnte man allerdings versuchen, die großen Differenzen der Inkubationsdauer zu deuten. Dann bliebe es aber doch noch ganz unerklärlich, daß beispielsweise auf dem Schiffe Crocodile der eine Mensch nach 2 Tagen stirbt, der nächste nach 4, 5 Tagen usw., kurz in einer regelmäßigen Reihenfolge, welche die ein- zelnen Fälle wie eine fortlaufende Kette erscheinen läßt, und so verlaufen fast alle 8chiffs- epidemien. Wie sollte es sich da wohl zutragen, daß der Infektionsfstoff, der so zufällig mit aufs Schiff gebracht ist, gerade in einer solchen Kette von Fällen zur Entwicklung kommt; dann wäre es ja auch wunderbar, daß auf Kauffahrern, die doch ganz entschieden auch Gelegenheit genug haben, den Cholerainfektionsstoff gerade wie ein Truppen- transportschiff oder ein Pilgerschiff an Kleidungsstücken, Eßwaren u. dgl. an Bord mitzunehmen, niemals solche protrahierte Inkubationen vorkommen. Also dafür müßte doch irgendwie eine Erklärung gegeben werden, und um diese möchte ich bitten. Ich habe dann nur noch eine ganz kurze Bemerkung über die Einschleppung der Cholera nach Syrien zu machen. Herr v. P e 1 1 e n k o f e r hat gegen meinen Gewährs- mann, den Prof. L o r t e t, geltend gemacht, daß der Generalkonsul in SmjTna gesagt habe, die Cholera sei nicht durch Militär nach Hama verschleppt. Ich habe das, was ich über die Entstehung der Cholera in Syrien gesagt habe, ja nicht aus eigener Beobachtung, sondern den Mitteilungen des Prof. L o r t e t in Lyon entnommen, der selbst an Ort und Stelle gewesen ist und mir gesagt hat, daß die Cholera durch das Militär eingeschleppt sei, und ich sehe gar nicht ein, weshalb nicht mein Gewährsmann genau ebensogut und vielleicht besser — denn es war ein Arzt — imterrichtet sein sollte als der General- konsul in Smyrna. Übrigens kommt bei unserer heutigen Diskussion auf diese Frage gar nicht soviel an, da wohl nicniand unter uns ist, der annehmen würde, daß in Hama die Cholera etwa autochthon entstanden sei, wemi es nicht gelingt, die Einschleppung nachzuweisen. Günther verwahrt sich dagegen, daß ihm die Behauptung sxipponiert würde, der mensch- liche Verkehr spiele bei der Verbreitung der Cholera gar keine Rolle. Er habe nur sagen wollen, daß außer der Verschleppung des Cholerakeims noch eine örtliche und eine zeitliche Disposition zinn Zustandekommen einer Epidemie erforderlich wären. ^1 e h 1 h a u s e n ei wähnt einige Fälle, in denen eine Verschleppung der Cholera durch Truppen- märsche in hohem Grade wahrscheinlich geworden ist. E u 1 e n b e r g verweist auf Fälle, wo in Danzig durch die Flößer die Choleraepidemie in ganz intensiver Weise verschlepiit worden ist. Da,s wird von Hirsch bestätigt. V. Pettenkof er: Ich habe auf eine so große Anzahl von Einwürfen zu antworten, daß ich Ihre Geduld etwas länger in Anspruch nehmen muß. Herr Geheinu'at Koch hat sicli dagegen geäußert, daß ich behauptet habe, er hätte in seinem Bericht aus Ägypten der Kommabazillen noch keine Erwähnimg getan. Ich habe es vorgelesen. V. P e 1 1 e n k o f e r: Sie haben aber heute auch nicht konstatiert, daß Sie in Ihrem Bericht aus Ägypten die Kommas bereits erwähnt hätten. Das Präparat, welches ich gestern hier aufgestellt habe, gehört mit zu denen, die wir zuerst in Ägypten gefunden haben, oder ist wenigstens von demselben Stück geschnitten. V. P e 1 1 e n k o f e r: Ich sage nur, daß die Kommas noch keine Erwähnung in Ihrem Bericht gefunden haben. 122 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. Ich habe die Cholerabazillen allerdings erwähnt. V. P e 1 1 e n k o f e r : Ja aber von Kommas steht in Ihrem Bericht absolut nichts ; dieses Wort habe ich nie gelesen. Dann kommen wir also auf eine persönliche Immimität, aus welcher Herr Koch auch die örtliche und zeitliche Immunität oder die örtliche und zeitliche Disposition erklären will. Ich haha nie und nimmer in Abrede gestellt, daß die individuelle Disposition auf das Ergriffenwerden von Cholera auch einen Einfluß hat, und habe auch zu den verschiedenen Zeiten hervorgehoben, daß das einmaliire Überstehen des Krankheitsprozesses eine gewisse Unempfänglichkeit für eine weitere Infektion hervorruft. Aber mit dieser persönlichen Immunität können Sie absolut nicht erklären, warum Lyon nie eine Choleraepidemie hat, wenn Paris und wenn Marseille sie hat, rmd warum so viele andere Orte immun sind. Mit der individuellen Disposition, die also gewissermaßen durch einen eimnaligen Anfall erschöpft wird, läßt sich das Verhalten der Cholera nach Ort und Zeit absolut nicht erklären. Ich habe mir gestern erlaubt, auf den merkwürdigen Verlauf der Epidemie im .Tahre 1873 in München aufmerksam zu machen, wo wir eine Sommerepidemie und eine Winterepidemie hatten. Die Sommer- epidemie war groß genug, daß sie him-eichend Keime für die ganze Stadt produziert hat, aber die Epidemie blieb klein vmd beschränkte sich örtlich in auffallender Weise. Die Hauptepidemie erfolgte in den oberen Terrassen und die untere Terrasse wurde so wenig angegriffen, daß man da von keiner Epidemie gesprochen hätte, größere Hausepidemien sind gar nicht vorgekommen. Auf zwei von unseren Kasernen, die auf der tiefsten Stufe liegen, die sonst jederzeit starke Hausepidemien hatten, kam im Sommer nichts vor, erst im Winter. Bei dieser Epidemie in München kann man die Zweiteilung in eine Sommer- imd eine Winterepidemie kontagionistisch absolut nicht eiklären; die einzige Er- klärung, die sich dafür finden läßt, ist das zeitliche Moment, welches nach meiner Überzeugung wesentlich in dem Diirchfeuchtungszustande des Bodens beruht, und das ist auch der einfache Grund, weshalb die Sommerepidemie auf der unteren Terrasse nicht gedeihen konnte. Da war es noch zu feucht, aber oben ging es los, genau wie im Jahre 1854. Nun trat ein atmosphärisches Ereignis ein, welches in München weder bis dahin noch später je beobachtet ist; wir bekamen, als die Epidemie eben in der Entwicklung stand, im August einen so kolossalen Niederschlag, wie er in München, seit- dem der Regen gemessen wird, nicht dagewesen ist. Sie sehen hier auf der Karte unten die Regen- mengen aufgezeichnet. Wir hatten ein sehr trockenes Jahr, gegen Ende Juli fing die Epidemie an sich zu entwickeln, und nun fällt dieser ganz abnorme Augustregen hinein, der diese Sommerepidemie in ihrer Entwicklung gestört hat. Dann folgt wieder eine abnorm trockene Zeit darauf, und erst all- mählich entwickelte sich dann die Winterepidemie und fiel gerade auf die untere Terrasse mit großer Fleftigkeit. Da mag die individuelle Disposition resp. die Immunität auch bis zu einem gewissen Grade mitgespielt haben, weil hier unten auf der imteren Terrasse im Sommer so wenig Cholera war, also jedenfalls viel weniger Menschen den Prozeß durchgemacht hatten, aber diese Kaserne, die Kaserne vom schweren Leibregiment, die im Sommer ohne Cholera durchkam, bekommt in der Winter epidemie 40 pro mille des Präsenzstandes. Solche Tatsachen, die sich hundertmal wieder- holen, kaim man mit dieser individuellen Disposition oder Indisposition durch das Bestehen eines Choleranfalles nicht widerlegen. Man muß also unterscheiden zwischen der Immunität, welche die Orte entweder beständig zeigen — es gibt ja solche nicht bloß bei uns, sondern auch in Indien — und zwischen der zeitlichen Immunität, die von den Verhältnissen abhängt, welche nur zeitweise gewisse Wirkungen auf die Lokalität ausüben. Daß man in Indien die Kranken- wärter aus den Eingeborenen zu wählen sucht und wählt, wird als Beweis angeführt, daß auch diese diu-ch die individuelle Disposition geschützt sind. Die Indier sind, wie die Erfahrimgen beim Militär gezeigt haben, weniger disponiert für Cholera als die Em'opäer. Es ist aber auch imter den indischen Truppen, unter den Natives ein sehr großer Unterschied. Die Gurkas, die von den höheren Teilen Indiens kommen, wo die Epidemie nicht heimisch ist, sind gerade so empfänglich wie die Europäer. Das entnehme ich den Berichten von B r y d e n, also nicht denen von Cuningha m. Was die Pilgercholera anlangt, so bleibe ich dabei stehen, daß, wenn an einem solchen Pilger- orte die Cholera ausbricht, naturgemäß sehr viel Menschen infiziert werden, die dann weiter gehen, aber gerade, wenn man die wirkliche Verbreitung der Cholera in verschiedenen Jahren, wo solche große Ausbrüche unter den Pilgern vorkommen, näher verfolgt, so sieht man, daß die Verbreitung der CholeraeiDidemien dvirchaus nicht parallel den Pilgerzügen geht. Die Pilger erkranken ja sehr häufig an Orten fern von den Pilgeroiten, von wo sie ausgegangen sind, oder sie kommen nach Orten, wo keine Epidermen entstehen, trotzdem die Pilger da sterben. Dann war mir im höchsten Grade auffällig, daß Herr Geheimrat K o c h den Schluß gezogen hat, ich leugnete jetzt den Einfluß des Ver- kehrs. Ich sagte, daß ich gerade dieser Ansicht von Cuningham nicht beistimmen kann; ich Zweite Konferenz zur Erörterung der Oholerafrage. 123 kann C u n i n g h a m mit seiner gänzlichen Verneinung des Einflusses des Verkehrs nur insoweit beistimmen, als es sich um den Verkehr' mit Cholerakranken, aber nicht insoweit es sich imi den Ver- kehr mit Choleralokalitäten handelt. Der Einfluß des Verkehrs ist bisher allerdings nur in bezug auf Cholerakranke näher beobachtet und verfolgt worden imd ergeben sich da immerhin wegen des dazwischen liegenden und maßgebenden Einflusses der örtüchen und zeitlichen Disposition, welche von den Kontagionisten nicht angenommen wird, soviel Widersprüche mit der Annahme einer Kon- tagiosität, daß ich C u n i n g h a m in seiner Negation vollständig beistimmen muß, soweit es sich bloß \xm den Verkehr mit Cholerakranken handelt. Aber Avenn man bedenkt, daß sowohl in Indien wo die Cholera schon immer zu Hause war, als auch außerhalb Indiens ihre Verbreitimg erst in diesem Jahrhimdert mit der Vermehrung und Besclileunigung aller und jeder Art des Verkehrs so zugenommen hat, daß man sich jetzt fragen muß, was der Staat dagegen tun kann, wenn man bedenkt, daß jeder ausbrechenden Ortsepidemie stets ein Verkehr mit auswärtigen Choleralokalitäten vorhergeht, wenig- stens nie als fehlend nachgewiesen werden kann, wenn man oft das Fortschreiten der Epidemien gerade in bestimmten Richtungen des Verkehrs wahrnimmt, wenn man ferner bedenkt, wie sich in größeren Städten an einen einzelnen eingeschleppten Cholerafall hier und da nm' zwei oder drei Er- krankungen gerade nur von Personen anschließen, welche mit dem Eiiischlepper oder init dem, was er von einer auswärtigen Choleralokalität, wo er infiziert wurde, mitgebracht haben kann, in die nächste Berührung kamen, avich unter vielen Tausenden sonst niemand erkrankt, und wenn man endlich noch bedenkt, daß der dvu'ch den Verkehr verbreitete Cholerakeim zu seiner epidemischen Entwick- lung am Orte allerdings nicht erst der Ankunft eines Cholerakranken bedarf, sondern schon früher gebracht M^orden sein kann, und von der örtlichen und zeitlichen Disposition des Ortes abhängig ist, und auch, daß dieser Keim, irgendwo in irgendeiner Form eingeschleppt, entweder gar nicht gedeihen und wieder absterben, oder auch viele Monate lang latent liegen kann, bis zu den örtlich konstanten auch die örtlich zeitüchen Bedingungen für seine epidemische Entwicklung sich einstellen, dann lassen sich alle von Cuningham aufgestellten, allerdings schwerwiegenden Tatsachen genügend erklären und fällt, auch ohne Kontagionist werden zu müssen, jeder zwingende Grund weg, die Cholera überall, wo sie sich zeigt, avitochthon entstehen zu lassen, wie jetzt Cuningha m annimmt. Warum entstehen denn z. B. in den so benachbarten und ganz gleich beschaffenen Inseln Malta und Gozo die Epidemien nie gleichzeitig, sondern stets so viel früher auf Malta, welches mit der Welt direkten Verkehr hat, warum nicht auch einmal früher auf Gozo, das mit der Außenwelt nur über Malta verkehi't ? Nach Ägypten kann der Cholerakeim aus Indien täglich gebracht werden, aber er entwickelt sich nur, wann rmd wo che zeitliche und örtliche Disposition gegeben ist, und kann 1883 früher nach Kairo und erst später nach Damiette gekommen sein und sich doch in Damiette früher als in Kairo zur Epidemie entwickelt haben, weil die zeitüche Disposition in Damiette früher eintrat. Ich trete also mit aller Entschiedenheit für den wesentlichen Einfluß des Verkehrs auf, und werde so verstanden, als leugnete ich den Einfluß des Verkehrs!" V. Pettenkofer tritt dann für die Glaubwürdigkeit von Cuningha m ein und erwähnt, ,,daß alle die englischen Ärzte und wenigstens fast alle, welche gezwungen waren, den Verlauf der Epidemie über große Distrikte zu verfolgen, von dem Trinkwasserglauben und von dem Kontagiosi- tätsglauben abgefallen sind. (K o c h: Bitte Namen!) Also Briden, Monat, M a c p 1 e r s e n, Lews, M a r s t o n, C u n i n g h a m." Damit ist es zu Ende, das sind die einzigen Leute, die in Indien auf diesem Standpunkt stehen. V. Pettenkofer geht dann auf das Auftreten der Cholera auf Schiffen näher ein. Es sei im wesentlichen nur gesagt worden, daß sich die Epidemien auf den Schiffen viel länger fortziehen, als daß sie vom Lande kommen könnten, v. Pettenkofer fälu't fort: „Auch habe ich nicht die Kauffahrteischiffe in Indien, sondern auch die Kulischiffe zu meiner Betrachtung genommen, aber wenn man diese untersucht, findet man, daß die Cholera auf den Schiffen prozentisch auf die wirklich Transportierten berechnet auffallend gering ist, so daß man unendlich zufrieden sein dürfte, wenn die Cholera am Lande ebenso bescheiden wäre, wie sie auf dem Meere ist. Ich habe da die zwischen 1843 bis 1869 abgegangenen Fahrzeuge zusammengestellt, sowohl die, welche von Madras fortgingen als eine andere Linie, die von Kalkutta nach anderen Ländern ging, z. B. nach der Insel Mauritius. Da kamen 22 077 Transportierte, obwohl sie aus dem Choleralande abgingen, mit 264 Cholerafällen dm-ch, die sich auf nur 82 Choleraschiffe beschränkte. Die Tabelle, welche B r y d e n ausgearbeitet hat, umfaßt che Verhältnisse auf der Linie Kalkutta-MaOTitius von 1850 — 1865 mit 105 382 Personen xmd Kalkiüta- Amerika von 1861 — 1869 mit 72 681 Personen. B r y d e n verhehlt sich die Mängel der Statistik von Auswandererschiffen nicht, ist aber doch der Meinung, daß das, was vorliegt, ein ganz richtiges Bild vom Verlauf der Cholera auf diesen Scliiffen geben müsse. Von allen Schiffen, 124 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. welche na ch Mauritius und Ameiika segelten, hatten nach der Abfahrt 82 Cholerafälle; es sind bloß die Schiffe gezählt, auf denen Cholera vorkam, im ganzen ist es eine viel größere Anzahl von Schiffen gewesen, und nur auf 17 resp. 16 Prozent der abgegangenen Schiffe kam Cholera vor. Auf Jedes Schiff treffen durchschnittlich 370 Passagiere. Auf der ersteten Route kamen unter den Passagieren der Choleraschiffe etwas über, auf der anderen etwas unter 1 Prozent Cholerafälle vor. Es zeigt sich somit eine genügende Übereinstimmung zwischen beiden Routen, sowohl nach der Zahl der Schiffe, auf welchen überhaupt nach der Abfahrt Cholera vorzukommen pflegt, als auch Ijezüglich der Menge der Fälle. Die Tatsache bleibt unverrückt stehen, daß auf Schiffen die Cholera den allerungünstigsten Boden findet, die mindeste Frequenz zeigt, und daß diese Massenausbrüche wie sie namentlich auf den Schiffen während des Krimkrieges nachgewiesen wurden, auch wirklich zu den Ausnahmen gehören und ausnahmsweise Ursachen haben müssen. Dann habe ich mir noch eine Frage notiert über die lange Dauer der Inkubation. Über die Inkubation habe ich selber nie Untersuchungen angestellt, habe also immer angenommen, was sonst von Beobachtern und Ärzten darüber angegeben wird; aber ich habe mich darüber ausgesprochen, wie sich eine solche Epidemie auf Schiffen fortzetteln kann. Die Cholerafälle auf Schiffen zetteln sich fort, man mag den Hergang kontagionistisch auffassen oder anders. Wenn Sie die Schiffsepi- demien genauer durchsehen, so werden Sie finden, daß manchmal gerade wo die Krankheit sich sehr lange festsetzt, sehr lange Zwischenräume zwischen den einzelnen Fällen sind. Da ist also der Cholera- kranke, von dem der erste Fall ausging, längst gesund geworden oder gestorben, und nach langer Zeit kommt einmal wieder einer, dann geht es selbst wieder ein paar Wochen ohne Cholera ab, und erst dann ereignet sich wieder ein Fall. Also diese Verzettelung der Fälle zu erklären, wird auch demjenigen sehr schwer, der die Infektion von den Cholerakranken ausgehen läßt. Ich bin aber der Ansicht, daß gerade weil die Cholera auf Schiffen im Durchschnitt immer so gelinde verläuft, die In- fektion oder der Infektionsstoff auf dem Lande zu suchen ist. Gerade so wie die Cholerakranken, in Krankenhäuser aufgenommen, als solche ihre Wärter nicht anstecken, sondern diese auch nui erkranken, wenn entweder das Krankenhaus auch z\i einem Cholerahaus geworden ist, oder wenn die Beamten von einer anderen Choleralokalität noch etwas mitbringen, gerade so stelle ich mir vor, daß auch auf Schiffen der Infektionsstoff vom Lande herkommen muß. In welcher Weise der nun an Bord kommen kann, vermag ich vorerst nicht zu sagen, aber ich bin fest überzeugt, daß, wenn man auf ein Schiff, das lücht mit einem cholerainfizierten Lande verkehrt hat, nur Cholerakranke bringt, dadurch auf dem Schiff keine Cholera sich ausbreiten wird. Diese Fälle kommen ja öfter vor, daß ein Schiff Cholerakranke von einem anderen Schiff an Bord nehmen muß. Wenn das Schiff selber auf hoher See geblieben ist, dami schaden die Cholerakranken nicht." Auf eine Anfrage von Pettenko fer bemerkt Koch: Ich hatte gefragt wegen des Unterschieds zwischen der Cholera auf Massentrans- portschiffen und auf Kauffahrteischiffen, weshalb diese späten Cholerafälle niemals auf Kauffahrteischiffen vorkommen ? Auf letztere wird doch der Infektionsstoff vom Lande auch gebracht; weswegen kommt dies lange Hinschleppen der Cholera aber nur auf Massentransportschiffen vor ? V. Pettenkofer: Alle Menschen sind ja ohnehin nicht disponiert, und daß in einer kleineren 2^nzahl viel weniger disponiert sind, als unter einer sehr großen, halte ich für eine sehr einfache Erklä- rung. Aber gerade wenn man die Massentransporte auf den Schiffen verfolgt, tritt das so auffallend hervor, daß auf ihnen so wenig und nicht mehr Cholera vorkommt. Ich habe seinerzeit die Auswan- dererschiffe, die zwischen Europa und Amerika fahren, genommen und habe da die Zahlen angeführt, die gewiß groß genug sind, um zu sehen, ob eine besondere Disposition auf diesen Schiffen herrscht, und das Resultat ist, daß es nicht der Fall ist. Im .Jahre 1873 sind nach den Listen der Auswanderer- und Hafenbureaus auf Schiffen, welche Auswanderer führten, nicht weniger als 316 1.56 Personen auf 760 Fahrzeugen nach New York gegangen, und da habe ich nun diejenigen Schiffe ausgeschieden, welche direkt aus Choleraländern kamen, und die Schiffe, welche aus Gegenden kamen, wo die Cholera nicht herrschte, und habe nur die Schiffe und deren Mannschaft gezählt, die wirklich aus Cholera- orten, aus Cholerahäfen abgingen, und da sind von 152 133 Menschen aus Choleragegenden nur auf 4 Schiffen Cholerafälle vorgekommen, deren Zahl einige 20 ausmacht, und da hat sich gezeigt, daß nur auf einem Schiff mehrere (11) Fälle vorkamen, worüber Herr Dr. Neubauer eine so gründliche Erklärung gegeben hat, die Herr Geheimrat Koch heute zu meiner Verwunderung auch wiederholt hat, nämlich daß auf einem Schiffe nur die Backgenossenschaft ergriffen worden sei, imd daß es dann auf die Anderen nicht übergegangen ist. V i r c h o w betont, daß v. Pettenkofer nur dem Erdboden die Möglichkeit zuschi-eibt, die Entwicklung des Kontagium zu bewirken, und daraus würde folgern, daß der Pilz auf Wäsche, Zweite Konferenz 7Air Erörterung der Cholerafrage. 125 Agar-Agar oder auf irgendeiner anderen Nährsubstanz nicht ^\"achsen könne, {v. l'ettenkofer bestreitet das in einem Zwischenruf.) Er fährt dann fort: Ich l)in in meiner naturwissenschaftlichen Entwicklung immer geneigt gewesen, wenn in einem einzelnen konkreten Falle unter allen Garantien der Sicherheit eine Beobachtung festgestellt worden ist, die Anerkennung der Richtigkeit dieser Beobachtung nicht wieder davon abhängig zvi machen, ob sie sofort alles zu erklären imstande ist. Das verlangt aber Herr v. F e 1 1 e n k o f e r : man soll sofort alles erklären : er zitiert eine Reihe von Epidemien und sagt: die könnt Ihr nicht erklären! Ich weiß nicht, ol) Herr K o c h die Absicht hat, alle Epidemien sofort zu erklären. So weit sind wir in der Tat noch nicht, und wir prätendieren das auch nicht. Aber wir glauben auch nicht, die Richtigkeit oder die Zuverlässigkeit unserer Unter- suchungen davon alüiängig machen zu müssen, daß man damit alles einfach erklären kann. Ich habe schon gestern oder vorgestern darauf hingewiesen, daß es eine ganze Reihe von anderen Krank- heiten gibt, bei denen wir die Besonderheiten ihres epidemischen Verlaufes auch nicht erklären- können ; ich will nm' nochmals die Pocken hervorheben. Wie lange schon kennen wir einen bestimmten Mikro- organismus bei den Pocken, in der Lymphe, in den Geweben der Pockenkranken, und wie Avenig sind wir doch noch heutigen Tages imstande zu erklären, weshalb einmal eine Pockenepidmüe sich so und ein anderes Mal anders ausbreitet, weshalb in einer großen Stadt nicht selten einzelne Pocken- fälle vorkommen, ohne daß weitere Erkrankungen stattfinden, und weshalb ein anderes Mal plötzlich eine große Anzahl von Erkrankungen erfolgt. Da kommen wir eben mit Herrn v. P e 1 1 e n k o f e r überein, daß in der Tat weitere Erklärungsgründe nötig" sind. Ich habe schon ausdriicklich gesagt, daß ich gar nicht gegen die zeitliche, die räumliche und die individuelle Disposition bin; im Gegenteil, ich habe mich z. B. schon früher gegen Herrn v. P e 1 1 e n k o f e r darauf berufen, daß ich von jeher, so lange ich überhaupt mit Cholera zu tun hatte, die Beziehimg derselben zu Intermittens als eine tatsächliche anerkannt habe, daß ich die Annahme eines gewissen Zusammenhanges ZAvischen Inter- mittensepidemien und Choleraepidemien schon vorgefunden habe, als ich selbst anfing, Studien über Cholera zu machen, und daß ich in allen späteren Epidemien — ich habe eine ganze Reihe davon erlebt — ■ vielfache Tatsachen keimen gelernt habe, welche mich sehr geneigt gemacht haben, der- artige Einflüsse zuzulassen. Aber ich meine, wir müßten uns doch darüber verstäntügen, daß es nicht ein Kriterium für die Richtigkeit einer Beoliachtung sein kann, daß sie sofort alles erklärt. Wenn man das verlangt, dann wird es freilich noch lange dauern, ehe überhaupt eine derartige Beobachtung gemacht werden kann. Ich meine, wir haben einen viel sichereren Weg als diesen, nämlich eben den Weg der direkten Beobachtung imd, soweit es geht, auch den Weg der Experimentation. Den größten Wert lege ich aber auf die genaue Feststellung gewisser, besonders konklusiver Einzelfälle oder kleiner Gruppen- erkrankimgen, und darin unterscheide ich mich von Herrn v. P e 1 1 e n k o f e r. Fiir mich ist eine kleine, aber gut beobachtete und sicher konstatierte Angabe von Einzelfällen viel mehr Vje- weisend, als eine ganze Reihe von großen Epidemien, die ich bloß im größeren Rahmen kenne, die ich gar rücht so im einzelnen analysieren kann. Wenn ich z. B. die vielen Einzelfälle nehme, welche sich auf Übertragung durch Wäsche beziehen, so kann ich von jedem einzelnen dieser Fälle ermitteln, wie weit er paßt, wie weit er nicht paßt, ich kann ihn als Einzelfall prüfen: imd wenn ein einzelner Fall dieser Art gut beobachtet ist, so weiß ich gar nicht, wie man ihn dadurch Aviderlegen könnte, daß vielleicht in einem anderen Fall ode^ in vielen anderen Fällen keine Übertragung durch Wäsche stattgefunden hat. — Für die letzteren Ausführungen erbringt V i r c h o w dann Beispiele aus seinen Beobachtungen auf seiner früheren Krankenabteilung in der Charit^ im Jahre 1871. Er fährt dann fort: Was die Frage der Schiffsepidemien anlietrifft, so möchte ich an die für mich auch hcichst konklusive Epi- demie auf dem ,, Franklin" erinnern, die damals in einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dejni- tation für das Medizinalwesen^ im einzelnen analysiert worden ist. Der Fi'anklin war ein Schiff des Stettiner Lloyd, welches mit Auswanderern von Stettin nach New York ging. Seine Falirt fiel in eine sehr unglückliche Sturm] leriode, und es wurde weit von seinem Wege abgetrieben. Das Schiff war von Stettin über Kopenhagen gegangen, war alsdann in Christiansund in Norwegen einen Augenbück gelandet und mußte mit einer großen Exkursion nördlich von Schottland seinen Weg nach New- York machen. Es fuhr am 10. Oktober aus Stettin, am 11. aus Swinemünde, am 12. aus Kopenhagen, war am 14. in Christiansund und ging am 15. in See. Von den 611 Zwischendeckspassagieren erkrankten mehr als 200 an Diarrhöe mit ,, choleraartigen Sym]itomen", wie es in dem Schiffsbericht heißt: es starben 40 davon. Die meisten waren ohne Zweifel cholerakrank. Ich habe eben schon mitgeteilt, daß das Schiff am lö. Oktober in See gegangen M Cesammelte Abhandlungen aus dem Gebiete der öffentlichen Aledizin imd Seuchenlehre, Bd. I, p. 210 ff. 126 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. war. Im Anfang waren einige zweifelhafte Diarrhöen vorgekommen, ich könnte das im einzelnen ausführen, aber ich will nur die späteren Todesfälle an Cholera hervorheben. Dieselben stellten sich folgendermaßen: Am 1. November 6, am 2. 2, am 3. 3, am 4. 4, am 5. 5, am 6. 3, am 7. 2, am 8. 1, am 9. 2, am 10. 1, am 13. 1. Jedenfalls ist keine Pause zwischen diesen Fällen, ebensowenig fand ein massenhaftes Erkranken statt. Am 12. November kam das Schiff endlich nach New York; und auch da starben noch wieder 3 Personen. Die Gesamtzahl der Todesfälle betrtig also 43, über 7 % der Zwischendeckspassagiere. Wenn man nun annehmen wollte, es wären in Christiansund, wo das Schiff zuletzt angelegt hatte, die Keime mitgenommen worden, also schon fertig an Bord gekommen, so würde doch, glaube ich, Herr v. Pettenkofer schwerlich erklären können, wie es zugegangen ist, daß eine so lange Reihe von Erkrankungen stattgefunden hat, die sich über Wochen hinweg erstreckt. Wenn die Keime fertig an Bord gekommen wären, so sollte man meinen, sie müßten mehr massenhaft gewirkt haben, es müßten zu gewissen Zeiten Haufen von Menschen erkrankt sein und dann hätte die Seuche ebenso scharf aufhören sollen; statt dessen pflanzte sie sich immer weiter fort und hörte erst avif , als das Schiff in Amerika gelandet war. Wenn wir uns denken, es wären z. B. Pocken importiert worden, so würden wir uns nicht verwundern, wenn da eine solche Reihe von neuen Erkrankungen eingetreten wäre, die sich während einer Anzahl von Wochen wiederholten und immer wieder neue Erkrankungen nach sich zogen. Was ist für ein Unterschied zwischen einer solchen Schiffsepidemie von C!holera und einer von Pocken ? Ich könnte noch manche Fälle von Schiffsepidemien der Cholera bringen, indes dieser Fall hat in der Tat sehr gi'oße Vorzüge in bezug auf die Korrektheit der Nachprüfung. Die Schiffsbücher haben vorgelegen, die Zahlen sind unmittelbar aus ihnen ausgezogen, und ich denke, an der Richtig- keit dieser Beobachtung kann gar kein Zweifel sein. Für mich steht daher die Tatsache vollständig fest, daß es am Lande wie auf dem Schiffe Übertragungen von Cholera gibt, die mit dem Boden nichts zu tun haben. Wenn Herr v. Pettenkofer uns einen einzigen direkten Beweis liefert, daß aus dem Boden Cholerakeime kommen oder daß eine Choleraerkrankung durch eine umnittelbar aus dem Boden hervorgegangene Substanz hervorgebracht ist, so werde ich sofort zugestehen, daß es eine Entwicklung des Kontagiums, oder des Ahsteckungsstoffes im Erdboden gibt. Ich habe theoretisch gar nichts dagegen; ich sage mn?: wir anderen sind vorläufig in einem gewissen Vorteil, denn soviel ich weiß, ist auch nicht eine einzige direkte Beobachtung vorhanden, welche beweist, daß Cholerapilze irgendwo im Brdboden gewachsen und aus dem Boden direkt auf den Menschen übergegangen sind. Ich würde mit einem einzigen, vollständig zuverlässigen Fall befriedigt sein, aber dieser Fall ist meiner Meinung nach nicht geliefert worden. Aber auch, wenn ein solcher Fall kommen sollte, würde er immer noch nicht beweisen, daß Fälle von einer anderen Art der Erkrankung nicht auch existieren. So gut, wie der Pilz oder der Organismus, was es auch sein mag, im Boden wächst, so gut, ja vielleicht noch besser, wird er in irgendeiner Nährflüssigkeit wachsen; deshalb stelle ich mir vor, daß eine Multi- plizität von Bedingungen vorhanden ist, unter denen sich der Choleraparasit zu entwickeln vermag. Anders verhält sich ein Krankheitsstoff, der immer nur auf dem Menschen wächst, der wesentlich auf den Menschen angewiesen ist, den wir außerhalb des Menschen ohne Beeinträchtigung seiner Eigen- schaften nicht weiter bringen können. So ist es gewiß sonderbar, daß man bis jetzt nicht imstande gewesen ist, eine gute Zucht von wirksamen Vakzinepilzen herzustellen. Wenn das möglich wäre, so brauchten wir die Kälber nicht, da könnten wir viel einfacher verfahren, indem wir Reinkulturen ansetzten, aber alle Versuche, die mit Vakzine gemacht worden sind, haben höchstens zu zweifelhaften Resultaten geführt. Ich wenigstens habe bis jetzt nicht die Überzeugung gewonnen, daß der Vakzine- pilz wo anders wächst, als im lebenden Säugetier. Es kann ja sein, daß einmal eine künstliche Kultur davon erzielt wird, vorläufig weiß ich aber nichts von einem zuverlässigen Resultat. Der Vakzine- pilz aber ist eben etwas anderes, als die Pilze, die wir von der Cholera kennen. Auch Emmerichs Pilz wächst außerhalb des menschlichen Körpers, er läßt sich züchten, und da er das tut, so wird es auch gewisse Verhältnisse geben, unter denen er seine Entwicklung außerhalb des Menschen macht. Ich hoffe daher immer noch, daß wir einmal dahin kommen werden, uns auf die M u 1 1 i - plizität der Keimstätten der Cholerapilze zu vereinigen. Wenn wir Herrn v. Pettenkofer, sobald er einen beweisenden Fall von Bodenpilzen gehefert hat, konzedieren: Ja, der Cholerapilz wächst im Erdboden, so soll er uns auch andererseits konzedieren: ja er wächst auch auf Agar-Agar, er wächst auch aiif feuchter Wäsche. Dann werden wir vielleicht in die Lage .kommen, tms zu verständigen, und dann wird es auch viel schneller gehen mit der Erklärung der Epidemien. Die eine Epidemie wird vielleicht dem einen Grund, die andere jnehr dem anderen zu- Zweite Konferenz zur Erörterung der Choleratrage. 127 fallen: vielleicht werden sogar in dersellien Epidemie mehrere Arten der Erklärung zulässig sein. Jedenfalls werden wir den einzelnen Fällen nachgehen müssen, uiu zu erfahren, wie weit der eine Fall auf diese, der andere auf eine andere Weise zu erklären ist. Das ist mein Credo. Ich wollte das einmal ausdrücklich ausgesprochen haben. Ich sehe in der Tat keine Notwendigkeit eines permanenten Gegensatzes zwischen uns. Es scheint mir, wir könnten sehr wohl eine vermittelnde Erklärung finden und von dieser aus, anschheßend an die Vege- tationsverhältnisse eines parasitären Organismus, jeder der verschiedenen Möglichkeiten ihr freilich beschränkteres Recht zuerteilen. V. Pettenkofer: Ich halte meinen Standpunkt für einen höchst einfachen. Ich nehme die Zahlenangaben über das Vorkommen der Cholerafälle und rangiere sie nach den Orten, wo sie vorkommen, und nach der Zeit, wann sie vorkommen. Es war mir ja anfangs auch ziemlich nahe- liegend, eine direkte Übertragung von seifen der Erkrankten auf Gesunde anzunehmen. Es ist ja weitaus das nächstliegendste, aber, indem ich mir lum die Frage zu Ijeantworten suchte, warimi denn das Ding in größerer Ausdehnung, also in epidemischer Form sich wieder auf gewisse Orte, und auch in diesen Orten auf gewisse Zeiten beschränkt, und warvmi es Orte gibt, wo diese Infektion, die man direkt vom Kranken auf Gesunde übergreifen lassen will, absolut nicht eintritt, wo man doch sound- so viel experimentiert hat. war ich gezwungen, für die örtlich konstanten mid für die örtlich zeitlichen Verhältnisse nach anderen Ursachen zu suchen. Es ist dabei noch gar nicht viel herausgekommen, aber eirüge Dinge haben sich da doch liereits herausgestellt, warum eine Lokalität z. B. mehr disponiert für einen Choleraprozeß sein kann, eine andere viel weniger, und auch in bezug auf das zeitliche Moment, und nachdem ich diese Tatsachen, worüber wir vielleicht morgen sprechen können, vor mir hatte, sah ich mich förmlich gezwungen, was die epidemische Verbreitung der Cholera anlangt, den iSchwerpunkt in diese örthchen und örtlich-zeitlichen Verhältnisse zw legen. Ich bin den andern Fällen ja auch, wie ich glaube, mit ziemlicher Unparteilichkeit nachgegangen, z. B. bei den Epidemien auf Schiffen. Und da konnte ich den Gedanken nie losbringen: wenn die direkte Übrtragung wirklich die regelmäßige Verbreitungsart ist, so ist ja bei diesem Schiffsverkehr ungemein viel Gelegenheit dafür geboten, und warum findet sie so wenig statt ? Deshalb lege ich für die ganze epidemiologische Richtung der Cholerafragen immer den Schwerpunkt in den Ort und die Zeit, und das ist für mich auch das bestimmende bezüglich der jNIaßregeln, die man gegen Cholera und Choleraverschleppung mit Erfolg anwenden kann. Wenn man aber auf dem entgegengesetzten Gesichtspimkt stehen bleibt, daß ein Kranker den Infektionsstoff produziert und den Gesunden ansteckt und darauf die Maß- regeln gründet, so kosten diese viel Geld, nützen aber nichts, imd das ist der einfache Grund, warum ich immer auf diesem Grund und Boden und dem Wassergehalt und der Imprägnierung des Bodens als dem Wesen der örtlichen und zeitlichen Disposition stehen bleibe. Die andern Fälle suche ich mir, um nicht ohne Erklärung zu sein, von meinem Standpunkt aus auch zu erklären und sehe, wie weit das möglich ist; manche bleiben mir vorerst noch dunkel; aber das kümmert mich nicht, weil die Epidemien jedenfalls nicht ohne Mithilfe der Örtlichkeit und Zeitlichkeit zustande kfmimen, und die Epidemien allein epidemiologisches Interesse bieten. • — Nachdem M e h 1 h a u s e n einige Fälle angeführt hat, die für die direkte Übertragbarkeit des Krankheitskeimes sprechen, bemerkt v. Pettenkofer, daß auch er Cholerawäsche unter Um- ständen als Träger der Infektion annimmt. Er fährt dann fort: Ich habe mehrere solcher Fälle selbst veröffentlicht, daß, wenn Cholerastühle, überhaupt Cholerawäsche, an einen Ort eingeführt wird, der frei von einer Epidemie ist, und wenn nicht auch die Erkrankten zuvor an einem infizierten Orte waren, die Wäsche dann in der Regel ganz unschuldig ist. Nur die Cholerawäsche aus Cholera- orten kann ich für gefährlich halten. Solche Fälle liegen vor, aus Darmstadt, aus Stuttgart, Lyon. Die vierte Sitzung vom 7. Mai wird von Koch mit folgenden Bemerkungen eröffnet: M. H. ! Sie haben soeben zwei Meerschweinchen gesehen, welche gestern mit den von Prof. B r i e g e r aus Fäzes isoUerten Bakterien infiziert wurden. Die Erscheinungen, welche an diesen Tieren besonders auffallen, sind die Veränderungen am Dünndarm, starke Rötung und reichlicher dünnflüssiger Inhalt, und diese Veränderungen gehören offenbar zu denjenigen, welche man durch die subkutane Injektion von septischen Stoffen bei Tieren erzeugen kann. Wenn irgendeine Bakterienart. unter die Haut von Meer- schweinchen gespritzt, solche Darmaffektionen hervorzurufen imstande ist, so ist dies 128 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. also nichts Spezifisches und gibt auch keinen Anhalt dafür, derartige Bakterien deswegen allein als Choleraursache anzusehen. Wenn es sich nur um diese Eigenschaft handelte, würde man die B r i e g e r sehen Bakterien mit demselben Recht wie die Em meric lo- schen zur Cholera in Beziehung bringen müssen. Es war dann ferner noch eine Gelatineplatte aufgestellt, welche eine Reinkultur von Kommabazillen enthielt. Diese Platte ist mit dem Darminhalt von einem der Meer- schweinchen präpariert, die ich Ihnen gestern vorgezeigt habe. Es sind von den übrigen Cholerameerschweinchen ebensolche Platten angefertigt, und es sind auf allen die Komma- bazillen zur Entwicklung gekommen. Einige Platten enthalten neben den Komma- bazillen noch andere Bakterien, aber in weit geringerer Zahl als erstere. Bei den übrigen Platten und so auch in der vorliegenden finden sich ausschließlich Kommabazillen. Ich habe nun noch einiges zu erwidern auf das, was Herr v. Pettenkofer gestern gegen meine Ausführungen gesagt hat, und zwar zunächst über die irrige Auf- fassung, welche Herr v. Pettenkofer bezüglich meiner von Ägypten aus gemachten Mitteilungen über die Cholerabakterien hat. Nachdem ich Ihnen gestern ein Präparat mit echten Cholerabakterien aus Ägypten demonstriert und Ihnen daran nachgewiesen habe, daß diese Bakterien in bezug auf Aussehen und Verhalten zur Darmschleimhaut und deren Drüsen sich genau so ver- halten, wie ich in meinem Berichte angegeben habe, kann doch füglich nicht mehr die Rede davon sein, daß ich die Cholerabakterien in Ägypten nicht gesehen und in meinem Berichte nicht beschrieben hätte. Herr v. Pettenkofer vermißt in meinem Berichte aus Ägypten zwar nur noch die ,, Kommas"; warum er sich nun aber gerade an diese Bezeichnung hält und an das Wort ,, Komma" anklammert, ist mir nicht recht verständlich. Wissenschaft- liche Gründe lassen sich doch gewiß nicht dafür beibringen. Über den Einfluß, welchen ich der erworbenen Immunität zuschreibe, glaube ich mich deutlich genug ausgesprochen zu haben; ich habe ausdrücklich hervorgehoben, daß ich keineswegs durch dieselbe alle rätselhaften Erscheinungen im Verlaufe der Cholera- epidemien erklären will. Herr v. Pettenkofer hat mich daher mißverstanden, wenn er meine Auseinandersetzungen so aufgefaßt hat. Wie groß der Einfluß der Immunität ist, das läßt sich von vornherein nicht sagen und muß in jedem einzelnen Fall sorg- fältig untersucht werden. Unter Umständen kann er aber ein sehr großer sein, denn, wenn von 1000 Menschen auch nur 100 im Laufe einer gewissen Zeit immun werden, dann muß das doch schon einen, wenn auch nur geringen Einfluß auf den Gang der Epidemie haben; werden aber viel mehr Menschen, sagen wir einmal statt 100 vielleicht 500 immun, dann macht das schon einen ganz erheblichen Unterschied für den weiteren Gang der Epidemie. Außerdem ist nicht zu vergessen, daß eine nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen von Hause aus für die Cholera unempfänglich ist. Von einer Anzahl Menschen, die älle in denselben Verhältnissen leben und sich sämtlich der Infektion aussetzen, wie z. B. in dem von Macnamara berichteten Falle, erkrankt doch nur immer ein Teil derselben, die übrigen besitzen bereits eine individuelle Immunität. Also wenn wir eine Bevölkerung von 1000 Menschen vor uns haben, und wenn vielleicht die Hälfte davon an und für sich immun, und die andere Hälfte infolge der Durchseuchung immun geworden ist, dann ist der Nährstoff für die Krankheit zu Ende, und die Epidemie muß erlöschen. Es ist aber nach allen unseren Erfahrungen an anderen Infektionskrankheiten auch noch sehr wahrscheinlich, daß es, um immun zu werden, nicht notwendig ist, die Krankheit in ihrer schwersten Form zu überstehen, sondern daß auch eine leichte Er- krankung einen Schutz gegen das nochmalige Befallenwerden verleiht; und so nehme Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerat'rage. 129 ch all; daß aucli leichte Clioleraanfälle, selbst kaum beachtete Cholerinen, welche in Cholera- leiteii sehr häufig sind, Immunität bewirken können. Damit wird aber auch ein erheblich ;rößerer Teil der Bevölkerung als durchseucht anzusehen sein, als man nach den zur Anmeldung kommenden Cholerafälleii oder nach den Mortalitätsziffern annehmen sollte. Unter solchen Verhältnissen muß der infolge der Durchseuchung erworbenen Immunität doch ein recht wesentlicher Einfluß zukommen. Derselbe kann sich natürlich lur da geltend machen, wo eine Durchseuchung stattgefunden hat, und es ist mir des- vegen nicht recht verständlich, weshalb Herr v. Pettenkofer meiner Auffassung Ton der Immunität zum Vorwurf macht, daß sie die örtliche Immunität von Lyon nicht ;u erklären vermöge. Gewiß gibt es auch noch manche andere Erscheinungen, welche durch die erworbene Immunität nicht zu deuten sind, so z. B. die Teilung der letzten Münchener Cholera- spidemie in eine Sommer- und Winterepideniie. Aber durch die Grundwassertheorie st das eigentümliche Verhalten dieser Epidemie ebensowenig zu erklären. K ö n i g e r lat in seinem Werke die Sommer- und die Winterepideniie unter sich getrennt und auch ür den höher und den tiefer gelegenen Stadtteil von München gesondert graphisch largestellt. Daneben ist auch der höchste und tiefste Grundwasserstand verzeichnet, iin wesentlicher Unterschied ist aber in dem Verhalten des Grundwassers für die beiden verschiedenen Stadtteile daraus nicht zu erkennen. Auch das Verhalten der Cholera n Holland scheint mir mit der Grundwassertheorie unvereinbar zu sein. Dort hat man ie in manchen Orten besonders intensiv auftreten sehen, wo das Grundwasser die Boden- )berfläche erreicht und wo von Grundwasserschwaiikungen keine Rede sein konnte^- Eine einseitige Beurteilung der Choleraverhältnisse wird immer auf unlösliche tVidersprüche stoßen. Es zeigt sich das recht deutlich an dem so oft zitierten und be- iprochenen Beispiel der Choleraiiiimunität von Lyon. Solange noch die Meinung herrschte, laß die Cholera durch die Luft oder vielmehr durch den Wind von Ort zu Ort getragen verde, glaubte man in den starken Luftströmungen, welche im Rhone- und Saönetal vehen, die Ursache für die Immunität gefunden zu haben. Die Grund wassertheorie verlegte dagegen die Ursache in die Bodenverhältnisse und die eigentümlichen örtlichen Bedingungen, von denen die Durchfeuchtung des Bodens und die Speisung des Grund- ivassers abhängt. Die Immunität von Lyon beschränkt sich nämlicli nur auf die eigent- iche Stadt, welche auf einer lang gestreckten Halbinsel zwischen Saöne und Rhone legt, sowie auf die hochgelegenen Vorstädte Croix Rousse und Fourviere. Das von der ;]holera heimgesuchte Gebiet liegt auf dem linken Rhoneufer, dessen Grundwasser licht,- wie es gewöhnlich bei Ufergebieten der Fall ist, von dahinter und höher gelegenen Gregenden, sondern vom Rhonefluß, dessen Niveau etwa einen halben Meter höher als ier Grundwasserspiegel liegt, geliefert wird. vSo einfach diese Erklärung zu sein scheint, ;o finden sich doch bei näherer Betrachtung eine Anzahl niclit zu beseitigender Wider- sprüche, von denen ich nur einige hervorheben will. Die beiden großen Vorstädte Broteaux und Guillotiere hängen unmittelbar zusammen und müssen, ihrer Lage nach zu urteilen, iieselben Untergrundsverhältnisse, namentlich auch flieselben Niveauunterschiede zwischen Fluß und Grundwasser haben, da sie beide im Überschwemmungsgebiet der Rhone liegen. Und doch wurde niu' die eine dieser beiden Vorstädte, Guillotiere, von :1er Cholera ergriffen. Das Jahresmittel für den Wasserstand der Rhone ist im Cholera- jahre 1854 allerdings außergewöhnlicli niedrig, berücksichtigt man aber die Monats- M Die hier folgenden mit Demonstrationen verbundenen .Mitteilmagen über Clioleraverliält- tiisse von Bombay, Immunität von Lyon usw. sind teils gestrichen, teils wesentlich gekürzt, M-eil sie ohne Beigalje der betreffenden Karten und graphischen Darsi eilungen unverständlich geblieben wären. K o c h. Koch, Gesaininoltp Werke. 54 130 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. mittel, dann ergibt sich, daß gerade in den Monaten Juli und August, also in der Zeit vor und während der Epidemie, der Stand der Rhone erheblich über den Mittelstand hinausging und, soweit der Stand des Grundwassers vom Flusse abhängt, kein Sinken, sondern eher ein Steigen desselben stattgefunden haben muß. Im Jahre 1858 wurden Flußkorrektionen vorgenommen und das Flußniveau etwa um 1 m, also weit mehr als die früheren Schwankungen im Flußstand betrugen, gesenkt. Infolgedessen muß auch die Beziehung des Grundwassers zum Flusse sich geändert haben ; trotzdem ist die Immunität von Lyon die nämliche geblieben. Sehr auffallend ist es, daß inmitten der immunen Stadt sich wiederholt intensive Hausepidemien im Militärspital und im Hotel Dieu entwickelten, daß der am Steilabhange unterhalb Fourviere gelegene, für die Cholera sehr günstige Verhältnisse darbietende Stadtteil verschont, dagegen das auf einem Hochplateau von Gneis in der Nähe von Lyon gelegene Wäscherdorf Craponne von Cholera heimgesucht wurde. Als ich im vergangenen Jahre Lyon besuchte, um die Stadt aus eigener Anschauung kennen zu lernen, fiel mir ein Umstand auf, welcher für die Choleraverhältnisse eines Ortes nicht ohne Bedeutung sein kann, der aber bei den Erörterungen über die Imnm- nität der Stadt Lyon meines Wissens bisher noch nicht berücksichtigt ist. Obwohl man von jeher den Infektionsstoff in den Ausleerungen der Cholerakranken vermutete und denselben durch zweckmäßige Beseitigimg der Fäkalien, Desinfektionsmittel usw. un- schädlich zu machen gesucht hat, ist merkwürdigerweise die Gefahr, welche von den durch Ausleerung beschmutzten Kleidern und Betten ausgeht, viel zu wenig beachtet. Ge- wöhnlich glaubte man genug getan zu haben, weim die Nachtgeschirre, die darin auf- gefangenen Ausleerungen und die Abtritte mit Desinfektionsmitteln überschwemmt waren; Kleider und Bettzeug aber, welche einen großen, oft den größten Teil der Cholera- dejektionen aufnehmen, wurden wie gewöhnliche Wäsche behandelt. Und doch lehren die aus allen Epidemien in so großer Zahl berichteten Infektionen durch Cholerawäsche, welche häufig den Beginn schwerer Epidemieausbrüche gebildet haben, wie gefährlich eine Vernachlässigung dieses Punktes ist. In Lyon scheint nun diese Gefahr infolge der dort bestehenden Gebräuche und örtlichen Verhältnisse auf ein Minimum reduziert zu sein. Als Waschanstalten dienen nämlich geräumige überdachte Kähne, welche in großer Zahl am Ufer beider Ströme befestigt sind. Infektionsstoffe, welche der Wäsche anhaften und ins Waschwasser geraten, werden daher durch das schnell strömende Fluß- wasser in kürzester Zeit aus dem Bereich Lyons fortgeschwemmt und bleiben nicht, wie anderwärts, in Höfen, Rinnsteinen, Sümpfen usw. stagnierend im Orte. In Lyon scheint es überhaupt nicht Sitte zu sein, die Wäsche im Hause zu waschen. In der Um*- gegend der Stadt befinden sich nämlich mehrere Dörfer, deren Einwohner gewerbs- mäßig für die Bewohner von Lyon Wäscherei betreiben. Daß in der Wäsche aus Lyon unter Umständen auch der Cholerainfektionsstoff enthalten sein kann, beweist die Epi- demie in dem bereits erwähnten Wäscherdorf Craponne, wohin die Krankheit durch Wäsche von Marseiller Choleraflüchtlingen aus einem Hotel in Lyon verschleppt sein soll. Ähnliches soll, wie mir in Lyon mitgeteilt wurde, in zwei anderen, östlich von Lyon gelegenen Wäscherdörfern vorgekommen sein. Ich möchte mich nun aber wieder aus- drücklich gegen die Insinuation verwahren, als ob ich dem Schutz der Lyoner Bevöl- kerung gegen Wäscheinfektion einzig und allein die Choleraimmunität der Stadt zu- schreiben wollte. Das ist keineswegs meine Meinung, ich halte nur die Vermeidung der Wäscheinfektion für einen wesentlichen Faktor beim Zustandekommen der Immu- nität einer Stadt. Wie groß derselbe für Lyon zu veranschlagen ist, das müßten ein- gehende Untersuchungen lehren; doch scheint er mir auf jeden Fall von erheblicherer Bedeutung zu sein, als die etwas fraglichen Grundwasser Verhältnisse. Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. 131 Es war dajin auch die Rede von imiuunen Orten in Indien. Meines Wissens existiert lur ein solcher, das ist Multan, eine in alten Zeiten am Ufer des Ravi gelegene blühende Sandelsstadt Oberindiens. Der Lauf dieses Flusses hat sich aber geändert; er ergießt lieh jetzt weit oberhalb der Stadt in den Chenab vmd infolgedessen leidet der in der Be- .^ölkerungsziffer sehr zurückgegangene Ort an Wassermangel. In der Nähe der Wüste gelegen, hat Multan bereits ein ausgesprochenes Wüstenklima. Der ganze Distrikt ist ast regenlos, heiß und unfruclitbar. Dort muß es allerdings den Kommabazillen er- rehen, wie auch anderwärts in der Wüste; sie finden nicht die zu ihrer Existenz erforder- iche Feuchtigkeit; keine offenen Wasserläufe und Tanks bieten ihnen, wie in Kalkutta, n der heißen Zeit eine Zufluchtsstätte, luid so läßt sich auch die Immunität dieses Ortes lehr wohl mit den bekannten Eigenschaften der Cholerabakterien vereinigen. Nachdem Hirsch eine kurze Notiz über die Choleraerkrankungs- und SterI)Uchkeitsver- lältnisse gegeben hat, die bei den britischen luid eingelnirenen Truiipeii in Indien konstatiert worden lind, fälirt Koch fort: Meine gestrigen Bemerkungen über C u n i n g h a m scheinen von Herrn v. P e t - ; e n k o f e r mißverstanden zu sein, da er sagte, daß er seinerseits kein Unrecht an 3 u n i n g h a m habe wahrnehmen können. Bei mir ist dasselbe der Fall. Ich bin ent- ernt davon, ihm ein Unrecht vorwerfen zu wollen. Ich achte ihn persönlich sehr hoch lud bin davon überzeugt, daß er bei dem, was er getan imd geschrieben hat, von der jesten Absicht geleitet wurde. Das einzige, was ich ihm vorwerfen muß, ist, daß er leine subjektive Meinung, die doch den allgemein gültigen Anschauungen über Cholera liametral gegenübersteht, — daß er diese Meinung so in den Vordergrund stellt und sine Art von Terrorismvis auf die ihm untergebenen Ärzte ausübt mid deren Ansichten ;ar nicht zur Geltung kommen läßt. Wenn Herr v. P e 1 1 e n k o f e r gestern äußerte, laß fast alle Ärzte in Indien der gleichen Meinung seien, wie C- u n i n g h a m . . . V. Pettenkofer: Nein, das habe ich nicht gesagt: ich habe gesagt, daß diejenigen, die ich nicht bloß mit einzelnen Epidemien und einzelnen Choleraverhältnisseii in einzelnen Orten zu )efassen haben, sondern welche die ganzen Choleraverhältnisse in Indien zu iiberblicken haben, dieser Ansicht seien. Diejenigen, die als eines Sinnes mit C u n i n g h a m angeführt wurden, sind 3 r y d e n, M o u a t, M a r s t o n, C u n i n g Ii a m der Jüngere und L e w i s. Das ind aber auch alle; die übrigen sind entgegengesetzter Ansicht, namentlich diejenigen, velche die C'holera aus eigener Anschauung kennen und welche wie die Sanitary Com- nissioners der einzelnen Präsidentschaften die Erfahrungen nicht etwa an einzelnen )rten oder in einzelnen Epidemien gewonnen haben, sondern 10, 20 Jahre lang aus- gedehnte Bezirke, die an Größe und Einwohnerzahl manche europäischen Großstaaten ibertreffen, bis ins kleinste hinein in bezug auf ihre Choleraverhältnisse kennen ge- ernt haben. Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch besonders hervorheben, daß, wenn ch auch C u n i n g h a m s Stand])unkt nicht teilen kann, meine Achtung vor den inglisch-indischen Ärzten im allgemeinen eine sehr hohe ist. Ich habe dieselben als außer- »rdentlich tüchtig kennen gelernt und mich davon überzeugt, daß sie zum allergrößten Cell ein richtiges Urteil über die Choleraverhältnisse von Indien haben und sich auch lie erdenklichste Mühe geben, die sanitären Verhältnisse in bezug auf die Cholera zu /■erbessern. Daß diese Bemühungen, denen niemand seine Anerkennung versagen wird, LUch an vielen Orten, namentlich in den drei Hauptstädten Kalkutta, Bombay und kladras, wo der Einfluß C u n i n g h a m s den einsichtsvollen städtischen Behörden jegenüber am wenigsten zur Geltung kam, von ausgezeichnetem Erfolg gewesen sind, las werde ich Ilnien später noch zu zeigen haben. Ich würde sehr gern einige von diesen verdienstvollen Ärzten besonders nennen, aber ich nmß aiis guten C4ründen fürchten, laß ihnen dadurch Unannehmlichkeiten erwachsen könnten. 54* 132 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. V. Pettenkofer: Cuninghamist nicht mehr da ! Aber sein und seiner Anhänger Einfluß ist noch da. Nur einen um die Cholera- ätiologie hochverdienten Arzt will ich nennen, der jetzt nicht mehr in Indien ist, und dem das nicht schaden kann ; das ist M a c n a m a r a. Er ist einer der besten Cholera- forscher, dem wir außerordentlich viel verdanken, der hauptsächlich auch durchgesetzt hat, daß Kalkutta eine ausgezeichnete Wasserleitung bekommen hat, von deren wohl- tätiger Wirkung ich Ihnen später noch zu sprechen haben werde. Ich möchte gerade in dieser Beziehung noch auf gewisse Hoffnungen aufmerksam machen, denen ich mich hingebe und die vielleicht einmal in Erfüllung gehen werden, wenn in ganz Indien mit demselben Eifer gegen die Cholera vorgegangen wird, wie in den genannten Städten. Ich habe in unserer früheren Konferenz die Meinung ausge- sprochen, daß die Cholera in Indien, speziell in Bengalen, seit den ältesten Zeiten ge- herrscht habe. Ich hatte damals noch nicht Gelegenheit gehabt, die ersten grundlegen- den Berichte über den Beginn der Epidemie in Bengalen einzusehen. Ich habe mir in- zwischen diese Literatur verschaffen können und bin durch das Studium derselben zu einer abweichenden Ansicht gekommen. Ich habe mich nämlich davon überzeugt, daß vor dem Jahre 1817 eine lange Reihe von Jahren hindurch in Bengalen und speziell in Kalkutta keine Cholera war. Möglicherweise ist die Cholera in jenem Jahre überhaupt zum ersten Male dort hingekommen, da die Nachrichten über ältere Epidemien sehr un- sicher sind und sich auch auf andere Krankheiten als auf Cholera deuten lassen. Man sprach allerdings in Kalkutta auch vor 1817 schon von Cholera. Dies bezog sich aber nur auf sporadische Cholera oder Cholera nostras und die bereits erwähnten cholera- artigen Fälle von perniziösem Fieber. Ich habe die Jahre vor dem Beginn der Cholera und den ersten Ausbruch derselben graphisch darstellen lassen und ich lege Ihnen die monatlichen Mortalitätsziffern von Kalkutta vor. In den Jahren 1815 und 1816 be- schränkt sich die Zahl der an sogenannter Cholera Gestorbenen auf 182 resp. 141. Auch im Jahre 1817 ist die Choleramortalität bis zum Juli sehr niedrig, steigt aber plötzlich im August zu bedeutender Höhe und von da ab datiert der erste wirkliche Ausbruch von Cholera, welcher im nächsten Jahre (1818) bereits mehr als 5000 Menschen zum Opfer fielen und welche erst von diesem Zeitpunkte an in Kalkutta endemisch geworden ist. Daß die in den Jahren 1815 und 1816 registrierten Cholerafälle nicht der echten Cholera angehören, geht schon daraus hervor, daß das Maximum derselben in die Regen- zeit, das Minimum in die heiße Zeit fällt, also gerade den entgegengesetzten Gang ein- halten, wie die echte Cholera. Auffallend ist allerdings, daß der erste Ausbruch im Jahre 1817 in die Regenzeit fällt. Doch brach damals die Cholera in eine noch nicht durch- seuchte Bevölkerung ein und das mag wohl der Grund gewesen sein, daß ähnlich wie bei der Pilgercholera zur Regenzeit in Puri, die zeitliche Indisposition gegenüber der Macht der die Seuche begünstigenden Momente nicht zur Geltung kam. Aber schon im nächsten Jahre nahm der Gang der Cholera den seitdem regelmäßig eingehaltenen Typus an. Ahnlichen Zuständen begegnen wir beim ersten Eindringen der Cholera in Bombay. Lange vorher war schon die Kunde von der heranziehenden Seuche dorthin gedrungen. In dieser epidemischen Form war die Cholera den Ärzten von Bombay vollkommen unbekannt, ebenso wie ihren KoUegen in Kalkutta. Man schickte Ärzte aus, es wurden Berichte eingefordert, um die neue Krankheit kennen zu lernen. Dann kam sie selbst im Jahre 1818 nach Bombay, richtete große Verheerungen in der Stadt an bis zum nächsten Jahre und verschwand dann wieder. Endemisch ist sie in Bombay erst weit später mit der Zunahme des Verkehrs und der Bevölkerung von Bombay geworden. Dasselbe gilt auch von Madras. Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. 133 Wir stehen also vor der sehr bemerkenswerten Tatsache, daß vor 1817 die echte Cholera in keinem Teile von Indien nachweisbar wii'klich endemisch war. I^rst im Laufe dieses Jahrhunderts ist sie dies geworden und hat sich hauptsächlich in den drei großen Verkehrszentren, in Kalkutta, Bombay und Madras eingenistet. Die neueste Zeit hat uns aber das noch viel wichtigere Faktum gebracht, daß es in Madras durch sanitäre Verbesserungen gelungen ist, die Cholera zeitweilig ganz zu verbannen und ihr den ende- mischen Charakter zu nehmen. Auch in Bombay ist aus demselben Grunde in den letzten Jahren die Cholera mehrfach so unbedeutend gewesen, daß man die geringe Zahl von Fällen, welche noch als Cholera registriert wurden, unbedenklich der sporadischen Cholera, dem perniziösen Fieber usw. zuschreiben kann. Meiner Meinung nach hat daher auch in Bombay die Cholera aufgehört, wirklich endemisch zu sein. Schließlich ist es auch den Anstrengungen der Munizipalität \md der Sanitätsbeamten von Kalkutta gelungen, die Cholera wenigstens in der inneren Stadt ganz erheblich zu vermindern. Diese Tatsachen lehren uns also in unzweideutiger Weise, daß man der Cholera gegenüber nicht machtlos dasteht. Es ist bereits gelungen, Madras und Bombay, wenn auch nur vorübergehend, das Fort William inmitten der Stadt Kalkutta sogar dauernd cholerafrei zu machen. Sollte da die Hoffnung zu kühn sein, daß es zu erreichen sei, ganz Indien wieder so cholerafrei zu machen, wie es vor dem Jahre 1817 war ? Ich möchte diese Hoffnung nicht für zu weit gehend halten und meine, daß dieses Ziel erreichbar ist, wenn man den in Kalkutta, Bombay und Madras bisher gemachten günstigen Er- fahrungen gegenüber nicht absichtlich die Augen verschließt. Von welcher immensen Wichtigkeit es sein würde, Bombay zu einer vollständig immunen Stadt zu machen, brauche ich wohl nur anzudeuten. Bombay ist für uns die Ausfallspforte der Cholera, weil von seinem Hafen aus der eigentliche Schiffsverkehr zwisclien Indien und Europa ausgeht. Wenn Bombay dauernd cholerafrei wäre, würden alle gegen die Choleragefahr jetzt noch für nötig erachteten Abwehrniaßregeln auf dem Seewege wegfallen können. Ich habe nun noch einiges über die Choleraepidemien auf Schiffen zu sagen. Es wurden gestern von Herrn v. P e 1 1 e n k o f e r Zahlen angegeben, welche beweisen sollten, daß die Cholera auf Schiffen gar nicht häufig, im Gegenteil ganz auffallend selten sei. Nun mag das richtig sein, daß von der auf Schiffen befindlichen Bevölkerung ein verhältnismäßig geringer Prozentsatz an Cholera erkrankt. Das interessiert uns aber sehr viel weniger als die Prozentzahl der Schiffe, welche Cholera an Bord haben. Denn wir wollen ja nicht die Frage zu beantworten suchen, welche Gefahr der Schiffs- bevölkerung von der Cholera ch'oht, sondern wir möchten die Gefahr kennen lernen, welche die aus Clioleragegenden kommenden Schiffe den cholerafreien Ländern bringen. Um das, worauf es hier ankommt, an einem Beispiel zu erläutern, wollen wir an- nehmen, daß auf 20 Schiffen 10 000 Kulis transportiert werden. Davon erkranken 20, also 20/(,Q. Nun ist es doch ein erheblicher Unterschied in bezug auf die Choleragefahr für das Land, wohin die Schiffe gehen, ob diese 20 Choleraerkrankungen sich auf 1 oder auf 6 Schiffe verteilen. Im letzteren Falle ist die Aussicht, daß die Cholera in jenes Land verschleppt wird, sechsmal so groß. Es kommt uns also in erster Linie auf die Verhält- niszahl der Choleraschiffe zur Gesamtzahl der Schiffe an. Nach meiner Rechnung be- trug dieselbe etwas über 30 %, nach Herrn v. Pettenkofers Rechnung 17 %. Nehmen wir die letztere Zahl als maßgebend an, so kann man dieselbe doch nicht als unbedeutend bezeichnen. Mir kommt sie noch entsetzlich hoch vor. Ja, wenn nur 1% der Schiffe die Cholera mit sich führen, dann ist die davon resultierende Gefahr immer noch eine sehr bedeutende. Denn wenn es ein unglücklicher Zufall so fügt, daß das eine Schiff von 100 die Cholera nach einem Lande überträgt, dann richtet es genau eben- 134 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. soviel Unheil au als wenn alle 100 cholerainfiziert gewesen wären. Wir dürfen bei solchen Betrachtungen niemals vergessen, daß wir es mit einem Infektionsstoff zu tun haben, der sich ins Unendliche vermehrt und von dem schon die geringste Menge genügt, um ein ganzes Land zu infizieren. ' An diese Bemerkungen möchte ich das gleich anschließen, was ich zum dritten Teil unserer Beratungen, nämlich über den Einfluß der Luft, des Bodens und des Wassers auf die Cholera zu sagen habe. Uber die Beziehungen der Luft zur Cholera kann ich mich auf das, was ich in der ersten Konferenz mitteilte, beziehen. Für eine Übertragung des Infektionsstoffes durch die Luft haben mir auch meine weiteren LTntersuchungen nicht den geringsten Anhalt geboten, und ich kann der Luft nur insoweit einen Einfluß zuschreiben, als sie je nach ihrem größeren oder geringeren Feuchtigkeitsgehalt zur Konservierung oder zum schnelleren Absterben der Cholerabakterien beitragen kann. Uber den Einfluß des Bodens habe ich dagegen mehr zu sagen. Bekanntlich haben die geologischen Verhältnisse des Untergrundes keinen maß- gebenden Einfluß auf die Cholera, sondern es sind lediglich die physikalischen Ver- hältnise des Bodens, von denen Herr v. Fetten kofer nachgewiesen hat, daß sie von wesentlicher Bedeutung für das Verhalten der Cholera sind. Ich bezweifle nun keineswegs, daß es sich so verhält, und bin davon überzeugt, daß der Boden von erheblichem Einfluß auf die Cholera sein kann; aber er ist es nicht in einer so ausschließlichen Weise, wie Herr v. Fetten kofer behauptet, denn man begegnet vielfach Ausnahmen von den Regeln, welche über die Beziehungen zwischen Boden und Cholera aufgestellt sind. So hat beispielsweise Herr v. F e 1 1 e n k o f e r in der Schrift über die Immunität von Lyon gesagt: ,,Wenn auf einer Geröllschichte, in welcher Grundwasser sich be- findet, eine mehrere Fuß hohe Lehmschicht aufliegt, in der sich kein Grundwasser be- findet und die Schwankungen des Grundwassers im Gerölle diese Lehmschicht 'nicht erreichen, so erweisen sich die auf dem Lehm stehenden Quartiere für die Choleraepidemien unempfänglich." Also das heißt doch soviel, daß oberflächhch liegende Lehmschichten von einer gewissen Mächtigkeit, an die das Grundwasser nicht heranreicht, den darauf Wohnenden Schutz gegen Cholera gewähren. Herr v. Fettenkofer hat dann auch versucht, auf eine solche Bodenbeschaffenheit das Freibleiben einer Schule in London während der Choleraepidemie von 1866 und die Immunität einzelner hoch gelegener und mit lehmigem Untergrund versehener Stadtteile von Lyon zurückzuführen. Aber ein Blick auf Radcliffs geologische Karte von London lehrt, daß in der Nachbar- schaft der fraglichen Schule ebenfalls stellenweise Lehmboden den Untergrund bildet und trotzdem auf demselben Cholerafälle vorgekommen sind. In der Nähe von Lyon liegt das bereits früher besprochene Wäscherdorf Craponne auf einem Hochplateau von Gneis, welcher letztere von einer Lehmschicht überlagert ist; hiernach hätte das Dorf mindestens ebenso geschützt sein müssen, wie jene auf Lehm liegenden Stadtteile von Lyon; dies war aber nicht der Fall, denn das Dorf hatte eine Choleraepidemie. In dem Bericht des Herrn Hirsch über die Cholera in den östlichen Provinzen ist erwähnt, daß die meisten Choleraorte auf Lehmboden lagen. Hirsch wirft ein, daß Lehm sehr verschiedenartig sein könne, mancher Lehm sei fast un- durchlässig; und V. Pettenkofer fügt hinzu, daß auf manchem Lehm eine Kiesschicht lagere, was das wesentliche sei. Dazu bemerkt Koch: Es bestehen ganz gewiß Unterschiede in der Beschaffenheit des Lehms, auf wel- chem die V021 Herrn Hirsch untersuchten Choleraorte der Frovinzen Fosen und Preußen liegen ; aber wegen des überwiegenden Vorkommens der Cholera auf lehmigem Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholera frage. 135 Untergrund kann man doch nicht anders schUeßen, als daß die Cholera in jenen Gegenden keine Abneigung gegen Lehmboden gezeigt, sondern denselben eher bevorzugt hat und daß die Behauptung von der Immunität des Lehmbodens nicht so ohne weiteres als zutreffend angenommen werden kann. Herr v. P e 1 1 e n k o f e r hat auch selbst in dem Hauptbericht über die Cholera- epidemie des Jahres 1854 in Bayern die schwere Choleraepidemie des Dorfes Kienberg beschrieben und besonderes Gewicht darauf gelegt, daß die am stärksten heimgesuchten Häuser auf Lehmboden standen. Nur di'ei Gehöfte mit Lehmuntei'grund bliebeir auf- fallenderweise verschont und zufällig befand sich vor diesen ein Röhrenbrunnen mit laufen- dem Wasser, während die anderen einen in den Lehm gegrabenen Schöpfbrunnen hatten. Meine eigenen Studien haben mir weitere Beweise dafür geliefert, daß die Be- ziehungen des Bodens zur Cholera nicht so einfach und gesetzmäßig sind, als gewöhnlich angenommen wird. Kin für diese Frage sehr lehreiches Objekt bietet die Stadt Bombay, welche zum Teil auf durchlässigem grundwasserhaltigen Boden, zum Teil auf felsigem und auch stellenweise sich zu einem Höhenzuge erhebenden Terrain liegt. Auf der geologischen Karte von Bombay, welche ich Ihnen hier vorlege, sehen sie zwei fast parallele aus Basalt inid Trapp bestehenden Höhenzüge, welche die Längs- seiten der von Norden nach Süden sich erstreckenden Insel bilden, auf welcher Bombay liegt. Zwischen diesen beiden aus felsigem Boden bestehenden Zügen befindet sich eine langgestreckte, mit Alluvium gefüllte Mulde. Unter dem Alluvium liegt poröser und reichlich Wasser fülirender Sandstein. Die Stadt Bombay ist zum größten Teil auf dem östlichen Trappzug erbaut, erstreckt sich aber auch in die Mulde und über diese hinweg zu dem westlichen aus Trapp bestehenden Höhenzug, dem Malabar Hill. Wir haben hier also ein Terrain, welches immittelbar nebeneinander diejenigen Bodenver- hältnisse aufweist, welche für die Cholera als ganz besonders maßgebend angesehen werden. Felsiger Boden, der bis zum Baugrund der Häuser reicht, so daß man bei der Ausfüllung der Kanalisationsanlagen in diesem Stadtteil die größten Schwierigkeiten hatte und dicht daneben in einer Mulde abgelagertes Alluvium, stellenweise sogar dem Meere durch künstliche Aufschüttung abgewonnenes Terrain. Beide Bodenarten sind dicht bewohnt inid dazu war die ('lioleramortalität in früheren Jahren regelmäßig bedeutend. In einem solchen Falle mußte sich doch, wenn die herrschende Meimnig die richtige ist, mit aller Evidenz zeigen, daß der felsige Untergrvmd die (Cholera abhält und daß der poröse Alluvialboden sie befördert. Nirgendwo in der Welt konnte diese Frage sicherer zu entscheiden sein als in Bombay, denn wie unsicher sind die Schlüsse aus den Be- obachtungen über das Verschontbleiben oder Befallenwerden eines Ortes während einer oder selbst mehrerer zeitlich getrennter Epidemien gegenüber den Polgerungen, welche sich aus dem Verhalten der Jahr füi' Jahr gleichmäßigen Cholera in Bombay ziehen lassen. Dort ist dem Spiel des Zufalls immer noch ein großer Raum gestattet, hiei- kann die Be- obachtung über eine Reihe von Jahren gleichmäßig ausgedehnt und dainit jeder Zufall ausgeschlossen werden. So dachte vernnitlich auch der Health-Officer von Bombay, Dr. W e i r, als er sich der nicht geringen Mühe unterzog, die C*holeramortalität der ein- zelnen Stadtteile getrennt und für eine Reihe von Jahren (1851 — 1875) zu berechnen und zu untersuchen, welche LTnterschiede durch die verschiedene Bodenbeschaffenheit bedingt werden. Cregen seine Erwartung fand er aber, daß die Bodenbeschaffenheit keinen bestimnienden Einfluß in Bombay auf die Frequenz der Cholera hat, und er sah sich infolgedessen zu dem Ausspruch veranlaßt, daß der Verlauf und die Ausbreitung der Cholera in Bombay ganz unabhängig von der Bodenformation sei. Wenn wir uns mm überzeugt haben, daß in Bombay die Cholera auch auf Fels- boden vorkonunt, so ist das an und für sich noch nichts Ungewöhnliches. Auf dem Felsen 136 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage von Malta hat die Cholera auch schon arg geherrscht. Also gibt es Felsen, welche nicht cholerafrei sind, und Herr v. Pettenkofer hat ja gezeigt, wie das zusammenhängt und warum der Felsen von Malta imstande ist, einen Choleraboden abzugeben. Der Fels von Malta ist nämlich ungefähr ebenso porös wie Sandboden, da sein Poren volumen mehr als 30% beträgt. Nun könnte man denken, daß auch Bombay auf einem so porösen Felsen steht, wie der von Malta ist. Das ist aber nicht der Fall. Ich habe, um einem der- artigen Einwand zu begegnen, Proben von dem Trappfelsen, welcher den Untergrund des größten Teils von Bombay bildet, mitgebracht und lege sie Ihnen hier vor. Dies Stück ist unverwitterter, von einer frischen Bruchstelle abgeschlagener Trapp und dies zweite Stück ist von der Oberfläche entnommen, wo das Gestein mehr oder weniger verwittert ist. Das Aussehen und die Schwere dieser Proben beweist Ihnen schon, daß dieselben nicht einer porösen Gesteinsart angehören. Dementsprechend hat sich auch für den unverwitterten Trapp ein Poren volumen von 1,25 und für den verwitterten von 2,35 ergeben. Dieses Gestein gehört also zu den dichtesten und ist nicht imstande, nennenswerte Mengen von Wasser aufzunehmen. Der auf Trapp stehende Teil von Bombay kann also in seinem Untergrunde kein Grundwasser und keine Grundwasserschwan- kungen haben und doch herrscht in ihm die Cholera ebenso wie in dem auf Alluvium erbauten Stadtteil. Den Bodenverhältnissen von Bombay nicht unähnlich sind die von Genua, welches bekanntlich im letzten Herbst eine Choleraepidemie gehabt hat. Der am Hafen liegende Teil von Genua steht auf lockerem porösen Alluvium und Schuttboden, der landein- wärts liegende Teil zieht sich amphitheatralisch nach den umliegenden Höhen hinauf und steht zum größten Teil auf felsigem Untergrund. Die Cholerafälle verteilen sich nun aber ziemlich gleichmäßig über die ganze Stadt, sowohl in den tief gelegenen, als in den hoch auf Felsen gelegenen Straßen, wie Sie aus diesem vom Herrn Prof. C e c i mir überlassenen Plan von Genua ersehen wollen, in welchen alle Cholerafälle eingetragen sind. Da auch in diesem Falle sofort die Frage nach der Beschaffenheit des felsigen Untergrundes, der keinen Schutz gegen Cholera gewährt hatte, aufgeworfen werden mußte, so habe ich mir durch Vermittelung des Herrn Prof. C e c i Gesteinsproben von verschiedenen Punkten der Stadt verschafft, und lege Ihnen dieselben hier vor. Das Porenvolumen dieses anscheinend aus einer Art Marmor bestehenden Gesteins schwankt zwischen 0,74 und 3,3%. Wir haben also auch hier wieder einen ganz festen und nicht porösen Boden, auf welchem sich trotzdem die Cholera ganz wie auf einem porösen Alluvialboden verhalten hatte. Als Gegenstück zur Epidemie in Genua kann die von Neapel dienen. Die Stadt Neapel steigt ebenfalls amphitheatralisch vom Hafen aus empor, und die oberen Stadt- teile liegen auch unmittelbar auf Felsboden. Aber der felsige Untergrund von Neapel ist nicht dicht, wie der von Bombay und Genua, sondern im höchsten Grade porös. Es ist ein weicher schwammiger Tuff, welcher sich mit der Säge schneiden läßt. Sie mögen sich an diesen beiden Proben von Gestein, welche ich von den Herren Prof. A r - m a n n i und F e d e aus Neapel erhalten habe, von dem gewaltigen Unterschied zwischen dem felsigen Untergrund von Bombay und dem von Neapel überzeugen. Das Poren- volumen beträgt 36,3; es gleicht also nahezu dem des Berliner Sandbodens. Dieses poröse Gestein müßte bezüglich seiner physikalischen Beschaffenheit ein vollkommen für die Cholera geschaffener Boden sein, imd doch hat sich die Cholera in Neapel vorzugsweise in dem niedrig auf Alluvium und Schutt gelegenen Teil der Stadt gehalten und ist nur vereinzelt auf den porösen Felsboden übergegangen. Wenn man so vielen Abweichungen von einem als Regel hingestellten Satze be- gegnet, dann ist ein Zweifel an der Richtigkeit oder wenigstens an der allgemeinen Geltung Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. 137 des Satzes von der Abhängigkeit der Cholera vom porösen und nicht porösen Boden berechtigt. Als dieser Zweifel sich bei mir erst einmal eingestellt hatte, habe ich dann auch die Choleraliteratur nach zuverlässigen Beispielen von einigermaßen großen durch ilire Lage auf felsigem Boden vor Cholera geschützten Orten durchgesucht, aber keine gefunden, deren Immunität man ausschließlich einer derartigen Bodenbeschaffenheit zuschreiben müßte. Doch möchte ich, weil mir vielleicht nur zufällig die beweisenden Beispiele entgangen sind, an Heri'n v. P e 1 1 e n k o f e r die Frage richten, ob ihm der- artige Beispiele bekannt sind. Ich komme nmi zu den Beziehungen des Grundwassers zur Cholera. Herr v. P e t t e n k o f e r hat uns gelehrt, daß die Schwankungen des Grund- wassers einen Index abgeben können für den zu erwartenden Gang der Choleraepidemie eines Ortes. Wenn das Grundwasser im Steigen ist, soll die Disposition für Cholera abnehmen, wenn das Grundwasser im Fallen ist, soll sie dagegen zunehmen. In unseren Gegenden tritt das Sinken des Grundwassers ziemlich regelmäßig im Spätsommer und Herbst ein, und dies ist auch die Zeit, in welcher bei uns gewöhnlich die Cholera herrscht. Im allgemeinen trifft demnach hier Sinken des Grundwassers und Zunahme der Cholera zusammen. Sobald man aber genauer die Cholera- und die Grundwasserkurven vergleicht, z. B. in der mit besonderer Sorgfalt beobachteten Mün- chener Epidemie von 1873 und 1874, dann läßt sich doch eine wirkliche Wechselbeziehung zwischen Grundwasser- und f^holerakurve im Sinne der Grundwassertheorie nicht er- kennen . Auf dieser durch Herrn v. P e 1 1 e n k o f e r selbst veröffentlichten graphischen Darstellung sehen Sie die Sommerepidemie mit steigendem Grundwasser zunehmen und mit fallendem Grundwasser wieder abnehmen. Das Grundwasser sinkt dann von Mitte August 1873 bis Februar 1874 und während dieser Zeit verläuft die Winterepidemie mit zwei Kulminationspunkten, eineni im Anfang des Dezeniber und einem zweiten im Jaimar, ohne daß auch nur die geringste Beziehung zu diesen Schwankungen der Epidemie an dem gleichmäßigen Gange des Grundwassers zu bemerken ist. Das Grundwasser beginnt erst wieder zu steigen, als die Epidemie im Erlöschen ist. Nun köimte man sagen, daß in diesem Falle aus irgendwelchen uns noch unbe- kannten Gründen ausnahmsweise eine Abweichung von der Regel stattgefunden habe. Meines Wissens hegen aber überhaupt noch nicht so viele zuverlässige Beobachtungen über Cholera und Grundwasser aus ein-opäischen Ländern vor, daß man schon von einer allgemeinen Bestätigung der Grundwassertheorie sprechen kann. Um so mehr wird es erwünscht sein zu erfahren, wie sich die Beziehungen des Grundwassers zur Clholera in Indien gestalten, wo die Cholera zu allen Jahreszeiten herrscht und Orte mit den ver- schiedensten Grundwasserverhältnissen ausgezeichnete LTntersuclumgsobjektc abgeben. Glücklicherweise sind in Indien an zahlreichen Stellen bereits jahrelang sorgfältigst Gr und Wasser vermessmigen ausgeführt, von L e av i s und D. D. C u n i n g h a m mit großem Fleiß gesauimelt und mit der Choleramortalität der betreffenden Orte ver- glichen. Von den Grundwasser- vuid Cholerakurven, welche Lewis und D. D. C u - n i n g h a m in ihrem Werke : Cholera in relation to certain physical phenomena, mit- geteilt haben, lege ich Ihnen hier einige vergrößerte Kopien vor. Die interessanteste derselben ist die graphische Darstellung der Choleramortalität und der Grundwasser- schwankungen in Kalkutta während eines Zeitraumes von 8 Jahren. Beim Betrachten derselben werden Sie sehr bald erkennen, daß auch in Kalkutta die Grundwassertheorie bei einer 8 Jahre lang durchgeführten Beobachtung ebensowenig ihre Bestätigung ge- funden hat, wie bei der Münchener Epidemie. Scheinbar trifft einige Male ein Tief- stand des Grundwassers mit einem Gipfel der Cholerakurve zusammen, aber bei 138 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. genauerem Vergleich ergibt sich, daß die Cholera noch während des Tiefstandes des Grundwassers wieder plötzlich abnimmt, oder mit dem Steigen des Grundwassers ebenfalls ansteigt. Dieselbe Unregelmäßigkeit im Gange beider Kurven wurde an allen übrigen Orten gefunden. Es gehört sogar geradezu zu den Ausnahmen, wenn sich einmal ein der Grund- wassertheorie entsprechender Gang der Kurven bemerklich macht. Für Indien können demnach die Grundwasserschwankungen keinen Index für den Gang der Cholera abgeben und die Grundwassertheorie hat dort keine Geltung. Man hat denn auch, nachdem unendliche Mühe auf diese Untersuchungen verwandt war, dieselben als nutzlos wieder aufgegeben. Da aber die Grund wassertheorie in so bedeutendem Ansehen steht, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf zwei weitere hierher gehörige Beobachtungen aus der neuesten Zeit lenken. Die letzte Choleraepidemie in Ägypten läßt sich, obwohl es an eigentlichen Grund- Avasserbeobachtungen fehlt, dennoch zu einer Untersuchung über Grundwasser und ('holera verwerten; denn das Grundwasser des Niltals muß, da es keinen seitlichen Zu- fluß aus der Wüste hat und wegen des Mangels an Regen durch diesen nicht beeinflußt Averden kann, allein vom Stand des Nils abhängen; es fällt und steigt mit dem Nil, und das Fallen und Steigen des letzteren kann, namentlich in den unmittelbar am Nil gelegenen Ortschaften, als Maßstab für die Grundwasserschwankungen genommen werden. Ich habe nun den Wechsel im Stand des Nils mit dem Verlauf der letzten Choleraepidemie von Kairo verglichen und lege Ihnen hier eine graphische Darstellung der erhaltenen Daten vor, aus der Sie ebenfalls die Unabhängigkeit der Cholera vom Wasserstand des Flusses ersehen. Die Cholera beginnt in Kairo gegen Mitte Juli, nachdem der Nil schon längere Zeit im Steigen begriffen war; die Cholerakurve steigt dann weiter zugleich mit dem Nil und fällt schnell wieder ab, lange bevor der Nil seinen höchsten Stand er- reicht hat. Zugleich mit dem Ansteigen des Nils ging auch die Cholera stromaufwärts nach Oberägj^pten unbehindert durch das steigende Grund- und Flußwasser, welches das Niltal zu jener Zeit meilenweit überschwemmte. Ich kann Ihnen dann noch eine graphische Darstellung vom Gang des Grund- wassers in Paris während der letzten Epidemie vorlegen, welche Herr A. Durand- C 1 a y e mir auf meine Bitte in dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt hat. Die- selbe ist mit der Cholerakurve kombiniert und es ergibt sich, daß, obwohl das Grund- wasser in Paris seit langer Zeit im Sinken war und bis zum Ende des Jahres beständig im Abnehmei:i geblieben ist, die Epidemie doch so spät sich eingestellt hat und nach kurzem Auf- lodern wieder erloschen ist, ohne daß dafür das Grundwasser einen Index abgegeben hätte. Es kann doch nicht ein Zufall sein, daß mir bei meinen Studien über Beziehungen zwischen Cholera und Grundwasser nur solche Fälle begegnet sind, welche mit der Theorie des Herrn v. Pettenkoferin Widerspruch stehen. Auf jeden Fall zeigen dieselben, daß diese Theorie noch sehr der Modifikation bedarf, wenn sie mit den epidemiologischen Tatsachen in Einklang gebracht werden soll. Eine wesentliche Verbesserung scheint mir in dieser Beziehung bereits durch Prof. H o f m a n n angebahnt zu sein, welcher die für die Infektionskrankheiten wichtigen Vorgänge im Boden, speziell auch für die Cholera, nicht in eine unbestimmte Tiefe, sondern in die obersten Bodenschichten ver- legt. Dementsprechend würden auch die physikalischen Verhältnisse der obersten Boden- schichten in Zukunft viel sorfältiger mit Bezug auf Infektionskrankheiten zu studieren sein, als dies bisher der Fall gewesen ist, und namentlich würde nach dem Vorgang von Pfeiffer auf das Verhalten der Temperatur der oberen Bodenschichten Wert zu legen sein. Zweite Konferenz zur Erörteiaing der t'holei'afrage. 139 Es bleibt mir noch übrig, den Einfluß des Wassers auf die Cholera zu erörtern. Ich bin bereits in unserer vorjährigen Konferenz auf diesen Gegenstand näher einge- gangen, um auf die wesentliche Bedeutung des Wassers, sowohl des Gebrauchs- als des Trinkwassers für die Choleraverhältnisse hinzuweisen und an einigen Beispielen aus Indien den wohltätigen Einfluß einer guten Wasserversorgung darzulegen. Ich könnte mich darauf beschränken, mich auf die damals mitgeteilten Tatsachen, welche meiner An- sicht nach unwiderlegliche Beweise für den eminenten Einfluß des Wassers liefern, zu berufen. Meine Angaben haben jedoch lebhaften Widerspruch erfahren und da scheint es mir wegen der Wichtigkeit dieser Frage doch geboten, nochmals kurz darauf einzu- gehen und die erhobenen Einwände zu widerlegen. Das wichtigste Beispiel von Abnahme der Cholera infolge von Verbesserung der Wasserversorgung bietet die Stadt Kalkutta. Ich habe, um den Unterschied in der Choleramortalität dieser Stadt vor und nach Einführung der Wasserleitung mög- lichst übersichtlich zu machen, die jährliche Mortalitätsziffer auf dieser Tafel graphisch darstellen lassen und den Zeitpunkt der Eröffninig der Wasserleitung, nämlich das Jahr 1870, durch eine rote Linie bezeichnet. Es fällt dann sofort die hohe Choleramortalität jenseits des roten Striches und der plötzliche und dauernde Abfall diesseits desselben in die Augen. Dasselbe und vielleicht noch eindringlicher zeigt die von M a c n a m a r a gegebene graphische Darstellung der täglichen Choleramortalität, auf welcher die Cholerakurve in den Jahren vor 1870 wie ein hohes Gebirge erscheint und naeli 1870 nur eine niedrige Hügelkette bildet. Die auffallende Abnahme der Cholera in Kalkutta seit Eröffnung der Wasser- leitung ist also eine unbestreitbare Tatsache. Aber man hat versucht, diese Erscheinung anderen Ursachen zuzuschreiben, als der besseren Wasserversorgung, indem man sagte, daß letztere nicht die einzige sanitäre Verbesserung in der Stadt gewesen sei, die »Stadt habe zu gleicher Zeit eine Kanalisation erhalten, es sei mehr auf Reinlichkeit gehalten als früher; die Choleraabnahme betreffe aucli nicht allein die Stadt, semdern zugleicli die ganze Präsidentschaft Bengalen. Um mit der Widerlegung des letzten Punktes zu beginnen, verweise icli einfacli auf diese Tafel, welche die Choleramortalität der Präsidentschaft Bengalen zeigt, tSie ersehen aus derselben, daß die Cholera in den letzten 10 Jahren — weiter hinaus fehlen zuverlässige Angaben — erheblich zugenommen hat. Höchst wahrscheinlich handelt es sich jedoch hierbei nicht um eine wirkliche Zunahme, sondern um eine von Jahr zu Jahr besser werdende Registrierung der Cholerafälle in den kleinen Städten und länd- lichen Distrikten. Auf jeden Fall ist die Beliauptung von einer parallel mit der von Kal- kutta erfolgenden Abnahme der Cholera in Bengalen ganz unbegründet. Wa« nun die übrigen sanitären Verbesserungen in Kalkutta betrifft, so ist aller- dings die Beseitigung der festen Abfallstoffe aus der Stadt gegen früher sehr verbessert und die Stadt ist zum großen Teil kanalisiert. Aber diese Verbesserungen koiniten ihre Wirkung niclit mit einem Male, wie die sofort in der ganzen Stadt eröffnete Wasserleitung ausüben, sondern sind allmählicli zur Entwicklung gekommen. Ganz besonders gilt dies von der Kanalisation, welclie bereits 1805 begonnen wurde. Die Hauptkanäle wurden im Jahre 1867 in Tätigkeit gesetzt und seitdem ist bis jetzt nach und nach das Kanal- netz ausgebaut. Es hätte also, wenn die Kanalisation einen Avesentlichen Einflul3 auf die Cholera in Kalkutta ausübte, die Abnahme im Jahre 1867 beginnen und bis jetzt in gleichmäßiger Weise fortschreiten müssen. Das ist aber nicht der Fall gewesen, sondern die Änderung in der Choleramortalität traf im Jahre 1870 fast genau mit der Eröffnung der Wasserleitung zusammen. Wieweit die Kanalisatioii im Jahre 1874 gediehen war, zeigt Ihnen dieser Plan von Kalkutta, auf welchem die Hauptkanäle und die ausgebauten 140 Zweite Konferenz zur Erörterving der C'holerafrage. Teile des Kanalnetzes verzeichnet sind. Das ist, wie Sie sehen, noch verhältnismäßig wenig. Aber seitdem ist schon wieder viel getan und doch ist keine weitere Abnahme erfolgt. Also kann die Kanalisation nicht oder doch nur unerheblich zur Verbesserung der Choleraverhältnisse beigetragen haben. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß nicht an anderen Orten die Kanalisation einen sehr erheblichen Einfluß auf die Cholera aus- üben kann. Ich muß ja gerade von meinem Standpunkt aus den größten Wert darauf legen, daß die Dejektionen, in denen sich der Infektionsstoff befindet, möglichst rasch beseitigt und unschädhch gemacht werden, und das kann doch kaum besser geschehen als durch die Kanalisation. Aber die Verhältnisse liegen in Kalkutta ganz eigentümlich. Die Kanalisation kann gar nicht alles wegschaffen, was bei uns durch dieselbe weg- geschafft wird. Dort ist das Volk gewöhnt, die Bedürfnisse im Freien zwischen den Hütten, in den engen Gassen der Busthees, an den Rändern der Tanks zu verrichten und deswegen bleiben in Kalkutta trotz der Kanalisation eine Menge Fäkalien in der Stadt und gerade an solchen Stellen, wo sie mit Menschen wieder in Berührung kommen und Infektion bewirken können. Unter diesen Verhältnissen vermag die Kanalisation dort gar nicht dieselbe Wirkung wie in anderen Orten zu äußern. Übrigens lehrt auch ein Vergleich der Stadt Kalkutta mit den Vorstädten und dem Fort William, daß der Wasserver- sorgung in diesem Falle die maßgebende Rolle zugeschrieben werden muß. Um den Vergleich zwischen der Stadt und den Vorstädten zu erleichtern, lege ich Ihnen hier einige Tafeln vor, auf welchen in den Stadtplan die Cholerafrequenz mit Farbenschraffierung eingetragen ist. Zunächst mache ich Sie auf diese beiden Tafeln aufmerksam, von denen die eine die durchschnittliche Choleramortalität in Kalkutta für einen längeren Zeitraum (1851 — 1860) vor Einführung der Wasserleitung zeigt und die Stadt im dunkelsten Ton der Farbenskala erscheinen läßt, der einer Mortalität von 10 — 10,5 auf 1000 Einwohner entspricht. Auf der anderen Tafel ist dagegen die durch- schnittliche Mortalität aus den Jahren 1876 — 1882 gegeben und zwar für die einzelnen Stadtteile gesondert, weil für diesen Zeitraum die betreffenden Zahlen zur Verfügung stehen. Es wird Ihnen sofort der helle Farbenton dieses Planes auffallen und Sie werden bemerken, daß die Abnahme der Cholera sich ziemlich gleichmäßig über die ganze Stadt verteüt. Mit Ausnahme eines kleinen und isoliert gelegenen Bezirks, Hastings, welcher eine Mortalität von 5 — 5,5'^/oq erreicht, schwankt die Mortalitätsziffer zwischen 1 und 4''/oQ, ist also für diesen Zeitraum ungefähr auf ein Drittel herabgegangen. Bei Gelegen- heit der Demonstration dieser Tafel will ich nur beiläufig darauf hinweisen, daß, wie Sie aus diesen weiteren die Bevölkerungsdichtigkeit, die Verteilung der einzelnen Natio- nalitäten, die Zahl der Busthees darstellenden Tafeln ersehen wollen, diese Verhältnisse keinen wesenthchen Einfluß auf die Verteilung der Cholera in Kalkutta ausüben. Am meisten scheinen die Busthees, diese im Innern der Stadt befindlichen Hüttenkomplexe der Eingeborenen, eine Anziehungskraft auf die Cholera auszuüben. Gehen wir nun aber zur Betrachtung derjenigen Tafeln über, welche mit abge- stuften Farbentönen die Choleramortalität der Stadt und ihrer Vorstädte nebeneinander auf einem Plan und zwar für jedes Jahr von 1876—1883 zeigen, dann ergibt sich sofort der gewaltige Unterschied zwischen den von der Wasserleitung versorgten und den auf Tankwasser angewiesenen Stadtteilen. Die Vorstädte erscheinen noch in demselben dunklen Farbehton, wie die innere Stadt in der Zeit vor Eröffnung der Wasserleitung und zwar Jahr für Jahr. Wenn, wie im Jahre 1880, die Vorstädte einmal außergewöhnlich wenig Cholera haben, dann folgt die innere Stadt in gleichem Verhältnis, und es bleibt beständig ein gleichmäßiger Abstand in der Choleramortalität zwischen der Stadt und ihren Vorstädten. Nun tragen die Vorstädte keinen wesentlich anderen Charakter in bezug auf Bauart und Bewohner als der indische Teil der inneren Stadt. Letzterer, Zweite Konferenz zur Erörterung der Chulerafrage. 141 native town genannt, bildet den Hauptteil von Kalkutta ; er geht unmerklich in die Vorstädte über und hat in den Busthees dieselben Banibushütten und dieselbe arme dichtgedrängte Bevölkerung wie die unmittelbar daran grenzenden Teile der Vorstädte. Nach der Peripherie des städtischen Gebietes lösen sich auch die Vorstädte in Dörfer und einzelne Gruppen von Hütten auf, welche mit Gärten und Feldern wechseln und in sanitärer Beziehung entschieden besser gestellt sind, als die Busthees der inneren Stadt. Der Unterschied in der Stadt selbst zwischen der native town und dem europäischen Stadtteil ist in jeder und namentlich in sanitärer Beziehung ein immens großer und steht in keinem Verhältnis zu demjenigen zwischen der übrigen Stadt und den Vorstädten, ^ und dennoch ist der Unterschied der Choleramortalität im Innern der Stadt zwischen dem europäischen Viertel und dem indischen Stadtteil bei weitem nicht so auffallend als zwischen der indisclien Bevölkerung, welche die Stadt, und derjenigen, welche die Vorstädte bewohnt. Die Choleramortalitätsziffern werden fast ausschlieI31ich von der eingeborenen Bevölkerung geliefert. Dieselbe hat aber in der Stadt und in den Vorstädten dieselben Sitten und Gebräuche, ihr Wohlstand ist dort nicht größer als hier. Sie lebt auf einem Boden, welcher auf weite Strecken eine ganz gleichmäßige Beschaffenheit hat und in seiner Porosität Gehalt an zersetzungsfähigen Stoffen. Feuchtigkeit, Stand und Schwan- kungen des Grundwassers das gleiche Verhalten zeigt; sie atmen dieselbe Luft imd der- selbe Monsun weht über Stadt und Vorstädte. Bei dieser Gleichförmigkeit in allen Dingen macht nur die Wasserversorgung eine Ausnahme. Die Stadt mit ungefähr 400 000 Ein- wohnern erhält ein sehr gut filtriertes Flußwasser, das bei der bakterioskopischen Unter- suchung sich ebenso rein erwies, als unser Berliner Ltdtungswasser. Die Vorstadtbe- wohner, deren Zahl ebenfalls gegen 400 000 beträgt, entnehmen dagegen ihr Ti'ink- und Gebraiichswasser aus den bereits mehrerwähnten Tanks, welche gleichzeitig zum Waschen, Baden usw. benutzt werden, in welche die Abfallstoffe der umliegenden Hütten und speziell auch menschliche Fäkalien gelangen. Wenn also der einzige hier in Betracht kommende Unterschied zwischen den Bewohnern der iiuieren Stadt und der Vorstädte in ihrer Wasserversorgung besteht und \\'enn namentlich berücksichtigt wird, daß auch die städtische Bevölkerung bis zur Kinführung der Wasserleitung dieselbe hohe Cholera- mortalität hatte wie noch heutzutage die Vorstadtbevölkerung, dann lileibt nichts aiideres übrig, als die verbesserte Wasserversorgung der inneren Stadt als die Ursache der ( Hiolera- abnahme in derselben anzusehen. In Kalkutta selbst faßt man auch allgemein die Sache in diesem Sinne auf und geht mit der Absicht um, die Wasserleitung auf die Vorstädte auszudehnen. Damit würde das Experiment im großen, welches die Stadt Kalkutta mit ihrer teilweisen Wasserversorgung bietet, das gewissermaßen von den Vorstädten gelieferte Kontrollexperiment verlieren. Aber die Zeitdauer dieses Experimentes ist eine hinreichend lange gewesen, um jeden Einwand gegen die Beweiskraft desselben auszuschließen und es ist allerdings sehr wünschenswert, daß nach den günstigen Er- fahrungen in der inneren Stadt auch die Vorstadtbevölkerung von Kalkutta nunmehr der Wohltat einer guten Wasserversorgung teilhaftig werde, welche ihr unzweifelhaft auch eine erhebliche Herabminderung der Choleramortalität bringen wird. Einen weiteren eber^so unwiderleglichen Beweis für den Einfluß der Wasserver- sorgung auf die Cholera in Kalkutta liefert das in der Geschichte der Cholera so oft ge- nannte, inmitten von Kalkutta gelegene Fort William. In unserer ersten Konferenz habe ich Ihnen bereits mitgeteilt, daß dieses Fort in früheren Zeiten zu den gefürchtetsten Choleralokalitäten gehörte. Auf jenen Plan von Kalkutta, welcher die durchschnittliche Choleramortalität für die Zeit von 1851 — 1860 zeigt, erscheint das Fort noch im dun- kelsten Farbenton, einer Mortalität von mehr als lO^/^o entsprechend; auf allen übrigen 142 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. Plänen hat es den hellsten Farbenton, weil nur noch vereinzelte Fälle vorkommen. Letz- tere werden natürlich niemals fehlen, solange die Stadt Kalkutta und ihre Vorstädte, mit welchen die Besatzung des Forts in fortwährendem Verkehr steht, alljährlich mehrere tausend Menschen an Cholera verlieren. Es werden beständig einzelne Fälle eingeschleppt, aber sie bleiben jetzt isoliert, während sie früher oft zum Ausbruch von Epidemien Ver- anlassung gaben. Sie werden sich noch erinnern, daß ich diesen gewaltigen Wechsel in der Cholera- frequenz des Fort William den Verbesserungen in der Wasserversorgung zuschrieb, ' welche in der Mitte der sechziger Jahre begonnen habe und von unvollkommenen An- fängen sich immer mehr entwickelte, bis vor imgefähr 10 Jahren die Wasserleitung der Stadt auch in das Fort geführt wurde. Diese Auffassung stieß aber auf dieselben Einwände, welche man schon in bezug auf die Stadt Kalkutta gemacht hatte. Avich das Fort William sollte die Choleraimmu- nität nicht der Wasserversorgung, sondern anderen sanitären Verbesserungen verdanken. Dahin rechnete man Drainage und Reinhaltung des Bodens durch eine sorgfältigere Beseitigung der Abfälle, bauliche Veränderungen an einigen Kasernen u. dgl. Herr V. P e 1 1 e n k o f e r ist noch weiter gegangen. Er hat überhaupt die Richtigkeit meiner Angaben in Zweifel gezogen und gesagt, daß mir die Herren in Kalkutta nicht die volle Wahrheit gesagt hätten. Gegen derartige Zumutungen muß ich aber doch mit aller Entschiedenheit protestieren. Meine Informationen stützen sich ja nicht allein auf die Auskunft, welche mir von den in jeder Beziehung ausgezeichnet orientierten Ärzten und Offizieren des Fort William erteilt wurde, sondern in erster Linie auf meine eigenen Beobachtungen, und deren Richtigkeit läßt sich nicht so ohne weiteres anfechten. Man wird doch nicht bestreiten wollen, daß ich durch eigene Untersuchungen an Ort und Stelle ein zuverlässiges LTrteil über die Wasserversorgung und die Drainage des Fort William gewinnen werde, als wenn ich mich von hier aus auf die Angaben irgendeines Gewährsmannes verlassen wollte, der die betreffenden Verhältnisse von einem einseitigen Standpunkt aus beurteilt. Was würde wohl Herr v. Pettenkofer dazu sagen, wenn irgend jemand ihm entgegenhalten wollte, daß die Herren in Gibraltar und Malta ihm nicht die volle Wahrheit gesagt hätten und daß alle seine Angaben über die Cholera in Gibraltar und Malta unrichtig seien. Die Verhältnisse im Fort William liegen sehr einfach und sind ganz unzweideutig. In der Mitte der sechziger Jahre beginnt, wie auch Herrn v. Pettenkofers Ge- währsmann Dr. M o u a t zugibt, die bessere Wasserversorgung und gleichzeitig damit die Choleraabnahme. Die Drainage des Fort besteht in einfachen oberflächlichen Rinnsteinen und wenn von einer Verbesserung dieser Drainage die Rede ist, dann meint man damit, daß noch einige Rinnsteine mehr angelegt oder die vorhandenen gereinigt sind. Die städtische Kanalisation bleibt vom Fort, wie Sie auf diesem Plane sehen können, so weit entfernt, daß dieselbe gar keinen Einfluß auf den Untergrund des Fort auszuüben vermag. Das Fort selbst hat, wie ich mich persönlich überzeugt habe, auch keine Spur von Kanali- sation. Alle Rinnsteine bleiben auf der Bodenoberfläche, und das kann man doch nicht eine Drainage in dem bei uns gebräuchlichen Sinne des Wortes nennen. Es kann hier nur ein Mißverständnis obwalten infolge einer unrichtigen Auffassung dessen, was die Engländer als surface-drainage bezeichnen. Wir nennen doch nicht ein Dorf, welches Rinnsteine hat, kanalisiert. (Herr v. Pettenkofer: halb !) Ich nenne ein solches Dorf nicht halb, sondern gar nicht kanalisiert, und so hat auch das Fort William weder eine ganze noch eine halbe Kanalisation oder Drainage. Die Verbesserungen an den Rinnsteinen können aber auf Reinhaltung des Untergrunds schon aus dem Grunde Zweite Konferenz zur Erörterung der ( iholeratrage. 143 keinen großen Kinflul] ausgeübt liaben, weil sie sämtlich in den Festungsgraben münden. Dieser zieht sich rings um das Fort. Alle flüssigen Abgänge aus dem Fort gehen in den Graben. Auch eine große Anzahl Latrinen entleeren ihren Inhalt in denselben. Der Graben ist sehr tief und trennt deswegen den Untergrinid des Fort von dem der Um- gebung. Das Grundwasser muß also in seinen Schwankungen auf dem besc) tränkten Terrain des Forts von dem .Stand des Grabens, welcher aus dem Hughli-Fluß gespeist wird, abhängig sein und der Untergrund des Forts muß von dem an zersetzungsfähigen Stoffen reichen Wasser des Festungsgrabens und des Hughli-Flusses durchtränkt sein. Diese Verhältnisse sind so gewesen, seitdem das Fort gebaut ist, einige Rinnsteine mehr oder weniger, eine bessere Beseitigung des trockenen Unrats und Verbesserung an den Kasernen können daran nichts ändern, und es bleibt dabei, daß die einzige sanitäre Verbesserung im Fort William, durch welche es choleraimmun wurde, die Wasserver- sorgung ist. Ich möchte aber noch besonders bemerken, dafi ich nicht etwa der Meinung bin, daß das Rezept, welches dem Fort William geholfen hat, jedem beliebigen anderen Orte auch helfen müßte. Das Fort William befindet sich infolge seiner abgeschlossenen Lage, der gleiciunäßigen Verpflegung seiner Besatzimg usw. in so eigenartigen Verhältnissen, daß in diesem Falle eine Anzahl anderer Infektionsgelegenheiten nicht zur Geltung kommt und daß deswegen die Wasserversorgung eine so mächtige Rolle spielen kann. Das Beispiel von Kalkutta und vom Fort William steht in Indien nicht etwa ver- einzelt da. Auch andere Städte haben eine Wasserleitung erhalten und haben infolge- dessen eine ganz bedeutende Abnahme der Cholera erfahren. Ich lege Ihnen hier graphische Darstellungen der Choleramortalität von Bombay, Madras und Nagpore vor. Die Einführung der Wasserleitung ist dui-ch einen roten Strich bezeichnet. Sie überzeugen sich, daß auch in diesen Städten von dem Zeitpunkte der besseren Wasserversorgung die Cholera in einer erstaunlichen Weise abgeno innren hat. In Madras und Bombay haben nur die Hungerjahre einmal höhere Mortalitätsziffern geliefert. In bezug auf Nagpore hatte man das Sinken der Cholera auf eine allgemeine Abnahme der Krankheit im ganzen Distrikt zurückführen wollen, aber ein Vergleich zwischen Stadt und Distrikt, welcher graphisch auf dieser Tafel gegeben ist, lehrt sofort, daß die Cholera früher im Distrikt geringer war als in der Stadt, seit Einführvuig der Wasserleitung dagegen bedeutend stärker im Distrikt ist. Bombay erhielt am frühesten, bereits im Jahre 1860, eine Wasserleitung. Das Vorurteil der eingeborenen Bevölkerung gegen die Neuerung soll anfangs sehr groß gewesen sein und daher mag es wohl kommen, daß die Wirkung auf die Cholera erst nach einigen Jahren sich geltend machte. Ich habe noch eine andere indische Stadt hier zu erwähnen, nämlich Pondichery. Ich hatte Ihnen früher mitgeteilt, daß daselbst die Cholera verschwunden sei, nachdem man artesische Brunnen angelegt und die Stadt auf diese Weise mit gutem Wasser ver- sorgt hatte. Wie fast alle meine Angaben, so hat auch diese energischeir Widerspruch erfahren. Man hat es in diesem Falle ebenso wie beim Fort William gemacht und hat, wenn man mir selbst nichts anhaben konnte, meine Gewährsleute der Unwahrheit be- schuldigt, allerdings hier ebenso grundlos wie dort. Eine Kommission, welche von der Societe nationale de medecine de Marseille ernannt war, um Untersuchungen über Cholera anzustellen, sprach sich nämlich dahin aus, daß ich ,, durch die Angaben der offiziellen oder offiziösen englischen Behörden irre geleitet sei; die ('holera sei nicht aus Pondi- chery verschwunden, sondern habe noch im Jahre 1884 heftiger als früher, und zwar gerade in dem mit artesischen Brunnen versehenen Stadtteil geherrscht.'' Mein Gewährsnrann war in diesem Falle kein englischer Beamter, sondern der Chef du Service de Sante de Pondichery , aus dessen Bericht an den Directeur 144 Zweite Konferenz zur Erörterung der C'holerafrage. de rinterieur de Pondichery ich als einfachste Antwort und Widerlegung der Behauptung jener Kommission folgende Sätze zitiert: „C'est presqu' entierement dans les villages environnants, oü il n'existe ni eau provenante de Moutirepaleon, ni eau fournie par des puits artesiens, qu'il faut attribuer les deces choleriques. Jusqu'ä ce jour, on n'a constate que des cas isoles et eloignes dans la ville proprement dite de Pondichery , abondamment pourvue des eaux citees plus haut. II est aussi ä remarquer que, parmi les villages environnants, ce sont ceux qui sont pourvus de puits artesiens, qui ont ete jusqu'ici indemnes, pour ainsi dire, de l'infection choleriques." Zum Schluß will ich noch auf Alexandrien und Kairo, welche beide mit Wasser- leitung versehen sind, bezüglich des Verhaltens zur Cholera aufmerksam machen; ich werde mich jedoch wegen der vorgerückten Zeit ganz kurz fassen. Hier sind nebeneinander die Cholerakurven der Epidemien von 1865 und 1883 sowohl für Alexandrien, wie für Kairo graphisch dargestellt. Im Jahre 1865 hatten beide Städte sehr heftige Epidemien. Nach dieser Zeit erhielten sie beide Wasserleitung. Die nächste Epidemie, 1883, verlief in Alexandrien sehr gelinde, wie diese niedrige Kurve anzeigt ; in Kairo dagegen ist die letzte Epidemie ebenso mörderisch gewesen wie die vom Jahre 1865; die Kurven beider Jahre sind fast gleich. Was hat nun der Stadt Kairo die Wasserleitung genützt ? so wird man fragen. Höchst wahrscheinlich würde sie ihr genützt haben, wenn die Anlage eine bessere wäre. Die Wasserleitung von Kairo kann als ein höchst lehrreiches Beispiel dienen, wie ein Wasserwerk nicht beschaffen sein darf, wenn es gegen Cholera nützen soll. Die Stelle für die Wasserentnahme befindet sich nämlich im Ismailiakanal neben der Brücke, welcher von Kairo nach der Vorstadt Boulacq führt. Als ich diese Stelle besuchte, bot sich mir ein Anblick dar, der mich glauben ließ, daß ich nach Indien zurückversetzt sei. Am Ufer des Kanals, dicht bei dem Saugrohr, Avuschen Leute aus Boulacq schmutzige Wäsche, andere badeten im Kanal, und reich- liche Spuren von Fäkalien an den Böschungen des Kanals deuteten noch schlimmere Verunreinigungen des Wassers an. Zur Zeit der Cholera sollen die Zustände ganz dieselben gewesen und auch vielfach Cholerawäsche aus Boulacq dort gewaschen sein. Nun ist allerdings das Wasserwerk mit Filtern versehen und das Wasser soll eigentlich in filtriertem Zustande geliefert werden; dies geschieht aber in so unvollkommener Weise, daß, wie mir zuverlässige Personen versicherten, bisweilen in den Häusern mit dem Leitungs- wasser kleine Fische zum Vorschein kommen. Eine solche Wasserleitung ist nicht ge- eignet, die Cholerainfektion abzuhalten. Sie muß vielmehr als eine Beförderung derselben angesehen werden. Dieser Fall erinnert unwillkürlich an die Choleraepidemie in London vom Jahre 1866, welche sich in so auffallender Weise auf den Versorgungsbezirk der East London Water Works beschränkte. Man hat sich damals auch lange darüber gestritten, wie es gekommen sein sollte, daß aus dem stark verunreinigten Lea-Fluß der Infektions- stoff in die Wasserleitung gelangte. Endlich brachte man aber in Erfahrung, daß in einzelnen Häusern in der Wasserleitung Aale gefunden waren, und da war es natürlich sofort klar, daß auf demselben Wege, welchen diese Fische gefunden hatten, auch ein Infektionsstoff ins Trinkwasser geraten kann. Eine Wasserleitung an und für sich genügt also noch nicht, um Cholera abzuhalten, es muß vor allen Dingen eine gute Wasserleitung sein. Günther macht einige Mitteilungen über die Erkrankungen der sächsischen Ärzt«, Kranken- wärter und Leichenwäscherinnen während der Choleraepidemie. ,,Bei der Epidemie von 1873, bei welcher in 52 Orten 365 Todesfälle vorkamen, ist von 50 Ärzten keiner gestorben, 3 waren leicht erkrankt. Im Jahre 1866 bei unserer größten Epidemie, wo im Begiervxngsbezirk Zwickau 2638 Tote an 118 Orten vorkamen, ist von 150 Ärzten, die mit Cholerakranken zu tun hatten, auch nicht ein einziger gestorben. Bei der Epidemie von 1865, die 465 Todesfälle in 25 Orten ergab, ist kein Arzt Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. 145 erkrankt und gestorben. Was die Krankenwäi-ter anlangt, so waren bei der Epidemie von 1873 10 männliche und weibliche Personen mit der Kranlcenpflege beschäftigt; keiner davon ist erkrankt. Bei der Epidemie von 1866 sind 7 männliche und 4 weibliche Krankenvrärter, im ganzen also 11 ge- storben. Bei der Epidemie von 1865 sind nur 3 Personen (1 m. 2 w.) gestorben, die sich mit der Krankenpflege beschäftigten. Ich komme nun zw den Personen, die sich mit dem Transport der Kranken beschäftigt haben. Bei der Epidemie von 1873 waren es 70 Personen, die sich mit dem Transport der Kranken ins Krankenhaus, mit dem Desinfizieren der Effekten usw. beschäftigten. Von diesen 70 sind 2 gestorben. Von 50 Totengi'äbern ist in der Epidemie von 1873 keiner gestorben, in der Epidemie von 1866 starb von 112 Totengräbern einer, das ist also nicht ganz 1%. Wenn man das vergleicht mit andern Berxifsarten, von denen die Menge der Lebenden festgestellt ist, so ist das ein sehr günstiges Verhältnis. So sind z. B. von 6000 Kolilenbergarbeitern 428 = 7,1% erkrankt \md 161 = 2,7% gestorben, von 2000 Eisenhüttenarbeitern 35 = 1,8% erkrankt und 18 = 0,9% gestorben. Die Leichenwäscherinnen haben sich bei den Epidemien verschieden verhalten. Bei der Epidemie von 1873 sind 50 Leichenwäscherinnen tätig gewesen, es ist aber keine erkrankt und keine gestorben. Bei der 1866er mid 1865er Epidemie waren die Verhältnisse ungünstiger, doch glaube ich, daß das hauptsächlich darin seinen Grund gehabt liat, daß früher im Regierungsbezirk Zwickau, namentlich im Gebirge, die Unsitte herrschte, daß die Leichenwäscherinnen die Leibwäsche der Verstorbenen an sich nahmen \md gewöhnlich nicht gleich wuschen, sondern sie zunächst in den Winkel legten und später wieder hervornahmen. Bei der Epidemie von 1865 sind 4 von 25 gestorben = 16 %. Im Jahre 1866 sind von ca. 112 Leichenwäscherinnen, die in den befallenen Orten beschäftigt waren, 14 gestorben = 12 y2 %." Günther geht dann auch auf die Streitfrage über den Einfluß des Lehms auf die Verbreitung der Epidemien ein. V. P e 1 1 e n k o f e r beschäftigt sich eingehend mit einem im Lancet 1884 Nr. 24 erschienenen, von G a f f k y in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift referierten Artikel des Generalarzt Dr. d e R e n z y, nach dem das Erlöschen der Choleraepidemie im Port William ausscliließlich von der Verbesserung der Wasserversorgimg abgeleitet worden sei. Er liält das Fort William unmöglich für ein regelrechtes Experiment, bei dem alle Möglichkeiten bis auf das Trinkwasser ausgeschlossen seien. Nicht nur durch die Sorge für" besseres Wasser, sondern dm'ch eine ganze Reihe anderer Maß- regeln sei das Fort ]Milliam zu einem Muster von Reinlieit gemacht worden. Er fährt dann fort: ,,Ein Hauptbeweis gegen die Aimehmbarkeit der Trinkwassertheorie ist die Abhängigkeit der Choleraepidemien von der Jahreszeit in mid außerhalb Indiens. Einzelne Cholerafälle kommen zu jeder .Jahreszeit vor, ja selbst Ortsepiclemien, — micl wenn eine Epidemie auslnicht, sei es im Sommer oder Winter, so kann man, da man um einzelne der Epidemie vorausgehende Cliolerafälle nie in Verlegenheit kommen kann, ja annehmen, daß stets auch eine Spm' von einem Cholerastuhle ins Trinkwasser gekonmien sein könnte. Aber man hat vom epidemiologischen Standpunkte aus doch auch zu untersuchen, ob die Frequenz dieser angenommenen Möglichkeit sich mit der tatsäcliUchen Frequenz der Epidemien einigermaßen deckt, mit anderen Worten, ob man das Tinkwasser an Stelle der lokalen zeitlichen Disposition setzen kann. Wo und so oft man eine Untersuchung in dieser Rich- tung anstellt, zeigt sich die Trinkwassertheorie unhaltliar. B r y d e n, J a m e s C u n i n g h a m, L e w i s, D o u g 1 a s, C u n n i n g h a m, M a r s t o n, M o u a t u. a., welche die örtliche und zeithche Verbreitung der Cholera in Indien einem eingehenden Studium unterzogen haben, haben hierauf schon wiederholt hingewiesen. Sehr schlagende Beispiele gil)t James Cuningham wieder in seinem neuesten Buche ,, Cholera": what can The State do to Prevent it pag. 90, wo er die Wasserversorgung von Kalkutta, von Fort W^illiam, von der Stadt Nagjiur in den Zentralprovinzen und der Auswandererschiffe nach Assam bespricht, welche gewöhn- lich von den Trinkwassertheoretikern zugunsten ihrer Ansicht angeführt werden. Cuningham ist selbstverständlich der nämlichen Ansicht wie ich, daß nändich eine genügende Versorgung mensch- licher Wohnplätze mit gutem reinem Wasser ein großer Segen ist und einen gi-oßen hygienischen Wert hat, aber er hält ebenso wie ich reines Trinkwasser für kein Specificum prophylacticum gegen Cholera luid andere Infektionskrankheiten. Als Beweis stellt er die monatUche Cholerafrequenz (Todesfälle) in den Jahren 1881, 1882 und 1883 in der Stadt (City) Kalkutta, die seit einiger Zeit mit filtriertem Plußwasser versorgt ist, und in den Vorstädten (suburbs) von Kalkutta, welche ihre alte Wasserversorgimg aus Teichen (tanks) beibehalten haben, einander gegenüber, (Tabelle umstehend) Aus umstehender Tabelle ist zunächst zu ersehen, daß der monatliche und jährliche Cholera- rhythmus in Kalkutta auch in neuester Zeit noch derselbe ist, wie ich ihn für frühere Zeiten aus den Mitteilungen Macphersons über die von 1838 bis 1864 erfolgten Cholerafälle gefiinden hattet, das ^) Siehe meine: Cholera in Indien. Braimschweig, Vieweg 1871. v. Pettenkofer. Koch, Gesammelte Werke. 55 146 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. Maximum fällt auch jetzt noch immer in die heiße und trockene Zeit (März und April) und das Mini- mum in die Regenzeit (Juni bis September). Cholerakranke sind immer vorhanden, und von ihren Ausleerungen kann gerade zur Regenzeit am leichtesten etwas ins Trinkwasser gespült werden, und doch kommt die meiste Cholera in der trockensten Zeit vor, wo die Konmiabazillen durch Aus- trocknung in großer Zahl zugrimde gehen. Choleratodesfälle in der Stadt Kalkutta den Vorstädten Kalkutta von 1881 1882 1883 1881 1882 1883 Januar 63 904. 95 145 300 Februar .... 72 III 129 122 150 229 März 227 170 227 341 223 866 April . . . . ; 370 318 490 343 231 303 Mai 138 380 .393 85 331 246 Juni 36 254 130 36 187 139 .JuU 49 54 38 35 51 46 .\ugust .... 59 52 38 70 46 21 September . . . 80 38 38 79 74 52 Oktober .... 100 91 162 103 172 139 November .... 232 232 103 234 210 195 Dezember .... 267 411 85 336 529 141 Summe 1693 2240 2037 1879 2349 2177 pro Mille der Ein- wohner . . . 3,9 •5,1 4,7 7,4 9,3 8,6 Dann ersieht man, daß der Cholerarhythmus in der City und in den Vorstädten ganz der gleiche ist. Wer möchte annehmen, daß im gleichen Maße stets mehr oder weniger Cholerastühle ins Trink- wasser gelangen, sowohl in das filtrierte Plußwasser, welches von einer großen Anzahl Personen gleichzeitig gemessen wird, als auch in die einzelnen isolierten Teiche, aus welchen die Umwohner nicht nur trinken, sondern in welchen sie auch waschen und baden. Ein Unterschied zwischen City tmd Vorstädten besteht nur insofern, als die Cholera in ersterer verhältnismäßig viel weniger Opfer fordert als in letzteren. In den Vorstädten sterben etwa nochmal so viel Menschen an Cholera als in der Cyti. Da aber die Cholerafrequenz in Kalkutta überhaupt keinen Zusammenhang mit dem Trinkwasser verrät, so muß man auch für diese Differenz andere Ursachen suchen. Um diese zu finden, braucht man gar nicht weit zu gehen, es wird in Kalkutta sein wie bei uns, daß die Wohlhabenden, welche vorwaltend in der City wohnen, viel weniger von epidemischen Krankheiten zu leiden haben, als das Proletariat, das in den Vorstädten angehäuft ist. Cuningham macht darauf aufmerksam daß die Cholerafrequenz in Kalkutta infolge mehrerer sanitären Verbesserungen, nicht bloß infolge der Einführung eines besseren Trinkwassers gegen früher allerdings wesentlich abgenommen habe, doch aber immer noch enorm schwanke und zeitweise Höhen erreiche, wie sie auch vor Einführmig des filtrierten Flußwassers dagewesen seien, z. B. betragen die Choleratodesfälle im Jahre 1882 in der City 2240 imd im Jahre 1868 — vor Einführung der Wasserleitung — seien es 2270 gewesen, ja im Jahre 1884 sind in den ersten 9 Monaten sogar wieder 4148 an Cholera gestorben. Seit 1881 ist die Cholera in Kalkutta wieder im Steigen begriffen, imd behaupteten deshalb jüngst einige, das könne nur von Vernachlässigung der sanitären Einrichtungen herrühren. Es wurde deshalb eine Kommission berufen, die Verhältnisse zu untersuchen. Mir liegt ein Bericht des Herrn H. J. S. C o 1 1 o n , eines Mitghedes der Stadtverwaltung, vom 8. Januar 1885 vor, worin auf Grund der gepflogenen Untersuchungen ausgesprochen wird, daß die Cholera rücht infolge Vernachlässigung der sanitären Einrichtxmgen oder Verschlechterung des Trinkwassers sich vermehre, sondern weil in Niederbengalen und der nächsten Umgebung Kalkuttas die Cholera sich überhaupt vermehre: es gehe eben eine „Cholerawoge" übers Land, von der auch Kalkutta nicht verschont bleibe, sie werde vorübergehen und wieder bessere Zeiten kommen. „Das Resultat dieser Untersuchung", schließt der Bericht, „ist für die Sanitätsverwaltimg von Kalkutta sehr günstig und ermutigt die städtischen Behörden fortzufahren imd in der Richtimg sanitärer Verbesserungen auszuharren." Es verlohnt sich der Mühe, die Cholerasterblichkeit in der Stadt Kalkutta, in ihren Vorstädten und der Stadt Hourah, die ziemlich gegenüber Kalkutta am anderen Ufer des Hugli liegt, welche Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. 147 Cotton von 1877 bis 1884 in seinem Bericht mitteilt, näher anzusehen. Auf pro Mille der Ein- wohner berechnet ergibt sich: 1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 Vorstädte .... 7,84 9,19 7,27 3,87 7,66 9,82 8,65 11,20 Hourah 4,46 6,28 4,05 2,21 5,0 6,32 6,18 8,40 Kalkutta .... 3,30 3,1 2,7 1,8 3,9 5,11 4.70 6,24 Am besten geht es inmier in der Stadt Kalkutta, dann kommt Hourah und am schlechtesten ist es immer in den Vorstädten Kalkvittas. Wer sich die Mühe nimmt, die Zahlen in Kurven aufzu- tragen, wird von der Regelmäßigkeit der Ab- und Zunahme der Cholerafreqirenz an allen drei so ver- schiedenartigen Punkten üljerrascht sein. Das Mittel der monatlichen Choleratodesfälle in Kalkutta und den Vorstädten .stellt sich wie folgt: aus den .Jahren Januar Februar März April Mai Juni Juli CO br < September Oktober November Dezember Stadt Kalkutta 1838—63 275 359 556 745 513 243 153 132 151 239 320 317 Stadt Kalkutta und Vorstädte 1881-83 309 268 451 652 524 361 91 95 120 256 402 589 Aus dem Berichte von Cotton ersieht man auch, daß es in Indien ebenso wie bei uns Ärzte mit vorgefaßten Meinungen gibt. Als Cotton, der nicht Arzt ist, auf die Idee kam, daß die Cholera seit 1881 von anderen Ursachen als von einer Versclilechterung der sanitären Verbesserungen her- rühren könnte, wandte er sich an Dr. P a y n e , ein« Airtorität in Kalkutta, imi Aufklärimg und die Mittel zum Nachweise, erhielt aber die Antwort ,,daß er (Dr. P a y n e) keinen Augenblick eine all- gemeine Verursachung von Cholera zugebe". Als Cotton, als Mitglied der Kommission, in ihn drang, schrieb er, ,,daß er solche Einflüsse wohl für Wechselfieber zugäbe, daß aber dieser Beweis, betreffs Cholera keine Berechtigung habe", und als noch weiter in ihn gedrungen wurde, und zwar auf Grund der Erklärung, welche Dr. P a y n e selbst, als Gesundlreitsbeamter der Stadt, von der ungewöhnhchen Sterblichkeit an Fieber gegeben habe, antwortete er mit einiger Hitze, ,,daß da Tatsachen und Umstände ganz verschieden seien. Die Erklärung, die auf das eine passe, könne keine Anwendung auf das andere finden. Er lehne es ab, auf weitere derartige Fragen zu antworten. Solche elende Sophistereien seien der Beamten, welche eine gewichtige Frage über Leben imd Tod diskutieren, ganz und gar unwürdig". Nachdem Dr. Payne Herrn Cotton auf diese Art hatte abfahren lassen, wandte dieser sich an den Sanitary Conmiissioner mn das nötige statistische Material und konnte nun sagen: ..Die statistische Untersuchung, welche ich durch die Güte des Sanitary 6om- missioner zu machen imstande war, zeigt, daß selbst eine hervorragende Autorität, wie Dr. Payne ist, in solchen Dingen eine falsche Ansicht haben kann, denn sie beweist (wie die Gemeindevertretung von Kalkutta schon erklärt hatte, daß es der Fall sei), daß das Eintreffen der Cholerawoge Jahr für Jahr von der epidemischen Intensität regiert wird. Sie beweist, daß das, was Dr. P a y n e als elende Sophistereien hinstellte, Tatsachen sind." Nun können aber che europäischen Trinkwassermänner immer noch sagen: Das mag in Indien so sein, wo die Cholera inmier zu Hause ist, aber bei uns ist es anders, und von der Eichtigkeit unserer Theorie dürfen wir kraft der schönen Übereinstimmxmg gar mancher Tatsachen damit überzeugt sein: und dann kann man auch noch sagen, der Beweis in Indien ruht auf einer statistischen Unter- suchung, luid jedermann weiß, wie unvollkommen die indische Statistik ist. Mir erscheint es deshalb nicht überflüssig, zu zeigen, daß die Cholera keine andere wird, als wie sie in ihrer Heimat ist, wenn sie auf Reisen geht, und auch nachzuweisen, daß sich die Cholera statistisch bei uns in Deutschland, wo die Cholerastatistik ja nur von approbierten Ärzten ausgeht, geradeso mid nur noch viel deut- licher als in Kalkutta ausspricht. 55* 148 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. Ich habe schon öfter auf den zeitUchen Verlauf der Cholera im Königreich Preußen hingewiesen, welchen Braus er von 1848 bis 1859 nach Monaten^) dargestellt hat, während welcher Zeit die Cholera jedes Jahr, wenn auch mit sehr verschiedener Stärke und in verschiedenen Provinzen gegen- wärtig war, wo also Preußen geradeso wie Indien als Choleraland angesehen werden muß. Dann hat Regierungsmedizinalrat Dr. P i s t o r sämtUche Cholerafälle im Regierungsbezirke Oppehi von 1831 bis 1874 nach Monaten^) zusammengestellt. Das gleiche ist vom Geheimen Medizinalrat Dr. Günther für das Königreich Sachsen von 1836 bis 18743) geschehen. Endlich hat erst jüngst atif mein Ansuchen Obermedizinalrat Dr. v. Kerschensteiner sms den Akten alle CholerafäUe nach Monaten zusammenstellen lassen, welche im Königreiche Bayern von 1836 bis 1874 zur Anzeige gekommen sind. Alan sieht, wie diese epidemiologischen Tatsachen in verschiedenen Ländern, von verschiedenen Porschern, zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umständen erhoben wurden, und es wäre doch ^vunderbar, wexm sie überall und immer nur aus bloßem Zufall das gleiche aussagen würden, wie aus der folgenden Tabelle hervorgeht, in welcher ich mit dem April, in welchen Monat durch- schnittlich das Minimum von Cholera in Deutschland fällt, beginne. Choleratodesfälle im Königreich Regierungs- Königreich Königreich Preussen bezirk Oppeln Sachsen Bayern 1848—1859 1831—1874 1836—1874 1836—1874 April 112 257 38 Mai 446 358 2 7 Juni 4 392 676 45 2 Juli 8 480 865 372 39 August 33 640 3 825 1 964 3 306 September .... 56 561 5 368 4167 4 661 Oktober 35 271 5 173 2 401 1 298 November .... 17 530 3 241 572 891 Dezember .... 7 254 1 295 262 1 057 Januar 2 317 334 17 555 Februar .... 842 274 4 132 März 214 166 73 Summe aller Fälle 167 059 21 332 9 806 12 059 Bevölkerung 17 739 913 1 077 663 2 122 148 4 615 748 pro Mille 9,41 19,79 4,67 2,60 Die Zahlen in dieser Tabelle sprechen von selber so deutüch und laut für eine zeitliche Dis- position, daß ich kaum etwas hinzufügen kann, und sie sprechen noch viel lauter als die Zahlen aus Indien, aus dem einfachen Grunde, weil in Deutschland die kümatischen Unterschiede zwischen den einzelnen Monaten des Jahres viel größer als in Indien sind. Im Regierungsbezirke Oppeln, wo seiner nordöstlichen Lage entsprechend, diese Differenzen etwas kleiner werden, und wo die örtUche Disposition für Cholera hoch entwickelt ist, ist auch die Differenz zwischen Cholera-Minimum und Maximiun am kleinsten, nur 1: 32; in anderen Gegenden ist sie viel größer, und zwar in ganz Preußen 1: 505, in Sachsen 1: 4167, in Bayern 1: 2330, während sie in Kalkiatta durchschnittlich nru" 1: 5,6, in Bombay 1 : 4,9 und in Madras 1 : 3,3 ist. Zwischen dem Regierungsbezirke Oppeln vmd dem ganzen Königreiche Preußen herrscht ein ähnlicher Unterschied, wie zwischen dem endemischen und epi- demischen Choleragebiete in Indien oder zwischen den Vorstädten und der Stadt Kalkutta. Daß unter den khmatischen Einflüssen nicht die Temperatur das Entscheidende sein kann, spricht sich ganz unzweifelhaft schon in den Winterepidemien bei uns aus. Daß im Sommer und im Herbst bei uns die Cholera besser gedeiht als im Winter imd namentlich im Frühjahr, muß daher ganz andere Gründe haben. Daß die Temperatur nicht der regierende Faktor ist, zeigt sich sowohl in Indien als auch bei uns. In Bombay xmd Kalkutta ist der Unterschied der Temperatur der Monate, ^) Statistische Mitteilungen über den Verlauf der Choleraepidemien in Preußen von H. B r a u - s e r, Geheimer Registrator im Ministerium. Berlin bei Hirschwald, 1862. ^) Bericht der Cholerakommission für das Deutsche Reich. 6. Heft. Berlin bei Heymann, 1879. 3) Ebendaselbst. 3. Heft. Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage 149 in welche Minimiim und ^laximum der Cholera fallen, höchst unbedeutend, ^Minimum z. B. in Bombay im September 27,1» C, Maximum im April 29,1» C. Madras hat 2 Minima und 2 Maxima in der jährlichen Cholerasmnme, und da fällt ein Maximum in den August, das andere in den Januar, der auch dort der kälteste Monat im Jahr ist. Wenn man in obiger Tabelle die durchschnittliche Cholerabewegung in Preußen, Sachsen und Bayern miteinander vergleicht, so sieht man, daß sich Bayern wesenthch von Preußen mid Sachsen unterscheidet, es fällt zwar auch in Bayern das Maximmn in den September wie in allen deutschen Ijanden, aber der Rückgang Iiis zmn April ist nicht so regelmäßig und steil, wie z. B. in Sachsen. Und das rühit wesentlich von den zwei Winterepidemien her, welche München 1836/37 und 1873/74 gehabt hat. Daß von den klimatischen Einflüssen die Bodendurchfeuchtmig und ihr Wechsel (die Gruiid- wasserverhältiiisse ) eine Hauptrolle spielen, konnte ich schon wiederholt für Indien und Bayern nachweisen, und beharre ich auch jetzt noch entschieden auf meiner Ansicht, doch will ich hier darauf nicht eingehen, sondern nur noch darauf aufmerksam machen, ein welch mächtiger lokaler Einfluß im großen hervortritt, wenn man die Cholerafrequenz in einzelnen Ländern wieder in kleinere Bezirke zerlegt. Bs ist bei ims auch in dieser Beziehung garadeso wie in Indien, wo die Empfänghchkeit der einzelnen Orte und Distrikte für Cholera von jeher eine sehr verschiedene war, w-o es auch immune Städte und Distrikte gibt, z. B. Multan und Montgomery, welche, auch nachdem sie Verkehrszentren dm'ch Eisenbahnen geworden sind, es noch nie zu einer Choleraepiclemie gebracht haben. In den folgenden beiden Tabellen findet sich die Cholerafrequenz von Sachsen und Bayern in die einzelnen Regierungs- bezirke zerlegt, und damit man sehen kann, daß die großen und kleinen Zahlen für Cholera nicht mit der Größe der Bevölkerung zusammenhängen, habe ich die Einwohnerzalilen beigesetzt, absicht- lich nicht nach den neuesten Zählungen, weil die Cholerazahlen aus der Zeit von 1836 bis 1874 stammen, sondern für Sachsen nach der Zählung von 1861 und für Bayein nach der von 1858, w-elches Jahr auch für die in der vorhergehenden Tabelle aufgeführte Bevölkerung von Preußen, Oppeln, Sachsen und Bayern gewählt wurde. Choleratodesfälle im Königreich Sachsen von 1886 bis 187 4. Eegierungs- Regierungs- Regierungs- Regierungs- bezirk bezirk bezirk bezirk Dresden Leii»zig Zwickau Bautzen Einwohnerzahl .583 213 506 294 827 245 308 488 April Mai 1 1 37 7 1 Juli 141 143 7 41 August 339 1 340 66 219 September .... 271 2 372 1 015 509 Oktober 112 823 I 281 185 November .... 66 48 .399 59 Dezember .... 13 2 247 Januar 17 Februar .... 4 Miü-z Summe 980 . 4 736 3 037 1 013 pro Mille der Ein- wohner . . . 1,68 9,35 3,67 3.25 (Tabelle von Bayern umstehend) Diese Tabellen von Sachsen und Bayern sind höch.st lehrreich, .sie zeigen, -wie verschieden empfänglich die einzelnen Regierungsbezirke sind. In jeden WTirde die Cholera gebracht. Die Kon- tagionisteu nehmen an, daß ein einziger eingeschleppter Fall hinreiche, um eine Epidemie hervor- zurufen. An Samen hat es nirgends gefehlt und doch ist in dem langen Zeitramne von 1836 bis 1874 kein Ausgleich zwischen den Monaten erfolgt. In Sachsen hat gerade der Regierungsbezirk Dresden mit der großen Stadt Dresden die geringste Disposition gezeigt, nur 1,68 pro MUle, während der Regierungsbezirk Leipzig 9,35 pro ^lUle ergibt. In Bayern zeigen die meisten Regierungsbezirke eine noch viel geringere Disposition für Cholera, als die in Sachsen. Oberbayern mit der großen Stadt München zeigt nur eine etwas höhere Disposition (10,41) als der Regierimgsbezirk Leipzig (9,35), Schwaben mid Neuburg (3,58) etwa 150 Zweite Konferenz zur Erörterung der €holerafrage. wie Zwickau (3,67) und Bautzen (3,25), Unterfranken und Aschaffenburg etwa wie Dresden, die übrigen fünf Kreise haben sämtüch weniger als 1 pro Älille, Oberpfalz und Oberfranken sogar nur 0,17 und 0,14. Choleratodesfälle im Königreich Bayern von 1836 bis 187 4, Ober- bayern Nieder- bayern Pfalz Oberpfalz VI. Regens- burg 1 Ober- franken Mittel- franken Unter- franken u. Aschaffen- burg Schwaben und Neuburg Einwohnerzahl 757 989 567 001 595 129 479 341 509 770 537 492 598 543 570 492 April Mai ...... Juni Juli August September .... Oktober November .... Dezember .... Februar März 34 1 1 11 1 971 2 770 537 812 1 023 536 127 73 — 32 144 124 18 8 13 2 4 6 4 33 134 219 2 — 13 25 18 — 9 48 15 l 1 93 229 72 50 19 4 — 22 423 316 18 1 1 732 995 295 9 7 1 3 Summe pro Mille der Ein- wohner .... 7 896 10,41 .341 0,60 402 0,67 56 0,17 72 0,14 469 0,85 780 1,30 2 043 3,58 Von Interesse ist auch noch, daß Distrikte, welche sich für Cholera empfänglich zeigen, aller- dings das Maximum in den Monaten der warmen Jahreszeit zeigen, daß die Cholera aber doch nicht ganz gleichzeitig auftritt. Im Eegierungsbezirk Dresden weist die Cholera das Maximrmi im August, in Leipzig und Bautzen im September, in Zwickau im Oktober. In Bayern i.st es ähnlich mit der ein- zigen Ausnahme von Oberbayern: da zeigt sich allerdings auch das Maximum im September mid zeigt der folgende Monat eine wesentliche Abnahme, aber ntm steigt die Zahl wieder und erreicht im Dezember ein zweites iMaximrmri. Dies rührt von den Winterepidemien her, welche namentlich in München .sich ausgesprochen haben." Bayern hatte seit 1836 viermal Choleraepidemien im Lande 1836/1837, 1854/1855, 1866 mid 1873/1874; und ich will noch die Verteilung der Cholera auf die einzelnen Monate in jeder Epidemie zur Anschauung bringen. Verteilung der Cholera nach Monaten auf die einzelnen vier EpidemieninBayern. 1. August 1836 bis März 1837 2. .Juli 1854 bis März 1855 3. April 1866 bis Oktober 1866 4. Juni 1873 bis April 1874 4 34') Mai 7 Juni 2 Juli 6 7 26 6 2386 ■ 363 551 September 59 3753 352 497 66 931 40 261 537 256 98 452 50 555 144 7 404 13 3 116 März 18 • 55 Summe 1277 7410 773 2599 ') Die 34 Fälle kommen nicht auf April 1873, sondern 1874. Zweite Konferenz zur Erörterung der C'holeratrage. 151 Man ersieht, daß die erste Epidemie, die Bayern hatte, wesentlich eine Winterepidenüe war, dann folgt die heftige Sonnmerepidemie von 1854, dann die kleinste Epidemie von 1866, welche Südbayern, namentUch München, fast ganz verschonte, schließlich folgt die vierte Epidemie, welche die merkwürdige Zweiteilung in eine Sommer- und in eine Winterepidemie erUtt, che sich am deut- lichsten in München aussprach. Ich habe den Verlauf der Cholera damals in München im 2. Hefte der Berichte der Cholerakommission für das Deutsche Reich graplüsch mitgeteilt. Im Königreich Preußen staiben, wie wir gesehen haben, von 1848 bis 1859 bei einer Bevöl- kerung von 17 739 913 an Cholera 167 059 Personen, nüthin durchschnittlich in einem Jahre 7,84 pro 10 000. In Indien gibt es viele und große Distrikte, welche in gleichfalls zwölf Jahren vor 1871 bis 1882 viel weniger an Cholera zu leiden hatten. Selbst das Zentrum des endemischen Gebietes mit 30 640 125 Einwohnern zeigt nur eine durchschnittliche jährliche Choleramortalität von 18,08 pro 10 000, der Distrikt von Bengalen vmd den nordwestlichen Provinzen, welcher zwischen dem ende- mischen und epidemischen Gebiete liegt, und von 26 827 145 Menschen bewohnt ist, nur 11,25, der östliche Teil des Pandschal^ mit einer Bevölkerung von 6 548 573 nur 3,12 und der westliche .Teil des Pandschab mit einer Bevölkerung von 13 350 741 gar nur 2,20 pro 10 000. Mau ersieht daraus, daß das Königreich Preußen, was doch so fern von Indien liegt, für Cholera eine mehr als nochmal so große Disposition zeigt, als der Teil von Indien, der Pandschab genannt, wohin man vom ende- mischen Choleragebiet doch in so kurzer Zeit gelangen kann. Die Kontagionisten und die Trinkwasser- theoretiker mögen erklären, warum im Pandschab die Cholerakranken mit ihren Ausleerungen so wenig anstecken, oder warum im Pandschab so selten oder so wenig Choleraexkremente ins Trink- wasser gelangen ? Sie mögen ferner erklären, warum verschiedene Teile Indiens zu so verschiedenen Jahreszeiten für Cholera empfänglich sind, so daß in den einen die Choleramaxima gerade immer in die Monate fallen, in welche in den anderen die Minima fallen, während doch bei den heutigen Verkehrsmitteln Indiens man so leicht innerhalb weniger Tage von Niederbengalen nach dem Pand- schab gelangt." V. P e 1 1 e n k o f e r geht dann auf eine Choleradebatte ein, die in der Societa di Letture et Conversazioni scientifichi in Genua stattgefundeil hat, und in der Maragliano darzulegen versucht hat, daß die Cholera in Gemia 1884 von der Nicolay- Wasserleitung ausgegangen sei und \vieder erloschen sei, als man diese Wasserleitung außer Gebrauch gesetzt hätte. Er liestreitet die Beweis- kraft dieser Ausführungen und schließt seine Bemerkmigen nüt folgenden Sätzen: ,,Ich meine, es liege jetzt sehr im Interesse der wissenschaftlichen und praktischen Medizin, in diesen epidemiolo- gischen Fragen, welche schwer wiegende national-ökonomische Konsequenzen im Gefolge haben, eine mit den Tatsachen stimmende haltbare Stellung zu nehmen. Seit 50 Jahren streitet man hin und her, und hat in Europa wiederholt Choleraepidemien gehabt imd wird sie auch noch künftig haben, so lange die Krankheit in Indien nicht ausstirbt, und so lange Europa dafür enipfänglich bleibt. Auch der Verkehr mit Indien wird fortdauern: keine Macht der Erde kann ihn verhindern. Nun ist die Frage, ob eine bloße Überwachvuig oder Beschränkung des Verkehrs, darauf gerichtet, ob aus Indien kommende Reisende bei ihrer Ankunft außerhalb Indiens Cholerasymptome zeigen, etwas nützen kann oder nicht ? Ich glau)>e, die in 50 .lahren gesammelten Tatsachen beweisen zur Genüge, daß damit nichts erzielt werden kann, daß mit darauf fußenden Maßregeln lediglich viel Geld zugrunde gerichtet wird, das man zu liesseren Zwecken verwenden sollte, welche unter allen Umständen einen bleilienden gesundheitswirtschaftlichen Nutzen bringen würden. Um sich vor Cholera zu schützen, kann man in Eurojia keine anderen Mittel gebrauchen, als solche, welche sich auch in Indien wirksam erwiesen haben, und tUe indischen Erfahrungen haben geradeso wie die in Europa festgestellt, daß die Cholerakranken ebensowenig infizierend auf Wärter und Arzte wirken, als die Wechselfieberkranken, daß die Choleraepidenüen, seit Dampfschiffe und Eisenbahnen gehen, sich im Lande nicht schneller und häufiger verbreiten als früher auch, und daß nuv sanitäre Verbesserimgen im Orte von einem nachweisbaren Erfolg begleitet werden. Durch die Erfahrungen in Indien luid in Europa ist kon- statiert, daß es für Cholera unempfängliche Orte und Zeiten gibt, aber auch daß dafür empfängliche Orte durch sanitäre Verbesserungen unemijfänglich, das ist immun, oder nahezu immun gemacht wer- den können. Diese Tatsachen hängen nicht mit Theorien, sondern mit der Natur der Cholera zusammen und müssen daher die Grrmdlage für unser praktisches Handeln werden, nicht aber der falsche Kon- tagiositätsglauben, der uns nur vor dem Cholerakranken fhehen macht. Es ist jetzt die Frage, ob die Cholera beim Menschen sich verhält, wie die Rinderpest oder wie der Milzbrand bei unseren Haustieren. Auch die Milzbrandepizootien, deren spezifischen Krank- heitserreger man seit 30 Jahren kannte, und den man von kranken auf gesunde Tiere leicht über- tragen und dachu'ch krank machen kann, entstehen nicht avif kontagiomstischem Wege, durch milz- brandkranke Tiere, sondern durch Milzbraiadlokalitäten, gleichwie die Choleraepidenüen nicht von den Cholerakranken, sondern von Choleralokalitäten ausgehen. In der kontagionistischen Lehi'e 152 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. und im Trinkwasserglauben erblicke ich die größten Hindernisse für wirkliche Fortschritte in der praktischen Choleraprophylaxe, weil man schon seine Pflicht getan zu haben glaubt, wenn man beim Erscheinen einer Epidemie in dieser Richtung tätig und geschäftig ist, aber vorher und nachher wieder alles übrige sich selbst überläßt, und dieses Hindernis möchte ich endlich weggeräumt wissen." In der fünften Sitzung am 8. Mai fuhr v. P e 1 1 e n k o f e r in dem Versuche, die gegen seine Theorie erhobenen Einwände zu entkräften, fort. Was speziell dieBedeutung des Grundwassers für die Epidemiologie der Cholera, des Typhus usw. betrifft, so bemerkt er folgendes: ,,Ich wurde gefragt, wie das in Indien ein Index sein kann, wenn es ganz verkehrt geht mdt dem, was ich ausgesprochen habe. Dies hat mich sehr überrascht, denn ich hatte mich sehr deutlich darüber ausgesprochen, was ich unter Index verstehe. Das Steigen und Fallen des Grundwassers an und für sich hat für mich nicht die geringste Bedeutung, sondern nur soweit dieses Steigen und Fallen des Grundwassers von dem Wechsel in der Durchfeuchtung der über dem Grundwasser liegenden porösen Bodenschichten abhängt. Wo die Bewegung des Grundwassers von dieser Durchfeuch- tung von oben unabhängig ist, oder wo che Bewegung dxu-ch andere Einflüsse bewirkt wird, ist mir die Grundwasserbewegung so gleichgültig, wie der Zeiger einer Uhr, der nicht mit dem Uhrwerk zusammen- hängt. Ich werde hier in ne\iester Zeit wieder merkwürdig mißverstanden. Man meint überall, wo man einen Brunnen hat und mißt, wie er steigt und fällt, daß man eine Grundwassermessung im ätiologischen Sinne habe. Wenn ich so verfahren wäre, wären wir in München nicht auf die Koinzidenz der Grund- wasserbewegung mit dem Abdominaltyphus gekommen. Man muß dazu nur solche Brunnen wählen, deren Steigen und Fallen wirklich von dem Wechsel der Durchfeuchtung der darüberliegenden Schich- ten herrührt. Wenn ich in München zur Messung des Grimdwasserstandes einen Brunnen nehme, der innerhalb der Stauhöhe der Isar liegt, so bringe auch ich gar nichts heraus. Wenn es einmal im Gebirge viel regnet, steigt die Isar in die Höhe, und alle Brunnen, soweit diese Stauhöhe geht, machen diese Bewegung mit, und wenn der Fluß sinkt, dann fällt es wieder. Ich habe schon in mehreren Schriften über den Typhus in München darauf aufmerksam gemacht, daß gar nichts daran liegt, ob der Stand des Grundwassers der Oberfläche etwas näher oder etwas ferner liegt. Wir haben das in München experimentell verfolgen können. München hat ein Stauwehr an der Isar, das, solange die Floßfahrt geht, benutzt wird, imd wo also der Fluß aufgestaut wird. Dieses Stauwehr kann man aber in ein tieferes Bett der Isar ablassen und dann sinkt das Wasser. Als nun ein niedrig ge- legener Stadtteil von München kanalisiert werden mußte, störte der hohe Grundwasserstand, und da ließ man während der Zeit, bis der Bau fertig war, die Isar in das tiefe Bett hinab, dann sank das Grundwasser imi so und soviel, und wir konnten nun leichter arbeiten. Man hatte mich zuvor gefi'agt, weil man in München auch sagte, wenn das Grundwasser fällt, kommt der Typhus. Ach, sagte ich, davon kommt er nicht, lasse man es ruhig herunter, und richtig, der Grundwasserspiegel von diesem ganzen Stadtteil, soweit das Stauwehr wirkte, sank mn einen vollen Meter, und siehe da, es kam doch kein Typhus. Wie die Arbeit fertig war • — es war gegen Winter — wiu-de das Stauwehr wieder geschlossen, imd das Grundwasser stieg wieder, und erst da stellte sich eine erhöhte Typhus- frequenz ein. Also der Grimdwasserstand, wenn er diu-ch einen solchen Wasserlauf oder durch anderes Abzapfen von Wasser, durch Auspumpen von Wasser geregelt wird, kann gar keinen Einfluß haben. Ich betrachte den Griindwasserstand nur als einen Index, wenn er von der Durchfeuchtung der über dem Grimdwasser hegenden Bodenschichten reguliert wird. Der Irrtum ist mir schon oft begegnet. Buchmann hat vor 20 Jahren das auch einmal ausgesprochen , und ich habe ihn darüber be- lehren müssen, aber es scheint ziemlich ohne Erfolg geblieben zu sein, denn ich mußte es noch öfter wiederholen. Was mm das Grundwasser in Indien anlangt, so ist das namentlich in den regenarmen Distrikten von dem fallenden Wasser, also von dem Wechsel in der Durchfeuchtung der Oberfläche gar nicht abhängig. Wenn, wie es im Pandschab vorkommt, eine über 100 Fuß hohe Bodenschicht über dem Wasserspiegel liegt, dann kann die geringe Menge Regen, die auf diesen Boden fällt, die hier nur 20 Fuß beträgt, also 1/3 von dem, was in Kalkutta fällt, a\if diesen Stand nicht ein- wirken; da hängt der Grimdwasserstand von dem höheren Infiltrationsgebiet ab, ob von da mehr oder weniger Wasser herkommt; und man hat da dieselben Einflüsse, wie man sie in der Nähe des Stauwehrs eines Flusses hat. Ich habe deswegen auch Cunningham und Lewis gar nicht gedrängt, dort Grundwasseruntersiichungen zu machen. Ich habe gesagt: versiichen kann man's, aber mir war ein besonderer Erfolg nicht wahrscheinlich, so daß sich also diese Widersprüche, die aus Indien gegen mich angeführt werden, durchaus nicht als maßgebend erwiesen. In Nieder- bengalen stimmt die Grundwasserbewegung mit meiner Ansich t." Auf eine Anfrage von B. Fränkel bemerkte v. Pettenkofer über che Bedeutung der örtlichen und zeithchen Disposition : ,,Die wesentlichen Momente der örtlichen und zeitlichen Dispo- Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. 153 sition sind: 1. die physikalische Beschaffenheit des Bodens, des Untergrundes unserer Wohnmigen, dann 2. der Wassergehalt in diesem Boden und sein Wechsel, also was ich mit dem allgemeinen Namen Grundwasser bezeichne, und dann kommt 3. noch hinzu das Vorhandensein von Nähi'substanz für niedrige Organismen, was man gewöhnlich mit Imprägnierung des Bodens bezeichnet. Es hat sich in einer sehr großen Anzahl von Tatsachen ergeben, daß die physikalische Beschaffenheit des Bodens von einem ganz Ijestimmten Einfluß auf das Vorkommen von Cholera ist. Ich habe, ich kann jetzt wohl sagen. Hunderte von einzelnen Orten gesehen imd untersucht, wo dieser Einfluß auf das merk- würdigste hervortritt und in den meisten Fällen auch höchst konstant. Wenn ich da z. B. nur München nehme, so haben die 3 Epidemien, die wir in München gehabt haben, immer ihre örtliche Begrenzung gehabt, und was das allermerkwürdigste ist, jede der 3 Epidenüen fing an einem bestimmten Stadt- teil an. Der Nordosten von ^München ist der Ausgangspunkt unserer 3 Epidemien gewesen, und zwar auf einer etwas höher gelegenen Terrasse (Schönfeldstraße, Ludwigsstraße, Gartenstraße) und diese 8 Male ist merkwürdigerweise die unterste Terrasse, die am tiefsten und feuchtesten liegt, immer erst später ergTiffen worden. Darüber hat man sich schon bei der ersten Epidemie im Jahre 1836 sehr gewundert, warum che Cholera nicht gleich in diese Gegend herunterging, wo die vielen Arbeiter, das Proletariat wohnen. Aber die Cholera fiel dann inmier auch da hinein und hauste auch da so stark, ja noch stärker wie auf den oberen Terrassen. Bei der letzten Epidemie von 1873/74 ist diese zeitliche Trennung im Auftreten der Epidemie in diesen verschiedenen Stadtteilen eine noch viel eklatantere gewesen, \md da schob sich die Unterbrechung zwischen Sommer- \md Winterepidemie hinein und hat auf der unteren Terrasse die Cholera während des Somniers keine oder ganz schlechte Geschäfte gemacht, während sie in der Winterepidemie da mit großer Üppigkeit aufloderte. Ferner zu jeder Zeit machte die Cholera auf dem rechten Isarufer Halt vor einer Lehmschwarte, die auf dem Kies auflagert, die den Älünchenern den Lehm zu ihren Ziegelhütten liefert. Die Cholera ging haar- scharf bis dahin, und die Häuser, die oben auf der Schwarte liegen, \\'\irden diese dreimal nicht epi- demisch ergTiffen. Es kam kaum je ein vereinzelter Fall vor. Im Jahre 1873 kam auf diesen Ziegel- höfen einmal ein Fall von einem Ziegelknecht vor, und dann dachte man sich — die Ziegelei ist mit sehr vielen Arbeitern besetzt — da wird es sich jetzt ausbreiten, aber auch dieser Fall blieb vereinzelt. Auf der einen Seite dieser Lehmschwarte liegt ein Teil der Vorstadt Haidhausen, und auf der anderen das Dorf Berg am Laim. Auch letzteres liegt zum Teil unten auf Kies und zum Teil olien auf der Lehmschwarte; also das ganze Dorf ist sozusagen in zwei Teile geteilt, und die Epidemie ist an die auf dem Lehm wohnende Bevölkerung nicht gekommen, sie war immer unten. In Haidhausen liegt ein großes Kloster auf dieser Lelmischwarte, das Kloster zum guten Hirten, das eine große Schule hat, wo also eine Menge Kinder hineingehen. Das blieb im Jahre 1854, aiich im Jahre 1873 usw. von Cholera verschont, obwohl die Kinder aus Cholerahäusern dort in die Sch\üe gingen. Es war auffallend, daß dieses Kloster, das sehr viele Pensionäre und Klosterfrauen hat. frei blieb, luid da sagte man: ja im Kloster ist sehr große Reinlichkeit und Ordnung. Nun aber in Berg am Laim liegt wieder ein Kloster, das Mutterhaus der barmherzigen Schwestern, und dieses liegt unten auf Kies, und dieses Kloster bekam eine sehr starke Epidemie. Ähnliche Fälle wurden noch an selu' vielen anderen Punkten in Bayern beobachtet, und Herr Geheimrat Günther hat aus Sachsen auch solche Fälle erwähnt. Damit steht der Einfluß einer gewissen iihysikalischen Beschaffenheit des Bodens gewiß fest. Was das zweite Moment, den Wassergehalt anlangt, so zeigt sich überall, daß die Cholera- epidemien sich nach den Jahreszeiten richten. Ich glaube dafür sind die Belege, die ich gestern bei- gebracht habe, gewiß hinreichend." B. F r ä n k e 1 wollte weiterhin von v. P e 1 1 e n k o f e r wissen, ob seine Auffassimgen sich im Widerspruch befinden mit der neuen bakteriologischen Theorie vmd sich mit dem Kommabazillus nicht in Einklang liringen lassen. Darauf erwiderte v. Pettenkofer: ,,Icli habe bereits wiederholt erklärt, daß mir jeder Bazillus recht ist, dessen Zusammenhang mit den feststehenden Tatsachen der örtlichen und zeitlichen Disposition nachgewiesen wird, und ehe das nachgewiesen ist, habe ich immer noch Zweifel, ob das der rechte Infektionserreger ist, denn aus hypothetischen Gründen habe ich ja bekanntlich längst immer einen jMikroorganismus als Infektionserreger ange- nommen, aber die Beobachtung der epidemiologischen Tatsachen hat mich mit absoluter Notwendig- keit dahin gedrängt, einen ganz wesentlichen Einfluß des Bodens bei Cholerae|iideniien, ebenso wesentlich wie bei der Malariakrankheit, auzmiehmen und davon haben nüch die hier gemachten Erfahrimgen mid das, was ich gehört und gesehen habe, auch nicht im geringsten abbringen können." Im Anschluß daran bemerkte V i r c h o w: ,,Es freut nüch, daß Herr v. P e 1 1 e n k o f e r selbst an seine alte Neigung erinnert hat. Er ist ja in der Tat, soviel ich mich wenigstens erinnere, von der Annahme eines Cholerapilzes ausgegangen. Die ersten Erörterungen, welche 1854 in Mimchen stattfanden, und aus welchen seine gegenwärtige Doktrin sich entwickelt hat, waren ja unter der 154 Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. bestimmten Voraussetzung gemacht, daß ein Pilz vorhanden sei. Dieser Pilz wurde nur ein wenig dadurch verschoben, daß die weißen Mäuse des Herrn Thierse h dazwischen kamen, welche den Verdacht erweckten, daß der Pilz nicht in den Dejektionen selbst enthalten sei, sondern daß er sich erst nachträglich bei der weiteren Zersetzung darin entwickele. Damals wurde selbst in München die Meinung festgehalten, namentlich von P f e u f f e r, daß der Pilz in den Abtrittsröhren, nament- lich an den Rändern der Abfallkanäle wachse und von da in die Häuser aufsteige. In dem Maße aber, als die T h i e r s c h sehe Idee von einer nachträglichen Entwicklung des Infektionsstoffes geltend wurde, drängte sich natürlich eine Reihe von anderen Verhältnissen, unter welche die Fäkal- stoffe gelangen, in den Vordergrund, und da diese Stoffe überwiegend häufig in den Erdboden gelangen, so war es ja wirklich ein sehr naher Schritt, anzunehmen, daß der Erdboden Hauptquelle der Verim- reinigung sei. Nun habe ich ja schon wiederholt erklärt, wie sehr ich die Untersuchungen von v. Pettenkofer in bezug auf die Entstehung einzelner Epidemien schätze; ich will jedoch noch besonders hinzufügen: jeder, der weiter untersucht, wird genötigt sein, ähnliche Erwägungen anzu- stellen, wenn es sich darum handelt, die Detailverhältmsse einer einzelnen Epidemie zu studieren. Aber ich kann auf der anderen Seite auch sagen, daß ich nicht verstehe, warum Herr v. Petten- kofer zu der Exklusion kommt, warmn er verlangt, es dürfe nur ein Modus der Entwicklung der Choleraursache zugestanden werden, es müsse eben in der Erde sein, wo der Krankheitskeim wachse imd von wo der Infektionsstoff hervorgehe. Ich sehe in der Tat nicht ein, warum dieser Stoff nicht auch ins Trinkwasser übergehen kann. Dagegen ist eine theoretische Opposition nicht zu machen, es ist nur eine empirische möglich. Trotzdem bekämpft Herr v. Pettenkofer mit Feuereifer die Trinkwasserätiologie. Die eine Seite der Trinkwasserfrage, die gaiiz grobe, wo man einfach untersucht, welchen Einfluß die Einführung von gutem Trinkwasser in eine Stadt, einem Fort oder sonst wo hat, ist eine rein praktische, die an jedem einzelnen Orte geprüft werden muß. Es kann sein, daß sie in dem einen Orte zutrifft, in dem anderen nicht. Trinkwasser ist ja eine ganz verschiedene Substanz : auch dasselbe Trinkwasser kann zu verschiedenen Zeiten so verschieden sein, daß, wenn wir ganz allgemein mit Trinkwasser operieren, wir eigentlich mit einer unbekannten Größe operieren. Nur zu leicht kommt man zu der Voraussetzung, das Trinlcwasser sei immer gleich während aller Monate und Tage des Jahres; es kann aber möglicherweise eine ganz verschiedene Beschaffenheit haben, es können ganz verschiedene Substanzen darin vorkommen. Ich will jedoch anerkennen, daß zunächst immer in Betracht kommt, ob an einem gewissen Orte mit der Einführung von neuem Trinkwasser eine wesent- liche Veränderung in den Gesundheits Verhältnissen eingetreten ist. Wenn z. B. HeiT Koch gezeigt hat, daß eine große, plötzliche und dauernde Veränderung in dem Gesundheitszustande von Kalkutta mit der Einführung von neuem Triiikwasser eingetreten ist, so wendet Herr v. Pettenkofer da- gegen ein, es seien noch andere Dinge verändert worden als das Trinkwasser, aber es käme darauf an, zu zeigen, ob diese anderen Dinge gleich viel oder noch mehr Wert haben. Ich will ja zugestehen, daß mit der Einführung von neviem Trinkwasser in der Regel auch eine vermehrte und verbesserte Ableitung verbunden ist. Das ist ja ganz zweifellos, es braucht nicht allein die Trinkwasserzufuhr von Bedeutung zu sein; niemand wird daran zweifeln, daß mit der Einführung von Trinkwasser jedesmal auch eine vermehrte und häufig eine verbesserte Ableitung verbimden ist. Diese Frage von der Wirkung des Trinkwassers zerlegt sich also sofort in 2 Unterfragen. Ich möchte in dieser Beziehung übrigens darauf hinweisen, daß diese Frage ganz in derselben Weise für Cholera wie für Typhvis gilt. Ich habe in meiner Erörterung über die Wirkungen der Städte- reimgvmg, die in meinen gesammelten Abhandlungen wieder abgedruckt ist'), eine Anzahl von Städten in bezug auf die Wirkung der Wasserleitungen und der Kanalisation speziell dm-chgegangen. Da tritt das höchst auffallende und meines Wissens bis jetzt anderweitig in keiner Weise interpretierte Beispiel von Halle hervor, wo plötzlich ein großer und dauernder Abschlag in der Typhussterblichkeit eintritt; während bis zur Einführung des Trinkwassers im .Jahre 194, 215, 254, 160 Todesfälle an Typhus vorkamen, wiu-den nachher nur 62, 65, 65, 42, 14, 28 gezälilt. Das ist doch etwas ganz Auf- fallendes, mindestens gerade so auffallend, wie die Choleradifferenz, die wir soeben von Kalkutta gehört haben. Herr v. Pettenkofer weiß, daß ich auf Grund unserer Berliner Erfahrungen in bezug auf den Typhus Buhl und ihm an die Seite getreten bin. Viele J ahre hindurch besteht bei uns der vollständigste ParalleUsmus zwischen der Grundwasserkurve und der Typhuskurve und ich glaube, daß diese Übereinstimmung nicht anders interpretiert werden kann, als daß in der Tat der Stand des Grimdwassers eine Einwirkung aiif die Typhusentwicklung ausgeübt hat. Aber ich folgere daraus nicht, daß es gar keine Einwirkung von Trinkwasser auf die Entstehung von Typhus ') Gesammelte Abhandlungen aus dem Gebiete der öffentlichen Medizin und der Seucherüehre, Berlin 1879, Bd. II, p. 442. Zweite Konferenz zur Erörterung der t'holerafrage. 155 gibt, oder daß Typhus nicht durch Trinkwasser herbeigeführt werden kann. Wenn ein Bazillus als T'rsache und Träger dieser Krankheit anerkannt wird, so kommt es ja nur darauf an, auf welche Weise dieser Bazillus dem Menschen beigebracht wird. Ob er ihm auf dem einen oder anderen Wege, durch Luft oder dm'ch Trinkwasser Ijeigebracht wird, ist a priori nicht zu entscheiden, jedenfalls kann man nicht sagen, wenn außer der Einführung von neuem Trinkwasser noch andere Dinge verändert werden, das Trinkwasser müsse ausgeschlossen werden. Diejenigen Orte, wo eine Kombination von mehreren gesundheitsschädlichen Verhältnissen vorhegt, müssen eben darauf angesehen werden, welcher von den gegebenen Faktoren einen besonderen Einfluß gehabt hat, alaer man kann nicht soweit gehen, das Trinkwasser von vornherein auszuschließen. Wenn der Kommabazillus der richtige C-holerapilz ist, so ist eben zu erwägen, daß seine Leljensfähigkeit im Wasser unzweifelhaft dargetan ist; die Mög- lichkeit, daß er im Wasser dem Menschen zugeführt und auf diese Weise die Krankheit verbreitet wird, kann daher nicht abgeleugnet werden. Eine solche Deutmig würde erst hinfällig werden, wenn ein anderer f'holerastoff oder C'holerakeim oder Choleraorganismus aufgefunden würde, der sich im Wasser nicht zu erhalten vermag. Falls aber der Cholerakeim, welcher Art er auch sein möge, im Wasser leben kann, so wird man sich auch entschließen müssen, das Trinkwasser neben dem Grund- wasser oder den Bodenverhältnissen als eine mögliche Quelle der Zuleitung zvizulassen. Was die Bodenverhältnisse und das Grundwasser anbetrifft, so habe ich Herrn v. Fetten- k o f e r niöglichst genau in seinen Interpretationen verfolgt, und doch muß ich sagen, daß ich heute etwas überrascht ^\ urde, als er als Grundwasser nur dasjenige Wasser definierte, welches dm'ch die- sell)e Oberfläche, unter der es sich vorfindet, hindurchfiltriert ist, welches also unmittelbar von der Oberfläche her eingedrungen ist und während es sich in einer gewissen Tiefe darunter sammelt, die Stoffe mitbringt, welche in den mehr oberflächlichen Schichten enthalten waren. So habe ich ihn früher nicht verstanden: ich habe immer angenommen, wenn man ein Loch in die Erde macht und in einer ge\\'issen Tiefe auf Wasser konmit, so sei da die Grenze, wo das eigentliche (irundwasser beginnt. In diesem Sinne haben wir hier in Berlin seit .lahren Grimdwasseruntersuchungen angestellt' ) ; anfangs haben wir dazu einige Brunnen benutzt, aber sehr bald haben wir die Brunnen gänzlich aufgegeben. Wir l)esitzen ein l)esonderes, regelmäßig geordnetes System von gesenkten Röhren, deren Zahl in der neuesten Zeit noch wieder vermehrt worden ist. Ich weiß aber nicht, wie man es machen soll, um innerhall» des so ermittelten Grundwasserstandes noch wieder zu unterscheiden z\\ischen demjenigen Anteil, der von der Oberfläche darüber stammt, und demjenigen, der von weither unter der Oberfläche zuströmt. Früher, ehe wir unsere Untersuchungen begannen, war die allgemein herrschende Meinung, daß das Wasser der Spree und der Kanäle, welche die Stadt durchzogen, damals noch in größerer Zahl als jetzt die Ufer und darüber hinaus weit und breit den Erdboden durchdrängen, mid daß von da aus auch das Brunnenwasser hauptsächlich veruju'einigt werde. Die positive Beobach- tung hat die vollständige Falschheit dieser Auffassung dargelegt. Alle unsere Wasserläufe imprä- gnieren den Boden in nicht nennenswerter Weise, ihr Wasser dringt nur eine ganz geringe Strecke in ihn ein, schon 20, 30 Schritte von der Spree und den Kanälen entfernt, sind die Brunnen ganz un- abhängig in der Zusammensetzung ihres Wassers von dem der Spree. Natürlich haben die Wasser- läiife einen Einfluß auf den Stand des Wassers in den Brunnen, insofern der höhere oder niedere Wasserstand in den Wasserläufen dag Einströmen des Grundwassers, welches so\^'ohl von der Ober- fläche der Stadt, als von entfernteren Höhen kommt, in die Wasserläufe hindert oder begünstigt. Wir können nauientlich Stauverhältnisse recht deutlich erkennen. Aber diese Stau Verhältnisse bestehen nicht darin, daß gestautes Spreewasser irgendwo in den Boden dringt, sondern ein hoher Stand der Wasserläufe wirkt stauend auf das Grundwasser und hindert es in seiner Bewegung zu den Wasserläufen. Dadurch steigt das Grundwasser. LTnser Grundwasser ist eben seinem Hauptanteile nach nicht das Wasser, welches von der Oberfläche herkommt und die oberflächlichen Bodenschichten innerhalb der Stadt durchdrungen hat, sondern es ist dem wesentlichen Anteil nach Wasser, welches sich von weither auf abschüssigen Schichten imdurchlässigen Bodens gegen das Spreetal zu bewegt, d. h. gegen die offenbar schon in der diluvialen Zeit gebildete Senkung, diu'ch welche die Spree ihren Lauf genommen hat. Wie man innerhalb dieses Grundwassers unterscheiden soll, was von weither und was von der nächsten Oberfläche herkommt, weiß ich nicht. Fih- uns ist das Grundwasser eine einheitliche Siibstanz, die sich in durchaus untrennljarer Weise darstellt. Was nun die ITnreinlichkeit des Bodens betrifft, und die über dem Grundwasser liegenden Strata, so hat Herr Koch gemeint, daß Herr H o f f ni a n n besonders neue Gedanken darüber ausgesprochen habe. Es ist mir nicht klar, worin die neuen Gedanken bestehen sollen. Ich möchte mir erlauben auf einen Absatz aus meiner Abhandlung über Kanalisation und Abfuhr zu verweisen, ^) Vgl. Gesammelte Abhandlungen aus dem Gel>iete der öffentüchen Medizin und Seuchenlehre, Bd. II, p. 310. 156 Zweite Konferenz zvir Erörterung der Cholerafrage. die im Jahre 1868 geschrieben ist; darin habe ich ausführiich diese Verhältnisse behandelt^). Ich wies darin zunächst auf den Gegensatz der bloßen Bodenfeuchtigkeit gegenüber dem Grimd- wasser hin. „Bodenfeuchtigkeit ist ein viel weiter verbreiteter und schon deshalb viel wichtigerer Zustand als Grtmdwasser." Wenn nach Herrn v. Pettenkofer „die Grenze des Grundwassers nach oben da ist, wo die Poren des Bodens noch ganz mit Wasser gefüllt und die Luft vollständig ausgetrieben ist", so ,,ist nicht mehr abzusehen, warum gerade das Grundwasser das Gefährliche sein soll". ,,Muß das mit unreinen Stoffen gemengte Grundwasser erst sinken, um einen Teil seiner Unreinigkeiten in dem min dem Eindringen der Luft zugänglichen Boden zurückzrdassen, damit der supponierte organische Prozeß darin vorgehe, wozu da erst das Grundwasser ? Kanndennnicht ein poröser Boden sich mit unreinen Flüssigkeiten unvollständig tränken, so daß er feuchtwird, ohne jedoch Grundwasser zu bilden? und sollte nicht in einem solchen Boden ein sehr geeigneter Ort für organische Bildungen und Zer- setzungen sein, wenn er anders so gelegen oder angeordnet ist, daß die Feuchtigkeiten nur sehr langsam verdunsten ?" — ,,D ie Anwesenheit von wirklichem Grundwasser kann die anhaltende Feuchtigkeit auch höherer Bodenschichten und damit die Bedingungen für organische Prozesse im Boden sehr be- günstige n." Ich denke, daß das ungefähr dasselbe sein wird, was Herr Hoffmann jetzt entwickelt hat. Es wäre mir wenigstens interessant zn wissen, was von ihm Neues hinzugefügt worden ist. Jeden- falls war ich immer der Meinung, daß, wenn in dem Boden irgendein Wachstum von Pilzen ange- nommen werden soll, dasselbe den höheren Schichten angehören müssen, daß also naturgemäß der Nährstoff, das Bildtmgsmaterial für diese Püze, ja ihre Keime selbst aus demjenigen herstammen müsse, was von obenher in diese Schichten gelangt und was darin vermöge der entweder gleichfalls von obenher eindringenden oder von unten aufsteigenden Feuchtigkeit in seiner Entwicklung be- günstigt wird. So wichtig aber eine solche Vorstellung von der Verunreinigung der oberen Bodenschichten für die Erklärung sein mag, so darf man sie doch auch nicht mißbrauchen, man darf nicht alles daraus ableiten. Wenn wir mit derselben Leichtigkeit Typhus wie Cholera und vielleicht auch noch Diph- theritis, Ruhr und allerlei andere Krankheiten immer wieder aus diesen selben unreinen Schichten ableiten wollen, so wird das doch allmälilich etwas willkürlich. In dieser Beziehung möchte ich eine Tatsache mitteilen, die wohl noch lücht bekanntgeworden ist. Herr Dr. B a b e s , der in meinem Institut arbeitet, hat einen ganz ingeniösen Versuch gemacht, welcher das Verhältnis der verschiedenen Organismen dieser Art zueinander betrifft. Er hat sich die Frage vorgelegt: Wie verhält sich der Cholerabazillus im Gemenge mit anderen Pilzen ? im Kampf ums Dasein, wenn ich mich so aus- drücken soU. Er hat allerlei Plattenkulttiren angestellt, bei denen er bestimmte Pilze hat wachsen lassen. Nachdem sich auf der Glastafel eine Anzahl von PUzrasen gebildet hatte, nahm er eine Nadel mit CholerabazUlen, machte mit derselben kleine Stiche in der Nähe der Rasen und sah zu, wie der Kommabazillus sicli entwickeln würde. Da hat sich herausgestellt, daß der Kammabazillus in seiner Entwicklimg durch die Anwesenheit dieser anderen Bakterien auf das Äußerste beeinflußt wird. Es kommt vor, daß trotz zahh-eicher Stiche, die in einer reinen Nährsubstanz eine vollkommen sichere Kultur ergeben würde, auch nicht eine Spur von Entwicklung stattfindet. Das gilt insbesondere von allen denjenigen Bakterien, welche schnell wachsen und die Gelatine schnell verflüssigen, also besonders von den Fäulnisbakterien. Das stimmt mit den Erfahrungen überein, welche Herr Koch mitteilte, daß Abtrittsflüssigkeiten einen zerstörenden Einfluß auf die Kommabazillen ausüben. Es geht daraus hervor, daß innerhalb einer Masse, welche der Päulniseinwirkung ausgesetzt ist, durchaus nicht ein Weiterwachsen von Kommabazillen angenommen werden darf, selbst wenn sie direkt hinein- getragen werden. Vorausgesetzt, daß der Kommabazillus der eigentliche CholerapUz sei, ist das eine imgemein wertvolle Tatsache in bezug auf die weitere Argumentation. Wir werden uns also sehr in acht nehmen müsfeen, uns vorzustellen, daß, weim der Boden mit unreinen Stoffen erfüllt wird und da hinein verschiedene Keime gelangen, diese auch gleichmäßig wachsen müssen. Das wird von sehr verschiedenen besonderen Umständen abhängen. So wird auch eine örtliche Disposition bestehen, welche es ja nach Umständen möglich macht, oder hindert, daß der Bazillus wächst. Aber das sind Fragen, die sich erst bei der weiteren Untersuchimg werden präzisieren lassen. Unsere Untersuchimgen in bezug auf das Grundwasser, auf das Trinkwasser, auf die Wäsche, be- finden sich alle noch im Anfange, es sind lauter rohe Anlagen. Überall werfen sich neue Fragen auf, und wir werden nicht umhin können, ihnen später durch neue Untersuchungen beizukommen. Aber ich vermute — darin stimme ich Herrn Frankel bei — , daß bei einer solchen speziellen Analyse ^) Gesammelte Abhandlvmgen, Bd. II, p. 269. Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage. 157 wir uns mit Herrn v. Pettenkofer auf dem Gebiete der besonderen Dispositionen begegnen werden. In dieser Beziehvmg möchte ich mu- noch eins her\ i)rheben, nämlich: es mag dieser oder ein anderer Bazillus oder was sonst die Choleram-sache sein, — niemand, der jemals eine Choleraepidemie gesehen hat, wird die große Bedeutving der individuellen Disposition verkennen. Ich will nur aus meiner pathologisch-anatomischen Erfahrung heravis bemerken: \\enn man eine gewisse Anzahl von sehr akut verlaufenen Cholerafällen untersucht hat, so wird man fast keinen einzigen dar\mter vorfinden, der nicht die Zeichen einer noch im Gange befindlichen Digestion an sich trägt. Gerade das Eintreten des Choleraanfalls, in einer digestiven Periode und die Unterbrechung dieser letzteren durch den Choleraanfall ist etwas so Auffallendes, daß niemand sich dem Gedanken wird entziehen können, daß hier etwas vorliegt, was für das Verständnis der Krank- heit wichtig ist. Schon in den ersten Ej^idemien ist allgemein konstatiert worden, daß l^ei vielen Per- sonen diu'ch die Nahrung, welche sie zu sich nalimen, die ersten Ziifälle der Krankheit hervorgerufen werden, während ohne Nahrungsaufnahme die Kraiiklieit vielleicht vorübergegangen oder wenigstens sehr viel später eingetreten wäre. Unzweifelhaft liegt hier ein bestimmter Anhalt vor, und dem werden wir uns nicht entziehen können. Wir haben ja gesehen, wie wichtig dieses Verhältnis bei der ExjDerimentation ist, indem irgendwelche Methoden gefunden werden müssen, um den Bazillus im Magen einer länger dauernden Einwirkung der Magenflüssigkeit zu entziehen. Wenn irgendeine Disposition im Magen vorhanden ist, wodm-ch die Entleerung des Mageninhalts beschleunigt wirakterio!ogischen Choleradiagnose. 179 wird es vermutlich zuzuschreiben sein, daß es mir gelungen ist, in einem indischen Tank, Frankel im Wasser des Dortmunder Hafens, Lubarsch im Kielwasser eines Elbdampfers die Cholerabakterien nachzuweisen. In den beiden ersteren Fällen scheint die große Anzahl der Cholerabakterien, im letzteren die geringe Zahl der Wasserbakterien der Untersuchung zu Hilfe gekommen zu sein. Um nicht ferner von solchen Zufälhgkeiten abhängig zu sein, blieb nichts anderes übrig, als sich nach einer besseren Untersuchungsmethode umzusehen und in dieser Be- ziehung lag nach den günstigen Erfahrungen, welche mit der Anreicherung von Cholera- flüssigkeiten durch die Peptonkultur gemacht waren, nichts näher, als dasselbe Prinzip auch auf die Wasseruntersuchung anzuwenden^). Anfangs wurden ganz wie bei dem geschilderten Peptonverfahren ein oder wenige Tropfen des zu untersuchenden Wassers der Peptonlösung zugesetzt. Da aber aus den früheren vergeblichen Wasseruntersuchungen zu entnehmen war, daß nur ganz ausnahms- weise sehr zahlreiche Cholerabazillen im Wasser angetroffen werden, so wurde das Ver- fahren dahin abgeändert, daß möglichst große Mengen des Wassers verarbeitet wurden und zwar in der Weise, daß dem Wasser unmittelbar eine genügende Menge Pepton und Kochsalz (von jedem 1 Prozent) zugesetzt und die Mischung dann bei 37° gehalten wurde. Nach 10, 15 und 20 Stunden sind von der Peptonkultur Agarplatten zu beschicken. Die mikroskopische Untersuchung der Peptonkultur ist in diesem Falle von untergeord- neter Bedeutung, da man fast aus jedem Wasser auf die angegebene Weise gekrümmte Bakterien herauszüchtet, welche den Cholerabakterien morphologisch sehr ähnlich sind. Dagegen werden alle ihrem Aussehen nach verdächtigen auf der Agarplatte zur Entwick- lung gekommenen Kolonien zuerst mikroskopisch geprüft und, sofern sie aus gekrümmten Bakterien bestehen, weiter gezüchtet zur Anstellung der Indolreaktion und des Tierver- suches, welche bei Wasseruntersuchungen unter allen Umständen die Diagnose vervoll- ständigen müssen. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint es zweckmäßig zu sein, die zu prüfende Wassermenge nicht größer als etwa 100 cm-) zu nehmen und besser eine An- zahl Einzelproben zu verarbeiten, als über diese Menge hinauszugehen. Das soeben beschriebene Verfahren hat sich im Institut für Infektionskrankheiten durchaus bewährt, es sind mit Hilfe desselben während der Winterepidemie in Hamburg, Altona und Nietleben die Cholerabakterien im Elbwasser, in einem Brunnen in Altona, auf den Rieselfeldern von Nietleben, im Saalewasser und im Leitungswasser der Anstalt nachgewiesen^). In diesen Fällen, in welchen es zum ersten Male gelungen ist, in einer größeren Zahl von verdächtigen Wasserproben die Cholerabakterien aufzufinden, ist selbstverständlich alles aufgeboten, um jeden Irrtum auszuschließen. Die meisten Unter- suchungen sind gleichzeitig von mehreren der im Institut beschäftigten Herren gemacht. Es wurden ferner zum Vergleich andere nicht cholera verdächtige Wasserproben und von den verdächtigen Stellen wiederholt, auch nach dem Aufhören der Epidemie, Proben untersucht. Es ergab sich dabei, daß die verschiedenen Untersucher fast immer zu über- einstimmenden Resultaten gelangten, daß die stets durch Indolreaktion und Tierversuch als Cholerabakterien identifizierten Mikroorganismen nur in den Gewässern gefunden ') Vermutlich deniseiljeu Gedankengang folgend, haben van E r m e n g e n s , B u j w i d und A r e n s Verfahren angegeben, welche dem oben l:)eschrie)jenen ähnlich sind. Van Ermengens ist es auch gelungen, mit Hilfe desselben die Cholerabakterien in einem Wasserlaufe nachzuweisen, an dessen Ufern Cholera herrschte. (Vgl. van Hassel, Rapport sur l'cpidemie de cholera 1892 dans la comnmne de PatOTages.) '-) Gemeint sind wohl ccm. D. Herausgeber. ^) Nähere Angaben über die Verhältnisse, unter denen diese Befunde gemacht sind, behalte ich mir für eine andere Mitteilung vor. 57* 180 Über den augenblicklichen Stand der bakteriologischen Choleradiagnose. wurden, welche zu Choleraerkrankungen in Beziehung standen, und daß schließlich beim Aufhören der Epidemie auch die Cholerabakterien geschwunden waren. Es finden sich, wie bereits erwähnt wurde, fast regelmäßig, auf jeden Fall sehr häufig, im Wasser der verschiedensten Herkunft gekrümmte Bakterien, welche ebenso wie die Cholerabakterien sich in den oberen Schichten der Peptonkultur anhäufen. Im Institut für Infektionskrankheiten sind bereits fast ein Dutzend derartige zu den Spirillen gehörige Bakterien gesammelt. Auch von anderen Bakteriologen sind solche Spirillen im Wasser aufgefunden. AUe diese unterscheiden sich für ein geübtes Auge schon mehr oder weniger durch das Aussehen der Agar- und Gelatinekolonien von den Cholerabakterien, sehr leicht und sicher aber durch das Fehlen der Indolreaktion und der toxischen Wirkung auf Meerschweinchen. In den menschlichen Dejektionen scheinen sie nur höchst selten und wohl nie in großer Menge vorzukommen, so daß eine Erschwerung der bakteriolo- gischen Choleradiagnose durch dieselben nicht zu fürchten ist. Schon das früher übliche Verfahren zur bakteriologischen Choleradiagnose, welches sich auf Gelatineplattenkultur, Stichkultur usw. beschränkte, erforderte eine nicht geringe Übung, wenn es rasch und sicher zum Ziele führen sollte. Vielfache Übung und voll- ständiges Beherrschen der Technik erfordert aber in noch höherem Maße das etwas kom- pliziertere neue Verfahren und es ist daher gewiß nicht überflüssig, wenn zum Schlüsse nochmals mit besonderem Nachdruck darauf hingewiesen wird, daß jeder der Cholera bakteriologisch zu diagnostizieren hat, sich die erforderliche Übung beizeiten aneignen sollte und sofern er sie nicht besitzt, besser tut, die Untersuchung an geeignete Stellen abzugeben. Entgegnung auf den Vortrag des Prof. Dr. M. Schottelius „Zum mikroskopischen Nachweis von Cholerabazillen in Dejektionen".') Von Dr. R. Koch. Schottelius macht mir in seinem Vortrage ^) den Vorwurf, daß ich : 1. sein im Jahre 1885 veröffentlichtes Verfahren zum Nachweis der Cholera- bakterien beschrieben habe, ohne seine Autorschaft zu erwähnen; 2. in bezug auf die Entdeckung der Cholerarotreaktion die Priorität B u j w i d s nicht berücksichtigt habe; 3. für das hohe Sauerstoff bedürfnis der Cholerabakterien Untersuchungen von Hesse zitiert habe, welche in dem von mir genannten Bande der Zeitschrift für Hygiene nicht zu finden seien. Zu meiner Rechtfertigung habe ich folgendes zu bemerken: Zu 1. Das Schottelius sehe Verfahren besteht darin, daß zu einer verhältnis- mäßig großen Menge von Dejektionen eine mäßig große Menge von Fleischbrühe gesetzt, und das Gemisch entsprechend weiter behandelt wird. Das in meiner Abhandlung beschriebene, zuerst von D u n h a m in dieser Weise angewendete Verfahren besteht dagegen darin, daß mit einer reinen Pepton- 1 ö s u n g sehr geringe Mengen der Dejektionen (eine Flocke oder ein bis zwei Platin- ösen) gemischt werden. Es soll dabei die Fähigkeit der Cholerabakterien, in reinen Peptonlösungen be- sonders kräftig zu wachsen, ausgenutzt werden, und es dürfen daher Fleischbrühe und größere Mengen von Dejektionen, welche der Peptonlösung zu viele andere Stoffe zu- führen würden, nicht verwendet werden. Das D u n h a m sehe Verfahren ist also, wie man sieht, das gerade Gegenteil von dem Schottelius sehen Verfahren. Es hat mit diesem nur die Verwendung des flüssigen Nährbodens gemeinsam, und solange nicht Schottelius so weit geht, jede Verwendung flüssiger Nährböden zur Kultur von Cholerabakterien als seine Ent- deckung zu beanspruchen, solange hat er auch kein Anrecht auf das D u n h a m sehe Verfahren. Wenn hier, wie Schottelius meint, eine Trübung in der historischen Dar- stellung des Nachweises von Cholerabakterien stattgefunden hat, dann geht dieselbe offenbar nicht von mir, sondern von ihm aus, weil er das, worauf es bei dem D u n h a m - sehen Verfahren ankommt, nicht begriffen hat. ') Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1893, Nr. 31. -) In derselben Nummer veröffentlicht. D. Herausgeber. 182 Entgegnung auf den Vortrag des Prof. Dr. M. Schottelius usw. Schottelius hat mit seinem eigenen Verfahren keine günstigen Resultate gehabt; denn er erzielte damit nur in einem gewissen Prozentsatz der zur praktischen Beurteilung kommenden Fälle positive Resultate. Ich kann dies vollkommen bestätigen. Bei den vergleichenden Versuchen, welche im Institut für Infektionskrankheiten mit verschiedenen Methoden und darunter auch mit dem Schottelius sehen Ver- fahren angestellt sind, hat sich ebenfalls ergeben, daß es öfters im Stich läßt. Aus diesem Grunde wird es im Institut für Infektionskrankheiten nicht benutzt, und da ich in meiner Abhandlung nicht eine Aufzählung aller, auch der weniger leistungsfähigen Methoden, sondern nur der im Institut als bewährt gefundenen geben wollte, so lag für mich über- haupt keine Veranlassung vor, das Schottelius sehe Verfahren zu erwähnen. Schottelius befindet sich sehr im Irrtum, wenn er sich einbildet, daß ich sein Verfahren warm empfohlen hätte; ich muß im Gegenteil dringend von der Anwendung desselben abraten. Zu 2. Als D u n h a m im hygienischen Institut zu Berlin seine Untersuchungen über die Cholerarotreaktion schon abgeschlossen, aber noch nicht niedergeschrieben hatte, traf ein Manuskript von B u j w i d aus Warschau zur Veröffentlichung in der Zeit- schrift für Hygiene ein, welches denselben Gegenstand behandelte. Beide Forscher hatten also gleichzeitig und ganz unabhängig voneinander dieselbe Entdeckung gemacht. B u j w i d s Manuskript lag druckfertig vor und war außerdem so kurz, daß es sich dem zur Veröffenthchung fast fertigen Heft der Zeitschrift noch einfügen ließ. Ich hätte es damals in der Hand gehabt, beide Arbeiten gleichzeitig erscheinen zu lassen, und würde es auch getan haben, wenn ich hätte ahnen können, daß später von ganz unbeteiligter Seite Prioritätsbedenken geltend gemacht werden würden. Übrigens gehört die wichtige Beobachtung, daß die Cholerabakterien in reiner Peptonlösung üppig wachsen, ausschließlich D u n h a m , und er hat deswegen ein be- sonderes Verdienst um die weitere Entwicklung des Verfahrens zum Nachweis der Cholera- bakterien. Zu 3. Auf diesen Punkt, welcher doch eigentlich recht untergeordnet ist, würde ich überhaupt nicht eingegangen sein, wenn man die Kleinigkeitskrämerei nicht so weit treiben würde, schon zum zweiten Male von mir Rechenschaft über das flicht auf- findbare Zitat zu verlangen. Nur um dieser Art von nörgelnder Kritik ein Ende zu machen, möchte ich den Sachverhalt kurz auseinandersetzen. Im März dieses Jahres hielt Hesse in der ärztlichen Gesellschaft zu Dresden einen Vortrag über die gasförmigen Produkte der Bakterien und lieferte für die bereits früher von mir gefundene und in meiner ersten Veröffentlichung über Cholerabakterien erwähnte Tatsache, daß die Cholerabakterien streng aerobe Bakterien sind, mit Hilfe von gasanalytischen Untersuchungen unumstößliche Beweise. Dieser Vortrag sollte im zweiten oder dritten Heft des 14. Bandes der Zeitschrift für Hygiene abgedruckt werden, und von dieser Voraussetzung ist mein Zitat desselben ausgegangen. Leider verzögerte sich aber der Druck wegen Schwierigkeiten in der Herstellung der zugehörigen Diagramme, und so wird die Arbeit von Hesse voraussichtlich erst in dem ersten Hefte des 15. Bandes der Zeitschrift für Hygiene erscheinen. Meine sehr gestrengen Herren Kritiker muß ich deswegen bitten, sich solange gedulden und mir für das verfriiihte Zitat Absolution erteilen zu wollen. Wasserfiltration und Cholera. ) (Aus dem Institut für Infektionskrankheiten.) Von Prof. R. Koch. Von allen Choleraforschern, deren Urteil nicht durch phantastische Träumereien über tellurisch-kosmische Einflüsse getrübt, oder durch eigensinniges Anklammern an längst widerlegte Theorien festgelegt war, wurde von jeher dem Wasser als Träger des Cholera-Infektionsstoffes eine mehr oder weniger große Bedeutung beigelegt. Nur darüber gingen die Meinungen auseinander, wie groß der Einfluß des Wassers zu bemessen sei. Manche sind in dieser Beziehung entschieden zu weit gegangen, indem sie, durch vereinzelte besonders überraschende Beobachtungen dazu bewogen, das Wasser für den ausschließ- lichen Träger des Cholerakeimes erklärten. Auf diese mag die in neuester Zeit vieKach gebrauchte Bezeichnung ,, Wasserfanatiker" oder ,, Wassertheoretiker" nicht ganz mit Unrecht Anwendung finden. Daß ich zu dieser Klasse von Choleraforschern nicht gehöre, wird mir ein jeder ohne weiteres zugestehen, der das, was ich bisher über Cholera gesagt und geschrieben habe, kennt. Ich habe mich stets dahin ausgesprochen, daß nach den bisherigen Erfahrungen die unmittelbare Übertragung von Mensch zu Mensch möghch sei, aber allem Anschein nach nicht sehr häufig vorkomme, daß dagegen den indirekten Übertragungen durch mancherlei Träger des Cholerakeimes bei den eigenthchen Epide- mien und Massenausbrüchen der Cholera die Hauptrolle zufalle, und daß das Wasser unter diesen Trägern wieder einer der wichtigsten sei. An einzelnen Beispielen habe ich dann ferner zu zeigen gesucht, daß das Wasser unter gewissen Bedingungen in der Tat die ihm zugeschriebene Rolle gespielt hat. Darüber aber habe ich mich meines Wissens niemals geäußert, in welchem Umfange dieser Faktor als wirksam zu denken sei. Zu einem be- stimmten Urteil hierüber konnte man auch bisher nicht kommen, weil die früheren Untersuchungen über die Beziehungen der Cholera zum Wasser fast immer von einseitigem Standpunkte aus vorgenommen und deswegen selten einwandfrei sind. Warum man unter solchen Umständen gerade mich zum ,, Trinkwasserfanatiker" hat machen wollen, ist mir nicht recht verständlich. Fast hat es den Anschein, als ob man mir mit aller Gewalt Anschauungen aufdrängen wiU, mit deren Widerlegung man leichtes Spiel hat. In der letzten Epidemie hat allerdings das Wasser, wie wohl niemand ernsthch bestreiten wird, eine recht bedeutende Rolle gespielt. Trotzdem können mr auch jetzt noch nicht wissen, ob das in Zukunft ebenso sein wird, und es ist gewiß richtiger, mit einem definitiven Urteil über die Bedeutung des Wassers so lange zurückzuhalten, bis wir noch weitere ausreichende Erfahrungen gesammelt haben. Aber das vorige Jahr hat auf jeden FaU wiederum gezeigt, daß wir auch in Zukunft alle Ursache haben, ge- rade der Wasserversorgung unsere größte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Aus Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, 1893, Bd. XIV. — Eingegangen am 26. Mai 1893. 184 Wasserfiltration und Cholera. Die Choleraepidemie in den drei Städten Hamburg, Altona und Wandsbek ist in dieser Beziehung im höchsten Grade lehrreich gewesen. Diese drei Städte, welche un- mittelbar aneinandergrenzen und eigenthch nur eine einzige Stadt bilden, unterscheiden sich in ihren sonstigen Verhältnissen nicht wesenthch, werden aber eine jede für sich und zwar in verschiedener Weise mit Wasser versorgt. Wandsbek erhält filtriertes Wasser aus einem der Verunreinigung mit Fäkalien kaum ausgesetzten Landsee, Hamburg bezieht sein Wasser in unfiltriertem Zustande aus der Elbe oberhalb der Stadt und Altona filtriertes Wasser aus der Elbe unterhalb der Stadt. Während Hamburg bekanntlich von der Cholera furchtbar heimgesucht wurde, blieben Wandsbek und Altona , wenn die aus Hamburg eingeschleppten Fälle abgerechnet werden , fast verschont. Am überraschendsten haben sich die Choleraverhältnisse an der Grenze von Hamburg und Altona gestaltet. Auf beiden Seiten der Grenze sind die Bodenverhältnisse, Bebauung, Kanahsation, Bevölkerung, kurzum alles, worauf es hier ankommt, vollkommen gleich, und doch ist die Cholera in Hamburg nur bis unmittelbar an die Grenze von Altona gegangen und hat liier Halt gemacht. Auf einer Straße, welche auf einer längeren Strecke die Grenze bildet, wurde die Hamburger Seite von Cholera befallen, die Altonaer bheb frei. Die Cholera hat an einer Häusergruppe, am sogenannten Hamburger Platz, sogar mehr vermocht, als es ein Mensch gekonnt hätte, dem die besten Karten der Grenze zwischen Hamburg und Altona zur Verfügung gestanden hätten. Sie hat nicht nur die politische Grenze, sondern sogar die Grenze der Wasserversorgung zwischen beiden Städten hier scharf herausgefunden. Die erwähnte von Arbeiterfamilien dicht bewohnte Häusergruppe gehört zu Hamburg, wird aber von Altona mit Wasser versorgt^), und sie bheb von Cholera vollkommen frei, während ringsherum auf Hamburger Gebiet zahl- reiche Erkrankungen und Todesfälle vorkamen. Hier haben wir es also mit einer Art von Experiment zu tun, das sich an mehr als hunderttausend Menschen vollzogen hat, aber trotz seiner gewaltigen Dimensionen alle Bedingungen erfüllt, welche man an ein exaktes und vollkommen beweisendes Laboratoriumexperiment stellt. In zwei großen Bevölkerungsgruppen sind alle Faktoren gleich, ein einziger ist verschieden, nämlich die Wasserversorgung. Die mit unfiltriertem Elbwasser versorgte Gruppe wird von Cholera schwer, die mit filtriertem Wasser versorgte Gruppe in sehr geringem Maße befallen. Dieser Unterschied muß um so schwerer ins Gewicht fallen, als das Hamburger Wasser von einer Stelle entnommen wird, wo die Elbe noch verhältnismäßig wenig verunreinigt ist, Altona aber das Elbwasser benutzen muß, nachdem es die sämtlichen flüssigen Ab- gänge, mit Einschluß der Fäkalien, von nahezu 800 000 Menschen aufgenommen hat. Unter solchen Verhältnissen gibt es für den naturwissenschaftlich Denkenden zunächst gar keine andere Erklärung, als daß der Unterschied, welchen die beiden Bevölkerungs- gruppen der Cholera gegenüber zeigen, durch die Verschiedenheit in der Wasserversor- gung bedingt ist, und daß Altona durch die Filtration des Elbwassers gegen die Cholera geschützt wurde. Einfach ableugnen läßt sich diese Tatsache nicht und es bleibt nur übrig, daß man versucht, sie mit seinen Anschauungen über das Wesen der Cholera in Einklang zu bringen. Da es sich in diesem Falle um ein epidemiologisches Faktum ersten Ranges handelt, das in voller Klarheit und Durchsichtigkeit vor uns liegt, auch wegen seiner leichten Zugänglichkeit nachträglich nach allen Richtungen hin auf die Richtigkeit der ^) Außer dieser Häusergruppe erhält auf Hamburger Gebiet nur noch eine Brauerei in St. Pauli Wasser aus Altona. Die Behauptungen, daß noch andere Hamburger Häuser an die Altonaer Leitung angeschlossen seien und trotzdem Cholera gehabt hätten, sowie daß umgekehrt Häuser der Stadt Altona Hamburger Wasser beziehen ohne Cholera gehabt zu haben, sind vollkommen unrichtig, wie ich auf Grund von in Altona und Hamburg persönhch erhaltener Auskunft auf das bestimmteste versichern kann. Wasserfiltration und Cholera. 185 ihm zugrunde liegenden Beobachtungen geprüft und ergänzt werden kann, in dieser Be- ziehung also geradezu einzig in seiner Art dasteht, so muß auch verlangt werden, daß jeder Choleraforscher, der den Anspruch auf Berücksichtigung seiner Meinung erhebt, Stellung zu diesem Faktum nimmt. Für den Bakteriologen ist nichts leichter als eine Erklärung für das Beschränkt- bleiben der Cholera auf das Gebiet des Hamburger Leitungswassers zu geben. Er braucht nur darauf hinzuweisen, daß (Iholerabakterien in das Hamburger Leitungswasser ent- weder von den Hamburger Sielauslässen her, oder, was viel wahrscheinlicher ist, durch die Dejektionen von Cholerakranken, welche sich auf den zahlreichen vor der Wasser- entnahmestelle ankernden Elbkähnen befanden, gelangt sind und daß, nachdem dies ge- schehen, unter den Menschen, welche dieses Wasser benutzten, je nach dem Grade der Verunreinigung mehr oder weniger zahlreiche Choleraerkrankungen vorkommen mußten. Die Stadt Wandsbek blieb verschont, weil ihr Leitungswasser einer derartigen Ver- unreinigung nicht ausgesetzt war und überdies filtriert wurde. Altona erhielt ein Wasser, welches ursprüngHch viel schlechter war als das Hamburger, aber durch sorgfältige Filtra- tion von Cholerabakterien ganz oder doch nahezu vollständig befreit wurde. Diese Auf- fassung steht mit allen bisherigen bakteriologischen Erfahrungen und mit unserem jetzigen Wissen bezüglich der Infektionsstoffe in voller Übereinstimmung, sie enthält keine Widersprüche und nichts Gezwungenes oder Gekünsteltes. Wie man von kosmisch-tellurischen, oder von rein meteorologischen Faktoren das Verhalten der Hamburg- Altonaer Cholera ableiten wollte, ist mir rätselhaft; denn Himmel, Sonne, Wind, Regen usw. waren auf beiden Seiten des Grenzgebietes absolut gleich ver- teilt. Ich glaube kaum, daß von dieser Seite auch nur einmal der Versuch gemacht werden wird, eine Erklärung zu finden. Ganz besonders gespannt war ich darauf, was die Bodentheoretiker oder Lokalisten, wie sie sich jetzt mit Vorliebe nennen, zur Hamburg-Altonaer Cholera sagen würden. Nach dem, was bis jetzt darüber verlautet ist, geben sie, wenn auch nach einigem Wider- streben, die Tatsache zu, daß die eigentliche Choleraepidemie auf das Gebiet beschränkt gebUeben ist, welches unfiltriertes Elbwasser erhielt und daß somit das unfiltrierte Wasser einen Einfluß ausgeübt haben muß; aber die Erklärung, wie dieser Einfluß, natürlich unter Mitwirkung des Bodens, zustande gekommen sein soll, ist doch in einer so über die Maßen unzulänglichen Weise ausgefallen, daß ich Anstand nehmen würde auf dieselbe hier einzugehen, wenn sie nicht von so hochgeachteter Seite käme. Die lokalistische Auffassung^) geht also dahin, daß das Wasser nicht eine infizierende, sondern eine ,, disponierende" Wirkung gehabt habe und zwar in der Weise, daß das unfiltrierte Wasser Schmutzstoffe in die Wohnungen, auf die Straßen und in den Boden gebracht und damit gewissermaßen einen geeigneten Nährboden für die Entwicklung des Cholerakeimes geschafft habe. Dabei hat der verehrte Herr Lokalist in seiner Be- drängnis wohl nicht bedacht, wie unendlich gering die Menge der Schmutzstoffe ist, welche durch Brauchwasser selbst im ungünstigsten Falle in den Wohnungen und im Boden abgelagert werden können, gegenüber den imendlich viel größeren Massen von Schmutzstoffen, welche der menschliche Haushalt tagtäglich den Wohnungen zuführt und welche von Menschen und Tieren fortwährend auf Straßen und Höfen abgelagert werden. Er hat ferner nicht berücksichtigt, daß das in die Wasserleitung gelangende Elb- wasser nicht etwa regelmäßig, sondern nur ganz ausnahmsweise bei besonders hoher Flut eine Beimengung von Schmutzwässern der Stadt Hamburg bekommen kann. ') V. P e 1 1 e n k o f e r, Uber Cholera, mit Berücksichtigung der jüngsten Choleraepidemie in Hamburg. Sitzungsberichte des ärztlichen Vereins in München. 1892. Bd. II. — v. P e 1 1 e n - k o f e r, Über die Cholera von 1S92 in TTamlnu'g und über Schutzniaßregeln. ]\Iünchen 1893. 186 Wasserfiltration und Cholera. Er scheint aber, und das ist der schwerste Vorwurf, der ihm hier zu machen ist, ganz ver- gessen zu haben, daß Hamburg eine der am besten kanahsierten Städte, also mit Ein- richtungen versehen ist, von denen wir wissen, daß sie die Schmutzwässer aus den Häusern, von den Höfen und Straßen auf kürzestem Wege aus dem Bereich der Stadt bringen. Was soll uns denn überhaupt die Kanahsation nutzen, wenn sie nicht einmal imstande sein sollte, dies geringe Mehr an organischer Substanz, welches unfiltriertes Wasser mit sich führt, zu beseitigen und unschädlich zu machen. Einen eklatanteren Beweis für ihren vollständigen Bankerott konnte die Bodentheorie überhaupt nicht geben, als mit diesem verunglückten Erklärungsversuch . Auf jeden Fall werden auch die Lokalisten in Zukunft die Wasserfiltration nicht nur als etwas Nebensächliches, sondern als eine sehr nützKche und selbst unter Umständen unentbehrliche Maßregel ansehen müssen, und es zeigt sich hier wieder, wie in so vielen anderen Fällen, daß man über die Erklärung einer Sache verschiedener Ansicht sein kann, aber in bezug auf die praktische Behandlung derselben zu gleichen Resultaten gelangt. Die Hamburg-Altonaer Cholera hat uns also den unwiderleglichen Beweis dafür geliefert, daß die Filtration des Wassers durch Sand, und zwar in der Weise, wie sie in Altona geschieht, einen für die Praxis ausreichenden Schutz gegen Cholerainfektion gibt. Ich betone ausdrückhch, daß, wenn die Filtration schützen soll, sie so wie in Altona gehandhabt werden muß. Ich kenne eine ziemlich große Anzahl von Wasserwerken mit Filteranlagen aus eigener Anschauung und weiß, daß nur wenige von ihnen sich so streng an die zurzeit geltenden Vorschriften für die Wasserfiltration halten, wie es in Altona geschieht, und ich habe allen Grund anzunehmen, daß die Abwehr der Cholera nicht überall in gleicher Weise gelungen sein würde, wie in Altona. Um in dieser Beziehung auch denjenigen Lesern, welchen die Filtrationstechnik nicht hinreichend bekannt ist, verständlich zu werden, muß ich hier auf die Vorgänge bei der Sandfiltration etwas näher eingehen. Es ist die Aufgabe der Filtration, das Wasser von den suspendierten Stoffen zu rei- nigen. Gelöste Stoffe gehen durch das Filter ganz oder in kaum merklicher Weise verändert liindurch. Da die chemische Untersuchung des Wassers sich im wesentlichen mit der Untersuchung der gelösten Bestandteile beschäftigt, so konnte sie zum Studium der Filtrations Vorgänge nichts beitragen. Man war aber früher so daran gewöhnt, die Beschaf- fenheit des Wassers nach seinen chemischen Eigenschaften zu beurteilen, daß man in vollständiger Verkennung der in diesem Falle obwaltenden Verhältnisse vielfach versucht hat, den Filtrationsprozeß chemisch zu verfolgen und zu kontrollieren. Natürlich ist dabei nie etwas Brauchbares herausgekommen. Die Filtrationstechniker haben dies denn auch schon frühzeitig erkannt und sich in einer anderen Weise zu helfen gesucht. Sie haben das Wasser in Glas- oder Metallzylindern, den sogenannten Wasserprüfern, auf seine Durchsichtigkeit vor und nach der Filtration geprüft und danach die Leistung der Sandfilter beurteilt. Mit diesem einfachen Hilfsmittel ist es ihnen gelungen, die wichtigsten Bedingungen für eine ausreichende Reinigung des Wassers von suspendierten Bestand- teilen zu ermitteln. Es stellte sich nämhch heraus, daß nicht im Sande selbst die eigent- liche Filtration vor sich geht, sondern daß sich zuerst durch Absetzen aus dem noch un- gereinigten Wasser eine Schlammschicht an der Oberfläche des Sandes bilden muß und daß diese über dem Sande lagernde Schlammschicht erst das eigentliche Filter ist, welches die suspendierten Schmutzteile aus dem Rohwasser zurückhält. Beim Filter- betrieb kommt also aUes darauf an, daß die filtrierende Schlammschicht sich zunächst regelrecht bildet, während der Filtration nicht gestört wird und nachdem sie durch fortwährende weitere Ablagerung von Schmutzteilen zu dick und damit für das Wasser zuwenig durchlässig geworden ist, zur rechten Zeit entfernt wird. Allem Anscheine Wasserfiltration und Cholera. 187 nach sind die verscliiedenen Rohwässer je nach ihrem Gehalt an minerahschen und vege- tabihschen suspendierten Stoffen in sehr verscliiedenem Maße befähigt die filtrierende Schlammschicht zu liefern. Bei einigen Flußwässern, welche besonders reich an Lehm- bestandteilen sind, kann sich schon nach 8 bis 10 Stunden eine gut filtrierende Schicht abgesetzt haben. Andere Wasserarten, deren Trübung mehr durch vegetabihsche Stoffe bedingt ist, brauchen längere Zeit dazu, mindestens 24 Stunden. Zu gewissen Zeiten im Jahre, nämlich zur Zeit der sogenannten Wasserblüte, nehmen infolge des massen- haften Auftretens von mikroskopischen Algen im Wasser die vegetabilischen suspendierten Bestandteile außerordentlich zu, sie sind zu gleicher Zeit von besonders schleimiger Be- schaffenheit und bilden infolgedessen eine Schlammschicht, welche oft schon nach wenigen Tagen fast undurchlässig für Wasser wird und dann beseitigt werden muß. Aus diesen kurzen Andeutungen geht schon hervor, daß es sich bei der Sandfiltration gar nicht um so einfache Verhältnisse handelt, wie sehr häufig angenommen wird. Man hat nun aber ferner gefunden, daß bei der allmählichen Abnutzung der Sandschicht nicht unter eine gemsse Höhe dieser Schicht, etwa 30 cm, herabgegangen werden darf und daß eine gewisse Geschwindigkeit, etwa 100 mm in der Stunde, für die Bewegung des Wassers in der Sand- schicht eingehalten werden muß, wenn eine möglichst vollkommene Reinigung des Wassers erreicht werden soll. Einige weitere Filterregeln von untergeordneter Bedeutung können hier übergangen werden, die angeführten sind die wichtigsten und genügen zum Verständ- nis des Nachfolgenden. Wenn in dem Filterbetrieb irgendwelche Störung eintritt und die erwähnten Regeln deswegen nicht eingehalten werden können, dann zeigt sich dies sofort an der Beschaffen- heit des Filtrats. Dasselbe erreicht nicht mehr die volle Durchsichtigkeit bei der Unter- suchung mit den Wasserprüfern. Für den Konsumenten ist dies allerdings kaum jemals bemerkbar, da auch solches ungenügend gereinigtes Wasser in Wasserflaschen und Trink- gläsern noch klar aussehen kann. Teils aus diesem Grunde, teils weil die Störungen des Filterbetriebes in der Regel nur von kurzer Zeitdauer sind, hat man denselben in früheren Zeiten keine große Bedeutung beigemessen und es vielfach gar nicht einmal für nötig gehalten, ein Wasserwerk so einzurichten, daß das ungenügend gereinigte Wasser von dem Konsum ausgeschlossen werden konnte. Das ist aber ganz anders geworden, seitdem Avir bessere Kenntnisse über die Infek- tionsstoffe haben und zu der Überzeugung gelangt sind, daß das Wasser durch den Fil- trationsprpzeß nicht allein geklärt, sondern vor allen Dingen von Infektionsstoffen, welche in dasselbe geraten sein könnten, befreit sein muß. Um das Wasser auf den Gehalt an Infektionsstoffen zu kontrollieren, reichten die W^asserprüfer selbstverständlich nicht mehr aus, für diesen Zweck konnte nur die bakteriologische Untersuchung in Frage kommen, die denn auch seit jener Zeit als die einzige zuverlässige Mittel, um das aus- reichende Reinigung des Wassers durch den Filtrationsprozeß zu erkennen, allseitig anerkannt ist. Die Anwendung der bakteriologischen Untersuchung auf das Studium der Filtrationsvorgänge hat im allgemeinen das, was von früher her schon bekannt war, bestätigt, aber sie ließ auch sehr bald erkennen, daß seilest leichte und schnell vorüber- gehende Störungen im Betrieb keineswegs so gering zu achten sind, als man dies früher getan hatte. Wenn ein Filterwerk in jeder Beziehung zufriedenstellend arbeitet, dann finden sich erfahrungsgemäß im filtrierten Wasser weniger als 100 entwickfungsfähige Keime auf 1 ccm und zwar ist dies ganz unabhängig von dem Gehalt des Rohwassers an Bakterien, ob derselbe einige hunderttausend oder nur wenige hundert im Kubik- zentimeter beträgt^). Aber die geringsten Störungen des Filtrationsvorganges, z. B. Bei einer Filtriergesch\\indigkeit von 100 mm in der Stvaide können Änderungen im Bakteriengehalt des Rohwassers allerdings noch von Einfluß auf die Zahl der Bakterien im filtrierten 188 VVasserfiltration und Cholera. Steigerung der Filtriergeschwindigkeit über 100 mm, Beschädigungen der Schlamm- decke usw., haben sofort eine Zunahme der Keime im filtrierten Wasser zur Folge. Die bei regelrechtem Betrieb noch bleibende geringe Zahl von Keimen stammt unzweifelhaft zum allergrößten Teil aus dem mit Bakterienvegetationen besetzten Filtermaterial, also aus den unteren Sandschichten, aus dem Kies- und Steinlager, welche wie alle vom Wasser bespülten Gegenstände im Laufe der Zeit mit Vegetationen von Mikroorganismen über- zogen werden. Dies sind natürlich harmlose Wasserbewohner, die in jedem Wasser angetroffen werden und keinen Schaden anrichten. Ein kleiner Teil der im filtrierten Wasser gefundenen Bakterien stammt jedoch, nach den Untersuchungen von Fraenkel und P i e f k e 1) zu urteilen, aus dem Rohwasser. Es gelingt also mit unseren besten Filtriereinrichtungen noch nicht, alle Mikroorganismen zurückzuhalten. Auch dies müßte zu erreichen sein, aber man würde dann mit noch viel geringerer Geschwindigkeit, viel- leicht auch durch dickere Schichten und unter Benutzung anderen Filtermaterials filtrieren müssen, womit wiederum eine so bedeutende Vergrößerung und Verteuerung der Anlagen verbunden sein würde, daß es nicht mehr auszuführen ist. Wir sind allem Anscheine nach mit den jetzigen Einrichtungen schon an der Grenze der Leistungsfähigkeit angelangt. Aber den besten Beweis dafür, daß man sich mit dem Erreichten für die Praxis begnügen kann, hat Altona im vorigen Jahre geliefert. Das Wasserwerk dieser Stadt, welches glückücherweise von einem unserer tüchtigsten und erfahrensten Filtrations- techniker geleitet wird, ist während der Choleraepidemie mit der Filtrationsgeschwindig- keit nie über 100 mm hinausgegangen, und dieser Vorsicht ist es offenbar zu danken, daß Altona von der Cholera in so auffallend geringer Weise betroffen wurde. Soweit mir Angaben über die Cholera in Altona zur Verfügung stehen^), sind daselbst etwa 500 Er- krankungen vorgekommen, von denen aber mindestens 400 als aus Hamburg eingeschleppt oder durch Verkehr mit dem Hafen entstanden sich herausgestellt haben, oder als von derartigen Fällen durch unmittelbare Übertragung ausgehend anzusehen sind. Von den übrigen 100 Fällen, deren direkte oder indirekte Abstammung von Hamburg nicht zu ermitteln sind, wird gleichwohl noch eine gewisse Anzahl derselben Herkunft sein, ohne daß sich dafür ein bestimmter Nachweis führen ließ. Ob unter dem noch bleibenden Rest, welcher als unabhängig von Hamburg entstanden die der Stadt Altona eigentlich zukommende Epidemie bildet, eine gewisse Anzahl von Fällen enthalten ist, die der nicht vollkommenen Reinigung des infizierten Elbwassers in den Sandfiltern zuzuschreiben sind, wird wohl nicht mehr zu entscheiden sein. Ich halte es jedoch nach den Untersuchun- gen von Fraenkel und P i e f k e^), welche gezeigt haben, daß bei einer Filtrations- geschwindigkeit von 100 mm die Cholerabakterien durch die Sandfilter noch nicht voll- ständig zurückgehalten werden, für sehr wahrscheinlich. Irgendwie erheblich kann aber die Anzahl der auf solche Weise in Altona entstandenen Chaleraf älle nicht gewesen sein und man wird wohl nicht verlangen können, daß, um auch solche vereinzelten Fälle mit Sicherheit in Zukunft zu vermeiden, nun den Sandfiltern doppelte oder gar dreifache Dimensionen ge- geben werden sollen. Wir müssen also nach allem, was wir bislang von der Sandfiltration kennen gelernt haben, zugeben, daß sie selbst unter günstigsten Verhältnissen keinen ab- soluten Schutz gegen Infektionsgefahr gewähren, aber wie bereits gesagt, doch einen solchen, mit dem man sich den Verhältnissen der Praxis gegenüber zufrieden geben kann. Wasser sein, doch darf letztere Zahl auch bei einem sehr stark verunreinigten Rohwasser nicht über 100 Keime im Kubikzentimeter hinausgehen. ^) Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. VIII, Heft 1. 2) Vgl. auch Wallichs, Die Cholera in Altona. Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1892, Nr. 46. 3) A. a. O. Wassei'filtratioii und Cholera. 189 All und für sich wird uns dieses Resultat in Cholerazeiten eine nicht geringe Beruhi- gung geben in betreff aller derjenigen Städte, welche auf Sandfiltration angewiesen sind. Aber die jetzige Choleraepidemie hat leider selbst schon wieder dafür gesorgt, daß diese Beruhigung keine zu weitgehende sein darf, sie hat uns an einigen handgreiflichen Bei- spielen gezeigt, daß eine Filtrationsanlage an sich noch nicht genügt, sondern daß sie in jeder Beziehung vollkommen konstruiert, auf das sorgfältigste geleitet und fortlaufend bakteriologisch kontrolliert werden muß, wenn nicht der dadiu'ch gewährte Schutz mehr oder weniger illusorisch werden soll. Die Vorkommnisse, welche uns wieder in eine gewisse Unsicherheit in bezug auf die Leistungen der vSandfiltration versetzt haben, gehören der Choleraepidemie in Nietleben bei Halle und der Winterepidemie in Altona an. Dieselben sind so lehrreich, daß sie eine etwas eingehendere Besprechung verdienen. Die Provinzial-lrrenanstalt N i e 1 1 e b e n, einige Kilometer westlich von Halle gelegen, bezieht ihren Wasserbedarf ans einem Arm der Saale, welcher ,, wilde Saale" genannt wird. Das Wasser der wilden Saale fließt mit eigenem Gefälle in eine Filteranlage und wird, nachdem es dieselbe passiert hat, durch ein eisernes Heberrohr bis zur Pump- station der Anstalt geleitet. Die Pumpen heben es dann in mehrere hochgelegene Reser- voirs, aus denen das Rohrnetz gespeist wird. Die Filteranlage, auf welche sich unser Interesse augenblicklich beschränkt, ist seit dem Jahre 1883 im Betrieb. In ihren Ein- richtungen entspricht sie fast vollständig den in neuerer Zeit gebauten größeren Filter- anlagen. Sie besteht aus drei in Mauerwerk ausgeführten nebeneinander gelegenen ver- deckten Filtern, von denen jedes 41,25 qm Fläche hat. Das Filtermaterial besteht Avie gewöhnlich aus einer untersten Steinlage, auf welcher nach oben zu Kies und dami Sand folgt, letzterer in einer 66 cm hohen Schicht. Das Flußwasser gelangt nicht uiimittelbar auf die Filter, sondern geht zuerst durch zwei nebeneinander gelegene Vorbassins von je 11,25 qm Fläche, von denen aus es durch eiserne Röhren an die Oberfläche der Sand- schicht geführt wird. Nachdem das Wasser durch die Filterschichten gegangen ist, sam- melt es sich in einem Kanal am Boden des Filters, welcher mit drei kleineren Behältern, den sogenannten Sammelschächten, an der anderen Seite der Filter in Verbindung steht. Letztere bilden, da sie untereinander komnmnizieren, gewissermaßen das Reinwasser- reservoir, aus dem das eiserne Heberrohr der Pumpstation das filtrierte Wasser ansaugt. Die Filter wurden nach Aussage des Filterwärters, Avelcher darüber protokollarisch ver- nommen ist, in folgender Weise behandelt. Sobald eins der Filter so weit verschlammt war, daß es gereinigt werden nnißte, wurde Ab- und Zufluß desselben abgesperrt und mit einer Handpumpe das über dem Sande stehende Wasser bis auf 10 cm abgepumpt. Hierauf wurde das Filter wieder mit dem zugehörigen Sammelschacht in Verbindung gesetzt und aus letzterem, nachdem er seinerseits von der Kommunikation mit dem Heberrohr abgesperrt Avar, das vorhandene Wasser durch Pumpen entfernt. Nun mußte der über der Sandschicht des Filters stehen gebliebene Rest von Wasser im Filtermaterial versinken, wodurch die Sandoberfläche trocken gelegt wurde. Man legte dann Bretter auf den Sand und entfernte die oberste Sandschicht, soweit dieselbe dunkel und schlammig aussah. Nach Entfernung der Schlammschicht wurde die Sandoberfläche wieder geebnet und die Bretter, welche als ITnterlage für die Füße gedient hatten, entfernt. L^m das Filter wieder zu füllen, wurde der vom Vorbassin zum Filter führende Schieber langsam geöffnet, damit die obere Sand- lage nicht aufgewirbelt würde, was jedoch in der Nähe des Rohrs auch bei langsamem Einfheßen nicht ganz zu vermeiden war : das Öffnen des Schiebers dauerte etwa 20 Minuten. Ungefähr Stunden nachdem der Schieber geöffnet war, stand in der Regel das Wasser im Sammelschacht höher wie in den benachbarten Sammelschächten und dann wurde 190 Wasserfiltration und Cholera. die Verbindung zu den beiden anderen Sammelschächten und zum Heberrohr hergestellt und dadurch die Filtration wieder in Gang gesetzt. Ursprünglich war diese Filteranlage für 700 Insassen der Anstalt berechnet und zwar sollten 300 Liter auf den Kopf täglich gehefert werden und die Pumpen während des Tages 15 Stunden arbeiten. Es waren also stündlich 14 cbm Wasser zu filtrieren. Dafür standen von den 3 Filtern zwei mit einer Fläche von 82,5 qm zur Verfügung, da das dritte wegen der Reinigungsarbeiten als außer Betrieb befindlich nicht mit in Rech- nung gezogen wurde. Unter Zugrundelegung dieser Zahlen ergibt sich eine Filtrations- geschwindigkeit von 170 mm in der Stunde. In der ersten Z'eit des Filterbetriebes blieben die einzelnen Filter etwa drei Wochen lang leistungsfähig. Sehr bald (bereits 1884) ging aber die Filtration weniger gut vor sich und man war schon nach 14 bis 10 Tagen genötigt, die Reinigung der Filter vorzunehmen. Zugleich stellte sich heraus, das das Heberrohr, welches, wie erwähnt, das filtrierte Wasser zum Pumpwerk beförderte, nicht dicht war (es bestand ursprünglich aus Tonröhren). Dasselbe nahm ziemlich bedeutende Mengen von Grundwasser aus dem Boden, in dem es verlegt war, auf. In Wirkhchkeit hatte die Filteranlage also schon damals bei 10- bis 14 tägiger Benutzung der Filter den Bedarf der Anstalt nur zum Teil gedeckt. Das tönerne Heberrohr wurde dann durch ein eisernes ersetzt, so daß nur noch filtriertes Saalewasser in die Anstalt gelangen konnte. Gleichzeitig erfuhr die Anstalt eine erhebliche Vergröße- rung, welche die Zahl der Insassen von 700 bis auf nahezu 1000 brachte. Damit wurde aber das schon von Anfang an bestehende Mißverhältnis zwischen Leistungsfähigkeit der Filteranlage und Beanspruchung derselben so gewaltig gesteigert, daß um die erforder- lichen Wassermengen zu erhalten, nichts übrig bheb, als die Sandschicht der Filter so durchlässig als nur mögüch zu halten. Die Reinigungsfristen wurden immer kürzer und in den beiden letzten Jahren (1891 und 1892) mußte der Filterwärter während des Sommers wöchentUch zwei Filter und während des Winters wöchentlich alle drei Filter reinigen. Es wurde also jede Woche Montag und Dienstag Filter Nr. 1, Mittwoch und Donnerstag Nr. 2, Freitag und Sonnabend Nr. 3 gereinigt; am Sonntag gingen alle drei Filter gleich- zeitig. Das Filterwerk hat schon in seiner Anlage einige Fehler. Es fehlt ihm eine Ein- richtung, die Filtrationsgeschwindigkeit zu messen und zu regulieren ; schlecht filtriertes Wasser kann nicht beseitigt werden; beim Anlassen des Filters kann die Sandschicht nicht von unten herauf mit filtriertem Wasser gefüllt und das Aufwühlen des Sandes durch das einströmende Rohwasser nicht verhindert werden. Indessen sind dies Fehler, die man auch an großen Filteranlagen findet. Dieselben erschweren es außerordentlich, ein gut filtriertes Wasser vermittels einer solchen Anlage zu gewinnen, machen es aber doch nicht unmöghch. Hätte man das Nietlebener Filterwerk in sachverständiger Weise benutzt und hätte man es auf seine Leistung fortlaufend bakteriologisch kontrolliert, dann würde es zwar weniger^), aber doch ein hygienisch kaum zu beanstandendes Wasser geliefert ^ ) Unter der Voraussetzung, daß nur zwei Filter in voller Tätigkeit sind und mit einer Gesamt- filterfläche von 82,5 qm arbeiten, würde bei ununterbrochener Ausnützung des Pumpwerkes (d. h. 24 Stunden und nicht 15 Stimden pro Tag) und einer Filtrationsgeschwindigkeit von 100 mm in der Stunde das Werk noch täglich 198 cbm filtriertes Wasser, also nahezu 200 Liter pro Kopf imd Tag gehefert haben. Man hätte im Notfall aber auch noch viel weiter herabgehen können in der Ausnutzung des Werkes, da 200 Liter noch eine sehr reichliche Wasserversorgnang geben. Ich hatte in letzter Zeit Gelegenheit eine andere Irrenanstalt zu besichtigen, welche zwar noch nicht im Betrieb war, aber von der mir offiziell versichert wurde, daß sie mit einem Verbrauch von 25 Liter pro Kopf und Tag werde aiiskommen müssen, da sich mit dem besten Willen nicht mehr beschaffen ließ (letztere Anstalt hat allerdings keine Dampfkesselanlage mit Wasser zu versehen, wie es in Metleben der Fall ist). Wasserfiltratioii und Cholera. 191 haben. Von einer sachverständigen Behandlung der Filter kann indessen nach dem Ge- schilderten keine Rede sein. Von den Beteiligten hat offenbar niemand auch nui* eine Ahnung davon gehabt, wie ein Filterwerk behandelt werden muß. Das filtrierte Wasser wurde gelegentlich chemisch untersucht und man glaubte, daß, wenn die chemische Analyse das Wasser als frei von Ammoniak und salpetriger 8äure ergeben hatte, das Filterwerk seine Schuldigkeit tue, namentlich wenn der betreffende Chemiker zugleich meldete, daß im Wasser mikroskopisch zwar einige braune und grüne Algen, aber keine ,, Kokken und Bakteriazeen", auch ,, keine geradezu schädlichen Sachen" zu finden seien. Eine regel- rechte bakteriologische Untersuchung ist vor dem Ausbruch der Cholera auch nicht ein einziges Mal vorgenommen; und doch hätte schon eine einzige derartige Untersuchung sofort erkennen lassen, daß das Wasser in dem Filterwerk nur von den gröberen suspen- dierten Stoffen befreit wurde^). Mikroorganismen und speziell Infektionsstoffe konnten bei solcher Art des Betriebs nur zum geringsten Teil zurückgehalten werden. Es kam schließlich nur darauf an, möglichst viel Wasser durch die Filterschichten zu jagen, und da war es gar nicht möglich regelrecht zu verfahren und die zur Filtration unerläßliche Schlammschiclit an der Oberfläche des Sandes sich bilden zu lassen. Davon, daß das Wasser mindestens 24 Stunden über dem Sand ruhen muß, um es zur Bildung der filtrierenden Schlammschicht kommen zu lassen, hat man in Nietleben überhaupt nichts gewußt, da man von Anfang an schon dreiviertel Stunden nach dem Anlassen des Filters die Filtration in Gang setzte. Aber es hätte sich trotzdem auch wäh- rend der Filtration nach einem oder wenigen Tagen so viel Schlamm auf der Sandober- fläche absetzen müssen, daß dann wenigstens das Wasser gut filtriert wurde. In den letzten Jahren hat man es aber auch dazu nicht mehr kommen lassen, denn die Filter gingen nur etwa fünf Tage, und wenn sich kaum eine filtrierende Schlammdecke gebildet hatte, dann wurde sie sofort wieder abgekratzt. Es war also schließlich nur noch eine Filtration dem Namen nach, in WirkUchkeit ging das Wasser so gut wie ungereinigt durch das Filterwerk. Um dies auch tatsächlich nachzuweisen, hat Prof. Pfuhl das Wasser vor und nach der Filtration während des Betriebs bakteriologisch untersucht. Er fand im ungereinigten Saalewasser 302 400 Keime im Kubikzentimeter und 52 410 Keime im Kubikzentimeter des filtrierten Wassers. Hätte man, wie gesagt, nur eine einzige derartige bakteriologische Untersuchung vor der Chorerazeit anstellen lassen und deren Ergebnis richtig zu würdigen gewußt, dann wäre man wohl nicht so sorglos der Gefahr entgegengegangen; es wäre gewiß beizeiten für eine Abstellung der Übelstände gesorgt und die Anstalt wäre vor einem großen Unglück bewahrt geblieben. Und man hätte doch alle Ursache gehabt, auf die Filtrationsanlage die allergrößte Aufmerksamkeit zu ver- wenden ; denn wie ich an einer anderen Stelle zu schildern haben werde, liegen für Niet- leben die Verhältnisse ganz ähnlich, wie für Altona. Das zu filtrierende Wasser ist in be- denklichster Weise der Verunreinigung ausgesetzt. Schon das Saalewasser fheßt mit den Schmutzstoffen vieler stromaufwärts gelegener Ortschaften beladen zu, so namentlich von Leipzig, dessen Abgänge durch die eine Meile oberhalb von Nietleben in die Saale einmündende Elster zugeführt werden. Am bedenkHchsten ist aber, daß 50 Schritte oberhalb der Entnahmestelle ein kleiner schmutziger Bach einmündet, welcher den sehr bezeichnenden Namen Saugraben führt. Derselbe kommt vom Dorfe Nietleben, erhält dort die Schmutzstoffe aus dem Orte, sowie von mehreren Gruben und Fabriken, un- mittelbar vor seiner Einmündung in die Saale aber noch die Abgänge von den Riesel- feldern der Anstalt selbst. Das trübe Wasser des Saugrabens mischt sich auch nicht etwa schnell in ausreichender Weise mit dem Saalewasser, sondern fheßt noch lange ^) Auch, von diesen nicht immer, da das Wasser öfters selbst in der Anstalt so wemg klar war, daß es von den Angestellten ungern getrunken wm-de. 192 Wasserfiltration tmd Cholera. Zeit, an der Färbung kenntlich, am Ufer hin und gelangt fast unverdünnt bis zur Ent- nahmestelle, welche also nicht etwa reines Saalewasser, sondern nur mäßig verdünntes Wasser des Saugrabens der Filteranlage zuführt. Man würde sicherlich nicht die Anlage eines Wasserwerkes dicht unterhalb eines so stark verunreinigten Zuflusses riskiert haben, wenn man nicht die volle Zuversicht gehabt hätte, daß das Wasser durch eine sorgfältige Filtration von schädlichen Stoffen gereinigt werden würde, und man hat gewiß nicht geahnt, daß bei der Art und Weise, wie das Wasserwerk betrieben wurde, dasselbe nicht einen Schutz gegen Infektion für die Anstalt gewährt, sondern geradezu ein Fangapparat für Infektionsstoffe werden mußte, der es denn schließlich auch leider geworden ist. Das Verhalten der Cholera in Nietleben lieferte schon an und für sich den Beweis, daß das schlecht filtrierte Wasser der Träger des Infektionsstoffes gewesen ist. Zum Überfluß sind aber auch noch die Cholerabakterien im Saalewasser unterhalb der Einmündungs- stelle des Saugrabens zweimal und zwar zu verschiedenen Zeiten, ferner im filtrierten Wasser aus dem Sammelschacht des Filters Nr. II und an einer Stelle im Leitungs- wasser der Anstalt selbst nachgewiesen. In dem Wasserwerk von Nietleben haben wir eine Anlage kennen gelernt, welche trotz der ihr anhaftenden Fehler bei einer sehr geschickten und sorgsamen Bedienung immer noch befriedigende Resultate hätte geben müssen; auch hätten die Fehler sich mit geringen Änderungen so gut wie gänzlich beseitigen lassen. Nun werden wir aber im Gegensatz hierzu an dem Altonaer Wasserwerk erfahren, daß die jetzt bestehenden Filter- anlagen Fehler besitzen körmen, deren Bedeutung man bisher entweder nicht gekannt oder doch nicht genügend gewürdigt hat und denen gegenüber selbst die beste Leitung machtlos ist. Das A 1 1 o n a e r Wasserwerk ist eines der ältesten in Deutschland. Es liegt bei Blankenese, anderthalb Meilen unterhalb der Stelle, wo sich an der Grenze von Hamburg und Altona die sämtlichen Siele der beiden Städte in die Elbe ergießen, und zwar an dem- selben Ufer wie die Sielauslässe. Die Entnahmestelle liegt im Gebiet von Ebbe und Flut, deren Höhendifferenz für jene Stromgegend im Durchschnitt etwas über 2 m beträgt^). Während der Ebbe' erhält das Wasserwerk das durch die städtischen Schmutzwässer stark verunreinigte Elbwasser des rechten Ufers, während der Flut mit dem zurückgestauten Strom Wasser, welches mit großen Mengen weniger verunreinigten Elbwassers gemischt ist. Es gibt sich dies auch sofort an dem bakteriologischen Verhalten des Elbwassers zu erkennen, welches ganz bedeutende Schwankungen im Keimgehalt hat ; in kurzen Zwischen- räumen können wenige tausend und dann wieder einige hunderttausend Keime im Kubik- zentimeter gefunden werden, namentlich auch im Winter, wo sonst im Flußwasser die Keimzahl beträchtlich und gleichmäßig herabzugehen pflegt. Unmittelbar am Elbufer befindet sich das Pumpwerk, welches das Wasser 84,7 m hoch auf den Baursberg, eine das steile Elbufer überragende Höhe, befördert, wo das Wasserwerk erbaut ist. Das letztere besteht aus zwei Ablagerungsbassins, in denen das ziemlich stark trübe Elbwasser schon einen Teil seiner Sinkstoffe absetzt, und acht offenen Filtern. Jedes Filter hat etwas über 800 qm Fläche. Von den Filtern gelangt das Wasser in ein 3050 cbm fassendes Rein- wasserreservoir und von da mit eigenem Gefälle nach der Stadt. Die Einrichtung der Filter unterscheidet sich von derjenigen anderer Anlagen nicht. Seit dem Sommer des Jahres 1980 wird das Wasser bakteriologisch untersucht, jedoch nur wöchenthch einmal und nur Proben, welche aus dem Reinwasserreservoir entnommen sind^). Bis zum Sommer 1892, also während eines Zeitraums von zwei Jahren, ^) Vgl. Haraburg in naturhistorischer und medizinischer Beziehung. Festschrift der 49. Ver- sammlung deutscher Naturforscher und Äxzte (Hambiirg 1876), p. 236. -) Kümmel, Versuche und Beobachtungen über die Wirkungen von Sandfiltern. Schil- lings .Jovirnal für Gasbeleuchtung und Wasserversorgung, 1893, Nr. 9. Wasserfiltration und Cholera. 193 ist die Keimzahl im Kubikzentimeter des filtrierten Wassers, mit Ausnahme einer kurzen Periode im Januar 1891, immer unter hundert geblieben. Zahlen unter 20 waren die Regel, 50 bis 70 Kolonien gehörten zu den Seltenheiten. Dieses ausgezeichnete Resultat ist unzweifelhaft der geschickten und sorgsamen Behandlung der Filteranlagen zu ver- danken; namentlich wurde bei diesem Wasserwerk streng darauf gehalten, daß die Fil- trationsgeschwindigkeit nicht über 100 mm in der Stunde hinausging; gewöhnlich wurde noch langsamer filtriert Von besonderer Wichtigkeit ist noch, daß die gleichmäßig nied- rigen Keimzahlen erhalten wurden, obwohl das Rohwasser fortwährend in seinem Keim- gehalt schwankte und mitunter außerordentlich stark verunreinigt war. Es ist damit der Beweis geliefert, daß ein Filterwerk bei regelrechtem Betrieb auch aus schlechtestem Rohmaterial — viel schlechteres als das Elbwasser bei Blankenese wird wohl anderwärts kaum vorkommen — ein Filtrat mit einer geringeren Keimzahl als 100 im Kubikzenti- meter liefern muß. Wir können nun aber weiter vom Altonaer Filterwerk lernen, daß Störungen im Filterbetrieb sich sofort bakteriologisch, nicht selten aber auch an der Wirkung der vom Filter nicht mehr genügend zurückgehaltenen Infektionsstoffe, d. h. am Auftreten von Infektionskrankheiten im Bereich des Wasserversorgungsgebietes zu erkennen geben. Glücklicherweise gibt es nicht viele Infektionskrankheiten, denen das Wasser gelegenthch als Träger dienen kann. Mit Sicherheit kennen wir nur zwei, die Cholera und den Ab- dominaltyphus. Die Cholera kommt für uns nur periodisch in Betracht, der Abdominal- typhus aber als endemische und bei uns überall verbreitete Krankheit beständig. Man kann wohl annehmen, daß unsere großen Städte niemals ganz ohne Typhus sind und daß in ihren Schmutzwässern außer anderen Fäkalien auch immer diejenigen von Typhus- kranken und damit der Infektionsstoff des Abdominaltyphus enthalten ist. Wenn nun, wie dies jetzt meistens der Fall ist, die Schmutzwässer durch Kanalisation möglichst bald aus dem Bereich des betreffenden Ortes entfernt und nicht etwa durch die Wasser- versorgung wieder eingeschleppt werden, dann nimmt der Abdominaltyphus, wenigstens soweit die Wasserinfektion in Betracht kommt, ab. Er braucht deswegen nicht ganz zu verschwinden, da es für diese Infektionskrankheit, ebenso wie bei der Cholei'a, auch noch andere Verbreitungswege gibt als das Wasser; ich möchte sogar annehmen, daß der Ab- dominaltyphus in noch geringerem Grade vom Wasser abhängig ist und seine Wege auch ohne das Wasser leichter zu finden weiß, als die Cholera mit ihrem exotischen, eigentlich tropischen Infektionsstoff, welcher Feuchtigkeit und Wärme für seine Existenz in viel höherem Maße beansprucht, als der widerstaiidsfähigere Typhusbazillus. Immerhin kann letzterer, wie zahlreiche Beobachtungen aus neuerer Zeit beweisen, gelegentlich durch Wasser verbreitet werden^), und wenn im Bereiche einer Wasserversorgung plötz- lich eine auffallende Zunahme von gleichmäßig verbreiteten, unter sich nicht im Zusammen- hang stehenden Typhusfällen vorkommt, dann hat man alle Ursache, nachzuforschen, ob es sich dann nicht um eine durch die Wasserleitung bedingte Epidemie handelt. Wird nun in einem solchen Falle dieser Verdacht durch die weiteren Nachforschungen be- stätigt, dann hat der Typhus gewissermaßen als Index für Mängel in der Wasserversor- gung gedient. Es hat sich in der Tat ein derartiger Zusammenhang in fast allen derartigen Fällen nachweisen lassen, in denen die Untersuchung gründlich und ohne Vorurteil geführt wurde, und das Verhalten des Typhus in einem Orte wird uns deswegen zukünftig ein höchstwertvoller Wegweiser zum Auffinden von Fehlern in der Wasser- versorgung sein. M Wenn ich hier sage, daß Typhus durch Wasser verschleppt werden kann, dann mache ich naich darauf gefaßt, daß ich deswegen sofort von gewisser . Seite auch als ,, Trinkwasserfanatiker" in bezug auf Abdominaltyphus denunziert werde. Koch, Gesammelte Werke. 58 194 Wasserfiltration \ind Cholera. Etwas Derartiges hat sich auch in Altona zugetragen. Die Stadt hat in den letzten Dezennien Typhusepidemien gehabt, welche wegen ihres eigentümlichen Verhaltens den Verdacht erweckten, daß sie mit der Wasserversorgung in Zusammenhang stehen mußten. Die ersten Mitteilungen hierüber verdanken wir R e i n c k e i). Derselbe wies darauf hin, daß die Typhusepidemien in Altona nicht gleichzeitig mit den Hamburger Epidemien verlaufen, sondern ihnen um einige Wochen nachfolgen und daß in Altona der Typhus dasselbe Gebiet einnimmt, wie die Wasserleitung. Er sprach deswegen schon seinerzeit den Ver- dacht aus, daß dies der Wasserversorgung zuzuschreiben sei. In diesem Verdacht wurde er durch das Resultat von bakteriologischen Untersuchungen bestärkt, welche von Spiegelberg in den Jahren 1885 und 1886 ausgeführt waren. Aus diesen Untersu- chungen, welche leider nur in monathchen Zwischenräumen gemacht sind, ging nämlich hervor, daß die Zahl der Keime im Altonaer Leitungswasser kurz vor dem Ausbruch der Typhusepidemie des Jahres 1886 stark zugenommen hatte (bis 1150 Keime im Kubik- zentimeter am 20. Februar 1886). R e i n c k e schloß daraus, daß Störungen im Betriebe der Filter vorgekommen sein müßten, ohne daß es jedoch gelang, dieselben nachzuweisen. Etwas weiter in der Lösung dieser Frage kam Wallichs ^). Ihm war besonders auf- gefallen, daß vom Jahre 1886 bis 1888 alljährlich sich eine Typhusepidemie im Anschluß an eine längere Frostperiode entwickelte. So folgte 1886 einer Frostperiode im Februar eine Typhusepidemie im März. 1887 war der Januar der kältere Monat und der Typhus erreichte in diesem Jahre im Februar seine Höhe. 1888 war wieder der Februar kälter und der März der stärkste Typhusmonat. Auch im Jahre 1891 folgte eine Typhuszunahme im Februar auf eine Kälteperiode im Januar. Während dieser letzten Typhusepidemie standen schon die oben erwähnten fortlaufenden bakteriologischen Untersuchungen des Altonaer Leitungswassers zur Verfügung. Aus denselben Heß sich ersehen, daß ähnhch wie bei den Spiegelberg sehen Untersuchungen, kurze Zeit vor dem Ausbruch der Typhusepidemie die Keimzahl im filtrierten Wasser bedeutend gestiegen war (nach Wallichs am 13. Januar 2615, am 20. Januar 1364, nach Kümmel einmal 1900 und ein anderes Mal 1100). Wallichs hielt sich zwar nicht dazu berechtigt, die Wasser- leitung schon bestimmt als Typhusursache zu beschuldigen, er sprach aber den dringenden Verdacht aus, daß es so sein könne und warf auch schon die Frage auf, ob nicht durch die Eisbildung auf den offenen Filtern die Filtration gestört werde, oder ob nicht mögUcher- weise bei der Reinigimg der Filter bei starkem Froste die Oberfläche des Sandes gefriere und dann ungenügend filtriere. Von selten Kümmels wurden diese Möglichkeiten damals noch bestritten. Später hat letzterer gegen die Abhängigkeit der Typhusepidemie in Altona von der Wasserversorgung auch noch geltend gemacht, daß im Jahre 1892 wiederum eine Typhusepidemie (im Februar) entstand, während und vor welcher die Bakterienzahl im filtrierten Wasser nicht zunahm. Diesen letzteren Einwand halte ich nicht für zutreffend, denn das filtrierte Wasser wurde nur wöchentlich einmal untersucht, auch nicht das Filtrat eines jeden einzelnen Filters, sondern das Gesamtfiltrat aus dem Reinwasserbehälter. Bei dieser Art der Untersuchung können, wie wir später sehen werden, Schwankmigen im Bakteriengehalt leicht übersehen werden, namentlich wenn die Störungen in der Filtration sich auf ein einzelnes Filter beschränken. Kümmel sagt selbst, daß 1891 die Keimzahl sehr rasch in die Höhe gegangen, aber auch ebenso rasch wieder gefallen sei ; sobald nur ein paar Filter gereinigt wurden, sank die Keimzahl sofort auf die Norm zurück und innerhalb drei Wochen war alles vorüber. Solche Perioden 1) Reincke, Der Typhus in Hamburg mit besonderer Berücksichtigung der Epidemien von 1885 bis 1888, Hamburg 1890, p. 35 ff. 2) W a 1 1 i c h s , Eine Typhiisepidemie in Altona, Anfang des Jahres 1891. Deutsche Medi- zinische Wochenschrift, 1891, Nr. 25. Wasserfilfcration und Cholera. 195 erhöhter Keimzahlen können aber auch noch kürzer sein, mitunter dauern sie nur wenige Tage und entgehen dann bei siebentägiger Untersuchung leicht der Beobachtung. Nachdem durch die früheren Typhusepidemien die Aufmerksamkeit bereits auf die Möglichkeit einer Insuffizienz des Filterwerks während eines kalten Winters gelenkt war, mußte sich, als im Januar imd Februar 1893 Cholerafälle über die ganze Stadt ver- breitet und ohne Zusammenhang untereinander auftraten, sofort wieder der Verdacht gegen das Wasserwerk richten. An Einschleppung aus Hamburg, die während des Sommers eine so große Rolle gespielt hatte, konnte man nicht denken, da einige der Erkrankten ihre Wohnung gar nicht verlassen hatten, bei den anderen ein Verkehr mit Hamburg nicht nachzuweisen war, hauptsächlich aber auch deswegen nicht, weil in Hamburg damals die Cholera bereits vollständig erloschen war. Von einzelnen der letzten Ham- burger Fälle nahm man in Hamburg sogar an, daß ihre Infektion in Altona oder wenigstens in der Hamburger Vorstadt St. Pauli erfolgt sein müsse, welche seit einigen Monaten mit Altonaer Leitungswasser versorgt war. Diese Befürchtung hatte sogar zur Folge, daß die Auslässe für Altonaer Wasser in St. Pauli geschlossen wurden. Es fragte sich nun, ob denn der vorliegende Verdacht auch wirklich zu begründen sei und zu diesem Zwecke mußte zunächst wieder die bakteriologische Untersuchung zu Rate gezogen werden. Vom 1. Oktober 1892 ab hatte Weisser fast täghch Proben aus dem Reinwasserreservoir des Altonaer Wasserwerks untersucht. Aus Weissers Zahlen war sofort zu ersehen, daß schon in der ersten Woche des Dezember eüie schnell vorübergehende Zunahme der Bakterien im filtrierten Wasser vorgekommen war. Vom 30. Dezember 1892 ab fing die Keimzahl wieder an zu steigen, erreichte am 12. Januar 1893 1516, fiel wieder vorübergehend und stieg in der letzten Januarwoche auf 1200 bis 1400. Daß irgendwelche Störungen im Filterbetrieb vorgekommen sein mußten, war hiemach außer Zweifel. Wenn solche Störungen vorkommen, betreffen sie natürlich niemals sämtliche Filter zugleich, sondern immer nur einzelne; man mußte also, um den Fehler zu finden, sofort jedes Filter einzeln bakteriologisch untersuchen. Leider Heß sich das nun nicht so ohne weiteres ausführen, da die Filter nicht mit Einrichtungen ver- sehen waren, um von jedem einzelnen das eben filtrierte Wasser entnehmen zu können. Nur das Filter Nr. 8 konnte für sich allein untersucht werden, Nr. 1 bis 4 mündeten ver- mittels eines gemeinschaftlichen Rohrs in das Reinwasserreservoir, ebenso Nr. 5 bis 7 und Nr. 9 und 10, so daß diese Filter nur gruppenweise geprüft werden konnten. Schon am 31. Januar war nach Weissers Untersuchungen die Zahl der Keime auf 354 (am Tage vorher auf 1256) herabgesunken^). Vom 1. Februar ab stehen uns die Unter- suchungsergebnisse eines Bakteriologen zur Verfügung, welcher für das Altonaer Wasser- werk angestellt ist, um die täglichen Untersuchungen der einzelnen Filter durchführen zu können. Vom 3. Februar ab konnten auch schon die Filter Nr. 9 und 10 und vom 8. Februar sämtliche Filter getrennt untersucht werden. Die Zahlen für den Monat Februar sind in der Tabelle p. 196 zusammengestellt. Die Zahlen dieser Tabelle beanspruchen das größte Interesse. Zunächst geht' daraus hervor, daß am 1. Februar das Filter Nr. 8 schlecht funktionierte, ebenso die Gruppe 9 und 10, in welcher, wie die getrennte Untersuchung vom folgenden Tage ergab, das Filter Nr. 10 das schlecht filtrierende war. Auch die Gruppe 5, 6, 7 heferte noch kein genügend gereinigtes Wasser. Im Rein Wasserreservoir wurden zu gleicher Zeit nur 154 Keime im Kubikzentimeter gefunden, eine Zahl, welche kaum Veranlassung gegeben hätte, eine Störung im Filterbetrieb zu vermuten; und doch funktionierten mindestens zwei Filter 1) Diese letzten Zahlen lieziehen sich nicht auf Proben aus dem Reinwasserreservoir, sondern aus einer Zapfstelle des Garmsonlazaretts in Altona. Das Wasser des Eeinwasserreservoirs würde, weil es den Filtern näher gelegen ist, wohl etwas niedrigere Zahlen gegeben haben. 58* 196 Wasserfiltration vmd Cholera. schlecht. Aber der daraus resultierende Fehler wurde durch die besseren Leistungen der übrigen Filter so weit verdeckt, daß das Gesamtwasser des Reinwasserreservoirs nur noch eine Andeutung davon erkennen ließ, welche auch leicht hätte übersehen werden können. In den vorhergehenden Tagen, an welchen im Leitungswasser noch bedeutend höhere Keimzahlen gefunden waren, müssen die Störungen im Filterbetrieb erheblich größer gewesen sein. Vermutlich hatten sie sich durch die bei der Filtration notwendigerweise zunehmende Verschlammung der Filter schon wieder bis zu dem Grade ausgeglichen, der am l. Februar konstatiert wurde. Keimgehalt des Wassers der Altonaer Wasserwerke. 3 Filter !-l R. W. E. W. Bemerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1. 832 154 28520 R. = Reinigung des Filters 2. 88 919 550 908 142 35340 R.W^. = Reinwasserreservoir 3. 106 Vli.' ö * *r R. 76 636 HO 40920 E. W. = Elbwasser vor der 4. 123 ■ 208 96 530 146 31360 Filtration 5. 176 9ftfi 544 84 362 105 33480 6. 418 401 82 334 68 39680 7. 234 446 94 R. 94 41660 8. 50 22 40 24 98 14.fi 368 84 152 130 25560 9. 48 28 R. 32 Ort 1 \9 182 64 122 72 44140 10. 108 50 88 20 98 Q8 110 58 112 126 42160 11. 68 60 76 78 36 140 R. 126 76 204 152 34100 12. 72 58 240 60 38 110 288 80 70 282 82 26040 13. 34 30 560 48 28 82 214 186 86 374 104 24800 14. 40 46 354 24 18 52 164 142 46 364 142 34080 15. 26 28 76 14 18 44 74 48 26 72 49 40360 16. 38 26 84 24 22 52 76 60 R. 120 78 25420 17. 20 36 156 E. 22 48 82 86 324 130 95 26400 18. 26 18 102 54 32 54 112 72 82 126 91 26440 19. 24 20 88 78 28 44 98 82 64 102 70 24800 20. 26 22 70 104 24 36 96 88 34 78 46 19840 21. 20 14 80 68 E. 34 96 44 30 152 50 34720 22. 34 R. 46 62 158 34 68 36 64 verungl. 42 18250 28. 46 246 52 66 138 46 56 54 72 174 68 14560 • 24. 22 42 32 36 72 22 72 76 34 44 54 11080 25. 18 36 30 28 48 16 48 42 36 38 48 12360 26. 14 20 24 21 34 12 40 36 28 34 32 9370 Femer ist noch auf das bakteriologische Verhalten der Filter unmittelbar nach ge- schehener Reinigung aufmerksam zu machen. Die Tabelle lehrt, daß ein solches Filter fast regelmäßig längere Zeit ungenügend funktioniert. Aus den Zahlen der folgenden Monate, welche im großen und ganzen mit denen des Februar übereinstimmen und des- wegen hier nicht wiedergegeben zu werden brauchen, geht auch hervor, daß die Erneuerung der Sandschicht, welche für jedes Filter von Zeit zu Zeit erfolgen muß, eine noch größere Störung wie die einfache Reinigung bedingt. So hatte Filter Nr. 10, nachdem am 13. März Sand aufgefüllt war, am 15. März 1880 Keime und am 24. März noch 148. Das Filter Wasserfiltration vmd Cholera. 197 Nr. 8 hatte vor der Erneuerung des Sandes tagelang 20 bis 30 Keime, unmittelbar darauf 1364 Keime (an den beiden darauf folgenden Tagen 468 und 244). Im übrigen bestätigte die täglich durchgeführte Untersuchung die früheren Er- fahrungen, daß ein regelrecht funktionierendes Filter ein Wasser mit einer geringeren Keimzahl als 100 liefern muß. Diese Verhältnisse sind für die zukünftige Beurteilung der Leistungen eines Filter- werks von hoher Bedeutung und ich werde später darauf zurückkommen müssen. Das am schlechtesten funktionierende Filter war nach den Untersuchungen am 1. Februar das Filter Nr. 8 gewesen. An diesem mußte man versuchen, den Fehler auf- zufinden, welcher die Störung in der Filtration veranlaßt hatte. Glückhcherweise ist denn auch der Fehler noch entdeckt worden. Am 3. Februar wurde das über der Sand- schicht des Filters stehende Wasser abgelassen und die Schlammschicht entfernt. Wie mir Herr Direktor K ü m m e 1 am 4. Februar schrieb, fand man dabei, daß die Sand- schicht an der Oberfläche gefroren war. Nach den Mitteilungen des Herrn K ü m m e 1 ist das Einfrieren der Sandschicht in folgender Weise zustande gekommen. Als nach langer Frostperiode ein etwas milderes Wetter eingetreten war, wollte man dies benutzen, um die Filter zu reinigen. Man begann bei geringer Kälte mit Filter Nr. 8, eiste es frei und ließ es ab. Dann trat aber unerwartet — 14^ R Kälte ein und es fror bei dieser Tempe- ratur die Oberfläche des Filters vollständig fest, so daß die Reinigung nur mit größter Mühe zu Ende gebracht werden konnte. Das Filter wurde mit Wasser gefüllt und die übliche Zeit ruhig stehengelassen, filtrierte dann aber so gut wie gar nicht, d. h. es floß fast gar kein Wasser hindurch. Erst nach mehreren Tagen konnte das Filter mit etwa 40 mm Geschwindigkeit benutzt werden, es wurde nach und nach besser und konnte schließlich bis zu etwa 80 mm filtrieren. (Es fiel dies in die Zeit vom 24. bis 26. Januar.) Als Fehler im Filtrationsbetrieb hat sich also das Einfrieren der Sandschicht an ihrer Oberfläche während der Reinigung herausgestellt. Die Vereisung des Sandes macht ihn vollständig undurchlässig für Wasser und das Filter ging deswegen anfangs überhaupt nicht. Allmählich muß unter dem Wasser und in Berührung mit demselben die Eisschicht an einzelnen Stellen weggeschmolzen sein, damit kam die Filtration in Gang, anfangs mit 40, zuletzt mit 80 mm Geschwindigkeit, also nahezu mit der gewöhnlichen Leistung. Diese Angabe ist aber so zu verstehen, daß das Filter so viel Wasser lieferte, als es mit voller Filterfläche bei 40 bzw. 80 mm Geschwindigkeit gegeben haben würde. Nun hat aber nicht seine Gesamtfläche, sondern wahrscheinlich nur ein kleiner Teil filtriert, denn am 3. Februar wurde die Sandoberfläche noch fast ganz vereist gefunden. Daraus ist aber weiter zu schheßen, daß die Bewegung des Wassers durch den Bruchteil der Gesamt- fläche mit einer dem Verlust an Fläche entsprechend hohen Geschwindigkeit vor sich ge- gangen sein muß. Da sich nicht zahlenmäßig bestimmen läßt, um wieviel die Filter- fläche durch die Vereisung der Sandoberfläche verkleinert war, so ist es auch unmöghch, die Filtrationsgeschwindigkeit zahlenmäßig auszudrücken. Aber sie wird unter den ge- gegebenen Verhältnissen unzweifelhaft das Maximum erreicht haben, welches bei der vor- handenen Niveaudifferenz zwischen dem nichtfiltrierten und filtrierten Wasser überhaupt niöghch war, d. h. das Filter funktionierte mit der noch vorhandenen filtrierenden Fläche so schlecht wie möglich. Früher hat man bestritten, daß eine Vereisung der Sandoberfläche zu Betriebsstörun- gen Veranlassung geben könne, weil eine möglicherweise entstandene dünne Eisdecke unter dem Wasser, welches natürlich immer eine oberhalb des Gefrierpunktes hegende Tempe- ratur hat , nach kurzer Zeit wieder verschwinden müsse. In diesem Falle, dem ersten, in welchem eine rechtzeitige und genaue Untersuchung stattgefunden hat, ist nun aber der handgreifhche Beweis geliefert, daß die Vereisung der Sandoberfläche vorkommt und in 198 Wasserfiltration und Cholera. bedenklichster Weise die Filtration stören kann. Wir werden in Zukunft also stets bei Wasserwerken, welche offene Filter haben, mit dieser Störung zu rechnen haben. Es braucht aber gar nicht einmal zur Vereisung der Sandoberfläche zu kommen, um während des Winters mit der Filtration in die größten Schwierigkeiten zu geraten. Es muß nämlich, um offene Filter im Winter reinigen zu können, die mitunter recht dicke Eisdecke, welche sich auf dem über dem Sand stehenden, noch nicht filtrierten Wasser bildet, entfernt werden. Dieselbe wird zerbrochen und das Eis stückweise aus dem Wasser herausgezogen. Die Altonaer Filter haben eine verhältnismäßig sehr geringe Oberfläche (etwas über 800 qm) und es ist nicht aUzu schwierig, sie von der Eisdecke zu befreien, namenthch wenn, wie dies regelmäßig geschieht, der Kand des Filters beständig eisfrei gehalten wird. Je größer die Flächen der Filter sind, um so schwieriger wird dieser fortwährende Kampf mit der Eisbildung auf den Filtern. Das Berhner Wasserwerk vor dem Stralauer Tor hat offene Filter, welche fast viermal so groß sind, wie die Altonaer Filter. Hier scheint schon die Reinigung der Filter zur Winterzeit auf fast unüberwind- liche Schwierigkeiten zu stoßen. Solange das Wasser dieser Filteranlage im hygienischen Institut zu Berlin (1885 bis 1891) bakteriologisch untersucht wurde^), trat fast in jedem Winter eine Periode ein, in welcher das Wasser ungenügend filtriert war. Die Ursache dieser Erscheinung lag darin, daß es unmöghch war, die längst totgearbeiteten (d. h. zu stark verschlammten), aber noch mit dicker Eisschicht bedeckten offenen Filterbassins zu reinigen. Die ganze Leistung mußte infolgedessen den wenigen überwölbten (frost- freien) Filtern zufallen, wobei große Unregelmäßigkeiten im Betriebe und Maximal- geschwindigkeiten von mehr als 200 mm pro Stunde oft nicht zu umgehen waren^). Die offenen Filter des Stralauer Werkes sind aber noch nicht die größten. Das neue Hamburger Wasserwerk hat offene Filter von 7500 qm Flächeninhalt, die also fast zehnmal so groß sind, wie die Altonaer. Die Zukunft muß lehren, ob es überhaupt möghch ist, Filter von solcher Größe eisfrei zu machen und so schnell zu reinigen, daß ihre Sand- oberfläche nicht einfriert. Mir erscheint dies nach den bisherigen Erfahrungen kaum ausführbar. Der Winter mit seinen Frostperioden ist nicht der einzige Feind der Filtration. Auch im Sommer kommen Zeiten vor^), in denen es kaum möglich ist, einen geordneten Betrieb durchzuführen. Dies tritt dann ein, wenn das Wasser reich an mikroskopischen Pflanzen wird (Zeit der sogenannten Wasserblüte) und zugleich der Wasserkonsum seine größte Höhe erreicht. Die pflanzhchen Mikroorganismen haben meistens schleimige Hüllen, welche die Poren des Filters schnell verstopfen und dasselbe schon nach wenigen Tagen funktionsunfähig machen können. Der im Sommer gesteigerte Wasserverbrauch läßt nicht zu, daß die Filter nach der Reinigung eine hinreichende Zeit ruhen, sie werden zu früh und mit zu großer Filtrationsgeschwindigkeit betrieben und geben dementsprechend imgenügend gereinigtes Filtrat. Glücklicherweise haben solche Störungen, welche auf fast allen Filterwerken oft genug vorkommen, nicht immer gleich gefährhche Epidemien zur Folge. Es muß schon das Vorhandensein von Infektionsstoffen im Rohwasser mit der Insuffizienz der Filter- anlage zufällig zusammentreffen, um ein solches Unglück zustande kommen zu lassen. ^) Plagge wad Proskaue r, Bericht über die Untersuchung des Berliner Leitungswassers in der Zeit vom 1. Juni 1885 bis 1. April 1886. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. II. — Proskauer, Über die Beschaffenheit des Berliner Leitungswassers in der Zeit vom April 1886 bis März 1889. Ebenda, Bd. IX. — Derselbe, Über die Beschaffenheit des Berüner Leitungswassers in der Zeit vom April 1889 bis Oktober 1891. Ebenda, Bd. XIV. ^) Wörtliche Wiedergabe der von der Betriebsleitung gegebenen Auskunft. Vgl. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. IX, p. 123, Bd. XIV, p. 264 ff. 2) P i e f k e , Mitteilungen über natürliche und künstliche Sandfiltration, Berlin 1881, p. 9. Wassertiltration und Cholera. 199 Dann handelt es sich aber auch nicht um einen Defekt des ganzen Werkes, so daß alles Wasser ungereinigt durch das Filter geht, sondern es bleibt in der Regel nur bei einem oder wenigen Filtern, welche vorübergehend schlecht funktionieren. Das Filterwerk gestattet also auch im ungünstigsten Falle nur einem Teile der Infektionskeime den Durch- gang. Daß aber auch diese noch Epidemien veranlassen können, haben wir an den Typhus- epidemien von Altona gesehen, das lehrt die vom »Stralauer Wasserwerk ausgehende Typhusepidemie in Berlin (1889)^) und das lehrt ferner die Gholeraepidemie in Altona während der beiden ersten Monate dieses Jahres. Es ist bereits erwähnt, daß schon in der ersten Dezemberwoche vorübergehend die Filtration ungenügend gewesen war. Damals war Hamburg wochenlang von Cholera frei gewesen und es traten gerade die ersten vereinzelten Fälle der Nachepidemie auf (vom 6. bis 11. Dezember drei Fälle). Es fehlte also noch an Infektionsstoff im Elbwasser und der Filtrationsfehler blieb deswegen ohne üble Folgen für Altona. Inzwischen ent- wickelte sich aber die kleine Nachepidemie in Hamburg (vom 20. bis 27. Dezember 27 Fälle), welche dafür sorgte, daß Infektionsstoff in die Elbe gelangte, und als nun gegen Ende Dezember die ausführlich beschriebene Störung der Altonaer Filterwerke eintrat, da wurden über die Stadt die Infektionskeime ausgebreitet und bewirkten das Auftreten von verstreuten Fällen, für welche keine Einschleppung aufzufinden war. Die Infektion des Elbwassers kann, wegen der kleinen Zahl von Cholerafällen in Hamburg, nur eine geringe gewesen sein, es sind auch anscheinend nur zwei Filter defekt gewesen und diesem Umstände ist es zuzuschreiben, daß der Choleraausbruch in Altona sich in geringen Dimensionen hielt und sobald das Filterwerk in Ordnung gebracht war, bald wieder aufhörte. Hätte Hamburg damals mehr Infektionsstoff geliefert und wäre der Filterbetrieb längere Zeit gestört geblieben, dann würde es wohl nicht bei dieser kleinen Nachepidemie geblieben sein. Es wäre dann auch zu fürchten gewesen, daß sich in Altona, dessen Abgänge bekannt- lich ebenfalls in die Elbe gehen, ein Circulus vitiosus entwickelt hätte, vermittels dessen die Cholera dort überwintern konnte, was aber mit allen Mitteln verhütet werden mußte. Wenn ich von einem Infektionsstoff sprach, welcher von Hamburg ausgehend in das Elbwasser gelangte, dann ist das keineswegs eine Hypothese, sondern es ist, wie schon in einer vorhergehenden Mitteilung^) erwähnt wurde, gelungen, in dem Elbwasser die Cholerabakterien nachzuweisen. Sie wurden in demselben nicht weit unterhalb der Ein- mündung des Hamburger Stammsiels gefunden. Auch in dem Wasser eines der beiden Absitzbehälter des Filterwerkes, also unmittelbar vor der Filtration, sind sie nachgewiesen. In dem filtrierten Wasser sind sie zwar nicht gefunden, doch würde auch dies wohl ge- lungen sein, wenn viel größere Quantitäten Wasser verarbeitet wären, als geschehen ist. Dies ist das Tatsächliche, was ich über die Beziehungen zwischen Wasserfiltration und Cholera mit spezieller Berücksichtigung der Epidemien in Altona und Nietleben zu berichten habe. Es fragt sich nun, welche Lehren wir daraus für die Zukiuift zu ent- nehmen haben. Gerade mit Rücksicht auf die vielfachen und gründlichen Untersuchungen, welche in den letzten Jahren auf den Wasserwerken von Berlin und Altona über den Filtrations- prozeß und das bakteriologische Verhalten des Wassers vor und nach der Filtration an- gestellt sind, hatte man die Überzeugung gewonnen, daß eine hinreichende Garantie für die genügende Leistung einer Filtrationsanlage schon gegeben sei, wenn mit einer Geschwindigkeit von 100 mm in der Stunde filtriert Avird. Nun stellt sich aber durch die M P r a e 11 k e 1 und P i e f k e. Versuche über die Leistungen der Sandtiltration. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. VIII. ^) Über den augenblickUchen Stand der bakteriologischen Choleradiagnose. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. XIV (diese Werke Bd. II, p. 1<>7). 200 Wasserfiltration und Cholera. weiteren Erfahrungen an diesen Wasserwerken heraus, daß wir mit der einfachen Stellung dieser Forderung noch nicht allzuviel erreichen. Denn bei den jetzt bestehenden Ein- richtungen werden die meisten Wasserwerke sie nicht erfüllen können und sie erfüllen sie auch tatsächlich nicht. Dennoch ist daran festzuhalten, daß auch in Zukunft eine Filtra- tionsgeschwindigkeit von 100 mm die erste Bedingung sein muß, aber wir müssen unsere Forderung genauer präzisieren und so weit ergänzen, daß der beabsichtigte Zweck sicher erreicht wird. Dies geschieht durch folgende etwas erweiterte Forderungen: 1. Die Filtrationsgeschwindigkeit von 100 mm in der Stunde darf nicht überschritten werden. Um dies durchführen zu können, muß jedes einzelne Filter mit einer Ei. richtung versehen sein, vermittels welcher die Wasserbewegung im Filter auf eine bestimmte Geschwindigkeit eingestellt und fortlaufend auf das Einhalten dieser Geschwindigkeit kontrolliert werden kann. 2. Jedes einzelne Filterbassin muß, so lange es in Tätigkeit ist, täglich einmal bakteriologisch untersucht werden. Es soU daher eine Vorrichtung haben, welche gestattet, daß Wasserproben unmittelbar nach dem Austritt aus dem Filter entnommen werden können. 3. Filtriertes Wasser, welches mehr als 100 entwicklungsfähige Keime im Kubik- zentimeter enthält, darf nicht in das Rein Wasserreservoir geleitet werden. Das Filter muß daher so konstruiert sein, daß ungenügend gereinigtes Wasser entfernt werden kann, ohne daß es sich mit dem gut filtrierten Wasser mischt. Diesen Sätzen habe ich noch einige Bemerkungen hinzuzufügen. Streng genommen würden die beiden letzten Forderungen schon genügen, um die Gefahr einer Infektion vom filtrierten Wasser, soviel als es überhaupt bei der Sandfiltration mögKch ist, abzuhalten. Aber es ist mir fraglich, ob die Forderung der täglichen bakterio- logischen Untersuchung jedes einzelnen Filters jederzeit aufrecht zu halten ist. Wenn ein Wasserwerk vermöge seiner guten Konstruktion und der sachverständigen Behandlung, die ihm zuteil wird, fortlaufend gute Resultate gibt, dann könnte die strenge Handhabung der bakteriologischen Kontrolle auf die Zeiten der Gefahr, d. h. Zeiten des stärksten Wasserkonsums, Frostperioden, drohende Epidemien beschränkt werden ; in der Zwischen- zeit würde eine etwa dreitägige Untersuchung des Gesamtwassers ausreichen. (Die bak- teriologische Untersuchung, wie sie jetzt geschieht, wenn sie überhaupt stattfindet, d. h. wöchentUche Untersuchung des Gesamtfiltrats ist unter allen Umständen als ungenügend anzusehen.) Für die Zeiten einer weniger strengen bakteriologischen Kontrolle müßte dann aber durch feste Abgrenzung und Kontrolle der Filtrationsgeschwindigkeit Sicher- heit für den regelrechten Betrieb gegeben werden. Bis jetzt besitzen nur wenige Wasser- werke Einrichtungen zur Einstellung der Filter auf bestimmte Geschwindigkeit. Gewöhn- lich wird letztere aus der Leistung des Filters innerhalb 24 Stunden hn Verhältnis zu seiner Fläche berechnet. Nun weiß aber jeder, der den gewöhnlichen Betrieb der Wasserwerke kennt, daß dieselben im Laufe von 24 Stunden sehr verschieden in Anspruch genommen werden. Zu bestimmten Tagesstunden wird sehr viel Wasser, nachts dagegen wenig ver- braucht. Wenn nicht ein hinreichend großes Reservoir diese Tagesschwankungen aus- zugleichen vermag, dann geschieht es durch Änderungen in der Filtrationsgeschwindigkeit. Die Angabe, daß ein Wasserwerk mit 100 mm Geschwindigkeit filtriert, hat, wenn sie in der angegebenen Weise auf Berechnung begründet ist, also nur einen sehr be- dingten Wert. Wenn die bakteriologische Kontrolle der Wasserfiltration in größerem Umfange durchgeführt werden soll, dann muß sie in möglichst kurzer Zeit Resultate geben. Es wird sich zu diesem Zwecke empfehlen, die Gelatineplatten ähnlich wie bei den Cholera- untersuchungen bei einer Temperatur von 22° im Brütapparat zu halten. Vielleicht läßt Wasserfiltration und Cholera. 201 sich die Zeit der Untersuchung durch Verwendung von Agarplatten bei 37^ noch er- heblich weiter abkürzen. In dieser Beziehung verweise ich auf das, was ich über die ver- besserte bakteriologische Choleradiagnose mitgeteilt habe. Die Annahme, daß filtriertes Wasser mit einem höheren Keimgehalt als 100 nicht genügend gereinigt sei, ist durch die Erfahrungen des Altonaer Wasserwerks, welche durch diejenigen anderer Werke bestätigt werden, vollauf begründet. Dieselbe ist selbst- verständlich nicht so zu verstehen, daß ein Wasser mit 101 oder 105 Keimen schon ohne weiteres zu verwerfen ist. Es kommt eben auf eine verständige Beurteilung des Einzel- falles an inid die Zahl 100 soll nur einen durch die Erfahrung gewonnenen Anhalt für diese Beurteilung geben. Es ist eigentlich selbstverständlich, daß jedes Filter mit einer Vorrichtung zum Beseitigen ungenügend filtrierten Wassers versehen sein muß. Ich würde diese Forderung auch gar nicht ausdrücklich aufgestellt haben, wenn es nicht noch manche Filterwerke gäbe, die diese Einrichtung noch nicht besitzen. Es sollte doch endlich diesem höchst gefährlichen Mangel überall abgeholfen werden. Besondere Vorschriften über das Reinigen und Anlassen der Filter, über die Grenze, bis zu welcher die Sandschicht abgenutzt werden darf, über die Beseitigung des ersten Wassers nach dem Aufbringen von neuem Sand und nach jeder Reinigung sind dann nicht nötig, wenn der Filterbetrieb regelmäßig bakteriologisch kontrolliert, und Wasser, welches nach dem bakteriologischen Befund als ungenügend filtriert gelten muß, beseitigt wird. Auch kann in diesem Falle die Frage, ob für unser Klima unter allen Umständen verdeckte Filter an Stelle der offenen zu setzen sind, unerörtert bleiben. Es ist eben Sache der Betriebsleitung, dafür zu sorgen, daß das filtrierte Wasser den bakteriologischen Anforderungen stets entspricht. Diejenige Konstruktion und Behandlung der Filter wird immer die beste sein, welche das keimfreieste Wasser liefert. Werden daher Ein- richtungen gefunden, welche es ermöglichen, auch in Frostperioden mit offenen Filtern gut zu filtrieren, dann mag man die offenen Filter weiter benutzen, geüngt das aber nicht, dann müssen sie unweigerlich den verdeckten weichen. Jedes einzelne Wasserwerk wird mit Hilfe der bakteriologischen Untersuchung sich seine eigenen Regeln konstruieren müssen; insbesondere wird es zu ermitteln haben, wieviel Zeit erforderlich ist, damit sich aus dem betreffenden Rohwasser eine gut filtrierende Schlammschicht gebildet hat; wie- viel Wasser nach dem Reinigen wegen zu großen Keimgehalts unbenutzt bleiben muß ; wie weit man in der Abnutzung der Sandschicht gehen kann usw. Ebenso ist es Aufgabe der Betriebsleitung, die zweckmäßigste Abhilfe zu finden, wenn, wie es so oft der Fall ist, das Wasserwerk zu stark in Anspruch genommen wird und deswegen eine regelmäßige Filtration nicht durchzuführen ist. Im einen Falle wird nur eine Vergrößerung des Werkes Abhilfe schaffen, in einem anderen kann schon durch Beseitigung der Wasservergeudung durch Einführung von Wassermessern geholfen Averden. Alles dies kann, wie gesagt, dem Wasserwerk selbst überlassen werden, wenn es sich nur verpflichtet, stets ein bakterio- logisch genügendes Wasser zu liefern. Wo man sich aber nicht dazu versteht, das Wasser- werk bakteriologisch kontrollieren zu lassen, da wird es allerdings, wenn Schaden verhütet werden soll, unbedingt notwendig sein, das Werk in bezug auf alle die hier angedeutetezi Fehlerquellen auf das schärfste zu überwachen. Aber wer soll diese Überwachung über- nehmen ? Nur der Staat kann es tun. Er kann es nicht nur, sondern er muß es übernehmen ; es ist seine Pflicht. Was wird nicht schon alles überwacht und revidiert ? Apotheken, Krankenanstalten, Dampfkessel, Fabriken mit ihren Arbeiterschutzvorkehrungen usw. stehen unter staatlicher Aufsicht, um zu verhüten, daß einzelne Mensclien durch Unge- schicklichkeit und Fahrlässigkeit zu Schaden kommen. Bei einem Wasserwerk handelt es sich aber, wenn ein Unglück passiert, nicht um einzelne Menschen, sondern um Gesundheit 202 Wasserfiltration und Cholera. und Leben von Tausenden. Nachdem sich die Überzeugung hiervon uns unabweisbar auf- gedrängt hat, können wir unmögUch diese Dinge länger sich selbst überlassen und ab- warten, daß noch etwa mehr Unheil wie in Hamburg und Nietleben durch die Cholera, oder in Altona und Berlin durch den Typhus angerichtet wird. Es ist die höchste Zeit, daß man die zuwartende Haltung aufgibt und sich zu energischem Eingreifen entschließt. Unser bisheriges fast blindes Vertrauen auf die Wasserfiltration ist durch die im vorstehenden erörterten Verhältnisse erheblich herabgesetzt. Man wird sich deswegen bei Neuanlagen von Wasserwerken in Zukunft fragen müssen, ob man nicht besser tut, an Stelle des filtrierten Oberflächenwassers anderes Wasser zu wählen. Früher konnte man fast nur an Quellwasser als Ersatz für das Oberflächenwasser denken, da die Ver- wendung von Grundwasser wegen des Eisengehaltes, wie verschiedene mißlungene Ver- suche gelehrt hatten, nicht ratsam war. Aber die hier aufgeworfene Frage ist in neuerer Zeit insofern wieder in ein anderes Stadium getreten, als es jetzt gelungen ist, den Eisen- gehalt des Grundwassers in einfacher und wenig kostspieliger Weise durch Lüftung und Filtration zu beseitigen. Damit ist dem Oberflächenwasser ein weit überlegener Konkurrent erwachsen und es scheint auch, daß dank dieser Verbesserung die früher bestandenen Vorurteile gegen das Grundwasser mehr und mehr schwinden, denn die Zahl der Grund- wasserversorgungen hat in letzter Zeit erheblich zugenommen. Die ersten derartigen Anlagen waren die von Halle, Leipzig, Dresden, Charlottenburg. Später sind Norderney, Kiel, Bonn, Köln, Elberfeld, Düsseldorf, Mannheim, Dortmund, Mülheim, Oberhausen, Barmen, Köthen, Krefeld, Linz, Preßburg, Budapest und andere gefolgt^). Das Grundwasser gibt uns in bezug auf Infektionsgefahr absolute Sicherheit und es sollte deswegen, wenn es nur in genügender Menge zu beschaffen ist und nicht etwa wegen chemischer Eigenschaften, z.B. wegen zu großer Härte oder zu bedeutenden Gehalts an Chloriden beanstandet werden muß, dem Oberflächen wasser unter allen Umständen vorgezogen werden. Ich halte es sogar für wünschenswert und in einzelnen Fällen selbst für notwendig, daß schon bestehende Werke, welche Flußwasser filtrieren, in solche für Grundwasser- gewinnung umgewandelt werden. Wie ich mir dies denke, möchte ich an einem bestimmten Beispiel auseinandersetzen. Das Berliner Wasserwerk vor dem Stralauer Tor befindet sich unter sehr ungünstigen Verhältnissen. Zur Zeit als das Werk erbaut wurde, war die Spree an der Stelle der Wasser- entnahme noch verhältnismäßig wenig bedenklichen Verunreinigungen ausgesetzt. Das hat sich aber im Laufe der Zeit wesentlich verändert. Die Stadt hat sich über das Wasser- werk hinaus flußaufwärts mächtig entwickelt, so daß das Werk jetzt schon innerhalb der Stadt liegt. Von einem Teil der Rieselfelder im Norden von Berlin gehen die Abwässer nicht sehr weit oberhalb des Wasserwerks in die Spree ; der Flußverkehr ist ein weit leb- hafterer als früher; oberhalb des Werks liegt ferner Köpenick mit zahlreichen Wasch- anstalten. Wenn man dies alles berücksichtigt, dann wird man das Spreewasser an der Entnahmestelle der Wasserwerke kaum für besser halten als das Elbwasser unterhalb von Hamburg. Die Einrichtungen des Wasserwerks lassen in mehrfacher Beziehung zu wünschen übrig, wobei allerdings nicht vergessen werden darf, daß es das älteste Filter- werk des Kontinents ist. Über die Schwierigkeiten, mit denen das Werk mit seinen offenen Filtern im Winter zu kämpfen hat, ist im Vorhergehenden bereits die Rede gewesen. Außerdem muß das Werk im Laufe des Jahres und auch im Laufe eines Tages in so un- 1) Salb ach, Bericht über die Erfahrungen, welche in den letzten 25 Jahren bei Wasserwerken mit Grundwassergewinnung sich herausgestellt haben. Dresden 1893. Wasserfiltration und Cholera. 203 gleichem Maße in Anspruch genommen werden, daß es mit seinem kleinen Reservoir die bedeutenden Schwankungen nicht ausgleichen und infolgedessen auch notgedrungen eine bestimmte Filtrationsgeschwindigkeit nicht einhalten kann. Stände das Werk nicht unter der ausgezeichneten Leitung des in Wissenschaft und Praxis gleich bewährten Ingenieurs P i e f k e, dann würde es wohl nicht bei der einen Typhusepidemie des Jahres 1889 geblieben sein. Die Verwaltung der Wasserwerke hat denn auch in der richtigen Erkenntnis der höchst bedenklichen Lage dieses Wasserwerks beizeiten für einen Ersatz desselben durch ein mit verdeckten Filtern versehenes Werk am Müggelsee gesorgt. Letzteres soll schon am L Juli d. J. in Funktion treten und am gleichen Tage das Stralauer Werk außer Betrieb gesetzt werden. Allerdings sind Zweifel erhoben, ob man das Stralauer Werk dann schon entbehren kann. Sollten diese Zweifel begründet sein, dann würde der Fall eintreten, welchen ich hier im Auge habe. Ich glaube nicht, daß, wenn zu dieser Zeit wieder Choleragefahr eintreten sollte, irgend jemand den Mut haben wird, die Verant- wortung für den Weiterbetrieb eines so bedenklich sitmerten Wasserwerkes zu übernehmen. Dann bliebe nichts anderes übrig, als an Stelle des Spreewassers ein weniger gefährliches oder womöglich ungefährhches Wasser zu nehmen und da gibt es keinen anderen Ersatz als das Grundwasser. Glücklichei-weise liegen die Verhältnisse nach dieser Richtung für das Stralauer Wasserwerk ebenso günstig, wie sie für die Benutzung des Flußwassers ungünstig sind. Frühere LTntersuchungen^) des Untergrundes in der Gegend des Wasser- werkes haben ergeben, daß daselbst in der Tiefe von etwa 15 m ein ausgedehntes und außerordentUch wasserreiches Kieslager sich befindet. Ein in diese Kiesschicht getriebener Versuchsbrunnen von 1,5 ni Durchmesser Heferte längere Zeit hindurch, ohne im gering- sten in seiner Ergiebigkeit nachzulassen, täghch 3000 cbm Wasser. Dieses Wasser wurde eisenhaltig befunden, aber gerade aus den Versuchen mit dem Wasser dieses Brunnens hat sich zum großen Teil die Technik entwickelt, welche jetzt zur Enteisenung des Grund- wassers angewendet wird. Man kann also mit Sicherheit darauf rechnen, daß sich dieses Wasser vom Eisen befreien lassen wird. Wemi der Grundwasserstrom in jener Gegend durch eine entsprechende Anzahl von Brunnen aufgeschlossen wird, dann wird er mit Leichtigkeit so viel Wasser liefern, als das Stralauer Werk mit seinen Maschinen überhaupt zu bewältigen vermag. Um das Wasser vom Eisen zu befreien, muß es gelüftet und dann zur Entfernmig des ausgeschiedenen Eisens auch wieder filtriert werden. Es würde also die Einrichtung einer Lüftungsanlage notwendig sein. Für die Filtration wird es dagegen keiner besonderen Anlage bedürfen. Diese Filtration ist nämlich eine ganz andere wie diejenige, welche das Oberflächenwasser von Mikroorganismen befreien soll. Der flockige Niederschlag von Eisenoxydhydrat, welcher sich nach der Lüftung aus eisenhaltigem Wasser ausscheidet, wird schon von ziemlich grobem Sand, selbst von Kies, und bei einer sehr großen Filtrationsgeschwindigkeit zurückgehalten. Für diesen Zweck würden die drei überdeckten Filter des Werkes vollkommen ausreichen; die offenen Filter könnten ganz außer Tätigkeit gesetzt werden und somit würden auch Störungen während des Winters nicht mehr zu befürchten sein. Ich glaube damit gezeigt zu haben, daß mit ver- hältnismäßig geringen Änderungen dieses Wasserwerk, welches jetzt ein Wasser von zweifelhaftem Wert liefert, in ein solches umgewandelt werden kann, das ebenso große Mengen tadellosen Wassers schafft. ÄhnHch wie hier liegen die Verhältnisse auch bei mehreren anderen mir bekannten Wasserwerken und man würde dieselben nach gleichen Grvmdsätzen verbessern können. 1) Piefke, Mitteilungen über natürliche und künstliche Sandfiltration. Berlin 1881. — Die Bodenfiltration. Berlin 1883. 204 Wasserfiltration und Cholera. Um die Beziehungen der Wasserfiltration zur Cholera möglichst vollständig zu erörtern, muß ich hier noch mit einigen Worten, im Gegensatz zu der bisher besprochenen Filtration im großen, auf die Filtration im kleinen, sowohl die künstliche wie die natür- liche, eingehen. Für die künsthche Filtration im kleinen, d. h. für den Bedarf einer Familie oder eines Hauses stehen Kleinfilter der mannigfaltigsten Konstruktion zur Verfügung. Von diesen gibt es nicht viele, welche Mikroorganismen, also auch Infektionsstoffe aus dem Wasser zurückhalten und diejenigen, welche dazu imstande sind, z. B. die aus Kieseiguhr, Tonerde, Asbest, Cellulose hergestellten, halten nur wenige Tage keimdicht, lassen sehr bald auch in ihrer quantitativen Leistung nach und erfordern eine sehr sorgfältige Be- handlung. Mir sind keine Kleinfilter bekannt, welche imstande wären, für den praktischen Gebrauch auf die Dauer zu genügen und ich würde nicht dazu raten, sich in Cholerazeiten auf Kleinfilter zu verlassen. Sehr viel besser steht es mit der natürlichen Filtration. Das Regenwasser geht, wenn es in den Boden eindringt und schließlich zum Grundwasser wird, durch sehr viel dickere Schichten, und mit unendhch viel geringerer Geschwindigkeit, als das Flußwasser bei der künstlichen Filtration durch Sandfilter. Wenn der betreffende Boden nur fein- körnig genug ist, dann haben wir es bei der Bodenfiltration also mit einem sehr viel voll- kommeneren Filtrationsprozeß zu tun, als er uns in der künstlichen Filtration zur Ver- fügung steht. In der Regel besteht aber der Boden aus einem viel feinkörnigeren Material als der ziemlich grobkörnige Filtersand und es war daher zu erwarten, daß das Grund- wasser, wenn es genügend dicke Schichten eines feinkörnigen Bodens durchsetzt hat, sehr arm oder gar frei von Mikroorganismen sei. Diese Vermutung ist durch C. F r a e n - k e 1 s Untersuchungen bestätigt, welcher nachgewiesen hat, daß das Grundwasser selbst in einem an seiner Oberfläche stark und seit langen Zeiten verunreinigten Boden, wie es der Berliner ist, vollkommen keimfrei ist. Auch an anderen Orten ist dieselbe Beobach- tung gemacht. Wir haben also gar keinen Grund, das im Boden fast überall zu findende Grundwasser, selbst an bewohnten Stellen von der Benutzung auszuschließen. Wir können im Gegenteil kein besser filtriertes und damit kein gegen Infektion mehr geschütztes Wasser finden, als das Grundwasser. Es kommt nur darauf an, dieses in vollkommenster Weise gereinigte Wasser für den Gebrauch so zugänglich zu machen, daß es nicht nach- trägHch wieder verunreinigt und infiziert wird. In dieser Beziehung wird aber noch überall in unbegreiflicher Weise schwer gesündigt. Wenn man das Grundwasser vermittels eiserner Röhrenbrunnen hebt, dann ist jede nachträghche Verunreinigung ausgeschlossen. Das Erdreich legt sich an das Rohr so dicht an, daß durch den Brunnen keine eigentliche Störung der filtrierenden Bodenschichten bcAYirkt wird. Alle Flüssigkeiten, selbst die am stärksten verunreinigten, müssen, ehe sie bis in die Tiefe eindringen, von wo das Wasser gehoben wird, starke und gut filtrierende Schichten passieren, in denen sie von Infektionsstoffen absolut sicher befreit werden. Namentlich wird man hierauf rechnen können, wenn das, Brunnenrohr durch eine obere undurchlässige Schicht in tiefere wasserführende Sand- oder Kieslager getrieben ist. Wasser, welches aus solchen Tiefen stammt, wird allerdings fast immer eisenhaltig sein. Doch kann dies auch für den Kleinbetrieb des einzelnen Brunnens ebenso wenig wie beim Großbetrieb einen Grund zur Verwerfung des Wassers abgeben. Man Avird nur genötigt sein, das Wasser nach den früher angegebenen Prinzipien, d. h. durch Lüftung und Filtra- tion, vom Eisen zu befreien und wird dann ein ganz vorzügliches Wasser erhalten, das dem besten Quellwasser nicht nachsteht. Für diesen Zweck ist das von P i e f k e ^) ^) P 1 e f k e, Über die Nutzbarmachung eisenhaltigen Grundwassers für die Wasserversorgung von Städten. Schillings Journal für Gasbeleuchtung und Wasserversorgung. 1891. Wasserfiltration und CUiolera. 205 angegebene Verfahren zu empfehlen, welches sich in Hamburg bei einer Anzahl von Brun- nen mit stark eisenhaltigem Wasser sehr gut bewährt hat. Die Aufschließung des Grundwassers durch eiserne Röhrenbrunnen ist entschieden die rationellste. Man hat gegen dieselbe freilich geltend gemacht, daß die Röhrenbrunnen in ihrer Ergiebigkeit allmählich nachlassen. Wo dies beobachtet ist, da hat es fast immer daran gelegen, daß das Metallsieb, welches das Rohr an seinem unteren durchlöcherten Ende gegen Eindringen von Sand schützen soll, verschlammt oder inkrustiert war. Da- gegen wird aber leicht Abhilfe zu schaffen sein, wenn dem unteren Rohrstück eine der- artige Konstruktion gegeben wird, daß das Metallsieb, wenn es verstopft sein sollte, gewechselt werden kann. Eiserne Röhrenbrunnen werden leider noch immer viel zuwenig benutzt, fast überall wird das Grundwasser in althergebrachter, aber auch in irrationellster Weise mit Hilfe von Kesselbrunnen gewonnen. Die Konstruktion der Kesselbrunnen ist so, daß von unten, d. h. vom Grundwasser her, wenn die Sohle des Brunnens tief genug ist und in gut fil- trierendem Erdreich steht, nur gut filtriertes Wasser in den Brunnen gelangt. Aber von oben her ist der Brunnen fast immer den bedenklichsten Verunreinigungen ausgesetzt. Sehr häufig sind die Brunnen überhaupt offen oder nur notdürftig verdeckt; aber auch wenn sie durch Mauerwerk oder selbst Eisenplatten oben abgeschlossen sind, bilden sich doch immer in den obersten, den Brunnen umgebenden Bodenschichten, welche im Sommer austrocknen, im Winter dem Frost ausgesetzt sind, Spalten und Risse, welche von oben kommendes Wasser unfiltriert eindringen lassen. Mauerwerk, selbst Zementkonstruk- tionen werden durch die gleichen Einflüsse gelockert und zerrissen und halten das zum Brunnen von der Bodenoberfläche her fließende Wasser nicht ab. Aber gerade dieses Wasser kann in der ärgsten Weise verunreinigt sein. Schon das Brunnenwasser selbst wird am Brunnen zum Spülen von Wäsche, zum Reinigen von Nachtgeschirren und ähnlichen Verrichtungen benutzt. So verunreinigt und möglicherweise infiziert fließt es auf kürzestem Wege durch Spalten und Risse der Bedeckung und Wandung in den Brunnenkessel zurück. Außerdem liegen die Brunnen gewöhnlich an der tiefsten Stelle ihrer Umgebung. Infolgedessen fließt ihnen der Unrat von überfüllten Düngstätten, Rinnsteinen usw. zu ; namentlich spült auch der Regen oft von ziemhch weiter Entfernung her den in der Umgebung der menschlichen Wohnungen abgelagerten Schmutz in die Brunnen. Solchen Verhältnissen ist es offenbar zuzuschreiben, daß von Brunnen aus- gehende Epidemien besonders nach starken Regengüssen beobachtet werden. Einen Beweis dafür, daß auch die Cholerainfektion von einem in solcher Weise verunreinigten Kesselbrunnen ausgehen kann, liefert ein in Altona beobachteter Choleraausbruch in der Umgebung eines Brunnens, in welchen Unrat von oben her gelangt war. Über diesen Fall werde ich an einer anderen Stelle zu berichten haben. Kesselbrunnen, mögen sie nun konstruiert sein wie sie wollen, dürfen in Zukunft nicht mehr geduldet werden, wenn sie Verunreinigungen der geschilderten Art ausgesetzt sind, selbst wenn nur der Verdacht vorliegt, daß etwas Derartiges eintreten könnte. Es wird allerdings nicht leicht zu erreichen sein, daß schon bestehende Kessel- brunnen, auch wenn sie noch so schlecht konstruiert und noch so bedenklich gelegen sind, einfach aufgegeben werden. Das ist aber auch nicht immer nötig. Man wird mit verhältnismäßig einfachen Mitteln in den meisten Fällen einen Kesselbrunnen so abändern können, daß alle Gefahr der Verunreinigung von oben her ausgeschlossen wird. Es ist nur notwendig ihm denselben oder wenigstens einen annähernd gleichen Schutz gegen verunreinigende Zuflüsse durch gut filtrierende Bodenschichten zu geben, wie sie der einfache Röhrenbrunnen besitzt. Zu diesem Zwecke kann man so verfahren, daß man den Brunnenkessel bis zum höchsten Wasserstand mit Kies füllt und darüber feinkörnigen 206 Wasserfiltration und Cholera. Sand bis zum Brunnenrand schichtet. Dabei ist natürhch vorausgesetzt, daß der Brunnen mit einem eisernen Pumprohr versehen ist, oder wenn dies nicht der Fall ist, vor der Auf- füllung damit versehen wird. Durch solche Änderung wird der Kesselbrunnen in einen Röhrenbrunnen verwandelt und er hat vor dem gewöhnlichen Röhrenbrunnen noch den Vorzug, daß sein unteres Ende in eine dem Grundwasser fast gar keinen Widerstand bietende Schicht taucht. Soll der eigentliche Kessel des Brunnens mit seinem Wasser- vorrat erhalten bleiben, um beispielsweise für Feuerlöschzwecke immer über ein gewisses Quantum Wasser sofort verfügen zu können, dann muß oberhalb des höchsten Wasser- standes eine Konstruktion aus Mauerwerk oder eisernen Trägern angebracht werden, welche imstande ist, die schützende Sanddecke zu tragen. Letztere darf aber nicht schwächer als zwei Meter stark bemessen sein. Sehr zu empfehlen ist es auch, die Pumpe nicht unmittelbar oberhalb des Brunnens, sondern in einer angemessenen Entfernung davon aufzustellen und vermittels eines Bleirohrs mit dem Brunnenkessel in Verbindung zu setzen. Es wird dann verhütet, daß das Wasser des Brunnens, welches- am Brunnen selbst durch Spülen und Waschen verunreinigt ist, in zu großer Nähe desselben im Boden versickert. Brunnen, die in solcher oder ähnlicher Weise durch sicher filtrierende Schichten geschützt sind, gewähren dieselbe Sicherheit gegen Infektion des Wassers, wie die Sand- filtration der großen Wasserwerke; eigenthch noch eine größere, da sie nicht den viel- fachen früher erwähnten Betriebsstörungen ausgesetzt sind und namentlich nicht durch Frostwirkung gefährdet werden. So wie man jetzt überall danach trachtet die Wasserversorgung im großen möglichst zu vervollkommnen, so sollte man auch die Wasserversorgung im einzelnen nicht außer acht lassen und durch Verbesserung der Brunnen in der angedeuteten "^eise die Ver- breitung der Cholera, soweit sie durch Wasser bedingt ist, auf ein möglichst geringes Maß zu beschränken suchen. Es kann gerade in dieser Beziehung noch sehr viel getan werden. Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. ) (Aus dem Institut für Infektionskrankheiten zu Berlin.) Von Prof. R. Koch. In der zweiten Hälfte des Oktober 1892 schien die große C'holeraepideniie, welche in Hamburg seit dem 16. August gewütet hatte, ihr Ende erreicht zu haben. Da auch inzwischen alle von Hamburg ausgegangenen Ansteckungsherde erloschen waren, so durfte man sich der Hoffnung hingeben, daß die Choleragefahr vorläufig für Deutschland beseitigt sei. Diese Hoffnung erwies sich aber insofern irrig, als schon bald darauf in Hamburg eine Nachepidemie entstand, welche sich zwar innerhalb sehr geringer Di- mensionen hielt, aber doch wieder zu einigen Verschleppungen der Seuche Veranlassung gab, welche mehr oder weniger heftige Ausbrüche der Cholera in Altona und in der Irren- anstalt Nietleben bei Halle bewirkten. Auf Veranlassung des Königl. Preußischen Kultus- ministeriums sind diese beiden letzterwähnten Epidemien vom Institut für Infektions- krankheiten unter meiner Leitung zum Gegenstand möglichst eingehender Untersuchun- gen gemacht, welche zu mehrfachen, nicht unwichtigen Ergebnissen geführt haben und deswegen hier eine eingehende Darstellung finden sollen. Der Choleraausbruch in Altona steht mit der Hamburger Nachepidemie in einem so innigen Zusammenhang, und letztere bietet außerdem einige für meine Auseinander- setzungen so charakteristische Züge, daß ich eine ganz kurze Besprechung dieser Nach- epidemie vorausschicken muß. Eine eingehende 8childerung derselben dürfen wir wohl von dem offiziellen Bericht, welchen im Auftrage der Reichsbehörden Prof. G a f f k y in Gießen bearbeitet, erwarten. I. Die Nachepidemie in Hamburg. Die erste Epidemie hatte in Hamburg am IG. August 1892 begonnen und konnte am 23. Oktober als beendigt angesehen werden. Am 9. und 11. November folgten noch vereinzelte Fälle-). Während dieser Epidemie betrug die Zahl der Erkrankungen 18 000 mit 8200 Todesfällen. Den Beginn der Nachepidemie kann man vom 6. Dezember ab rechnen. Die letzte Erkrankung, welche derselben angehört, wurde am 4. März kon- statiert, die vorletzte am 11. Februar. Auf diese zweite Epidemie kommen nur 64 Er- krankungen mit 18 Todesfällen. Läßt man die beiden vereinzelten Nachzügler der ersten und den letzten Fall der zweiten Epidemie unberücksichtigt, dann haben beide eine ungefähr gleichlange Dauer von etwas mehr als zwei Monaten. Aber welch ein gewaltiger Aus Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1893, Bd. XV. — Eingegangen am 24. Juli 1893. ^) Reincke, Die Cholera in Hamburg. Deutsche Medizinisclie Woclienschrift, 1893, Nr. 3 u. 4 208 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. Unterschied in der Intensität dieser beiden Epidemien trotz der Übereinstimmung in bezug auf die Zeit, welche sie in Anspruch nehmen! Man könnte meinen, daß die Jahreszeit von Einfluß gewesen sei und daß die Epi- demie des Sommers durch die hohe Temperatur begünstigt wurde und deswegen so be- deutende Dimensionen erreichte, während die Winterepidemie bei der herrschenden Kälte sich nur kümmerlich entwickeln konnte. Diese Erklärung läßt sich aber nicht aufrechterhalten, wenn man berücksichtigt, daß in demselben Winter und zwar in der kältesten Periode desselben die niedrige Temperatur nicht imstande war, in Metleben einen Choleraausbruch zu verhüten, welcher eine im Verhältnis zur Bevölkerungsziffer viel höhere Morbidität aufweist als die Hamburger Sommerepidemie. Aus früheren Choleraepidemien sind auch anderweitige Vorkommnisse bekannt, welche beweisen, daß im Winter die heftigsten Ausbrüche gelegentlich entstehen können. Den Temperatur- unterschieden kann man in diesem Falle also keine wesentliche KoUe beimessen. Eben- sowenig läßt sich behaupten, daß Hamburg durch die erste Epidemie durchseucht wurde und wegen einer Art von Immunisierung nur noch Stoff für eine geringe Nachepidemie bot. Obwohl ich einer derartigen Auffassungsweise im allgemeinen beistimme, so möchte ich im vorliegenden Falle doch darauf hinweisen, daß Hamburg bei früheren Gelegen- heiten mehrfach innerhalb Jahresfrist größere Epidemien hintereinander gehabt hat, was auch nicht zu verwundern ist, weil die Bevölkerung Hamburgs stark fluktuiert. Dazu kommt, daß eine große Zahl der Einwohner beim Beginn der Epidemie die Stadt verlassen hatte und daß diese Flüchtlinge bei ihrer Rückkehr im Oktober der Stadt eine nicht unbedeutende Menge von nicht durchseuchtem Material zuführten, ohne daß ein dadurch bedingtes Anschwellen der Epidemie beobachtet wurde. Wir müssen uns also nach einer anderen Erklärung jener auffallenden Erscheinung umsehen und ich glaube dieselbe in folgender Weise geben zu können. Bereits früher habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß die Cholera bei ihren Ausbrüchen zwei ganz verschiedene Typen zeigt. Der eine besteht in einem explosions- artigen Verlaufe. Die graphische Darstellung eines solchen Ausbruchs gibt eine Kurve mit steil ansteigendem, hoch hinaufgehendem ersten Schenkel und fast ebenso steil abfallendem zweiten Schenkel. Der zweite Typus erscheint graphisch dargestellt da- gegen wie eine nur wenig über die Grundlinie sich erhebende Kurve. Hamburg zeigt diese beiden Typen in seinen letzten Epidemien in einer geradezu extremen Form. Die Kurve der Sommerepidemie erscheint wie ein sehr hohes und spitzes Dreieck mit ganz schmaler Basis, die Kurve der Nachepidemie erhebt sich so wenig über die Basis hinaus, daß sie mit letzterer fast zusammenfällt. Der erste Typus kommt dadurch zustande, daß der Infektionsstoff auf einmal und gleichmäßig über den befallenen Ort ausgestreut wird. Es muß dann eine Epidemie ent- stehen, welche explosionsartig verläuft und in graphischer Darstellung eine um so höhere und steilere Kurve bildet, je größer die Menge des gleichsam ausgesäten Infektionsstoffes war. Bedingung für diesen Typus der Epidemie ist aber, daß die örtliche Verteilung der Erkrankungsfälle eine einigermaßen gleichmäßige ist und daß die einzelnen Fälle keinen unmittelbaren Zusammenhang untereinander erkennen lassen. Allerdings darf man sich, selbst wenn dieser Typus am reinsten auftritt, die Verteilung nicht zu gleich- mäßig und zu schematisch vorstellen. Denn die Aussaat wird wohl kaum jemals eine ganz gleichmäßige sein und auch der Boden, auf welchen sie fällt, ist nicht in allen seinen Teilen in gleicher Weise geeignet, den Keim zur Entwicklung zu bringen. Es werden individuelle Disposition, Reinlichkeit, Ernährung, Bevölkerungsdichtigkeit, mancherlei Lebensgewohnheiten usw. einen nicht zu unterschätzenden Einfluß ausüben. Eine gleich- mäßige Aussaat, wie sie bei diesem Typus vorausgesetzt wird, kann nur durch etwas Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. 209 zustande kommen, was auf alle oder doch die meisten Bewohner eines Ortes zu gleicher Zeit wirken kann, wie Luft, Wasser, Boden, Nahrungsmittel. Aber weder Luft, noch Boden, noch Nahrungsmittel konnten bisher als Vermittler explosionsartiger Cholera- ausbrüche nachgewiesen werden. Auch Insekten, an welche man mit Recht gedacht hat, können hier nicht in Frage kommen; da Choleraexplosionen gar nicht so selten in der kalten Jahreszeit vorkommen, wo die Übertragung durch Insekten bestimmt ausge- schlossen ist. Kleinere Gruppenerkrankungen mögen durch infizierte Nahrungsmittel wohl vorkommen und es ist auch nicht zu bestreiten, daß Insekten durch Verschleppung des Infektionsstoffes auf Nahrungsmittel hierbei eine Rolle spielen können; aber die plötzliche Infektion ganzer Ortschaften, wie wir sie bei der Cholera so oft erleben, lassen sich auf diese Weise nicht erklären. Es bleibt also nur das Wasser; und daß dieses in der Tat der Träger des Cholerakeimes nicht nur für einzelne Gruppen in der Bevölkerung einer Ortschaft, sondern für ganze Ortschaften und selbst große Städte sein kann, haben frühere Epidemien und ganz besonders wieder die jetzige an den Choleraausbrüchen in Hamburg, Altona und Nietleben bewiesen. Aber gerade gegen die Annahme, daß der Infektionsstoff durch das Wasser verschleppt wird, hat man den Einwand gemacht, daß die Verteilung der Krankheit in solchen Epidemien eine zu ungleichmäßige gewesen sei: das infizierte Wasser gelange doch in alle Haushaltungen und trotzdem finde man Häuser und ganze Straßen in dem mit solchem Wasser versorgten Gebiet, welche wenig oder gar nicht von Cholera ergriffen wurden; es müßten doch eigentlich, wenn das Wasser die Ursache sei, alle Menschen, welche damit in Berührung kommen, nach einem ge- wissen Prozentsatz ergriffen sein. Diese Voraussetzung würde allerdings dann richtig sein, wenn das Choleragift ein im Wasser aufgelöster, ganz gleichmäßig verteilter Stoff wäre, wenn alle erkrankten Menschen genau gleiche Mengen davon zvi sich genommen liätten und die Empfänglichkeit für das Gift bei allen Menschen gleich groß wäre. Aber wir wissen doch zur Genüge, daß nicht eine einzige dieser Bedingungen zutrifft. Es be- steht unzweifelhaft, wie auch ganz besonders von bakteriologischer Seite von jeher her- vorgehoben ist, eine große Verschiedenheit in der individuellen Disposition für C-holera- erkrankung. Ferner braucht wohl kaum darauf hingewiesen zu werden, daß die Möglich- keit der Infektion durch Wasser für verschiedene Menschen eine sehr verschiedene sein muß. je nach ihren Beziehungen zum Wasser. Der eine genießt überhaupt kein Wasser, er kommt nur indirekt durch die Verwendung des Wassers im Haushalt damit in Be- rührung und er ist somit der Gefahr der Infektion entsprechend weniger ausgesetzt, als ein anderer, welcher das Wasser trinkt. Aber auch in bezug auf den letzteren wird es nicht gleichgültig sein, ob er viel oder wenig Wasser trinkt, zu welcher Zeit er es trinkt, ob bei leerem oder gefülltem Magen, ob seine Magen- und Darmfunktionen gleichzeitig in Ordnung sind oder nicht, ob Exzesse begangen wurden usw. Auch die Verteilung des Infektionsstoffes, d. h. der Cholerabakterien im Wasser, ist allem Anscheine nach nicht so, wie man vielfach annimmt. Die neuesten bakteriologischen Untersuchungen^) lassen er- kennen, daß die CUiolerabakterien vielleiclit nur ausnahmsweise in größerer Menge im Wasser vorkommen, und es ist deswegen durchaus nicht notwendig, daß in jedem Tropfen oder in jedem Schluck infizierten Wassers Cholerabakterien enthalten seien. Es ist auch sehr die Frage, ob sie von Anfang an ganz gleichmäßig in dem Wasser verteilt sind oder, wenn sie dies sind, auch bleiben. Man kann sich wohl denken, daß sie ebenso wie andere Bakterien gelegentlich an festen Gegenständen, z. B. der Innenwand einer Rohrleitung, festhaften, was besonders dann der Fall sein wird, wenn die Bewegung des Wassers vor- übergehend oder dauernd verlangsamt ist. Sie können dann an der Stelle, wo sie sich festgesetzt haben, zugrunde gehen, unter günstigeren Verhältnissen sich aber auch ver- ^) Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. XIV, p. 336. Koch, Gesammelte Werke. 59 210 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. mehren, oder durch stärkere Strömungen wieder losgerissen werden. Überhaupt muß die ungleichmäßige Bewegung des Wassers in einem Leitungsnetz einen erheblichen Einfluß auf die Beförderung der Cholerabakterien ausüben, und es kann allein dadurch schon bewirkt werden, daß in einem Rohrstrang viele, in einem anderen Strang wenige Cholerabakterien in die angeschlossenen Häuser gespült werden. Sind dann zufällig noch diese Häuser von Wohlhabenden bewohnt, welche infolge ihrer Lebensgewohn- heiten an und für sich der Cholera wenig Angriffspunkte bieten, dann kann es kommen, daß ganze Häuserreihen, selbst Straßen von der Krankheit verschont bleiben, ohne daß man berechtigt wäre, daraus einen Beweis gegen die Annahme der Wasserinfektion abzuleiten. Dieselbe Frage, welche uns hier beschäftigt, ist auch schon in früheren Zeiten er- örtert, und es dürfte wohl nicht überflüssig sein, an das zu erinnern, was F a r r in sehr treffender Weise denjenigen erwiderte, welche bestritten, daß die im Jahre 1866 im Bereiche der East-London- Wasserwerke ausgebrochene Cholera durch Infektion des Wassers entstanden sei. Damals heß sich die ungenügende Reinigung des Wassers in dem Filterwerke noch nicht durch die bakteriologische Untersuchung nachweisen, aber man hatte einen anderen Anhaltspunkt dafür, daß die Filtration vorübergehend defekt gewesen sein mußte. Es waren in der Wasserleitung einer Anzahl von Häusern kleine Fische (Aale) zum Vorschein gekommen, welche den unzweideutigen Beweis dafür liefer- ten, daß in die Leitung auch unfiltriertes Wasser geraten war 2). F a r r schloß daraus, daß auf demselben Wege, den die Fische gefunden hatten, auch Choleragift aus dem mit Fäkalien stark verunreinigten Lea-Fluß in die Wasserleitung und damit in die Cholera- häuser gelangt sei. Nun sagten aber die Gegner F a r r s , daß in vielen Häusern, welche Wasser von dem East-London- Wasserwerk erhielten, keine Cholera gewesen sei und daß deswegen das Wasser an der Choleraverbreitung nicht beteiligt sein könne. F a r r s Entgegnung auf diesen Einwand lautete folgendermaßen: ,,Eels, as we have seen, were found in the water of a certain number of houses in East-London. To argue that in hundred of other houses no eels were found, and that therefore the Company never distributed eels in the district, would be absurd. The fallacy of such reasoning is transparent. It assumes the form — if no eels are found in the waters of a certain number of houses none exist in the waters of any houses. As the eels are limited in number, they cannot be distributed universally, and the fact that they were discovered in one house and not another would depend on laws and circumstances so intricate as to make the ascertained distribution anomalous, but not necessarily more anomalous, than the distribution of the lower forms of organized matter, to which the phenomena of cholera in man are due." Der zweite Typus der Cholera unterscheidet sich von dem ersten nicht allein durch die Gestalt der Kurve, sondern auch durch einige andere charakteristische Eigenschaften. Die Verteilung der einzelnen Fälle ist bei demselben keine gleichmäßige; es bilden sich in ganz ausgesprochener Weise Herde, an denen sich die Krankheit einnistet. An einem solchen Herde entstehen auch nicht plötzlich viele Fälle, sondern sie folgen einander, bilden gewissermaßen Ketten und es läßt sich sehr oft ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den einzelnen Fällen des Herdes ermitteln. Es erkrankt z. B. zuerst ein von auswärts gekommener Mensch, nach wenigen Tagen das eine oder andere Mitglied der Familie, in welcher der Erkrankte verpflegt wurde, dann rasch hintereinander, oft aber auch in längeren Pausen, weitere Angehörige der Familie, Bewohner desselben Hauses, 1) Report on the Cholera epidemic of 1866 in England, London 1868, p. XXV. ^) Eine Vernehmung der Arbeiter und Ingenieure des Wasserwerkes ergab, daß in der Tat mederholt unfiltriertes Wasser in die Leitung gepumpt war. A. a. O. p. XVII ff. Die Cholera in Deutschland während des Winters 1X92 bis 1893. 211 Nachbarn, Mensehen, welche in dem verseuchten Hause verkeliren usw. Von dem ersten Herde können durcli \"erschleppung neue Herde in anderen Stadtteilen, in benachbarten Orten ausgelien, in denen wiederum kettenförmigv aneinandergereihte Fälle eine mehr oder weniger große Grup])enerkrankung ausmachen. Auch hier darf man nicht verlangen, daß in der Kette der Erkrankvnigen jedes einzelne Glied deutlich erkennbar sein muß. Es ist unmöglich den Verkehr der Menschen untereinander bis in seine feinsten Fäden bloßzulegen und jede Person herauszufinden, die mit einem ( *holerakranken direkt oder indirekt in Berührung gekommen ist. Würden die einzelnen (Jholerafälle von vornherein so schwer verlaufen, daß sie sämtlich zur ärzt- lichen Kenntnis kommen müßten, würde die Ansteckungsfähigkeit des Cholerakranken mit der Uberstehung des Choleraanfalls beendigt sein und geschähe die Ansteckung nur durch unmittelbaren Kontakt, dann würden allerdings trotz der verwickelten Beziehungen des Verkehrs mit Hilfe der bakteriologischen Diagnose mit nur wenigen Ausnahmen die einzelnen Kettenglieder herauszufinden sein. Aber wir wissen jetzt, daß unter den Cholerainfizierten neben schweren auch Er- krankungen so leichten Grades vorkommen, daß sie in der Regel unerkannt bleiben ; wir wissen ferner, daß der eigentliche Choleraanfall nur den am meisten in die Augen fallenden Teil der Erkrankung bildet, und daß sowohl vor als nach demselben der Infektionsstoff in den Ausleerungen der Kranken enthalten sein kann, also zu einer Zeit, wo diese Men- schen für den Verkehr noch nicht verdächtig oder schon wieder als unverdächtig gelten. Schließlich kommt noch in Betracht, daß die Übertragung durchaus nicht immer un- mittelbar von dem Cholerakranken ausgeht, sondern viel häufiger noch durch Wäsche, Kleider, Betten, Nahrungsmittel, Insekten usw. auf indirektem Wege zustande kommt. Wenn man dies alles berücksichtigt, dann wird man es gewiß erklärlich finden, daß zwar in einer dünn gesäten Bevölkerung auf dem J^ande mit wenig komplizierten Verkehrs- verhältnissen der Zusammenhang zwischen den einzelnen Fällen noch ziemlich voll- ständig gefunden wird, daß es aber in größeren Städten nur hin und wieder gelingt, die Zusammengehörigkeit der Glieder einer solchen vielfach verschlungenen, oft auch in Verästelungen auslaufenden Kette zu ermitteln. Ganz besonders wird der Überblick über diese Art der Choleraverbreitung dadurch erschwert, daß sie sich fast ausschließlich auf die untersten dicht zusammengedrängten und fortwährend fluktuierenden Schichten der Bevölkerung beschränkt, und nur hier und da einmal auf die besser Sitiüerten übergreift. Und doch läßt sich dieser Typus der Cholera ziemlich leicht an der fleckweisen, herdförmigen Gruppierung der Cholerafälle erkennen. Bei sorgfältigem Nachforschen findet man in solchen Fällen regelmäßig Choleranester, in denen die Einschleppung und das weitere schrittweise Umsichgreifen deutlich hervortritt. Es würde nun aber irrig sein, anzunehmen, daß die Cholera immer nur den einen oder den anderen der beiden Typen einhalten muß; denn es liegt doch auf der Hand, daß beide miteinander kombiniert sein können, oft genug sogar kombiniert sein müssen. So wird namentlich der erste Typus, welcher meistens anfangs rein auftritt, sich im weiteren Verlaufe mit dem zweiten Typus kombinieren und schließlich ganz in denselben übergehen. Auch kommt es vor, daß die Ortsepidemie mit dem zweiten Typus beginnt, bis der Infektionsstoff zufällig seinen Weg in das Wasser findet und dann je nach der Art der Wasserversorgung kleine umschriebene Explosionen bewirkt, oder einen ganzen Bezirk, unter Umständen auch den ganzen Ort ]ilötzlich infiziert. Auch das darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Gestalt der Cholerakurve allein nicht ausschlaggebend für den einen oder anderen Typus ist. Es kann die Kurve sehr niedrig bleiben und doch eine Wasserepidemie vorliegen : wenn nämlich die Aussaat der Cholerabakterien durch das Wasser nvir eine sehr dünne ist. Andererseits ist auch nicht 59* 212 Die Cholera in Deutscliland während des Winters 1892 bis 1893. ausgeschlossen, daß viele und fast gleichzeitig entstandene Herde der Kurve eine Gestalt geben können, welche sich derjenigen des ersten Typus mehr oder weniger nähert, so daß der zweite Typus die äußere Form des ersten Typus annehmen kann. Man darf eben bei der Beurteilung von Choleraepidemien, wenn man Irrtümer vermeiden will, nicht in das Schematisieren verfallen, sondern muß jede einzelne Ortsepidemie für sich untersuchen, um entscheiden zu können, wieviel davon dem einen oder dem anderen Typus angehört. Die jetzige Epidemie hat uns in dieser Beziehung außerordentlich lehr- reiche Beispiele geliefert. So gehörte die Hamburger Sommerepidemie in ihrem ersten Teile ausschließlich dem ersten Typus an. Von Anfang an waren die Erkrankungen ohne Zusammenhang und wiesen zuerst auf den Hafen als einzige Infektionsquelle hin. Wegen der Beziehungen der Wasserversorgung Hamburgs zur Elbe und indirekt zum Hafen mußte schon damals eine allgemeine Explosion befürchtet werden, welche leider auch nicht ausgeblieben ist. Gegen Ende ging dann die Epidemie in den zweiten Typus über. Die Hamburger Winterepidemie dagegen hat sich während ihrer ganzen Dauer fast rein in der Form des zweiten Typus gehalten. Sie hatte von vornherein die Neigung zur Herdbildung. Einer dieser Herde hatte seinen Sitz in der Neustadt, ein zweiter im Stadtteil St. Georg und der dritte in der Vorstadt St. Pauli. Ob alle drei Herde in Zusammen- hang stehen, hat sich nicht ermitteln lassen. Es ist aber auch nicht wahrscheinlich, daß dies der Fall gewesen und daß die Krankheit etwa von dem ersten Herd in der Neu- stadt nach St. Georg und St. Pauli verschleppt ist. Es hat vielmehr den Anschein, daß die beiden ersten aus unentdeckt gebliebenen Nachzüglern der Sommerepidemie hervor- gegangen sind. Die Sommerepidemie war, wie bereits früher angegeben ist, am 23. Ok- tober beendet. Aber am 9. und 11. November wurden noch Fälle von echter Cholera konstatiert und diese werden wohl nicht die einzigen gewesen sein. Wenn also am 6. De- zember die Nachepidemie ihren Anfang nahm, so war kein größerer Zwischenraum zwischen den beiden Hamburger Epidemien als höchstens vier Wochen, und da ist es wohl nicht notwendig, an eine neue Einschleppung zu denken. Ich wüßte auch nicht, woher die Cholera eingeschleppt sein sollte, da sie zu jener Zeit überall erloschen war. Ob die Erkrankungen in St. Pauli als Herd zu bezeichnen sind, kann bezweifelt werden. Einige von ihnen sind höchst wahrscheinlich auf Altona zurückzuführen, andere stehen möglicherweise mit dem Herd in der Neustadt in Beziehung, so daß nur sehr wenig übrig bleibt. Sehr charakteristisch ist für die Nachepidemie, daß die Erkrankten ausnahmslos den untersten Volksschichten angehörten. Es waren zum Teil arbeits- und obdachlose Menschen, Alkoholiker, welche in Bettlerherbergen und Branntweinschänken hausten; umherziehende Händler, welche Streichhölzer, Wurst oder dergleichen verkauften und durch ihr Gewerbe ebenfalls in jene Lokale geführt wurden; einzelne Matrosen, Hafen- arbeiter, Polizeigefangene usw. Mit Ausnahme von acht Fällen ließen sich überall Be- ziehungen zu solchen Personen nachweisen, welche vorher an Cholera erkrankt waren und von denen sie direkt oder indirekt infiziert sein konnten. Dieser Nachweis ist aller- dings nur der überaus gründlichen Untersuchung zu verdanken, welche die Sanitäts- polizei auf jeden einzelnen Fall verwendet hat. Eine oberflächliche Untersuchung, wie sie früher unter ähnhchen Verhältnissen üblich war, hätte den Zusammenhang gewiß nicht herausgefunden, und es wäre zu den vielen scheinbaren Cholerarätseln aus früheren Zeiten ein neues hinzugekommen. Irgendeine gemeinsame Ursache, wie Einfluß des Bodens, Wassers oder dergleichen konnte während dieser Epidemie mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Die Wasser- Die Cholera in Deutschland während des ^^'inters 1892 bis 1893. 213 leitung konnte nicht in Frage kommen, da der Cholerabezirk sich nicht wie im Sommer mit dem Bereich der Wasserkütung deckte. Der Boden hätte insofern verdächtig erscheinen können, als die Krankheit mit einzelnen Lokalitäten verknüpft war. Doch konnte auch hierbei nicht der Ort das Maßgebende sein, sondern die auf demselben befindlichen Men- schen, weil immer sofort nach Entfernung der Kranken und Verdächtigen die Krankheit aufhörte. Hätte das infizierende Agens an der Lokalität gehaftet, dann hätten trotz der Beseitigung der infizierten Menschen weitere Erkrankungen unter den ungehindert in den betreffenden Häusern Verkehrenden vorkommen müssen. Es bleibt also nur übrig, an Übertragung von Mensch zu Mensch zu denken. Für diese Auffassung spricht auch entschieden die kettenförmige Verbindung der meisten Fälle. Dabei ist aber immer wieder daran zai erinnern, daß die (Jholerainfektion sich ganz anders verhält, wie diejenige von Pocken. Masern usw., bei denen schon der einfache Kontakt oder selbst der vorübergehende Aufenthalt in den Krankenräumen genügt, um die Infektion zustande kommen zu lassen. Eine solche unmittelbare Übertragung tritt nur gelegentlich auf und ist wohl nur da anzunehmen, wo in einer Familie hintereinander mehrere C'liolera- fälle entstehen, welche durch eine dem Inkubationsstadium entsprechende Zeit von- einander getrennt sind. Etwas dem Entsprechendes ist auch in der Hamburger Nach- epidemie vorgekommen, indem in zwei Familien je vier Personen an Cholera erkrankten. Im übrigen scheint die Infektion immer eine indirekte gewesen zu sein, ohne daß sich erkennen ließ, auf welchem Umwege der Infektionsstoff von dem einen Menschen zum anderen gelangt war. Dies Verhalten der Cholera erinnert ganz an das auf Auswanderer-, Pilger- und Truppentransportscliiffen Beobachtete, auf denen unter den dicht zusammen- gedrängten und in schlechten sanitären Verhältnissen befindlichen Menschen die Krank- heit wochenlang in lose aneinander gereihten Fällen sich hinzog. Eins der am meisten charakteristischen Beispiele dieser Art ist die f-holeraepidemie auf dem italienischen Auswandererschiffe Matteo Bruzzo^), ein Beispiel, welches so lehrreich ist, daß es nicht in Vergessenheit geraten sollte. Wenn das Wasser in der Nachepidemie auch nicht als gemeinsam wirkender Faktor zur Geltung gekommen ist, so hat es doch seinen mächtigen Einfluß auf die Cholera- verbreitung nicht ganz verleugnen können; denn bei dem Ausbruch der ('holera unter den Mannschaften von zwei Schiffen, welche im Hamburger Hafen lagen, ist es unzweifel- haft beteiligt gewesen. Das erste dieser beiden Schiffe war der spanische Dampfer Murciano, welcher anfangs am Asiakai in der Nähe eines Klosetts lag, das von einem an Cholera erkrankten Hamburger Arbeiter benutzt sein soll. Am 8. Januar mußten zwei Leute vom Murciano als cholerakrank ins Hospital geschafft werden ; die übrige Mannschaft wurde darauf evakuiert, und es fanden sich unter derselben bei genauerer Untersuchung nocli vier weitere Cholerafälle. Darauf brachte man den Murciano nach dem Strandhafen, wo die Desinfektion vorgenommen und die eingefrorenen Klosetts des Schiffes aufgetaut wiu'den. An dieser zweiten Stelle lag er neben dem Dampfer Gretchen Bohlen, unter dessen aus Negern bestehender Besatzung am 15. Januar (drei Tage, nachdem der Mur- ciano daneben gelegt war) die Cholera ausbrach. Auch von diesem Schiffe kamen ebenso wie vom Murciano anfangs zwei schwerkranke Leute ins Krankenhaus und erst bei weiterer Untersuchung wurden noch vier leichte Cholerafälle entdeckt. Als die ersten Fälle auf dem Murciano auftraten, dachte man zunächst an eine Infektion durch das erwähnte Klosett, und zwar an eine inimittelbare Infektion durch die Benutzung des Klosetts. Gegen diese Annahme sprach jedoch der ITmstand, daß von 1) Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage (zweites .Jahr). Deutsche Medizinisclie Wochenschrift, 1885, Nr. 37 A, p. 21. Diese Werke Bd. II, p. 106. D. Herausgeber. 214 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. den 24 Personen, aus denen die Mannschaft des Schiffes bestand und von denen gar nicht einmal sicher war, daß sie das am Ufer befindhche Klosett benutzt hatten, sofort sechs Leute erkrankten, während unter den zahlreichen am Ufer verkehrenden Hafen- arbeitern, die ebenfalls auf das Klosett angewiesen waren, sich kein Cholerafall ereignete. Viel wahrscheinlicher mußte es sein, daß die Infektion nicht direkt durch Benutzung des Klosetts, sondern indirekt in der Weise zustande gekommen war, daß der Klosettinhalt in das Hafenwasser geflossen und durch dieses, das vielfach im Schiffe zum Trinken und Reinigen gebraucht wurde, die Mannschaft infiziert hatte. Die einzelnen Kais des Hamburger Hafens haben nämlich Siele, welche nicht mit dem städtischen Kanali- sationssystem verbunden sind, sondern jedes für sich am Ende des Kais in den Hafen münden. Alle Schmutzwässer dieser Siele, also auch der Inhalt der zu ihnen gehörigen Spülklosetts geht in die Elbe und wird bei Ebbe und Flut neben den am Kai liegenden Schiffen hin und her gesclnvemmt. Auf diese Weise konnte auch der Inhalt des frag- lichen Spülklosetts und etwa in dieses gelangte Choleradejektionen durch Vermittelung des Wassers auf ziemhch kurzem Wege in das Schiff gelangt sein. Man hat es hier mit ganz denselben Verhältnissen zu tun, welche höchst wahr- scheinlich die Choleraepidemie im vorhergehenden Sommer im Hamburger Hafen zum Ausbruch gebracht haben. Damals war es die Baracke der russischen Auswanderer auf dem Amerikakai, von welcher aus durch das Siel des Kai ganz ungenügend desinfizierte oder, richtiger gesagt, undesinfizierte Fäkahen und Schmutzwässer von der Reinigung beschmutzter Wäsche in den Hafen gelangten. Diese Abgänge Avaren gar nicht unbe- deutend, denn es kamen täglich einige Hundert Auswanderer an, welche sich mehrere Tage in der Baracke aufhalten mußten, bis sie weiter befördert werden konnten. Zur Zeit des Choleraausbruchs befanden sich infolgedessen durchschnittlich tausend Aus- wanderer in der Baracke, welche die Unterbrechung ihrer Reise vielfach dazu benutzten, eine Reinigung ihres Vorrats an schmutziger Wäsche und Bekleidungsstücken vorzu- nehmen. Gegen die Annahme, daß die russischen Auswanderer die Cholera nach Hamburg gebracht haben, ist eingewendet, daß unter denselben vor dem Ausbruch im Hamburger Hafen keine Cholera vorgekommen sei. Schwere, klinisch unverkennbare Fälle von Cholera sind unter den Auswanderern allerdings nicht beobachtet, aber beweist denn das, daß die Auswanderer überhaupt keinen Cholerainfektionsstoff eingeschleppt haben können ? Sie kamen zum großen Teil aus schwer verseuchten Gegenden, und wer kann da wohl behaaipten, daß nicht Leichtkranke und Rekonvaleszenten, welche noch zwei bis drei Wochen lang Cholerabakterien in ihren Dejektionen haben können, darunter gewesen sind, oder daß nicht in den massenhaft mitgeführten Betten, Wäschestücken usw. Cho- leradejektionen hafteten. So wie die Verhältnisse lagen, wäre es wunderbar gewesen, wenn durch solche Auswanderer kein Cholerainfektionsstoff eingeschleppt und Avenn, nachdem er einmal in die Auswandererbaracke und von da in das Siel und von diesem in den Hafen seinen Weg gefunden hatte, die Hafenbevölkerung nicht infiziert wäre. Der Hamburger Hafen mit seinen damaligen Einrichtungen bildete einen außerordentlich schwachen Punkt gegenüber der drohenden Cholerainvasion und an diesem mußte die Cholera Fuß fassen, wenn ihr durch einen unglücklichen Zufall Gelegenheit dazu ge- boten wurde. Eine andere Einschleppung der Cholera, etwa von französischen Häfen her, hat sich nicht nachweisen lassen, und da bleibt nichts anderes übrig, als den Auswanderer- verkehr zu beschuldigen, welcher, wie gezeigt wurde, überreiche Gelegenheit dazu ge- boten hat. Während man in betreff des spanischen Dampfers Murciano, wenigstens anfangs, noch unentschieden war, ob die Infektion dem Wasser zuzuschreiben sei. blieb bei dem zweiten Schiffe von vornherein kein Zweifel darüber. Das Schiff war bereits am 5. Januar Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. 215 im Hamburger Hafen angelangt; am 12. Januar wurde der Murciano in die Nähe desselben gebracht, desinfiziert und gereinigt und am 15. Januar brach die (!holera auf Gretchen Bohlen aus. Die aus 17 Negern bestehende Mannschaft war bis dahin cholera- frei gewesen, hatte sonst keine Gelegenheit zur Infektion gehabt, aber, wie in diesem Falle bestimmt festgestellt ist, reichlich Wasser direkt aus der Elbe getrunken. Da der \'erlauf der Cholera auf diesem zweiten Schiffe sich genau so verhielt wie auf dem ersten, so wurde dadurch die Annahme, daß es sich auch auf diesem in der Tat um eine Wasser- infektion gehandelt habe, noch sicherer gemacht. Eine der auffallendsten Eigentümlichkeiten, welche die Hamburger Nachepidemie bietet, ist die geringe Mortalität. Dieselbe betrug 28 Proz., während bekanntlich die Choleramortalität sonst sich um 50 Prozent bewegt. Meiner Meinung nach handelt es sich hierbei aber nicht um eine wirkliche, sondern wahrscheinlich nur um eine scheinbare Ab- weichung von der Regel. Die frühere Cholerastatistik rechnete nur mit denjenigen Fällen, welche klinisch ausgesprochene Symptome zeigten, d. h. mit den schweren Cholerafällen. Leichtere Brechdurchfälle und einfache Durchfälle wurden als Cholerinen bezeichnet und in der Regel beiseite gelassen. In der Hamburger Nachepidemie haben wir es nun aber zum ersten Male mit einer Epidemie zu tun, bei welcher die bakteriologische Diagnostik in möglichst vollständiger Weise durchgeführt und jeder Fall als (iholera registriert ist, bei welchem ('holerabakterien gefunden wurden. Unter diesen Fällen befinden sich nicht nur solche, welche man früher für choleraverdächtig gehalten und (Iholerine genannt hätte, sondern auch solche, welche klinisch ganz unbedeutende, selbst gar keine Symptome darboten und nur deswegen untersucht wurden, weil sie mit unzweifelhaften Cholera- kranken in Berührung gewesen waren. In dieser Epidemie sind eben zum ersten Male außer den klinisch Verdächtigen auch die ätiologisch Verdächtigen untersucht, was zu dem so außerordentlich wichtigen Ergebnis geführt hat, daß auch unter diesen eine gewisse Anzahl von Cliolerainfizierten sich befinden, welche nur mit Hilfe der bakterio- logischen Untersuchung als solche herausgefunden werden können. Während der großen Epidemie im Sommer hatte es teils an Zeit und an Hilfskräften zu solchen Untersuchun- gen gefehlt, teils lag auch keine eigentliche Veranlassung dazu vor, man beschränkte sich deswegen, auch selbst gegen Ende derselben, als die Fälle immer vereinzelter auf- traten, auf die bakteriologische Untersuchung der klinisch Verdächtigen. In der Winter- epidemie stellte sich aber sehr bald heraus, daß dies doch nicht genügte. Auch wenn die klinisch Verdächtigen sofort durch Isolierung unschädlich gemacht wurden, kamen immer Avieder nachträglich vereinzelte Fälle zum Vorschein, welche mit aller Bestimmt- heit darauf hinwiesen, daß doch noch nicht aller Infektionsstoff beseitigt war. Auf meinen Rat dehnte man dann die Evakuierungen und die damit verbundenen bakteriologischen Untersuchungen immer weiter aus. Es leitete mich dabei die Vorstellung, daß, wie der Chirurg, wenn er eine bösartige Neubildung sicher entfernen will, im Gesunden schneidet, so auch die Exstirpation des Cholerakeimes gewissermaßen im Gesunden geschehen muß, wenn sie Aussicht auf Erfolg haben soll. Es wurden infolgedessen nicht nur einzelne Choleraverdächtige, sondern gruppenweise alle diejenigen, welche sich vermutlich in gleicher Weise wie diese oder von ihnen infiziert haben konnten, in die Evakuations- anstalt gebracht und dort bakteriologisch untersucht, mochten ihre Darmausleerungen diarrhoisch sein oder nicht. Dabei stellte sich heraus, daß in der Tat auch unter den scheinbar Gesunden sich einzelne Menschen befanden, deren Ausleerungen kaum diarrhoisch oder selbst normal waren, trotzdem aber Cholerabakterien enthielten. Daß auch solche Menschen als Cholerainfizierte und demnach als Träger des Cholerainfektions- stoffes anzusehen sind, liegt auf der Hand: denn bei den sehr zahlreichen anderweitigen Untersuchungen von Dejektionen Gesunder und an den verschiedensten Krankheiten 216 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. Leidender, wie sie im Laufe der Zeit und speziell auch während der letzten Epidemien in bakteriologischen Laboratorien gemacht sind, ist niemals etwas derartiges gefunden worden ; das Vorkommen solcher Fälle beschränkt sich ausschließlich auf solche Menschen, unter denen einzelne auch klinisch unzweifelhafte Erkrankungen von echter Cholera aufgetreten waren und von denen man daher annehmen muß, daß sie Gelegenheit zur Infektion gehabt haben. Wie es kommt, daß ein und dieselbe Infektionsgelegenheit so verschiedene Abstufungen der Krankheit bewirken kann und ob dies allein den Ver- schiedenheiten in der individuellen Disposition oder auch anderen uns bis jetzt noch un- bekannten Einflüssen zuzuschreiben ist, muß vorläufig unentschieden bleiben. Hoffent- lich werden weitere Beobachtungen und Untersuchungen uns auch die Beantwortung dieser Frage bringen. Auf jeden Fall steht jetzt die Tatsach fesit, daß unter einer Anzahl von Menschen, welche der Choleramfektion ausgesetzt gewesen sind, die daraus resul- tierenden Erkrankungen qualitativ die ganze Stufenleiter von den schwersten, schnell tödlichen, bis zu den allerleichtesten, nur noch bakteriologisch nachweisbaren Fällen aufweisen können. Ich halte diese Erfahrung für eine der wichtigsten Bereicherungen unserer Kenntnisse über die asiatische Cholera sowohl in praktischer als in theoretischer Beziehung. Für die Praxis ist sie aus folgenden Gründen wichtig: Würde man es, so wie früher, dabei bewenden lassen, nur die klinisch verdächtigen und nachträglich bakteriologisch als Cholera konstatierten Fälle durch Isolierung und Desinfektion unschädlich zu machen, dann wird es allerdings in manchen Fällen auch noch gelingen, einen sich entwickelnden Choleraherd zu ersticken; in anderen Fällen aber, namentlich in der dichtgedrängten Bevölkerung der Städte und unter so un- günstigen Verhältnissen, wie sie in Hamburg vorlagen, würden die Bemühungen, alle Cholerakeime zu vernichten, vergeblich sein. Dabei ist es noch besonders be- denklich, daß die der Untersuchung entgehenden leichtesten Fälle in bezug auf Cholera Verschleppung die allergef ährlichsten sind. Es wird sich das am einfachsten an einigen Beispielen auseinandersetzen lassen. Auf den beiden Choleraschiffen des Hamburger Hafens erkrankten je zwei Leute unter Symptomen, welche sie klinisch als choleraverdächtig erscheinen lassen mußten; selbstverständlich wurden sie sofort isoliert. Hätte man nun nach Desinfektion der Schiffe die übrige Mannschaft, welche ganz gesund zu sein schien, unbehelligt gelassen, dann würden acht Menschen, in deren Dejektionen sich Cholerabakterien befanden, Gelegenheit gehabt haben, den Infektionsstoff in der Umgebung des Hamburger Hafens aufs neue zu verschleppen. Ge- setzt den Fall, daß die Schiffsmannschaften nicht Ausländer, sondern Inländer waren und nach der Abmusterung in ihre Heimatsorte reisten, hier vielleicht anfangs auch noch zur Entwicklung leichter und unerkannt bleibender Fälle Veranlassung gaben, während sie selbst niemals klinisch cholerakrank waren, dann hätte auf solche Weise die Cholera auf weitere Entfernung verschleppt werden können, ohne daß spätere Untersuchungen auch nur den geringsten Anhalt für die Herkunft der Cholera zu ergeben brauchten. In dieser Beziehung scheinen mir die Verhältnisse, wie sie sich in einer Hamburger Bettlerherberge zugetragen haben, besonders beachtenswert. Aus dieser Herberge, welche während der großen Epidemie acht Cholerafälle, darunter vier tödliche geliefert hatte, wurde ein am Durchfall leidender Mensch am 26. Dezember wegen Choleraverdachtes bakteriologisch untersucht und als wirklich cholerakrank befunden. Dies gab Veran- lassung, von den Insassen der Herberge so viele, als man deren habhaft werden konnte, ebenfalls zu untersuchen, wobei noch ein Mann herausgefunden wurde, der zwar klinisch nicht choleraverdächtig erschien, aber in seinen Ausleerungen Cholerabakterien hatte. Als ich dieselbe Herberge einige Tage später besuchte, war sie angefüllt mit Leuten, Bie Cliolera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. 217 welche zum allergrößten Teil keine Beschäftigung hatten, teilweise auch, wie sie sagten, die Aussicht eine Beschäftigung zu finden, aufgegeben hatten und im Begriff waren, Hamburg wieder zu verlassen. Sie stammten aus den verschiedensten Teilen Deutsch- lands, besonders waren darunter Angehörige der preußischen Provinz Sachsen und des Königreichs Sachsen vertreten. Man kann sich leicht vorstellen, wie durch solche Men- schen die Cholera unbemerkt von einem Ort zum andern verschleppt werden kann und wie sich ihre Spuren nicht selten der sorgfältigsten Nachforschung zu entziehen ver- mögen. Hätte man in Hamburg nicht in so nachdrücklicher AVeise die C^holera bis in ihre äußersten Schlupfwinkel verfolgt und jede auffindbare Spur des Infektionsstoffes unschädlich gemacht, dann wäre es nach meiner Uberzeugung gewiß nicht gelungen, des über die Stadt in so massenhafter Weise ausgebreiteten Zündstoffes Herr zu werden. Aber so wurden die einzelnen Funken, ehe sie von neuem zünden konnten, erstickt. Natürlich konnte nicht jeder sofort entdeckt werden und die einzelnen Ketten setzten sich im Verborgenen fort; aber sie wurden immer seltener und mußten schließlich eben- falls fortzuglimmen aufhören. Auch den nach mehrmonatlicher Pause am 27. Mai kon- statierten vereinzelten Fall möchte ich als i\.usläufer einer solclien Kette ansehen. Der- selbe beweist, daß die in Hamburg fortgesetzt beobachtete Vorsicht und die Gründlich- keit in der bakteriologischen Untersuchung der verdächtigen Erkrankungsfälle auch nach scheinbar beendigter Epidemie durchaus berechtigt ist. Auf theoretischem Gebiet läßt sich der Nachweis der leichtesten Cholerafälle in zweifacher Richtung verwerten. Zunächst wissen wir jetzt, daß unter den ( 'holerainfizierten eine nicht unbeträcht- liche Anzahl und, wenn wir uns an das Beispiel der beiden Schiffe halten, sogar die über- wiegende Zahl so unbedeutende Krankheitssymptome aufweist, daß man sie unter ge- wöhnlichen Verhältnissen, d. h. ohne bakteriologische Untersuclnmg für gesund halten mußte. Damit fallen aber alle die Schwierigkeiten fort, welche man bisher darin gefunden hat, daß der menschliche Verkehr auch dann die Cholera verbreiten kann, wenn niu' gesunde Menschen dabei in Frage kommen. Es kommt in der Tat nicht selten vor, daß notorisch kranke Menschen oder mit Infektionsstoff beladene leblose Gegenstände, wie Wäsche usw., nach dem infizierten Orte, wenigstens nacliAveislich, nicht gelangt sind. Solche Fälle hat man dann so gedeutet, daß, wenn hier die Verschleppung ohne cholera- kranke Menschen oder deren Dejektionen geschehen konnte, der Cholerakranke über- haupt nicht zur Seuchenausbreitung geeigneter sei, als jeder andere Teil des menschlichen Verkehrs, und folgerecht ist man dann so weit gegangen, den Cholerakranken und seine Dejektionen für relativ ungefährlich zu erklären. Wie voreilig diese Deutung der Cholera- verschleppung durch anscheinend gesunde Menschen ist, liegt jetzt auf der Hand. Wer heute noch behaupten wollte, daß nach einem cholerainfizierten Orte die Krankheit auch ohne Beteiligung von cholerainfizierten Menschen oder deren Dejektionen ge- kommen sei, Avürde in Zukunft den Nachweis zu führen haben, daß unter den scheinbar gesunden Menschen, welche dahin verkehrten, keine leichtesten Cholerafälle sich be- fanden, ebenso daß keine mit Choleradejektionen beschnuitzten Gegenstände einge- führt worden sind. Den Erfahrungen, welche in der Hamburger Nachepidemie gemacht sind, ver- danken wir schließlich auch das richtige Verständnis für die Ergebnisse der bisher an Menschen gemachten absichtlichen und unabsichtlichen Cholera-Infektionsversuche. Die erste dahin gehörige Beobachtung ist von M a c n a m a r a ^) gemacht. Derselbe berichtet, daß von 19 Personen, welche zufällig mit ( Jholeradejektionen verunreinigtes Wasser tranken, fünf an Cholera erkrankten. Später sind unabsichtliche Infektionen im ') Deutsclie*Medizinische Wochenschrift, 188ö. Nr. 37A. 1 )iesc ^^^'rk;e Bd. IT, p. 83. D. Herausg. 218 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. Laboratorium des Gesundheitsamtes^) und im Laboratorium des Stadtlazaretts zu Danzig^) vorgekommen. Daran schließen sich dann noch die bekannten absichthchen Versuche in München, Wien und Paris. Ob unter den von Macnamara beobachteten Fällen schwere und tödhche Erkrankungen sich befanden, ist aus seinen Mitteilungen nicht zu ersehen. Aber die übrigen erwähnten Infektionen, welche nur durch Reinkulturen von Cholerabakterien bewirkt sein konnten, haben insgesamt das Eigentümliche, daß mit dem Auftreten der Cholerabakterien in den Ausleerungen der Infizierten sich mehr oder weniger starker Durchfall einstellte, ohne daß es jedoch zu den eigenthchen schweren Cholerasymptomen kam (mit Ausnahme des einen Falles in Paris). Es fehlten also die- jenigen Symptome, welche wir der Resorption des von den Cholerabakterien produzierten Giftes zuschreiben müssen. Daraus könnte man schließen, daß die Cholerabakterien für sich allein wohl imstande seien, einen mehr oder weniger starken Durchfall hervor- zurufen, daß sie aber keine wesentliche lebensgefährliche Cholera veranlassen können. Diese Schlußfolgerung ist indessen nicht richtig; denn wenn wir wiederum die mehrfach erwähnten Choleraausbrüche auf den beiden Schiffen im Hamburger Hafen zum Ver- gleich heranziehen und die Macnamara sehe Beobachtung berücksichtigen, dann ergibt sich, daß von einer gewissen Anzahl von Menschen, welche zu gleicher Zeit der Infektion ausgesetzt sind, nur ein bestimmter Bruchteil schwer erkrankt und ein anderer leicht, während der Rest gesund bleibt. Auf den Hamburger Schiffen, welche in dieser Beziehung den sichersten Anhalt gewähren, erkrankten das eine Mal von 24 Personen zwei schwer und vier leicht, das andere Mal von 17 Personen ebenfalls zwei schwer und vier leicht. Wenn also bei den vereinzelten Laboratoriumsinfektionen und den nur wenige Personen umfassenden absichtlichen Infektionen nur leichte Erkrankungen ent- standen sind, so entspricht dies noch vollkommen dem, was nach den bisherigen Er- fahrungen erwartet werden konnte. Selbst wenn jene Versuche ganz negativ ausgefallen wären, würden sie gegen die Spezifität der Cholerabakterien noch nicht das geringste beweisen, da ja unter den gruppenweise auf gewöhnlichem Wege Infizierten die Mehr- zahl auch nicht krank wird. Wenn derartige Experimente den beabsichtigten Zweck erreichen sollen, dann müssen sie ganz den natürlichen Verhältnissen angepaßt sein. Es müßten also eine größere Anzahl von Personen sich der Infektion mit Cholerabakterien aussetzen. Einige davon müßten die Bakterien bei leerem Magen zugleich mit vielem kalten Wasser zu sich nehmen ; andere müßten, wenn sich Durchfall und Cholerabakterien in den Ausleerungen eingestellt haben, Diätfehler begehen und Speisen zu sich nehmen, welche erfahrungsgemäß den Ausbruch der Cholera begünstigen usw. Erst wenn bei einer derartigen Versuchsanordnung und bei Verwendung frischer, vollvirulenter Kulturen nur leichte Erkrankungen resultieren, dann würde man weiter danach zu suchen haben, unter welchen besonderen Bedingungen die schweren Cholerasymptome zustande kommen und ob noch besondere Hilfsmomente dazu erforderhch sind, welche außer- halb der Eigenschaften der Cholerabakterien und außerhalb der Schwankungen im Zu- stande der Verdauungsorgane liegen. Bis dahin hegt kein Grund vor, die jetzige Auf- fassung zu bezweifeln, daß die Cholerabakterien für sich allein imstande sind, je nach der individuellen Disposition der Infizierten, das eine Mal leichte und ein anderes Mal schwere Cholerasymptome zu bewirken. Damit verlieren selbstverständlich die bisher angestellten Versuche durchaus nicht ihre Bedeutung, sie hefern auf jeden Fall einen höchst wertvollen Beitrag zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Cholerabakterien; aber sie beweisen nicht das, was diejenigen, welche sie an sich angestellt haben, damit zu beweisen gedachten. 1) Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1885, Nr. 37 A. Diese Werke Bd. II, p.84. D. Herausg. 2) Ebenda, 1893, Nr. 19. Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis ISiKi. 219 Von dem gewaltigen C'holeraherd, welcher sich während der Monate August unfl September 1892 in Hamburg entwickelt hatte, ist die Seuche nach nahezu 300 Ort- schaften in Deutschland und im Auslande verschleppt worden. Aber auch die extensiv und intensiv so außerordentlich geringere Winterepidemie ist nicht ohne Ausläufer geblieben. Zu Anfang Januar reiste ein Mann von Hamburg nach iSchwerin und starb da- selbst an Cholera. Vier Fälle wurden von Hamburg nach Elmshorn verschleppt, welcher Ort auch im vorhergehenden Sommer von Hamburg sechs Fälle erhalten hatte. Ein allerdings nicht vollständig aufgeklärter Fall soll nahe bei Hamburg in Osdorf, Kreis Pinneberg, vorgekoinmen sein. In Neuhof auf der Elbinsel Wilhelmsburg starb am (5. Januar ein Schiffszimmer- mann an Cholera, welcher im Hamburger Hafen und zwar in derselben Abteilung ge- arbeitet hatte, in welcher der früher erwähnte choleraverseuchte Dampfer Murciano lag. Wahrscheinlich ist dieser Fall deswegen auch auf dieselbe Infektionsquelle zu beziehe]i. Drei Cholerafälle kamen in Schulau vor, und einer in der unmittelbar daneben gelegenen Stadt Wedel. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit Hamburg ließ sich für diese Fälle nicht auffinden, aber indirekte Beziehungen waren durch das Elbwasser gegeben. Die am rechten Elbufer, ungefähr 20 km unterhalb von Hamburg und 8 km unterhalb des Altonaer Wasserwerkes gelegenen Orte Wedel und Schulau erhalten ihr Wasser aus Brunnen, nui- eine Zuckerfabrik in Schulau bezieht ihren Wasserbedarf aus der Elbe vermittels einer eigenen Leitung. Die Wasserentnahmestelle für diese Leitung befindet sich dicht neben der Landvmgsbrücke, wo die Elbkähne, welche Rüben, Kohlen usw. zur Fabrik bringen, anlegen. An derselben Stelle macht der Fluß eine kleine Krüm- mung und hat eine ziemlich starke Strömung. Alte Korkstopfen und andere schwimmende Gegenstände, welche dort zahlreich angeschwemmt werden, lassen erkennen, daß die Verunreinigungen aus den Hamburg-Altonaer Sielen trotz der weiten Entfernung noch ziemlich konzentriert bis hierher gelangen. Das Elbwasser wird, ehe es in die Fabrik gelangt, filtriert, jedoch nur durch eine Kiesschicht, welche kaum die gröberen Schmutz- stoffe zurückhält. Dieses Wasser wurde von den Fabrikarbeitern getrunken und es er- krankte von ihnen einer, welcher am 10. Januar starb, ein zweiter erkrankte am 26. Ja- nuar. Jener wohnte in Schulau, dieser in Wedel. Bald nach dem Tode des ersteren wurden zwei seiner Kinder von Cholera befallen. Wäsche und Kleidungsstücke dieses Arbeiters, dessen Krankheit anfänglich für eine Fleischvergiftung gehalten wurde, waren an Angehörige in Schlesien geschickt. Aber glücklicherweise waren gleichzeitig Leichen- teile nach Kiel zur bakteriologischen Untersuchung gegeben, und als hier C'holera dia- gnostiziert wurde, konnte auf telegraphischem Wege noch zeitig genug die Vernichtung der gefährlichen Objekte angeordnet werden, ehe dieselben weiteres Unheil angerichtet hatten. Alle diese von Hamburg ausgehenden Verschleppungen gaben zu keinen inten- siveren Ausbrüchen der Seuche Veranlassung. Nur in Altona und in Nietleben ent- wickelten sich eigentliche Epidemien, mit denen wir uns nunmehr eingehender zu be- schäftigen haben werden. II. Die Winterepidemie in Altona. Die mit der Hamburger großen Epidemie parallel gehende Choleraepidemie in Altona hatte ebenso wie jene gegen Ende Oktober ihren Abschluß gefunden. Vereinzelte Nachzügler am 4. und 29. November^) scheinen mit derselben noch in Verbindung zu ') Wallichs, Die Cholera in Altona. Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1893, Nr. 10. 220 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. stehen. Dann aber folgte ein, wenigstens anscheinend, cholerafreier Zeitabschnitt, welcher bis Ende Dezember reicht. Um diese Zeit hatte die Nachepidemie in Hamburg mit fünf Fällen an einem Tage (26. Dezember) ihren Höhepunkt erreicht und nun begann auch in Altona die Seuche sich wieder zu zeigen. Diesmal trug sie aber einen ganz anderen Charakter, als während der vorhergehenden Epidemie. Damals waren die allermeisten Fälle solche, welche zu Hamburg in Beziehung standen und sich höchst wahrscheinlich auf Hamburger Gebiet infiziert hatten oder von solchen Fällen sekundär entstanden waren. Jetzt erkrankten dagegen Menschen, bei denen mit wenigen Ausnahmen eine derartige Infektion ausgeschlossen war. Dahin gehörten z. B. Arbeiter, welche sich in geordneten Verhältnissen befanden und durch ihre Beschäftigung nicht nach Hamburg geführt wurden, Frauen aus dem Mittelstande, kleine Kinder, welche wegen der kalten Witterung gar nicht aus dem Hause gekommen waren, ein Einjährig-Freiwilliger, In- sassen des Krankenhauses, welche seit Wochen bettlägerig waren und mit niemanden außerhalb des Krankenhauses in Berührung kamen, ein Gefangener, bei dem die Cholera nach zwölftägiger Isolierhaft auftrat. Alle diese Fälle standen untereinander in keinerlei Zusammenhang. Während in Hamburg die Cholera sich gleichzeitig ausnahmslos in den untersten Volksschichten hielt und sich offenbar an bestimmten Stellen eingenistet hatte, kam unter den in Altona Erkrankten nur ein Fall bei einer obdachlosen Frau vor; die übrigen Fälle betrafen Personen, welche die Krankheit nicht durch unmittel- bare Übertragung von selten unreinlicher und in ungesunden Räumen zusammenge- drängter Menschen erhalten haben konnten. Offenbar handelte es sich hier um einen ganz anderen Typus der Cholera, wie in Hamburg ; und es ließ sich dieses Verhalten der Krankheit nur so auffassen, daß der Infektionsstoff über die ganze Stadt verstreut und zwar nur in spärlicher Menge wirkte. Zunächst mußte man an die Wasserversorgung denken; denn wenn in derselben Störungen eingetreten waren, dann hätten sie sich wohl in der Weise äußern können, wie es jetzt der Fall war. Es wären mit dem ungenügend filtrierten Elbwasser Cholerakeime , welche durch die Siele aus Hamburg in die Elbe gespült wurden, über ganz Altona ausgestreut worden und hätten zusammenhanglose Cholerafälle entstehen lassen müssen. Daß dieser Verdacht ein begründeter war und daß in der Tat Störungen im Filterbetrieb des Wasserwerks unmittelbar vor dem Aus- bruch der Epidemie stattgefunden hatten, ferner welcher Art diese Störungen gewesen sind und daß die Cholerakeime, d. h. die Cholerabazillen im Elbwasser dicht unterhalb von Hamburg sowie in dem Rohwasser des Wasserwerkes von Altona nachgewiesen sind, ist in einer vorhergehenden Abhandlung^) eingehend besprochen, auf welche ich bezüg- lich dieser Verhältnisse verweise. Kleine Epidemien sind in mancher Beziehung für die ätiologische Forschung vor- teilhafter als große. Die einzelnen Fälle können jeder für sich viel gründlicher unter- sucht werden, und ihre Beziehungen untereinander lassen sich in einer Art und Weise ermitteln, wie es bei großen Epidemien gar nicht durchzuführen ist. Das Gefüge einer kleinen Epidemie bleibt deswegen in der Regel durchsichtig und in seinem Zusammen- hange verständlich. Diese Vorzüge hat auch die uns hier beschäftigende Altonaer Epi- demie. Es ließ sich wohl von vornherein erwarten, daß, wenn der Infektionsstoff über das ganze Gebiet einer Stadt ausgestreut wird und es infolgedessen zu einer Anzahl von Erkrankungen gekommen ist, es nicht bei diesen primären Fällen bleiben würde. Überall da, wo sich Verhältnisse finden, welche der weiteren direkten oder indirekten Übertragung der Cholera günstig sind, werden sich an die primären Erkrankungen se- kundäre anschließen. Aber bei einer großen Epidemie können solche sekundär sich ent- ') Wasserfiltration und Cholera. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. XIV. Diese Werke Bd. II, p. 183 ff. D. Herausgeber. Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. 221 wickelnden Fortsetzungen der Infektion nur ausnahmsweise von dem Ganzen abgelöst und in ihrer Entstehungsweise richtig erkannt werden; gewöhnlich verlieren sie sich unerkannt in der Masse. In der kleinen Altonaer Epidemie ist es jedoch gelungen, auch die sekundären Infektionen, welche gewissermaßen aus der Basis der Wasserepidemie hervorgesproßt waren, genügend zu unterscheiden. An drei Stellen entstanden Gruppenerkrankungen innerhalb von FamiUen. So litt in einer Familie zuerst der Mann an Durchfall, wenige Tage darauf starben zwei Kinder an Cholera und wieder zwei Tage später die Mutter, \\elche mit der Pflege der Kinder beschäftigt gewesen war. In einer anderen Familie erkrankte und starb zuerst ein sieben Alonate altes Kind (1. Februar), zwei Tage später trat die C!holera bei einem anderthalbjährigen Pflegekind und einem 13 jährigen Mädchen auf, wiederum drei Tage später bei einem sechsjährigen Mädchen und bei dem Vater (die letzten drei sind am Leben geblieben). Die dritte Familienepidemie ereignete sich bei einem Bäcker. Am 2. Februar er- krankten zwei Frauen. Da dieselben sich zu gleicher Zeit infiziert haben müssen, so ist es wahrscheinlich, daß ein leichter unerkannt gebliebener C'holerafall vorhergegangen ist und den Ausgangspunkt für diese Gruppenerkrankung gebildet hat. Am 3. und 5. Fe- bruar folgten den beiden er§ten Fällen noch Choleraerkrankung bei einer Verwandten und bei einer Tochter des Bäckers. Sämtliche Fälle dieser Gruppe verliefen leicht. Auch im Krankenhause scheint es zur Bildung einer kleinen Gruppenerkrankung infolge von direkter Übertragung gekommen zu sein. Der erste daselbst aufgetretene Gholerafall betraf eine Frau, welche seit vier Wochen im Hauptpavillon Avegen Lunge n- phthisis behandelt wurde ; der zweite Fall einen Typhusrekonvaleszenten in Baracke III, die dann folgenden drei Fälle in der Irrenabteilung. Diese drei letzten C'holeraerkrankun- gen dürften wohl, namentlich auch nach den in Irrenanstalten anderweitig gemachten Erfahrungen als untereinander zusammenhängend angesehen werden. Die interessanteste sekundäre Gruppenerkrankung kam in dem Stadtteil Ottensen vor. Hier (vgl. den umstehenden Plan Fig. 1)"^) befindet sich von vier Straßenzügen (Rothestraße, Papenstraße, große und kleine Brunnenstraße) umgeben ein Häuser- komplex, welcher aus zwei Abteilungen besteht. Die westlich gelegenen Häuser sind (mit Ausnahme des Eckhauses an der Papenstraße) an die Altonaer Wasserleitung ange- schlossen (auf dem Plan mit W bezeichnet). Der östlich gelegene Teil besteht aus mehreren von den angrenzenden Straßen her zugänglichen langgestreckten Höfen, welche zu beiden Seiten mit kleinen Häusern besetzt sind. Dieselben wurden nach dem großen Hamburger Brande (1842) errichtet, um für die Obdachlosen so bald als möglieh eine Unterkunft zu schaffen'). Seit jener Zeit werden sie mietsweise von armen Leuten bewohnt. Diese von etwa 270 Menschen bewohnten Höfe tragen den Namen ,, langer Jammer'". Die angrenzenden Straßen sind kanalisiert und es gehen Tonrohrleitungen, welche mit CTullies versehen sind, von den Straßenkanälen bis auf die Höfe. Für die Ableitung der Schmutz- wässer ist also leidlich gesorgt. Die Häuser des ,, langen Jammers" sind nicht an die Wasserleitung angeschlossen. Es kommt dies daher, daß die Altonaer Wasserleitung im Besitz einer Privatgesellschaft ist, welche das Wasser gegen Bezahlung abgibt. Für die armen Bewohner des ,, langen Jammers" war der Preis des Leitungswassers zu hoch, als daß sie sich diese Wohltat verschaffen konnten, sie mußten also ihren Wasserbedarf in anderer Weise decken und konnten dies nur durch Benutzung eines aus früheren *) Die Skizze zu diesem Plan, die Angaben über die Bohrungen auf dem Grundstück, über che Grundwasserverhältnisse von Altona, sowie andere wertvolle INIitteikmgei^ verdanke ich Hrn. Stadt- baurat Stahl in Altona. ■-) Vgl. Wallichs a. a. O. 224 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. 1891. Juli 4 9,38 11 9,50 18 9,53 25 9,53 August 1 9,66 8 9,67 15 9,64 22 9,66 29 9,58 September 5 9,62 12 9,60 19 9,60 26 9,54 Oktober 3 9,56 11. 9,62 17 9,64 24 9.60 31 9,67 November 7 9,83 14 9,64 21 9,70 28 9,80 Dezember 5 9,70 12 9,82 17 9,86 24 9,67 1892. Juli 2 9,72 9 9,73 16 9,75 23 9,76 30 9,75 August 6 9,77 13 9,78 20 9,80 27 9.80 September 3 . 9,81 10 9,83 17 9,85 24 9,85 Oktober 1 9,87 8 9,90 15 9,90 22. 9,91 29 9,93 November 5 9,94 12 9,94 19 9,95 26. • 9,95 Dezember 3 9,98 10 10,01 17 9,96 24 10,02 31. . 9,98 Die Grundwasserschwankungen haben sich hiernach im Jahre 1891 zwischen 9,38 und 9,83, im Jahre 1892 zwischen 9,46 und 10,02 bewegt. Es gibt dies für 1891 eine Niveaudifferenz von 45 cm und für 1892 von 56 cm. Der höchste Stand fällt in beiden Jahren auf den Frühling, der niedrigste auf den Herbst und Winter, wie dies fast überall in Norddeutschland der Fall ist. Im Jahre 1892 stand das Grundwasser im ganzen etwas niedriger als im vorhergehenden Jahre, was höchst wahrscheinlich durch die geringe Niederschlagsmenge dieses Jahres bedingt ist^). Gegen Ende des Jahres hatte das Grundwasser seinen tiefsten Stand ereicht. Nach der bekannten Theorie würde man hierin einen die Cholera begünstigenden Faktor erblicken können. Dies ist jedoch schon deswegen nicht angängig, weil die Cholera in Altona wieder verschwand, ehe dieser Faktor zu wirken aufhörte, denn wie aus der Tabelle zu sehen ist, hielt sich der niedrige Stand des Grundwassers bis in den Februar 1893. Außerdem wäre aber auch nicht einzusehen, daß gerade eine einzige Häusergruppe in Altona durch das Grund- ^) Nach van Bebber (Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie, Januar 1893) hat Hamburg im Jahre 1892 eine um 190 mm geringere Niederschlagsmenge gehabt, als der Mittelwert beträgt. Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. 225 wasser so auffallend beeinflußt sein sollte, während viele andere ebenso belegene und be- schaffene Häuser einen derartigen Einfluß nicht erkennen ließen. Schon während der Sommerepidemie kamen im „langen Jammer" Cholerafälle vor. Der erste ereignete sich am 29. August bei einem Tabaksarbeiter, welcher angeb- lich Ottensen nicht verlassen hatte und zu Hamburg in keinerlei Beziehung stand. Er gehörte also zu den verhältnismäßig wenig zahlreichen Erkrankungen, welche die der Stadt Altona selbst zukommende Choleraepidemie bildeten. Dieser Fall blieb damals isoliert. Ein zweiter, am 4. September auftretender, hatte keinen Zusammenhang mit dem ersten, er betraf einen Handelsmann, der in den vorhergehenden Tagen in Hamburg sein Handelsgewerbe betrieben und sich unzweifelhaft dort infiziert hatte. Auch dieser Fall blieb ohne weitere Folgen und man hätte, da die Cholera wiederholt in den ,, langen Jammer" eingeschleppt war, ohne daß sie sich weiter ausgebreitet hatte, diesen Ort für einen der Cholera wenig günstigen halten sollen. Um so überraschender war es, daß kurz nach Beginn der Nachepidemie gerade hier im Laufe von einer Woche neun Cholera- fälle entstanden, von denen sieben tödlich verliefen. Auf zwei Häuser kamen je zwei Fälle. Die übrigen blieben sämtlich isoliert und verteilten sich ziemlich gleichmäßig über die Häusergruppe des ,, langen Jammers". Als sich auf einem so engbegrenzten Gebiet der Stadt die Cholerafälle in so auf- fallender Weise häuften, wurden sofort Untersuchungen über die Ursachen angestellt, denen die Entstehung des Choleraherdes zugeschrieben werden konnte. Dabei stellte sich dann die überraschende, bereits oben berührte Tatsache heraus, daß in der im übrigen so vortrefflich mit Wasser versorgten Stadt sich hier eine Häusergruppe befand, welche kein Leitungswasser erhielt, und daß sich der Choleraherd ausschließlich auf diese Häuser be- schränkte. Die Nachbarschaft des ,, langen Jammers" ist bis auf einen ziemlich weiten LTm- kreis vollkomitien frei von Cholera geblieben. Es hatte sich somit hier in einem kleinen Maßstabe dasselbe wiederholt, was man im Sommer vorher viel hundertmal ausgedehnter in Hamburg erlebt hatte, nämlich daß sich die Ausbreitung der ( iholera mit dem Gebiet einer Wasserversorgung haarscharf deckte. Die Wasserversorgung fand in diesem Falle durch einen Brunnen statt, dem sich selbstverständlich das weitere Interesse zuwandte. Der Brunnen liegt auf dem Hofe Nr. 45 an der früher bezeichneten Stelle (vgl. den Plan Fig. 1). Er nimmt, wie es bei solchen Brunnen gewöhnlich der Fall ist, die tiefste Stelle des Hofes ein. Seine Höhenlage ist 28,00 m über Normal-Null, das ihm zunächst gelegene Bohrloch Nr. 2 hat 28, H, die etwas weiter westlich davon befind- liche Hausecke hat 28,26; das Bohrloch Nr. 1 hat 28,58; die in der Nähe des letzten befindlichen Klosetts 28,46 bis 28,54; die östlich vom Bohrloch Nr. 1 gelegene Haus- ecke (auf dem Plan mit 1 bezeichnet) 28,61; der Schweinestall nebst Dunggrube 28,52. Bei dieser Lage mußte alles Flüssige aus der Umgebung des Brunnens seinen Weg naturgemäß in der Richtung nach diesem hin nehmen. Dafür, daß dies in der Regel nicht geschah, sorgte die zum Straßensiel führende Tonrolirleitung, welche in der Nähe des Klosetts mit einem Gully ihren Anfang nimmt und von da in gerader Linie, ziemlich dicht neben dem Brunnen vorbei nach der Straße geht. Auch am Brvnnien selbst be- findet sicli ein Gully, welches das beim Pumpen vorbeifließende Wasser mit einer be- sonderen, kurzen Leitung ebenfalls zum Straßensiel ableitet. Die Brunnen wandung besteht aus Ziegelsteinen. Oben ist der Brunnen durch Holz- bohlen geschlossen, welche mit einer dünnen Schicht Erde und mit Steinen bedeckt sind. Der Wasserstand im Brunnen hat eine Höhe von etwas mehr als einen Meter; das Niveau entspricht demjenigen des benachbarten Bohrloches Nr. 2. Aus dieser Beschreibung geht hervor, daß der Brunnen dieselben Eigenschaften besitzt, wie die meisten derartigen Brunnen und daß, wenn man ihn vor der Epidemie Koch, Gesammelte Werke. 60 226 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. untersucht hätte, keine Veranlassung vorlag, ihn als schlecht zu bezeichnen. Dies ist auch in der Tat geschehen. Im Mai 1892 sind in Altona 366 Brunnen untersucht und davon 92 unbrauchbar befunden. In dem mir vorliegenden Verzeichnis der Brunnen ist aber gerade der später so gefährlich gewordene Brunnen an der Papenstraße nicht als unbrauch- bar bezeichnet. An einem solchen Beispiel zeigt es sich so recht deutlich, wie wenig auf die heutzutage üblichen 'Brunnenuntersuchungen zu geben ist, und daß ein Kesselbrunnen, welcher vielleicht jahrelang ohne Nachteil benutzt ist, unter besonderen Umständen plötzlich der Ausgangspunkt für eine Infektion werden kann. Die Konstruktion der Kesselbrunnen bringt es eben, wie in einer vorhergehenden 'Abhandlung (Wasserfil- tration und Cholera) auseinandergesetzt wurde, mit sich, daß das Eindringen infizierter Flüssigkeiten von oben her niemals mit Sicherheit ausgeschlossen ist. Etwas Derartiges muß auch bei dem Brunnen an der Papenstraße geschehen sein. Von unten her, d. h. vom Grundwasser aus, kann der Infektionsstoff nicht in das Brunnenwasser gelangt sein; denn der Brunnen steht mit seiner Sohle in gut filtrierendem feinkörnigen Sand, welcher überdies vor Verunreinigungen von der Bodenoberfläche her durch eine ziemlich dicke undurchlässige Tonschicht geschützt ist. Außerdem mußte, wenn das Grund- wasser Träger des Infektionsstoffes gewesen wäre, nicht allein dieser, sondern mußten auch andere Brunnen, wenigstens die benachbarten, in ähnlicher Weise von Cholera- fällen umgeben gewesen sein, was nicht der Fall war. So hat das Eckgrundstück Papenstraße 59 — 61 und ebenso Große Brunnenstr. 118 bis 120 kein Leitungswasser, sondern benutzt einen Brunnen, trotzdem ist daselbst nicht ein einziger Fall von Cholera vorgekommen. Es bleibt also nur die Möglichkeit übrig, daß der Infektionsstoff dem Brunnen von oben her zugeführt ist, und hierfür ließen sich denn auch bei näherer Untersuchung unverkennbare Anzeichen auffinden. Denn nach Entfernung der Holzbedeckung zeigten sich an derjenigen Seite des Brunnens, wo der Ausguß und daneben das Gully sich be- findet, nasse Schmutzstreifen, welche von oben bis zum Wasserspiegel gingen und den Weg, welchen Schmutz und Flüssigkeit von oben her gefunden hatten, sichtbar kenn- zeichneten. An der Stelle, wo die Schmutzstreifen ihren Anfang hatten, mußten also Lücken und Spalten im Mauerwerk entstanden sein, und ebenso in der nach außen an- liegenden dünnen Schicht von Erde und Steinen, so daß hier ungehindert Flüssigkeit von der Bodenoberfläche in den Brunnen hineinfließen konnte. Für gewöhnlich wird dies nur Wasser gewesen sein, welches aus dem Brunnen selbst stammte und beim Pumpen, oder wenn am Brunnen gespült und gewaschen wurde, danebenfloß. Aber auch schon auf diese Weise hätte Infektionsstoff in das Brunnenwasser geraten können, wenn beispielsweise mit Dejektionen von Typhus- oder Cholerakranken beschmutzte Wäsche oder Gefäße gleich am Brunnen gereinigt wären. Daß dies nicht schon früher einmal und namenthch nicht während der Sommerepidemie geschah, ist nur einem glücklichen Zufall zuzuschreiben. So wie hier die Dinge lagen, hätte bereits im Sommer ein Seuchen- herd plötzlich entstehen können. Auch der im Winter erfolgte Ausbruch kann möglicher- weise in dieser Weise verursacht sein, aber es ist mir wahrscheinlicher, daß Cholera- dejektionen oder Spülwasser von Cholerawäsche auf dem Hofe Nr 45 in der Nähe des Brunnens ausgegossen und auf die sogleich zu erläuternde Weise in den Brunnen ge- kommen sind. Im Sommer hätte vermutlich eine derartige Flüssigkeit ihren Weg durch die Gullies in die Tonrohrleitung und von da in die Straßenkanäle genommen, oder der trockene Boden würde sie aufgenommen und festgehalten haben, so daß sie nicht sehr weit geflossen wären. Jetzt im Winter, wo der Boden fast einen Meter tief gefroren und auch die Gullies eingefroren waren, so daß sie überhaupt keine Flüssigkeit mehr aufnehmen konnten, blieb für Schmutzwässer, die auf den Hof gegossen wurden, gar Die Cholera in Deutst'hland während des Winters 1892 bis 1893. 227 kein anderer Weg, als derjenige, welclier ihm durch das natürhclie Gefälle auf der Boden- oberfläche angewiesen wurde, und dies war der Weg nach dem an tiefster Stelle ge- legenen Brunnen. Daß es sich in der Tat so verhält, geht auch daraus hervor, daß das Wasser des Brunnens, als gleich nach dem Auftreten der ersten Fälle der Hof gesäubert und mit Karbollösung besprengt wurde, das Wasser des Brunnens, in welchen direkt keine Desinfektionsmittel gelangt sein konnten, vorübergehend nach Karbolsäure ge- rochen haben soll. Zu bemerken ist noch, daß an der östlichen Seite des Brunnens, wo die Tonrohrleitung an ihm vorbeigeht, keine Schmutzstreifen an der Innenwand zu be- merken waren. Von dieser Seite konnten demnach wohl keine Verunreinigungen dem Brunnen zugeflossen sein. Übrigens mußte die Tonrohrleitung, welche zwar selbst an dieser Stelle 2 m tief, also frostfrei, liegt, seinerzeit leer sein, da ihr von den eingefrorenen GuUies her nichts zugeführt wurde. Da in diesem Falle die Witterungsverhältnisse von so großer Bedeutung gewesen sind, so wird es nicht unwichtig sein, dieselben für den hier in Betracht kommenden Zeitraum genauer kennen zu lernen. Ich gebe die betreffenden Daten für Hamburg nach den Beobachtungen der Seewarte, welche mir Hr. Professor van B e b b e r in dankenswerter Weise zur Verfügung stellte (siehe umstehende Tabelle). Aus dieser Tabelle ist zu ersehen, daß auf eine kurze Periode von Tauwetter, welche auf die Zeit vom 15. bis 21. Dezember 1892 fiel, eine Periode von andauernder Kälte folgte. Dieselbe begann am 21. Dezember und reichte bis zum 24. Januar. Während dieser Zeit müssen die GuUies eingefroren und funktionsunfähig gewesen sein. Der Cholera- ausbruch im ,, langen Jammer" begann am 21. Januar und endigte am 1. Februar. Also wird die Infektion des Brunnens vermutlich einige Tage früher, d. h. noch innerhalb der Frostzeit stattgefunden haben, zu einer Zeit, wo die ■ Schmutzwässer nicht in den Boden versickern oder durch die Gullies aufgenommen werden konnten, sondern ober- irdisch ihren Weg zum Brunnen nehmen mußten. An den meisten Tagen war die Kälte allerdings so stark, daß auch derartige Flüssigkeiten sich sehr bald in Eis verwandelt haben werden und nicht weit geflossen sein können, an einzelnen Tagen, wie z. B. am 14. Januar, blieb jedoch die Temperatur nur sehr wenig unter dem Gefrierpunkt und an einem solchen Tage kann die Verunreinigung des Brunnens geschehen sein. Auf jeden Fall müssen Cholerabakterien, mag es nun so, wie ich es hier zu erklären versucht habe, oder auf einem anderen ähnlichen Wege sich zugetragen haben, in den Brunnen gelangt sein; denn sie sind tatsächlich in dem Brunnenwasser nachgewiesen. Wir haben es hier mit einem der seltenen Fälle zu tun, in welchem die Verhältnisse so lagen, daß die Untersuchung frühzeitig genug gemacht werden konnte. Hätte man das Brunnenwasser, wie es .gewöhnlich nach Wasserinfektionen geschieht, einige Wochen nach dem Ausbruch der Krankheit untersucht, dann würde man nichts Verdächtiges mehr gefunden haben. Da sich hier aber von vornherein der Verdacht gegen den Brunnen richten mußte, so konnte die Untersuchung schon am 31. Jainiar gemacht werden. Sic wurde in der Weise ausgeführt, wie es in einer vorhergehenden Abhandlung^) beschrieben ist, und da schon in den ersten mit Pepton versetzten und bei Brüttemperatur ge- haltenen Proben die Cholerabakterien in sehr großer Menge gefunden wurden, so muß wohl auch das ursprüngliche Wasser ziemlich reich daran gewesen sein. Von dem am 31. Januar aus dem Brunnen entnommenen Wasser wurde ein Liter in einem Raum, der eine ziemlich gleichmäßige Temperatur von 3 bis 5" hatte, aufbewahrt und von Zeit zu Zeit auf das Vorhandensein der Cholerabakterien geprüft. Sie konnten noch am 2., 3. und 17. Februar nachgewiesen werden. Sie hatten sich also unter den ') Die bakteriologische Choleradiagnose. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. XIY. Diese Werke Bd. II. p. 167 ff. D. Herausgeber. 60* 228 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. angegebenen Bedingungen im Brunnenwasser noch 18 Tage lebend erhalten. Dem Brunnen selbst später entnommene und untersuchte Wasserproben enthielten keine Cholera- bakterien. Nachdem der Brunnen am 26. Januar geschlossen war, sind noch am 27., 28., 29. Januar und am 1. Februar je ein Cholerafall vorgekommen, sämtlich Fälle, die noch Dezember 1892 Januar 1893 Februar 1893 Temperatur * C. Nieder- Temperatur " C. Nieder- Temperatur ** C. Nieder- schlag- schlag schlag Min. Max. mm Miu. Max. mm Min. Max. mm 1 0,4 4.6 5,9 - 8,1 — 5,1 3,7 8,9 4,5 1,0 2 -2,5 1,9 0,9 - 7,9 — 5,3 0,0 1,1 4,8 4,5 3 RA. 0 8 12,1 IQ 1 1 1 0,0 — 3 1 9 Q 0,0 4 — 2,1 3il 3,4 —14,8 — 9,5 6,4 - 4,6 - 1,3 0,0 5 - 1,9 3,6 4,5 - 4,9 - 1,8 0,0 — 8,9 — 2.4 0,0 6 — 4,9 0,5 0,3 - 4,1 — 3,4 0,0 — 4,2 — 1,4 0,0 7 - 3,1 — 0,9 0,4 —11,8 - 3,4 0,0 - 5,4 0,9 2,6 8 3 1 0 3 0,2 IQ Q 9 4 0,0 2,5 5,0 9 — 0,3 1^6 0,0 — 9.2 — 7,4 0,0 0,1 3,6 4,6 10 - 4,8 0,6 0,0 - 7,9 - 3,4 0,0 1,9 3,6 2,6 11 -10,5 - 4,4 0,9 - 9,1 — 1.9 0,1 2.6 4,6 2,8 12 - 5,4 0,6 4,9 —14,9 - 6,4 0,2 - 1,8 6,3 10,2 1.3 1 Q , 0,1 Kr — 0, < 6,2 1 1 19,5 14 — 1.9 1,9 4,7 — 5.9 - 0,4 0,2 0,0 • 2,6 17,3 15 0,5 3,6 2,9 — 11,9 - 4,3 3,8 3.1 7,0 0,1 16 3,0 .5,1 0,4 —15,1 - 7,9 5,0 17 2,8 5,8 1,9 —13,7 — 5,6 0,5 18 5,2 6,6 0,0 — 18,4 - 9,4 0,2 19 4,8 7,8 0,4 —18,2 —14,6 0,0 20 3,9 8,1 0,8 — 18,2 — 8,6 3,3 21 - 1,0 5,1 0,3 - 3,7 0,8 0,0 22 1,1 3,1 0,0 — 8,8 — 0,8 0,1 23 - 4,2 2,4 0,0 — 6,6 - 4,8 0,1 24 — 7,7 — 1,3 0,0 —10,7 — 1,9 4,8 2.5 - 8,7 - 5,1 0,0 1,7 2,6 0,0 26 - 7,7 — 2,6 0,0 0,8 3,6 0,0 27 — 3,4 - 0,2 1,0 — 0,6 1,1 0,1 28 - 2,0 - 0,1 1,2 0,7 1,5 0,0 29 — 0,3 0,6 0,2 - 3,8 1,8 0,8 30 — 1,1 0,8 0,1 1,1 2,9 0,7 81 — 6,8 0.0 1,1 1.9 3,9 3,2 innerhalb der Inkubationsperiode hegen (der zuletzt Erkrankte litt schon seit den letzten Tagen des Januar an Durchfall) und deswegen der Infektion durch das Brunnenwasser zugeschrieben werden müssen. Auf welche Weise die Cholera ihren Weg in den ,, langen Jammer" gefunden hat, ließ sich trotz aller Bemühungen nicht ermitteln. Ich vermute deswegen, daß unter den seit Ende Dezember über die ganze Stadt verstreuten einzelnen Fällen auch der eine oder andere im ,, langen Jammer" vorgekommen, aber wegen wenig auffallender Die Cholera in Deutsfliland während des Winters 1S92 bis 1893. 229 Symptome unerkannt geblieben ist. Die Bewohner des „langen Jammers"' gehören eben nicht zu der Bevölkerungsklasse, welche schon wegen eines Durchfalles ärztliche Hilfe aufsucht und es ist deswegen die Annahme, daß ein leichter Cholerafall unter diesen Leuten unbemerkt verlaufen ist, wohl gerechtfertigt. Wenn Dejektionen von einem derartigen Fall in den Bnuinen geraten sind, dann würde die kleine Epidemie damit in einfacher Weise ihre Erklärung gefunden haben. Will man eine derartige Annahme nicht zulassen, dann könnte man sich auch die Sache so zurechtlegen, daß man die beiden ersten Fälle vom 21. Januar der allgemeinen Epidemie der Stadt Altona zuschreibt, und von einem dieser Fälle die Brunneninfektion ausgehen läßt. Die Brunnenepidemie würde dann erst am 24. Januar begonnen haben und nur sieben Clholeraerkrankungen mit sechs Todesfällen unifassen. In der Altonaer Epidemie ist noch eine Erscheinung aufgetreten, welche unsere Aufmerksamkeit beansprucht. Sie hat in der Zeit vom 23. Dezember 1892 bis 12. Februar 1893 geherrscht und umfaßt 47 Erkrankungen mit 27 Todesfällen. Die Mortalität beträgt somit 57,4 Proz. Diese Zahl ist zwar etwas hoch, aber doch noch nicht außergewöhnlich. Im höchsten Grade muß es indessen auffallen, daß fast gleichzeitig in dem benachbarten Hamburg eine Epidemie herrschte, welche mit 64 Erkrankungen und 18 Todesfällen eine noch nicht einmal halb so große Mortalität (28 Prozent) aufweist. Der l^nterschied muß sogar noch größer erscheinen als es in den Prozentzahlen zum Ausdruck kommt, wenn man berücksichtigt, daß in Hamburg ausschließlich schlecht genährte, heruntergekommene und zum großen Teile dem Trünke ergebene Menschen, in Altona dagegen Personen aus allen Klassen der Bevölkerung an Cholera erkrankten. Woher mag es gekommen sein, daß die Cholera in Altona sich so sehr viel bösartiger verhielt ? Man könnte zunächst daran denken, daß in Hamburg viel eingehender untersucht wurde als in Altona und daß aus diesem Grunde in Altona die ebenso wie in Hamburg vorhandenen nur noch bakteriologisch erkennbaren Fälle nicht herausgefunden seien. Nun ist zuzugeben, daß dieser Umstand einen gewissen Einfluß, namentlich im Anfang der Altonaer Epidemie, gehabt haben mag; denn es wurden anfangs nur die klinisch verdächtigen Fälle bakteriologisch untersucht und dabei mögen einige leichte Fälle ent- gangen sein. Aber später sind wiederholt, so im Gefängnis und in der Garnison, Massen- untersuchungen gemacht, ohne daß man dabei so wie in Hamburg auf klinisch unver- dächtige, nur noch bakteriologisch charakterisierte Cholerafälle gestoßen ist. Die Epi- demie in Altona ist also in der Tat qualitativ von der Hamburger Epidemie verschieden gewesen. Fast noch auffallender tritt dieses eigentündiche Verhalten der Cholera hervor, wenn man die einzelnen Gruppenerkrankungen in Betracht zieht. So starben in der einen Familie von vier Erkrankten drei, in einer zweiten von vier nur einer, in der dritten kam auf fünf Erkrankungen kein Todesfall, dann die Gruppenerkrankung im langen Jammer" mit sieben Toten auf neun Erkrankungen. Gründe für diese Ver- schiedenheit können nur entweder in äußeren Faktoren wie Boden, Wohnungsverhält- nissen usw. liegen, oder in individuellen Bedingungen, oder in der Art der Infektion, oder schließlich in dem Verhalten des Infektionsstoffes, d. h. der Cholerabakterien. Die beiden ersten Möglichkeiten sind hier auszuschließen; denn Unterschiede in bezug auf den Boden haben sich nicht ergeben und ebensowenig können andere von außen wirkende Faktoren maßgebend gewesen sein, da Wohnung. Reinlichkeit, Ernährung für die Opfer der Cholera in Hamburg noch weit ungünstiger waren, als für die Bewohner des ..langen Jammers''. Ebensowenig ist einzusehen, wie gerade die Individuen der einen Familie oder die im ,, langen Jammer" von der Cholera ergriffenen Menschen in- dividuell schlechter gestellt gewesen sein sollten, als die Obdachlosen unf Alkoholisten 230 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. in Hamburg. Am meisten scheint deswegen noch der Einfluß in Frage zu kommen, welchen die Art der Infektion und die Beschaffenheit des Infektionsstoffes ausüben könnten. Es wäre doch möglich, daß die Übertragung der Cholera durch Wasser, wie sie in Altona und speziell im ,, langen Jammer" geschehen ist, eine ganz besonders ge- fährliche Form annimmt. Es spräche dafür auch der bösartige Charakter, welchen die große Somraerepidemie in Hamburg, die doch unzweifelhaft eine Wasserepidemie ge- wesen ist, zeigte. Aber es läßt sich auch wieder dagegen geltend machen, daß die Cholera- epidemie auf den beiden Schiffen im Hamburger Hafen, obwohl sie ebenfalls durch das Wasser vermittelt Avaren, eine milde Form repräsentierten. In bezug auf den Infektionsstoff selbst heßen sich Unterschiede in der Virulenz vermuten. Aber alle auf diesen Punkt gerichteten Untersuchungen sind erfolglos ge- blieben. Die Cholerabakterien, welche von den leichtesten Fällen der Nachepidemie stammen, haben in betreff ihrer Virulenz und der Fähigkeit der Produktion des der Cholera eigentümlichen Giftstoffes bisher keine konstanten Unterschiede erkennen lassen gegenüber denjenigen, welche von den schwersten Cholerafällen vom Beginn einer Epi- demie gezüchtet sind Ich muß gestehen, daß ich für dieses auffallend verschiedene Verhalten der Cholera, welches sich sowohl in kleinen Gruppenerkrankungen Avie in ganzen Epidemien zu erkennen gibt, noch keine befriedigende Erklärung geben kann und ich halte es für eine der wichtigsten Aufgaben der ferneren Choleraforschung, diese rätselhafte Erscheinung aufzuklären. In Altona traf es sich glückhcherweise so, daß die Ursachen der Epidemie frühzeitig erkannt wurden und daß diese Ursachen sich ohne Verzug beseitigen ließen. Von Seiten der betreffenden Behörde, welche volles Verständnis für die Sachlage hatte, geschah sofort alles, um der Seuche Herr zu werden. Die Störung in dem Filterbetrieb wurde schleunigst ausgeghchen, der infizierte Brunnen wurde geschlossen; alle Cholera- fälle, welche eine Verschleppung des Infektionsstoffes befürchten ließen, wurden isoliert und wo die Wohnungs Verhältnisse zu ungünstig lagen, die der Ansteckung ausgesetzten Insassen evakuiert; daneben kamen überall in sachgemäßer Weise Desinfektionsmaß- regeln zur Anwendung. Diesem zielbewußten Vorgehen ist es gewiß zuzuschreiben, daß die Epidemie schnell und ohne große Verluste an Menschenleben ihr Ende fand.- Am 12. Februar 1893 wurde der letzte Cholerafall in Altona beobachtet. Seitdem ist nichts mehr vorgekommen und man kann deswegen die Epidemie für diese Stadt als vollkommen erloschen ansehen. III. Die Choleraepidemie in der Irrenanstalt zu Nietleben bei Halle. Obwohl der unmittelbare Zusammenhang zwischen der Choleraepidemie in Niet- leben und derjenigen von Hamburg nicht festgestellt werden konnte, so muß doch auch diese Epidemie als ein Ausläufer der Hamburger Nachepidemie angesehen werden. In der Mitte des Monats Januar 1893, als in Nietleben die Cholera ausbrach, herrschte die Cholera nur noch in Rußland, Frankreich und Hamburg- Altona. Eine Einschleppung vom Auslande nach Nietleben ist wegen der Abgeschlossenheit der Irrenanstalt geradezu unmöglich. Will man daher nicht eine bereits im Sommer stattgehabte, bis zum Winter latent gebliebene Einschleppung von einem der damals ergriffenen Orte hier annehmen, was aus später zu erörternden Gründen nicht angängig ist, dann bleibt nichts anderes übrig, als die Epidemie von einer frischen, aber unerkannt gebliebenen Einschleppung aus Hamburg abzuleiten. Die Cholera in Deutscliland während des Winters 1892 bis 1893. 231 In der Gegend von Halle (vgl. die Karte, Fig. 2) und einige Meilen fluß- abwärts hat die Saale einen stark gewundenen Verlauf und teilt sich wiederholt, so namentlich bei Halle, in mehrere Arme. Zu beiden Seiten des Ufers tritt in diesem Teil des Flußlaufes Porphyr zutage, an manchen Stellen die Ebene des Flußtales kaum Figur 2. Karte von Halle und Umgegend. (Die C'holeraorte sind unterstrichen.) Überragend, an anderen Stellen kuppenförmige Erhöhungen bildend, welche nach dem Fluß zu steil abfallen. Die Stadt Halle liegt zum großen Teil auf Porphyr und auch die an der gegenüberliegenden westlichen Seite des Flußtales, in einer Entfernung von 4 km von Halle, befindliche Provinziahrrenanstalt Nietleben steht auf einer solchen Porphyrkuppe. Am Fuße der letzteren strömt ein Arm der Saale, welcher wilde Saale" 232 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. genannt wird. Die Nietlebener Porphyrkuppe erhebt sich 30 m über den mittleren Stand der Saale. Sie steht mit dem dahinter gelegenen fast ebenso hohen Terrain durch einen S schmalen Rucken in Verbindung, welcher auf dem beifolgenden Situationsplan (Fig 3) dem vom Gebäude 18 in der Richtung nach Westen an einer Scheune vorbeigehenden Weg entspricht. Nach den beiden Seiten,, wo auf dem Plan die Rieselfelder angegeben Die Cholera in Deutscliland während des Winters 1892 bis 1893. 233 sind, dacht sich die hügelartige Erhöhung ab ; nach dem Flußtal zu endigt sie mit einem ziemlich steilen Abhang, an dessen Fuß die Pumpstation liegt. Nach dieser letzteren Seite ist sie nicht durch eine regelmäßige Kurve begrenzt, sondern sie hat zwei kurze Ausläufer, von denen der eine (in nahezu östlicher Richtung) die Pavillons 29, 30 und 31 trägt, der andere (in südlicher Richtung) mit den Pavillons 32, 33 und 34 besetzt ist. Zwischen diese beiden Ausläufer hinein erstreckt sich eine steile, schluchtartige Ein- buchtung (bis an das Gebäude 1). An einzelnen Punkten tritt der nackte Fels zutage, aber im übrigen ist der Porphyr an seiner Oberfläche verwittert und mit den Verwitte- rungsprodukten, die aus losen Gesteinsbrocken und einem lehmigen Bindemittel bestehen, bedeckt. Eine erheblichere Dicke erreichte diese Verwitterungsschicht nur auf der Höhe der Kuppe. Hier hat sich in dem felsigen Untergrund eine rinnenartige Vertiefung ge- bildet, welche in der Gegend des Gebäudes 3 beginnt und sich in der Richtung nach der Profil 1 Trolil 2 Profil Profil 4 Profil 5. ; ; NIVE]LLE:MENTS-PIjKN' I :DER PROniN Z - IRRENANSTALT Ii \ :NIETILEBElT:f/HALiLE. ■_ ; J..a. 2 000. KT |3 F rotten -Mei&mst- Mnvpigebdi, . der PJle.^iLa7LXLj - . . . : tSefinUen : Wolmhmts '»•t.idw/iji - tjfbö'ule . \MnnriJfr Tfle (/ea/iMi ■ \jHfe/U. Figur 4. Nivellementsplan I der Provinzial-Irrenanstalt Nietleben. oben erwähnten Einbuchtung unter den Gebäuden 2 und 1 hinzieht, in ihrem Verlauf immer tiefer werdend und schließlich in die Einbuchtung übergehend. Lage und Aus- dehmmg der Rinne ist am besten aus den Skizzen (Fig. 4 und 5) zu ersehen, welche einige Querprofile von der Höhe der Porphyrkuppe wiedergeben. Diese Rinne, mag sie nun von Anfang bestanden haben, oder mag sie sich duicli stärkere Verwitterung im Laufe der Zeit gebildet haben, vermittelt offenbar die natürliche Drainage für die breit gewölbte und in ihrer Mitte etwas eingesunkene Oberfläche der Porphyrkuppe. Über die sonstige Gestaltung des Hügels geben einige weitere Profile (Fig. 7a und 7b) Aus- kunft, welche die Höhenverhältnisse in Linien durch die Vorderfront der Anstaltsge- bäude und durch die Längs- und Querrichtung der beiden Ausläufer des Hügels zeigen. Die Lage dieser Profillinien ist mit Hilfe der gleichnamigen Buchstaben auf dem Ni- vellements-Plan (Fig. 6) leicht zu ermitteln. Den Aufbau des L^ntergrundes der Irren- anstalt hat man sich nach dein Vorhergehenden folgendermaßen zu denken. Der Kern 234 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. des Hügels besteht aus kompaktem, derben Porphyr. Derselbe ist in seiner äußersten, etwa 1 bis 2 m dicken Schicht verwittert und gelockert. Der Fels zeigt in dieser Rinde Spalten und Risse, welche von lehmartigen Massen ausgefüllt sind^). Noch weiter nach außen folgt eine Schicht von losem Gestein und Lehm von wechselnder Stärke und darüber Ackererde. Der Fels ist nach allen Richtungen hin abschüssig. Gelegenheit zur Ansammlung von Grundwasser ist daher nirgends geboten. Auch auf der Höhe, wo sich eine flache Einsenkung findet, kann sich kein Grundwasser bilden, da einsickernde Tagewässer durch die früher beschriebene Rinne ungehinderten Abfluß haben-). Eben- sowenig können von dem westwärts gelegenen höheren Terrain Wasserströmungen bis in das Gebiet der Anstalt kommen, da der Verbindungsrücken dafür zu schmal und von beiden Profil 1 . te'^. i-O^cJfir- Boden, •^^nli Uann Profil 4-. II Thon IL i-fr-ifiH - Porpft^n Profil 5. ß3 c JorJi\e7-frßocl^. ■ f/f/i/i /'f.\-(^f 7'fLon Figur 5. Profile zum Nivellementsplan I. Seiten her bis fast auf die Höhe mit künstlicher Drainage versehen ist, welche das etwa zuströmende Untergrundwasser in der Richtung nach den Rieselfeldern hin ableitet. Auf das Vorhandensein von Grundwasser könnte man allerdings daraus schließen, daß auf der Höhe des Hügels, zwischen den Anstaltsgebäuden, mehrere Brunnen sich be- finden. Dieselben sind aber in den kompakten Fels selbst tief hineingetrieben ; sie bilden Das Porenvolmnen des unverwitterten Porphyr schwankt zwischen 5 und 6,.5%. Dasselbe steigt je nach dem Grade der Verwitterung auf 8,3 bis 11,5%. Die höchsten erhaltenen Zahlen betragen 11,6 und 11,7%. Durch den Bau des Direktorialgebäudes ist die Einne nahe an ihrem Ausfluß quer abge- sperrt; doch ist dui'ch einen tiefen Abzugskanal, welcher zwischen dem Direktorialgebäude und der daneben gelegenen Männer-Heilanstalt angelegt ist, dafür gesorgt, daß das in der Einne fUeßende Sickerwasser neben dem Direktorialgebäude vorbei einen Ausweg findet. Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. 235 also gewissermaßen Zisternen und sammeln eine gewisse Menge von Sickerwasser, schaffen aber kein eigentliches Grundwasser. Sämtliche Gebäude der Anstalt liegen auf der Höhe der Pori^hyrkuppe und stehen mit ihren Fundamenten auf dem festen un verwitterten Felsen, welcher an manchen Stellen, so namentlich unter den neuen Pavillons 29, 30, 31 und 32, 33, 34 durch Spreng- arbeiten für den Bau hergerichtet werden mußte. Die Kellerräume der Crebäude zeigen deshalb auch, wovon ich mich durch eigene Besichtigung überzeugt habe, nirgendwo Spuren von Bodenfeuchtigkeit. Wo solche scheinbar vorhanden war, z. B. unter dem Gebäude 6 (Männer pflegeanstalt), da heß sich feststellen, daß es sich um Wasser handelte, welches aus den undicht gewordenen Ableitungsröhren der Dampfheizung stammte. Das einzige bewohnte, nicht auf Felsen fundamentierte, zur Anstalt gehörige Gebäude ist die Gärtnerwohnung (28). Dieselbe liegt am Fuße des Hügels auf angeschwemmtem 236 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. Boden, in welchem das Grundwasser steigt und fällt. Bei hohem Stand soll es die Keller des Hauses teilweise überschwemmen. O Die Anstalt wurde im Jahre 1840 erbaut und bestand ursprünglich aus einem Gebäudekomplex in rechteckiger Anordnung, der die Verwaltungsgebäude 1, 2, 3 und die zweistöckigen Korridorbauten 4. 6, 7 umfaßte. Später kam ein ebensolcher Korridor- Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. 237 bau (9) für die Frauenpflegeanstalt hinzu, und noch später wurden mehrere Gruppen von Pavillons außerhalb des Rechtecks gebaut; es sind dies die Pavillons 29, 30, 31 auf der Männerseite, 32, 33, 34 auf der Frauenseite, und die westlich von der Haupt- anstalt gelegenen Pavillons 35, 36, 37. 238 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. Seit fast zehn Jahren ist die Anstalt mit Wasserleitung und Kanalisation versehen. Die Einrichtung und der Betrieb der Wasserleitung, welche das Wasser aus der wilden Saale entnimmt, ist in einer früheren Abhandlung (Wasserversorgung und Cholera) eingehend beschrieben. Auf dem Plan läßt sich dieselbe in ihrem hauptsächlichen Ver- lauf verfolgen. Dicht neben der wilden Saale liegen die Filter; von da führt ein unter- irdisches eisernes Rohr das Wasser zur Pumpstation, welche am Fuße des Hügels gelegen ist. Die Pumpe hebt es dann in die Höhe und drückt das Wasser in die Hochreservoirs (auf den Gebäuden 2 und 3 angebracht), von wo es vermittels eines Rohrnetzes in den Anstaltsgebäuden verteilt wird. Ein anderes Rohrsystem sammelt das Schmutzwasser aus den Ausgüssen, Wasserklosetts, Badezimmern, Küchen usw. und leitet es in die beiden Hauptkanäle, welche am Gebäude 2 beginnen und in entgegengesetzter Richtung nach den zu beiden Seiten der Anstalt an den Abhängen des Hügels gelegenen Riesel- feldern gehen. Es sind in Mauerwerk ausgeführte, mit Einsteigeschächten versehene, den heutigen Anforderungen durchaus entsprechende Kanäle. Auch die Rieselfelder sind vorschriftsmäßig angelegt. Sie bestehen aus horizontalen Beeten, welche terrassen- förmig ansteigen. Der Boden derselben ist hinreichend tief drainiert. Das abfließende Wasser wird in einem Hauptrohr gesammelt und sowohl von dem nördlich (Männer- seite) als von dem südlich (Frauenseite) gelegenen Rieselfelde schließlich in offenen Gräben, deren Verlauf auf dßm Plane angedeutet ist, in den Saugraben, einen kleinen schmutzigen Bach, geführt. Daß dieser Bach in sehr geringer Entfernung oberhalb der Entnahmestelle für das Leitungswasser in die wilde Saale mündet, und welche schwe- ren Bedenken gegen eine solche Anordnung der Schmutzwasserableitung und Wasser- entnahme zu erheben sind, habe ich in der zitierten Abhandlung bereits auseinandergesetzt. Ursprünglich war die Anstalt für 600 Kranke bestimmt, allmählich ist der Bestand aber auf 800 Kranke angewachsen und, unter Hinzurechnung des Wartepersonals, der Ärzte, Beamten und der sonstigen in der Anstalt Beschäftigten hat sie ungefähr 1000 Bewohner^). Die Irrenanstalt in Nietleben ist schon in früheren Jahren wiederholt der Schau- platz von Choleraepidemien gewesen und zwar unter Verhältnissen, welche einer An- wendung der Bodentheorie auf dieselben ganz besonders günstig zu sein schienen. Diese Epidemien spielen deswegen in der Choleraliteratur eine gewisse Rolle, sie sind oft zitiert und wir können sie hier nicht wohl unberücksichtigt lassen. Die Angaben darüber stammen von Delbrück;'^) her und ich entnehme denselben folgendes. Im Jahre 18|66 beschränkte sich die Cholera auf die Männerabteilung, wo inner- halb 36tägiger Daixer der Epidemie 17 Personen starben. An Gelegenheit zur Einschlep- pung in die Frauenabteilung fehlte es nicht, es herrschten auf letzterer auch während der Epidemie Diarrhöen, aber es kam nicht zu ausgebildeten Cholerafällen. Umgekehrt verhielt es sich 1850; damals bheb die Männerabteilung frei, dagegen wurde die Frauen- abteilung heftiger befallen. Den Grund für dieses Verhalten der Cholera sucht Del- brück in der Gestaltung des Bodens. 1850 existierte auf der Frauenabteilung noch M Am 14. Januar 1893 befanden sich in der Anstalt an Kranken: 436 Männer. 1 375 Frauen an verpflegten Beamten . . . 124 an nicht, verpflegten Beamten 56 im ganzen 991 Personen 2) Delbrück, Bericht über die Choleraepidemie des Jahres 1866 in Halle. Halle 1867, p. 19. — Verhandlungen der Cholerakonferenz, in Weimar. Redigiert von Thomas. München 1867, p. 24. Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. 239 nicht das jetzt als Pflegeanstalt dienende Gebäude (auf dem Plan mit 9 bezeichnet), an seiner Stelle war ,.ein großer Berg, der, einen Steilrand bildend, den Zufluß des Wassers usw. vermehrte und den Abfluß der Feuchtigkeit von dieser Stelle aus verhinderte; durch den Bau ist der Berg aber weggeschafft, und das Wasser hat dadurch einen sehr leichten Abfluß erhalten." Wenn man diese Bodenbeschreibung liest, ohne die Verhält- nisse an Ort und Stelle gesehen zu haben, dann muß man den Eindruck gewinnen, daß in diesem Falle der Untergrund wirklich von Einfluß gewesen sein könne. Das ist nun aber keineswegs der Fall. Bei näherer Untersuchung schrumpft der ,, große Berg" mit seinem ,, Steilrand" in Nichts zusammen und die Delbrück sehe Schilderung der früheren Cholera Verhältnisse von Nietleben zeigt einmal wieder so recht deutlich, in wie naiver Weise man früher mit Untersuchungen über Gholeraätiologie umgegangen ist und wie vorsichtig man in der Benutzung älterer Choleraberichte sein sollte. Ein Bhck auf die Fig. 5, auf welcher der hier in Frage stehende Boden in seiner früheren Gestalt und nach Errichtung des Gebäudes 9 (Profile 1 bis 4) wiedergegeben ist, lehrt sofort, daß der angebliche ,, große Berg" nichts weiter ist, als ein etwa 2 m betragendes Ansteigen des Bodens am südlichen Rande des Anstaltsterrains. Von einem ,, Steilrand" ist überhaupt nichts zu bemerken, wenn nicht etwa die nach innen von dieser Stelle gelegene, früher beschriebene Rinne gemeint ist. Aber gerade das Vorhandensein dieser Rinne hätte Delbrück darüber belehren müssen, daß der Abfluß von Flüssigkeit in einer ganz anderen Richtung vor sich geht, als er annahm. Übrigens trat an Stelle des ,, Berges" ein ausgedehntes Gebäude, das mit seinen den Felsen fest aufsitzenden Fundamentmauern den Bewegvmgen des Grundwassers, wenn hier solche stattgefunden hätten, mindestens ebenso große Hindernisse bereitet haben würde, als der ,,Berg". Glücklicherweise sind aber auch noch genauere Aufzeichnungen über den Gang jener Epidemie vorhanden, welche mir von der Direktion der Anstalt aus den Akten der- selben bereitwilligst zur Verfügung gestellt wurden. Herr Dr. B u c h h o 1 z , Oberarzt der Anstalt, hat sich der Mühe unterzogen, die einzelnen Fälle in die Grundrisse der betreffenden Gebäude einzuzeichnen und die erforderlichen Notizen aus den Berichten auszuziehen; ich kann mich darauf beschränken, seine Skizzen und Notizen hier so wiederzugeben, wie er sie mir übergeben hat, da sie alles enthalten, was hier für uns von Interesse ist. 1. Epidemie im Jahre 1 8 5 0 (Fig. 8). Zur Zeit dieser Epidemie waren sämtliche weibliche Patienten in der zweistöckigen Frauenheilanstalt (auf dem Plan 7) untergebracht. Das Gebäude war für 75 Kranke le ; ^ Xt'bcn JS 1 o" Tiiunu I I2i' ' ^ 11 \ TJuteres Stockwerk , 7 + 1 ~: Trauen- Seite. Is 10 1 1 13+ 1 11- 1 Ncbenr I räiLnu S l Co r r i d o r 1 19 I \l7 lSf\ ; i 1- h 2- h \Xcbai Wäwnc n 01)eres Stocb^i^erk rraueii.- .Seite. t1osi-t u räume a I[ Co T r-j dor Figur 8. Choleraepidemie im Jahre 18.50. bestimmt, aber belegt mit 110 Kranken. Auf der Abteilung JI lagen die erblödeten Kranken, auf JII die Rekonvaleszenten. Die Wasserversorgung geschah durch die alte 240 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. Leitung aus der Saale (ohne Filtration), daneben wurde Wasser aus dem Brunnen zum Trinken benutzt. Für die Fäkalien bestanden Abortgruben. In betreff der einzelnen Kranken ist folgendes notiert: Nr. 1. Patientin T. aufgenommen aus cholerainfiziertem Merseburg (in dem Hause keine Cholera, aber Durchfälle). Am 14. August aufgenommen, in der Nacht vom 17. zum 18. August an Durchfall erkrankt, als Cholera erkannt am 18. August, f am 19. August. Nr. 2. Wärterin des Korridors JII, hat Nr. 1 gepflegt, am 20. /VIII. Durchfälle, bald ausgesprochene Cholerasymptome, f 19. /VIII. Nr. 3. \ Korridors JII, erkrankten am 23. /VIII. )) J ,, 5. Fat. des Korridors JII, erkrankt am 24. /VIII. ,, 6. Oberwärterin, welche die Kranken gepflegt und bei ihnen gewacht hatte, erkrankt am 24./VIII., f 25./VIII. Bis hierher nur Erkrankungen im oberen Korridor J II ; von da ab geht die Cholera auf den unteren Korridor JI über. Nr. 7. Fat. erkrankt am 24./VIII., f in der Nacht vom 25. zum 26./VIII. Am 25. /VIII. Durchfälle bei mehreren Fat. auf JI. 8. Fat. erkrankt 26./VIII., t 26./VIII. 9. ) ; 26./VIII., t 27./VIII. 10. ) ? ?) 27. /VIII. (mehrere Wochen später an Entkräftung ge- storben). 11. ?) ? ! 27. /VIII. 12. ) J 5) 27. /VIII., t 28./VIII. 13. ) J ?> 28./VIII., t 29./VIII. 14. ) J ?? 28./VIII. 15. 5 ; : j 28./VIII. 16. 5 ) ? j 28./VIII. Von hier ab Erkrankungen auf HI. Nr. 17. Blödsinniges Kind erkrankt 29. /VIII., am 29. /VIII. Durchfälle bei einigen Fat., bei einer sogar starker Durchfall. Nr. 18. Blödsinniges Kind von 9 Jahren, in demselben Zimmer wie Nr. 17; er- krankt 31. /VIII., t 31. /VIII. Nr. 19. Fat. in einem anderen Zimmer, erkrankt 31. /VIII. 2. Epidemie im Jahre 1866 (Fig. 9). Beim Ausbruch der Cholera hatte die Anstalt: Kranke 470 Beamte, Wärter usw. 90 560 Fersonen. In Halle herrschte die Cholera seit Mitte JuK. Ob die Einschleppung von da her oder von einem anderen Orte geschehen ist, konnte nicht festgestellt werden. In bezug auf den Untergrund ist erwähnt, daß an der Vorderseite der Anstalts- gebäude (auf dem Flan 4 und 6) ein Abzugskanal verlief, welcher die Abwässer der Männer- Fflege- und Heilanstalt, sowie der Beobachtungsstation aufnahm und in einen offenen Graben führte. Dieser Kanal (6 Zoll im Geviert stark) wurde verstopft und von Wurzeln durchwachsen gefunden und es hatte sich infolgedessen Wasser in den Kellern unter Die C'holera in Deutschland wälu'end des \V'inter.s 1892 bis 1893. 241 der Pflegeanstalt angesammelt. Nach Erlöschen der Epidemie ist er durch einen Kanal von größerem Durchmesser ersetzt worden. Beobachtimgs DI PfleeeanstaU Unteres Stoclrw^eTfc iränner-Scite. DirectOTLÜ- \ Heilanstalt B 1 AI J 2.1.1-6 tl 10. II 12 Dil cir rfli'Ereaii-staH (Theres Stockwerk Mäntier-Seiie." lleilMLstali BD 19.21 Figur 9. Choleraepidemie im Jahre 1866. Wasserversorgung und Aborte mit Gruben für die Fäkalien waren noch ebenso wie im Jahre 1850. Die ( 'holerafälle reihten sich in folgender Weise aneinander: 19. Aug. Nr. 1 in Dil 31. Aug. Nr. 15 in CII 21. „ ) ' • ? 4. Sept. „ 16 DI 3 ? ? r ) 5. *? ., 17 ., 4 ; ! ? ? 6. 18 „ BII 22. 5 CII 11. : •> „ 19 ,. ., 23. „ ., 6 DU 19. • ? ,, 20 im Direktorial-) 24. ., 7 CII gel)äude 25. „ 8 „ DU 20. • i „ 21 in BII „ CII 26. r ) 22 26. „ ., 10 ., DU Von diesen 22 Fällen starben 27. „ 11 ! ; • ) 1 Direktor 28. ., 12 1 Wärter 29. „ ., 13 16 Kranke 30. „ 14 ., BII (Wärter) 18 Außer den hier aufgezählten Fällen sollen noch 45 Personen auf den verschiedensten Abteilungen an heftigen Diarrhöen oder Erbrechen gelitten haben. Auf der Frauen- abteilung kamen einige 50 derartige Erkrankungen vor, ohne daß die Symptome in einem einzigen Falle gefahrdrohend geworden wären. So weit geht das, was sich über die früheren Epidemien ermitteln ließ ; dasselbe genügt aber vollständig, um auch jetzt noch ein klares Bild von dem Verhalten der Cholera in den Jahren 1850 und 1866 zu gewinnen. Hätte die Cholera damals unter dem Einfluß allgemein wirkender Ursachen gestanden, dann mußte sie gleichzeitig und in gleich- mäßiger Verbreitung über die ganze Anstalt hin, oder wenigstens in dem unter solchem Einfluß stehenden Gebäude ausgebrochen sein. Hätte z. B. im Jahre 1866 der verstopfte Abzugskanal zu den Ursachen der Seuche in Beziehung gestanden, dann hätte sich die Koch , Gesammelte Werke. 61 242 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. Krankheit zuerst und vorwiegend im unteren Stockwerk und hauptsächlich in der Abteilung B und C zeigen müssen. Das hat sie keineswegs getan. Sie trat zuerst im oberen Stockwerk in der Abteilung D auf, griff später nach der angrenzenden Abteilung CII über, dann kam sie in die daran stoßende Abteilung B II. Nur nebenher und fast zwei Wochen nach Ausbruch der Epidemie finden sich zwei Fälle im unteren Geschoß der Abteilung D. Verfolgt man in beiden Epidemien auf den Grundrissen und unter Führung der Zahlen die örtliche Ausbreitung der Cholera, dann ergibt sich sofort und in ganz unver- kennbarer Weise, daß beide Male die Krankheit von einem Punkte, nach dem sie ein- geschleppt sein mußte (1855 konnte die Einschleppung auch nachgewiesen werden), sich auf die Nachbarschaft ausbreitete ; sie kroch wie ein Brand nach der Richtung weiter, wo sie Verzehrbares fand. Es handelte sich also keineswegs um die Wirkung außerhalb der Menschen liegender Ursachen des angeblichen ,, Berges" oder des ,, verstopften Ka- nals", sondern die Menschen boten schon an und für sich der Cholera so günstige Angriffs- punkte, daß sie keiner besonderen Vermittelung bedurfte und direkt vom Menschen zum Menschen überspringen konnte. Es ist das dieselbe Form der Cholera, die ich im Eingange dieser Abhandlung als zweiten Typus beschrieben habe, wie wir sie in der Nachepidemie in Hamburg kennen gelernt haben und wie sie häufig genug auf Aus- wandererschiffen, in Gefängnissen, ganz besonders auch in Irrenanstalten früher beob- achtet ist, also überall, wo Menschen unter ungünstigen Verhältnissen dicht zusammen- gedrängt leben. Damit findet sich auch am einfachsten die Erklärung dafür, daß in beiden früheren Epidemien der Anstalt Nietleben die Pfleglinge, d. h. die unreinen Kran- ken, in überwiegender Mehrzahl betroffen wurden. Außerordenthch lehrreich ist es nun zu sehen, wie in derselben Anstalt, welche schon zweimal Choleraepidemien vom zweiten Typus gehabt hat, auch der erste, der explosionsartige, Typus auftreten kann, wenn die Verhältnisse dies bedingen. Denn die Epidemie von 1893, zu deren Beschreibung ich jetzt übergehe, hatte einen ausge- sprochen explosionsartigen Charakter. 3. E p i d e m i e i m J a h r e 1 8 9 3. Während des Sommers 1892, als die Cholera von Hamburg aus nach allen Richtun- gen verschleppt wurde, sind in Halle und Umgegend keine Fälle von echter Cholera beobachtet. Nur einen Fall hat man für cholera verdächtig angesehen; derselbe betraf einen Hilfsheizer, der in der Anstalt Nietleben am 25. August mit Durchfall, Erbrechen und Wadenkrämpfen erkrankte und sofort der Universitätsklinik in Halle übergeben wurde. Später ist nichts Derartiges mehr vorgekommen. Einfache Diarrhöen, welche in Irrenanstalten immer mehr oder weniger anzutreffen sind, fehlten in Nietleben selbst- verständlich während jener Zeit auch nicht. Dieselben nahmen aber zu Anfang Oktober so zu, daß allein für die Zeit vom 3. bis 26. Oktober 73 Diarrhöen in der Krankenliste aufgeführt sind. Das war indessen schnell vorübergehend, wie das nebenstehende Kranken- verzeichnis, in welchem nur die Fälle von Diarrhöe, Dysenterie und Abdominaltyphus berücksichtigt sind, erkennen läßt. Der November brachte nur wenige Fälle von Diarrhöe, ebenso der Dezember; nur in den letzten Tagen dieses Monats und bis zum 2. Januar sind 9 Durchfallerkrankun- gen notiert. Vom 2. bis zum 14. Januar kam nur ein einziger Fall vor. Es deutete also nichts darauf hin, daß die Anstalt sich unmittelbar vor der verhängnisvollen Katastrophe befand. Auf diesen Punkt möchte ich die Aufmerksamkeit besonders lenken, da mehr- fach behauptet ist, daß in Nietleben prämonitorische Diarrhöen der Epidemie voraus- gegangen seien. Die Diarrhöen, welche ein Vierteljahr vorher im Oktober vorkamen, Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. 243 kann man doch unmöglich als prämonitorische bezeichnen ; abgesehen hiervon ist aber die Zeit vor der Epidemie und namentlich die unmittelbar vorhergehenden Wochen durch nichts gekennzeichnet, was auf einen Zusammenhang mit Cholera schließen lassen könnte. Krankenliste. Datum Diarrhöe Dyseiit. Typh. abdom. Datum Diarrhöe Dysent. Typh. abdom. Oktober 3. I 1 Dezember 8. 1 10. 66 11. 2 26. 6 16. 4 November 12. 2 20. 1 17. 1 23. 3 24. 2 26. 3 2 25. 2 Jauuar 2. 3 26. 1 7. 1 1 Dezember 4. 1 8. 1 Ich habe mich überhaupt noch nicht davon überzeugen können, daß sich der so- genannte Genius epidemicus in solcher Weise schon vor einer Choleraepidemie zu er- kennen gibt. In Orten, wo die Cholera unerwartet zum Ausbruch gekommen ist, findet l3 Beobcuhtury ^schuppen, Sanitatshcws Männer - Beobachtung ZcLzareth, .d£ JltU - ArixUUt ''„Y"* 2J str'WLBfanu^' Scheu/K Stathon. lufiiahme istoL. Figur 10. Verteilung der Cholerafälle in der Irrenanstalt Nietleben. -|- bedeutet die im oberen Stockwerk vorgekommenen Fälle. man, wenn unbefangen nachgeforscht wird, keine auffallende Zunahme von Verdauungs- störungen; oder doch nur eine solche, wie sie der Jahreszeit entsprechend auch in anderen Jahren stattfindet. So ist es in Hamburg vor der großen Epidemie und in Metleben 61* 244 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. gewesen. Die vermeintlichen prämoni torischen Diarrhöen finden sich dagegen regel- mäßig da, wo mit gespannter Aufmerksamkeit der Ausbruch der Cholera erwartet wird; da wird jeder, auch der unbedeutendste Fall von Durchfall, Erbrechen usw. beachtet und womöglich schon auf Rechnung der Cholera gesetzt. So wurden z. B. nach dem Aus- bruch der Cholera in Hamburg auffallend viele choleraverdächtige Fälle in die Kranken- häuser Berlins geliefert; ein mit einiger Phantasie ausgestatteter Beobachter hätte darin unzweifelhaft schon das Walten des Genius epidemicus spüren können. In Wirklichkeit waren es aber die gewöhnlichen Sommerdiarrhöen, Indigestionen, Alkoholrausch usw., Erkrankungen, die ohne Cholerafurcht gar nicht in solcher Anzahl ins Hospital ge- kommen wären. In Berlin gab es also prämonitorische Diarrhöen in hinreichender Zahl, aber es folgte keine Cholera, in Hamburg und Nietleben dagegen, wo die Cholera unerwartet hereinbrach, fehlten sie und der vielbesprochene Genius epidemicus hat nichts von sich merken lassen, wo doch sein warnender Einfluß ganz besonders am Platze gewesen wäre. Am 14. Januar 1893 kam der erste Cholerafall in Nietleben zur Beobachtung. Ein Pflegling der Anstalt erkrankte ganz plötzlich an heftigem Brechdurchfall und starb noch am selben Tage. Die klinischen Symptome waren diejenigen der asiatischen Cholera, auch der Obduktionsbefund war damit übereinstimmend und in dem Darminhalt der Leiche wurden die Cholerabakterien nachgewiesen. Diesem ersten Fall, welcher sich in dem Gebäude A auf dem umstehenden Plan Fig. 10 (auf dem Situationsplan der Anstalt Gebäude 4) ereignete, folgten am nächsten Tage 15. Januar) 6 weitere, welche sämtlich tödlich verliefen, am darauffolgenden Tage (16. Januar) 11 Erkrankungen mit 8 Todesfällen. Ganz im Gegensatz zu den Epidemien von 1850 und 1866, in denen die Cholera an einem bestimmten Punkt eingesetzt hatte und erst allmählich auf benachbarte Räume und Abteilungen fortgekrochen war, erschien diesmal die Seuche sofort an den verschiedensten Stellen, sowohl auf der Männer- wie Frauenseite. Die 18 Fälle der drei ersten Tage verteilten sich auf 11 verschiedene Abteilungen und 10 verschiedene Ge- bäude der Anstalt. Über die räumliche Verteilung der Cholerafälle gibt der Plan Fig. 10, in welchem sie sämtlich eingetragen sind, Auskunft und der zeitliche Verlauf ist aus der nachstehenden Tabelle zu ersehen: Datum Erkrankungen Davon gestorben Datum Erkrankungen Davon gestorben Übertrag : 93 41 14. Januar 1 1 24. Januar 13 1 15. „ 6 6 25. „ 5 4 16. „ 11 8 26. „ 3 1 17. 1.5 7 28. ., 2 1 od 8 2 .31. „ 1 1 19. „ 7 2 1. Februar 1 20. „ 16 6 4. „ 1 1 21. „ 9 3 5. „ 1 1 22. „ 12 5 10. „ 1 1 23. ., 8 1 13. „ 1 Summa: 93 41 Summa : 122 62 Die 122 Erkrankungen verteilen sich auf: 63 Männer (darunter 3 Ärzte), 59 Frauen (darunter 7 Wärterinnen und 3 Frauen von Beamten). Die Cholera in Devitschland während des Winters 1892 bis 1893. 245 Um eine noch genauere Einsicht in die örthche und zeitUche Verteilung der Cholera zu ermöglichen, lasse ich hier noch eine Tabelle folgen, welche die einzelnen Abteilungen der Anstalt enthält mit Angabe der Bettenzahl, der Belegung am Tage des Clioleraaus- bruchs und der in diesen Abteilungen vorgekommenen und mit dem Datum der Er- krankung versehenen Cholerafälle: I. Männerseite. Zahl der ±5 et teil Belegung am Abteilung 14. .Jan. 1893 inkl. Warte- Cholera-Erkrankungen Bemerkungen personal = Männer-Heilanstalt 30 28 2 (.Jan. 14., 24.) unteres Stockwerk (A. I) Männer-Heilanstalt 9 8 0 7 Kranke I. und II. Ver- oberes Stockwerk (A. II) pflegungsklasse mit Männer-Heilanstalt 34 34 4 (.Jan. 23., 24., 24., 24.) 1 Wärter. unteres Stockwerk (B. I) Männer-Heilanstalt 34 33 4 (.Tan. 16., 20., 23., 25.) oberes Stockwerk (B. II) Männer-Pflegeanstalt 20 18 4 (.Jan. 16., 20., 23., 16 Kranke I. und II. Klasse unteres Stockwerk (C. I) Febr. 10.) mit 2 Wärtern. Männer-Pflegeanstalt 51 48 5 (.Jan. 19., 19., 22., 22., oberes Stockwerk (C. II) 23.) Männer-Fflegeanstalt 54 52 5 (.Jan. 20., 20., 22., 22., unteres Stockwerk (D. I) 23.) Männer-Pflegeanstalt 46 45 7 (.Jan. 17., 17., 20.. 20., oberes Stockwerk (D. II) 20., 21., 22.) Männer-Beobachtungsstation 30 29 2 (Jan. 18., Febr. 4.) (E.) Männer-Pavillon (F.) 33 32 7 (.Jan. 15., 16., 17., 17., 17., 17., 20.) Männer-Lazarett (G.) 36 23 2 (.Jan. 22., 22., 22.) Männer- Aufnahmestation (R.) 33 32 7 (.Tan. 15., 15., 15., 16., 18., 18., 24.) Männer-Pavillon (S.) 44 37 5 (.Jan. 15., 16., 16 , 20., 20.) Männer-Pavillon (T.) 44 36 4 (Jan. 18., 24., 24., 26.) Männer-Pavillon (U.) 44 0 1 (Jan. 21.) Wärterin Gleich nach Ausbruch der Männer-Pavillon (V.) 44 36 1 (Jan. 26.) ein bei der Desinfektionsanstalt beschäftigter Pflegling Cholera als Cholera- lazarett benutzt. Die Kranken von V. wurden Männer-Pavillon (W.) 44 0 3 (Jan. 22., Febr. 1., 13.) 3 Wärterinnen auf andere Allteilungen verlegt. II. Frauenseite. Frauen-Heilanstalt 34 31 6 (Jan. 17., 22., 22., 23., Die am 24. Jan. Erkrankte unteres Stockwerk (H. I) 23., 24.) ist eine Wärterin. Frauen-Heilanstalt 12 9 0 8 Kranke I. und II. Klasse oberes Stockwerk (H. II) mit 1 Wärterin. Frauen-Heilanstalt 32 31 3 (.Jan. 20., 20., 21.) unteres Stockwerk (.T. I) (Fortsetzung der Tabelle umstehend.) 246 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. Abteilung Zahl der Betten Belegung am 14. Tan ISQ^ Lrt, t/ etil. ±000 inkl. Warte- personal Cholera-Erkrankungen Bemerkungen Frauen-Heilanstalt 39 38 6 (Jan. 15., 16., 17., 17., oberes Stockwerk (J. II) 19., 25.) Frauen-Pflegeanstalt 43 40 4 (Jan. 17., 18., 19., 23.) unteres Stockwerk (K. I) Frauen-Pflegeanstalt 28 28 1 (Jan. 26.) 24 Kranke I. u. II. Klasse oberes Stockwerk (K. II) mit 4 Wärterinnen. Frauen-Pflegeanstalt 47 44 12 (Jan. 19., 20., 21., 21 , unteres Stockwerk (L. I) 21., 22., 24., 25., 25., 28., 31., Febr. 5.) Frauen-Pflegeanstalt 42 41 5 (Jan. 16., 17., 18., 24., Die am 17. Jan. Erkrankte oberes Stockwerk (L. II) 25.) ist die Oberwärterin. Frauen-Beobachtungsstation 33 33 3 (Jan. 16., 19., 20.) (M.) Frauen-Lazarett (N.) 24 25 2 (Jan. 17., 21.) Frauen- Aufnahmestation (0.) oo 00 34 2 (Jan. lö., 23.) Frauen-Pavillon (P.) 44 23 0 Frauen-Pavillon (Q.) 44 42 8 (Jan. 16., 16., 16., 18., Die am 24. Jan. Erkrankte 19., 20., 24.) ist eine Wärterin. III. Beamten -Wohnhäuser. I. Beamtenhaus 2 fJan 17 17 ~> 2 Beamfienfvanen II. Beamtenhaus 3 (Jan. 21., 24., 28.) 2 Ärzte und 1 Beamteu- frau. Arzte- Wohnhaus 1 (Jan. 21.) 1 Arzt. Die Tabellen und der Plan Fig. 10 lassen ohne weiteres erkennen, daß die Cholera nicht nur in ihrem Beginn, sondern auch im weiteren Verlaufe über die ganze Anstalt, abgesehen von einigen Stellen, auf die ich noch zurückkommen werde, ziemlich gleich- mäßig verteilt war. Die ursächlichen Momente konnten also auch nur solche gewesen sein, welche nicht einzelne Gebäude oder einzelne Gruppen unter den Bewohnern der Anstalt, sondern die Anstalt im ganzen getroffen hatten. Solchen gemeinschaftlichen Einfluß konnte im vorUegenden Falle nur entweder der Boden, oder die Nahrungsmittel, oder das Wasser ausgeübt haben. Der Boden war von vornherein mit aller Sicherheit auszuschließen. Alle Gebäude stehen auf festem Felsen. Die einzigen, welche möglicherweise vom Boden ungünstig hätten beeinflußt werden können, waren die älteren Anstaltsgebäude, welche ein Recht- eck bildend, rings um die Depression auf der Höhe der Porphyrkuppe gruppiert sind (auf dem Plan Fig. 10 A, B, C, D, H, I, K, L). Wegen der natürlichen und künstlichen Drainage der Depression war an eine Stauung des Untergrundwassers wohl nicht zu denken; aber der lockere Boden, welcher die Depression ausfüllt, ist vermutlich von früheren Zeiten her, wo die Schmutzwässer der Anstalt noch nicht durch Kanalisation beseitigt wurden, mit Schmutzstoffen imprägniert, und man hätte erwarten können, daß dieser verunreinigte Boden in irgendeiner Weise das Verhalten der Cholera beein- flussen würde. Davon ist aber nicht das geringste zu bemerken; denn die Cholera ver- hielt sich in den älteren Anstaltsgebäuden gar nicht anders als in den neuen Gebäuden, Die Cholera in IJeutschlaml während des Winters 1892 bis ISSKi. 247 deren felsiger Untergrund auch in früheren Zeiten niemals außergewöhnlichen Ver- unreinigungen ausgesetzt war. Auch die Versorgung der Anstalt mit Nahrungsmitteln bot trotz sorgfältiger Nach- forschungen keinen Anhalt dafür, daß auf diesem Wege die Allgemeininfektion ver- mittelt gewesen wäre. Die meisten Nahrungsmittel wurden von den Lieferanten auch gleichzeitig an die klinischen Institute in Halle geliefert, ohne daß diese von Cholera heimgesucht wurden, und in der Anstalt traten Choleraerkrankungen auch bei solchen Personen auf, welche nicht von der Anstalt verpflegt wurden. Es blieb somit nur noch die Annahme übrig, daß das Wasser der Träger des In- fektionsstoffes gewesen sei. Von vornherein sprachen allerdings • gewichtige Gründe gegen diese Annahme. Denn die Anstalt war gerade in dieser Beziehung mit Einrichtungen versehen, welche einen hinreichenden Schutz hätten gewähren müssen^). Gesetzt den Fall, daß der Infektionsstoff der Cholera durch irgendeinen Zufall in die Anstalt ein- geschleppt und in die Abwässer derselben geraten wäre, dann hätte er schon durch die filtrierende Wirkung des Bodens auf den Rieselfeldern zurückgehalten werden müssen und selbst wenn die Rieselfelder ihn hätten entschlüpfen lassen, dann mußte er auf der Oberfläche der Sandfilter liegen bleiben, durch welche das Leitungswasser vor dem Ein- tritt in die Anstalt geht. Daß der Infektionsstoff diese beiden Schranken, von welchen erfahrungsgemäß jede einzelne imstande war ihn abzuhalten, überwunden hätte, war nicht sehr wahrscheinlich. Gleichwohl mußten die Filteranlage und die Rieselfelder daraufhin untersucht werden, ob sie auch so funktionierten, daß sie den Infektionsstoff wirklich abzuwehren vermochten. Was die LTntersuchung der Filteranlage ergeben hat, ist von mir bereits in der Abhandlung ..Wasserfiltration und C'holera" ausführlich beschrieben. Sie zeigte, um es hier kurz zu wiederholen, daß die Anlage in der Konstruktion zwar einige Mängel hatte, aber bei sorgfältiger Bedienmig ein Wasser hätte liefern können, welches frei von In- fektionsstoffen gewesen wäre. Die Benutzung der Filter geschah jedoch in einer Art und Weise, daß das Wasser fast unfiltriert durch die Sandfilter ging. Hier bestand also schon eine gewaltige Lücke in den sanitären Einrichtungen, welche die Anstalt gegen Infektion schützen sollten. Nicht viel besser stand es mit der Funktion der Rieselfelder. Dieselben sind im großen und ganzen vorschriftsmäßig konstruiert, entbehren aber der Staubassins, welche im Winter, wenn der Boden gefroren und undurchlässig geworden ist, die Schmutz- wässer bis zum Ablauf der Frostperiode aufzunehmen haben. Man wird bei der Anlage der Rieselfelder die »Staubassins vermutlich aus dem Grunde weggelassen haben, weil im Notfall auch die einzelnen von einem niedrigen Wall umgebenen Beete als Stau- bassins dienen konnten. Es hätte in diesem Falle ein Beet nach dem andern mit dem Schmutzwasser gefüllt werden müssen, so weit es davon zu fassen vermochte. Die Fläche der vorhandenen Beete ist auch groß genug, um während einer langen Frostperiode das Schmutzwasser auf dem Rieselterrain zu stauen und die Rieselanlage hätte selbst in dem harten Winter von 181)2 zu 18!)3 richtig funktionieren kömien. Aber zu meinem Bedauern nnil3 ich auch hier wieder, ebenso wie in betreff der Filteranlage, die Bemerkung machen, daß wohl niemand von den Beteiligten die richtige Behandlung der Rieselanlage gekannt hat ; denn es ist nicht einmal der Versuch gemacht, das Schmutzwasser während der Frostperiode auf den einzelnen Feldern zu stauen. Die Folgen dieser Unterlassung machten sich denn auch in der Weise geltend, daß, nachdem der Boden gefroren war, das Schmutzwasser oberflächlich oder in gröberen Bodenspalten und Mäuselöchern über Die Brvinnen der Anstalt kamen für die Wasserversorgung nicht in Betracht, weil sie seit einem hallien .Fahre geschlossen waren. 248 Die Cholera in Deutscliland während des Winters 1892 bis 1893. die Rieselfläche floß, ohne durch den Boden eine nennenswerte Reinigung zu erfahren. Als ich die Rieselfelder untersuchte, waren sie mit einer ziemlich hohen Schneelage be- deckt, darunter war der Boden fast einen Meter tief gefroren und unter dem Schnee, aber auf dem gefrorenen Boden floß das Schmutzwasser ungehindert ab, wo es sich gerade einen Weg gebahnt hatte. Zu- und Abfluß der Rieselfelder wurden wiederholt bakteriologisch untersucht und in bezug auf den Bakteriengehalt, wie unter solchen Verhältnissen wohl auch nicht anders zu erwarten war, ohne wesentlichen Unterschied gefunden. So enthielt z. B. das Schmutzwasser in einem Falle, ehe es auf das Riesel- terrain der Frauenseite trat, 400 000 Keime im Kubikzentimeter, gleichzeitig geschöpftes Wasser von einem Beet 350 000, aus einem Seitengraben 450 000, aus dem Hauptdrain- rohr am unteren Ende des Rieselterrains 470 000. Also auch diese Schutzeinrichtung erwies sich als vollkommen insuffizient und der Infektionsstoff konnte mit dem Flüssigkeitsstrom ungehindert durch die Anstalt zirkulieren. Dafür, daß dies in der Tat geschehen ist, lieferte die weitere bakteriologische Untersuchung den unumstößlichen Beweis; denn die Cholerabakterien wurden an ver- schiedenen Stellen dieses Kreislaufs nachgewiesen. Sie wurden gefunden auf der Frauen- seite in dem Schmutzwasser bei seinem Eintritt in das Rieselterrain, auf den Riesel- feldern selbst und in dem Wasser, welches durch das Hauptdrainrohr das Rieselterrain verließ ; auf der Männerseite ebenfalls in der Flüssigkeit beim Eintritt und beim Ver- lassen des Rieselterrains. Ferner wurden sie nachgewiesen im Wasser der wilden Saale unterhalb der Einmündungssteile des Saugrabens, in dem filtrierten Wasser des Filter Nr. II und in einer Wasserprobe, welche aus einem Leitungshahn innerhalb der Anstalt entnommen war. Daß der Nachweis der Cholerabakterien in solcher Vollständigkeit gelungen ist, ist unzweifelhaft hier ebenso, wie bei dem Cholerabrunnen in Altona, dem Umstände zu verdanken, daß die Untersuchung so bald nach dem Ausbruch der Cholera ausge- führt werden konnte. Damit ist die unmittelbare Veranlassung für den explosionsartigen Ausbruch der Cholera in Nietleben vollkommen klar gelegt. Der Infektionsstoff muß auf irgendeine Weise in die Anstalt verschleppt sein, ist dann mit den Abwässern der Anstalt über die gefrorenen Rieselfelder hinweg in den Saugraben, von da in die wilde Saale gelangt und aus dieser durch die Wasserleitung der Anstalt wieder zugeführt. Das Wasser war allen Bewohnern der Anstalt zugänglich und es mußte je nach dem Gehalt desselben an Cholera- bakterien und je nach den Beziehungen der Bewohner zum Wasser, sowie nach ihrer individuellen Disposition eine mehr oder weniger gleichmäßig über die ganze Anstalt verbreitete explosionsartige Epidemie entstehen, wie es tatsächlich geschehen ist. Auch in diesem Falle kann es nicht allein bei der ursprünglichen Wasserinfektion gebheben sein. Von den Erstinfizierten sind unzweifelhaft in dem so außerordentlich empfänglichen Menschenmaterial, wie es eine Irrenanstalt beherbergt, auch sekundäre Infektionen ausgegangen. Als solche möchte ich einen Teil derjenigen Choleraerkran- kungen auffassen, welche in den Pflegeabteilungen mit ihren unreinlichen Kranken vor- gekommen sind, so namenthch in der Abteilung L I, wo mehr als der vierte Teil der In- sassen befallen wurde. Auch die Wärterinnen, welche in den als Choleralazarett benutzten Pavillons U und W während der Pflege von Cholerakranken die Cholera bekamen, werden sich vermutlich nicht durch das Wasser, sondern direkt von den Kranken infiziert haben, und das gleiche dürfte in bezug auf die drei erkrankten Ärzte gelten. Wenn sich an solchen Stellen, wo sich Gelegenheit zu Sekundärinfektionen bot, die Cholerafälle häuften, so blieben sie andererseits in denjenigen Abteilungen dünner gesät, wo die Verhältnisse für das Zustandekommen einer Infektion weniger günstig Die Cholera in Deiitsclilaiul während des Winters 1892 bis 1893. 249 lagen. Dies war der Fall in den Abteilungen All, HII, und KU, in denen Kranke erster und zweiter Klasse verpflegt wurden. All mit 8 und HII mit 9 Personen sind ganz ver- schont geblieben, in KU kam unter 28 Personen nur ein Fall vor. Die Erklärung für diese Erscheinung ist wohl darin zu finden, daß den Pfleglingen erster und zweiter Klasse Kaffe, Tee und ander\^eitige Getränke mehr zur Verfügung stehen als den Pfleglingen dritter Klasse, und daß sie schon deswegen mit dem infizierten Wasser weniger in Be- rührung gekommen sind. Gegen diese Auffassung würde allerdings sprechen, daß in der Abteilung C'I, welche ebenfalls der ersten und zweiten Klasse angehört, unter 18 Per- sonen 4 Cholerafälle vorgekommen sind. Obwohl einer dieser Fälle, der zuletzt Erkrankte, kurz vorher von DI nach C I verlegt war und sich vermutlich noch in DI infiziert hat, so bleiben inunerhin noch drei Cholerafälle, eine auffallend große Zahl, und es ist mir nicht gelungen, hierfür eine befriedigende Aufklärung zu gewinnen. EigentümUch ist es ferner, daß der Frauen-Pavillon P ganz verschont geblieben ist. Derselbe unterscheidet sich weder durch seine Bauart, noch durch seinen Unter- grund von dem benachbarten Frauen-Pavillon Q und von dem korrespondierenden Männer-Pavillon S, welche beide reichlich Cholerafälle hatten. Der Pavillon P nahm nur insofern eine außergewöhnliche Stellung ein, als er zur Zeit des Choleraausbruchs nur zur Hälfte belegt war. Einen gewissen Einfluß hat dieser Umstand wohl auf das Freibleiben des Gebäudes gehabt, ob derselbe aber allein oder in Verljindung damit, daß diese Abteilung eine besonders sorgsame Wärterin hatte, welche ihren Pfleglingen stets abgekochtes Wasser verabreicht haben soll, genügt, um das Ausbleiben der Cholera zu ei'klären, muß ich dahingestellt sein lassen. Zu erwähnen ist ferner, daß auch in der Gärtnerei mit fünf Bewohnern kein Cholera- fall vorgekommen ist. Dieses Gebäude ist das einzige bewohnte Haus der Anstalt, welches nicht auf felsigem Untergrund, sondern auf dem Alluvium des Talbodens steht, welcher an dieser Stelle stark verunreinigt und dem Wechsel der Bodeiifeuchtigkeit unterworfen ist. Hier hätte den Lehren der Bodentheorie entsprechend die Cholera einen besonders günstigen Angriffspunkt finden müssen. Die Angehörigen der Gärtnerfamilie beziehen ihr Wasser aus einem Rohr der Wasserleitung, welches bis in die Nähe des Hauses geführt ist. Sie gaben auch zu. das Wasser getrunken zu haben, aber nur in geringen Mengen und nach der Mittagsmahlzeit. Doch möchte ich hierauf weniger Gewicht legen, als auf die geringe Zahl der Bewohner des Grundstücks. Dieselben konnten wegen der kleinen Anzahl ebensogut verschont bleiben, wie die schwach besetzten Abteilungen erster und zweiter Klasse All und HII. Nachdem die Untersuchung darüber Gewißheit gescliafft liatte. daß die Niet- lebener Cholera mit ihrem explosionsartigen Verlauf durcli eine Infektion des Leitungs- wassers entstanden war, mußte nun weiter danach geforscht werden, auf welche Weise der Infektionsstoff in die Wasserleitung eingedrungen sein konnte. Ich habe schon frülier angedeutet, wie ich mir die nächste Herkunft des Infektionsstoffes denke, und daß ich che Infektion der Leitung als von den Rieselfeldern der Anstalt ausgehend annehme. Denn dagegen, daß die Saale die Cholerabazillen von weiter flußaufwärts gelegenen Ortschaften herabgeschwemmt haben sollte, spricht der LTmstand, daß oberhalb von Nietleben keine Cholera vorgekommen ist. Am plausibelsten erschien deswegen die Voraussetzung, daß in die Anstalt selbst zuerst die Cholera in einem vereinzelten Falle eingeschleppt wurde und daß dieser dann der Ausgangspunkt für den im Circulus vitiosus durch die Anstalt kreisenden Infektionsstoff geworden ist. Dieser subsumierte erste Fall war aber nicht zu finden und infolge dieses Mangels sind eine ganze Reihe von Hypo- thesen über die Entstehung der Cholera in Nietleben aufgetaucht, welche so ziemlich alle Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von der autochthonen Enstehung der Cholera 250 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. an bis zum zugereisten Handwerksburschen, der heimlich seine Cholerade jektionen am Ufer der Saale deponiert haben sollte, umfassen. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, diese Hypothesen zu erörtern und ich werde mich darauf beschränken, dasjenige zu be- richten, was zur Aufklärung dieses dunklen Punktes noch am meisten beitragen kann. Zu der Zeit, als die Cholera in Nietleben ausbrach, bestand der einzige Cholera- herd, von dem aus die Seuche eingeschleppt sein konnte, in Hamburg- Altona ; aber wie sollte sie von dort aus gekommen sein, mitten im Winter und unter Überspringen so zahlreicher dazwischenliegender Ortschaften ? Etwa auf dem Wasserwege durch Pluß- f ahrzeuge konnte sie nicht eingeschleppt sein, denn die Flu I3schif fahrt, welche allerdings von Hamburg aus auf der Elbe und der Saale bis über Nietleben hinauf geht, hatte wegen der Eis Verhältnisse schon etwa seit anderthalb Monaten aufgehört. Man konnte also nur noch an Waren oder von Hamburg zugereiste Personen denken. In bezug auf Waren konnte, da sämtlicher Verkehr und insbesondere auch der Postpaketverkehr durch das Bureau der Anstalt geht, sehr bald festgestellt werden, daß außer einigen Briefen nichts von Hamburg nach der Anstalt in direktem Verkehr gelangt war. Übrigens würden, auch wenn wirklich Waren in die Anstalt aus Hamburg Eingang gefunden hätten, diese doch nicht als Choleraträger zu beschuldigen sein, da bekanntlich durch eigentliche Handelswaren noch niemals Cholera verschleppt ist und auch während der großen Hamburger Epidemie keine einzige Verschleppung durch Waren nachgewiesen werden konnte, obwohl noch zu Anfang der Epidemie große Mengen von Waren aus Hamburg ausgeführt sind. Danach könnte die Einschleppung nur durch den Personenverkehr stattgefunden haben und diese Annahme scheint mir auch die größte Wahrscheinlichkeit für sich zu 4iaben. Da die Anstalt ihren Krankenzugang nur aus der Provinz Sachsen hat, so kommen die Kranken hierbei zunächst nicht in Frage. Es müßte denn sein, daß die Cholera von Hamburg nach der Provinz Sachsen durch einen leichten Cholerafall gebracht wäre, wie sie damals wiederholt in den Hamburger Bettlerherbergen aufgefunden wurden, und daß durch diesen unentdeckt gebliebenen Fall zufällig ein Mensch infiziert wäre, der bald darauf wegen Geisteskrankheit in die Anstalt geliefert wurde. Statt dieses etwas komplizierten Weges, der zwar nicht als unmöglich, aber doch auch nicht gerade als wahrscheinlich bezeichnet werden kann, steht für die direkte Einschleppung von Hamburg noch ein anderer einfacherer Weg zur Verfügung, nämlich durch das Wärter- personal der Anstalt, das immer mehr oder weniger fluktuierend ist. Die Anstalt hat in den letzten drei Monaten dreizehn Wärter und Wärterinnen neu eingestellt. Unter diesen befindet sich keine Person, welche als ihren letzten Aufenthaltsort Hamburg angegeben hätte, aber es hat sich doch zufällig herausgestellt, daß ein aus Halle enga- gierter Wärter unmittelbar vorher aus Hamburg gekommen war. Er hatte sich in Halle selbst nur wenige Tage aufgehalten, um hier zu erfahren, ob er in Nietleben Anstellung finden werde. Dieser selbe Wärter litt in den ersten Tagen seiner Beschäftigung in Niet- leben an starkem Durchfall, was auch nicht zur Kenntnis gekommen wäre, wenn er nicht unterlassen hätte, sich in Halle nach der damals noch bestehenden Vorschrift als aus Hamburg zugereist zu melden. Erst als er deswegen in Polizeistrafe genommen werden sollte, entschuldigte er sich damit, daß er sich zu unwohl gefühlt habe, um sich melden zu können. Daß gerade dieser Wärter, welcher übrigens in einer Hamburger Anstalt gewesen sein soll, die von Cholera frei geblieben war, die Cholera nach Nietleben gebracht hat, kann nicht ohne weiteres behauptet werden. Er litt in der Zeit vom 5. bis 8. Dezember an Durchfall und da würde doch eine auffallend lange Zeit zwischen der Einschleppung des ersten Krankheitskeimes und dem Ausbruch der Epidemie verflossen sein. Aber auf jeden Fall beweist dieses Vorkommnis, daß ein direkter Personenverkehr zwischen Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. 251 Hamburg und Nietleben in der Zeit vor der Epidemie bestanden hat. In Hamburg ging damals die Epidemie zu Ende, viele Personen, welche dorthin gegangen waren, um als Krankenwärter Beschäftigung zu finden, mußten sich nach anderen Stellen umsehen, und so mag unter den für Nietleben aus der »Stadt Halle angeworbenen Personen — es waren acht in der angegebenen Zeit — auch noch der eine oder andere kurz vorher in Hamburg gewesen sein. Die von anderer Seite ausgesprochene Vermutung, daß die Cholera bereits im vorhergehenden Sommer nach Nietleben gebracht sei und sich dort längere Zeit latent gehalten habe, um dann plötzlich explosionsartig auszubrechen, kann ich nicht teilen; denn ich kann mir nicht denken, daß der Infektionsstoff während der für ihn so günstigen warmen Jahreszeit irgendwo, z. B. im Boden, untätig gelagert hätte und gerade in der kältesten Zeit, wo der Boden tief gefroren war, plötzlich erwacht wäre, und ebensowenig, daß er unter den für die Cholera so überaus günstigen Verhältnissen der Anstalt etwa innerhalb der Menschen durch eine Kette von leichten Fällen sich monatelang vinbe- merkt gehalten habe. Nach allem, was über die Art und Weise der Einschleppung der Cholera ermittelt werden konnte, erscheint es mir immer noch als das Wahrscheinlichste, daß sie durch das Wartepersonal und zwar avif direktem Wege von Hambvirg aus geschehen ist. Es ist zu^ bedauern, daß über diesen Punkt keine volle Sicherheit zu gewinnen war. Wenn aber, wie es tatsächlich geschehen ist, aus diesem Mangel gefolgert wurde, daß damit der eigentliche Kern der Frage, welche uns durch die Nietlebener Epidemie ge- stellt ist, ungelöst geblieben sei, und daß somit die ganze Untersuchung ihre Bedeutung verliere, dann irrt man sehr. Es wäre ja gewiß recht schön gewesen, namentlich für den Laien, wenn man die Person, welche die Cholera nach Nietleben vermutlich gebracht hat, bestimmt hätte bezeichnen können, aber eine das ganze Gebäude zum Einsturz bringende Lücke entsteht dadurch nicht, daß diese Person unentdeckt geblieben ist. In welcher Weise die Cholera durch den menschlichen Verkehr verbreitet wird, das haben wir im Laufe der jetzigen Epidemie vielhundertfach erfahren und wir müssen, wenn es ausnahmsweise einmal nicht gelingt, den Zusammenhang zwischen verschiede- nen Seuchenherden aufzufinden, annehmen, daß es sich auch in solchem Falle ebenso verhalten haben wird, wie in der weitaus überwiegenden Mehrzahl der übrigen Fälle, in denen der Nachweis der Verschleppung gelungen ist. Es wäre doch ein kindisches Verlangen, Avenn gefordert würde, daß die Choleraforschung entweder jede Cholera- verschleppung unter allen Umständen und trotz des so verwickelten menschlichen Ver- kehrs klarlegen oder überhaupt auf ihre Untersuchungen verzichten soll. In bezug auf die Nietlebener Epidemie können wir es als vollkommen gesichert ansehen, daß die Cholera von dem Hamburger Seuchenherd und zwar durch den Personenverkehr eingeschleppt ist. Die bei dieser Epidemie gewonnenen wichtigen Erfahrungen und die ebenso wichtigen aus diesen wieder zu entnehmenden Lehren verlieren nicht im geringsten dadurch an ihrem Wert, daß die infizierende Person selbst nicht mehr bezeichnet werden konnte, ebenso wie auch die Hamburger Epidemie nicht weniger lehrreich für uns ist, weil der einzelne russische Auswanderer nicht mehr namhaft gemacht werden kann, der den ersten Krank- heitskeim dorthin gebracht hat. In bezug auf die Maßregeln, welche in Nietleben zur Bekämpfung der Seuche zur Anwendung gekommen sind, ist folgendes mitzuteilen. Schon im Sommer 1892, als die Cholera in Hamburg ausbrach, war von der Di- rektion angeordnet, daß in allen Abteilungen nur gekochtes Trinkwasser benutzt werden solle, und es war, um genügende Mengen von abgekochtem Wasser immer in Vorrat zu haben, die Einrichtung getroffen, daß in der gemeinschaftlichen Küche zwei große 252 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. kupferne Kessel, von denen jeder 400 Liter Inhalt hatte, zum Abkochen von Wasser beständig in Betrieb waren. Anfangs soll aus der Küche das gekochte Wasser in reich- licher Menge durch die Wärter abgeholt sein, aber im Laufe der Zeit nahm der Gebrauch an gekochtem Wasser so weit ab, daß kurz vor dem Ausbruch der Epidemie nur noch zwei bis drei Kessel voll, also 800 bis 1200 Liter, im Laufe einer Woche geholt wurden. Sofort nach dem Begiim der Epidemie wurde diese Maßregel von neuem einge- schärft und es sollen seitdem wieder ein bis zwei Kessel voll Wasser täglich gebraucht sein. Einen wesentlichen Nutzen kann ich in dieser Einrichtung nicht finden. Wenn Menschen ihr sämtliches Brauchwasser in gekochtem Zustande beziehen können, dann wird damit allerdings eine Wasserinfektion ausgeschlossen werden. Aber wenn in einer Irrenanstalt die Verabreichung von abgekochtem Trinkwasser angeordnet wird, während die Geisteskranken daneben an Badewasser, Waschwasser, Klosettspülung usw. kommen können und es außerdem fraglich ist, ob auch alle Wärter so gewissenhaft sind, daß sie das Wasser von der Kochstelle holen, dann wird die Auswahl des Wassers wohl meistens durch den besseren Geschmack des ungekochten Wassers oder durch die Be- quemhchkeit des Wärters bestimmt werden und man darf sich nicht dem Glauben hin- geben, daß mit einer derartigen Maßregel ein zuverlässiger Schutz gegen Cholerainfektion gegeben ist. Es wurde denn auch, als die eigentliche Ursache der Epidemie erkannt war, in Aussicht genommen, die Anstalt gegen das infizierte Leitungswasser möglichst bald und vollständig abzusperren. Einer sofortigen Absperrung stellten sich aber unüber- windliche Hindernisse entgegen und es zeigte sich in diesem Falle, wie außerordentlich schwierig es ist, eine zentralisierte Wasserversorgung, welche mit allen Teilen des ver- sorgten Gebietes in Verbindung steht und mit dem Leben und Treiben in demselben gewissermaßen verwachsen ist, plötzlich abzuändern. An einen Ersatz für das auszu- schließende Wasser fehlte es zwar nicht, da die Stadt Halle sich sofort bereit erklärt hatte, von ihrem Leitungswasser in Wagen, die sonst zum Sprengen benutzt wurden und zum Wassertransport sehr geeignet waren, täglich 20 bis 30 cbm nach der Anstalt schicken zu wollen und vom 20. Januar ab mit der Zufuhr von Wasser begonnen hatte. Aber mit der so zur Verfügung gestellten Wassermenge konnte doch nur der Bedarf in der Küche und in den Krankenabteilungen gedeckt werden, zur Speisung der Dampf- kessel, zur Versorgung der Waschküche- und zur Klosettspülung mußte das infizierte Wasser auch ferner dienen und so bUeb denn nichts anderes übrig, als die Auslaßhähne in den Krankenabteilungen, in der Küche und sonstigen Wirtschaftsräumen zu sperren, die Wasserleitung im übrigen aber in Tätigkeit zu lassen. Sehr bald stellte sich dann aber heraus, daß einzelne Wärter die noch in ihrem Besitz gebliebenen Schlüssel zur Wasserleitung trotz der strengsten Anordnungen der Direktion benutzt hatten, um Leitungswasser für ihre Abteilung zu erhalten, offenbar aus Bequemlichkeit. Es war auch beobachtet, daß Geisteskranke an die Klosettspülung gegangen waren und das Wasser getrunken hatten. So mußte schließlich auch die Klosettspülung geschlossen und dem Wartepersonal die Schlüssel zur Wasserleitung abgenommen werden. Erst vom 25. Januar ab konnte man darauf rechnen, daß die Anstaltsbewohner in Wirklich- keit gar kein Leitungswasser mehr erhielten. Von diesem Zeitpunkte an nahm denn auch die Epidemie schnell ab. Selbstverständlich können sich Abschluß der Wasser- leitung und Ende der Epidemie nicht vollständig decken. Der Abschluß ging, wie ge- schildert, nur allmählich vor sich und überdies konnte er keinen Einfluß auf die nicht durch Wasserinfektion sondern durch unmittelbare Übertragung, also durch sekundäre Infektion entstehende Cholerafälle haben. Aber die günstige Wirkung, welche die Schheßung der Leitung gehabt hat, ist aus den Erkrankungszahlen doch leicht zu Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. 253 ersehen und wird noch deuthcher, wenn man sich die einzehien nach dem 25. Januar ent- standenen Fälle etwas näher ansieht. Am 20. Januar erkrankten noch drei Personen, davon eine avii der Station der Unreinlichen (LI). Dieselbe hatte, wie konstatiert wurde, noch drei Tage vorher Leitungs- wasser getrunken. Der zweite Fall betraf einen Geisteskranken, welcher die beschmutzte Wäsche von der Cholerastation zur Desinfektionsanstalt zu befördern hatte und ver- mutlich infolge dieser Beschäftigung infiziert war. Der 28. Januar ist mit zwei (Uiolerafällen notiert. Der eine davon ist wieder ein unreinlicher Pflegling von Abteilung LI, der andere Fall betrifft die Frau des Maschinen- meisters (im Beamtenhaus III). Letztere litt schon seit dem 24. Januar an Durchfall und hatte bis zu diesem Tage in ihrer Küche den Leitungshahn offen gehabt und auch gebraucht . Am 3L Januar ein Cholerafall wieder von der Abteilung LI. Der nächste Fall am L Februar war eine mit der Pflege der Cholerakranken be- schäftigte Wärterin. Dann folgte ein Fall am 4. Februar, über welchen nichts besonderes notiert ist, und ein Fail am 5. Februar von der mehrfach erwähnten Abteilung LI. Nun kommt eine längere Pause, nach welcher am 10. Februar ein ganz vereinzelter Fall sich ereignete, bei dem anfangs gar kein Zusammenhang mit der übrigen Epidemie zu finden war, bis sich zur allseitigen Überraschung herausstellte, daß der Erkrankte trotz aller bisher aufgebotenen Vorsichtsmaßregeln doch noch an das Leitungswasser gelangt war. Ein Wärter hatte nämlich mit dem Schlüssel der Gasleitung, welcher zu- fällig auch zur Wasserleitung paßte, die Spülung des Pissoirs in Gang gesetzt und ein zufällig auf diese Station kommender Heizer hatte gesehen, wie die Kranken mit den Händen das Wasser auffingen und tranken. Infolge dieses Vorkommnisses ließ dann die Direktion sämtliche Wasserauslässe verlöten. Die letzte Choleraerkrankung ereignete sich ani 13. Februar bei einer Wärterin der Cholerastation. Dieser Fall dürfte, ebenso wie die Erkrankungen der anderen Wärte- rinnen dieser Station, als durch direkte Infektion entstanden aufzufassen sein. Obwohl beim Beginn der Epidemie Zweifel bestanden, ob es sich wirklich um asiatische Cholera handle, so hatte die Direktion der Anstalt doch in richtiger Erkenntnis der drohenden Gefahr schon vom zweiten Tage ab alle Vorkehrungen getroffen, um eine weitere Verbreitung der Seuche auf die Umgebung zu verhüten. Es wurden keine Kranken ent- lassen und keine aufgenommen. Auch ordnete das Landratsamt an, daß Wärter und Wärte- rinnen, welche die Anstalt verlassen wollten, ihren zukünftigen Aufenthaltsort angeben mußten. In solchem Falle sollte dann die betreffende Ortsbehörde von der Ankunft der cholera verdächtigen Personen in Kenntnis gesetzt werden, um sie fünf Tage lang bezüglich ihres Gesundheitszustandes zu beobachten. Unnötige Besuche wurden während der Epidemie nicht zugelassen und den von auswärts kommenden Personen, welche in der Anstalt verkehren mußten, untersagt, in der Anstalt etwas zu genießen. Anderer als dieser unbedeutenden und durchaus gerechtfertigten Verkehrsbeschränkungen hätte es für die Anstalt gewiß nicht bedurft. Aber es wurden darüber hinaus und trotz meines Abratens von selten der Stadt Halle der Anstalt gegenüber noch einige weitere, übrigens ganz harmlose Beschränkungen zur Anwendung gebracht, offenbar in der Absicht, die Einwohnerschaft von Halle, welche durch das so plötzlich über Nietleben hereinge- brochene Unglück in Schrecken gesetzt war, zu beruhigen. Die zweckmäßige Unterbringung und Isolierung der zahlreichen Cholerakranken ließ sich glücklicherweise ohne allzu große Schwierigkeiten bewerkstelligen. Zwei neu 254 Die Cholera in Deutschland wälirencl des Winters 1892 bis 1893. eingerichtete Pavillons (U. W), welche abseits liegen, waren zufällig noch nicht belegt, ein dritter zur selben Gebäudegruppe gehöriger Pavillon (V) konnte evakuiert werden und es standen somit drei Gebäude zur Verfügung. Das in der Mitte gelegene (W) wurde zum Choleralazarett eingerichtet, die eine Seite für Männer und die andere für Frauen. Die Pavillons U und V dienten als Beobachtungsstation für Choleraverdächtige (U für Frauen, V für Männer). Das Auffinden der mit verdächtigen Symptomen behafteten Kranken war anfangs nicht ohne Schwierigkeit, da die Geisteskranken aus eigenem Antriebe sich meistens nicht krank meldeten und dem Wartepersonal nur die gröberen Verdauungsstörungen auffielen. Infolgedessen wurde die in Hamburg unter ähnlichen Verhältnissen sehr be- währt gefundene Einrichtung getroffen, daß alle, auch die anscheinend gesunden Pfleg- linge nur noch Nachtstühle benutzen durften. Auf diese Weise entgingen auch die leich- testen Durchfälle nicht mehr der Beobachtung. Natürlich mußten auch solche als ver- dächtig erscheinen und es füllten sich, da ihre Zahl nicht gering war, die Beobachtungs- stationen bald in besorgniserregendem Maße. In Hamburg wurden die Verdächtigen immer sofort bakteriologisch untersucht und die mit nicht Cholera Behafteten möglichst bald entlassen, wodurch eine zu starke Ansammlung von Menschen in der Beobachtungs- station leicht zu vermeiden ist. In Nietleben ließ sich die bakteriologische Untersuchung aber anfangs wegen Mangel an Apparaten und Hilfskräften nicht durchführen. Erst vom 1. Februar ab trat ein für diesen Zweck mit größter Beschleunigung in der Anstalt eingerichtetes bakteriologisches Laboratorium in Tätigkeit und es konnten regelmäßig alle verdächtigen Dejektionen untersucht werden. Alle Kranken der Beobachtungs- station, deren Dejektionen frei von Cholerabakterien waren, kamen zunächst noch auf eirüge Tage in eine Zwischenstation und erst nachdem sie auch hier gesund geblieben waren, in ihre eigentliche Abteilung zurück. Die bakteriologische Untersuchung be- wirkte auch in Nietleben sehr bald, daß die Beobachtungsstationen leer wurden, und sie verschafften außerdem die so wünschenswerte sichere Kenntnis über den eigentlichen Stand der Epidemie. Während vorher die große Zahl der Verdächtigen eine nicht geringe Beunruhigung veranlaßte, ließ sich vom 1. Februar ab der weitere Gang der Epidemie übersehen, was gerade gegen Ende der Epidemie von besonderer Wichtigkeit ist. Auch in Nietleben sind ebenso wie gelegentlich der Hamburger Nachepidemie bei der bakteriologischen Untersuchung mehrere Cholerafälle aufgefunden, welche zwar nicht zu den leichtesten aber doch zu denjenigen zu rechnen sind, welche wegen des nur geringfügigen Durchfalls klinisch nicht mit Sicherheit zur Cholera gerechnet wären, höchstens hätte man sie als leichte Cholerine bezeichnen können. Ferner ist bemerkens- wert, daß bei zwei Rekonvaleszenten noch etwa drei Wochen nach dem Beginn der Er- krankung Cholerabakterien in den Ausleerungen nachgewiesen werden konnten. Leider sind beide Fälle nicht von Anfang an bakteriologisch untersucht, so daß die Zeitdauer, bis zu welcher die Cholerabakterien im Darm sich halten können, bei ihnen nicht auf den Tag angegeben werden kann. Sie bestätigen aber die prophylaktisch so wichtige auch anderweitig gemachte Beobachtung und lehren, daß die Infektionsgefahr nicht immer mit dem Ablauf des eigentlichen Choleraanfalls verschwunden ist. Außer der Isolierung der Erkrankten wurde auch gleich von Anfang die Desin- fektion der Ausleerungen und aller damit beschmutzter Gegenstände nach Kräften durchgeführt. Die Desinfektion der Wäsche und Kleider geschah in Dampfapparaten, die flüssigen Abgänge wurden teils durch Karbol- Seifenlösungen, teils durch Ätzkalk desinfiziert. Gegen Ende der Epidemie, als" die Fälle nur noch vereinzelt auftraten, konnte man auch an die Desinfektion der Krankenräume gehen. Es wurden zu diesem Zwecke Die t'lioJera in J )eut.schlaiid während des Winters 1892 bis 1IS93. 255 die einzelnen Zimmer oder ganze Abteilungen von Kranken evakuiert, die Wände und Fußböden, Bettstellen usw. mit desinfizierender Flüssigkeit abgewaschen, reichlich gelüftet und alsdann wieder mit den inzwischen gebadeten und mit desinfizierter Wäsche, Kleidern, Betten versehenen Kranken belegt. Ereignete sich trotzdem ein neuer Fall, wie bei- spielsweise die früher beschriebenen Erkrankungen am 5. und 10. Februar, dann wurde die gesamte Prozedur wiederholt. Besondere Beachtung erforderten noch die Wasserleitung und die Rieselfelder. Da man noch nicht weiß, wie lange Zeit die Cholerabakterien im Wasser oder auf dem Boden, selbst im Winter, sich lebensfähig halten können, so durfte die Wasserleitung nicht ohne vorgängige Desinfektion wieder in Gebrauch genommen werden. Auch für die Rieselfelder schien eine Desinfektion erforderlich, denn es waren auf demselben wiederholt und an verschiedenen Stellen die C'holerabakterien nachgewiesen und es war zu befürchten, daß letztere bei eintretendem Tauwetter mit dem Schmelzwasser in größeren Mengen in die Saale gespült würden. Die Desinfektion der Leitung bot keine allzu großen Schwierigkeiten. Man hätte dafür verdünnte Kalkmilch, Karbollösung oder eine Mineralsäure verwenden können. Man entschied sich für Karbolsäure, und es wurde eine Sprozentige Lösung derselben von dem Pumj^schachte aus in alle Teile der Leitung getrieben, 24 Stunden darin ge- lassen und dann mit Halleschem Wasser wieder ausgespült. Man darf wohl annehmen, daß dadurch eine zuverläßige Desinfektion bewirkt ist. Als ein Übelstand bei diesem Verfahren könnte bezeichnet werden, daß das Leitungswasser noch längere Zeit nachher einen unangenehmen Karbolgeschmack hatte. Aber vor den beiden anderen erwähnten Desinfektionsmitteln hat die Karbolsäure den Vorteil, daß eine Verschlammung der Röhre, wie sie bei Anwendung von Kalkmilch befürchtet wurde, mit Sicherheit zu ver- meiden war, ebenso eine Beschädigung der Innenwand der Röhren, welche durch Mi- neralsäuren hätte entstehen können. Viel schwieriger war die Desinfektion der Rieselfelder. An eine Desinfektion der ganzen Fläche konnte man wegen der außerordentlichen Mengen der dazu erforderlichen Desinfektionsmittel nicht denken. Dieselbe war aber auch nicht notwendig, da die Riesel- flüssigkeit sich nicht über das ganze Feld ausgebreitet hatte, sondern nur in bestimmten schmalen Rinnen geflossen war. Es wurde deswegen die Desinfektion in der Weise zu erreichen gesucht, daß Kalkmilch dem Rieselwasser in großen Mengen und so lange zugesetzt wurde, bis die am unteren Ende des Rieselfeldes in dem Hauptabzugsrohr zum Vorschein kommende Flüssigkeit stark alkalisch reagierte. Einige Zeit darauf, als die Rieselfelder wieder auf Cholerabakterien untersucht wurden, konnten letztere nicht mehr aufgefunden werden. Sie waren verschwunden, ob es nun infolge des Des- infektionsverfahrens, oder, was mir wahrscheinlicher ist, infolge der klimatischen Ein- flüsse, mag dahingestellt bleiben. Obwohl so frühzeitig als möglich alle Abgänge der Kranken desinfiziert wurden, so mußten doch schon ganz zu Anfang der Epidemie undesinfizierte Dejektionen in die Schmutzwässer und mit diesen in die Saale geflossen sein. Außerdem war es fraghch. ob durch die Desinfektion auch wohl sämtlicher Infektionsstoff zuverlässig vernichtet würde und ob nicht auch später noch Cholerabakterien in die Saale geraten könnten. Wenn diese Befürchtungen zutrafen, dann war es nicht unmöglich, daß durch die Saale der Infektionsstoff weiter fortgetragen wurde und daß Choleraausbrüche in den fluß- abwärts an der Saale gelegenen Ortschaften sich entwickelten. Einer auf diesem Wege entstehenden Weiterverbreitung der Seuche mußte so frühzeitig als möglich entgegen- getreten werden. Wie berechtigt diese Voraussetzungen waren, zeigten sehr bald das fast gleichzeitige Auftreten der Cholera in mehreren Ortschaften an der Saale und der 256 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. Nachweis der Cholerabakterien auf den Rieselfeldern und im Wasser der Saale unterhalb von Nietleben. Aber in welcher Weise sollte die Weiterverbreitung der Cholera durch das Saale- wasser verhütet werden ? Flüsse kann man nicht desinfizieren, man kann höchstens die Uferbevölkerung auf die Gefahren, welche mit der Benutzung des Flußwassers verbunden sind, aufmerk- sam machen. Dies geschah denn auch in eindringlichster Weise ; es wurde nicht nur durch die betreffenden Behörden vor dem Gebrauch des Saalewassers gewarht, sondern die Verwendung desselben wurde geradezu verboten. Allerdings verhehlte man sich nicht, daß das Verbot in Wirklichkeit nicht durchzuführen sei und daß seine Wirkung eigentlich nur darin bestand, der Bevölkerung die vorhandene Gefahr als eine besonders ernste erscheinen zu lassen. Der größte Wert wurde denn auch nicht auf die Vermeidung der Infektion, die sich ja nicht durchführen ließ, gelegt, sondern darauf, daß nach zustande gekommener Infektion alles geschah, um neu entstandene Seuchenherde so schnell als möglich unschädlich zu machen. Zu diesem Zwecke wurden Ärzte, Geistliche, Lehrer, Gemeindevorsteher und Gendarmen, kurz alle Personen, bei denen man ein gewisses Interesse und namentlich auch Verständnis voraussetzen konnte, durch eine für alle Ortschaften an der Saale geltende Verordnung der Regierung von Merseburg aufgefordert, jeden irgendwie verdächtigen Cholerafall zu melden. Sehr bald nach der Veröffentlichung der Verordnung liefen solche Meldungen ein und jeder Fall wurde sofort durch den Physikus des Saalekreises an Ort und Stelle und bakteriologisch im hygienischen Institut zu Halle untersucht, um möglichst schnell die wirklichen Cholerafälle herauszufinden. Dies ist auch, wie man annehmen darf, überall gelungen und damit die Möglichkeit gewonnen, gegen die eben im Entstehen begriffenen Choleraherde mit allen Mitteln energisch vorzugehen. Zuerst zeigte sich Cholera in der Ortschaft Trotha, am rechten Saaleufer gelegen, 5 km unterhalb von Halle. Hier erkrankten am 24. Januar 3 l^ersonen an Cholera, von denen eine starb. Daran schloß sich infolge von Sekundärinfektion noch ein Fall am 29. Januar. Dann wurde die Cholera nachgewiesen am 28. Januar in Wettin, 20 km unterhalb Halle am rechten Saaleufer, bei einer Frau, welche einige Tage später starb. Diese Frau war anscheinend bereits am 24. Januar erkrankt, hatte aber erst am 28., als sich ihr Zustand verschlimmerte, einen Arzt zugezogen. Die weiteren in Wettin angestellten Nachforschungen haben nicht zur Entdeckung von sonstigen unzweifelhaften Cholera- fällen geführt. Von einem Falle, welcher dringend verdächtig erschien, waren keine Ausleerungen mehr zur bakteriologischen Untersuchung zu erhalten gewesen. In dem Dorfe Cröllwitz am linken Saaleufer, 2 bis 3 km unterhalb von Nietleben, wurde am 30. Januar eine verdächtige Erkrankung gemeldet und noch am selben Tage als Cholera konstatiert. Hier kam es zu 6 Erkrankungen mit 2 Todesfällen. Da 5 Fälle die Mitglieder einer einzigen Familie betrafen, welche auch nicht gleichzeitig, sondern in Abständen von mehreren Tagen erkrankten, so werden dieselben zum Teil durch Sekundärinfektion entstanden sein. Schließlich wurde noch in einem zweiten auf dem linken Saaleufer gelegenen Dorfe, Lettin (6 bis 7 km unterhalb Nietleben) die Cholera bei drei Personen in der Zeit vom 2. bis 4. Februar nachgewiesen, von denen eine starb. Wenn man die angeführten Ortschaften auf dem Plan Fig. 2 (sie sind durch Unter- streichung kenntlich gemacht) aufsucht, dann fällt sofort auf, daß sie sämtlich unterhalb von Nietleben liegen und sich regellos auf beide Ufer der Saale verteilen. Sie sind nicht durch Verkehrsstraßen miteinander verbunden, haben auch erwiesenermaßen untereinander Die Cholera in Deutst-hland während des Winters 1892 bis 1893. 257 niclit den geringsten Verkehr. Die einzige bestehende V^erkehrsmöglichkeit, die Schiti- fahrt auf der Saak^ war voUkonunen ausgeschlossen, weil der Fluß mit Ausnahme einiger Stellen, wo die Strömvmg besonders stark ist, mit dickem Eis bedeckt war. Irgendwelche Beziehungen zur Irrenanstalt Nietleben hatte keine dieser Ortschaften. Das einzige, was ihnen gemeinschaftlich ist, ist die Benutzung des Saalewassers und diese hatte trotz des früher erwähnten strengen Verbots in allen Fällen stattgefunden, sie konnte in jedem der befallenen Orte mit Leichtigkeit nachgewiesen werden. In Wettin hatte man vor den an der Saale gelegenen Häusern Löcher durch das Eis geschlagen, um an das Wasser kommen zu können und es war schließlich nur durch polizeiliche Bewachung des Saaleufers zu erreichen, daß die Bevölkerung nicht immer von neuem das Saalewasser in die Häuser holte. In OöUwitz mußten aus demselben Grunde die zugänglichen Stellen des Flusses durch Bretterzäune abgeschlossen werden. Die in diesen beiden Ortschaften erkrankten Personen gaben auch ohne weiteres zu, daß sie Saalewasser im Haushalt benutzt hatten. In Trotha und auch in Lettin wurde dagegen behauptet, daß das Verbot streng durchgeführt sei und niemand Wasser aus der Saale entnommen habe. Und dennoch war in beiden Orten das Saalewasser im Spiele gewesen. Man hatte zwar nicht das Wasser aus dem Flusse direkt geholt, aber die Erkrankten hatten nachweislich aus Wasserleitungen getrunken, die Saalewasser zur Ti'änkung von Vieh herbeiführten. In Lettin bestand eine solche Wasserleitung für die Schäferei der Domäne ; aus dieser hatten der Schäfer und ein Knecht getrunken, welche beide an Cholera erkrankten. In der Wohnung des Schäfers, dessen Krankheit schnell tödlich verlief, wurde noch ein Kind desselben offen- bar direkt infiziert. Ganz besonders interessant gestaltete sich der ( Iholeraausbruch in Trotha. Die Krankheit beschränkte sich hier vollständig auf ein Haus. Aber dieses Haus war eine Art von Arbeiterkaserne; es wohnten darin 14 Familien mit 62 Personen. Jede Familie hatte einen oder höchstens zwei Räume zur Verfügung. Das Auftreten der Cholera in dieser dicht zusammengedrängten, unter den ungünstigsten hygienischen Verhält- nissen lebenden Menschenmase mußte um so bedenklicher erscheinen, als in einer früheren Epidemie fl866) dieses selbe Haus in der schwersten Weise von Cholera heimgesucht war. Es sollen damals viele Choleraleichen bis 18, eine zuverlässige Zahl konnte ich nicht in Erfahrung bringen) aus demselben beerdigt sein. Gleich bei der ersten Unter- suchung fiel es nun aber auf, daß von den zahlreichen Bewohnern drei Menschen an ganz verschiedenen Stellen des Hauses, einer im Erdgeschoß, einer im mittleren und einer im oberen Stock erkrankt waren und daß die Erkrankten Männer waren; Frauen und Kinder blieben zunächst vollkommen verschont. Die weitere Untersuchung ergab nun folgendes. Die Arbeiterfamilien, zum größten Teil aus Oberschlesien stammend, lebten ganz für sich und hatten mit der Stadt Halle oder der Anstalt Nietleben gar keinen Verkehr, selbst mit den übrigen Dorfbewohnern verkehrten sie wenig. Die erkrankten Männer waren iri einer Zuckerfabrik, zu welcher die Arbeiterkaserne gehörte, mit der Fütterung des Mastviehs beschäftigt und zu den Viehställen führte auch hier eine Saale- Wasserleitung. Allerdings ging ein Zweigrohr der Leitung auch in die Arbeiterkaserne und für gewöhnlich benutzten sämtliche Bewohner derselben das Saalewasser. Aber gerade zu dieser Zeit war das Zweigrohr eingefroren und nur in die Viehställe kam noch das Saalewasser. Die Frauen und Kinder des Hauses mußten sich deswegen mit dem Wasser aus den benachbarten Brunnen behelfen, während die Männer, wie sie selbst erzählten, das Leitungswasser im Stalle getrunken hatten. Insbesondere soll der am schwersten Erkrankte und an der Cholera Gestorbene, nachdem er viel Pferdewurst gegessen hatte, reichlich Wasser getrunken haben. Koch, Gesammelte Werke. 62 258 Cholera in Deutschland währefnd des Winters 1892 bis 1893. Das, was hier über die Cholera in den Ortschaften an der Saale berichtet ist und namenthch die Art und Weise, wie sie sich in den einzelnen Fällen, z. B. in Trotha, ver- halten hat, läßt keine andere Deutung zu, als daß der Cholerainfektionsstoff, mag man sich ihn nun vorstellen, wie man will, durch das Wasser verschleppt wurde. Wie hätte sonst mitten im harten Winter unmittelbar nach dem Choleraausbruch in Nietleben die Seuche ihren Weg in abgelegene, weder untereinander noch mit dem Choleraherd selbst in einer anderen Weise verbundene Ortschaften finden und sich überdies nur auf die am Flusse gelegenen Ortschaften beschränken sollen ? Wer hier noch leugnen will, daß das Wasser der Träger des Cholerainfektionsstoffes sein kann, der ist für die Logik der Tatsachen überhaupt nicht zugänglich. Daraus, daß die Cholera in Wettin, also drei Meilen von dem Ausgangsherd ent- fernt, ihr Ende erreichte, könnte man vielleicht schließen, daß die Cholerabakterien, wenigstens im Winter, nicht auf größere Entfernungen in lebensfähigem Zustande ge- schwemmt werden können, aber im vorliegenden Falle wird sich diese Frage doch nicht entscheiden lassen und zwar aus folgendem Grunde. Wenige Kilometer unterhalb von Wettin mündet bei Friedeburg ein von Westen herkommendes Flüßchen, die Schlenze, in die Saale. Dieselbe führt die aus den Mansf eider Gruben mit dem Schlüsselstollen kommenden Grubenwässer der Saale zu. Seit einiger Zeit haben die Grubenwässer wahrscheinlich durch Auslaugung von unterirdischen Salzlagern einen so hohen Salz- gehalt angenommen, daß das Wasser der Schlenze beim Einfluß in die Saale etwa 10 Pro- zent Kochsalz hat. Infolgedessen ist das Saalewasser unterhalb Friedeburg so salzig, daß es zu keinem Gebrauch, wenigstens für häusliche Zwecke, mehr zu verwenden ist. Hier ist es nicht mehr erforderlich, Gendarmen am Ufer aufzustellen, oder Zäune zu ziehen, um die Bevölkerung vom Fluß abzuhalten. Von hier ab verbietet sich der Ge- brauch des Wassers von selbst und es ist sehr wahrscheinlich, daß das Verschontbleiben der unterhalb Friedeburg gelegenen Flußstrecke vielmehr diesem Umstände, als dem Absterben der Cholerabakterien zuzuschreiben ist. In den Choleraorten an der Saale wurden überall die im Vorjahr so bewährt ge- fundenen Maßregeln energisch durchgeführt. Die Erkrankten wurden isoliert, ihre An- gehörigen und sonst der Infektion Verdächtige mehrere Tage sorgfältig beobachtet und bei den geringsten Verdauungsstörungen bakteriologisch untersucht, die Abgänge der Kranken, ihre Wäsche und die Krankenräume desinfiziert. Besonders schwierig gestalteten sich die Verhältnisse in Trotha, wo Hals über Kopf für etwa 50 Menschen, die man unmöglich länger in der Arbeiterkaserne zusammen- gepfropft lassen konnte, eine Unterkunft geschaffen werden mußte. Es blieb hier nichts weiter übrig, als das Schulhaus für diesen Zweck herzurichten, was auch in kürzester Frist ausgeführt wurde. Nur die Erkrankten und deren FamiKen blieben in dem Hause. Unter den letzteren kam dann auch nur noch eine Erkrankung bei einem Knaben vor, der sich offenbar gleich zu Anfang infiziert hatte, als er noch bei der Pflege des schwer- erkrankten Vaters in einer engen schmutzigen Kammer behilfhch gewesen war. Unter den übrigen nach dem Schulhaus evakuierten Personen ist kein einziger Cholerafall vorgekommen. Dank den allseitigen und unermüdlichen Anstrengungen, unter denen ganz be- sonders die aufopfernde Tätigkeit des Landrats und des Physikus des Saalekreises her- vorzuheben ist, gelang es überall, die neuenstandenen Choleraherde im Keime zu er- sticken und zu verhüten, daß die Cholera sich von Nietleben aus zunächst an der Saale abwärts und, wie es ohne diese Bemühungen wohl nicht anders zu erwarten war, über weitere Teile der Provinz Sachsen verbreitete. Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. 259 Wenn man sich mit der Nietlebener Cholera-Epidemie zu beschäftigen hat, dann drängt sich unwillkürHch die Frage auf, ob denn dies Unglück, das einer nicht unbe- trächtlichen Zahl von Menschen das Leben gekostet hat, nicht zu verhüten gewesen wäre. Gewiß war es zu verhüten. Es hätte nur Sorge dafür getragen werden müssen, daß die an und für sich zweckmäßigen sanitären Einrichtungen der Anstalt, das Wasser- werk mit den Filtern und die Kanalisation mit den Rieselfeldern, richtig funktionierten. Ich möchte von vornherein Einsprache dagegen erheben, wenn etwa der Versuch gemacht werden sollte, aus dem Versagen der Filter und der Rieselfelder von Nietleben Gründe gegen die Zweckmäßigkeit dieser Einrichtungen im allgemeinen abzuleiten. Wie man in Zukunft über die Wasserfiltration mit Rücksicht auf die letzten Choleraerfahrungen zu urteilen hat, darüber habe ich mich bereits in der Abhandlung über Wasserfiltration und Cholera" ausgesprochen und bezüglich des Rieselverfahrens möchte ich mich dahin äußern, daß ich die Behandlung der 8chmutzwässer durch Berieselung, wenn sie sach- gemäß ausgeführt wird, auch jetzt noch für das beste Reinigungsverfahren halte, welches wir zur Zeit besitzen. Es lag, wie gesagt, nicht an den Einrichtungen selbst, sondern an der fehlerhaften Behandlung derselben, daß sie den auf sie gesetzten Erwartungen nicht entsprochen haben. Also müßten wohl diejenigen, unter deren Leitung und Aufsicht die sanitären Einrichtungen der Anstalt standen, verantwortlich gemacht werden. Ich glaube, daß man auch dazu nicht das Recht hat. Nicht einzelne Personen sind hier zu beschuldigen, sondern die Verhältnisse, unter denen wir uns heutzutage befinden. Man kann doch unmögHch verlangen, daß der ärzthche Direktor einer Irrenanstalt oder der technische Beamte der Regierung neben ihren Spezialkenntnissen auch noch bessere Hygieniker sein sollen, als es manche Professoren der Hygiene sind, denen es auch noch an dem genügenden Verständnis für die feineren Vorgänge beim Filtrations- prozeß in Sandfiltern und im Boden fehlt. Uberhaupt darf in den Anforderungen an die hygienische Verantwortlichkeit der ärztlichen Anstaltsdirektoren nicht zu weit gegangen werden. Es gibt gewisse Kenntnisse, die man sich nicht mit dem gewöhnlichen für praktische Ärzte berechneten hygienischen Studium aneignet und die auch nicht aus Büchern zu erwerben sind, sondern nur durch Spezialstudien und durch die in der Praxis gemachten Erfahrungen erlangt werden. Auf diesem Gebiet hört die Verantwortlichkeit der mit gewöhnlicher hygienischer Vorbildung ausgerüsteten Ärzte auf und ebensowenig wie man einen Anstaltsdirektor dafür zur Verantwortung ziehen wird, daß in seiner An- stalt ein Dampfkessel wegen eines leicht zu erkennenden und zu vermeidenden Fehlers explodiert ist, ebensowenig soll man denselben auch wegen einer Choleraexplosion infolge von Fehlern, die bei der Wasserfiltration und bei der Berieselung gemacht sind, zur Rechenschaft ziehen. Hier gibt es nur ein Auskunftsmittel, auf das ich bereits früher hingewiesen habe und an dieser Stelle nochmals so dringend als möglich befürworten möchte, das ist die staatliche Überwachung derartiger Anlagen durch Spezial-Sachverständige, die mit den einschlägigen Verhältnissen vertraut sind und, mitten in der Praxis stehend, sich die erforderlichen Erfahrungen angeeignet haben. Aber wird sich der Staat hierzu verstehen ? Soweit ich die Verhältnisse zu über- sehen vermag, glaube ich nicht, daß er dies schon bald tun wird. Einmal wird man sich bestimmt dazu entschließen müssen: aber vorläufig hält man die ganze Frage noch nicht für spruchreif. Immer wieder begegnet man in den maßgebenden Kreisen der Ansicht, daß die Gelehrten ja unter sich noch nicht einig seien und daß man deswegen noch damit warten müsse, bestimmte Stellung zu dieser Frage zu nehmen. Von bakteriologischer Seite werde zwar behauptet, daß Cholera und Typhus durch Wasser verbreitet werden könnten, aber von anderer nicht minder autoritativer Seite werde das bestritten, und 62* 260 Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. man wisse ja überhaupt noch nicht, ob die Cholerabakterie^ auch wirkhch die Ursache der Cholera seien, und ob sie verdienten, bei der Bekämpfung der Cholera so berück- sichtigt zu werden, wie von den Bakteriologen angeraten werde. Wie tief derartige An- schauungen eingewurzelt sind, geht am besten daraus hervor, daß vor noch nicht so langer Zeit der Grundsatz aufgestellt wurde, daß die Lehrstühle der Hygiene abwechselnd zu besetzen seien mit einem Hygieniker, welcher zugleich Bakteriologe sei, und mit einem solchen, der der entgegengesetzten Richtung angehöre, das heißt doch wohl, der von Bakteriologie nichts hält. Wer sind denn nun aber die Gelehrten, welche über die Bedeutung der Cholera- bakterien nicht einig sein sollen ? Selbstverständlich können dies doch nur Leute sein, welche sich selbst mit Bakteriologie beschäftigt haben, also die sogenannten Bakterio- logen.. Nun kann ich mit Bestimmtheit behaupten, daß wohl kein namhafter Bakteriologe existiert, welcher nicht die Cholerabakterien als die nächste Ursache der Cholera gelten läßt. Selbst die Münchener Schule, welche am längsten opponiert hat, mußte sich ganz allmählich dazu verstehen, ihm wenigstens die Rolle des X in der bekannten Gleichung mit drei Unbekannten einzuräumen. Der einzige Meinungsunterschied unter den in dieser Frage allein kompetenten Gelehrten besteht noch darin, welche weiteren in und außerhalb des Menschen wirkenden Hilfsmomente und in welchem Umfange solche anzu- nehmen sind. Aber über die eigentliche Hauptfrage sind die Gelehrten vollkommen einig. Diejenigen Gelehrten, welche von den Cholerabakterien nichts wissen wollen, sind also keine Bakteriologen, ihre Gelehrsamkeit wurzelt auf einem anderem Gebiete. Aber sie haben in der Diskussion über die Cholerafrage einen großen Vorteil. Sie machen es näm- lich ebenso, wie andere Leute, die von einer Sache nichts verstehen; sie reden darüber mit einer Bestimmtheit und Sicherheit, welche dem Laien, in diesem Falle also dem Nicht- Bakteriologen, imponieren muß und bisher auch noch immer imponiert hat. Von dem ärztlichen Publikum und von den Behörden, welche mit Choleraangelegenheiten zu tun haben, werden sie deshalb als Autoritäten, als ,, Gelehrte", angesehen, die mit den anderen Gelehrten noch nicht einig geworden sind. Dafür, daß die Nicht-Bakteriologen aufhören würden, in diese Fragen hineinzu- reden und immer vom neuem dem großen Publikum den Sinn zu verwirren, liegen bis jetzt noch keine Anzeichen vor. Wenigstens hat v. Pettenkofer, welcher doch, wie er selbst bei jeder Gelegenheit hervorhebt, sich nicht mit Bakteriologie beschäftigt hat, noch in seiner letzten Publikation sich gegen den jetzt von allen Bakteriologen und selbst von seinen eigenen Schülern^) eingenommenen Standpunkt erklärt und sich mit der bakteriologischen Seite der Cholerafrage mit Scherzen über den ,, Bazillenfang" und über die ,, Unmöglichkeit, den Verkehr pilzdicht zu machen" abgefunden, obwohl er doch recht gut wissen sollte, daß das Prinzip der jetzt zur Anwendung kommenden Choleramaßregeln nicht darin beruht, den Verkehr pilzdicht zu machen. Hoffentlich wird er sich nach den Erfahrungen, welche in der letzten Epidemie mit den von ihm so hartnäckig bekämpften Maßregeln') gemacht sind, schon überzeugt haben, daß dieselben denn doch nicht so schlecht sind, als er sich vorgestellt hat. Wenn v. Pettenkofer trotz alledem auch ferner auf seinem ablehnenden Standpunkt beharren sollte, so würde ich das zwar nicht vom wissenschaftlichen, jedoch ') Emmerich, welcher mit v. Pettenkofer zusammen den bekannten Versuch mit dem Verschlucken von Cholerabakterien machte, hat in einer vor kurzem erschienenen Arbeit die Cholerabakterien ebenfalls als die Ursache der Cholera anerkannt. ^) Ich meine hier selbstverständlich nur diejenigen Maßregeln, welche von ärztlicher Seite angeraten wurden, und nicht diejenigen, welche von einzelnen Behörden in ihrem Übereifer darüber hinaus angeordnet wurden. Über letztere urteile ich ebenso wie v. P e 1 1 e n k o f e r. Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. 261 vom menschlichen Standpunkt begreifen. Es muß ihm, der mit seinen viele Jahre hin- durch mit dem größten Aufwand von Genie und Scharfsinn vertretenen Ansichten verwachsen und mit ihnen alt geworden ist, außerordentlich schwer werden, sich davon, wenigstens teilweise, zu trennen. Aber unbegreiflich ist es mir, daß ein Mann wie Lieb- reich, welcher sich auch nicht mit Bakteriologie beschäftigt hat und wie fast jeder Satz in seinem kürzlich vor der Berliner Medizinischen Gesellschaft gehaltenen Vor- trage beweist, von Bakteriologie tatsächlich nichts versteht, außerdem offenbar auch nicht ein einziges Mal eine Choleradejektion bakteriologisch selbst untersucht hat, es unternehmen kann, über die bakteriologische Choleradiagnostik im besonderen und über die Bakteriologie mit ihren bisherigen Leistungen im allgemeinen den Stab zu brechen. Was soll wohl daraus werden, wenn auf der einen Seite die Gelehrten der Bak- teriologie sich alle erdenkliche Mühe geben, um nachzuweisen, daß filtriertes Wasser auf seine Reinheit bakteriologisch geprüft werden muß, und auf der anderen Seite der Gelehrte Liebreich erklärt: ,,In bezug auf die Wasserfrage hat die Bakteriologie nichts Neues gebracht; gutes Wasser wurde schon früher verlangt; daß fauliges Wasser krank macht, wußten wir lange schon." Heißt das nicht mit aller Gewalt Verwirrung anrichten ? Ich fürchte, daß man, so lange solche Reden geführt werden, an maßgebender Stelle immer wieder sagen wird : Die Gelehrten sind noch nicht einig und es muß vor- läufig alles beim Alten bleiben. Wenn uns dann aber, wie ich ebenfalls fürchte, solche Katastrophen, wie in Hamburg und Nietleben auch in Zukunft nicht erspart bleiben, dann möge man sich auch an diejenigen ,, Gelehrten " halten, welche sich das höchst verantwortliche Amt vindizieren, über Dinge zu reden, von denen sie nichts verstehen. Deutsche Medizinisclie Wochenschrift, 1893, Nr. 26. Die Maßregeln zur Bekämpfung der Cholera/) Auf der 19. Versammhmg der Deutschen Gesellschaft für öffentUche Gesundheitspflege zu Magdeburg (19. — 21. September 1894) stand als letzter Gegenstand der Tagesordnung das im Titel bezeichnete Thema zxix Verhandlung. Referenten waren die Herren Geh.-Rat Dr. v. K e r s c h e n - Steiner (München) und Prof. Dr. G a f f k y (Gießen). Die von beiden Referenten aufgestellten gemeinsamen Schlußsätze lauteten: 1. Die Erfahrungstatsachen über zeitliche, örtliche und persönliche Disposition, sowie über die ImnumitÄten, zeitliche, örtliche und persönhche, verdienen unbeschadet der Bedeutung des Choleravibrio als iinmittelbaren Krankheitserregers auch heute noch volle Beachtung. 2. Den sichersten Schlitz gegen Cholera-Epidemien gewährt die schon in cholerafreien Zeiten auszuführende Assanierung der Städte und Ortschaften, insbesondere deren reichliche Ver- sorgung mit reinem Wasser, sowie entsprechende Beseitigung der Abfallstoffe. 3. Bei drohender Invasion der Cholera ist Vorsorge zu treffen für frühzeitige Erkenntnis der Cholera-Erkrankungen, zuverlässiges Meldewesen, unauffällige Überwachung Zugereister; bei Verdächtigen bakteriologische Untersuchung; Überwachung des See- und Phißschiff- fahrtsverkehrs ; Bereitung von Räumlichkeiten und Transportmitteln für Kranke und Ver- storbene. 4. Beim Auftreten der Cholera: Isoliervmg der Kranken oder Verdächtigen, soweit wie möglich ohne Anwendung von Krankenhauszwang; Desinfektion der Ausscheidungen und der mit letzteren verunreinigten Gegenstände; Evakuation von infizierten schlechten Wohnungen und Flußfahi'zeugen; Schließung von nachweislich infizierten oder infektionsverdächtigen Wasser- entnahmestellen; Heranziehung eines erfahrenen Sachverständigen bei weiterer Verbreitimg der Cholera. 5. Verkehrsbeschränkungen hinsichtlich der Ein- und durchfuhr sind auf das Mindestmaß zurück- zuführen; der Warenverkehr bleibe unbehelligt, beim Personenverkehr beschränke man sich auf eine einfache ärzthche Kontrolle. Nahrungs- und Genußmittel sind hinsichtlich ihrer Provenienz wie andere Waren zu behandeln, hinsichtlich ihrer Qualität aber einer strengen gesundheitspohzeilichen Beaufsichtigung zu unterstellen. Quarantänen sind durch vernünftig eingerichtete Revisionen zu ersetzen. 6. Der Ausdruck ,, Stromverseuchung" bedarf bei seiner enormen verkehrswirtschaftlichen Bedeutung einer Einschränkung dahin, daß vereinzelte Vorkommnisse ferner nicht mehr als Gründe zur Anwendung dieses Wortes angesehen werden. 7. Behufs Ermöglichung menschenwürdiger imd menschenfreundlicher Pflege der Kranken innerhalb wie außerhalb der Krankenhäuser und der Fürsorge für Arme und Hilflose in ge- ordneter Notstandspflege ist auszusprechen, daß bei sachgemäßem reinlichen Verhalten der Verkehr mit cholerakranken Personen ungefährlich ist. 8. Die internationalen Bestrebungen, die Cholera auf ihre Heimat zu Ijeschränken und ihre Versclüeppung zu verhüten, wie sie in den Pariser imd Dresdner Beschlüssen Ausdrvick finden, sind dankbar anzuerkennen und ihr wirksamer Vollzug kräftigst zu fördern. In der Diskussion ergriff Koch das Wort zu folgenden Bemerkungen: ,, Meine Herren! Wenn man sich über die Maßnahmen, welche gegen eine In- fektionskrankheit zu treffen sind, verständigen will, dann muß man von gewissen Grundanschauungen ausgehen. Diese Grundanschauungen sind in erster Linie bestimmt ') Aus Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, 1895, Bd. 27. Verlag von Friedrich Vieweg & Sohn, Braunschweig. Die Älaßregeln zur Bekämpfung dev Cholera. 263 durch unsere Auffassung der ätiologischen Verhältnisse. Über letztere sind wir indessen bis vor wenigen Jahren noch sehr verschiedener Meinung gewesen, und ich glaube, wenn der Ausschuß unseres Vereins vor einigen Jahren Referenten aus Norddeutschland und Süddeutschland berufen hätte, um hier Vorschläge über die Maßregeln zur Bekämpfung der Cholera zu machen, dann wären die Meinungen so weit auseinander gegangen, daß man wohl schwerlich zu irgendeinem Resultate gekommen wäre. Wir haben aber heute gehört, daß die Herren Referenten, sowohl derjenige aus Süddeutschland als derjenige aus Norddeutschland , über diesen wesentlichen Punkt, der uns als Grundlage dienen muß, eines Sinnes sind, und ich möchte diese Tatsache mit Freuden begrüßen; dieselbe erhält dadurch um so höhere Bedeutung, daß auch Herr von P e 1 1 e n k o f e r vor einiger Zeit sich dahin ausgesprochen hat, daß er nunmehr den Cholerabazillus als das X ansieht in seiner bekannten FormuHerung der Ätiologie der Cholera. Ich halte das für eine ganz außerordentlich erfreuliche Tatsache und ich darf wohl behaupten, daß die heutige Versammlung gewissermaßen einen Zeitabschnitt in der Cholerageschichte ausmacht. Der zehnjährige Streit über das Wesen der Cholera hat, glaube ich, damit sein Ende gefunden. Wir sind a 1 s^o alle n u n in e h r darüber einig, daß ein ganz bestimmt charakterisierter Parasit die Ursache der Cholera ist. Wenn ich das so kurzweg sage, dann meine ich damit keineswegs, daß jeder, welcher diesen Parasiten in seinen Mund bringt, oder in seinen Magen, oder selbst in seinen Darm, unter allen Umständen nun sofort einen ganz gleichmäßig beschaffenen schweren Cholerafall bekommen muß. Ich habe das auch niemals behauptet. Yon Anfang an habe ich immer die Anschauung vertreten, daß wir, wenn wir auch die eigentliche Ur- sache kennen, immer noch eine ganze Anzahl von Hilfsur sachen berücksichtigen müssen, die man in der bekannten Weise als örtliche, zeitliche und individuelle Bedin- gungen zu bestimmen versucht hat. Diese müssen dem Parasiten zu Hilfe kommen, damit der Choleraanfall entstehen kann. Auch über diesen Punkt sind wir in Norddeutsch- land mit den Forschern aus Süddeutschland noch nicht ganz einig. Die Meinungen gehen aber darüber auseinander, Avie wir uns diese Hilfsursaclien vorzustellen haben, und in dieser Beziehung — ich muß es zu meinem Bednuern gestehen — wissen wir noch verhältnismäßig wenig. Manches ist uns allerdings bereits bekannt, z. B. daß eine dieser Hilfsursachen die Beziehungen des Menschen zum Wasser sind, ferner daß die Jahreszeiten eine ganz bedeutende Rolle spielen, daß die Verkehrs Verhältnisse, die Im- munität, die Beschaffenheit der Verdauungsorgane eine Rolle spielen. Aber alles das genügt doch noch nicht. Ich habe innner das Gefühl, daß wir nocli vor manchen unge- lösten Fragen stehen, hoffe aber auch, daß, nachdem wir nun den Stieit über die eigent- liche Kardinalfrage beendet haben, wir gemeinschaftlich daran gehen, auch diese dunklen Punkte aufzuhellen. Mag man sich aber die Choleraätiologie so einfach oder so kompliziert vorstellen wie man will, so wird mir doch jeder zugeben, daß es sich da immer um eine Kette von Bedingungen handelt, um eine Kette, die das eine Mal sehr kurz ist, das andere Mal sehr lang sein kann. Wenn es mir nun aber gelingt, aus dieser Kette ein einziges Glied zu lösen, dann muß die Kette, ob sie lang oder kurz ist, jedesmal zerreißen. Hierzu sind wir aber jetzt imstande. Das Ghed der Kette, welches Avir genau als solches kennen, und gegen welches wir auch erfolgreich vorgehen können, ist eben der ( 'holerabazillus. Von den anderen Hilfsursachen wissen wir noch zu wenig, um sie im Kampfe gegen die Cholera praktisch verwerten zu können. Wenn wir sie erst einmal kennen werden, werden wir sie selbstverständlich ebenfalls zu Hilfe nehmen. Vorläufig aber ist es nur dieses eine Glied, welches wir zerbrechen können. Und von dieser Anschauung sind wir 264 Die Maßregeln zur Bekämpfung der Cholera. ausgegangen, um für die jetzige Choleraepidemie, welche sich ja schon im dritten Jahr- gange bewegt, geeignete Maß rege hi zu konstruieren. Ich will durchaus nicht behaupten, daß diese Maßregeln bereits ideale sind; sie sind sicher verbesserungsfähig, sie sind auch schon in dem einen oder anderen Punkte modifiziert, entsprechend den Erfahrungen, welche im Laufe der Zeit gemacht wurden, und dies wird in gleicherweise auch ferner der Fall sein. Wir müssen allerdings immer erst wieder festen Boden unter den Füßen haben, ehe weitere Modifikationen eintreten können. Wir dürfen doch nicht diejenigen Maßregeln, welche uns bisher wirksam zu sein scbeinen, oder die wir als solche bestimmt erkannt haben, auf Grund von ganz un- sicheren Annahmen wieder fallen lassen. Also, wie gesagt, diese Maßnahmen, wie sie jetzt gehandhabt werden, sind durchaus nicht etwa unantastbar, sie werden, sobald es aus Erfahrungsgründen zweckmäßig erscheint, auch noch weiter modifiziert werden können. Aber das glaube ich mit aller Bestimmtheit behaupten zu können, daß die bisher zur Ausführung gelangten Maßnahmen entschieden erfolgreich gewesen sind, und daß sie die Choleraepidemie bei uns, soweit als es eben möglich ist, zurückgehalten haben. Ich würde vor zwei Jahren, obwohl ich persönlich schon diese Meinung hatte, mich doch gehütet haben, das öffentlich auszusprechen; aber wir sind jetzt, wie gesagt, schon im dritten Jahre der Choleraepidemie, und es ist uns bislang ausnahmslos gelungen, die Cholera, wenn wir sie nur frühzeitig fassen konnten, zum Erlöschen zu bringen. Es ist allerdings in einzelnen Fällen zum richtigen Choleraausbruch gekommen; dann sind wir aber stets mit unseren Maßregeln zu spät gekommen, die Choleraepidemie hatte schon Fuß gefaßt, und wir konnten nicht mehr die ersten Fälle unschädlich machen. Solange wir es aber mit ersten Fällen zu tun haben, oder auch selbst noch mit der zweiten oder dritten Generation der Cholerainfektion, glaube ich behaupten zu können, daß unsere Maßregehi absolut sicher wirken. Es stützt sich diese Behauptung nicht etwa auf eine einzelne oder auf ein paar Beobachtungen, sondern auf hundertfältige und namentlich auf die in diesem Jahre gemachten, welche die früheren Erfahrungen vollkommen bestätigt haben. Deutschland war im vorigen Jahre vollständig frei von Cholera geworden; wir gingen auch noch in diesen Sommer hinein, gänzlich ohne ein- heimische Cholera. Dann aber ließ es sich Schritt für Schritt verfolgen, wie sie aus dem Auslande wieder zu uns kam, und zwar hauptsächlich von Rußland her auf den Wasser- wegen, die nicht abgesperrt sind. Auf dem Wasserwege ist sie von der Weichsel ins Odergebiet gekommen, von da ist sie schon in einzelnen Fällen wieder bis zur Elbe vor- gedrungen; doch sind die bisher vorgekommenen Fälle ausnahmslos solche, welche nicht auf vorjährige zu beziehen, sondern vom Auslande eingeschleppt sind. In allen diesen Fällen ist es gelungen, die Krankheit auszutilgen. Ich glaube deswegen, daß diejenigen im Unrecht sind, welche behaupten — eine Behauptung, die im ersten Cholerajahre, vielleicht auch noch im zweiten eine gewisse Berechtigung hatte — , daß auch ohne unsere Maßregeln die Cholera ganz ebenso harm- los verlaufen sein würde, wie das jetzt der Fall gewesen ist. Wie gesagt, für ein Jahr oder auch selbst für ein zweites Jahr, war man zu der Behauptung berechtigt, daß es nur an den günstigen Bedingungen für das Zustandekommen einer Choleraepidemie ge- fehlt habe. Nun befinden wir uns aber schon im dritten Cholerajahr und wir sehen, daß unsere Nachbarländer, die mehr oder weniger unter denselben klimatischen und sonstigen Bedingungen stehen, wie wir, schwer unter der Cholera zu leiden haben, während wir verhältnismäßig frei ausgehen. Da kann doch schließlich jene Erklärung nicht mehr zutreffen; ebensowenig eine andere, die ich in letzter Zeit verschiedentlich gehört habe und die mir ebenso unberechtigt zu sein scheint: daß nämlich die Cholera überhaupt an Intensität verloren habe, es sei gar nicht mehr die eigentliche Cholera, die frühere. Die Maßregeln zur Bekämpfung der Cholera. 265 echte, asiatische Cholera, die so furchtbar auftreten kann. Ja, wer das boliauptet, dem würde ich raten, sich die vor wenigen Wochen in dem Dorfe Niedzwedzen, an der russi- schen Grenze, vorgekommene Epidemie etwas genauer anzusehen. Wir haben da einen solchen Fall erlebt, in dem die f*holera nicht sofort erkannt wurde, sondern unter der irrigen Annahme einer Fischvergiftung erst um sich greifen konnte. Da hat uns die Cholera gezeigt, daß sie in der Tat noch die alte, echte, asiatische Cholera ist. In diesem Dorfe sind über 13 Proz. der Bevölkerung gestorben. A'ergleicht man damit die große Hamburger Epidemie, dann ist dieselbe nur ^/^^ so stark gewesen, wie die in jenem Dorfe. Man sieht also, daß, wenn Avir der Cholera nur einmal freien Lauf lassen — in diesem Falle unbeabsichtigt — , sie noch ganz die alten Gewohnheiten hat. Man kann ferner auf die Zustände jenseits unserer russischen Grenze hinweisen, über welche in der letzten Zeit verschiedentlich Nachrichten zu uns gelangt sind durch Ärzte, welche die von der Cholera ergriffenen russischen Grenzstädte besucht haben. Aus den l^erichten derselben ist zu ersehen, daß auf russischem Gebiet die Cholera genau in derselben furchtbaren Weise haust, wir früher. Es sollen dort in einzelnen Gegenden ganz entsetzliche Zustände herrschen. Nachdem wir nun drei Jahre lang unsere Maßregeln durchgeführt und die Erfolge davon gesehen haben, können wir keine andere Erklärung mehr zulassen, als daß diese Maßregeln in der Tat wirksam sein müssen, und ich glaube um so mehr auf diese Über- zeugung hinweisen zu müssen, als wir doch sicher noch auf einige Cholerajahre zu rechnen haben. Nach früheren Erfahrungen hat die Cholera innner bis zu 10 Jahren gebraucht, elie sie aus Europa wieder verschwunden ist. Ich glaube kaum, daß, so wie die Cholera- verhältnisse jetzt in Rußland liegen, die Epidemie in den nächsten Jahren schon dort beendigt sein wird. Sie wird sich möglicherweise dort noch ein paar Jahre halten, wird vielleicht auch noch auf andere Nachbarländer übergreifen und sich dort auf Jahre einnisten. Deutschland ist wegen seiner zentralen Lage, wenn auch nur irgendein Land in Europa Cholera hat, immer mehr oder weniger der Invasion ausgesetzt. Wir werden also wahrscheinlich noch jahrelang mit der Choleragefahr zu rechnen haben und werden uns ebenso wahrscheinlich noch jahrelang der Maßnahmen, die von Herrn I'rofessor G a f f k y so anschaulich und sachgemäß geschildert sind, dal.^ ich seinen Ausein- andersetzungen nur beistimmen kann, zu bedienen haben. Wenn wir nun imstande sind, uns im Inlande in solcher Weise gegen die Cholera zu schützen, dann kann es uns. wenigstens von unserem ganz rein inländischen Stand- punkte aus, wirklich gleichgültig sein, wie das Ausland sich der Cholera gegenüber verhält, und insbesondere, ob internationale Maßregeln verabredet werden, um die Cholera in ihrem Laufe zurückzuhalten. Es kann uns dies nicht mehr so berühren, wie es früher der Fall war, als man es noch nicht verstand, sich im Inlande gegen die Cholera zu schützen, sondern den Hauptwert darauf legen mußte, daß sie uns überhaupt nicht ins Land ge- schleppt wurde. Wir haben in dieser Beziehung jetzt aber eine vollständig veränderte Auffassung. Wir wissen, daß wir uns gegen die Einschleppung der Cholera doch nicht schützen können, und wir müssen deswegen den ganzen Schwerpunkt unserer Abwehr darauf legen, daß die ins Inland eingeschleppten Fälle sofort unschädlich gemacht werden. Also auf die internationalen Bestrebungen zur Abwehi- der Cholera möchte ich keinen so sehr großen Wert legen, und darum möchte ich mich der These Nr. 8. in welcher die- selben als empfehlenswert bezeichnet sind, nicht anschließen. Die in der These Nr. 8 erwähnte Dresdener Konvention hat sich übrigens mit der Choleraprophylaxe gar nicht beschäftigt; sie hatte es nur zu tun mit der Beseitigung der unnötigen Verkehrsbeschränkungen. Ich glaube, daß sie in dieser Beziehung ihre Aufgabe vollständig erfüllt und etwas Segensreiches zustande gebracht hat. Allein in 266 Die Maßregeln zur Bekämpfung der Cholera. prophylaktischer Beziehung nützt uns die Dresdener Konvention gar nichts und, meiner Meinung nach, ebensowenig die ebenfalls in These 8 erwähnte Pariser Konferenz. Die Pariser Konferenz ging darauf hinaus, gewisse Einfallstore der Cholera zu schüeßen. Man sagte, das liauptsächlichtse Einfallstor sei das Rote Meer; dasselbe müsse durch Quarantäne und sonstige Überwachungsmaß regeln für die Cholera gesperrt werden. Man hat ferner angenommen, der Persische Meerbusen sei ebenso gefährlich, er müsse gerade so behandelt werden, und es sind dementsprechende Beschlüsse gefaßt. Ich glaube nicht, daß wir auf diese Weise vor ferneren Cholerainvasionen geschützt werden. Denn jeder, der sich mit der Cholerageschichte befaßt hat, weiß, daß die allermeisten Cholera- epidemien, d. h. bis jetzt alle, mit Ausnahme einer einzigen, weder durch den Persischen Meerbusen, noch durch das Rote Meer, sondern auf dem Wege durch Zentralasien, gekommen sind, und auch die Epidemie, mit der wir es jetzt zu tun haben, hat diesen Weg genommen. Wenn man also nur das Rote Meer und den Persischen Meerbusen für die Cholera schheßt. so werden wir so gut wie gar keinen Nutzen davon haben. Sie sehen also, wie wenig wir uns auf die bisherigen internationalen Bestrebimgen verlassen können. Ich halte sie aber auch für ganz überflüssig, denn wenn jeder Staat es so machen wollte, wie es das Deutsche Reich während der jetzigen Epidemie getan hat, daß er sich nämhch die Cholera im Inlande vom Halse hält, und daß er lernt, sie im In- lande auszurotten, so würde das auch der allerbeste internationale Schutz sein. Beobachtungen über Erysipel-Impfungen am Menschen.')') Nachdem die neueren Beobachtungen über den Streptococcus weitere Einblicke in die Biologie dieses interessanten Krankheitserregers gegeben hatten, wurden auch die früher bereits von Fehleisen ^) und anderen Autoren ausgeführten Erysipel-Impfun- gen am Menscheil auf Veranlassung des Hrn. Geheimrat Koch einer erneuten Prüfung vanterzogen. Die Auswahl der Fälle und der Gang der Infektionsversuche wurde durch Hrn. Geheimrat Koch selbst bestimmt. Die verwendeten Streptokokkenstämme lieferte ich aus meiner auf Eis konservierten Sammlung. Im Vordergrund des ärztlichen Interesses an diesen Versuchen stand die bisher noch nicht endgültig entschiedene Frage, ob den Erysipel-Impfungen an Karzinom- Kranken ein erheblicher, therapeutischer Wert beizumessen sei. Andererseits gaben die Versuche Gelegenheit zur Entscheidung verschiedener anderer theoretisch und praktisch bedeutsamer Fragen. Eine derselben , die Frage nach der Spezifität des Erysipel - Streptococcus gegenüber den Streptokokken der Eiterung wurde hierbei, wie ich bereits anderweit ausgeführt habe''),im Sinne derUnität'') entschieden. Außerdem Avaren es noch vier Punkte, auf welche sich unsere Beobachtimgen erstreckten: 1. Die individuellen Unterschiede in der Empfänglichkeit bzw. Widerstandsfähig- keit verschiedener Menschen gegenüber demselben Streptococcus. 2. Die Virulenzunterschiede von Streptokokkenstämmen verschiedener Herkunft gegenüber demselben Menschen. 3. Die Frage, ob das Überstehen einer leichten Streptokokkeninfektion eine aktive Immunität gegenüber erneuten Infektionen verleiht. 4. Die Frage, ob durch V o r b e h a n d 1 u n g von Menschen nnt dem von verschie- denen Autoren") bereits zu therapeutischen Zwecken empfohlenen Anti- Strepto- kokkenserum eine passive Immunität gegen künstliche Streptokokkeninfektion ver- liehen werden kann. Ehe ich die Impf versuche selbst an der Hand der betreffenden Krankengeschichten zusammenstelle, muß ich die Versuchsergebnisse einer summarischen Besprechung unter- 1) Avis Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, 1896, Bd. XXIII. — Eingegangen am 6. November 1896. — ^) Zusammen mit J. Petrus chky. (Berichterstatter Petruscliky.) ^) F e h 1 e i s e n, Die Ätiologie des Ery.sipels. Berlin 1883. ^) Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. XXIII, p. 142. Ich sage absichtlich nicht ,,Identitäf', da jeder Stamm seine Eigenart hat. '•) M a r m o r e k, Amiales de l'Institut Pasteur. 189,5. C h a r r i n und Roger, Semaine medicale. 189.5. — A r o n s o n, Berliner klinische Wochenschrift. 1896. 268 Beobachtungen über Erysipel-Impfungen am Menschen. ziehen, da die Ergebnisse selbst den Gang der Versuche nicht unwesenthch beeinfhißten. Die Infektionsversuche wurden entweder als Subkutaninjektionen oder als Kritzel- impfungen ausgeführt. Zu beiden wurden entweder 24 stündige Bouillonkulturen der betreffenden Streptokokken oder Aufschwemmungen gleichalteriger Agarkulturen in je 10 ccm Bouillon verwendet. Zunächst stellte sich bald heraus, daß die für Kaninchen zu höchster Virulenz angezüchteten Streptokokken nicht nur bei karzinomkranken Menschen völlig wirkungslos waren, sondern auch bei einigen anderen Menschen (einem Rheumatiker und mehreren fiebernden Phthisikern) keinerlei — nicht einmal lokale — Infektionserscheinungen hervorriefen, und zwar in Dosen, welche die für Kaninchen sicher tödlichen um das Millionenfache über- t r a f e n. Die Anregung, diese letzteren Kranken mit in die Behandlung zu ziehen, ergab sich daraus, daß eine der geimpften Karzinomkranken, welche gleichzeitig an rheumatischen Beschwerden litt, nach jeder Streptokokkenimpfung einen Rückgang jener Beschwerden spontan angab, was übrigens merkwürdigerweise auch der alsdann mehrfach injizierte Rheumaticus tat. Ich registriere diese Angaben. Weitere Schlüsse aus denselben zu ziehen, liegt mir natürlich fern, da es sich in diesen Fällen auch um Autosuggestion handeln könnte. Bei den bereits spontan dem Streptokokkenfieber verfallenen Phthisikern lag der Gedanke nahe, ob sich durch Einführung dem Menschen weniger gefährlicher Streptokokken in das Unterhautgewebe ein günstiger Einfluß auf die Streptokokkeninfektion der Lunge — etwa durch langsame aktive Immunisierung — erzielen lasse. Ein solcher Einfluß war jedoch auch nicht andeutungsweise zu erkennen. Dieses völüg negative Ergebnis der Impfungen und Subkutaninjektionen am Menschen zeigte sich bei meinen beiden, in früheren Publikationen bereits erwähnten^), für Kanin- chen maximal virulenten Streptokokken ,,0p" und ,,Mx", sowie ebenso bei dem von Marmorek mir übersandten, für Kaninchen ebenso hoch virulenten Streptococcus. Eine Karzinomkranke erhielt bis zu 5 ccm Bouillonkultur meiner Streptokokken sub- kutan ohne ersichtliche Wirkung, während ein Milliontel Kubikzentimeter derselben Kultur genügte, um Kaninchen durch akute Sepsis zu töten. Nach diesen Erfahrungen muß es sehr fraglich erscheinen, ob es überhaupt ein richtiger Gedanke war, mit derartigen Streptokokken, die für den Menschen ganz unschäd- lich sind, die Erzeugung eines Anti- Streptokokkenserums zu versuchen, welches doch gegen die dem Menschen schädlichen Streptokokken ins Feld geführt werden sollte. Sowohl Marmorek als Aronson haben derartige Streptokokken zur Er- zeugung ihres ,, Anti-Streptokokkenserums verwendet, ausgehend von dem Gedanken, höchst virulente Streptokokken an sich in Händen zu haben. Daß es solche V i - r u 1 e n z an sich" nicht gibt, daß dieselbe vielmehr stets für bestimmte Tierspezies gilt, geht aus diesen, wie auch schon aus früheren Versuchen von mir unzweideutig her- vor. Diese ,, r e 1 a t i v e V i r u le n z " ist eine für den Streptococcus besonders cha- rakteristische Eigentümlichkeit ; ein Analogon findet sich namentlich bei den Bakterien der hämorrhagischen Septikämie-). Außer diesen ,, Kaninchen-Streptokokken" wurden zwei Streptokokkenstämme in Versuch gezogen, welche von menschlichen Erysipelerkrankungen stammten. Tier- passagen waren mit diesen Stämmen absichtlich nicht vorgenommen worden; die Auf- bewahrung geschah, falls nicht tägliche Fortpflanzung erfolgte, im Gelatinestich auf Eis. Mit diesen beiden Stämmen war ebenfalls keine pathogene Wirkung durch Impfimg oder Injektion zu erzielen. Schüeßlich fanden sich jedoch zwei weitere Stämme, welche M Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. XXII, p. 485. 2) Voges, Ebenda, Bd. XXIII. Beobachtungen über Erysipel-Impfungen am Menschen. 269 pathogene Wirkvingen bei Verinipfung auf Menschen ausübten. Der eine, Streptococcus ,,Rt", wurde aus Eiter gezüchtet, der mir aus der gynäkologischen Abteilung der Charite geliefert wurde und von einer eitrigen Peritonitis stammte. Mit diesem Streptokokkenstamme ließ sich durch Impfung in die Haut bei verschiedenen Patienten typisches Erysipel erzeugen^). Bei einigen anderen Patienten dagegen blieb die Impfung auch bei häufiger Wiederholung stets wirkungslos (individuelle V^erschiedenheiten der Widerstandsfähigkeit ) . Ein anderer, für Menschen wirksamer vStreptokokkenstamm wurde von einem schweren Kopferysipel gewonnen (aus Eiter der Wunde, von welcher das Erysipel aus- gegangen war). Mit diesem Streptococcus gelang es, bei einer Karzinomkranken durch Kritzelimpfung ein schweres Wandererysipel zu erzeugen (im Primärfall war das Erysipel auf den Kopf beschränkt geblieben). Die mit Erfolg geimpfte Karzinomkranke hatte vorher mehrere Impfungen mit dem zuvor genannten Stamm ,,Rt" erhalten, ohne jede pathogene Wirkung. Anderer- seits wurde auch der zuletzt genannte, von Kopferysipel herrührende Streptokokken- stamm auf mehrere andere Karzinomkranke verimpft, ohne bei diesen eine pathogene Wirkung zu entfalten. Während eine Karzinomkranke (Nr. X) Impfungen mit allen verwendeten Strepto- kokkenstämmen mehrfach o h n e j e d e n E r f o 1 g erhielt, zeigte sich bei einer Lepra- kranken (Nr. XI) nach Impfung mit den beiden letztgenannten Stämmen jedesmal eine kleine Pustel an der Impfstelle, ganz ähnlich wie bei der Vakzination. Die Pustel enthielt jedesmal eine völlige Reinkvdtur von Streptokokken; gleichzeitig trat eine vorübergehende Temperatursteigerung auf; dann vertrocknete die Pustel und der Prozeß war damit abgelaufen. Erysipel trat nach keiner Impfung — dieselben wurden teils an der Brust, teils am Rücken vorgenommen — ein. Daß es sich dennoch nicht etwa um ,, Immunität gegen Erysipel" handelte, ergab sich zur Evidenz daraus, daß die Kranke einige Zeit nach der letzten Impfung ganz spontan ein Erysipel am linken Unterschenkel erwarb, dessen Ursache nicht ganz aufgeklärt werden konnte (wahrscheinlich ging es von einer Kratzwunde aus). Für die Entscheidung der oben unter 3. und 4. aufgeworfenen Fragen, sowie zur Beurteilung des therapeutischen Wertes der Impfungen blieb von vielen Kranken und verschiedenen Streptokokkenstämmen schließlich nur eine Karzinomkranke (Nr. VI) übrig, welche auf Impfvnig mit dem Streptococcus ..Rt" regelmäßig mit einem deutlichen, aber nicht sehr schweren Erysipel reagierte. Ich kann den unten genau verzeichneten Verlauf der Impfungen dahin zusammenfassen, daß die Kranke in Intervallen von 1 bis 2 Wochen im ganzen 1 1 mal an Impferysipel erkrankte. Einigemal haftete die Impfung nicht, wie dies avich in anderen Fällen vorkam, ergab jedoch bei der Wiederholung ein promptes Resultat. In der Schwere des Verlaufes waren wesentliche Unterschiede zwischen den einzelnen Infektionen nicht zu konstatieren. Das Mattigkeitsgefühl war nach den letzten Erysipelen eher größer als nach den ersten, so daß die Kranke schließlich um Aufgabe weiterer Impfungen bat. Es geht hieraus hervor, daß die zehn ersten Impfun- gen eine Immunität, bezw. größere Widerstandsfähigkeit selbst gegen relativ leichte Streptokokkeninfektionen nicht hinterlassen hatten. Dieser Fall bot nun gleichzeitig eine ausgezeichnete Gelegenheit zur Prüfung der ,, Anti-Streptokokkensera" am Menschen, und zwar zu einer viel beweiskräftigeren Prüfung als die therapeutische Verwertung bei einer individuell so verschieden verlaufenden Er- krankung, wie die Streptokokkeninfektion ist. sie ermöglicht. ') Zeitschritt fin' Hygiene und Infektionskrankheiten, Hd. XXI II, p. 142. 270 Beobachtungen über Erysipel-Impfungen am Menschen. Hier konnte das Serum vor der Infektion,, also prophylaktisch angewandt werden, sodaß man nach Maßgabe der bei Diphtherie und Tetanus gewonnenen Erfahrungen hoffen konnte, mit einer viel geringeren Dosis eine Wirkung zu erzielen, als für therapeutische Verwendung erforderlich gewesen wäre. Es wurde also von jedem der zu prüfenden Sera 24 Stunden vor der beabsichtigten Infektion die für die Vorbehandlung relativ erhebüche Dosis von 10 ccm subkutan in- jiziert, 24 Stunden später erfolgte die Infektion mittels Kritzelimpfung (in der Regel an 2 bis 3 Stellen gleichzeitig) ; zeigte diese Impfung nach 24 Stunden kein Ergebnis, so wurde dieselbe sogleich wiederholt. Das Vorkommen des Nichtangehens einzelner Impfungen, welches, wie bereits erwähnt, auch sonst sich ereignete, komplizierte zwar den Gang des Versuches ein wenig, doch mußte man immerhin annehmen, daß die Schutz- mrkung eines wirksamen Serums wenigstens 48 Stunden vorhalten würde, widrigenfalls der therapeutische Wert erst recht problematisch erscheinen mußte. Das Ergebnis war nun kurz gesagt dies, daß weder durch das Marmore k sehe, noch das A r o n s o n sche^), noch durch einige aus meinen eigenen Versuchen gewonnene Serumproben ein Schutz gegen nachfolgende Erysipelinfektion verliehen werden konnte; die Impfungen waren jedesmal entweder sofort oder nach der Wiederholung erfolgreich, und auch aus dem Verlauf der Infektion konnte irgendwelche Hemmung derselben nicht ersehen werden. Hieraus kann wohl mit noch mehr Recht als aus den bereits früher pubHzierten Tierversuchen'-) geschlossen werden, daß die bisher erzeugten ,,Anti- Strepto- kokkensera für therapeutische Zwecke nicht geeignet sind. Zum Schluß ist noch die Frage zu erörtern, welche den Ausgangspunkt dieser ^'ersuche gebildet hatte, nämlich die, ob ein wesentUcher therapeutischer Nutzen gegen- über dem Karzinom durch die Streptokokkenimpfungen gewonnen werde. Auch für die Beurteilung dieser Frage lag der zuletzt besprochene Fall am günstig- sten, da die Erzeugung des Erysipels behebig oft gelang und das Erysipel auch immer wieder dieselben Stellen: die vom Karzinom ergriffenen Teile der rechten Brust und die Nachbarteile befiel, wenn auch der Verlauf jedesmal eine besondere Eigenart zeigte: einmal den Arm, einmal den Rücken mit ergriff usw. Hinsichtlich des wiederholten Gelingens der Infektion bei einer und derselben Person steht der Fall in bestimmtem Gegensatze zu einigen früher von F e h 1 e i s e n beobachteten Fällen, in denen die Wiederholung der Infektion nicht gelang, so daß der Anschein einer erhöhten Widerstandsfähigkeit des infiziert gewesenen Individuums erweckt werden konnte. Das wiederholte Gelingen der Infektion in diesem Falle muß ich nicht zum wenigsten der guten Konservierung der benutztenKul- tur auf Eis zuschreiben. Was nun das Verhalten des Karzinoms, eines ziemlich ausgedehnten, aber noch nicht ulzerierten Rezidivs von früher operiertem Mamma-Karzinom betrifft, so ist ent- schieden zu konstatieren, daß irgendwelcher äußerlich sichtbare Fort- schritt der Erkrankung innerhalb der Wochen, in denen die Impfungen ausgeführt wurden, nicht beobachtet werden könnte. Im Gegenteil war zweifellos festzustellen, daß sämtliche fühlbaren Knoten flacher und etwas weicher wurden, als sie zu Anfang gewesen waren ; völlig verschwunden ist jedoch kein ein- ziger der vorhandenen Karzinom knoten trotz des 1 1 mahgen Uber- stehens von Erysipel, und der Kräftezustand der Patientin ist im ganzen ent- schieden zurückgegangen, sowohl was das Körpergewicht, als auch das Von diesem konnte ich bisher nur eine längere Zeit aufbewahrte, also nach A r o n s o n s eigener Angabe minderwertige Probe erhalten. 2) Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. XXII, p. 485. Beobachtungen über Erysipel-Impfungen am Menschen. 271 subjektive Kraftgefülil anlangt. Als ein therapeutisch besonders wertvolles Ergebnis kann selbst in diesem augenscheinlich so günstig wie möglich für die therapeutische Anwendung der Erysipel-Impfung hegenden Fall leider nicht konstatiert werden. Immerhin ist es nur ein einzelner Fall, bei dessen Verwertung es unrichtig wäre, zu weit- gehende allgemeine Schlüsse zu ziehen. Indessen stimmt das nicht besonders ermutigende Ergebnis mit den von den bisherigen Beobachtern gewonnenen überein. Ergebnisse. 1. Die durch Kaninchenpassagen zu maximaler Virulenz für diese Tiere ange- züchteten Streptokokken sind gegenüber dem Menschen selbst in großen Dosen un- wirksam. 2. Die von menschlichem Erysipel gewonnenen Streptokokken sind nicht immer geeignet, bei anderen Menschen wieder Erysipel zu erzeugen. 3. Erysipel beim Menschen kann durch kutane Verimpf ung auch solcher Strepto- kokken erzeugt werden, die von reinen Eiterungsprozessen (z. B. Peritonitis) stammen. 4. Verschiedene Menschen verhalten sich gegenüber demselben Streptococcus durchaus verschieden. Welcher Streptococcus für einen bestimmten Menschen zur Erzeugung von Erysipel geeignet ist, muß durch Versuch in jedem Einzelfalle festge- stellt werden. 5. Eine aktive Immunität gegen Streptokokkeninfektion wird durch melurfaches Überstehen leichter Erysipele nicht erworben. 6. Eine passive Immunität durch Vorbehandlung mit den bisher bekannten An ti- Streptokokkenserumproben zu übertragen ist nicht möghch gewesen. 7. Ein therapeutischer Einfluß mehrfacher Streptokokkeninfektionen auf den Verlauf des Karzinoms kann nicht geleugnet werden, doch ist derselbe im Verhältnis zu dem eintretenden Rückgang der Körperkräfte zu gering, um eine völlige Heilung eines Karzinoms durch Erysipelimpfungen hoffen zu lassen. Krankengeschichten. Nr. I. Frau Z., 58 Jahre alt. Carcinoma orbitae sin. Temperatur, mit Ausnahme kleiner spontaner Schwankungen, normal. 18. /XII. 1895. 0,1 ccm Strept. „Op"i) subkutan. (24 stündige Bouillonkultur.) Temperatur- maximum 37,8, keine Lokalerscheinungen an der Injektionsstelle. 21./XII. 0,2 ccm „Op" subkutan. Temperatm- normal, keine Lokalerscheinungen. 26./XII. 0,5 ccm ,,0p" subkutan. Keine Temperatursteigerung, keine Lokalerscheinungen. 28./XII. 1895. 1,0 ccm „Op" subkutan. 30./XII. 1895. 2,0 „ 2./I. 1896. 5,0 „ 5./I. 1896. 5,0 „ (Agarkultvu- aufgeschwemmt mit 10 ccm Bouillon.) 11. /I. 0,5 ccm Agarkiütm* ,,Mx", aixf geschwemmt nüt 10 ccm Bouillon. Steigerung, keine Lokalerscheinungen. Keine Temperatursteigerung, keine Lokal erscheinungen. Keine Temperatiu?- ^) Die Streptokokkenstämme „Op" und „Mx" sind für Kaninchen maximal virulent. 272 Beobachtungen über Erysipel-Impfungen am Menschen. 13. /I. 1,0 com desselben Streptococcus. Keine Teniperatiu'steigerung, lokal geringe Infiltration. 18. /I. 1,0 ccm desselben Streptococcus. Keine Temperatursteigerung, keine Lokalerschei- nungen. 20. /I. 0,1 ccm eines Streptococcus von menschlichem Erysipel. Keine Temperatursteigerung, keine Lokalerscheinungen. 22. /I. 0,2 ccm desselben Streptococcus. Keine Temperatursteigerung, keine Lokalerschei- nungen. Patientin bittet um Aufgabe weiterer Injektionen. Das Karzinom schreitet miter progressivem Gewebszerfall langsam fort. Die putride Zersetzung wird diirch Behandlung mit Pyoctanin gehemmt. Die Kranke, welche lange Zeit hindurch große Dosen Morphium erhält, verweigert schließlich jede Nahrung. 15. /III. 1896. Exitus letalis an Marasmus. Die Obduktion ergibt keine septische Infektion, wdewohl die Orbitalwand in erheblicher Ausdehnung zerstört war und die harte Hirnhaut freilag. Nr. II. Frau Sch., ö2 .Jahre alt. Carcinoma uteri. Temperatur unregelmäßig fieberhaft. 10. /I. 1896. 0,1 ccm Strept. ,,0p" (Agarkultur mit 10 ccm Botüllon aufgeschwennnt.) 18. /I. 1896. 0,1 ccm desselben Streptococcus. 27. /I. 1896. 0,1 ccm desselben Streptococcus. 17. /II. 1896. 0,1 ccm desselben Streptococcus. 26. /II. 1896. 0,1 ccm eines Streptococcus von Erysipel. 13. /III. 1896. 0,1 ccm Streptococcus Marmorek. Die Injektionen riefen niemals lokale Erscheinungen an der Injektionsstelle hervor. Die sehr imregelmäßigen Steigerungen der Temperatur fielen ziun Teil mit den Injektionen zusammen, zum Teil nicht, so daß ein Zusammenhang zwischen beiden nicht behauptet werden kann. Patientin, bei welcher sich schließlich völliger Darmverschluß durch Tvmiorendruck einstellte, \A'urde behufs Anlegung eines Anus praeternaturalis nach der chirvirgischen Station verlegt. Nr. III. Pr. (Maiu-er), 49 .Tahre alt. Rheumatismus chronicus. Temperatvir normal. 7./I. 1896. 0,1 ccm ,,0ii" (Agarkult\ir mit 10 ccm Bouillon aufgeschwemmt). Keine Temperatur- steigerung, leichte Rötung der Injektionsstelle. 10. /I. 0,5 ccm Strept. ,,Op" (Agarkultur in 10 ccm Bouillon aufgeschwemmt). Keine. Tem- peratursteigerung, leichte Rötung der Injektionsstelle. 12. /I. 0,5 ccm Strept. ,,Mx" (Agarkultur in 10 ccm Bouillon aufgeschwemmt). Keine Tem- peratursteigerung, keine Lokalerscheinungen. 15. /I. 1,0 ccm Strept. ,,Mx" (wie oben). 22. /I. 2,0 ccm Strept. ,,Mx'" Temperaturmaximum 37,4, mäßige Rötung und Infiltration der Injektionsstelle. 26. /II. 0,1 ccm eines Streptococcus von menschlichem Erysipel. Keine Lokalerscheinungen, keine Temperatursteigerung. l./III. 0,1 ccm Strept. Marmorek. Keine Lokalerscheinungen, keine Temperatursteigerung. Patient kehrt von einem ihm gewährten Urlaub nicht wieder in die Krankenanstalt zurück. Nr. IV. Margarethe K., 15 .Jahre alt. Tuberculosis pulmonum progi-essa septica. Unregelmäßig fieberhafte, großzackige Temperaturkurve (Maximum um 39). Im Sputum Tuberkelbazillen, Influenzabakterien imd Streptokokken. 26. /XII. 1895. 0,1 ccm Strept. „Op". Keine Lokalerscheinungen, kein Einfluß auf die Tem- peratur oder das Allgemeinbefinden. 28./XII. 1895. 0,2 ccm Strept. „Op" 30./XII. 1895. 0,5 „ Keine Lokalerscheinungen, kein Einfluß auf 2./I. 1896. 1,0 „ Temperatur imd Krankheitsverlauf. 5./I. 1896. 2,0 „ lO./I. 1896. 5,0 „ Nr. V. Frau S., 35 Jahre alt. Tuberculosis inilm. progressa septica. Im Sputum Tuberkelbazillen und Streptokokken. Um'egelmäßig fieberhafte, zackige Temperaturkurve (Maximum imi 38,5). 27./XII. 1895. 0,1 ccm Strept. ,,Op" ^ 29./XII. 1895. 0,2 „ ,, „ I Keine Lokalerscheinungen, kein Einfluß auf 31./XII. 1895. 0,5 „ „ „ I Temperatur und Krankheitsverlauf. 2./I. 1896. 1,0 „ „ „ J Beobachtungen über Erysipel- Impfungen am Menschen. 273 Nr. VI. Auguste Kr., 64 .Jahre a 1 1. Inoperables Rezidiv eines vor 2 .Jahren operierten, rechtssei- tigen Mammakarzinoms. Harte Infiltration der Narbe, Knötchen verschiedener Größe in der Umgebung. Keine Ulzeration. 9. /VI. 1896. S c h n i 1 1 i m p f u n g m i t S t r e p t. ,,R t" ^) i n d e r N a c h b a r s c Ii a f t der erkrankten Stelle. — N i c h t a n g e g a n g e n. 16. /VI. K r i t z e 1 i m i:> f u n g mit S t r e p t. „R t". Bereits abends Tempe- ratursteigerung bis 37,8". 17. /VI. Typisches Erysipel, welches von der Impfstelle (rechter Rand des Brustbeins) über die erkrankten H a u t p a r t i e n hinweg nach dem Rücken wandert. T e m p e r a t u r m a x i m u m. 38,7. 18. /VI. Ein neuer Bezirk des Rückens ist vom E r y s i e 1 ergriffen. T e m p e r a t u r m a X i m u m 38, 1". 19. /VI. Erysipel im Abblassen. T e m p e r a t u r m a x i m u m 37,3". Vom 20. bis 23. /VI. Temperatur dauernd unter 37,0". 23. /VI. II. K r i t z e 1 i m p f u n g mit demselben Streptococcus. Viertägiges Erysipel, welches wiederum über die erkrankten H a u t p a r t i e n und über den Rücken bis zur Wirbelsäule, sowie durch die Achselhöhle auf den rechten Oberarm und von da bis über den Ellbogen h i n a u s w a n - d e r t. T e m p e r a t u r m a X i m u m 39,4". 27. /VI. Abblasen des Erysipels und Rückgang der Temperatur. ' 3. /VII. III. Kritzelimpfung mit demselben Steptococcus ohne Erfolg. 10. /VII. IV. Kritzelimpfung mit demselben Streptococcus. Zwei- tägiges Erysipel, welches über den rechten Arm bis zum Handgelenk wandert. T e m p e r a t u r m a x i m u m 39,1". 13. /VII. Temperatur normal. 14. /VII. Kleiner Nachschub des Erysipels auf dem Rücken. 17. /VII. V. K r i t z e 1 i m p f u n g mit demselben Streptococcus. Drei- tägiges Erysipel von der Impfstelle nach dem Abdomen zu. T e m p e - ratiirmaximum 38,1". 24. /VII. VI. K r i t z e 1 i m p f u n g mit d e m s e 1 )i e n Streptococcus. Drei- tägiges Erysipel über Brust \i n d Rücken. T e m p e r a t u r m a x i m u m 38,8". 4. /VIII. 10 ccm ,,A n t i - S t r e p t o k o k k e n s e r 11 m M a r m o r e k" s u b k u t a n (Infiltration der I n j e k t i o n s s t e 1 1 e). 5. /VIII. VII. K r i t z e 1 i m p f u n g mit S t r e t o c o c c u s ,,R f. Dreitägiges k r ä f t i g e s E r y s i p e 1 ü b e r B r u s t 11 n d R ü c k e n. T e m p e r a t u r in a x i m u m 39,6". 18. /VIII. VIII. K r i t z e 1 i m p f u n g mit demselben Streptococcus. Drei- tägiges Erysipel über Brust und Rücken. T e ni p e r a t ii r ni a x i m u m 38,8°. 26. /VIII. 10 ccm ,,A n t i - S t r e p t o k o k k e n s e r u m A r o n s o n" (Schering). 27. /VIII. IX. K r i t z e 1 i m p f u n g m i t Streptococcus ,,R f. 28. /VIII. I m 13 f u n g nicht angegangen. X. K r i t z e 1 i m p f u n g mit d e lu - s e 1 b e 11 S t r e p t o c o c c u s. Dreitägiges Erysipel ü b e r B r u s t u n d R ü c k e u. T e m p e r a t u r maxi m u m 38,4" am 30. /VIII. m o r g e n s 6 U Ii r (n a c h t s w a h r s c h e i n- 1 i c h noch höhere T e in p e r a t ii r s t e i g e r u n g). 7. /IX. 10 ccm P f e r d e s e r u m R. I (konserviertes Präparat von einem mit Streptokokken von mir selbst vorbehandelten Pferde). 8. /IX. XI. K r i t z e 1 i m p f u n g m i t S t r e p t o c o c c u s ,,R t". Zweitägiges E r y s i p e 1 ü b e r Brust und R ü c k e n. T e m i5 e r a t u r ni a x i ni u ni 38,0". 16. /IX. 10 ccm S e r u 111 B. V (unkonserviertes, frisches P r ä p a r a t v o n einem v o r b e h a n d e 1 1 e n Pferde). 17. /IX. XII. K r i t z e 1 i m p f u n g mit Streptococcus ,,R t". Dreitägiges E r y s i ]3 e 1 über Brust und R ü c k e n. T e m p e r a t u r m a x i m u m 38,3". 30. /IX. 5 c c m S e r u ni von eine m K o n z e n t r a t i o n s v e r s u c h. 1. /X. XIII. K r i t z e 1 i 111 p f 11 n g mit Streptococcus ,,R t". 2. /X. I m p f u n g n i c h t a n g e g a n g e n. XIV. K r i t z e 1 i iii p f u n g m i t dem- selben Streptococcus. Fünftägiges E r y s i p e 1 ü Ii e r B r u s t u n d R ü c k e n. T e m p e r a t u r m a X i in ii m 39,5". ^) Derselbe stammt von einem Falle eitriger Peritonitis. Koch, Gesammelte Werke. 63 274 Beobachtungen über Erysipel-Impfungen am Menschen. Die Kranke, welche sich nach Überstehen des letzten Erysipels sehr schwach fühlt, bittet um Axissetzen weiterer Impfversuche. Die Karzino m k noten sind durchweg flacher geworden und füh- len sich weicher an als zuvor; verschwunden ist jedoch keiner derselben. Ein Fortschritt des Karzinoms ist an keiner Stelle zu konstatieren. Nr. VII. Frau L., 42 Jahre alt. Inoperables, doppelseitiges Mammakarzinom mit weit- gehender Ulzeration und infiltrierten Rändern. (,;Carcinome en curasse".) Unter der zuerst eingeleiteten Behandlung (Lysolverband und Toxininjektionen) trat zu- nächst Reinigung der ulzerierten Partien und teilweise Überhäutung derselben vom Rande her ein. Dann schien dieser Besserungsprozeß stillzustehen, und einige neue Knötchen in der Umgebung der Geschwulstmasse traten auf, daher wurde zur Erysipelimpfung geschritten. 26. /VI. 1896. I. Kritzelimpfung mit Streptococciis „Rt". Ohne Erfolg. 3. /^^II. II. Kritzelimpfung mit demselben Streptococcus. 4. /VII. Erysipel am oberen Rande des Karzinoms beginnend, über den Hals hinziehend. Temperaturmaximimi 39,8". 5. /VII. Das Erysipel schreitet schnell über beide Oberarme und geht dann sprungweise auch auf die Unterarme weiter. Temperaturmaxtmum 39,4?. 6. /VII. Erysipel begiimt abzublassen. Temperaturmaximum 37,6°. In den folgenden Tagen ist die Temperatur normal, abgesehen von geringen Steigerungen an einzelnen Tagen (Maximmn 37,7"). In den ulzerierten Partien bilden sich Eiterherde, welche Streptokokken und zum Teil auch den Pyocyaneus enthalten (trotz regelmäßigen Verbandes mit Lysol oder Liq. alumin. acetic). 22. /VII. dis 31. /VII. Temperatur dauernd unter 37,0°, dann wieder vereinzelte Steigerungen. Der Kräftezust-and der Patientin geht sehr zurück; sie nimmt zuletzt keine Nahrung mehr. 5. /VIII. Exitus letalis. Die karzinomatösen Stellen sind zum Teil durch Eiterung zerfallen, zum Teil aber noch völUg hart infiltriert. In der Leber zwei große und mehrere kleinere metastatische Karzinomknoten. Nr. VIII. Frau M., 55 Jahre alt. Vaginales Rezidiv eines vor einem Jahre operierten Cervix- Karzinoms. Dasselbe ist von gynäkologischer Seite für inoperabel erklärt. Die Erysipelimpfungen werden der Patientin vorgeschlagen, mn bei der Aussichtslosigkeit anderer Behandlungsmethoden den Versuch zu machen, durch die mit dem Auftreten von Erysipel- verbundenen Toxin-Resorptionen einen heilsamen Einfluß auf das Karzinom zu erzielen. Es gelang jedoch nicht, mit den angewandten Kulturen Erysipel bei der Kranken zu erzeugen. 25./VII. 1896. I. Kritzelimpfung mit Streptokokkus „Rt". Ohne Erfolg. 8./VIIL 1896. II. 13./VIII. 1896. III. 18.A'ni. 1896. „ „ „ „PP'M „ 24./VIII. 1896. „ „ „ „Pf"2) Patientin verweigert alsdann die Ausführung weiterer Impfungen. Das Karzinom geht auf die Blase über, es tritt akute Cystitis und Nephritis auf. 27. /IX. Exitus letaUs. Nr. IX. Frau T., 67 Jahre alt. Carcinoma uteri inoperaliile. Die Erysipelimpfungen werden in gleichem Sinne wie bei der vorigen Patientin vorgeschlagen. 8. /VIII. 1896. I. Kritzelimpfung mit Streptococcus ,,Rt". Ohne Erfolg. 13./VIII. 1896. II. 18./VIII. 1896. „ „ „ „PI" 22./VIII. 1896. „ „ „ „Pf" 29. /VIII. 1896. „ ,, ,, ,,Mk"ä) an der hnken Thoraxseite. 30. /VIII. 1896. Keine Lokalerscheinungen; keine Temperatursteigerung. 31. /VIII. 1896. Beginnendes Erysipel. Temperaturmaximum 38,4". l./IX. 1896. Erysipelstreifen bis zum linken Angulus scapulae. Temperaturmaximum 39,1°. In den folgenden Tagen entwickelt sich ein regelrechtes Erysipelas migrans, welches nach oben bis zum Nacken vorgeht, den Kopf aber frei läßt, nach unten jedoch allmählich auf den ganzen Rumpf und die Oberschenkel übergreift. 8./IX. Höchste Temperatur mit 40,2». ^) Von Febris pueriDeraUs stammend ^) Ebenfalls von Febris puerperalis stammend. Von einem Falle schweren Kopf-Erysipels stammend. Beobachtungen über Erysipel-Impfungen am Menschen. 275 In den folgenden Tagen geht dev Kraft ezustand sehr zurück, l'atientin ist zeitweise benommen und nimmt keine Nahrung. Wiederholte Kampherätherinjektionen. 12. /IX. Exitus letalis. Bei der Obduktion zeigt sich, daß der größte Teil des ausgedehnten l'teruskarzinoms in weichen bröckeligen Detritus verwandelt ist. Nr. X. Frau O., 43 Jahre alt. Karzinomrezidiv nach Exstirpation des Uterus (von gynä- kologischer Seite für inoperabel erklärt). Die Erysipelimpfungen werden in demselben Sinne vorgeschlagen, wie bei den beiden vorher- gehenden Fällen. 2. /VIII. 1896. I. Kritzelimpfung mit Streptococcus ,,Et". Ohne Erfolg. 5./VIII. 1896. II. .5. /IX. 1896. Kritzelimpfung mit Streptococcus ,,Et". Gleichzeitig Injektion von 0,1 ccm eines Streptokokkentoxins. Ohne Erfolg. 9. /IX. 1896. KritzeUmpfinig mit Streptococcus ,,Et". Gleichzeitig Injektion von 0,5 ccm desselben Toxins. Ohne Erfolg. 16. /IX. 1896. KritzeUmpfung mit Streptococcus M.-T.^) 17. /IX. 1896. Lokale Botimg der Impfstelle. Temperatur normal. 18. /IX. 1896. Bildung eines kleinen Schorfs an der Impfstelle. Temperaturmaximima 37,6". 19. /IX. 1896. Keine Andeutung von Erysipel. Temj^eratur dauernd normal. Weitere Impfun- gen werden nicht gemacht. 27. /IX. 1896. Patientin hat während des Aufenthaltes in der Krankenanstalt um 7,70 kg zugenommen und wird auf ihren Wunsch entlassen. Nr. XI. Katharina M., 20 Jahre alt. Lepra tuberosa. Die Erysipelimpfung wird vorgeschlagen auf Grund der Berichte verschiedener Autoren, welche angaben, einen günstigen Einfluß spontaner Erysipele auf den Verlauf der Lepra gesehen zu haben. 29. /VIII. 1896. I. KritzeUmpfung mit Streptococcus ,,Mk". 30. /VIII. 1896. Temperatursteigerung bis 38,8°. An der Impfstelle entwickelt sich innerhalb 2 Tagen eine kleine Pustel, welche äußerlich den Vakzinepusteln außerordentlich ähnlich sieht. Ihr serös-eitriger Inhalt enthält eine Eeinkultur von Streptokokken. Die Temperatursteigerung hält 4 Tage an; inzwischen verschorft die Pustel, und der Schorf wird hernach abgestoßen, ohne eine erhebliche Narbe zurückzulassen. 5./IX. II. Kritzelimpfung mit Streptococcus ,,ilk". Ohne Erfolg. 7. /IX. III. ,, ,, ,, ,, Darauf fünftägige Temperaturstei- gerung (Maxinmm 39,6°) und Pustelbildung wie bei der ersten Impfung. Keine Andeutamg von Ery- sipel, kavmi Eandrötung um die Pustel heruna. 19. /IX. IV. Kritzelimpfimg mit Streptococcus ,,Mk". Ohne Erfolg. Die Impfungen wurden sämtlich an der Brust oder am Kücken vorgenommen. 13./IX. bis 23./IX. Temperatur normal. 24. /IX. Unter spontaner Temperatursteigerung entwickelt sich ein Erysipel am linken Bein, welches von einem anscheinend durch Kratzen entstandenen Haiitdefekt am Knie ausgeht und liber Unterschenkel und Fuß Vinter erheblicher Schwelhmg der betroffenen Teile hinwegzieht. Temperatur- maximum am 3. Tage der Erkraiikung 40,2°. Dauer des Erysipels 7 Tage. Weitere Impfungen wurden nicht vorgenommen. Zum Schluß sei noch speziell hervorgehoben, daß die EiuAvilligung zur Erysipel- impfung von allen Patienten ausdrücklich eingeholt wurde. ^) Von einem Fall von Erysipel nüt Phlegmone stammend. 2) Von dem schweren Erysipel des unter Nr. IX aufgefvdirten Falles gezüchtet. 14./VIII. 1896. 29./VIII. 1896, 2./IX. 1896, I. II. an 3 Stellen. Ohne Erfolg. 63* Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen.') (Rede, gehalten zvu- Feier des Stiftungstages der Militärärztlichen Bildungsanstalten am 2. August 1888.) Von Dr. R. Koch, o. ö. Professor, Geh. Med. -Rat, Direktor des Hygienischen Instituts der Universität Berlin. Hochgeehrte Versammlung! Die heutige Feier gilt dem Tage, an welchem die militärärztlichen Bildungsan- stalten auf eine dreiundneunzigjährige Vergangenheit zurückblicken. Eine in jeder Be- ziehung ereignisreiche Zeit, für die medizinische Wissenschaft aber besonders von so großer Bedeutung, wie keine andere je zuvor. Unsere Wissenschaft hat sowohl an Umfang als an Tiefe so zugenommen, sie hat in ihrem ganzen Wesen so weitgehende Veränderungen erfahren, daß ein Zeitgenosse der Gründung dieser Anstalten sie kaum wieder zu er- kennen vermöchte. Es ist daher keine leichte Aufgabe für diejenigen gewesen, denen die Leitung der Anstalten anvertraut war, diesem rapiden Entwicklungsgange der Wissenschaft mit den Einrichtungen der Anstalten zu folgen und der von Anfang an gestellten Aufgabe gerecht zu werden, welche dahin ging, Militärärzte auszubilden, die imstande sein sollten, die Heilkunde nach allen Richtungen hin zum Nutzen der Armee auszuüben. Dank der nie ermüdenden Fürsorge und Opferwilligkeit aller dabei Beteiligten ist die Aufgabe im vollen Maße gelöst und es hat den Zöglingen dieser Anstalten niemals an Gelegenheit gefehlt, das für ihren zukünftigen Beruf erforderliche Wissen sich an- zueignen. Neben der im Anfange prädominierenden Chirurgie und Anatomie nahmen im Laufe der Zeit andere Disziplinen eine ihrer Bedeutung entsprechende Stellung ein; später selbständig werdende Fächer wurden in den Lehrplan aufgenommen, und so hat denn auch der jüngste Sproß der medizinischen Wissenschaft, die Hygiene, sofort nach Errichtung des hygienischen Instituts einen Platz neben den bisherigen Unter- richtsgegenständen erhalten. Da der Hygiene heute zum ersten Male die Ehre zuteil wird, an dieser Stelle ver- treten zu sein, so sei es mir gestattet, die Bedeutung dieses Faches für die Aufgaben, welche dem Militärarzte zufallen, an einer der wichtigsten derselben, an der Bekämpfupg der Infektionskrankheiten, zu zeigen. Es ist dies ein Gegenstand, dessen Besprechung auch aus dem Grunde sich empfiehlt, weil unsere Anschauungen über die Infektions- krankheiten und die gegen dieselben anzuwendenden Mittel in den letzten Jahrzehnten so wesentliche Änderungen erfahren haben, daß es nicht unerwünscht sein dürfte, einen Überblick über den augenblicklichen Stand dieser Frage zu erhalten. ') Berlin 1888. Verlag von August Hirschwald. Die Bekämpfung der Iiitekti(inski'ankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen. 277 Hygienische Maßregeln können für eine Armee in mancher Beziehung von großem Nutzen sein. Ich erinnere nur an die Bedeutung, welche die richtige Ernährung des Soldaten hat und an die Rolle, welche eine zweckmäßige Bekleidung für denselben spielt; letztere kann beispielsweise so weit gehen, daß nach dem Zeugnis eines militärischen Schiiftstellers im Beginn des letzten Krieges infolge von unzweckmäßiger Fußbekleidung etwa 30 000 Mann, also so viel wie ein Armeekorps beträgt, fußkrank und außerstande war, an den ersten Kämpfen teilzunehmen. Aber in diesen, wie in anderen dahin gehörenden Verhältnissen tritt die Hygiene doch nur als eine Helferin auf, deren wohlmeinende Ratschläge recht nützHch, aber nicht gerade unentbehrlich sind. Der Mensch gewöhnt sich an manches, was nicht voll- kommen der Hygiene entspricht; er erträgt eine Nahrung, wenn sie auch nicht immer nach physiologischen Grundsätzen abgemessen ist, vorausgesetzt, daß sie nur nicht gerade mit einem Defizit abschheßt; er kann ebenso in unhygienischen Wohnräumen eine Zeitlang ausdauern, und es sind von unseren Truppen glänzende Siege erfochten, auch ehe sie mit einer hygienischen Fußbekleidung versehen waren. Es hängt dies zum Teil davon ab, daß der einzelne Mann meistens imstande ist, sich selbst über derartige Hindernisse, sobald sie sich störend bemerkbar machen, hinwegzuhelfen. Der Soldat ergänzt die Lücken, welche die vorschriftsmäßige Verpflegung in seiner Ernährung läßt, in irgendeiner Weise und trifft dabei instinktmäßig wohl immer das Richtige; er verbessert im Kriege die mangelhaften Unterkunftsräume, die unzweckmäßige Be- kleidung, so gut es eben geht. Aber einer Gefahr, welche die Gesundheit der Armee bedroht, steht sowohl die Gesamtheit, wie der einzelne rat- und hilflos gegenüber, das sind die Infektionskrank- heiten, die Heeresseuchen. Schon im Frieden schleichen sie umher und zehren am Mark der Armee, aber wenn die Kriegsfackel lodert, dann kriechen sie hervor aus ihren Schlupfwinkeln, er- heben das Haupt zu gewaltiger Höhe und vernichten alles, was ihnen im Wege steht. Stolze Armeen sind schon oft durch Seuchen deznniert, selbst vernichtet ; Kriege und damit das Geschick der Völker sind durch sie entschieden. Dieser Gefahr gegenüber gibt es nur einen Schutz, das ist der, den die Hygiene verschafft. Hier ist sie berufen nicht nur helfend, sondern unter Umständen geradezu rettend einzutreten. In welchem Umfange eine Armee durch Infektionskrankheiten bedroht werden kann und was hygienische Maßregeln zu ihrem Schutze zu leisten imstande sind, das mögen einige Beispiele zeigen. Die preußische Armee hatte in der Periode von 18(17 — 72 während des Friedens eine durch Krankheiten bedingte Mortalität von 5,7 pro mille; davon kamen 3,50 promille, also fast zwei Drittel auf Infektionskrankheiten, nämlich auf Abdominaltyphus, Ruhr, Lungenentzündung und Tuberkulose. Während des Krieges stieg die Zahl der an Krank- heiten Gestorbenen aber auf 18,6 pro mille mit 16,5 pro mille der an Infektionskrank- heiten Gestorbenen. Allerdings haben in diesem Kriege die Infektionskrankheiten bei weitem nicht so gewütet, wie es in früheren Kriegen der Fall war; denn die Zahl der an Krankheiten Gestorbenen betrug weniger als die Hälfte der an Verletzungen durch Waffen Erlegenen. Es lag das teils an den besseren sanitären Maßnahmen, teils aber auch daran, daß die gefährlichsten Kriegsseuchen, der Flecktyphus und die Cholera dem Kriegsschauplatze fern blieben, was wohl nur einem glücklichen Zufalle zu danken ist. In früheren Kriegen rechnete man durchschnittlich einen sechsmal so großen Verlust durch Krankheiten als durch Waffen und hauptsächlich waren es Flecktyphus und Ruhr, welche so viele ausgesucht kräftige Menschenleben, die Blüte der Nation. 278 Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen. vernichteten. Als Napoleon der Erste mit mehr als einer halben Million siegesgewohnter und gegen die Strapazen des Kriegs abgehärterter Soldaten nach Rußland zog, da schien es fast undenkbar, daß diese Armee unterliegen könnte. Aber schon beim Ausmarsch drängte sich in ihre Reihen, wie ein unheimliches Gespenst, der Kriegstyphus, der nie fehlende Begleiter der Napoleonischen Feldzüge. Von Tag zu Tag, von Woche zu Woche immer weitere Dimensionen annehmend, hatte er es hauptsächlich zuwege gebracht, daß die Armee, obwohl sie bis Moskau nur eine Schlacht geliefert hatte und weder durch die Waffen bedeutende Verluste erlitten hatte, noch durch die Kälte erheblich beein- trächtigt war, auf etwa ein Fünftel ihres Bestandes reduziert und in ihrem Zusammen- hange vollkommen erschüttert war. Im Jahre 1866 hatte die preußische Armee trotz des kurzen Feldzuges gegenüber 5235 Mann Verlust durch die Waffen, 6427 Mann Verlust durch Krankheiten, und zwar war es fast ausschheßlich die Cholera, auf deren Rechnung diese hohe Sterblich- keit kam. Diese Beispiele, denen sich noch viele andere ebenso lehrreiche anreihen ließen, sind wohl hinreichend, um die Bedeutung der Infektionskrankheiten für die Armee im Frieden und im Kriege genügend hervortreten zu lassen. Überblickt man die Verlustzahlen, welche die Armeen in den Kriegen dieses Jahr- hunderts durch Seuchen erlitten haben, in ihren Gesamtsvmimen, dann könnte es, viel- leicht mit Ausnahme des deutsch-französischen Krieges, den Anschein haben, als seien Krieg und Seuchen unzertrennliche Dinge und als ob Seuchen im Kriege in ihrer Ent- wicklung nur von zufälligen, dem menschlichen Einflüsse unzugänglichen Bedingungen abhängig seien. Auch die ganz gleichmäßigen Mortalitätsziffern, welche den Infektions- krankheiten in Friedenszeiten ziikommen, scheinen dafür zu sprechen, daß es sich um gesetzmäßig eintretende, unvermeidbare Verluste handelt. Danach würde es aussichtslos sein, den Infektionskrankheiten entgegenzutreten; alle unsere hygienischen Maßregeln wären überflüssig und man müßte eben den Zufall walten lassen. Dafür, daß dies nun aber nicht die richtige Auffassung ist, bietet uns ebenfalls die neuere Kriegsgeschichte einen unwiderleglichen Beweis. Es ist dies das vielfach zitierte Beispiel des Krimkrieges, auf das gar nicht oft genug hingewiesen werden kann, um zu zeigen, daß wir mächtige Mittel zur Verfügung haben, welche richtig angewendet wohl imstande sind, gewisse und gerade die verderblichsten Kriegsseuchen in enge Grenzen zu bannen oder selbst gänzlich abzuwehren. Die Mortaütätsziffern des Krimkriegs im ganzen genommen, lassen dies allerdings nicht recht erkennen. Die numerisch zahlreichsten und an den Kämpfen am meisten beteiligten französischen Truppen verloren durch die Waffen 20 240 und durch Krank- heiten 75 375 Mann, also im Verhältnis von 1 : 3%. Die englischen Truppen hatten dagegen durch Waffen einen Verlust von 1761, durch Krankheiten 16 297, ein Verhält- nis von 1 : 9. (Beiläufig bemerkt sollen die Russen im Krimkriege 30 000 Gefallene und 600 000 an Wunden und Krankheiten Gestorbene gehabt haben.) Der Gesamt- verlust durch Krankheiten steht bei der enghschen und französischen Armee ungefähr im Verhältnis zur Kopfstärke. Vergleicht man aber die Mortalität der Engländer und Franzosen, Wie sie sich während der einzelnen Perioden des Kriegs gestaltete, dann er- geben sich folgende, höchst auffallende Unterschiede. Im ersten Winter starben von den Engländern 10 283, von den Franzosen, obwohl etwa 4 mal so stark an Zahl, ebenfalls 10 934 an Krankheiten. Im zweiten Winter dagegen starben aus gleicher Ursache von den Engländern nur 551, von den Franzosen 21 182. Der numerischen Stärke entsprechend hätten die Franzosen im zweiten Winter höchstens 4 mal so viel Verlust durch Krank- heiten haben sollen als die Engländer, aber sie hatten 40 mal so viel. Die sanitären Ver- Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen. 279 hältnisse der französischen Armee müssen also mindestens zehnmal so schlecht gewesen sein, als die der englischen. Wie war es nun aber nur möglich, daß zwei Armeen, welche denselben klimatischen Einflüssen ausgesetzt waren, welche unmittelbar neben- und durcheinander auf dem- selben Boden lagerten, welche beide mit ausgezeichneten Ärzten versehen waren und auch in allen übrigen Beziehungen möglichst gleichgestellt waren, gerade in diesem einen Punkt, in der Sterblichkeit durch Krankheiten, eine so außerordentliche Verschieden- heit zeigten. Die Antwort auf diese Frage geben uns die französischen und englischen Arzte, welche die medizinische Geschichte des Krimkriegs geschrieben haben. Die französi- schen Ärzte beklagen sich bitter darüber, daß ihnen durch Reglements die Hände ge- bunden waren und daß es ihnen unmöglich gemacht wurde, die von ihnen für notwendig befundenen hygienischen Maßregeln auszuführen. In der englischen Armee dagegen befolgte man die Ratschläge der Arzte. Die von ihnen empfohlenen Verbesserungen wurden mit größter Energie und in vollem Umfange durchgeführt, zwar mit einem Kostenaufwand von 15 Millionen Franks, aber auch mit dem glänzendsten Erfolg. Wir dürfen uns allerdings nicht verhehlen, daß auch hierbei der Zufall eine Rolle, und zwar in günstigem Sinne, gespielt hat. Die von den englischen Ärzten gewählten Mittel, auf welche ich später noch zurückkommen werde, sind keineswegs Universalmittel gegen Kriegsseuchen, wie man damals glaubte, aber sie bewährten sich ausgezeichnet gegen den Flecktyphus, welcher im Krimkriege die dominierende Infektionskrankheit war. Unter anderen Verhältnissen und gegenüber anderen Seuchen würden sie die Wirkung wohl mehr oder weniger versagen, aber zur Bekämpfung des Flecktyphus in Kriegszeiten wird man die damals gemachten Erfahrungen unzweifelhaft zu verwerten suchen. Es handelte sich also eigentlich nur um ein empirisch gefundenes Hilfsmittel, das aber gleichwohl den hemmenden Einfluß hygienischer Maßregeln auf Seuchen ebenso unwiderleglich demonstriert, als wenn es in bewußter Weise den besonderen Eigenschaften dieser Infektionskrankheit angepaßt wäre. Mit Recht hat man deswegen auch den Krim- krieg in dieser Beziehung als ein Experiment im großen bezeichnet, wie es exakter über- haupt nicht gedacht werden kann. Daß auch in Friedenszeiten die verderbliche Wirkung der Krankheiten und unter diesen wieder in erster Linie diejenige der Infektionskrankheiten sich herabsetzen läßt, lehrt die Tatsache, daß die Mortalität der preußischen Armee seit den dreißiger Jahren von 13,8 pro mille allmälilich sinkend auf 9,5 pro mille während der fünfziger Jahre, dann auf 6 pro mille in den sechziger Jahren und so weiter bis auf 4,5 pro mille herab- gegangen ist. Aus alle dem sehen wir, daß die Infektionskrankheiten nicht mit Unrecht als die vermeidbaren Krankheiten bezeichnet werden. Sie lassen sich in der Tat vermeiden, wenn auch nicht immer ganz, so doch in einem erheblichen Maße. Es fragt sich nur, mit welchen Mitteln dies zu geschehen hat und wie sowohl die früheren empirisch gefundenen Hilfsmittel, als auch die in den letzten Jahrzehnten gemachten wissenschaftlichen Fortschritte in rationeller Weise im Kampfe gegen die Seuchen Verwendung finden sollen. In den Zeiten des Krimkriegs hatte man noch recht unbestimmte und teilweise unrichtige Vorstellungen von dem Wesen der Infektionskrankheiten und einen dem- entsprechenden Charakter trugen auch die damals zur Anwendung gekommenen Maß- regeln; sie sind mehr allgemeiner Art, sind durch überflüssige Dinge unnötig kompliziert und lassen manche wichtige Hilfsmittel vermissen. Seitdem haben sich die Verhält- nisse aber recht erheblich geändert. Nicht allein, daß manche Krankheiten als Infektions- 280 Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen. krankheiten erkannt sind, Avelche man früher nicht dafür hielt und auch nicht als solche behandelte. Es hat sich auch immer mehr herausgestellt, daß zwar gewisse Verhältnisse für alle Infektionskrankheiten gemeinschaftlich gelten, daß aber jede einzelne derselben sich außerdem ätiologisch so charakteristisch und wieder so verschieden von allen anderen verhält, daß die Prophylaxis ebenso den besonderen Eigenschaften einer jeden ent- sprechend gestaltet werden muß, wie es jetzt schon in bezug auf das therapeutische Vorgehen geschieht. Jede Infektionskranlvheit sollte daher eigentlich auch ihre spezifi- schen Gegenmaßregeln haben; das wäre das Ideal der Seuchen-Prophylaxis, von dem wir allerdings noch ziemlich weit entfernt sind. Immerhin sind wir aber schon im Besitz recht wertvoller Anfänge. Wollte ich auf diese spezifische Prophylaxis der einzelnen Infektionskrankheiten eingehen, so würde das viel zu weit führen und ich muß mich daher bei dieser Gelegenheit darauf beschränken, einige allgemeine Gesichtspunkte hervorzuheben, welche in Zukunft für die Bekämpfung der Infektionskrankheiten maßgebend sein müssen. Vor allen Dingen ist es notwendig, daß die zur Abwehr der Seuchen dienenden Maßregeln dem Wesen der Infektionskrankheiten und der ihnen zugehörigen Infektions- stoffe im allgemeinen entsprechen. In dieser Beziehung lassen sich folgende Grundsätze, die aus unseren jetzigen Kenntnissen von den Infektionsstoffen abgeleitet sind, aufstellen. AUe Infektionsstoffe, welche bisher erforscht wurden — es sind deren bereits eine ansehnliche Zahl — , sind organisierte Gebilde, es sind Mikroorganismen. Auch die in ihrem Wesen bis jetzt noch nicht ergründeten Infektionskrankheiten verhalten sich den übrigen so analog, daß wir ihnen ebenfalls belebte Infektionsstoffe zuschreiben müssen. Die Infektionskrankheiten gehören demnach zu den parasitischen Krankheiten. Ebenso wie alle anderen Mikroorganismen entstehen auch die sogenannten pa- thogenen, welche die Infektionsstoffe bilden, nie durch Urzeugung, sondern nur aus bereits vorhandenen Keimen ihrer eigenen Art. In bezug auf ihre Eigenschaften können zwar ebenso, wie dies auch bei anderen Lebewesen der Fall ist, innerhalb mäßiger Grenzen Schwankungen eintreten ; aber der Übergang von einer Art in eine völlig andere ist noch nicht nachgewiesen. Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß im Laufe sehr langer Zeiträume eine Art aus einer andern pathogenen oder nicht pathogenen hervorgegangen sein könnte. Aber in historischen Zeiten scheint dies nicht der Fall gewesen zu sein, wie die bis zu den ältesten Zeiten hinaufreichenden Nachrichten über einige leicht zu erkennende Infektionskrankheiten, wie Tuberkulose, Lepra, Pocken, schließen lassen. Überträgt man diese Tatsachen auf das Verhalten der Infektionskrankheiten, dann folgt daraus zunächst, daß die Infektionskrankheiten nicht, wie früher allge- mein angenommen wurde, durch flüchtige, d. h. gasförmige Stoffe, Miasmen, sondern nur durch feste, staubförmige Stoffe bedingt werden. Alle gegen die Entwicklung von gasförmigen Stoffen, z. B. flüchtigen Fäulnisprodukten gerichteten Maßregeln sind daher zur Tilgung von Seuchen zwecklos. Es folgt ferner daraus, daß die Infektionskrankheiten und insbesondere auch die Kriegsseuchen niemals allein durch Schmutz und Unrat, durch die Ausdünstungen dicht- zusammengehäufter Menschen, durch Hunger, Armut, Entbehrungen, überhaupt nicht durch die Summe der Faktoren, welche man gewöhnlich mit dem Ausdruck ,, soziales Elend" zusammenfaßt, auch nicht durch klimatische Einflüsse entstehen, sondern nur durch die Verschleppung ihrer spezifischen Keime, deren Vermehrung und Ausbreitung allerdings durch die genannten Einflüsse begünstigt werden können. Täglich haben wir Gelegenheit uns von der Richtigkeit dieses Satzes zu überzeugen; wir sehen, wie ein großer Teil der Menschen Jahr aus, Jahr ein, selbst das ganze Leben hindurch in Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriessseuchen. 281 Schmutz und Klend verbringt und dennoch von Seuchen verschont bleibt ; sie erkranken nur dann, wenn sie mit den spezifischen Infektionsstoffen in Berührung kommen. Es ist keineswegs überfKissig, diese Sätze ausdrückhch zu betonen, denn man begegnet immer noch, selbst in den neuesten Werken medizinischer Schriftsteller, der irrigen Vorstellung, daß Infektionskrankheiten wie Flecktyj^hus und Tuberkulose durch das soziale Elend ausgebrütet werden kömiten. Aus der Artbeständigkeit der organisierten Infektionsstoffe folgt dann noch weiter, daß auch Übergänge von einer Krankheit zur anderen, z.B. die Entwicklung des Fleck- typhus aus anderen typhösen oder einfach febrilen Krankheiten, das Hervorgehen der Ruhr aus anderen Darmaffektionen, obwohl auch dies ganz geläufige Anschauungen sind, unmöglich ist. Entweder ist die Krankheit von vornherein Flecktyphus oder sie ist es nicht und wird es dann auch nicht. Bei den Belagerungen von Metz, Sraßburg, Paris waren alle die Bedingungen, welche sonst für die autochthone Entstehung des Flecktyphus als notwendig angesehen werden, vorhanden, und doch enstand kein Fleck- typhus, eben weil ein glücklicher Zufall den Keim desselben fern hielt. Auch aus dem Abdomin altyphus, der in reichstem Maße und in den schwersten Formen vorhanden war, entwickelte sich kein Flecktyphus, weil beide Typhen zAvei ganz verschiedene Krank- heiten sind. Nur in bezug auf die Virulenz der Infektionsstoffe finden sich Abweichungen, die auch insofern mit dem wirkhchen Verhalten der Infektionskrankheiten überein- stimmen, als im Laufe derselben Epidemie oder auch in verschiedenen Epidemien niclit selten Verschiedenheiten in der Intensität beobachtet werden, welche vielleicht in einer größeren oder geringeren Virulenz des Infektionsstoffes ihre Erklärung finden. Außer diesen allgemein gültigen, allen Infektionsstoffeii gemeinsam zukommenden Eigenschaften sind uns nun weiter auch ihre Beziehungen zu Boden, Luft und Wasser schon so weit bekannt, daß wir an Stelle der früheren unsicheren und teilweise unrichtigen Vorstellungen wohlbegründete Anschauungen setzen und danach unsere Maßregeln zur Bekämpfung der Seuclien gestalten können. Hierüber lassen sich nun weitere folgende Sätze aufstellen. Manche pathogene Mikroorganismen sind imstande, in trockenem Zustande mein- oder weniger lange Zeit lebensfähig zu bleiben, während andere, wenn sie getrocknet werden, in kürzester Frist absterben. Eine Vermehrung der Mikroorganismen findet aber nur in feuchtem Zustande statt. Das eigentliche Element, in dem sich das Leben der Infektionsstoffe abspielt, sind daher Flüssigkeiten, oder solche Substanzen, welclie einen hinreichenden Grad von Feuchtigkeit besitzen. Aus dem feuchten Substrat, in welchem die pathogenen Mikroorganismen sieli entwickelt haben, oder welches ihnen nur zufällig als Träger dient, vermögen sie nicht selbständig in die Luft überzugehen. Nur, wenn die Flüssigkeit verstäubt wird, oder wenn sie eintrocknet und wenn der vei'trocknete Rückstand zerfällt, zersplittert oder in irgendeiner Weise in Staub verwandelt wird, dann erst können sich die Mikroorganismen an den Staubteilchen haftend, in die Luft erheben. In der Luft selbst aber vermögen sie sich, weil es ihnen an genügender Feuchtigkeit fehlt, nicht zu vennehren. Alle bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, daß die staubförmigen Träger der Mikroorganismen für mikroskopische Objekte keineswegs sehr geringe Dimensionen haben. Ihre Größe kommt etwa der von Schinnnelpilzsporen gleich und übertrifft die der sogenannten Sonnenstäubchen bei weitem. In ruhender Luft und selbst bei einer Bewegung derselben bis zu 0,2 m in der Sekunde fallen sie schnell zu Boden. Die Luft enthält deswegen und weil außerdem keine Vermehrung der Mikroorga- nismen in iln- stattfindet, ganz unverhältnismäßig weniger Mikroorganismen als das Wasser ; 282 Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen. sie ist auch aus denselben Gründen ein sehr viel weniger geeignetes Mittel zur Verbreitung von Infektionsstoffen als Flüssigkeiten im allgemeinen und das überall verbreitete Wasser im besonderen, wobei noch außerdem in Betracht kommt, daß durch die Luft unter gewöhnlichen Verhältnissen nur solche Infektionsstoffe verbreitet werden können, welche in getrocknetem Zustande eine hinreichend lange Zeit lebensfähig bleiben. Der Boden bietet an seiner Oberfläche sehr günstige Lebensbedingungen für die Mikroorganismen, aber auch nur dann, wenn die erforderliche Feuchtigkeit vorhanden ist. Nach der Tiefe zu werden die Verhältnisse im Boden dagegen immer ungünstiger; die Feuchtigkeit nimmt zwar zu, aber die Temperatur nimmt ab. Außerdem bildet der gewöhnhche feinkörnige Boden für Mikroorganismen ein sehr wirksames Filter und setzt dem Eindringen derselben einen so erheblichen Widerstand entgegen, daß sie nur in geringe Tiefe zu gelangen vermögen. Infolgedessen ist der Boden gewöhnlich schon wenige Meter unterhalb der Oberfläche selbst an bewohnten Stellen fast keimfrei. Für pathogene Mikroorganismen liegen die Verhältnisse in bezug auf ihr Eindringen in tiefere Boden- schichten noch besonders ungünstig, und es läßt sich daher wohl annehmen, daß sie nur ganz ausnahmsweise in einigermaßen tiefe Schichten gelangen. Diesen Erfahrungen entsprechen denn auch die Folgerungen, welche sich mit Rücksicht auf die Beziehungen der Infektionsstoffe zu Luft, Wasser und Boden für die Praxis ergeben. Beginnen wir mit der Luft, so wird das Hauptgewicht darauf zu legen sein, daß die Infektionsstoffe daran verhindert werden, aus dem feuchten Zustand in den trockenen, staubförmigen überzugehen, da sie nur auf diese Weise in die Luft gelangen können. Ist dies aber nicht zu vermeiden, dann muß der Staub schon möglichst im Augenblick des Entstehens aus der Umgebung der Menschen durch Luftströmungen, welche kräftig genug sind, um ihn tragen zu können, abgeführt werden. In der freien Luft verteilt sich der infektiöse Staub dann sofort auf so große Luftmengen, daß die Gelegenheit zur Infektion eine verschwindend geringe wird. Nur wenn er etwa über unmittelbar neben dem Infektionsherd gelegene dichtbewohnte Stadtteile sich verbreiten kann, ist er, wie die Erfahrungen an einigen Pockenhospitälern gelehrt haben, noch imstande Unheil anzurichten, was natürlich vermieden werden muß und auch leicht vermieden wer- den kann. Diese Entfernung von infektionsverdächtigem Staub ist die Hauptaufgabe, welche die Ventilation solcher Räume zu erfüllen hat, in denen infektiöse Kranke sich aufhalten, und dieser Aufgabe gemäß sollte die Ventilation gehandhabt werden. Die Beseitigung gasförmiger Zersetzungs- und Stoff Wechselprodukte, welche bisher der eigentliche Zweck der Ventilation war, ist für diesen Fall von ganz nebensächlicher Bedeutung. Ganz besonders werden diese Verhältnisse bei exanthematischen Krankheiten, also auch beim Flecktyphus zu berücksichtigen sein, weil die Infektionsstoffe dieser Krank- heitsgruppe, allem Anscheine nach, sich ausschließlich in Staubform verbreiten. Die günstigen Resultate, welche die englischen Ärzte im Krimkriege dem Flecktyphus gegen- über erzielten, sind denn auch höchst wahrscheinlich in erster Linie der ausgiebigen Lüftung zuzuschreiben, welche sie zur Anwendung brachten. Der Boden, kommt, wie früher dargelegt wurde, nur in seinen oberflächlichen Schichten für die Vermehrung und Verbreitung der Infektionsstoffe in Betracht. Daher wird man auch nur auf seine Oberfläche Rücksicht zu nehmen haben und zwar kommt es dabei lediglich auf den Feuchtigkeitszustand derselben an. Denn ein trockener Boden, wenn er auch mit zersetzungsfähigen, aber indifferenten, d.h. n i c h t infektiösen Stoffen verunreinigt ist, bietet keine Gefahr, und im feuchten Boden, auch in dem scheinbar reinsten, findet sich an der Oberfläche immer noch so viel organische Substanz, daß Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen. 283 diejenigen pathogenen Miliroorganismen, welche auf den Boden angewiesen sind, darin vegetieren können. Die einzige Möglichkeit, daß Infektionsstoffe von tieferen Boden- schichten aus zur Geltung kommen, ist die, daß sie durch Spalten oder in Geröll- und Kiesboden, welcher nicht mehr filtriert, in die Tiefe des Grundwassers gelangen und von diesem, sofern es sich ebenfalls wieder in nicht filtrierenden grobkörnigen Boden- schichten bewegt, in die Brunnen gespült wird. Im übrigen ist es ohne Bedeutung, ob die tieferen Bodenschichten verunreinigt sind und ob das Grundwasser in denselben diese oder jene Bewegung macht. Alle Hypo- thesen über geheimnisvolle Vorgänge in den dem Grundwasser benachbarten Boden- schichten, über das Hinabsteigen der Infektionsstoffe in diese Schichten, ihr Reifen da- selbst und das Aufsteigen der gereiften Keime mit der Boden luft oder Flüssigkeitsströmungen stehen mit den neueren Erfahrungen über die wirklich in und auf dem Boden sich ab- spielenden Vorgänge nicht im Einklang und müssen deswegen fallen gelassen werden. Namentlich ist auch der Bodenluft die Fähigkeit zum Transport von Infektions- stoffen abzusprechen, seitdem erwiesen ist, daß eine einfache Sandschicht von wenigen Zentimetern Dicke imstande ist, aus der hindurchgehenden Luft alle Keime zurück- zuhalten, und zwar auch dann noch, wenn sich diese Luft mit einer weit größeren Ge- schwindigkeit bewegt, als dies jemals bei der Grundluft der Fall ist. Natürlich ver- liert damit die Grundluft die miheimliche Bedeutung, welche man ihr bisher gewöhnüch beigelegt hat. Die Verschleppung der an der Bodenoberfläche befindlichen Infektionsstoffe müssen wir uns dann weiter so vorstellen, daß sie entweder in feuchtem Zustande den Füßen und anderen mit dem Boden in Berührung kommenden Gegenständen anhaften und in die Wohnungen getragen werden, oder daß sie durch Wasser abgespült und in Brunnen und öffentliche Wasserläufe geführt, oder daß sie nach dem Austrocknen der Boden- oberfläche in Staubform durch die Luftströmungen aufgewirbelt und fortgetragen werden. Was nun schließlich das Wasser anlangt, so schützt es nicht allein die pathogenen Mikroorganismen vor dem Eintrocknen, sondern es bietet manchen sogar Gelegenheit zur Vermehrung ujid es kann wegen seiner vielfachen und ganz unkontrollierbaren Be- ziehungen zum menschlichen Haushalt die Infektionsstoffe in der verschiedensten Weise und auf den verschlungensten Wegen dahin verschleppen, wo sie von neuem zur Wirkung gelangen können. Damit fällt dem Wasser, wenigstens in bezug auf eine Anzahl von Infektionsstoffen, eine große Bedeutung zu. Mit Rücksicht auf die Infektionsgefahr ist nun aber wohl zu unterscheiden zwischen solchem Wasser, das allen Verunreinigungen aus der Luft, von der Bodenoberfläche und durch Abgänge des menschlichen Haushalts ausgesetzt ist, und demjenigen, welches infolge der Bodenfiltration seinen Gehalt an Mikroorganismen verloren hat. Zu der ersteren Kategorie gehört alles offen stehende oder fließende Wasser, sowie das in den sogenannten Kesselbrunnen, schlecht verwahrten Zisternen usw. befindliche Wasser, das uns deswegen stets als infektionsverdächtig erscheinen muß. Zur zweiten Kategorie gehört neben dem Quellwasser das durch Röhrenbrunnen aus gut filtrierenden Boden- schichten geschöpfte Grundwasser, sowie das künstlich durch Sandfilter vorschrifts- mäßig gereinigte Wasser. Über einige Aveitere Anhaltspunkte, welche uns die bisherigen Erfahrungen über die Eigenschaften der Infektionsstoffe für die Verwendung im Kampfe gegen die Seuchen an die Hand geben, mögen folgende kurze Andeutungen genügen. Einzelne Infektionsstoffe verlangen Existenzbedingungen, namentlich in bezug auf Temperatur, Nährstoffe usw., wie sie nur der lebende Körper zu bieten vermag. Ihr Leben kann daher auch nur ein echt parasitisches, d. h. im Körper stattfindendes sein. 284 Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen. Die Verbreitung derartiger Infektionsstoffe geschieht entweder durch unmittelbare Be- rührung oder in Staubform durch die Luft. Zum Boden und zum Wasser haben sie dagegen keine Beziehungen und es würde also verkehrt sein, ihnen mit Maßregeha ent- gegenzutreten, welche für den Boden oder das Wasser berechnet sind. Andere Infektionsstoffe wieder können auch außerhalb des Körpers leben und sich vermehren; von diesen sind einige anscheinend mehr auf das Wasser, andere mehr auf den Boden als Wohnstätte angewiesen. Auch diesen Verhältnissen muß natürlich Rechnung getragen werden. Sehr verschieden ist ferner die Art und Weise, in welcher die Infektionsstoffe in den Körper eindringen. Es gibt solche, die nur vom Verdauungskanal wirken können, von diesen ist natürlich eine Infektion durch einfache Berührung oder selbst Einimpfung in die verletzte Haut nicht zu befürchten, dagegen wird die Aufmerksamkeit besonders den Nahrungsmitteln und dem Trinkwasser zuzuwenden sein. Umgekehrt kommen letztere wieder nicht in Betracht für solche Infektionsstoffe, welche nur von Verletzungen der äußeren Haut oder von den Respirationsorganen aus infizieren. In gleicher Weise sind auch die Unterschiede wohl zu berücksichtigen, welche in bezug auf die Träger der Infektionsstoffe bestehen und es ist dementsprechend das eine Mal mehr zu achten auf die Möglichkeit der Verschleppung durch Kleider und Wäsche, das andere Mal durch Wasser und Nahrungsmittel, oder durch den Luftstaub, durch Insekten usw. Entsprechend diesen kurzen skizzierten Grundsätzen sind nun die speziellen Maßregeln zu konstruieren , welche zur Abwehr der Infektionskrankheiten dienen sollen. Einzelne dieser Maßregeha sind bereits vor dem Ausbruch der Seuche, gegen welche sie gerichtet sind, am Platze. Sie sollen dazu dienen, die Übertragungswege, welche den Infektionsstoffen durch ihre besonderen Eigenschaften vorgeschrieben sind, an irgendeinem Punkte zu unterbrechen oder wenigstens die Kommunikation zu erschweren. Es wird damit besonders solchen Seuchen vorgebeugt, deren unbemerktes Einschleichen durch direkt wirkende Mittel nicht mit Sicherheit zu verhüten ist. Die zu diesem Zwecke dienenden Maßregeln müssen sich also gegen die einzelnen Arten der Übertragung, nämlich gegen die Übertragung durch Berührung oder durch die Vermittelung der Luft, des Bodens, des Wassers, der Nahrungsmittel, der Kleider usw. richten. Von diesen wird sich allerdings die Berührung, namentlich unter militärischen Verhältnissen, rüemals vermeiden lassen, aber sie kann doch auf ein gewisses Maß be- schränkt werden. Je dichter zusammengedrängt die Menschen leben, um so häufiger muß Berührung und kann im gegebenen Falle Infektion stattfinden. Man soll deswegen jede unnötige Anhäufung und unnötiges Zusammendrängen der Menschen , wie es z. B. beim Unterbringen von Truppen in Lagern schon oft zum größten Nachteile der- selben geschehen ist, vermeiden. Im engsten Zusammenhange damit steht die Berücksichtigung der Luftinfektion. Dieselbe erfordert möglichst schnelle und vollkommene Beseitigung der staubförmigen Verunreinigungen der Luft, für welchen Zweck die Ventilation nach den bereits ange- gebenen Prinzipien zu verwenden ist. In Räumen, welche nicht genügend zu ventilieren sind, ist die Infektionsgefahr in der Weise zu verringern, daß der für einen Menschen bestimmte Luftraum so groß als möglich bemessen wird, um eine Verteilung der infektiösen Staubteilchen auf mög- lichst große Luftmassen zu bewirken. Es gilt das ganz besonders von Schlafräumen. Überfüllte Nachtquartiere sind eine der geeignetsten Veranlassungen für das schnelle Umsichgreifen gewisser Infektionskrankheiten. Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen. 285 Der Boden soll vor allen Dingen an seiner Oberfläche trocken gehalten werden, was am einfachsten durch ein von den englischen Ärzten mit Vorliebe angewendetes und vielfach bewährtes Mittel, die Oberflächendrainage. erreicht wird, welche unter Umständen durch tiefere Drainage unterstützt werden kann. Außerdem müssen von der Bodenoberfläche alle solche Dinge, welche Infektionsstoffe enthalten können, fern gehalten werden; dahin gehören vor allem menschliche Fäkalien, Bekleidungsreste, Lagerstroh, Wasser, welches zur Reinigung des Körpers, der Wäsche, der Aufenthalts- räume gedient hat. Gegen ein Vergraben oder Unterbringen derartiger Abfallstoffe in mäßiger Tiefe des Bodens können keine Bedenken obwalten, ebensowenig wie gegen das Vergraben der Leichen in solcher Tiefe, daß die deckende Erdschicht sicher erhalten bleibt. Ktwaige Verwesungsdünste und Fäulnisgerüche können zwar belästigend wirken, aber nicht, wie früher angenommen wurde, Pest, Typhus oder dergleichen erzeugen. Auf die Wasserversorgung wird man besondere Sorgfalt verwenden. Das Wasser läßt sich leicht und in zuverlässiger Weise von Infektionsstoffen befreien, und die Fr- fahrung hat gelehrt, daß eine zweckmäßige Wasserversorgung bei solchen Infektions- krankheiten, welche in ihrer Verbreitung mehr oder weniger vom Wasser abhängig sind, ganz vorzügliche Erfolge erzielt hat. Am einfachsten gestaltet sich die Wasserversorgung, wenn die filtrierende Wirkung des Bodens ausgenutzt werden kann, nämlich dann, wenn das voin Boden filtrierte und freiwillig zutage tretende Quellwasser zur Verfügung steht, oder wenn das fast überall im Boden in nicht zu großer Tiefe vorhandene, ebenso gut filtrierte Grundwasser zu- gänglich gemacht wird. Bei dem Schöpfen des Grundwassers muß aber streng darauf gehalten werden, daß eine nachträgliche Verunreinigung desselben vermieden wird. Am besten wird dies durch Röhrenbrunnen erreicht, während gegrabene Brunnen, auch wenn sie ausgemauert und zementiert sind, niemals einen sicheren Schutz gegen Infektion gewähren. Sollte Grundwasser nicht vorhanden sein, oder bewegt es sich in Boden- schichten, deren Beschaffenheit keine Gewähr für eine zuverlässige Filtration gibt, dann muß künstlich filtriertes Bach-, Fluß-, oder sonstiges Oberflächenwasser einen Ersatz schaffen. Die künstliche Filtration durch Sandfilter läßt sich freilich nur als stationäre Einrichtung verwenden, könnte aber z. B. für Belagerungstruppen, für Kriegslazarette usw. in so kurzer Zeit hergerichtet werden, daß die großen Vorteile, welche sie bietet, volle Verwertung finden können. Transportable Filter, welche im kleinen funktionieren und sofort genügende Mengen guten, d. h. keimfreien Wassers liefern, existieren leider noch nicht. Für Truppen auf dem Marsche bleibt also nichts übrig, als in der Auswahl des Wassers besonders vor- sichtig zu sein oder zu einem Notbehelf zu greifen, der sich allerdings in der Praxis wohl kaum in genügender Weise durchführen läßt, nämlich das Wasser durch Siedehitze frei von Infektionsstoffen zu machen. Ist das Wasser auf natürlichem oder künstUchem Wege gut filtriert oder ist es durch Siedehitze keimfrei gemacht, dann ist die chemische Beschaffenheit desselben, soweit es sich darum handelt, aus dem Gehalt an organischer Substanz, an Salpetersäure, salpetriger Säure, Ammoniak und Chlor, Auskunft über die Infektions verdächtigkeit des Wassers zu erhalten, ganz nebensächlich. Wegen der vielfachen Beziehungen, welche die Nahrungsmittel mit dem Wasser haben und wegen der Möglichkeit, daß ihnen Infektionsstoffe durch infizierte Hände, Geräte, Insekten, Luftstaub usw. zugeführt werden, sollten dieselben, wenn die Gefahr einer In- fektion besteht, nur in frisch gekochtem Zustande genossen werden. Eine andere Art der Desinfektion gibt es für dieselben nicht. Ganz besonders ist erfahrungsgemäß in dieser Beziehung die Milch und die davon abstammenden Nahrungsmittel infektionsverdächtig. 286 1^'® Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen. Zur Vervollständigung dieser Maßregeln, welche im allgemeinen die Umgebung des Menschen und alles, was ihm Infektionsstoffe zutragen kann, frei von Infektion machen und halten sollen, dient es, wenn die größte Sorgfalt auch auf die Reinhaltung aller der noch nicht erwähnten Teile der Umgebung, nämlich der Wohnung, Kleidung und schließlich auch des menschlichen Körpers selbst verwendet wird. Die Wohnung kann für manche Infektionskrankheiten eine ähnliche Rolle spielen wie der Boden und es ist deswegen neben der Reinhaltung auf die Trockenheit der Unterkunftsräume ganz besonderer Wert zu legen. Wenn ungeachtet dieser vorbeugenden Maßregeln eine Infektionskrankheit ihren Ein- gang findet und damit eine unmittelbare Gefahr entsteht, dann treten zu den allgemeinen Maßregeln noch andere, welche sich direkt gegen den Infektionsstoff selbst richten. Hierher gehört in erster Linie das richtige Erkennen der ersten Fälle. Die ersten Erkrankungen sind wie einzelne Funken, welche in ein Strohdach fallen. Der Funke läßt sich noch mit geringen Mitteln und sicher ersticken, während der auflodernde Brand bald allen Anstrengungen Trotz bietet. Gerade in diesem Punkte wird die zukünftige Art der Seuchenabwehr von der bisherigen wesentlich abweichen. Denn früher fing man in der Regel nicht eher an energische Maßregeln zu ergreifen, als bis die Seuche durch die bereits angerichtete Verwüstung und die in Aussicht stehenden weiteren Ver- luste einen unerbittlichen Zwang ausübte. Man legte auf die Unterdrückung der ersten Anfänge einer Infektionskrankheit auch schon aus dem Grunde keinen sonderlichen Wert, weil man annahm, daß dieselbe nicht auf Einschleppung, sondern auf autochthone Entwicklung zurückzuführen sei und daß es deswegen ganz erfolglos sein müsse, gegen vereinzelte Fälle vorzugehen. Jetzt nehmen wir den entgegengesetzten Standpunkt ein und gehen von der Voraussetzung aus, daß die Seuchen, sofern sie nicht an dem Orte des Ausbruchs überhaupt endemisch sind, eingeschleppt sein müssen. Da die ersten Erkrankungsfälle, so lange sie vereinzelt sind, sich unschwer so überwachen und hand- haben lassen, daß der davon ausgehende neue Infektionsstoff unschädlich gemacht werden kann, und da mit dem Zunehmen der Fälle naturgemäß diese Aufgabe immer mehr erschwert wird, so muß alles aufgeboten werden, um die Seuche mit den ersten Fällen im Keime zu ersticken. Bei einigen Krankheiten wie bei Recurrens, Cholera, Tuberkulose ist glücklicher- weise schon jetzt die Möglichkeit gegeben, jeden einzelnen Fall mit voller Sicherheit zu erkennen, um ihn sofort unschädlich zu machen. Leider fehlt es aber für andere wichtige Infektionskrankheiten noch an solchen für den einzelnen Fall verwendbaren diagnosti- schen Merkmalen und es wäre dringend erwünscht, daß diesem Mangel in nicht zu ferner Zeit abgeholfen würde. Der Nachweis der genannten Krankheiten erfordert freihch von den Ärzten eine gewisse Übung in der Handhabung der mikroskopischen und bak- teriologischen L^ntersuchungsmethoden, welche womöglich bei allen vorhanden sein muß, damit nicht hier und da einzelne Fälle, auf welche vielleicht gerade sehr viel ankommt, übersehen werden. Weiter ist zur Überwachung der ersten Anfänge der Seuche notwendig, daß von vornherein regelmäßige Revisionen stattfinden und daß jeder nur einigermaßen ver- dächtige Fall sofort einer sorgfältigen Untersuchung unterworfen wird. Die ersten Seuchenfälle, welche entdeckt werden, sind sofort zu isolieren, auch bei solchen Krankheiten, welche wie die Cholera für gewöhnlich sich auf direktem Wege fortpflanzen, denn nur bei vollständiger Isolierung wird sich mit hinreichender Sicher- heit erreichen lassen, daß der von dem Kranken produzierte Infektionsstoff an der Weiter- verbreitung auf den vielen versteckten Wegen verhindert wird, welche sich demselben beim nicht isolierten Kranken darbieten. Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen. 287 In militärischen Verhältnissen wird man um so mehr auf Isolierung halten können, als sich dieselbe leichter und sicherer durchführen läßt als sonst. Transportable Ba- racken, geeignete schon vorhandene Gebäude können ohne weiteres als Isolierspitäler verwendet werden. Auch beim weiteren Umsichgreifen einer Infektionskrankheit wird man entschieden besser fahren, wenn alle direkt oder indirekt ansteckenden Krankheiten isoliert werden; aber nur so lange, als es ohne bedenkliches Anhäufen und Zusammendrängen der Kranken geschehen kann; denn bei einzelnen Krankheiten, z. B. beim Flecktyphus hat das Anhäufen der Kranken fast immer die Wirkung, daß nicht nur die Mortalität der Erkrankten, sondern auch die Infektiosität der Krankheit in unverkennbarer Weise zunimmt. Wenn es an Raum fehlt, um die Kranken ohne Überfüllung unterzubringen, dann bleibt nur die Evakuation übrig, die aber ausschließlich nach solchen Orten zu richten und unter solchen Vorsichtsmaßregeln auszuführen ist, daß kein Unheil dadurch ange- richtet werden kann. In einem derartigen Falle den richtigen Ausweg zu finden und einzuhalten, erfordert volle Umsicht und Energie und gehört entschieden zu den schwierig- sten und verantwortungsvollsten Avifgaben, welche an die betreffenden Arzte heran- treten können. Neben der Isolierung muß nun weiter alles aufgeboten werden, um den bereits vorhandenen und den vom Kranken ferner produzierten Infektionsstoff zu vernichten. Auch hier erleichtern die militärischen Verhältnisse die Ausführung. Die ein- fachste Zerstörung der Infektionsstoffe besteht in dem Verbrennen der infizierten Gegen- stände, dem namentlich in Kriegszeiten und, solange es sich um vereinzelte Fälle handelt, wegen der verhältnismäßig geringen Habe des Soldaten kein wesentliches Hindernis entgegensteht. Selbst einzelne Zelte und Baracken würde man der Sicherheit wegen durch Feuer zerstören. Größere infizierte Gebäude können ganz oder zeitweilig auf- gegeben werden. Im übrigen bietet die neuere Desinfektionspraxis überall da, wo es darauf ankommt, größere Mengen von infizierten Gegenständen zu desinfizieren, hinreichend sichere und leicht anzuwendende Mittel. So wird man Kleidiing, Wäsche, Decken, Matratzen mit Hilfe von Dampf in transportablen Dampfdesinfektionsapparaten oder im Notfall durch Auskochen des- infizieren ; Fäkalien und anderweitige flüssige infizierte Abgänge , sowie der damit infizierte Boden können durch rohe Karbolsäure, welche durch Säuren oder Alkalien aufgeschlossen ist, oder durch Ätzkalk unschädlich gemacht werden; die Unterkunfts- räume lassen sich an Decke und Wänden in einfacher Weise durch wiederholtes Tünchen mit Kalkmilch desinfizieren, ein Verfahren, welches von den enghschen Ärzten regel- mäßig verwendet wird und das auch im Krimkriege zu den vorzüglichen Erfolgen bei- getragen hat. Die Desinfektion der Körperoberfläche von Rekonvaleszenten bei solchen Krank- heiten, welche, wie Flecktyphus, die Ablagerung des Infektionsstoffes auf der Haut vermuten lassen, ferner die häufige Desinfektion der Hände von Ärzten und Kranken- wärtern mit Hilfe von geeigneten Mitteln vervollständigen diese Desinfektions- maßregeln. GeUngt es nicht, der Seuche von vornherein Herr zu werden, und bleibt es nicht bei einzelnen kleineren Infektionsherden, dann muß mit allen erwähnten allgemeinen und speziellen Maßregeln im weitesten Umfange und mit größter Energie vorgegangen werden, und es ist dann besonderer Nachdruck auf diejenigen Maßregeln zu legen, welche dem Charakter der jeweiligen Seuche entsprechen; so daß die Reinheit des 288 I^i® Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen. Wassers und Trockenheit des Bodens in erster Linie z. B. bei Cholera, Ruhr, Abdo- minaltyphus, die Reinheit der Luft und Desinfektion bei Flecktyphus zu berück- sichtigen sind. Ist die Seuche schon zu sehr eingenistet, und stellen sich der Durchführung der erforderlichen Maßregeln solche Schwierigkeiten in den Weg, daß ihr Erfolg in Frage gestellt wird, dann kann ein Ortswechsel von größtem Nutzen sein. Je öfter sich der- selbe anwenden läßt, und in je weitere Entfernung die Truppen von den verseuchten Stätten gebracht werden können, um so besser wird die Wirkung dieser auch wieder von den englischen Truppenärzten zuerst in systematischer Weise durchgeführten Maß- regel sein. Die Erfahrung hat aber gelehrt, daß unter Umständen auch schon eine geringe Verschiebung der Lagerplätze von ausgezeichnetem Erfolge sein kann. Schheßüch wäre noch eine Maßregel zu erwähnen, welche vorläufig allerdings nur bei einer Krankheit, bei den Pocken, eine Verwendung gefunden hat. Es ist die Präventivimpfung. Ob dieselbe auch anderen Seuchen gegenüber eine Bedeutung ge- winnen wird, das muß die Zukunft lehren. Bei den Pocken ist sie aber von so absolut sicherer Wirkung, daß sie die übrigen Schutzmaßregeln fast überflüssig macht. Für die Armee wird man sie nach den außerordentlich günstigen Erfahrungen des letzten Krieges unter keinen Lernst änden entbehren wollen. » Bhcken wir nunmehr zurück auf das Rüstzeug, welches uns im Kampfe gegen die Infektionskrankheiten in Zukunft dienen soll, dann könnte es scheinen, als ob wir noch mit denselben Waffen zu Felde ziehen wie in früheren Zeiten, und uns auf Hilfs- mittel verlassen, deren Wirksamkeit einem berechtigten Mißtrauen begegnen muß. Das ist aber auch in der Tat nur Schein. Zwar wollen auch wir in Zukunft durch Reinhaltung von Luft, Wasser, Boden, durch Isolierung und Desinfektion gegen die Seuchen vor- gehen, aber die uns jetzt zu Gebote stehenden Hilfsmittel stimmen nur noch dem Namen nach mit den althergebrachten überein. Ihr eigentliches Wesen, die Art und Weise, ebenso wie der Ort und der Zeitpunkt ihrer Anwendung sind ganz andere geworden, wie beispielsweise die Desinfektion lehrt. Wir richten unsere Maßregeln nicht mehr wie bisher im Dunkeln tappend gegen einen unbekannten Feind, sondern gegen einen solchen, dessen Eigenschaften wir kennen, so daß wir imstande sind, ihn zu erreichen und gerade an seinen schwächsten Stellen zu treffen. Allerdings müssen die zur Abwehr dienenden Maßregeln, wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen, nicht allein den hier skizzierten allgemeinen Grundsätzen entsprechen, sondern auch in allen Einzelheiten dem Wesen der betreffenden Infektionskrankheiten angepaßt sein. Dazu ist es aber durchaus notwendig, daß die Ärzte, in deren Händen die Ausführung liegt, vollkommen mit dem Wesen der Infektionsstoffe vertraut sind, was nur durch eigene experimentelle Übung mit diesen Stoffen selbst zu erreichen ist. Es geht hiermit ebenso wie mit anderen naturwissenschaftlichen Kenntnissen , die sich auch nicht ausschließlich durch Bücherstudium erwerben lassen; und sowenig wie jemand eine chemische Analyse zu machen imstande sein wird, der sich nicht im chemischen Laboratorium die erforderliche Übung angeeignet hat , ebensowenig wird auch ein Arzt die Seuchenmaßregeln mit vollem Verständnis und in zweck- entsprechender Weise handhaben, der sich niemals mit den Infektionsstoffen experi- mentell befaßt hat. Auch diesem Erfordernisse für die vollständige Ausbildung der Militärärzte ist bereits Rechnung getragen, und es ist von der Direktion dieser Anstalten die Einrichtung getroffen, daß die angehenden Militärärzte in besonderen bakteriologischen Kursen sich die ihnen so notwendigen praktischen Kenntnisse in bezug auf das Verhalten der Infektionsstoffe aneignen können. Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen. 289 Es liefert dies wiederum einen Beweis, wenn es noch eines solchen bedürfte, mit welcher Fürsorge mad Umsicht das Ziel angestrebt wird, welches dieser Anstalt bei ihrer Gründung gesteckt wurde, und wie nichts versäumt wird, um den schon von Friedrich dem Großen aufgestellten Grundsatz zu erfüllen, ,,daß es nicht bloß auf Rezepte an- kommt, sondern auf alle übrigen Vorkehrungen und Anstalten, die man bei einer Armee zur Verhütung der Krankheiten macht". Wir dürfen daher mit Zuversicht darauf rechnen, daß die aus dieser Anstalt her- vorgehenden Ärzte ebenso wie in den übrigen ihnen zufallenden Aufgaben auch in der Bekämpfung der Infektionskrankheiten allen an sie zu stellenden Anforderungen genügen werden, um in jeder Beziehung sowohl im Frieden wie im Kriege ein vollwertiges Glied der Armee zu sein im Dienste für König und Vaterland. Koch, Gesammelte Werke. 64 Seuchenbekämpfung im Kriege.') (Referat nach dem ersten Vortrage des Zyklus „Ärztliche Kriegswissenschaft", gehalten am 15. Oktober 1901.) Kochs Vortrag gliedert sich in zwei Hauptteile ; in dem ersten bespricht er die historische Seite des Stoffes, im zweiten erörtert er die einzelnen Seuchen und ihre Be- kämpfung. In früheren Zeiten hatte man über den Begriff einer Kriegsseuche, wie über den einer Seuche im allgememen, vielfach gänzlich falsche Vorstellungen. Man wußte nicht, welche Bedingungen für das Entstehen einer Seuche notwendig sind, weil man die eigentlichen Krankheitserreger gar nicht kannte; infolgedessen wurden nicht selten vöUig verkehrte Maßregeln zur Bekämpfung ergriffen. Erst die Bakteriologie mit ihren überraschenden Entdeckungen der die einzelnen Infektionen hervorrufenden Krank- heitskeime hat hierin Wandel geschaffen. Infolge der mangelhaften Kenntnis der Seuchen und der sich hieraus ergebenden unrichtigen Wahl der Mittel, sie niederzuhalten, kam es früher zu Epidemien, welche ganze Länderstriche entvölkerten und insbesondere auch den Heeren mörderische Verluste beibrachten. Im Mittelalter waren es vornehm- lich die pestartigen Erkrankungen, insbesondere die Bubonenpest und daneben der Flecktyphus, welche in dieser Hinsicht die erste Stelle einnahmen; im Jahre 1528 hat z. B. der Flecktyphus von einem französischen Heere vor Neapel 30 000 Mann hin weg- gerafft. Außer Pest und Flecktyphus haben dann Ruhr, Abdominaltyphus und Pocken die verderbhchste Rolle gespielt. Die ersten verbürgten Mitteilungen über das einschlägige Gebiet lieferte im 18. Jahrhundert ein englischer Militärarzt Pringle in seinem Buche über die Krankheiten einer Armee im Felde und in der Garnison; er hebt insbesondere als die wichtigsten Schädhnge Ruhr, Abdominaltyphus und Malaria hervor. Ein besonders klares Beispiel für die furchtbare Gewalt solcher Epidemien liefern die napoleonischen Feldzüge ; in Ägypten verlor Napoleon an der Ruhr 2500 Mann, und in Rußland wurde sein Heer durch den Flecktyphus allein auf ein Fünftel seines Bestandes reduziert. Im Jahre 1817 wurde in Indien ein englisches Heer durch die Cholera fast völHg vernichtet. Im Krimkriege verlor die französische Armee durch Ruhr, Flecktyphus, Malaria, Cholera usw. über 75 000 Mann. Im amerikanischen Kriege erkrankten an der Ruhr über 287 000 Mann, und etwa 10 000 Mann starben. Im Jahre 1866 verlor die preußische Armee 6427 Mann infolge der Cholera. Im Jahre 1870/71 erkrankten in der deutschen Armee an Typhus mehr als 74 000 Mann, von denen gegen 9000 Mann erlagen. An Ruhr erkrankten 38 000 Mann, von denen 2400 Mann erlagen. Die französische Armee wurde im gleichen Kriege ganz besonders durch die Pocken in schwerster Weise heimgesucht. ^) Aus: Vorträge über Ärztliche Kriegswissenschaft. Klinisches Jahrbuch, Bd. IX. Verlag von Gustav Fischer, Jena, 1902. Seuchenbekämpfung im Kriege. 291 während die deutsche Armee von dieser Epidemie mavergleichhch weniger zu leiden hatte; dieser Erfolg ist lediglich der Tatsache zu danken, daß es kaum eine Armee der Welt gibt, in welcher mit gleicher Strenge die Impfung durchgeführt wird; sie erweist aufs neue den unermeßHchen Wert der Pockenimpfung als wirksame vSchutzmaßregel. Ganz besonders verhängnisvoll wurden die Infektionskrankheiten der Tropen in den Kolonialkriegen. Im Jahre 1894 starben gelegentlich der französischen Expedition auf Madagaskar von 12 850 Mann 4980 an Malaria; in diesem Falle verloren einige Truppen- teile sogar 60 Proz. ihres Bestandes an der Malaria. Bei der Erörterung der einzelnen Seuchen und ihrer Bekämpfung bezeichnet Koch als den wichtigsten Fortschritt, daß man auf Grund der Erkenntnis der spezifischen Erreger heute in der Lage wäre, auch die spezifische Verbreitungsart jeder einzelnen Seuche zu studieren, und daß man, gestützt auf die hierbei gewonnenen Erfahrungen, dahin gelangt sei, die der besonderen Propagation genau angepaßten individuellen Me- thoden zu ihrer Bekämpfung zu finden. Der Erreger der Pocken freilich ist uns bisher nicht bekannt, allein wir wissen seit Jenners unsterblicher Entdeckung doch, daß die Impfung das beste, ja immer noch das einzige Schutzmittel gegen die Pocken darstellt. Allerdings hält die Impfung (Vakzination) nur eine Reihe von Jahren vor und muß dann erneuert werden (Re Vak- zination). Wie schon erwähnt, spielte im deutsch-französischen Kriege die Impfung in unserer Armee eine überaus heilsame Rolle ; sie bewirkte, daß nur etwa 5000 Militär- personen erkrankten, und gar nur 297 Mann starben, Zahlen, welche gegenüber denjenigen der von den Pocken in der französischen Armee im gleichen Kriege Dahingerafften ver- schwindend klein zu nennen sind. Die Beobachtung hat untrüglich dargetan, daß die Nähe des Pockenkranken verderbüch werden kann, imd deshalb wird die wichtigste Maß- regel, sobald einmal die Pocken ausgebrochen sind, in der Isolierung der Kranken und schleunigen Nachimpfung aller mit denselben in Berührung gekommenen Personen be- stehen. Nachdem die Krankheit erloschen ist, müssen die Räume gründlichst desinfiziert werden, wobei man alles nicht gerade Wertvolle am besten verbrennt. Auch der Erreger des Flecktyphus ist noch unbekannt. Die Krankheit selbst war früher weit häufiger als jetzt; in Berlin z. B. sind dem Vortragenden, unter dessen Obhut bekanntlich das Barackenlazarett für Infektionskrankheiten bei der Cha- rite steht, in den letzten 10 Jahren nur 2 Fälle begegnet. Eine Eigentümlichkeit des Flecktyphus ist es, daß sich seine Entstehung und Ausbreitung meistens an schlecht gelüftete Wohnräume knüpft; deshalb ist das beste Mittel zu seiner Verhütung eine gute Ventilation, welche auch nach dem eventuelleia Ausbruche der Erkrankung den besten Schutz gegen die Weiterverbreitung darstellt. Womöglich offene Türen und offene Fenster in dem Hause, in welchem der Flecktyphus zum Ausbruch gelangt ist, und strenge Isolierung des Patienten, das smd die wertvollsten Hilfsmittel, um emem Fortschreiten der Seuche Einhalt zu tun. Im englischen Heere in der Krim hat sich neben der reichlichen Lüftung die Tünchung der Wände mit Kalk vortrefflich bewährt, um der Propagation vorzubeugen. Die genannten Maßnahmen sind um so wichtiger, als sie die einzigen sind, welche man überhaupt zu treffen vermag, da die klinische Erfahrung gelehrt hat, daß weder das Wasser noch die Entleerungen der Kranken für die Weiter- verbreitung in Betracht kommen. Ungemein häufig mit dem Flecktyphus vergesellschaftet und, wie dieser, jetzt auch sehr selten geworden ist das Rückfallfieber (Recurrens). Der Erreger der Rekurrens ist von Obermeyer entdeckt und als eine im Blute lebende soge- nannte Spirochaete ermittelt worden. Von besonderem Interesse ist dabei, daß mit größter Wahrscheinlichkeit die Wanzen als wesentlichste Vermittler für die Übertragung 64* 292 Seuchenbekämpfung im Kriege. angesehen werden müssen, vielleicht auch die Flöhe. Der instinktive Abscheu gegen dergleichen Ungeziefer findet hier also seine wissenschafthche Stütze. Nach dem Voran- gehenden ist klar, daß sich Recurrens gerade an die Stätten des Schmutzes und des Ungeziefers mit besonderer Vorliebe heften wird, und daß der wirksamste Schutz gegen sie größtmöghchste Reinlichkeit, wenn notwendig, verbunden mit der Anwendung von Insektenpulver, sein wird. Ein bei uns erfreulicherweise fast gar nicht vorkommender, in den Tropen aber um so imheimhcherer Gast ist die Malaria. Man unterscheidet die auch in unserem Klima zuweilen sich zeigende sogenannte Malaria tertiana resp. quartana und die eigent- liche Malaria tropica. Auch bei der Malaria spielen die Insekten eine bedeutungsvolle Rolle. Und zwar sind es hier die Mücken, in den Tropen die Moskitos, welche den An- steckungsstoff übertragen. Dieser selbst ist, wie jetzt unzweifelhaft feststeht, ein Pro- tozoon, welches in allen seinen Entwicklungsformen genau bekannt ist. Frische Malaria tritt meist nur in der Zeit vom Juni bis Oktober und fast ausschließhch an Orten auf, wo Sumpfgegend eine besonders reichliche Entwicklung der Malariamücken begünstigt. In den letzten Jahrzehnten ist bei uns die Malaria deshalb so überaus selten geworden, weil ihr durch die immer weitergehende Erkenntnis der Erkrankung und die wirksame Behandlung durch das immer billiger gewordene und infolgedessen überall verbreitete Chinin mehr und mehr das Feld abgegraben wurde. Immerhin kommen auch jetzt noch zuweilen umfangreiche Epidemien vor, z. B. sei an diejenige erinnert, welche bei dem Hafenbau in Wilhelmshaven vor einigen Jahren ausbrach und 19 500 Erkrankungen zur Folge hatte. Glücklicherweise besitzen wir in dem Chinin ein fast unfehlbares Mittel, sowohl zum Schutze gegen die Erkrankung, wie zu ihrer Bekämpfung. Koch exnpfiehlt zur Prophylaxe jeden 9. bis 10. Tag 1 g Chinin; in den Tropen kommt noch als wichtiger Schutz das Moskitonetz hinzu, welches die bedenklichen Blutsauger abhält. Im Kriege wird man Gegenden, welche nach ihrer Bodenbeschaffenheit malariaverdächtig sind, möglichst vermeiden oder im Notfalle Chinin prophylaktisch geben. Eine Seuche, welche leider nach den neuesten Nachrichten immer noch in der Ausbreitung begriffen ist, ist die Bubonenpest; deshalb ist sie gerade für zu- künftige Kriege außerordentlich gefährlich. Bekanntlich ist es der modernen Bakteriologie gelungen, den Erreger der Pest zu finden. Es hat sich nun gezeigt (z. B. bei den vor einiger Zeit in Hamburg und Bremen vorgekommenen Pestfällen), daß die Kranken selbst bei der Bubonenpest für die Weiterverbreitung nicht so sehr in Betracht kommen; freihch ist dies im hohen Maße bei einer besonderen, aber glücklicherweise nicht häufigen Form, in welcher die Pest aufzutreten pflegt, der sogenannten Lungenpest, der Fall, da hier die Pestbazillen durch die Auswurfsstoffe im großen Umfange die Gesunden gefährden. Die Pest tritt meistens nicht plötzlich auf, sondern verbreitet sich ziemlich langsam. Eine besondere Schwierigkeit für das Verständnis der Pest bot die Tatsache, daß sich die Seuche zuweilen an öftlich weit auseinanderliegenden Stellen und zu ganz verschiedenen Zeiten zeigte. Allein auch hierfür hat die Wissenschaft die Erklärung gefunden; und zwar sind es auch hier wieder häusliche Mitbewohner, welche zu dem gefährlichen Zwischenträger werden — nämlich die Ratten. Die Beobachtung hat ge- zeigt, daß gleichzeitig mit der Menschenpest immer auch ein großes Sterben der Ratten einherging, und das Experiment hat erwiesen, daß die Ratten für den Pestbazillus des Menschen in hohem Maße empfänglich sind. Die mit Pest infizierten Ratten laufen oft in entfernte Häuser und entleeren dort ihre Exkremente resp. bringen sie wohl auch einmal mit den Nahrungsmitteln in Berührung ; so ist es klar, daß weit entfernt von der Ausbruchsstelle der Pest gänzlich unvermutet ein neuer Herd entstehen kann. Bei dieser Sachlage muß das Hauptaugenmerk darauf gerichtet sein, jedesmal der Ratten- Seuchenbekämpfung im Kriege. 293 pest unter allen Umständen Herr zu werden. In Indien hat H a f k i n eine Im^Dfung zum Schutze gegen die Pest empfohlen, um (ähnlich wie bei den Pocken) den Organismus gegen die Krankheit zu immunisieren ; allein, die Resultate sind nicht sehr befriedigender Natur, wofür freilich Koch die bisher unzulänglichen Methoden bei der Herstellung des Schutzmittels verantwortlich macht; denselben Standpunkt nimmt er gegenüber einem zur Heilung der ausgebrochenen Pestkrankheit erfundenen Pestserum ein, das bisher wenig oder gar keine Heilerfolge aufzuweisen habe. An die Pest reiht sich als ein nicht minder verderblicher Feind der Menschheit die Cholera an. Bei der Cholera besorgen die Entleerungen der Kranken nahezu ausschließlich die Weiterverbreitung der Seuche, und zwar durch den, bekanntlich von Koch entdeckten, Ciholerabazillus. Die Cholerabazillen ertragen erfreulicherweise das Eintrocknen nicht und können daher nicht, wie ihre gefährlichen Vettern, die Tuberkel- bazillen, in Staubform verbreitet werden; vielmehr ist stets Feuchtigkeit notwendig. Das Wasser (aber nicht nur das Trinkwasser überhaupt) muß deshalb als der wesentlichste Vermittler für die Übertragung der Krankheit angesehen werden. Wenn die Entleerungen der Kranken fehlerhafterweise in Flußläufe, Senkgruben usw. geschüttet werden, so ist es natürlich, daß das versinterte Wasser leicht mit den Trinkbrunnen in Berührung kommen und ihnen die Krankheitserreger zuführen kann. Noch schlimmer ist es freilich, wenn aus den Flüssen, in welche die Entleerungen der Kranken iinerlaubterweise geschüttet werden, getrunken wird, wie es bei den Schiffern trotz aller Warnungen immer noch die Regel ist; dann können explosionsartig Massenerkrankungen vorkommen, die gerade bei Schiffern und in den an den Flußläufen liegenden Ortschaften zur Zeit von Cholera- epidemien nicht selten sind. Der wichtigste Schutz bei der Cholera für die Gesunden ist daher, die Entleerungen der Kranken (durch Chemikalien usw.) unschädlich zu machen und ferner den Genuß von verdächtigem Wasser zu vermeiden resp. nur abgekochtes Wasser zu trinken, welchem man zur Verbesserung des Geschmackes etwas Zitronensaft oder dergleichen zusetzen kann. Die Gefahr einer Übertragung der Cholera durch Be- rührung der Kranken ist gering anzuschlagen gegenüber der Verbreitung auf den ge- schilderten Wegen; allein, um sicher zu sein, daß die Entleerungen des Patienten sorg- samst desinfiziert werden, ist es immerhin ratsam, den Patienten zu isoHeren; besonders notwendig ist diese Maßregel bei vereinzelt auftretenden Fällen, in welchen die Diagnose zunächst noch nicht mit Sicherheit zu stellen ist. Selbstverständlich muß nach dem Erlöschen des Krankheitsfalles alles, was mit dem Kranken in Berührung gekommen ist. einer gründlichen Desinfektion unterzogen werden, in erster Reihe die Wäsche, welche am zweckmäßigsten durch Dampfdesinfektion oder im Notfalle durch Kochen wieder nutzbar gemacht wird. Ebenso wie bei der Pest sind, besonders in Indien, auch bei der Cholera Versuche gemacht worden, Immunisierungsimpfungen mittels abgetöteter Cholerabakterien vorzunehmen ; auch hier sind die Resultate wechselnd und zunächst noch nicht gerade sehr ermutigend. Doch hofft Koch, daß die Verbesserungen der Methoden auch hier in Zukunft Wandel schaffen werde. Immer noch die häufigste und deshalb wichtigste Kriegsseuche ist der A b d o - m i n a 1 1 y p h u s. Wenngleich man bekanntlich die Erreger des Abdominaltj^phus in Gestalt von Bazillen mit Bestimmtheit ermittelt hat, so ist dennoch die Diagnose im Beginn der Erkrankung nicht selten außerordentlich schwierig; und gerade hier ist die frühzeitige richtige Beurteilung der Krankheit so überaus wichtig, weil sie allein es ermögHcht, rechtzeitig diejenigen Maßregeln zu treffen, welche einer Weiterverbreitung vorbeugen können. Eine neuerdings viel gebrauchte Methode, mittels Agglutination (von V i d a 1) die Frühdiagnose zu stellen, erweist sich leider nicht in allen Fällen als anwendbar, da sie zuweilen gänzlich versagt und außerdem geA\ öhnlich zu spät ein brauch- 294 Seuchenbekämpfung im Kriege. bares Resultat gibt; in einer größeren Zahl von frischen Fällen, bei denen schon große Mengen von Typhusbazillen sowohl im Harn, wie in den Stuhlentleerungen gefunden wurden, fiel die V i d a 1 sehe Reaktion negativ aus. Man ist jetzt dabei, im K o c h sehen bakteriologischen Institut eine Methode auszuarbeiten, welche bereits nach 18 — 24 Stun- den mit Sicherheit erkennen läßt, ob Typhus vorliegt oder nicht. Es wäre dies ein höchst beachtenswerter Fortschritt in der Typhusdiagnostik, da bisher alle Versuche, ledig- lich durch den Nachweis von Typhusbazillen die Diagnose zu sichern, daran gescheitert sind, daß die Typhusbazillen in der äußeren Form eine nicht zu differenzierende Ähnlich- keit mit anderen, nicht-spezifischen Bakterien des Darmes aufweisen. Die Typhusbazillen sind so recht die gefährhchen Wasserbakterien; denn, ähnhch wie bei der Cholera, ist infiziertes Wasser und insbesondere derartiges Trinkwasser die Ursache fast sämtlicher größerer Typhusepidemien. Beinahe 90 Proz. aller Typhusepidemien muß man auf die Verunreinigung des Wassers durch Typhusbazillen zurückführen; der Rest kommt auf Kontaktinfektion und vielleicht auch auf die Einatmung von Staub mit Typhusbazillen, welche — im Gegensatz zu den Cholerabazillen — auch Trockenheit sehr gut vertragen und lange Zeit auf dem Boden lebensfähig bleiben. Letzterer Umstand erklärt es, daß sie zuweilen ohne nachweisbare Bahn, zumal bei grobkörniger Erdoberfläche, mit dem Regen wasser usw. in die Tiefe und bei dieser Gelegenheit auch zuweilen in Trinkbrunnen gelangen; meist wird das Trinkwasser freilich dadurch verunreinigt, daß die, ungeheure Mengen von Typhusbazillen enthaltenden, Stuhlentleerungen und Urin der Kranken in Senkgruben oder Flußläufe geschüttet werden. Befindet sich nun eine Senkgrube in der Nähe eines Trinkbrunnens, so gelangen in ihm überaus leicht die mit dem versintern- den Wasser fortgeschwemmten Typhuskeime hinein; dabei gehngt es häufig nicht, in dem todbringenden Wasser des Brunnens die Typhusbazillen nachzuweisen. Dies er- klärt sich daraus, daß zwischen Infektion und dem Erkennen des Typhus ca. 3 Wochen zu vergehen pflegen, da die Bakterien diesen Zeitraum bis zu ihrer völhgen Entwicklung und Erzeugung von khnisch verwertbaren Krankheitssymptomen gebrauchen; unter- sucht man nun den Brunnen, so sind die Keime meistens schon wieder verschwunden. Zum Schutze gegen die Weiterverbreitung des Typhus werden alle jene Maßregeln Platz greifen müssen, welche oben bei der Cholera Erwähnung fanden, also vor allem die gründlichste Desinfektion der Stuhlentleerungen und die Benutzung von nur abge- kochtem Trinkwasser, sofern nicht in der Nähe eine andere Bezugsquelle von zuver- lässig reinem Wasser vorhanden ist. Man hat Versuche angestellt, um durch Filtration oder durch Chemikalien bazillenhaltiges Wasser genießbar zu machen, da im Kriege nicht selten nur eine Bezugsquelle für Wasser vorhanden ist und diese letztere ein Wasser liefert, welches durch seinen Bakteriengehalt den hygienischen Anforderungen nicht genügt. Aber aUe derartige Versuche sind bisher als gescheitert zu betrachten, und nur eine Methode, das Abkochen, hat als durchaus zuverlässig das Feld behauptet; deshalb werden in zukünftigen Kriegen voraussichtlich bei jedem größeren Heere Apparate den einzelnen Truppenteilen zugeteilt werden müssen, in denen in kürzester Frist genügende Wassermengen erst abgekocht und sodann durch künstliche Abkühlung sofort trinkbar gemacht werden können. In Indien sind, mit erheblich besseren Er- folgen als bei der Pest und Cholera, Versuche mit Schutzimpfungen durch Ver- wendung abgetöteter Typhusbazillenkulturen angestellt worden; es sollen gelegentlich einer Epidemie von 360 Geimpften eines Truppenteiles nur 3 Mann erkrankt sein. Diesen günstigen Resultaten stehen freilich auch recht schlechte gegenüber, über welche von anderen Beobachtern berichtet wurde. Es ist zu hoffen, daß sich, wie bei der Cholera und der Pest, durch Verbesserung der Methoden allmählich auch für den Typhus ein Mittel finden läßt, dessen Einimpfung in wirksamerer Weise, als bis- Seuchenbekämpfung im Kriege. 295 lang möglich ist, den Organismus gegen die Gefahren einer Infektion mit Typhiis- bazillen schützt. In vieler Hinsicht dem Typhus sehr ähnlich ist die Dysenterie, welche zwar in den weitaus meisten Fällen nicht entfernt so viele Opfer an Menschenleben, wie der Typhus fordert, dennoch aber für die Heerkörper dadurch auL^erordentlich verhäng- nisvoll werden kann, daß sie überaus große Massen der Mannschaft schwer krank und daher kriegsuntüchtig macht. Die Erreger der Dysenterie, welche bisher noch nicht mit Sicherheit ermittelt wei'den konnten, vermutlich aber mit den in letzter Zeit von ver- schiedenen Forschern beschriebenen Ruhrbazillen identisch sind, haben nach den klini- schen Beobachtungen hinsichtlich ihrer ausdauernden Lebensfähigkeit ganz ähnliche Eigenschaften wie die Typhusbakterien. Als Fürsorge zur Verhütimg der Dysenterie ist deshalb auf tadellose, nicht infizierte Nahrungsmittel und besonders auf keimfreies Trinkwasser der größte Wert zu legen; ist einmal in einer Gegend die Dysenterie aufge- treten, so ist es das ratsamste, daselbst keine Lagerplätze aufzuschlagen resp. dieselben schleunigst zu verlassen. Neben den Maßnahmen, welche vornehmlich in der Vermeidung seuche verdächtiger Gegenden und in der gewissenhaftesten Verwertung aller zur "\^erhütung der Entstehung von Seuchen bisher gewonnenen Beobachtungen bestehen, dürfte die spezifische Schutz- impfung in Zukunft als das Ideal der Seuchenverhütung und damit der Seuchenbe- kämpfung zu gelten haben. Selbstverständlich ist hierbei nicht etwa daran zu denken, daß man künftighin jeden Soldaten mit dem zu jeder einzelnen Seuche gehörigen Schutz- stoffe immunisieren solle; denn danii würde man wahrscheinlich den Organismus wohl gegen die Bakterien feien, ihn selbst aber darüber zugrunde richten, und es müßte mit Recht ein Schutz gegen die Schutzimpfung verlangt werden. Vielmehr sollen, abgesehen von der allgemein durchzuführenden Pockenimpfung, nur diejenigen Truppenkörper mittels Schutzimpfung gegen eine bestimmte Seuche immunisiert werden, welche im Verlaufe des an Wechselfällen so reichen Kriegslebens durch die Sachlage gezwungen sind, vorübergehend in Gegenden sich aufzuhalten, in denen eine bestimmte Seiiche schon vorhanden ist oder auszubrechen droht. Bei Beachtung aller die Seuchen- bekämpfung betreffenden modernen Hilfsmittel und Erfahrungen ist mit Sicherheit zu erwarten, daß in künftigen Zeiten die Kriegsseuchen, wenn auch nicht ganz ausgerottet, so doch sehr wesentlich eingeschränkt und ihrer verhängnisvollen Wirkung auf den Gesundheitszustand der Heerkörper beraubt werden können. Die Bekämpfung des Typhus.') (Vortrag, gehalten in der Sitzimg des Wissenschaftlichen Senats bei der Kaiser- Wilhelms- Akademie am 28. November 1902.) Von Prof. Dr. R. Koch, Geh. Med. -Rat und Direktor des Instituts für Infektionskrankheiten, Generalarzt ä la suite des Sanitätskorps. Meine Herren! Daß der Abdominaltyphus eine der gefährlichsten Kriegsseuchen ist, ist Ihnen allen bekannt. Ich brauche nur daran zu erinnern, daß im Deutsch- Französischen Kriege in unserer Armee über 73 000 Erkrankungen und gegen 9000 Todes- fälle an Typhus vorkamen. Sie werden ja auch jetzt in der allerletzten Zeit noch wieder Gelegenheit gehabt haben, davon zu hören, daß in Südafrika die Engländer in dem Kriege mit den Buren ganz erhebliche Verluste an Abdominaltyphus zu beklagen hatten. Der Abdominaltyphus spielt aber auch in Friederiszeiten eine gewisse Rolle in der Armee. Die Mortahtätsziffer desselben steht an dritter Stufe. Bekanntlich ist die Tuberkulose diejenige Krankheit, welche die meisten Opfer erfordert; dann kommt die Pneumonie, an dritter Stelle der Typhus. Allerdings hat die Typhussterblichkeit in der Armee in den letzten Jahrzehnten ganz erheblich abgenommen. Wir können ungefähr rechnen, daß sie auf ein Viertel heruntergegangen ist seit dem Anfange der 80 er Jahre. Zum Teil hat das darin seinen Grund, daß man sich von selten der Militärverwaltung außer- ordentliche Mühe gegeben hat, alle diejenigen Mißstände, die früher zu Typhusausbrüchen Veranlassung gaben, wegzuschaffen. Aber zum großen Teil liegt es auch daran, daß der Typhus in unseren Großstädten, selbst in den Mittelstädten ganz erheblich abge- nommen hat, stellenweise sogar fast verschwunden ist. Das hängt davon ab, daß die sanitären Verhältnisse in unseren größeren Städten sich in den letzten Jahrzehnten außerordentlich verbessert haben. Fast überall ist eine gute Trinkwasserversorgung und Kanalisation eingeführt, und wir wissen ja, daß der Typhus eine Krankheit ist, deren Verbreitung hauptsächlich, ich möchte sagen, fast ganz von der Art und Weise abhängt, wie man mit den Fäkahen verfährt. Die Fäkalien sind dasjenige Objekt, durch welches die Typhusbazillen aus dem menschlichen Körper in die Außenwelt geschafft und nun überall hin verbreitet werden. Also wenn die Fäkalien, wie das in kanalisierten Städten der Fall ist, sofort aus dem Hause herausgespült werden in Kanäle, welche oft auf große Entfernungen abgeleitet werden, dann können die Typhusbazillen mit dem menschhchen Körper nicht mehr in Berührung kommen, und es kommt nicht mehr zur Infektion. Der Typhus muß unter solchen Verhältnissen also mehr oder weniger aufhören. 1) Aus: Veröffentlichungen aus dem Gebiete des Militär- Sanitätswesens, 1903, Heft 21. Verlag von August Hirschwald, Berlin. Die Bekämpfung des Typhus. 297 Allerdings hat diese Einrichtung auch ihre Schattenseiten. Wenn nämlich in diesen Maßnahmen, also in der Wasserversorgung oder in der Kanalisation, irgendwo sich ein Fehler geltend macht, dann kann er zu ganz außerordentlich großen Unglücks- fällen, zu Massenerkrankungen an Typhus Veranlassung geben, wie wir dies in der letzten Zeit vielfach erlebt haben. Derartige Einrichtungen können sich aber doch nur leistungsfähige Gemeinden gestatten, also größere Gemeinden, Städte, während das auf dem Lande nicht möglich ist. Es wird ja hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft dahin kommen, daß es auch auf dem Lande besser aussieht, daß mr auch da ähnliche gute Verhältnisse erhalten, wie wir das jetzt schon in den Städten erreicht haben. Aber Sie werden ohne weiteres zugeben, daß, wenn es uns auch gelingen sollte, die Wasserverhältnisse auf dem Lande erheblich zu verbessern, es wohl kaum möglich ist, die Beseitigung der Fäkalien so zu gestalten, daß sie nicht mehr zur Weiterverschleppung der Infektionsstoffe und damit auch zur Infektion mit Typhuskeimen Veranlassung geben kann. Die Fäkalien sind ja auf dem Lande von einer ganz anderen Bedeutung als wie in der Stadt. Sie müsseii als Dungstoffe dienen und werden deswegen sorgfältig gesammelt, auf die Felder ge- schafft, konnnen dann ev. mit Gemüse und dergleichen wieder in die Haushaltungen oder sie können in Flußläufe. Brunnen usw. hineingesjnilt werden. Auf dem Lande werden die Fäkalien auch nicht, wie jeder, der die ländlichen Verhältnisse kennt, bestätigen kann, so behandelt, wie das in den Städten der Fall ist, wo schon die Menschen auf- einander mehr Rücksicht nehmen müssen, weil sie dicht beisammenwohnen. Da wird sehr ungeniert mit den Fäkalien umgegangen. Man findet sie überall, auf den Wegen, neben den Häusern, von wo sie mit den Füßen der Menschen sehr leicht wieder in die menschlichen Wohnungen verschleppt werden. Daher kommt es wohl auch, daß der Typhus auf dem Lande, wenigstens soweit meine Erfahrung reicht, noch dieselbe Be- deutung behalten hat. wie es früher der Fall gewesen ist. Ich kann wenigstens nicht finden, daß auf dem Lande etwa ein ähnlicher Rückgang des Typhus zustande gekommen wäre, wie wir das von den Städten kennen. Nun kommt aber die Armee gerade mit diesen Typhusherden auf dem Lande doch öfters in Berührung. Es ist eine ganz bekannte Tatsache, daß nach den Manövern die Truppen fast regelmäßig Typhus mit in die Garnison bringen, den sie' im Manöverge- lände aufgenommen haben. Aber wie soll das nun gar werden, wenn etwa im Kriegs- fall die Armee an der Grenze in einer Gegend, die sehr von Typhus verseucht ist. auf- marschieren muß, und wenn man nicht, wie bei den Manövern, die Stellen alle schon kennt, wo Typhus ist, und sie sorgfältig vermeidet, sondern wenn alle Ortschaften belegt werden müssen, wie sie gerade sind. Da kann es gar nicht anders kommen, als daß die Armee den Typhus dann aufnimmt und so schon typhusverseucht ihre Operationen be- ginnen muß. In dieser Beziehung befindet sich gerade unsere Westgrenze in recht be- denklichen Verhältnissen. Seine Exzellenz der Herr Generalstabsarzt hat eine karto- graphische Zusannnenstellung der gemeldeten Typhusfälle dieses Bezirks machen lassen. Da kann man ohne weiteres sehen, wie sich an unserer Westgrenze, namenthch im Be- zirke des VIII. Armeekorps, der Typhus häuft, und wie Ort an Ort davon befallen ist. Wir müssen es also nicht bloß wünschen, sondern wir müssen es als geradezu notwendig er- klären, daß dort etwas geschieht, damit der Typhus auch auf dem Lande möglichst ebenso zurückgedrängt Avird, wie das in den Städten geschehen ist. Aber wie soll das geschehen ? Früher würde man gesagt haben ; wir müssen mög- lichst große Reinlichkeit walten lassen, und wir müssen versuchen, die Wasserverhält- nisse zu verbessern sowie die Beseitigung der Fäkalien möglichst rationell zu gestalten. Aber, wie ich schon vorhin auseinandersetzte, wird man auf dem I^ande nicht allzu weit 298 Die Bekämpfung des Typhus. damit kommen, wenigstens nicht in kurzer Frist. Wir werden selbstverständlich diese Maßregeln nicht vernachlässigen, aber wir müssen uns außerdem nach anderen Mitteln und Wegen umsehen, welche schneller zum Ziele führen, und da haben wir ein Beispiel, an dem wir ermessen können, wie das wohl anzufangen ist. Das ist die Cholera. Auch bei der Cholera spielen die Fäces fast dieselbe Rolle wie beim Typhus, indem sie die Verbreitung der Seuche vermitteln. Wir haben in der letzten Choleraepidemie, obwohl die Cholera von allen Seiten her und häufig in das Land geschleppt wurde, es doch mehrere Jahre hindurch erreichen können, daß die Seuche immer auf dem allerniedrigsten Niveau gehalten wurde, und daß sie immer sehr bald wieder ausgerottet war. Wir haben aller- dings es in der Bekämpfung der Cholera ganz anders gehalten, als man es früher getan hat. Früher verhielt man sich, ich möchte sagen, mehr defensiv. Man versuchte so- viel wie möglich für Reinlichkeit zu sorgen, die Wasserverhältnisse zu verbessern. Das geht aber, wie gesagt, nur an bestimmten Punkten, die man in dieser Beziehung etwa wie Festungen bezeichnen könnte, hinter die man sich verschanzte. Das übrige mußte man gehen lassen, wie es ging. Wir sind von diesem defensiven Standpunkte ganz ab- gegangen und haben die Offensive ergriffen. Wir konnten dies tun, weil wir uns der Cholera gegenüber in einer ganz anderen Situation befanden als früher. Wir kannten ja den Infektionsstoff und konnten direkt auf ihn losgehen, und das haben wir getan. Mit Hilfe der bakteriologisch-diagnostischen Methode war es möglich, jeden einzelnen Fall von Cholera festzustellen, und dann war es ja das nächstliegende, daß wir jeden als solchen erkannten Cholerafall unschädlich machten — d. h. unschädlich im hygieni- schen Sinne — , er wurde isoliert, und alle Abgänge wurden desinfiziert, so daß von dem Kranken aus der Infektionsstoff nicht weiterverschleppt werden konnte. Auf diese Weise ist es uns gelungen, zu erreichen, daß d^e Infektion aufhörte und die Cholera erlosch. Dann gibt es noch eine andere Krankheit, die uns auch als Führer dienen kann — für mich wenigstens ist sie die eigentliche Anregung der Typhusbekämpfung gewesen — , das ist die Malaria. Vor 20, 30 Jahren hätte kein Mensch sich träumen lassen, daß man diese Krankheit, die doch als eine ausgesprochene Bodenkrankheit, als eine miasmatische bezeichnet wurde, wegschaffen könnte, ohne sich überhaupt um den Boden zu kümmern. Und doch hat sich dies erreichen lassen. Bei der Malaria liegen die Verhältnisse in gewisser Beziehung ähnlich wie bei der Cholera. Wir können den Infektionsstoff mit außerordent- licher Sicherheit und leicht ermitteln. Wir brauchen nur ein Blutpräparat anzufertigen und mikroskopisch zu untersuchen, dann finden wir die Malariaparasiten darin, und haben damit den unumstößlichen Beweis dafür, daß der betreffende Mensch den Infek- tionsstoff in sich birgt. Auch das Unschädlichmachen des Malariakranken ist nicht schwierig. Wir haben im Chinin ein ausgezeichnetes, wenn ich mich so ausdrücken soll, Blutdesinfektionsmittel, und wir sind imstande, mit demselben die Parasiten zu be- seitigen. Werden nun alle Parasitenträger an einem Orte von ihren Malariaparasiten befreit, dann ist derselbe malariafrei gemacht. Ich habe schon mehrere derartige Ver- suche angestellt, und sie sind alle außerordentlich günstig verlaufen. Es wurde erreicht, daß die Malaria, welche in der Weise bekämpft wurde, daß man die Malariaparasiten aufsuchte und sie dann durch Chinin vernichtete, vollständig verschwand. Es handelt sich also um zwei Bedingungen, welche zu erfüllen sind. Wir müssen imstande sein, erstens den Infektionsstoff leicht und mit Sicherheit aufzufinden, und zweitens, ihn zu vernichten. Bei den beiden genannten Krankheiten geht das, sie sind deswegen auf diese Weise zu bekämpfen. Nun fragt es sich aber, ob das auch auf den Typhus Anwendung finden kann. Hier steht es schon in bezug auf die Diagnose recht ungünstig. Wir haben allerdings ein diagnostisches, vielbenutztes Hilfsmittel zur Ermittelung des Typhus, das ist die Die Bekämpfung des Typhus. 299 V i cl a 1 sehe Reaktion oder die Agglutinationsprobe. Dieselbe ist aber für ixnsere Zwecke nicht wohl zu gebrauchen. Sie gibt zu spät einen sicheren Anhalt, gewöhnlich erst in der zweite'ia Woche. Sie läßt uns auch bei ziemlich vielen Fällen, namentlich bei leichteren im Stich. Also können wir mit dieser Methode nicht viel anfangen, und noch schlechter steht es, wenigstens für unseren Zweck, mit den bakteriologisch-diagnostischen Methoden. Diese gehen regelmäßig darauf hinaus, daß man die Typhusbazillen in ihrem Wachstum behinderte. Man gibt den Nährböden Zusätze, welche bewirken, daß die Typhusbazillen schlechter wachsen, während die Kolibazillen, von denen man sie hauptsächlich zu trennen hat, sehr üppig gedeihen. Um diesen Unterschied recht klar hervortreten zu lassen, muß man einige Tage verstreichen lassen, und man erhält also das Resultat sehr spät. Wenn man aber mehrere Tage auf die Diagnose warten muß, dann ist sie für unseren Zweck nicht zu gebrauchen. Ich habe mir deswegen Mühe gegeben, etwas Besseres zu schaffen, und habe zu diesem Zwecke fast ein Jahr lang alle verfügbaren Kräfte des Instituts für Infektionskrankheiten über Typhusdiagnose arbeiten lassen. Es wurden alle be- kannten Methoden nachgeprüft; wir versuchten sie zu verbessern und die Vorteile der « einen mit den Vorteilen der anderen zu verbinden. Ganz allmählich sind wir dann schließ- lich zu einem Verfahren gekommen, das in seiner jetzigen Form von den Herren v o n D r i g a 1 s k i und (J o n r a d i ausgearbeitet ist. Dasselbe leistet, wie ich glaube, für den Typhus fast dasselbe, wie die bekannte bakteriologische Diagnose der Cholera für die Ermittelung der Cholera. Das Eigentümliche an diesem Verfahren besteht in folgen- dem : Es wurde nicht mehr darauf ausgegangen, die Typhusbazillen in ihrem Wachstum zurückzuhalten, sondern sie womöglich im Wachstum zu begünstigen. Dem betreffenden Nährboden werden deswegen Substanzen zugefügt, bei denen die Typhusbazillen mög- lichst gut gedeihen. Außerdem erhält er Zusätze, welche einen großen Teil der Darm- bakterien zurückhalten, so daß man fast nur noch mit Bakterien der Koligruppe zu tun hat. Es wachsen daneben noch einige Arten von Kokken und anderen Bakterien, welche aber von vornherein durch das Aussehen ihrer Kolonien auszuschließen sind. Es handelt sich also schließlich nur noch um eine Unterscheidung innerhalb der Koli- und Typhus- gruppe. Um diese voneinander zu trennen, benutzt man bekanntlich die Säurebildung dieser Bakterien. Die ausgesprochenen Kolibakterien bilden sehr viel Säure, die Typhus- bazillen wenig. Wenn man also den Nährboden in bezug auf seine Reaktion richtig abstimmt, dann kann man es erreichen, daß die Typhusbazillen immer noch alkalisch bleiben, während die Kolonien der Kolibazillen schon sauer sind. Setzt man einem solchen Nährboden dann Lackmuslösung zu, dann erscheinen die Typhuskolonien, wenigstens bis zu einer gewissen Zeit ihrer Entwickelung, blau und die Kohkolonien rot. Damit fällt wieder eine Anzahl von solchen Bakterienarten, die zur Verwechselung dienen können, weg. Es bleiben dann eigentlich nur noch verhältnismäßig wenige. Das sind die soge- nannten Alkalibildner, die dem Typhusbazillus sehr nahe stehen. Auch die Ruhrbakterien gehören hierhin, welche in ihren Kolonien denjenigen der Typhusbazillen sehr ähnlich sind. Um auch diese letzten Konkurrenten von den Typhusbazillen zu unterscheiden, benutzen wir die Agglutination. Dieselbe läßt sich in diesem Falle leicht anwenden, da die zu untersuchenden Kolonien so groß sind, daß man ohne weiteres von denselben etwas Substanz entnehmen und im hängenden Tropfen prüfen kann. Allerdings muß das zur Verwendung kommende Serum sehr hochwertig sein. Mit einem solchen läl3t sich ganz sicher erkennen, ob man eine richtige Typhuskolonie oder beispielsweise eine Ruhrkolonie oder einen von den Alkalibildnern usw. vor sich hat. In solcher Weise sind wir jetzt imstande, in Zeit von 20 — 24 Stunden eine ganz zuverlässige Diagnose zu stellen, und zwar in einem viel früheren Stadium, als es mit dem V i d a 1 sehen Verfahren mög- lich ist. Wir haben in einzelnen Fällen schon in den allerersten Tagen der Erkrankung 300 Die Bekämiofung des Typhus. die Typhusbazillen nachweisen können, so zum Beispiel in einem Falle, der in unserem eigenen Laboratorium vorgekommen war, schon am zweiten Tage seiner Erkrankung. Mit diesem Verfahren sind dann eine Reihe von Fällen geprüft, die u!is hier in Berlin zur Verfügung gestellt wurden. Wir beschränkten uns aber nicht nur auf die ausgesprochenen Typhusfälle, sondern es wurden auch die Verdächtigen und die scheinbar Gesunden in der Umgebung der Typhuskranken untersucht, ganz wie wir das bei der Cholera zu tun pflegen. Auch bei dieser letzteren Krankheit beschränkt man sich niemals darauf, allein den gemeldeten Cholerafall zu untersuchen, sondern es wird außerdem alles, was in seiner Umgebung sich befindet, alles, was mit ihm in Berührung gekommen ist und möghcherweise infiziert sein kann, untersucht. Genau so haben wir es beim Typhus gemacht, und da ist es mehrfach gelungen, ganz leichte Fälle herauszufinden, welche Typhusbazillen in ihren Ausleerungen hatten, klinisch aber kaum erkennbare Erscheinun- gen darboten. Es wurden sogar in einigen Fällen die Typhusbazillen bei solchen Menschen aufgefunden, die gar keine klinischen Symptome hatten. Es ergaben sich also dieselben Verhältnisse, wie wir sie von der Cholera kennen. Unsere bakteriologisch-diagnostische Methode hatte sich also als durchaus leistungs- • fähig erwiesen. Es kam nunmehr darauf an. sich über die zweite Bedingung Gewißheit zu verschaffen, nämlich darüber, ob es möglich ist, dadurch, daß wir alle aufgefundenen Typhusfälle unschädlich machen, den Typhus auszurotten. Das ist so ohne weiteres noch nicht ausgemacht. Dazu müßten die Verhältnisse so liegen, wie es bei der Cholera der Fall ist, und bei der Malaria. Es müßte nämlich der Infektionsstoff ein obligater Parasit für den Menschen sein. Bei der Cholera ist es so. Die Cholerabakterien können nirgendwo anders vorkommen, als wie im Menschen. Sie können sich nicht in der Außen- natur lange halten oder gar vermehren. Sie verschwinden im Gegenteil sehr bald wieder und sie werden immer nur durch den Menschen reproduziert und überallhin verstreut. Genau so ist es mit der Malaria. Ein Malaria-Parasit ist ein obligater Parasit für den Menschen, er kann nirgendwo anders existieren als in dem menschlichen Blut. Also wenn ich ihn da vernichte, dann weiß ich, daß ich die Quelle, aus der er fließt, vollständig abschneide. Es fragt sich nun, ob es für den Typhus auch so liegt, daß, wenn wir alle Typhus- kranken, die wir auffinden, unschädlich machen, damit nun auch die sämtlichen Typhus- quellen verstopft werden. Früher nahm man immer an, — auch ich habe das ursprüng- lich getan — daß es nicht so sei, und daß der Typhusbazillus kein obligater Parasit sei, sondern daß er imstande sei. ein saprophytisches Leben führen zu können. Die Typhus- bazillen sollten sich zum Beispiel im Wasser lange halten können, und wenn sie in den Boden gelangten, sollten sie sich in denselben einnisten können, sich darin vermehren, Jahrzehnte, womöglich Jahrhunderte darin leben können, so daß, wenn ein solcher ver- seuchter Boden angerührt und umgewühlt wurde, dann der Typhus zum Ausbruch kam. Aber ich bin doch, je länger ich mich mit der Typhusätiologie beschäftigt habe, von dieser Auffassung immer mehr zurückgekommen. Zunächst ist es mir aufgefallen, daß Typhusbazillen im Wasser sich nur kurze Zeit halten. Es kommt ja doch gar nicht so selten vor. daß ein Brunnen infiziert wird, und daß infolgedessen eme Anzahl von Menschen rings um denselben erkrankt. Ich habe öfters Gelegenheit gehabt, in einem solchen Falle das Wasser untersuchen zu lassen. Es ist uns nur ein einziges Mal gelungen, soviel ich mich im Augenblick entsinne, Typhusbazillen darin nachzuweisen, und in diesem Falle auch nur deswegen, weil immer wieder von neuem Fäkalien in den Brunnen hineinge- spült waren. Ich gewann somit die Überzeugung, daß das Verhalten der Typhusbazillen zum Wasser doch ein ganz anderes ist, als wir uns dies früher vorgestellt hatten. Ganz ähnlich ist es mir in bezug auf den Boden ergangen, und ich bin mehr und mehr dahin Die Bekämpfung des Typhus. 301 gekommen, daß die Typhusbazillen auch im Boden ^ich nicht lange halten können. Sie können sich vielleicht in einem feuchten Boden, wenn sie etwa mit Dungstoffen usw. dahin gelangten, ein paar Wochen, selbst einige Monate halten. Ks ist möglich, daß sie sich einen Winter hindurch auf den Feldern lebend erhalten können, wenn sie durch Latrineninhalt usw. dahin gekommen sind, aber viel länger nicht. Wenn man kleine Typhusepidemien auf dem Lande, die durchsichtig sind, untersuchen kann, dann findet man regelmäßig, daß die einzelnen Fälle untereinander in Verbindung stehen. Sie bilden gewöhnlich Ketten, indem ein Fall immer von einem andern abhängt, und es läßt sich verfolgen, wie sich von einem Falle die Krankheit auf andere direkt übertragen hat. Wir müssen also mehr und mehr dahin kommen, auch für die Typhusbazillen dasselbe anzunehmen, wie für die Cholerabakterien, daß sie nämlich auch nur obligate Parasiteji sind, die sich vielleicht etwas länger außerhalb des menschlichen Körpers halten können, namentlich im Boden, als die Cholerabakterien, aber schließlich doch auch zugrunde gehen. Also damit waren die beiden Bedingungen, welche man für die Bekämpfung einer solchen Infektionskrankheit nötig hat, gegeben, und man konnte daran denken, nun an einen Versuch zu gehen in ähnlicher Weise, wie wir es bei der Malaria gemacht haben, um nach denselben Prinzipien den Typhus auszurotten. Dieser Versuch ist denn auch gemacht. Das Kultusministerium ist auf meine Ideen und auf meine Vorschläge einge- gangen und hat mir die Mittel bewilligt. Seine Exzellenz der Herr Greneralstabsarzt hat mir mehrere Ärzte zur Verfügung gestellt und die Räume in einem Garnisonlazarett für das Laboratorium. Wir haben unsere Arbeiten im Anfang dieses Jahres in Trier und dessen Umgegend begonnen. Ich bin absichtlich nach Trier gegangen, einmal, weil dort, wie mir bereits bekannt war, viel Typhus vorhanden ist, und namentlich, weil Trier in dem Aufmarschgebiet liegt, also von ganz besonderer Bedeutung ist. Wir haben uns zunächst an die von den Ärzten gemeldeten Fälle gehalten. Dieselben gaben uns allerdings nur einen dürftigen Einblick in die Typhusverhältnisse der dortigen Gegend. Man fand hier und da einige Typhusfälle und nur in ganz vereinzelten Fällen waren die Typhusfälle auch etwas mehr gehäuft. Wir haben unser Augenmerk besonders auf diese letzteren Stellen gerichtet und wir fanden sehr bald, daß in nicht zu großer Entfernung von Trier sich ein richtiger Typhusherd an einer solchen Stelle gebildet hatte. Es war das in einer kleinen Gruppe von Dörfern, die auf dem sogenannten Hochwalde liegen, der sich als ein flacher Höhenzug zwischen Mosel und Nahe hinzieht. In diesen Dörfern — es sind das Waldweiler, Schillingen, Heddert und Mandern — die eigentlich eine große Gemeinde zusammen bilden und mcht sehr weit von einander entfernt liegen, wurden in Zeit von mehreren Monaten im ganzen acht Typhusfälle gemeldet. Als aber die Verhältnisse an Oi;t und Stelle etwas genauer untersucht wurden, stellte sich sofort heraus, daß viel mehr Typhus vorhanden war, als die wenigen gemeldeten Fälle. Die Untersuchung erstreckte sich zunächst auf alle diejenigen, welche ausgesprochene Typhus- symptome zeigten. Dann wurden in deren Umgebung die zugehörigen Familienmit- glieder abgesucht. Es wurde Auskunft von den Geistlichen, von den Lehrern erbeten, welche uns sehr behilflich gewesen sind. Zur Entdeckung von Typhusverdächtigen haben sich die Schulversäumnislisten als sehr gute Wegweiser herausgestellt. Auch die Listen der Ortskrankenkassen wurden zu Rate gezogen. Auf diese Weise wurden im ganzen 72 Todesfälle festgestellt, die innerhalb der Zeit, wo jene 8 Fälle gemeldet waren, vor- gekommen sind. Einzelne waren ja schon abgelaufen, diese konnte man durch das V i d a 1 - sehe Verfahren noch nachträglich nachweisen. Bei dieser Tatsache, daß in einem Ort oder vielmehr üi einer ( h'tsgruppe, wo acht Typhusfälle im ganzen ärztlich gemeldet sind, in Wirklichkeit 72 nachgewiesen wurden, möchte ich einen Axigenblick verweilen. Ich habe mir früher immer vorgestellt, daß. 302 Die Bekämpfung des Typhus. wenn die Ärzte uns nur alle von ihnen behandelten Typhusfälle richtig melden würden, und wenn wir dann diese Typhusfälle durch Desinfektion, Isolierung usw. unschädUeh machen würden, wir gegen den Typhus sehr viel erreichen müßten. Wir sind in dieser Beziehung vor nicht sehr langer Zeit bei der Beratung der Ausführungsbestimmungen zum Seuchengesetze sogar noch etwas weiter gegangen und haben den Wunsch ausge- sprochen, daß auch die Typhusverdächtigen gemeldet werden möchten. Dann glaubten "wdr wohl alles erreicht zu haben, was überhaupt zu erreichen ist. Aber nachdem wir solche Erfahrungen bei unseren Typhusuntersuchungen in den Dörfern des Trierer Land- kreises gemacht haben, muß ich gestehen, daß ich alle meine Illusionen aufgegeben habe. Ich bin davon überzeugt, daß in diesen Dörfern alle Fälle, die den Ärzten in die Hände gekommen sind, auch sämtlich gemeldet wurden. Aber wenn wir die Ärzte auch veranlaßt hätten, uns selbst noch die Typhusverdächtigen zu melden, so hätten wir auch dadurch nicht im geringsten mehr erreicht, weil derartige Kranke sich auf dem Lande gar nicht an den Arzt wenden. Die von uns nachgewiesenen Typhusfälle betrafen zum allergrößten Teile Menschen, von denen die Ärzte, die in jener Gegend praktizieren, nichts gewußt haben, es waren nämlich meistens Kinder. Dies ist eine ganz auffallende Erscheinung. Es erinnerte mich sofort an die Verhältnisse, wie wir sie bei der Malaria finden; an welcher Krankheit in den endemisch verseuchten Gegenden auch nur noch die Kinder erkranken. In der Umgegend von Trier haust der Typhus schon seit vielen Jahren, er ist dort endemisch und eine Menge von Menschen haben die Krankheit schon durchgemacht und sind nun immun. Aber die nachwachsende Generation, die Kinder, müssen immer von neuem durchseucht werden. Es befanden sich unter den 72 Typhus- fällen 52 Kinder, und von diesen 52 Kindern waren nur 3 gemeldet. Unter solchen Verhältnissen ist es wohl klar, daß uns die Meldungen der Ärzte für die Ausrottung des Typhus nur sehr wenig nützen können. Sie sind uns aber insofern wichtig, als sie uns den ersten Anhalt zu geben vermögen. Wir erfahren durch dieselben, daß irgendwo Typhus vorhanden ist, wenn auch nicht, in welchem Umfange. Sie dienen uns also als Index und als solchen möchte ich die ärztlichen Meldungen um keinen Preis entbehren. Aber einen größeren Nutzen können wir von dem Meldewesen nicht verlangen. Wir können und dürfen auch den Ärzten keine Vorwürfe machen, daß sie etwa ihre Pflicht nicht getan hätten. Im Gegenteil, sie haben ihre Pflicht erfüllt, so weit ihre Kenntnis von dem V'orhandensein des Typhus reichte. Wir müssen die Typhusbekämpfung eben ganz anders angreifen, als das früher geschehen ist. Es stellte sich bei unseren Untersuchungen heraus, daß alle Typhusfälle auf Kontakt zu beziehen waren, d. h. die Infektion war immer von einem Menschen direkt auf den anderen übertragen. Es war nicht die Spur von einer Beziehung zum Wasser zu finden. Von den Bauernhäusern hat allerdings fast ein jedes seinen Brunnen. Es wäre also gar nicht unmöglich gewesen, daß auch eine Brunneninfektion hätte vorkommen können. Aber es wurde nichts derartiges gefunden. Die Fälle in einem Hause bildeten immer eine Kette. Es erkrankte eine Person, dann zwei oder drei Wochen später wieder eine, einige Wochen später noch eine, und so weiter. Verschleppt wurde die Krankheit hauptsächlich durch die Kinder. Besonders die Schulkinder spielten eine ganz bedeutende Rolle. Sie ver- kehrten viel untereinander und waren den ganzen Tag zusammen. Wenn eins krank war, kamen andere zum Besuch und infizierten sich. Hauptsächüch kam aber die In- fektion, wi*e ich glaube, durch die Art und Weise, wie die Fäkalien behandelt wurden, zustande. Ich habe mich zwar selbst davon überzeugen können, daß Abtritte vorhanden sind, die gewöhnlich am Rande des Düngerhaufens aufgestellt oder etwas darüber hinweg gebaut sind. Ich glaube auch, daß die Erwachsenen die Abtritte benützen, die Kinder tun dies aber nicht. Man konnte regelmäßig die Beobachtung machen, daß unmittelbar Die Bekämpfung des Typhus. 303 neben der Haustür ein Knthaufen neben dem anderen lag, welche von Kindern herrührten, so daß es eigentlich gar nicht anders möglich war. als daß, wenn unter diesen Fäkalien sich Typhusentleerungen befanden, sie an den FüL^en der Kinder wieder in das Haus hineingeschleppt wurden. Unsere bateriologisch-diagnostische Methode hat sich in diesem Falle, wie ich glaube, vollständig bewährt. Ich habe die Überzeugung gewonnen, daß wir uns auf die- selbe verlassen können. Es ist ja möglich, daß sie sich noch weiter verbessern läßt. Dann wird sie vielleicht noch schneller und präziser arbeiten. Aber wir können mit dem, was sie uns jetzt schon leistet, vollständig auskommen. Wir hatten also durch diese Untersuchungen einen sicheren Einblick in die Typhus- verhältnisse dieser Dörfergruppe gewonnen. Es kam nun darauf an, nachdem die Diagnose zu ihrem Rechte gekommen war, die Typhuskranken unter solche ^"erhältnisse zu bringen, daß von ihnen eine Infektion nicht mehr ausgehen konnte. Es mußte also isoliert, es mußte desinfiziert werden. Zu diesem Zweck wurde eine Döckersche Baracke aufgestellt, die glücklicherweise zu haben war. Es wurden außerdem einige Krankenschwestern engagiert, ferner ein Desinfektor, und alles, was nicht in die Baracke hineingebracht werden konnte, was in den Häusern bleiben mußte, wurde durch die Schwestern und den Desinfektor überwacht. Die schwersten Fälle, im gaiizen 32, kamen in die Baracke. Wir sind dabei auf keinen Widerstand gestoßen. Im Anfang waren die Leute allerdings etwas mißtrauisch und zvu'ückhaltend, hauptsächlich wohl deswegen, weil sie immer fürchteten, daß ihnen Unkosten erwachsen würden. Sobald sie aber merkten, daß es ihnen gar nichts kostete, daß sie alles umsonst hatten, gingen sie auf alle unsere Wünsche ein. Wir haben die Kranken nicht eher aus der Beobachtung entlassen, als bis sie bei drei aufeinander folgenden bakteriologischen Untersuchungen sich vollständig frei von Typhusbazillen erwiesen hatten. Nach drei Monaten waren überhaupt keine Typhus- bazillen mehr zu finden, die Kranken waren geheilt und frische Fälle kamen nicht mehr vor, und so war es uns gelungen, innerhalb dieser Zeit den Typhus in jener Gruppe von Dörfern vollkommen auszurotten. Nun könnte man allerdings behaupten — und ich würde in einem solchen Falle auch diesen Einwand erheben — , daß der Typhus auch ohne unser Zutun geschwunden sein würde. Das ist aber in dieserti Falle nicht richtig. Denn auf dem Hochwald gibt es noch viele Dörfer unter ganz ähnlichen oder fast den gleichen Verhältnissen, die auch Typhus haben, und da haust der Typhus genau so weiter, wie in der von uns behandelten Gruppe von Dörfern. Dann möchte ich namentlich darauf aufmerksam machen, daß der Typhus seitdem es ist jetzt schon ungefähr ein halbes Jahr her überhaupt nicht wieder zum Vorschein gekommen ist, namentlich auch nicht in der Zeit, wo der Typhus sich doch gewöhnlich wieder zu zeigen pflegt, nämlich im August und September, wo auch in der übrigen Gegend der Typhus überall zuge- nommen hat. Unser Versuch war also vollständig gelungen, und er beweist einmal, daß eine derartige offensive Typhusbekämpfung, welche ganz nach dem Schema der Cholerabekämpfung geleitet wurde, sich durchführen läßt, und zweitens beweist er, daß es in der Tat keine andere Quelle für die Typhusinfektion gibt, als den Menschen. Denn wir haben uns ja nur um den Infektionsstoff gekümmert, welcher von den Menschen ausging und nur diesen haben wir zu vernichten versucht. Wenn etwa die Infektion noch auf irgendeinem anderen Wege zum Beispiel aus dem Boden an den Menschen gelangen könnte, dann hätte trotz unserer Bemühungen noch eine Anzahl frischer Typhus- fälle vorkommen müssen. Aber dies war nicht der Fall. Es hat sich hier genau dasselbe gezeigt, was ich bei meinen Untersuchungen über die Malaria gefunden habe. Den ersten Versuch einer Malaria-Bekämpfung in Neu- Guinea habe ich auch nur zu dem Zwecke gemacht, um zunächst einmal den Nachweis zu führen, daß es keine andere Quelle für 304 Die Bekämpfung des Typhus. die Malaria-Infektion gibt, als den Menschen. Und diesen selben Beweis glaube ich auch durch den Versuch in Waldweiler für den Typhus geliefert zu haben. Es käme nun darauf an, die Sache weiter zu führen. Etwas, was an einem Punkte gelingt, das muß auch an anderen gelingen, und theoretisch konstruiert muß es möglich sein, wenn man nur die nötige Zahl von Ärzten und die nötigen Geldmittel hat, in Zeit von ein paar Jahren ein großes Gebiet von Typhus frei zu machen. Aber solchen Illu- sionen möchte ich mich doch nicht hingeben. Ich würde zufrieden sein, wenn wir zu- nächst in kleineren Verhältnissen und langsam vorwärts kommen, um uns für die Praxis noch mehr einzuüben und immer mehr Erfahrungen zu gewinnen. Ich möchte aber von vornherein darauf aufmerksam machen, daß diese Art der Typhusbekämpfung, wie überhaupt die Bekämpfung von Seuchen nicht etwa durch die praktischen Ärzte aus- geführt werden kann. Selbst die Kreisärzte, glaube ich. können sich damit nicht befassen. Sie haben viel zu wenig Zeit und es fehlt ihnen auch die nötige Übung. Es gehört zu diesen Arbeiten namentlich zur richtigen Anwendung der verfeinerten diagnostischen Hilfsmittel eben eine große Übung. Wir müssen deswegen ganz besonders geschulte Ärzte dazu verwenden, und da auch Laboratoriumseinrichtungen dazu gehören, so bleibt nichts anderes übrig, als eine Art von Institut einzurichten, welchem die Bekämpfung des Typhus und auch anderer Seuchen, z. B. der Ruhr übertragen wird. Ein solches Institut wird zweckmäßigerweise an einer Stelle errichtet werden, wo der Typhus be- sonders stark endemisch herrscht, und wo eine fortwährende Überwachung notwendig ist. Derartige Verhältnisse finden sich in den Industriegebieten. Ich bin jetzt gerade vor einem Jahr in dem Industriegebiet des Ruhrkohlenbeckens gewesen, wo eine große Typhusepidemie durch Verunreinigung der Wasserleitung entstanden war. Tausende von Typhusfällen waren vorgekommen und es erforderte große Anstrengungen, um der Seuche Herr zu werden. Aber die größte Sorge bestand doch darin, daß man auf eine Wiederholung des Typhusausbruchs gefaßt sein mußte. Ich habe damals in einer für diesen Zweck einberufenen Versammlung die von mir soeben auseinandergesetzten Prin- zipien der Typhusbekämpfung dargelegt und damit solchen Anklang gefunden, daß die Begründung eines Institutes zur Bekämpfung der Seuchen und insbesondere des Typhus beschlossen wurde. Dasselbe ist dann ohne Inanspruchnahme von Staatshilfe mit pri- vaten Mitteln eingerichtet und funktioniert seit etwa einem halben Jahre. Auch an der Westgrenze unseres Staatsgebietes befinden sich zwei solcher großen Industriezentren, dasjenige von Saarbrücken und das von Diedenhofen, in der Nähe von Metz. In dem Industriegebiet von Saarbrücken herrscht der Typhus beständig und wird von da aus vielfach in die Umgebung verschleppt. Auch bei unseren Untersuchungen in dem Land- kreise von Trier war es uns vielfach aufgefallen, daß die letzten Spuren des Typhus immer nach dem Saargebiet wiesen. Es würde also nichts anderes übrig bleiben, um diesen fortwährenden Neueinschleppungen einmal definitiv ein Ende zu machen, als daß man das Saarbrückener Industriegebiet vom Typhus reinigt und ihm zu diesem Zwecke ein solches Institut gibt, so ähnhch, wie es im Ruhrkohlengebiet geschehen ist. Ein von mir gestellter Antrag auf Errichtung eines Instituts in Saarbrücken hat denn auch Be- achtung gefunden, und Seine Majestät der Kaiser, welcher ein reges Interesse für die Angelegenheit besitzt, hat die Mittel zur Einrichtung des Instituts zur Verfügung gestellt. Nachdem dann noch die Bezirksregierung von Lothringen beschlossen hat, für denDieden- hofener Bezirk ein Institut in Metz zu begründen, verfügen wir in jener Gegend bereits über drei solcher Anstalten, welche ein sehr wichtiges Gebiet einschheßen, welches in nächster Zeit frei von Typhus gemacht und erhalten werden soll. Zum Schluß möchte ich noch darauf hinweisen, m. H., daß es sich hier nicht um die Bekämpfung einer einzelnen Krankheit, sondern um ganz allgemein gültige Prin- Die Bekä]npfung des Typhus 305 zipien handelt. Denn das, was wir für CÜiolera bei'eits bewährt gefunden haben, was für Malaria bewiesen ist, und was jetzt für den Typhus Anwendung gefunden hat, läßt sich auf alle diejenigen Krankheiten anwenden, die wir früh und sieher diagnostizieren können und bei denen Avir die Infektionsträger unschädlich machen können. Es gibt eine ganze Anzahl von Krankheiten, für welche diese Bedinginigen zutreffen. Bei der Ruhr z. B. würde diese Art der Bekämpfung sich sicher durchführen lassen. Es würde genau so wie beim Typhus zu verfahren sein, und wir haben auch die Absicht, die jetzt schon be- stehenden Institute nicht nur gegen den Typhus, sondern auch gegen die Ruhr vorgehen zu lassen. Ferner würde die Diphtherie auf diese Weise sicher auszurotten sein, und namentlich müßten sich diese Grundsätze auf die Tuberkulose anwenden lassen. Meiner Überzeugung nach werden wir gegen diese Krankheit nicht eher etwas ausrichten, als bis wir nach diesen Prinzipien vorgehen. Wenn man aber mehr und mehr einsehen wird, daß wir die Möglichkeit haben, solche Krankheiten auszurotten, dann wird schließlich auch die Menschheit einmal dahin kommen, nicht bloß die Möglichkeit der Beseitigung derartiger Seuchen zuzugeben, sondern sie wird auch die Pflicht fühlen, sie in der Tat auszurotten. Koch, Gesammelte Werke. 65 Berichte des Geheimen Medizinalrats Professor Dr. R. Koch über die Ergebnisse seiner Forschungen in Deutsch-Ostafrika. ') I. Die Malaria in Deutsch-Ostafrika. Wenn Deutsch-Ostafrika in gesundheitlicher Beziehung sich keineswegs besonders guten Rufes erfreut, so verdankt es das ausschließheh der Malaria. Alle anderen Krank- heiten treten dieser gegenüber völlig in den Hintergrund, man kann geradezu behaupten, daß Deutsch-Ostafrika, wenn die Malaria nicht wäre, ein recht gesundes Land sein würde. Gerade diejenigen Krankheiten, welche in Eui'opa eine so hervorragende Rolle spielen und die Mortalitätsziffer beherrschen, sind hier ganz unbekannt oder kommen nur selten vor. So fehlt hier der Abdominaltyphus vollkommen, Diphtheritis scheint noch nie beobachtet zu sein, Tuberkulose kommt nvir vereinzelt vor, und auch dann ist sie fast immer von Europa oder aus Ägypten mitgebracht. Selbst die Dysenterie, diese gefürchtete Tropenkrankheit, scheint hier, wenigstens im Küstengebiet, so selten, vielleicht auch nur örtlich begrenzt zu sein, daß ich im Laufe von dreiviertel Jahren nicht einen einzigen Fall zu Gesicht bekommen habe, während sie doch sonst in tropischen Ländern in jedem Hospital anzutreffen ist. Wie häufig dagegen die Malaria hier ist, das läßt sich daraus ersehen, daß im Krankenhause zu Daressalam im Laufe der Jahre 1891 bis 1896 auf 899 Kranke 485 Malariakranke, das ist 54 Proz., kommen. Die bisherigen Anschauungen über die hiesige Malaria gingen im wesentlichen dahin, daß hier ausschließlich die tropische Form der Malaria vorkommt, und zwar die sogenannte Quotidiana, d. Ii. eine Malaria, welche mit täglich wiederkehrenden Fieber- anfällen verläuft. Ohne geeignete Behandlung führt diese Malaria schnell zu Blut- armut und langwierigem Siechtum. Wer erst einmal an Malaria erkrankt ist, neigt zu Rückfällen und wird auch, sofern er definitiv geheilt war, besojiders leicht von neuem befallen. Ziemlich häufig kommt es hier vor, daß die Malaria in einer sehr gefährlichen und oft tödlichen Form verläuft, welche gewissermaßen den Gipfelpunkt der Infektion bildet. Dies ist das sogenannte Schwarzwasserfieber, welches in Deutsch-Ostafrika als perniziöses Fieber bezeichnet wird. Die durch Malaria bedingten Todesfälle kommen fast sämtlich auf Rechnung des sogenannten perniziösen Fiebers, d. h. des Schwarz- wasserfiebers. Meine LTntersuchungen haben Ergebnisse geliefert, welche in mehrfacher Beziehung von diesen Anschauungen abweichen. Selbstverständlich können diese Resultate vor- läufig nur für Deutsch-Ostafrika in Betracht kommen, aber ich habe die begründete Vermutung, daß es sich in anderen tropischen Ländern mehr oder weniger ebenso ver- halten wird. ') Aus Arbeiten aus dem Kaiserl. (iesundheitsanite, 1898. Verlag von Jul. .Springer, Berlin. Diese Berichte wurden von Koch auch in die Sammhmg ,, Reiseberichte über Rinderpest, Bubononpest in Indien und Afrika usw." (Verlag von .Tul. Springer 1898 ) aufgenommen. D. Herausg. 65* 308 Berichte über die Forscliungsreise nacli Deutscli-Ostafrika. Das mir zu Gebote stehende Material ist zwar kein sehr umfangreiches, aber ich habe dasselbe so gründlich als möglich bearbeitet und glaube für die Zuverlässigkeit des- selben in jeder Hinsicht einstehen zu können. Es wurden als malaria verdächtig untersucht im ganzen; 154 Personen. Als Malaria ließ ich anfangs nur solche Fälle gelten, bei denen die charakteristischen Fieberanfälle, die sonstigen Symptome, der ganze Verlauf und das Verhalten gegen die Chinintherapie dem bekannten klinischen Bilde der Malaria entsprach. In allen diesen Fällen ist mir ausnahmslos der Nachweis der Malariaparasiten gelungen, während ich letztere niemals da gefunden habe, wo die Malaria auf Grund des klinischen Verhaltens ausgeschlossen werden mußte. Nachdem ich mich hiervon in einer hinreichenden Zahl von Fällen überzeugt hatte, habe ich schließlich auch dann Malaria als vorhanden ange- nommen, wenn ich bei malariaverdächtigen Personen die Parasiten fand, aber es nicht ermöglichen konnte, den ganzen Verlauf der Krankheit zu verfolgen. Es sind dies übrigens nur wenige Fälle, und soweit sie der klinischen Untersuchung zugängig waren, sprach diese dagegen, daß es sich in der Tat um Malaria handelte. Von den 154 untersuchten Personen konnte bei 72 Malaria und dementsprechend auch die Malariaparasiten nachgewiesen werden. Hiervon kamen 63 Fälle auf tropische Malaria, 7 Fälle auf Tertiana (dazu sind noch zwei Fälle von Tertiana zu rechnen, welche mit tropischer Malaria kombiniert waren), 1 Fall auf Quartana, 1 Fall auf irreguläre Malaria. Ich unterscheide diese vier Formen der Malaria, weil einer jeden derselben eine besondere charakteristische Art der Malariaparasiten entspricht und weil sich dieselben auch klinisch sicher unterscheiden lassen. Das Schwarzwasserfieber gehört, wie ich schon hier bemerken muß, nach meinen Untersuchungen nicht zur Gruppe der Malariafieber. Es ist deswegen in der obigen Zusammenstellung nicht mit einbegriffen, und ich behalte mir über diese Krankheit einen besonderen Bericht vor^). Die Quartana kam nur einmal, und zwar bei einem Somali, die irreguläre Malaria ebenfalls nur einmal bei einem Goanesen zur Beobachtung. In beiden Fällen habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Krankheit von auswärts stammte, und daß es sich dabei nur um ein zufälliges Vorkommen dieser besonderen Formen der Malaria handelte. Es kommen somit für Deutsch- Ostafrika eigentlich nur die tropische Malaria und die Tertiana (die in Mitteleuropa bekanntlich bei weitem häufigste Form der Malaria) in Betracht, und von diesen auch nur wieder die erstere, wie das Verhältnis ihres Vor- kommens (6.3 : 7) zur Genüge erkennen läßt. Die tropische Malaria unterscheidet sich von den anderen Arten der Malaria in vielfacher Beziehung, am deutlichsten aber durch den eigentümlichen Krankheitsverlauf und durch die besonderen Blutparasiten, welche regelmäßig bei derselben angetroffen werden. Es ist nicht so ganz einfach, sich eine richtige Vorstellung von dem Verlauf der tropischen Malaria zu verschaffen, da die in den Lazaretten befindlichen Kranken in der Regel von vornherein mit Chinin behandelt werden, wodurch der regelmäßige Gang des Fiebers sehr bald unterbrochen oder doch wenigstens gestört wird. Erst als ich die Gelegenheit erhielt, mehrere Malariafälle, welche genügend lange Zeit ohne Chinin- behandlung gelassen wurden, zu beobachten, war es mir möglich, den charakteristischen Typus des tropischen Fiebers zu erkennen. Derselbe besteht nun nicht, wie ich zu meiner Überraschung erfuhr, in quotidianen, sondern in tertianen Anfällen. Der einzelne Anfall 1) Vgl. diese Werke p. 321. Berichte über die Forschungsreise nach Deutscli-Ostafrika. 309 ist aber erheblich länger als bei der europäischen Tertiana, er zieht sich fast über zwei Tage hin und zeigt am Morgen des zweiten Tages einen mehr oder weniger starken Nach- laI3 in der Körpertemperatur und den sonstigen Krankheitserscheinungen. Wegen dieses letzteren Verhaltens kann die Fieberkurve bei oberflächlicher Betrachtung als eine quoti- diane erscheinen, namentlich wenn die Remission am zweiten Tage stärker ausgeprägt ist. Einen echten quotidianen Typus habe ich hier in keinem einzigen Falle beobachtet, und glaube deswegen behaupten zu können, daß derselbe in Dstafrika ganz fehlt oder doch nur so selten vorkommt, daß er meiner Beobachtung entgehen konnte. Eigentüm- O Ideine. ParasitefL O u-mi^e, £roße Farasiten. — negatzr-erB^und O O FÜJe » » ^ haU7TnaruiforTnigt.JQ)rpcr OOO sehrviele^ " " lieh ist es auch, daß der Beginn des Fiebers fast ausnahmslos auf den Mittag oder in die ersten Nachmittagsstunden fällt und daß die fieberfreie Zeit regelmäßig am Morgen sich einstellt. Der eigentümliche Gang des Tropenfiebers ist am besten aus den beifolgenden Fieberkurven Nr. 1 und 2 zu ersehen. Nr. 1 läßt sofort noch eine weitere sehr wichtige Eigentümlichkeit des Tropenfiebers erkennen, daß nämlich die einzelnen Anfälle, auch wenn kein (Jhinin gegeben wird, an Stärke allmählich abnehmen und schließhch ganz auf- hören. In diesem Falle kam es allerdings nach einiger Zeit zu einem Rezidiv, welches durch Clhinin beseitigt wurde. 310 Berichte über die Forschungsreise nach Deutsch-Ostafrika. Nr. 2 zeigt, wie die Anfälle durch eine einfache Chinindosis beeinflußt und schließ- lich unterdrückt werden. Mit dem tertianen Typus der Fieberkurve steht auch der Entwickelungsgang des Parasiten im Einklang. Derselbe ist kein quotidianer, sondern ein durchaus tertianer. Der Blutparasit des hiesigen Tropenfiebers entspricht im übrigen vollkommen der Beschreibung, welche von den Parasiten der angeblich quotidianen Malaria in anderen tropischen Ländern von verschiedenen Forschern gegeben ist. Derselbe ist ringförmig gestaltet und besitzt an einem Punkte des Ringes eine knotenförmige Verdickung, wes- wegen man sein Aussehen mit dem eines Siegelringes verglichen hat. Der Parasit ist von wechselnder Größe, was, wie mir scheint, bisher nicht genügend beobachtet ist, 35 obwohl gerade dieser Umstand für die Beurteilung des Fieberanfalles von wesentlicher Bedeutung ist. Die geringste Größe des ringförmigen Parasiten beträgt ^/^ bis ^/g vom Durch- messer eines roten Blutkörperchens. Wenn er seinen größten Umfang erreicht hat, ist er ungefähr noch einmal so breit und sein Durchmesser ist dann % so groß als derjenige des roten Blutkörperchens. Bei den kleinen, d. h. den jungen Parasiten besteht im gefärbten Präparat der Ring aus einer dünnen, ganz scharf gezeichneten kreisförmigen Linie, welche überall von gleichmäßiger Stärke ist und nur an einer Stelle des Kreises eine knotenförmige Verdickung besitzt. Diese Verdickung ist nicht spindelförmig, sie wird bei der Behandlung mit Farbstoffen intensiv gefärbt und erscheint wie ein dunkler Punkt auf der Kreis- Berichte über die Porschimg'sreise nacli ]I>eut.sch-Ostafrika. 311 linie. Mitunter hat der Kreis zwei solcher Knoten, in diesem Falle stehen sie einander gegenüber. Wenn der Parasit größer wird, dann nimmt der Kreis im Durchmesser zu, die Kreislinie bleibt aber gleichmäßig dünn. Erst wenn er nahezu seine volle Größe erreicht hat, beginnt die eine Hälfte der Kreislinie, und zwar ist es immer diejenige, welche dem Knoten gegenüberliegt, breiter zu werden. Sie Avird schließlich so breit, daß diese Hälfte des Kreises die Form der Mondsichel annimmt. Oft sieht man in dem verbreiterten Teile des Kreises kleine Lücken, welche vielleicht Vakuolen sind. Die nachstehende Skizze, welche Blutkörperchen mit einem kleinen, mittelgroßen und größten Parasiten der tropischen Malaria darstellen soll, möge diese Schilderung ver- deuthchen. (Vgl. Fig. 1.) a b c Figur 1. Rote Blutkörperchen mit Parasiten der tropischen Malaria, a) Kleiner ringförmiger Parasit, b) Mittelgroßer ringfcirmiger Parasit, c) Gro (3er ringförmiger l'arasit. Die Parasiten der anderen Malariaformen (des Tertian- und Quartanfiebers) zeichnen sich dadurch aus, daß sie ein dunkelbraunes oder schwärzliches körniges Pigment ent- halten, welches um so reichlicher vorhanden ist, je größer und älter der Parasit ist. Der Parasit der tropischen Malaria macht hiervon eine Ausnalnne; er erscheint farblos, aber er ist doch nur scheinbar unpigmentiert. In Wirklichkeit enthält er ebenfalls Pigment, jedoch in so fein verteiltem Zustande, daß man nur bei besonderer Aufmerksamkeit an den großen Parasiten im breiten Teile des Ringes einen bräunlichen Schimmer wahr- nimmt. Daß es sich aber hierbei um wirkliches Pigment handelt, zeigt sich sofort, wenn man die inneren Organe, namentlich die Milz, von Malarialeichen untersucht. Während noch kurz vor dem Tode im Blute nur die scheinbar unpigmentierten Parasiten ange- troffen wurden, findet man nunmehr ausschließlich solche, Avelche die Ringform mehr oder weniger aufgegeben haben und kreisförmig av^sschen, daneben aber ein ziemlicli großes dunkelbraunes Pigmentkorn enthalten. Ich erkläre mir diese innerhalb so kurzer Zeit vor sich gehende Veränderung so, daß die Parasiten, welche als Tierwesen sehr Sauerstoff bedürftig sind, nach dem Tode des Wirtes keinen Sauerstoff mehr erhalten und nun entweder langsam absterben oder doch in eine Art von Ruhezustand übergehen, wobei sie sich kontrahieren und wobei auch das fein verteilte Pigment sich zu einem Klumpen zusammenballt. Der Parasit der tropischen Malaria stinnnt in seinem Entwickelungsvorgange mit dem der Tertian- und der Quartanfieberparasiten auch insofern überein, als er nach Be- endigung seines Wachstums Sporen bildet. In lebendem Blute habe ich allerdings die Sporenbildung niemals zu Gesicht bekommen. Aber in der Milz eines an tropischer Malaria Verstorbenen habe ich sie in ausgezeichneter Weise beobachten können. Die sporenhaltigen Parasiten glichen in diesem Falle vollkommen denjenigen des Tertian- fiebers, nur mit dem Unterschiede, daß die Dimensionen etwa halb so groß waren. Ich fand nebeneinander einfach kreisförmige Parasiten mit einem zentral oder mehr peripherisch gelagerten Pigmenthaufen, dann solche, bei denen der Körper eine gewisse Differenzierung zeigte und dementsprechend die Begrenzungslinie nicht melir kreisförmig, sondern gelappt erschien, ferner solche, bei denen die ausgebildeten Sporen als regelmäßig geformte kleine Kugeln den Pigmenthaufen rosettenartig umgaben, und schließlich die bereits in der Trennung begriffenen, ausschwärmenden Sporen in geringer 312 Berichte über die Forschungsreise nach Deutsch-Ostafrika. Entfernung von dem als Restkörper zurückbleibenden Pigmenthaufen. Die Zahl der Sporen, welche von einem Parasiten geliefert werden, betrug 8 bis 12. (Vergleiche die nachstehende Skizze, Fig. 2.) o o o „ ° • ° ® 0 # °oo° a b c d Figur 2. Parasiten der tropischen Malaria aus der Milz einer Leiche, a) Kreisförmiger Parasit mit zentraler Pigmentansammkuig. b) Gelappter Parasit, c) Kosetten- förmige Anordnung der Sporen, cl) Ausschwärmende Sporen. In der Mitte der Restkörper. Damit ist der gewöhnliche Entwdcklungsgang des Parasiten abgeschlossen. Der- selbe entspricht in folgender Weise dem Gange des Fieberanfalles. Während des eigentlichen Anfalles, d, h. solange die Körpertemperatur hoch ist, findet man im Blute nur die jungen Parasiten in Form von kleinen Ringen. Ihre Zahl ist gewöhnlich gering, und es erfordert oft sorgfältiges Suchen, mn überhaupt einige Exemplare aufzufinden. Nicht selten bleibt die Untersuchung in diesem Stadium über- haupt resultatlos. Dieses Verhalten der Parasiten ist vermutlich der Grund, daß es manchen Forschern, weil sie das Blut während des eigentlichen Anfalles untersuchten, überhaupt nicht gelungen ist, bei der tropischen Malaria die Parasiten zu finden. Schon gegen Ende des Anfalles sind die Parasiten bis zu mittlerer Größe herangewachsen, sind aber immer noch gering an Zahl. Erst wenn der Anfall vorüber ist, was in der Regel in den frühen Morgenstunden eintritt, kommen die ausgewachsenen Parasiten als große Ringe zum Vorschein. Ihre Zahl entspricht im allgemeinen der Schwere des Anfalles. In leichteren Anfällen ist es mir nach langem Suchen gelungen, wenige Exemplare zu entdecken. Gewöhnlich sind sie aber so zahlreich, daß ein Parasit auf mehrere Gesichts- felder des Präparats kommt. Mitunter findet man auch in jedem Gesichtsfelde 5 bis 10 Parasiten. In den beiden tödlich verlaufenen Malariafällen, welche ich untersucht habe, fand ich etwa 10 Proz. der roten Blutkörperchen in dem einen und über 50 Proz. in dem andern Falle mit Parasiten besetzt. Wenn die Parasiten einigermaßen zahlreich sind, dann sieht man nicht selten zwei und selbst mehr in einem einzigen roten Blut- körperchen nebeneinandergelagert. Die weitere Entwickelung der Parasiten läßt sich im Fingerblute, auf welches sich die Untersuchung in der Regel beschränken muß, nicht verfolgen, aber wir müssen nach dem Befund an der Malarialeiche annehmen, daß, wenn die Parasiten ihre volle Größe erlangt haben, sie in der Milz und anderen inneren Organen zur Sporenbildung schreiten. Wenn dann weiter die jungen Sporen ausschwärmen und sich von neuem den roten Blutkörperchen anheften, dann kommt es geradeso wie bei der europäischen Tertiana, bei welcher der Beginn des neuen Anfalles mit der Sporulation zusammenfällt, auch bei der tropischen Malaria zu einem Fieberanfall, indem zunächst die großen Parasiten verschwinden und dann die Fiebertemperatur und damit wieder die jungen ringförmigen Parasiten sich einstellen. Aus diesen Beziehungen zwischen dem Entwickelungsgang des Parasiten und dem Verlauf des Fieberanfalles, welche auch auf den beigefügten Kurven Nr. 1 und 2 ohne weitere Erläuterung ersichtlich sind, lassen sich folgende Schlüsse ziehen: 1. Da der Entwickelungsgang des Parasiten ein zweitägiger ist und auch die Temperaturkurve sich dementsprechend nach zwei Tagen regelmäßig wieder- holt, so ist die tropische Malaria eine echte Tertiana, welche von der europäi- schen Tertiana durch die Art des Parasiten und durch die längere Dauer des Anfalles unterschieden ist. Berichte ü)>er die Forschmifisreise nach I )eiit.sch-(_)stafvika. 313 2. Wenn es darauf ankommt, die Parasiten der tropischen Malaria nachzuweisen, dann muß die Untersuchung womöghch im Beginn der fieberfreien Zeit ge- macht werden, weil man hier die meiste Aussicht hat, die größten und zahl- reichsten Parasiten zu finden. 3. Da die Erfahrung gelehrt hat, daß das Chinin gegen Malaria am besten wirkt, wenn es einige Stunden vor dem Beginn des Anfalles gegeben wird, so soll man es bei der tropischen Malaria nur dann anwenden, wenn im Blute die großen ringförmigen Parasiten erscheinen. Neben der Sporenbildung, welche das Endglied in dem gewöhnlichen Entwickelungs- kreise der Malariaparasiten darstellt, konnnt gelegentlich noch eine andere eigentümliche Form des Parasiten vor, welche von ihrem Entdecker L a v e r a n als halbmondförmige Körper bezeichnet wurden. Die Bedeutung dieser Körper ist noch ziemlich rätselhaft, am meisten neigt man dazu, sie für eine Dauerform des Parasiten zu halten, welche sich lange Zeit im Blute halten soll, ohne selbst Krankheitserscheinungen zu bewirken, aber gelegentlich wieder eine neue Generation der Parasiten und damit ein Rezidiv der Malaria entstehen läßt. Meine Beobachtungen stehen mit dieser Auffassung in direktem Widerspruch. Ich habe die halbmondförmigen Körper in 11 Fällen beobachtet. Bei zwei Kranken traten sie nur vorübergehend und ganz vereinzelt auf, um dann sofort wieder zu ver- schwinden. In den übrigen neun Fällen hielten sie sich längere Zeit im Blute und es zeigte ihr Erscheinen in unverkennbarer Weise das Ende des Krankheitsprozesses an. Den Verlauf eines in dieser Beziehung charakteristischen Falles zeigt die hier beigefügte Kurve Nr. 3. 314 Berichte über die Forschungsreise nach Deutsch-Ostafrika. Der Kranke kam am 17. August ins Lazarett, nachdem er vorher schon eine Anzahl Fieberanfälle durchgemacht hatte. Bei der Aufnahme hatte er hohe Tem- peratur und im Blute die kleinen Ringe. Am Morgen des folgenden Tages sank die Temperatur und die großen Ringe erschienen; ' es folgte dann gegen Abend des- selben Tages ein weiterer Anfall, welcher 24 Stunden dauerte, aber durch eine außer- gewöhnliche Remission unterbrochen wurde. Am Morgen des 20. August konnten wieder bei niedriger Temperatur zahlreiche große Ringe konstatiert werden. Von da ab waren die ringförmigen Parasiten plötzlich verschwunden und an ihrer Stelle enthielt das Blut ausschließlich halbmondförmige Körper, welche allmählich an Zahl abnahmen, aber doch noch 14 Tage lang im Blute zu finden waren. Dieser plötzliche Wechsel in der Form der Parasiten trat ganz spontan ein. Es war weder am 18. noch am 19. August Chinin gegeben. Ohne jede Medikation war das Fieber mit dem Auftreten der halbmondförmigen Körper verschwunden und kehrte auch nicht wieder. Temperatursteigerungen wurden weder während des Vorhandenseins der halbmondförmigen Körper noch später beob- achtet, und auch dies wieder, ohne daß Chinin gegeben wäre. Ich habe diesen Kranken im Laufe der Zeit noch öfter zu sehen Gelegenheit gehabt und ihn stets kräftig und ge- sund gefunden. Die halbmondförmigen Körper haben also in diesem Falle weder Re- zidive noch sonstige Andeutungen einer latenten Malaria bewirkt. Sie zeigen im Gegen- teil an, daß der Organismus dieses Kranken ein ungeeigneter Nährboden für die Malaria- parasiten geworden war, oder, mit anderen Worten, daß er für einen mehr oder weniger langen Zeitraum immun geworden war. Ebenso wie dieser Fall verhielten sich auch die anderen, bei denen die halbmond- förmigen Körper beobachtet wurden. Immer verschwanden, sobald sich diese Gebilde zeigten, die ringförmigen Parasiten und damit das Fieber, niemals kam es zu Rezidiven oder zu Siechtum. Dagegen haben Fälle mit ausschließlich ringförmigen Parasiten stets Neigung zu rezidivieren, und nur durch kräftige und wiederholte Chinindosen ist das Eintreten von Rückfällen zu verhindern. Die Rezidive stellen sich in der Regel schon nach zehn bis zwölf Tagen ein, häufig wird aber dieser Zeitpunkt durch die nachträgliche Chininbehand- lung, wenn sie zur vollständigen Unterdrückung der Krankheit nicht ausreichend ge- wesen war, hinausgeschoben. Später als nach einem Monat habe ich hier keine Rezidive eintreten sehen. Es mögen allerdings noch spätere Rezidive vorkommen, aber es läßt sich unter den hiesigen Verhältnissen dann nicht mehr mit Sicherheit unterscheiden, ob solche Anfälle nicht vielmehr durch neue Infektion veranlaßt sind. Die kürzeste Frist für das Eintreten von Rückfällen können wir als identisch mit der Inkubationszeit der tropischen Malaria ansehen, da in solchen Fällen dieselben Ver- hältnisse wie bei einer frischen Infektion vorliegen. Der Unterschied liegt nur darin, daß das eine Mal eine geringe Anzahl von Infektionskeimen in den Körper frisch ein- geführt wird und das andere Mal wenige Keime nach Beendigung der Anfälle im Körper zurückbleiben Über die Dauer der Inkubation herrschen in den Tropen fast durchweg irrige An- sichten. Man hört sehr oft auch von Ärzten die Meinung äußern, daß die Inkubation eine sehr kurze sei, und daß ein Mensch auf einem kurzen Jagdausflug, daß er infolge einer Durchnässung oder einer Insolation oder dergleichen sich infiziert habe und schon am nächsten Tage an Malaria erkrankt sei. Etwas Derartiges ist geradezu unmöghch, wenn man bedenkt, daß bei der Infektion doch immer nur wenige Keime in den Körper gelangen, und daß sich die Malariaparasiten nicht wie die Bakterien durch unmittelbare Teilung außerordentlich schnell, sondern in zweitägigen Entwickelungsperioden jedes- mal nur etwa um das Zehnfache vermehren. Sie können in dieser Weise nur Verhältnis- Berichte libei' tlie Forschiingsi'eise nacli Üeutsch-Ostafrika. 315 mäßig langsam zu einer solchen Anzahl heranwachsen, daß sie imstande sind, durch ihre giftigen Stoffwechselprodukte die charakteristischen Fieberanfälle auszulösen. In allen zuverlässig beobachteten Fällen, wozu ich in erster Linie Malariaerkran- kungen auf Schiffen rechne, welche nur ganz kurze Zeit mit dem Land in Berührung gekommen sind, betrug das Inkubationsstadium zehn bis zwölf Tage. Ein glücklicher Zufall hat es gefügt, daß ich die verhältnismäßig geringe Zahl von derartigen Beobachtun- gen um eine vermehren kann, welche mir wichtig genug erscheint, um sie diesem Bericht einzufügen. Ich verdanke dieselbe Herrn Dr. S p i 1 k e r , Stabsarzt der Marine auf S. Maj. Schiff „Condor". Am 10. März 1897 ging der ,, Condor" an der Grenze zwischen Deutsch- und Bri- tisch-Ostafrika in der Moabucht vor Anker und schickte am 11. März abends zwei Boote mit einem Offizier und zehn Mann an Land. Die Boote fuhren einen Fluß hinauf, der von Mangrovensümpfen umgeben ist, und die Mannschaf t mußte in der Nähe des Flusses übernachten. Am 23. März, also 11 Tage nach dieser Expedition, erkrankten fast gleich- zeitig am Nachmittag vier Mann und zwei Tage später noch zwei Mann von der Besatzung der Boote an typischer Malaria. Ganz interessant ist es noch, daß die Leute am Abend der Expedition 1.0 g Chinin und am nächsten Morgen noch 0,5 g prophylaktisch erhalten hatten und daß dadurch die Malariaerkrankung nicht verhütet wurde. In bezug auf die Art der Entstehung der tropischen Malaria bin ich zu keinen beweisenden Ergebnissen gelangt. Über Vermutungen kommt man vorläufig noch nicht hinaus. Aber die Zahl der Möglichkeiten, welche hierbei in Frage kommen, wird doch mit der zunehmenden Kenntnis vom Wesen der Malaria innner mehr eingeschränkt, und es können zurzeit nur wohl noch zwei Faktoren als Vernnttler der Infektion, wenigstens für die tropische Malaria, ernstlich in Betracht konnnen. Es ist dies die Übertragung der Infektionskeime durch das Trinkwasser und durch Moskitos. Je mehr ich mich mit dieser Krankheit beschäftige, um so mehr neige ich mich der Ansicht zu, daß die letztere die hauptsächliche, wahrscheinlich die einzige ist. Wohin man sich auch wendet, überall findet man ein örtliches und ein zeitliches Zusammentreffen in bezug auf das Vorhanden- sein der tropischen Malaria und des Moskitos. An der Küste kommen vereinzelte Örtlichkeiten vor, welche als malariafrei gelten, zu diesen gehört die Insel Chole, welche an der Südspitze der großen Insel Mafia liegt. Ich habe diese Insel, welche von den Zanzibararabern in früheren Zeiten als Gesund- heitsstation benutzt wurde, besucht. Es ist der einzige Ort an der Küste, wo ich ohne Moskitonetz schlafen konnte. Im Gebirge hört die Malaria genau da auf, wo es keine Moskitos mehr gibt. Nach dem Innern des Landes zu nimmt die Malaria zugleich mit dßn Moskitos ab. In den Zeiten des Jahres, wo es viele Moskitos gibt, tritt auch die Malaria heftiger auf. Am meisten bestärkt mich aber in meiner Auffassung die xA.nalogie der Malaria mit dem Texasfieber und anderen tropischen Krankheiten der Menschen und Tiere, bei welchen die Parasiten ihren ausschließlichen Sitz im l^lute haben. Bei allen diesen Krankheiten wird die Infektion durch blutsaiigende Insekten vermittelt, und zwar nicht in der Weise, daß das Insekt den Ansteckungsstoff mit dem Blute von einem Tiere direkt auf das andere überträgt, sondern so, daß die Parasiten in dem Insekt weitere Entwick- lungsstadien durchmachen, in die Eier und in die jungen Insekten übergehen und erst durch diese wieder auf den eigentlichen Wirt übertragen werden. In dieser oder ähnlicher Weise denke ich mir auch die Rolle des Moskitos in bezug auf die tropische Malaria. Nicht der Moskito selbst vermittelt die Infektion unmittelbar durch seinen Stechrüssel, nachdem er kurz vorher Blut eines malariakranken Menschen gesogen hat, sondern erst seine Nachkommen infizieren. Zuverlässige Auskunft über die hier ausgesprochenen 316 Berichte über die Forscliungsreise nach Deutsch-Ostafrika. Vermutungen können nur Experimente an Tieren geben. Aber alle Versuche, eine für Malariaexperimente geeignete Tierart zu finden, sind auch mir, wie so vielen anderen, mißlungen. Ebensowenig vermochte ich Tiere aufzufinden, welche spentan in ihrem Blute die Malariaparasiten des Menschen beherbergen. Gerade nach dieser Richtuno- hin habe ich sehr zahlreiche Untersuchungen vorgenommen und auch eine Anzahl von Blutparasiten gefunden, welche den menschlichen Malariaparasiten mehr oder weniger ähnlich sind, so bei vielen Arten von Vögeln, bei Reptilien, auch bei einem Hunde, und namentlich bei Affen, deren Parasiten den menschlichen besonders nahekommen. Aber immer waren sie doch von den menschlichen Parasiten bestimmt zu unterscheiden, und ich bin bei diesen Untersuchungen immer mehr zu der Überzeugung gelangt, daß die Blutparasiten, wie es ja auch bei den Parasiten überhaupt die Regel ist, nur einen Wirt haben und daß dementsprechend der Mensch für die Malariaparasiten der einzige Wirt ist. Damit wäre allerdings wenig oder gar keine Aussicht für die Beschaffung von Malaria Versuchstieren vorhanden . Wenn nun auch der Mensch als der eigentliche Wirt des Malariaparasiten anzu- sehen ist, so ist doch damit nicht gesagt, daß jeder Mensch in gleicher Weise für Malaria empfänglich ist. Man begegnet in den Tropen gelegentlich Leuten, welche sich jahrelang in den- selben und auch in Malariagegenden aufgehalten haben und niemals malariakrank \^ urden. Solche Menschen müssen mehr oder weniger immun gegen Malaria sein. Es gibt sogar ganze Völkeischaften, welche gegen Malaria immun sind. So glaube ich dies von der Negerbevölkerung an der ostafrikanischen Küste behaupten zu können. Ich habe keine Mühe gescheut, und jeden verdächtigen Fall von Malaria bei Küsten- negern, welchen ich auftreiben konnte, sorgfältig untersucht, aber nur ein einziges Mal mit positivem Erfolg. Es betraf dies einen Bootsmann der Zollstation an der Rufidji- mündung, welcher nur leicht erkrankt war und durch eine einzige Chinindosis von seinem Leiden schnell befreit wurde. Nur bei diesem Kranken ließen sich die ringförmigen Para- siten in geringer Anzahl nacliAveisen. Bei keinem anderen Küstenneger waren sie zu finden. Damit stimmte denn auch überein, daß die malariaähnlichen Krankheitssymptome ohne Anwendung von Chinin in kurzer Zeit verschwanden, oder daß sich die Krankheit im weiteren Verlaufe als ein bestimmtes anderweitiges Leiden, meistens der Verdauungs- oder Respirationsorgane, herausstellte. Diese ausgesprochene Immunität kommt aber nur den Küstennegern zu, den Negern im Usambaragebiete fehlt dieselbe, obwohl letztere zum größten Teile demselben Stamme angehören wie die Küstemieger. Andere farbige Völkerschaften, welche nicht an der ostafrikanischen Küste heimisch sind, wie die Inder und Chinesen, sind gegen die hiesige Malaria nicht immun. So wurde mir berichtet, daß unter den Chinesen, welche auf einigen Plantagen als Arbeiter be- schäftigt wurden, die Malaria arg gewütet hat, und ich konnte selbst in Mohoro unter etwa 30 Chinesen bei flüchtiger Untersuchung zwei Malariafälle konstatieren. Ganz besonders empfänglich scheinen die frisch zugereisten Inder zu sein, wovon ich mich an der aus Indern bestehenden Musikkapelle in Daressalam überzeugen konnte. Die- selbe besteht aus 17 Personen, von denen im Laufe von einigen Monaten sechs recht schwer an tropischer Malaria erkrankten. Und doch leben in Daressalam und in den meisten Küstenorten viele Hunderte von Indern, welche hier schon seit Jahren ansässig sind und ganz gesund zu sein scheinen. Wenn man alle diese Beobachtungen zusammenfaßt, und außerdem das, was ich früher über die Beziehungen der halbmondförmigen Körper zur Malaria gesagt habe, berücksichtigt, dann muß man zu der Überzeugung gelangen, daß es eine wirkliche Im- Berichte iUjer die Forschungsreise nach Dentsrh-Ostafrika. 317 munität gegen die tropische Malaria gibt, welche den Küstennegern teilweise angeboren sein mag, von denjenigen aber, welche aus anderen nialariafreien Ländern eingewandert sind, erst erworben werden muß. Wir sehen auch hier wieder eine merkwürdige Analogie zwischen der Malaria und dem Texasfieber, bei welcher Krankheit wir ganz ähnlichen Verhältnissen begegnen. Ich möchte dieser Analogie sogar noch weiter folgen und würde die Hoffnung aussprechen, daß ebenso M'ie beim Texasfieber auch bei der tropischen Malaria eine künstliche Immunität dermaleinst zu erreichen sein wird. Die tropische Malaria ist an und für sich keine so gefährliche Krankheit, wie man gewöhnlich annimmt. Unter den 63 von mir beobachteten Fällen befinden sich aller- dings zwei tödlich verlaufene. Dieselben kamen mir aber erst zu Gesicht, als sie schon sterbend waren. Vorher waren sie gar nicht oder vuiz weckmäßig behandelt, vmd ich zweifle nicht, daß auch diese beiden Fälle, wenn sie zur richtigen Zeit diagnostiziert und in zweckmäßiger Weise mit Chinin behandelt wären, hätten geheilt werden müssen. In allen übrigen von mir beob- achteten Fällen wurde die Malaria durch Chinin leicht und schnell beseitigt. In der Regel genügt 1 g Chinin, um die Parasiten aus dem Blute ver- schwinden zu lassen. Die Wiederkehr der Fieber- temperatur ist damit allerdings noch nicht ausge- schlossen, denn es kommt meistens noch zu einem letzten Anfall, welcher aber schwächer ist und keinen so regelmäßigen Verlauf hat wie die eigent- lichen Malariaanfälle. Während dieses letzten An- falles, welchen man als ,, Nachfieber" bezeichnen könnte, habe ich fast niemals Parasiten im Blute gefunden. Er verdankt also sein Entstehen nicht dem Vorhandensein von lebenden Parasiten im Blute , sondern kann nur dadurch zvistande kommen, daß die Bestandteile der absterbenden Parasiten und die darin vorhandenen giftigen Stoffwechselprodukte derselben sich im Blute ver- teilen. Wir dürfen aus diesem Verhalten schließen, daß auch die früheren Anfälle, welche durch das Auftreten der jungen Parasiten charakterisiert sind, nicht durch die junge Generation, sondern ^ durch die absterbende alte Generation ausgelöst werden. Den Verlauf der Malaria bei der Chinin- behandlung und das eigentümliche Nachfieber zeigen die Kurven Nr. 4 und 5. Auch auf der früher erwähnten Kurve Nr. 2 ist dasselbe zu sehen. Um ganz sicher zu sein, daß die Anfälle nicht schon nach wenigen Tagen wieder- kehren, ist es üblich, nach Beendigung dieses Nachfiebers noch einmal 1 g Chinin zu geben. Vielleicht ist dies aber überflüssig, da sowieso eine Nachbehandlung erforderhch ist, von welcher gleich die Rede sein wird. — Um in der Weise mit 2 g oder, wie ich vermute, sogar nur mit 1 g Chinin die Fieberanfälle der tropischen Malaria sicher zu beseitigen, ist es aber unbedingt notwendig, daß das Medikament im richtigen Zeitpunkt gegeben wird, nämUch dann, wenn die großen ringförmigen Parasiten im Blute erscheinen. Dieses Kennzeiclien ist natürlich nur durch die mikroskopische Untersuchung zu erfahren. 318 Berichte über die Forschungsreise nach Deutsch-Ostafrika. Sorgfältige Temperaturmessungen und eine richtige Beurteilung der Fieberkurve können, obwohl man oft imstande ist, auch damit zum Ziele zu gelangen, keinen genügenden Ersatz gewähren, denn ungewöhnlich tiefe Remissionen oder andere Unregelmäßigkeiten der Kurve führen leicht irre, während die mikroskopische Untersuchung mich nicht im Stich gelassen hat. Schon allein aus diesem Grunde, namentlich aber auch, um eine frühzeitige und sichere Diagnose stellen zu können, ist dem Tropenarzt, wenn er viel mit Malaria zu tun hat, und das ist wohl immer der Fall, das Mikroskop ganz unent- behrlich. Ein Malariaarzt ohne Mikroskop und ohne gründliche Übung im Nachweis der Malariaparasiten wird immer im Dunkeln fechten. Zur sicheren Beseitigung der Malaria durch Chinin ist noch weiter erforderlich, daß die Behandlung frühzeitig erfolgt, wo- möglich schon am Ende des ersten Anfalles oder doch des zweiten. Je mehr Fieber- anfälle der Kranke zu überstehen hat, um so mehr wird der Gesamtorganismus in Mit- leidenschaft gezogen, was sich namentlich an den Verdauungsorganen bemerklich macht. Sobald aber der Magen nicht mehr regelmäßig funktioniert und keine Magensäure ab- sondert, kann das Chinin, welches bekanntlich in saurer Lösung schnell genug resorbiert wird, nicht mehr zur Wirkung kommen. In solchen Fällen muß die Resorption durch gleichzeitige Anwendung von verdünnter Salzsäure unterstützt oder im Notfall das Chinin subkutan gegeben werden. Ferner ist noch darauf zu achten, daß das Chinin von guter Beschaffenheit ist. Medikamente verderben in den Tropen schnell, und manches hartnäckige Fieber mag in der Anwendung von schlechtem Chinin seine Erklärung finden. Es ist auch nicht ISei'irhte über die Förschiiiigsi'cise nach Deutsch- Ost alrika. 319 gleichgültig, wie das ('hinin genommen wird, ich habe mehrfacli erfahren, daß Kranke die Chinintabletten in Papier eingewickelt genommen hatten , um den schlechten Geschmack des Chinins zu vermeiden, und daß das Chinin in dieser -Umhüllung unresorbiert den Magen passiert hatte; natürlich war jede Chininwirkung ausgeblieben. Damit, daß die regelmäßigen Fieberanfälle gehoben sind, ist aber die Tätigkeit des Arztes noch nicht beendet. Es folgt nun noch die mindestens ebenso wichtige Aufgabe, den Kranken vor Rückfällen zu bewahren. Die tropische Malaria neigt sehr zu Rückfällen. Es müssen wohl bei der Clhinin- behandlung recht oft noch einige lebensfähige Keime übrigbleiben, welche den Infek- tionsprozeß von neuem aufflackern lassen. Und gerade die immer wiederkehrenden Rezidive sind es, welche den am Tropenfieber Leidenden so weit herunterbringen, dal.] er in seiner Leistungsfähigkeit schwer gestört wird. Man begegnet oft genug Kranken, welche drei und mehr Rezidive durchzumachen haben, und einer von meinen Fällen brachte es sogar auf sieben Rezidive. Im Grunde genommen sollte die Aufgabe, Rezidive bei einem von Malariaanfällen Geheilten zu verhüten und den Gesunden vor dem Ausbruch des Fiebers zu schützen, das heißt Malariaprophylaxis zu üben, identisch sein. Auf jeden Fall möchte ich an- nehmen, daß eine Methode, welche sich gegen Malariarezidive bewälirt, auch für die Prophylaxis ausreichend sein muß, da nach allen bisherigen Erfahrungen das erstere schwieriger zu sein scheint als das letztere. Leider habe ich bei den hiesigen beschränkten Verhältnissen nicht Gelegenheit gefunden, über diese überaus wichtigen Fragen hin- reichende Beobachtungen anstellen zu können, und es bleibt mir nur übrig, das Wenige, was ich ermitteln konnte, zu berichten. Mit einiger Sicherheit können Rezidive durch große Chinindosen, 2 — 3 g mehrere Tage hintereinander gegeben, verhütet werden. Das Chinin ist nun aber, namentlich in den Tropen, kein indifferentes Mittel, welches unbedenklich in solchen großen Dosen gegeben werden kann, wie ich noch beim Schwarzwasserfieber zu berichten haben werde. Es liegt deswegen viel daran, zu erfahren, welches die geringste in diesem Falle erforder- liche Dosis ist. Ich habe zu diesem Zwecke mehrere Kranke nach Beseitigung der Fieber- anfälle 0,5 g Chinin jeden dritten Tag, und zwar morgens früh, nehmen lassen. Sie be- kamen sämtlich Rezidive. — Diese Dosis war also zu gering. Ein Kranker nahm wochen- lang 0,5 g Chinin täglich und bekam trotzdem sein Rezidiv. Dann bin ich dazu über- gegangen, 1,0 g Chinin jeden fünften Tag nehmen zu lassen. Diese Dosis scheint an der unteren Grenze des verlangten Effektes zu stehen ; denn einige so behandelte Kranke hatten keine Rezidiven, andere bekamen zwar später noch Anfälle, aber sehr leichte und schnell vorübergehende. Diese Versuche sind natürlich noch sehr unvollkommene, aber sie bilden den ein- zigen Weg, auf dem wir zur Beantwortung dieser Frage gelangen können, und sie sollten deswegen methodisch und in möglichst großem LTmfange fortgesetzt werden. Als einfache prophylaktische Dosis des Chinins habe ich zunächst auch 0,5 g jeden dritten Tag nehmen lassen und liabe bis jetzt noch keinen Fall gesehen, in welchem hiernach eine Malaria entstanden wäre. Ich selbst habe das Chinin in dieser Weise pro- phylaktisch gebraucht, habe micli absiclitlich bei jeder Gelegenheit, welche sich mir bot, der Malariainfektion ausgesetzt und bin bisher vom Fieber verschont geblieben. Allerdings beweisen die wenigen Fälle, über welche ich in dieser Richtung verfüge, noch sehr wenig, sie können nur als Anregung dazu dienen, daß auch die prophylaktische Dosis des Chinins durch große Versuchsreihen festgestellt wird. Darüber bin ich mir allerdings jetzt schon klar, daß so geringe Dosen, wie sie meistens von Tropenärzten prophylaktisch gegeben sind, wenig oder gar nichts nützen, und dal,] auch einmalige 320 Berichte über die Forschungsreise nach Deutsch- Ostafrika. große Dosen, kurz vor oder nach der vermutlichen Infektion gegeben, nicht helfen, wie das früher mitgeteilte Beispiel von Sr. Maj. Schiff ,,Condor" beweist. Sollte man schließlich dahin kommen, daß die prophylaktische Dosis höher ge- griffen werden muß wie 0,5 g Chinin, dann wird man wohl besser daran tun, andere Mittel, zum Beispiel Arsen, zu versuchen, da die meisten Menschen größere Chinindosen längere Zeit hindurch nur schlecht vertragen. Überhaupt darf man nicht vergessen, daß eine derartige Prophylaxis doch immer nur eine zeitweilige sein kann. Sie wird nur da am Platze sein, wo es sich darum handelt, Menschen vorübergehend vor der Malariainfektion zu schützen, um z. B. Einwanderer, welche in malariafreie Gegenden geschafft werden sollen, gesund durch die gefährliche Küstenzone zu bringen, um Truppen und Schiffsmannschaften zu schützen, welche Malariagegenden passieren müssen, um den Bewohnern von Malariaorten über die ge- fährlichsten Perioden des Jahres hinwegzuhelfen usw. Im übrigen wird jeder, welcher sich in den Tropen der Malariainfektion aussetzen muß, gut tun, solange wir über die medikamentöse Prophylaxis noch nicht ganz im reinen sind, zwei andere langbewährte Maßregeln nicht zu unterlassen. Erstens soll man Wasser nur in gekochtem Zustande benutzen, ein Grundsatz, welcher schon mit Rücksicht auf Dysenterie und andere tropische Krankheiten befolgt werden muß. Zweitens soll man stets unter einem gut schließenden Moskitonetz schlafen. Ich sage ausdrücklich ,, unter einem gut schließenden", da die Moskitonetze meistens durch- löchert sind oder unpraktisch aufgehängt werden und dann natürlich so gut wie nicht vorhanden sind. Außer diesen rein persönlichen Schutzmaßregeln läßt sich auch im allgemeinen viel zur Verminderung der Malariagefahr tun. Dahin gehören namentlich Trockenlegung und Bepflanzung von Sümpfen, zweckmäßige Beseitigung der flüssigen Abfallstoffe und vor allem richtige Konstruktion der Wohnungen. Einiges ist in dieser Beziehung, wenigstens an den Küstenorten, bereits geschehen, aber es bleibt noch sehr viel zu tun übrig, und ich möchte besonders Wert darauf legen, daß in Zukunft bei der Anlage von Wohnungen den tropenhygienischen Anforderungen mehr Rechnung getragen wird als bisher, und daß auch Wohnungen geschaffen werden, in welchen Familien eine gesundheitsgemäße Unterkunft finden, wofür bis jetzt noch so gut wie gar nicht gesorgt ist. Ich muß mich hier leider auf diese kurzen Andeutungen beschränken, da ein weiteres Eingehen auf dieselben mich zu weit in das Gebiet der Tropenhygiene führen würde. Eine Beobachtung möchte ich hier noch erwähnen, welche mir beachtenswert zu sein scheint. Ich habe unter den vielen Personen, welche wiederholt an tropischer Malaria er- krankt gewesen waren, nicht einen Fall von sogenanntem Malariasiechtum gefunden, wie man es so häufig in Malariagegenden der gemäßigten Zone antrifft. Auch in dieser Beziehung scheint ein Unterschied zu bestehen zwischen der Tertianmalaria der ge- mäßigten Zone und der tropischen Malaria. Bei der letzteren ist der einzelne Anfall schwerer und gefährlicher, er wird sogar nicht selten tödlich, aber die Krankheit läßt, wenn sie künstlich unterbrochen wird oder spontan nach einiger Zeit zur Heilung gelangt, keine tieferen Veränderungen im Organismus zurück. Der Kranke erholt sich auffallend rasch und vollkommen, vorausgesetzt, daß es gelingt, die Rezidive zu verhüten. Selbst kleine Kinder, von denen eins ein Rezidiv zu überstehen hatte, habe ich bald darauf in voller Gesundheit und blühend aussehend gefunden. Zum Schluß noch einige Worte über die Tertianmalaria! Dieselbe kommt, wie eingangs bereits mitgeteilt wurde, verhältnismäßig selten vor. Auf etwa neun Fälle von Berichte über die Forschungsreise nach Deutscli-Ostafrika. 321 tropischer Malaria kommt erst ein Fall von Tertiana. Die hiesige Tertiana unterscheidet sich in keinem Punkte von der heimischen Tertiana. Ihre Anfälle haben genau denselben Verlauf wie bei dieser, der ihr zugehörige Parasit zeigt dieselben Formen und denselben Entwickelungsgang, einschließlich der Sporulation. In zwei Fällen trat sie als Tertiana duplex auf, wobei bekanntlich zwei Tertianen sich durcheinanderschieben und die Anfälle sich täglich einstellen. Ohne die mikro- skopische Untersuchung hätte man meinen können, in diesen Fällen quotidiane Malaria vor sich zu haben. Aber die Blutuntersuchung belehrte sofort, daß zwei Generationen von Tertianparasiten vorhanden waren und daß es sich somit um eine doppelte Ter- tiana handelte. In zwei anderen Fällen folgte die Tertiana einer tropischen Malaria nach kürzerem oder etwas längerem Intervall. Es war interessant zu beobachten, wie die eine Parasiten- art verschwand und gewissermaßen der anderen Platz machte. Derartige Kombinationen von Malaria, daß zu gleicher Zeit Parasiten verschiedener Art im Blute vorkommen, wie von anderen Seiten behauptet wird, habe ich nicht gesehen. Ich habe im Gegenteil den Eindruck gewonnen, daß sich die verschiedenen Arten der Malariaparasiten gegen- seitig ausschließen. Auch die Tertianen ließen sich durch Chinindosen von 1 — 2 g leicht beseitigen. Ein Nachfieber, wie bei der tropischen Malaria, wurde dabei nicht beobachtet. Nur in einem Falle, in welchem das Chinin schlecht vertragen wurde und deswegen nicht angewendet werden konnte, zog sich die Tertiana durch mehrere Monate hin. Die Anfälle blieben trotzdem immer gleich stark und ein spontanes Nachlassen oder gar Auf- hören trat nicht ein. Also auch in dieser Beziehung scheint ein Unterschied zwischen tropischer Malaria und der Tertianmalaria zu bestehen. II. Das Schwarzwasserfieber. Das Schwarzwasserfieber ist diejenige Krankheit, welche die ärgsten Verwüstungen unter den Europäern in Deutsch-Ostafrika anrichtet und deswegen besondere Beachtung erheischt. Aus der Literatur über Schwarzwasserfieber, soweit sie mir hier zugängig ist, entnehme ich, daß die Tropenärzte es für eine besondere Form der tropischen Malaria halten und daß verschiedene Forscher im Blut von Schwarz wasserfieberkranken die Malariaparasiten regelmäßig nachgewiesen haben wollen. Auf den ersten Blick hat das Schwarzwasserfieber auch eine gewisse ÄhnHchkeit mit der Malaria. Es fängt mit einem heftigen Schüttelfrost an, währenddessen die Tem- peratur schnell steigt. Sehr bald stellt sich dann aber noch das für diese Krankheit charakteristische Symptom, die Absonderung eines durch Beimischung von gelöstem Blutfarbstoff blutig gefärbten Urins, ein. Der Urin sieht dunkelrot, oft schwarzrot oder fast schwarz aus; daher die Bezeichnung Schwarzwasserfieber. Mehr oder weniger stark ausgeprägte Gelbsucht und häufiges, oft unstillbares Erbrechen, sowie ein beängstigender Verfall der Kräfte vervollständigen das Krankheitsbild, welches eigentlich eine noch größere Ähnlichkeit mit dem Gelbfieber als mit der Malaria hat. Deswegen ist es auch schon gelegentlich mit Gelbfieber identifiziert, was aber entschieden unrichtig ist, da es noch niemals ansteckende Eigenschaften gezeigt hat und nicht in epidemischer Form aufgetreten ist. Während man über das Wesen der Krankheit im allgemeinen einig war, gingen die Meinungen über die Behandlung des Schwarzwasserfiebers dagegen weit auseinander, und es stehen sich zwei Parteien schroff gegenüber, von denen die eine annimmt, das Schwarz- wasserfieber müsse als Malaria mit den größten zulässigen Chinindosen behandelt werden, Koch, Gesammelte Werke. 66 322 Berichte über die Forschungsreise nach Deutsch- Ostafrika. die andere dagegen, daß kein Chinin gegeben zu werden braucht. In neuerer Zeit sind sogar einzehie Stimmen laut geworden, welche behaupten, daß das Chinin bei dieser Krankheit selbst schädlich wirken könne, weil es bei Menschen, welche durch Malaria bereits geschwächt sind, geradezu eine Hämoglobinurie, d. h. Absonderung von blutig gefärbtem Urin, veranlassen könne. Meine eigenen Untersuchungen sind an 16 Kranken angestellt, die ich im Kranken- hause zu Daressalam beobachtet habe. Es waren sämtlich typische Fälle von Schwarz- wasserfieber, welche ich vom Beginn der Krankheit bis zum völligen Ablauf derselben verfolgen konnte. Drei von diesen Fällen verliefen tödlich, was einer Mortalität von etwa 19 Proz. entsprechen würde. Diese Zahl stimmt nahezu überein mit einer Berechnung, welche aus einer größeren Zahl von Fällen abgeleitet ist. Dies sind 75 Fälle, über welche ich von der Medizinalabteilung des hiesigen Gouvernements Angaben erhalten habe. Von denselben sind 16 gestorben, entsprechend einer Mortalität von 21 Proz. In bezug auf die Krankheitssvmptome kann ich nur das bestätigen, was von anderen darüber mit- geteilt ist. Die Todesursache war in zwei von meinen Fällen eine Verstopfung der Harnkanäl- chen durch geronnenes Hämoglobin. Dieselbe kann offenbar nur ganz im Beginn der Krankheit, wenn das Hämoglobin in sehr konzentrierter Lösung durch die Nieren geht, zustande kommen. Daraus geht aber hervor, daß in solchen Fällen das Schicksal des Kranlvcn schon in den ersten Stunden seiner Krankheit besiegelt ist, und daß die Unter- drückung der Nieren tätigkeit (Anurie), welche dem eigentlichen Anfall so oft folgt und immer zum tödlichen Ende führt, durch keines der bekannten harntreibenden Mittel zu beseitigen ist. In dem dritten tödlichen Fall von Schwarzwasserfieber trat das Ende schon während des Anfalles ein, und zwar nicht, wie es vorkommen soll, infolge zu reichlicher Ausscheidung von Hämoglobin, denn es wurden im ganzen nur etwa 400 ccm blutigen Urins entleert, sondern unmittelbar infolge des massenhaften Zerfalls von roten Blutkörperchen und der damit verbundenen tiefen Störungen des Lebensprozesses. Als ich meine Untersuchungen begann, versuchte ich mir natürlich sofort Gewiß- heit über das eigentliche Wesen der Krankheit zu verschaffen und die von anderen ge- fundenen Malariaparasiten ebenfalls nachzuweisen; aber dies wollte mir durchaus nicht gelingen. An den Untersuchungsmethoden konnte es nicht liegen, da ich die Parasiten zur selben Zeit in echten Malariafällen ausnahmslos und ohne irgendwelche Schwierig- keiten fand, auch nicht daran, daß die LTntersuchungen zur unrichtigen Zeit oder zu selten gemacht wurden, denn ich habe Blutproben aus allen Stadien der Krankheit und so oft als nur irgend möglich untersucht. Nur in zwei Fällen fanden sich Malariaparasiten im Blute, aber unter solchen Umständen, daß ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen diesem Befunde und dem Schwarzwasserfieber ohne weiteres ausgeschlossen werden mußte. In allen übrigen 14 Fällen habe ich keine Spur von Malariaparasiten gesehen. Auch andere Mikroorganismen waren weder im mikroskopischen Präparat noch durch Kulturversuche nachzuweisen, was ich ausdrücküch erwähne, da Y e r s i n beim Schwarzwasserfieber im Blute eine für diese Krankheit spezifische Bakterienart ge- funden haben will. Was kann denn aber sonst die Ursache des Schwarzwasserfiebers sein ? Darüber geben am besten die beiden obenerwähnten Fälle mit Malariaparasiten- befund Auskunft, über welche ich deswegen hier etwas ausführlich berichten muß. 1. Der Kranke X. ist noch nicht länger als seit 8 Monaten in Ostafrika, er war zu Hause angeblich nie krank, bekam aber schon wenige Monate nach seiner Ankunft Berichte über die Forschungsreise nach Deutsch-Ostafrika. 323 Fieber, welches hu zur Aufnahme ins J.azarett mit kurzen oder längeren Unterbrechungen immer wiederkehrte. Vor etwa vier Wochen hatte er einen Anfall von 8chwarzwasser- fieber. Während der ersten Woche seines Aufenthalts im Krankenhause war er fieber- frei und schien sich zu erholen: Malariaparasiten wurden im Blute nicht gefunden. Dann trat plötzlich Temperatursteigerung ein, welche den Verdacht auf ein neues Malaria- rezidiv erwecken mußte, das Blut wurde untersucht und nunmehr das Vorhandensein von Parasiten der tropischen Malaria konstatiert. Er erhielt dann 1,0 g hinin während der fieberfreien Zeit und bekam einige Stunden später einen ziemüch starken Anfall von Schwarzwasserfieber. Ich vermutete sogleich, daß hier ein ursächlicher Zusammen- hang zwischen Chinin und Schwarzwasserfieber bestand. Vorläufig konnte dies natür- lich nur eine Vermutung sein, welche aber sehr bald zur Gewißheit werden sollte. Der Kranke hatte, um Rezidive zu verhüten, noch weitere Chinindosen zu nehmen, und dabei mußte sich herausstellen, ob es sich hier nur um ein zufälliges Zusammentreffen oder um ein durch CÜiinin verursachtes Schwarz Wasserfieber handelte. Die nächste Chinin- dosis erhielt der Kranke, nachdem die Hämoglobinurie, die Fiebertemperatur und auch die Parasiten vollkommen verschwvuiden waren. Es erfolgte wieder Avenige Stunden, nachdem das Chinin genommen war, ein typischer Anfall von Schwarz Wasserfieber mit Temperatursteigerung, Hämoglobinurie und leichten Ikterus. I^m nun aber auch jeden Zweifel auszuschließen, wurde noch eine dritte (Jhinindosis gegeben, was unbedenlvlich geschehen konnte, da die vorhergehenden Anfälle nie einen bedrohlichen Charakter an- genommen hatten, und zwar erhielt der Kranke dieselbe am fünften Tage nach dem voll- ständigen Verschwinden seiner Malaria. Der Effekt war ganz derselbe, wie nach den vorhergehenden Chinindosen. Es stellte sich genau zur selben Zeit wieder em typisches Schwarzwasserfieber ein. Nachträglich gab der Kranl^e an, daß er auch vor dem Anfall von Schwarz Wasserfieber, welchen er vor seinem Eintritt ins Krankenhaus überstand, Chimn genommen hatte. Dieser eine Fall würde an und für sich schon genügen, um den unumstößlichen Beweis zu liefern, daß das Chinin außer jedem unmittelbaren Zusammenhang mit der tropischen Malaria auf gewisse Menschen wie ein Blutgift wirken und eine Hämoglobin- urie oder, was dasselbe ist, ein Schwarzwasserfieber produzieren kann. Allerdings waren es nur verhältnismäßig leichte Anfälle, welche bei diesem Kranken beobachtet wurden. Daß aber auch die allerschwersten tödlichen Fälle auf gleiche Weise zustande kommen können, lehrt der folgende Fall. 2. Zufällig handelte es sich bei diesem zweiten Kranken nicht um eine tropische Malaria, welche die Veranlassung zur Chininbehandlung gab, sondern um eine Tertian- malaria. Der Kranke befand sich seit '^/^ Jahren in Ostafrika; er bekam das erste Fieber drei Wochen nach seiner Anktinft. Nach vierteljähriger Anwesenheit bemerkte er zum ersten Male blutigen Urin, nachdem er kurz vorher Chinin genommen hatte. Seitdem will er ungefähr zehnmal, wie er mir selbst sagte, und zwar jedesmal nach Chinin, Anfälle von Schwarzwasserfieber gehabt haben. Den letzten Anfall hatte er vor einem Monat, als er wegen eines Tertianafiel:)ers wieder Chinin genommen ha tte. Da es bei einer einzigen Dosis Chinin bleiben mul3te. so kehrte das Fieber bald wieder und wurde nun mit Arsen behandelt, leider ohne Erfolg, so daß nichts übrigblieb, als wieder zum Chinin zu greifen. Es wurde diesmal subkutan in einer Dosis von 0,5 g angewendet, und zwar 8 Uhr morgens, weil der Fieberanfall regelmäßig zwischen 12 und 1 Uhr eintrat. Schon zwei Stunden nach der Injektion stellte sich ein starker Schüttelfrost ein, welcher etwa eine halbe Stunde andauerte. Bald darauf wurden 250 ccm blutigen, schwarzrot gefärbten Urins entleert. Der Kranke klagte über Gliederschmerzen, Beängstigung, große Schwäche und Übelkeit. Er hatte einige Male Erbrechen. Von 12 Uhr ab erschien die Haut schon deut- 66* 324 Berichte über die Forschungsreise nach Deutsch-Ostafrika. lieh ikterisch gefärbt; sie nahm sehr bald eine intensiv gelbe Farbe an. Gegen 2 Uhr wurden noch 150 ccm schwarzroten Urins entleert. Dann nahm die Schwäche des Kran- ken schnell zu; er verfiel in Schlaf, aus dem er nicht zu erwecken war. 10 Uhr abends, also 12 Stunden nach der Injektion, erfolgte der Tod. Bei der Obduktion zeigten sich außer starker Milzschwellung und ilvterischer Fär- bung aller Organe keine Veränderungen. Das Blut dieses Kranken habe ich 15 mal untersucht, insbesondere noch kurz vor der Injektion und wiederholt während des Anfalles, und niemals etwas anderes gefunden als Tertianparasiten, und zwar in zwei Generationen. Noch kurze Zeit vor dem Tode enthielt das Blut Tertianparasiten in reichlicher Menge, aber nur noch eine Generation. Die andere, in deren Sporulationszeit die Chinininjektion gefallen war, war verschwunden. In diesem Falle kann von irgendwelchen Beziehungen des Schwarzwasserfiebers zum Tropenfieber überhaupt nicht die Rede sein, und es kann gar keinem Zweifel unter- hegen, daß es sich um eine Chininvergiftung gehandelt hat. Allerdings liegen hier inso- fern ganz außergewöhnliche Verhältnisse vor, als die zur Anwendung gekommene Chinin- dosis sich innerhalb der gewöhnlichen Grenzen hielt. Wir müssen also annehmen, daß bei diesem Kranken ebenso wie bei dem vorhergehenden eine besondere Empfindhchkeit gegen Chinin, eine Art von Idiosynkrasie, vorhanden war. Außer diesen beiden von mir selbst beobachteten Fällen kann ich noch viele andere nennen, in welchen mir von durchaus glaubwürdigen Personen mitgeteilt wurde, daß bei ihnen regelmäßig auf Anwendung von Chinin ein Anfall von Schwarzwasserfieber folgte, und daß sie sich deswegen scheuten, ferner Chinin zu nehmen. Von meinen übrigen 14 Schwarzwasserfieberfällen liegen die meisten auch so, daß sie höchstwahrscheinlich als Chininvergiftungen aufgefaßt werden müssen. So unmittel- bar beweisend wie die oben geschilderten sind sie zwar nicht. Aber auch in diesen Fällen wurde aus irgendeinem Grunde Chinin genommen, worauf sich in kurzer Zeit ein mehr oder weniger heftiger Anfall von Schwarzwasserfieber einstellte. Selbst in den wenigen dann noch übrigbleibenden Fällen war der Chiningebrauch nicht mit Sicherheit auszuschließen. Man darf eben nicht vergessen, in welcher unverantwortlichen Weise in tropischen Malarialändern von den meisten Menschen mit dem Chinin umgegangen wird. Bei irgendeinem Unwohlsein, ob Fieber oder nicht, wird sofort Chinin, und zwar manchmal in erheblichen Dosen, genommen. Trifft es sich, daß der Betreffende die obenerwähnte Idiosynkrasie gegen Chinin besitzt, dann kann er auf diese Weise zu einem Schwarzwasserfieber kommen, welches, wenn zufäUig tropische Malaria der Grund für die Medikation war, gelegentlich auch mit Ma- laria kombiniert sein kann. Bei allen meinen Kranken war dies nicht der Fall. Die Ge- stalt der Fieberkurve, das Fehlen der Malariaparasiten, das Ausbleiben von Rezidiven beweisen hinreichend, daß tropische Malaria hier nicht im Spiele war. Zum Uberfluß will ich noch erwähnen, daß in den beiden obduzierten Fällen auch das untrüghche Kennzeichen der Malaria, nämlich die Pigmentanhäufungen in Milz und Leber, voll- kommen fehlten. Obwohl mir nun selbst kein Fall von Schwarzwasserfieber begegnet ist, in welchem die Chininvergiftung ausgeschlossen ist, so möchte ich doch nicht soweit gehen, zu be- haupten, daß jedes Schwarzwasserfieber eine Chininvergiftung sei. Aber daß die Chinin- vergiftung eine ganz erhebliche Rolle in der Ätiologie des Schwarzwasserfiebers spielt, ist nach meinen Untersuchungen wohl nicht mehr zu bestreiten. Man wird in Zukunft in jedem Falle von Schwarzwasserfieber vor allen Dingen festzustellen haben, ob es sich nicht um eine Chininvergiftung handelt, und, wenn dieselbe mit Sicherheit auszuschließen ist, ob nicht andere in Speisen, Getränken oder sonst dem Körper zugeführte Substanzen Berichte über die Forechungsreise nach Deutsch-Ostefrika. 325 eine ähnliche Wirkung haben können als das Chinin. Es ist doch sehr wohl denkbar, daß ein Mensch, bei welchem sich diese merkwürdige Idiosynkrasie gegen ('hinin ein- gestellt hat, nun auch auf andere Stoffe, welche er bis dahin anstandslos vertragen hat, mit einer Hämoglobinurie reagiert. Erst wenn solche Möglichkeiten völlig ausgeschlossen sind, hat es einen Zweck, den dann noch übrigbleibenden, vielleicht sehr kleinen Rest von Schwarzwasserfieber- fällen nach anderen Richtungen hin ätiologisch zu erforschen. Sehr wichtig wird es allerdings außerdem sein, zu ermitteln, in welcher Weise die Idiosynkrasie gegen Chinin in den Tropen zustande kommt und ob dieselbe, wo sie vorhanden ist, sich nicht be- seitigen läßt. Es ist doch sehr wahrscheinlich, daß dieser Zustand auf irgendwelchen faßbaren Veränderungen in der Beschaffenheit des Blutes beruht. Es ist in dieser Be- ziehung auch gewiß nicht zufällig, daß das Schwarzwasserfieber fast nur bei Männern vorkommt. Frauen und Eingeborene werden nur ausnahmsweise davon befallen. Sollte es aber auch nicht gelingen, diese Rätsel zu lösen, so viel steht fest, daß die Behandlung des Schwarzwasserfiebers mit Chinin vollkommen aufhören muß, und daß bei Malariakranken, welche bereits einen Anfall von Schwarzwasserfieber gehabt haben, das Chinin nur mit der größten Vorsicht anzuwenden, besser aber durch andere Mittel zu ersetzen ist. Arztliche Beobachtungen in den Tropen.') (Vortrag, gehalten in der Abteilung Berlin-Charlottenburg der Deutschen Kolonial- Gesellschaft am 9. Juni 1898.) Von Prof. Dr. R. Koch, Geh. Medizinalrat. Meine Herren! Eine Forschungsreise, welche mich zuerst auf Veranlassung der Kapregierung nach Südafrika, später im Auftrage der deutschen Regierung nach Indien und Deutsch-Ostafrika führte, hat mir im Laufe von 1 y., Jahren reichlich Gelegenheit zu interessanten ärztlichen Beobachtungen geboten. Ich hatte die Rinderpest in Süd- afrika, die menschliche Pest auf asiatischem sowohl als auf afrikanischem Boden zu unter- suchen; ich konnte Studien anstellen über Lepra und Malaria und verschiedene wichtige Tierkranliheiten, nebenher auch über manche Fragen der Tropenhygiene. Von diesen verschiedenen Gegenständen beansprucht einer ein ganz besonderes Interesse für Ko- lonialkreise; das ist das Tropenfieber, die Malaria der Tropen, und ich hoffe Ihre Zu- stimmung zu finden, wenn ich dieses Thema meinem heutigen V ortrage in der Kolonial- gesellschaft zugrunde lege. Jeder, der sich mit dem Kolonialwesen beschäftigt hat, weiß, was die Malaria in den tropischen Ländern bedeutet; ganz besonders aber werden diejenigen es wissen, welche draußen in den Kolonien waren und selbst in unliebsame Berührung mit der Malaria gekommen sind. • Die ärzthche Tätigkeit in den Tropen beschäftigt sich zum allergrößten Teil mit der Malaria. So fand ich im Hospital zu Mozambique, welches für 250 Kranke einge- richtet ist und bei meinem Besuch im vorigen Jahre nahezu gefüllt war, fast nur Malaria- kranke in allen Stadien und Formen der Krankheit. In Deutsch-Ostafrika fehlen Tj'phus, Diphtheritis und andere Krankheiten, welche bei uns eine große Rolle spielen; die Tuberkulose trifft man verhältnismäßig selten, dafür um so häufiger Malaria, die dort die alles beherrschende Krankheit ist. Sie begegnet uns auf Schritt und Tritt; der Be- amte im Bureau, der Forschungsreisende im Innern des Landes, der Soldat auf dem Marsche, der Ansiedler, .sie alle müssen beständig darauf gefaßt sein, daß sie über kurz oder lang ein Opfer der Malaria werden. Wie mancher muß malariasiech in die Heimat zurückkehren, und wie mancher ist dem Klimafieber, d. h. der Malaria erlegen, und ruhet in fremder Erde! Was dem Ansiedler in den Tropen unter den jetzigen Verhältnissen bevorsteht, das mögen einige Beispiele, über die ich ganz kurz berichten will, veranschaulichen. Vor einigen Jahren kamen drei junge gesunde Leute nach Ostafrika, um dort eine Farm am Kinganiflusse anzulegen. Etwa 3 Wochen lang waren sie ganz gesund; 1) Deutsche Kolonial- Gesellschaft, Abteilung Berlin-Charlottenburg. Verhandlungen 1897/98, Heft 7. Verlag von Dietrich Eeimer, Berlin. Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. 327 dann erkrankten sie einer nach dem andern in Zwischenräumen voji wenigen Tagen am Fieber. Sie schleppten sich noch einige Wochen hin und mußten schheßUch in das Lazarett von Bagamoyo gebracht werden. Bei ihrer Aufnahme salien zwei, wie das Kranken- journal berichtet, sehr heruntergekommen, wachsbleich und wie Leichen aus; vom dritten, der besonders arg mitgenommen war, heißt es wörtlich: ,,Ein enorm großer und kräftig gebauter Mensch, jetzt schlotterndes Elend''. Zu ihrem Glück kamen sie im La- zarett in regelrechte ärztliche Behandlung und wurden wiederhergestellt. Aber kaum waren sie wieder zu Kräften gekommen, so gaben sie das Farmerleben auf und reisten mit dem nächsten Dampfer nach Europa zurück. Ein ähnliches Vorkommnis habe ich selbst beobachtet. Sieben Trappisten gingen nach dem Usambaragebirge und gründeten dort eine Mission. Teils kamen sie schon krank im Gebirge an, teils erkrankten sie bald nach ihrer Ankunft, und zwar sämtlich an schwerem und hartnäckig rezidivierendem Tropenfieber. Zwei von ihnen starben, drei mußten zurückgeschickt werden, und die beiden letzten hatten, selbst nachdem sie ein halbes Jahr im Gebirge zugebracht hatten, die Malaria noch nicht überwunden. In dem kürzlich veröffentlichten Berichte, welchen der Herr Gouverneur Liebert über seine Expedition nach dem Kilimandscharo erstattet hat, teilt er mit, daß in dem Luengeratal, wo einige Europäer sich zum Zwecke von Vermessungen aufhalten mußten, infolge des Sumpfklimas zwei gestorben sind ; mehrere mußten abgelöst und andere nach dem Lazarett in Tanga geschickt werden. So schlimm wie in diesen Fällen macht es die Malaria zwar nicht immer, aber doch oft genug, und ich bin davon überzeugt, daß wir unseres Kolonialbesitzes nicht eher froh werden, als bis es uns gelingt, Herr dieser Krankheit zu werden. Nach den Erfahrun- gen, die wir an anderen Krankheiten gemacht haben, werden wir dieses Ziel aber nicht erreichen, ehe wir nicht das eigentliche Wesen dieser Krankheit, ihre Entstehungs- und Verbreitungsweise kennen gelernt haben. Wie weit man in dieser Beziehung gekommen ist, das werde ich Ihnen auseinanderzusetzen haben. Aber ehe ich auf die Malaria selbst eingehe, möchte ich Ihnen kiirz eine andere Krankheit schildern, die der Malaria in mancher Beziehung sehr ähnlich ist, -und die, weil sie im ganzen viel besser erforscht ist, uns dazu dienen kann, manche dunklen ]\inkte der Malariaätiologie aufzuklären. Diese Krankheit ist das sogenannte Texasfieber. Es ist eine Seuche, die unter den Rinderherden an der ostafrikanischen Küste herrscht; sie richtet dort ziemlich große Verwüstungen an und beansprucht schon aus diesem Grunde ein gewisses praktisches koloniales Interesse. Auf das Texasfieber wurde man nicht, wie der Name vermuten lassen sollte, zuerst in Texas aufmerksam, sondern in den nördlichen Staaten von Nordamerika. In Texas selbst besteht eine blühende Viehzucht und es wird viel Vieh nach dem Norden ausge- führt; dabei hatte man die Erfahrung gemacht, daß, wenn das Texasvieh mit Rindern aus den Nordstaaten irgendwie in Besrührung kommt, das Nordvieh erkrankt, Avährend man an dem Texasvieh weder vorher noch nachher irgendwelche Krankheitssymptome wahrnimmt. Es war sogar nicht einmal eine Berührung notwendig; es genügte schon, daß das Texasvieh über eine Weide ging und einige Zeit darauf Nordvieh über dieselbe geführt wurde. Die Viehzüchter und -händler hatten schon längst die \'ermutung, daß diese eigentümliche Kranklieitsübertragung von dem Texasvieh auf gesundes Nordvieh durch Zecken oder Holzböcke bedingt sei, mit denen das Texasvieh fast immer behaftet ist. Über das eigentliche Wesen dieser Kranklieit hat man lange Zeit nichts zu ermitteln vermocht; aber schließlich ist es S m i t h gelungen, das Rätsel zu lösen. Er faiid, daß bei den an Texasfieber erkrankten Tieren im Blut ein ganz eigentümlicher Parasit vor- handen ist, der in den roten Blutkörperchen seinen Sitz hat. Dieser Parasit hat ein recht 328 Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. charakteristisches Aussehen; er ist so leicht erkennbar, daß man an wenigen roten Blut- körperchen, welche damit behaftet sind, sofort die Diagnose auf Texasfieber stellen kann. Ich werde die Gestalt des Parasiten hier aufzeichnen. Er sieht etwa ©birnenförmig aus; wegen dieser Form hat man ihm den Namen Pyrosoma gegeben, und weil in einem roten Blutkörperchen fast regelmäßig zwei solcher Gebilde sitzen, so hat man ihn Pyrosoma bigeminum genannt. Smith fand nun aber weiter, daß, wenn man Blut nimmt, welches diese Parasiten enthält, man vermittels dieses Blutes die Krankheit übertragen kann ; es genügt, daß man eine kleine Menge davon einem gesunden Tier unter die Haut injiziert, um die Krankheit hervorzurufen. Er fand weiter, daß, wenn von derartig infizierten Tieren, die meistens zugrunde gingen, eins die Krankheit überstanden hatte, man ihm ungestraft nochmals Blut von kranken Tieren injizieren konnte; es war also vollständig immun, d. h. soviel wie unempfänglich, für die Krankheit geworden. Auch die frisch aus Texas gekommenen Tiere konnten mit Blut von kranken Rindern injiziert werden, ohne daß sie auf eine solche Impfung reagierten ; sie waren also schon von Haus aus immun. Wir dürfen nun aber nicht annehmen, daß diese Tiere überhaupt unem- pfänglich gegen die Krankheit sind. Sie sind von demselben Rinderschlag; es besteht auch sonst kein wesentlicher Unterschied zwischen den Texasrindern und den Nordrindern. Wir können uns daher die Immunität der Texasrinder nur so erklären, daß sie schon einen gewissen Grad von Immunität von ihren Eltern mitbekommen, und daß sie ver- mutlich die Krankheit in ihrer Jugend in einer leichteren Form dvirchmachen, welche kaum bemerkt wird. Auf diese Weise kommt es zu einem Viehstand, der ganz unempfäng- lich ist gegen das Texasfieber. Smith stellte ferner noch Versuche an über die Rolle, welche die Zecken bei der Übertragung spielen. Er ließ Tiere aus Texas kommen, welche mit Zecken behaftet waren, und brachte sie mit Nordvieh zusammen; in diesem Falle wurde das Nordvieh krank. Er brachte dann in einem zweiten Versuch Texasrinder, von denen die Zecken sorgfältig entfernt waren^ mit gesunden Rindern aus den Nordstaaten zusammen ; dann fand keine Ansteckung statt. Schließlich nahm er in einem dritten Versuch nur die Zecken, ließ sie über eine Weide ausstreuen und Nordvieh darauf weiden; hier kam es wieder zur An- steckung und die Tiere erkrankten an Texasfieber. Damit war aber der Beweis geliefert, daß die Zecken in der Tat die Krankheit übertragen. Smith machte noch einen Infektionsversuch mit jungen Zecken, welche von Texas-Zecken abstammten, aber selbst mit den kranken Rindern garnicht in Be- rührung gekommen waren; er setzte solche jungen Zecken auf gesunde Tiere aus den Nordstaaten, und es gelang ihm auch auf diese Weise das Texasfieber hervorzurufen. Ich muß allerdings hmzufügen, daß dieser letzte Versuch mit den jungen Zecken bei den Sachverständigen keinen rechten Glauben gefunden hat; er klingt doch etwas zu abenteuerlich und war auch nicht hinreichend einwandfrei angestellt. Nachdem nun das Pyrosoma bigeminum bekannt geworden war, und man damit in den Stand gesetzt war, die Kranltheit mit Leichtigkeit und Sicherheit zu erkennen, Avurde auch an anderen Orten nach dieser merkwürdigen Krankheit gesucht, und es dauerte auch nicht lange, bis man sie in einigen andern Ländern auffand. So zuerst in Südafrika. Wie die Krankheit dahin gekommen ist, weiß man nicht; vielleicht ist sie schon seit langer Zeit dort zu Hause. Ferner hat man sie in Australien beobachtet; dorthin ist sie angeblich mit amerikanischem Vieh eingeschleppt. Sie ist in Rumänien gefunden, in den Donauniederungen ; zuletzt noch vor zwei Jahren in der Campagna von Rom. Dort trifft man ganz besonders interessante Verhältnisse an. Es werden nämlich aus der Campagna nicht Tiere exportiert, wie es in Texas der Fall ist, sondern Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. 329 man hat umgekehrt mehrfach versucht, frisches Vieh nach der Campagna einzuführen, z. B. Vieh aus der Schweiz und der Lombardei. Sobald diese gestxnden Tiere von aus- wärts mit den Campagnatieren in Berührung kommen, erkranken sie an Texasfieber und gehen zugrunde. SchUeßhcli ist es mir selbst gelungen, diese Krankheit in Deutsch-Ostafrika nach- zuweisen. Sie herrscht dort an der ganzen Küste; wahrscheinlich, soweit ich das durch Nachfragen ermitteln konnte, geht sie durch das ganze portugiesische Gebiet weit nach dem Süden. Ich denke mir, daß auch das Vorkommen in Südafrika kein isoliertes ist, sondern mit diesem lang ausgedehnten Herd im Zusammenhang steht. Sie ist an unserer Küste nicht frisch eingeschleppt, sondern besteht dort seit Hunderten von Jahren. Denn die Eingeborenen kennen die Krankheit schon lange; \md auch ihre Voreltern sollen sie gekannt haben. Die Symptome der an der ostafrikanischen Küste herrschenden Krankheit stimmen ganz genau mit denjenigen des Texasfiebers überein, wie es in Amerika vorkommt; auch genau dieselben Parasiten, wie sie beim Texasfieber gefunden werden, habe ich bei der Rinderkrankheit in Ostafrika nachweisen können. Nachdem mir so der Nachweis des Texasfiebers in Ostafrika gelungen war, hielt ich es für notwendig, auch die wichtigen Versuche von S m i t h in bezug auf die Über- tragbarkeit der Krankheit durch die Zecken nachzuprüfen. Ich habe mich aber, weil es sehr zeitraubend gewesen wäre, alle seine Versuche nachzumachen, auf den inter- essantesten Versuch beschränkt, der übrigens auch alle anderen in sich faßt, nämlich auf den Versuch mit den jungen Zecken. Derselbe wurde in folgender Weise angestellt. Ich nahm aus einer infizierten Herde Zecken von scheinbar gesunden Tieren und zu gleicher Zeit Zecken von einem schwer kranken Tiere. Die Zecken wurden getrennt in Gläser gesetzt; sie legten ihre Eier ab, imd es entwickelten sich bald darauf die jungen Zecken. Diese letzteren brachte ich dann nach Kwai in Westusambara. Dieser Ort liegt etwa 10 Tagereisen weit entfernt von Daressalam, dem Punkte, wo ich die alten Zecken gesajnmelt hatte. Also alle Ein- wände von zufälligen Infektionen, die von dem Ausgangsorte stattgefunden haben könnten, treffen auf diesen Versuch nicht zu. In Kwai selbst und der ganzen Umgebung war niemals Texasfieber vorgekommen; es liegt in einer vollständig texasfieberfreien Gegend. Ich habe dann unter allen erdenklichen Vorsichtsmaßregeln die jungen Zecken auf gesunde Tiere gesetzt und wartete nun ab. was da kommen sollte. Es vergingen zwei, es vergingen drei Wochen, aber es zeigte sich nichts. Ich hatte eigentlich schon die Hoff- nung aufgegeben, daß mein Versuch gelingen würde, als am 22. Tage, nachdem ich die jungen Zecken angesetzt hatte, die Tiere erkrankten. Ich untersuchte sofort und fand den charakteristischen Parasiten, das Pyrosoma bigeminum im Blute. Sehr bemerkens- wert ist es, daß nur die Rinder erkrankten, welche die Zeclvcn von dem kranken Tiere bekommen hatten, während die, welche mit Zecken von den scheinbar gesunden Tieren besetzt waren, gesund blieben. Dadurch erhielt ich gewissermaßen ein Kontrollexperi- ment, und der Versuch im ganzen hatte einen um so größeren Wert bekommen. Nachdem die Tiere, welche durch die jungen Zecken von kranken Tieren infiziert worden, an Texasfieber erkrankt waren, habe ich das Blut derselben auf andere gesunde Tiere übertragen und dadurch aufs neue Texasfieber erzeugt, und zwar geschah dies mehrere Generationen hindurch. Ich erhielt auf diese Weise schließlich eine ganze Anzahl von texasfieberkranken Tieren, die auffallenderweise die eigentliche Krankheit sämtlich überstanden haben. Es gingen zwar einige nachträglich ein; das waren aber schwäch- liche Tiere; es war nämlich absichtlich wertloses, schwaches und junges Vieh zu dem Versuch genommen. Die anderen Tiere hatten dagegen das Texasfieber in einer außer- gewöhnlich milden Form überstanden. Es war das um so mehr auffallend, als das Material, 330 Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. von dem ich ausgegangen war, von einem sehr schwerkranken Tiere herrührte. Ich erkläre mir dieses Faktum so, daß die jungen Zecken auf dem Transport, welcher etwa 14 Tage lang unter der glühenden afrikanischen Sonne vor sich gegangen war, stark gelitten hatten, und daß auch die Parasiten, die sie in ihrem Innern bargen, in ihrer A'irulenz abgeschwächt wurden. Die meisten Zecken waren nämlich beim Eintreffen in Kwai schon abgestorben, und ich hatte nur noch einen kleinen Rest, den ich den Tieren ansetzen konnte. Die genesenen Rinder wurden dann ein zweites Mal mit dem Blut kranker Tiere infiziert; sie reagierten aber gar nicht darauf; sie waren also durch die vorausgegangene Krankheit vollständig immun geworden, aber natürhch nur immun gegen diese milde Form des Texasfiebers, die zufällig unter meinen Versuchsbedingungen entstanden war. Nun mußte ich mich weiter fragen, ob diese vermuthch nur geringe Immunität auch ausreichen würde gegen die schwere natürhche Infektion, wie sie an der Küste herrscht. Um dies zu erfahren, ließ ich die immunisierten Tiere nach der Küste bringen und mit einer infizierten Herde auf die Weide gehen. Sie bekamen kein Texasfieber. Als sie sich hiergegen unempfindlich gezeigt hatten, habe ich ihnen Blut von einem Rind, bei welchem das Texasfieber außerordenthch schwer verlief, injiziert ; auch das haben sie überstanden bis auf eins, welches nach der ersten Injektion nur in sehr geringem Grade erkrankt war und demgemäß auch nur einen schwachen Grad von Immunität erlangt hatte. Auf diese Weise ist es mir gelungen, eine gewisse Anzahl von Rindern künstlich gegen Texasfieber zu immunisieren, und ich bin fest überzeugt, daß, wenn man diese Versuche, die nur nebenher gemacht sind, fortsetzen wollte, man zu einer ganz brauch- baren Schutzimpfung gegen das Texasfieber kommen würde. Auf jeden Fall ist aber durch meinen Versuch die Möglichkeit der Übertragung von Blutparasiten durch die Nachkommen von Zecken über allen Zweifel erwiesen, und das ist meiner Meinung nach eine für die Wissenschaft sehr wichtige Tatsache. Denn wenn es sich bei einer Krank- heit so verhalten kann, dann kann es auch bei anderen Krankheiten der Fall sein. Ich denke hierbei gerade an die Malaria, bei der sich manches, was wir jetzt beim Texas- fieber kennen gelernt haben, wiederholt. Nachdem ich dies über das Texasfieber vorausgeschickt habe, werde ich zur Ma- laria übergehen. Die Malaria ist eine Krankheit oder, wie ich richtiger sagen muß, eine Krankheits- gruppe, die über die ganze Erde verbreitet ist. Sie verschont nur das kalte Klima. Bei uns herrscht sie in sumpfiger Niederungen, in den Marschländern, an den Küsten. Das Verhalten der einheimischen Malaria ist ein ganz charakteristisches ; sie verläuft nämhch immer in einzelnen ganz streng voneinander geschiedenen Anfällen. Ein solcher Anfall beginnt mit Frost ; dann folgt Hitze und zuletzt Schweiß ; damit ist der Anfall vorüber. Am besten kann man einen solchen Anfall verfolgen, wenn man die Körpertemperatur des Menschen fortlaufend notiert und graphisch darstellt. Ich will versuchen, Ihnen das hier zu zeigen. (Vgl. die nebenstehende Kurve.) Wenn die unterste Horizontalhnie die Temperatur von 37° repräsentiert — es entspricht das der normalen Körpertemperatur — , dann verläuft vor dem Anfall die Temperatur etwas unterhalb oder oberhalb dieser Linie in geringen Schwankungen. Kommt der Anfall, dann steigt die Körpertemperatur ganz steil an von 37^ bis zu 40" oder 410 und gelbst darüber, und ebenso steil fällt die Temperatur wieder ab. Nach Be- endigung des Anfalls, der im ganzen 4 oder 6, höchstens 8 Stunden dauert, verläuft die Temperatur wieder in normaler Weise. Nehmen wir an, daß sich das während eines Tages abspielt, dann bleibt am nächsten Tage die Temperatur immer auf der normalen Höhe; Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. 331 es erfolgt kein Aufall, wenigstens ist dies bei derjenigen Art von Malaria, die bei uns die häufigste ist, der sogenannten Tertiana, der Fall ; bei dieser Art liegt immer zwischen dem einen Anfall und dem nächsten ein fieberfreier Tag. Nun kommt der dritte Tag; an diesem geht die Temperatur genau wie am ersten Tage wieder in die Höhe und ebenso steil wieder herunter und so fort. Das kann sich tagelang, manchmal wochenlang wiederholen. I II III IV Y VI 41" Es kommt nun aber nicht selten vor, daß ein zweites derartiges Fieber in seinen Anfällen sich mit dem ersten kombiniert. Denken Sie sich in der Figur unter der ersten Fieberkurve eine zweite, welche ich nur durch punktierte Linien andeuten will, und lassen wir die Anfälle des zweiten Fiebers gerade auf die fieberfreien Tage des ersten treffen, dann können ^\ ir die beiden Kurven ineinanderschieben und bekommen damit folgendes Bild; I II III IV V VI 41° 40° — H — 39" — n — / \ / \ ( i 38'' / \ / \ / \ ^ ; ; \ ; \ / \ / \ 1 \ 1 ,/ Es entsteht auf diese Weise ein Fieber, bei welchem die Anfälle nicht einen um den andern Tag auftreten, sondern wo jeder Tag einen Anfall hat. Dieses Fieber hat man im Gegensatz zur Tertiana die Quotidiana genannt; es ist aber keine echte Quoti- diana. sondern eine doppelte Tertiana. Bei uns ist die Malaria nicht unmittelbar lebensgefährlich, und sie läßt sich leicht und sicher durch Chinin beseitigen. Aber je weiter wir nach dem Süden zu gehen, um so schwereren und hartnäckigeren Formen der Malaria begegnen wir. die nicht selten auch tödlich verlaufen. Besonders ist das in den Mittelmeerländern der Fall, in Italien, wo namentlich die Campagna und Sizilien berüchtigt sind, dann in Griechenland, Algier usw. Diese schwere Form der Älalaria tritt aber nur während einer verhältnismäßig kurzen Zeit des Jahres auf, gewöhnlich nur im Spätsommer und Herbst. Die Italiener haben sie darum das Ästivo-autumnal-Fieber genannt. 332 Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. Noch weiter nach Süden, in den Tropen, wird die Malaria immer intensiver; sie tritt viel häufiger auf und herrscht in ihren schweren, den sogenannten perniziösen Formen fast das ganze Jahr hindurch. Am meisten ist in den Tropen gefürchtet das Schwarz- wasserfieber, das man gewissermaßen als die höchste Potenz des Tropenfiebers ansieht. Bei dieser Form des Fiebers tritt, wenn ich mich so ausdrücken darf, eine Art Blutzersetzung ein; die Blutkörperchen zerfallen, der Blutfarbstoff löst sich im Blute auf, wird durch die Nieren ausgeschieden, gelangt in den Urin und färbt denselben dunkel- braunrot bis schwarz; daher der Name Schwarzwasserfieber. Diese Form führt sehr oft zum tödlichen Ausgang. In den Tropen verläuft das Fieber nicht so regelmäßig, wie ich es Ihnen von der heimischen Malaria geschildert habe, sondern es soll einen recht unregelmäßigen Gang haben. Nach den Angaben, welche von den Tropenärzten darüber gemacht sind, ist es unmöglich, ein klares Bild davon zu gewinnen. Oft soll das Tropenfieber eine andauernd hohe Temperaturkurve haben — also ein lang hingezogener fieberhafter Zustand ohne die charakteristischen Unterbrechungen; es ist dies die sogenannte Continua. Manchmal soll es mit unregelmäßigen Remissionen verlaufen — als remittierendes Fieber bezeich- net. Dann soll es die Form der Quotidiana annehmen, und manchmal soll es ganz un- regelmäßig gehen. Über das eigentliche Wesen der Malaria haben wir erst in der neuesten Zeit Auf- klärung erhalten durch L a v e r a n , einem französischen Arzt, welcher Parasiten im Blute der Malariakranken gefunden hat. Eine gründliche Untersuchung der Malaria- parasiten verdanken wir aber italienischen Forschern, die mit unermüdlichem Fleiß und mit vielem Geschick die Entwickelungsgeschichte dieser Parasiten verfolgt haben. Sie sind zu einem Ergebnis gelangt, welches ich Ihnen in ganz kurzen Umrissen schildern möchte. Sie fanden bei der Tertiana, d. h. also der einheimischen Form der Malaria, daß in einzelnen roten Blutkörperchen zu einer bestimmten Zeit ein kleines Wesen auftritt, das sich durch lebhafte Beweglichkeit als etwas Lebendes, als Parasit zu er- Q kennen gibt. Es erscheint in dem roten Blutkörperchen unter der Gestalt eines Ringes, der an einer Stelle eine kleine Verdickung hat. Man hat das Aussehen dieses Parasiten mit dem eines Siegelringes verglichen. Der Parasit wächst ziemlich rasch heran; in kurzer Zeit verliert er die Siegelringform, wird etwas kompakter und nimmt infolge seiner amöbenartigen Bewegüchkeit recht unregelmäßige Formen an. Dann stellt sich auch ein Gehalt an Pigment ein in Ge- stalt von feinen schwärzUchen Pünktchen und Strichelchen. Der Parasit wächst immer weiter heran und erreicht schließlich fast die Größe eines roten Blutkörperchens. Wenn er dieses Entwickelungsstadium erreicht hat, geht mit ihm ziem- lich plötzlich eine wunderbare Veränderung vor, indem er folgende Form annimmt. Das Pigment, welches bis dahin überall gleichmäßig durch die Masse des Parasiten verteilt war, ballt sich zusammen, bildet einen kleinen schwarzbraunen Klumpen, und um diesen herum gruppiert sich eine Anzahl von Kügelchen , die durch Zerklüftung der eigenthchen Substanz des Parasiten entstehen; gewöhnlich sind es 15 bis 20 solcher Kügelchen. Man hat diesen Vorgang irrigerweise als Sporulation bezeichnet. Die Kügel- chen sind aber keine Sporen, sondern junge Parasiten, welche sich sehr bald wieder an Blutkörperchen anheften und denselben Entwickelungsgang von neuem durchmachen. Über das Verhältnis, in welchem dieser Parasit zu den einzelnen Anfällen der Tertiana steht, haben die italienischen Forscher folgendes ermittelt. Wenn das Blut auf der Höhe Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. 333 des Fieberanfalls untersucht wird, dann werden nur die jungen Parasiten, welche die Ringform besitzen, gefunden; untersucht man einige Zeit nach dem Fieberanfall, dann finden sich Parasiten, welche bereits etwas größer sind luid die Ringform aufgegeben haben. Während der fieberfreien Zeit werden sie immer größer, erreichen kurze Zeit vor dem Anfall ihre volle Größe und gehen gerade beim Beginn des neuen Anfalls zur Sporulation über. Wenn man Blut von einem Kranken untersucht und die Sporulations- formen darin findet, dann kann man sagen, daß der Anfall unmittelbar bevorsteht oder eben angefangen hat. Findet man aber beispielsweise Ringformen, dann beweist das, daß der Anfall auf seiner Höhe ist, usw. Es kann auch vorkommen, daß zweierlei ganz ver- schiedene Entwickelungsstadien des Parasiten, z. B. junge und alte Formen, nebenein- ander gefunden werden, dann kann man daraus schließen, daß dies zwei Generationen sind, und daß nicht eine einfache Tertiana, sondern eine doppelte vorliegen muß. Sie sehen aus diesen Beispielen, mit welcher Sicherheit man aus der einfachen Blutuntersuchung den Zustand eines solchen Malariakranken beurteilen kann. Die italienischen Forscher haben nun auch die schweren Formen der Malaria- krankheit, die Ästivo-autumnal-Fieber, untersucht und haben gefunden, daß bei diesen ein von dem Tertianaparasiten wesentlich verschiedener Parasit vorkommt. Bei dem Ästivo-autumnal-Fieber finden sich nämlich nur Ringformen. In welchen Beziehungen nun diese Parasiten zum Verlauf der schweren Malariaformen stehen, hat sich nicht recht ermitteln lassen. Es herrscht darüber noch vollständiges Dunkel. Auch bei dem tropischen Fieber haben einige Tropenärzte solche Ringformen gefunden. Im übrigen wissen wir nichts über den Zusammenhang der Tropenfieberparasiten mit der ihnen zu- gehörigen Malaria . So lagen die Verhältnisse, als ich an meine Malariauntersuchung ging. Ich muß allerdings, bevor ich Ihnen über dieselben berichte, bemerken, daß die Tatsachen, welche ich gefunden habe, zunächst imr für Deutsch-Ostafrika gelten, wo ich meine Unter- suchungen angestellt habe. Aber ich habe mehrfach Gelegenheit gehabt, Präparate aus anderen Ländern zu sehen; ich kenne die betreffende Literatur und habe manches durch mündliche Mitteilungen erfahren, und glaube auf Grund dessen annehmen zu können, daß die Verhältnisse in anderen Tropenländern nicht wesentlich von dem abweichen, was ich Ihnen jetzt mitteilen werde. Ich habe in Deutsch-Ostafrika 4 verschiedene Arten von Malaria gefunden. Zwei davon sind sehr selten, und ich will sie deswegen beiseite lassen. Die eine von den Malariaarten, die dann noch übrigbleiben, ist genau dieselbe, wie wir sie hier bei uns haben, nämlich die Tertiana, nur mit dem Unterschied, daß die doppelte Tertiana, die bei uns nicht häufig ist, dort recht oft vorkommt. Ich habe auch nicht den geringsten Unterschied finden können, weder in bezug auf den Verlauf und die Erscheinungen der Krankheit, noch in bezug auf den Parasiten, und ich bin deswegen davon überzeugt, daß es sich um ganz dieselba Tertiana handelt, wie wir sie bei uns finden. Aber von dieser Form kommen auf die gesamte Erkrankungsziffer der Malaria doch nur 10 Proz.; die übrigen 90 Proz. kommen auf die andere Form. Diese letztere stimmt nun aber in allen ihren Eigenschaften mit der richtigen Tropenmalaria, wie ich sie früher beschrieben habe, überein, so daß ich nicht anstehe, sie damit für identisch zu halten. Ich stand nunmehr vor der Aufgabe, in bezug auf die Tropenmalaria, bei der wir von einem regelmäßigen Verlauf der Anfälle und von der Entwickehuig der Parasiten nichts wissen, womöglich dieselbe Klarheit zu schaffen, wie sie für die heimische Malaria durch die italienischen Forscher gewonnen ist. Zu diesem Zwecke habs ich zunächst versucht, den eigentlichen Verlauf der Tropen- malaria festzustellen. Bis jetzt gibt es, glaube ich, kaum einen Arzt, welcher die eigentliche 334 Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. Tropenmalaria ungestört verlaufen sah. Der Tropenarzt ist nun einmal gewöhnt, sowie er einen Kranken vor sich hat, der fiebert, und bei dem er Malaria vermutet, sofort Chinin zu geben. Dadurch wird natürlich der weitere Gang des Fiebers sofort gestört. Ich habe es nun erreichen können, daß eine Anzahl Kranker — so lange natürlich, wie es ihr Zu- stand erlaubte ~ ohne Chinin blieb. Dabei stellte sich denn sehr bald zu meiner größten Überraschung heraus, daß die Tropenmalaria gar nicht so unregelmäßig und vielgestaltig verläuft, wie bisher immer behauptet ist, sondern genau ebenso typische und regelmäßige An- fälle macht wie unsere Tertiana; die Temperaturkurve des Anfalls ist nur etwas anders gestaltet. Ich werde Ihnen auch diese Kurve aufzeichnen, weil das die Sache am schnellsten verdeutlicht. Im Tropenfieber beginnt der Anfall in der Regel nicht mit einem heftigen Schüttelfrost, wie bei der Tertiana, sondern mit leichtem Frösteln und allge- meinem Unbehagen. Die Temperatur geht auch sofort steil in die Höhe, sinkt dann aber nicht sobald herunter wie bei der heimischen Tertiana , sondern bleibt längere Zeit oben. Erst am nächsten Morgen kommt ein mäßiger Fiebernachlaß, es ist dies dieselbe Re- mission, die bei allen fieberhaften Krankheiten gegen Morgen eintritt. Bis zum zweiten Abend nach Beginn des Anfalls schwankt die Temperatur zwische n SO** und 40'^, dann erst kommt ein starker Temperaturabfall und damit das Ende des Fieberanfalls. Beim heimischen Fieber geht die Temperatur ebenso hoch wie beim Tropenfieber ; aber der einzelne Anfall ist viel kürzer : hier 4 bis 8 Stunden, dort ungefähr 36 Stunden. Das Tropenfieber hat auch einen echten Tertianatypus; aber wegen der langen Dauer der einzelnen Anfälle läßt es dem Kranken nur eine kurze Ruhepause, es liegen oft nur wenige Stunden zwischen den Anfällen. Ich möchte hier ausdrücklich bemerken, daß ich auch nicht eine einzige Ausnahme von diesem Typus bei den Anfällen der Tropenmalaria gesehen habe — ich nenne allerdings Malaria nur diejenige Krankheit, die durch Malariaparasiten hervorgerufen wird. Die meisten Verwirrungen sind eben dadurch gekommen, daß man in den Tropen alles mögliche Malaria genannt hat, was nicht Malaria ist. So ist mir niemals eine Continua begegnet, welche reine Malaria gewesen wäre; ein remittierendes Fieber könnte man viel- leicht dann als vorhanden ansehen, wenn die einzelnen Anfälle etwas näher aneinanderrücken und es infolgedessen nicht zu einer voll- ständigen Intermission kommt. Ich habe auch keine echte Quotidiana gefunden. Alle unter meinen Kranken befindlichen Fälle von Quotidiana stellten sich immer bei der mikroskopischen Untersuchung als doppelte Tertiana heraus. Entsprechend der Regelmäßigkeit der Anfälle ist es mir dann weiter gelungen» > > Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. 335 auch das Verhalten der Parasiten, d. h. ihren Entwickekingsgangj in ebenso regelmäßige Beziehungen zu den Anfällen zu bringen, wie es den italienischen Forschern in bezug auf die heimische Malaria gelungen war. Wenn man nämlich das Blut untersucht, nach- dem die Temperatur bereits gestiegen ist, dann findet man ganz kleine Ringe, welche etwa ein Sechstel vom Durchmesser eines roten Blutkörperchens breit sind und von einer sehr feinen und gleichmäßig starken Kreislinie gebildet werden; an letzterer befindet sich eine, manchmal auch zwei knopfförmige Verdickungen. Auf der Höhe des Anfalls, und solange die Temperatur hoch bleibt, findet man nur diese kleinen Ringe; erst gegen Ende des Anfalls fangen die Ringe an zu wachsen; sie werden etwas größer, aber der Ring sieht immer noch aus, als wäre er mit der Feder gezeichnet und durch eine scharfe und gleich- mäßig starke Linie gebildet. Erst wenn die Temperatur heruntergegangen und der An- fall vollständig beendet ist, tritt mit einem Male eine reichliche Zahl von großen Ringen auf, die nicht allein durch ihre Größe, sondern auch dadurch ausgezeichnet sind, daß die eine Seite des Ringes sichelartig verdickt ist. Dieses ganz regelmäßige Verhalten der Tropenparasiten ist genau ebenso sicher zu verfolgen, wie wir es von der gewöhnlichen Tertiana kennen. Jedesmal wenn ich die großen Ringe fand, konnte ich sagen, daß der Kranke nicht allein an Malaria litt, d. h. an Tropenmalaria, sondern daß sein Anfall gerade vorüber und der nächste in einigen Stunden zu erwarten war. Fand ich aber die kleinen Ringe, dann konnte ich mich dahin aussprechen, daß der Kranke sich auf der Höhe eines Anfalles von Tropen- malaria befand. Sporulationsformen der tropischen Malariaparasiten habe ich im Fingerblut, welches gewöhnlich untersucht wird, nicht gefunden, aber ich habe sie wiederholt in der Milz gesehen. Sie sind denjenigen der heimischen Tertiana sehr ähnlich, nur mit dem Unter- schied, daß ihre Dimensionen erheblich geringer sind. Damit ist der Entwickelungsgang der Tropenparasiten ebenso vollständig erforscht wie derjenige der gewöhnlichen Tertiana. Das regelmäßige Verhältnis zwischen Entwickelung des Malariaparasiten und Tem- peraturkurve ist außerordentlich wichtig in bezug auf die Behandlung der Tropenmalaria. Wir wissen nämlich, daß das Chinin nur zu ganz bestimmten Zeiten gegeben werden darf, wenn die Malaria mit Sicherheit geheilt werden soll. Erfahrungsgemäß ist das Chinin immer dann zu geben, wenn der Anfall nahe bevorsteht, etwa 4 bis 6 Stunden vorher. Diese Regel ist rein empirisch aufgefunden. Jetzt wissen wir, warum das Chinin in dieser Weise gegeben werden muß; es tötet nämlich nicht die Parasiten, wie man vielfach angenommen hat, sondern es hindert nur ihre Entwickelung; wir müssen des- wegen gerade den Punkt in ihrer Entwickelung zu treffen suchen, welcher der empfind- lichste ist, das ist aber die sogenannte Sporulation. Wenn es uns gelingt, den Parasiten an der Sporulation zu hindern, dann erzeugt er keine neue Brut; seine Lebenszeit ist ebenfalls zu Ende, er stirbt also ab und damit ist der Kranke von seinen Parasiten befreit. Bei der gewöhnlichen Tertiana ist dieser Zeitpunkt sehr leicht zu bestimmen : mit dem Beginn des Anfalls fällt die Sporulation zusannnen und das Chinin muß folglich, um hin- reichend zur Wirkung kommen zu können, einige Stunden vorher gegeben werden. Für die tropische Malaria fehlte es an einem derartigen Anhaltspunkte vollständig. Man wußte nie, wann der Anfall anfing und wann er aufhörte. Da blieb den Ärzten nichts übrig, als das Chinin ganz bhncUings zu geben; das haben sie, wie ich mich in den Tropen überzeugt habe, auch ganz redUch getan (Heiterkeit), natürlich mit einigen rühmlichen Ausnahmen. Der Tropenarzt gibt einem Kranken, der im Verdacht steht, malariakrank 336 Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. ZU sein, sofort Chinin, und zwar, um ganz sicher zu gehen, morgens, mittags, abends gewöhnlich in Dosen von einem Gramm, den nächsten Tag wieder, usf. Diese wilde Chinintherapie, die allerdings entschuldbar ist — man wußte eben nicht, wie man sich verhalten sollte — , wird, wie ich bestimmt hoffe, jetzt aufhören; man weiß jetzt auch bei der Tropenmalaria genau, wo man den Parasiten an seiner empfindlichsten Stelle treffen kann, nämlich immer dann, wenn im Blute die großen Ringe auftreten. Ich habe diesen Grrundsatz regelmäßig befolgt und kann sagen, daß ich auch nicht einen einzigen Mißerfolg zu verzeichnen hatte. Man kann jederzeit mit Hilfe des Mikro- skops sofort auch beim Tropenfieber den Moment, wo das Chinin gegeben werden muß, mit größter Sicherheit und Leichtigkeit bestimmen. Es genügt dann in der Regel eine einzige Dosis von Chinin, um das Tropenfieber genau ebenso sicher zu beseitigen, ich möchte sagen, fast noch sicherer als unsere heimische Tertiana. Ich habe unter meinen Kranken allerdings zwei Todesfälle gehabt; das waren aber solche, die schon sterbend waren, als ich sie zuerst sah; hätte man sie einen Tag früher zur Untersuchung und Behandlung erhalten, dann wären sie nach meiner festen Überzeugung ebenso sicher geheilt wie die anderen. Also wir sehen, daß das Tropenfieber sicher erkannt und leicht geheilt werden kann. Damit ist aber die Aufgabe des Arztes noch nicht erschöpft; das Tropenfieber hat nämlich die unangenehme Eigenschaft, fast regelmäßig zu rezidivieren; es kommen nach 10 — 14 Tagen, oft erst nach drei, vier Wochen und noch später Rezidive vor. In betreff der Rezidive möchte ich hier auf einen Umstand aufmerksam machen, der für die Sanatorienfrage von Bedeutung ist. Es ist ganz gleichgültig, ob jemand, der malariainfiziert ist, in einer Fiebergegend lebt oder in fieberfreiem Gebirge oder auf See, oder auf der Reise nach Europa sich befindet; ehe nicht die Parasiten aus seinem Blute entfernt sind, bekommt er ganz sicher seine Rezidive, und zwar verlaufen die Rezidive ebenso hartnäckig und schwer an fieberfreien Orten wie in Malariagegenden. Ich habe in dieser Beziehung niemals einen Unterschied gefunden und glaube deswegen, daß Sanatorien, welche in fieberfreien Gegenden angelegt sind, in bezug auf Malaria nicht den geringsten Vorteil gewähren. Zur Verhütung der Rezidive bleibt nichts anderes übrig, als auch Chinin zu geben. Hier muß ich nun leider bekennen, daß ich zur Verhütung der Rezidive nicht so sichere Regeln angeben kann wie für die Behandlung der Anfälle. Ich habe zuwenig Beob- achtungsmaterial gehabt, um zu ganz bestimmten Resultaten kommen zu können. Ich kann nur so viel sagen, daß man nicht mit zu kleinen Dosen operieren darf; unter 1 g Chinin sollte man nicht geben. Man darf auch nicht längere Pausen dazwischen machen als etwa 5 Tage. Ich möchte zunächst raten, jeden fünften Tag 1 g zu geben und dies etwa 1 bis 1^^ Monate lang nehmen zu lassen. Wenn man das nicht tut, kann man ziem- lich sicher darauf rechnen, daß Rezidive kommen. Ich habe auch bei dieser Behandlung Rezidive eintreten sehen ; sie verliefen aber verhältnismäßig milde und waren von sehr kurzer Dauer. Wenn in der Chininbehandlung unbeirrt fortgefahren wurde, dann hörten sie endhch auf. Ich glaube also, daß diese Art der Chininanwendung gegen Rezidive die untere Grenze bildet, unter die wir nicht heruntergehen dürfen. Aber auf jeden Fall müßten über diese Frage noch ganz eingehende und umfangreiche Versuche angestellt werden, um zu ganz festen Anhaltspunkten zu kommen. Es ist außerordentlich wichtig, daß wir auch hier mit ebensolcher Sicherheit operieren können wie bei dem Anfalle selbst. Was von der Verhütung der Rezidive gesagt ist, gilt in gleicher Weise auch von der prophylaktischen Anwendung des Chinins. Es muß ja auch im Grunde genommen ganz gleich sein, ob der Mensch von seinem Anfall noch einige Parsaiten übrig behalten hat. oder ob ihm infolge einer frischen Infektion von neuem Parasiten in seinen Körper Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. 337 eingeführt werden; die Verhältnisse sind dieselben, ich würde auch für diesen Zweck, d. h. zur Prophylaxis, es ebenso machen, wie ich zur Verhütung der Rezidive angegeben habe, daß man nämlich jeden fünften Tag 1 g gibt. Bisher habe ich noch nicht einen einzigen Fall gesehen, bei dem unter Anwendung von 1 g Chinin jeden fünften Tag die Malaria zum Ausbruch gekommen wäre. Auch für diesen Fall sind weitere Versuche dringend notwendig. Wenn das Fieber in der Weise, wie ich angegeben habe, vollständig beseitigt ist, tritt eine merkwürdig schnelle Rekonvaleszenz ein. Ich habe mich oft gewundert, wenn man kurz vorher einen Menschen in schwerem Fieber gesehen hat, wie rasch er nach Beseitigung seines Fiebers wieder imstande ist, an seine Geschäfte zu gehen, und wie wenig man ihm von der Krankheit ansieht. Ich habe niemals — immer vorausgesetzt, daß es sich nicht um ganz verschleppte und vernachlässigte Fälle handelte, sondern um solche Fälle, die frühzeitig richtig diagnostiziert waren und behandelt wurden — ge- sehen, daß die berüchtigte Tropenanämie oder Milzschwellung oder Siechtum zurück- geblieben wären. Nach dem, was ich Ihnen über das Tropenfieber mitgeteilt habe, wie leicht es zu diagnostizieren und wie sicher es zu heilen ist, werden Sie es begreiflich finden, daß es für mich persönlich und, ich hoffe, auch bald für andere Ärzte seine Schrecken verloren hat. Ebenso ist es mir auch mit der am meisten gefürchteten Forjn des Tropenfiebers, mit dem Schwarzwasserfieber, gegangen, als ich es einer näheren Untersuchung unterzog. Das Schwarzwasserfieber kommt nicht etwa ausschließlich in den Tropen vor; es findet sich gar nicht so selten in Italien; in Griechenland soll es ziemlich häufig sein, und gerade griechische Ärzte waren es, die zuerst darauf aufmerksam machten, daß bei dem Schwarzwasserfieber denn doch nicht ganz allein die Malaria, sondern höchstwahr- scheinlich zugleich das Chinin eine Rolle mit spielt. Die italienischen Arzte haben dies zum Teil bestätigt, und auch eine Anzahl von Tropenärzten, namentlich unsere deutschen Kolonialärzte, haben sich dieser Auffassung angeschlossen. Allerdings hat man sich nicht von dem Gedanken trennen können, daß die Malaria doch die eigentliche Haupt- rolle dabei spielt, und daß sie unter allen Umständen dabei sein muß. Meine Unter- suchungen haben mich dahin geführt, daß ich sagen muß : das Schwarzwasserfieber hat mit der Malaria direkt gar nichts zu tun; es ist in der Regel eine reine Chininver- giftung. Ich habe eine nicht geringe Anzahl von FäUen selbst gesehen; ich habe niich überall nach der Krankheit erkundigt und habe die Literatur studiert, aber ich muß) sagen, daß mir bis jetzt noch nicht ein einziger Fall vorgekommen ist, von dem man mit Sicherheit behaupten könnte, die Chininvergiftung wäre ausgeschlossen. Manchmal wird zwar vom Kranken geleugnet, daß vorher Chinin genommen ist, aber diese An- gaben sind aus naheliegenden Gründen nicht immer zuverlässig, und ich habe überall da, wo gründUehe Nachforschungen stattfinden konnten, Chininvergiftung nachzuweisen vermocht. In allen diesen typischen Fällen von Schwarzwasserfieber habe icli niemals Malariaparasiten gefunden, während ich doch in keinem Falle von tropischem Fieber die Malariaparasiten vermißt habe. Ich muß deswegen annehmen, daß) die Malariaparasiten zum Zustandekommen des Schwarzwasserfiebers nicht erforderlich sind. Wenn sie sich in Fällen von Schwarzwasserfieber finden, dann handelt es sich um ein zufäUiges Zu- sammentreffen. Ich möchte allerdings nicht so weit gehen, zu sagen : es kann überhaupt kein Schwarz- wasserfieber ohne C!hinin entstehen. Wir wissen ja, daß auch bei uns solche Zustände vorkommen, die man als Hämoglobinurie bezeichnet, und die durch gewisse Pflanzen- gifte, einige chemische Stoffe, selbst durch einfache Erkältung entstehen können. So etwas kann natürhch auch einmal in den Tropen vorkommen; ich meine nur: dieses Koch, Gesammelte Werke. 67 338 Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. typische, bisher immer als Malaria bezeichnete Schwarzwasserfieber ist in der Regel weiter nichts als eine Chinin Vergiftung. Ich muß leider darauf verzichten, Ihnen alle meine Gründe für diese meine Behauptung vorzutragen; sie liegen ganz auf medizini- schem Gebiet und eine Auseinandersetzung darüber würde zu weit führen : aber Sie können sich darauf verlassen, daß meine Gründe vollständig beweiskräftig sind. Ich bin der Überzeugung, daß, wenn sich diese Auffassung erst weiter Bahn gebrochen hat, und wenn die Tropenärzte etwas vorsichtiger mit dem Chinin umgehen werden, vielleicht auch andere Mittel in geeigneten Fällen anwenden, wie Arsen oder Methylen- blau, daß das Schwarzwas?erfieber ganz aus der Reihe der eigentlichen Tropenkrank- heiten ausscheiden wird. Wenn es mir nun auch gelungen ist, den Nachweis zu führen, daß die Tropenmalaria bei richtiger Diagnose und Behandlung eigentlich nicht schlimmer ist als unsere heimische Malaria, so muß ich doch gestehen, daß mir dies noch nicht recht genügt. Ich bin Hygie- niker, und erster Grundsatz der Hygiene ist, daß es besser sei, Krankheiten zu ver- hüten, als Krankheiten zu heilen, und diesen Grundsatz möchte ich auch auf die Malaria angewendet wissen. Wir dürfen nicht eher ruhen, als bis es gelungen ist, die Malaria verhüten zu können, oder wenigstens bis man sich zu dem Geständnis gezwungen sieht: daß es mit unsern heutigen Mitteln nicht möglich ist, weiter zu kommen. Um nun aber in dieser Beziehung vorwärts zu kommen, müssen wir vor allen Dingen die Kenntnis von der Entstehung und Übertragung der Krankheit haben, wir müssen wissen, wie die Parasiten in den Menschen hineinkommen, damit wir eventuell den Weg, den sie zu machen haben, irgendwo abschneiden können, und wir müssen über die Ver- breitung der Malaria ganz genau orientiert sein, um, wenn wir sonst nichts Besseres finden, ihr wenigstens aus dem Wege gehen zu können. Was zunächst die Übertragung der Krankheit anbetrifft, so gibt es dafür nur zwei W^ege: Wasser und Luft. Die direkte Übertragung ist auch möghch, wie zuerst von Gerhard nachgewiesen wurde, durch Injektion von Blut eines malariakranken Men- schen. Aber in der Natur kommt diese Art der Übertragung nicht vor. Wäre die Über- tragung von einem Kranken zum andern möglich, dann müßte die Malaria ansteckend sein ; dann dürfte man nicht einen Malariakranken zwischen andere Kranke legen, ohne fürchten zu müssen, daß sie angesteckt werden. Eine solche Ansteckung ist aber noch nie vorgekommen. Die Übertragung kann also nur auf einem gewissen Umwege vor sich gehen, und da bleiben nur Wasser und Luft als Träger des Infektionsstoffes übrig. Gegen die Übertragung durch das Wasser spricht sehr viel. Man hat alles mög- hche aufgeboten, um überzeugende Beweise für diese Annahme zu liefern; es ist aber bis jetzt nicht gelungen. Alle Beobachtungen, welche man bisher dafür angeführt hat, halten einer scharfen Kritik gegenüber nicht stand. Die italienischen Forscher haben diese Frage direkt zu lösen gesucht, indem sie Wasser in Malariagegenden schöpfen und dann trinken ließen; diejenigen, welche solches Wasser tranken, haben keine Malaria bekommen. Damit ist also der. direkte Beweis geliefert, daß das Wasser der Vermittler nicht sein kann. Auch mir sind bei meinen Malariauntersuchungen niemals Tatsachen begegnet, welche zugunsten dieser Theorie sprechen. Es bleibt also nichts übrig als die Luft. Nun ist es aber nicht möghch, daß so zarte und hinfälhge Wesen wie die Malariaparasiten, welche dem parasitischen Leben im Blute so innig angepaßt sind, in die Luft übergehen und in derselben in ausgetrocknetem Zustande, d. h. in Staubform, von einem Kranken auf einen andern gesunden Menschen übergehen sollten. Ganz abgesehen davon, daß die Art und Weise, wie der Parasit aus dem Blute der Kranken in die Luft gelangt, ganz unerklärt bleibt. Wir müssen also nach einer anderen Erklärung suchen, welche ermöglicht, daß das Blut in unverändertem Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. 339 Zustande und ohne daß die Parasiten dem ihnen so gefährhchen Eintrocknen ausgesetzt werden, aus dem menschlichen Körper in die Luft gelangen und von da aus wieder ins Blut überzugehen vermögen. Da gibt es nur eins, was diesen Bedingungen entspricht, das sind die blutsaugenden Insekten, die Moskitos. Für diese Annahme, die sogenannte Moskitotheorie, spricht sehr viel; man kann eine Menge von Tatsachen anführen, die dafür sprechen. Ich will Sie nicht mit allen behelligen und möchte nur auf folgendes hinweisen. Die Malaria infiziert fast nur während der Nachtzeit; das ist aber gerade die Zeit, wo die Moskitos fliegen; der Moskito ist ein ganz ausgesprochen nächtliches Insekt. In manchen Gegenden beschränkt sich die Malaria- zeit auf bestimmte Monate im Jahr; es sind dies immer diejenigen Monate, in denen die Moskitos auftreten. Wo die Moskitos fehlen, habe ich noch niemals Malaria gesehen, wofür ich Ihnen später einige Beispiele anführen werde. Was aber dieser Theorie am meisten zur Stütze gedient hat, das ist die Tatsache, daß wir in der letzten Zeit verschiedene Krankheiten kennen gelernt haben, welche durch Blutparasiten bedingt sind, und bei denen die Übertragung ganz unzweifelhaft durch solche blutsaugende Insekten statt- findet. Ich erinnere Sie an die Tsetsekrankheit, welche ich auch in Ostafrika als eine vielfach vorkommende Rinderkrankheit nachgewiesen habe. Dieselbe wird bedingt durch einen Blutparasiten, welcher nicht in den roten Blutkörperchen seinen Sitz hat, sondern im Blutwasser lebt und durch die Tsetsefliege übertragen wird. Die Krankheit tritt nur da auf, wo die Tsetsefliege vorkommt. Es gibt ferner einen anderen Blutpara- siten, die Filaria sanguinis, welche erwiesenermaßen durch die Moskitos übertragen wird. Am meisten haben aber für die Moskitotheorie die Entdeckvxngen, welche in bezug auf das Texasfieber gemacht sind, Propaganda gemacht. In diesem Falle haben wir den absolut sicheren Beweis, daß der Blutparasit durch ein blutsaugendes Insekt übertragen wird. Infolge dieser sich immer mehr häufenden Tatsachen, welche alle zugunsten der Moskitotheorie sprechen, haben sich denn auch in neuerer Zeit alle Malariaforscher, welche auf diesem Gebiet eine Bedeutung beanspruchen können, mehr und mehr dazu gedrängt gefühlt, sich dieser Theorie anzuschließen. Natürlich ist und bleibt es vor- läufig nur eine Theorie, die aber so viel Wahrscheinlichkeit für sich hat, daß es doch dringend notwendig ist, diese Frage experimentell in irgendeiner Weise zum Austrag zu bringen. Ich halte also eine experimentelle Prüfung der Moskitotheorie für außerordent- lich wichtig, weil wir damit eine ganz bestimmte Richtschnur für unser Handeln erhalten. Für den Fall, daß eine solche Untersuchung unternommen werden sollte, möchte ich doch noch darauf hinweisen, daß es nicht richtig ist, die Übertragung der Malaria sich so vorzustellen, daß der Moskito zunächst einen kranken Menschen sticht, dann zu einem gesunden fliegt und ihm die Parasiten mit seinem Saugrüssel einimpft. Wenn das wäre, dann müßte die Malaria direkt ansteckend sein, was nicht der Fall ist. Der Vorgang muß also ein anderer sein. Es kann auch nicht so vor sich gehen, wie englische Forscher annehmen, daß nämlich der Moskito das Blut aufsaugt, später ins Wasser gerät und die Parasiten ins Wasser gelangen läßt. In diesem Falle würde das Wasser zum Träger der Infektion gemacht werden, was aus den früher angegebenen Gründen nicht angängig ist. Es bleibt nur übrig, uns ähnhche V erhältnisse zu konstruieren, wie wir sie vom Texasfieber kennen gelernt haben. Danach wdirde der Moskito die Para- siten aufnehmen, er überträgt sie dann weiter auf seine Eier und die jungen Larven, und erst die nächste Generation würde wieder imstande sein, mit Malariaparasiten zu infizieren. Es scheint mir auch nicht außerhalb des Bereiches der Möglichkeit zu liegen, daß die Parasiten sich durch mehrere Generationen in den Moskitos halten. Wenn nun ein Mensch mit Malaria infiziert ist — beispielsweise durch einen Moskito — . so bekommt er nicht etwa sofort die Malaria. Das ist ein Irrtum, mit dem ich vielfach 67* 340 Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. ZU kämpfen gehabt habe. Man hört sehr oft die Behauptung, daß die Krankheit sofort nach irgendeiner angebhchen Gelegenheitsursache zum Ausbruch gekommen sei, z. B. nach einer Durchnässung oder nach einer Jagd in einer Sumpfgegend. Ein so schneller Ausbruch der Krankheit ist unmöglich. Es können bei der Infektion immer nur einzelne Parasiten übertragen werden, und diese vermehren sich nicht wie etwa die Bak- terien in wenigen Stunden auf das Doppelte, sondern die Parasiten gebrauchen 2 mal 24 Stunden, bevor die erste Teilung eintritt: dann können sie sich allerdings auf ungefähr das 20 fache vermehren. Aber es müssen dann wiederum 2 mal 24 Stunden vergehen bis zur nächsten Teilung, usw. So schnell wächst also die Zahl der Parasiten nicht an, daß sie schon nach wenigen Tagen imstande wären, einen schweren Fieberanfall aus- zulösen. Beobachtungen an Schiffen, welche nur ganz vorübergehend mit einem Malaria- lande in Berührung gekommen waren, und auf welchen infolgedessen später Malaria- krankheiten auftraten, haben gezeigt, daß ein längerer Zeitraum zwischen Infektion und Ausbruch der Malaria verstreicht. Es, ist dies das sogenannte Inkubationsstadium. Es beträgt bei der Malaria ungefähr 10 bis 14 Tage, und wir sehen daraus, daß sich 5 bis 7 Generationen entwickelt haben müssen, bis die eigentliche Krankheit zum Ausbruche kommen kann. Diese Inkubationsfrist und die Möglichkeit der Rezidive müssen wir unter allen Umständen berücksichtigen, wenn wir über die Verbreitung der Malaria zuverlässige Auskunft erhalten wollen. Denn wenn jemand an einem Orte an Malaria erkrankt oder stirbt, dann bedeutet dies noch nicht, daß dieser Ort verseucht ist. Der Ort kann im Gegenteil ganz gesund sein; und es ist möglich, daß der Betreffende sich seine Malaria an einem ganz anderen Orte, der bis dahin für einen gesunden gegolten hat, geholt hat. Wenn z. B. jemand von der Küste nach dem Usambaragebirge geht und an der Küste sich infiziert hat, dann bekommt er nicht schon an der Küste seine Malaria, sondern erst nach der Ankunft im Gebirge. In solchem Falle würde man natürlich einen groben Fehler machen, wenn man diesen Fall von Malaria dem Gebirge zur Last legen wollte. Wenn man Inkubation und Rezidive in Betracht zieht, dann ergibt sich in bezug auf die Verbreitung der Malaria in Ostafrika etwa folgendes. Sie herrscht an der ganzen Küste; und zwar habe ich nicht gefunden, daß ein Küstenort wesentlich besser wäre als die anderen. Es scheint so, als ob die Flußmündungen — ich denke dabei an das Rufijidelta, das ich besucht habe — besonders gefährlich sind. Ferner zieht sich die Malaria an den Flußläufen hin; überall wo Sümpfe auftreten, ist sie zu Hause, vor allen Dingen aber — und darauf möchte ich besonders aufmerksam machen — findet sie sich am Fuß der Gebirge. Es ist das eine Erscheinung, die auch in Indien beobachtet ist. wo sich beispielsweise am Fuße des Himalajagebirges ein Streifen Landes hinzieht, in welchem sich die aus dem Gebirge herabkommenden Flüsse netzartig auflösen und sumpfige Niederungen bilden. Dieser Landstrich, das sogenannte Terai, gehört zu den allerge- fährlichsten Fiebergegenden, welche wir kennen. Ähnliche Zustände haben wir am Fuß der ostafrikanischen Gebirge; wenigstens glaube ich das vom Usambaragebirge be- haupten zu können. Ich vermute, daß auch der Kilimandscharo in gleicher Weise an seinem Fuße von einem Malariastrich umgeben ist. Die Malaria fehlt in Ostafrika auf einigen kleinen Inseln, so auf dem an der Süd- spitze von Mafia gelegenen Chole, welches ich besucht habe. Es war wohl gewiß kein Zufall, daß dies der einzige Ort an der Küste war, wo ich keine Moskitos antraf und auch kein Moskitonetz brauchte. Die Malaria fehlt ferner im Gebirge, und zwar von einer bestimmten Höhe an. nämhch von 1200 m ab; es ist dies zieniHch genau die Grenze für das Vorkommen des Moskitos. In dieser Höhe herrscht schon ein ganz anderes Klima Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. 341 als in der Steppe und an der Küste; die Nächte werden sclion recht kühl, da die Tem- peratur bis auf 15" und tiefer heruntergeht. Ein solches Gebirge ist das Westusambaragebirge. Soweit Malaria in Frage kommt, möchte ich daher behaupten, daß es für Europäer besiedelungsfähig ist. Ich habe mich im Usambaragebirge mehrere Monate aufgehalten, und ich kann nur sagen, daß dasselbe auch im übrigen, soweit hygienische Verhältnisse in Betracht kommen, wie Klima, Wasser usw., für Besiedelungszwecke außerordentlich günstig ist. Ich kann hier auf die Be- siedelungsfrage leider nicht weiter eingehen; es würde das zu weit führen. Aber ich möchte doch auf jeden Fall noch, um allen Mißverständnissen vorzubeugen, darauf hinweisen, daß, wenn etwa an eine solche Besiedelung gedacht wird, sie nur unter gewissen Vorsichtsmaßregeln vor sich gehen kann. Das Gebirge ist ja frei von Malaria; aber der Weg dahin geht durch Malariagegenden. Würde man ohne Vorsichtsmaßregeln diesen Weg machen, dann könnte es einem so ergehen wie den sieben Trappisten, von denen ich früher berichtet habe, die sämtlich an schwerem Malariafieber erkrankt sind. Aber wenn man mit Moskitonetzen versehen ist und die Chininprophylaxis anwendet, dann kann man fieberfrei hinaufkommen, wie ich es an meiner eigenen Expedition gezeigt habe. Um über diese wichtige Frage aber noch weitere Erfahrungen zu gewinnen, sind auf meine Veranlassung vor kurzem fünf Trappisten unter ärztlicher Führung hinauf ge- schickt; man hat ihnen Moskitonetze gegeben, und sie haben regelmäßig Chinin ge- nommen. Sie sind vollkommen gesund im Gebirge angekommen, und soweit meine Be- richte reichen, sind sie auch bisher gesund geblieben. Es würde dies gewissermaßen ein Gegenexperiment sein zur Expedition der sieben ersten Trappisten, welches für den Nutzen des Moskitonetzes und der Chininprophylaxis spricht. Ich komme nun zu einer wichtigen und ganz neuen Frage, nämlich, ob es eine Immunität gegen die Tropenmalaria gibt, in ähnlicher Weise, wie wir dies vom Texas- fieber kennen gelernt haben. Bisher ist diese Frage von allen Forschern und von der Wissenschaft vollständig verneint. Ich muß aber nach dem, was ich beobachtet habe, diese Frage bejahen, und zwar aus folgenden Gründen. Erfahrene Tropenärzte haben bereits darauf hingewiesen, daß das Tropenfieber, wenn man es gar nicht mit Chinin behandelt, schon an und für sich die Tendenz hat, all- mählich schwächer zu werden und aufzuhören. Ich kann das aus meinen Beobachtungen bestätigen und verweise auf die aufgezeichnete Kurve des Tropenfiebers, welche das all- mähliche Nachlassen und schließliche Aufhören des Fiebers bei einem Kranken zeigt, welcher nicht mit Chinin behandelt war. Mit einer solchen Gruppe von Anfällen ist es allerdings in der Regel nicht abgetan. Gewöhnlich kommen Rezidive, und nach 10 bis 20 Tagen stellen sich wieder neue Gruppen von Anfällen ein, die dann aber schon schwächer sind. Es folgen mehrere solcher Gruppen, bis schließlich auch diese aufhören und nur noch einzelne ganz geringe Anfälle auftreten, bei welchen die Temperatur kaum bis zu 38" geht. Ich habe selbst etwas Derartiges bei Europäern gesehen, die schwere und langdauernde Malariaerkrankungen durchgemacht hatten, weil sie aus irgendwelchen Gründen kein Chinin genommen hatten oder unzweckmäßig behandelt waren. Sie hatten nur noch diese ganz verkümmerten Anfälle, bei denen man mit vieler Mühe nur ganz vereinzelte Parasiten fand, also ein Beweis, daß es sich wirklich um Malariafieber handelte. Ein anderer Grund ist folgender. Es gibt keine Menschenrasse, die von Haus aus immun ist. Ich habe Malaria gesehen bei Negern und Europäern, bei Indern und Chi- nesen, und doch treffen wir ganze Bevölkerungsgruppen, die unter dem Tropenfieber in den Tropen nicht merklich zu leiden haben. Diese müssen also — man kann sich das nicht anders erklären — eine Art von Immunität, aber auf natürhchem Wege, erworben haben. 342 Ärztliche Beobachtungen in den Tropen. Ich kann Ihnen diese Verhältnisse an dem Beispiel der Neger auseinandersetzen. Die Neger im Usambaragebirge sind nicht immun, obwohl sie demselben Stamme ange- hören, wie die an der Küste lebenden. Die Neger an der Küste dagegen sind immun. Der Mschamba — das ist der Neger des Usambaragebirges — kennt seine Empfäng- lichkeit für Malaria recht wohl, er weiß, daß, sobald er sein Gebirge verläßt und in die Ebene hinuntergeht, in die Steppe oder gar an die Küste, er das Fieber bekommt. Er nennt die Krankheit Mbu, und wenn man ihn fragt, woher er dieselbe bekommen hat, dann sagt er, daß es da imten Insekten gäbe, welche ebenso wie die Krankheit Mbu ge- nannt werden; diese hätten ihn gestochen, und davon habe er die Krankheit bekommen. Die infizierten Gebirgsneger leiden oft monatelang an dem Fieber, das nicht selten tödlich wird. Wenn einer von ihnen durchgekommen ist, dann kann er zum zweiten Male ruhig zur Küste gehen; er bekommt die Malaria nicht wieder oder höchstens nur noch einmal, und dann schwach. Er ist somit durch das Überstehen der Krankheit immun gegen dieselbe geworden. Der Küstenneger dagegen ist schon von Haus aus immun. Ich denke mir das Zu- standekommen dieser Immunität ebenso wie beim Texasfieber. Es waren schon seine Voreltern immun, und er hat bei seiner Geburt einen gewissen Grad von Immunität mitbekommen, er hat dann in der Jugend vermutlich die Krankheit leicht durchgemacht, und ist so immun geworden. Ganz ähnliche Verhältnisse habe ich auch bei den Indern gesehen. Die Inder, die frisch an die ostafrikanische Küste gekommen, sind außerordentlich empfänglich für Tropenmalaria; einige der schwersten Fälle, die ich gesehen habe, habe ich gerade bei Indern beobachtet. Dennoch findet man Tausende von Indern an der afrikanischen Küste, die anscheinend von der Malaria gar nicht mshr betroffen werden. Ebenso scheint es mit den Arabern zu sein. Auch von den Chinesen auf Sumatra wird etwas Derartiges berichtet. Die chinesischen Kulis, die frisch eingeführt werden, sind sehr empfänglich für die Malaria, und viele sterben daran; erst wenn sie längere Zeit in Sumatra gelebt haben, verlieren sie die Empfänglichkeit für das Fieber und werden dann besonders ge- schätzt, auch besser bezahlt als die frisch Importierten. Für mich bestehen unter Berücksichtigung dieser Tatsachen keine Zweifel mehr, daß eine Malariaimmunität vorhanden ist. Ich möchte allerdings niemandem raten, sich etwa diese Beobachtungen in der Weise zu Nutzen machen zu wollen, daß er sich in ähn- licher Weise immunisiert. Es würde das doch etwas zu gefährlich sein. Aber wenn wir nur wissen, daß es eine natürliche Immunität gibt, dann ist auch begründete Aussicht vorhanden, daß wir eine künstliche Immunität erreichen können. Sie werden mir allerdings entgegenhalten, daß man, um künstliche Immunität erzielen zu können, vor allen Dingen die Parasiten zu züchten verstehen muß. Dieser Einwand ist aber doch nicht stichhaltig. Wir kennen verschiedene Krankheiten, von denen wir noch nicht einmal die Parasiten kennen, und bei denen es dennoch gelungen ist, eine künsthche Immunität zu erreichen. Sie kennen ja alle das naheliegende Beispiel, die Pocken. Wir wissen noch nicht, wie der Pocksnparasit aussieht, und können trotzdem dagegen immunisieren. Bei der Himdswut liegt es ebenso. Mir ist es ferner gelungen, bei der Rinderpest, bei der wir den Parasiten auch noch nicht kennen, zwei verschiedene Immunisierungs verfahren aufzufinden, die sich vollkommen bewährt haben. Wenn wir also erst einmal wissen, daß bei einer Krankheit überhaupt eine Immunität möglich ist, dann können wir auch die Hoffnung hegen, daß für diese Krankheit, z. B. die Malaria, ein künstliches Immunisierungsverfahren zu finden sein wird. Vorläufig sind wir allerdings von der künstlichen Immunisierung noch ziemlich weit entfernt, und Sie werden deswegen die berechtigte Frage an mich richten, was wir Ärztliche Beobachtimgeu in den Tropen. 343 denn augenblicklich schon in den Kolonien gegen die JMalaria tun können. Darauf habe ich Ihnen zu antworten, dalJ ich zu den gewöhnlich angepriesenen Maßregeln, Trocken- legung von Sümpfen, Anpflanzung von Eukalyptus und anderen Gewächsen nicht raten kann. Das Trockenlegen von Sümpfen würde doch zu kostspielig sein, und Anpflanzun- gen von Eukalyptus und dergleichen sind eine Spielerei. Dagegen halte ich für eine sehr wirksame und augenblicklich für die wichtigste Maßregel, daß die Kolonien mit tüchtigen, in bezug auf die Malaria gründlich vorge- bildeten Ärzten in genügender Zahl versehen werden, damit jeder, der trotz aller Vor- sicht die ^Malaria bekommt, Gelegenheit findet, in kürzester Frist wieder davon befreit zu werden. Von einer Instruktion für Nichtärzte zur Erkennung und Behandking der Malaria nuiß ich abraten, da ohne Kenntnis der Mikroskopie und der Anwendungsweise des Chinins, welche keineswegs so einfach ist. wie man sich das vielfach vorstellt, bedenk- liche Fehler gemacht werden können. Mehr verspreche ich mir dagegen von einer Be- lehrung der Nichtärzte über die Gefahren des ('hininmißbrauchs, über die Vorteile einer frühzeitigen ärztlichen Behandlung, über den Nutzen gut eingerichteter Moskitonetze, vielleicht auch über die prophylaktische Anwendung des Chinins. Aber noch in einer anderen Beziehung läßt sich jetzt schon etwas tun; das ist die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Malaria in solchen Wohn- und Schlafräumen, die der Luft freien Durchzug gestatten, viel weniger zu befürchten ist als in solchen, in denen die Luft stagniert. Nach meiner Uberzeugung deswegen, weil die letzteren von den Moskitos bevorzugt werden. In Deutsch-Ostafrika entsprechen aber die Wohnungen dieser Forderung nicht genügend; sie sind nach arabi- schem Muster gebaut und nicht luftig genug. Das englisch -indische Haus, das sogenannte bungalow, dessen Vorzüge ich vielfacli kennen gelernt habe, Avürde ein erhel>lich zweck- mäßigeres Vorbild für die Wohnhäuser in unseren Kolonien abgeben. Meine Herren, meine bisherigen Malariastudien weisen, Avie ich selbst bereits an verschiedenen Stellen meines Vortrags hervorgehoben habe, noch manche Lücken auf; einiges trägt einen provisorischen Charakter und bedarf der weiteren Ausarbeitung. Aber dessen bin ich gewiß, daß ich der Malariaforschung neue Wege gebahnt und neue Ziele gesteckt habe. Lassen Sie mich mit dem \^'unsch schließen, daß die von mir gefundenen Tat- sachen praktische Anwendung finden mögen, und daß die von mir gegebenen Anregungen weiter verfolgt werden! Bedenken Sie stets, daß. wenn unsere Hoffnungen in betreff der Aveiteren Erforschung der Malaria sich erfüllen und wir schließlich, wie ich nicht bezAveifle, vollständig Herren dieser Krankheit werden, dies gleichbedeutend sein mirde mit der friedlichen Eroberung der schönsten und fruchtbarsteii Länder der Erde ! Welche gewaltigen Anstrengungen werden heutzutage gemacht. \un den Nordpol zu erforschen oder den Südpol, um die. physikalischen N'erhältnisse und das Tierleben in den Tiefen des Meeres zu ergründen! l^nendlich viel wichtiger, meine Herren, ist für die Menscli- heit die weitere Erforschung der Malaria. Ergebnisse der wissenschaftlichen Expedition des Geheimen Medizinalrats Professor Dr. Koch nach Italien zur Erforschung der Malaria.') Einem vom Geheimen Medizinalrat Professor Dr. Koch imter dem 17. November vorigen Jahres erstatteten Berichte über die Expedition, welche derselbe zur Erforschung der Malaria in Begleitung der Herren Professor Pfeiffer und Professor K o s s e 1 in der Zeit vom 11. August bis 2. Oktober vorigen .Jahres ausgeführt hat, ist das Folgende zu entnehmen: Die Aufgaben, welche der Expedition gestellt waren, bestanden darin : erstens über die angeblich verschiedenen Arten der in Italien vorkommenden und unter dem Namen der Febbri malarische estivoautunnali zusammengefaßten Malariaformen Aus- kunft zu erlangen ; zweitens die Beziehungen der italienischen zur Tropenmalaria festzustellen ; drittens möglichst viel Material zur Ätiologie der Malaria zu sammeln, namentlich in bezug auf ihre Übertragung durch blutsaugende Insekten. Im letzten Frühjahre wurde mir bei meiner Rückkehr von Afrika von den italieni- schen Forschern mitgeteilt, daß die unregelmäßigen Formen der italienischen Malaria vorzugsweise in der lombardischen Ebene, und zwar in den Gegenden, wo Reisbau be- trieben wird, anzutreffen seien, daß dagegen die quotidiane Malaria und die mahgne Tertiana besonders in der Campagna, den pontinischen Sümpfen und in den Maremmen vorkommen und daher am besten in den Hospitälern Roms beobachtet werden können. Aus diesem Grunde gingen wir zuerst nach Mailand, machten von da aus einen Abstecher nach Pavia und begaben uns dann nach Rom. Unsere Erwartungen in bezug auf das vorzufindende Material wurden nicht ge- täuscht. Schon in Mailand trafen wir im Ospedale maggiore und im Hospital der Uni- versität zu Pavia mehrere recht charakteristische und lehrreiche Fälle der italienischen Malaria. Ungemein zahlreiche und den Zwecken der Forschung entsprechende Fälle aber boten sich in Rom, wo wir vom 20. August, dem Tage unserer Ankunft, bis Ende September angestrengt zu arbeiten hatten, um das überreiche Material nur einigermaßen bewältigen zu können. Es wurden an Malariakranken untersucht: in Mailand sechs, Pavia vier, Rom 103, Maccarese (römische Maremmen) drei. Terracina drei, Neapel ein, im ganzen 120 Fälle. Davon kamen auf gewöhnliche Tertiana 32 Fälle Quartana 5 ,, Febbri estivoautiinnali 78 Kombinationen 5 ,, in Summa: 120 Fälle Außerdem drei Obduktionen. ^) Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1899, Nr, 5. Ergebnisse der wissenschaftlichen Expedition usw. zur Erforscliung der Malaria. 345 Die verhältnismäßig große Zahl von 78 E.stivoautumnalfiebern ermöglichte es. über das eigentliche Wesen dieser Art der Malaria Aufklärung zu gewinnen. Es stellte sich nämlich heraus, daß dieselbe wohl vom klinischen Standpunkte in weitere Unter- arten zerlegt werden kann, daß sie aber ätiologisch ein Ganzes bildet, und daß sie nur von einer einzigen wohl charakterisierten Parasitenart bedingt ist. Frische Fälle zeigen immer im Beginn denselben tertianen Typus mit lang hingezogenen Fieberanfällen, wie ich ihn bei dem Tropenfieber nachgewiesen habe. Erst im weiteren Verlaufe der Krankheit, wenn der regelmäßige Gang derselben durch Chinin und durch die beginnende natürliche Immunisierung störend beeinflußt wird, kann der Typus zeitweilig ein quoti dianer oder schließlich ein unregelmäßiger und durch lange Intervalle (febbri a lunghi intervalli) unterbrochen werden. Von Haus aus aber sind alle zur Gruppe der sogenannten Estivoautunnialfieber gehörigen Fälle echte Tertianen und sind in nichts vom Tropen- fieber unterschieden. Wenn ich in Ostafrika diesen tertianen Typus fast durchweg an- getroffen habe, dagegen fast gar keine quotidianen und imregehnäßigen Fälle, so liegt dies offenbar daran, daß die in Gstafrika an Fieber Erkrankten sofort ins Hospital ge- langen und somit fast nur frische Fälle in meine Beobachtung kamen, während wir in Rom bei der schon ziemlich weit vorgerückten Fiebersaison nur verhältnismäßig wenige frische, dagegen viele schon durch Chinin und beginnende Innnunität beeinflußte Fälle zu sehen bekamen. Auch in bezug auf den die Krankheit bedingenden Parasiten bestehen, wie ich mich überzeugen konnte, zwischen Estivoautumnalfieber und Tropenmalaria keine aus- reichenden Unterschiede, um eine Trennung zwischen denselben zu rechtfertigen. Die einzigen Unterschiede, welche ich bemerken konnte, bestanden darin, daß die italieni- schen Parasiten zuweilen etwas größer und deutlicher pigmentiert erscheinen als die afrilvanischen, was auch darin begründet sein könnte, daß sie einem späteren Stadium der Krankheit angehörten. Nach der Schilderung, welche die itaüenischen Forscher von dem Verhalten der Parasiten entworfen haben, hatte ich viel weiter gehende Unter- schiede zu finden erwartet. Aber ich erkannte sehr bald, daß diese Unterschiede nur scheinbare und durcli die Verschiedenheit der von uns befolgten Untersuchungsmethoden veranlaßt waren. Die Italiener untersuchen nämlich das Blut im flüssigen Zustande und ohne weitere Hilfsmittel, während ich das Blut im Deckglase antrocknen lasse und, nachdem es fixiert ist, mit Farbstoffen behandle, wodurch der Befund sehr an Zuver- lässigkeit gewinnt und feinere Details zum Vorschein kommen, welche ohne diese Hilfs- mittel nicht zu sehen sind. Damit, daß die Identität der angeblich verschiedenen Formen der italienischen Malaria untereinander und dieser mit der Tropenmalaria nachgewiesen ist, ist für die weitere Malariaforschung viel gewonnen. Ohne diese Kenntnis würde die Untersuchinig nüt dem Vorhandensein mehrerer Varietäten der Malaria in heilten Ländern zu rechnen haben und würde sich infolgedessen zersplittern, während sie jetzt zunächst diese eine bestimmte Art von Malaria ins Auge fassen kann. Noch in einer anderen Richtung ist es uns gelungen, gegenüber den bisherigen Kenntnissen einen Schritt weiter zu kommen. Man nahm bisher allgemein an, daß die sogenannten Halbmondformen und die aus diesen hervorgehenden Geiselkörper degene- rierte und dem Untergange geweihte Zustände der Malariaparasiten darstellen, haupt- sächlich aus dem Grunde, weil sie keine Chromatinfärbung annehmen, ein an und für sich sicheres Zeichen dafür, daß die Fortpflanzungsfähigkeit solcher Organismen er- loschen ist. Durch Verbesserung des hier in Betracht kommenden R o m a n o w s k y- schen Färbungsverfahrens koimten wir nun aber Chromatinkörper in den halbmond- förmigen Malariaparasiten nachweisen, und namentlich auch zeigen, daß die sogenannten 346 Ergebnisse der wissenschaftlichen Expedition usw. zur Erforschung der Malaria. Geiseln direkt aus dem Chromatinkörper hervorgehen, selbst aus Chromatin bestehen und in Wirklichkeit nicht Geiseln, sondern nach Analogie verwandter Parasiten Spermato- zoen sind. In der Verfolgung der Entwickelungsgeschichte des Malariaparasiten weiter vorzudringen, ist leider nicht gelungen, aber wir hatten das Glück, einen dem mensch- hchen Malariaparasiten sehr ähnlichen Parasiten bei Vögeln aufzufinden, welcher zur experimentellen Untersuchung sehr geeignet ist. Es ist dies das Proteosoma, derselbe Parasit, für welchen der englisch-indische Militärarzt R o ß in neuerer Zeit den Ent- wickelungsgang vollständig nachgewiesen haben will. Aus dem proteosomahaltigen Blute, welches Stechmücken gesogen haben, sollen im Magen derselben sich kokkidienartige Gebilde entwickeln. Diese lassen in ihrem Innern eine große Anzahl von sekundären Keimen entstehen, welche zum Teil in die Speicheldrüsen der Mücken gelangen, von hier aus beim Stechen in die Haut ein- geimpft werden und so die Infektion vermitteln. Bei der Nachprüfung der Roßschen Angaben wurden wir nicht allein durch das Auffinden des Proteosoma bei Vögeln, welche in der Umgebung von Rom gefangen waren, sondern auch weiter insofern vom Glück begünstigt, als wir sehr bald die richtige Mückenart antrafen, welche das Blut von Vögeln saugt und in deren Magen die weitere Entwickelung des Proteosoma vor sich geht. Wir konnten bereits in Rom die Roßschen Angaben, wenigstens bis zu einem gewissen Punkte, nämlich bis zur Bildung der kokkidienartigen Kugeln, bestätigen; außerdem konnten wir auch eine von Roß gelassene Lücke ergänzen, indem nachgewiesen wurde, daß die Proteosomen im Magen der Mücke nach geschehener Befruchtung sich zunächst in WTirmchenähnliche Gebilde verwandeln, ein Vorgang, den wir früher schon an einem ebenfalls zu dieser Gruppe gehörigen Parasiten, dem Halteridium gefunden hatten. Mit Proteosoma infizierte Vögel und die zugehörigen Mücken wurden von Rom nach Berlin gebracht und damit hier weiter experimentiert, und zwar mit dem Resultat, daß es gelang, die Parasiten bis zur Entwickelung der sekundären Keime — es sind den Sichelkeimen derKokkidien analoge Gebilde — zu verfolgen. In den letzten Tagen ist es sogar gelungen, die Sichelkeime in den Gift- resp. Speicheldrüsen der Mücke aufzufinden und damit den vollständigen Entwickelungsgang des Proteosoma in Übereinstimmung mit Roß nachzuweisen. . Es ist dies insofern von größter Wichtigkeit, als wegen der Ähnlichkeit des Proteosoma mit dem Malariaparasiten und wegen der Übereinstimmung in den An- fangsstadien des Entwickelungsprozesses dieser beiden Parasiten mit Sicherheit anzu- nehmen ist, daß der Malariaparasit einen ganz analogen Entwickelungsgang haben muß wie das Proteosoma. Damit ist aber auch in dieser Beziehung der weiteren Forschung eine ganz bestimmte Richtung vorgezeichnet und jedes unsichere und zeitraubende Um- hertasten erspart. Die der Expedition gestellten Aufgaben hatten sich somit in einer über Erwarten erfolgreichen Weise erledigen lassen, und es ist damit der weiterhin in Aussicht genomme- nen Hauptexpedition sehr wirksam vorgearbeitet. Außerdem bot aber noch der Aufenthalt in Rom vielfache Gelegenheit zu lehr- reichen Beobachtungen über das örtliche und zeitliche Verhalten der Malaria. Die Stadt Rom liegt mitten in einem ausgedehnten Malariagebiet, ist aber selbst frei von Malaria, wenigstens ür den inneren Stadtteilen. Sie erscheint wie eine kleine felsenfeste Insel in einem weiten Meere. Es wird sich wohl kaum irgendwo anders ein so unmittelbarer Gegensatz zwischen malariaverseuchten und malariafreien Orten auffinden lassen. Der Grund für das Fehlen der Malaria in Rom kann nicht in der Luft liegen, die jederzeit von allen Seiten her aus der Campagna über Rom hin wegstreicht; nicht im Wasser, welches aus den Malariagegenden zum Teil in offener Leitung nach Rom geführt wird; nicht in den Eßwaren, Obst, Gemüse, welche ebenfalls aus der Malariaunigegend ein- Ergebnisse der wissenschaftlichen Expedition visw. zur Erforschung der Malaria. 347 oeführt werden. J)er einzige hier in Betracht, liomniende Unterschied zwischen Stadt und Umgebung hegt darin, daß das Innere der Stadt vegetationslos und damit gänz- hch frei von Moskitos ist gegenüber der Umgebung, welche von Stechmücken verschie- dener Arten wdmmelt. Uberall wo die Vegetation in größeren Anlagen. Gärten usav. beginnt, da zeigen sich innerhalb und außerhalb der Mauern von Rom die Stechmücken und damit vergesellschaftet die Malaria. Wie im örtlichen \>rhalten der Malaria, so zeigen sich aixch im zeitlichen Ver- halten derselben sehr eigentümliche Zustände. Im Winter ist die Zahl der Malariakranken in den römischen Hospitälern gering, es kommen fast nur Rezidive der im Sonimer er- worbenen Fieber vor. Gegen das Frühjahr hin stellen sich einige Fälle von gewöhnlicher Tertiana ein. dann aber kommt ganz plötzlich im Laufe des Monats Juni eine Zunahme der Fiebererkrankungen, welche die fiüif- bis sechsfache Zahl der vorhergehenden Monate erreichen kann, und zwar hauptsächlich durch das Auftreteii der febbri estivoautunnali. Es muß sich also Anfang Juni oder schon im Mai irgend etwas ereignen, was dieses plötz- liche Anwachsen der Malaria bedingt, und es würde für die Malariaforschung von der größten Wichtigkeit sein, diesen Faktor zu ermitteln. Von sonstigen Ergebnissen der Expedition ist noch zu erwähnen, daß in zwei geeigneten Fällen von Malaria das Methylenblau, und zwar mit bestem Erfolg, ange- wandt wurde. Es sei hier beiläufig bemerkt, daß inzwischen auch andere Fieberkranke, welche ihre Malaria aus den Tropen mitgebracht hatten und wegen Disposition zu Schwarz- wasserfieber kein Chinin nehmen durften, hier in Berlin mit Methylenblau mit gleich gutem Erfolge behandelt wurden, womit der Beweis geliefert ist, daß das Ghinin ge- gebenenfalls durch Methylenblau ersetzt werden kann. Ferner habe ich die Gelegenheit benutzt und die Rinder aus der Campagna, unter welchen bekanntlich Texasfieber herrscht, auf Zecken untersucht, und in der Tat bei ihnen dieselbe Zeckenart gefunden, welche ich in Ostafrika als Vermittlerin der Infektion mit Texasfieber kennen gelernt hatte und welche auch mit der in Texas vorkommenden Zecke identisch ist. Ich habe eine Anzahl dieser Zecken mitgebracht: dieselben haben Eier gelegt, und in den letzten Tagen ist die junge Brut zum Vorschein gekommen, mit welcher in der hiesigen Tierarzneischule weitere Versuche angestellt werden sollen. Zum Schluß dieses Berichtes möchte ich noch das liebenswürdige Entgegenkommen der Königüch Italienischen Regieru.ng, insbesondere des Herrn Ministerialdirektors S a n t o 1 i q u i d n Fieber, welche durch Chinin vertrieben wurden. Seit einigen Tagen wieder schlechtes Befinden, 37 1 -V— Ii l 1 r '-^ 1 A!— -V [ -V— V. A^ •f « r 1 1 2* 8 I 1 1 t 8 1 1 ! ?'» 8 1 1 : 1 8 ; 1 i : 't s 1 1 1 t 8 } 1 1 1 1 t « 1 1 1 ", s i : 1 8 l 1 ? » « 1 1 1 ' <( K I 1 1 1 : 1 .11 « r 1 1 -\ \ i \ \ -\ Figur 3. weswegen Patient 1,0 g Chinin nininit. Wenige Stunden später Schüttelfrost, blutiger Urin, Er- und große Schwäche. Abends ins Lazarett geltracht. Hohe Temperatur, welche bereits am nächsten Morgen zur Norm sinkt (siehe Kurve 4). Ikterus wegen der dunklen Hautfarbe unkenntlich. Symptomatische Behandlung ohne Chinin. Leichter Verlauf und schnelle Rekonvaleszenz. Sämtliche Blutuntersuchungen negativ. Kein Rezidiv. (Fig. 4.) Nr. 5. 3 Jahre in Ostafrika. Öfters Fie))er, welches durch Chinin leicht zu beseitigen war. In den letzten 8 Tagen fühlte sich Patient unwohl, konnte aber seine Arbeit noch verrichten. Patient Koch, Gesammelte Werke. 68 354 über Schwarzwasserfieber (Hämoglobinurie). nahm schließhch 1,0 g Chinin und bekam angeblich schon eine Stunde darauf sehr starken Schüttel- frost und Hämoglobinurie, weswegen er sofort ins Lazarett aufgenommen wurde. Bei der Aufnahme 40,9" Temperatur. Am nächsten Morgen Abfall des Fiebers, welches indessen noch am selben Tage wieder bis 38,5° stieg und im weiteren Verlauf der Krankheit beträchtlichen Schwankvmgen unter- 39 3S 37 36 N 1 w I r 1 4^ 1 \ -V— r "V] [ V V IT -JL B V '-JL 1 8 7 1 1 ^1- 8 1 1 1 •t 8 1 1 1 'V 8 1 1 4 Sl 1 1 "f S J ■f 8 1 1 1 '.if 8 1 1 : 'f «1 1 1 ?<( « 1 '< 8 I 1 1 '.18 1 1 1 f 8 / 1 1 "f S ) 1 i • t 9 1 1 1 8 ; 1 1 ' Ii er 1 1 1 a 1 1 1 \ V f V r- A Figur 4. werfen bheb. Die Urinsekretion war von Anfang an gering; die blutige Beschaffenheit des Urins hörte gegen den 3. Tag auf. Trotzdem nahm die Urinmenge nicht zu, zeitweiUg hörte die Sekretion sogar gänzlich auf. Patient wurde im ganzen Verlauf der Krankheit von unstillbarem Erbrechen Figur .5. entsetzüch gequält. In den ersten Tagen bestand starker Ikterus, welcher allmählich geringer wurde. Erst am 9. Tage wurde Patient von seinen Qualen durch den Tod erlöst. Die Behandlung bestand in Darreichung von Morphium und reichUcher Zufuhr von Flüssigkeit. Es wurde kein Chinin gegeben. Sämthche Blutuntersuchungen bheben negativ. Aus dem Obduktionsprotokoll sei erwähnt: über Schwarzwasserfieber (Hämoglobinurie). 355 T -ff- -ir- Aiißenhaut wnä Schleimhäute ikterisch gefärbt. Milz auf das Dreifache vergrößert, ihre Sub- sta.nz dunkelbraun, weich und leicht zerdrückbar. Nieren etwas vergrößert, Rindensubst^nz gleich- mäßig hellbrävmlich, Pyramiden dunkelgraubraun gestreift. In den Schnittpräparaten von Milz, Leber und Niere war keine Spur von Malariaparasiten zu finden. In 3lilz und Leber keine Pigmentablagerungen. Die geraden Harnkanälchen zum großen Teil durch geronnenes Hämoglobin verstopft, die gewundenen Harnkanälchen durch den aufgestauten flüssigen Inhalt stark ausgedehnt. (Fig. 5.) Nr. 6. Goanese. Zugleich mit Nr. 4 vor 8 Monaten aus Bombay nach Ostafrika gekommen. Hat in Indien angeblich nicht an Fieber gelitten, seit seiner Ankimft in Afrika aber wiederholt Anfälle gehabt, gegen welche Chinin mit Erfolg gebraucht wurde. Vor seiner jetzigen Erkrankung nahm er wegen Unwohl- seins 1,0 g Chinin mid wurde kurze Zeit darauf von einem heftigen Schüttelfrost mit nachfolgender Hitze und Absonderung von schwarzrotem Urin befallen. Sofort ins Lazarett gebracht. Den Verlauf des Fiebers zeigt die Kurve Nr. 6. Die Menge des blutigen Urins war nicht bedeutend; aber vom 2. Tage ab bis zu dem am Abenil des 5. Tages eintretenden Tode bestand fast vollständige Anurie. Das fortwährende Erbrechen, die Unruhe und die Beängstigungen quälten den Kranken in einer entsetz- lichen Weise. Bei den Blutuntersuchungen wurden niemals Malaria- parasiten gefunden. Die 01>duktion ergab dieselben Veränderungen wie bei Nr. 5. Auch hier konnten in IMilz und Leber keine Malariaparasiten nachge\viesen werden. Ebenso fehlten die für Malariaerkrankungen so charakteristischen Pig- mentablagerungen in den Endothelien der ^Nlilz und Leber. In diesem Falle fanden sich vorwiegend die gewvmdenen Harnkanälchen durch Hämoglobinschollen verstopft. (Fig. 6.) 39 38 3? 36 Figur 6. Außer den bisher angeführten Tatsachen, welche allein schon genügen, um zu beweisen, daß das Schwarzwasserfieber keine Malaria ist, gibt es noch einige andere Umstände, welche sich auch nur in demselben Sinne deuten lassen. Da ist zunächst der Anfall selbst, welcher nur eine scheinbare Übereinstimmung mit einem Malariaanfall besitzt, bei einer etwas sorgfältigen Untersuchung aber ganz wesentliche Abweichungen davon erkennen läßt. In der Regel verbindet sich das Schwarzwasserfieber, wenn es überhaupt im Laufe einer Malaria auftritt, mit dem Tropenfieber. Bei diesem beginnt der Anfall bekanntlich nicht ]nit einem Schüttelfrost, sondern höchstens mit leichtem Frösteln. Das Schwarz- wasserfieber dagegen setzt fast ausnahmslos mit einem sehr starken und lang anhalten- den Frost (bis zu einer Stunde und darüber) ein. Der Anstieg der Temperaturkurve ist dementsprechend auch steiler als beim Tropenfieber. Ferner ist der weitere Verlauf der Temperatur beim Schwarzwasserfieber anders gestaltet wie beim Tropenfieber. Die Kurve des ersteren sinkt gewöhnlich früher und steiler ab als diejenige des letzteren. Sie hat infolgedessen viel mehr Ähnlichkeit mit der Tertianakurve als mit der Tropen- fieberkurve. Ich lasse hier zwei Krankengeschichten mit Kurven folgen, bei welchen der Anfall im Lazarett von Anfang an zur Beobachtung kam, was sich nicht oft so fügt, da man gewöhnlich die Kranken erst zu sehen bekommt, nachdem der Schüttelfrost vorüber ist und die Temperatur schon ihren Höhepunkt erreicht hat. Nr. 7 (Beobachtung von Dr. D o e r i n g). Patient ist seit 1 % .Jahren in Westafrika. In den letzten Tagen intermittierendes Fieber. Am Tage des Schwarzwasserfieberanfalles morgens Wohl- es» 356 über Schwarzwasserfieber (Hämoglobinurie). befinden. Um 11 Uhr 1 g Chinin. Um 12 Uhr tritt ein 1 i/o Stunden anhaltender Frost ein; Erbre- chen; Urin dunkelbraum-ot mit viel Hämoglobin. Leichter Ikterus. Um 4 Uhr bereits 40,5°. Behand- lung mit Morphium, Eispillen. Kein Chinin. Leichter Verlauf und schnelle Rekonvaleszenz. Dr. D o e r i n g konnte keine Malariaparasiten im Blute des Kranken nachweisen. Auch hier in Berlin wurde in den zur Verfügung stehenden Präparaten nichts gefunden. (Die am 4. Krankheits- tage verzeichnete plötzliche Tempe- ratursteigerung, welche sehr schnell wieder vorüberging, dürfte wohl auf einem Beobachtungsfehler beruhen.) (Fig. 7.) Nr. 8 (Beobachtung von Dr. D o e - ring). Patient ist seit 1% Jahren in Westafrika. Hat vor % Jahren ein leichtes Schwarzwasserfieber gehabt. Erkrankt an jMalaria. Temperatur gegen Mittag bis 40°, abends 6 Ubi wieder 36°. Patient nimmt 1,0 g Chinin. 3 Stunden darauf (9 Uhr abends) hef- tiger Frost. Über Nacht Erbrechen dunkelgrüner, zähflüssiger Massen; der in geringer Menge entleerte Urin ist tief- schwarz. Gegen Morgen sieht die Haut des Patienten zitronengelb aus. Im Blute Malariaparasiten (auch in BerUn wurden Figur 7. in den entsprechenden Präparaten ring- förmige, vmpigmentierte Parasiten in geringer Anzahl gefunden). Schwerer Verlauf. Fortwährendes Erbrechen. Vollständige Anurie. Am 10. Tage der Krankheit erfolgte der Tod. In den am 5. imd 9. Tage entnommenen Blutproben konnten keine Malariaparasiten nach- gewiesen werden. (Fig. 8.) 'ff 39 I 1 -N- -V— V \ -V— i —M- <» « f r \ -V— ff -N- £ ) -V— ■»8 12* 1 1 1 S V H S 1 1 1 1 :* 8 1. 1 81 •.H S , 1 1 '. -r 8 1 1 2t 8 1 I 1 ; * « i: _i — 1_ t S 1 1 u- !t S I '.t 8 1 ■t 8 1 1 1 •ist ' V S 1 _< — 1— '.1 s -V Hat A y h M / O Figtir 8. Die eigentüniKche Gestalt der Schwarzwasserfieberkurve ist übrigens auch in den Kurven Nr. 9, 10b und 11 ohne weiteres zu erkennen. Noch in einem anderen Punkte bin ich auf Grund der regelmäßigen mikroskopi- schen Blutuntersuchungen zu einem Resultat gekommen, welches mit den herrschenden Ansichten über das Schwarzwasserfieber in Widerspruch steht und auch gegen die Zu- gehörigkeit des Schwarzwasserfiebers zur Malaria spricht. über Sc-hwai'zwasserfieber (Hämoglobinurie). 357 Es wird allgemein angenommen, daß das Schwarzwasserfieber nur im Verlauf der tropischen Malaria vorkommt. Es ist dies aber nicht richtig. Unter den 41 von mir ge- sammelten Fällen befinden sich 5, bei denen der Schwarzwasserfieberanfall mit gewöhn- licher Tertiana kombiniert war. Da in Ostafrika auf 63 Fälle von tropischer Malaria etwa 7 Fälle von Tertiana nach meinen Beobachtungen kommen^), so ist die Häufigkeit der Kombination von Schwarzwasserfieber mit Tropenfieber durchaus nicht größer als ihr nach dem Zahlen Verhältnis zwischen den beiden Malariaarten zukommt. Die Vorliebe des Schwarz Wasserfiebers für Tropenfieber ist also nur eine scheinbare. Zum Beweise für das Gesagte gebe ich hier einige Krankengeschichten. Nr. 9. Patient befindet sich seit 15 Monaten in Ostafrika. Er erkrankte schon 3 Wochen nach seiner Ankvmft zum ersten Male an Malaria. 2 Monate darauf hatte er den ersten Anfall von Schwarzwasserfieber, nachdem er wenige Stunden vorher Chinin genommen hatte. Seitdem folgte jedesmal auf Anwendung von Clünin ein SchwarzwasserfieberanfaU. Angeblich hatte er 10 derartige Anfälle zu üijerstehen xmd kam dadurch sehr herunter. Als ich den Patienten zufällig sah, war er in hohem Grade anämisch und hatte täglich Pieberanfälle, welche mit starkem Frost einsetzten. Der behandelnde Arzt machte nochmals einen Versuch mit Chinin und Ueß 1,0 g nehmen (2. Tag der Kurve 9). Einige Stunden später folgte sehr starker Schüttelfrost und blutig gefärbter Urin. Die Temperatursteigerung ging schnell vorüber und am nächsten Tage war Patient bereits fieberfrei. Der Urin behielt noch einige Tage blutige Färbung. Das Fieber blieb al)er nur 5 Tage fort, am 6. Tage (8. Tag der Kurve) erfolgte schon das Rezidiv. Es wurde nun ein Versuch mit Axsenikbehandlung gemacht, gänzlich ohne Erfolg. Patient hatte täglich einen Pieberanfall mit Temperatmen, welche regelmäßig 40'' und darüber erreichten. In dieser Zeit untersuchte ich einige Tage lang das Blut des Patienten xmd fand bei ihm zwei Generationen von großen, pigmentierten Parasiten, gelegentlich auch die charakteristischen Teilungsformen (sogen. Sporulation). Er litt also an Tei'tiana duplex, ganz entsprechend seinen täglich erfolgenden Fieberanfällen. Von den Parasiten des Tropenfiebers war niemals eine Spur zu finden. Es handelte sich in diesem Falle um eine ganz reine Tertiana. Da das Arsenik im Stich gelassen hatte, blieb nichts anderes übrig, als mit größter Vorsicht nochmals Chinin zvi versuchen. Zu diesem Zwecke wm"de Patient ins Lazarett aufgenonmien und beschlossen, ihm nur 0,5 g Cliinin, und zwar subkutan zu geben. Der Kranke wurde vorher noch einen Tag beobachtet und mehrere Blutuntersuchungen vorgenommen. Bis dahin hatte der Fieber- anfall stets zwischen 12 und 1 Uhr mittags begonnen. Auch an diesem Tage trat der Fiost um 12 Uhr ein. Im Blute zeigten sieh zur selben Zeit (43. Tag der Kurve) neben erwachsenen Tertianaparasiten und Teilungsformen Parasiten von mittlerer Größe. Man hatte es also immer noch mit einer Tertiana duplex zu tun. Avich die weiteren an demselben Tage gemachten Untersuchungen stimmten mit diesem Befunde überein. Am nächsten Morgen nm 8 Uhr (44. Tag) erlüelt Patient 0,5 g Clünin. bimuriat. subcutan. Schon um 10 Uhr, also 2 Stunden früher, als sonst das Fieber zu kommen pflegte, wurde Patient von einem außerordentlich starken Schüttelfrost befallen, welcher etwa eine halbe Stuntle lang anhielt. Zugleich stellten sich Gliederschmerzen, Erbrechen, Uiiruhe, äußerste Schwäche und Todesahnung ein. Die Hautfarbe änderte sich zusehends und ging in ein gelbliches Kolorit über. Gleich nach dem Frostanfall entleerte Patient 250 ccm blutig-schwarzrot gefärbten Urin. Gegen 2 Uhr wurden noch 150 ccm schwarzroter Urin gelassen. Von da ab nahm die Schwäche des Kranken schnell zu: er wurde somnolent und 10 Uhr abends, also 12 Stunden nach der Injektion, erfolgte der Tod. Kurz vor der Chinininjektion und auch während des Anfalls enthielt das Blut noch ebenso, wie am vorhergehenden Tage, zwei Generationen von Tertianaparasiten. Einige Zeit vor dem Tode fand sich nur noch eine Generation, die andere war infolge der Chininwirkung verschwunden. Bei der Obduktion zeigten sich außer starker Milzschwellung und ikterischer Färbung aller Organe keine Veränderungen. In diesen! Falle enthielten die Endothehen der Milz und Leber reichlich schwärzliches Pigment, (l^^g. 9.) Nr. 10. Seit mehreren Jahren in Ostafrika. Hat öfters Fieber gehabt mid Clünin immer gut vertragen. In der letzten Zeit stellte sich Fieber ein, welches einen um den anderen Tag auftrat. Patient nahm an zwei aufeinander folgenden Tagen je 1,0 g Chimn. Bald nach der zweiten Dosis Schüttelfrost imd blutiger Urin. Er wvu'de, nachdem der eigenthche .Anfall bereits abgelaufen war, ') Vgl. Reiseberichte, p. 95. DieseWerkeBd.il, p. 306 Fußnot(' und S. 320ff. D.Herausgeber. 358 Über Schwarzwasserfieber (Hämoglobinurie). in sehr elendem Zustande ins Lazarett geliefert. Die dann vorgenommene Blutuntersuchung ergab ein negatives Resultat. Nachdem Patient sich ein wenig erholt hatte, reiste er nach Deutschland. Hier hatte er -wiederholt Rezidive seines Fiebers, nahm aber aus Besorgnis vor dem Schwarzwageer- fieber kein Chinin. Bei einer zufälligen Anwesenlieit in Berün hatte er wieder ein Rezidiv und die Blutuntersuchxmg ergab nunmehr, daß das Fieber eine Tertiana war. Patient machte dann eine Methylenblauktir durch mit bestem Erfolg und kehrte nach Ablauf seines Urlaiibs vollkommen gesund nach Ost- afrika zurück. Nr. 11. Patient kam vor einem Jahre nach Kamerun. Schon nach 14 Tagen wairde er vom Fieber befallen, \^elches der Schilderung nach (kurze, durch einen Schüttelfrost eingeleitete Anfälle) Tertiana war. Das Fieber ver- ließ ihn immer nur auf kurze Zeit; auch der Aufenthalt in einer Höhe von 1000 m nützte ihm nichts. Im 5. Monat seines Aufenthaltes in Westafrika hatte er zum ersten Male nach einer Chinindosis einen Anfall von Schwarzwasserfieber, welcher 6 Tage lang dauerte. Etwa einen Monat später hatte er einen zweiten Anfall von Schwarzwasserfieber zu überstehen, wel- eher 4 Tage anhielt. Patient wurde dann 2- S r* n nach Deutschland zurückgeschickt. Die in Berlin vorgenommene Untersuchung ergab hochgradige Anämie (Hämo- globingehalt nur 35%), bedeutende Milz- schwellung (die Milz nimmt fast die Hälfte des Abdomens ein, sie reicht bis zum Darmbein), große Schwäche. Täglich tritt gegen Abend Schüttelfrost mit nachfolgender Hitze (bis 40°) und Schweiß ein. Bei der Blutuntersuchung finden sich zwei Generationen Tertianaparasiten, in den zuBeginn des Schüttelfrostes entnom- menen Präparaten auch Teilungsformen. Patient wird mit Methylenblau behandelt; er verliert sein Fieber und erholt sich auffallend schnell. Auf sein dringendes Verlangen wurde er nach 14 tägiger Behandlung aus der Kranken- anstalt entlassen. Während der letzten 7 Tage waren die Parasiten aus seinem Blute vollkommen verschwimden. Bei den ersten Blutuntersuchungen war in einem Präparate ein einziger Halbmond gefunden, woraus zu schließen war, daß bei dem Kranken neben der Tertiana, welche den Krankheitsverlauf voll- kommen beherrschte, auch Tropenfieber bestand. Dieser Befund kann hier aber deswegen nicht in Betracht kommen, weil der Kranke seiner Schildervmg nach zur Zeit der Schwarzwasserfieberanfälle unzweifelhaft an Tertiana litt. Nr. 12 (Beobachtung von Dr. D e m p w o 1 f f ). Patient hatte sich längere Zeit im Norden von Deutsch-Südwestafrika aufgehalten und hatte dort bereits einen Anfall von Schwarzwasser- -1 -ß— - * -OO - — »>=r 10 C kmii V --f . mit' -OO . -S- m vhh - 00 -.f -00 ■ m V hh H- _-p . -00 -f*- -OO h, J Urin ■ mit ure llut A i - * V VrU i oh leB 'at. - OO - 05 t --f •« -< - -f - 06 ^ - «6 - Ob - H _ C* A - * - 00 i 1 — ' — , - -p ■. - *^ -* - - ^ - -P -£>— - •*■ ■ - * t bJ •mm- -+ • - <^ -SS— m H -p 4 / 0, 5 Ch inin sub Tt ■ — Od ■ Jtot inxL — i*- über Schwarzwasserfieber (Hämoglobinurie). 359 fieber durchgemacht. Er kam krank nach Winclhoek und es wurden noch vor seiner Aufnahme ins Lazarett zahh-eiche ringförmige Parasiten der Tropenmalaria gefunden. Später stellte sich, angeblich ohne daß er Chinin genommen hatte, Ilämoglobinurie ein. Auf Grund des Parasitenbefundes erlüelt er trotzdem zur Zeit der Intermission (3. Tag der Kurve 10a) 1,0 g Chinin subkutan. Er reagierte darauf mit Schüttelfrost und vermehrter Hämoglobinurie. Dann nahm das Fieber ab, vom nächsten Tage ab waren die Parasiten aus dem Blute xind vom 2. Tage das Hämoglobin aus dem Urin geschwunden. Patient blieb nun 3 Wochen fielierfrei, bekam dann aber ganz unerwartet wieder einen Fieberanfall, diesmal aber nicht Tropenfieber, sondern, wie der Parasitenbefund ergab, eine Tertiana duplex (1. Tag der Kurve 10b). Der Urin war frei von Hämoglobin. Am folgenden Morgen in der Intermission erlüelt Patient 0,75 g Chinin und bekam danach wieder Schüttelfrost und einen Anfall von Schwarzwasser- fieber. Dieser eigentümliche Wechsel des Fiebers in den beiden durch einen Zeitraum von 3 Wochen getrennten Anfällen läßt sich nur so erklären, daß der Kranke zugleich nnt Tropenfieber und mit Tertiana infiziert war. In einem solchen Falle tritt, wie ich an anderer Stelle darlegen werde, mcht ein gemischtes Fieber auf, sondern der Verlauf der Krankheit gestaltet sich so, daß bald die eine, bald die andere Art des Pie))ers die Oberhand gewinnt vmd eine Zeitlang allein herrscht. Auf jeden PaU kam der zweite Anfall von Schwarzwasserfieber bei ausschließüchem Vorhandensein von Tertiana- parasiten zustande. Die zu beiden Anfällen gehörigen Blutpräparate sind in BerUn nachuntersucht 360 Über Schwarzwasserfieber (Hämoglobinurie) und der Befund Dr. D e m p w o 1 f f s daliin bestätigt, daß im ersten Anfalle nur die ringförmigen, unpigmentierten Parasiten der Tropenmalaria, im zweiten Anfalle ausschließlich die großen, pigmen- tierten Tertianaparasiten gefunden wurden (Fig. 10a und 10b). Aus dem bisher Mitgeteilten geht hervor, 1. daß beim Schwarzwasserfieber die Malariaparasiten sehr häufig fehlen; 2. daß, wenn sie vorhanden sind, ihre Zahl in gar keinem Verhältnis zur Hämo- globinurie steht, wie es doch nach Analogie des Texasfiebers der Fall sein sollte; 3. dd.ß es Malaria mit sehr zahlreichen Parasiten gibt, ohne daß Hämoglobinurie daraus entsteht; 4. daß bei genauerem Vergleich zwischen dem Anfall der Malaria und demjenigen des Schwarzwasserfiebers sich ganz wesentliche klinische Unterschiede ergeben; 5. daß das Schwarzwasserfieber sich mit zwei ganz verschiedenen Arten der Malaria, nämlich mit der gewöhnlichen Tertiana und mit dem Tropenfieber verbinden kann. Durch diese Ergebnisse ist nach meinem Dafürhalten hinreichend bewiesen, daß das Schwarzwasserfieber keine Malaria ist, sondern eine Krankheit, welche selbständig auftreten, aber aus irgendwelchen Gründen mehr oder weniger häufig mit Malaria kom- biniert sein kann. Es fragt sich nun weiter, was denn eigentlich das Wesen dieser Krankheit ist. Für denjenigen, welcher selbst eine Anzahl von Schwarzwasserfiebern gesehen und genau beobachtet hat, wird die Beantwortung dieser Frage nicht schwer sein. Er wird unter seinen Fällen ab und zu einem solchen begegnen, welchen er gar nicht anders deuten kann, als daß der Anfall von Schwarz Wasserfieber durch Chinin veranlaßt wurde. Unter den 12 Krankengeschichten, welche im vorstehenden mitgeteilt sind, befindet sich nur eine (Nr. 2), in welcher über Chinin nichts erwähnt ist, aber nur deswegen, weil die Anam- nese sich gar nicht auf diesen Punkt erstreckt hatte. In allen übrigen Fällen ging dem Ausbruch des Schwarzwasserfiebers um wenige Stunden die Anwendung von Chinin in einer Dosis von 0,5 bis 1,0 g voraus. Kann man da noch von einem zufälligen Zusammen- treffen sprechen ? In den Fällen Nr. 9 und 12 folgte sogar wiederholt Schwarzwasser- fieber auf die Anwendung von Chinin. Wie soll man das anders erklären, als daß das Schwarzwasserfieber durch das Chinin hervorgerufen wurde. Es gibt sogar Fälle, in welchen sich ganz wie in einem Experimente durch Chinin das Schwarzwasserfieber nach Belieben künstlich hervorrufen läßt. Einen solchen Fall habe ich in Ostafrika beobachtet. Er möge hier folgen: Nr. 13. Patient ist noch nicht länger als seit 8 Monaten in Ostafrika. Früher nie krank, bekam er schon wenige Monate nach seiner Ankunft Fieber, welches mit Unterbrechungen immer wiederkehrte. Vor einigen Wochen hatte er den ersten Anfall von Schwarzwasserfieber, vmd zwar war derselbe, wie der Kranke später angab, nach Chinin eingetreten. Patient gelangte erst nach Ablauf des eigenthchen Anfalls ins Lazarett. Er fieberte nur noch am 1. Tage und blieb dann etwa 1 Woche lang fieberfrei. In seinem Bhite trotz wiederholter Untersuchungen keine Malariaparasiten. Am 9. Tage seines Lazarettaiifenthaltes kam ein Rezidiv. Nach Beendigung des ersten Anfalls wurden in der Intermission nunmehr große Ringe nachgewiesen. Im zweiten Anfall kleine Ringe und in der zweiten Intermission (12. Tag) wiederum große ringförmige Parasiten. Die Fieberanfälle an und für sich waren also nicht imstande, bei diesem für Schwarzwasserfieber disponierten Kranken Hämo- globinurie auszidösen. Nun erhielt er aber an diesem Tage 1,0 g Chinin \ind wenige Stunden darauf trat eine ziemlich starke Hämoglobinurie ein. Dieselbe ging bald vorüber, und damit waren auch die Parasiten aus dem Blute verschwunden. Am 2. Tage darauf wurde, mn ein nochmaliges Rezidiv der Malaria zu verhüten, wiederum 1,0 g Chinin gegeben (14. Tag). Genau wie nach der ersten Chinin- dosis folgte auch diesmal wieder Hämoglobinurie, nur etwas weniger stark als das erste Mal. Um mm aber auch jeden Zweifel an der msächlichen Wirkung des Chinins auszuschließen, wurde eine dritte über Sehwarzwasserfieber (Hämoglobinurie). 361 C'hinindosis gegeben, was unbedenklich geschelien konnte, da die beiden vorhergehenden Anfälle keinen bedrohlichen Charakter gehabt hatten. Diesmal wurde das Chinin absichtlich nicht am zweiten, sondern am dritten Tage nach dem letzten Anfall gegeben, um jedes Zusammentreffen ndt einem etwa zweitägig wiederkehrenden Fieberanfall zu vermeiden (17. Tag). Der Effekt war ganz derselbe, wie nach den beiden früheren Chinindosen. Wenige Stunden, nachdem der Kranke 1 ,0 g Chinin genommen hatte, bekam er Schiittelfrost und Ilänioglobinuiie. Das Blut war seit dem ersten Anfall vollkommen frei von Parasiten gebheben. Es konnte also nichts weiter als das Chinin auf den Kranken gewirkt haben. (Fig. 11.) Ein ähnlicher, noch mehr eklatanter Fall kam während des letzten Sommers in BerHn zur Beobachtung. Die Mitteilungen über den Verlauf desselben im Krankenhause und die Fieberkurve dazu verdanke ich Herrn Prof. A. F r a e n k e 1. Nr. 14. Patient war 4 Jahre lang in Kamerun, Utt dort häufig an Fieber und hatte 7 mal Schwarzwasserfieber, stets im Anschluß an Chinin. Seit einem .Jahre lebte er in Deutschland und be- 362 über Schwarzwasserfieber (Hämoglobinurie). suchte zu seiner Erholung verscliiedene Luftkurorte; die letzten 4 Monate hielt er sich in Berlin auf. Von Zeit zu Zeit zeigten sich leichte Fieberanfälle. Eines Tages wurde er durch einen Gewitterregen durchnäßt und bekam darnach einen stärkeren Pieberanfall und Schüttelfrost und einer Temperatur- steigerung bis 40,6°. Er nahm 2 kleine Dosen Chinin (je 0,2 g) und kam am nächsten Tage in das Institut für Infektionskrankheiten zur Untersuchung a\xf Malaria. Wiederholte Untersuchungen fielen indessen negativ aus, offenbar weil Chinin vorher genommen war. Einige Wochen später kam wieder ein PieberanfaU mit Prost, Hitze und Schweiß. Patient nahm, der ihm erteilten Weisung zufolge, kein Chinin- und kam sofort wieder zur Untersuch\mg, welche diesmal ein positives Resultat lieferte. Es fanden sich in seinem Blute große pigmentierte Tertianparasiten. Übereinstimmend damit trat am zweitfolgenden Tage wieder ein ebensolcher PieberanfaU auf und es wurden nochmals Tertianparasiten konstatiert. Dem Patienten wurde mit Rücksicht auf seine Disposition zum Schwarzwasserfieber geraten, kein Chinin, sondern Methylenblau zu nehmen. Er befolgte diesen Rat aber nur einige Tage und wandte sich dann an einen Arzt, welcher ihm Chinin verordnete. Kaum hatte Patient das Chinin genommen, als ein heftiger AnfaU von Schwarzwassertieber eintrat, welcher ihn in einen so bedenküchen Zxastand versetzte, daß er in ein Krankenhaus gebracht werden mußte. Der weitere Verlauf ergibt sich aus der Kurve Nr. 12. Aus derselben ist zu ersehen, daß der Kranke 3 mal (am 2., 6. und 14. Tage) in größeren Pausen verhältnismäßig kleine Dosen Chinin (4x0,1) erlnelt und jedesmal darauf mit einem Anfall von Hämoglobinurie mit Temperaturen bis 41° reagierte. SchüeßUch gab man ihm am 24. Tage eine volle Dosis Chinin (1,0 g). Bs erfolgte ein sehr schwerer Anfall von Schwarzwasserfieber und eine Temperatursteigerung bis nahezu 42°. Selbstverständlich nahm man von jeder weiteren Chininbehandlung Abstand. Während seines Aufenthaltes im Kranken- hause wurde der Kranke wiederholt untersucht, aber es wurden niemals Malariaparasiten in seinem Blute gefunden (Pig. 12). Ich unterlasse es absichtlich, zu den beiden letzten Krankengeschichten einen Kommentar zu geben. Dieselben sind auch ohne einen solchen so absolut beweisend, daß wer sich durch solche Tatsachen nicht vom ursächlichen Zusammenhange zwischen Chinin und Schwarzwasserfieber überzeugen läßt, überhaupt nicht zu überzeugen ist. Diejenigen Fälle von Schwarzwasserfieber, welche nach der Rückkehr aus den Tropen in der Heimat vorkommen, beanspruchen natürlich ein besonderes Interesse, weil der unmittelbare Einfluß des Tropenklimas ausgeschaltet ist. Nur aus diesem Grunde und weil sie ebenso wie der Fall Nr. 14 zeigen, daß die Chininwirkung auch nach längerem Aufenthalte im gemäßigten KUma noch eintreten kann, will ich hier noch zwei weitere Krankengeschichten folgen lassen. Nr. 15. Patient war bereits 5 Jahre in Ostafrika tätig gewesen, ohne jemals ein ausgesprochenes Pieber gehabt zu haben. Er schrieb dies dem ziemüch regelmäßigen prophylaktischen Gebrauche von Chinin zu. Er nahm wöchentlich ungefähr 1,5 g. Dann aber erkrankte er doch, und zwar ziem- lich schwer an tropischer Malaria mit sehr zahlreichen, ringförmigen, unpigmentierten Parasiten. Er vertrug das in großen Dosen (bis 4 g im Laufe eines Tages) gegebene Chinin sehr gut, verlor sein Pieber und erholte sich auffallend schnell. Allem Anscheine nach htt er ein halbes Jahr darauf wieder an Pieber (keine Blutxmtersuchungen). Auch dies wurde durch Chinin schnell beseitigt. Seitdem wurde wieder Chinen prophylaktisch genommen. Es folgte dann bald die Rückkehr nach Deutschland. Auf der Reise und die ersten beiden Monate in Deutschland fühlte sich Patient sehr wohl. Er nahm infolgedessen das Chinin nur noch gelegentlich und in kleinen Dosen (0,5 g), bemerkte aber, daß jedes- mal nach dem Chiningebrauche der Urin eine auffallend dunkle Farbe annahm. Trotzdem nahm er, als er sich eines Tages etwas unwohl fühlte, 1,0 g Chinin. Das Mittel war am Abend genommen, Patient hatte darauf eine schlechte Nacht und fand am nächsten Morgen, daß sein Urin von schwarz- roter Farbe war. Die Körpertemperatur war bis über 40,0° gestiegen. Der Anfall hielt mehrere Tage an. Wie groß der Blutverlust gewesen war, geht daraus hervor, daß 8 Tage nach dem Anfalle der Hämoglobingehält des Blutes nur 42 % betrug. Malariaparasiten konnten in dieser Zeit im Blute nicht nachgemesen werden. Aber schon 2 Wochen nach dem Schwarzwasserfieber stellte sich ein regehechtes Malariarezidiv, und zwar der tropischen Malaria, ein. An 5 aufeinander folgenden Tagen ließen sich regelmäßig die ringförmigen, unpigmentierten Parasiten nachweisen. Die weitere Behand- limg bestand in einer Methylenblaukur, tmter deren Einfluß die Parasiten allmähhch verschwanden, kein weiteres Rezidiv sich zeigte und vollständige Genesung eintrat. Nr. 16. Seit 5 Jahren in Ostafrika. Vom 2. Jahre seines Aufenthaltes in den Tropen ab wieder- holt an Fieber gelitten. Vor etwa einem halben Jahre zum ersten Male ein Anfall von Schwarzwasser- über Schwarzwasserfieber' (Hämoglobinurie). 363 fieber, nachdem kurz vorher 2,5 g C'liinin wegen Befürchtung eines bevorstehenden Fieberausbruclies genonmaen waren. Vor 6 Wochen trat Patient che Rückreise nach Europa an. Auf der Fahrt durch Figur 12. das Rote jNIeer hatte er einen leichteren, in 3 Tagen vorübergehenden Anfall von Schwarzwasserfieber durchzumachen. Angeblich war diesmal kein Chinin vorher genommen. Patient mußte gleich nach 364 über Schwarzwasserfieber (Hämoglobinurie). der Ankunft in Berlin in ein Lazarett gehen, weil sich wieder Malariaanfälle eingestellt hatten. In dieser Zeit wurde wiederholt sein Blut im Institute für Infektionskrankheiten untersucht und regel- mäßig die charakteristischen ringförmigen Parasiten der Tropenmalaria gefunden. Mit Rücksicht auf das vorhergegangene Schwarzwasserfieber wurde Patient mit kleinen Dosen Chinin in vorsichtiger Weise behandelt . Das Fieber verschwand und Patient reiste nach München. Kaum angelangt, bekam er wieder einen Fieberanfail. Er nahm nun aus eigenem Antriebe 1,0 g Chinin. 3 Stunden später begann ein sehr schwerer Anfall von Schwarzwasserfieber mit Entleerung von schwarzrotem Urin und schnell sich entwickelndem Ikterus. Man brachte ihn in das Lazarett, wo er noch 0,5 g Chinin erhielt. Unter fortwährendem Erbrechen, öfterem Entleeren von schwärzlichem Urin und zu- nehmender Schwäche trat am 2. Tage der Erkrankung Bewußtlosigkeit und bald darauf der Tod ein. Den von mir mitgeteilten Tatsachen gegenüber kann nicht der geringste Zweifel mehr darüber vorhanden sein, daß ebenso wie in Sizilien und Griechenland auch in den Tropen das Schwarzwasserfieber durch Chinin hervorgerufen werden kann, und zwar, wie ich hier zum ersten Male nachgewiesen zu haben glaube, auch ganz unabhängig von Malaria. Das Schwarzwasserfieber ist somit keine Infektions-, sondern eine Intoxika- tionskrankheit, und diese Krankheit unterscheidet sich in ihrem eigentlichen Wesen, wenn sie in den Tropen vorkommt, in keiner Weise von der Hämoglobinurie des ge- mäßigten Klimas. Zu den eingangs aufgezählten Chemikalien, wie Anilin, Chrysarobin, Toluylendiamin usw., tritt das Chinin als Ursache der Hämoglobinurie hinzu. Höchst- wahrschcinhch sind noch andere Stoffe, welche in der Therapie heutzutage eine mehr oder weniger ausgedehnte Verwendung finden, imter Umständen ebenso gefährlich wie das Chinin. In dieser Beziehung möchte ich auf eine Beobachtung von K r ö n i g hinweisen. Derselbe sah bei einem Menschen, welcher keine Spur von Malaria hatte, nach 1,0 g Phenazitin intensive Hämoglobinurie, Erbrechen, Ikterus mit tödlichem Ausgange ein- treten. In der Diskussion über diesen Fall wurde von anderen Ärzten auf ähnliche Er- fahrungen mit Natr. salicylic, Antipyrin und Phenokoll aufmerksam gemacht. Wenn aus den Tropen über Hämoglobinurie im Zusammenhange mit derartigen Mitteln noch nichts berichtet ist, so liegt dies einfach daran, daß noch niemand darauf geachtet hat. Man wird in Zukunft, wenn man sich erst gewöhnt haben wird, das Schwarzwasserfieber als einen Intoxikationszustand aufzufassen, in dieser Richtung die ätiologischen Unter- suchungen viel sorgfältiger als bisher anstellen müssen. Dabei ist aber noch weiter zu berücksichtigen, daß unzweifelhaft auch in den Tropen solche Fälle vorkommen werden, welche ebenso wie im gemäßigten Klima durch starke Anstrengungen und plötzliche Abkühlungen entstehen können. Es scheint mir keineswegs ausgeschlossen, daß auch die Insolation dieselbe Wirkung haben kann. Ich habe zwar selbst nichts beobachtet, was diesen Verdacht rechtfertigen könnte, aber es sind mir in der Kasuistik mehrfach FäUe begegnet, welche es sehr nahe legen, auch diesen Faktor in Rechnung zu ziehen. Allen diesen Punkten wird in Zukunft viel mehr Beachtung geschenkt werden müssen als bisher, wo man sich einfach mit der Diagnose Malaria begnügte und gar nicht ver- pf hebtet hielt, weitere ätiologische Nachforschungen anzustellen. Auf jeden Fall spielt in den Tropen zur Zeit das Chinin als Gelegenheitsursache des Schwarzwasserfiebers die weit überwiegende Rolle. In Bezug auf die Häufigkeit der Chininvergiftung gehen die Angaben der Autoren ziemlich weit auseinander. Aber es scheint mir, als ob das Chinin um so häufiger als Ursache gefunden wurde, je mehr man seine Aufmerksamkeit darauf gerichtet hat. ^) Krönig, Phenazetin-Vergiftving mit tödlichem Ausgang. Berliner klin. Wochenschrift , 1895, Nr. 46. über Schwarzwasserfieber (Hämoglobinurie). 365 F. P 1 e h n 1) gibt an, daß von 43 von ihm in Kamerun beobachteten Fällen 24, d. i. 56 Proz., mit Sicherheit wenige Stunden nach Einführung von (Ihinin aufgetreten sind, und zwar meistens auf der Höhe der Chinin Wirkung. A. P 1 e h n '-), der Nachfolger von F. P 1 e h n , hatte unter 58 Fällen von Schwarz- wasserfieber 48, d. h. 87 Proz., bei welchen der Anfall direkt durch Chinin ausgelöst wurde. D o e r i n g ^) wurde nach A. P 1 e h n Regierüngsarzt in Kamerun. Er hatte 40 Fälle von Schwarzwasserfieber zu behandeln und fand, daß als die unmittelbar ver- anlassende Ursache zum Ausbruche der Krankheit fast stets das Chinin im Zusammen- treffen mit Malariaparasiten nachzuweisen war. Bei einzelnen seiner Kranken rief das Chinin auch ohne das ^'orhandensein von Malariaparasiten die Zerstörung der roten Blutkörper hervor. Nur in einem Falle ging ein einfaches Malariafieber ohne sichtbaren Grund (ohne Chinin) spontan in ein Schwarzwasserfieber über. Bei D Oering steigt somit das Verhältnis der auf Chinin folgenden Schwarzwasserfieber bereits auf 97 Proz. Wenn ich von meinen 41 Fällen die von D o e r i n g mir zur Verfügung gestellten beiseite lasse, dann bleiben noch 2(5 Fälle. Bei 23 folgte die Hämoglobinurie auf Chinin in so kurzer Zeit, und in mehreren Fällen wiederholt, daß der ursächliche Zusammenhang nicht bezweifelt werden konnte. In drei Fällen — sie gehören zu den ersten von mir beobachteten fehlen Angaben darüber, ob Chinin genommen war : aber es ist sehr wahrscheinlich, daß dies geschehen war, auf jeden Fall ist es nicht ausgeschlossen. Ein besonderes Gewicht glaube icli in dieser Beziehung auf die von mir gesammelten 5 Fälle legen zu sollen, welche aus den Tropen stammen, aber in Deutschland beobachtet sind. Dieselben sind sämtlich ganz unzweifelhaft durch Chinin ausgelöst. Mit der Tatsache, daß das Schwarz Wasserfieber eine Art von Chinin Vergiftung sein kann und in den allermeisten Fällen auch in Wirklichkeit ist, steht nun aber eine andere Tatsache in einem gewissen Widerspruche. Es ist dies die Beobachtung, daß in der Regel das Chinin, und wenn es auch in sehr großen Dosen gegeben wird, keine Hämoglobinurie macht; noch mehr, man hat das Schwarzwasserfieber bisher fast immer mit Chinin behandelt; von einzelnen Ärzten ist das Chinin sogar in außergewöhnlich großen Dosen angewendet worden"*), und doch ist ein großer Teil der Kranken mit dem Leben davongekommen. Wenn das Chinin in diesem Falle ein Gift wäre, dann hätten doch die Kranken durch die wiederholten Giftdosen getötet wei'den müssen. Ferner sieht man nicht selten, daß Menschen eine Zeitlang das Chinin nicht vertragen und nach einem kürzeren oder längeren Zeiträume dasselbe wieder ohne Nachtteil nehmen können. Es läßt sich indessen unschv/er zeigen, daß diese Widersprüche nur scheinbare sind. Zunächst ist zu bedenken, daß auch in unserem Klima nicht jeder Mensch nach einem starken Marsche, nach einer Abkühlung, nachdem er Phenazitin oder andere Chemikahen genommen hat, eine Hämoglobinurie bekommt. Es gehört eben, wie auch bei so manchen anderen abnormen Arzneiwirkungen, eine besondere Disposition dazu, um auf einen derartigen Eingriff in so ungewöhnlicher Weise zu reagieren. Wir müssen M F. Plehn, Die Kamerun-Küste. Studien zur Klimatologie, Physiologie und Pathologie in den Tropen. Berlin 1898. p. 196. ^) A. Plehn, Beiträge zur Kenntnis von Verlauf und Behaiidhuig der tropischen Malaria in Kamerun. Berlin 1896. ^) D o e r i n g, Ein Beitrag zur Kenntnis der Kamerun-Malaria. Arbeiten aus dem Kaiserlichen G esundheitsamte. *) Steudel, Die perniziöse Malaria in Deutsch-Ostafrika. Ijcipzig 1894. 366 Uber Schwarzwasserfieber (Hämoglobinurie). dies deswegen annehmen, weil die Wirkung nicht zufälhg und nur vereinzelt auftritt, sondern sich bei bestimmten Menschen jedesmal einstellt, wenn sie dem Eingriffe aus- gesetzt werden. In einzelnen Fällen scheint es sich sogar, wie italienische Ärzte gefunden haben, um eine erbliche Disposition zu handeln. In den Tropen liegen die Verhältnisse allerdings insofern anders, als die Disposition nicht bereits vorhanden ist, sondern erst erworben wird. In der Regel vertragen Euro- päer, wenn sie sich in den Tropen aufhalten, anfangs das Chinin ebensogut, wie in der Heimat. Erst nach einer gewissen Zeit tritt die Gefahr ein, daß das Chinin eine Hämo- globinurie bewirken könnte. Es hat sich also unter dem Einflüsse einer veränderten Lebensweise, eines von dem bisher gewöhnten, sehr verschiedenen Klimas und, was sehr wahrscheinlich ist, irgendwelcher Krankheitsursachen eine Disposition für Hämo- globinurie herausgebildet. Dafür, daß dieselbe nicht plötzlich, sondern allmählich ent- steht, sprechen gewisse Umstände. Es ist mir wiederholt von Kranken versichert, daß sie längere Zeit vor dem Auftreten des Schwarzwasserfiebers nach jeder Anwendung von Chinin eine auffallend dunkle Farbe des Urms und leichten , Ikterus bemerkten. Der Urin soll nicht den rötlichen Farbenton des Hämoglobins gehabt haben, sondern von rein brauner Farbe, bis zu derjenigen eines Kaffeinfuses gewesen sein. In einem Falle habe ich selbst etwas Derartiges gesehen. Auch D o e r i n g hat solche Fälle beob- achtet. Er faßt dieselben als einer Unterabteilung des Schwarzwasserfiebers zugehörig auf vmd nimmt an, daß es dabei wohl zum Zerfallen der roten Blutkörper komme, aber daß das Hämoglobin im Gallenfarbstoff umgesetzt wird und als solches im Urin erscheint. Er hat drei derartige Fälle nach Anwendung von Chinin entstehen sehen. Sämt- liche Symptome stimmten bis auf diesen einen Unterschied mit dem Schwarzwasser- fieber überein und es trat sogar in zwei Fällen im Verlaufe der Krankheit statt des Gallen- farbstoffes Hämoglobin im Urin auf. Der unter Nr. 3 mitgeteilte Fall gehört ebenfalls hierher. Diese Beobachtungen stehen vollständig im Einklänge mit dem, was P o n f i c k bei seinen Untersuchungen über Hämoglobinurie gefunden hat. Die eigentliche Hämo- globinurie tritt nämlich erst dann ein, wenn die Menge des freigewordenen Hämoglobins mehr als ein Sechzigstel der im Gesamtblute vorhandenen Menge beträgt. Ist die Zahl der zugrunde gegangenen Blutkörper so gering, daß das freie Hämoglobin dieses Maß nicht übersteigt, dann reicht die Tätigkeit der Leber noch aus, um das Hämoglobin zu verarbeiten und in Gallenbestandteile und namentlich in Gallenfarbstoff zu verwandeln, wodurch Hypercholie, Ikterus und dunkle Färbung des Urins entsteht. Es ist also an- zunehmen, daß in solchen Fällen, bei denen nach Chinin nur Ikterus und gallenfarb- stoffreicher Urin auftritt, nur wenig Hämoglobin frei wurde und die Leber noch imstande war', dasselbe zu bewältigen. Die eigentümliche Beschaffenheit des Blutes, welche der erworbenen Disposition zum Schwarzwasserfieber entspricht, dürfen wir uns aber nicht so vorstellen, daß sämt- liche rote Blutkörper leicht zerstörbar geworden sind, wenn sie den mehrfach erwähnten Einflüssen (Chemikalien, Pflanzengifte, Kälte usw.) ausgesetzt werden. Wenn dies der Fall wäre, müßte jeder Anfall von Hämoglobinurie, welcher durch eine ausreichende Menge des Giftes bewirkt wird, sämtliche rote Blutkörper zerstören und tödlich ver- laufen. Dies ist aber nicht der Fall und es kann also nur ein Bruchteil der roten Blut- körper zum Zerfalle disponiert sein, wobei es dahingestellt bleiben mag, ob dies die jüngsten Formen sind, welche die erforderliche Festigkeit noch nicht erlangt haben, oder 1) Virchows Archiv, Bd. LXII, p. 273. — Berüner klin. Wochenschrift, 1883, Nr. 26. — Zitiert nach Senator, Die Erkrankungen der Nieren. Wien 1895. über Schwarzwasserfieber (Hämoglobinurie). 367 die ältesten, welche dem unter natürlichen Verhältnissen erfolgenden Absterben schon naliegerückt sind. Bei dieser Voraussetzung, welche nichts Gezwungenes hat. erklärt sich dann leicht, daß in dem einen Falle, wenn sich nämlich die Veränderung der Blutkörper nur erst auf eine verhältnismäßig geringe Zahl erstreckt, sich nur Ikterus einstellt, während in einem anderen, wo viele rote Blutkörper eine veränderte Beschaffenheit haben und infolge- dessen zerfallen, es zur Absonderung von Hämoglobin durch die Nieren kommt. Selbst- verständlich wird auch die Dosis des Giftes in Betracht kommen. Ist dieselbe klein, dann zerfallen nur die am stärksten veränderten Blutkörper, ist sie groß, dann werden auch die weniger veränderten noch getroffen. Auf diese Weise werden auch diejenigen Fälle von Hämoglobinurie einer Erklärung zugänglich, in denen dasselbe Gift wieder- holt auf das Blut einwirkt und nur das erste Mal eine starke Hämoglobinurie auslöst, während an den folgenden Tagen das Chinin gut vertragen wird. Hier sind offenbar alle disponierten Blutkörper schon durch die erste Dosis zerstört und die folgenden Gift- dosen finden keine angreifbaren Blutkörper mehr vor. Erst wenn mehrere Tage nach dem Anfalle vorübergegangen sind, haben sich von neuem disponierte Blutkörperchen eingefunden, durch deren Zerstörung wieder ein Anfall ausgelöst werden kann (Fall Nr. 13 i;nd Nr. 14). Dabei darf ferner nicht unberücksichtigt bleiben, daß das Chinin, wenn es per os gegeben wird, bei Malaria-, ganz besonders aber bei Schwarz Wasserfieber nicht immer in der vollen Dosis, welche gegeben ist, zur Wirkung gelangt. Mitunter wird das Mittel durch Erbrechen wieder herausbefördert und oft geht es, weil das Chinin bekanntlich in alkalischen Flüssigkeiten fast unlöslich ist, wegen der gestörten Funktion des Magens und der dadurch veranlaßten alkalischen Beschaffenheit des Mageninhaltes unresorbiert durch den Verdauungstraktus hindurch. Auf welche Weise nun aber die geringe Widerstandsfähigkeit der roten Blutkörper oder mit anderen Worten die Disposition zum Schwarzwasserfieber zustande kommt, das ist vorläufig noch ein vollkommenes Rätsel. Der Einfluß des Tropenklimas allein kann es nicht sein, denn sonst müßte das Schwarzwasserfieber über alle tropischen Malaria- länder, wenigstens soweit daselbst Chinin gebraucht wird, und das geschieht doch wohl ausnahmslos und überall, verbreitet sein. Das ist aber nicht der Fall. In gewissen Ge- bieten zeigt es sich besonders häufig, so im tropischen Afrika, in Madagaskar, in den holländischen Kolonien, in Neu-Guinea, in Westindien. Dagegen fehlt es in anderen Ländern, z. B. in Vorderindien, wo nur ganz vereinzelte Fälle vorkommen sollen^), was nicht aber etwa einer Immunität der indischen Bevölkerung zugeschrieben werden kann, da unter meinen ostafrikanischen Fällen sich 5 Inder (Goanesen) befinden, welche etwa % Jahr vorher von Bombay nach Daressalam gekommen waren. Auch in subtropischen Ländern begegnet uns diese merkwürdige Vorliebe des Schwarzwasserfiebers für gewisse Gegenden und das völlige Verschontbleiben anderer. So wird die Krankheit sehr häufig in Griechenland-), ziemlich oft auch in Sizilien und Sardinien^) beobachtet. In den übrigen Mittelmeerländern ist sie dagegen ganz unbe- kannt oder kommt docli nur sporadisch vor. ^) Powell (Haemoglobinuric fever in Assam. The Journal of trojjical niedicine, Vol. I, Nr. 5) konnte indessen in neuester Zeit aus Assam über 11 Fälle von Schwarzwasserfieber berichten. Er läßt es dahingestellt, ob jetzt eine Zmiahme der Krankheit stattfindet oder ob dieselbe auch schon früher häufiger vorkam imd nur nicht als solche diagnostiziert, sondern irrigerweise dem sogenannten biliösen remittierenden Fielier zugerechnet wurde. 2) La V er an, Traite de paludisme, p. 19.5: Auf 307 Fälle von perniziösem Fieber kamen in Athen 15(3 Fälle von Hämoglobinurie, von denen 35 tödlich verliefen. ') Vincenzi, Süll' intossicazione da chinina nei malarici. Archivio italiano di cliiüca rnedica. 1.S97. 368 Uber Schwarz Wasserfieber (Hämoglobinurie). Das Klima an und für sich bietet also keine genügenden Anhaltspunkte für das Zustandekommen der Disposition. Aber auch vorhergegangene Anfälle von Tropen- fieber allein können die Disposition nicht schaffen: denn in vielen Gegenden, wo das Tropenfieber herrscht, fehlt das Schwarzwasserfieber, und wir haben außerdem gesehen, daß es auch bei Menschen vorkommt, welche an der gewöhnlichen Tertiana leiden oder gelitten haben. Wenn es somit weder das Klima allein, noch eine der beiden bekannten Malariaarten allein sein können, welche die Disposition zum Schwarz Wasserfieber er- zeugen, dann werden wir schließlich zu der Annahme gedrängt, daß der Kombination dieser beiden Faktoren, wenigstens in erster Linie, diese Wirkung zuzuschreiben ist. Ich beanspruche selbstverständlich für diese Annahme keinen höheren Wert, als den einer vorläufigen Hypothese, welche zu weiteren Untersuchungen anregen soll. Es ist aber von der größten Wichtigkeit, daß die weitere Erforschung des Schwarzwasserfiebers gerade diese Verhältnisse klarstellt und eine Beantwortung der Fragen gibt, wie die Dis- position zum Schwarz Wasserfieber entsteht, wodurch sie wieder verschwindet, und ob die Beseitigung der Disposition nicht auf künstlichem Wege zu erlangen ist. Zum Schlüsse habe ich noch einige Bemerkungen in bezug auf die Behandlung des Schwarz Wasserfiebers zu machen. Es ist durchaus notwendig, daß in jedem Falle eine sorgfältige und wiederholte Untersuchung des Blutes auf Malariaparasiten gemacht wird. Werden keine Parasiten gefunden, dann liegt gar kein Grund vor, den Anfall anders als symptomatisch zu be- handeln, also mit Mitteln, welche zur Beseitigung der Brechneigung dienen, und mit reichlicher Zufuhr von Flüssigkeit, um das freigewordene Hämoglobin zu verdünnen und dadurch der Bildung des gefährlichen Hämoglobininfarktes in den Nieren vorzubeugen. Finden sich Malariaparasiten, dann kann man unbedenklich den eigentlichen An- fall vorübergehen lassen und dann erst zur Bekämpfung der Malaria und der Verhütung des bestimmt zu erwartenden Rezidives schreiten. Will man hierzu durchaus Chinin gebrauchen, dann darf es nur mit der größten Vorsicht und in so kleinen Dosen geschehen, daß es nicht wieder zur Hämoglobinurie kommt. Zweckmäßiger ist es, in solchen Fällen Methylenblau medizinale (täglich 1,0 g) anzuwenden, welches sich mir in mehreren Fällen, bei denen wegen Schwarzwasserfieber Chinin nicht gegeben werden konnte, sehr gut bewährt hat^). Ganz dasselbe gilt auch für alle diejenigen Fälle, welche nur an Malaria leiden, aber, wie aus früheren Anfällen zu schheßen ist, zum Schwarzwasserfieber disponiert sind. Auch hier darf das Chinin nur in vorsichtiger Weise, gewissermaßen tastend, ver- sucht werden, stets unter genauer Beobachtung des Urins. Sobald derselbe eine braune oder gar blutige Farbe annimmt, darf nicht weiter gestiegen werden. Kommt man auf diese Weise mit dem Chinin nicht zum Ziel, dann wendet man sich zum Methylenblau, wenn man es nicht vorzieht, dasselbe in solchen Fällen von vornherein zu geben. Nach dem Abschlüsse der vorstehenden Arbeit traf es sich zufällig, daß in der . Krankenabteilung des Institutes für Infektionskrankheiten in Berlin ein Fall von Schwarz- wasserfieber zur Beobachtung kam. Derselbe ist während seines ganzen Verlaufes genau ^) Stabsarzt Dr. O 1 1 w i g wird in dieser Zeitschrift über die Verwendung von Methylenblau gegen Malaria und speziell bei Schwarzwasserfieberdisposition berichten. über Seil Warzwasserfieber (Hämoglobinurie). 369 untersucht, er bietet in jeder Beziehung ein so grol3es Interesse und ist so lehrreich, daß ich die Beschreibung desselben hier noch anschließen will. Nr. 17. Patient kam vor Jahren nach Kamerun. Nach viermonatlichem Aufenthalte daselbst stellte sich Malaria ein und hat ihn bis jetzt niemals vollständig verlassen, da immer ein Eezidiv auf das andere folgte. Die Fieberanfälle begannen ohne eigentlichen Frostanfall und dauerten über den nächsten Tag. Es handelte sich also höchstwahrscheinlich um Tropenfieber. Da das Fieber alle 2 l:)is 3 Wochen rezidivierte, so hatte er oft, Chinin zu nehmen; er vertrug es anfangs gut. Nachdem er 11 Monate zum Teil in Kamervm, zvim Teil auf Expeditionen im Innern zugebracht hatte, erlitt er im Innern den ersten Anfall von Schwarzwasserfieber. Er hatte morgens um 6 Uhr 1,0 g Chinin genommen und 2 i-i Stunden später begann der Anfall mit Schüttelfrost, hohem Fieber und blutigem Urin. 14 Tage später trat wieder Fieber ein. Patient nahm Icein Chinin und blieb a,m-h zunächst vom Schwarzwasserfieber verschont. Nach diesem Fiel:>er war er aber so schwach, daß er nach der Küste geschafft werden mußte. Die Reise dahin dauerte 1.5 Tage. Obwohl Patient fortwährend schwer am Fieber Utt, so wagte er doch wegen des Schwarzwasserfiebers nicht Chinin zu nehmen. Erst am 10. Tage der Reise entschloß er sich dazu, nahm aber nur 0,5 g. 2 Stunden darauf brach der zweite Anfall von Schwarzwasserfieber avis. Diesmal bliel) die Malaria etwa 4 Wochen aus. Dann trat Patient die Heimreise an. 3 Tage nach der Abfahrt stellte sich wieder Pielier ein, welches nicht weichen wollte. Daher versuchte Patient nochmals eine noch kleinere Dosis (0,25 g) Cliinin und bekam wenige Stunden später den dritten Anfall von Schwarzwasserfieber. In Deutschland kehrte das Fieber von Zeit zvi Zeit wieder. Patient nahm aber kein Chinin mehr. In der letzten Zeit litt er viel an Kopf- schmerzen und Schnierzen in der Lebergegend ohne eigentliche Fieberanfälle. Vor einigen Tagen wurde er in das Institut für Infektionskrankheiten geschickt, um auf ^Malaria untersucht zu werden. Patient ist etwas abgemagert, blaß, INIilz vergrößert (nähert sich der MittelUnie bis auf 3 Finger Breite). Leber ragt in der Mamillarlinie 5 cm über den Rippenbogen hinaus und reicht in der Mittel- linie bis zm- Mitte zwischen Schwertfortsatz und Nabel, ist überall druckempfindlich. Urin klar, hellgelb, frei von Zucker und Eiweiß. Hämoglobingehalt 70%, Temperatur 36,6". Im Blute vereinzelte große und mittelgroße ringförmige, uniiigmentierte Parasiten des Tropenfiebers. Wegen des Befundes von Malariaj^arasiten wurde er in die Krankenabteilung aufgenonmien, und es sollte versucht werden, die Behandhing mit sehr kleinen Dosen Chinin zu beginnen und dann allmälüich zu steigen. Am nächsten Morgen (vgl. Kurve Nr. 13 I) hielt sich die Temperatur unter 37". Im Blute wenige große, daneben auch ein- zelne kleine ringförmige Parasiten und ein Halbmond. Um 11 Uhr erhielt Patient die sehr geringe Dosis von 0,1 g Chinin, sulfur. inner- lich. 2 Uhr 45 Min. wurde er von einem heftigen Schüttelfrost er- griffen; der Kopfschmerz und die Schmerzen in der Leliergegend nahmen zu, die Temperatur stieg plötzUch bis 39,2". Der alsdann gelassene Urin hatte eine blutrote Farbe, war aber frei von roten Blutkörpern. Es wurde Wildunger Wasser in reichlicher Menge gegeben. Einige Stunden nach Beginn des Anfalles zeigte das Hänio- globinometer 60%. Im Blute waren die Malariaparasiten in der- selben Anzahl zu finden, wie vor dem Anfalle. Bereits am 2. Krankheitstage wurde Patient fieljerfrei. Auch der Urin wurde frei von Hämoglobin, er enthielt aber noch Eiweiß. Im ganzen waren 1900 ccni blutiger Urin entleert. Die Milzvergniße- rimg hatte gegen früher noch zugenommen (sie reichte 2 Finger lireit über die Mittellinie hinaus). Leber- und Milzgegend noch druckempfindlich. Die vormittags und mittags vorgenommene Blutuntersuchung zeigte die Zahl der Malariaparasiten gegen früher unverändert. Einen weiteren Versuch mit Chinin bei dem so außerordentlich eni]ifindlichen Patienten zu machen, schien nicht ratsam und es wurde deswegen die Behandlung mit Methylenblau liegonnen. (Fig. 13). Dieser Fall, bei welchem die Disposition zmn Schwarzwasserfieber in den Tropen erworben war, der Anfall selbst aber nach mehrnionatlichem Aufenthalte in Deutsch- Koch, Gesammelte Werke. 69 •to 39 38 37 36 -V— r -U- T —N- 1 s 1 1 1 1 ■f 8 1 J 1?* 8 / 1 1 1-1 bhl ■ S — S- / -2 ■5" o y t l- Figur 13. 370 Über Schwarzwasserfieber (Hämoglobinurie). land unmittelbar nach Anwendung einer sehr kleinen Chinindosis zum Ausbruche kam, schließt sich an die Fälle Nr. 14, 15 und 16 an, und ist ebenso wie diese in gar keiner anderen Weise zu erklären, als daß es sich dabei um eine Chinin Vergiftung gehandelt hat. Der Kranke selbst war davon so überzeugt, daß er erklärte, er habe gar keinen an- deren Ausgang von dem Chinin versuch erwartet. Besonders interessant ist die allmäh- liche Zunahme der Disposition. Die verschiedenen Anfälle waren anscheinend von ziem- lich gleicher Stärke; anfangs war 1,0 g Chinin erforderlich gewesen, um einen Anfall auszulösen, dann genügte schon 0,5 g, beim dritten Anfall 0,25 g und beim vierten sogar 0,1 g. Der Kranke war schließlich so empfindlich geworden, daß, wenn er statt 0,1 g die gewöhnliche Dosis von 1,0 g erhalten hätte, ihn, wie ich nicht zweifle, dasselbe Schicksal getroffen hätte, wie es bei dem Kranken Nr. 16 der Fall war, welcher sich durch die Anwendung von 1,0 g Chinin einen tödlichen Anfall von Schwarzwasser- fieber zuzog. über die Entwicklung der Malariaparasiten.') Von Dr. R. Koch. (Hierzu Tafel XXX— XXXIII.) Die Erforschung der Malariaätiologie hat drei wichtige Entdeckungen aufzuweisen: 1 . Die Entdeckung der Malariaparasiten durch L a v e r a n ; 2. die Entdeckung des Entwickelungsganges der Malariaparasiten innerhalb des eigentlichen Wirtes, d. h. im Körper des erkrankten Menschen durch Golgi und 3. die Entdeckung der Entwickelung der J\lalariaparasiten außerhalb des mensch- lichen, bezw. tierischen Körpers im Zwischenwirt, in der Stechmücke durch R o ß. An jede dieser Hauptentdeckungen schließen sich andere ergänzende Entdeckungen an, welche an und für sich recht wertvoll sind, aber jenen gegenüber, Avelche die Malaria- ätiologie in ihren Grundzügen festgelegt haben, doch nur eine sekundäre Bedeutung beanspruchen können. Anfangs hielt man die Malariaparasiten für Wesen, welche sehr einfach organisiert sind. Sie bestanden anscheinend nur aus einem Stückchen Plasma und wurden daher Plasmodien genannt. ]\Ian glaubte sogar Beziehungen zu den ebenso einfach gebauten Amöben annehmen zu müssen und einige Forscher waren hiervon so fest überzeugt, daß sie sich verleiten ließen, nach verdächtigen Amöben im Wasser und Boden von Ma- lariagegenden zu suchen und natürlich auch zu finden.'-) Naclidem aber Golgi gezeigt hatte, daß die Malariaparasiten einen bestimmten Entwickelungsgang im Blute durchmachen, welcher in einem ganz charakteristischen Teilungsprozeß seinen Gipfelpunkt findet, hielt man es doch für angemessen, den Ma- lariaparasiten eine höhere Stellung im System anzuweisen. M e t s c h n i k o f f ^) sprach sich dahin aus, dnÜ sie den Kokkidien am nächsten stehen, und er hat offenbar damit das Richtige getroffen, wie die spätere Entdeckung des zweifachen Entwickelungsniodus der Kokkidien durch R. P f e i f f e r und des Befruchtungsvorganges bei den Kokkidien durch S i m o n d ^) beweisen, da ganz analoge Vorgänge auch für die Malariaparasiten nachgewiesen werden konnten. Obwohl also die Malariaparasiten den Kokkidien sehr nahe verwandt sind, so weisen sie doch gewisse Merkmale auf, welche uns nötigen, sie, wenigstens vorläufig, als eine für sich bestehende Gruppe der Protozoen anzusehen. ') Aus Zeitschrift für HyKiene und Infektionskrankheiten, 1899, Bd. XXXII. 2) Grassi und F e 1 e 1 1 i, Zentralblatl fiir Bakteriologie, 1891, Bd. IX. 3) Zentralblatt für Bakteriologie, 1887, Bd. I, p. 624. -*) R. Pfeiffer, Beiträge zur Protozoenforschung, 1892, Heft 1. ^) Annales de l'Institut Pasteur, 1897, p. 545. 372 über die Entwickkmg der Malariaparasiten. Sie sind sämtlich im Beginn ilirer Entwiekelung Schmarotzer, welche im Inneren oder an der Oberfläche der roten Blutkörperchen leben mid sich wie die Ablagerung von Pigment in ihrem Plasma erkennen läßt, von Bestandteilen der roten Blutkörperchen ernähren^). Die Kokkidien sind dagegen Parasiten der Epithelialzellen und haben kein Pigment. Die Malariaparasiten vermehren sich bei der endogenen-) Entwiekelung durch einfache Teilung, wobei keine Hüllmembran gebildet wird. Die Zahl der jungen Keime, welche nicht sichelförmig, sondern ei- oder kugelförmig gestaltet sind, ist eine beschränkte. Die Kokkidien dagegen haben eine membranartige Hülle (Kapsel) und zerfallen bei der Teilung in zahlreiche Sichelkeime. -.Besonders charakteristisch für die Malariaparasiten ist das Anfangsstadium der exogenen Entwiekelung. Die Parasiten treten aus den roten Blutkörperchen heraus und nehmen Kugelgestalt an. Es lassen sich alsdann an den freigewordenen Parasiten mit Hülfe der Romanowski sehen Färbung zwei verschiedene Formen unterscheiden. Die eine hat einen großen und kompakten Chromatinkörper, während ihr Plasma nur schwach gefärbt wird, die andere dagegen hat kräftiger gefärbtes Plasma und weniger Chromatin. Bei der ersteren Form tritt das Chromatin in Gestalt von Fäden aus dem Körper des Parasiten heraus. Diese Fäden, welche sich nur in beschränkter Zahl bilden, sind Spermatozoen, welche zur Befruchtung der chromatinarmen Parasiten dienen. Nach der Befruchtung verwandeln sich letztere in würmchenartige Gebilde. Auch die weiteren Entwickelungsstadien der Malariaparasiten verlaufen in einer von den ihnen nahestehenden Mikroorganismen verschiedenen Weise. Aber die ange- gebenen Kennzeichen genügen vollkommen, um die Grenzen der Malariaparasiten von den ihnen benachbarten Gruppen scharf abzugrenzen. Zu den echten Malariaparasiten, welche den angegebenen Merkmalen entsprechen, sind bis jetzt folgende Arten zu rechnen: 1. Der Parasit des quartanen Fiebers. 2. Der Parasit des tertianen Fiebers. Beide sind durch die Untersuchungen von G o 1 g i hinreichend charakterisiert. 3. Der Parasit des Tropenfiebers (von den italienischen Forschern als Ästivoau- tumnalfieber bezeichnet). Für diesen Parasiten ist durch Marchiafava und seine Schüler nachgewiesen, daß er eine besondere Art bildet und einen analogen endogenen Entwickelungsgang besitzt, wie die Parasiten des quartanen und tertianen Fiebers. Alle übrigen Arten von Malariaparasiten, welche beim Menschen vorkommen sollen und als Haemamoeba praecox, Haemamoeba Immaculata, Parasiten der unregelmäßigen Fieber usw. beschrieben sind, entbehren einer ausreichenden Charakteristik. Sie ge- hören, wie sich jetzt wohl schon mit Bestimmtheit behaupten läßt, sämtlich zu Nr. 3. 4. Der malariartige Parasit der Affen. Derselbe wurde von mir bei afrikanischen Affen entdeckt. Er ist morphologisch den menschlichen Parasiten, und zwar am meisten demjenigen des Tertianfiebers nahestehend. Eine genauere Beschreibung desselben wird von Prof. K o s s e 1 in dieser Zeitschrift gegeben werden. ^) Das Pyrosoma bigeminum, der Parasit des Texasfiebers, gehört offenbar nicht zur Gruppe der eigentlichen Malariaparasiten, obwohl es ebenfalls in oder auf den roten Blutkörperchen seinen Sitz hat. Es bildet kein Pigment und weicht in seinem Entwicklungsgang wesentlich von den Malaria- parasiten ab. 2) Unter endogener Entwicklung verstehe ich die Veränderungen, welche der Parasit im ur- sprünglichen Wirt, also im Blute des malariakranken Menschen oder Tieres durchmacht, unter exo- gener Entwicklung seine Veränderungen im Zwischenwirt. über die Entwicklung der Malariaparasiten. 373 5. Proteosoma Grassii (Labt e). Von G r a s s i im Blute von Vögeln entdeckt und durch L a b b e als besondere Art abgegrenzt. 6. Halteridium Danilewskyi (Labbe). Ein ebenfalls im Vogelblute lebender Parasit, dessen verschiedene Entwickelungsstadien von D a n i 1 e \v s k y als verschiedene Arten beschrieben, von Labbe zu einer Art zusammengefaßt sind. Bei der vermehrten Aufmerksamkeit, welche diesen Parasiten in letzter Zeit ge- widmet wird, ist zu erwarten, daß die Zahl der bekannten Arten bald eine erheblich größere sein wird. Vielleicht gehören dazu die von K o 1 1 e bei Rindern und die von D i o n i s i -) bei Fledermäusen gefundenen Blutparasiten. Die zur Gruppe der echten Malariaparasiten gehörigen Mikroorganismen zeigen, soweit sie bisher erforscht sind, in ihrem Entwickelungsgange eine sehr weitgehende Ana- logie. Es lassen sich zwar die einzelnen Arten stets auseinander halten, namentlich wenn man sich nicht auf die Beobachtung eines einzigen Entwickelungsstadiums beschränkt; aber alle die Eigentümlichkeiten, auf welche oben liingewiesen wui'de, kehren bei jeder Art wieder, und wir sind deswegen nach den bisherigen Erfahrungen zu der Voraus- setzung berechtigt, daß, wenn es gelingt, die Entwickelungsgeschichte einer Art zu ver- folgen oder in irgendwelchen Punkten zu ergänzen, auch für alle übrigen Arten analoge Verhältnisse zu erwarten sind. Wenn z. B. gefunden wird, daß Halteridium und Proteo- soma nach der Befruchtung in würmchenartige Gebilde übergehen, so müssen wir an- nehmen, daß derselbe \"organg auch bei den drei Parasiten der menschlichen Malaria vorkommen und schließlich einmal gefunden werden muß. Oder wenn das Proteosoma nach, dem Würmchenstadium am Magen der Stechmücke Ivokkidienähnliche Kugeln bildet, welche Sichelkeime produzieren, sc ist vorauszusetzen, daß auch alle übrigen zu dieser Gruppe gehörigen Parasiten das Kokkidienstadium und Produktion von Sichelkeimen in Stechmücken oder einem anderen geeigneten Zwischenwirt durchmachen müssen. Es liegt auf der Hand, wie außerordentlich wichtig unter diesen Umständen das Studium der tierischen Malariaparasiten, mit welchen leichter zu experimentieren ist als mit den menschlichen, sein nitiß. Alles was an ersteren gefunden wird, gilt in analoger Weise auch für die letzteren. Von solchen Voraussetzungen ausgehend, habe ich mich, als ich aus den Tropen zurückkehrte und keine malariakranken Menschen mehr für meine Studien zur Ver- fügung hatte, ohne Verzug der Untersuchung der Malaria bei Tieren zugewendet. Hierbei sind mir die Herren Prof. R. Pfeiffer und Prof. H. K o s s e 1 behülflich gewesen. Ersterer hauptsächlich bei den Untersuchungen über Proteosoma, letzterer bei den- jenigen über Halteridium. Viel neues haben unsere Arbeiten zwar nicht zutage ge- fördert. Aber es ist uns doch gelungen, die Entdeckungen anderer, welche bis dahin ohne rechten Zusammenhang geblieben waren, zu bestätigen, in einigen Punkten zu er- gänzen und, worauf wir besonderen Wert legen, in ihrem Zusammenhange soweit zu verfolgen, als es an dem uns zu Gebote stehenden Material möglich war. I. Halteridium. Dieser Parasit findet sich bei Vögeln, und zwar bei vielen verschiedenen Arten. D a n i 1 e w s k y hat schon darauf aufmerksam gemacht, daß fast nur die sogenannten Nesthocker (Raubvögel, Klettervögel, Singvögel, Tauben) mit Halteridium infiziert ^) K o 1 1 e , Über einen neuen pathogenen Parasiten im Blute der Rinder in Südafrika. Zeit- sclirift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. XXVII. 2) D i o n i s i, I parassiti endoglobulari dei pipistrelli. Atti della Reale Aecademia dei Lincei, 1898. Vol. VII, Fig. S u. 9. 374 über die Entwicklung der Malariaparasiten. gefunden werden. Ich kann dies vollkommen bestätigen, da ich unter Hunderten von Vögeln, welche ich untersuchte, das Haiteridium stets bei Nesthockern angetroffen habe. Nur einmal wurden bei einem Rebhuhn (Ostafrika) einige Exemplare von Haiteridium gefunden. Besonders bevorzugt werden von den Parasiten die Tauben, sowohl die Haus- tauben, wie die zahlreichen Arten von wilden Tauben. Recht häufig habe ich sie ferner gesehen bei Sperlingen, Finken, Hähern, kleinen Raubvögeln. Sehr merkwürdig ist die örtliche Verbreitung des Halteridiums. In den Tropen und in subtropischen Ländern trifft man nur wenige Tauben, Avelche nicht mit Haiteridium infiziert sind. In Süd- afrika, in Bombay, in Ostafrika, und zwar nicht nur an der Küste, sondern auch im Inneren des Landes habe ich fast bei allen daraufhin untersuchten Tauben den Parasiten recht oft in sehr großer Anzahl gefunden. In Italien war das Vorkommen schon nicht mehr so regelmäßig. Tauben, welche aus der Campagna, d. h. aus der Umgebung von Rom gekauft waren, hatten zum großen Teil den Parasiten in ihrem Blute, Tauben aus Rom selbst waren dagegen sämtlich frei davon. In Norddeutschland, wo das Haiteridium bei anderen Vögeln oft genug vorkommt, war es uns nicht möglich, auch nur eine einzige infizierte Taube aufzutreiben. Prof. Frosch hat 69 Tauben aus 19 verschiedenen Orten Norddeutschlands untersucht und nicht ein Tier gefunden, welches Haite- ridium hatte^). Etwas Ähnliches Heß sich in bezug auf Sperlinge konstatieren. Unter den Sperlingen der römischen Campagna hatten ungefähr 50 Proz. Halteridien. Von 74 Sperlingen, welche in der Umgebung von Berlin gefangen waren, enthielt kein einziger den Parasiten. Dagegen wurden die zur selben Zeit und aus derselben Gegend bezogenen Buchfinken (Fringilla caelebs L.) fast ohne Ausnahme stark infiziert gefunden. Ebenso erwiesen sich in der Nähe von Berlin aus dem Neste genommene Baumfalken (Falco subbuteo L.) sehr stark infiziert. Ein anderes bemerkenswertes Verhalten zeigt das Haiteridium insofern, als es bisher nur ausnahmsweise gelungen ist, dasselbe von einem Tier auf das andere zu über- tragen. In 83 sehr sorgfältig angestellten Experimenten, welche d i M a 1 1 e i 2) zur Übertragung der Halteridien von Tauben auf Tauben machte, wurde kein einziges Tier infiziert. Auch uns ist es trotz zahlreicher Versuche niemals geglückt, die Halteridien von Finken, Falken und italienischen Tauben auf hiesige Tauben und Sperlinge zu über- tragen. Wenn man mit Halteridien experimentieren will, bleibt daher nichts anderes übrig, als eine Anzahl Vögel zu untersuchen, bis man geeignete Tiere herausfindet. In • unseren Gegenden bieten Finken und Baumfalken die meiste Aussicht, aber auch nur während der warmen Jahreszeit. Gegen den Herbst und Winter zu nimmt die Zahl der Parasiten erheblich ab und schließlich können sie ganz verschwinden. In südlichen Ländern fällt es nicht schwer, jeder Zeit unter Tauben und Sperlingen Tiere mit sehr zahlreichen Halteridien im Blute zu finden. Bei der Untersuchung des Blutes solcher Tiere finden sich, auch wenn sie wieder- holt und zu ganz verschiedenen Zeiten geschieht, vorwiegend ausgewachsene Parasiten, welche bereits die charakteristische hanteiförmige Gestalt erreicht haben (Taf . XXX, Fig. 1 ). Junge Parasiten werden zwar gelegentlich auch angetroffen, bleiben aber fast immer in der Minderzahl. Teilungszustände, wie sie beim Proteosoma und den verschiedenen Arten der menschlichen Malaria regelmäßig zu beobachten sind, kennt man vom Halte- 1) Vgl. die damit überein-stimmenden Beobachtungen von L a v e r a n. Derselbe fand Halte- ridien bei Tauben, welche aus Toskana bezogen waren, aber trotz wiederholter Versuche niemals bei französischen Tauben, obwohl das Halteridimii bei anderen Vögeln in Frankreich vorkommt. — L a V e r a n, Traite du paludisme, 1898, p. 453. 2) Eiforma medica, 1891, und Arch. per le sc. med. 1895. Uber die Entwicklung der Malariaparasiten. 375 ridium bis jetzt nicht. Alles was man dafür gehalten und als solche abgebildet hat, entspricht nicht den Teilungsformen der anderen Malariaparasiteia. Auch uns sind öfters Parasiten begegnet, welche an den kolbigen Enden ein traubenförmiges Aussehen zeigten und den Anschein erweckten, als ob ein beginnender Teilungsprozeß vorliegen könne. Aber es zeigte sich stets, wenn derartige Parasiten mit dem R o m a n o w s k y sehen Färbungs- verfahren behandelt wurden, daß der Chromatinkörper an dieser scheinbaren Teilung nicht beteiligt war. Als eine echte Teilung würde man es nur dann gelten lassen können, wenn die aus der Teilung hervorgehenden jungen Parasiten einen entsprechenden Anteil von Chromatin erhalten hätten, was hier nicht der Fall war. Auch fehlte das charakteristi- sche Zusammenballen des Pigmentes, welches die anderen Malariaparasiten bei der Teilung niemals vermissen lassen. Selbst in den inneren Organen, insbesondere in der Milz und im Knochenmark von Halteridiumvögeln konnten trotz vielfacher Untersuchungen keine Teilungsformen gefunden werden. Über den endogenen Entwickelungsgang des Halte- ridium schwebt somit noch ein gewisses Dunkel und wir können diesen Lebensabschnitt des Parasiten für die ätiologischen Studien, wenigstens vorläufig nicht verwerten. Da- gegen ist uns das Halteridium für die Erforschung eines anderen Abschnittes, nämlich für die ersten Stadien der exogenen Entwickelung von der größten Bedeutung, da wir dieselben gerade bei diesem Parasiten unmittelbar unter dem Mikroskop verfolgen können. Um für diesen Zweck genügende Präparate zu gewinnen, empfiehlt es sich, Vogel- blut mit so zahlreichen Parasiten zu benutzen, daß in jedem Gesichtsfeld mehrere infizierte Blutkörperchen zu finden sind. Die Beobachtung des Entwickelungs Vorganges gelingt damit öfters schon unter den einfachsten Bedingungen, nämlich in einem Blut- tröpfchen, welches auf den Objektträger gebracht und mit dem Deckglase bedeckt ist. Aber zweckmäßiger ist es, wie K o s s e 1 gefunden hat, in folgender Weise zu verfahren, namentlich wenn es sich um länger dauernde Beobachtungen handelt. Man bereitet sich eine Mischung von Vogelblutserum, z. B. Taubenserum, mit 0,6 Prozent Kochsalzlösung, und zwar im Verhältnis von 1 Proz. Serum auf 9 Proz. Koch- salzlösung. Von diesem Gemisch wird ein flacher Tropfen auf das Deckglas gebracht und eine geringe Menge des Halteridienblutes — etwa so viel wie an der Spitze eines Platin- drahtes hängen bleibt — hinzugesetzt. Die weitere Entwickelung der Parasiten kann alsdann im hohlen Objektträger oder in der Weise verfolgt werden, daß eine Anzahl so beschickter Deckgläser in der feuchten Kammer gehalten und der Reihe nach frisch oder getrocknet und gefärbt untersucht werden. Es ist nicht notwendig, daß die Prä- parate bei Bruttemperatur gehalten werden, die gewöhnliche Zimmertemperatur genügt vollkommen. In einem gut gelungenen Präparate gehen die Veränderungen der Para- siten verhältnismäßig schnell vor sich. Schon nach wenigen Minuten gehen die Para- siten aus der langgestreckten hanteiförmigen in eine kugelrunde Gestalt über. Das rote Blutkörperchen erscheint dann noch unverändert, aber sehr bald darauf löst sich die Hämoglobinmasse des Körperchens in der umgebenden Flüssigkeit auf, so daß sie unter den Augen des Beobachters plötzlich zu verschwinden scheint. Infolgedessen wird der kugelförmige Parasit frei ; er bleibt zunächst noch neben dem Kern des roten Blutkörper- chens, welcher zurückgeblieben ist, regungslos liegen. Innerhalb der nächsten Minuten erscheinen dann aber 4 bis 8 fadenförmige, lebhaft bewegliche Gebilde an seinem Rande. Eine kurze Zeit bleiben diese Fäden mit dem Parasiten im Zusammenhange und werfen die in der Nähe befindlichen Blutkörperchen durch kräftige, peitschenartige Bewegungen hin und her, bald darauf reißen sie sich los und schwimmen davon. Das Aussehen des Parasiten gleicht, wenn er mit den beweglichen Fäden besetzt ist. einigermaßen dem- jenigen eines mit Geißelfäden versehenen Infusoriums vnid man hat deswegen die eigen- tümlichen Gebilde für Geißelfäden, d. h. für Fortbewegungsorgane gehalten. Aber schon 376 Über die Entwicklung der Malariaparasiten. daraus, daß der Parasit trotz der sehr kräftigen Bewegungen der Fäden sich nicht von der Stelle rührt, hätte sich das Irrige dieser Auffassung ergeben müssen. Nun kommt aber noch hinzu, daß die Fäden sich loslösen und selbständig fortbewegen, ferner, daß nur ein Teil der Parasiten die beweglichen Fäden bildet, ein anderer Teil dagegen ohne solche bleibt. Alles dies mußte den Verdacht erregen, daß es sich hier nicht um den Übergang des Parasiten aus einem Ruhezustand in eine bewegliche Form, sondern um etwas ganz anderes, um einen Kopulations Vorgang handelt. Und so ist es in der Tat. Wenn die Parasiten vor und namentlich nach ihrem Übergange in die Kugelform und im Beginn der Fadenbildung mit dem Romanowsky sehen Färbungsverfahren behandelt werden, dann sind sofort ganz bestimmte Unterschiede wahrzunehmen, und zwar lassen sich zwei Kategorien unterscheiden (Taf . XXX, Fig. 2, 3, 4). Die eine hat einen großen und kompakten Chromatinkörper und blaß blau gefärbtes Plasma, die andere einen kleinen und aufgelockerten Chromatinkörper und kräftig blau gefärbtes Plasma. Nur an den Parasiten der ersteren Kategorie entstehen die beweglichen Fäden, und zwar in der Weise, daß das Chromatin an die Peripherie der Kugel tritt und die Fäden unmittelbar aus ihrer Substanz hervorgehen läßt (Taf. XXX, Fig. 5, 6, 7). Die Fäden sind nicht präformiert, son- dern entstehen erst in dem Augenblicke, wo sie außerhalb des Parasitenkörpers sichtbar werden. An den lebenden Parasiten läßt sich nun auch das weitere Schicksal der fertigen und durch Ablösung von den Parasiten selbständig gewordenen Fäden ohne Schwierig- keit verfolgen (Taf. XXX, Fig. 8, 9) . Dieselben dringen nämlich, wie man unmittelbar unter dem Mikroskope beobachten kann, sobald sie auf einen Parasiten der zweiten Kategorie, welche bis dahin ganz unverändert geblieben sind, treffen, in diesen ein. Diese Vorgänge nehmen 10 bis 20 Minuten in Anspruch. Die beweglichen Fäden sind dann zur Ruhe gekommen und es herrscht nun scheinbar wieder Ruhe. Dies dauert jedoch nicht lange. Etwa 30 bis 45 Minuten vom Beginn der Beobachtung an gerechnet wird man an den Parasiten der zweiten Kategorie, welche die Fäden aufgenommen haben, eine anfangs kaum merkbare, aber in kurzer Zeit immer deuthcher werdende Veränderung wahrnehmen. Zuerst wölbt sich die Peripherie des kugelförmigen Parasiten an einer Stelle ein wenig hervor, dann wird die Hervorwölbung immer stärker, sie nimmt eine zapfenartige Gestalt an und wächst zusehends zu einem wurmförmigen Körper, welcher fast immer hornartig gekrümmt ist. In diesem Stadium sieht der Parasit fast so aus, wie manche keimende Pflanzensamen, aus denen der leicht gekrümmte Wurzelkeim her- vortritt (Taf. XXX, Fig. 10, 11, 12, 14). Die weitere Entwickelung geht dann in der Weise vor sich, daß das wurmförmige Gebilde sich mehr und mehr aus der ursprünglichen Kugel herauswindet und schließlich als ein fertiges Würmchen sich von den Resten der Kugel losmacht (Taf. XXX, Fig. 13, 14). Diese Reste bestehen im wesentlichen aus dem Pigment, welches das Halteridium in seinem Plasma als unverdauliche Reste seiner Nahrung ange- häuft hatte und welches nun als tote Masse zurückbleibt. In dem Würmchen lassen sich, wenn es nach Romanowsky gefärbt wird, drei verschiedene Bestandteile unter- scheiden. Zunächst ein schön rubinrot gefärbter, mäßig großer Chromatinkörper, dann das bläulich gefärbte Plasma, welches den bei weitem größten Teil des Parasiten bildet, und drittens im Plasma um-egelmäßig verteilte, ungefärbt bleibende, kreisförmig ge- staltete Flecken (Taf. XXX, Fig. 15). Mitunter finden sich im Plasma vereinzelte Pigment- körnchen, welche offenbar noch aus dem Halteridium stammen. In der Regel sind aber die eben geschilderten Würmchen ganz frei von Pigment. Erst einige Zeit später sind, wie Prof. Frosch gefunden hat, von neuem Pigmentkörnchen im Plasma der Würm- chen zu bemerken. Da inzwischen die Würmchen auch an Größe zugenommen haben, so ist wohl anzunehmen, daß sie nach ihrem Freiwerden noch Hämoglobin als Nahrung aufgenommen und infolgedessen von neuem Pigment abgelagert haben. Diese Beob- über die Entwicklung der Malariaparasiten. 377 achtung hat insofern eine Bedeutung, als, wie wir später sehen werden, die Würnichen in die kokkidienartigen Kugeln übergehen, welche regelmäßig eine gewisse Menge von Pigment enthalten. Es mußte aber die Entstehung dieses Pigments rätselhaft bleiben, so lange man nur das pigmentfreie Stadium der Würmchen kannte. Die Würmchen zeigten bei unseren Untersuchungen nur sehr geringe Eigenbe- wegungen. Sehr langsames Strecken und Krümmen, sowie ebenso träge Drehbewegungen waren alles, was sich erkennen ließ. Zu einer weiteren Entwickelung der Würmchen im hängenden Tropfen oder in der feuchten Kammer kam es nicht. Man konnte sie tagelang beobachten, ohne daß etwas weiteres aus ihnen geworden wäre. Schließlich starben sie ab und zerfielen in formlose Massen. Mit Rücksicht auf die Entwickelung des Proteosoma ist anzunehmen, daß die weiteren Veränderungen des Halteridium in einem Zwischenwirt vor sich gehen müssen. Es ist deswegen wohl ziemlich aussichtslos, mit der Beobachtung im hängenden Tropfen weiter zu kommen, als hier geschildert wurde. Auf jeden Fall hat uns die Untersuchung des Halteridium in diesem so besonders wichtigen Stadium gelehrt, dal.^ die Malariapara- siten neben der endogenen einfachen Fortpflanzung durch Teilung eine zweite exogene Fortpflanzimg besitzen, welche sich als auf einem sexuellen Vorgange beruhend auf einer höheren Stufe bewegt. Wir werden dementsprechend in Zukunft nicht mehr von Geißelkörpern und Flagellaten der Malariaparasiten sprechen können, sondern werden zwischen weiblichen und männlichen Parasiten zu unterscheiden haben, von welchen letztere Sperinatozoen entwickeln, die zur Befruchtung der weiblichen Elemente bestimmt sind. Nachdem wir die vorstehenden Untersuchungen bereits volllcommen abgeschlossen hatten, stellte sich heraus, daß schon von anderer Seite ähnliche, zum Teil auch gleiche Beobachtungen gemacht und beschrieben sind. Daß die Spermatozoen des Halteridium unmittelbar aus dem ( Uiromatin hervor- gehen, hat S a k h a r o f f bereits gesehen^). Von seinen Photogrammen läßt allerdiiigs nur eins (Fig. 10) den Vorgang deutlich erkennen. Es scheint ihm die Färbung des C'hro- matins und der Spermatozoen doch nur unvollkommen gelungen zu sein und er hat infolgedessen auch nicht die richtige Deutung gefunden. S a k h a r o f f hält nämlich die Vorbereitung der Parasiten zur sexuellen Fortpflanzung für einen Teilungsvorgang und faßt die Bildung der Spermatozoen als Karj'okinese und die Spermatozoen selbst als Chromosomen auf. Er glaubt, daß die Karyokinese durch Kältewirkung gestört und daß das Freiwerden der Chromosomen ein abnormer Prozeß sei. Dementsprechend hält er auch eine weitere Entwickelung der Chromosomen, nachdem sie sich vom Protoplasma getrennt haben, für unmöglich. S i m o n d -) ist dagegen wohl der erste gewesen, welcher bei den den Malaria- parasiten so nahe verwandten Kokkidien die vermeintlichen GreiL^eln richtig als Sperma- tozoen erkannt hat. Das Würmchenstadium des Halteridium ist von D a n i 1 e w s k y ^) zuerst gesehen. Die von ihm gegebenen AbbilcUmgen (Fig. 4 und 5) zeigen die charakteristische Krümmung des Würmchens, wenn es im Begriff ist, sich aus dem kugelförmig gewordenen Parasiten herauszu winden. Sie stimmen mit unseren Beobachtungen vollkommen überein (vgl. die beigefügten Photogramme). Danilewsky hielt diese Gebilde indessen für selbst- M Zentralblatt für Bakteriologie, Bd. XVIII, Nr. 12 u. 13. — Annales de l'Institut Pasteur, 1893, Nr. 12. 2) Annales, de l'Institut Pasteur, 1897, Nr. 6. ^) Danilewski, La Parasitologie comparee du sang, I, Charkoff 1889. 378 Über die Entwicklung der Malariaparasiten. ständige Parasiten, welche zufällig neben dem Halteridium im Vogelblut gefunden wurden, ebenso wie er auch die spermatozoenbildenden, männlichen Parasiten als eine besondere Art auffaßte und Polimitus sanguis avium nannte. Von dem wahren Zusammenhange zwischen diesen verschiedenen Formen und ihrer Bedeutung hatte er offenbar keine Ahnung. Am vollständigsten sind die Untersuchungen von M a c C a 1 1 u m.^) Er hat den Unterschied zwischen den männlichen und weiblichen Formen des Halteridium erkannt und hat den Befruchtungsvorgang, sowie die Bildung der Würmchen gesehen.-) II. Proteosoma. Das Proteosoma ist vom Halteridium, wenigstens in den erwachsenen Formen, leicht zu unterscheiden. Während das Halteridium nicht imstande ist, den Kern des roten Blutkörpers aus seiner Lage zu verdrängen und deswegen, sich ihm anschmie- gend, die hanteiförmige Gestalt annehmen muß, drängt das Proteosoma, sobald es heran- wächst, den Kern zur Seite. Letzterer wird dabei nach einem der Pole des Blutkörpers geschoben und zugleich um seine Achse gedreht, so daß er quer gelagert erscheint. Es entsteht dadurch ein ganz charakteristisches Bild, welches nur dem mit Proteosoma in- fizierten Blutkörper eigen ist (Taf. XXXI, Fig. 1, 2). Mitunter begegnet man auch infizierten roten Blutkörpern, deren Kern ganz verschwunden ist. Vermutlich ist er in diesem Falle durch den Parasiten völlig herausgedrängt. Aufgezehrt wird der Kern vom Parasiten nicht, da man sonst gelegentlich teilweise zerstörte Kerne sehen müßte, was nicht dei Fall ist; wenn sie neben dem Parasiten vorhanden sind, sind sie stets unverändert. Das Proteosoma ist bisher nur in südlichen Ländern beobachtet. In Deutschland ist es, soweit mir bekannt ist, noch niemals gefunden. Nur in einem Falle hat Prof. Frosch bei einigen Sperlingen, welche in Weißensee bei Berlin gefangen waren, Parasiten im Blute beobachtet, welche anscheinend Proteösomen waren. Leider gelangen Übertragungsversuche nicht und es ließ sich infolgedessen die Identität dieser Parasiten mit dem italienischen Proteosoma nicht mit voller Sicherheit feststellen. Für unsere Untersuchungen benutzten wir Proteösomen, welche im Blute von Stieghtzen und Sperlingen, aus der weiteren Umgebung Roms stammend, gefunden waren. Auch in dieser Gegend waren die mit Proteosoma infizierten Vögel nicht häufig. Wir erhielten sie nur von wenigen, ganz bestimmten Stellen, während sie in den übrigen Teilen der Campagna Romana zu fehlen schienen. Sobald wir erkannt hatten, daß die Beschaffung der infizierten Vögel nicht so leicht war, wie beim Halteridium, versuchten wir, um hinreichendes Untersuch angs- material stets zur Hand zu haben, die Proteösomen auf andere Vögel zu übertragen, was glücklicherweise auch ohne zu große Schwierigkeiten gelang. Prof. Pfeiffer hat hierüber umfangreiche Versuche angestellt und ist zu folgenden Ergebnissen gelangt. Römische sowohl als deutsche Sperlinge erkrankten nach der Infektion, welche durch Einspritzung verdünnten Proteosomenblutes in den Brustmuskel bewerkstelligt wurde, ohne Ausnahme, doch in sehr verschiedenem Grade. Manche waren sichtlich nicht krank und es erforderte sorgfältige mikroskopische Untersuchung, um die Para- ^) The .Journal of experimental medicine, 1898, Bd. III, Nr. 1. '-) Gegenüber einer voreiligen und gänzlich überflüssigen Reklamation Nuttalls (Deutsche Med. Wochenschrift, 1899, Nr. 8) in bezug auf die Priorität M a c C a 1 1 u m s möchte ich ausdrücküch bemerken, daß unsere Untersuchungen über das Halteridium vollständig beendigt waren, als wir von der Arbeit Mac C a 1 1 u m s Kenntrüs erhielten, also in keiner Weise davon beeinflußt sein konnten. Die Priorität der Veröffentlichung gebührt selbstverständlich Mac C a 1 1 u m. Uber die Entwicklung der Malariaparasiten. 379 siten und damit das Vorhandensein der Krankheit nachzuweisen. Bei anderen Sperlingen, welche in der nämlichen Weise und mit demselben Blute infiziert waren, verlief die Krank- heit dagegen sehr schwer und endete dann in der Regel mit dem Tode. In solchen Fällen saßen die Tiere mit gesträubtem Gefieder still in einer Ecke, ohne Futter oder Wasser zu sich zu nehmen. Das Blut war sehr reich an Parasiten, so daß unter Umständen fast sämt- liche roten Blutkörper mit Parasiten besetzt waren. Zwischen diesen beiden Extremen finden sich alle Übergänge. Das Inkubationsstadium dauerte meistens bis zum 4. Tage. Die Höhe der Krankheit trat zu sehr verschiedener Zeit ein, gewöhnlich aber nicht vor dem 14. Tage. Dann fingen, sofern die Krankheit nicht tötlich verlief, die Krank- heitserscheinungen an langsam abzunehmen, und nach 3 bis 4 Wochen waren die Vögel wieder vollkommen gesund. Kanarienvögel sind sehr empfänglich. Es wurden weit über 100 derselben infiziert, ohne daß die Infektion einmal mißlungen wäre. Bei diesen Vögeln dauert die Inkubation ebenfalls etwa 4 Tage ; der weitere Verlauf der Krankheit ist dann aber kürzer und schwerer, als bei den Sperlingen. Die Höhe der Krankheit fällt schon auf den 8. bis 10. Tag. Am 12. Tage sind die vorher sehr zahlreichen Parasiten bereits selten geworden und vom 14. Tage ab verschwunden. Da bei den Kanarienvögeln die Krankheit eine so scharf begrenzte Dauer hatte, so konnten dieselben nach überstandener Krankheit auf eine etwa vorhandene Immunität geprüft werden. Es ist dies an 12 Tieren versucht. Sie erhielten 4 Wochen nach überstandener Infektion eine zweite reichliche Einspritzung von Proteosomenblut. Danach blieben 10 Vögel ganz gesund und es konnten niemals Parasiten in ihrem Blute nachgewiesen werden. 2 Vögel erkrankten leicht. Es zeigte sich also, daß nach überstandener Proteosomenkrankheit eine ganz ausgesprochene Immunität zurückbleibt. Von anderen Vogelarten verhalten sich die Stieglitze ebenso wie die Sperlinge. Kreuzschnäbel zeigten einen mittleren Grad von Empfänglichkeit. Rotkehlchen konnten leicht infiziert werden, erkrankten aber nur in sehr geringem Grade. Alle übrigen Vogelarten widerstanden der Infektion. So namentlich die Tauben. Ferner verschiedene Drosselarten, Krähen, Buchfinken, mehrere Meisenarten, Lerchen, Neuntöter. Auch ein Affe wurde vergeblich zu infizieren versucht. Wir wählten für unsere Übertragungsversuche vorzugsweise Kanarienvögel, weil bei diesen Irrtümer durch spontane Infektion wohl mit vollkommener Sicherheit ausge- schlossen werden konnten. Das Proteosoma eignet sich aus mehrfachen Gründen von allen uns zu Gebote stehenden Parasiten dieser Gruppe bei weitem am besten zum Studium der Entwicke- lungsgeschichte der Malariaparasiten. Schon die leichte Übertragungsfähigkeit erleichtert das Experimentieren damit in hohem Grade. Außerdem gestattet aber das Proteosoma einen fast vollkommenen Einblick in den zweifachen Vorgang der Fortpflanzung, sowohl in den endogenen der einfachen Teilung, als auch in den exogenen der sexuellen Vermehrung. Wenn man das Blut eines A-'ogels untersucht, welcher an der Proteosomenkrankheit schwer leidet, dann findet man im Blute desselben in der Regel die Proteosomen in allen Stadien der endogenen Entwickelung, von den kleinsten Parasiten, welche in Gestalt eines kreisförmigen oder ovalen Plasmakörperchens neben dem Kern des Blutkörpers hegen, bis zu den völlig entwickelten Parasiten, welche den Kern zur Seite gedrängt haben. In den jüngsten Formen ist noch kein Pigment zu erkennen, sie bieten wenig Charakteristisches und könnten leicht mit anderen indifferenten Körperchen verwechselt werden, welche sich zufällig der Oberfläche des Blutkörpers angeheftet haben. Aber \ 380 über die Entwicklung der Malariaparasiten. sobald man die Romanowsky - Färbung anwendet, tritt die wahre Natur des Pa- rasiten sofort zutage. Selbst die kleinsten Parasiten sind mit einem verhältnismäßig großen Chromatinkern versehen, dessen leuchtend rubinrote Farbe, umgeben vom bläu- licligefärbten Plasma, gar nicht zu verkennen ist. Je größer der Parasit wird, um so reicher wird er an feinkörnigem Pigment. Die erwachsenen Parasiten sind von rundlicher Gestalt und kommen an Größe und Aussehen den menschlichen Tertian- und Quartan- parasiten sehr nahe. Ziemlich häufig findet sich im Blutie auch die höchste Stufe der endogenen Ent- wickelung, nämlich die Teilung des Parasiten. Dieselbe beginnt damit, daß das Pigment, welches bis dahin ziemlich gleichmäßig in der Substanz des Parasiten verteilt ist, sich zusammenballt und daß zugleich eine Zerklüftung des Plasmas sich vollzieht. Das Plasma zerfällt in der Regel zuerst in 4, dann in 8 und schließlich durch immer weitergehende Teilung in 16 Teile, von denen jeder aus einem Stückchen Chromatin und einem kaum merkhchen Anteil von Plasma besteht (Taf . XXXI, Fig. 3, 4, 5). Die so entstandenen Teil- körper sind die jungen Parasiten, welche sich sehr bald voneinander trennen, sich neuen Blutkörpern anheften und den Kreislauf von neuem beginnen. Das Pigment bleibt als tote Masse zurück. Im Zustande der Teilung hat das Proteosoma die größte Ähnlichkeit mit den Teilungsformen der tropischen Malaria des Menschen. Dieselbe geht so weit, daß es kaum möghch ist, diese beiden Arten der Malariaparasiten, wenn sie nicht zufällig auf oder neben roten Blutkörpern liegen, zu unterscheiden (vgl. Photogramme Taf. XXXI, Fig. 6, und Taf. XXXII, Fig. 9). Eine in scharf abgegrenzten Perioden verlaufende Entwickelung, wie sie bei der menschlichen Malaria in so typischer Weise sich abspielt, haben wir bei der Proteosomen- krankheit nicht gefunden. Man trifft jederzeit die Parasiten in allen Stadien der Ent- wickelung, und auch die Krankheitserscheinvmgen zeigen dementsprechend beim Vogel keine Intermissionen, sondern bewegen sich gleichmäßig fort. Die exogene Entwickelung läßt sich beim Proteosoma in ihren Anfängen nicht so gut verfolgen, wie beim Halteridium. Es gelingt zwar auch ohne Schwierigkeit, im hängen- den Tropfen die Entwickelung und das Ausschwärmen der Spermatozoen zu beobachten, aber damit hört es auch auf. Zur Bildung der Würmchen kam es niemals in unseren Präparaten. Hier bheb also nichts weiter übrig, als zu versuchen, ob die Weiterentwickelung nicht in einem Zwischenwirt vor sich gehen würde. Zu diesem Zwecke wurden kranke Vögel zusammen mit Stechmücken unter ein Moskitonetz gebracht. Wir benutzten jedoch zunächst nur solche Mücken, welche sich in der Gefangenschaft aus Larven entwickelt hatten, um sicher zu sein, daß sie nicht schon vorher infiziert waren. Dabei stellte sich sehr bald heraus, daß nur eine ganz be- stimmte Art von Stechmücken, nämhch Culex nemorosus, die Vögel sticht und in ihrem Körper die Proteosomen zur weiteren Entwickelung bringt. Alle anderen Mückenarten, mit welchen wir Versuche anstellen konnten, stachen die Vögel überhaupt nicht; sie gingen eher zugrunde, als daß sie einen Vogel anrührten. Nachdem wir dies erfahren hatten, konnten wir, da Culex nemerosus sich in beliebigen Mengen beschaffen ließ und auch Vögel mit Proteosomen stets zur Verfügung standen, in zahlreichen Versuchen die exogene Entwickelung des Proteosoma im Zwischenwirt in ausgiebiger Weise studieren. Dieselbe gestaltet sich nun folgendermaßen. Schon 12 bis 15 Stunden, nachdem die Mücken proteosomenhaltiges Blut gesogen hatten, zeigten sich in dem Mageninhalte die Parasiten in Würmchen verwandelt, und zwar fanden wir alle Übergänge von den ersten Anfängen bis zu vollständig entwickelten Würmchen. Die Bildung der Proteo- somenwürmchen verhält sich ganz analog derjenigen der Halteridien würmchen. Zuerst Uber die Entwicklung der Malariaparasiten. 381 kommt an dem kugelförmigen Parasiten ein Fortsatz zum Vorschein ; derselbe verlängert sich immer mehr und krümmt sich dabei und schließlich schlüpft das fertige Würmchen aus der Hülle unter Zurücklassung des Pigments heraus (Taf. XXXI, Fig. 7 bis 13). Die Proteosomenwürmchen haben eine große Ähnlichkeit mit den Halteridienwürmclien; aber sie unterscheiden sich doch von ihnen in unverkennbarer Weise dadurch, daß sie schlanker und etwas länger sind. Im übrigen haben sie ebenfalls einen kräftigen Chro- matinkörper und einige ungefärbt bleibende Vakuolen. Bis 48 Stunden nach dem Saugen trifft man im Mückenmagen Würmchen. Dann sind sie verschwunden. Aber dafür erscheinen nun an der Außenseite des Magens durch- sichtige, kugelförmige Gebilde, welche regelmäßig einige kreisförmig angeordnete Pig- mentkörnchen enthalten und dadurch sich sofort kenntlich machen (Taf. XXXIII, Fig. 2). In den nächsten Tagen werden die Kugeln immer größer, ihr Inhalt wird granuliert und verwandelt sich gegen den 6. bis 7. Tag in zahlreiche Sichelkeime. Die Entstehung der Sichelkeime geht in der AVeise vor sich, daß in den kugelförmig gestalteten Parasiten eine Anzahl sekundärer Kugeln sich bilden und daß sich der Inhalt der letzteren in ein Bündel von Sichelkeimen verwandelt (Taf. XXXIII, Fig. 3, 4). Die Siclielkeime hängen anfangs noch mit ihren Spitzen zusammen, was sich zu erkennen gibt, wenn durch Druck die großen Kugeln zum Platzen gebracht werden. Man sieht dann die frei gewordenen Sichelkeime meistens zu Gruppen verbunden, welche mit einem von ihren beiden Enden zusammenhängen (Taf. XXXI, Fig. 14). Die großen Kugeln, welche, wenn sie mit Sichelkeimen gefüllt sind, ganz das Aus- sehen von in dem gleichen Stadium befindlichen Kokkidienkugeln haben, platzen offen- bar nach erlangter Reife, da man um diese Zeit in der Bauchhöhle und in den Spalten zwischen den Brustmuskeln der IMücke zahlreiche frei SicheUveime findet. Diese Uber- schwemmung des Mückenkörpers mit den jungen Parasiten dauert indessen nur kurze Zeit; denn vom 9. bis 10. Tage ab trifft man die Siclielkeime nur noch an einer Stelle im Mückenkörper, nämlich in der Giftdrüse, und zwar hauptsächlich im mittleren Lappen derselben ; hier sind sie dann aber auch gewöhnlicli in großer Menge angehäuft (Taf. XXXIII, Fig. 5, 6). Die Sichelkeime zeigen im lebenden Zustande keine deutlichen aktiven Bewegungen Es erschien uns mitunter so, als ob sie sich ein wenig krümmten und wieder streckten auch wohl um ihre Achse drehten, doch blieb es unsicher, ob es sich dabei um Eigen- bewegungen handelte. Nach Romano w s k y gefärbt, lassen sie regelmäßig in ihrer Mitte ein Chromatinkorn erkennen, welches in einer schwach gefärbten Zone liegt. Das Plasma nimmt eine nach den Enden zu intensiver werdende bläuliche Färbung an. Diese Ergebnisse unserer Untersuchung über die weitere Entwickelung der Pro- teosomen im Körper der Stechmücke stimmen vollkommen überein mit den Angaben, welche R. R o ß darüber gemacht hat und dienen somit als eine Bestätigung seiner wichtigen Entdeckung. Unsere Befunde gehen nur insofern etwas weiter, als es uns ge- lungen ist, auch das Würmchenstadium des Proteosoma zu finden und die Entstehung der Sichelkeime in den Kugeln, sowie die Struktur der Sichelkeime selbst etwas genauer zu bestimmen. Auch die eigentümlichen, dunkelbraun gefärbten Körper, welche Roß beschrieben und abgebildet hat (Taf. XXX, Fig. 20 seiner Abhandlung), haben wir gesehen. Diese Körper finden sich nicht selten im Inneren der kokkidienartigen Kugeln, aber doch nur immer bei einzelnen Mücken, dann allerdings in mehreren, mitunter zahlreichen Exemplaren. Sie haben das Aussehen einer knorrigen, verästelten Wurzel und erinnern an Pilzmyzelien mit dicken, kurzen Zweigen. Irgendwelche Anhaltspunkte über das. 1) E. E o s s, Report on the Cultivation of proteosoma in grey mosquitos, Kalkutta 1898. 382 über die Entwicklung der Malariaparasiten. was sie vorstellen könnten, haben wir nicht gewonnen und müssen uns deswegen jedes Urteils über ihre Bedeutung enthalten. Nach dem Vorgange von Roß haben wir ferner versucht, die Sichelkeime wieder von der Mücke auf den Vogel zu übertragen, um so den Kreis der natürlichen Infektions- weise vollkommen abzuschließen. Es geschah dies in der Weise, daß Mücken, welche Proteosomenblut gesogen hatten, zu einer Zeit, als sie nur noch reife Sichelkeime in ihrer Giftdrüse haben konnten, also am 8. Tage nach dem Saugen, zu gesunden Kanarien- vögeln gesetzt wurden. In der Regel sogen die Mücken nicht zum zweiten Male, sondern starben, nachdem sie ihre Eier abgelegt hatten. Aber in einzelnen Fällen kam es doch dazu, daß die Kanarienvögel von solchen Mücken gestochen wurden, und wir konnten in 2 Fällen eine in dieser Weise gelungene Infektion konstatieren. Da hierbei sowohl in bezug auf die Mücken als auch auf die Kanarienvögel jede anderweitige Infektion absolut ausgeschlossen war, so können wir auch in dieser Beziehung die Angaben von Roß be- stätigen. Allerdings ist uns dieser Versuch nur zweimal, Roß dagegen vielfach gelungen, was möglicherM'eise in den verschiedenen Versuchsbedingungen seine Erklärung findet. Diese Art der RückÜbertragung der Parasiten vom Zwischenwirt auf den ursprüng- lichen Wirt findet also zweifellos statt. Trotzdem halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß die Parasiten auch noch auf anderen Wegen ihren exogenen Entwickelungsgang abschließen können. Ob dies beispielsweise in der Weise möglich ist, daß die Sichelkeime nicht allein in der Giftdrüse, sondern auch in den Eiern abgelagert werden, von da aus in die Larven und in eine folgende Generation von Mücken übergehen und so wieder zur Geltung kommen, hat sich bis jetzt nicht ermitteln lassen. Alle unsere Bemühungen, in den Eiern und Larven der infizierten Mücken die Parasiten nachzuweisen, sind bisher erfolglos geblieben. Wenn wir nun noch einmal auf die gesamte Entwickelung der Malariaparasiten zurückblicken, soweit sich dieselbe aus den Untersuchungen des Halteridium und des Proteosoma ergibt, so gestaltet sich dieselbe nach folgendem Schema : 1. Jüngste Parasiten in Form eines Chromatinkörpers, welchem eine geringe Menge von Plasma beigegeben ist. Pigment noch nicht vorhanden. Dieselben leben in oder auf roten Blutkörpern. 2. Halberwachsene Parasiten. Das Plasma hat an Menge im Verhältnis zum Chro- matin erheblich zugenommen. Ablagerung von Pigment. 3. Erwachsene Parasiten. Weitere Zunahme an Chroma^tin, Plasma und Pigment. 4a. Teilung in eine Anzahl junger • 4b. Trennung des Parasiten vom roten Parasiten unter Abscheidung des Pig- Blutkörper. Erkennbare Differenzierung ments. der Parasiten in männliche und weibliche Die jungen Parasiten beginnen den Individuen. Kreislauf von neuem (1 bis 4). Endogene Entwickelung. Hier beginnt die exogene Ent- wickelung im Zwischen wirt. 5. Befruchtungs Vorgang im Magen des Zwischen wirts. 6. Übergang der weiblichen befruchte- ten Parasiten in Würmchen. 7. Wanderung der Würmchen durch die Magenwand des Zwischenwirts und Ver- wandlung in kokkidienartige Kugeln. über die Entwicklung der Älalariaparasiten. 383 S. Bildung von »Sichelkeimen in den Kugeln. 9. Ablagerung der reifen und frei ge- wordenen Sichelkeinie in der Giftdrüse (ev. in anderen Organen des Zwischenwirts?). 10. Übertragung der jungen Parasiten durch den Stich des Zwischen wirts auf den eigentlichen Vvart. Die Fragen, ob die braunen Körper in der Entwickelungsgeschichte der Malaria- parasiten eine Rolle spielen und ob die Sichelkeime noch andere Wege als durch die Gift- drüse zur Außenwelt nehmen können, müssen vorläufig noch offen bleiben. III. Die Malariaparasiten des Menschen. Von den drei Malariaparasiten des Menschen ist die endogene Entwickelung hin- reichend bekannt und ich habe den Beschreibungen G o 1 g i s in bezug auf die Quartan- und Tertianjjarasiten und den Angaben M a r c h i a f a v a s über die Tropenparasiten (identisch mit den sogenannten Ästivo-Autumnalparasiten) eigentlich nichts hinzuzufügen. In einigen Punkten weichen meine Befunde zwar von denjenigen dieser beiden Forscher ab, es ist dies aber nur in der Verschiedenheit der Untersuchungsmethoden begründet. G 0 1 g i und M a r c h i a f a v a haben ihre Untersuchungen hauptsächlich am flüssigen Blute im unpräparierten Zustande angestellt, während ich in erster Linie getrocknete und gefärbte Deckglaspräparate verwende. Ich halte diese letztere Untersuchungsmethode für vorteilhafter, weil bei derselben die Parasiten in ihrer natürlichen Form und Lage fixiert und durch die Färbung weit deutlicher sichtbar gemacht werden. Wählt man außerdem zur Färbung das R o m a n o w s k y sehe Verfahren, dann ist jeder Irrtum in betreff der Natur der Parasiten mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen. Ich möchte mich hier auf die Erwähnung einiger Punkte beschränken, welche ein gewisses Interesse bieten. In meinen Präparaten habe ich regelmäßig gefunden, daß die jüngsten Formen der Tertian- und der Quartanparasiten ringförmig gestaltet sind. Diese Ringe haben einen Durchmesser, welcher 14 bis von demjenigen eines roten ]>lutkörperchens beträgt. Sie gleichen in Form und Größe den erwachsenen Parasiten der Tropenmalaria so voll- kommen, daß man sie an und für sich nicht würde unterscheiden können. In der Regel finden sich aber neben den Ringen der Tertiana und Quartana einzelne große pigmentierte Parasiten, welche die Diagnose sicherstellen. Sollten letztere fehlen, dann gibt die Körper- temperatur des Kranken sofort Auskunft über die Art des Fiebers, welches vorliegt. Ist nämlich die Temperatur niedrig, dann muß der Fieberanfall bereits sein Ende erreicht und auch die Parasiten müssen am Ende ihres Wachstums angelangt sein; es kann sich also in diesem Falle nur um die erwachsenen Parasiten der tropischen Malaria handeln. Ist aber im Gegenteil die Temperatur hoch und befindet sich der Kranke im Beginn des Anfalles, dann können es nur junge Parasiten sein, und sie müssen mithin der Tertiana oder Quartana angehören. In gefärbten Deckglaspräparaten erscheinen die Parasiten der tropischen Malaria in der Regel unpigmentiert. Nur in älteren, verschleppten Fällen begegnet man ring- förmigen Parasiten, deren Plasma einen schwach bräunlichen Farbenton zeigt, was auf fein verteiltes Pigment schließen läßt. Aber niemals findet man aucli in diesen Fällen zusammengeballtes Pigment. Letzteres tritt erst dann auf, wenn die Parasiten sich im 384 Über die Entwicklung der Malariaparasiten. Zustande der Teilung befinden, oder wenn feie abgestorben sind. Man kann, wie icii gezeigt habe^), ganz nach Belieben die Parasiten der Tropennialaria mit oder ohne Pig- mentkorn präparieren, und zwar von einem und demselben Krankheitsfall. Ohne Pig- mentkorn erhält man sie, wenn das Blut sofort nach dem Austritt in dünnster Schicht ausgebreitet und durch schnelles Eintrocknen in seinem ursprünglichen Zustande fixiert wird. Läßt man dagegen das Blut im hohlen Objektträger einige Zeit stehen, dann haben die Parasiten die Ringform verloren, ihr Pigment ist zusammengeballt und erscheint als Pigmentkorn. In den Beschreibungen der italienischen Forscher spielen die mit Pigmentkorn versehenen Parasiten derÄstivo-Autumnalfieber eine große Rolle. Ich muß diese Formen für Kunstprodukte halten, welche ihr Entstehen der besonderen Untersuchungsmethode verdanken. Zu dieser Auffassung sehe ich mich um so mehr veranlaßt, als ich bei meiner Untersuchungsmethode auch bei einer großen Anzahl von italienischen Malariafällen niemals im Fingerblut Parasiten mit Pigmentkorn gefunden habe, mit Ausnahme der seltenen Fälle, wo sie sich im Teilungszustande befanden. Auch im übrigen habe ich, wie hier nebenbei erwähnt sei, nicht die geringsten Unterschiede zwischen den in Itaüen und in den Tropen vorkommenden Parasiten gefunden, vorausgesetzt, daß man beide mit den gleichen Untersuchungsmethoden behandelt. Etwas, was mir bisher nicht genügend beachtet zu sein scheint, sind die Größen- verhältnisse der tropischen Malariaparasiten. In der Jugend, d. h. beim Beginne des Malariaanfalles, bilden dieselben sehr kleine Ringe. Im Verlaufe des Anfalles nehmen die Ringe an Größe etwas zu. Ihre volle Entwickelung erreichen sie aber erst nach dem Ende des Anfalles ; in diesem Stadium sind sie 14 bis % so breit als das rote Blutkörper- chen und das dem Chromatinkorn gegenüberliegende Stück des Ringes ist erheblich dicker als der übrige Teil. Besser als jede Beschreibung werden diese Verhältnisse durch Photogramme erläutert. Taf. XXXII, Fig. 1, zeigt ein rotes Blutkörperchen mit zwei kleinsten Parasiten, entsprechend dem Anfang des Malariaanfalles; Fig. 2 Parasiten mittlerer Größe von der Höhe des Anfalles, und Fig. 3 erwachsene Parasiten nach Beendigung des Anfalles. Die dann folgenden Photogramme (Fig. 4, 5 und 6) stammen von einem tödlich verlaufenen Falle von tropischer Malaria. Sie vermögen einen Begriff davon zu geben, welchen Grad die Malariainfektion unter Umständen erreichen kann. Fig. 7, 8 und 9 zeigen das eine Endstadium der endogenen Entwickelung, die Teilungs- formen, Fig. 10 und 11 das andere Stadium, welches den Übergang zur exogenen Ent- wickelung bildet, die Halbmondformen. Während wir in bezug auf den endogenen Entwickelungsgang der Malariaparasiten des Menschen ziemHch gut unterrichtet sind, wissen wir über ihre exogene Entwickelung noch recht wenig. Das steht zwar fest, daß bei allen drei Arten der Malariaparasiten die sogenannten Geißelformen, d. h. männliche Parasiten mit Produktion von Sperma- tozoen vorkommen. Aber das nächstfolgende Stadium, dasjenige der Würmchenbildung, ist schon unbekannt. Auch uns ist es trotz vielfacher Versuche nicht gelungen, bei der Beobachtung von Blut, welches reich an Halbmonden war, die Entwickelung weiter zu verfolgen als bis zum Ausschwärmen der Spermatozoen. Aber wir konnten uns doch wenigstens davon überzeugen, daß in dieser Beziehung eine volkommene Übereinstimmung besteht mit denselben Vorgängen beim Halteridium, wie die beifolgenden Photogramme beweisen. Taf. XXXII, Fig. 12, zeigt den Übergang vom Halbmond zur Sphäre schon wenige Minuten nach der Herstellung des Blutpräparates. Der dunkle Fleck in der Mitte des 1) Reiseberichte, p. 100. Siehe diese Werke Bd. II, p. 306 Fußnote und p. 310. D.Herausgeber. über clie Entwickhuig der Malariaparasiten. 385 Parasiten ist der Chromat inlvörper. um welclien sich das Pigment kreisförmig angeordnet hat. Fig. l.'i, 14, 15 sind Parasiten mit Spermatozoen. Bei Fig. 14 und 15 ist trotz der dunklen Färbung deutlich zu erkennen, wie die Spermatozoen. ebenso wie beim Halteri- dium, direkt aus dem Chromatin hervorgehen. Alle unsere Bemühungen, die Halbmonde im Magen von Mücken bis zum Stadium der Würmchen und darüber hinauszubringen, blieben bisher ebenfalls erfolglos. Wir haben Blut, welches sehr reich an Halbmonden war, von verschiedenen Mückenarten, unter denen sich Ciüex nemorosus und Anopheles maculipennis befanden, saugen lassen. Aber niemals konnten wir bei diesen Mücken innerhalb der ersten 30 Stunden nach dem Saugen würmchenartige Gebilde auffinden. Im Gegenteil zeigten sich, obwohl die V^er- suche bei hinreichender Auljenwärme angestellt wurden, die Malariaparasiten noch deut- lich erkennbar, aber im Zerfall begriffen. Also mul3ten wohl die von uns benutzten Mücken- arten noch nicht diejenigen gewesen sein, welche für die tropische Malaria den Zwischen- wirt bilden. Andererseits haben wir wiederholt bei Mücken, namentlich auch beim Ano- pheles maculipennis, in der Giftdrüse Sichelkeime gefunden, welche bestimmt nicht in die Entwickelungsreihe der menschlichen Malariaparasiten gehörten, weil die betreffenden Mücken zum Teil aus Gegenden stammten, welche malariafrei sind, zum Teil allerdings in Malariagegenden gefangen waren, aber in der kalten Jahreszeit. Diese Befunde lehren, daß wir uns hüten müssen, alle kokkidienartigen Parasiten und Sichelkeime, welche uns zufällig in Mücken begegnen, ohne weiteres als den mensch- lichen Malariaparasiten zugehörig anzusehen. Wir werden hierzu nicht eher berechtigt sein, als bis es uns gelungen ist, ebenso wie beim Proteosoma, in exaJvt dm-chgeführten PTnt ersuchungen die ganze Entwickelungsreihe klarzulegen. Aus diesem Grunde halte ich auch die Angaben von Roß, welcher in einigen Mücken, nachdem sie Blut mit halbmondförmigen Parasiten gesogen hatten, Kokkidien- kugeln fand, ebenso wie die Mitteihmgen von G r a s s i , B i g n a m i , B a s t i a n e 1 1 i und D i o n i s i über ähnliche Befunde für rui vollkommen und nicht beweisend. Auf jeden Fall bedürfen dieselben der weiteren Ergänzung und Bestätigung. Koch, Gesammelte Werke. 70 386 Uber die Entwicklung der Malariaparasiten. Erklärung der Abbildungen. (Tafel XXX— XXXIII.) Tafel XXX. Halteridium. Fig. 1. Blut einer Taube mit drei Halteridien in verschiedener Größe. Fig. 2. Blut einer Taube. Zwei Blutkörper mit Halteridien. Oben männlicher, imten weiblicher Parasit. Fig. 3. Blut von einem Falken. Fi-ei gewordener Parasit (einige Minuten im feuchten Raum vor dem Eintrocknen geschützt). Männchen. Fig. 4. Dasselbe. Weibchen. Fig. 5. Bildung der Spermatozoen. Das Chromatin ist an die Peripherie des Parasiten getreten und aus demselben gehen zwei Spermatozoen hervor. Fig. 6. Dasselbe. Die links vom Parasiten liegende, unregelmäßig netzartig gestaltete Masse ist der zerfließende Kern des Blutkörpers, aus welchem er herausgetreten ist. Fig. 7. Dasselbe. Der zerfließende Kern \migibt hier den Parasiten auf seiner linken Seite. Fig. 8. Ein männlicher Parasit mit vollständig entwickelten Spermatozoen. Die Färbung ist absichtlich sehr kräftig gehalten, um die Spermatozoen deutlich erscheinen zu lassen. Infolgedessen ist auch der Körper des Parasiten so dunkel gefärbt, daß die Reste von Chro- matin, mit welchem die Spermatozoen noch im Zusammenhang stehen, auf der Photographie nicht genügend zum Ausdruck kommen. Fig. 9. Ein abgetrenntes Spermatozoon. Fig. 10. Befruchteter weiblicher Parasit mit beginnender Bildung des Würmchens. Fig. 11 u. 12. Dasselbe in einem weiter vorgeschrittenen Stadium. Fig. 13. Drei fast fertig entwickelte Würmchen. Fig. 14. Ein fertig gebildetes Würnichen neben einem früheren Stadium der Würmchenbildung. Fig. 15. Drei vollkommen ausgebildete Würmchen.- Sämtliche Objekte dieser Tafel I sind nach Romano wsky gefärbt. In den entsprechenden Präparaten erscheinen die Chromatinkörper der Parasiten leuchtend rubim-ot, das Plasma derselben bläulich, Pigmentkörnchen dunkelbraun. Die Vergrößerung ist bei allen Photogrammen 1000 fach. Tafel XXX!. Proteosoma. Blut vom Sperling. Ein Blutkörper mit einem erwachsenen Proteosoma. Der Kern des Blutkörpers ist verdrängt und quer gelagert. Ein roter Blutkörper vom Sperling mit zwei Proteosomen. In Teilung begriffenes Proteosoma. Die jungen Parasiten, zum Teil noch zusammenhängend, umgeben den Kern des roten Blutkörpers. Dasselbe. Die in der Mitte gelegenen dunklen Körnchen sehen im Präparat nicht rot, sondern schwärzlich aus; sie bestehen aus dem zusammengeballten Pigment. Der Kern des roten Blutkörpers ist in diesem Fall verschwunden. Beendete Teilimg. Der Pigmentball innerhalb der Gruppe der jungen Parasiten an der linken Seite deuthch zu erkennen. Frei gewordener Teilungskörper unmittelbar vor dem Auseinanderschwärmen der jungen Parasiten. Das Pigment liegt fast in der Mitte der Gruppe. Proteosomenblut aus dem Magen eines Culex nemorosus, 12 Stunden nach dem Saugen. Befruchteter weiblicher Parasit mit beginnender Bildung eines Fortsatzes an der rechten Seite. Dasselbe in weiter vorgeschrittenem Stadium. 10. Dasselbe. Krümmung des Fortsatzes. Zwei fertig entwickelte Würmchen. Ein desgl. über die Entwicklung der Malariapavasiten. 387 Fig. 13. Ein Würmchen, im Begriffe, sich von dem Restkörper zu trennen. Fig. 14. Eine Gruppe mit den Spitzen nocli zusammenhängender Sichelkeime. Sämtliche Präparate nach E o m a n o w s k y gefärbt imd bei 1000 facher Vergrößerung photographiert. Tafel XXXIl. Parasiten der troi^ischen Malaria. Fig. 1. Jüngste Parasiten. Beim Beginn des Anfalls. Zwei Exemplare in einem roten Blutkörper. Fig. 2. Parasiten mittlerer Größe, auf der Höhe des Anfalls. Flg. 3. Erwachsene Parasiten (große Ringe), nach beendigtem Ausfall. Fig. 4 — 6. Mehrfach infizierte rote Blutkörper von einem tödlich verlaufenen Fall von tropischer Malaria. Fig. 7 — 9. Teilungsformen. Fig. 7 Fingerblut. Die Teilung ist noch nicht abgeschlossen, wie an der Größe und der geringen Zahl der Teilungskörper zu sehen ist. In der Mitte links das zu- sammengeballte Pigment. Fig. 8 u. 9. Aus der Milz. Fig. 10 VI. 11. Halbmonde. In den entsprechenden Präparaten sind die Chromat inkörp er inmitten des Pigmenthaufens gut zu sehen. Fig. 12. Übergang vom Hallmiond zur Sphäre. Das Pigment umgibt kranzförmig den im Präparat rubinrot gefärbten Chromatinkörper. Fig. 13 — 15. Bildung der Spermatozoen. In Fig. 15 zwei abgetrennte Spermatozoen. Sämtlich 1000 fach vergrößert. Tafel XXXIII. Entwicklung des Proteosoma im Culex nemorosus. Fig. 1. Magen einer stark infizierten Mücke. Oben die stark gewundenen M a 1 p i g h i sehen Schläuche, unten der sackförmige Magen. Letzterer ist dicht besetzt mit kugelförmigen Parasiten. Die Mücke war vor der Reifvmg der Parasiten gestorben, offenbar infolge der sehr starken Infektion. Im frischen Zustande jahotographiert. Vergr. 80 mal. Fig. 2. Kugelförmige Parasiten an der Außenwand des Mückenmagens, etwa dem 2. bis 3. Tage der Entwicklung entsprechend. Im Innern der Kugeln ein Bläschen, welches einige Pigment- körnchen enthält. Im frischen Zustande photographiert. Vergr. 1000 mal. Fig. 3 u. 4. Eine Gruppe von Kugeln, in welchen die Bildung von Sichelkeimen vor sich geht. Beide Aufnahmen zeigen dieselbe Stelle in verschiedener Einstellung. Fig. 3 liegt, etwas höher als Fig. 4. In der am meisten nach oben gelegenen Kugel sind die sekundären Kugeln deutlich zu sehen. Im frischen Zustande photogTap liiert . Vergr. 1000 mal. Fig. 5. Giftdrüse eines Culex nemorosus mit Sichelkeimen. Querschnitt. Mit Hämatoxylin gefärbt. In der Mitte der Drüse liegt der mit l)lattartigen Anhängen versehene Ausführungsgang. Die Sichelkeime liegen in den perij^her angeordneten Läppchen der Drüse, sie liegen unge- ordnet durcheinander und erscheinen deswegen vielfach quer oder schräg geschnitten und infolgedessen verkürzt. Links von der Giftdrüse hegen die beiden Speicheldrüsen, welche erheblich dunkler gefärbt erscheinen. Vergr. 1000 mal. Fig. 6. Zwei Läppchen der Giftdrüse mit Sichelkeimen. Nach einer Zeichnung des Herrn Dr. Winter in Frankfurt a. M. Vergr. 2000 mal. Die Photogramme der drei ersten Tafeln sind von Prof. Z e 1 1 n o w, die der vierten Tafel von Prof. Pfeiffer angefertigt. Beide Herren haben die schwierige Aufgabe, welcher sie sich in liebenswürdigster Weise unterzogen haben, in bekannter Meisterschaft gelöst. 70 Koch, Gesammelte Werke Taiel XXX Aus Zeitschrift für Hygiene und Infektionskranklieiten. Bd. 32. Koch, Gesammelte Werke Tafel XXXI Aus Zeitschrift für Hygiene und Infelci , Tei'tin Ti fiebpv 11 ( )n'irtniifiplipi' '^Q J-Cll'ltlllllCI.'Cl 11, H (II Ltll 1 11 C U Ci ^fJ . III. Malayen: a) Männer iruher Angeworbene . . 97 13 13,4 später Angeworbene . . .33 19 57,6 b) Frauen früher Angeworbeue . . 40 3 7,5 später Angeworbene . . 39 18 46,2 Summe 209 .53 25,3 Von den .53 Malariafällen sind : Tropenfieber 1.3, Tertianlieber 5, Quartanfieber 35. IV. Melanesen: 1. Französische Inseln . . 42 1 2,4 'J. Huongolf (Jabim) . . . 90 0 3,3 3. Neu-Pommern .... 39 6 15,4 4. Neu-Mecklenburg . 08 9 23,7 6. Gardner-Iuseln .... 19 9 47,7 Mitte Dezbr. 1899 m Stephansort eingetroffen. 6. Neu-Hannover .... 29 0 Mitte Febr. 1900 in Stephansort eingetroffen. 7. anderweitige Herkunft . 1 14,3 Summe 264 29 10,9 Von den 29 Malariafällen sind : Tropenfieber 18. Tertianlieber 3, Quartanfieber 8. (Die 9 Ma- Gesamtsumme 734 1.57 21,4 lariafälle unter den frisch eingeführten Leuten der (iardner-Inseln sind sämtlich Tropenfieber.) Tabelle II. Malaria der Eingeborenen von Kaiser - Wilhelms-Land. Anzahl Davon der unter- malaria- /o Bemerkungen suchten krank Personen I. Bogadjim Bogadjim, unweit Stephansort gelegen, be- 1. Kinder unter 2 .Jahren 10 8 80 steht aus 4 unter sich getrennten Ort- 2. Kinder von 2 bis -5 Jahren 12 5 41,6 schaften: Lalu, Sarar, Bom, Garima. Aus- schließlich von Eingeborenen bewohnt. 406 Dritter Bericht über die Tätigkeit der Malariaexpedition. Anzahl der unter- suchten Personen Davon malaria- krank Bemerkunaen 3. Personen von 5 bis 55 Jahren . . . . II. Bongu 1. Kinder unter 2 Jahren 2. Kinder von 2 bis 5 Jahren 3. Kinder v. 5 bis 10 Jahren 4. Personen von 10 bis 45 Jahren III. Tamara 1. Kinder von 2% Iiis 5 Jahren 2. Kinder über 5 Jahre alt 86 6 13 17 39 5 29 100 46,1 23,5 0 Von den 13 Malariafällen sind: Tropen- lieber 7, Tertianfieber 3, Quartanfieber 3. (Unter, den Erwachsenen wurde eine Frau von 21 Jahren mit Tropenfieber gefunden; dieselbe hatte sich von der Insel Bili Bili nach Bogadjim verheiratet und befand sich erst seit etwa einem halben Jahre in Bogadjim. Sie ist deswegen nicht als zu Bogadjim gehörig gerechnet.) Großes KUstendorf der Astrolabebai in der Nähe von Konstantinhafen gelegen. Von den 16Malariaiallen sind: Tropenfieber 11, Tertianfieber 2, Quartanfieber 3. (Auch in Bongu hatte ein Erwachsener Tropenfieber. Derselbe war vor kurzem aus Neu-Pommern gekommen, gehörte also nicht zu den eigentlichen Bongu-Leuten.) Auf der Insel Tamara, zu Berlinhafen ge- hörig, befindet sich eine katholische Missionsstation. Die Untersuchten sind sämtlich Missionszöglinge. Tabelle III. Malaria der Eingeborenen von Java. Anzahl der unter- suchten Personen Davon malaria- krank 0/ /o Bemerkungen I. Zum Bezirk A m b a - j a w a gehörig : 1. Rawa Bandjir: Ein rings von Sumpf umgebenes Dorf. a) Kinder u n t e r 1 Jahre 37 6 16 Von den 8 Malariafällen sind: Tropenfieber 1, b) Kinder über 1 .Jahre 49 2 4 Tertianfieber 0, Quartanfieber 7. 2. Kampong Bedjalen: Ein am Grunde des Talkessels von Ambarawa a) Kinder unter 1 Jahre 71 11 15,5 und am Rande des Sumpfes gelegenes Dorf. b) Kinder über 1 .Jahre 70 7 10 Von den 18 Malariafällen sind: Tropenfieber 5, Tertianfieber 7, Quartanfieber 6. 3. Kampong Bandoeng: Dorf, welches 1000 m hoch am Abhänge des a) Kinder unter 1 .Jahre 59 24 40,6 Vulkans Oenarang liegt. b) Kinder über 1 Jahre 130 19 14,6 Von den 43 Malariafällen sind: Tropenfieber 18, Tertianfieber 15, Quartanfieber 10. n. Zu 0 e n ar a n g gehörig : ca. 500 m hoch über dem Meere gelegen, fast 1. Kalidodo: in der Mitte des Weges zwischen Amba- a) Kinder unter 1 Jahre 35 3 8,6 rawa und der Hafenstadt Semarang. b) Kinder über 1 Jahre 79 7 8,8 Von den lOMalariafällen sind: Tropenfieber 3, Tertianfieber 1, Quartanfieber 6. 2. Genoek: a) Kinder unter 1 Jahre 33 5 12,3 Von den 6 Malariafällen sind: Tropenfieber 4, b) Kinder über 1 Jahre 38 1 2,6 Tertianfieber 0, Quartanfieber 2. Dritter Bericht über die Tätigkeit der Malariaexpedition. 407 Anzahl der unter- suchten Davon nialaria- krank /o Bemerkungen Personen TTT IVT Q n- p 1 a n o* ■ Iii, IVi a ^ C i tl 11 g . (jarnisousiadt, ca. oOÜ ni hoch, südlich vom 11 Tv ni (1 Pv n 11 p 1' 1 T '1 n tp tl ) JVlII'-iCl LI 11 t C 1 1 (fcllllC 61 0 V 0 \j .^'i.iuutiici WtiKchsei , aoei von uiebcui uurcii TTi iin PI' ii n p 1* 1 T si Vi vp 24 0 0 clucu jjci^i iicAcu ^ebcnicueu. TV Tn usw., unter genauer Beobachtung der Körpertemperatur und des Urins. Sobald einige Stunden nach dem Einnehmen des Chinins die Temperatur auf 38" oder darüber steigt, der Urin auffallend dunkler wird und am nächsten Morgen leicht ikterische Hautfärbung sich zeigt, dann darf man vorläufig nicht weiter mit der Chinindosis steigen, da die erwähnten Symptome bereits die Anzeichen eines leichten Schwarzwasserfiebers sind, bei welchen es zur Zer- störung einer Anzahl roter Blutkörperchen gekommen ist, das im Blute vorhanden ge- wesene Hämoglobin aber noch nicht ein solches Quantum erreichte, daß es durch die Nieren ausgeschieden werden mußte. Man sollte überhaupt stets auf diese Symptome, welche gewissermaßen als Warnungszeichen anzusehen sind, achten, auch bei denjenigen Malariakranken, die noch nicht ohne weiteres als Schwarzwasserfieberkandidaten anzu- sehen sind, dann könnte mancher Fall von Schwarzwasserfieber vermieden werden. In denjenigen Fällen, wo diese Symptome eintreten, ist je nach der Intensität derselben die nächste Chinindosis wieder niedriger zu greifen oder höchstens dieselbe Dosis zu geben. Dann aber kann man wieder ohne Gefahr für den Kranken vorsichtig weiter steigen, bis man zur vollen Dosis gelangt und damit die Malaria in der früher angege- benen Weise vollständig beseitigt. Wenn es darauf a^nkommt, malariaempfängliche Menschen auf eine gewisse Zeit gegen die Malariainfektion zu schützen, z. B. auf Expeditionen, bei kürzerem Aufent- halte in Malariagegenden, beim Anlegen in malariaverseuchten Häfen usw., dann bedient man sich der Chininprophylaxis, welche darin besteht, daß eine bestimmte Dosis Chinin in bestimmten Zeitintervallen fortlaufend genommen wird. Nach meinen ziemlich umfang- reichen Erfahrungen gelten für diesen Fall genau dieselben Regeln, wie ich sie für die Verhütung der Rezidive aufgestellt habe. Man muß also, um es ganz kurz zu wieder- holen, an jedem 10. und 11. Tage morgens 1 g Chinin, am besten in Lösung (10 ccm einer lOprozentigen Lösung) nehmen. Tritt trotzdem Fieber ein, so steigt man auf 1% g (15 ccm) und kürzt eventuell die Zwischenzeit um 1 — 2 Tage. Denjenigen Krankheiten, welche bei uns herrschen, begegnet man in Neuguinea nur ganz vereinzelt. ^) Bei der Nachbehandlung der Quartana muß an drei aufeinanderfolgenden Tagen je ein Gramm Chinin gegeben werden, wie die in letzter Zeit gemachten Erfahrungen gelehrt haben. Zvisammenfassende Darstellung der Ergebnisse der Malariaexpedition. 433 Von A b d o m i n a 1 1 y p h u s habe ich nur drei Fälle gesehen, bei denen es sich um eine Einschleppung von auswärts zu handeln schien. Der eine Fall, ein Europäer hatte eine Kombination von Typhus und Malariarezidiv. Letzteres wurde durch sub- kutane (Jhinininjektionen beseitigt, ohne daß der Typhus in seinem Verlauf auch nur im geringsten dadurch beeinflußt wurde. T u b e r k u 1 o s e ist ebenfalls nicht häufig. Sie wurde nur bei chinesischen Plan- tagenarbeitern und ganz vereinzelt bei Melanesen konstatiert. Auch hier habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Krankheit in Neuguinea nicht heimisch, sondern gelegent- Uch importiert ist. Eine andere unzweifelhaft durch Einschleppung nach Neuguinea gelangte Krank- heit ist B e r i - B e r i. Sie kommt nur unter den Plantagenarbeitern vor, verschwindet zeitweilig, fängt dann aber gewöhnlich von neuem unter den chinesischen Arbeitern an und greift gelegentlich auf die melanesischen Plantagenarbeiter über. In den Dörfern der Eingeborenen habe ich Beri-Beri niemals angetroffen. In einem Falle ließ sich der infektiöse Charakter dieser Krankheit in unverkennbarer Weise konstatieren. Einige aus Makassar angeworbene Arbeiter brachten die Krankheit mit nach Neuguinea; diese übertrugen sie nach ihrer Versetzung auf eine weit entfernte Station auf melanesische Arbeiter. Nachdem von letzteren einige auf eine Expedition mitgenommen und längere Zeit mit Melanesen aus einer ganz anderen Gegend zusammengelebt hatten, brach auch unter diesen Beri-Beri, und zwar in ziemlich bedeutendem Umfange, aus. Die überleben- den Makassaren und die zuletzt infizierten Melanesen konnte ich selbst untersuchen und mich davon überzeugen, daß es sich wirklich um Beri-Beri handelte. In einem anderen Falle ließ sich die Beri-Beri-Infektion unter den Heizern eines Schiffes verfolgen. In mehreren ganz frischen Fällen von Beri-Beri haben wir das Blut auf Parasiten untersucht, aber nicht das geringste gefunden, was verdächtig erscheinen konnte. Sehr auffallend ist bei frischen Beri-Beri-Fällen die schnelle Besserung, welche bei Ruhe und Pflege im Hospital ohne jede JMedikation eintritt. Allerdings sieht man bei den meisten dieser scheinbar Geheilten die Krankheit sofort wieder zum Ausbruch kommen, wenn sie ihre Beschäftigung in der Plantage wieder aufnehmen. Syphilis kommt unter den Arbeitern vor. aber nicht auffallend häufig. Der Verlauf derselben ist der gleiche wie bei uns. ebenso auch die Symptome. In den Dörfern der Eingeborenen habe ich keinen einzigen Fall von Sj'philis gesehen. Ungemein häufig sind dagegen in Neuguinea die H a t a f f e k t i o n e n. Allen voran steht die Tinea i m b r i c a t a , von englischen Autoren vielfach beschrieben, von den unsrigen fast immer irrtümlicherweise als Ringwurm bezeichnet. Die Tinea fängt gewöhnlich an einem Punkte, z. B. vorn auf der Brust oder am Halse, an und breitet sich kreisförmig aus. bis sie zuletzt den ganzen Körper überzieht. In der Mitte heilt sie nicht ab, bildet also niemals ringförmige Figviren. Aber am Rande der Affektion zeigt sie sehr regelmäßige, parallel verlaufende, gewundene Linien. Wenn das Leiden schon lange Zeit besteht und die Haut viel zerkratzt ist, dann verlieren sich diese Linien mehr oder weniger und es bleibt nur die rauhe, stark schuppende Hautfläche. Mit diesem Hautleiden, welches außer mäßigem Jucken keine Beschwerden zu machen scheint, sind selir viele Eingeborene behaftet. In den abgelegensten Gegenden findet man Dörfer, in welchen kaum ein Mensch frei davon ist. Es scheint mir deswegen, als ob die Tinea schon seit sehr langer Zeit, auf jeden Fall lange vor dem Beginn des Schiffsverkehrs, in Neuguinea geherrscht hat. Sehr oft habe ich gerade bei Menschen mit Tinea starke Anschwellungen der Ingviinal- und Femoraldrüsen gesehen, die sich genau so verhielten wie die sogenannten klimatischen Bubonen. In Pestzeiten würde es nicht immer leicht sein, dieselben von Pestbubonen zu unterscheiden. Koch, Gesammelte Werke. 73 434 Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse der Malariaexpedition. Neben der Tinea kommt, wenn auch bei weitem nicht so häufig, Psoriasis vor, ferner eine andere auf die Achsel- und die Schenkelbeuge beschränkte Flechte. Dem geübten Auge eines Spezialisten werden sich wahrscheinlich noch andere dahin gehörige Affektionen bieten. Besondere Beachtung verdient die Frambösie (engl. Yaws), eine in der Südsee ebenfalls weitverbreitete und recht häufige Krankheit. Ich habe sie im Kaiser- Wilhelms- Land, im Bismarckarchipel, auf den Karolinen und Mariannen überall gesehen. In ein- zelnen Dörfern waren fast alle Kinder davon befallen. An solchen Orten konnte man auch alle Stadien der Krankheit beobachten, von den jüngsten noch nicht ulzerierten Hautknötchen, welche kleinen Pocken sehr ähnlich sind, bis zu den großen aus mehreren ulzerierten Knoten zusammengeflossenen Ulzerationen. Letztere sitzen mit Vorhebe an den Rändern der Lippen, am Halse, in der Achselhöhle, an den Geschlechtsteilen und neben dem Anus. Sie können unter Umständen, namentlich wenn sie stark gra- nulieren, breiten Kondylomen recht ähnlich sehen. Aber das fast ausschließliche Vor- kommen bei Kindern, deren Eltern gesund sind, und das gehäufte Auftreten führen doch immer wieder zur richtigen Diagnose. Es scheint, als ob die Krankheit nach ein- maligem Überstehen Immunität zurückläßt. Von sonstigen Hautkrankheiten wären noch zu erwähnen: Krätze, welche ziemlich häufig ist, und Elephantiasis, die nesterweise vorzukommen scheint, wenigstens trifft man immer, wo sich ein Fall zeigt, mehrere andere in der Nähe. Auch die zahllosen Ulzerationen an den Füßen und Unterschenkeln, welche bei den Eingeborenen sowohl wie bei den Plantagenarbeitern das häufigste Leiden bilden, müssen hierher gerechnet werden, da sie meistens infolge des Bisses von Blutegeln und von außerordentlich kleinen rötlichen Milben, von den Kolonisten ' Buschmucker genannt, entstehen. Unter den chinesischen Plantagenarbeitern kam die Anchylostomenkrank- li e i t ziemlich oft vor. In den früheren ärztlichen Berichten aus Neuguinea findet sich dieselbe allerdings nicht erwähnt. Aber ich möchte doch annehmen, daß sie auch in früheren Zeiten vorhanden war und nur unter anderem Namen, wie Anämie, Malaria- kachexie, gegangen ist. In den Tropen muß eben jeder, der an Anämie leidet, auch auf Anchylostomen untersucht werden. Läßt man die neuerdings importierten Krankheiten, wie Typhus, Tuberkulose, Sj^philis, Beri-Beri, Anchylostomen, beiseite, dann bleiben als wichtigere Krankheiten nur noch die Hautkrankheiten einschheßlich der Frambösie und die Malaria übrig. Da aber die Hautkrankheiten fast nur für die Eingeborenen eine Bedeutung haben und die Malaria sich mit Erfolg bekämpfen läßt, so muß man Neuguinea als ein relativ sehr gesundes Land bezeichnen. Ergebnisse der vom Deutschen Reich ausgesandten Malariaexpedition/) (Vortrag, gehalten in der Abteilung Berlin-Charlottenburg der Deutschen Kolonial -Gesellschaft am 5. November 1900.) Von Prof. Dr. R. Koch. Meine Herren! Vor zwei Jahren hatte ich die Ehre, in der Kolonialgesellschaft, Abteilung Berlin-Charlottenburg, einen Vortrag über Malaria zu halten. Im Anschluß an diesen Vortrag ist von der Gesellschaft, welche stets ein ebenso reges wie dankens- wertes Interesse für das Gesundheitswesen unserer Kolonien gezeigt hat, die Anregung zur Entsendnng einer Malariaexpedition ausgegangen. Nachdem die Expedition zustande gekommen und durchgeführt ist, fühle ich mich deswegen verpflichtet, Ihnen über den Gang derselben und über die Ergebnisse, welche sie geliefert hat, Bericht zu erstatten. Zunächst möchte ich aber zum besseren Verständnis dessen, was ich Ihnen mit- zuteilen habe, einige Bemerkungen über die Malaria im allgemeinen vorausschicken. Seit der bekannten Entdeckung Laverans wissen wir. daß die Malaria eine durch Blutparasiten bedingte Krankheit ist. In einem Tröpfchen Blut, welches man aus der Fingerspitze eines malariakranken Menschen entnommen hat, kann man mit Hülfe des Mikroskops die Parasiten leicht nachweisen. Ihre Gestalt ist so charakteristisch, daß das Auffinden eines einzigen Parasiten genügt, um die Krankheit mit Sicherheit zu diagnostizieren. Diese leichte und sichere Diagnose ist, wie wir später sehen werden, für die Bekämpfung der Malaria von großer Bedeutung. Wenn man von Malaria ohne eine weitere Bezeichnung spricht, so meint man damit nicht eine einzelne Krankheit, sondern eine Gruppe von Krankheiten; es gibt eben mehrere Arten von Malaria. Vor dem Beginne der Expedition war mir in dieser Beziehung folgendes bekannt. Im gemäßigten Klima, also auch bei uns, gibt es zwei Arten von Malaria, die Quar- tana und die Tertiana. In Südeuropa treten außer diesen noch andere schwerer verlaufende und gefährlichere Formen der Malaria auf, welche von den italienischen Ärzten als Sommer- Herbstfieber bezeichnet werden und nach den damals darüber vorliegenden Mitteilungen mindestens drei Arten der Malaria umfassen sollten. Noch weiter nach dem Süden zu begegnen wir dann den sogenannten Tropenfiebern. Über diese lagen nur unbestimmte Nachrichten vor, welche indessen vermuten ließen, daß es sich dabei ebenfalls um mehrere Arten handelte. In bezug auf einen bestimmten Teil der Tropen, nämlich Deutsch- Ostafrika, konnte ich Ihnen indessen schon in meinem früheren Vortrage mitteilen, daß ich daselbst außer Quartana und Tertiana nur eine Art von Malaria angetroffen ') Verhandlungen 1900/01, Heft 1. Verlag von Dietrich Reimer, Berlin. 73* 436 Ergebnisse der vom Deutschen Reich ausgesandten Malariaexpedition. hatte, welche durch einen tertianen Typus und ringförmige Gestalt der Parasiten ge- kennzeichnet war. In welchem Verhältnis diese Malariaform zu den Fiebern in anderen Tropenländern und zu den italienischen Sommer-Herbstfiebern steht, konnte ich da- mals noch nicht angeben. Die Malariaparasiten können sich im Blute des Menschen sehr lange erhalten. Sie verschwinden zwar zeitweilig aus dem Fingerblute, nämlich dann, wenn die einzelnen Anfälle der Krankheit schwächer geworden sind und schließlich aufgehört haben; aber sie zeigen sich nach dieser scheinbaren Genesung bald von neuem im kreisenden Blute und damit erscheinen dann auch die Malariafälle von neuem, es tritt ein Rezidiv der Krank- heit ein. Solche Rezidive kommen nach Wochen, manches Mal erst nach einigen Monaten zum Vorschein; sie können sich durch einige Jahre hinziehen. Erst wenn die Rezidive definitiv ausbleiben, ist der Kranke als völlig geheilt anzusehen. Man muß bei allen Unter- suchungen über Malaria sorgfältig zwischen frischen Fällen und Rezidiven unterscheiden. Über die Art und Weise, wie die Malariaparasiten in das Blut des Menschen kommen, ist man lange Zeit hindurch in Unsicherheit geblieben. In dem früheren Vortrage habe ich mich dahin ausgesprochen, daß die Infektion am wahrscheinlichsten durch den Stich der Moskitos zustande kommt. Allerdings konnte ich Ihnen dafür keine direkten Be- weise Kefern, sondern nur Wahrscheinlichkeitsgründe geltend machen. Man war also im vollen Rechte, wenn man damals noch von einer Moskitotheorie sprach. Das hat sich aber inzwischen wesentlich geändert. Noch während ich damit be- schäftigt war, einen Plan für die Malariaexpedition aufzustellen, kamen zu uns die ersten genaueren Nachrichten über die Entdeckung von Dr. R o ß in Britisch-Indien. Der- selbe hatte gefunden, daß die Malariaparasiten, wenn sie mit dem gesogenen Blute in den Magen bestimmter Mücken gelangen, hier einen ziemlich komplizierten Entwicklungs- gang durchmachen und sich schheßlich in großer Anzahl in der Giftdrüse der Mücke ansammeln. Wenn eine derartig infizierte Mücke von neuem Blut saugt, dann entleert sie dabei die Giftdrüse und impft dem Gestochenen die Malariaparasiten ein. Es ist begreiflich, daß eine derartige wichtige Entdeckung von größtem Einfluß auf den weiteren Gang der Malariaforschung sein mußte. Es war durchaus notwendig, über die R o ß s chen Angaben volle Gewißheit zu erlangen, und ich beantragte daher die möglichst baldige Entsendung einer Vorexpedition nach Italien, weil man in diesem Lande am sichersten auf die Beschaffung des nötigen Malariamaterials rechnen konnte. Der Antrag wurde genehmigt und ich begab mich bereits zu Anfang des August 1898 in Begleitung der Professoren Pfeiffer und K o s s e 1 nach Italien, wo wir uns zwei Monate aufhielten. In Rom beteiligte sich auf Veranlassung der italienischen Regierung auch Professor G o s i o an unseren Arbeiten. Es gelang uns sehr bald, die Experimente von R o ß zu wiederholen und uns von der Richtigkeit derselben in jeder Beziehung zu überzeugen. Damit war für uns jeder Zweifel darüber geschwunden, daß gewisse Mückenarten imstande sind, die Malaria- parasiten von einem Menschen auf den anderen zu übertragen; allerdings nicht in der Weise, wie noch öfters irrtümlich angenommen wird, daß diese Übertragung unmittelbar durch das am Stechrüssel der Mücke haftende Blut geschieht, sondern so, daß die Para- siten mehrere Tage lang im Körper der Mücke einen bestimmten Entwicklungsgang durchmachen müssen und dann erst reif zur Verimpf ung sind. Die sogenannte Moskitotheorie hatte somit, wenigstens für uns, aufgehört, eine Theorie zu sein, sie war zu einer wissenschaftlich wohlbegründeten Tatsache geworden. Auch über eine andere für die Malariaforschung wichtige Frage konnten wir bei dieser Gelegenheit Gewißheit erlangen, nämlich über die Zahl der verschiedenen Arten der Malaria und ihren Beziehungen zueinander. Ergebnisse der vom Deutschen Reich ausgesandten Malariaexpedition. 437 Es stellte sich bei der genauen Untersuchung einer hinreichend großen Anzahl von Malariafällen heraus, daß die sogenannten 8omnier-Herbsttieber, welche, wie bereits erwähnt wurde, mehreren Arten der Malaria anzugehören schienen, nur eine einzige Art bilden und daß diese Art mit dem Tropenfieber, welches ich in Dstafrika kennen gelernt hatte, identisch ist. Ich will gleich hier bemerken, dal,! ich inzwischen aus vielen Tropengegenden stammende Blutpräparate und Krankengeschichten erlialten und auch auf der späteren Expedition nach Java und Neuguinea dieser Frage besondere Aufmerksamkeit geschenkt habe, dabei aber immer nur dieser einen bestimmten, von mir als Tropenfieber bezeich- neten Malariaart außer den beiden längst bekannten Formen der Quartana und Tertiana begegnet bin. Ich bin dadurch zu der Überzeuginig gelangt, daß es nur diese drei Arten von Malaria gibt, und befinde mich in dieser Beziehung in Übereinstimmung mit den amerikanischen Malariaforschern, welche ebenfalls nur diese drei Malariaarten annehmen. In mehr als einer Richtung wurde unsere Aufgabe durch die scharfe Abgrenzung der Malariaarten vereinfacht. Nachdem wir uns im Winter von 1898 zu 1899 noch weiter mit dem Studium der Beziehungen der Stechnrücken zur Malaria beschäftigt hatten, erfolgte dann im Früh- jahr 1899 die Hauptexpedition, welche zunächst wieder nach Italien ging und zwar aus folgendem Grunde. In Italien beschränkt sich die eigentliche Malariazeit auf den Sommer und Herbst und zwar beginnt dieselbe ganz plötzlich gegen Ende Juni oder Anfang Juli. Es ließ sich erwarten, daß sich bei einer aufmerksamen Beobachtung des Ausbruches der Krank- heit und des weiteren Verlaufes derselben Tatsachen ergeben würden, welche für die Malariaforschung von Wichtigkeit sein konnten. Diesmal begleiteten mich nach Italien Professor Frosch und Stabsarzt 011- w i g , auch hatten wir uns wieder der Mitarbeit Professor G o s i o s zu erfreuen. Um eine bessere Übersicht über die Malariaverhältnisse zu gewinnen, welche in einem großen Orte sehr kompliziert sein können, wählte ich einen kleineren Ort als Ar- beitsstätte und zwar auf den Rat von Professor G o s i o die Stadt Grosset o. Dieselbe liegt in den toskanischen Maremmen, ist von Feldern vnid Wiesen umgeben, welch letztere zum großen Teil sumpfig sind und in nordwestlicher Richtung von der Stadt in ausge- dehnte, mit Schilf bewachsene Sümpfe übergehen. Grosseto ist von jeher als Malariaherd bekannt. Die Stadt hat eine ziemlich großes und gut eingerichtetes Hospital, dessen Be- nutzung uns in zuvorkommender Weise gestattet wurde. Wir konnten unsere mikro- skopischen Arbeiten daselbst vornehmen und sämtliche Malariakranke lücht nur unter- suchen, sondern auch behandeln. Als wir gegen Ende April in Grosseto eintrafen, herrschte noch eine ziemlich kühle Witterung. Im Hospital trafen wir nur wenige Malariafälle an und es bestanden diese Fälle ausschließlich aus Rezidiven, deren Krankheit im Sommer des vorhergehenden Jahres begonnen hatte. Die Witterung wurde im Laufe des Mai und Juni allmählich wärmer, schließlich sogar heiß, aber immer wollten sich noch keine frischen Malariafälle zeigen. Bis zum 23. Juni waren 60 Rezidive ins Hospital geliefert. Dann aber kam mit einem Male der kritische Moment. Am 23. Juni erhielten wir zwei frische Fälle, am folgenden Tage ebensoviel und dann täglich in zunehmender Zahl, so daß in liurzer Zeit die für Älalariakranke bestimmten Räume des Hospitals gefüllt waren. Dieses plötz- liche Einsetzen und rasche Anschwellen der Endemie hatte etwas Aufregendes, es er- innerte ganz an den Ausbruch einer mächtigen Volksseuche. Unter unseren Kranken befanden sich recht viele schwere Fälle. Sie wurden nach den Grundsätzen, welche ich Ihnen in meinem früheren Vortrage auseinandergesetzt 438 Ergebnisse der vom Deutschen Reich ausgesandten Malariaexpedition. habe, behandelt und wir hatten die Freude, von 330 Kranken auch nicht einen zu ver- Heren. Allerdings kam uns dabei sehr zu statten, daß die Kranken frühzeitig in die Pflege des Hospitals und in die ärztliche Behandlung kamen. Aber sie sehen daraus, daß die Malaria, wenn sie nur rechtzeitig und richtig behandelt wird, keine so gefähr- liche Krankheit ist. Die weitere Entwicklung der Endemie konnten wir nur bis zum 8. August ver- folgen, weil wir dann die Weiterreise nach Batavia antreten mußten, um den Beginn der Regenzeit und damit auch denjenigen der Fieberzeit zu treffen. Professor G o s i o hat aber die Endemie mit unermüdlichem Eifer bis zu ihrem Ende beobachtet. Der Verlauf derselben gestaltete sich folgendermaßen: Nach dem explosionsartigen Aus- bruche erlangte sie schnell ihren Höhepunkt, sie hielt sich während des Juli und des größten Teiles des August auf der Höhe, begann aber gegen Ende August bereits wieder zu sinken, wurde dann im September und Oktober immer schwächer und erreichte ihr Ende gegen Mitte November. Von da ab kamen nur noch vereinzelte Nachzügler bis in den Dezember hinein vor. Die eigentliche Fieberzeit hat in Grosseto und Umgebung also nur eine Dauer von fünf Monaten und sieben Monate ruht die Infektion. Aus diesem eigentümlichen Verhalten der Endemie lassen sich nun einige recht wichtige Schlüsse ziehen. Wenn wir uns fragen, wo die Malariaparasiten in der fieberfreien Zeit bleiben, so müssen wir darauf antworten, daß sie in den Mücken ihren Sitz nicht haben können; denn die Mücken fliegen in Italien während des ganzen Winters und namentlich im Frühjahre, sie stechen und saugen auch Blut, wovon ich mich an sehr vielen Exemplaren überzeugen konnte, die ich während der fieberfreien Zeit aus Italien erhalten habe. Wenn aber trotz der stechenden Mücken keine Malaria entsteht, dann können diese Mücken keine Malariaparasiten enthalten. Dies stimmt auch mit unseren sonstigen Erfahrungen über das Verhalten der Malariaparasiten in den Mücken überein ; die Para- siten können sich in den Mücken nur bei einer ziemlich hohen Lufttemperatur entwickeln, die erst gegen Ende Juni erreicht wird. Damit erklärt sich dann sofort die von vorn- herein so merkwürdig erscheinende Tatsache, daß die Mücken im Juni mit einem Male infektiös werden, während die Stiche im Winter und im Frühjahr unschädlich sind. Im Juni stellen sich eben erst diejenigen Bedingungen ein, welche das Reifen der Ma- lariaparasiten in der Mücke ermöglichen. Wir müssen uns also nach einem anderen Träger der Parasiten während der fieber- freien Zeit umsehen. Und da brauchen wir auch nicht lange zu suchen. Wir wissen ja, daß während dieser ganzen Zeit Malariarezidive beim Menschen vorkommen, das heißt so viel, daß es beständig Menschen giebt, welche in ihrem Blute die Malariaparasiten beherbergen. Also muß wohl der Mensch derjenige sein, welcher seinen ärgsten Feinden über die für ihre Fortpflanzung ungünstige Zeit hinweghilft. Allerdings müssen wir bei dieser Annahme eine Voraussetzung machen; nämlich die, daß nicht etwa neben dem Menschen andere Lebewesen, z. B. Säugetiere, den Ma- lariaparasiten als Wirte dienen können. Ich glaube nun aber mit Bestimmtheit angeben zu können, daß dies nicht der Fall ist. Ich habe jede Gelegenheit, die sich mir bis jetzt geboten hat, benutzt, um in Malariagegenden alle möglichen Tiere auf Malariaparasiten zu untersuchen und ich habe auch vielfach versucht, die Malaria auf Tiere zu übertragen, was beim Menschen bekannthch ohne Schwierigkeit gehngt. Es ist mir aber niemals gelungen, auch selbst bei menschenähnhchen Affen nicht, Tiere malariakrank zu machen und ebensowenig habe ich bei irgendeinem Tiere die menschlichen Malariaparasiten auffinden können. Es gibt allerdings ziemlich viele Tierarten, welche gelegentlich Blut- parasiten haben. Derartige Parasiten können auch den menschlichen Malariaparasiten Ergebnisse der vom Deutschen Reich ausgesandten .Malariaexpedition. 439 mehr oder weniger älinlich sein, so z. B. bei Affen und Fledermäusen. Aber sie sind doch immer von den menschhchen Parasiten sicher zu unterscheiden. Unter diesen Umständen bleibt der Mensch also der einzige Träger der Malaria- parasiten während der fieberfreien Zeit. Hat man aber diese Überzeugung erst einmal gewonnen, dann liegt der Gedanke sehr nahe, die Brücke, welche den Parasiten den Übergang von einer Fieberzeit zur nächsten ermöglicht, dadurch zu beseitigen, dal,) man alle Rezidive während der fieberfreien Zeit zur Heilung bringt, oder noch besser indem man schon während der Fieberzeit alle Fälle von Malaria so behandelt, daß überhaupt keine Rezidive entstehen. Auf diese Weise müßte es doch gelingen die Parasiten auszu- tilgen und es dahin zu bringen, daß in dem darauffolgenden Sommer, wenn die zur Ent- wicklung der Parasiten in den Mücken erforderliche Temperatur eintritt, die Mücken keine Parasiten mehr vorfinden, mit welchen sie die Menschen infizieren können. Obwohl die Sache in dieser Form so einfach und selbstverständlich ist, daß ein Widerspruch dagegen eigentlich gar nicht möglich zu sein scheint, so müssen wir doch ein Bedenken dagegen geltend machen. Wir nahmen nämlich an, daß wenn die uns von selbst zugehenden Fälle von frischer und rezidivierender Malaria geheilt werden, auch damit die Malariaparasiten beseitigt sind, und setzen dabei voraus, daß die mit unzweifelhafter und ärztlicher Hülfe erfordernder Malaria Behafteten die einzigen sind, welche Malariaparasiten in ihrem Blute haben. Diese Voraussetzung ist aber, wie wir später sehen werden, nicht richtig und wir würden, wenn wir uns darauf beschränken wollten, nur die heutzutage als malariakrank geltenden Menschen von ihren Parasiten zu befreien, doch nur einen Bruchteil der Parasiten aus der Welt schaffen und den Glücken immer noch hinreichend grol3es Infektionsmaterial lassen, um die Menschen wie bisher weiter zu infizieren. In unserem Rüstzeug zur Bekämpfung der Malaria befindet sich hier noch eine ganz erhebliche Lücke, welche ausgefüllt werden muß, wenn wir auf Fr- folg rechnen wollen. Wenn wir uns aber in unserem Bestreben, der Malaria Herr zu werden, in dieser Richtvmg bewegen, dann liegt es auf der Hand, daß die Mücken dabei nicht mehr in Frage kommen; denn wir richten ja unsere Waffen nicht gegen die Parasiten, welche hl den Mücken ihren Sitz haben oder gegen die Mücken selbst, sondern einzig und allein gegen die im Menschen lebenden Parasiten. Damit verlieren die Mücken aber auch alles praktisches Interesse; es muß uns bei unserer Auffassung ganz gleich sein, wieviele Arten und welche irrten von Mücken bei der Übertragung der Parasiten beteiligt sind. Diese Fragen haben nur noch ein theoretisches Interesse. Gleichwohl habe ich auch den Mücken und ihren Beziehungen zur Malaria während der ganzen Expedition die größte Aufmerksamkeit gewidmet und ein sehr umfangreiches, darauf bezügliches Material ge- sammelt. Es würde aber zu weit führen, wenn ich hier auf dasselbe eingehen wollte. Nur so viel möchte ich bemerken, daß ich niemals auf Widersprüche gegen die von uns angenommenen ätiologischen Beziehungen der Mücken zur Malaria gestoßen bin. Ich habe mich auch davon überzeugen können, daß eine bestimmte Mückengruppe, die Anophelesmücken, vorzugsweise als diejenige anzusehen ist, welche die Malariaparasiten überträgt. Aber für die einzigen Vermittler der Infektion, wie die italienischen und englischen Forscher es wollen, kann ich sie nicht ansehen. Ich halte es vielmehr für sehr wahrscheinlich, daß auch einige Culexarten dieselbe Rolle spielen können. Soweit waren wir in Italien mit unseren Malariaforschungen gelangt, als ich die Weiterreise, nur noch vom Stabsarzt Dr. O 1 1 w i g begleitet, antreten mußte. Wir kamen im September nach Batavia und blieben drei Monate auf Java. Von da aus gingen wir nach Neuguinea, wo wir uns von Ende 1899 bis zum 8. August 1900 aufhielten. Es bot sich uns damit die Gelegenheit, zwei hochinteressante Kolonien in den Tropen 440 Ergebnisse der vom Deutschen Reich ausgesandten Malariaexpedition. unmittelbar nacheinander etwas eingehender kennen zu lernen und die Verhältnisse derselben miteinander zvi vergleichen. Auf der einen Seite Java, ein alter Kolonialbesitz, welcher schon seit einigen hundert Jahren unter europäischem Einfluß steht, und auf der anderen Neuguinea in der ganzen Frische eines noch fast unberührten Landes. Java hat einen ungemein fruchtbaren Boden und ein für die Kultur von wertvollen tropischen Nutzpflanzen sehr günstiges Klima. Es ist dicht bevölkert, überall trifft man Städte und Dörfer. Von den Eingeborenen wird der Reisbau mit einem staunens- werten Fleiß und Geschick betrieben und offenbar bildet der Reis die Grundlage für die Ernährung und Erhaltung der zahlreichen Bewohner. Jedes Fleckchen Land, welches sich bewässern läßt, ist für Reiskultur hergerichtet. Daneben finden sich vielfach die von Europäern angelegten Plantagen für Tabak, Zucker, Indigo, Kaffee, Thee, Kakao, Cinchona. Die Insel ist in ihrer ganzen Länge von einer mit Nebenlinien versehenen Eisenbahn durchzogen und vortreffliche Landstraßen vermitteln den Verkehr zwischen den einzelnen Ortschaften. Der Urwald ist zurückgedrängt in die unzugänglichen Ge- birge und auf die Gipfel der hohen Vulkanberge. Neuguinea besitzt nahezu dasselbe Klima wie Java, hat auch einen sehr frucht- baren Boden, aber nur eine sehr dünne, fast nur auf die Küsten und die kleineren Inseln beschränkte Bevölkerung; Reisbau kennt man nicht, Verkehrsstraßen und Plantagen befinden sich in den allerersten winzigen Anfängen. Das ganze Land, bis auf die kleinsten Inseln ist von einem mächtigen, undurchdringlichen Urwald bedeckt, von solcher üppigen Pracht, wie ich es in keinem anderen Tropenlande, selbst auf dem vielgerühmten Ceylon nicht gesehen habe. Aber ebenso, wie Neuguinea jetzt, hat unzweifelhaft Java vor langer Zeit ausge- sehen. Es hat auch eine Zeit gehabt, wo es sehr schwach bevölkert und vom LTrwald in seiner ganzen Ausdehnung bedeckt war. Erst mit der Einwanderung der Hindus, welche den Reisbau eingeführt haben, ist es anders geworden. Da die Grundlagen für das Gedeihen einer Tropenkolonie günstiges Khma und guter Boden sind, so muß Neuguinea, welches diese Grundlagen in demselben Maße wie Java besitzt, sich auch zu gleicher Blüte entwickeln können. Aber dies wird nur sehr langsam und unter den größten Opfern an Leben und Gesundheit der Kolonisten ge- schehen, wenn wir nicht das schwerste Hindernis, welches der Entwicklung unserer Kolonie entgegensteht, nämlich die Malaria, beseitigen. Wie ein Gifthauch legt sich die Malaria über das schöne üppige Land. Alle Europäer, die nach Neuguinea kommen, erkranken mit sehr wenigen Ausnahmen schon nach wenigen Wochen an Malaria. Man- chen hat die Krankheit schon dahingerafft, nur einzelne halten es für längere Zeit aus, die übrigen müssen nach einem oder zwei Jahren das Land wieder verlassen. Ebenso geht es mit den fremden Arbeitern, Chinesen und Malayen, welche wegen Arbeitermangel nach Neuguinea geführt werden. Die Malayen. die einzigen, welche mit Familie nach Neuguinea kommen, verlieren dort ihre Kinder und wollen sich wesentlich aus diesem Grunde nicht mehr anwerben lassen. Auch die Eingeborenen leiden schwer unter der Malaria und auf eine Zunahme der Bevölkerung ist nicht zu rechnen, so lange die Ma- laria ihr verheerendes Wesen treibt. Aber wie sollen wir dieses Übel wegschaffen ? Ehe ich an die Beantwortung dieser Frage gehe, muß ich Ihnen über eine Entdeckung berichten, welche es uns ermöglicht, die früher erwähnte Lücke in unserem Rüstzeug gegen die Malaria auszufüllen. Als ich auf Java daran ging, größere Bevölkerungsgruppen und ganze Ortschaften zu untersuchen, um zu sehen, wie sich die Malaria in denselben verhält, fand ich zu meiner großen Überraschung, daß die Malaria in echten Malariagegenden hauptsächlich Ergebnisse der vom Deutschen Eeich ausgesandten Malariaexpedition. 441 unter den Kindern haust; wo sie ganz migestört waltet, wird sie geradezu zu einer Kinder- krankheit. Daß die Malaria aueh Kinder befallen kann, w\ißte man schon längst, aber daß sie dieselben in einem solchen Umfange, unter Umständen sogar ausschheßlich ergreift, das war bisher gänzlich unbekannt. Am besten lassen sich diese V erhältnisse in den Küstendörfern von Kaiser- Wilhelms- Land studieren. Die Bevölkerung derselben lebt so abgeschlossen von der übrigen Welt, selbst von den Nachbarortschaften, die nur wenige Meilen entfernt sind, daß im Laufe der Zeit fast jeder Ort eine eigene Sprache angenommen hat und daß sich z. B. die Bewohner der einzelnen Dörfer an der Astrolabebai nicht untereinander verständigen können. In solchen Ortschaften, wo niemand zuzieht und niemand wegzieht, kann die Malaria ungestört schalten und walten. Wenn hier jemand an Malaria erkrankt, dann kann man mit Sicherheit annehmen, daß er seine Krankheit im Orte selbst empfangen und nicht etwa von auswärts hereingeschleppt hat. Derartige Dörfer habe ich mehrfach untersucht und folgendes gefunden. Die Kinder unter zwei Jahren hatten säintlich oder zum allergrößten Teile Malariaparasiten in ihrem Blute. Auch im letzteren Falle, wenn z. B. bei SO Proz. Kindern Malariapara- siten gefunden werden, muß man annehmen, daß sie ausnahmslos an Malaria leiden, weil man bei einer einmaligen Blutuntersuchung nicht gerade alle Kinder in dem Zeit- punkt trifft, wo sich die Parasiten in dem Pingerblute vorfinden. In der Regel werden unter den untersuchten Kindern einige sein, welche sich zwischen zwei Rezidiven be- finden und vorübergehend keine Parasiten im Fingcrlilute haben. Findet man 100 Proz. mit Parasiten beliaftet. dann ist dies eben ein für den Untersucher glücklicher Zufall. Kinder im Alter zwischen zwei und drei Jahren liefern schon eine etwas geringere Zahl von positiven Malariafunden. Im Alter von drei bis vier Jahren nimmt die Zahl schon erheblich ab. Noch mehr bis zum fünften Jahre. Von da ab kommen nur noch ganz vereinzelte Fälle vor. Das höchste Alter, bei welchem ich in diesen Küstendörfern noch Malaria getroffen habe, war zehn Jahre. In der Regel hört aber die Malaria unter den Kindern mit dem fünften Jahre auf. Alle über iüni Jahre alten Einwohner dieser Döifer, mit Ausnahme der er- wähnten wenigen Fälle im Alter von sechs bis zehn Jahren, waren vollkommen frei von Malaria. Würde man in einem solchen Dorfe nur die halberwachsenen und die erwachsenen Menschen auf Malariaparasiten untersuchen, dann würde man keine Spur davon finden: ebensowenig würde man etwas von der Krankheit erfahren, wenn man sich darauf ver- lassen Avollte, daß Malariakranke dem Arzte zugeführt werden; denn die Erkrankungen der Kinder Averden entweder gar nicht beachtet oder für alles andere, aber nicht für Malaria gehalten. In diesen Küstendörfern von Neuguinea ist die Malaria in der Tat eine Kinder- krankheit. Genau ebensolche Verhältnisse habe ich aber auch mehrfach auf den Inseln des Bismarckarchipels und auf den Tamiinseln gefunden. Dieses eigentümliche Verhalten der Malaria beweist zunächst, daß die in Malaria- gegenden Geborenen sämtlich empfänglich sind für Malaria, daß sie vier bis fünf Jahre unter Malaria zu leiden haben, dann aber eine vollständige L'nempfänglichkeit, d. i. Immunität erwerben. Bei vereinzelten Menschen tritt die Immunität etwas später ein, bei einigen kann sie auch schon früher erfolgen. Wenn Menschen in Malariagegenden immun gCAvorden sind, dann können sie sich auch in andere Orte begeben, ohne dort an Malaria zu erkranken. So fand ich unter den Plantagenarbeitern in Stephansort viele Melanesen, welche während ihres Aufenthaltes auf der Plantage niemals malariakrank gewesen waren. Diese Leutestammtensämtlieh von der Küste des Kaiser- Wilhelms-Landes, 442 Ergebnisse der vom Deutschen Reich ausgesandten Malariaexpedition. welches mit Ausnahme einer kurzen Strecke malariaverseucht ist. Nur die von dieser malariafreien Strecke angeworbenen Leute werden in Stephansort malariakrank. Ebenso verhält es sich auch mit den Inseln des Bismarckarchipels. Diejenigen von ihnen, welche malaria verseucht sind, liefern immune Arbeiter ; die malariafreien dagegen malariaempfäng- liche. Sehr empfänglich für die Infektion sind auch die Europäer, die Chinesen, sowie die Ambonesen. Die Blutuntersuchung der Kinder bietet ein ganz vorzügliches Mittel, um sich in kürzester Frist davon zu überzeugen, ob ein Ort endemische Malaria hat. Es gilt dies nicht nur für die streng isolierten Ortschaften und Inseln Neuguineas, sondern läßt sich auf jeden bewohnten Ort anwenden. Von den Kindern, insbesondere von den Kindern unter einem Jahre, läßt sich wohl überall annehmen, daß, wenn sie Malariaparasiten haben, sie mit diesen an Ort und Stelle infiziert sind. Nur ausnahmsweise wird es vor- kommen, daß so junge Kinder an anderen Orten infiziert wurden. Wenn also ein erheb- licher Prozentsatz derselben infiziert befunden wird, dann muß es an dem betreffenden Orte endemische Malaria geben. Für die Bekämpfung der Malaria ist es von größter Bedeutung, auf solche Weise sich schnell über das Vorhandensein und die Stärke des Feindes orientieren zu können. Diese Kinderuntersuchungen haben uns aber noch eine weitere wichtige Kenntnis über das Verhalten der Malariaparasiten verschafft. Die Immunität tritt nicht pötz- lich ein, r ondern sie kommt ganz allmählich zustande. Beim Übergange vom empfäng- lichen zum nicht empfänglichen Zustande werden die Krankheitsfälle nur schwächer und seltener; sie werden schließlich so unbedeutend, daß sie von dem Kranken kaum noch empfunden, auf jeden Fall nicht mehr beachtet werden. Derselbe scheint gesund zu sein, aber in seinem Blute findet man noch immer die Malariaparasiten, wenn auch oft in sehr geringer Menge. Aber die Parasiten befinden sich gerade bei solchen Kranken, die ich als latente Fälle bezeichnen möchte, häufig in demjenigen Zustande der Reifung, der sie für die Weiterentwicklung in der Mücke fähig macht. Diese latenten Fälle verdienen deswegen, wenn es sich um die Ausrottung der Parasiten handelt, ganz besondere Be- achtung, sie sind eine Gefahr für ihre Umgebung. Ebenso wie die in einer Malariagegend Geborenen verhalten sich selbstverständlich auch die aus einem malariafreien Orte stammenden Eingewanderten; sie müssen, wenn sie dauernd daselbst bleiben wollen, der Malaria ihren Tribut zahlen und, falls sie mit dem Leben davonkommen, mehrere Jahre an immer wiederkehrenden Malariainfektionen leiden, bis sie endlich immun geworden sind, oder, wie man sich heute noch fälschlicher- weise ausdrückt, bis sie sich akklimatisiert haben. Auch unter diesen finden sich vor dem Eintreten der Immunität die latenten Fälle von Malaria, wovon wir uns bei der Untersuchung der Plantagenarbeiter in Stephansort hinreichend überzeugen konnten. Außer diesen drei Kategorien von Malariakranken, nämlich den klinisch leicht er- kennbaren Kranken, den Malariakindern und den latenten Fällen, sind mir bei meinen vielfachen Untersuchungen keine weiteren Träger der Malariaparasiten bekannt geworden, und wir können wohl annehmen, daß wir damit über alle Schlupfwinkel und Verstecke unseres Feindes soweit orientiert sind, um den Vernichtungskrieg gegen denselben auf- nehmen zu können. Der Kampf gegen die Malaria wird sich also nunmehr so gestalten, daß wir außer den sich von selbst bietenden frischen Fällen und Rezidiven unter den Erwachsenen mit größter Sorgfalt die Malariafälle unter den Kindern und die latenten Fälle mit Hilfe von systematischen Blutuntersuchungen ermitteln und sämtlich durch eine rationelle Behandlung mit Chinin zur Heilung bringen. Nur auf diesem Wege werden wir alle Ma- lariaparasiten an dem betreffenden Malariaorte vernichten. Im Grunde genommen Ergebnisse der vom Deutschen Reicli ausgesandten Malariaexpedition. 443 befolgen wir damit dieselben Grundsätze, welche sich bei der Bekämpfung der Cholera so vortrefflich bewährt haben. Auch in diesem Falle kam es darauf an, so frühzeitig wie möglich die einzelnen Krankheitsfälle zu erkennen vnid, wenn dies geschehen, sie durch Isolierung und Desinfektion unschädlich zu machen. Bei der Malaria sind wir aber erheblich besser daran, weil wir an Stelle der Isolierung und Desinfektion die Be- handlung mit Chinin treten lassen und den Kranken für seine Umgebung dadurch un- schädlich machen, daß wir ihn heilen. Um nun aber zu sehen, ob sich dieser Felclzugs- plan auch in der Praxis bewähren wird, haben wir einen Versuch zur Austilgung der Malaria in Stephansort gemacht. Stephansort ist eine Tabaksplantage der Neu- Guinea-Kompagnie mit etwas über 700 Personen. Es liegt an der Astrolabebai, hat einen durchlässigen Boden, welcher mit Rücksicht auf den Tabakbau sehr gut dräniert ist. Es findet sich nirgendwo Sumpf- bildung. Mücken, insbesondere Anopheles, gibt es sehr viele, auch Malaria ist reichlich vorhanden. Alle Europäer und Arbeiter aus immunen Gegenden erkranken in Stephans- ort in der Regel schon nach den ersten zwei bis drei Wochen. Ganz besonders stark herrscht die Malaria während der Regenzeit, insbesondere zu Beginn und am Schlüsse derselben. Wir kamen nach Stephansort, als die Regenzeit eben begonnen hatte und gingen sofort an das Werk. Sämtliche Leute wurden untersucht, und es fanden sich 157 Per- sonen, welche Malariaparasiten im Blute hatten. Nur sehr wenige davon befanden sich in Chininbehandlung, und es fehlte also nicht an Parasiten, welclie zu weiteren Infek- tionen dienen konnten. Wir nahmen sofort alle mit Parasiten Behafteten in Behandlung und erreichten, daß zwei Monate später bei wiederholten Nachuntersuchungen die Zahl der Parasiten- träger nur noch eine sehr geringe war, und zwar handelte es sich nur um Rezidive von Quartana, welche die am wenigsten gefährliche, aber auch die hartnäckigste Form der Malaria ist. Von da ab wurden nur noch wenige Leute mit Chinin behandelt und trotz- dem kamen nur noch ganz vereinzelte Fälle von frischer Malaria vor, welche vielleicht von früher infizierten und bis dahin am Leben gebliebenen Mücken herrührten oder, was mir wahrscheinlicher ist, auf das benachbarte Eingeborenendorf Bogadjim, in wel- chem eine große Zahl von Kindern malariakrank ist, bezogen werden müssen. Die Abnahme der Malaria ist am besten an dem Zugang der malariakranken Chi- nesen und Javanen im Hospital für Farbige zu erkennen. Dieselbe betrug im Januar II», Februar 11, März 5, April 2. Dieser Versuch spielte sich in einer Zeit ab, welche erfahrungsgemäß die für Ma- laria günstigste ist. Die Tabaksfelder mußten vorbereitet werden, zu welchem Zwecke der AVald gerodet, der Boden umgewühlt. Gräben angelegt wurden; alles Arbeiten, welche in bezug auf Malaria für besonders gefährlich gelten. Auch die Witterung hätte der Malaria zu statten kommen müssen, da fortwährend kurze Regenperioden mit trockenen Zeiten abwecliselten und sich der Übergang von der Regenzeit zur Trockenzeit lange hinzog. In früheren Jahren hatten sich um diese Zeit die Fälle von Malaria immer sehr gehäuft, im vorhergehenden Jahre hatte sie in schrecklicher Weise unter den Arbeitern gewütet. In diesem Jahre war sie bis auf unbedeutende Reste zum Verschwinden ge- bracht und sie kam auch bis zu unserer Abreise im August nicht wieder zum Vorschein. Wir müssen miseren Versuch also als vollkommen gelungen ansehen. Er bezieht sich allerdings nur auf eine einzige Plantage und auf nicht mehr als siebenhundert Menschen; aber er beweist doch im Prinzip das, was er beweisen sollte; vor allem, daß die Voraus- setzungen, von denen ich bei dem Anstellen des Versuches ausgegangen bin, richtig sind. Wir sind ausschließlich gegen die im Menschen befindlichen Parasiten vorgegangen und 444 Ergebnisse der vom Deutschen Reich ausgesandten Malariaexpedition. haben uns weder um die Mücken, welche während der ganzen Zeit in unverminderter Zahl vorhanden waren, noch um etwaige Parasiten in anderen Lebewesen gekümmert. Wenn die Malariaparasiten aus dem Boden, aus Sümpfen, durch Vermittlung der Mücken aus Tieren in den Menschen gelangen könnten, dann hätte die Malaria durch unsere Maßregel gar nicht beeinflußt werden dürfen, sie hätte um diese Zeit ebenso massenhaft auftreten müssen, wie in früheren Jahren, was aber nicht der Fall gewesen ist. Unser Versuch beweist aber ferner, daß wir mit unserem Untersuchungsverfahren in der Tat alle Parasiten aufgefunden und mit unserem Behandlungsverfahren auch wirk- lich vernichtet haben. Was hier aber in kleinem Maßstabe in Stephansort gelungen ist, das muß sich auch in anderen Orten, es muß sich schließlich auch in großem Maßstabe durchführen lassen. Dafür, daß sich das in der Tat erreichen läßt, kann ich Ihnen ein Beispiel anführen, welches sich unter unseren Augen und in unserer nächsten Umgebung zugetragen hat. Noch vor 30 Jahren hatte Norddeutschland an vielen Orten, namentlich in Fluß- niederungen, in den Marschländereien, in Festungen, schwer unter Malaria zu leiden. Die Krankheit hat aber seit jener Zeit bis auf den heutigen Tag in einer ganz wunder- baren Weise abgenommen, wie am deutlichsten aus der Armee- Statistik zu ersehen ist. Im Jahre 1869 hatte die Armee 13 563 Fälle von Malaria (54,5 %o) „ „ 1879 „ „ „ 8 909 „ „ „ (27,2 %„) „ „ 1889 „ „ „ 1 496 „ „ „ ( 3,6 %„) „ 1896 „ „ „ 230 „ „ „ (0,45 %„) Die Malaria ist also in dieser Zeit auf weniger als ein Hundertstel zurückgegangen. Die Festung Spandau hatte 1874 3853 Mann Besatzung mit 2557 Malariafällen 1885 4804 „ „ ,, III 1895 5883 „ „ „ 1 „ Dieser früher als Malariaherd berüchtigte Ort ist jetzt so gut wie frei von Malaria. Aber nicht nur in der Militär-, sondern auch in der Zivilbevölkerung ist die Malaria in gleicher Weise zurückgegangen. Es wäre mir sehr erwünscht gewesen, einen eben- solchen Versuch wie in Stephansort in Norddeutschland auszuführen, um denselben längere Zeit hindurch überwachen zu können, und ich hatte zu diesem Zwecke Professor Frosch veranlaßt, nach einem geeigneten Orte zu suchen. Demselben ist es aber nicht gelungen, in Norddeutschland einen wirklichen Malariaherd aufzufinden. Es kommen zwar immer noch einige Fälle von Malaria vor, aber dieselben sind nur verstreut, selbst in den Marschgegenden. Im allgemeinen nimmt man an, daß dieses starke Zurückgehen der Malaria, welches übrigens auch in unseren Nachbarländern beobachtet wird, durch Flußregulierungen, Trockenlegen von Sümpfen, bessere Wohnungsverhältnisse bedingt ist. Ich will nun nicht bestreiten, daß derartige Maßregeln einen Einfluß auf die Malaria haben. Aber sie können hier doch nur von geringer Wirkung gewesen sein. Denn wir haben noch Sümpfe und sumpfige Niederungen genug, um reichlich Malaria entstehen zu lassen. Wir haben aber vor allem überall, wo früher Malaria gewesen ist, die Mücken und ins- besondere Anopheles in unverminderter Zahl, zum Beispiel in der Umgebung von Berlin. An den Vermittlern der Infektion fehlt es also trotz Flußregulierungen usw. nicht, aber es fehlt an Infektionsmaterial, d. h. an den Malariaparasiten, welche die Mücken über- tragen könnten, und diese sind aus einem ganz anderen Grunde so selten geworden und vielfach ganz verschwunden. Vor 30 Jahren war das Chinin, der ärgste Feind der Malaria- parasiten, noch so teuer, daß es der ärmeren Bevölkerung, in welcher die Malaria ja vor- Ergebnisse der vom Deutschen Reich ausgesandten Malariaexpedition. 445 zugsweise haust, so gut wie unzugänglich war. AHmähhch ist aber das Chinin biUiger geworden, und jetzt findet man es in Malariagegenden in jedem Hause, wo es geradezu wie ein Hausmittel gebraucht wird. Nur diesem Umstände ist es zu verdanken, daß die Malariaparasiten und mit ihnen die Malaria selbst so abgenommen haben. Dieser Versixch im großen ist kein beabsichtigter, er ist ganz unbewußt und planlos vor sich gegangen, hat deswegen aber auch eine im Verhältnis zu unserem Versuche in Stephansort so lange Zeit in Anspruch genommen. Ehe ich dazu übergehe, Ihnen auseinanderzusetzen, in welcher Weise wir das von mir in Vorschlag gebrachte Verfahren in unseren Kolonien anwenden sollen, möchte ich noch mit wenigen Worten die in letzter Zeit von anderer Seite ausgegangenen Vor- schläge zur Bekämpfung der Malaria berühren. Dahin gehört zunächst der Vorschlag, diejenigen Mücken, welche bei der Malaria- infektion eine Rolle spielen, auszurotten. Es soll dies so bewerkstelligt werden," daß die Wassertümpel und Sümpfe, in denen sich die Mückenlarven entwickeln, mit Petro- leum Übergossen werden, um die Larven zu töten. An einzelnen wenigen Stellen, welche besonders günstig dafür sind, kann dieses Verfahren gewil.^ nützlich sein, aber in den Tropen, speziell in unseren Kolonien werden wir nichts damit anfangen können. In Stephansort gibt es beispielsweise gar keine Tümpel und Sümpfe, welche man mit Petroleum über- gießen könnte; dagegen bilden Palmen und Bananen an ihren Blattwinkeln. Bambus in den abgehauenen Stämmen, am Boden liegende Fruchtschalen. Blätter usw. un- zählige Wasserbehälter, in denen die Mückenlarven sich entwickeln ; in anderen Gegenden sind es die Reisfelder, welche den Mücken als Brutstätten dienen. Die Behandlung solcher Brutstätten mit Petroleum ist eine Unmöglichkeit. Um sich gegen die Mückenstiche zu schützen, sind mancherlei Einreibungen, meistens ätherische Die, empfohlen. Ich habe viele von diesen Mitteln geprüft, habe auch einige kennen gelernt, welche die Mücken ziemlich gut abhalten. Leider wirken sie aber nur kurze Zeit und sind deshalb ungeeignet, einen sicheren Schutz zu gewähren. Eine häufige Anwendung von ätherischen Ölen ist außerdem wegen giftiger Wirkung auf die Nieren nicht unbedenklich. Zu den Vorkehrungen gegen den Mückenstich gehört auch das allbekannte Moskito- netz. Demjenigen, welcher sein Moskitonetz frei von Löchern hält, und es so aufhängt, daß es an allen Seiten schließt, gibt es einen sicheren Schutz gegen die Mücken, voraus- gesetzt, daß er während der Flugzeit der Malariamücken, nämlich von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang das Netz nicht verläßt. Diese Bedingungen werden leider nur selten oder gar nicht streng durchgeführt, wenigstens nicht auf die Dauer, und daher kommt es, daß, obwohl bei den Europäern in den Tropen das Moskitonetz überall im Gebrauch ist, dieselben dennoch so häufig an Malaria erkranken. In Stephansort hat jeder Arbeiter sein Moskitonetz, und die Leute wissen ganz gut damit umzugehen, aber auf die Malaria hat dies keinen Einfluß ausgeübt, aus dem einfachen Grunde, weil die Arbeiter nicht mit Sonnenuntergang schlafen gehen, sondern ihren Vergnügungen nachgehen und sich oft bis tief in die Nacht hinein im Freien bewegen. Ganz dasselbe, was ich vom Moskitonetz gesagt habe, gilt auch von dem in letzter Zeit von Italien aus mit so großem Enthusiasmus angepriesenen mückensicheren Hause. Dasselbe ist ja weiter nichts als ein erweitertes Moskitonetz. So lange dasselbe dicht- schließend gehalten wird und die Einwohner nach Sonnenuntergang im Hause bleiben, kann es sehr nützlich sein, und ich würde niemandem, der sich ein solches Haus anlegen will, davon abraten. Aber im übrigen hat es alle Schwächen des Moskitonetzes. Es wird nicht immer dicht bleiben, und die größte Schwierigkeit wird sein, die Einwohner während der Flugzeit der Mücken immer im Hause zu halten. Die Leute in diesem Falle 446 Ergebnisse der vom Deutschen Reich ausgesandten Malariaexpedition. Schleier und Handschuhe tragen zu lassen, wird in einem kühleren Klima vielleicht durchführbar sein, in den Tropen ist es unmöglich. Nachdem es gelungen ist, Menschen gegen gewisse Krankheiten künstlich immun zu machen, ist man auf den Gedanken gekommen, auch nach einem Immunisierungs- verfahren gegen Malaria zu suchen. Alle hierauf gerichteten Bestrebungen sind bisher erfolglos gewesen. Es ist auch kaum Aussicht vorhanden, Menschen gegen eine Krank- heit, die erst nach sehr vielen Anfällen und im Laufe von mehreren Jahren eine natür- liche Immunität erzeugt, künstlich zu immunisieren. Aber auf eine andere Weise kann man sich einen, wenn auch nur vorübergehenden Schutz gegen die Malariainfektion verschaffen, nämlich durch die prophylaktische An- wendung von Chinin. Diese Art der Prophylaxis ist schon lange bekannt und wird in den Tropen sehr viel angewendet, allerdings meistens in ungenügender Weise. Aber in richtiger Dosis und in nicht zu langen Zeiträumen genommen, gewährt das Chinin einen fast sicheren Schutz. Leider wird dieses Mittel in den Dosen, welche ausreichend schützen, in den allermeisten Fällen nicht dauernd ertragen. Es stellt sich ein großer Widerwille gegen das Mittel ein, es wird sodann nachlässig gebraucht und auch zeit- weilig ganz weggelassen. Für die Anwendung im großen und für längere Zeiträume eignet sich die Chininprophylaxis nicht. Wo aber es darauf ankommt, Menschen für eine nicht zu lange Zeit. z. B. auf Expeditionen, nach Berührung eines malariaverseuchten Hafens, bei kurzem Aufenthalt an einem Malariaorte, zu schützen, da ist die Chinin- prophylaxis entschieden sehr zu empfehlen. Alle die soeben besprochenen Verfahren, sofern sie überhaupt etwas gegen die Malaria leisten, sind nur für wenige Menschen und nur vorübergehend von Nutzen. Dieselben können mit dem von mir angegebenen Verfahren, das die Bekämpfung der Malaria im großen und die Austilgung der Krankheit überhaupt anstrebt, nicht ver- glichen werden. Ich möchte auf diesen prinzipiellen Unterschied nochmals ausdrücklich hinweisen, da es mir mehrfach begegnet ist, daß, selbst Ärzte nicht begriffen hatten, daß die Chininprophylaxis und mein Verfahren zwei ganz verschiedene Dinge sind. Erstere hat den Zweck, den Menschen überhaupt nicht erkranken zu lassen; wenn dies im großen ausführbar wäre, dann wäre es unbestritten das Ideal der Malariabekämpfung. Da sie aber nach meinen Erfahrungen nur in geringem Umfange anwendbar ist, so gehört sie zu den beschränkten, zu den kleinen Mitteln. Mein Verfahren will dagegen die Malaria- parasiten in den bereits erkrankten Menschen ausrotten; es läßt sich auf alle Menschen, welche dadurch zugleich von ihrer Krankheit geheilt werden, anwenden. Dabei ist aber nicht ausgeschlossen, daß neben meinem Verfahren Chininprophylaxis, mückensichere Häuser und Moskitonetze Verwendung finden. Sie können, soweit ihr beschränkter Wirkungskreis reicht, der Bekämpfung der Malaria im großen zu Hülfe kommen. Allein für sich werden sie gegen die Malaria nichts ausrichten. Wie sollen wir nun aber vorgehen, um möglichst bald praktischen Nutzen aus den neueren wissenschaftlichen Untersuchungen über die Malaria für unsere Kolonien zu ziehen ? Diese Frage ist einfach dahin zu beantworten, daß wir weit mehr Ärzte hinaus- senden müssen als bisher, und daß wir das Chinin allen Unbemittelten, namentlich den Arbeitern und den Eingeborenen möglichst zugänglich zu machen haben. Das letztere werden wir am besten dadurch erreichen, daß wir nach dem Vorbilde der Niederländisch-Indischen Regierung das Chinin unentgeltlich abgeben. In Nieder- ländisch-Indien werden jetzt mehr als 2000 Kilogramm Chinin jährlich unentgeltlich abgegeben, und ich bin davon überzeugt, daß die ganz auffallende Abnahme der Malaria in jener Kolonie nur durch diese Maßregel bewirkt ist. Ergebnisse der vom Deutschen Reich ausgesandten Malariaexpedition. 447 Die Ärzte, welche zur Bekämpfung der Malaria in die Kolonien hinausgesandt werden, müssen zwei Bedingungen erfüllen; sie müssen erstens im Mikroskopieren so geübt sein, daß sie auch die schwierigen latenten Fälle, bei denen oft nur vereinzelte Parasiten nachzuweisen sind, mit Sicherheit diagnostizieren können, und sie müssen zweitens verstehen, die Malaria gründlich zu heilen, d. h. so zu heilen, daß keine Rezidive mehr erfolgen. Wie es in unseren Kolonien in bezug hierauf stellenweise noch aussieht, das habe ich in Neuguinea erfahren. Dort sind überhaupt nur zwei Ärzte. Beide sind durch die Praxis so in Anspruch genommen, daß ihnen zum Mikroskopieren keine Zeit bleibt; aber wie sollen sie die Malaria in rationeller Weise bekämpfen, wenn es ihnen nicht einmal möglich ist, eine sichere Diagnose der einzelnen Malariafälle zu stellen. So lange diese Zustände herrschen, wird an eine Abnahme der Malaria in Neu- guinea nicht zu denken sein. Es ist nun nicht meine Meinung, sofort eine größere Anzahl von geeigneten Ärzten zu entsenden, schon aus dem Grunde nicht, weil augenblicklich nur recht wenige der- artige Ärzte vorhanden sind. Aber man sollte doch wenigstens an einigen besonders passenden Orten, ich denke dabei an Neuguinea und Südwestafrika, in derselben Weise vorgehen, wie wir es in Stephansort getan haben. Allmählich wird man dann immer mehr Plätze besetzen und die Operationsbasis ausdehnen können. Auf diese Weise werden wir unserem Ziel näher und näher kommen und, wie ich nicht zweifle, schließlich das erreichen, Avas wir alle so dringend wünschen, die Malaria, welche sich der schnellen Entwicklung unserer Kolonien hindernd entgegenstellt, auszutilgen. Address on Malaria to the Congress at Eastbourne. ) By Prof. Dr. R. Koch, Geh. Med. Rat, Director of the Institution for Infektious Diseases, Berlin, and Member of the Imperial Sanitary Board. When I was a Student of medicine, we were taught that malaria was not an infec- tious disease — i.e., not transmissible from person to person — and that it was originated by inhaling bad air. It was regarded as the type of the miasmatic as contrasted with the contagious diseases. What a change has taken place since then! Now we know that malaria can be transmitted when one injects the blood of a malaria patient into the body of a healthy person, a case, indeed, which does not occur under natural circumstances. We know, also, that malaria is not caused by gaseous substances, but by micro-organisms which belong to the category of the animal parasites, are imbibed by gnats or mosquitoes with the blood they suck, further developed in the bodies of the gnats, and finally inoculated into healthy human beings again. So, according to the views now prevalent, malaria cannot possibly be produced without the co-operation of two factors, namely, the malaria-parasites and the mosquitoes or gnats. It is a matter of course that so complete a transformation of our views as to the nature of malaria has led to a corresponding transformation of opinion regarding the measures to be taken against it. In former times they knew only one means of getting rid of malaria, namely, the drying-up of swamps, a means which unfortunately admits of application only to a comparatively small extent. Attemps were therefore made to support tliis measure by planting certain plants, such as the eucalyptus and the helianthemum, of which it was beHeved that, by their large consumption of water, they could deprive the soll of its swampy char acter. Now a number of other measures, based on better knowledge of the etiology of malaria, have been proposed, of which the following are the most important: Firstly, people are advised to avoid the neighbourhood of malaria patients, and to fix their abodes at least one mile from places where malaria prevails. Secondly, it is proposed to exterminate the malaria-transmitting mosquitoes by destroying their larvae at the accessible breeding-places. Thirdly, human beings are to be protected against the mosquitoes by wire nets for their dwellings and by gloves and veils for their hands and faces. Fourthly , efforts are to be made to exterminate the malaria-parasites by the rational use of quinine. 1) Aus The Journal of State Medicine, 1901, No. 10. Verlag von Bailliere, Tindall & Cox, London. Address on Malaria to the Congress at Eastbovirne. 449 It is obvious that these four proposals are theoretically of equal value. If one never lias occasiou to go nare people suffering from malaria, or if one is never stung by gnats, one cannot get malaria; and if cither the gnats or the malaria-parasites are externiinated, malaria must vanish for ever, because one of the faetors absolutely necessary for its production has ceased to exist. How these proposals will stand the test of practice, however, whether it is possible to carry them out to so general an extent as we had to suppose in estimating their theoretical yalue, is qviite another question. The discussion of the question is of special interest at present, because experiments are now being made everywhere with a view to proving the practicability of the measures I liave mentioned. I believe, therefore, that I may count un your assent if I choose the Said measures for the theme of this lecture and take the liberty to discuss the nieasure proposed by myself in somewhat fuUer detail. If we begin with the drying-up of swamps, a measure which has l^een known from of old. we must regaixl its efficacy as confirmed by manifold experience and consequently as proved. Now, indeed, we know that the effect is not due, as was formerly supposed, to the prevention of the rotting of vegetable-matter which was supposed to emit the gases that caused the disease, but to the destruction of the breeding-places for the gnats. So, strictly speaking, this measure coincides with that aimed directly against the larvae of the gnats, of which I shall speak later on. Formerly attention was paid almost ex- clusively to extensive swamps, which could be dried up by regulating rivers and by means of deep drains through which the water could flow off. In this way districts have not infrequently been freed of malaria. In those cases, however, the pourpose was always gained by very expensive works. of which it cannot even always be said that they were necessary; for it has been discovered that the anopheles-gnats, which are the chief trans- mitters of malaria, have their breeding-places much more frequently in little puddles and pools than in great swamps. Several times iia New Guinea I saw many larvae of anopheles-gnats in quite small gatherings of water in wheel-marks and even in water-butts. In Italy I repeatedly found them in water-vessels which were placed in gardens for the purpose of watering the plants. In future, then, it will be necessary topay attention to the small and even smallest gatherings of water, which can generally be rendered harmless by filling-up or by frequent emptying, rather than to large swamps, which cannot, as a rule, be easily got rid of. Where such easily-remedied conditions exist, it is certainly advantageous to remedy them; but in by far the majority of cases, especially in the tropics, comparatively little can be done against swamps. In tropical regions it will not be possible in the rainy season even to get rid of all the little jmddles that keep continually forming and reforniing. In many districts the mosquitoes find many opportu- nities of laying their eggs not only in the swamps, but also in hoUows in trees, in stones, and Avherever water can gather, so that they are not exclusively dependent on the swamps at all. On the tobacco-plantation of Stephansort in New Guinea, for instance, there were very many anopheles-gnats and also a great deal of malaria, though the whole territory was most carefully drained for the tobacco's sake, and swamps were therefore impossible. In general, then, one may say of this measure that it is in itself a useful one, but that the extent to which it can be applied is but limited. Of the direct extermination of the larvae of the gnats by destroying the breeding- places, pouring petroleum into the water, or other larvicidal means, the same may be said. Where ver it is possible it ought to be effected, but that will be only where the gnats have but few, easily accessible. and not too large gatherings of water to lay their eggs in. Such attempts have already been made by Fermi in the Island of Asinara. off Koch, Gesammelte Werke. 74 450 Address on Malaria to the Congress at Eastbourne. the north coast of Sardinia, and by Kerschbaumer at Rovigno in Istria. I suppose you know also that Roß has gone to the west coast of Africa again, to try on a large scale to get rid of and destroy the breeding-places of the anopheles. Before the end of this year, perhaps, we shall learn the results of these experiments. I am convinced that they will succeed wherever the conditions I have mentioned exist ; but wherever there is tropical Vegetation, and especially where rice, which requires permanent Irrigation, is grown, I consider it impossible to gain any advanta^ge by this measure. The proposal to run away from malaria, so to speak, by living at least one mile away from all native Settlements where malaria previals, is one with which I have very little sympathy. If the pestilence in question were of short duration, like cholera, plague, typhus and the like, compliance with such advice might be of use; but flight from so stationary a disease as malaria is equivalent to final renunciation of the most f ertile regions in the tropics. For this reason, too, the merchants have already declared against it, because it would intolerably hamper all intercourse with the native population. The missionaries, too, are against it, because, if they lived far away from the natives, they would lose their influence over them. And yet this proposal, too, may be advantageously complied with when contact with a malaria native settlement is temporary — on expedi- tions, for instance. In such cases it will always be very expedient to encamp for the night not in or beside the dwellings of natives, but at a suitable distance from them. In permanent Settlements, however, only a few individuals will be able te comply with this proposal. Nor has hitherto, so far as I am aware, any use been made of this measure. The proposal to project the inhabitants of malarial districts at night against the mosquitoes' stings by nets, veils, and gloves sounds very plausible at first. It has been received with great enthusiasm, and has been acted upon in Italy at many places, and, to all appearance, with good success. But in the case of this measure, too, reasonable as it looks from the theoretical point of view, it was soon found that it admits of but very limited application in practice. In Italy, at least, the arrangements for securing houses against malaria seem not to have been resorted to yet, except in the case of the railway- signalmen's cottages and some small railways-stations, and as to the wearing of veils and gloves, it may perhaps be practicable in the Italian climate, but in the tropics the number of people that will wiUingly adopt this measure is not likely to be great. The few experiments that have hitherto been made in the tropics with metal nets for the protection of houses against mosquitoes have, so far as my Information goes, given little satisfaction. But even if they perform their function perfectly at first, I fear they will soon share the fate of the well-known mosquito-nets, which, in the hands of the native servants, almost always become so defective that they afford but a partial protection against the mosquitoes, if any. For these reasons, and because it certainly cannot be made available for the native population, and therefore cannot effect a real stamping out of malaria at all, I expect less of this measure than of all the rest. I come now to the measure proposed by myself, which aims at exterminating the malaria-parasites in man by means of quinine. In making this proposal, I presuppose two things: firstly, that the malaria-parasites are restricted to man, and, secondly, that we can destroy them, or at least render them harmless, by means of quinine. As to the first of these two presuppositions, I regard it as adequately proved by the fact that nobody has yet succeeded in finding parasites identical with the human malaria-parasite in the blood of any animal. Just as little has any one succeeded in artific- ially transmitting human malaria-parasites to animals. The second presupposition is proved by the Observation that may be made in medical practice every day that, when quinine is properly used, the malaria-parasites disappear from the blood of the patient. Address on Malaria to the Congress at Eastbourne. 451 This fact, it is true, does not afford certainty that they really are destroyed; they may only have disappeared from the circulating blood, but remained in the internal organs, especially in the spieen and the bone-marrow. And in fact this is mostly the case after a Single treatnient with quinine, as the extreme frequency of relapses proves; the nialaria- parasites are not got rid of tili after the treatment with quinine has been continued for a length of time. But as soon as one knows this effect of quinine on malaria-parasites, one will, of course, not restrict one's seif to a single application of quinine, but will continue to give it in suitable doses tili the parasites have really died. For our preventive purposes, however, the banishing of the malaria-parasites from the circulating-blood suffices, because it is only with the blood that the gnats can suck them in. The first part of the measure, accordingly, is that an opportunity must be given to every person attacked by malaria to get rid of the parasites by means of quinine. In the case of educated and well-to-do people, this will be no difficult task, especially when medical aid is to be had. But the treatment of the poor, and especially the natives in the colonies, will not be so simple at matter. If the treatment with quinine entail trouble, still more if it entail expense, those people will rather endure malaria tlian comply with our demands as to the use of quinine. So the only way is to make the acquisition of quinine as convenient and cheap for them as possible. For this purpose many quinine dispen- saries should be established in all malarial districts, and in the colonies, especially in the immediate vicinity of the European Settlements, where they could get quinine at a very low price, or, much better still, for nothing. Such dispensaries already exist in British India where quinine, is to be had at a low price at the post-offices. In Dutch India quinine is given in great quantities gratis to natives and Europeans alike. In Italy a law was enacted lately prescribing the gratu- itous dispensing of quinine to worknien attacked by malaria. In this way care is taken not only that the poor get quinine, but also that they get it in a pure and reliably effective form, whereas hitherto, as has been repeatedly proved, it is just into the hands of poor people that quinine has got, by the illicit trade carried onby druggists, in an adulterated condition. If, however, we should, confine ourselves to the grations dispensing of quinine on as wicle a scale as possible, we should gain our end only very slowly, and perliaps not completely. Only a part of the malaria-parasites would be destroyed in this way, for not only persons evidently suffering from the well-known fever-attacks which are characteristic of malaria have the parasites in their blood, but also those wlio suffer from the chronic forms of malaria, with very indistinct and often hardly perceptible Symptoms. I have proved, moreover, by very comprehensive investigations that in the malarial districts proper hardly any of the inhabitants have malaria-parasites except the children and those who have immigrated from uniiialarial districts. Hitherto, however, the malaria of children, and especially of the native children, has had hardly any attention paid to it; at any rate, nobody has attempted to free the children of their parasites, though, as regards the dissemination of malaria, they are just as dangerous as adult patients with clinically recognisable Symptoms. If , therefore, we wish to render all — or as nearly as possible all — parasites innoc- uöus by quinine, we must take chronic sufferers from malaria and also the children into account. But the only way to gain this end is to examine the blood of all persons suspected of malaria with the microscopc. In all the attempts I have hitherto made to exterminate the malaria-parasites, I have acted on thiß principle, and have been able to convince myself that the execution of this measure is not so difficult as it may at first 74* 452 Address on Malaria to the Congress at Eastbourne. sight appear. Medical men who have evident ly never made any attempts of this kind have reproached my method with being too expensive and troublesome, on the ground that the continual examination of the blood and treatment of patients would require too many doctors. But this is by no means the case. Experience has shown that my method can be carried out even by a comparatively small nvimber of medical men. The taking of the blood for examination is so simple and purely mechanical a matter that no doctor is needed for it. In many cases I had the blood-preparations made by sick-nurses of both sexes and other non-medical persons, and the results were very satisfactory. I intend to go even a step further, and have the microscopic examination of the preparations done by non-medical people. I have already done so several times with very good results. A female sick-nurse, a missionary, a hospital orderly have been instructed in the microscopic investigation of blood for malaria-parasites, and have learned the work so well in a short time that one can per- fectly rely on their diagnoses. So it is not at all necessary for a doctor to do all the work himself ; he can employ cheap and sometimes volunteer assistants whom he has only to supervise and inspect. With a sufficient staff of such assistants, a single doctor will be able to rule a pretty large malarial district, and rid it of the parasites. Nor need the apparatus requisite for the diagnosis of malaria be at all expensive. The well-known optical factories of Zeiß and Leitz have recently produced small mi- croscopes, perfectly sufficient for this purpose, costing 15 to ^ 20. The cost of the other Utensils, such as cover-glasses, object-glasses, colouring-matter, etc., is also very small. Apart altogether from the measure proposed by me, I regard such thorough in- vestigations of the population in malarial districts as absolutely necessary. There is no other way of getting a sure knowledge of the state of malaria there. I had an opportu- nity of convincing myself of this once more lately in investigating several places in Istria. They were small places, two of which, Punta Croce and Ossero, lie at the southern end of the Island of Cherso; two others, Stignano and Fasana, are near the town of Pola; a quite new settlement is in the Brioni Islands. Now, in these different places the malaria corresponds exactly to the traffic that goes on in them. At Punto Croce and Ossero, which lie at a distance from all traffic, only the children have malaria-parasites in their blood, i.e., the state of malaria was exactly the same as I found it in the coast- villages of New Guinea and in remote places in Java. This proves that in a temperate chmate, too, malaria, if left entirely to itself, becomes a children's disease; people get Over it in childhood, become immune after some years, and never suffer from it again. At Stignano, too, it was mainly among the children that malaria was found, but the parasites were detected in the blood of older people, too, though in small numbers. This is evidently connected with the circumstance that, owing to the nearness of Pola, the population of this place is not so entirely cut off from all traffic as those of Punta Croce and Ossero. The population of Fasana is still more fluctuating, and consequently malaria is still more frequent among the older people. This is most strikingly the case, however, at Brioni, where the population consists almost entirely of workmen who are employed in cleaning the land, tending the vineyards, and building harbour-works and houses, and who come to the place and leave it again in swarms. They come from the most different parts of Dalmatia and from the mountainous districts of Istria, which are free of malaria, as well as from the coasts of that country, where it prevails. Those that come from unmalarial places almost all get malaria at Btioni, the consequence of which is that the majority of the malaria-patients there are adults. To these examples I may add that of Peroi, a coast village north of Fasana. Among 219 inhabitants there, Address oii jMalaria to the Congress at Eastbourne. 453 only three malaria-patients were found, and they had evidently been infected elsewhere. This marks it as a place free of endemic iiialaria. Ainong the places just enuinerated, then, Ave find all the main types of the varied behaviour of malaria; Peroi, without endemic malaria, has only introdiiced cases ; Brioni, with a very fluctuating population, has malaria mainly among the adults ; Fasana and Stignano show the transitions to the purely endemic behaviour of malaria at Ossero and Punta (Jroce, where it is exclusively a children's disease. A very interesting and also practically important fact was strikingly observable at Fasana. and partly at 8tignano, too; the malaria-cases were specially numerous in certain houses and groups of houses, and these were in the periphery of the place, whereas the centre was almost free. I had had occasion to make the same Observation before at the town of Grosseto in Italy. From this we may conclude that the infecting mosquitoes do not fly any where and every where, or disperse equally over a place, but have predilec- tions for certain places. Now, in combating malaria, it will be very advantageous to find out what places they prefer, and to pay special attention to such. From this focal behaviour of malaria I drew the practical conclusion that it is not necessary at the outset to free whole places or extensive regions of the malaria-parasites. It will be perfectly practicable to advance step by step, in exact accordance with the number of assistants at disposal, without having to fear that the ground just freed of malaria will be at once reinundated by infected mosquitoes from the still malarial neighbouring districts. I now come to the question as to the best method of removing the parasites per- manently from the blood of malaria-patients by treatment with quinine. With a view to deciding this question, I have made very many experiments, and have arrived at the following results, which. for the rest, every observing physician who has frequent opportunities of treating malaria-patients will find confirmed by his own experience Doses of quinine of less than 1 gramme are insufficient for adults. The effect of the quinine is very greatly strengthened by giving füll doses several days running. ('onsid- ering these two facts, and in order to minimize the use of quinine, I order 1 gramme of quinine to be given two mornings running, which is repeated after an interval of nine days. This treatment must be continuecl for at least two months, or better three, because one is not safe tili then against relapses. In obstinate cases one gives 1 gramme of quinine three days running, and reduces the interval, if necessary, to seven days. In quartan fever, which is well known to be the most obstinate form of malaria, quinine must be given three days running from the first. There are people with whom quinine does not agree if taken through the mouth; in such cases it must be given under the skin. The patient must be observed for a lengtli of time after the treatment, and his blood must be examined from time to time, in order that one may be quite sure that he is permanently cured and free of malaria-parasites. In malarial districts proper, the combating of malaria will restrict itself in the main to the treatment of the children and of the persons who have immigrated in the immediately preceding years. To children under six months one generally gives ^/^^ of a gramme, i.e., 1 ^4 grains; to older ones more, according to their age. They generally stand quinine very well, even in comparatively larger doses than adults, so that one need not hesitate to give children of five to six, 7 to 8 grains, i.e.. y., gramme. They do not dislike it either, if given as a powder mixed with raspberry syrup, or if sweet tea or the like is given after it. If necessary, one can give euquinine, which, however, unfortunately, cannot be used much, owing to its high price. For the rest, the treatment of children suffering from malaria is one of the most grateful tasks for a physician. ^Vhen^I arrived at Stephansort in New Guinea, there were no children there; they had always died of 454 Address on Malaria to the Congress at Eastbourne. malaria. I took special pains to protect the children that were born during my stay there, and those that came to the place with their parents, against the pernicious influence of malaria. They were all examined from time to time for malaria-parasites, and treated with quinine, if any were found. Under such treatment those children, whose number amounted at last to about a dozen, throve splendidly; not one of tliem died. The practicabihty of my method was proved by an experiment I made at Stephans- ort in New Guinea. It is a settlement of the New Guinea Company with 734 inhabitants. Of these, 157 — i.e., 21.4 per cent. — were suffering from malaria. This figure was soon reduced to a small remainder, consisting exclusively of quartan cases, and this favourable result was not a merely temporary one, but lasted tili the date of the last news I received. Further experiments testing the practical efficiency of my method are going on at this möment in German South- West Africa and in the Brioni Islands, and experiments are to be begun soon in East Africa, and the former ones continued in New Guinea. At bottom, however, no further proofs of the value of my method are at all necessary, for the results of the extensive and succesful attempts to stamp out malaria are already at our disposal. You are well aware that malaria was very prevalent in most European countries only thirty to forty years ago. Since then it has very rapidly diminished, and now it has nearly everywhere wholly or almost wholly disappeared. What I have just said is especially true of England, France, Belgium, Holland and Germany. Attempts have been made to explain this very striking decrease of malaria by the drying-up of the swamps, but this explanation is by no means admissible. There still are swamps enough everywhere, and the transmitters of malaria, the anopheles-gnast. are stiU to be found in large numbers wherever malaria used to be. So there must be some other reason, and the only other reason discoverable is the much more general use of quinine, which is the only deadly weapon we have against the malaria-parasites. Quinine used to be so dear that only well-to-do people could get it. Moreover, since its use became more frequent, the doctors have learned to use it more rationally. So the number of malaria-cases that were properly treated and permanently cured became greater and greater, whereas formerly every case was foUowed by endless relapses. Consequently, the infectious matter has become rarer and rarer, and the anopheles-gnats, which are probably just as numerous as they used to be, no longer find any malaria-parasites to transmit. The prevalence of malaria in Germany only thirty years ago, and the extent to which it has diminished since then, is best shown by the statistics of the German army. In 1869 the number of cases stiU amounted to 54,5 per 1000; now it is only 0,45 per 1000 — that is, it is more than a hundred times rarer now than then. In 1874 the garrison of Spandau, a fortress near Berlin, surrounded by swampy meadows, had 664 cases of malaria per 1000 men; now, though the swamps are just as they were, the figure is % to 1 per 1000. In Batavia and other towns in Dutch India, which used to be notorious for their malaria death-rate, and were called "the European'» Grave", a considerable improvement has taken place since the gratuitous dispensing of quinine was introduced. A very interesting Illustration of what I am now saying came to my knowledge lately at Pola, the principal seaport of Istria. Being also a war-port, it has a large garrison, and it has from of oldhad the reputation of being severely infected with malaria. In 1864 the naval garrison there had 887 cases of malaria per 1000 men. But the state of things gradually improved, and malaria has considerably diminished since then. In the last few years the number of malaria cases in the same part of the garrison has been only about 30 per 1000 — that is, only one-thirtieth of what it used to be. In this case also people Address on Malaria to tlie Congress at Eastbourne. 455 were disposed to ascribe the improvcment to the drying-up of two swanipy meadows near the town, which was effected in the years 1868 to 1870. But apart from the fact that the decrease of the malaria was not simultaneous with the draining of the swampy meadows but took place quite gradually and cquably in the course of the last thirty years, at about tlie same rate as in the German army, there is another circumstance which speaks very decidedly against the casiial connection between the decrease of the malaria and the draining of the meadows, namely, the foUowing; While malaria has been diminishing in thegarrison, it has been increasing among the civil population, which is no more andno less exposed to the influences of the climate and the soil, including the swamps near the town, than the garrison. In 1890 the number of malaria cases in Pola and its suburbs was 24,8 per 1000; since then it has risen to 132,5 in they year 1900 — that is, more than fivefold — and that not sudclenly, but quite gradually. In the same period the number of cases in the garrison has gone down to one-third. So here we have the striking phenom- enon of an increase of the number of cases in one part of the population and a decrease in another in one and the same place. This can be due only to some difference in the circumstances of these two parts of the population, and the difference is that the garrison is under continual medical supervision, so that every case of malaria is at once properly treated, whereas among the civil population, for wliich medical assistance and quinine are too expensive, this is not the case. Of reasons, then, that speak for the practicability of the measure proposed by nie in different climates, under different social circumstances, and on whatever scale one likes, there is certainly no lack. Nevertheless, I do not ask you to come to a decision just at this moment on this question, when, as already stated, experiments testing the value of the various methods proposed are every where being made. In a few years the practical results of these experiments will be known to us, and then you may act on the good old saying, "Prove all things; hold fast that which is good." Die Bekämpfung der Malaria. ) Von Dr. R. Koch. Als wir vor etwa 10 Jahren zum ersten Male vor der Aufgabe standen, die Cholera mit den von der Bakteriologie zur Verfügung gestellten Hilfsmitteln zu bekämpfen, konnten wir nicht im Zweifel darüber sein, daß sich unsere Maßregeln direkt gegen den Infektions- stoff, d.h. gegen die Cholerabakterien, richten mußten, von denen wir wußten, daß siedle Ursache der Cholera sind, und welche wir mit Hilfe der bakteriologischen Untersuchungs- methoden in jedem einzelnen Falle mit Sicherheit nachzuweisen vermochten. Es stellte sich damals die sehr überraschende Tatsache heraus, daß neben den schwer an Cholera Erkrankten und neben den leichten und leichtesten Fällen, welche selbst verständHch Cholerabakterien in ihren Dejektionen aufwiesen, auch klinisch un- verdächtige Personen, wenn sie der Infektion ausgesetzt gewesen waren, nicht selten in ihrem Darm die gefährlichen Parasiten beherbergten. Es wurde ferner gefunden, daß die Cholerabakterien nicht immer mit dem Aufhören des Choleraanfalles verschwanden, sondern öfters noch tage-, selbst wochenlang in den Ausleerungen der Cholerarekon- valeszenten zu finden waren. Erst als alle Menschen, welche mit Cholerabakterien behaftet waren, also auch die scheinbar Gesunden und die Rekonvaleszenten, solange letztere noch Cholerabakterien produzierten, durch Isoherung und Desinfektion für ihre Umgebung unschädhch gemacht wurden, gelang es, (^e Cholera stets im Keime zu ersticken. Damit war der Nachweis geliefert, daß eine Infektionskrankheit mit Erfolg be- kämpft, ja sogar ausgetilgt werden kann, wenn zwei Bedingungen erfüllbar sind. 4 Wenn nämlich der Infektionsstoff in jedem Falle, auch im verstecktesten, aufzufinden ist und wenn er durch irgendwelche Mittel, z. B. durch Isolierung und Desinfektion, unschäd- hch gemacht werden kann. Als ich einige Jahre nach Beendigung unseres Cholerafeldzuges Gelegenheit fand, mich mit Malaria eingehend zu beschäftigen, und ich mich sehr bald davon überzeugte, daß sich die Diagnose der Malaria durch die mikroskopische Untersuchung des Blutes leicht und sicher stellen läßt und die aufgefundenen Malariaparasiten durch Chinin eben- falls leicht und sicher vernichtet werden können, da drängte sich mir fast unwillkürlich der Gedanke auf, daß bei dieser Krankheit, obwohl sie doch ätiologisch von der Cholera außerordentlich verschieden ist, die Verhältnisse in bezug auf ihre Bekämpfung denen der Cholera sehr ähnlich liegen. Die beiden obenerwähnten Bedingungen ließen sich an- scheinend erfüllen: man kann den Infektionsstoff auffinden und man kann ihn unschäd- lich machen. Der Versuch, die Malaria nach denselben Prinzipien wie bei der Cholera zu bekämpfen, mußte auf jeden Fall gemacht werden. ') Aus Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, 1903, Bd. 43. Die Bekämpfung der Malaria. 457 Ich habe diese Idee, welche ich gesprächsweise schon öfters dargelegt hatte, zum ersten Male in einem Bericht vom 8. August 1899, welcher in der ,, Deutschen Medizini- schen Wochenschrift" Nr. .37, 1899, abgedruckt ist, veröffentlicht. Vorher schon hatte ich mit Prof. G o s i o die Durchführung eines derai'tigen Versuches der Malariabekänip- fung in Grosseto und in dem umgebenden Malariagebiet verabredet und begonnen, ein Versuch, welcher bis jetzt unter der Leitung von Gosio fortgesetzt ist. Ich selbst benutzte bald darauf die in Neuguinea sich mir bietende außerordent- lich günstige Gelegenheit dazu, um einen weiteren Versuch auf der Plantage 8tephansort anzustellen^). Bei diesem Versuche kam es mir hauptsächlich darauf an, mir die volle Gewißheit zu verschaffen, daß die Malariaparasiten außer in den Mücken nur im Menschen zu leben vermögen. Wäre dies nicht der Fall, und würden die Malariaparasiten außer in dem menschlichen Blute auch im Blute von irgendwelchen anderen Lebewesen, z. B. in demjenigen der Fledermäuse, ihnen zusagende Existenzbedingungen finden, dann hätten sich die Maßregeln zum Nachweis und zur Vernichtung der Parasiten auch auf diese erstrecken müssen, wodurch die Malariabekämpfung in der von mir angegebenen Weise außerordentlich ersch\\'ert. sogar unmöglich geworden wäre. Ich habe mich des- wegen bei dem Versuche in Stepliansort absichtlich darauf beschränkt, die Parasiten nur in dem Menschen aufzusuchen und zu vernichten. Nachdem es nun aber gelungen ist, selbst rniter dieser Beschränkung die Malaria nahezu gänzlich, zunächst in diesem einen Falle, zu beseitigen, so ist damit der Beweis dafür geliefert, daß die Malariapara- siten in der Tat ausschließlich auf das menschliche Blut angewiesen, d. h. daß sie obligate Parasiten des Menschen sind. Zugleich ist aber auch durch diesen Versuch erwiesen, daß die Malaria nach den- selben Prinzipien wie die Cholera bekämpft werden kann. Das schließt natürlich nicht aus, dal.^i man daneben auch andere Maßregeln zur Einschränkung der Malaria benutzen kann, z. B. die von Roß empfohlene Vertilgung der Mücken oder den in Italien versuchten Schutz gegen Mückenstiche durch Netze. Ich habe mich nun aber nicht allein auf den Versuch in iStephansort beschränkt, sondern die mir von der deutschen Regierung in so liberaler Weise zur Verfügung ge- stellten Mittel dazu benutzt, um rioch weitere ähnliche Versuche unter anderen Bedin- gungen ausführen zu lassen und auf solche Weise weitere Erfahrungen über die praktische Verwendbarkeit meines Verfahrens zu gewinnen. So wurde zunächst ein Versuch auf den Brionischen Inseln unter Leitung von Prof. Frosch ausgeführt. Dieses Experiment konnte, dank dem liebenswürdigen Entgegenkommen des Hrn. K u p e 1 w i e s e r , des Besitzers von Brioni, so sorgfältig und gründlich durchgeführt werden, daß es zu einem vollständigen Erfolg geführt hat, indem die Ansiedlung auf Brioni vollkommen von der Malaria, unter welcher sie früher stark zu leiden hatte, befreit ist. Es sind auch Einrichtungen getroffen, um diesen Zu- stand zu einem dauernden zu machen. Gleichzeitig mit dem Versuch in Brioni wurde ein ebensolcher in der Ortschaft Punta Croce, auf der Insel Cherso gelegen, von Stabs- arzt Dr. B 1 u d a u gemacht. Ferner hat Stabsarzt V a g e d e s in Franzfontein in Deutsch- Südwestafrika die Bekämpfung der Malaria durchgeführt, ebenfalls mit ausgezeichnetem Erfolge. Diese beiden Versuche in Brioni und Franzfontein betrafen abgeschlossene und wenig ausgedehnte Malariabezirke. ') Deutsclie Medizini.sche Wochenschrift, 1900, Nr. 17, 18, 25, 31. Diese Werke Bd. II, p. 404 ff. D. Herausgeber. 458 Die Bekämpfung der Malaiia. In größerem Umfange ist die Malariabekämpfung von Prof. G o s i o in den tos- kanischen Maremmen und von Stabsarzt 0 1 1 w i g in Daressalam, Deutsch-Ostafrika, ausgeführt. Von letzterem liegt zwar noch kein abgeschlossener Bericht vor, sondern nur briefliche Mitteilungen, welche aber ein so anschauliches Bild von seiner Tätigkeit geben, daß ich es für nützlich gehalten habe, sie dieser Sammlung von Berichten ein- zufügen. Der Versuch in Daressalam beansprucht noch insofern ein besonderes Interesse, als durch denselben gezeigt wird, daß ein einziger Arzt mit nichtärztlichem Hilfsper- sonal in einem größeren Orte mit stark fluktuierender B;^völkerung die Malaria mit großem Erfolg bekämpfen kann. Der mir vielfach gemachte Einwand, daß das Verfahren nur an ganz kleinen Orten durchführbar und außerdem sehr kostspielig sei, wird da- durch widerlegt. Über alle diese Versuche sind auf dem in Berün am 10. und 11. Oktober 1902 abgehaltenen Kolonialkongreß kurze vorläufige Mtteilungen gemacht. Im Nachstehenden sollen die ausführlichen Berichte darüber veröffentlicht werden, welche hoffentlich dazu beitragen, daß auch von anderen Seiten ähnliche Versuche angestellt werden. Im engsten Zusammenhang hiermit steht die nach denselben Prinzipien ausgeführte Malaria- bekämpfung in Wilhelmshaven, welche unter meiner Leitung der zum Institut für Infektionskrank- heiten kommandierte Stabsarzt der Marine Dr. JI a r t i n i ausgeführt hat. Schheßlich habe ich diesen Veröffentlichungen noch eine Arbeit von Geheimrat D o e n i t z angeschlossen, welche sich mit der Untersuchung von Anopheles- Mücken beschäftigt. Geheimrat D o e n i t z hat die Bearbeitung der von mir gelegentlich meiner Malariaexpedition gesammelten Mücken übernommen und darüber schon eine ausführliche und sehr gründliche Studie in der Zeit- schrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. XLI, veröffentlicht. Die hier vorliegende Arbeit bildet eine Fortsetzung und Ergänzung dazu.^) 1) Die in dem Aufsatz erwähnten, in demselben Bande folgenden Arbeiten sind betitelt: P. Frosch, Die Malariabekämpfung in Brioni (Istrien) ; B 1 u d au , Die Bekämpfung der Malaria in Punta Croce; Vagedes, Bericht über die Malariaexpedition in Deutsch- Südwestafrika; OUwig, Die Bekämpfung der Malaria; B. Go s i o , Die Bekämpfung der Malaria in der Maremma Töscana; P. Erich Martini, Über die Verhütimg eines Malaria- Ausbruches zu Wilhelmshaven; W. Dönitz, Beiträge zur Kenntnis der Anopheles. II. Mitteilung. D. Herausgeber. über die Trypanosomenkrankheiten. ) Von Dr. R. Koch. Für die Erforschung der Infektionskrankheiten hat sich in letzter Zeit neben der Bakteriologie ein neues Gebiet eröffnet, dasjenige, welches die pathogenen Protozoen umfaßt. Anfangs gering und unscheinbar, ist es in kurzer Frist zu einem bedeutenden Umfange angewachsen und scheint sich noch immer weiter auszudehnen. Die erste Entdeckung, welche in dies neue Gebiet führte, war diejenige der Malaria- parasiten, welche wir L a v e r a n verdanken. Ergänzt und erweitert wurde dieselbe durch die Forschungen von R. Roß, welcher den komplizierten Entwicklungsgang der Malariaparasiten im Körper der Moskitos verfolgte und den Nachweis führte, daß die Malariainfektion nicht von zersetzten organischen Stoffen und aus Sümpfen stammt, sondern durch die Moskitos vom malariakranken auf den gesunden Menschen über- tragen wird. Es folgte dann die Entdeckung der Ätiologie des Texasfiebers durch T h. Smith. Auch hier handelte es sich um Protozoen, welche, wie die Malariaparasiten, den roten Blutkörperchen anhaften und durch ein blutsaugendes Insekt, die Zecke, übertragen werden. Als dritte wichtige Entdeckung ist die von Bruce zu nennen, welcher im Blute der tsetsekranken Tiere Trypanosomen fand und zeigte, daß für diese Krankheit eine Stechfliege, zum Genus Glossina gehörig, als Zwischenträger funlvtioniert. An diese Entdeckungen knjipfen sich schon zahlreiche weitere Befunde von Proto- zoenkrankheiten bei Tieren, namentlich aber auch beim Menschen an. Von letzteren seien erwähnt: die Trypanosomiasis und Schlafkrankheit in Afrika, das Spotted fever, welches seinen Sitz in Nordamerika hat, die tropische Splenomegalie, bei welcher von L e i s h m a n , D o n o v a n und M a r c h a n d Protozoen nachgewiesen sind, und die Orientbeule (auch Delhi-, Aleppo-, Biskrabeule genannt), deren Parasiten von W r i g h t entdeckt wurden. Wissenschaftlich und wirtschaftlich haben die Protozoenkrankheiten jetzt schon eine solche Bedeutung erlangt, daß auch der praktische Arzt von derselben Notiz nehmen muß. Ich habe daher, als an mich von selten des Vorstandes der Berliner Medizinischen Gesellschaft die ehrenvolle Aufforderung erging, Ihnen Mitteilungen über die von mir in Afrika gemachten Beobachtungen und Erfahrungen zu machen, es Ihrem Interesse entsprechend gehalten, ein Thema aus dem Gebiete der pathogenen Protozoen zu wählen, und so werde ich Ihnen denn einiges über eine der interessantesten Gruppen derselben, über die Trypanosomen, berichten. ^) Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 26. Oktober 1904. — Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1904, Nr. 47. 460 Über die Trypanosomenkrankheiten. Bevor ich jedoch zu dem eigentUchen Gegenstand meines Vortrags übergehe, scheint es mir zweckmäßig, zu Ihrer Orientierung eine kurze Beschreibung der Trypano- somen und der für uns in Betracht kommenden Trypanosomenkrankheiten zu geben. Die Trypanosomen gehören zu den Flagellaten, den geißeltragenden Protozoen. Wenn man trypanosomenhaltiges Bhit im frischen Zustande mikroskopisch untersucht, dann kann man die verhältnismäßig großen und lebhaft beweghchen Parasiten schon bei mittlerer Vergrößerung leicht erkennen. Ihre Gestalt läßt sich aber erst, wenn sie zur Ruhe gekommen sind, unterscheiden. Sie haben dann eine fischähnliche Form, sind zwei- bis drei- mal so lang als ein rotes Blutkörperchen und sind mit einer langen Geißel und an einer Seite mit einer undulierenden Membran versehen. Die feinere Struktur wird am deutlichsten durch die R o m a n o w s k i sehe Färbung (in der Modifikation von G i e m s a) sichtbar gemacht. Es erscheint dann ein ziemlich großer rot gefärbter Kern, ein nahe dem hinteren Ende gelegenes intensiv rot gefärbtes Korn, welches als Zentrosoma angesehen wird, und, von letzterem ausgehend, eine rot ge- färbte Linie, welche, am Rande der undulierenden Membran sich hinziehend, in die ebenfalls rot ge- 1 Tselse-Trypanosoma (oben). ^^rbte Geißel übergeht. Der Leib des Trypanosoma 2 Eattentrypanosomen (unten). zeigt die blaue Färbung des Plasma. Die Trypano- somen bilden nicht, wie die Malariaparasiten es tun, Pigment, woraus zu schließen ist, daß sie nicht vom Hämoglobin, sondern von Bestand- teilen des Blutplasma leben. Sie vermehren sich durch Längsteilung. Alle Trypanosomenkrankheiten haben das Gemeinsame, daß sie, ähnlich wie die Malariakrankheiten, einen ziemlich akuten Verlauf nehmen können, sich aber in der Regel lange Zeit, oft jahrelang hinziehen. Auch in ihren Symptomen haben sie große Ähnhchkeit mit den Malariakrankheiten. Sie veranlassen unregelmäßiges Fieber, welches oft durch kürzere oder längere Intermissionen unterbrochen ist, Anämie, Abmagerung, Sinken der Kräfte, lokalisierte Ödeme, Anschwellung der Lymphdrüsen und der Milz. Die bekannteste und zugleich eine der wichtigtsen Trypanosomenkrankheiten ist die Tsetse krank hei t. Sie wurde zuerst beobachtet in Südafrika, und zwar in den Flußtälern des Limpopo und des Zambesi, wo Livingstone sie schon kennen lernte und eine gute Beschreibung davon gegeben hat. Später stellte sich aber heraus, daß sie über den afrikanischen Kontinent weit verbreitet vorkommt. Sie wurde nachgewiesen an der Ostküste von Natal bis zu dem Somalilande, an der Westküste hinauf bis Sene- gambien (namentlich auch in den deutschen Schutzgebieten Togo uad Kamerun), im Kongobecken, am Tsadsee und darüber hinaus bis zum südlichen Algerien. Geringe Abweichungen, welche hier und da von dem allgemeinen Typus der Krankheit angeb- lich vorkommen, sind wohl auf Rechnung der verschiedenen Beobachtungsweise der betreffenden Autoren zu setzen. Die Trypanosomen der Tsetsekrankheit (1895 von Bruce entdeckt und Trypano- soma Brucei benannt) zeichnen sich in morphologischer Beziehung dadurch aus, daß das hintere Ende derselben (das Trypanosoma schwimmt mit dem Geißelende voran, welches deswegen als das vordere bezeichnet wird) stumpf ist und das Zentrcsoma ganz nahe dem Ende gelagert ist. Sie sind mehr oder weniger pathogen für fast alle Haustiere, am meisten für Pferde, Maultiere und Hunde, weniger für Rinder, noch weniger für über die Trypanosomenkrankheiten. 461 EseP); am widerstandsfähigsten sind Schafe und Ziegen. Die A'ersuchstiere der Labo- ratorien, wie Mäuse, Ratten, Kaninchen, sind sehr empfänghch. Der Mensch ist ganz unempfänglich für die Tsetsekrankheit. Die Tsetsetrypanosomen werden, wie Bruce nachgewiesen hat, durch Glossina morsitans über- tragen; es ist dies eine Stechfliege, welche nicht viel größer ist als unsere Hausfliege. Bruce nimmt an, daß die Übertragung unmittelbar durch den Stechrüssel der Fliege, wie etwa mit einer Impfnadel, geschieht, was keiner Schwierigkeit be- gegnen kann, wenn es sich um Blut handelt, wel- ches reich an Trypanosomen ist. Nun hat aber Bruce selbst gefunden, und wir werden später weitere Beispiele kennen lernen, daß in Südafrika das große Wild (große Antilopen und Büffel), welches erfahrungsgemäß sehr oft die Quelle der Tsetseinfektion bildet , nur sehr spärliche Tsetse- Tsetse-Trypanosoma. Parasiten in seinem Blute hat. Für diesen Fall möchte ich es doch für wahrscheinlich halten , daß die Trypanosomen , um das Zustandekommen der Infektion zu ermöglichen, sich in der Glossina vermehren ^) Bei Hunden nnd Eseln scheint die Rasse Unterschiede zu ))edingen. Bs sibt in Südafrika eine eingeborene Hunderasse, welche, wie mir von zuverlässiger Seite mitgeteilt wurde, tsetseinnnun ist. In bezug auf Esel ha1>e ich selbst die Erfahrung gemacht, daß Massai-Esel die Impfung mit viru- lenten Trypanosomen überstanden, ohne krank zu werden. 3Ian hat diese Beoliachtung angezweifelt. Ich gebe deswegen hier einige Zitate aus den Berichten von Afrikareisenden, welche ähnliche Er- fahrungen gemacht, haben. Die Zitate sind dem Werk von Austen: ,,A [Monograph of the Tsetse- flies" entnommen. David Livingstone: ,,The liite of this insect does not affect the tlonkey as it does cattle." „The mule, ass and goat enjoy the same immunity from the Tsetse as man and the game." David and Charles Livingstone: „This fly invariably kills all domestic aniinals except goats and donkeys; man and the wild animals escape. We ourselves were severely bitten on this pass, and so were our donkeys, bvit neitlier sufferecl from any after effects." James Chapman: ,,The bite of this insect is fatal to cattle, h ^ Strahlen versehene Formen annehmen. Nur sind dieselben erheblich kleiner und mit weniger Ecken und Strahlen versehen (Fig 14). Es folgt daraus, daß die Küstenfieber- parasiten trotz der erwähnten Abweichungen entwicklungsgeschichtlich den echten Piroplasmen sehr nahestehen. Zu erwähnen ist noch, daß die Entwicklung dieser Parasiten bisher nur in ausge- wachsenen und vollgesogenen Exemplaren des Rhipicephalus australis beobachtet wurde, niemals in anderen Zeckenarten oder in jüngeren Stadien des Rhipicephalus australis. Dies würde dafür sprechen, daß beim Küstenfieber die Infektion nur durch die jungen ^) Durch den Nachweis dieser Kreuzform konnte ich die Verbreitung dieser dem Küstenfieber sehr nahestehenden Einderkrankheit in den Mittelmeerländern, in Ostafrika und in Neu- Guinea feststellen. ^) Von Dr. K u d i c k e wurden derartige Parasiten auch bei einem Zebra nachgewiesen. Vorläufige Mitteilungen über die Ergebnisse einer Forschungsreise nach Ostafrika. 483 Zecken dieser oder anderer Arten erfolgt, in welchen etwa später die Weiterentwicklung des Parasiten nachgewiesen werden sollte. 4. Tsetsefliegen und Trypanosomen. Auf meinen Expeditionen habe ich vier verschiedene Arten der Gattung Glossina gefunden. Es sind Glossina fusca, morsitans, pallidipes und tachinoides. Dazu kommt die von Dr. Feld m a n n auf den zum deutschen Gebiete gehörigen Inseln des Victoria- Njansa nachgewiesene Glossina palpalis und höchstwahrscheinlich noch Glossina longi- pennis, welche ich bei der Fahrt mit der Ugandaeisenbahn zwischen den Stationen Voi und Tsavo, nicht fern von der deutschen Grenze, gefangen habe. Somit kommen auf Deutsch-Ostafrika sechs von den acht bisher beschriebenen Glossinenarten. Bisher nahm man an, daß Glossina morsitans die Überträgerin der Tsetsekrank- heit sei. Diese Glossinenart findet sich aber nur strichweise im Schutzgebiet, besonders im Süden und im Norden zwischen den großen Seen. In der Mitte tritt an ihre Stelle Glossina pallidipes. Glossina tachinoides, die kleinste der Glossinen, scheint weit verbreitet zu sein, tritt aber immer nur in wenigen Exemplaren auf. Dagegen bin ich der Glossina fusca überall, wo nachweishch die Tsetsekrankheit herrscht, in großer Zahl begegnet. Bei der Gl. fusca ist es mir auch zuerst gelungen, mit Trypanosomen infizierte Exemplare zu entdecken, und zwar auf folgende Weise. Bei der Untersuchung der Fliegen unter dem Präpariermikroskop fiel es mir auf, daß der Stechrüssel regelmäßig mit Flüssigkeit gefüllt ist, welche durch Druck auf den Bulbus des Rüssels in Form eines wasserhellen Tröpfchens ausgepreßt werden kann. Da zu vermuten war, daß die Fliege beim Stechen dieses Tröpfchen unter die Haut ihres Opfers entleert, und daß infizierte Fliegen in der Flüssigkeit Trypanosomen enthalten müssen, so präparierte ich eine Anzahl von Rüsseln, untersuchte die ausgepreßten Tröpfchen mikroskopisch und fand in der Tat bei einigen Fliegen masseiihaft Trypanosomen. Der Umstand, daß die Flüssigkeit ganz frei von roten Blutkörperchen war, daß die Trypanosomen viel zahlreicher waren, als sie jemals im Blute vorkommen, und daß sie verschiedene l^nt- wicklungsstadien zeigten, ließ sofort erkennen, daß diese Fliegen nicht, wie bisher an- genommen wurde, die Krankheit durch Überimpfung von Blut eines Kranken auf ein gesundes Tier direkt übertragen, sondern daß hier ähnliche Verhältnisse vorliegen wie bei den Malariaparasiten, daß die Trypanosomen also in der Glossina einen Entwicklungs- gang durchmachen. Diese Annahme fand später ihre volle Bestätigung, als ich die Fliegen, deren Rüssel Trypanosomen enthielten, einer genauen Untersuchung unterwarf und fand, daß der Magen derselben in seinen verschiedenen Abschnitten, auch wenn er ganz frei von Blut war, große Mengen von Trypanosomen in verschiedenen Entwicklungs- zuständen enthielt. Im Darm fehlen sie oder sind nur in geringer Zahl vorhanden. In allen übrigen, namentlich auch in den drüsigen Organen und in den M a 1 p i g h i sehen Schläuchen habe ich niemals mit Sicherheit Trypanosomen nachweisen können. Es wurden im ganzen nahezu CO trypanosomenhaltige Fliegen untersucht, darunter auch eine Gl. morsitans und eine Gl. pallidipes. Danach scheint es mir erwiesen, daß die Tsetsekrankheit im deutschen Schutz- gebiete nicht allein durch die Gl. morsitans übertragen wird, sondern auch durch die Gl. pallidipes und hauptsächlich durch Gl. fusca, was auch mit meinen Beobachtungen über das Vorkommen dieser verschiedenen Glossinenarten vollkommen übereinstimmt. Der Entwicklungsgang der Trypanosomen in der Glossina gestaltet sich nach meinen Untersuchungen folgendermaßen: Die mit dem Blute aufgenommenen Trypanosomen, deren Zahl unter den natürlichen Verhältnissen wohl immer eine sehr beschränkte ist, 76* 484 Vorläufige Mitteilungen über die Ergebnisse einer Forschungsreise nach Ostafrika. vermehren sich im Magen durch Längsteilung sehr bald und nehmen auch an Größe erheblich zu, wie ein Vergleich zwischen Fig. 15, welche die Abbildung eines Trypano- soma aus dem Blute eines Rindes gibt, und Fig. 16, einem Trypanosoma aus dem Magen einer infizierten Glossina, lehrt. Zugleich tritt eine sehr auffallende Differenzierung ein. Ein Teil der großen Trypanosomen nimmt eine ^^S- 15. dicke, plumpe Gestalt an, ist reich an blau gefärbtem Plasma und hat einen ziemlich großen rundlichen Chromatinkörper von lockerem Ge- füge (Fig. 16), während ein anderer Teil der Parasiten äußerst schlank aussieht, kein blau gefärbtes Plasma, aber einen langen dünnen, sehr dicht gefügten Chromatinkörper hat (Fig. 17). Bald ist der eine Typus überwiegend, bald der andere. Stellenweise kann man dichte Haufen des einen, an anderen Stellen desselben Präparates ein Gewimmel des anderen Typus treffen. Es verhält sich also Fig. 16. Fig. 17. ähnlich wie bei den Malariaparasiten, die beim Beginn ihrer sexuellen Entwicklungs- periode eine Differenzierung in plasmaarme Formen mit reichlichem dichtem Chromatin- körper und in plasmareiche mit lockerem Chromatinkörper zeigen. Ich nehme deswegen an, daß es sich auch bei den Trypanosomen in diesem Stadium um die Bildung von sexuellen, d. h. männlichen und weiblichen Formen handelt, und daß die plumpen plasma- reichen die weiblichen, die schlanken plasmaarmen die männlichen Trypanosomen sind^). Ob nun weiter eine Kopulation oder, wie bei den Malariaparasiten, eine Bildung von Mikrogameten stattfindet, vermag ich noch nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Doch sprechen einige Befunde dafür, daß bei den Trypanosomen der letztere Vorgang die Regel ist. Weiter findet man in dem untersten Abschnitt des Magens Formen, welche mir die Weiterentwicklung der befruchteten Weibchen vorzustellen scheinen. Es sind sehr Fig. 18. Fig. 19. große Trypanosomen, welche nur einen Blepharoplasten mit zugehöriger Geißel, aber mehrere Kerne besitzen. Die Zahl der Kerne beträgt zwei, meistens vier (Fig. 18 und 19), in einigen Fällen auch acht. ^) Inwieweit diese sexuellen Formen von früheren Beobachtern gesehen sind, werde ich in der ausführlichen Arbeit erörtern. Vorläufige Mitteilungen über die Ergebnisse einer Forschungsreise nach Ostafrika. 485 Eine Kernvermehning tritt bekanntlich bei den Trypanosomen auch bei dem ein- fachen Teilungsvorgang ein, und es können dabei ebenfalls mehr als zwei Kerne in einem Individuum vorkommen, dann findet sich aber ausnahmslos eine ebenso große Zahl von Blepharoplasten und Geißeln wie Kerne. Da bei den oben beschriebenen Formen nur die Kerne, aber nicht die Blepharo- plasten vermehrt sind, so kann es sich nicht um eine einfache Teilung, sondern um einen andern Vermehrungsvorgang handeln, und ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß, obwohl ich diesen Vorgang noch nicht beobachtet habe, diese vielkernigen Trypano- somen in entsprechend viele Teile zerfallen und damit die jüngsten Formen liefern, welche mir in den infizierten Fliegen oft begegnet sind'). Dieselben bilden einfache kuglige Zellen mit einem Kern (Fig. 20) und zeigen dann weiter alle Übergänge zu solchen mit Kern und Blepharoplast, zu welchem dann ein Geißelfaden tritt (Fig. 21 und 22); dann Fig. 20. Fig. 21. Fig. 22. Fig. 23. wird die Gestalt länglich und nimmt immer mehr die Trypanosomenform an. Gewöhn- lich sind diese Jugendformen daran zu erkennen, daß der Blepharoplast vor dem Kern (in der Richtung nach der Geißel zu) liegt (Fig. 23); erst später tritt er neben den Kern und rückt nur ganz allmählich an das hintere Ende des Trypanosoma. Neben diesen Formen treten aber gelegentlich noch andere auf, für welche ich bisher noch keine annehmbare Erklärung finden konnte. Es sind zu Längsbündeln Fig. 24. vereinigte lange dünne Trypanosomen, welche oft aufgerollt sind und dann so aussehen, als hätten sie sich aus einer großen Zelle durch Segmentierung des Inhalts entwickelt. Ferner schmale bandförmige Trypanosomen, oft von außergewöluilicher Länge und mit abgestutzten Enden, in denen der Blepharoplast weit nach vorn gelagert ist und niu' einen ganz kurzen Geißelfaden hat. (Fig. 24.) Zu bemerken ist noch, daß in der Rüsselflüssigkeit neben den anderen Formen fast regelmäßig Trypanosomen gefunden werden, welche ganz das Aussehen und die Größe der Bluttrypanosomen besitzen. Es läßt sich wohl annehmen, daß durch diese die Infektion bewirkt wird. Der Versuch, Ratten mit den im Magen der Fliege enthalte- nen Trypanosomen zu infizieren, blieb resultatlos'-). Bisher ist es auch nicht mit Sicherheit gelungen, Glossinen durch Fütteriuig an Tieren, welche Trypanosomen im Blute haben, zu infizieren. Wenn sie an Rindern ge- füttert wurden, welche frisch an Tsetse erkrankt waren und viele Trypanosomen hatten, ' ) Dieselben Jugendformen haben schon R a b i n o w i t s c h und K e m p n e r bei den Eatlen-Trypanosomen, ferner Novy und M'Neal in ihren Trypanosonien-Kulturen, vielleicht aiich C a s t e 1 1 a n i in der Cerelirospinalflüssigkeit von Schlafkranken gesehen. ■-) Zu demselben negativen Ergelniis ist die Sleeping Sickneß-Kommission bei ihren Versuchen gelangt, die Trypanosomen aus der Gl. palpalis auf Affen zu üliertragen. Reports of tlie Sleep. Sickn. Commission of the Royal Society No. VI, \>. 28ii. 486 Vorläufige Mitteilungen über die Ergebnisse einer Forschungsreise nach Ostafrika. verschwanden die Trypanosomen in dem Maße, als das Blut verdaut wurde; aber es kam weder eine Entwicklung der Trypanosomen noch eine dauernde Infektion der Fliegen zustande. Erst als die Fliegen an Tieren (Ochsen, Maultieren) gefüttert wurden, welche vor langer Zeit infiziert waren und nur gelegentlich wenige Trypanosomen im Blute hatten, wurden einige Fliegen infiziert. Ich möchte daher annehmen, daß nicht alle Bluttrypanosomen zur Infektion der Glossinen geeignet sind, sondern nur solche, welche sich in einem bestimmten, uns noch nicht genügend bekannten Zustande befinden. Vermutlich finden sich die so beschaffenen Trypanosomen in den für Tsetse wenig emp- fänglichen Tieren, wie in den großen Wildarten (Antilopen, Büffel). Ich habe die infi- zierten Fliegen öfters in solchen Gegenden gefunden, wo sie sich nur am großen Wild infiziert haben konnten, in dessen Blut bekanntlich die Trypanosomen nur in höchst spärlicher Zahl vorhanden sind. Im Luengeratal, wo der höchste Prozentsatz von in- fizierten Fliegen gefunden wurde (17,4 Proz.), gab es keine Rinder, nur sehr wenige Antilopen, dagegen Ziegen und Schafe, die scheinbar ganz gesund waren, aber zum großen Teil vereinzelte Trypanosomen in ihrem Blute hatten. In bezug auf das Verhalten der Glossinen ist noch bemerkenswert, daß sowohl Männchen als Weibchen Blut saugen und daß beide Geschlechter infiziert werden und demnach auch wieder infizieren können. Die Glossina fusca fliegt und sticht auch zur Nachtzeit. Um sie in der Gefangen- schaft längere Zeit am Leben zu erhalten, muß ihr alle zwei bis drei Tage Gelegenheit gegeben werden, Blut zu saugen. Die Männchen der Glossina fusca sitzen mit Vorliebe auf dem Boden und auf den Sträuchern und Büschen am Wege. Die Weibchen halten sich mehr versteckt und kommen erst zu'm Vorschein, wenn sie Tiere wittern. Wenn man die Fliegen ohne Zuhilfenahme von Tieren fängt, bekommt man deswegen fast nur Männchen. Linter den Fliegen, welche an Tieren (Maultieren, Eseln, Rindern) gefangen werden, befinden sich stets auch Weibchen, mitunter ebensoviel wie Männchen. Die Weibchen legen nicht Eier wie andere Dipteren, sondern immer nur eine einzelne weißliche Larve, welche sich nach wenigen Stunden verpuppt. Zwischen dem Ablegen der einzelnen Larven verstreicht bei der Glossina fusca, wenn sie regelmäßig gefüttert wird, je nach der Lufttemperatur, ein Zeitraum von 10 — 20 Tagen. Das Weibchen pro- duziert also in einem Monat nicht mehr als zwei bis drei Nachkommen. Die Fortpflanzung der Glossinen geht also im Verhältnis zu anderen Insekten ungemein langsam vor sich. Hier scheint mir die schwächste Stelle in dem Infektionskreislauf der Trypanosomen zu liegen, welche vielleicht einen Anhaltspunkt für eine wirksame Bekämpfung der Trypanosomenkrankheiten bieten kann. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Piroplasmen/) (Aus dem Köiiigl. Institut für Infektionskrankheiten in Berlin.) Von Dr. R. Koch. (Hierzu Tafel XXXIV— XXXVI.) Vor einiger Zeit habe ich'-) vorläufige Mitteilungen veröffentlicht über die eigen- tümlichen Entwicklungsformen, welche die Piroplasmen in ihrem Zwischenwirt, in der Zecke, annehmen. Seitdem hatte ich mein in Afrika gesammeltes Material noch einmal einem gründ- lichen Studium unterzogen, durch welches meine früheren Beobachtungen in einigen Punkten ergänzt und berichtigt werden. Da mir außerdem aber auch daran gelegen ist, den ziemlich komplizierten Entwicklungsgang der Piroplasmen durch möglichst vollkommene Abbildungen verständlich zu machen, so habe ich mich entschlossen, das- jenige, was wir über die Entwicklungsgeschichte der Piroplasmen zurzeit wissen, hier nochmals unter Beigabe von guten Abbildungen^) zusammenzustellen. Obwohl ich im allgemeinen, namentlich wenn es sich um neue Formen handelt, den photographischen Abbildungen den Vorzug gebe, so halte ich doch gerade im vor- liegenden Falle die Wiedergabe der Farben für so wichtig, daß die Photographie das farbige Bild nicht ersetzen kann. Das Studium der Piroplasmen wird in Ostafrika dadurch sehr erschwert, daß in den allermeisten Fällen zwei Piroplasmenkrankheiten, nämlich das Texasfieber und das Küstenfieber, miteinander kombiniert vorkommen. Es gehört deswegen viel Übung und Erfahrung dazu, die einzelnen Formen der beiden Entwicklungsreihen immer mit Sicher- heit auseinanderzuhalten und ich muß gestehen, daß ich auch jetzt noch nicht ganz sicher bin, in allen Punkten die beiden Reihen richtig voneinander unterschieden zu haben. Außerdem entstehen für die Untersuchung noch weitere Schwierigkeiten dadurch, daß die Entwicklungsformen der Piroplasmen, welche anscheinend von sehr zarter Beschaffen- heit sind, durch die Präparation, insbesondere durch das schnellere oder langsamere Eintrocknen in dünner oder dicker Schicht, ferner durch Konzentration der Farblösung und Dauer der Färbung sehr verschieden beeinflußt werden. Man findet mitunter in dem- selben Präparat an dicken Stellen und in den mittleren Partien, wo die Färbung weniger intensiv ausgefallen ist, Parasiten, welche von solchen, die am Rande und an sehr dünnen Stellen liegen, ganz verschieden zu sein scheinen und doch lehren die Übergänge zwischen ^) Aus Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, 1906, Bd. 54. ^) Deutsche Med. Wochenschrift, 1905, Nr. 47. S. die vorhergehende Aljhandlung. D.Herausg. '') Die Holzschnitte, welche der vorläufigen Mitteilung beigegeben waren, sind leider recht ungenügend ausgefallen. 488 Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Piroplasmen. beiden, daß es sich um dieselbe Entwicklungsform handelt, welche durch die ungleich- mäßige Präparationsweise ein so voneinander abweichendes Aussehen erhalten haben. In bezug auf die Herrichtung der Präparate habe ich noch folgendes zu bemerken. Die Zecken saugen in allen Stadien, als Larven, Nymphen und im ausgewachsenen Zustande das Blut des Wirts. Auch die Männchen leben vom Blute des letzteren. Aber sie nehmen doch immer nur soviel Blut zu sich, als zu ihrem eigenen Aufbau und zu ihrem Wachstum erforderlich ist. Schließlich kommt aber für die vollkommen entwickelten Weibchen ein Zeitpunkt, wo sie eine größere Menge Blut als bisher aufnehmen müssen, nämlich dann, wenn die Eier zur Reife gebracht werden sollen. Sobald dieser Moment gekommen ist, dann saugt sich das Weibchen in kurzer Frist ganz voll und wird zu einem unförmlichen Klumpen. Nur in diesen vollgesogenen weiblichen Zecken gelangen die Piroplasmen zur Weiterentwicklung; offenbar weil sie nur unter diesen Verhältnissen die Gelegenheit finden, ihr bestimmungsgemäßes Ziel zu erreichen und in die Eier einzudringen, in welchen sie in den Zeckenembryo übergehen, um so durch die aus- geschlüpfte junge Zecke wieder auf einen neuen Wirt übertragen zu werden. Wenn man also die Entwicklungsgeschichte der Piroplasmen studieren will, dann muß man solche weibliche Zecken zur Untersuchung wählen, welche sich eben ganz voll gesogen haben. Untersucht man den blutigen Inhalt des Magens derartiger Zecken un- mittelbar, nachdem sie von einem kranken Rinde abgenommen sind, dann findet man in der Regel die Piroplasmen noch ganz unverändert. Aber nach einiger Zeit, etwa 12 bis 20 Stunden später, machen sich ganz bestimmte und charakteristische Veränderungen bemerklich. I. Parasiten des Texasfiebers. Zuerst verlassen die Piroplasmen die roten Blutkörperchen, und sie bilden, je nach- dem sie im Blute mehr oder weniger reichlich vorhanden sind, kleinere oder größere Anhäufungen (Taf. XXXIV, Fig. 5, 6). In solchen Haufen finden sich schon frühzeitig einzelne Exemplare, welche mit einem oder mehreren spießartigen Fortsätzen ver- sehen sind. Die Zahl der Fortsätze nimmt dann zu und ihre Anordnung wird eine der- artige, daß sie fast sämtlich an dem einen Ende des Parasiten sitzen und daselbst eine Art von Strahlenkranz bilden (Taf. XXXIV, Fig. 9, 10, 11). Der eigentliche Leib des Parasiten dehnt sich in die Länge, wird keulenartig, indem das eine Ende spitz aus- gezogen wird, während das andere dick und rundlich endet. An dem dickeren Ende liegt regelmäßig ein großes, rundliches Chromatinkorn, um welches sich der Strahlen- kranz gruppiert (Taf. XXXIV, Fig. 12). In der Regel hegt unterhalb des großen Chromatinkorns ein zweites etwas kleineres und weniger intensiv gefärbtes Korn. Mitunter haben die Parasiten an Stelle der keulenförmigen eine mehr rundliche Form angenommen. Bei derartig gestalteten Parasiten pflegen die Strahlen besonders lang und zahlreich zu sein (Taf. XXXIV, Fig. 13, 14). Ziemlich oft sieht man auch Parasiten, die offenbar aus der Verbindung von zwei Parasiten hervorgegangen sind. Dieselben bestehen aus einem Mittelstück, welches an jedem Ende ein Chromatinkorn und einen dazu gehörigen Strahlenkranz trägt (Taf. XXXIV, Fig. 7, 8). Ob es sich hierbei nur um ein Zusammenkleben oder um eine Art von Kopu- lation der Parasiten handelt, muß ich vorläufig dahingestellt sein lassen. Die zu solchen Strahlenkörpern ausgewachsenen Piroplasmen entsprechen so wenig dem, was man in bezug auf die weitere Entwicklung der Piroplasmen erwartet hatte, sie haben ein so fremdartiges Aussehen und es findet sich unter den übrigen pathogenen Protozoen so gar nichts Analoges, daß man auf den Gedanken kommen könnte, daß es Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Piroplasmen. 489 sich hier gar nicht um eine Weiterentwicklung der Piroplasmen, sondern um irgendein zufällig dahin geratenes Gebilde oder gar um ein Kunstprodukt handeln könnte. Wenn man aber berücksichtigt, daß nicht nur die Piroplasmen des Texasfiebers sich in dieser Weise entwickeln, sondern auch die Parasiten des Küstenfiebers eine ganz ähnliche Ent- wicklung durchmachen und daß es Prof. K 1 e i n e ^ gelungen ist, die Piroplasmen des Hundes im Reagenzglase bis zu diesen ersten Entwicklungsstadien zu bringen und die birn- oder kugelförmigen Hundepiroplasmen zu den ganz charakteristischen Strahlen- körpern heranwachsen zu lassen, dann muß man diesen Gedanken fallen lassen. Wer trotzdem noch Zweifel hegen sollte, kann sich durch Wiederholung der künstlichen Entwicklung der Hundepiroplasmen jederzeit von der Richtigkeit unserer Beobach- tungen überzeugen. Die Strahlen der zur l^ntwicklung gekommenen Piroplasmen entsprechen nicht den Geißeln der Protozoen, z. B. der Trypanosomen, denn sie nehmen bei der Färbung die Farbe des Plasmas und nicht des Chromatins an. Im lebenden Zustande erscheinen die Strahlen in der Regel als unbewegliche, starre Fäden. Aber gelegentlich trifft man doch auch solclie Parasiten, welche deutliche Bewegungserscheinungen zeigen. Die Be- wegungen sind langsam kriechend, amöbenartig; der Körper des Parasiten zieht sich zusammen, wird kugelig und streckt sich bald daravxf wieder; die Strahlen werden dabei, wie die Pseudopodien der Amöben, langsam eingezogen und wieder ausgestreckt. Die weitere Entwicklung der Parasiten scheint in folgender Weise vor sich zu gehen. Der Körper des Parasiten wird kompakter und reicher an Chromatin; die Anzahl der Strahlen nimmt ab. Sehr häufig tritt ein Teil des Chromatins in Form einer kurzen, aber scharfen Spitze an das stumpfe Ende des Parasiten (Taf. XXXIV, Fig. 15, 16). Weiterhin werden die Strahlen immer kürzer und nehmen an Anzahl ab (Taf. XXXV, Fig. 17, 18, 19). Bei manchen Parasiten bleibt auch in diesem Stadium die kurze, scharfe Spitze als letzter Rest der strahligen Form des Parasiten übrig (Taf. XXX^', Fig. 20, 21). Schließlich verschwindet auch diese Zecke, alle Ausläufer sind eingezogen und der Parasit hat die Gestalt einer ziemlich großen Kugel angenommen (Taf. XXXV, Fig. 22). In diesen Kugeln legt sich das Chromatin der Wand an, welche dann strecken- weise die Chromat infärbung, im übrigen aber die bläuliche Plasmafärbung zeigt. Das Zentrum der Kugel besteht aus einer farblosen, ziemlich stark lichtbrechenden Masse, welche eine deutliche, schwammige oder vielmehr schaumige Struktur erkennen läßt (Taf. XXXV. Fig. 23). An dieser eigentümlichen Struktur kann man sie immer leicht er- kennen und weiter verfolgen. Sie nehmen an Größe zu und ihre Membran wird dicker (Taf. XXXV, Fig. 24, 25, 26). Diese Formen kann man am zweiten Tage, nachdem die vollgesogenen Zecken von dem Rind abgenommen sind, konstatieren. Man trifft sie öfters auch noch am dritten Tage. Dann aber, d. h. am dritten Tage, treten daneben plötzlich ganz eigentümliche Formen auf, von denen ich nicht anzugeben vermag, wie sie aus den eben beschriebenen Kugeln entstehen. Hier scheint eine Lücke in meinen I Beobachtungen zu bestehen. Icli vermute, daß dieselbe dadurch entstanden ist, daß ich ausschließlich den flüssigen Inhalt des Magens untersucht habe, so daß mir Ent- wicklungszustände. welche sich etwa auf der Innenwand des Magens, vielleicht in Zellen der Magenwand, abspielen, entgangen sind. Die am dritten Tage neu auftretenden Formen sind folgende. Man trifft große Haufen von unregelmäßig und amöbenartig gestalteten Parasiten, welche aus blau gefärbtem Plasma mit eingelagertem körnigem Chromatin bestehen. ^) Zeitschr. für Hygiene und Infektionskrankheiten, 1906, Bd. 54, Seite 10. 490 Beiträge zur Entwickliingsgeschichte der Piroplasmen. In Taf. XXXV, Fig. 27 ist ein solcher Haufen bei SOOfacher Vergrößerung und in Fig. 28 eine kleine Gruppe der Parasiten bei 2000 facher Vergrößerung wiedergegeben. Zu einem derartigen Haufen gehört regelmäßig ein großer, dunkelviolett gefärbter, kompakter Kern. Was derselbe bedeutet, weiß ich nicht. Ich vermute nur, daß derselbe der Rest einer Zelle ist, welche der Magenwand der Zecke angehört, und welche in irgendwelcher Beziehung zu dem Parasitenhaufen steht, vielleicht daß die Parasiten sich im Innern der Zelle entwickelt haben. Die Parasitenhaufen lösen sich auf, die einzehren Parasiten nehmen eine mehr abgerundete Form an, in welcher das Chromatin schärfer begrenzt und meistens von einer achromatischen Zone umgeben ist (Taf. XXXV, Fig. 29, 30). Schließlich nehmen sie dann eine eigentümliche, aber sehr charakteristische keulen- förmige Gestalt an (Taf. XXXVI, Fig. 31 bis 37). Die Fig. 31 bis 34 sind schwächer gefärbt und lassen infolgedessen die Trennung in Plasma und Chromatin besser erkennen. Die stärker gefärbten Parasiten in Fig. 35 bis 37 zeigen dagegen deutlicher eigentümliche Strukturverhältnisse, so namentlich den achromatischen Ring am stumpfen Ende. Diese keulenförmigen Parasiten haben regelmäßig am dünneren Ende eine feine Spitze, welche gewöhnlich nicht genau von der Mitte ausgeht, sondern seitlich angesetzt ist. Den Parasiten in Keulenform begegnet man dann wieder in den Eiern der Zecken (Taf. XXXVI, Fig. 38 bis 43). Je nach der Intensität der Färbung haben auch diese nur einen roten Chromatinhaufen in dem blaugefärbten Plasma oder es treten daneben und zwar immer am stumpfen Ende noch weitere rötlich gefärbte Stellen auf. Gelegentlich finden sich auch Parasiten in Kugelform (Fig. 43) und es scheint, als ob ihnen noch eine gewisse Beweglichkeit zukommt, vermöge welcher sie sich zusammenziehen und wieder strecken können. In dem Inhalte des Zeckeneies treten die Parasiten nur immer einzeln und zerstreut zwischen dem Zellenmaterial auf, welches dem sich entwickelnden Embryo angehört. Es ist mir bis jetzt noch nicht gelungen herauszufinden, ob die Parasiten in bestimmten Organen des Embryos ihren Sitz haben. II. Parasiten des Küstenfiebers. Auch die Parasiten des Küstenfiebers, welche im unveränderten Zustande auf Taf. XXXVI, Fig. 45 und in der für dieselben besonders charakteristischen Kreuzform (Fig. 46) abgebildet sind^), verlassen, sobald ihre Weiterentwicklung beginnt, die roten Blutkörper und bilden ebenso wie die Parasiten des Texasfiebers Haufen (Taf. XXXVI, Fig. 50, 51). Die erste Veränderung, welche man an ihnen wahrnimmt, besteht darin, daß sie aus ihrer länglichen, bazillenartigen Form in eine kugelige übergehen, an Volumen zunehmen, und daß ihr einfaches Chromatinkorn sich in zwei Körner teilt (Fig. 50). Gleich darauf bilden sich ein oder zwei spießartige Fortsätze (Taf. XXXVI, Fig. 51 bis 54). Später entstehen dann noch einige weitere derartige Fortsätze (Taf. XXXVI, Fig. 57), so daß eine gewisse Ähnlichkeit mit den Strahlenkörpern der Parasiten des Texasfiebers zustande kommt; aber die Küstenfieberparasiten bleiben doch immer kleiner, sie zeigen nicht eine so ausgesprochene Keulenform, ihre Strahlen sind viel weniger zahlreich und sehr viel zarter als bei den Texasfieberparasiten. In einem Punkte jedoch zeigen sie eine gewisse Analogie mit ihren größeren Verwandten ; sie bilden näm- hch auch häufig eine ziemlich kräftige Spitze von Chromatin, welche am stumpfen Ende des Parasiten sitzt und an ihrer Basis von einigen feinen Strahlen umgeben ist 1) Diese beiden Figuren sind Photogramme von 1000 facher Vergrößerung, welche koloriert wurden. In bezug auf die kreuzförmigen Parasiten vergleiche das in der vorläufigen Mitteilung (Deutsche Med. Wochenschrift, 1905, Nr. 47) darüber Gesagte. Beiträge zvu' Entwicklungsgeschichte der Piroplasmen. 491 (Taf. XXXVI, Fig. 55, 56, 58, 59). Der weitere Entwicklungsgang gestaltet sich ganz analog demjenigen der Texasfieberparasiten. Die Strahlen werden immer mehr ein- gezogen, der Leib des Parasiten wird volummöser, rundet sich ab (Taf. XXXVI, Fig. 60 bis 63); oft bleibt noch an der Peripherie der kugeligen Parasiten die Chromatinspitze allein sichtbar (Taf. XXXVI, Fig. 64, 65), schließlich verschwindet auch diese und es bleibt eine glatte Kugel mit zwei Chromatinmassen übrig. Weiter konnte ich die Entwicklung der Küstenfieberparasiten nicht verfolgen. Formen, welche den Schwärmen von amöbenartigen Körpern oder den Kolben der Texas- fieberparasiten an die Seite gestellt werden könnten, habe ich in Zecken, welche mit dem Blute nur Küstenfieberparasiten aufgenommen hatten, nicht gesehen. Es ist mir aber nicht unwahrscheinlich, daß kleine längliche Körper, welche aus Plasma und einem kompakten dunkelrot gefärbten Chromatinkorn bestehen (Taf. XXXVI, Fig. 44), wie ich sie öfters in Zeckeneiern neben den großen Keulen der Texasfieberpara- siten angetroffen habe, zu den Küstenfieberparasiten in Beziehung stehen. Vielleicht stellen sie für die letzteren dasselbe Stadium der Entwicklung dar, wie die Keulen für die Texasfieberparasiten. 492 Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Piroplasmen. Erklärung der Abbildungen. (Tafel XXXIV— XXXVI.) Tafel XXXIV. Fig. 1 — 4. Rote Blutkörperchen vom Rind mit Parasiten des Texasfiebers (Piroplasma bigeminum). 2000 fach. Von Oberarzt Dr. K u d i c k e gezeichnet. Fig. 5 u. 6. Haufen von jungen Parasiten des Texasfiebers. 2000 fach. Fig. 7 u. 8. Doppelparasiten. 2000 fach. Fig. 9, 10 u. 11. Gruppen von Parasiten mit Strahlenfortsätzen (etwa 20 Stunden im Körper der Zecke). Daneben rote Blutkörperchen. 2000 fach. Fig. 12 u. 13. Weiterentwickelte Parasiten. 2000 fach. Fig. 14. Rundlicher Parasit mit sehr langen Strahlen. 2000 fach. Fig. 15 u. 16. Mit Chromatinspitzen versehene Parasiten. 2000 fach. Tafel XXXV. Fig. 17, 18 u. 19. Verschwinden der Strahlen. 2000 fach. Fig. 20 u. 21. Kugelförmige Parasiten mit dornartiger Chromatinspitze. 2000 facli. Fig. 22. Kugelförmiger Parasit ohne Fortsätze. 2000 fach. Fig. 23, 24, 25 u. 26. Weiterentwicklung der kugelförmigen Parasiten. 2000 fach. Fig. 27. Schwärm von amöbenartigen Parasiten. 500 fach. Fig. 28. Einige Parasiten vom Rande dieses Schwarmes. 2000 fach. Fig. 29 u. 30. Kompakt gewordene amöbenartige Parasiten. 2000 fach. Tafel XXXVI. Fig. 31, 32, 33 u. 34. Keulenförmige Parasiten, weniger intensiv gefärbt. 2000 fach. Fig. 35, 36 u. 37. Dieselben, stärker gefärbt. 2000 fach. Fig. 38 — 43. Parasiten des Texasfiebers aus dem Zecken-Ei. Fig. 44. Parasit aus dem Zecken-Ei, vielleicht eine Entwicklungsform der Küstenfieberparasiten. 2000 fach. Fig. 45 Blut von einem Rinde mit Parasiten des Küstenfiebers. Koloriertes Photogramm. 1000 fach Fig. 46. Küstenfieberparasit in Kreuzform auf einem Blutkörperchen eines Rindes. Koloriertes Photogramm. 1000 fach. Fig. 47. Plasmakugel mit eingelagerten Chromatinkörnern. Aus dem Blute eines küstenfieber- kranken Rindes. Koloriertes Photogramm. 1000 fach. Fig. 48, 49. Plasmakugeln im Innern einer Endothelzelle der Milz vom küstenfieberkranken Rinde. Kolorierte Photogi-amme. 1000 fach. Zu den Photogrammen 45 — 49 habe ich zu liemerken, daß dieselben hier mit auf- genommen sind, weil meines Wissens noch keine guten Abbildvmgen der Küstenfieber- parasiten veröffentlicht sind, und die merkwürdigen Plasmakugeln, welche regelmäßig in der Milz und in den Lymphdrüsen, gelegentlich auch im Blute der küstenfieberkranken Rinder gefunden werden, überhaupt noch nicht abgebildet sind. Ich mache noch besonders darauf aufmerksam, daß die Fig. 45 — 49 nur eintausendfach vergrößert sind, während die übrigen (mit Ausnahme von Fig. 27) zweitausendfach vergrößert sind. Fig. 50 u. 51. Gruppen von Küstenfieberparasiten im Beginne ihrer Entwicklung. 2000 fach. Fig. 52 — 59. Küstenfieberparasiten in verschiedenen Stadien der Entwicklung. 2000 fach. Fig. 60 — 63. Küstenfieberparasiten, bei w^elchen die Strahlen kürzer werden und zum Teil verschwin- den. 2000 fach. Fig. 64 u. 65. Küstenfieberparasiten, welche nur noch eine dornartige Chromatinspitze besitzen. 2000 fach. Fig. 66 u. 67. Küstenfieberparasiten in Kugelform. 2000 fach. Mit Aiisnahme der Photogramme Fig. 4f< — 48 und der Fig. 1 — 4 sind alle übrigen Figuren vom Maler Hrn. M. Lands berg mit dem Z e i s s sehen Zeichenai^parat an- gefertigt. Koch, Gesammelte Werke Tafel XXXIV Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Piroplasmen. Aus Zeitschrift für Hygiene inid Infektionskrankheiten. Bd. 54. Koch, Gesammelte Werke Tafel XXXV Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Piroplasmen. Aus Zcitsclirift ftir Hygiene iiik1 Infektionskiankheifen. Bd. 54. {och, Gesammelte Werke Tafel XXXVI Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Piroplasnien. Aus Zeitschrift fiir Hygiene und Iiifektioiiski aniilieifeii Bd. 54. über afrikanischen Recurrens.') (Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft.) Von Dr. R. Koch. M. H.! Der Typhus recurrens ist diejenige unter den menschlichen Infektions- krankheiten, bei welcher zum ersten Male ein Parasit im Blute nachgewiesen wurde. Es ist die Ihnen allen wohl bekannte Spirochaete Obermeieri. In der Zeit, als diese Entdeckung gemacht wurde, haben wir in kurzer Aufeinander- folge mehrere ziemlich bedeutende Recurrensepidemien erlebt. Sie kamen alle vom Osten, ergriffen zuerst Ostpreußen, Posen und Schlesien und rückten dann weiter nach dem Westen vor bis Berlin und in einigen Fällen auch darüber hinaus. Seitdem, also mehr als 20 Jahre, sind wir von Recurrensepidemien vollständig verschont geblieben. Man darf nun aber nicht etwa annehmen, daß diese Krankheit für ims von der Tagesordnung verschwunden ist. Im Gegenteil, wir müssen uns jeden Augenblick darauf gefaßt machen, daß sie von neuem wieder auftreten kann. Sie hat also nicht etwa nur für den Bakteriologen ein Interesse, sondern auch für den praktischen Arzt. Für alle, die damals den Recurrens aus eigener Anschauung kennen gelernt haben, war es eine auffallende Tatsache, daß diese Krankheit eine ganz besondere \'orliebe für eine gewisse Klasse von Menschen und für gewisse Örtlichkeiten hat. Es erkrankten fast nur Landstreicher, Leute, die in den sogenannten Pennen verkehrten, Eisenbahnarbeiter, che in engen Hütten und schlechten Baracken dicht zusammengedrängt lebten, Insassen von Gefängnissen usw. Eine ausreichende Erklärung für dieses eigentümliche Verhalten der Krankheit ist bis jetzt nicht gefunden. Überhau]it sind wir in bezug auf die Ätiologie des Recurrens, obwohl sie die am frühesten als parasitär erkannte Krankheit ist, sehr zurückgeblieben. Man weiß allerdings, daß die Krankheit durch Verimpfung spirochaetenhaltigen Blutes übertragen werden kann. Es haben das russische Forscher, wie M Ii n c h , M o t s c h u t - k o w s k i , durch Experimente, die sie nach dieser Richtung hin angestellt haben, be- wiesen. M e t s c h n i k o f f hat sich sogar selbst geimpft, und er ist fünf Tage nach dieser Impfung an regelrechtem Recurrens mit mehreren Anfällen und mit Spirochr.etennachweis im Blut erkrankt. Nun wissen wir aber auch, daß die Spirochaeten außerhalb des menschlichen Körpers sehr rasch zugrunde gehen. Sie bilden keine Dauerformen, und so ist es ein vollständiges Rätsel, in welcher Weise sie von einem ]vranken auf den Gesunden übergehen. Um über diese Schwierigkeit hinwegzukommen, hat man zu der Annahme gegriffen, daß ein Zwischenwirt vorhanden sein müsse, der den Transport des Infekt ionsstoff es ') Aus Berliner Klinische Wochenscliril t, 1!>0(>, Nr. 7. Verlag von August Hirschwald, Berlin. 494 Über afrikanischen Recurrens. vom Kranken zum Gesunden besorgen müsse. Man hat dabei an die Wanzen gedacht. T i k t i n und Karlinski haben sogar angegeben, daß sie in Wanzen, die sie in Re- currenshäusern gesammelt hatten und mikroskopisch untersuchten, Spirochaeten im Magen gefunden hätten. Das kann uns aber in dieser Beziehung nicht viel helfen, denn es ist ganz natürlich, daß man in dem Magen einer Wanze, die eben oder vor kurzer Zeit Recurrensblut gesogen hat, Recurrensspirochaeten finden muß. Auf diese Weise kann der Beweis, daß die Wanzen wirküch eine wichtige Rolle bei der Übertragung der Re- currens spielen, nicht geliefert werden. So weit sind wir also in der Ätiologie dieser Krankheit gekommen. Es ist nicht viel. Nun scheint es aber, als ob von einer Seite, an die man am allerwenigsten gedacht hat, Licht in dieses Dunkel fällt. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß in Ostafrika eine Krankheit vorkommt, die mit unserem europäischen Recurrens vollkommen identisch zu sein scheint oder doch unserem Recurrens außerordentlich nahesteht, und bei dieser Krankheit sind die ätiologischen Verhältnisse sehr viel einfacher als wie bei unserem Recurrens. Diese Krankheit hat sich deswegen ätiologisch viel leichter und gründlicher untersuchen lassen, und es ist gelungen, bei ihr die Ätiologie vollkommen klarzulegen. So ist denn zu hoffen, daß, sobald sich einmal wieder die Gelegenheit bietet, Studien über den europäischen Recurrens zu machen, man zu analogen Resultaten kommt, wie bei der afrikanischen Krankheit, die ich kurz afrikanischen Recurrens nennen wiU. Dieser afrikanische Recurrens ist nicht etwa eine ganz neue Krankheit, die jetzt erst in jene Gegenden eingeschleppt wurde, sondern sie herrscht dort vermutlich schon seit langer Zeit. Man hat sie nur nicht als solche richtig erkannt und hat sie immer für Malaria gehalten. Es ist nämlich noch nicht so lange her — erst wenige Jahre — , daß in Ostafrika bei den Malariakranken regelmäßig Blutuntersuchungen gemacht werden, und so ist es denn gekommen, daß man erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit bei diesen Malariablutuntersuchungen ganz zufällig den Spirochaeten im Blute begegnet ist. Das mußte natürlich auffallen und sofort den Verdacht erwecken, daß man Recurrens vor sich habe. Man hat die Fälle dann gründlicher sich daraufhin angesehen und gefunden, daß sie auch klinisch vollständig mit unserem europäischen Recurrens übereinstimmten, und daß das, was man früher für Rezidive von Malaria gehalten hatte, nichts weiter waren als die Rückfälle des Recurrens, denn in den einzelnen Anfällen fand man keine Malaria- parasiten, sondern regelmäßig die Recurrensspirochaeten. Man fand auch sehr bald, daß diese Krankheit gar nicht so vereinzelt vorkam, wie es anfangs den Anschein gehabt hatte, sondern sie zeigte sich ziemlich häufig unter den Europäern, und ganz besonders unter denjenigen, welche die Karawanenstraße benutzen mußten. Die Karawanenstraße, welche man sich nicht als eine breite Landstraße, sondern als eine Art von Feldweg vorstellen muß, auf welchem ein Mensch hinter dem andern hergeht, sehen Sie auf dieser Karte (vgl. Fig. 1). Dies (demonstrierend) ist die Küste des Indischen Ozeans. Da ist die Insel Sansibar. Hier liegt, südlich davon, Daressalam und von da aus gehend, durch einen roten Strich angedeutet, die Karawanenstraße zunächst bis Mrogoro. Jetzt wird auf dieser Strecke eine Eisenbahn gebaut; dieselbe ist aber noch nicht in Funktion getreten, und man muß auch jetzt noch diesen ganzen Weg zu Fuße machen. Die Karawanenstraße geht dann weiter in der Richtung nach Westen von Mrogoro über Kilossa, Mpapua und Kilimatinde nach Tabora. Da gibt sie einen Zweig ab nach Norden zum Victoria-Njansa und einen anderen Zweig nach Westen hin bis an die Grenze unserer Kolonie nach dem Tanganjikasee. Hier in Kilossa zweigt sich ferner noch eine Karawanenstraße ab, die nach dem Hochlande von Uhehe und nach der Hauptstation dieses Landes, nach Iringa, geht. über afrikanischen Recurrens. 495 Also fast alle Europäer, die diesen Weg zu marschieren hatten, wurden krank, und ganz besonders infektiös schien die erste Strecke zu sein, die Strecke von Daressalam bis nach Mrogoro. Die Regierung sah sich deswegen sogar genötigt, diese Strecke des Karawanenweges zu verlegen. Es wurde der Karawanen verkehr nach Bagamojo geleitet und von da direkt nach Mrogoro. Fig. 1. Kartenskizze von Ostafrika. Es wurden auch Ärzte auf die Karawanenstraße geschickt, um die Sache zu unter- suchen und womöglich Abhilfe zu schaffen. Dabei hat Oberarzt K u d i c k e gefunden, daß die Krankheit doch nicht bloß bei Europäern vorkommt, wie man es bis dahin an- genommen hatte, sondern daß gelegentlich auch Eingeborene erkranken können. Er fand mehrere Fälle von Recurrens bei Eingeborenen in der Nähe von Mafisi. K u d i c k e hat dann auch den Versuch gemacht, das Blut von solchen Kranken Affen einzuspritzen, 496 über afrikanischen Recurrens. und hat dadurch den Recurrens bei den Affen erzeugen können. Es ist dasselbe Ver- halten, welches wir von dem europäischen Recurrens kennen, der sich bekanntlich auch auf Affen verimpfen läßt. Damals waren gerade Beobachtungen von englischen Ärzten bekanntgeworden, die in ihren Kolonien bei einer Krankheit, die dort unter dem Namen Tickfieber, d. h. Zeckenfieber, bekannt war, Spirochaeten gefunden hatten, und das veranlaßte K u d i c k e , in der Annahme, daß möglicherweise der ostafrikanische Recurrens mit dem Tickfieber etwas zu tun haben könne, auch zu versuchen, die Affen durch Zecken zu infizieren. Es ist ihm aber nicht gelungen, und man hat infolgedessen die Idee, daß die Zecken eine wesentliche Rolle spielen könnten, aufgegeben. So lagen die Verhältnisse, als ich vor einem Jahre nach Daressalam kam. Man wußte, daß eine Krankheit herrschte, die man als Recurrens ansehen mußte. Man nahm aber an, daß die Zecken keine Bedeutung für diese Krankheit hätten, ließ es dabei aber dahingestellt, ob nicht möglicherweise andere blutsaugende Insekten, z. B. Wanzen, die Überträger sein könnten. Trotzdem hielt ich es für zweckmäßig, die Frage, ob die Zecken eine Bedeutung für die Übertragung des Recurrens haben oder nicht, doch noch einmal aufzunehmen und womöghch die Zecken selbst zu untersuchen. Ich hatte dazu um so mehr Veran- lassung, als ich ein Jahr vorher in Südafrika mich mit einigen Rinderkrankheiten, dem Texasfieber und dem Küstenfieber der Rinder, zu beschäftigen gehabt hatte, bei welchen die Zecken eine ganz bedeutende Rolle spielen; denn bei diesen Krankheiten wird der Krankheitserreger erwiesenermaßen durch die Zecken übertragen. Ich hatte mich bei diesen Untersuchungen also sehr eingehend mit der Untersuchung der Zecken befassen müssen und hatte mir einige Übung im Präparieren der Zecken erworben, und wußte ganz genau, wie man Zecken untersuchen muß und wo man zu suchen hat, um etwaige Parasiten zu finden. Ich heß mir also von zwei Ortschaften der Karawanenstraße, Kola und Cha- kenge, Zecken kommen und untersuchte sie, und zwar nicht nur einige wenige Zecken, sondern gleich ein paar Dutzend. Die Zecken wurden zerlegt, ihre Organe einzeln mit verdünntem Serum auf Deckgläsern ausgestrichen, jedes für sich, also der Magen, auch der Inhalt des Magens, dann die Malpighi sehen Körper, die Speicheldrüsen, die Ovarien, die Ovidukte usw. Dann wurden die Präparate mit Azur II von G i e m s a in bekannter Weise gefärbt, und als ich sie nun mikroskopisch durchsah, fand ich zu meiner Überraschung in einigen von diesen Zecken Spirochaeten, die ganz genau so aus- sahen wie die Spirochaeten unserer Kranken, und, was besonders merkwürdig war, sie befanden sich nur an den Ovarien. Damit war die Wahrscheinlichkeit, daß diese Zecken denn doch eine ganz wesent- liche Rolle bei der Entstehung und Übertragung des Recurrens in i^irika spielen, eine sehr hohe geworden, und ich beschloß natürlich, die Sache weiter zu verfolgen. Aber ehe ich Ihnen schildere, in welcher Weise ich die Untersuchung fortgesetzt habe, möchte ich Sie doch zuvor über die Zecken orientieren, um die es sich hier handelt. In Mitteleuropa kommt eigentlich nur eine Art von Zecken etwas häufiger vor, das ist Ixodes ricinus, vom Volke Holzbock genannt. Es ist das ein Schmarotzer, den man auf Hunden, auf Rindern und auf dem Wild findet. In Südeuropa gibt es schon mehr Zeckenarten. Da kennt man mindestens ein halbes Dutzend. Aber ganz besonders reich an Zeckenarten ist Afrika. Da gibt es Dutzende, und es gehört ein ganz besonderes Studium dazu, um sich unter diesen zurechtzufinden und sie auseinanderzuhalten. Man unterscheidet zwei große Gruppen, die Ixodiden und die Argassiden. Ich will Sie nicht aufhalten mit der Beschreibung der systematischen Kennzeichen derselben. Ich möchte aber doch bemerken, daß die Ixodiden Schmarotzer sind, die beständig auf über afrikanischen Recurrens. 497 ihrem Wirt, bleiben. Schon in frühester Jugend heften sie sich an das betreffende Tier an, bohren sich mit ihrem Rüssel ein und haften fest. Einige Arten bleiben ihre ganze Lebenszeit auf demselben Wirt. Andere verlassen den Wirt nur auf ganz kurze Zeit, wenn sie sich häuten müssen. Das ist das Charakteristische der Ixodiden in Ijezug auf die Lebensweise. Die Argassiden dagegen suchen den Wirt nur dann auf. wenn sie Blut saugen wollen. Für gewöhnlich leben sie in irgendwelchen Schlupfwinkeln in der Nähe des Wirtes, auf den sie angewiesen sind. Unter den Argassiden unterscheidet man zwei Genera, das Crenus Argas und das Genus Ornithodorus, und eine Spezies von Ornithodorus, der Ornithodorus mouljata, ist die Zecke, um die es sich für uns handelt. Fig. 2. Fig. 2a. Von oben gesehen. Von ixnten gesehen. Ornithodoriiszecke. 6 Y2 t^ich vergrößert. Wenn diese Ornithodoruszecke eben aus dem Ei gekrochen ist — ich habe Ihnen hier ein Glas aufstellen lassen mit ganz jungen Ornithodoruszecken — , dann ist sie nicht größer als ein Stecknadelkopf, platt, grau, von raulier Oberfläche, ziemlich lebliaft be- weglich, aber doch im ganzen so unscheinbar, daß man sie kaum gewahrt. Dieses kleine Ding saugt sich voll Blut, häutet sich nach einiger Zeit und hat dann schon die doppelte Größe erreicht. Derselbe Prozeß wiederholt sich mehrmals, bis die Tiere ungefähr bis zu Linsengröße herangewachsen sind. Dann sind sie geschlechtsreif. Es findet darauf die Paarung statt, und nach der Paarung saugt sich das Weibchen nochmals ganz gründlich voll. Es wird so dick wie eine kleine Bohne, alsdann verkriecht es sich in der Krde und legt da seine Eier ab in mehreren Haufen, von denen jeder ungefähr 40- 50 Eier umfaßt. Diese Zecke lebt ausschließlich in menschlichen Wohnungen, also in Afrika in den Hütten der Eingeborenen ; sie findet sich auch regelmäßig unter den Schutzdächern und in den Rasthäusern, die an der Karawanenstraße für die Unterkunft der Karawanenleute er- richtet worden sind. Sie braucht aber durchaus trockenen Boden. Vv^enn in dem Dach der Hütte oder in dem Schutzdach Löcher sind, so daß der Regen durchschlagen kann, oder wenn, was bei den Eingeborenen sehr oft vorkommt, die Ziegen des Nachts in der Hütte untergebracht werden, um sie vor Raubtieren zu schützen, und wenn der Boden durch die Ziegen feucht gehalten wird, dann findet sich da nicht ein einziger Ornithodorus. Der Ornithodorus moubata ist die eigentliche und. soweit mir bekannt ist, auch die einzige Menschenzecke. Alle übrigen Zecken sind auf irgendein W^irbeltier als Wirt Koch, Gesaninielte Werke. 77 498 über afrikanischen Recurrens. angewiesen und leben von dem Blute desselben. Diese Zecke aber lebt ausschließlich von Menschenblut. Ich habe unter den vielen Zecken, die ich untersucht habe, nur zwei- mal solche gefunden, die in ihrem Magen Vogelblut hatten. Ich nehme an, daß das Blut von Hühnern herrührte, die des Nachts in den Hütten, aus denen die Zecken stammten, gesessen hatten. Diese Zecken sind ausgesprochen nächtliche Tiere. Sie sitzen den Tag über in der Erde, ziemlich tief versteckt. Des Nachts kommen sie hervor, kriechen zu den schlafenden Menschen, saugen sich voll und gehen dann schleunigst wieder in die Erde hinein. Man kann sie sehr leicht in der Gefangenschaft halten. Ich habe gefunden, daß man sie am besten in Gläsern aufbewahrt, die bis zu einem Viertel oder bis zur Hälfte voll trockener Erde gefüllt sind. Vv^enn man die Zecken da hineinsetzt, verschwinden sie sofort in der Erde. Sie lassen sich sehr leicht füttern. Man braucht sie nur auf die rasierte Bauchliaut irgendeines Tieres, z. B. eines Affen, zu setzen, dann fassen sie, wenn sie hungrig sind, sofort an, ähnlich wie ein Blutegel. Sie brauchen etwa eine halbe oder eine Stunde, um sich voll zu saugen, dann lassen sie los. Sie werden darauf wieder in das Glas hineingesetzt und verkriechen sich wieder in der Erde. Sind sie noch nicht ausgewachsen, d.h. noch nicht geschlechtsreif, dann häuten sie sich in der Erde. Wenn sie aber schon geschlechtsreif sind, dann legen die Weibchen ihre Eier in der Erde ab, und man kann sie dann nach zwei bis drei AVochen wieder von neuem füttern. Es ist aber nicht nötig, daß man sie so regelmäßig füttert. Man kann sie sogar ziemlich lange hungern lassen. Ich habe solche Zecken bis zu sechs Monaten ganz ohne Futter gelassen. Sie werden dann sehr dünn und sehen vertrocknet aus, aber sie sind noch durchaus lebenskräftig, und wenn man sie an ein Tier setzt, fassen sie sofort wieder an und saugen sich voll. Wenn ich Zecken brauchte, habe ich sie immer durch Eingeborene suchen lassen. Dieselben nehmen ein kleines spitzes Stöckchen, gehen in die Hütte und wühlen mit dem Stöckchen den Boden auf, ganz besonders am Fuß des Holzpfostens, der das Hütten- dach trägt, oder an der Stelle, wo die Kitanda steht — die Lagerstätte des Negers — , an der Schwelle der Hütte, da, wo die Leute des Abends gewöhnlich beisammensitzen und wo die Zecken Gelegenheit finden, zu stechen. An diesen Stellen muß man sie suchen. Aber es gehört doch das geübte Auge eines Negers dazu, um die Zecken zu finden. Ich habe es verschiedentlich versucht, habe aber nicht viele gefunden, während meine Leute, die darauf schon eingeübt waren, in ganz kurzer Zeit immer eine Menge fanden. Wenn man die Zecken anrührt, dann machen sie es ebenso wie viele Insekten. Sie stellen sich tot, rühren sich nicht mehr, und dann sieht die Zecke genau so aus wie ein Klümpchen Erde; sie ist schwer davon zu unterscheiden. Die Krankheit, die durch den Stich dieser Zecken übertragen wird, sieht auf den ersten Anblick genau so aus wie unser europäischer Recurrens. Aber wenn man sie etwas genauer damit vergleicht, dann finden sich doch gewisse Abweichungen, so namentlich in dem Verhalten der Anfälle. Beim europäischen Recurrens dauert der erste Anfall in der Regel durchschnittlich 6 — 7 Tage. Dann folgt eine Apyrexie von fünf bis sechs Tagen, dann ein zweiter Anfall von etwas kürzerer Dauer, dann eine etwas längere Apyrexie usw. Nach drei bis vier derartigen Anfällen ist die Krankheit beendet. Im allgemeinen verhält sich der afrikanische Recurrens ebenso, nur mit dem Unter- schiede, daß die einzelnen Anfälle viel kürzer sind. Ich habe Notizen über 24 einzelne Anfälle und darunter mehrere erste Anfälle ; aber es befindet sich nicht ein einziger unter diesen Anfällen, der länger gedauert hat als drei Tage. Ich habe Ihnen hier eine Temperaturkurve aufgestellt (vgl. Fig. 3), welche das Verhalten des afrikanischen Recurrens in dieser Beziehung zeigt. Der betreffende Kranke kam während des ersten Anfalles in das Krankenhaus und hatte im ganzen vier Anfälle, über afrika,nischen Recurrens 499 von denen der erste drei Tage, die folgenden zwei und der letzte nur einen Tag dauerte. Sehr häufig sieht man aber, daß bei drei, auch vier Anfällen jeder drei Tage dauert. An dieser Kurve kann ich Ihnen auch gleich einen weiteren Unterschied zeigen, den der afrikanische Recurrens von unserem europäisclien darbietet, nämlich in bezug auf die Zahl der Spirochaeten. Die geschlängelten Linien unterhalb der Temperaturkurve zeigen den Blutbefund an. Eine geschlängelte Linie besagt, daß an dem Tage eine oder nur Avenige Spirochaeten gefunden wurden. Zwei Linien bedeuten, daß mehr vorhanden waren, drei, daß viele gefunden wurden. Also in diesem Falle wurden überhaupt nur so wenige gefunden, daß man auch nur einzelne Linien anwenden konnte. Das Nullzeichen bedeutet, daß eine Untersuchung gemacht, aber nichts gefunden wurde. In dem letzten Anfall sind auch noch einmal vereinzelte Spirochaeten gefunden worden. Ich erinnere mich eines Falles, in dem am ersten Tage des betreffenden Anfalles trotz gründhcher Untersuchung in mehreren Präparaten nicht mehr als eine einzige Spirochaete gefunden wurde, am zweiten Tage auch nur eine Sjiirochaete ; erst am dritten Tage wurden ins- Fig. 3. Temperatiu'kurve vom afrikani.schen Recurrens (Menscli). gesamt fünf gefunden. Das ist ganz typisch für den afrikanischen Recurrens. Mir wurde von einem Fall berichtet, in dem klinisch ganz sicher Recurrens vorlag, da während der Anfälle niemals Malariaparasiten auftraten, aber es gelang, während der ganzen Krankheit mit vier Anfällen und trotz sorgfältigster Untersuchung nur eine einzige Spirochaete aufzufinden. Bei dem europäischen Recurrens sind dagegen l)ekanntlich die Spirochaeten viel zahlreicher. Nach meiner Erinnerung kommen auf ein Gesichtsfeld doch etwa ein halbes Dutzend und zuweilen viel mehr. Ich habe zum Vergleich meine früheren Prä- parate wieder angesehen und mich davon überzeugt, daß sie viel reicher an Spirochaeten sind als diejenigen vom afrikanischen Recurrens. Es ist dies Verhalten also eine beson- dere Eigentümlichkeit des letzteren. Aber im übrigen stimmen die Krankheitssymptome des afrikanischen Recurrens mit denen des europäischen Recurrens so überein, namentlich auch in bezug auf Komplikationen und Nachkrankheiten, daß es mir nicht notwendig zu sein scheint, eine neue Krankheit daraus zu machen. Höchstens könnte man von einer afrikanischen Varietät des Recurrens sprechen. Wie die pathologisch-anatomischen Veränderungen sich bei der Krankheit ge- stalten, das kann ich Ihnen nicht mitteilen. Alle die Kranken, die ich gesehen habe 77* 500 Über afrikanischen Recurrens. oder von denen ich genauere Informationen erhalten konnte, sind gesund geworden. Aber um so mehr Gelegenheit haben wir gehabt, Affen zu untersuchen, die an künst- hchem Rekurrens eingegangen sind, und da stellte sich heraus, daß diese Tiere ganz regelmäßig eine stark vergrößerte Milz hatten, die fast immer Infarkte enthielt. Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigte sich außerdem die zuerst von M e t s c h n i - k o f f beschriebene Phagocytose, die ja besonders charakteristisch auch für den euro- päischen Recurrens ist. Ich komme nun zur Schilderung des Parasiten, der Spirochaete. Sie sieht im ganzen genommen auch genau so aus wie die vom europäischen Recurrens; nur ist es mir so vorgekommen, als ob im allgemeinen die afrikanischen Recurrensspirochaeten ein wenig länger sind. Aber es ist möglich, daß dies daran liegt, daß sie sich im Blute so wenig lebhaft vermehren und vielleicht deswegen zu etwas größerer Länge heran- wachsen. Fig. 4. Fig. 5. Spirochaeten des afrikanischen Recurrens im Spirochaeten des afrikanischen Recurrens im Affenblut, 1000 fach ( Giemsafärbung). Blute einer Maus, 1000 fach ( Giemsafärbung). V/enn man eine solche Spirochaete lebend untersucht, dann sieht man, daß sie aus einer sehr feinen, ziemlich regelmäßig geformten Schraube besteht, welche sich beständig lebhaft um ihre eigene Achse dreht und dabei verhältnismäßig sehr geringe Fortbewegungen macht. Liegt sie ganz frei im Gesichtsfeld, dann bleibt sie lange Zeit an derselben Stelle liegen. Nur ganz allmählich merkt man, daß sie doch nach dieser oder jener Richtung hin fortrückt. Nun ist es aber beachtenswert, daß, wenn man die Spirochaeten etwas längere Zeit beobachtet, sie ganz allmählich sich zusammenfinden, so daß es den Eindruck macht, als ob eine Art chemotaktischer Wirkung im Gange ist. Wenn die Spirochaeten sich ge- funden haben, dann bilden sie oft dicht zusammengeballte Haufen. Sehr häufig sieht man auch, daß sich zwei Spirochaeten ineinander verschlingen und sich dann so vollständig aneinanderlagern, daß es so aussieht, als ob es eine doppelt so starke Spirale ist. Aber wenn man gesehen hat, wie die Spirochaeten sich zusammenfinden, dann weiß man, daß eine solche dicke Spirochaete aus zwei Individuen besteht, die sich nur miteinander verschlungen haben. Es ist ganz dasselbe Verhalten, welches man überhaupt bei Spirillen über afrikanischen Recurrens. 501 und Spirochaeten oft beobachtet, und was sogar bei den abstoßenden Geißelfäden der Bakterien vorkommt, welche auch noch eine Zeitlang beweghch sind und sich dann z.u- sammenschlingen und dicke Zöpfe bilden können. Wenn man das spirochaetenhaltige Blut in sehr dünner Schicht schnell eintrocknet, dann findet man nach der Färbung nicht die regelmäßigen Spiralen, sondern peitschen- artig geformte Spirochaeten, weil ihre Windungen sich gestreckt haben und dadurch unregelmäßiger und viel weiter geworden sind. Aber wenn man die Spirochaeten vorher abtötet oder im Blute absterben läßt, dann bekommt man im Präparate die gleichmäßig geformten feinen Spiralen, wie sie gewöhnlich abgebildet werden. Es ist Ihnen bekannt, daß von S c h a u d i n n die Behauptung aufgestellt ist, daß die Spirochaeten gar keine selbständigen Mikroorganismen sind, sondern daß sie zu dem Entwicklungskreis der Trypanosomen gehören, und daß, wenn man sie genauer beobachtet, man auch die Kennzeichen der Trypanosomen bei ihnen bemerken kann. Er gibt auch insbesondere von der Spirochaete Obermeieri an. daß man an ilu- die Kenn- zeichen des Trypanosoma sehen könne. Sie soll also mit einem Blepharoplasten. einem Kern und einem Flimmersaum versehen sein. Fig. 0. Fig. 7. Spirochaeten in Teihmg, 1000 fach (Färbung mit Silber). Ich habe mir nun alle erdenkliche Mühe gegeben, an diesen Spirochaeten. welche ich immer frisch zur Verfügung hatte, mit allen möglichen Präparations- und Färbungs- methoden die Angaben von S c h a u d i n n bestätigen zu können ; aber es ist mir nicht gelungen. Ich habe nie etwas gesehen, was so aussieht wie ein Blepharoplast oder wie ein Kern oder wie ein Flimmersaum. Es ist mir auch niemals gelungen, an diesen Spiro- chaeten das, was für die Trypanosomen besonders charakteristisch ist, nämlich die Längs- teilung, zu sehen. Ich habe im Gegenteil gefiniden, daß, wenn irgend etwas vorkommt, was als Teilung gedeutet werden kann, dies nur immer wie eine Querteilung aussieht. Um nun aber ganz sicher zu gehen, habe ich Herrn Professor Z e t t n o w, der bekanntlich ein Meister ist in bezug auf Präparation und Färbung derartiger Mikro- organismen und ihrer Geißeln, gebeten, doch auch seinerseits diese Spirochaeten zu unter- suchen. Er hat das getan und wird demnächst das Resultat seiner Untersuchungen veröffentlichen. Er hat mich aber autorisiert, Ihnen jetzt schon mitzuteilen, daß es ihm auch nicht gelungen ist, irgendwelche besondere Kennzeichen an diesen Spirochaeten zu ermitteln, welche auf ihre Zusammengehörigkeit mit den Trypanosomen schließen lassen. Er hat auch keine Blepharoplasten und Kerne, keinen Flimmersaum gesehen; er fand auch nur, daß Querteilungen vorkommen, keine Längsteilungen. Außerdem hat 502 über afrikanischen Recurrens. Professor Z e 1 1 n o w dann aber noch eine ganz interessante Beobachtung gemacht, die, wie ich glaube, neu ist. Er hat gefunden, daß die Spirochaeten an jedem Ende einen kleinen Anhang haben, der wie eine Geißel aussieht, sich aber doch von den Geißeln der Bakterien dadurch unterscheidet, daß er die einfache Methylenblaufärbung annimmt, was bekanntlich die Geißeln der Bakterien nie-mals 'tun. M. H.! Ich habe Ihnen bisher die Krankheit, den Parasiten, d. h. die Spirochaete und den Zwischenwirt, die Zecke, geschildert. Ich komme nunmehr zurück auf das im Anfange meines Vortrages berührte Problem ; wie die Übertragung der Spiro- chaeten vom kranken auf den gesunden Organismus zustande kommt. Wir wissen ja nun schon, daß dieser Weg höchstwahrscheinlich durch die Zecke geht, aber in welcher Weise dies geschieht, das wissen wir vorläufig noch nicht. Um diese Frage zu lösen, habe ich eine Anzahl Zecken untersucht, und zwar solche, die unter natürlichen Verhältnissen Recurrensblut gesogen hatten, und außerdem auch solche Zecken, die Blut von recurrens- kranken Affen gesogen hatten. Ich habe diese Zecken von Tag zu Tag untersucht und dabei gefunden, daß am ersten und zweiten Tage in bezug auf die Spirochaeten gar keine Veränderung eintritt ; sie vermehren sich nicht und nehmen auch keine andere Form und Gestalt an. Am dritten Tage werden sie entschieden an Zahl Aveniger, ihre Form bleibt aber immer noch dieselbe ; sie verschwinden manchmal schon am dritten Tage, am vierten Tage aber ganz sicher. Darüber hinaus habe ich sie nie mehr im Magen gefunden. Nun sind sie damit aber nicht etwa aus der Zecke ver- schwunden, denn Sie erinnern sich, daß ich die Spiro- chaeten an den Ovarien habe nachweisen können. Hier findet man sie auch nicht etwa in spärlicher Menge, sondern manchmal in recht großer Anzahl. Sie bilden da mitunter dichte Haufen und Zöpfe. Man muß des- wegen wohl annehmen, daß, wenn sie bis dahin ge- langt sind, eine Vermehrung stattfindet. Natürlich mußte man, nachdem einmal festgestellt war, daß die Spirochaeten an den Ovarien zu finden sind, auch die Eier untersuchen. Das habe ich denn auch getan. Es wurden Ausstrichpräparate der Eier von Zecken untersucht, die Recurrensblut gesogen hatten, und von denen man an- nehmen mußte, daß sie infiziert waren. Es gelang mir auch in der Tat, die Spirochaeten in solchen Eiern nachzuweisen ; allerdings nicht bei jeder Zecke, denn es sind immer nur einzelne Zecken, deren Gelege infiziert sind, und in einem solchen Gelege sind auch nicht alle Eier infiziert, sondern immer nur ein Bruchteil, ungefähr der vierte oder fünfte Teil. Aber in diesen Eiern findet man schon kurze Zeit, nachdem sie gelegt sind, die Spirochaeten ; anfangs einzeln und getrennt, später, wenn man sie Tag für Tag untersucht, zeigt sich, daß sie sich immer mehr zusammenfinden, und daß sie auch hier wieder kleine Haufen und Zöpfe bilden. Es scheint also, als ob sie sich auch in den Eiern weiter vermehren. Ich habe sie in den Eiern bis zu dem 20. Tage der Entwicklung des Embryos verfolgt; schließ- hch wurde aber das Zellenmaterial, welches von dem sich immer mehr entwickelnden Embryo in das Präparat hineingelangt, so massenhaft, daß die Spirochaeten davon ver- deckt wurden und nicht mehr nachgewiesen werden konnten. Ich kann Ihnen also nicht sagen, wo sie schließHch bleiben; ob sie in irgendeinem bestimmten Organ, z. B. in den Speicheldrüsen oder im Stechrüssel, sitzen. Aber verschwinden tun sie nicht; denn die jungen Zecken sind, nachdem sie das Ei verlassen haben, vollkommen infektionstüchtig. Wenn man sie einem Affen ansetzt, dann wird derselbe sicher infiziert und recurrens- Spirochaete mit geißelartigen An hängen, 1600 fach (Färb. m. Silber) über afrikanischen Recurrens. 503 krank gemacht. Diese Infektion von Affen mit frisch ausgekroclienen Zecken, die mit nichts in Berührung gekommen sind, was 8]nrocliaeten enthält, ist meiner Ansicht nach so wichtig nicht nur für diese Krankheit, sondern auch im allgemeinen für die ganze Infektionslehre und in biologischer Beziehung, daß ich diese Versuche so oft wie irgend möglich habe anstellen lassen. Es ist allerdings sehr mühsam und erfordert vieles Geschick, einem Affen diese jungen Zecken anzusetzen, da natürlich nicht etwa ein paar Zecken, was zu inisicher gewesen wäre, sondern mindestens 100, öfters mehr angesetzt wurden. Diese schwierigen V ersuclie hat auf meine V eranlassung ( )berarzt K u d i e k e in vor- trefflicher Weise durchgeführt, und zwar an einer solchen Zahl von Affen, daß über den Erfolg dieser Versuche gar kein Zweifel mehr möglich ist. Vv^ir sind aber auch nicht die einzigen gewesen, die zu solchem Resultate gekommen sind, sondern zwei englische Ärzte, die sich am Kongo mit Untersuchungen über das schon erwähnte Tickfieber beschäf- tigten, D u 1 1 o 11 und T o d d , haben ganz unabhängig von unseren Versuchen — ebenso wie unsere Versuche von den ihrigen unabhängig gemacht sind — frisch ausgekrochene Zecken auf Affen gesetzt und haben in einigen Fällen positiven Erfolg gehabt. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß sowohl D u 1 1 o n als T o d d an Recurrens erkrankt sind, und daß D u t ton, der sich vorher sclioii durch die Entdeckung der Trypanosomen im Menschen einen in der Wissenschaft ge- achteten Namen erworben hatte, der Krank- Fig. 9. heit leider erlegen ist. Durch den Nachweis, daß man mit den jungen Zecken die Krankheit wieder produzieren kann, ist meiner Ansicht nach über jeden Zweifel erhaben ])ewiesen. daß die Zecke in der Tat der Z a\ i s c h e ii - w i r t bei dem afrikanischen Recurrens und die Überträgerin der Infektion von dem Spirochaeten aus dem Zeckenei, 1000 fach kranken auf den gesunden Organismus (Giemsafärbung). ist. Damit allein können wir nun aber, wenigstens in praktischer Beziehung, noch nicht auskommen. Es ist allerdings dadurch die Grundlage für die Ätiologie geschaffen, aber wir müssen doch weiter an die praktische Verwertung denken, iiaiiientlicli an die Maßregeln, welche geeignet sind, die Krankheit zu verhüte n. Dazu müssen wir noch wissen, in welchem Umfange die Krankheit verbreitet ist , wie groß der Prozentsatz der infizierten Zecken ist usw. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, blieb nichts anderes übrig, als selbst auf die Karawaiienstraße zu gehen. Das habe ich denn auch getan und lialie mit dem Oberstabsarzt M e i x n e r zusammen eine Expedition unternommen, zunächst von Daressalam nach Mrogoro. Von Mrogoro sind Avir dann über Kilossa Iiis j\ipapua gegangen, und später habe ich noch das Hochland Uhehe mit dem Hau]>tort Iringa besucht. Auf dieser ganzen Strecke habe ich in jedem Orte, den wir berührten, Zecken sammeln lassen. Dieselben wurden immer sofort präpariert und untersucht, und es hat sich dabei herausgestellt, daß nicht etwa, was ich eigentlich erwartet hatte, nur einzelne Punkte auf der Karawanenstraße verseucht waren, sondern daß fast in jedem Ort infi- zierte, d. Ii. spirochaetenhaltige Zecken zu finden sind. Ich habe im ganzen genommen auf dieser Expedition 045 Zecken untersucht und darunter 71 infizierte gefunden, da? macht also 11 "^3. Am meisten infizierte Zecken habe ich nachweisen können auf der Strecke von Daressalam nach Mrogoro, wo 17% erreicht wurde: aber das Prozentver- hältnis war auch wieder in den einzelnen Orten ganz verschieden, an einigen Stellen nur wenige Prozente, in einem Orte dagegen, in Chakenge, das schon einmal erwähnt 504 über afrikanischen Recurrens. ist, 50%. In der Endstation der Eisenbahn, inMrogoro selbst, wurden unter dem Schutz- dach, das für die Unterkunft der Europäer dient, und unter dem gerade zufäüig ein Europäer mit einem regelrechten Anfall von Recurrens lag, 40% gefunden, an andern Orten 30% usw. Auf der Strecke von Mrogoro über Kilossa bis nach Mpapua wurden erheblich weniger gefunden, nur 7%, und auf der Strecke von Kilossa nach Iringa 9%. Damit war also der Beweis gehefert, daß die ganze Karawanenstraße durchweg infiziert ist. Ich glaube ganz bestimmt, daß, wenn ich den Weg noch weiter fortgesetzt und die Karawanenstraße nach dem Westen zu verfolgt hätte, ich überall nicht nur die Zecken, sondern auch infizierte Zecken gefunden hätte. Ich habe schon erwähnt, daß englische Ärzte am Kongo eine fieberhafte Krankheit mit Spirochaeten im Blute getroffen haben. Derselben Krankheit ist man aber auch am Albert-Edward-See und in Uganda begegnet. . Wenn wir annehmen, daß das Tickfieber, bei welchem Spiro- chaeten gefunden werden, dasselbe ist wie unser afrikanischer Recurrens, dann ist daraus zu schließen, daß letzterer überall an den Verkehrsstraßen in Zentralafrika verbreitet ist. Nun muß man sich natürlich sofort die Frage vorlegen, ob sich die Seuche auf die Karawanenstraße beschränkt oder ob sie auch abseits davon zu finden ist. Denn danach müssen sich natürlich die Maßregeln richten, die man gegen die Krankheit ergreifen wird. Ich habe, um diese Frage zu beantworten, zunächst Zecken sammeln lassen in einem Dorfe, das etwas abseits von der Karawanenstraße liegt und ganz unberührt vom Karawanen- verkehr ist; auf jeden Fall kommen niemals Träger dorthin. In diesem. Dorfe fanden sich zwei Hütten, in denen eine Negerfamilie wohnte. In der größeren Hütte lebten die Eltern, und hier waren auch die Ziegen untergebracht, um sie des Nachts sicher zu haben. In der kleineren Hütte schliefen die Kinder, 3 Knaben von 6 bis 10 Jahren, und zwar auf einer Matte auf dem Erdboden. In der großen Hütte, in der der Boden durch die Ziegen etwas feucht gehalten wurde, fand sich nicht eine einzige Zecke, in der kleineren dagegen konnte eine Menge gesammelt werden, und ich fand unter denselben 40% infizierte. Die Kinder sahen ganz gesund aus, und sie sollen auch in den letzten Jahren nicht krank gewesen sein. Dieses Dorf repräsentiert allerdings nur einen einzigen Fall, der nicht viel beweist. Ich habe aber kurz darauf Gelegenheit gehabt, in das Rubehogebirge zu kommen, welches südlich von Mpapua liegt. Von dort war nämlich die Nachricht zu uns gelangt, daß in einer Anzahl von Ortschaften pestverdächtige Fälle vorgekommen seien, und wir begaben uns dahin, um zu sehen, was an dieser Nachricht sei. Zu diesem Zwecke mußten wir die sämtlichen Dörfer, die uns als verdächtig bezeichnet wurden, sechs an der Zahl, aufsuchen. Sie lagen Aveit voneinander entfernt, kein einziges hatte mit dem anderen unmittelbare Beziehung. In dieses Gebirge kommt auch niemals eine Karawane. Ich glaube sogar, daß mehrere von den Orten, die wir besucht haben, kaum jemals der Fuß eines Europäers oder eines arabischen Händlers betreten hat. In jedem dieser Dörfer habe ich eine Menge von Zecken angetroffen. Sogar in jeder Hütte, wo gesucht wurde, waren sie zu finden. Bei der Untersuchung derselben wurden 9% infiziert gefunden. Das ist also mehr wie auf der Karawanenstraße zwischen Kilossa und Mpapua und ebenso- viel wie auf der Straße von Kilossa nach Iringa. Damit ist nun wohl der Beweis geliefert, daß die Seuche nicht etwa auf die Karawanenstraßen beschränkt ist, sondern daß sie sich weit über das ganze Land ausdehnt, daß die Zecken und darunter auch infizierte wahrscheinlich in jedem Dorfe zu finden sind. Damit stimmen auch die Angaben der Eingeborenen überein, welche sagten: Du kannst hingehen, wohin du willst, in jeder Hütte findest du die Zecken. Hiernach glaube ich annehmen zu können, daß der Recurrens in Ostafrika nicht epidemisch besteht, sondern daß er wahrscheinlich von jeher daselbst endemisch vorhanden gewesen ist, und daß die Verhältnisse in bezug auf diese Krankheit ganz ähnlich liegen wie bei der Malaria in tropischen Ländern. über afrikanischen Recurrens. 505 Ich möchte auch noch auf eine andere eigentümhche Tatsache hinweisen, dalj man nämhch so häufig infizierte Zecken in Hütten findet, in denen es keine Recurrens- kranken gibt, obwohl doch die Bewohner oft genug von Zecken gestochen werden, so z. B. die Hütte, in welcher die drei Kinder lebten, von denen ich berichtete. Ich kann mir diese Sache nicht anders erklären, als daß der Eingeborene schon in der frühen Kindheit der Infektion ausgesetzt und auch tatsächlich infiziert wird. Er macht dann seinen Re- currens durch, wie wir hier etwa die Masern oder wie in tropischen Gegenden die Malaria, und die Kinder werden durch das Überstehen der Krankheit frühzeitig mehr oder weniger immun, so daß sie dann mit ihren Zecken ruhig weiter leben können, ohne infiziert zu werden. Es ist dann noch eine andere merkwürdige Tatsache, daß so viele Zecken 8piro- chaeten enthalten, ohne daß sie doch immer Recurrenskranke finden, an denen sie sich infizieren könnten. Es ist ja möglich, daß manche Zecken sich an den Kindern infizieren, aber so viele Kinder sind doch nicht vorlianden, wie erforderlich wären, um die zahl- reichen Zecken zu infizieren, welche tatsächlich spii'ochaetenhaltig gefunden wurden. Ich kann mir das nur so erklären, daß die Menschen, die den Recurrens überstanden haben, nicht frei von ihren Recurrensspirochaeten sind, sondern noch mehr oder weniger lange Zeit, vielleicht Jahre hindurch einige wenige Recurrensspirochaeten bei sich be- herbergen. Es ist das ein Verhältnis, welches wir von verschiedenen Krankheiten bereits kennen, bei denen auch ein solcher Zwischenwirt eine Rolle spielt, z. B. bei den Trypano- somen- und Piroplasmenkrankheiten, zum Teil auch bei der Malaria. Es würde das also nicht eine zu kühne Hypothese sein. Es gibt aber auch noch eine andere Möglichkeit, nämlich die, daß neben dem Menschen ein zweiter Wirt für die 8pirochaeten vorhanden ist. Zur Erläuterung dieser Annahme kann ich folgendes anführen. Die lebenden Re- currensspirochaeten, die hier unter den Mikroskopen zu sehen sind, stammen nicht etwa von einem Affen, sondern von einer Maus her. Bisher hatte man angenommen, daß nur Affen für Recurrens empfänglich sind, aber man kann die Spirochaeten auch auf Mäuse übertragen, allerdings muß man den Kunstgriff gebrauchen, daß man die Spirochaeten in die Bauchhöhle bringt. Auf diese Weise kann man sie bei Mäusen viele Passagen hindurch erhalten. Aber nicht allein Mäuse kann man infizieren, sondern auch Ratten. Bei Ratten ist es uns sogar gelungen, sie durch den Biß der Zecken zu in- fizieren. Etwas Derartiges kann doch sicher auch unter natürlichen Verhältnissen vor- kommen, und es ist deswegen sehr wohl denkbar, daß die Ratten ebenso wie der Mensch als Wirt für die Recurrensspirochaeten funktionieren. Die Ratten würden dann in einem ähnlichen Verhältnis zum Recurrens stehen, wie sie es bei der Pest tun. Diese beiden Möglichkeiten, die ich da eben angedeutet habe, sind aber noch offene Fragen, die experi- mentell verfolgt werden müssen. Ich habe von der I m m u n i t ä t gesprochen und habe sie als etwas Festgegebenes angesehen. Ich glaube nicht, daß ich da zu weit gehe, denn es entspricht den Erfahrungen aus den früheren Recurrensepidemien. Es ist von den Ärzten vielfach Ix'richtet. daß die Kranken, die den Recurrens überstanden haben, gegen eine nochmalige Erkrankung geschützt waren. Um aber in dieser Beziehung noch größere Sicherlieit zu gewinnen, haben wir versucht, das Vorhandensein einer solchen Immunität auch experimentell zu begründen, und zwar durch Versuche an A f f e n. Ich habe Ihnen früher bereits mit- geteilt, daß man die Affen ganz leicht infizieren kann, entweder indem man sie mit Re- currensblut impft oder indem man ihnen infizierte Zecken ansetzt. Der Affe erkrankt dann in ganz ähnlicher Weise wie der Mensch. Sie sehen hier an dieser Temperaturkurve (Fig. 10), wie ein solcher künstlicher Recurrens bei dem Affen verläuft. An diesem Tage waren dem Affen 110 junge Zecken angesetzt, es folgte darauf ein Inkubations- 506 über afrikanischen Recurrens. Stadium und dann kommt der erste Anfall. Während des Anfalles hatte der Affe sehr viele Recurrensspirochaeten. Dann tritt eine Apyrexie ein, darauf kommt ein zweiter Anfall und es stellt sich in demselben etwas ein, was man gerade bei Affen häufig sieht, daß nämlich während des Anfalles die Recurrensspirochaeten für kurze Zeit verschwinden und die Temperatur heruntersinkt, aber daß der Anfall dadurch nicht abgeschnitten wird. Er nimmt nachher seinen weiteren Verlauf. In diesem Falle trat noch ein dritter Anfall ein, der recht kräftig war. Dann ist der Recurrens zu Ende. Nun macht aber der Affe noch eine Periode von erheblicher Depression durch, die Temperatur wird sehr niedrig, das Tier ist tagelang sehr schwach und erholt sich recht langsam. Hier ungefähr hat es erst wieder seine normale Temperatur erlangt. Der Recurrens ist für den Affen recht gefährlich. Die meisten Affen sterben daran. Nun kommt es aber auch gelegentlich vor, daß bei einem Affen der Recurrens viel milder, geradezu abortiv, verläuft. In solchen Fig. 10. Temperaturkurve von einem mit afrikanischem Recurrens durch Zecken infizierten Affen. Fällen sind die Temperatursteigerungen gering oder fehlen auch ganz, und man findet nur ganz gelegentlich einmal einige Spirochaeten. Für unseren Immunitäts versuch, welchen Oberarzt K u d i c k e ausführte, verfügten wir über 4 Affen, die einen schweren Recurrens durchgemacht hatten, und über 4 andere Affen, welche einen abortiven Anfall der Krankheit überstanden hatten. Wir nahmen diese 8 Affen und dazu noch einen frischen Affen als Kontrolle. Die sämthchen Tiere wurden mit Recurrensblut geimpft. Der Kontrollaffe erkrankte ganz vorschriftsmäßig. Die 4 Affen, welche den abortiven Recurrens durchgemacht hatten, erkrankten ebenso wie der Kontrollaffe, als ob sie keine Spur von Immunität hätten. Aber die 4 Affen, die den Recurrens in schwerer Form durchgemacht hatten, wurden von der Nachinfektion auch nicht im geringsten berührt, sie erwiesen sich als vollkommen immun. Wenn wir nun alle Tatsachen, über welche ich Ihnen berichtet habe, zusammen- fassen, dann kommen wir ungefähr zu folgender Auffassung von der Ätiologie des afrika- nischen Recurrens : Der Mensch wird infiziert durch die Zecken und wahrscheinlich vorzugsweise, vielleicht einzig und allein, durch die jungen Zecken. Er übersteht in den endemisch über afrikanischen Recurrens. 507 verseuchten Gegenden die Kr a n k h e i t schon in frühe s t e r Jugend, und w i r d d a d u r c h i ni ni u n. Die Zecke ni u ß sich e n t - weder wieder an frischen Fällen infizieren oder, wie ich schon V o r Ii i n andeutete, an Menschen, die noch vereinzelte S p i r o c h a e t e n haben, vielleicht auch an eine m a n cl e r e n W i r t e. In bezug auf die ätiologischen Verhältnisse haben meine Untersuchungen also befriedigende Resultate gegeben, aber in bezug auf die Therapie, m. H., kann ich Ihnen nichts Neues bringen. Es gibt eben noch kein spezifisches Mittel für den Recurrens, und alles, was man da versucht hat, hat versagt, genau so wie wir es hier auch bei dem europäischen Recurrens erlebt haben. Ich möchte aber noch bemerken, daß auch das Chinin gar keine Wirkung hat. Fast alle Europäer, die auf der Karawanenstraße erkrank- ten, nahmen zu gleicher Zeit prophylaktisch Chinin; es hat ihnen gar nichts genützt. Sie bekamen meistens zu ihrer großen Enttäuschung, denn sie hielten es für Malaria, einen Fieberanfall. Dann nahmen sie erst recht Chinin, aber das nützte ihnen auch nichts. Ich halte es aber nicht für ausgeschlossen, daß doch irgendein Mittel gegen diesen Para- siten zu finden ist. Wir werden immer wieder zum Suchen nach spezifischen Mitteln angeregt durch die spezifische Wirkung des Chinins Malariaparasiten gegenüber und in letzter Zeit wieder durch die Untersuchungen von Ehrlich, der eine chemische Ver- bindung gefunden hat, das Trypanrot, das eine wenn auch nicht ganz ausreichende, doch entschieden spezifische Wirkung auf die Trypanosonien hat. Der afrikanische Re- currens Avürde sich ganz besonders zu Versuchen über die Vvirkung spezifischer Mittel eignen, weil man so leicht damit experimentieren kann. Ich glaube sogar, daß Versuche, ein Heilserum zu finden, durcliaus nicht aussichtslos sind, weil in diesem Falle eine so ausgesprochene Immixnität besteht. Wenn nun die Therapie so machtlos ist, dann müssen wir um so größeren Nach- druck auf die Verhütung der Krankheit, auf die P r o p h y 1 a x e legen, die ja nach dem, was wir über die Infektionsverhältnisse der Krankheit jetzt schon wissen, gar nicht so schwierig ist. Wir wissen, daß nur diejenigen Menschen erkranken, die von den Zecken gestochen werden, und wir kennen auch genau die Standorte der Zecken. Diese verlassen ihren trockenen Platz, den sie innelialjen, nicht. Wir können sie also aul^erordentlich leicht vermeiden. Es genügt, daß nuxn, namentlich zur Nachtzeit, 20 — Meter von einer Stelle, von der man weiß, daß Zecken sich daselbst aufhalten, entfernt bleilit. Daß man sich durch eine so ganz einfache Vorsichtsmaßregel gegen die Infektion schützen kann, das beweist das Verhalten unserer Karawane. Es befanden sich bei unserer KaraAvane zwei Ärzte, außerdem noch ein Sanitätsfeldwebel, also drei Europäer. Vvir ha))en unsere Zelte immer nur in einer geringen Entfernung von den Eingeborenenhütten, von den Schutzdächern und Rasthäusern an der Karawanenstraße aufstellen lassen. Diese einfache Vorsichtsmaßregel hat vollkommen genügt, um uns vor der Infektion zu behüten, obAvohl wir doch monatelang auf derselben Karawanenstraße lebten, auf welcher bis dahin fast jeder krank geworden war. Um aber einen vollkommenen BcAveis zu liefern, hätte als Kontrolle ein Gegenexperiment gemaclit werden müssen; denn man könnte sagen, daß wir auch ohne diese Vorsichtsmaßregel frei von Recurrens geblieben wären. Ich glaube allerdings, daß eine hinreichende Kontrolle schon durch die vielen früher erkrankten Europäer gegeben war. Aber wir hatten ja auch noch bei unserer KaraAvane eine Menge Menschen, die als Kontrolle gedient haben. Da warc^n zunächst 50 — 60 eingeborene Träger. Nun muß ich allerdings berichten, daß von diesen Leuten auch nicht ein einziger krank Avurde, obwohl sie in den Hütten der Eingeborenen und unter den Schutzdächern näch- tigten. Ab und zu erkrankte wohl ein Träger und hatte vorübergehend hohe Temperatur. 508 über afrikanischen Recurrens. Er wurde dann sofort untersucht, aber ich habe niemals Spirochaeten bei ihm gefunden. Dies hat mich aber auch gar nicht in Erstaunen versetzt, denn diese Leute waren ja alle schon wiederholt auf der Karawanenstraße gegangen, sie stammten außerdem alle aus Gegenden, wo der Recurrens endemisch ist, und waren also entweder schon von Haus aus immun oder sie waren auf früheren Märschen immun geworden. Es wäre nur wunder- bar gewesen. M^enn von diesen Menschen einer an Recurrens erkrankt wäre. Wir hatten außerdem aber auch noch andere Eingeborene bei unserer Karawane, das waren unsere eingeborenen Diener. Es waren 5 Menschen, die von der Küste stammten, wo eigentüm- licherweise Recurrens fast gar nicht vorkommt. Diese waren noch nicht auf der Kara- wanenstraße gewesen. Sie schliefen immer mit den Trägern zusammen in den Eingebore- ne nhütten und unter den Schutzdächern, und von diesen 5 sind 4 an Recurrens erkrankt. Ich glaube, das ist ein Kontroll versuch, wie man ihn sich nicht deutlicher wünschen kann. Wenn man nun eine Krankheit auf so einfache Weise, wie ich Ihnen das eben auseinandergesetzt habe, vermeiden kann, dann sind, glaube ich, anderweitige Maßregeln nicht nötig. Ich wüßte auch nicht, was man hier etwa noch weiter tun sollte. Man kann doch nicht das ganze Land von Zecken freimachen. Daran ist gar nicht zu denken. Es bleibt nur übrig, der Krankheit aus dem Wege zu gehen, und das kann man ohne jede Schwierigkeit tun. Mit Rücksicht hierauf hat die Regierung auch die Sperre über die Karawanenstraße wieder aufgehoben, aber sie sorgt dafür, daß jeder, der auf der Kara- wanenstraße marschiert, darüber belehrt wird, wie er sich zu verhalten hat, um die In- fektion mit Recurrens zu vermeiden. über den bisherigen Veriauf der deutschen Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit in Ostafrika.') Von dem Leiter der zur Erforschung der Schlafkiankheit vom Reiche nacli Ostafrika ent- sandten Expedition, Geh. Med. -Rat Prof. Dr. R. K o c Ii , sind über den Fortganf;- und die Er- gebnisse der angestellten Untersuchungen amtliche Berichte an den Staatssekretär des Innern er- stattet worden, die in wissenschaftlichen vmd ärztlichen Kreisen sowie auch darüber liinaus lebhaftes Interesse zu erwecken geeignet sind. Die Berichte beziehen sich auf die Fliegen (Glossinen), die die Übertragung der Schlafkrankheit vermitteln, ihr Vorkommen, ihre I^ebensweise, ferner auf die bei diesen Fliegen imd bei anderen Tieren (z. B. Krokodilen) vorkommenden Trypanosomen, insl)esondere das Trypanosoma gambiense, als Ursache der Schlafkrankheit, auf das Aufsuchen von Krankheits- fällen unter der Bevölkerung, auf die Untersuchung iind Behandlung von Kranken usw. In bezug auf die Behandlung hofft man in dem Atoxyl, einer Arsenverbindung, ein Mittel erkannt zu halben, das bei der Schlafkrankheit in ähnlicher Weise wirkt, wie das Chinin bei der Malaria. Die Berichte lauten wie foltrt: 1. Amani (Bez. Tanga), Deutsch- Ostafrika, den 10. Juni H)06. Beim Eintreffen in Tanga erhielt ich vom Chefarzt der KaiserUcheu Schutztruppe, Oberstabsarzt Dr. M e i x n e r , einen Bericht des Stabsarztes Dr. Feld m a n n in Bukoba. In demselljen wurde mitgeteilt, daß in der am iSüdufer des Mctoria-Njansa belegenen deutschen Station Muansa im letzten Jahre 1500—2000 Menschen gestorben seien, ohne daß diese hohe Sterblichkeit eine genügende Erklärung gefunden habe Er selbst habe bei seiner Anwesenheit in Muansa Gelegenheit gehabt, eine Leichenöffnung vorzunehmen, und habe dabei als Todesursache Trypanosomiasis nachgewiesen. Es handelte sich in diesem Falle um eine Frau, welche in Muansa seit acht Jahren ansässig gewesen war und den Ort während dieser Zeit nicht verlassen hatte. Er sei der Meinung, daß die hohe Sterblichkeit, wenigstens zum Teil, auf Recluiung der Trypanosomiasis (d. h. Schlafkrankheit) zu setzen sei. Außerdem brachte ich in Erfahrung, dal.^ Stabsarzt A h 1 1) o r g vor etwa l ^ ■> Jahren in Muansa ein Kind wegen Fieberverdachts mitersuchte und in dem Bhite desselben neben Malariaparasiten Trypanosomen fand. Auch dieses Kind befand sich seit einem Jahre in Muansa. Ferner hat Dr. R a d 1 o f f . welcher zurzeit als Stationsarzt in Mu- ansa funktioniert, vor etwa 2]C> Monaten bei einer schlafkranken Frau Trypanosomen im Blute gefunden. Stabsarzt F e 1 d m a n n berichtet auch, daß nach seinen in der letzten Zeit vor- genommenen Untersuchimgen die Glossina palpalis, welche bekanntlich als die Uber- trägerin der Schlafkrankheit anzusehen ist, am deutschen Teil des Victoria-Njansa ') Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1906, Nr. 51. 510 Über d. l>isherig. Verlauf d. deutsch. Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit in Ostafrika. auf allen Inseln und an einem großen Teil der Küste vorkommt, insbesondere auch in der Landschaft Muatisa, am Hafen von Muansa und auf den Muansainseln. Kurze Zeit darauf hatte ich Gelegenheit, eine Sendung von Stechfliegen zu unter- suchen, welche der Stationsarzt von Usumbura, Oberarzt Dr. Leupolt, an verschie- denen Stellen der nordöstlichen Küste des Tanganjikasees gesammelt hatte. Fast auf der ganzen Strecke des abgesuchten Ufers waren Exemplare der Glossina palpalis in mehr oder weniger großer Zahl gefangen, und Dr. L e u p o 1 1 hatte in dieser Gegend überall Kranke angetroffen, welche, nach seiner Schilderung zu schließen, an Schlaf- krankheit litten. Hiernach konnte es nicht mehr zweifelhaft sein, daß das deutsche Gebiet am Victoria-Njansa nicht, wie bisher angenommen wurde, von der Schlafkrankheit bis jetzt verschont geblieben, sondern daß es bereits in weitem Umfange davon ergriffen ist und daß die Seuche auch schon am Ufer des Tanganjika festen Fuß gefaßt hat. Diesen veränderten Verhältnissen Rechnung tragend, erschien es mir notwendig, den Aufenthalt in Amani möglichst abzukürzen und mit der nächsten Reisegelegenheit nach dem am meisten gefährdeten Punkt, nach Muansa, zu gehen. Die Expedition mrd sich demgemäß am 13. Juni mit einem Dampfer, welchen das Kaiserliche Gouvernement in dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt hat, von Tanga nach Mombassa und von da mit der Ugandaeisenbahn nach Port Florence am Victoria-Njansa begeben. Linter Benutzung des den See befahrenden englischen Dampfers wird dann die Expedition voraussichtlich am 24. Juni in Muansa eintreffen. Die kurze Zeit, welche die Expedition in Amani zubringen konnte, reichte nicht aus, um, wie ursprünglich geplant war, umfassendere Arbeiten vorzunehmen; aber sie genügte doch, um von den Studien über Trypanosomen und Glossinen Kenntnis zu nehmen, welche von mir bei meinem vorjährigen Aufenthalt in Amani begonnen und später von Geheimrat S t u h 1 m a n n und Oberarzt Dr. K u d i c k e fortgeführt wurden. In dieser Beziehung war es für die späteren Arbeiten der Expedition von besonderem Wert, die Erfahrungen kennen zu lernen, welche bei der Haltung und Züchtung der Glossinen gemacht sind. Die Glossinen halten sich nämlich in der Gefangenschaft in der Regel nur wenige Tage, und es gehört eine Menge von Kunstgriffen dazu, namentlich in bezug auf Han- tierung, Fütterung, Gefäße, in welchen die Fliegen untergebracht sind, um sie längere Zeit am Leben zu erhalten und sogar zur Vermehrung zu bringen. Hierin hat es Feld- webel Sacher unter Leitung von Oberarzt K u d i c k e zu einer großen Fertigkeit gebracht. Von den drei in der Umgebung des L^sambaragebirges vorkommenden Arten der Glossinen, nämlich Gl. fusca. Gl. paUdipes und Gl. tachinoides, war im letzten halben Jahre eine große Anzahl gefangen. Nicht wenige von diesen Fliegen haben sich in der Gefangenschaft monatelang, einzelne bis zu vier Monaten und darüber, gehalten und sich so eingewöhnt, daß sie auch Nachkommen geliefert haben. Von einer Gl. fusca ist es beispielsweise gelungen, im Laufe von sechs Monaten durch zwei Generationen hindurch 19 Nachkommen zu erhalten. Da die Glossinen bekanntlich zu den pupiparen Insekten gehören und immer nur eine einzige Larve produzieren, die sich sehr bald in eine Puppe verwandelt, so ist dieses Resultat als eine ganz besondere Züchtungsleistung anzusehen. Da infolge dieser Züchtungen eine größere Anzahl von jungen Fliegen zur Ver- fügung stand, welche sicher nicht mit Trypanosomen infiziert waren, so wurde diese Gelegenheit benutzt, um die wichtige Frage zu beantworten, ob außer der Glossina pal- palis auch andere Glossinenarten, namenthch die in Deutsch-Ostafrika so weit verbreitete Gl. fusca, geeignet sind, mit Trypanosoma gambiense, d. h. mit dem Erreger der Schlaf- über d. bisherig. Verlauf cl. deutscli. Expedition z. Erforsch, d. Sclilafkranklieit in Ostafrika. 511 krankheit. infiziert 7a\ werden und somit als Überträgerin der Schlafkranl^heit zu dienen. Zu diesem Zwecke wurden 42 junge in der Gefangenschaft gezogene GL fusca und elf junge Gl. tachinoides an Ratten gefüttert, welche in ihrem Blute Trypanosoma gambiense, das aus Berlin für derartige Versuche mitgebracht war, enthielten. Bei der Untersuchung, welche zehn bis zwölf Tage später vorgenommen wurde, stellte sich heraus, daß von Gl. fusca acht und von Gl. tachinoides drei Fliegen mit Trypanosoma gambiense infiziert waren, daß also in der Tat auch andere Arten der Glossinen die In- fektion vermitteln können. Ähnliche Versuche sind bereits von anderen Forschern angestellt, aber meines Wissens noch nie mit selbstgezüchteten, sondern immer mit eingefangenen Fliegen. In letzterem Falle ist der Einwand, daß die Fliegen schon vorher infiziert waren, nicht ausgeschlossen, während das Ergebnis unseres A'ersuches ganz einwandfrei ist. Dieses Ergebnis ist für die Ätiologie der Schlafkrankheit von solcher Wichtigkeit, daß der Ver- such wiederholt werden soll. Wir werden zu diesem Zwecke alle in Amani befindlichen gezüchteten Fliegen und zahlreiche noch nicht ausgeschlüpfte Puppen mit uns nach Muansa nehmen und dort die Fliegen an Tiere verfüttern, welche von Schlafkranken infiziert wurden. Erst wenn ich über den Ausgang dieser Versuche berichten kann, werde ich mir gestatten, auf die Bedeutung derselben näher einzugehen. Für die Bekämpfung der Schlafkrankheit kann ein Versuch von Wert sein, den ich durch den Feldwebel Sacher in dem von Tsetsefliegen besonders heimgesuchten Luengeratale, am Fuße des Usambaragebirges anstellen ließ, und er mag deswegen hier Erwähnung finden. Es wurde nämlich an dem Wege, welcher vom Gebirge herab- kommt und zu dem Dorfe Kerenge führt, zu beiden Seiten etwa 100 Schritt breit der Buschwald abgeholzt. Früher hatten unsere Fliegenfänger auf diesem Wege stets eine Menge Glossinen erbeutet. Aber seit der Beseitigung des Busches sind die Glossinen vollständig verschwunden. Dieselbe Erfahrung konnten wir im Sigitale auf der dem Luengeratale entgegengesetzten Seite des Gebirges machen. Hier habe ich früher selbst in einer verlassenen und mit dichtem Busch bestandenen Kaffeeplantage zahlreiche Glossi- nen gefangen. \^or einigen Monaten ist der Busch weggeschlagen, um eine neue Pflanzung anzulegen, und seitdem findet man dort nicht eine einzige Glossina mehr. Diese Beob- achtungen zeigen recht anschaulich, durch wie einfache Mittel man die Glossinen ver- anlasssen kann, ihren Standort aufzugeben. Schließlich habe ich noch ein in anderer Beziehung lehrreiches Experiment zu erwähnen, welches die der Schlafkrankheit so nahe verwandte Tsetsekrankheit betrifft. Für die letztere ist nachgewiesen, daß die eigentliche Infektionsquelle nicht die Haus- tiere sind, welche der Seuche zum Opfer fallen, sondern das große Wild, insbe- sondere Antilopen und Büffel, in deren Blut sich Trypanosomen nachweisen lassen, ohne daß die Tiere dabei krank sind. Im vorigen Jahre ist es mir gelungen, den Nach- weis zu führen, daß Schafe und Ziegen, welche erfahrungsgemäß sehr widerstandsfähig gegen die Tsetsekrankheit sind, dieselbe Rolle spielen können wie das große Wild. i\.ber für manche Orte, wo weder großes Wild noch Schafe und Ziegen vorhanden waren, und wo ich trotzdem die Glossinen mit Trj'panosomen infiziert fand, blieb die Quelle der Infektion rätselhaft. Ich vermutete, daß in diesen Fällen die überall in der Kolonie verbreiteten Wildschweine die Träger der Infektion sein könnten, ohne jedoch imstande zu sein, den Beweis dafür zu erbringen. Jetzt bot sich die Gelegenheit, ein junges Wild- schM^ein, welches zufällig eingefangen war, daraufhin zu untersuchen, wie sich dasselbe der Tsetsekrankheit gegenüber verhalten würde. Es wurde demselben Blut von einer Ziege, welche Trypanosomen in ihrem Blute hatte, eingeimpft, und schon wenige Tage 512 Über d. bisherig. Verlauf d. deutsch. Expedition z. Erforsch, d. Schlaflcrankheit in Ostafrika. später erkrankte das Wildschwein regelrecht an Tsetse, überstand aber den Anfall ziem- lich leicht. Es soll nun weiter beobachtet werden, um zu erfahren, ob sich bei ihm später derselbe Zustand entwickelt wie bei dem großen Wild, d. h. daß es, ohne selbst krank zu sein, Trypanosomen in seinem Blute hat. Es ist wohl möglich, daß bei der Schlafkrankheit etwas Ähnliches vorkommt und daß neben dem Menschen noch andere Lebewesen dem Trypanosoma gambiense als Wirt dienen können. 2. Muansa (Deutsch-Ostafrilsa), den 31. Juli 1906. Durch mangelnden Anschluß auf der Ugandaeisenbahn und infolge Störungen in der Schiffahrt auf dem Victoria-Njansa hat sich die Ankunft der Expedition in Muansa bis zum 30. Juni verzögert. Der unfreiwillige Aufenthalt in Port Flore nee, dem Endpunkte der Ugandaeisen- bahn am Victoria-Njansa, wurde zu einigen Untersuchungen über das Vorkommen der Glossina palpalis und der Schlafkrankheit benutzt. Es stellte sich dabei heraus, daß die Glossina zwar am Orte selbst vollkommen fehlt, aber südlich von Port Florence am Ufer des Sees schon in einer Entfernung von einer halben Stunde angetroffen wurde und von da ab mit wenigen Unterbrechungen sehr reichlich zu finden war, soweit wir das Ufer verfolgen konnten. Schlafkranke dagegen konnten in einem großen Dorfe, das etwas abseits vom Ufer liegt, sich aber doch im Bereiche der Fliegenzone findet, nicht ermittelt werden. Auch das Hospital für Schlafkranke, in welchem früher einige Fälle verpflegt wurden, steht, wie der Regierungsarzt Dr. Henderson uns mitteilte, schon seit längerer Zeit leer. Auch auf der Fahrt von Port Florence nach Muansa konnten wir über das Vor- kommen von Schlafkrankheit nichts Bestimmtes in Erfahrung bringen. Nur gerücht- weise wurde gemeldet, daß auf deutschem Gebiet in der Moribucht und ebenso in der Marabucht eine erhöhte Sterblichkeit, wahrscheinlich infolge von Schlafkrankheit, herr- schen sollte. Da der Dampfer an diesen Punkten nicht anlegt, so mußte es späteren Nachforschungen vorbehalten bleiben, inwieweit diese Nachrichten begründet waren. In Schirati und an der Westseite der großen von etwa 30 000 Menschen bewohnten Insel Ukerewe, wo der Dampfer während der Nacht anlegt, war nichts von Schlafkranken zu entdecken, obwohl in Schirati von Dr. F e 1 d m a n n und am Landungsplatz auf Ukerewe von uns selbst das Vorkommen der Glossina palpalis nachgewiesen wurde. Sofort nach der Ankunft in Muansa beschäftigten wir uns mit den beiden wichtigen Fragen, ob hier, wie behauptet wurde, die Seuche bereits zum Ausbruch gekommen ist und in welchem Umfange die Glossina palpalis vorkommt. In bezug auf die erste Frage hielten wir uns an die von den englischen Forschern gemachte Erfahrung, daß in verseuchten Gegenden bei mehr als 60 Proz. der Bevölke- rung stark geschwollene Halsdrüsen zu finden sind und daß sich in etwa 80 Proz. solcher Halsdrüsen mit Hilfe der Punktion das Vorhandensein des Trypanosoma gambiense nachweisen läßt, während in nicht verseuchten Gebieten nur 1,4 Proz. Menschen mit geschwollenen Drüsen gefunden wurden. Auch unter diesen können einige mit Trypano- somen behaftete entdeckt werden; es sind dies aber stets solche Leute, welche Gelegen- heit gehabt haben, sich anderwärts zu infizieren. Wir fanden zunächst im Hospital einen typischen Fall von Schlafkrankheit vor. Der betreffende Mensch war zufällig in der Markthalle schlafend aufgefunden und ins Hospital gebracht worden. Die Nachforschung nach seiner Herkunft ergab, daß er kurz vorher aus Uganda gekommen war und offenbar die Krankheit von dort mitgebracht hatte. Er starb bald darauf, und es konnten bei der Obduktion die Trypanosomen, über d. bisherig. Verlauf d. deutsch. Expedition z. Erforscli. d. Schlafkrankheit in Ostafrika. 513 welche auch schon einige Tage vorher bei der Lumbalpunktion gefunden waren, in der Zerebrospinalflüssigkeit nachgewiesen werden. Es wurden dann weiter 2093 Eingeborene aus allen Teilen der etwa 8000 Einwohner zählenden Stadt Muansa genau auf Syniptome der Schlafkrankheit und insbesondere auf das Vorhandensein von stark geschwollenen Halsdrüsen untersucht. Es fand sich darunter aber niemand mit deutlichen oder auch nur mit einigermaßen verdächtigen Symptomen. Stark geschwollene Drüsen wurden bei 42 Personen (i. e. 2 Proz.) nachge- wiesen, davon konnten 33 punktiert werden, aber keine einzige enthielt Trypanosomen. Außerdem bot sich die Gelegenheit, die Obduktion eines Kindes zu machen, Avelches in den letzten Wochen seiner Krankheit stark abgemagert war und viel geschlafen hatte. Es stellte sich heraus, daß das Kind nicht an Schlafkrankheit, sondern an Dysenterie gelitten hatte. Das Ergebnis dieser Untersuchungen war also, daß in Muansa trotz gründlicher Nachforschungen nur ein Fall von Schlafkrankheit existierte, und daß dieser Fall aus Uganda stammte. Zu analogen Resultaten führten auch die weiteren Untersuchungen in den Gegenden, wo angeblich Schlafkrankheit herrschen sollte. So wurde zunächst eine Exkursion nach der Insel Kome gemacht, wo der Pater van Thiel von der Missionsstation der weißen Väter, welche über den Gesundheits- zustand ihres Bezirks immer recht gut unterrichtet sind, bereitwilligst Auskunft erteilte. Er erwähnte mehrere ihm verdächtige Fälle, welche aber offenbar an anderen Krankheiten litten. Es bliel) schließlich nur noch eine Familie als der Schlafkrankheit verdächtig übrig, aus Mann, Frau und einem Kind bestehend. Der Mann war vor kurzem gestorben. Die Frau wurde uns vorgeführt, und sie machte in der Tat den Eindruck einer Schlaf- kranken im ersten Stadium. Das Kind hatte auffallend große Halsdrüsen. Leider war die Frau nicht dazu zu bewegen, uns nach Muansa behufs einer genaueren Beobachtung und Untersuchung zu begleiten. Aber wenn auch die Diagnose noch mehr gesichert worden wäre, so handelte es sich doch wieder um eine Familie, die vor der Schlafkrank- heit aus Uganda geflüchtet war, sich zuerst nach Bukoba, dann nach dem Ennn-Pascha- Golf gewandt und sich schließlich auf Kome in der Nachbarschaft der Mission nieder- gelassen hatte. Aber wie so viele andere Flüchtlinge trugen die Bedauernswerten schon den Keim der Krankheit in sich, als sie LTganda verließen. Nach Ukerewe, wo sich in der Nähe der Missionsstation Neu-Wied mehrere Schlafkranke befinden sollten, begab sich ein Mitglied der Expedition und stellte fest, daß die betreffenden Leute nicht an Schlafkrankheit, sondern an anderweitigen Krankheiten litten. Auch nach der Mori- und nach der Marabucht wurde eine Exkursion unternommen. Es wurden bei den Sul- tanen dieser Gebiete Erkundigungen eingezogen und die Eingeborenen überall, wo ge- landet wurde, untersucht, aber nicht das geringste gefunden, was auf das Vorhanden- sein der Schlafkrankheit hingewiesen hätte. Die Eingeborenen hatten überall von der schrecklichen Seuche Kunde und fürchteten, daß sie auch zu ihnen kommen würde; aber bis jetzt war nach ihrer Versicherung noch kein Fall vorgekommen. Es traf sich nun sehr günstig, daß Stabsarzt Dr. Feld m a n n , welcher in seinen Berichten das Vorhandensein der Seuche im Muansabezirk behauptet hatte, selbst nach Muansa kam. Er brachte aus Bukoba drei Kranke mit. von denen einer an ausge- sprochener Schlafkrankheit litt. Dieser Kranke war mehrfach auf den stark verseuchten Seseinseln gewesen und hatte sich die Krankheit dort geholt. Der zweite Kranke, bei dem die Symptome noch wenig ausgesprochen waren, hatte, wie von F e 1 d m a n n nachgewiesen war, Trypanosomen im Blute. Er war am Tanganjika gewesen und hatte sich wahrscheinlich dort infiziert. Bei dem dritten war die Diagnose noch unsicher, er war höchstwahrscheinlich auch auf den Seseinseln gewesen. Koch, Gesammelte Werke. 78 514 über d. bisherig. Verlauf d. deutsch. Expedition z. Erforsch d. Schlafkrankheit in Ostafrika. Ich veranlaßte Herrn Stabsarzt F e 1 d m a n n nunmehr, seinerseits im Muansa- bezirk nach Schlafkranken zu suchen, was er auch bereitwiUigst übernahm. Zuerst suchte er die weitere Umgebung von Muansa, namenthch die nördhch davon gelegenen Fischerdörfer, ab und brachte sechs seiner Meinung nach der Schlafkrankheit Verdächtige ins Hospital, Avelche sich bei sorgfältiger Nachprüfung sämtlich nicht als Schlafkranke erwiesen. Dann begab er sich nach der westlich von Muansa sich erstreckenden Küste des Victoria-Njansa und nach Kome. In diesen Gegenden fand er vier Leute, welche er der Schlafkrankheit verdächtig hielt und nach Muansa brachte, aber auch bei diesen konnte Schlafkrankheit nicht festgestellt werden. Hiernach erklärte Dr. F e 1 d m a n n , daß er seine Angaben über das endemische Vorkommen der Seuche im Muansabezirk nicht mehr aufrechterhalte. Der Stationsarzt von Muansa, Oberarzt Dr. R a d 1 o f f , hat im Laufe der letzten Jahre vier unzweifelhafte Fälle von Schlafkrankheit in Muansa gesehen und längere Zeit im Hospital beobachtet. Diese Fälle stammten sämtlich aus Uganda. Ich glaube auf Grund der geschilderten, nach jeder Richtung hin gründlich durch- geführten Untersuchungen und Ermittelungen bestimmt, mich dahin aussprechen zu können, daß die von Dr. F e 1 d ni a n n gehegten Befürchtungen in bezug auf die Ver- seuchung des deutschen Gebietes unbegründet sind. Dasselbe ist bis jetzt noch vollkom- men frei von endemischer Schlafkrankheit, und die wenigen verstreuten Fälle, welche bisher beobachtet wurden, stammen ausnahmslos vom englischen Gebiet. Wie sich aber die Seuche in Zukunft verhalten wird, das hängt von dem Vor- kommen der zur Infektion unumgänglich erforderlichen Glossina palpalis ab. Wir haben uns deswegen auch mit dieser zweiten der beiden wichtigen Fragen so eingehend als möglich beschäftigt und haben in der Uragebung von Muansa sowohl als gelegentlich der erwähnten Exkursionen überall nach dem Vorhandensein der Glossina palpalis geforscht, und es hat sich dabei folgendes ergeben. Die Glossina palpalis ist auf deutschem Gebiet weit verbreitet, aber weniger auf dem Festlande als auf den Inseln. Besonders zahlreich fanden wir sie auf kleinen unbewohnten Inseln, welche Kroko- dilen und Flußpferden als Wohnstätte oder vielmehr als Ruhestätte dienen und an deren Ufern sich Scharen von Wasservögeln aufhalten. Auf dem Festlande konnten wir sie nur am Ende der Moribucht, und auch da nur in geringer Zahl, konstatieren. In der Um- gebung von Muansa selbst wurde die Glossina palpalis auch nur auf einigen in der Bucht gelegenen Inseln, niemals an den LTfern des Festlandes gefunden. Der eigentliche Hafen von Muansa ist vollkommen frei davon. Es stimmen diese Befunde mit den Angaben von F e 1 d m a n n , welcher die Glossinen überall auf dem Pestlande und insbesondere im Hafen von Muansa gefunden haben will, nicht überein, was möglicherweise darin begründet sein mag, daß wir zu einer andern Jahreszeit unsere Nachforschungen anstellten und daß in diesem Jahr der Stand des Sees infolge der starken und anhaltenden Regenzeit etwa uml% m höher ist als in den vorhergehenden Jahren. Allerdings ist nicht recht einzu- sehen, warum die Glossina palpahs aus diesen Gründen sich nur vom Festlande zurück- gezogen haben, aber auf den Inseln in ungeminderter Zahl geblieben sein sollte. Die weitere Ausbreitung der Seuche ist außer von dem Vorkommen der Glossina palpalis aber auch davon abhängig, in welchem Umfange sich die Anwohner des Sees den Stichen der Fhegen aussetzen, wie es beispielsweise bei Fischern, Ruderern usw. der Fall ist. In früherer Zeit sorgten die den See beherrschenden Waganda durch Raub- züge dafür, daß andere Anwohner des Sees dem Ufer, wo sich die Glossinen aufhalten, fernblieben und möglichst wenig damit in Berührung kamen. Das scheint sich aber in neuerer Zeit, nachdem friedliche Zustände am See Platz gegriffen haben und nachdem die den See befahrenden Waganda zum größten Teil von der Schlafkrankheit weggerafft über cl. bisherig. Verlauf rl. deutseh. J^xiiediticm z. Ert'orscli. d. Si hlaikrankheit in Ostafrika. 515 sind, zu ändern. Auf deutschem Gebiet fangen manche Anwohner des Sees an, sich mehr als früher dem Fischfang zu widmen. So namenthch in der Umgebung der großen von etwa 30 000 Menschen bewohnten Insel Ukerewe, dann nördlich vom Majitagebirge und am Spekegolf, wo sich überall der Fischfang lolmt. Die Fische werden getrocknet und in ganzen Bootsladungen nach Schirati und selbst bis nach Port Florence auf den Markt gebracht. In letzterem Orte hat sich schon eine kleine Kolonie von Ukerewe- leuten gebildet, welche den Fischhandel vermittelt und auch Fischfang in den benach- barten Gewässern betreibt. So erwünscht das Aufblühen dieses Gewerbes auch zu andern Zeiten ist, so bedenklich muß es erscheinen, solange die Gefahr der Schlafkrankheit droht. Das reichliche Vorkommen der Glossina palpalis, namentlich auf den leicht erreich- baren Inseln der Muansabiicht, hat uns die sehr erwünschte Gelegenheit geboten, ein- gehende Studien über das \'erhalten der Fliege und über ihre Lebensbedingungen an- zustellen. Vor allen Dingen möchte ich hervorheben, daß die Glossina palpalis nicht etwa: erst in neuerer Zeit nach dem Südufer des Victoria-Njansa gekommen ist, und daß sie nicht etwa auf einem ühcr weite Gebiete von Zentralafrika sich erstreckenden Wanderzug begriffen ist, sondern dal.) sie in denjenigen Gebieten, wo sie jetzt gefunden wird, schon von jeher vorhanden war. Missionare und Eingeborene haben mir dies schon im ver- gangenen Jahr für das englische Gebiet bestimmt versichert, und auch jetzt habe ich auf meine Nachfragen in bezug auf das deutsche Gebiet dieselbe Auskunft erhalten. Eine andere sofort in die Augen fallende Tatsache ist die, daß die Glossinen sich nur unmittelbar am Seeufer aufhalten. Wenn man sich mit dem Boote einer Stelle am Ufer nähert, wo Fliegen vorkommen, dann kommen sie gewöhnlich sofort angeflogen und setzen sich, sobald sie mit dem Netz verfolgt werden, mit Vorliebe auf die Außen- wand des Bootes, wo sie schwer zu erreichen sind. Sie können dann mit dem Boot oft ziemlich weit mitgeschleppt werden. Am Ufer selbst trifft man sie indessen nur am Strande, wo sie sich auf Steinen, trockenen Ästen, auf dem Sande und auf Pflanzen nieder- lassen. Aber schon wenige Schritte vom Strande entfernt ist oft keine Fliege mein- zu finden, auch wenn es am Ufer selljst davon wimmelt. Am Ufer werden von den Fliegen immer bestimmte Stellen Ijevorzugt, die man bald kennen lernt. An felsigen Gestaden, an flachen, nur mit Gras und Schilf bewachsenen Ufern, in den Papyrussümpfen finden sich keine Fliegen. Auch wo dichter Urwald bis an den Strand reicht, fehlt die Glossina. Aber wo hchter Buschwald die Strandvege- tation bildet, und ganz besonders, w^o der im Wasser wachsende Ambatschbusch (Aeschy- nomene elaphroxylon) das Ufer umsäumt, da trifft man, zwar auch nicht immer, aber doch recht oft, zahlreiche Glossinen. Da die Ambatschbüsche den zahlreichen Wasser- vögeln (Kormoran, Schlangenhaisvögel, Reiher, Ibis, Eisvögel usw.) als Sitzplätze dienen, so hatte ich mir die Vorliebe der Glossinen für diese Büsche damit erklärt, daß sie bei jenen Vögeln den Bedarf an Blutnahrung leicht und sicher finden können. Die Glossinen leben nämlich ausschließlich von Blut und müssen jeden zweiten bis dritten Tag Ge- legenheit haben, frisches Blut zu saugen. Wo diese Gelegenheit fehlt, gehen sie bald zugrunde. Sie können sich also nur da halten, wo zugleich Wirbeltiere leben, deren Blut sie regelmäßig saugen können. Da abt'r auch noch andere V/irbeltiere außer den erwähn- ten Wasservögeln den Glossinen Blut liefern konnten, und es wichtig war. zu erfahren, welche Tiere dies wohl seien, so hatte ich schon bei meinem früheren Aufenthalte in Uganda hierüber Erkundigungen eingezogen, und es war mir von Missionaren und Eingeborenen die Mitteilung gemacht, daß gewisse Fische, welche an der Oberfläche schwimmen, ferner Flußpferde und Krokodile von den Fliegen gestochen werden. Ganz besonders wurde dies von den Krokodilen behauptet, und manche wollten es selbst gesehen haben. 78* 516 über d. bisherig. Verlauf d. deutsch. Espedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit in Ostafrika. Da jedoch das Krokodil eine panzerartige Haut besitzt und aus dena Wasser immer nur für ganz kurze Zeit auftaucht, um zu atmen, so schenkte ich diesen Angaben keinen Glauben. Zu meiner Überraschung mußte ich mich gleichwohl bei unseren jetzigen Nach- forschungen von der Richtigkeit der Behauptungen der Eingeborenen überzeugen. Es war uns schon mehrfach aufgefallen, daß auf den unbewohnten, aber fliegen- reichen Inseln sich regelmäßig zahlreiche Spuren von Krokodilen fanden. Diese Tiere hatten sich förmliche Pfade getreten, auf denen sie vom Wasser aus nach dem Innern der Insel zu wanderten, um sich da zu lagern und zu sonnen. Wenn wir uns mit dem Boote solchen Stellen näherten, dann stürzten sich öfters mehrere riesige Krokodile, die durch das Geräusch aus ihrer Ruhe aufgestört waren, dicht vor dem Boote ins Wasser. An solchen Stellen fanden wir auch mehrfach den Platz, wo ein Krokodil seine Eier abge- legt hatte, 60 — 70 an der Zahl, und es gelang uns einige Male, Krokodile, welche auf ihrem Nest oder in dessen unmittelbarer Nähe lagen, zu überraschen und zu erlegen. Dabei konnten Avir dann die sehr merkwürdige Wahrnehmung machen, daß auf dem toten Krokodil viele Exemplare von Glossina palpalis saßen, und daß, wenn diese weggefangen oder verscheucht wurden, immer wieder andere herbeigeflogen kamen, als ob sie durch den Geruch der Krokodile angezogen würden. Untersucht man die Haut des Krokodils genauer, so findet man auch, daß sie trotz des dichten Panzerkleides für den Stachel der Glossina zugänglich ist. Zwischen den einzelnen Panzerplatten ist sie nämlich ganz dünn und weich. Davon, daß die Glossina palpalis nun aber auch wirklich Krokodilblut saugt, konnten wir uns sehr bald dadurch überzeugen, daß in dem Magen mehrerer Glossinen (bis jetzt bei acht Fhegen beobachtet) frisch gesogenes Krokodilblut nachgewiesen wurde, das an der Gestalt seiner Blutkörperchen und deren Kernen leicht und mit Sicherheit zu erkennen ist. Für das Krokodil ist damit der Nachweis gehefert, daß gewisse Beziehungen zwischen ihm und der Glossina palpahs bestehen. Weitere Nachforschungen müssen ergeben, ob etwa ähnUches für andere Wirbeltiere gilt. Diese Frage hat noch insofern Bedeutung, als die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß sich unter den von der Glossina palpalis gestochenen Tieren die eine oder andere Art befindet, welche neben dem Menschen als Wirt für das Trypano- soma gambiense dient und infolgedessen bei der Bekämpfung der Seuche berücksich- tigt werden müßte. Von den zahlreichen Fhegen, welche von uns erbeutet wurden (bis jetzt über 500), gingen sehr viele in kurzer Zeit ein, so daß sie für weitere Untersuchungen nicht verwertet werden konnten. Da sich herausstellte, daß sie sich in einem künstlich feucht gehaltenen Räume besser hielten, eine Beobachtung, welche übrigens auch schon von den englischen Forschern in Entebbe gemacht wurde, so muß man daraus schließen, daß trockene Luft der Glossina palpahs nachteihg ist. Vielleicht ist dies ein weiterer Grund dafür, daß die Glossina palpalis nur in unmittelbarer Nähe des Wassers zu finden ist. Obwohl im Muansabezirk die Schlafkrankheit nicht herrscht und wir deswegen in den von uns gefangenen Glossinen das Trypanosoma gambiense nicht erwarten konnten, so haben wir trotzdem eine große Menge von Fliegen sorgfältig auf Trypanosomen und sonstige Parasiten untersucht. Denn es mußte das Verhalten der Glossina palpahs, wie es sich in dieser Beziehung in einem nicht verseuchten Gebiet gestaltet, von ganz besonderem Interesse sein, da es gewissermaßen die Kontrolle zu dem gleichen Verhalten der Glossina palpalis in verseuchten Gegenden bildet. Es wurden bis jetzt 228 Exem- plare von Glossina palpahs untersucht und dabei gegen alles Erwarten 39 (d. i. 17 Proz.) gefunden, welche mehr oder weniger zahlreiche Trypanosomen in ihren Verdauungs- organen beherbergten. Unter diesen Trypanosomen Heßen sich zwei Typen unter- scheiden, welche in bezug auf Größe, Gestalt, Form der Geißel, Lage und Gestalt des über d. bisherig. Verlauf cl. deutsch. Expedition z. Erforsch, d. Schlafltrankheit in Ostafrika. 517 Blepharoplasten erhebliche Verschiedenheiten aufweisen. Dazu würde noch ein dritter von den beiden eben erwähnten ebenfalls deutlich unterschiedener Typus kommen, den ich im vorigen Jahr in Glossinen nachgewiesen habe, die in Uganda gefangen waren. Die in Muansa gefundenen beiden Typen haben natürlich nichts mit dem Trypano- soma gambiense zu tun, weil dort die Schlafkrankheit noch nicht herrscht, ob sie aber selbständige Arten sind oder in irgendwelchem Zusammenhang miteinander stehen, und ob der in Entebbe gefundene Typus etwa zum Trypanosoma gambiense gehört, das sind noch offene Fragen, welche nur durch weitere sorgfältige Untersuchungen ihre Beant- wortung finden können. Auf jeden Fall lehrt unser Befund, daß man, wenn Trypano- somen in der Glossina palpalis gefunden werden, nicht ohne weiteres berechtigt ist, dieselben als zum Trypanosoma gambiense gehörig anzusehen. Es muß erst durch einwand- freie Versuche festgestellt werden, welche Formen das Trypanosoma gambiense in der Glossina palpalis annimmt, bevor man imstande ist, dasselbe von anderen in dieser Glossina vorkommenden Trypanosomen zu unterscheiden. Natürlich mußte noch versucht werden, die Frage nach der Herkunft der von uns gefundenen Trypanosomen zu beantworten. Am nächsten lag wohl die Vermutung, daß das Krokodil der Wirt dieser Trypanosomen sein könnte, weil die Glossinen nach- gewiesenermaßen Krokodilblut saugen und weil die am Krokodil gefangenen Glossinen sich besonders zahlreich trypanosomenhaltig gezeigt hatten. So waren beispielsweise unter den Glossinen von einem Krokodil 60 Proz. (auf die weiblichen Fliegen allein berechnet sogar 66,7 Proz.) trypanosomenhaltig befunden worden. Um diese Frage zu entscheiden, wurden diejenigen Krokodile, deren Blut ganz frisch präpariert werden konnte — es waren vier an der Zahl — , sorgfältig auf Trypanosomen untersucht, es waren aber keine Trypanosomen, dagegen ist eine Art von Hämogregarinen gefunden worden, welche nur eine entfernte Ähnlichkeit mit den Trypanosomen besitzen. Erst weitere Untersuchungen müssen ergeben, ob diese Blutparasiten etwa zum EntAvick- lungskreis der Trypanosomen gehören, was nicht unmöglich ist. Da außer in drei Fleder- mäusen, welche vereinzelte Trypanosomen in ihrem Blute hatten, bei allen sonst unter- suchten Tieren (ein Nilpferd, zwei Varanviseidechsen, zahlreiche Wasservögel vei'schie- dener Arten, Webervögel, Fische) niemals Trypanosomen gefunden Avurden, so miiß diese Frage vorläufig noch unbeantwortet bleiben. Von den früher erwähnten Glossineninseln bietet die Insel Sijawanda in mehr- facher Beziehung so interessante und lehrreiche Verhältnisse, daß sie hier noch besonders hervorgehoben zu werden verdienen. Diese Insel, welche in der Bucht von Muansa, und zwar südlich von Muansa, liegt und von da mit dem Boote in etwa einer Stunde zu erreichen ist. hat eine Länge von ungefähr einem Kilometer und eine Breite von einem halben Kilometer. Sie besteht zum großen Teil aus stark zerklüfteten und verwitterten Granitfelsen, zwischen denen mehrere talartige Einsenkungen bestehen. Diese letzteren haben fruchtbaren Boden und sind mit ziemlich dichtem BuschAvald bestanden. Bis vor zehn Jahren war die Insel unbewohnt. Dann ließen sich einige Familien auf derselben nieder und machten einen kleinen durch Felsen einigermaßen abgeschlossenen Teil urbar. Als diese Leute nach der Insel kamen, fanden sie am Orte der Niederlassung zahlreiche Glossinen vor, und sie wurden von denselben vielfach gestochen. Aber so- bald der Busch heruntergehauen und weggebrannt war, versclnvanden die Glossinen und sind im Bereich der Niederlassung nicht wieder erschienen. Bei wiederholtem Be- such wurden auch von uns in der Nähe der Hütten der InseD^ewohner niemals Fliegen be- merkt, obwohl die übrigen Teile der Insel voll davon sind. Auch Krokodile gibt es reichlich auf dieser Insel; es wurden von uns zAvei geschossen und auch mehrere Nester derselben entdeckt. Die Krokodile bleiben aber der kleinen Ansiedlung, auf welcher ziemlich 518 über d. bisherig. Verlauf d. deutsch. Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit in Ostafrika. viel Ziegen und Hühner gehalten werden, ebenso fern wie die Glossinen. Auf dieser raerkwürdigen Insel leben also friedlich nebeneinander die Menschen mit ihren Haus- tieren, die Krokodile und die Glossinen. Da die Leute die Glossinen sehr gut kennen, so ist ihre Angabe, daß sie die Fliege schon vor zehn Jahren auf der Insel vorfanden, durchaus glaubwürdig. Damit ist aber wiederum ein Beleg dafür geliefert, daß die Glossina palpalis nicht erst neuerdings eingeschleppt wurde, sondern von jeher vorhanden war. Ferner liefert diese Insel auch wiederum ein sehr lehrreiches Beispiel dafür, auf wie einfache Weise ein Ort von der Glossina palpalis befreit werden kann. Um dieses Bei- spiel noch überzeugender zu gestalten und daran zukünftig verwertbare Erfahrungen zu sammeln, soll der Versuch gemacht werden, noch weitere Teile der Insel durch Be- seitigung des Buschwaldes fliegenfrei zu machen. Nachdem sich herausgestellt hat, daß der Muansabezirk noch frei von Schlafkrank- heit ist, muß sich die Expedition nach einem für ihre Zwecke geeigneteren Ort umsehen, wo sie nicht nur die Glossina palpalis, sondern auch die Schlafkrankheit selbst an Fällen dieser Krankheit, und zwar an solchen, die an Ort und Stelle entstanden sind, studieren kann. Nur wo sie beides vereinigt findet, kann sie hoffen, die ihr gestellte Aufgabe zu erfüllen, so erwünscht es auch war, einen Ort kennen zu lernen und eingehender zu stu- dieren, wo, wie in Muansa, die Glossina palpalis allein existiert. Unter diesen Verhältnissen kam es mir deswegen sehr erwünscht, daß mir von Sr. Exzellenz dem Kommissionär von Uganda, Herrn H. Hesketh-Bell, anheimgestellt wurde, das Laboratorium in Entebbe, solange dasselbe nicht anderweitig in Anspruch genommen wird, für wissenschaftliche Arbeiten und eine der Seseinseln für praktische Studien über die Schlafkrankheit zu benutzen. Ich habe dieses sehr dankenswerte Anerbieten angenommen und werde mich in Begleitung von zwei Mitgliedern der Expe- dition mit dem nächsten Schiff, also voraussichtlich am 6. August, über Bukoba nach Entebbe begeben. Die übrigen Mitglieder der Expedition werden, nachdem die im Gange befindlichen Arbeiten und namentlich der Versuch auf der Insel Sijawanda beendigt sind, nachfolgen. 3. Sese bei Entebbe (Britisch-Ostafrika), den 15. Oktober 1906. In Begleitung von zwei Mitgliedern der Expedition traf ich am 8. August in En- tebbe ein. Hier sah ich mich sofort nach einer Stelle um, welche für den dauernden Aufenthalt der Expedition geeignet sein konnte. Zu diesem Zwecke besuchte ich die Missionsstation Kisubi mit ihrem Lazarett für Schlafkranke, ferner das von Dr. Cook in Kampala geleitete große Hospital für Eingeborene, sowie das neu angelegte Labo- ratoriam bei Entebbe und die Seseinseln. Obwohl es sehr verlockend war, das vor- trefflich eingerichtete Laboratorium bei Entebbe zu wählen, so mußte ich mich doch für die von allem Verkehr abseits gelegenen Seseinseln entscheiden, weil nur hier die Aussicht bestand, ausreichendes Krankenmaterial und zugleich Gelegenheit zu Studien über die Glossina palpalis zu finden. Die Übersiedelung von Entebbe nach den Seseinseln fand am 14. August statt. Einige Zeit darauf folgten dann auch die anderen in Muansa zurückgebliebenen Mit- glieder der Expedition, so daß letztere jetzt wieder vereinigt ist. Die Seseinseln nehmen den nordwestlichen Teil des Victoria-Njansa ein. Sie gruppieren sich in der Zahl von einigen vierzig kleineren und größeren Inseln um die lange und in Windungen verlaufende Hauptinsel, welche in ihrem nördhchen Teil Bu- singa, in ihrem südlichen Teil Bugäla genannt wird. Durch die ganze Insel zieht sich wie ein Grat eine Anhöhe, die 300 bis 400 Fuß hoch ist. Auf dieser Höhe liegt ungefähr an der Grenze von Businga und Bugäla die Missionsstation Bumängi, welche der Societe über d. bisherig. Verlauf d. deutsch. Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit in Ostafrika. 519 des Missionaires d'Afrique, in Afrika gewöhnlich die Weißen Väter genannt, gehört. Auch diese Station hat ebenso wie die von Kisul)i ein Lazarett für Schlafkranke errichtet. Bei meinem Besuche im vergangenen Jahre sah ich hier gegen 40 Kranke, welche sich in Verpflegung und Behandlung befanden. Jetzt fand ich nur noch ein Dutzend Kranke vor. Wie mir die Missionare mitteilten, hatte diese Abnahme der Krankenzahl ihren Grund teils in der erheblichen weiteren Abnahme der Bevölkerung, teils darin, daß die Eingeborenen ihre Schlafkranken nicht mehr ins I^azarett brachten, weil ihnen doch nicht zu helfen war. Ungefähr eine Meile weiter östlich von Buniängi liegt ebenfalls auf dem Höhen- rücken das Dorf Bugäla, der Sitz eines der größeren Häuptlinge der Seseinseln und zu- gleich einer englisch-protestantischen Mission, welche hier eine Kirche und ein Wohn- haus für den Missionar erbaut hat. Letzteres ist zurzeit unbewohnt, und da die Mis- sionsleitung sich damit einverstanden erklärte, daß die Expedition dasselbe benutzen könne, so beschloß ich, die Expedition in Bugäla anzusiedeln und daselbst ein stehendes Lager zu errichten. Für diesen Fall waren wir vollkommen vorgesehen, da wir Vv'^ohn- und Arbeitszelte, welche uns vom Kaiserlichen Gouvernement in Daressalam leihweise überlassen waren, mit uns führten. Li kurzer Zeit waren die Zelte aufgestellt und mit Schutzdächern versehen, welche schließlich zu kleinen Hütten ausgebaut wurden. Die Laboratoriumsvorräte wurden in einigen Räumen des Missionsgebäudes untergebracht, wo sie gegen die hier sehr häu- figen und schweren Gewitterregen am besten geschützt waren. Einige Exkursionen gaben mir bald die Gewißheit, daß wir in der näheren und weiteren ITmgebung unseres Lagers die Glossinen in einer für unseren Bedarf vollkommen ausreichenden Anzahl beschaffen konnten, und da sich aucli Kranke einstellten, als die Aufstellung des Lagers kaum beendet war, so war damit der Beweis geliefert, daß die Auswahl des Platzes für die Arbeiten der Expedition eine zweckmäßige gewesen Avar. Ursprünglich war es meine Absicht gewesen, in Bugäla nur die ätiologischen und die sich daran anknüpfenden Laboratoriumsarbeiten vornehmen zu lassen, während die Beobachtung und Behandlung der Kranken durch ein oder zwei Mitglieder der Ex- pedition in Bumangi in dem Lazarett der Weißen Väter geschehen sollte. Zu diesem Zwecke hatte ich mich an den Bischof Herrn Streicher in Kampala gewandt und von diesem in entgegenkommender Weise die Erlaubnis zur Beobachtung und Behandlung der in der Mission befindlichen Kranken sowie auch die Benutzung eines Wohnraumes für das in Bumangi stationierte Mitglied der Expedition erhalten. Später gestalteten sich aber die Verhältnisse insofern anders, als sich innner mehr Kranke in unserem Lager in Bugäla einfanden und dringend baten, behandelt zu werden. Da wir sie nicht abweisen konnten, so entstanden zwei Krankenstationen, von denen die eine, nämlich Bugäla, die leichteren, ambulanten Kranken übernahm, während das Lazarett der Weißen Väter in Bumangi für die klinischen Studien und für die Be- handlung der vorgeschrittenen Fälle dienen sollte. Über den derzeitigen Stand der Seuche auf den Seseinseln habe ich noch folgendes zu bemerken: Als die Krankheit vor etwa vier Jahren auf den Inseln erschien, betrug die Zahl der Einwohner gegen .30 000. Jetzt ist dieselbe nach der Schätzung der Missionare auf 12 000 gesunken, und noch fortwährend werden zahlreiche Menschen durch die Krankheit weggerafft. Vorwiegend sind es die Männer im kräftigsten Alter, welche weggestorben sind. Es gibt einzelne Dörfer, in denen nur Weiber und Kinder übrig- geblieben sind. Aber auch diese werden nicht verschont, und manche Inseln haben ihre Bevölkerung ganz oder bis auf einen kleinen Rest verloren. So gibt es im südlichen Teil des Archipels eine Gruppe von Inseln, die früher stark bevölkert war, jetzt aber 520 über d. bisherig. Verlauf d. deutsch. Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit in Ostafrika. menschenleer ist und von den Eingeborenen deswegen die „trockenen Inseln" ge- nannt werden. Wie die Seuche gehaust hat und noch haust, mögen einige Beispiele erläutern. Durch den Zugang von mehreren Kranken auf das Dorf Busanga (etwa drei Stunden westlich von Bugäla gelegen) aufmerksam gemacht, besuchten wir dies Dorf und erfuhren, daß zu demselben früher über 200 Einwohner gehörten, von denen nur 55 übriggeblieben sind. Von diesen wurden 22 genauer untersucht und davon 17 bereits mit der Trypano- somiasis behaftet gefunden. Das fast vollständige Aussterben dieses Dorfes wird, wenn keine anderweitige Hilfe kommt, unvermeidlich sein. Unter unseren Kranken in Bugäla befindet sich eine Fischerfamilie aus Bukassa, der am weitesten nach Osten gelegenen Insel des Archipels. Dieselbe besteht aus den beiden Eltern und drei Söhnen, die dem Vater beim Fischen behilflich gewesen sind. Der Vater und die drei Söhne leiden an der Trypanosomiasis, und zwar befinden sich zwei von ihnen in einem so weit vorgeschrittenen Stadium der Krankheit, daß ihr Ende in wenigen Wochen zu erwarten ist. Also auch diese Familie ist bis auf die Mutter, bei welcher bisher noch keine Trypanosomen nachzuweisen waren, dem Untergang geweiht. Es ließen sich noch viele derartige Beispiele anführen, aber diese wenigen mögen genügen, um zu zeigen, von welchem schweren Schicksal die armen Bewohner der Sese- inseln betroffen sind. Da anfangs nur Leichtkranice zu uns kamen, bei welchen die Diagnose nur durch den mikroskopischen Nachweis der Trypanosomen gesichert werden konnte, und da uns von allen Seiten gesagt war, daß nach den früheren Erfahrungen die Lumbalpunk- tion und die Punktion der vergrößerten Halslymphdrüsen bei den Eingeborenen auf den entschiedensten Widerstand stoßen würden, so beschränkten wir uns zunächst auf die einfache Untersuchung des Blutes der Kranken. Hierbei wurden unter 180 Unter- suchten nur dreimal Trypanosomen gefunden. Unter diesen Leuten befanden sich aber sehr viele mit vergrößerten Halsdrüsen und auch solche mit deutlichen anderweitigen Symptomen der Trypanosomiasis. Wir mußten daher annehmen, daß die Zahl der mit Trypanosomen infizierten Menschen eine bedeutend größere ist, als es die Blutunter- suchung erkennen ließ. So blieb uns denn nichts weiter übrig, als doch einen Versuch mit der Drüsenpunktion zu machen, und dieser Versuch gelang über Erwarten gut. Die Eingeborenen waren selbst schon darauf aufmerksam geworden, daß eins der konstan- testen Kennzeichen beim Beginn der Krankheit die Anschwellung der Lymphdrüsen am Halse ist, und sie fanden es deswegen ganz in der Ordnung, daß man sich auch mit diesen Drüsen beschäftigte und daß unter Umständen ein kleiner Einschnitt in dieselben gemacht wurde. Die Drüsenpunktion wurde so allmählich ein integrierender Teil der Behandlung, und wir begegneten bei der Ausführung derselben nicht dem geringsten Widerstand. Es kommt im Gegenteil öfters vor, daß die Kranken selbst darum bitten. Zum Zwecke der Diagnose der Trypanosomiasis sind bis zum 1. Oktober 163 Drüsen- punktionen vorgenommen und dabei 160 mal Trypanosomen gefunden. Dieses Resultat liefert also eine vollständige Bestätigung der Angaben der beiden englischen Forscher Gray und G r a i g , welche diese Methode der Diagnose entdeckt und dringend empfohlen haben. Sie kamen auf Grund der Untersuchungen zu der Überzeugung, daß in einer Gegend, wo die Schlafkrankheit herrscht, das Vorhandensein von geschwollenen Lymph- drüsen am Halse ein fast untrügliches Kennzeichen der Kranliheit ist. Hiermit stimmen unsere Erfahrungen durchaus überein, indem wir nicht nur in den vergrößerten Lymph- drüsen derjenigen Menschen, welche sich krank meldeten, sondern mehrfach auch bei solchen, welche sich für gesund hielten und noch zur Arbeit gingen, Trypanosomen nachweisen konnten. über d. bisherig. Verlauf cl. deutsch. Expedition z. Erforscla. d. Sclilafkrankheit in Ostafrika. 521 Nimmt man nun aber die Drüsenschwellung als ein sicheres Kennzeichen für das Vorhandensein der Trypanosomiasis an, dann steht es mit der Bevölkerung der Seseinseln sehr schlecht, denn nach ungefährer Schätzung sind von den jetzt noch Lebenden 60 — 70% mit Trypanosomen infiziert. Rechnet man hierzu noch alle die- jenigen Menschen, welche zwar schon infiziert, deren Drüsen jedoch noch nicht geschwollen sind, dann bleiben auf den Seseinseln nicht viele Menschen übrig, denen eine Prophylaxis noch zugute kommen würde. Hier kann nur noch ein Heilmittel helfen, das imstande ist, die Trypanosomen in den kranken Menschen zu vernichten, gerade so wie das Chinin die Malariaparasiten vernichtet. Nachdem wir zu dieser Erkenntnis gekommen waren, haben wir uns sofort damit beschäftigt, ein derartiges Heilmittel aufzufinden. Da ich schon bei der Ausrüstung der Expedition mit dieser Möglichkeit rechnete, so hatte ich mich mit den beiden bis dahin als besonders gegen Trypanosomen wirksam befundenen Mitteln, dem Atoxyl und dem Trypanrot, versehen. Vom Atoxyl waren mir von den Vereinigten Chemischen Werken in Charlottenburg, welche dieses Mittel her- stellen, 500 g in sehr dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt, und vom Trypanrot erhielt ich von dem Entdecker desselben, Herrn Geheimen Medizinalrat Ehrlich in Frankfurt, einen ausreichenden Vorrat. Wir begannen unsere Versuche mit dem Atoxyl, welches bekanntlich eine Arsenikverbindung ist. Dieses Mittel wird seit etwa fünf Jahren zur Behandlung von Haut-, Blut- und Nervenkrankheiten vielfach gebraucht, und zwar in der für die Arsenikbehandlung üblichen Weise. Man beginnt mit kleinen Dosen, steigt allmählich zu größeren an und geht dann langsam wieder zurück. Von dieser Art der Anwendung glaubte ich aber aus verschiedenen Gründen, deren Darlegung hier zu weit führen würde, abgehen und das Mittel in ähnlicher Weise wie das C'hinin anwenden zu sollen, d. h. in einzelnen möglichst hohen Dosen, welche in längeren Zwischenräumen nach Bedarf zu wiederholen sind. Hierzu mußte vor allem die passende Dosis ermittelt werden. Wir fingen also mit einer verhältnismäßig kleinen Dosis an, nämlich 0,06 g, welche subkutan auf dem Rücken injiziert wurde. Da hiernach keine merkliche Wirkung eintrat, so stiegen wir auf 0,08, dann auf 0,1 usw., bis schließlich auf 0,5. Selbst nach dieser hohen Dosis, welche an zwei aufeinanderfolgenden Tagen nach Analogie der Chininbehandlung wiederholt wurde, traten nicht die geringsten Intoxikationserscheinungen ein. Wir hätten mit der Dosis also noch mehr steigen können, aber das war nicht erforderlich, da die Drüsenpunk- tion ergab, daß nach derartigen Dosen die Trypanosomen aus den Drüsen nach ver- hältnismäßig kurzer Zeit verschwunden sind. Bis jetzt konnte ferner festgestellt werden, daß sie mindestens 10 Tage lang in den Drüsen nach der Atoxylbehandlung nicht auf- zufinden waren. Nach dieser Zeit treten in einzelnen Fällen die Trypanosomen wieder auf. Diese Fälle bilden aber doch nur die Ausnahme, da unter 20 Kranken, welche nach dem zwanzigsten Tage untersucht wurden, nur in einem Falle Trypanosomen nachzu- weisen waren. Die Beobachtung an einer großen Zahl von Kranken muß lehren, wie lange Zeit im Durchschnitt die Trypanosomen wegbleiben, und ob nicht eine Anzahl von Kranken schon durch die einmalige Anwendung des Atoxyls überhaupt von ihren Trypanosomen befreit werden. Vorläufig nehmen wir an, daß die Trypanosomen durch die einmalige Behandlung mit Atoxyl noch nicht vollständig beseitigt sind, und daß man, so wie das Clhinin zur völHgen Abtötung der Malariaparasiten in siebentägigen Zwischenräumen zwei Monate lang gegeben werden muß, auch das Atoxyl in mehrfacher Wiederholung während eines längeren Zeitraumes anzuwenden hat. Wann und wie oft dies zu geschehen hat, kann nur auf experimentellem Wege ermittelt werden. 522 Über d. bisherig. Verlauf d. deutsch. Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit in Ostafrika. Zunächst werden wir bei Schwerkranken die Behandlung nach zehn Tagen und bei Leichtkranken nach 15 bis 20 Tagen wiederholen. Von unseren Kranken haben 68 die Atoxylbehandlung schon zum zweiten Male, sieben zum dritten und einer zum vierten Male überstanden, ohne daß irgendwelche Erscheinungen eingetreten sind, welche zu einem Aussetzen der Behandlung Veranlassung gegeben hätten. Erwähnenswert sind noch folgende Versuche, welche in bezug auf das Verhalten der Trypanosomen nach den Atoxylinjektionen angestellt wurden. Um die Zahl genau zu bestimmen, innerhalb welcher die Trypanosomen aus den Drüsen verschwinden, erhielt eine Anzahl von Kranken eine volle Dosis Atoxyl und wurde dann von Zeit zu Zeit punlvtiert. Die Untersuchung ergab, daß die Trypanosomen bis zu sechs Stunden nach der Injektion noch unverändert erscheinen, von der sechsten bis achten Stunde ist ihr Vorkommen nicht mehr regelmäßig, und von der achten Stunde ab konnten sie überhaupt nicht mehr nachgewiesen werden. Da die Injektionen auf dem Rücken, also in der Nähe der Halsdrüsen gemacht werden, so lag die Möglichkeit vor, daß das Atoxyl nur auf diese Drüsengruppe wirkt, aber andere Lymphdrüsen des Körpers unbeeinflußt läßt. Es wurden deswegen bei fünfzehn Kranken die Atoxylinjektionen in der Nähe der Inguinaldrüsen gemacht und dann die Halsdrüsen untersucht. Es ergab sich, daß die Trypanosomen auch bei dieser Versuchsanordnung aus den Halsdrüsen verschwinden. Man kann also annehmen, daß das Atoxyl auf alle Lymphdrüsen des Körpers gleichmäßig wirkt, wenn es an irgendeiner Stelle subkutan eingespritzt wird. Zugleich mit dem Verschwinden der Trypanosomen aus den Lymphdrüsen scheint nach den Atox^dinjektionen eine gewisse Besserung in dem Befinden der Kranken vor sich zu gehen. Bei den unbestimmten und wechselnden Symptomen der Krankheit und bei der kurzen Dauer unserer bisherigen Beobachtungen ist es unmöglich, hierüber jetzt schon ein bestimmtes LTrteil abzugeben. Aber auf jeden Fall fühlen die Kranken selbst sich so weit gebessert, daß sie die Kunde von den anscheinend günstigen Erfolgen unserer Behandlung überallhin verbreitet haben. Infolgedessen strömen immer mehr Kranke von den Seseinseln und auch schon aus größerer Entfernung vom Festlande herbei. An manchen Tagen sammeln sich an unserem Lager 800 und mehr Kranke, welche unsere Hilfe beanspruchen. Es ist für uns unmöglich, für alle diese Unglücklichen zu sorgen, und wir müssen uns darauf beschränken, die besonders charakteristischen Fälle heraus- zusuchen, welche in eine Liste eingetragen und dann in fortlaufende Behandlung genom- men werden. Es waren ziemlich umfangreiche bauliche Einrichtungen erforderlich, um diesen großen Krankenbetrieb in Ordnung durchführen zu können. Bis jetzt sind in unsere Liste 550 Kranke eingetragen, von denen 359 mit Atoxyl behandelt werden. Unter den letzteren befinden sich gegen 80 Schwerkranke. Eine größere Zahl konnten wir mit Rück- sicht auf unseren beschränkten Vorrat an Atoxyl nicht in Behandlung nehmen, aber sobald das telegraphisch bestellte Atoxyl eingetroffen ist, was hoffentlich schon im Laufe der nächsten Woche der Fall sein wird, werden wir so viele Kranke behandeln, wie unsere Arbeitskräfte und die Erfüllung unserer eigentlichen Aufgaben es zulassen. Ob und wie bald die anscheinende Besserung unserer Kranken zu einer wirklichen Heilung führen wird, läßt sich augenblicklich noch in keiner Weise angeben. Die früheren Beobachter haben bei der Arsenikbehandlung regelmäßig nach anfänglicher Besserung früher oder später einen Rückfall mit Verschlechterung des Befindens gesehen, welche der fortgesetzten Behandlung nicht mehr gewichen ist. Obwohl wir etwas Derartiges bis jetzt nicht bemerkt haben, so machen wir uns doch darauf gefaßt und werden ver- suchen, durch Modifikation in der Behandlung, z.B. Änderung in der Dosis und Anwen- dungsweise des Atoxyls oder Kombination des Atoxyls mit dem Trypanrot oder anderen Mitteln, die etwa eintretenden Schwierigkeiten zu überwinden. Sollten aber unsere über d. bisherig. Verlauf (l. deutsch. Expedition z. Erforsc'h. d. Sc-hlaikrankheit in Ostatrika. 523 Hoffnungen in Erfüllung gehen, und sollte es möglich sein, die Trypanosomen in den Menschen durch Atoxylbehandlung vollständig zu vernichten, dann würde damit auch die einfachste und beste Prophylaxis gegeben sein; denn wenn die Menschen von den Trypanosomen befreit sind, dann werden die Glossinen keinen Infektionsstoff mehr finden, welchen sie übertragen können, und damit muß die iSeuche natürlicli ihr Ende finden. Als die Versuche mit der Atoxylbehandlung sich so aussichtsvoll gestalteten, mußten wir denselben selbstverständlich in erster Linie unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Die anderweitigen Arbeiten, welche mehr theoretisches Interesse beanspruchen, traten infolgedessen mehr zurück, wurden aber doch nicht vernachlässigt. Indem ich ein ge- naueres Eingehen auf dieselben einem späteren Bericlit vorbehalte, will ich mich hier nur auf folgende kurze Bemerkungen beschränken. An vielen Stellen der Hauptinsel und auch auf einigen Neljeninseln wurden Glossinen gefangen und einer genauen Untersuchung daraufhin unterworfen, ob und welches Blut sie gesogen hatten und ob sie Trypanosomen enthielten. Unter den 1497 untersuchten Fliegen befanden sich 177, in deren Verdauungsorganen frisch gesogenes Blut gefunden wurde. 66 mal entstammte das Blut Säugetieren; und zwar ist es mit Rücksicht auf Gestalt und Größe der Blutkörperchen und weil darin mehrere Male die Filaria perstans, ein hier sehr häufiger Blutparasit des Menschen, gestunden wurde, sehr wahrscheinlich, daß es hauptsächlich menschliches Blut ist. Bei den übrigen III Blutbefunden hatten die Blutkörperchen eine ovale Form und waren mit einem Kern versehen. Dieselben zeigten aber niemals das Aussehen der Blutkörperchen von Vögeln und Fischen, sondern mit einer einzigen Ausnahme, wo es sich wahrscheinlicli um ]^)lut der großen Varanus- eidechse handelte, dasjenige der Krokodilblutkörperehen. Da außerdem sehr oft die dem Krokodil eigentümlichen Blutparasiten (eine bestinnnte Art von Hämogregarinen) in dem fraglichen Blut angetroffen wurden, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Glossina palpalis sicli vorzugsweise vom Blute des Krokodils ernährt und daß letzteres somit eine der wichtigsten Existenzbedingungen für die Glossina palpalis, wenigstens im Bereich des Viktoria-Njansa, bildet. Wir hatten Gelegenheit, das Blut von elf frisch geschossenen Krokodilen zu unter- suchen und fanden darin außer den erwälmten, fast bei allen Exemplaren vorhandenen Hämogregarinen in zwei Fällen Filarien und in vier Fällen Trypanosomen, welclie dem Trympanosoma rotatorium nahe zu stehen scheinen. Bei zwei Krokodilen konnten Kulturen aus dem Blute angelegt werden, und beide Male ist es gelungen, Trypanosomen daraus zu züchten und bis jetzt in künstlichen Kulturen zu erhalten. Ob diese Trypanosomenkulturen von den Hämogregarinen oder von den Trypanosomen des Krokodilblutes abstammen, muß noch experimentell fest- gestellt werden. Zu diesem Zwecke ist eine Anzahl junger Krokodile beschafft, an denen die betreffenden Infektionsversuche ausgeführt werden sollen. Die gezüchteten Trypano- somen haben eine große Ähnlichkeit mit den in meinem letzten Berichte erwähnten Trypanosomen, welche bei Muansa in der Glossina palpalis vorkommen. Bei 96 von den untersuchten Fliegen fanden sich Trypanosomen in den A^-rdauungs- organen. Vorwiegend, nämlich in 76 Fällen, waren es dieselben Trypanosomen (als Typus I bezeichnet), welche wir bereits in Muansa kennen gelernt hatten. Dieselben stammen vermutlich von Parasiten des Krokodilblutes ab und haben mit der Sclilaf- krankheit keine Beziehung. Auch den zweiten in Muansa angetroffenen Typus von Trypanosomen fanden wir hier wieder, und zwar in 19 Fällen. Außer diesen beiden Typen haben wir nun aber, allerdings bis jetzt nur in einer Fliege, Trypanosomen in großer Menge gefunden, welche ihrem Aussehen nach mit dem 524 Über d. bisherig. Verlauf d. deutsch. Expedition z. Erforscli. d. Schlafkrankheit in Ostafrika. Trypanosoma gambiense identisch sind. Diese Spur werden wir natürlich sofort weiter verfolgen, da es von großer Wichtigkeit sein würde, durch den Nachweis des Trypanosoma gambiense in den Glossinen das Vorhandensein der Ansteckungsgefahr an bestimmten Orten erkennen zu können. 4. Sese bei Entebbe (Britisch-Ostafrika), den 5. November 1906. Es hat sich herausgestellt, daß wir im Atoxyl ein Mittel besitzen, das ein ähnliches Spezifilium gegen die Schlafkrankheit zu sein scheint, wie das Chinin gegen die Malaria. In meinem letzten Bericht habe ich mich über die Heilwirkung des Atoxyls absichtlich noch möglichst zurückhaltend geäußert. Seitdem sind nun aber schon wieder fast drei Wochen verflossen, und in dieser Zeit hat die Besserung unserer Schwerkranken, die ohne das Atoxyl wohl zum größten Teil schon zugrunde gegangen wären, so bedeutende und sichtliche Fortschritte gemacht, daß in bezug auf die spezifische Wirkung des Mittels kein Zweifel mehr obwalten kann. Bei der Anwendung des Atoxyls zur Bekämpfung der Schlafkrankheit kommt nun aber alles darauf an, die Kur so zu gestalten, daß eine Massen- behandlung der Eingeborenen ohne Schwierigkeit durchzuführen ist. In dieser Beziehung glaube ich mit der von mir befolgten Methode einen glücklichen Griff getan zu haben. Wir behandeln augenblicklich bereits gegen 900 Kranlie und werden, obwohl wir viele Hilfesuchende abweisen müssen und fast nur noch Schwerkranke annehmen, in 1 — 2 Wochen ein Tausend zu behandeln haben. Das läßt sich aber nur bei der Art und Weise, wie wir das Atoxyl anwenden, machen. In 2 — 3 Monaten werden wir nach meiner Rech- nung so weit sein, daß wir bei der Mehrzahl unserer Kranken die Kur beendigen können. Wir müssen dann aber die Kranken noch eine ebenso lange Zeit beobachten, ob keine Rückfälle eintreten. Erst wenn wir darüber Gewißheit erlangt haben, daß die Heilung nach dem Aussetzen des Atoxyls von Bestand ist, können wir unsere Aufgabe als gelöst ansehen. Denn daß sich die Prophylaxis der Seuche mit der Heilung der Kranken von selbst ergibt, liegt auf der Hand Zweiter Bericht über die Tätigkeit der deutschen Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. ') Der Leiter der Expedition, G e Ii. ]\I e d. -Rat P r o f. I) r. K o c h, hat unter dem 27. No- vember 1906 nachstehenden weiteren Bericht aus Sese bei Entebbe (Britisch-Ostafrilia) an den Staatssekretär des Innern erstattet: Sese bei Entebbe, den 27. November 1906. Die Zahl der Kranken, welche sich in unserem Lager einfinden, um ärztliche Hilfe zu suchen, hat beständig zugenommen. Sie beträgt jetzt schon nahezu eintausend. Manche davon, welche nicht an Schlafkrankheit leiden oder sonst für die Behandlung ungeeignet sind, mußten ausgeschieden Averden. Es blieben dann noch 907 an Trypano- somiasis resp. Schlafkrankheit Leidende übrig, welche in die Liste aufgenommen und mit Atoxyl behandelt wurden. Dazu kommen noch die in Bumangi von uns behandelten Kranken, 79 an Zahl, hinzu, so daß die Gesamtsumme 986 beträgt. EtAva die Hälfte dieser Kranken stammt von der Hauptinsel des Sesearchipels ; etwas mehr als 200 von den übrigen Inseln (hauptsächlich von Bukassa) und der Rest vom gegenüberliegenden Festland und von den entfernteren Inseln (Korne, Bugaia, Buvuma). Um. eine so große Anzahl von Kranken übersehen und in Ordnung halten zu können, waren besondere Einrichtungen erforderlich. Der größte Teil hat zwar in den weit ver- streuten Hütten des Dorfes Bugalla und in einigen Nachbardörfern LTnterkunft gefunden. Aber für eine Anzahl, namentlich für die Schwerkranken, welche weite Wege bis zum. Lager nicht täglich machen können, mußte anderweitig gesorgt werden. Für diese hat der Queba (Eingeborenentitel für das Oberhaupt des Archipels) eine Art von Doppel- baracke, aus Holzgerüst mit Graswänden und Grasdach bestehend, sowie einige für Familien bestimmte Rundhütten errichten lassen. Andere Hütten sind von den An- gehörigen der Kranken selbst erbaut. Es ist auf diese Weise schon ein Dorf neben unserem Lager entstanden. Da diese Bauten aber noch nicht ausreichend sind, so läßt der Queba augenblicklich noch eine zweite Baracke bauen. Soweit es irgend möglich ist, müssen die Kranken zur Behandlung ins Lager kommen resp. getragen werden. Infolgedessen sammeln sich morgens Hunderte von Menschen an. Wegen der häufigen starken Regen, Avelche hier gerade am Vormittag niedergehen, war es erforderlich, für diese Leute Schutzdächer und Hütten anzulegen, unter und in denen sie untersucht, registriert, injiziert und punktiert werden können. Die im Zu- sammenhange hiermit erforderlichen mikroskopischen ITntersuchungen finden in zwei Arbeitszelten statt. Was nun den Fortgang unserer Arbeiten betrifft, so ist zunächst in bezug auf die Diagnose der Trypanosomiasis mitzuteilen, daß die in meinem letzten Berichte erwähnten Resultate der Drüsenpunktionen durch die späteren Untersuchungen weitere ) Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1907, Nr. 2. 526 Bericht üb. d. Tätigkeit d. deutschen Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit. Bestätigung gefunden haben. Es sind seit jenem Berichte noch 190 Drüsenpunktionen gemacht und dabei 184 mal Trypanosomen nachgewiesen. Wir verfügen also bis jetzt über 356 Punktionen mit 347 positiven Befunden. Es hat sich auch gezeigt, daß bei den einzelnen Untersuchenden, wie das ja auch nicht anders zu erwarten ist, mit dem Wachsen der Erfahrung und Übung die Ergebnisse immer bessere geworden sind, so daß bei richtiger Auswahl der Fälle die Trypanosomen fast ohne Ausnahme nachge- wiesen werden. Wenn nun aber die Trypanosomen so regelmäßig zu finden sind, dann ist auch die Annahme berechtigt, daß dieses Symptom bei den Trypanosomiasiskranken ein ganz konstantes ist, das nicht wie das Auftreten der Trypanosomen im peripheren Blutstrom starken Schwankungen unterworfen ist. Damit gewinnt aber auch der Drüsen- befund eine hohe Bedeutung. Er läßt sich nicht nur für die Diagnose verwerten, sondern er gewährt auch sichere Anhaltspunkte für die Beurteilung des Einflusses, welchen etwaige Behandlungsmethoden auf die Krankheit ausüben. Auch die im letzten Berichte erwähnte günstige Wirkung der Atoxylbehand- 1 u n g auf das Befinden der Kranken hat sich im weiteren Verlauf unserer Beobachtungen immer deutlicher herausgestellt. Zum besseren Verständnis der eigenartigen Wirkung dieses Medikamentes wird es zweckmäßig sein, die Kranken in zwei Kategorien, in Leicht- und Schwerkranke zu trennen. Unter L e i c h t k r a n k e n sind solche zu verstehen, welche sich zwar krank fühlen, indem sie eine gewisse Schwäche bei Bewegungen, namentlich der unteren Ex- tremitäten, wahrnehmen und mancherlei Schmerzempfindungen, wie Kopf-, Brust- und Gliederschmerzen, haben, an denen aber neben diesen subjektiven Symptomen objektiv nur die Schwellung der Lymphdrüsen und das Vorhandensein der Trypanosomen in diesen Drüsen festzustellen ist. Die Dauer ihrer Krankheit geben sie gewöhnlich mit einigen Monaten bis zu einem und selbst zwei Jahren an. Zu den Schwerkranken sind alle diejenigen zu rechnen, bei denen weitere, auch objektiv wahrnehmbare Symptome sich geltend machen. Dahin gehören haupt- sächlich sichtbare Störungen der Muskeltätigkeit, welche in den ge- ringeren Graden in Zittern der Glieder, schleppendem oder taumelndem Gang bestehen. Bei weiterer Zunahme der Muskelschwäche können die Kranken nur noch mit Hilfe einer Stockes gehen, oder sie müssen geführt, gestützt werden; schließlich können sie sich überhaupt nicht mehr auf den Beinen halten, selbst nicht mehr sitzen, so daß sie, wenn sie nicht gestützt werden, umfallen und hilflos liegen bleiben. Eine andere Gruppe von objektiv wahrnehmbaren Symptomen der Schwerkranken bezieht sich auf die psychischen Funktionen. Manche Kranken zeigen ein aufgeregtes V/esen und sind beständig in Bewegung. Bei Kindern kann dieser Zustand große Ähnhchkeit mit Chorea haben. Viele sind sehr schreckhaft, sie fahren bei einer unvermuteten Berührung auffallend zusammen. Bei einzelnen Kranken erreicht der Zustand von abnormer Erregüng einen so hohen Grad, daß eine regelrechte Manie mit Anfällen von Tobsucht besteht. In der Regel entwickeln sich aber gleich von vornherein nicht Erregungs-. sondern Schwächezustände der psychischen Funktionen. Die Kranken werden apathisch, schläfrig, in den höheren Graden geradezu stumpfsinnig und somnolent. Das Bewußtsein ist dann mehr oder weniger getrübt und oft gäiazlich erloschen. Bei solchen Kranken stellt sich als ein fast regelmäßiges Symptom Enuresis ein, bei einigen auch unwillkürlicher Abfluß des Speichels. Besonders charakteristische Veränderungen in bezug auf die Herztätigkeit und Körpertemperatur haben wir nicht konstatieren können. Etwa vorkommende Tempe- ratursteigerungen, auf welche andere Beobachter großes Gewicht gelegt haben, lassen sich bei unseren Kranken schon aus dem Grunde kaum verwerten, weil dieselben, wie Bericht üb. d.'Tätigkeit d. deutschen Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit. 527 die mikroskopischen Blutuntersuchungen ergeben haben, sehr oft an Malaria, gelegent- lich auch an Recurrens leiden. Bei den meisten Kranken finden sich außerdem Filarien (Fil. perstans), von welchen Parasiten auch noch nicht feststeht, ob sie nicht Störungen im Gange der Körpertemperatur veranlassen. Eine Kombination von motorischen und psychischen Störungen der geschilderten Art stellt in der Regel das typische Bild der Trypanosomiasis bei den Schwerkranken dar. Natürlich gehört, obwohl dieser Zustand an und für sich schön recht charakte- ristisch ist, zu einer ganz sicheren Diagnose noch das Vorhandensein der geschwollenen Lymphdrüsen und der Nachweis der Trypanosomen in denselljen. In meinem letzten Berichte wurde mitgeteilt, daß die Kranken das Atoxyl in Doppelinjektionen an zAvei aufeinanderfolgenden Tagen erhalten und daß nach einer solchen Doppelinjektion die Trypanosomen aus den Drüsen schon nach sehr kurzer Zeit verschwinden. Die wahrnehmbare Besserung des Krankheitszustandes tritt nun aber nicht so schnell ein, sondern macht sich erst nach drei bis vier Wochen bemerklich. Die L e i c h t k r a n k e n geben an, daß die Schwäche in den Gliedern schwindet und daß sie wieder anhaltend gehen und arbeiten können, was ihnen bis dahin nicht möglich war. Schmerzhafte Empfindungen, namentlich die lästigen Kopfschmerzen nehmen ab und verlieren sich schließlich gänzlich. Daß es sich hierbei nicht um eine Suggestion, sondern um eine durch das Mittel bewirkte wirkliche Besserung handelt, kann man daraus ersehen, daß nicht nur einzelne Kranke solche Angaben machen, son- dern daß Besserungen dieser Art die Regel bilden. Immerhin läßt sich bei den Leicht- kranken der Kurerfolg objektiv nur durch das Verschwinden der Trypanosomen in den Drüsen und dadurch nachweisen, daß sich im Laufe der Behandlung auch bei längerer Beobachtung keine schweren Symptome einstellen. In vielen Fällen läßt sich aber auch eine deutliche Abnahme der Drüsenschwellung feststellen, doch ist dies ohne umständ- liche und fortlaufende Messungen nicht zahlenmäßig wiederzugeben. Um so wertvoller sind daher die Beobachtungen an den Ö c h w erkranken, an denen man sich unabhängig von den oft unzuverlässigen Angaben der Kranken mit eigenem Auge von der günstigen Wirkung des Atox^ds überzeugen kann. Wir haben deswegen soviel Schwerkranke als möglich aufgenommen, um an diesen die Erfolge der Atoxylbehandlung in möglichst zuverlässiger Vv^eise feststellen zu können. Augen- blicklich haben wir zu diesem Zwecke in Bugalla 125 und in Bumangi 55 Schwerkranke in Behandlung. Es befinden sich darunter Kranke, welche so schwach sind, daß sie sich nicht mehr aufzurichten vermögen, welche in bewußtlosem Zustande daliegen und unter sich gehen lassen. Manche machten den Eindruck, als ob sie nur noch kurze Zeit zu leben hätten, und doch sind auch von diesen Kranken unter der Atoxylbehandlung im Laufe von einem bis zwei Monaten eine Anzahl so weit gebessert, daß die Schlafsucht sich vollständig verloren hat, das Bewußtsein wiedergekehrt, die Enuresis geschwunden ist, und daß sie jetzt ohne irgendwelche L^nterstützung gehen können. Selbstverständlich sind wir nicht der Meinung, daß es sich dabei schon um definitive Heilungen handelt, dazu ist die Beobachtungszeit doch noch zu kurz. Aber es ist be- sonders darauf hinzuweisen, daß in allen Fällen, in welchen die Besserung einmal be- gonnen hat, dieselbe auch beständig fortgeschritten ist. LTm nur einige Beispiele von unzweifelhaften Besserungen zu geben, niögen folgende Fälle kurz erwähnt werden. Nr. 236 (Biigalla) T., Mann von 30 .Jahren. Kateehist der französischen Mission. Seit zwei Jahren krank ; kann seit sechs Monaten niclit melar gehen, befindet sicli seit drei Monaten im Schlaf- zustand. Bei seiner Aufnahme am 11. September war er ganz hilf- und willenlos. Er lag beständig im tiefsten Schlaf, ließ imter sich gehen. Aufgerüttelt öffnete er für einige Minuten blinzelnd die Augen, 528 Bericht üb. d. Tätigkeit d. deutschen Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit. gähnte fortwährend und schhef dann wieder ein. Jetzt hat sich die Schlafsucht und damit die Enuresis vollkommen verloren. Er ist bei vollem Bewußtsein, kann gut gehen, macht sogar allein Spazier- gänge. Er spricht ganz verständig und kann aus einem Buche vorlesen. Die Besserung ist noch im Fortschreiten. Nr. 168 (Bugalla) A., Frau von 24 Jahren. Seit drei Jahren krank. Aufgenommen am 1. Ok- tober. Sie ist so schwach, daß sie von ihrem Manne geführt oder vielmehr halb getragen wird. Starke Benommenheit. Läßt unter sich. Zeitweise subnormale Temperatur (prognostisch ein sehr schlechtes Zeichen). Jetzt geht sie ohne Hilfe, läßt nicht mehr imter sich. Temperatur normal. Benommenheit geschwTinden. Geistig noch etwas stumpf, aber in beständiger weiterer Besserung. Nr. 527 (Bugalla) D., Mann von 32 Jahren. Seit zwei Jahren krank. Bei der Aufnahme am 15. Oktober sehr schwach, so daß er nicht imstande ist, zu gehen. Untertemperatur. Puls sehr frequent und kaum fühlbar. Ließ seit drei Monaten unter sich. Stark benommen und fast fortwährend schlafend. Auch jetzt schläft er noch viel, läßt aber nicht mehr unter sich gehen. Kann gehen, wenn er nur von einer Person gestützt wird, während früher zwei Leute dazu erforderlich waren. Geistig freier. Puls langsam und kräftig. Temperatiu" normal. Nr. 87 (Bugalla) K., Mann von 25 Jahren. Seit drei Jahren krank und seit vier Monaten nicht mehr imstande, zu gehen. Am 1. Oktober aufgenommen. Sehr schwach, kann sich nicht allein fort- bewegen und wird von seinem Vater geschleppt. Auf den Boden gesetzt, fällt er um, sobald er nicht mehr gestützt wird. Starke Benommenheit. Enuresis. Zeitweise Untertemperatur. Puls frequent und klein. Jetzt ist er wieder kräftig, kann ohne jede Hilfe gehen und sogar laufen. Benommenheit und Enuresis sind vollkommen geschwunden. Temperatur und Puls normal. Nr. 75 (Bumangi) F., Frau von 25 Jahren. Seit drei Jahren krank. In Behandlung seit dem 25. September. Sie ist so schwach, daß sie ganz unfähig ist, zu gehen. Sie kann nicht eimnal sitzen. Starke Benommenheit. Läßt unter sich gehen. Jetzt ist sie imstande, gut zu gehen. Benommenheit imd Enuresis sind geschwunden. Sie ist geistig klar und zeigt lebhaftes Wesen. Nr. 81 (Bumangi) S., Mann von 35 Jahren. Zwei Jahre krank. Seit dem 22. September in Behandlung. Er ist stark abgemagert, kann nicht gehen, läßt Kot und Urin unter sich. Untertempera- tur. Jetzt geht er am Stock, ist reinlich. Temperatur normal. Gewichtszunahme. Nr. 85 (Bumangi) B., Mann von 30 Jahren. Seit einem Jahre sichtlich krank. Seit dem 5. Sep- tember in Behandlung. Er kann nicht gehen, schläft im Sitzen ein. Ganz stumpfsinnig. Jetzt hat sich die Somnolenz vollkommen verloren. Er ist lebhaft und kann wieder gehen, allerdings noch etwas schwankend. Nr. 20 (Bumangi) T., Mann von 25 Jahren. Seit zwei Jahren krank. Seit 27. September in Behandlung. Unfähig zu gehen. Benommenheit. Enuresis. Jetzt sind Benommenheit und Enuresis geschwunden. Er kann ohne Unterstützung gehen. Bei den hier aufgezählten Kranken wurden vor der Behandlung die Trypanosomen in den Drüsen nachgewiesen. Schon nach der ersten Injektion waren dieselben nicht mehr aufzufinden, bis auf Nr. 85, wo einmal, d. h. vorübergehend, ein einziges Trypano- soma bei der Drüsenpunktion gefunden wurde. Unter den Schwerkranken befinden sich auch solche, bei welchen der Zustand bis jetzt unverändert geblieben ist. Wir müssen abwarten, ob bei diesen die Besserung sich noch später einstellen wird. Es ist aber wohl möglich, sogar wahrscheinlich, daß wegen der langen Krankheitsdauer, welche der Behandlung vorausging, bei manchen Schwerkranken im Zentralnervensystem Veränderungen eingetreten sind, welche nicht mehr vollständig ausgeglichen werden können, und daß bei solchen Kranken trotz der Beseitigung der Trypanosomen eine gänzliche Wiederherstellung nicht zu erreichen sein wird. Es sind das gewissermaßen die Invaliden der Trypanosomiasis. So bedauer- hch dies auch für die betreffenden Kranken ist, so hat es doch für die Bekämpfung der Schlafkrankheit keine Bedeutung. Für diese kommt es ausschließlich darauf an, daß in den infizierten Menschen die Trypanosomen vernichtet werden, und zwar nicht nur in einzelnen Fällen und durch eine langwierige und mühsame Kur, sondern durch eine Behandlungsmethode, welche sich ohne Schwierigkeit auf Tausende von Menschen an- wenden läßt. In dieser Beziehung haben sich die von uns erhaltenen Resultate immer günstiger gestaltet. Bericht üb. d. Tätigkeit . d. Tätigkeit ei manchen Kranken trat sogar eine unverkennbare Verschlechterung ein. Daraus mußte der Schluß gezogen werden, daß die Krankheitsursache, d. h. die Trypanosomen, noch nicht vollständig be- seitigt waren, sondern noch irgendwo im Körper stecken mußten. Aber wie sollten die- selben nachgewiesen werden, da die Drüsenpunktion nicht mehr ausführbar war und die Lumbalpunktion, an welche man in zweiter Linie denken mußte, bei unseren Kranken nicht angewendet werden konnte, weil sie sich derselben sofort widersetzt haben würden. Wir können hier nur solche Untersuchungsmethoden anwenden, welche die Eingeborenen sich gutwillig gefallen lassen. Da blieb denn nichts weiter übrig, als die Blutuntersuchung, mit der wir früher recht ungünstige Erfahrungen gemaclit hatten, wieder aufzunelimen. Dieselbe wurde so lange verbessert, bis sie zu befriedigenden Resultaten führte. Die Schwierigkeit der Blutuntersuchung beruht darauf, daß die Trypanosomen im Blute fast immer nur in sehr geringer Zahl vorhanden sind und außerdem nur anfallsweise auftreten, also nicht jederzeit anzutreffen sind. Unser früherer Mißerfolg hatte seinen Grund darin, daß wir in Ausstrichpräparaten zu geringe jMengen Blut luitersucht hatten. Wenn man aber das Blut in möglichst dicker Schicht und unter Anwendinig eines ge- eigneten Färbeverfahrens untersucht, dann lassen sich die Trypanosomen schon bei erstmaliger Untersuchung in einem großen Prozentsatz nachweisen. '^Verden dann die Untersuchungen in Zwischenräumen von einigen Tagen wiederholt, dann findet man schließlich in allen Fällen glie Trypanosomen. Allzu häufige Untersuchungen sind dazu glücklicherweise nicht nötig. Unter 75 Fällen einer Versuchsreihe lieferte schon die erste Untersuchung 40% positive Resultate, die zweite weitere 20",,. Bis zur fünften Untersuchung waren fast alle Fälle positiv, und nur in zwei Fällen waren sieben und selbst acht Untersuchungen zum Nachweis der Trypanosomen erforderlich. Das Verfahren ist, wenn eine größere Anzahl in Behandlung befindlicher Kranker kontrolliert werden muß, außerordentlich mühsam und zeitraubend; es gibt aber, wie gesagt, ganz zuver- 536 Schlußbericht üb. d. Tätigkeit d. deutsch. Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit. lässige Resultate und ist das einzige, mit welchem wir den Verlauf der Krankheit und den Einfluß von Medikamenten bei unserem Krankenmaterial zu überwachen vermögen. Für schnelle Diagnosen bleibt natürlich die Drüsenpunktion immer noch das zweck- mäßigste Verfahren. Mit Hilfe der Blut Untersuchung wurde nun das Atoxyl in seinen verschiedenen Anwendungsweisen und auch andere in Frage kommende Medikamente auf ihre Wirk- samkeit geprüft. Während die Drüsenpunktionen keine wesentlichen Unterschiede in bezug auf die Anzahl der Atoxylinjektionen hatten erkennen lassen, vorausgesetzt, daß nur eine hinreichend große Dosis angewendet war, lehrte dagegen die Blutuntersuchung, daß in dieser Beziehung doch deutliche Unterschiede bestehen. Nach einer einmaligen Injektion von 0,5 g Atoxyl erschienen in einem Falle die Trypanosomen im Blute schon nach 5 Tagen. Nach den von uns in der Regel gegebenen Doppeldosen (je eine Dosis an zwei aufeinanderfolgenden Tagen) blieb das Blut nach dem Aussetzen des Mittels sehr viel längere Zeit frei von Trypanosomen, und zwar traten sie um so später auf, je länger und je regelmäßiger die Behandlung hatte durchgeführt werden können. In einigen Fällen erst nach 3 und selbst 4 Monaten. Bei einer geringen Zahl von Behandelten konnten bis jetzt überhaupt keine Trypanosomen trotz häufig wiederholter Untersuchungen gefunden werden. Um nun aber zu besseren und namentlich dauernden Resultaten zu gelangen, wurde die Behandlung dahin abgeändert, daß mit der Dosis gestiegen wurde, und zwar gingen wir bis zu 1 g Atoxyl (gegenüber 0,5 g der früheren Behandlung), welches in Ab- ständen von 7 bis 10 Tagen injiziert wurde. Nicht wenige Kranke entzogen sich sehr bald dieser stärkeren Behandlung, weil ihnen dieselbe zu schmerzhaft war und auch sonstige unangenehme Empfindungen verursachte, wie Übelkeit, Schwindelgefühl, kolikartige Schmerzen im Leibe. Da diese Beschwerden indessen nur vorübergehend waren, so wurde mit der starken Behandlung fortgefahren. Da stellte sich aber bei einigen Kranken ein Symptom ein, welches uns früher weder bei den unbehandelten Kranken noch bei denjenigen, welche nicht größere Dosen als 0,5 g erhalten hatten, jemals be- gegnet war. Es war dies eine Erblindung, welche sich in verhältnismäßig kurzer Zeit auf beiden Augen entwickelte. Anfangs hofften wir noch, daß dieses Symptom ebenso wie die anderen wieder vorübergehen würde, namentlich auch, da in Europa nach Atoxyl- behandlung mehrfach vorübergehende Erblindung beobachtet ist. Leider trat aber bei unseren Kranken keine Besserung ein, und dieselben sind dauernd blind geblieben. Mit dem Augenspiegel ist an den erblindeten Augen keine Veränderung, auch nicht am Sehnerven, wahrzunehmen. Selbstverständlich haben wir, sobald wir die Überzeugung gewannen, daß die Erblindung durch die Atoxylbehandlung bedingt war, sofort mit der starken Behandlung aufgehört und sind wieder zu den früheren Halbgrammdosen übergegangen. Es ist übrigens noch zu erwähnen, daß die Behandlung mit großen Atoxyldosen in keiner Weise bessere Resultate lieferte in bezug auf das Befinden der Kranken als die Behandlung mit mittelgroßen Dosen. Einige Versuche, tägliche Injektionen von % g AtoxyJ längere Zeit hindurch zu geben, scheiterten sehr bald daran, daß den Kranken diese Behandlung zu beschwerlich war und sie die Fortsetzung derselben verweigerten. Da es ziemlich schwierig ist, bei den Eingeborenen eine Behandlung mit subkutanen Injektionen längere Zeit durchzuführen, so haben wir auch Versuche mit der inneren Anwendung des Mittels angestellt. Zuerst gaben wir das Atoxyl nur einigen Kranken innerlich und konnten vins bald davon überzeugen, daß Dosen von y.^ g sehr gut vertragen Schlußbericht üb. d. Tätigkeit d. deutsch. Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit. 537 werden und auch auf die Trypanofsonien im Blute die erwünschte Wirkung ausüben. Als wir dann aber zu einem gröi3eren Versuche mit. 150 Kranken übergingen, stellte sich doch bald heraus, daß Halbgrammdosen nicht ausreichend sind; denn bei etwa 30% der so Behandelten erschienen die Trypanosomen schon während der Behandlung wieder im Blute. Da größere Dosen, bis zu 1 g, ebenso wie bei der Subkutanbehandlung \^er- giftungserscheinungen hervorriefen, so mußten wir auch diese Behandlungsmethode, welche die Bekämpfung der Schlafkrankheit sehr erleichtert haben würde, wieder fallen lassen. Nachdem die erwähnten Verfahren sich nicht bewährt hatten, sind wir auf den ursprünglich eingeschlagenen Weg zurückgekonnnen und behandeln die Kran- ken wieder mit D o p p e 1 i n j e k t i o n e n von 0.5 g A t o x y 1 in zehn- tägigen Pausen. Auch die Leichtkranken, bei denen früher längere Pausen, bis zu 20 Tagen, gemacht wurden, erhalten jetzt ihre Doppelinjektionen zehntägig. Aller- dings wird diese Behandlung viel länger durchgeführt werden müssen, als wir es bei unseren ersten Versuchen getan haben. Zurzeit haben wir schon wieder ziemlich viele Kranke, welche schon einige Monate in der angegebenen Weise behandelt wurden. Wäh- rend der Behandlung sind nocli bei keinem, obwohl schon Hunderte von Untersuchungen gemacht wurden, Trypanosomen gefunden. Von Zeit zu Zeit werden wir einige von diesen Kranken aus der Behandlung entlassen und dann mittels häufiger Blutunter- suchungen darauf prüfen, ob sie noch Trypanosomen haben. Auch in bezug auf die von E h r 1 i c h in letzter Zeit gemachte wichtige Entdeckung, daß bei Tieren während der Atoxylbehandlung eine Gewöhnung der Trypanosomen an das Gift, die sogenannte Atoxylfestigkeit, eintreten kann, wird unsere jetzige A'er- suchsanordnung über kurz oder lang eine Auskunft geben müssen. Denn wenn auch beim Menschen und der von uns befolgten Behandlungsmethode die Trypanosomen gegen das Atoxyl unempfindlich werden, dann müssen sie allmählich schon während der Behandlung im Blute wieder zum Vorschein kouDuen, was aber, wie gesagt, bis jetzt noch in keinem Falle beobachtet ist. Auch bei laiseren sonstigen Versuchen, die zum Teil, wie bei der inneren Behandlung, mit ungenügenden Dosen ausgeführt wurden, ist uns bis jetzt niemals eine Andeutung von einer sich entwickelnden Atoxylfestigkeit begegnet. Alle Kranken, bei denen sich während der Behandlung mit ungenügenden Dosen Trypanosomen im Blute wieder eingestellt hatten, verloren dieselben sofort vnid dauernd, wenn wir zur Subkutanbehandlung mit Halbgrammdosen und Doppelinjek- tionen übergingen. Neben dem Atoxyl wurden von uns auch a n d e r e M Ittel geprüft, welche sicii bei A'ersuchen an Tieren den Trypanosomen gegenüber wirksam erwiesen hatten oder bei denen man wegen ihres Gehaltes an Arsenik eine solche Wirkung vermuten konnte. So wurde vor allem die a r s e n i g e Säure in der Form des Natrium arsenicosuiti sowohl subkutan als vom Magen aus versucht. Mehrere Kranke erhielten das Mittel in der Maximaldosis, zum Teil auch in noch größeren und wiederholten Dosen. Es wurde danach eine unverkennbare Wirkung auf die Trypanosomen beobachtet, doch blieb dieselbe hinter derjenigen des Atoxyls so weit zurück, daß die arsenige Säure als ein Ersatz für Atoxyl nicht in Frage kommen kann. Zw^ei arsenhaltige Präparate, das Nucleogen von H. Rosenberg (Berlin) und das Arsenfer ratin von G. F. Boeh ringe r u. S. (Mannheim), zeigten entsprechend ihrem geringen Arsengehalt keinen merklichen Einfluß auf die Try- panosomen. Von den Farbstoffen wurden bisher geprüft : T r y p a n r o t (ein verbessertes Präparat, welches Geheimrat Ehrlich zur Verfügung gestellt hatte) und Afridolblau 538 Schlußbericht üb. d. Tätigkeit d. deutsch. Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit. (Dichlorbenzidin aus der Farbenfabrik von Fr. Bayer in Elberfeld). Die subkutane Anwendung dieser Mittel ist recht schmerzhaft, und wir konnten sie deswegen nur in solcher Dosis geben, daß die Schmerzen eben noch erträglich waren. Eine öftere Wiederholung der Injektionen würde sich bei unserem Krankenmaterial nicht ausführen lassen. Bei diesen Mitteln wurde die Prüfung durch Drüsenpunktion vorgenommen. Während nun nach einer Injektion von 0,4 g Atoxyl nach wenigen Stunden die Try- panosomen aus den Drüsen verschwunden sind und lange Zeit wegbleiben, erschienen die Trypanosomen nach Injektion der Farbstofflösungen in keiner Weise beeinträchtigt. Wenn diese Mittel auch bei Tieren, denen man sie in erheblich größeren Dosen geben kann, allein oder in Kombination mit Atoxyl günstige Wirkungen haben können, so ist von ihrer Anwendung beim Menschen nach unseren Erfahrungen wohl kaum ein Nutzen zu erwarten. Bei den außerordentlich zahlreichen Blutuntersuchungen, welche an unseren Kranken ausgeführt werden mußten, sind uns außer den Trypanosomen verschiedene andere Blutparasiten begegnet, welche ein gewisses Interesse beanspruchen. Am häufigsten wurden Filarien, und zwar ausschließlich die Filaria perstans, gefunden. Dieser Parasit ist so häufig, daß es auf den Inseln und am nordwestlichen Ufer des Victoria -Njansa wohl kaum einen Eingeborenen gibt, der frei davon ist. Dies macht es erklärlich, daß frühere Forscher die Filaria als die Ursache der Schlafkrankheit angesehen haben. Irgendwelche Krankheitssymptome, welche man mit Sicherheit auf die Filarien hätte beziehen können, wurden auch bei den mit Filarien stark behafteten Eingeborenen nicht beobachtet. Elephantiasis, welche man anderwärts mit Filarien in ursächlichen Zusammenhang gebracht hat, kommt hier nicht vor. Bekanntlich nimmt man an, daß die Filarien durch die Stiche der Moskitos übertragen werden. Da nun hier fast jeder Mensch Filarien hat, so muß die Ansteckungsgelegenheifc eine sehr häufige und kaum vermeidbare sein, und es war deswegen zu befürchten, daß auch die Mit- glieder der Expedition und die von uns mitgebrachten Küstenleute sehr bald mit Filarien behaftet sein wrden, denn es ist unmöglich, hier die Stiche der Moskitos vollkommen zu vermeiden. Bis jetzt ist glücklicherweise aber eine derartige Infektion nicht vor- gekommen. Auch bei einem Missionar, welcher sich schon seit Jahren in Uganda auf- hält und dessen Blut wegen Malaria untersucht wurde, fanden sich keine Filarien. Merk- würdigerweise fehlen dieselben auch bei einigen eingeborenen Oberhäuptlingen. Da alle diese Personen schon oft von Moskitos gestochen sind, so liegt die Vermutung nahe, daß in hiesiger Gegend und für die Filaria perstans eine andere Art der Übertragung statthat als diejenige durch Moskitos. Malariaparasiten sind hier auch recht häufig. Die Zahl der Fälle, bei denen Malariaparasiten im Blute nachgewiesen wurden, schwankt, je nach der Gegend, aus welcher die Leute stammen, zwischen 20 und 50%. Zum allergrößten Teil gehören die Parasiten der tropischen Malaria an. Quartanaparasiten sind nicht selten, Tertiana- parasiten wurden dagegen nur in wenigen Fällen angetroffen. Merkwürdigerweise werden die Malariaparasiten durch die Atoxylbehandlung bei weitem nicht so beeinflußt wie die Trypanosomen. Sie scheinen an Zahl abzunehmen, da man bei den Behandelten meistens nur einzelne Parasiten und Gameten trifft, aber sie werden doch nicht ganz zum Verschwinden gebracht. Umgekehrt werden die Trypanosomen durch das Chinin nicht merklich beeinflußt. Beide Mittel verhalten sich daher den betreffenden Parasiten gegenüber spezifisch. Weniger häufig als die beiden soeben erwähnten Parasiten wurden Recurrens- spirochaeten gefunden, nämlich bei 14 Eingeborenen, und zwar bei elf Erwachsenen Srhlußbei'icht üb. d. Tätigkeit d. deutsch. Expedition z. Erforscli. d. Schlafkrankheit. ,539 und drei Kindern. Die Erwachsenen hatten nur vereinzelte Spirochaeten im Blute und zeigten keine auffallenden Krankheitssymptome; nur bei einigen war die Körpertempe- ratur für kurze Zeit erhöht. Ganz anders gestaltete sich aber die Krankheit bei den Kin- dern. Diese waren mehrere Tage schwerkrank, in regelmäßigen Zwischenräumen wieder- holten sich diese Anfälle, und, was besonders bemerkenswert war, sie hatten in ihrem Blute sehr zahlreiche Spirillen, ganz so. wie es beim europäischen Recurrensfieber der Fall ist. Das Vorkommen von Recurrens gab Veranlassung, einige Nachforschungen in bezug auf (^rnithodoruszecken, welche bekanntlicli die Überträger der Rekvirrens- spirochaeten sind, anzustellen. Sie wurden denn auch in verscliiedenen Hütten nach- gewiesen, namentlich auch in dem Wohngebäude der Mission. Aus letzterem erhielten wir sechs Zecken, von denen zwei mit Spirochaeten infiziert waren. Ursprünglich war dies Gebäude für uns als Wohnung in Aussicht genommen. Es war mir aber von vorn- herein verdächtig vorgekommen, weil einige Räume desselben von Eingeborenen be- nutzt werden. Ich hatte es deswegen vorgezogen, in dem Missionsgebäude nur unsere Vorräte unterzubringen . Auf der Herreise konnten wir die beiden Grenzstationen des deutschen Schutz- gebiets am Victoria-Njansa, Shirati und Bukoba, besuchen und dort Erkundigungen über das Vorkommen der Schlafkrankheit einziehen. Dieselben ergaben, daß damals auf beiden Stationen von Schlafkrankheit noch nichts bekannt war, und ich konnte dementsprechend berichten, daß bis dahin das deutsche Gebiet am Victoria-Njansa noch seuchenfrei sei. So verhält es sich augenblicklich aber nicht mehr. Vor einigen Wochen erhielt icli die Nachricht, daß in der Landschaft Mageta, 40 km südöstlich von Shirati an den Quellen des Shririaflusses. mehrere verdächtige Kranke angetroffen worden seien. Drei Kranke wurden nach Shirati geschafft und Blut- proben derselben zur Untersuchung eingesandt. In dem Blute von zweien dieser Kranken wurden Trypanosomen nachgewiesen. Damit ist das V o r k o m m e n de r S e u c Ii e in dem S h i r a t i b e z i r k festgestellt. Wenn der Herd der Krankheit sich im Quellgebiet des Flusses, also entfernt vom Ufer des Sees befindet, dann würde dies ein ganz außergewöhnliches Vorkommnis sein. Sollten weitere Anfragen, welche ich nach Shirati gerichtet habe, diese Vermutung bestätigen, dann wäre eine Untersucliung an Ort und Stelle notwendig. Auch im B u k o b a b e z i r k . und zwar in der Landschaft Kisiba, welche der englischen Grenze benachbart ist, hat die Seuche bereits feste n F u ß ge- faßt. Aus jener Landschaft sind in den letzten Monaten nach und nach 58 Eingeborene hierhergekommen, um sich wegen Schlafkrankheit behandeln zu lassen. Unter diesen Leuteii befinden sich 28, bei denen Trypanosomen nachgewiesen werden konnten. Die übrigen sind als Ruderer inid zur Pflege der Kranken mitgefahren. Von den 28 Kranken sind 24 Männer und 4 Frauen. Die Bewohner von Kisiba sind eifrige Seefahrer und unter- nehmen mit ihren Booten häufige Reisen nach Uganda und nach den Seseinseln. Daher kommt es, daß die kranken Männer schon sämtlich Uganda oder die Seseinseln früher besucht haben und sich dort auch infiziert haben können. Aber die vier Frauen haben Kisiba niemals verlassen und können nur dort infiziert sein. Die Leute kennen auch die Glossina palpalis, von welcher ihnen lebende Exemplare gezeigt wurden, sehr gut, und sie sagen, daß diese Fliegen bei ihnen am Seeufer vorkommen. In den verschiedenen Dörfern sollen sich noch viele Schlafkranke befinden. Es kann somit kein Zweifel 540 Schlußbericht üb. d. Tätigkeit d. deutsch. Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit. bestehen, daß auch in Kisiba ein Seucheherd, und anscheinend ein ziemhch bedeutender, sich gebildet hat. Auch hier wird eine Untersuchung des Herdes erforder- lich sein, welche ich, sobald die Regenzeit beendet ist, zu unternehmen gedenke. Schließlich habe ich noch über den Abschluß eines Versuches zu berichten, welcher in einem früheren Berichte (Muanza, den 31. Juli 1906) erwähnt ist. Es handelt sich um die Insel Sijawanda bei Muanza, auf welcher zahlreiche Glossinen vorkommen. Diese Insel sollte teilweise durch Abholzen fliegenfrei gemacht werden. Das Abholzen ging etwas langsam vonstatten, weil nur wenige Arbeiter zur Verfügung standen. Bei der Abreise der Expedition von Muanza war deswegen das Experiment noch nicht beendigt, und ich habe daher Herrn Oberarzt Dr. Radioff in Muanza gebeten, den weiteren Verlauf zu überwachen, was derselbe auch in dankenswerter Weise getan hat. Er teilte mir am 14. Dezember 1906 mit, daß die Insel bis auf einen kleinen Taleinschnitt, welcher seine Vegetation behielt, abgeholzt wurde. An einer Stelle des Ufers blieben auch die im Wasser wachsenden Ambatschbüsche stehen. Nachdem dies geschehen, wurde die Insel von Herrn Dr. R a d 1 o f f wiederholt besucht, und es wurde festgestellt, daß niemals in dem ganzen abgeholzten Gebiet Glossinen angetroffen wurden. Dagegen fanden sich an den Ambatschbüschen einige wenige und zahlreiche Glossinen in dem nicht ab- geholzten Einschnitt. Der Versuch ist somit vollständig gelungen und liefert wiederum ein Beispiel dafür, daß die Glossinen, wo es darauf ankommt, leicht zu vertreiben sind. Das Abholzen ist auch keine kostspielige Maßregel. Es wird am See von den Dampf- schiffen sehr viel Brennholz gebraucht, und bei unserem Versuch hätten die Arbeits- kosten durch etwaige Verwertung des gewonnenen Holzes als Brennholz nach einer angestellten Berechnung reichlich gedeckt werden können. Sese, den 5. September 1907. Aus Kisiba habe ich die Nachricht erhalten, daß bis Ende August 365 Kranke in Behandlung genommen waren. Dieselben waren fast sämtlich aus dem Sultanat Kisiba, während aus dem benachbarten Sultanat Bugabu, wo wir bei unserem Durch- marsch auch zahlreiche Fälle von Schlafkrankheit angetroffen hatten, sich nur wenige Kranice eingefunden haben. Sobald Stabsarzt K u d i c k e einen Lazarettgehilfen er- halten hat, was bis jetzt noch nicht möglich zu machen war, beabsichtigt er selbst nach Bagabu zu gehen, die Kranken aufzusuchen und in das Lager bei Kigarama zu bringen. Sollte sich aber herausstellen, daß die Bugabuleute ihr Land nur sehr ungern verlassen, dann wird es geraten sein, auch in Bugabu ein Krankenlager zu errichten und mit einem Arzt zu besetzen. Alle Bemühungen, in demjenigen Teil von Kisiba, wo die Krankheit vorzugs- weise herrscht, die Glossina palpalis aufzufinden, sind vergeblich gewesen, und es kann wohl jetzt schon als sicher angenommen werden, daß die Fliege in diesen Gegenden nicht vorkommt. Dementsprechend konnte auch immer wieder festgestellt werden, daß die Kranken sich nicht in Kisiba, sondern in Uganda, wo sie sich längere Zeit auf- gehalten hatten, infiziert haben. Die einzige Ausnahme machten einige Frauen, deren Zahl jetzt 15 beträgt. Diese hatten Kisiba niemals verlassen und können nur hier den Krankheitskeim aufgenommen haben. Nun ist aber weiter festgestellt, daß die Frauen sämtlich verheiratet sind, daß ihre Männer entweder an Schlafkrankheit gestorben sind oder, sofern sie noch leben, an dieser Krankheit leiden. Besonders wichtig für die Deutung dieses Vorkommens von Schlafkrankheit bei verheirateten Frauen ist, daß Schlußbericht üh. d. Tätigkeit d. deutsch. Expedition z. Krforscli. d. Schlafkrankheit. 541 in einem Falle ein 3Iann mit Trypanosomiasis drei Frauen hat und dal.^ alle drei Frauen nachgewiesenermaßen ebenfalls an Trypanosomiasis leiden; eine davon ist bereits schwer- krank. H i e r a u s m u ß g e s c h 1 o s s e n w e r d e n, d a ß d i e I n f e k t i o n n u r durch den ehelichen Verkehr in diesem Falle bewirkt sein k a n n. Dasselbe gilt dann auch von den übrigen Frauen : denn wenn irgendeine andere Ursache, z. B. blutsaugende Insekten, die Krankheit in Kisiba von Infizierten auf Ge- sunde übertragen würde, dann müßten nicht ausschließlich Frauen erkranken, deren Männer an Trypanosomiasis leiden, sondern auch Frauen von gesunden Männern, ferner unverheiratete Frauen. Kinder und ältere Leute, welche doch auch in enger Berührung mit den Infizierten leben. Uberhaupt sind die Verhältnisse in Kisiba. wo es viele Kranke, aber keine Glossinen gibt, außerordentlich lehrreich in bezug auf die Frage, ob die Schlafkrankheit auch auf andere Weise als durch die Glossina palpalis übertragen werden kann. Kisiba ist sehr reich an blutsaugenden Insekten. Moskitos verschiedener Art, Stomoxys, Tabanus sind vertreten, außerdem Zecken, welche den Menschen angreifen, auch Ornithodorus. Und doch ist nicht ein einziger Fall bekannt geworden, der durch derartige Krankheits- überträger infiziert wäre. Die Infektion durch den geschlechtlichen Verkehr betreffend, sei noch darauf hingewiesen, daß bei einer anderen Trypanosomenkrankheit, der Dourine oder Beschälkrankheit, dies der einzige We^g ist, auf welchem die Infektion zustande kommt. Auf einer Exkursion nach der Halbinsel Bvminga traf ich zufällig ein Lager von Gummisammlern, das aus 18 Eingeborenen mit einem Aufseher bestand. Darunter be- fanden sich 15 Männer aus Deutsch-Kisiba. Von diesen Leuten erfuhr ich, daß allein auf Buninga sieben derartige Lager bestehen mit 80 bis 100 Männern aus Kisiba. Da der Gummi aus dem Safte der Gummiliane (Lanclolphia) gewonnen wird, die in den Ur- wäldern am LTfer des Sees wächst, wo gleichzeitig die Glossina palpalis massenhaft vor- kommt, so sind die Gummisammler der Infektion ganz besonders ausgesetzt. Sie ge- hörten denn auch zu den ersten Opfern der Seuche, und nachdem sie weggestorben waren, hat die Gunnnigewinnung eine Zeitlang ganz aufgehört, da sich niemand mehr zu diesem gefährlichen Gewerbe trotz guter Bezahlung hergeben wollte. Jetzt scheint man aber wieder Leute, und besonders in Deutsch-Kisiba, gefunden zu haben, welche sich in LTnkenntnis der Gefahr anwerben lassen und ebenso wie die früheren Sammler der Seuche zum Opfer fallen werden. Als ich die Sannnler untersuchte, fand ich mehrere, welche die Symptome der Infektion bereits in unverkennbarer Weise zeigten. In kurzer Zeit werden sie zu schwach sein, um noch arbeiten zu können. Sie gehen dann in die Heimat zurück, und andere, durch den hohen Verdienst angelockt, werden an ihre Stelle treten. Man erfahrt aus diesem Beispiel, wie es kommt, daß sich in Kisiba so viele Schlaf- kranke befinden. In Shirati sind zurzeit St absarzt F e 1 d m a n n und Oberarzt B r e u e r mit der Bekämpfung der Schlafkrankheit beschäftigt. Ersterer hat mir vor kurzem berichtet, daß bis zum 0. August 143 Schlafkranke sich auf der Station Shirati eingefunden haben und daß, wenn sich die Krankmeldungen in gleicher Weise fortsetzen, die Zahl 200 bald erreicht sein wird. Er hat sich deswegen veranlaßt gesehen, ein Krankenlager, ähnlich dem von Kisiba, zu errichten, dessen Leitung vorläufig Oberarzt B r e u e r übernehmen wird. Stabsarzt F e 1 d m a n n wird später den südlichen Teil des Bezirks Shirati, insbesondere die Umgebung der Mori- und der Marabucht, bereisen, um die Ausbreitung der Seuche auch in diesen Gegenden festzustellen. Da die Zahl der Kranken jetzt schon erheblich höher ist, als ich in meinem vorigen Bericht angenommen habe, und auch noch weiter wachsen wird, wenn der ganze Bezirk demnächst nach Kranken 542 Schluß bericht üb. d. Tätigkeit d. deutsch. Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit, abgesucht wird, so ist es notwendig, daß in Shirati ein Arzt und ein Lazarettgehilfe dauernd stationiert werden. Die Untersuchungen über Substanzen, welche sich im Tierversuch wirksam gegen die Trypanosomen erwiesen hatten und aus diesem Grunde als Ersatz des Atoxyls oder zur Unterstützung desselben in Frage kommen konnten, wurden fortgesetzt. Außer dem ,,Afridolblau" (Dichlorbenzidin H- Säure) von der Farbenfabrik Fr. Bayer u. Co., Elberfeld, über welches ich früher berichtet habe, wurde noch ,,A f r i- d o 1 V i o 1 e 1 1" (Diamidodiphenylharnstoff -|- H-Säure), ein Präparat derselben Fa- brik, geprüft. Dasselbe war aber auch nicht imstande, in den höchsten noch anwend- baren Dosen einen merkbaren Einfluß auf die Trypanosomen auszuüben. Es wurden dann weiter zwei Präparate untersucht, welche von der Fabrik von Leopold Casella & Co. in Frankfurt a. M. auf Veranlassung von Geheimrat Ehrlich eingesandt waren. Es sind dies das Ölsäure Pararosanilin und das Pa rafuchsin- a z e t a t. Beide Mittel wurden innerlich gegeben, da nach früheren Erfahrungen eine subkutane Anwendung sich längere Zeit hindurch nicht hätte ausführen lassen. In täg- lichen Dosen von ^ g wurde das Ölsäure Pararosanilin gut vertragen, auch ein volles Gramm konnte noch gegeben werden. Das Fuchsinpräparat machte dagegen schon in Halbgrammdosen einigen Kranken solche Beschwerden (Magenschmerzen und Er- brechen), daß es ausgesetzt werden mußte, und Grammdosen ertrugen nur einige Kranke. Die Präparate wurden, soweit es sich ausführen ließ, zwei Wochen lang täglich gegeben und zugleich das Blut auf Trypanosomen untersucht. Dabei stellte sich heraus, daß Trypanosomen im Blute auch während der Behandlung öfters nachgewiesen werden konnten, was beim Atoxyl niemals vorkommt. Zum Schluß wurde dann noch die Drüsen- punktion vorgenommen und auch dabei die Trypanosomen gefunden. Eine deutliche Wirkung auf die Trypanosomen konnte somit nicht nachgewiesen werden. Wenn diese Präparate im Tierversuch eine ausgesprochene Wirkung gezeigt haben, so liegt dies daran, daß man Tieren bedeutend größere Dosen geben kann als dem Menschen. Zum Ersatz des Atoxyls sind sie bei der Behandlung der Schlafkranken nicht geeignet. In bezug auf die in meinem früheren Berichte erwähnten Erblindungen, welche im Laufe der Atoxylbehandlung eintreten können, bemerke ich, daß dieselben nicht mehr vorgekommen sind, seitdem wir auf Halbgrammdosen zurückgegangen sind. Dar- aus geht wohl deutlich hervor, daß diese Unglücksfälle in der Tat durch die Atoxyl- behandlung bedingt sind. Insgesamt haben wir 22 Fälle von Erblindung beobachtet, welche wegen ihrer Wichtigkeit in dem ausführlichen Bericht, namentlich in bezug auf die Dauer der Behandlung und Dosierung des Mittels, beschrieben werden sollen. Durch unsere früheren Untersuchungen war festgestellt, daß eine zwei Monate lang durchgeführte Atoxylbehandlung zwar eine kräftige Wirkung hat, indem die kli- nischen Symptome ganz erheblich gebessert und die Trypanosomen zum Verschwinden gebracht wurden, daß aber diese Zeitdauer doch noch nicht ausreichend war, weil bei der Mehrzahl der Fälle die Trypanosomen, wenn auch erst nach Monaten und in langen Zwischenräumen, wieder zum Vorschein kamen. Es war daher notwendig, zu unter- suchen, ob Atoxylkuren von längerer Zeitdauer bessere Erfolge haben würden. Zu diesem Zwecke wurde versucht, die Kranken eine längere Zeit hindurch regelmäßig zu behandeln. In ganz exakter Weise hat sich dies aber in keinem Falle durchführen lassen, weil die Eingeborenen, obwohl sie für medikamentöse Behandlung jeder Art sehr eingenommen sind, doch keine Ausdauer besitzen. Sobald sie sich einigermaßen gebessert fühlen, Sclihißbericht üb. d. Tätigkeit d. deut«ch. Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit. 543 oder wenn sich die Kur in die Länge zieht und ilmen langweihg wird, dann brechen sie dieselbe ab und laufen davon. Sehr viele von unseren Kranken, welche von auswärts gekommen waren, mußten auch deswegen vorzeitig aufhören, weil sie ihr Besitztum nicht länger unbeaufsichtigt lassen konnten, oder weil ihnen die Mittel zum l'nterhalt ausgingen. Dabei mußte natürlicli mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß die Leute wieder zu derselben Stelle zurückkehrten, wo sie früher erkrankt waren, und daß sie daselbst von neuem infiziert werden konnten. Hiergegen ließ sich nichts tun, da wir irgendwelchen Zwang auf die Leute selbstverständlich nicht ausüben wollten und auch unter den hiesigen Verhältnissen gar nicht hätten ausüben können. Ganz anders werden sich aber die Verhältnisse gestalten, wenn es gilt, die Schlafkrankheit regelrecht zu bekämpfen; dann wird man, auch schon im eigenen Interesse der Kranken, auf eine genaue Durchführung der Atoxylbehandlung bestehen müssen. Wenn somit unser Beobachtungsmaterial auch in bezug auf die einzelnen Fälle zu einsehen übrig läßt, so wird doch dieser Mangel durch die große Zahl der uns zur Verfügung stehenden Beobachtungen einigermaßen wieder ausgeglichen, und es 1 a s s e n s i c Ii aus diesem umfangreichen Material folgende Tatsachen ableiten. Bei einem Schlafkranken, welcher nach der von uns befolgten Methode mit Atoxyl behandelt wird, treten niemals während der Behandlung, und wenn dieselbe bis zu 10 Mo- naten dauert, Trypanosomen im Blute auf. Weitere Untersuchungen müssen lehren, um wieviel länger dieser Zeitraum zu bemessen ist. Auf jeden Fall hat sich während der angegebenen Zeit kein Anzeichen von einer Gewöhnung der Trypanosomen an das Atoxyl bemerkbar gemacht, und es hat sich die sogenannte Atoxylfestigkeit, welche beim Tierversuch beobachtet wurde, bei der von uns befolgten Behandlungsmethode am Menschen nicht eingestellt. Man ist somit i m s t a n d e , M e n s c h e n , w e 1 - che an Trypanosomiasis leiden, mindestens 10 IM o n a t e lang i n b e z u g auf ihr B 1 u t f r e i v o n T r y p a n o s o m e n z u h a 1 1 e n u n d damit zu bewirken, daß sie für die Infektion von G 1 o s s i n e n und infolgedessen für die A u s b r e i t u n g d e r K r a n k h e i t unge- eignet, d. h. ungefährlich werden. Diese Eigenschaft des Atoxyls allein würde schon ausreichend sein, um es im Kampfe gegen die Schlafkrankheit mit Erfolg verwenden zu können. Aber es leistet noch erheblich mehr, denn nach dem Aussetzen der Atoxylbehandlung treten zwar bei einer gewissen Anzahl von Kranken nach längerer oder kürzerer Zeit wieder Trypanosomen im Blute auf. Aber je länger und je regel- mäßiger die Behandlung durchgeführt und in je früherem Stadium der Krankheit sie begonnen wurde, um so geringer wird die Zahl derjenigen, welche dm-ch die Atoxyl- behandlung nicht vollständig von den Tryp)anosomen befreit werden. Bei den Leicht- kranke n werden daher die besten Erfolge erzielt, und man kann wohl behaupten, daß die weit überwiegende Mehrzahl derselben durch eine Kur von 4 bis 6 Monaten dauernd von Trypanosomen befreit, also, da sie außerdem nicht die geringsten Krank- heitssymptome aufweist, als vollkommen geheilt anzusehen ist. AVeniger günstig ge- stalten sich die Erfolge bei den Schwer k r a n k e n. Auch unter diesen finden sich nicht wenige, welche durch die Atoxylbehandlung anscheinend hergestellt werden und während der Zeit, in welcher wir sie beobachten konnten, auch unverändert geblieben sind. Andere aber haben sich nach dem Aussetzen des Atoxyls wieder verschlechtert, und manche, welche sich bereits für geheilt hielten und sich deswegen der Behandlung zu früh entzogen haben, sind zugrunde gegangen. Genauere Angaben hierüber, sowie die Mitteilung der betreffenden Beobachtungsreihen und Zahlen muß ich mir für den ausführlichen Bericht vorbehalten. Nur über die Mortalität der unbehandelten und der 54:4 Schlußbericht üb. d. Tätigkeit d. deutsch. Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit. mit Atoxyl behandelten Schlafkranken möchte ich hier einige Ziffern kurz anführen, weil dieselben am besten geeignet sind, den günstigen Einfluß der Atoxylbehandlung zu zeigen. Auf der Missionsstation Bumangi sind bei einem durchschnittlichen Kranken- bestand von 20 Schlafkranken im Laufe von 4 Jahren 212 Todesfälle vorgekommen, das gibt für 100 Kranke und auf 1 Jahr berechnet 265. Auf der Missionsstation Kisubi sind bei einem durchschnittlichen Bestand von 80 Kranken in 3 Jahren 687 gestorben. Auf 100 Kranke kommen also jährlich 287 Todesfälle. Die Mortalität auf beiden Stationen war nahezu gleich. Sie ist auch nicht etwa anfangs niedriger gewesen und erst infolge der Anhäufung der Kranken gestiegen, denn in Bumangi starben schon im ersten Jahre 52, was fast genau dem jährlichen Durchschnitt entspricht. Diese hohen Mortalitätsziffern bedeuten, daß die Schlafkranken in dem Stadium, in welchem sie ins Lazarett gelangen, nur noch 4 bis 5 Monate durchschnittlich zu leben haben. Und in der Tat sind auf beiden Stationen früher, d. h. vor der Atoxylbehandlung, sämtliche Schlafkranke, mit ganz wenigen Ausnahmen, bei denen wohl die Diagnose nicht gestimmt hat, gestorben. Die Zahl unserer Kranken beläuft sich auf 1633. Davon sind im Laufe von 10 Mo- naten gestorben 131, also 8%. Unser Krankenmaterial weicht aber insofern von dem- jenigen der Missionsstationen ab, als sich unter dem unsrigen eine größere Zahl von Leichtkranken befindet. Wenn wir aber auch ausschließlich unsere Schwerkranken in Betracht ziehen, dann ergibt sich auf 374 eine Mortalität von 78 oder 22,9%. Darunter befinden sich jedoch auch die ganz ungenügend Behandelten, welche nur eine oder wenige Atoxylinjektionen erhalten haben. Wollte man diese noch abrechnen, dann würde die Mortalität kaum halb so hoch sein. Die Mortalität bei unseren mit Atoxyl behandelten Schwerkranken beträgt also nicht ganz den 10., vielleicht nur den 20. Teil von derjenigen der nicht mit Atoxyl behandelten Schlafkranken. Daraus geht doch aber mit aller Be- stimmtheit hervor, daß durch eine geeignete Atoxylbehandlung sehr vielen Schlafkranken das Leben gerettet werden kann. Es ist wohl möglich, daß im Laufe der Zeit andere Mittel gefunden werden, welche noch mehr Erfolg haben als das Atoxyl und dann an dessen Stelle treten können. Aber das Atoxyl ist, wenn auch kein unfehlbares Mittel, so doch eine so gewaltige Waffe im Kampfe gegen die Schlafkrankheit, daß man es jetzt schon so viel als irgend möglich dafür ausnutzen muß. Unter Zuhilfenahme unserer bisherigen Erfahrungen wird sich die Bekämpfung der Schlafkrankheit folgender- maßen gestalten. Es sind zunächst stehende Lager zu errichten, in welchen die Kranken unterge- bracht werden. Die Anzahl derselben richtet sich danach, wieviel Kranke aufzunehmen sind, und weiter nach den Entfernungen, welche beim Aufsuchen und beim Transport der Kranken in Betracht kommen. Das Lager muß, damit die Verpflegung der Kranken nicht auf Schwierigkeiten stößt, in nicht zu großer Entfernung von bewohnten Orten, und insbesondere an einem Platze errichtet werden, wo es keine Glossinen gibt. Es steht unter der Leitung eines Arztes, dem ausreichende europäische Hilfskräfte zur Verfügung zu stellen sind. Es ist nicht darauf zu rechnen, daß die Kranken sämtUch freiwillig kommen. Sie müssen aufgesucht werden, und es ist dabei besonders wichtig, die in den ersten Stadien befind- lichen Kranken aufzufinden, welche sich noch nicht krank fühlen, überall hingehen und so vorzugsweise geeignet sind, die Krankheit zu verschleppen. In dieser Beziehung genügt es nicht, die Verdächtigen auf vergrößerte Lymphdrüsen zu untersuchen, es muß auch die Blutuntersuchung nach der von uns befolgten und sehr bewährten Methode gemacht werden. Wie wichtig gerade dieser Punkt ist, lehrt folgendes Beispiel. Schlußbericht üb. d. Tätigkeit d. deutsch. Expedition z. Erforscli. d. Schlafkrankheit. 545 52 junge, kräftige Männer, welche als Ruderer die Fahrt von Kntebbe nach Sese gemacht und dabei fast ununterbrochen 121/2 Stunden gerudert hatten, wurden unter- sucht. Sie selbst hielten sich für gesund, und jeder hätte sie in Anbetracht ihrer körper- lichen Leistungen auch für gesund gehalten. Bei 11 wurden mehr oder weniger ver- größerte Lymphdrüsen am Halse gefunden. Bei einer einmaligen Blutuntersuchung stellte sich heraus, daß sieben Trypanosomen im Blute hatten, und zwar fünf mit ver- größerten Lymphdrüsen und zwei mit normalen Drüsen. Nacli unseren Erfahrungen werden bei einer einmaligen Blutuntersuchung etwa 50 der Trypanosomenträger ge- funden, und es ist anzunehmen, daß bei wiederholten Untersuchungen auch in diesem Falle die doppelte Zahl gefunden sein würde, mithin zehn Leute mit Trypanosomen im Blute bei vergrößerten Lymphdrüsen und vier Trypanosomenträger mit normalen Lymphdrüsen. Nebenbei bemerkt, hatten von diesen 52 anscheinend gesunden Leuten 47 Filaria perstans, 26 Malariaparasiten und 2 Recurrensspirillen in ihrem Blute. So sieht die noch für gesund geltende hiesige Bevölkerung aus. Dies ist übrigens nicht das einzige Beispiel für das Vorkonnnen von Trypanosomen- trägern mit normalen Lymphdrüsen, über welches ich verfüge. Derartige Leute kommen gar nicht selten vor, und es würde deswegen verkehrt sein, die Bekämpfung der Schlaf- krankheit, wie vorgeschlagen ist, ausschließlich auf den Befund der vergrößerten Lymph- drüsen zu begründen. Sämtliche Kranke, welche in dem Lager angesammelt werden, sind einer mindestens 4 Monate währenden regelmäßigen Atoxylbehandlung zu unterwerfen. Sollte ein Avirk- sameres Mittel als das Atoxyl gefunden werden, so tritt dieses an seine Stelle. In der hier skizzierten Bekämpfung der Schlafkrankheit wird dadurch nichts geändert. Nach Be- endigung der Kur muß durch wiederholte Blutuntersucliungen das dauernde ^"erscliwinden der Trypanosomen festgestellt werden. Die Kranken müssen so lange im Lager bleiben, bis anzunehmen ist, daß an ihrem Wohnorte nach Entfernung aller Trypanosomenträger die Glossinen frei von Infektionsstoff geworden sind. Hierüber wissen wir augenblicklicli leider noch nichts; aber es wird nicht schwierig sein, im Laufe der Zeit Beobachtungen zu sammeln, aus denen man den fraglichen Zeitpunkt bestimmen kann. Vorläufig würde ich mindestens 1 Jahr, womöglich 2 Jahre dafür erforderlieh halten. Die Einrichtung von Lagern gilt für alle Stellen, wo Schlafkrankheit vorkonunt. Aber außerdem kommen noch weitere Maßnahmen in Betracht, welche je nach den örtlichen Verhältnissen verschieden sind. So sind gegen die Einschleppung aus anderen Gegenden Verkehrsbeschränkungen, Grenzsperren, internationale Vereinbarungen erforderlich. In Kisiba. wo es fast nur aus Uganda eingeschleppte Fälle gibt, wird dies sogar die wichtigste Maßregel sein. Zum Teil gilt dies aber auch für den Shiratibezirk in bezug auf die Einschleppung vom benachbarten englischen Gebiet und am Tanganjika wegen der Einschleppung vom Kongostaat her, welche nach F e 1 d m a n n s Bericht dort eine wichtige Rolle spielt. In Gegenden, wo eine an Zahl geringe Bevölkerung in ausgedehnten, mit Glossinen besetzten Gebieten lebt, wird neben der Atoxylbehandlung der Erkrankten die Ver- setzung dieser Bevölkerung in glossinenfreie Gegenden das einfachste Mittel zu ihrer Rettung sein. Dieses Verfahren wird voraussichtlich für den dünn bevölkerten Küstenstrich, nördlich von Shirati, das zweckmäßigste sein. In anderen Gegenden wird es sich empfehlen, durch Abholzen d e r S t e 1 1 e n , wo dieGlossina lebt, diese zu vertreiben. Doch wird diese Maßregel wohl immer nur eine räumlich beschränlvte Anwendung finden können. Sie soll beispielsweise, wie in Shirati verabredet wurde, am Seeufer, in der Umgebung der Station, wo ^vereinzelte Glossinen gefunden wurden, ausgeführt werden. Koch, Gesammelte Werke. 80 546 Schlußbericht üb. d. Tätigkeit d. deutsch. Expedition z. Erforsch, d. Schlafkrankheit. Gegen die Glossinen läßt sich dadurch etwas ausrichten, daß man ihnen ihre regel- mäßige Nahrungszufuhr abschneidet. Diese Insekten müssen alle 2 bis 3 Tage Ge- legenheit haben, sich mit dem Blut von Wirbeltieren zu füllen. Woher sie dieses Blut nehmen, kann man durch Untersuchung ihres Mageninhaltes leicht ermitteln. Auf diese Weise haben wir festgestellt, daß an den Ufern des Victoria-Njansa die Glossinen fast nur von Krokodilblut leben. Man würde ihnen also ihre Existenzmöglichkeit sehr ein- schränken, wenn die Krokodile ausgerottet oder doch ihre Zahl erheblich gemindert würde, und das ist nicht schwierig, wenn man darauf ausgeht, den Nachwuchs zu ver- hindern. Die Krokodile haben ganz bestimmte Brutplätze, welche sie immer wieder aufsuchen. Den Eingeborenen sind diese Plätze bekannt, und sie können durch Prämien veranlaßt werden, die Krokodileier zu sammeln und abzuliefern. In früheren Zeiten ist dies, wie ich erfahren habe, auch an dem zum deutschen Gebiet gehörigen Ufer des Victoria-Njansa schon geschehen, aber aus mir unbekannten Gründen wieder aufgegeben. Esscheint mir sehr ratsam, die Vernichtung der Krokodileier wieder aufzunehmen. An solchen Stellen, wo die Glossinen regelmäßig Menschen antreffen und sich dann von diesen ernähren, z. B. an den Wasserentnahmestellen, die man oft in der Nähe der Dörfer am Seeufer findet, oder an Stellen, wo die Boote der Eingeborenen anzulegen pflegen, an viel benutzten Flußübergängen usw. können die Glossinen durch möglichst umfangreiche Abholzungen vertrieben werden. Nach den hier auseinandergesetzten Prinzipien wird in Deutsch-Ostafrika gegen die Schlafkrankheit bereits energisch vorgegangen. Es kommen in dieser Beziehung bis jetzt drei Gebiete in Betracht, in welchen sich die Schlafkrankheit in größerem Um- fange gezeigt hat: Kisiba, Shirati und Tanganjika. In Kisiba und Shirati sind bereits Lager für Schlafkranke errichtet und mit Ärzten besetzt, welche über die Schlafkrankheit und deren Bekämpfung unter meiner Leitung hinreichend informiert sind, und zwar befindet sich in Kisiba Stabsarzt K u d i c k e und in Shirati Oberarzt Breuer. Die Bekämpfung der Schlafkrankheit am Tanganjika wird Stabsarzt Feldmann über- nehmen, welcher dorthin gehen wird, sobald er vom Kaiserlichen Gouvernement in Daressalam die erforderhche Ausrüstung erhalten hat. Jedem dieser Ärzte muß ein Sanitätsunteroffizier zur Hilfe beigegeben werden. Ich halte es auch für sehr zweck- mäßig, diese Stationen, namentlich anfangs, wo es besonders viel zu tun gibt, mit zwei Ärzten zu besetzen, teils um in Erkrankungsfällen den Betrieb nicht ins Stocken kommen zu lassen, teils um auf diese Weise noch mehr Ärzte auszubilden und für den Fall, daß weitere Stationen errichtet werden müssen, geeignete Ärzte zur Verfügung zu haben. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß am Tanganjika wegen der großen Ausdehnung des Seuchenherdes eine einzige Station nicht genügen wird. Es ist ferner zu befürchten, daß bei etwaigen weiterem Vordringen der Seuche in der Richtung nach Süden von Shirati die große Insel Ukerewe ergriffen wird. Auf dieser Insel, welche gegen 30 000 Einwohner haben soll, kommt in den Uferwäldern die Glossina palpalis vor, und es ist deswegen ein Einnisten der Seuche auf derselben sehr wohl möglich. Sie müßte von Shirati aus von Zeit zu Zeit besucht und auf Schlafkrankheit untersucht werden. Das kann aber ein einziger Arzt in Shirati, welcher mit der Beaufsichtigung der weit aus- gedehnten Küste und der Buchten des Morl- und des Maraflusses vollauf zu tun hat, nicht ausführen, es sind dazu weitere Hilfskräfte erforderlich. Nachdem so, wie ich annehme, alles in die Wege geleitet ist, was sich unter den gegebenen Verhältnissen zur Bekämpfung der Schlafkrankheit auf deutschem Gebiet tun läßt, halte ich die Aufgabe der Expedition für gelöst. Ich werde dieselbe daher zu Anfang Oktober nach Beendigung der noch im Gange befindhchen Arbeiten abschließen und am 14. Oktober von Mombassa die Heimreise antreten. Anthropologische Beobachtungen gelegentlich einer Expedition an den Victoria-Nyanza/) Von Dr. R. Koch. Vor zwei Jahren schickte die Deutsche Regierung eine wissenschaftliche Expe- dition unter meiner Führung nach Afrika, mit dem Auftrage, Untersuchungen über die Schlafkrankheit anzustellen. Zu diesem Zwecke brachte ich fast 1 Jahre am Vic- toria-Nyanza zu, und zwar hauptsächlich auf den Sesse-Inseln-). Es fand sich da viel- fach Gelegenheit zu anthropologischen und ethnologischen Beobachtungen, aber meine eigentliche Aufgabe nahm mich dermaßen in Anspruch, daß es mir nicht möglich ge- wesen ist, zusammenhängende Studien zu machen, sondern nur nebenher Material zu sammeln, und ich würde es nicht unternommen haben, Ihnen dieses Material vorzulegen, wenn nicht der dringende Wunsch unseres Herrn Vorsitzenden mich dazu bestimmt hätte. Ich bitte also, meine Herren, Nachsicht zu üben, wenn das, was ich Ihnen heute Abend biete, nicht den Anforderungen entspricht welche Sie mit vollem Recht zu stellen gewohnt sind. Ein Blick auf die Karte zeigt, daß die Sesse-Inseln in der Nordwestecke des Sees gelegen sind. Sie gehören zu dem nördlichen, englischen Gebietsanteile des Sees, das bis zum 1" s. Br. reicht, wo das deutsche Gebiet beginnt. Die Völker, welche am Ufer und auf den Inseln wohnen, gehören zu den Bantus- stämmen ; doch ist es mir vorgekommen, als ob diese Bantu doch nicht mehr ganz rein sind, sondern einen Mischtypus vorstellen. Ich glaube, daß es hauptsächlich haniitische Völker waren, welche nach dem Süden zu fluteten, und sich sicher mit den am See an- sässigen Völkerschaften gemischt haben. Ein Volksstamm, der von Norden gekommen und ganz hamitischer Rasse ist, sind die Wahima, von deren auffallender Körpergröße Sie gewiß schon gehört haben. Es ist das ein Hirtenvolk, dessen Rinder sich durch un- geheuer große Hörner auszeichnen. Sie sind erobernd aufgetreten und haben sich die Landschaften im Norden und Westen des Sees unterworfen, und herrschen noch jetzt im Lande Ruanda. Auch auf den Inseln sollen sie zeitweise geherrscht haben, und ich habe dort noch einige Wahimas als Hirten angetroffen. Außerdem scheinen auch die Pygmaeen hier eine Rolle gespielt zu haben, denn man findet jetzt noch Reste von den Pygmaeen an dem riesigen Vulkan Mount Elgon, und ebenso in den vulkanischen Bergen nördlich vom Kiwu-See, wie Sie aus den Schilderungen von K a n d t wissen. Es werden auch noch andere, z. B. nilotische Völkerschaften angegeben, doch würde es zu weit führen, hier darauf einzugehen. Alle diese Völkerschaften haben also zu diesem Völkergemisch beigetragen. Dem Aussehen nach handelt es sich allerdings um einen ganz bestimmten Typus der BantuvöUcer, aber in ihrem Wesen, ihren Sitten, ihrer Kleidung usw. unterscheiden sich die verschiedenen VöUier am Victoria- See ganz außerordentlich voneinander. Es ^) Vortrag in der Berliner Anthropologischen Gesellschaft am 21. März 1908. Aus Zeit- schrift für Ethnologie, 1908, Heft 3. Verlag von Behrend & Co., Berlin. In diesem und dem folgenden Vortrag ist (fälschlich) durchweg ,,Sesse" gedruckt, während es in den meisten anderen Aufsätzen richtig „Sese" heißt. D. Herausgeber. 80* 548 Anthropologische Beobachtungen gelegentlich einer Expedition an den Victoria-Nyanza. hängt dies mit den Witterungsverhältnissen am See zusammen und bietet ein lehr- reiches Beispiel, wie das Klima auf denselben Volksstamm so außerordentlich beein- flussend wirken und ihm ein ganz besonderes Gepräge geben kann. Über den See hinweg geht das ganze Jahr und fast ausschließlich ein Luftstrom, von Südosten kommend, nach Nordwesten und bringt trockene Luft, so daß das- Steppen- klima mit seiner Vegetation bis unmittelbar an die Ufer des Sees reicht. Wenn man um den See von Norden her, also von der Kabirondobucht aus herumgeht, so kommt man auf der Ostseite beständig durch solches Steppenland, und das zieht sich auch um das Südufer herum und noch etwas auf der Westseite hinauf. Geht man hier nach Norden, so kommt man in ein ganz feuchtes, regenreiches Klima. Das kommt davon, daß der Fig. 1. Quet)a mit Unterhäuptlingen und Weibern. herrschende trockene Steppenwind sich über dem See mit Feuchtigkeit sättigt und als feuchte Luft, die zu Wolkenbildung und Regen neigt, an der Westküste anlangt. Da finden wdr dann auch eine ganz andere, eine üppige und tropische Vegetation, in der die Banane gedeiht. Hier treiben die Völker Bananenkultur und benutzen eine Ficus- art, um sich aus der Rinde Kleidungsstoffe zu machen ; und so spricht man von Völkern, die Bananen essen und in Rindenstoffe sich kleicien. Die Völker im Steppenklima haben ganz andere Ernährungsverhältnisse und Be- kleidungsweise. Ich möchte zunächst im Bilde einige Typen vorführen von den Völkern, die Ba- nanen essen und sich in Rindenstoffe kleiden. Da ist im ersten Bilde Fig. 1 der Ober- häuptling von den Sesse-Inseln, der den Titel Queba führt. Er ist von der englischen Regierung anerkannt und nicht mehr in Rindenstoffe gehüllt, sondern kleidet sich wie ein Araber, was für diese Leute als der Tj'pus der Vornehmheit gilt. Das Bild zeigt ihn umgeben von seinen Unterhäuptlingen und seinen fünf Weibern^). ') Der Queba ist ein sehr kluger Mensch, was sich auch auf der Abbildung in seinem Ge- sicht ausspricht. Wenn er ausgeht, hat er immer ein Gefolge bei sich und läßt sich auch immer seinen Lehnstuhl nachtragen. Anthropologische Beobachtungen gelegentUch einer Expedition an den Victoria-Nyanza. 549 Ich möchöe bei dieser Gelegenheit bemerken, daß die Missionen schon außer- ordentUchen Einfluß in dieser Gegend gewonnen haben, sowohl katholische wie englisch- protestantische Missionen. Beide haben schon eine Menge von Bekennern erworben, und die Häuptlinge sind alle mehr oder weniger christlich. Aber wie dünn der Firnis des Christentums an ihnen haftet, kann man schon daran sehen, daß der Queba so viele Frauen hat; mit fünf ist er abgebildet, aber er hat wahrscheinlich noch viel mehr. Die Fig. 2. Fig. 3. Ruderer. Frau in Baststoffkleidung mit Bananentraube. Missionare wissen das sehr wohl, drücken aber ein Auge zu. Die zum Christentum Be- kehrten erkennt man oft schon daran, daß sie das Kreuz und den Rosenkranz tragen. Unter den Eingeborenen der Sesse-Inseln findet man außerordentlich kräftige und muskulöse Gestalten, denen man nicht ansieht, daß sie schon die Schlafkrank- heit haben. Wenn ich hier von Schlafkrankheit spreche, so heißt das, daß sie Trypano- somen in ihrem Blute haben; aber allmählich geht diese Trypanosomiasis in die Schlaf- krankheit über. Auch unser Ruderer, den das zweite Bild zeigt, und der als ein schöner Typ der Inselbewohner gelten kann, hatte schon Trypanosomen, ohne daß man ihm etwas anmerkte. Diese Leute können anfänglich noch den ganzen Tag rudern, und wenn sie schlaff werden, so stimmt der Bootsführer ein Liedchen an, das ganz reizend klingt und nach dessen Takt sie dann wieder mächtig ausgreifen. Die Ernährung der Bewohner der Sesse-Inseln ist also, wie ich schon sagte, eme vegetabilische. Sie sind echte Vegetarier, denn sie leben ausschließlich von Bananen; diese werden aber nicht als Obst gegessen, sondern unreif, noch bevor die Stärke sich in Fruchtzucker verwandelt hat. Zu dem Zwecke wird die Frucht geschält, gedämpft, und zu einem Brei, ähnlich wie Kartoffelbrei, verarbeitet. Außer den Bananen werden noch einige andere Vegetabilien kultiviert, z. B. die 550 Anthropologische Beobachtungen gelegentlich einer Expedition an den Victoria- Nyanza. süße Kartoffel, Ipomoea. Maniok, Colocasia. und etwas Mais, aber außer dem Mais ist es Frucht, die sich nicht hält. Die Banane dagegen hat den Vorteil, daß sie das ganze Jahr hindurch Früchte liefert. Die Leute brauchen also keine Vorräte anzulegen, und deshalb findet man bei ihnen auch keine Vorratshütten. Die Banane ist hier auch so wenig abhängig von klimatischen Schwankungen, daß fast niemals Nahrungsmangel eintritt. Fig. 4. Pombe-Bereitung. Männer in den Trögen stehend; Kürbisflaschen. Fleischnahrung gibt es fast gar nicht. Allerdings hat man da auch Rindvieh, aber das ist im Besitz der Häuptlinge, und ich habe nicht gesehen, daß etwas davon geschlachtet wäre. Es wird mehr als ein Vermögensobjekt (pecunia) angesehen. Ziegen werden auch nur ganz ausnahmsweise geschlachtet. Trotzdem sind die Bewohner der Sesse-Inseln keine Verächter der Fleischkost. Wenn ein Flußpferd geschossen wurde, welches ja viele Zentner Fleisch liefert, so war es im Umsehen aufgegessen. Ich habe sogar beobachtet, daß sie Krokodile gegessen haben, allerdings nicht ganz offen, sondern hinter meinem Rücken. Man nimmt an, daß zur Ernährung einer Familie 4 — 500 Bananenpflanzen aus- reichend sind. Sie bilden dann einen kleinen Hain, in dessen Mitte die Hütte liegt. Eine Anzahl solcher Bananenhaine mit ihren Hütten bilden dann ein Dorf. Ich habe Dörfer gesehen, welche bis zu Tausend solcher Bananenhaine hatten, und man brauchte eine Stunde und mehr, um durch ein solches Dorf zu kommen. Die Bearbeitung der Eingeborenen-Pflanzungen wird durch die Frauen besorgt. Es ist ganz eigentümlich, wie die Arbeiten zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht nach bestimmten Grundsätzen getrennt sind. Ähnlich wie an der Südsee muß die Frau alle Erdarbeiten, besonders die Bearbeitung des Bodens für die Pflan- zungen besorgen. Dem Manne fallen die schweren Arbeiten zu, z. B. wenn es darauf ankommt. Bäume zu fällen und Urwald auszuroden. Wenn danach gepflanzt wird, tritt die Frau in Tätigkeit. Das dritte Bild zeigt eine junge Frau, welche aus ihrer Schamba, ihrer Hütte, eine Bananentraube geholt hat. Sie werden erkennen, daß es eine besonders große Art ist, die dort kultiviert wird. Die Banane wird nicht nur als Nahrungsmittel verwertet, sondern die Eingeborenen bereiten sich auch ein Genußmittel daraus, die Pombe, das in anderen Gegenden aus Anthropologische Beobachtungen gelegenthch einer Expedition an den Victoria-Nyanza. 551 Hirse oder aus Zuckerrohr hergestellt wird. Sie machen es ganz heimlich; aber es ist mir doch einmal gelungen, sie dabei zu überraschen und zu beobachten. Ich hatte mir ein paar Schlafkranke in einer Hütte angesehen und hörte hinter der Hütte ein eigentüm- liches Geräusch, das mich veranlaßte, nach hinten zu gehen, und da sah ich denn diese Menschen, die sofort photographiert wurden (Fig. 4). Das Bild zeigt sie in trogartigen Behältern stehend. Solche Tröge, die aus einem einzigen Stück, einem Baumstamm ge- arbeitet sind, findet man fast bei jeder Negerhütte. Um Pombe zu bereiten, wird die Bananentraube in der Negerhütte zum Nachreifen aufgehängt, wozu ungefähr 8 — 10 Tage nötig sind. Dann ist die Stärke in Fruchtzucker verwandelt und gärungsfähig. Darauf werden die geschälten Bananen in die Tröge getan und, nachdem man Wasser dazu ge- geben, mit den Füßen bearbeitet, wie auf dem Bilde zu sehen. Es werden außerdem noch die quirlartig angeordneten Blütenstände der Papyrus- stauden hinzugefügt. Als ich die Leute fragte, weshalb sie das täten, sagten sie mir, wenn man das unterließe, so würde aus der Pombe nichts. Es ist mir wahrscheinlich, daß man damit erst den Gärungserreger hinzusetzt. Die Leute sind stundenlang damit bescliäftigt, um dies Ganze durchzuarbeiten. Dann wird die Flüssigkeit in Kürbis- flaschen gefüllt und der Gärung überlassen, die sehr schnell verläuft. In 2 — 3 Tagen ist das Bier fertig. In betreff der Fleischnahrung kommen zunächst die Fische in Betracht. An Fischen ist der See verhältnismäßig arm. Der größte Fisch ist der Wels, der nicht besonders gut schmeckt. Auch die Eingeborenen machen sich nicht viel daraus. Außerdem kommt noch ein anderer großer Fisch im See vor, der Lungenfisch Protopterus, der eine richtige Lunge hat. In der Regel fangen die Eingeborenen nur kleine Fische. Diese werden auf Stäbchen gezogen, wie Fig. 5 zeigt, getrocknet und geräuchert und dann zu dem Bananenbrei als Zukost genossen. Aber diese Zukost ist eine so geringe, daß sie als Fleischnahrung kaum in Betracht konnnt, und man kann mit Recht sagen, daß diese Menschen fast ganz von Vegetabilien leben. Allerdings ist das insofern viel- leicht noch einzuschränken, als noch einzelne Delikatessen aus dem Tierreich dazu- kommen. So habe ich gesehen, daß einzelne unserer Kranken, wenn sie unterwegs gewesen waren, hinter dem Ohre eine Heuschrecke stecken hatten. Sie tragen sie so nach Hause, um sie dort zu rösten und zu verzehren. Als besondere Delikatesse gelten die geflügelten Termiten, die zu gewissen Zeiten ausschwärmen und dann von den Eingeborenen gefangen werden. Die Termitenhügel sind immer kahl und die schwärmenden Termiten können sofort, ohne Hindernis, ab- fliegen. Sobald aber die Zeit kommt, wo sie ausschwärmen, legen die Eingeborenen Zweige um die Hügel, damit die Termiten sich daratif setzen und nicht gleich fortfliegen. Dann wird ein kleines Feuer gemacht, das einen starken Rauch entwickelt. Davon fallen die Termiten herunter und werden zusammengefegt und geröstet. Auch andere Insekten werden genossen. Man sieht manchmal ganze Wolken von Eint ag.sf liegen, die langsam über das Wasser hinwegziehen und aufs Land kommen. Die Eingeborenen fahren dann mit siebartigen Netzen durch die Schwärme liindurch und bekommen große Mengen der Tierchen hinein. Ihre Zubereitung besteht darin, daß sie zu einer Art Brot verbacken werden. Jagdbares Wild gibt es nicht, außer dem Tragelaphus Speeki. einer Antilope, mit sehr langen Hufen, die sie befähigen, in Sümpfen selbst durch Papyrusdickichte hinzulaufen. Sie schwimmt und taucht vorzüglich, und ich habe sie weit draußen im See, zwei Stunden Kahnfahrt vom Ufer entfernt, angetroffen. Da ich das Blut der Antilope untersuchen mußte, so veranlaßte ich die Einge- borenen, mir ein solches Tier zu beschaffen. Es dauerte nicht lange, da war ein Dutzend 552 Anthropologische Beobachtungen gelegentlich einer Expedition an den Victoria- Nyanza. Fis. 5. n 1 Aufgereihte Pischchen. Hunde besorgt, die mit kleinen Glocken versehen waren. Die Hunde bellen nämlich nicht. Deshalb wird ihnen eine Schnur um den Leib gebunden, an der eine kleine Schelle hängt. Wenn sie also jagen, so kann man sie am Schall der Schelle verfolgen. Es dauerte auch nicht lange, so hatten sie eine Antilope. Wir hatten eine Menge von Kranken rings um unser Lager, und diese Kranken mußten sich nun eine Unterkunft schaffen. Da fanden wir denn Gelegenheit, den Hüttenbau zu beobachten. Gewöhnlich bauten sie sich zunächst eine leichte Hütte, von Schilf ganz notdürftig hergerichtet, aber doch ausreichend, um Schutz gegen den häufigen Regen zu geben. Solche Hütten bauen sich die Träger der Karawanen überall in Afrika. Beim Bau der dauernden Hütten zeigte sich weder die Arbeitsteilung. Die Männer holten Baum- stämme und Äste aus dem Walde, während die Frauen zunächst den Boden herrichteten, indem sie ihn planierten und mit Knüppeln festschlugen. Dann schleppten sie Schilfstengel herbei, die als Sparren dienen sollen. Auf die Sparren werden Grasbüschel gelegt, die von den Frauen mit den Händen aus- gerauft sind und von ihnen herangebracht werden. Es ist eine besondere Grassorte, die nicht befestigt wird und sich bald auf den Sparren festsetzt. In zwei bis drei Tagen ist eine solche Hütte fertig. Bild 6 zeigt eine Frau, welche Gras heranträgt. Die Hütten der Waganda und der Bewohner der Sesse-Inseln sind mit einem dachartigen Vor- sprung über dem Eingang versehen und bieten mitten zwischen Bananen und Collocasien einen i ußerordentlich idyllischen und behaglichen Anblick. Die Hütten der Häuptlinge sind etwas größer, aber ebenso einfach und bienenkorbartig. Indessen fangen die Häuptlinge doch schon an, europäische Muster mit rechteckigem Grundriß nachzuahmen. Es ist ganz natürlich, daß diese Menschen, die in unmittelbarer Berührung mit dem Wasser leben und auf Inseln wohnen, auf schwimmende h'ahrzeuge angewiesen waren, und das hat zur l^'olge gehabt, daß die Sesseleute sehr geschickte I>ootsbauer geworden sind. Es ist aber merkwürdig, daß sie niemals Segel benutzt haben. Die Boote sind schmal und lang und bestehen aus Holzplanken, deren Herstellung sehr mühsam ist, denn die Leute haben keine Säge; alles muß mit der Axt zugehauen werden. Die Planken werden mit den Fasern der Raphiapalme aneinander genäht, aber da die Nähte nicht gedichtet werden, so sickert immer Wasser durch. Auch bei anderen Völkern habe ich solche primitiven Fahrzeuge gesehen, z. B. in der Südsee, aber niemals waren die Boote so undicht wie hier, wo es genug Gummipflanzen im Walde gibt, mit deren Saft die Leute ihre Boote leicht dicht machen könnten; aber das tun sie nicht. Die Boote Fig. 6. Frau, Dachstroh herantragend. Anthropologische Benbaehtimgen gelegentlich einer Expedition an den Victoria- Nyanza. 553 sind mit Bänken versehen, auf denen je zwei Ruderer sitzen. Ein Boot mit 12 Bänken, wie es das Fig. 7 a zeigt, ist also für 24 Ruderer eingerichtet^. Aber davon gehen zwei in der Mitte des Bootes ab. die immerfort das Wasser auszuschöpfen haben. Dann ist noch auffallend ein eigentümlicher, schnabelartiger Vorbau am Schiffe, von dem ich nicht sagen kann, ob er nur ein Schmuck oder wegen des Auffahrens am Ufer angebracht ist. Aber dazu wäre er doch auch nicht nötig. Er bestellt aus einem Holz, das mit dem Kiel verbunden ist, und an dessen vorderes Ende ein aufrecht gebogenes Holz angebunden wird. Es ist häufig mit einem Antilopengehörn verziert oder mit Federn vom Schwänze des Graupapageien; also doch wohl ein Zierrat. (Fig. 7b.) Der aufwärts gekrümmte Schnabel ist einfach angebunden. Quer durch den Bug des Bootes ist ein an beiden Enden Fig. 7 a. Hiiot mit 12 Rnderbänken. Fig. 71». Ruderboote verschiedener Größe. zugespitzter Balken gezogen, welcher zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes dient. Man erkennt in der Abbildung, daß die Ruderbänke aus Balken bestehen, deren Enden durch die Bootswand hindurchgesteckt und außen durch einen Knopf befestigt sind. Die Boote werden nach ihrer Benutzung immer ans Land gezogen. Diese Boote sind so schwach, daß die Fahrt bei dem gewöhnlich starken Wellen- gang des Sees sehr gefährlich ist, was die Eingeborenen sehr wohl wissen, denn wenn sie ^) Dieses Boot war auf Bestellung eigens für die Schlaf krankheitsexpedition von einer eng- lischen Firma in Entebbe besorgt worden, die es von einem Häuptling gekauft hatte. Den kleinen Booten fehlt oft der Schnabel. 554 Anthropologische Beobachtungen gelegenthch einer Expedition an den Victoria-Nyanza. Fig. 8. eine etwas weitere Fahrt unternehmen wollen, bringen sie erst dem Gotte M'Kassa ein Opfer in Gestalt einer Ziege, und sie halten sehr darauf, auch wenn sie (Christen geworden sind. Auch einzelne Europäer haben ge- meint, es wäre doch wohl sicherer, dem Gotte M'Kassa die Ziege zu opfern, be- vor sie ihre Fahrt auf dem See antraten. Die Eingeborenen wagen sich auf diesen Booten auch nicht weit auf den See hinaus. Das Zentrum des Sees soll frei von Inseln sein, aber mit Sicherheit kann man es nicht behaupten, weil noch nie- mand darüber gefahren ist. Niemand hat ein Interesse daran, quer über den See hinüberzufahren, denn der ganze Handels- verkehr der Eingeborenen sowohl wie der Europäer spielt sich am Ufer und von einem Küstenplatz zum anderen ab. Die Eingeborenen behaupten, in der Mitte lägen auch noch Inseln, aber diese seien verzaubert, und man könne sie nicht erreichen, weil sie vor dem, der sich ihnen nähert, zurückweichen; es gebe aber auf der Insel Bukana Leute, welche einen Zauber- trank Dawa (sprich: Daua) machen; wer davon genossen, könne die Inseln erreichen. Aber darauf wohnen wilde, nackte Menschen, deren Begegnung sehr gefährlich ist. Auch ein Seeungeheuer soll im See vorkommen; doch wie es aussieht, habe ich nicht ermitteln Primitives Boot. Pig. 9. Fig. 10. Krieger mit Speer und Schild (aus feinem Geflecht). Zwei Frauen in Rindenstoff ; die eine trägt darunter schon Baumwollzeug und hat, um es zu zeigen, ihr Bastkleid geschürzt. Anthropologische Beobachtungen gelegentlich einer Expedition an den Victoria-Nyanza. 555 Fig. 11. können. Manche beschreiben es als ein großes Krokodil, andere wie ein Flußpferd, oder wie einen großen Fisch. Es wirft die Boote um und die Insassen müssen ertrinken. An einzelnen Stellen habe ich dann ganz primitive Boote (Fig. 8) gefunden und glaube, daß es die ursprünglichen Boote gewesen sind, mit denen sie angefangen haben, auf das Wasser zu gehen. Sie sind aus den Blattstielen der Raphiapalme zu- sammengesetzt. Wenn die Fasern entfernt sind, so bleiben die langen, außerordentlich leichten Stengel übrig, die sich leicht miteinander so verbinden lassen, daß es ein kleines Boot gibt. Ich hatte schon erwähnt, daß die Völker, welche im Westen und Norden des Sees sitzen, sich mit Rindenstoffen bekleiden. Der Baum, von dem sie die Stoffe gewinnen, ist eine Ficusart. Wenn man die abgeschälte Rinde klopft, so gibt das ohne weiteres einen Stoff, der zur Bekleidung dienen kann. Der Baum kann drei- oder viermal ge- schält werden, denn so oft ersetzt er die Rinde wieder. Als Bekleidung wird der Stoff von den Männern anders getragen als von den Frauen. Die Männer (Bild 9) knüpfen ihn ober- halb der einen Schulter zusammen; die Frauen (Bild 10) hüllen ihren Körperbis zu den Achselhöhlen darin ein und legen ihn oberhalb der Brüste fest an. Er reicht ihnen bis auf die Füße, so daß es beim Gehen rauscht, wie wenn bei uns die Frauen eine Schleppe tragen. Man fängt aber schon an, euro- päisches Baumwollenzeug zu benutzen, und die Zeit dürfte nicht fern sein, wo die Rindenstoffe dadurch ganz verdi^ängt werden. Sobald man aus dem Gebiet der Bananenesser und dei' Ficusbäume hinauskommt, ist diese Art der Bekleidung wit abgeschnitten. Von einem Dorfe, wo die Rindenstoffe ge- tragen werden, kommt man ohne Übergang in ein Dorf, wo die Menschen absolut nackt gehen. Im Nordosten, in Kabi- rondo, da findet man diese ganz nackten Leute. In Port Florence, wo die Ugandabahn mündet, findet man auf dem Markte eine ganze Zusammenstellung dieser nackten Völker- schaften, eine wahre Musterkarte, was für die englische Auf- fassung sehr shocking, für den Anthropologen aber sehr inter- essant ist. Kleine Mädchen tragen manchmal einen merkwürdigen großen Ring um die Hüften, wie es Fig. 11 zeigt. Was das be- deuten soll, weiß ich nicht. Es wird wohl ein Schmuck sein. Eigentümlich ist die Art der Begrüßung der Waganda, auch auf den Sesse-Inseln. In Ostafrika hört man sonst nur das Wort jambo, und damit ist die Begrüßung abge- macht. Hier ist das nicht so einfach, sondern sehr umständlich. Wenn Männer sich be- grüßen, so bleiben sie 1 bis 3 Minuten stehen. Dann sagt der eine: Otiana: das bedeutet: geht es dir schlecht ? Die Antwort lautet a, a, d. h. nein. Darauf läßt der erste ein lang- gezogenes hmm hören, womit er seine Befriedigung ausdrückt. Nun werden dieselben Formeln wiederholt, indem der zweite mit Otiana beginnt. Zuletzt sagen beide abwech- selnd hmm, und Johnston, der längere Zeit Gouverneur von Uganda war. behauptet, daß man mindestens sechsmal hmm sagen müsse, wenn man nicht als unhöflich gelten will. Die Frauen knieen zum Gruße nieder und legen die Hände übereinander, oder sie bücken sich nur, etwa wie die Japaner, wenn sie grüßen. Die Fig. 12 zeigt eine Frau in grüßender Haltung. Kleines Mädchen der Kabirondo mit Hüftring. 556 Anthropologische Beobachtungen gelegentlich einer Expedition an den Victoria-Nyanza. Eigentümlich ist ein Hochzeitszug, wie ihn das Fig. 13 zeigt. Die Braut ist in Rindenstoff gekleidet, aber manche von den Leuten tragen schon europäische Baum- woUenstoffe. Die Braut hat eine topfartige Kopfbedeckung, was ich sonst nie gesehen habe. Ein europäischer Regenschirm, der aufgespannt über Fig. 12. sie gehalten wird, soll nicht etwa gegen die Sonne schützen, sondern das ist eine Auszeichnung. Die Musikanten in ihrem Gefolge spielen die Flöte, die Topftrommel und die kleine Leier. So ziehen sie stundenlang umher und machen einen furchtbaren Lärm. So friedlich wie hier auf dem Bilde ist es auf den Sesse-Inseln nicht immer hergegangen. Die Häuptlinge der früher etwa 30 000 Köpfe betragenden Bevölkerung, die jetzt durch die Schlafkrankheit auf 10 000 zusammen- geschrumpft ist, haben viel untereinander in Streit gelegen. Das ist jetzt vollständig vorüber; jetzt gibt es keine Kriege mehr. Unter der englischen Herrschaft hat das aufgehört. Wir konnten aber noch einige Krieger photographieren, die mit Schild und Speer bewaffnet sind. Der Schild ist der- selbe, wie man ihn in ganz Uganda trägt und besteht aus einem sehr künstlichen Geflecht (Fig. 9). Bei den vielen Kranken, die sich an uns wandten, um Hilfe zu suchen, und die sich mit ihren Familien neben unserem Lager ansiedelten, hatte ich selbstverständlich hin- reichend Gelegenheit, Beobachtungen über ihre Lebensweise zu machen und zu sehen, wie die Kranken sich selbst ver- halten und wie die Angehörigen mit ihnen umgehen. Da Frauengruß. waren viele Kinder, bei denen mir die dicken Bäuche auf- fielen. Das kommt von dem Bananenbrei, der ihre fast aus- schlieI31iche Nahrung bildet. So voll müssen sie sich essen, um ihrem Nahrungsbedürfnis zu genügen, und man kann bei ihnen von Bananenbäuehen reden, wie bei uns von K artof f elbäuchen . Fig. 13. Hochzeitszug. Bräutigam in (für den Zweck entliehener) europäischer .Jacke. Anthropologische Beobachtungen gelegentlich einer Expedition an den Victoria-Nyanza. 557 Bei einem Kranken, welcher wegen quälender Geschwüre an den Füßen zu uns kam, lernten wir ein Stückchen Negerjustiz kennen. Mir fiel es auf, daß er keine Ohren hatte und blind war. Die Augenhöhlen waren leer. Wir erfuhren, daß er in eine zu nahe Berührung mit dem Harem eines Sultans gekommen und dabei gefaßt worden war. Da wurden ihm sofort die Ohren abgeschnitten und mit den ]3aumen die Augen aus den Höhlen gedrückt. Es erinnert das an unseren Ausdruck: die Daumen auf die Augen setzen. Man möchte fast glauben, daß er aus einer Zeit stammt, wo eine solche Justiz auch bei uns geübt wurde. In Fig. 14 ist dieser von einem Knaben geführte Blinde auf- genommen. Fig. 14. Fig. 1."). ^'erbreche^, der Augen und der Ohren berauljt. Regenschinnartige Kopfbedeckung. Manche von den Leuten, die zu uns kamen, trugen eine geflochtene regenschirm- artige Kopfbedeckung (Fig. 15), denn fast jeden Tag kam ein sintfluartiger Regen. Wenn man sich einen solchen Regenschirm auf den Kopf setzt, so ist man geschützt und hat doch die Hände frei. Um die Übersicht über unsere Kranken zu behalten, gaben wir ihnen Nummern, welche auf ein kleines Brettchen geschrieben wurden (Fig. 15). VAn Kranker fand bald heraus, daß es viel schöner aussah, wenn er das Brettchen am Kopfe befestigte. Er fand bald Nachahmung, und die Sache ist förmlich Mode geworden. Das ist echt negerhaft. Merkwürdig ist, daß man die Kranken niemals klagen hört. Diese Tausende von Menschen, die alle dem Tode verfallen sind, sind immer vergnügt und zu kleinen Scherzen und Witzen aufgelegt und vertreiben sich die Zeit mit einer Art Brettspiel und anderen Unter h altungen . 558 Anthropologische Beobachtungen gelegenthch einer Expedition an den Victoria- Nyanza. Wenn ein Kranker Kopfschmerzen hat, so läßt er sich an dieser Stelle die Haare rasieren. Andere Kranke schlingen ein Band um die Stelle, wo es schmerzt, also um den Kopf bei Kopfschmerzen, um die Brust bei Brustschmerzen. Diese Kombination von Kopf- und Brustschmerzen ist recht charakteristisch für die Anfangsstadien der Schlaf- krankheit. Für- uns war es angenehm, ohne weiteres zu sehen, wer von den Neuan- gekommenen der Kranke war. Bei der Untersuchung solcher Kranker fand man dann in der Regel Trypanosomen im Blute. Manche Kranke sahen noch ganz kräftig aus, waren aber doch so schwach auf den Füßen, daß sie gestützt werden mußten; wenn man sie losließe, würden sie anfangen zu schwanken und fallen. Die Frauen lassen ihre hilflosen Männer nicht aus den Augen und bemühen sich um sie in ganz rührender Weise. Manche Kranke, die noch gehen können, sind außerordentlich unruhig. Das ge- hört mit zu den Krankheitssymptomen. Sie rennen oft in den Urwald oder ins Wasser und gehen dann zugrunde. Um dies zu verhüten, bleibt nichts weiter übrig, als den Kranken zu fesseln. So führte uns ein Mann seine Frau zu, die er mit einem Strick ge- bunden hatte, den er in der Hand hielt. Andere Kranke waren schon vollständig tob- süchtig. Vor solchen Leuten haben die Eingeborenen große Angst, denn es war vorge- kommen, daß sie die Hütten angezündet hatten. Dagegen gibt es ein Mittel von Ur- zeiten her: die Sklavengabel (Fig. 16). Das ist ein dicker Ast mit einem Paar gabel- förmiger Zweige an dem einen Fnde. Die Gabel wird von vorn her um den Hals gelegt und hinten zugemacht. Dann muß der Mensch beständig mit diesem schweren Knüppel, der ihm vorn vom Halse herunterhängt, gehen und kann nicht mehr davonlaufen. Schwerer Kranke, die schon schlafsüchtig waren, wurden in Netzen getragen, die hängematten artig aufgehängt sind. Ein solcher Mensch schläft nicht beständig; durch Rütteln kann man ihn auf- wecken und ihn veranlassen, Nahrung zu sich zu nehmen; aber sobald man ihn sich selbst überläßt, schläft er wieder ein. Ich besitze die Photographie von einem jungen Mädchen, das den Kopf auf den Schoß der Mutter gelegt hat und da eingeschlafen ist; und eine andere Photographie, wo ein Säugling zu der schlafenden Mutter gekrochen ist und sich die Brust genommen hat. Es kamen natürlich sehr viele Todesfälle vor. Wenn nichts mit den Kranken ge- schieht, dann sterben sie sämtlich. Bis zu unserer Ankunft war nicht ein Fall vorge- kommen, der nicht tödlich verlaufen wäre. Oft bin ich in Dörfer gekommen, wo alles ausgestorben war. Ein Grab vor den Hütten zeigt, wie die Toten bestattet werden. Sie ruhen unter einem einfachen, flachen Hügel aus festem Lehm. Die leeren Hütten, die Gräber davor, die umgefallenen Bäume in der Umgebung, die Verwahrlosung der Bananen- und Tapiokapflanzungen geben ein Bild des Vergehens, des Todes. Obduktionen durften nicht gemacht werden. In Entebbe ist es einmal von eng- lischen Ärzten versucht worden, aber danach waren sämtliche Eingeborenenarbeiter davongelaufen. Wenn nämlich jemand sich mit einem Leichnam beschäftigt, so denken die Leute, daß man ihn auffressen will. Der Bischof Streicher in Kampaila und der Gouverneur Johnston meinten, das wären Reste von Kannibalismus, und es müßten wohl früher auf den Inseln Kannibalen gewesen sein, denn es ist eine Tatsache, daß es augenblicklich dort noch eine geheime Sekte gibt, welche Leichen ausgräbt und auf- frißt, und deshalb werden jetzt von den Angehörigen bei den Leichen Wachen aufge- stellt. Sie glauben, wenn jemand von Leichen ißt, so bekommt er unheimliche zauber- hafte Kräfte und kann sich in wilde Tiere verwandeln, wie in der Sage von unserem Wärwolf. Antluopologische Beobachtungen gelegentlich einer Expedition an den Victoria-Nyanza. 559 Gegenüber von den Sesse-Inseln. auf dem Festlande, haben die Sultanate zwar noch denselben Typus, zeigen aber doch kleine Abweichungen. Im Lande Kisiba, an der Westseite des Sees, südlich vom Kagera-Nil, also zum deutschen Gebiet gehörig, liegen die Hütten der Eingeborenen auch mitten in einem Bananenhain, aber regel- mäßig führt ein von einem Zaun eingefaßter, auffallend breiter Weg zu der Hütte, was auf den Sesse-Inseln nicht vorkommt. Die Leute tragen auch nicht die Rindenstoffe, sondern einen Grasschurz. Manchmal wird dieser Schurz um die Lenden getragen, und manchmal wieder um den Hals, wie es ihnen gerade bequemer ist. Selten haben sie zwei Schurze, einen größeren um den Oberkörper und einen kleinen um die Lenden; oder umgekehrt, wie es die Fig. 17 zeigt. Die kleinen Kinder gehen gewöhnlich ganz nackt. Fig. 10. Fig. 17. Sklavengabel. Knaben mit Grasschurzen. Kürbisflasche. Größere Kinder sieht man schoji mit einer Kürbisflasche gehen, in der sie ihre Pombe haben. Wie auf Fig. 17 zu sehen, steckt in der Flasche ein Schilfrohrstengel, an dem alle Augenblicke gesaugt. wird. Bei LTntersuchung einer großen Anzahl Männer auf Schlaf- krankheit sah ich fast nicht einen einzigen ohne die Pombeflasche. Die Eingeborenen kennen noch ein anderes Genußmittel; das ist die Frucht des Kaffeebaumes, eine fleischige Beere mit zwei Kernen, die noch nicht so hart sind wie unsere getrockneten Kaffeebohnen. Diese Frucht schmeckt sehr angenehm und erfrischend. Der Kaffeebaum ist in ganz LTganda und auf den Sesse-Inseln von altersher heimisch und gedeiht ganz prächtig. Seine Samen sehen aus wie Mokkabohnen. Aber da die Besitzer der Bäume die Ernte an die Sultane abliefern müssen, so haben die Eingeborenen kein 560 Anthropologische Beobachtungen gelegentUch einer Expedition an den Victoria- Nyanza. Interesse daran, die Bäume zu kultivieren: sonst könnte der Kaffee zu einem lohnenden Handelsartikel gemacht werden. Zum Schluß möchte ich Ihnen, meine Herren, etwas mitteilen, was noch völlig rätselhaft ist. Ich kann noch keine rechte Deutung dafür finden. Fig. 18. Gesamtansicht der leisen bei Kisiba mit dun uul i'J und HO dargestellten Zeichnungen. Das >< gibt die Ortsentsprechung für die untere AbV)ildung. Auf der Originalphotographie läßt sich in der Mitte der Höhe, am linken Ende des Quarzganges, eine fein punktierte Stelle erkennen. Auch diese Punkte sind in roter Farbe aufgemalt. Auf der Missionsstation Buanja im Sultanat Kisiba, die von den weißen Vätern besetzt ist, erzählten mir die Missionare, daß ein paar Tage vorher ganz merkwürdige Schriftzeichen auf Felsen gefunden waren. Ich ließ mich dahin führen und fand in grotten- artigen Vertiefungen auf Quarz wänden rote Zeichen aufgemalt. Die Farbe saß ganz fest und war in den Stein so eingewittert, daß man sie nicht abwischen oder abreiben Anthropologische Beobachtungen gelegentUch einer Expedition an den Victoria-Xyanza. 561 konnte. Ich habe versucht, Photographien davon zu bekommen. Auf einem der bei- gegebenen Bilder sieht man ein paar boys, um die Größenverhältnisse zu zeigen (Fig. 18). Das Gestein der steil abfallenden Wände ist Urschiefer. Dazwischen kommen Bänder aus rein weißem Quarz vor, und auf diesen findet man diese Figuren. Wie Schrift- zeichen sieht es nicht aus, denn die Zeichen sind untereinander sehr ähnlich, nur mit kleinen Modifikationen. Fig. 19. Felszeichuungen bei Kisiba. In der Regel haben sie unten fünf Füße, oder nur drei oder vier, und daran einen Stab, auf dem etwas wie ein paar Hörner sitzt, und unter diesen noch ein paar kleine Anhängsel. Mir ist es so vorgekommen, als ob es ein Symbol sein soll, etwa für ein Rind mit seinen Hörnern, so daß ein jedes Zeichen ein Rind bedeutet, und daß die Anzahl der Zeichen, die sich wiederholen, die Anzahl der Tiere, also eine Herde bedeuten soll. Dazwischen finden sich noch Felder mit zahlreichen Punkten, jedes Feld umrahmt von emer unregelmäßigen Kreislinie. Solche Punktfelder sind nur in sehr geringer Anzahl vorhanden. Die Zeichen sind alle in roter Farbe gemalt und müssen sehr alt sein. Der erste Anblick erinnerte an die Buschmannzeichen in Südafrika, aber diese sind doch ganz anders, weil sie wirkliche Objekte darstellen. Man kann nicht daran denken, daß ein Mensch sie aus Langerweile gemacht hat, denn zwei Meilen davon ist eine eben solche Stelle, und als die Eingeborenen merkten, daß wir uns dafür interessierten, führten sie uns fünf Meilen weit an eine andere solche Stelle bei Kigarama und sagten, daß es noch mehr in dieser Gegend gibt. Koch, Gesammelte Werke. 81 562 Anthropologische Beobachtungen gelegentUch einer Expedition an den Victoria-Nyanza. Fig. 20. Felszeichnungen bei Kisiba. Vielleicht ist einer von Ihnen, meine Herren, imstande, darüber eine Auskunft zu geben oder zu sagen, ob man so etwas schon gefunden hat. Die Eingeborenen wußten nichts über den Ursprung. Sie sagten, die Vögel hätten sie mit ihrem Schnabel gemacht. Demnach scheinen sie also älter zu sein als die augenblicklich dort lebenden Einge- borenenstämme . Ich glaube, daß es das erste Mal ist, daß man etwas Derartiges in Zentralafrika gefunden hat. über meine Schlafkrankheits-Expedition.') (Vortrag, gehalten in der Abteilung Berliii-riharlottenbiirg der Deutschen Kolonialgesellschaft.) Von Prof. Dr. R. Koch, Wirklicher Geheimer Eat. Seit etwa zelin Jahren hat sich im Innern von Afrika eine mörderische Seuche entwickelt, die man nach demjenigen Symptom, welches am auffallendsten ist, Schlaf- krankheit genannt hat. Hauptsächlich herrscht diese Krankheit im Kongogebiet und an der Nordküste des Victoria - Njansa. Hunderttausende von Menschen sind schon von ihr dahingerafft worden, und die Krankheit befindet sich immer noch im Fortschreiten. AuchDeutscli-Ostafrika geriet in Gefalir, weshalb unsere Regierung eine wissenschaftliche Expedition dorthin sandte, um die Krankheit einem sorgfältigen Studium zu unterziehen und, wenn möglich, die unserer Kolonie drohende Crefahr noch abzxiwenden. Die Führung der Expedition wurde mir übertragen. Wir schlugen unsern Sitz auf den Sesseinseln auf, wo die Schlafkranlvhcit l^esonders verbi'eitet ist. Vor Ausbruch der Seuche waren auf den Inseln 30 000 Menschen vorhanden; in wenigen Jahren starben davon 20 000, so daß jetzt kaum noch 10 000 Menschen dort leben werden. Es ist aber mit Sicherheit anzunehmen, daß von den Überlebenden mindestens die Hälfte bereits infiziert ist und der Kranlcheit zum Opfer fallen wrd, insoweit es der ärztlichen Kunst nicht noch gelingt, sie zu heilen. Während ich mit den auf dieses Ziel gerichteten Aufgaben beschäftigt war. hatte ich vielfach Gelegenheit, Beobachtungen über das Land und die Leute anzu- stellen, und darüber möchte ich hier berichten. Die Eingeborenen der Sesseinseln leben in Dörfern beisammen. Allerdings liegt dort nicht Haus an Haus, wie bei uns, sondern die Hütten befinden sich inmitten von Bananenhainen. Man hat ausgerechnet, daß 400 — 500 Bananenpflanzen ausreichen, um eine Eingeborenenfamilie das ganze Jahr über zu ernähren. Eine solche Bananen- pflanzung bildet einen Hain um eine Hütte, und mehrere Haine stellen dann ein Dorf dar. Es gibt Dörfer von tausend Bananenhainen. Die Abb. 1 und 6 werden eine Vor- stellung von diesen idyllischen Wohnstätten gewähren. Die Bananen werden dort nicht als Obst genossen; man schneidet sie vielmehr ab, bevor sie reif sind. Sie werden dann geschält und gedämpft und zu einem Brei verarbeitet, der Ähnlichkeit mit unserm Kartoffelbrei hat, aber viel angenehmer schmeckt. Die Bana- nen der Sesseinseln sind ungewöhnlich groß, wie man auf Abb. 2 erkennt, die eine junge Frau darstellt, welche eine Bananentraube anbringt. LTm ihrem Nahrungsbedürfnis zu genügen, müssen die Leute sehr große Mengen Brei zu sich nehmen, und die Kinder essen sich so voll, daß man bei ihnen von Bananen- ^) Verlag von Dietrich Reimer, Berlin, 1908. '-) Am 24. Februar 1908. D. Herausgeber. 81* 564 Über meine Schlafkrankheits-Expedition. bauchen, wie bei uns von Kartoffelbäuchen, reden kann, wie man sich aus Abb. 3 über- zeugen wird. Neben Bananen werden noch süße Kartoffeln, Taro, Mais und anderes gebaut, und getrocknete kleine Fische werden als Zukost genossen; aber das alles ist für die Ernährung von nebensächlicher Bedeutung. Bananenbrei dagegen essen die Leute jahraus, jahrein, weil die Banane das ganze Jahr hindurch Frucht bringt und zudem wenig Pflege braucht, so daß die Ernährungsfrage der Eingeborenen eine sehr ein- fache ist. Auch die Bekleidungsfrage ist nicht so der Mode unterworfen wie bei uns. In ihren Bananenhainen haben die Eingeborenen nämlich aiich sogenannte Rindenbäume stehen, aus deren Rinde einfach durch Klopfen mit einem hölzernen Schlegel ein zeugartiger Stoff hergestellt wird. Diesem Baume, einer nicht näher bestimmten Fikusart, kann man über meine Sehlafkraiikheits-Expedition. 565 unbeschadet drei- bis viermal die Rinde abschälen, denn so oft ersetzt er sie wieder. Der Rindenstoff wird von Männern und Frauen in verschiedener Weise getragen. Die Männer knoten ihn über der einen Schulter und lassen die andere Schulter frei; die Weiber lassen beide Schultern frei und ziehen ihn gewöhnlich oberhalb der Brüste fest zusammen. Geflickt wird der Stoff nicht, wenn er zerreißt, wie man auf Abb. 4 sehen kann. Auf Abb. 5 steht im Vordergrunde ein solcher Fikusbaum, dessen Stamm geschält und daher glatt ist; es fehlen da die Flechten, welche die nicht geschälten Äste reichlich bedecken. Abb. 2. Junge Frau, welche eine Bananent r'aube heranbringt. Abb. 3. Knabe mit Bananenbauch. In diesem Klima gedeiht auch der Kaffeebaum, und in den Bananenhainen erreicht er wdrklich baumartige Größe. Abb. 6 zeigt linlvs von der Hütte einen solchen, 4 — 5 Meter hohen, blühenden Kaffeebaum; ein kleinerer, ebenfalls blühender Kaffeebaum steht gegenüber an der anderen Seite des zur Hütte führenden Weges. Die Bohnen sind klein wie die Mokkabohnen, und sie geben auch ein ebenso gutes Getränlv wde diese, aber zu einem Ausfuhrartikel von irgendwelcher Bedeutung sind sie noch nicht geworden, weil die Eingeborenen kein Interesse daran haben, diese Kultur zu pflegen, denn die Sultane haben die Kaffeebäun;e für ihr Eigentum erklärt und beanspruchen die gesamte Kaffee- ernte für sich. 566 über meine Schlafkrankheits-Expedition. Die Fruchtbarkeit der Sesseinseln, von welcher die Photographien und die vorauf- gehenden Bemerkungen eine Vorstellung geben werden, hängt von dem eigenartigen Klima ab, das durch ihre Lage im Victoriasee bedingt wird. Der Victoria-Njansa, in dessen Nordwestecke diese umfangreiche Inselgruppe gelegen ist, hat 70 000 Quadrat- kilometer Fläche. Da er unter dem Äquator liegt, sollte man annehmen, daß das Klima dort ein recht heißes ist. Das ist aber nicht der Fall. Das Innere von Afrika bildet ein Hochplateau und hat deshalb ein erheblich kühleres Klima als die Küste. Man hat durch- aus nicht die Empfindung, daß man sich unter dem Äquator befindet. Außerdem wird das Klima durch den See und die darüber hinwehenden Winde beeinflußt. hain. Sein Stamm ist ganz glatt, weil Abb. 4. Junge Frau in abgetragener er geschält wurde behufs Gewinnung Bastkleidung. von Baststoff. Der Baum hat augen- scheinlich wenig darunter gelitten und erzeugt neue Rinde. Die vorwiegende, von Südost nach Nordwest gehende Luftströmung kommt aus den Steppenländern, welche im Osten liegen, sättigt sich über der Wasserfläche des Sees mit Feuchtigkeit und kommt dann an der Westküste als eine sehr feuchte, zu Wolken- bildung und Regen geneigte Luft an. Die Folge davon ist, daß der östliche und südliche Teil des Sees ein ganz anderes Klima hat als der westliche und nördliche. Im Osten und Süden herrscht trockenes Steppenklima und im Westen und Norden ein feuchtes, regen- reiches Klima. Die Luftströmung ist gewöhnlich so heftig, daß sich auf dem Victoria- Njansa ein starker Seegang bemerkbar macht. Er sieht dann nicht so aus wie ein Binnen- see, sondern man könnte ihn für ein offenes Meer halten. Abb. 7 und 8 zeigen die Brandung und die langen her anrollenden Wellen. Der Verkehr auf dem See ist ein sehr reger und wird jetzt durch englische Dampf- schiffe vermittelt. Aber bis vor ganz kurzer Zeit konnte man sich nur der Boote der Ein- geborenen bedienen. Auch unsere Expedition benutzte ein solches großes Ruderboot, über meine Schlaf krankheits- Expedition. 567 das früher im Besitz eines der Häuptlinge gewesen war. Abb. 9 wird eine Vorstellung von seiner Größe und Bauart geben. Die Eingeborenenboote haben verschiedene Größen; die kleineren haben nur ein paar Rudersitze, größere aber, wie das unsere, zehn bis fünf- zehn, so daß ein großes Boot, da zu jeder Bank zwei Ruderer gehören, bis dreißig Ruderer Abb. 6. Eingeborenen-llutte. Die Bananeni)t]anzung ist durcli zwei Kaffeebämne verdeckt, die in voller Blüte stehen. haben kann. Zwei Mann aber haben fortwährend mit dem Ausschöpfen des Wassers zu tun, das durch alle Fugen eindringt, denn die Leute verstehen es nicht, die Nähte zu dichten. Das ist sehr auffallend, weil sie das Material dazu in Händen haben, denn sie könnten dazu den Gummisaft der Lianen oder das wohlriechende Harz des Weihrauch- 568 Uber meine Schlafkrankheits-Bxpedition. baumes, des Canarium edule. benutzen, der von den Eingeborenen Mwaffu genannt wird. Unter diesen Umständen müssen vor jeder Benutzung die Boote gründlich nachgesehen werden, ob auch alles in Ordnung ist, denn bei dem gewöhnlich hohen Wellengange ist die Fahrt ohnehin schon gefährlich. Geht ein Boot unter oder ereignet sich sonst ein schwerer Unfall, so ist man rettungslos verloren, da der See streckenweise von Kroko- dilen wimmelt. Die Ufer des Sees sind von einem verhältnismäßig schmalen Saume von Urwald eingefaßt, durch den man sich aber nur schwer einen Weg bahnen kann. Deshalb schlagen die Eingeborenen Lichtungen hindurch, um Landungsstellen für ihre Boote zu gewinnen, wie es Abb. 10 zeigt. Außerdem werden nach Bedarf Fußpfade hindurchgelegt, wie in Abb. 11 zu sehen ist. Nach dem Innern des Festlandes zu schneidet der Wald in der Regel ganz scharf ab, wie es die Abb. 12 zeigt. Die Wasserkante dieses Uferwaldes ist es nun, wo sich jene Fliegen aufhalten, welche den Menschen die Schlafkrankheit ein- impfen. Diese Fliegen (Abb. 16), Glossina palpalis genannt, leben ausschließlich von Blut. Alle paar Tage müssen sie Gelegenheit haben, Blut zu saugen. Aber was für Blut ist dies ? Das festzustellen, war eine wichtige Aufgabe der Expedition. Menschen kommen nicht so häufig nach dem See und nach dem Urwald, um den Glossinen ausreichende Gelegenheit zum Blutsaugen zu bieten. Es mußte also etwas anderes sein. Zuerst ver- muteten wir, daß es die zahlreichen Wasservögel sein würden, weil wir die Fliegen und die Vögel ständig zusammen antrafen. Um diese Frage zu entscheiden, wurden mehr als tausend Glossinen an verschiedenen Stellen gefangen und ihr Mageninhalt untersucht. Aber nicht das erwartete Vogelblut wurde gefunden, sondern fast alle hatten Blut von Krokodilen gesogen. Nun blieb natürlich nichts anderes übrig, als auch die Krokodile zu untersuchen, da es jetzt sicher war, daß das Krokodil irgendeine Rolle bei der Schlaf- krankheit spielen mußte. Es war sogar mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die Krokodile, welche von den Glossinen gestochen werden, in ihrem Blute das Trypanosoma, den Para- siten der Schlafkrankheit, beherbergen konnten, der in Abb. 13 dargestellt ist. Sie mußten daher hierauf untersucht werden. Abb. 7. Seegang auf dem Victoria-Njanza. Uber meine Schlafkrankheits-Expedition. 569 Abb. y. Großes Iläupthngsboot, aus Planken mit Raphia-Bast zusammengenäht und mit eigentüm- lichem Schnabel versehen, der mit einem Antilopengehörn gekrönt ist. Ein an beiden Enden zuge- spitzter Querbalken dicht hinter der Spitze des Bootes dient als Balancierstange. 570 über meine Schlafkrankheits-Expedition. Krokodile zu beschaffen, war aber nicht so einfach. Die Eingeborenen sind nicht imstande, sie mit ihren Speeren zu erlegen, und so mußten wir denn selbst auf die Jagd gehen. Nun ist das Krokodil ein sehr scheues Tier, und es ist nicht leicht, sich anzuschlei- chen. Am besten geht es noch, wenn man versucht, es auf seinem Nest zu überraschen. Das Krokodil legt, wie bekannt ist, seine 60 — 70 Eier in eine Vertiefung im Sandboden, bedeckt sie wieder mit Sand und läßt sie von der Sonne ausbrüten. Aber oft kehrt es auf das Nest zurück, nicht etwa um zu brüten, sondern um die Eier gegen feindliche Tiere zu beschützen. Nach längerer Mühe gelang es mir denn auch, ein Krokodil nahe am Nest zu erlegen. Wir hatten in der Nähe des Wassers eine Stelle gefunden, welche sich dadurch als das Nest eines Krokodils zu erkennen gab, daß sie geebnet und gänzlich von Pflanzenwuchs entblößt war, und daß ein schmaler Gang von hier aus durch das Dickicht hindurch nach dem Ufer führte. Es war das der Pfad, den das Krokodil sich vom Ufer her gebahnt und ausgetreten hatte. Meine Leute aber hatten solche Angst vor dem Tier, daß sie sich erst dann zum Aufdecken und Ausnehmen der Eier bewegen Abb. 10. Uferlandschaft auf den Seseinseln. In den Uferwald ist eine breite Lichtung geschlagen, die zu einer Landungsstelle führt. ließen, als ich mich am Krokodilpfad auf den Anstand gestellt hatte. Bald kam auch ein mächtiges Krokodil aus dem Wasser herangerauscht. Eine Kugel, die ins Gehirn traf, streckte es dicht vor dem Neste nieder. Die Abb. 14 stellt ein anderes Krokodil dar, das ich erst durch einen Schuß in die Wirbelsäule gelähmt hatte, so daß es nicht mehr entrinnen konnte. Nachdem es dann getötet war, wurde es zu den Eiern, die unter- dessen ausgehoben waren, hingeschleppt, um mit den Eiern zusammen photographiert zu werden. Wenn man den Sand vorsichtig von den Eiern abhebt, so findet man öfter in einiger Entfernung neben ihnen kleine Eier liegen, welche ein anderes Amphibium dem Schutze des gewaltigen Krokodils anvertraut hat. Das Nest auf Abb. 15 wurde in dieser Weise aufgedeckt. Die Krokodileier sind noch unberührt und sind in ihrer natürKchen Lage, zum Teil noch von Sand bedeckt, belassen worden. Rechts davon wird man ein Häufchen von sechs oder sieben kleinen Eiern bemerken. Dem ersten bei dem Neste erlegten Krokodil entnahmen wir sofort frisches Blut, um Präparate zu machen und Kulturen anzulegen, und wir hatten in diesem Falle auch insofern Glück, als die Kulturen gelangen, wodurch wichtige wissenschaftliche über meine Schlafkraiikheits-Expedition. 571 Resultate erhalten wurden. Namentlich konnte auch festgestellt werden, daß das Blut des Krokodiles zwar Trypanosomen, aber nicht diejenigen der Schlafkrankheit enthält. Al)l). 11. Urwald mit Fußpfad zmii Wasser. Die an den Waldriesen hängenden Lianen sind Gummipflanzen. Es war nun aber weiter notwendig, mit lebenden Krokodilen Versuche anzustellen. Da es unmöglich ist, mit ausgewachsenen Tieren zu hantieren, so halfen wir uns in der Weise, daß die erbeuteten Eier in der Nähe unseres Lagers in die Erde eingegraben und der Sonne zum Ausbrüten überlassen wurden. Bald hatten wir denn auch junge Krokodile, 572 über meine Schlafkrankheits-Expedition. die sich sehr gut entwickelten. An diesen lebenden Tieren wurden unsere Glossinen gefüttert, und wir konnten uns so davon überzeugen, daß diese Fliegen in der Tat von Krokodilblut leben, allerdings nicht ausschließlich. Auch andere Wassertiere, wie bei- spielsweise Flußpferde, können hier und da Blutlieferanten sein; der Hauptbedarf an Blut wird aber den Krokodilen entnommen. Die Glossina palpahs, Abb. 16, ist ein wenig größer als unsere Hausfliege. Wenn sie ruhig sitzt, so fällt sie sofort durch die charakteristische Stellung der Flügel auf. Die Flügel werden nämlich aufeinandergelegt wie die Blätter einer Schere. Außerdem tlher meine Schlafkiankheits-Expedition. 573 besitzt sie einen starren Stechrüssel, der unsern Stubenfliegen fehlt. Nicht alle Glossinen sind infektiös ; nur einzelne vermögen durch ihren Stich die Trypanosomen einzuimpfen, nämhch nur diejenigen, welche in ihrem Stechrüssel die krankmachenden Trypanosomen enthalten. Bei der Untersuchung von sehr vielen Glossinen fanden wir die betreffenden Trypanosomen nur in einigen Fliegen. Dem Stich der Glossinen sind besonders solche Personen ausgesetzt, welche am Ufer beschäftigt sind, denn die Glossinen halten sich immer am Wasser auf, wo sie ja Abb. 13. Trypanosoma gambiense, der Parasit der .Schlafkrankheit, in drei Exemplaren, 1000 >; vergrößert. Die scheibenförmigen Figuren im Bilde sind rote Blutkörperchen des Menschen. ihre Nahrung finden. Man trifft sie aber nicht überall am Ufer des Victoria-Njansa, sondern nur an solchen Stellen, wo sie Buschwerk zum Rasten finden. Sie bevorzugen einzeln stehende Büsche, vor allen Dingen den Ambatschstrauch, der im Sumpf an der Wasserseite des Uferwaldes so reichlich wächst, dal3 er im "S'erein mit dem Papyrus- dickicht den Zugang zum Wasser erschwert oder ganz verhindert. Häufig steht ein Busch vereinzelt im Wasser, wie es auch die Abb. 17 zeigt. Dieser Ambatschstrauch, Hermi- niera elaphroxylon, ist dafür bekannt, daß er ein sehr leichtes Holz, das sogenannte Korkholz, liefert., welches von den Fischern zu Schwimmern für ihre Netze verwandt wird. Ein Papyrusdickicht, durch welches zwei meiner Leute siöh vergeblich bemühen, einen Weg zu bahnen, zeigt Abb. 18. 574 über meine Schlafkrankheits-Expedition. Die Glossinen fliegen nicht scharenweise, sondern sie kommen einzehi angeflogen; erst eine, dann eine zweite, eine dritte, und bald sind ihrer so viele, daß es dem Opfer, das sie sich ausersehen haben, nicht mehr gelingt, sich ihrer zu erwehren. Wir konnten uns aber dadurch vor ihnen schützen, daß wir sie einzeln wegfingen, sowie sie ankamen. Das wurde uns noch dadurch erleichtert, daß diese Fhegen sich gern auf dunkle Gegen- stände setzen. Deshalb wurde einem meiner Begleiter ein schwarzes Stück Zeug umge- hängt, während wir andern weißeKleidung trugen. Ein zweiter Begleiter mußte dieFliegen, die von dem Schwarz angezogen wurden, mit einem Mullnetz wegfangen. Die Eingeborenen beachten den Stich der Fliege nicht und glauben auch nicht, daß von ihr die Schlafkrankheit ausgeht, denn sie sagen, unsere Väter sind auch schon von der Fliege gestochen worden und sind nicht schlafkrank geworden. über meine Schlafkrankheits-Expedition. 575 Die ersten Opfer der Krankheit waren die am Seeufer beschäftigten Leute, also die Fischer, die Ruderer und die Gurnmisammler, denn die Gummilianen gedeihen nur im Uferwalde, wo die Leute beim Einsammeln des Saftes fortwährend den Stichen der Abb. lö. Krokodileier, unberühi't im Neste; nur der bedeckende Sand ist fortgenommen. Rechts davon ein Häufchen kleiner, die ein anderes eidechsenartiges Tier dem Schutze des mächtigen Kroko- dils anvertraut hat. Fliegen ausgesetzt sind. Infolgedessen sind auf englischem Gebiete die Gunnnisammler schon ausgestorben, und es werden jetzt vielfach Eingeborene aus deutschem Gebiete, durch hohen Lohn angelockt, an ihrer Stelle angeworben. Diejenigen von ihnen, welche 576 über meine Schlafkrankheits-Expedition. nicht schon in der Fremde sterben, sondern zurückkehren, sind alle infiziert, meist, ohne es zu wissen, und so schleppen sie die Seuche in ihre Heimat, auf deutsches Gebiet. Wenn ein Mensch von einer infektiösen Fliege gestochen wird, dann bricht die Krank- heit nicht sofort aus, sondern erst nach Wochen oder Monaten und mitunter selbst erst nach Jahren. Das erste, was bei solchen Kranken auffällt, sind Anschwellungen der Lymphdrüsen, besonders am Nacken; aber auch an andern Stellen können solche An- schwellungen entstehen, z. B. an den Augenlidern. Wenn die Krankheit weitere Fort- schritte macht, dann stellt sich lähmungsartige Schwäche in den Beinen ein, die Kranken können dann nicht mehr gehen, ja nicht einmal stehen. Bei manchen zeigt sich eine große Aufregung ; dann laufen sie zwecklos umher, gehen ins Wasser oder rennen in den Wald und kommen nicht wieder zurück. Wenn diese Unruhe zunimmt, können sie sogar in Tobsucht verfallen und dabei viel Unheil anrichten. Um sich dagegen zu schützen, legen ihre Angehörigen ihnen die sogenannte Sklavengabel an. Wie man aus Abb. 19 ersieht, ist dies ein dicker, schwerer Baumast, dessen eines Ende sich gabelt. Diese Gabel wird dem Kranken von vorn her um den Hals gelegt und hinten geschlossen. So muß der Kranke ständig diesen schweren Klotz mit sich herumschleppen und wird durch ihn an allen schnellen und heftigen Bewegungen gehin- dert. Zur größeren Sicherheit wird er noch an Bast- stricken geführt. Zur Zeit der Sklavenmärkte wurden die Sklaven in dieser Weise gefesselt nach der Küste ge- bracht. Nachdem die Eingeborenen erkannt hatten, daß wir ein Heilmittel gegen diese gefährliche Krankheit besaßen, kamen sie in Massen herbeigeströmt und be- lästigten uns dermaßen, daß unser Lagerplatz eingezäunt werden mußte. Jeder Kranke wurde in eine Liste einge- tragen und erhielt eine Nummer, die er, auf ein Brettchen geschrieben, mit sich herumtrug. Nur auf diese Weise ließ sich eine genaue Überwachung und Beobachtung der Kjanken durchführen. Zeitweilig hatten wir bis zu tausend Kranke. Um eine solche Menge von Menschen unterzu- bringen, mußten Hütten für sie erbaut werden. Das machte weiter keine Schwierigkeiten; in drei Tagen hatten wir in einem Falle 75 Hütten gebaut und so Unterkunft für Hunderte von Kranken mit ihren Begleitern geschaffen. L^nd als das nicht mehr ausreichte, wurde ein großer Schuppen errichtet, der sich mit sehr einfachen Materialien herstellen ließ, wie es Abb. 20 zeigt. Der Mann im Vordergrunde, der seine Bastkleidung malerisch übergeworfen hat, ist einer von den Leuten, denen man noch nicht ansieht, daß sie Trypanosomen im Blute haben. In der Hand trägt er das erwähnte Brettchen mit seiner Krankennummer. Leute, die schon schwach auf den Beinen waren, stützten sich auf einen Stock, der sonst nicht getragen wird, so daß man schon aus dem Stock einen Rückschluß auf die Schlafkrankheit machen konnte. Wo der Stock nicht mehr genügte, wurden die Kranken von ihren Angehörigen gestützt. Schwerkranke brachte man in Netzen oder Hängematten herbei. Unter diesen Leuten Abb. 16. Glossina palpalis, euae Stechfliege, welche diirch ihren Stich die Schlafkrankheit ver- breitet. Die unterste Fliege sitzt ruhig und schlägt die Flügel scherenblattartig über- einander. über meine Schlafkrankheits-Expedition. 577 befand sich auch eine Anzahl solcher, die schon an Schlafsucht litten. Ein derartiger Kranker schläft aber nicht beständig ; wird er angerufen, dann antwortet er noch ; über- läßt man ihn aber sich selbst, so versinkt er sofort wieder in Schlaf. Die Krankheit ist absolut tödlich. Nicht ein einziger Fall ist uns bekannt geworden, daß ein Kranker von selbst genesen wäre. Ganze Dörfer fanden wir ausgestorben; die letzten Bewohner waren meistens geflüchtet. In solchen verlassenen Dörfern waren nur noch die zerfallenen Hütten zu sehen, und die vernachlässigten Bananenpflanzungen Ko ch , Gesammelte Werke. 82 578 über meine Schlaf krankheits- Expedition. ließen erkennen, daß die Bewohner schon lange Zeit fort waren. — So war es bisher. Jetzt sind wir glücklicherweise im Besitz eines Mittels, mit welchem diese gefährliche Krankheit geheilt werden kann. Es ist das Atoxyl. Es können damit nicht nur leichter Erkrankte, sondern vereinzelt auch Schwerkranke geheilt werden, die Mehrzahl der Schwerkranken geht aber doch zugrunde. Abb. 18. Undurchdringliches Papyrusdickicht. Zwei Leute der Expedition versuchen vergebens, sich einen Durchgang zu erzwingen. Meine weitere Aufgabe bestand nun darin. Untersuchungen über das Vorkommen der Glossina palpalis an den deutschen Küstenplätzen des Victoria-Njansa anzustellen. Es ergab sich, daß Bukoba frei ist, dagegen ist die Fliege vorhanden in Shirati an der Ostküste, nahe der englischen Grenze, sowie Muansa an der Südküste. Demnach ist Bukoba nicht gefährdet, denn dazu gehören zwei Faktoren: erstens die Anwesenheit der Krankheitserreger, der Trypanosomen, und zweitens die Anwesenheit der Fhege, über meine Schlafkranklieits-Expedition. 579 welche die Trypanosomen von den Kranken aufnimmt und (^lesunden einimpft. Solche Kranke sind allerdings schon nach Bukoba gekommen, aber der andere Faktor, die Fliege, Abli. 19. Tobsüchtiger Schlafkranker in der Sklavengabel, unter der Aufsicht von zwei Leichtkranken. fehlt, und deshalb kann Bukoba nicht zu einem Seuchenherd der Schlafkranheit werden. In Shirati dagegen sind schon An- steckungen vorgekommen , nachdem infi- zierte Gummisammler die Trypanosomen eingeschleppt haben. Auch in Muansa sind schon Ansteckungen erfolgt . und dieser Ort ist wegen seiner sehr ungünsti- gen hygienischen Verhältnisse ganz beson- ders gefährdet. Muansa ist landwirtschaftlich sehr bevorzugt; es ist der schönste Ort am ganzen See und zugleich von allen Hafen- plätzen der verkehrsreichste; es steht aber in gesundheitlicher Beziehung gegen alle andern Handelsplätze am Victoria-Njansa zurück. Es herrschen daselbst Malaria, Dysenterie und Zeckenfieber und unter der Rinderherde der Station das Küsten- fieber. Alle diese Krankheiten und Seuchen lassen sich aber unterdrücken, weil man ihre Ursachen kennt und sie zu beseitigen vermag. In Muansa liegen die Häuser Abb. 20. Sclilafkranker in der alten Tracht der Eingeborenen, die aus Rindenstoff be- steht und über der Schulter geknotet wird. Im Hintergründe ein Unterkunftsschuppen, leiclitaus Stangen, Eohr und Gras hergestellt. 82* 580 über meine Schlaf krankheits- Expedition. der Europäer mitten unter den Hütten der Eingeborenen, wie es Abb. 21 zeigt. Das ist ein schwerer Fehler, denn so sind die Europäer, trotz aller Sorgfalt, die sie auf die Hygiene im eigenen Hause verwenden, derselben Gefahr ausgesetzt wie die Eingeborenen. Es muß deshalb dafür gesorgt werden, daß die europäischen Niederlas- sungen von den Wohnplätzen der Eingeborenen räumlich weit getrennt werden. Zweitens muß es den Eingeborenen unmöglich gemacht werden, das Wasser zu verunreinigen. Sie waschen die schmutzige Wäsche in dem Bache, der den Ort durchfließt, oder am See- ufer; zugleich aber baden sie sich an denselben Stellen und holen auch ebendaselbst das Trinkwasser. über meine Schlafkrankheits-Expedition. 581 Eine Strandszene, welche Abb. 22 festgehalten hat, wird das zur Genüge erläutern. Wasserpfützen, welche die Brutplätze der Malariamücken bilden, finden sich überall, und auch in dem Bache gedeiht die Mückenbrut ganz vorzüglich. Hier muß unbedingt Abhilfe geschaffen werden durch Beseitigung der Pfützen und Regulierung des Baches, wenn man das Fieber eindämmen will. Um das Rückfallfieber zu unterdrücken, müssen die Zecken vertilgt werden, welche es verbreiten. Diese Zecken leben nicht nur in den Hütten der Eingeborenen, sondern sie kommen auch in die Häuser der Europäer, wo sie sich bei Tage in Mauerritzen und in kleinen Lücken und Löchern des Bewurfes der Mauern verstecken. In diesen Schlui^fwinkeln muß man sie aufsuchen und vernichten. Abb. 22. .Strandszene bei Muansa. Männer sind mit der Wäsche beschäftigt, andere baden sich. An denselben Stellen wird auch Trinkwasser geschöpft. Gegen das Küstenfieber der Rinder gibt es kein anderes Mittel als die Isolierung der erkrankten Herde. Um die Schlafkrankheit nicht aufkommen zu lassen, ist es nötig, die Glossinen aus dem Bereiche von Muansa fern zu halten, und das kann geschehen dadurch, daß man am Seeufer einen breiten Gürtel freihält von solcher Vegetation, welche die Glossinen zu ihrem Gedeihen gebrauchen. Wir können das Vertrauen haben, daß die jetzige Kolonialverwaltung sehr bald alles tun wird, um aus dem ungesunden ein gesundes Muansa zu machen. Bericht über die Tätigkeit der zur Erforschung der Schlafkrankheit im Jahre 1906|07 nach Ostafrika entsandten Kommission.') Von Dr. R. Koch, Kaiserlicher Wirklicher Geheimer Eat. Vorwort. Der nachstehende Bericht über die Tätigkeit der zur Erforscliung der Schlaf- krankheit nach Afrika entsandten Kommission schließt sich den Berichten über die beiden früheren vom Deutschen Reich ausgesandten Expeditionen zur Erforschung der Cholera und der Pest an, welche in den Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Band 3 vom Jahre 1887 und Band 16 vom Jahre 1899 veröffentlicht sind. Derselbe beschränkt sich, ebenso wie seine Vorgänger, auf die Schilderung des Verlaufs der Ex- pedition und die Ergebnisse derselben. Der Bericht ist also keine Monographie der Schlaf - kranliheit, er nimmt keinerlei Bezug auf die späteren Ereignisse und auf solche die Schlaf- krankheit betreffenden Fragen, mit welchen sich zu beschäftigen die Expedition keine Gelegenheit hatte. Ursprünglich bestand die Absicht, die einzelnen Abschnitte des Berichts durch diejenigen Expeditionsmitglieder bearbeiten zu lassen, welche sich vorzugsweise mit dem betreffenden Gegenstand beschäftigt hatten. Aber durch den Tod des Stabsarzt P a n s e und durch die Verwendung der Stabsärzte Kleine und K u d i c k e bei der sich an die Expedition unmittelbar anschließenden Bekämpfung der Schlafkrankheit auf deutschem Gebiet ist es gekommen, daß der Bericht in der Hauptsache von dem Unterzeichneten und von Regierungsrat Beck verfaßt werden mußte und Stabsarzt Kleine nur die Beschreibung von Kigarama und Schirati, welche er aus eigener An- schauung genau kennt, übernommen hat. Um den Bericht möglichst anschaulich zu machen, ist er mit Photographien, Karten und Krankengeschichten reich ausgestattet. In bezug auf die Photographien ist noch zu bemerken, daß sie mit wenigen Ausnahmen von Stabsarzt Kleine aufgenommen sind. Berlin im Mai 1909. R. Koch. ^) Verlag von Julius Springer, Berlin, 1909. Beiiclit üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkranklieit entsandten Kommission. 583 Einleitung. Im Anfang des vorigen Jahrhunderts erfuhr man zum ersten Male etwas über das Vorkommen der Schlafkrankheit durch den englischen Militär- und Kolonialarzt Winterbot to m i) , welcher die Seuche an der Bai von Benin (Westafrika) kennen gelernt hatte. Dann kamen vereinzelte weitere Berichte, aus denen zu ersehen war, daß die Seuche an der Westküste von Afrika vom Senegal bis Angola herrschte. Auch in Westindien, insbesondere auf den französischen Antillen (Guadeloupe und Martinique), wurde eine Anzahl von Fällen bei frisch aus Afrika importierten Negersklaven beobachtet. Uber das Vorkommen der Krankheit im Innern von Afrika haben die ersten euro- päischen Forscher, welche bis dahin vorgedrungen sind, so S t a n 1 e y und Wi s s m a n n , nichts berichtet. Iis scheint also, dal3 die Seuche ursprünglich auf die westlichen Küsten- länder beschränkt war. Aber sehr bald, nachdem das Innere des Kontinents durch den Verkehr erschlossen wurde, zeigte sich die Seuche im Kongobecken und etwas später am Victoria-Njansa. Sie trat dort in so verheerender Weise auf, wie man es bisher nur bei den gefährlichsten Seuchen gesehen hatte. In wenigen Jahren wurde eine halbe Million Menschen dahin- gerafft. Nach dem Kongo war die Seuche offenbar durch den Verkehr von den westlichen Küstenländern her eingeschleppt, und von da gelangte sie, weiter nach dem Osten sich ausbreitend, gegen das Jahr 1896 nach den am Nordufer des Victoria-Njansa gelegenen Ländern. Uber die Art und Weise, wie dies geschehen ist, gehen indessen die Meinungen auseinander. Dr. Moffat-), Regierungsarzt in Uganda zur Zeit des Seuchenausbruches, nimmt an, daß die von E m in Pascha in der Äquatorialprovinz zurückgelassenen sudanesischen Soldaten, welche sich westlich vom Albertsee niedergelassen hatten und später zugleich mit ihren zahlreichen aus dem Kongogebiet stammenden Sklaven in Busoga^) angesiedelt wurden, die Krankheit eingeschleppt haben. Für diese Annahme spricht der Umstand, daß die ersten in Uganda zur Kenntnis gekommenen Schlafkranken aus Busoga kamen, und daß in diesem Lande die Seuche schon zu Anfang am stärksten um sich gegriffen hatte. Andere halten es für wahrscheinlicher, daß die Krankheit durch Karawanen, welche vom Kongogebiet nach Uganda kamen, schon vor 1896 gel:»racht ist. Die ersten im Ge])iet des Victoria-Njansa zur Kenntnis gekommenen Fälle von Schlafkrankheit sind von den Missionsärzten Dr. A. R. C o o k und Dr. J. H. C o o k '') im Hospital der Church Missionary Society in Mengo"') im April 1901 beobachtet und dem Gouvernement in Entebbe gemeldet. Den ersten Kranken folgten bald mehr und schließlich so viele, daß sie nicht sämtlich in dem Missionshospital untergebracht werden konnten. Als die Regierung von dieser schnellen Zunahme der Seuche erfuhr, beauf- tragte sie den Gesundheitsbeamten von Busoga, Dr. A. Rodges, im Bezirk Busoga und auf den zugehörigen Inseln Nachforschungen über den Stand der Schlafkranlvheit M Hirsch, Handbuch der liistor.-geograph. Pathologie 1886, III. Ed., p. 414. ^) Eoyal Society Eejiorts of the Sleeping Sickness Commission. No. lY, 1903, ]i. .51; No. III, p. 11. Am nördlichen Ufer des "\'ictoria-Njansa und östlich von Uganda gelegen. Der Nil bildet die Grenze zwischen diesen l^eiden Ländern. *) Report III, p. 8. •') Die Eingeborenen-Hauptstadt von l'ganda. 584 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. anzustellen. Derselbe ermittelte, daß im Lande Busoga und auf den benachbarten Inseln, besonders auf der großen Insel Buvuma, bereits 20 000 Menschen an Schlafkrankheit zugrunde gegangen waren. Er hält es für wahrscheinlich, daß die Seuche bereits seit dem Jahre 1896 in Busoga Eingang gefunden und seit dieser Zeit immer weiter um sich gegriffen hat. Als sich dann die Krankheit in rascher Folge nach Uganda und anderen zum engli- schen Schutzgebiet geiiörigen Ländern am Ufer des Victoria-Njansa und auf allen im See gelegenen Inseln ausbreitete, entsandte die Royal Society im Jahre 1902 eine ärzt- liche Kommission nach Uganda, um die bis dahin ganz rätselhafte Krankheit zu er- forschen. Einem dieser Ärzte, dem Dr. Castellani, gelang es gegen Ende 1902, in der Zerebrospinalflüssigkeit von einigen Schlafkranl^en Trypanosomen nachzuweisen. Dieser Befund, obwohl bedeutsam erscheinend, konnte an sich noch keine volle Klar- heit über das Wesen der Schlafkrankheit bringen. Erst dem ebenfalls von der Royal Society nach Uganda geschickten Dr. Bruce war es beschieden, die Ätiologie der Schlafkrankheit vollkommen aufzuklären. Bruce hatte früher in Südafrika Unter- suchungen über die Tsetsekrankheit der Haustiere angestellt und gefunden, daß die Ursache dieser Krankheit ein im Blute der kranken Tiere lebender Parasit, das nach ihm benannte Trypanosoma Brucei ist, und daß dieser Parasit durch eine Stechfliege, die Glossina morsitans, von den kranken auf die gesunden Tiere übertragen wird. Äls er im April 1903 bei seiner Ankunft in Uganda von Castellanis Befund hörte, vermutete er sofort, daß die Ätiologie der Schlafkrankheit derjenigen der Tsetsekrank- heit sehr ähnlich sein müsse, und er vermochte sehr bald nachzuweisen, daß das von Castellani entdeckte Trypanosoma die eigentliche Ursache der Schlafkrankheit bildet, und daß dieses Trypanosoma von den Kranken auf die Gesunden durch eine Verwandte der Glossina morsitans, nämlich durch die Glossina palpalis, übertragen wird. Fast gleichzeitig mit der englischen Untersuchungskommission wurden auch von Portugal, von Frankreich und vom Kongostaat Kommissionen oder einzelne Ärzte mit Untersuchungen über die Schlafkrankheit beauftragt. Auf deutschem Gebiet waren bis dahin nur vereinzelte Fälle von Schlafkrankheit vorgekommen. So hatte Stabsarzt Dr. L o 1 1 im Jahre 1903 einige Schlafkranke am Goriflusse aufgefunden, welcher damals die Grenze zwischen dem deutschen und dem englischen Schutzgebiet auf der Ostseite des Victoria-Njansa bildete. In den nächsten Jahren schien aber die Seuche dort wieder erloschen zu sein. Wenigstens hörte man nichts mehr davon. Am Westufer des Victoria-Njansa waren vom Stabsarzt Dr. F e 1 d - mann im Bukobabezirk mehrere Fälle beobachtet, deren Infektion aus Uganda zu stammen schien. Auch am Tanganjikasee sollte sich die Seuche gezeigt haben, und im Kamerungebiet sowie in Togo waren vereinzelte Fälle von Schlafkrankheit aufge- treten. An und für sich waren dies nur unbedeutende Vorkommnisse, aber sie ließen doch erkennen, daß die Seuche sich immer mehr ausbreitete und die deutschen Kolonien ernstlich bedrohte. Unter diesen LTmständen hielt es die deutsche Reichsregierung für ratsam, auch ihrerseits eine ärztliche Expedition auszusenden, um zeitig genug über den Gang der Seuche und über die dagegen zu ergreifenden Maßregeln orientiert zu werden. Auf Grund der im Kaiserlichen Gesundheitsamt ausgearbeiteten und als An- lage I diesem Berichte beigegebenen Denkschrift wurde in dem Reichshaushaltsetat auf die Jahre 1906 und 1907 der Gesamtbetrag von 185 000 M. für die Aussendung und Durchführung einer solchen Expedition bewilligt. Als an mich die Aufforderung erging, die Führung der Expedition zu übernehmen, glaubte ich diesen ehrenvollen Auftrag unbedenklich übernehmen zu sollen, da ich mich Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 585 schon in den vorhergehenden Jahren mehrfach mit Untersuchungen über Trypano- somen in Südafrika und in Deutsch-Ostafrika beschäftigt und im vorhergehenden Jahre bei einem Besuch von Uganda die Schlafkranl-cheit selbst kennen gelernt hatte. Als Begleiter wählte ich Stabsarzt Professor Kleine, kommandiert zum Kgl. Preußischen Institut für Infektionskrankheiten, und Stabsarzt Dr. K u d i c k e von der ostafrikanischen Schutztruppe. Ersterer war eine Reihe von Jahren hindurch mein Assistent im genannten Institut gewesen und hatte mich bereits auf einer Expedition nach Rhodesia zur Erforschung des Küstenfiebers begleitet. Letzterer war mir bei meinen Untersuchungen über Trypanosomen in Deutsch-Ostafrika sehr behilflich gewesen. Außerdem wurde Regierungsrat Beck, Mitglied des Kaiserlichen Gesundheits- amts, der Expedition zugeteilt, und Stabsarzt Dr. Pause schloß sich im Auftrage des Gouvernements von Deutsch- Ostafrika an. Zur Beaufsichtigung des eingeborenen Diener- vind Wartepersonals und zur Hilfe bei der Krankenbehandlung war auf meinen Antrag noch der Sanitätsfeldwebel S a c h e r, welcher mir schon im vorhergehenden Jahre in ähnlicher Stellung wertvolle Dienste geleistet hatte, zur Expedition kommandiert. Verlauf der Expedition. ) Am 16. April 1906 schiffte sich die Expedition in Neapel auf einem Dampfer der Deutsch- Ostafrika-Linie ein und landete am 3. Mai in Tanga an der ostafrikanischen Küste. Über ihre dort ausgeführten Forschungsreisen läßt die als Tafel I beigefügte Karte das Nähere ersehen. Schon am nächsten Tage nach der Anliunft in Tanga be- gaben sich die Mitglieder der Expedition nach Amani. Da nämlich zu jener Zeit die Schlafkrankheit nirgendwo auf deutschem Gebiet in solchem Umfange herrschte, daß man darauf rechnen konnte, ausreichende Gelegen- heit zur Erforschung derselben zu finden, so schien es das zweckmäßigste zu sein, zu- nächst auf einige Monate nach Amani zu gehen und an diesem ganz besonders dafür geeigneten Platz Studien über Trypanosomen und Glossinen zu machen. Das Ostusambaragebirge, auf welchem Amani liegt, ist von Tanga aus mit der Eisenbahn leicht zu erreichen, und ein weiterer Marsch von 6 Stunden führt auf die Höhe des Gebirges nach Amani. In Amani befindet sich eine landwirtschaftlich-biologische Versuchsstation mit wohleingerichtetem Laboratorium, dessen Benutzung uns zugesagt war. Auch fand sich hier Gelegenheit für passende Unterkunft der Mitglieder der Expedition. So wie fast alle Gebirge in Ostafrika ist auch das Ostusambaragebirge rings von einem Gebiet umgeben, in welchem Glossinen und zugleich die Tsetsekrankheit, d. h. die Trypanosomenlcrankheit der Rinder, vorkommen, während die Höhe des Gebirges frei davon ist. Es bot sich hier also die sehr erwünschte Gelegenheit, sich am Fuße des Gebirges beliebig viele Glossinen beschaffen zu können und damit in einer fliegenfreien Höhe, wo unbeabsichtigte Infektionen durch Glossinen nicht mehr vorkommen konnten, zu experimentieren. Auch kann man hier jederzeit und ohne Schwierigkeit Beobach- tungen über die Lebensweise der frei lebenden Glossinen anstellen und Experimente über ihre Beseitigung ausführen. Bei meinem vorjährigen Aufenthalt in Amani hatte ich in Gemeinschaft mit Stabs- arzt K u d i c k e und Geheimrat Stuhlmann, dem Direktor der Versuchsstation, Untersuchungen über die Glossinen angestellt, über welche von S t u h 1 m a n n in den Annalen der LandwirtschaftHch-biologischen Versuchsstation Nr. 24 und Nr. 25 des 1) Hierzu Tafeln XXXVII und XXXVIII. D. Herausgeber. 586 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. Jahrgangs 1905 sowie in den Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte, Bd. XXVI Heft 3, teilweise berichtet ist. Diese Studien, welche hauptsächlich aus Beobachtungen über die Lebensweise und Fortpflanzung der Glossinen, Infektionsversuchen mit Try- panosomen, Untersuchungen über das Vorkommen der Trypanosomen in Ziegen und Schafen, Abholzungsversuch zum Vertreiben der Glossinen bestanden, waren dann von K u d i c k e unter Assistenz von S a c h e r bis zur Ankunft der Expedition fortgesetzt. Wir trafen daher diese beiden Mitglieder der Expedition in Amani. Einige Wochen später, am 27. Mai, langte auch Stabsarzt P a n s e an, so daß damit das Personal der Expedition vollzählig wurde. Sofort nach der Ankunft der Expedition in Amani wurden alle Vorbereitungen getroffen, um die schon im Gange befindlichen Arbeiten in erweitertem Umfange fort- setzen zu können. Es wurden auch einige Exkursionen in die Fliegengegenden am Fuße des Gebirges gemacht, so namentlich nach dem Sigital und nach dem Luengeretal, von welchen das letztere besonders stark mit Tsetse verseucht ist. Alle Versuche, daselbst Rinder zu halten, sind bis jetzt gescheitert, und selbst Ziegen und Schafe erUegen hier nicht selten der Krankheit. Es konnten hier sehr wertvolle Erfahrungen über die Lebens- weise und die Existenzbedingungen der Glossinen gesammelt werden, von denen am Fuße des Gebirges drei verschiedene Arten, die Glossina fusca, pallidipes und tachinoides, vorkommen. Alle drei Arten sind imstande, die Tsetsekrankheit auf gesunde Tiere zu übertragen, was sich dadurch nachweisen ließ, daß die der Tsetse eigentümlichen Trypanosomen im Magen und im Stechrüssel dieser Fliegen gefunden wurden. In den Fliegengegenden wurden auch einige Eingeborene dazu angelernt, die Glossinen zu fangen und in der Gefangenschaft möglichst lange am Leben zu erhalten. Diese Leute sind uns später, als es darauf ankam, die gefährlichen Glossinen der Schlafkrankheit (Glossina palpalis) zu sammeln, von großem Nutzen gewesen. Ferner wurden Untersuchungen begonnen, die Verteilung der Trypanosomen in den verschiedenen Abschnitten des Verdauungstraktus und besonders ihr Vorkommen in den Speicheldrüsen festzustellen. Auch wurden Versuche gemacht, mit den aus Berlin zu diesem Zwecke mitgebrachten Trypanosomen der Schlafkrankheit die in Usambara vorkommenden Glossinen zu infizieren, um zu sehen, ob auch andere Glossinenarten als die Glossina palpaüs imstande sind, die Infektion zu übertragen. Aber die ursprüngliche Absicht, uns einige Monate hindurch mit diesen vorbe- reitenden Studien zu befassen, ließ sich von uns nicht ausführen, da Nachrichten ein- trafen, welche es für die Expedition notwendig machten, sich in das eigentliche Gebiet der Schlafkrankheit zu begeben. Stabsarzt Dr. F e 1 d m a n n , welcher Stationsarzt von Bukoba war und dort, wie erwähnt, Gelegenheit gehabt hatte, Fälle von Schlafkrankheit zu sehen, meldete dem Gouvernement in Daressalam, daß in Muansa, der Nachbarstation von Bukoba, im letzten Jahre L500 — 2000 Menschen gestorben seien. Er hege den Verdacht, daß an dieser hohen Sterblichkeit die Schlafkrankheit beteiligt sei, da er in Muanza die Ob- duktion einer Fravi zu machen Gelegenheit hatte, bei welcher als Todesursache Try- panosomiasis, d. h. Schlafkrankheit, gefunden wurde. Da diese Frau seit 8 Jahren in Muanza lebte und sich dort infiziert haben mußte, so sei anzunehmen, daß die Schlaf- krankheit in Muansa bereits endemisch herrsche. Auf diese alarmierende Nachricht hin mußte die Expedition so bald als möglich dorthin eilen, damit, wenn sich die Befürchtungen des Dr. F e 1 d m a n n als begründet herausstellten, schleunigst die erforderlichen Maßregeln gegen die Seuche ergriffen werden konnten. Beiicht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlaflcranklieit entsandten Kommission. 587 Die Arbeiten in Amani wurden also abgebrochen und am 12. Juni die Weiterreise angetreten. Zunächst ging es zurück nach Tanga und von da über Mombassa und die Ugandaeisenbahn nach dem Victoria-Njansa, an dessen Südufer die Station Muansa liegt. In Port Florence, welches an der Nordostspitze des Victoria-Njansa gelegen ist und den Endpunkt der Bahnlinie bildet, hatten wir bis zum Abgang des nächsten nach Muansa gehenden Dampfers einen Aufenthalt von einigen Tagen. Wir benutzten diese Zeit, um uns nach dem Verhalten der Schlafkrankheit in dieser Gegend zu erkundigen und selbst einige Nachforschungen anzustellen. Vor nicht langer Zeit sollte die Glossina palpalis in Port Florence noch vorgekommen sein, und es fanden sich auch einige Fälle von Schlafkrankheit, für welche ein eigenes Hospital errichtet war. Es wurden dann aber Bäume und Buschwerk bis auf wenige Reste im Orte entfernt, und seitdem sollten die Glossinen verschwunden sein. Wir konnten uns denn auch in der Tat selbst davon überzeugen, daß in Port Florence sowohl wie auch am Seeufer in der nächsten Umgebung des Ortes keine Glossina palpalis zu sehen war. Als wir uns dann aber am Ufer etwa eine Meile weit hinausrudern ließen nach einem felsigen Vorsprung, auf dem zahlreiche Wasservögel saßen und wo im seichten Wasser viele Ambatschbüsche wuchsen, da trafen wir auf zahlreiche Glossinen. Sie kamen sofort auf das Boot zugeflogen, umschwärmten uns und versuchten zu stechen. Manche ließen sich auf den Wänden des Bootes nieder und wurden bei der Weiterfahrt auf eine ziemlich weite Strecke mitgenommen. Als wir zurückfuhren, hielten wir uns dicht am Ufer, um die Glossinen besser beobachten zu können, und da zeigte sich, daß das Schwärmgebiet der Glossinen bis auf etwa 20 Minuten Abstand von Port Florence reichte, nämlich gerade so weit, wie der Busch weggehauen war. Port Florence ist mit einem kleinen Hospital für Schlafkranke versehen, in welchem sich gewöhnlich 5 — 10 Kranke befinden sollen. Zur Zeit unserer Anwesenheit war es leer, was wohl beweist, daß es sich jetzt nicht mehr um einen endemischen Herd, sondern nur um von anderen Gegenden zugewanderte Schlafkranke handelt. Auf der Fahrt von Port Florence nach Muansa berührten wir Karungu, die letzte englische, und Schirati, die erste deutsche Station am östlichen Ufer des Victoria-Njansa. Karungu liegt einige Meilen nördlich vom Gorifluß, wo, wie früher bereits berichtet wurde, Dr. L o 1 1 im Jahre 1903 einige Fälle von Schlafkranliheit gesehen hatte. Wir brachten hier in Erfahrung, daß es in der völlig kahlen Umgegend von Karungu keine Glossinen und auch keine Schlafkranken gäbe, daß aber am Gorifluß, und namentlich in der Nähe seiner Mündung, auffallend viele Eingeborene stürben. In Schirati wurde uns mitgeteilt, daß die Schlafkrankheit noch nicht bis dahin gedrungen sei. Wir hielten uns deswegen hier nicht weiter auf und setzten die Fahrt nach Muansa fort. Unterwegs halten die Schiffe noch an der Westspitze der großen und volkreichen Insel Ukerewe, um Brennholz für die Kesselfeuerung einzunehmen. Diese Insel ist stark bewaldet, und wir konnten an ihrem Ufer wieder ziemlich viele Glossinen fangen. Unter den wenigen Leuten, welche hier angesiedelt waren, um das Holz zu schlagen und zur Ladestelle zu schaffen, befanden sich keine mit Drüsenschwellun- gen oder sonstigen Anzeichen der Schlafkrankheit Behafteten. Am 30. Juni erfolgte die Ankunft der Expedition in Muansa. Von den Beamten der Station in jeder Weise unterstützt, konnten wir sofort ans Werk gehen. Der Stationsarzt Oberarzt Dr. R a d 1 o f f überließ uns einige Räume im Hospital und beteiligte sich auch selbst an unseren Arbeiten nach Kräften. Natürlich war unsere erste Aufgabe, zu erfahren, wie es sich mit der Schlafkranlv- heit verhielt. 588 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. Da fanden wir aber ganz andere Zustände, als wir erwartet hatten. Im Hospital befand sich zwar ein typischer Fall von Schlafkrankheit, doch war dies ein Mann, der vor kurzem bereits kranli von Uganda nach Muansa gekommen war. Sonst war trotz eifrigen Suchens auch nicht ein einziger Fall zu entdecken. Es wurden über 2000 Einwohner der Stadt Muansa auf vergrößerte Halsdrüsen untersucht und bei den wenigen, welche verdächtige Drüsen hatten, die Punktion ge- macht, aber bei keinem Trypanosomen gefunden. Später kam noch Dr. F e 1 d m a n n von Bukoba und bemühte sich, in Muansa und in einigen der benachbarten Küstenorte Schlafkranke zu entdecken. Aber auch ihm gelang dies nicht. Wir haben dann noch verschiedene Expeditionen unternommen nach Orten, wo sich angeblich Schlafkranke befinden sollten. So bin ich in Begleitung von Dr. Pause nach der Insel Kome gefahren, ferner nach der südlich von Schirati gelegenen Moribucht. Dr. Kleine machte eine Expedition nach Ukerewe. Aber nicht einen einzigen Schlafkranken bekamen wir zu Gesicht. Bei diesen Ausflügen und bei mehrfachen Fahrten nach den Inseln, welche in der Muanzabucht liegen, konnten wir bestätigen, was Dr. F e 1 d m a n n früher schon ge- funden hatte, daß nämlich die Glossina palpalis auch auf deutschem Gebiet weit ver- breitet ist. Auf dem Festland, welches überall Steppencharakter zeigt und eine dürftige Vegetation besitzt, kommt sie allerdings nur an einzelnen Stellen vor, so z. B. an der Moribucht. Aber auf den bewaldeten Inseln ist sie sehr zahlreich vertreten. Selbst auf den kleinsten Inseln, wenn sie nur mit etwas Busch bestanden sind, fehlt sie nicht. Von besonderem Interesse ist das Verhalten der Glossina palpalis gerade auf solchen kleinen Inseln, welche nicht von Menschen bewohnt sind, und auf denen nur zahllose Wasservögel, Krokodile, Varanuseidechsen und Schlangen hausen. Hier konnte man in Erfahrung bringen, wovon die Glossinen leben, wenn ihnen Menschenblut nicht zur Verfügung steht. Ich hatte dabei an die Wasservögel gedacht, fand aber zu meiner Über- raschung, daß die Glossinen, wenn frisches Blut in ihrem Magen gefunden wurde, fast immer an Krokodilen gesogen hatten. Auch in bezug auf die sonstigen Lebensgewohnheiten und Lebensbedingungen der Glossinen konnten hier vielfache Beobachtungen gesammelt werden. Von ganz besonderem Interesse waren aber die L^ntersuchungen über das Vorkommen von Try- panosomen in den Glossinen. Da es in der Umgebung von Muansa, wenigstens soweit die Glossina palpalis ihr Verbreitungsgebiet hat, keine Tsetsekrankheit gibt und auch die Schlafkrankheit fehlt, so hätte man erwarten können, daß die Glossinen in dieser Gegend frei von Trypanosomen sein würden. Aber diese Annahme traf nicht zu, es wurden im Gegenteil nicht nur eine, sondern sogar drei verschiedene Arten von Trypanosomen im Magen und Darm der Glossinen nachgewiesen, deren genauere Beschreibung in einem anderen Abschnitt ge- geben werden soll. Diese Trypanosomen können natürlich nicht zur Schlafkrankheit oder vielmehr zum Trypanosoma gambiense in Beziehung stehen, denn die betreffenden Glossinen hatten auf weite Entfernung hin keine Gelegenheit, Blut zu saugen, welches das Trypanosoma gambiense enthalten konnte. Insofern war dieser Befund von be- sonderem Wert, als er uns Kenntnis von denjenigen Arten der Trypanosomen verschaffte, welche in der Glossina palpalis neben dem Trypanosoma gambiense vorkommen können. In einer Schlafkrankheitsgegend wäre die richtige Beurteilung derartiger indifferenter Trypanosomen sehr schwierig, unter LTmständen ganz unmöglich gewesen. Auf einer Insel der Muansabucht wurde auch ein Versuch gemacht, die Glossinen durch Niederschlagen des Busches zu vertreiben. Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 589 Nachdem wir die Überzeugung gewonnen hatten, daß weder in Muansa noch sonst auf deutschem Gebiet für die Erforschung der Schlafkrankheit ausreichendes Material zu finden sei, mußten wir uns nach einem anderen geeigneten Ort umsehen, und beschlossen, nach Uganda zu gehen. Doch konnten nicht sofort sämtliche Mit- glieder der Expedition Muansa verlassen, weil der Abholzungsversuch, welcher ziemlich lange Zeit in Anspruch nahm, noch weiter überwacht werden mußte. Ich begab mich also zunächst mit den Herren Kleine und P a n s e nach Entebbe, während die Herren Beck und K u d i c k e nebst Feldwebel S a c h e r zurückblieben. Wir verließen Muansa am 6. August, hatten in Bukoba Aufenthalt von einem Tage und kamen am 8. August in Entebbe, dem Sitz der Regierung von Uganda, an. Unter- wegs wurde uns in Bukoba mitgeteilt, daß nur in dem Sultanat Kisiba, welches den nörd- lichsten Teil des Bezirks bildet und an das englische Gebiet grenzt, einige Fälle von Schlafkrankheit vorgekommen seien. Doch beträfen dieselben ausschließlich solche Leute, welche als Arbeiter nach Uganda und nach den Seseinseln gegangen seien, sich dort infiziert hätten und krank zurückgekommen seien. Durch das dankenswerte Entgegenkommen der englischen Regierungsbehörde in Entebbe wurde uns die Auswahl eines Ortes, wo wir unsere Studien fortsetzen konnten, sehr erleichtert. Der Gouverneur von Uganda, Herr H. H e s k e t h - B e 1 1 , hatte uns sogar anheimgestellt, das vortrefflich eingerichtete Laboratorium, welches nicht weit von Entebbe für die Schlafkrankheitskommission der Royal Society erbaut war, bis zu deren Rückkehr zu benutzen. Da aber die Kommission schon nach einigen Monaten zurückerwartet wurde und wir einen Ort brauchten, wo wir uns längere Zeit aufhalten konnten, so entschloß ich mich, die Expedition nach den Seseinseln zu führen, wo es sehr viele Schlafkranke gab und sich auch hinreichend Gelegenheit zu Studien über die Glossina palpalis bot. Besonders wichtig war es, mir bei der Auswahl dieses Ortes, daß Herr Bischof Streicher von der Societe des Missionaires d'Afrique uns ge- stattete, die Kraulten der ihm unterstellten Missionsstation Bumangi auf den Sese- inseln zu untersuchen und zu beobachten. Nachdem die Auswahl getroffen war, siedelten wir bald nach den Seseinseln über und begannen unser Werk. Außer der kathohschen Missionsstation Bumangi befindet sich auf der Haupt- insel der Sesegruppe noch eine protestantische Mission in Bugalla, etwa eine Meile östlich von Bumangi. Diese Station war zurzeit unbesetzt, und da dieselbe wegen der Nähe eines großen Dorfes und des Häuptlingswohnsitzes sehr günstig für ein Standlager ge- legen war, so ließen wir uns daselbst nieder, nachdem die Erlaubnis der Missionsleitung dazu eingeholt war. Anfangs standen uns nur einige Zelte zur Verfügung, in denen wir wohnten, und die uns für die Untersuchungen der Kranken, die Behandlung derselben und die mikro- skopischen Arbeiten dienen mußten. Sehr bald aber fanden sich zahlreiche Kranke ein, für deren Unterkunft gesorgt werden mußte, soweit sie nicht in den benachbarten Ein- geborenendörfern unterkamen. Für diese wurden Hütten und Baracken erbaut, so daß schließlich neben unserem Lager ein Krankendorf entstand. Einige Zeit später trafen Regierungsrat Beck und Feldwebel S a c h e r auf der Seseinsel ein, und schließlich konnte auch Stabsarzt K u d i c k e nach Beendigung der Arbeiten in Muansa sich wieder der Expedition anschließen. Die Mitgheder der- selben verteilten sich dann so, daß der Führer der Expedition, die Stabsärzte Kleine und Pause, sowie der Feldwebel S a c h e r in Bugalla, Regierungsrat Beck und Stabsarzt K u d i c k e in Bumangi beschäftigt waren, wo ihnen die Peres superieurs 590 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. L e s b r o s und später dessen Nachfolger B e c in höchst anerkennenswerter Weise helfend zur Seite standen. Zu den wichtigsten Aufgaben der Expedition gehörte die Prüfung solcher Medi- kamente, welche sich bisher in den heimischen Laboratorien an Versuchstieren als wirk- sam gegen Trypanosomen erwiesen hatten, deren Verhalten gegenüber der menschlichen Trypanosomenkrankheit aber noch nicht genügend untersucht war. In dieser Beziehung kamen besonders zwei Präparate in Betracht: das Atoxyl, von welchem Mittel uns die Vereinigten Chemischen Werke in Charlottenburg 500 g unentgeltlich zur Verfügung gestellt hatten, außerdem hatte Geheimrat Ehrlich in Franl^furt uns einen großen Vorrat des von ihm an Tieren sehr wirksam befundenen Trypanrot in liebenswürdiger Weise überlassen. Von diesen beiden Stoffen zeigte sich das Atoxyl von vornherein dem Trypanrot so überlegen, daß wir sehr bald unsere Versuche im wesentlichen auf dieses Mittel be- schränken konnten. Schon wenige Stunden nach einer Atoxylinjektion verschwanden die Trypanosomen aus dem Blut und aus den vergrößerten Lymphdrüsen. In letzteren kehrten sie selbst nach nur einer einzigen hinreichend kräftigen Dosis nicht wieder. Aber ihr Wiedererscheinen im Blute, das allerdings oft erst nach Monaten eintrat, zeigte doch, daß der gefährliche Parasit noch nicht endgültig beseitigt war. Aber auch in solchen Fällen konnten die Trypanosomen durch erneute Anwendung des Atoxyls sofort wieder zum Versch^vinden gebracht werden. In solcher Weise war es nicht schwierig, das Blut der Schlafkranken auf eine Reihe von Monaten, mindestens 10 Monate, lang frei von Trypanosomen zu halten, und sie damit in einen Zustand zu versetzen, in welchem von ihnen keine Ansteckung mehr ausgehen konnte. Ein Mittel, welches derartige Eigen- schaften besitzt, mußte für die Bekämpfung der Schlafkrankheit von größtem Vorteil sein. Aber nun kam es darauf an, die beste Art der Anwendung, namentlich auch die Dosierung des Atoxyls zu ermitteln, und das war recht schwierig und zeitraubend. Ins- besondere als sich nach längerem Gebrauch des Mittels die sehr unangenehme Eigen- schaft desselben herausstellte, daß es beim Überschreiten einer bestimmten Dosis in einer nicht geringen Zahl von Fällen vollständige Erblindung hervorruft, wodurch die Ausnutzung der trypanosomenfeindlichen Wirkung des Atoxyls erheblich eingeschränkt wird. Genau die Grenze herauszufinden, bei welcher noch die größtmöglichste Heil- wirkung zugleich mit der geringsten Gefahr für den Kranken erreicht wird, erforderte zahlreiche Versuche. Auch die Fragen, ob das Atoxyl innerlich gegeben werden kann, was für seine Anwendung im großen von bedeutendem Vorteil gewesen wäre, ferner wie lange das Mittel gebraucht werden muß, und wann Pausen zu machen sind, von welcher Dauer dieselben sein müssen, konnten nur auf Grund umfangreicher und sehr langwieriger Versuchsreihen beantwortet werden. In dieser Beziehung kam es uns sehr zustatten, daß wir bei der großen Zahl der uns zur Verfügung stehenden Kranken unsere Versuche immer an großen Reihen anstellen konnten. Wäre dies nicht der Fall gewesen, dann hätten wir sehr viel längere Zeit gebraucht, um zu dem erstrebten Ziel zu gelangen. Wenn hier von Versuchen an Kranken die Rede ist, dann darf dabei nicht vergessen werden, daß dieselben an einer absolut tödlichen Krankheit litten und unrettbar ver- loren waren, wenn nicht ein Heilmittel gefunden wurde. Und schon nach wenigen Ver- suchen mit dem Atoxyl ließ sich erkennen, daß das Mittel mindestens eine erhebliche Besserung der Krankheitssymptome bewirkte, und daß die Versuche damit nur zum Besten der Kranken dienten. Das reiche Krankenmaterial schaffte uns auch hinreichend Gelegenheit, die kli- nischen Verhältnisse der Schlafkrankheit eingehend zu studieren. In bezug auf ana- tomische Studien ließ sich dagegen leider nichts erreichen, da es unmöglich war, Obduk- Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. .Schlafkranklicit entsandten Kommission. 591 tionen vorzunehmen. Es bestellt nämlich unter den Eingeborenen ein so starkes Vor- urteil gegen jedes Berühren der Leichen, daß unsere Kranken sofort geflohen wärmen, wenn wir versucht hätten, eine Obduktion zu machen. Neben diesen Untersuchungen über die Behandlung der Schlafkranken war es nicht minder wichtig, eine möglichst zuverlässige und für alle Fälle brauchbare Diagnose der Krankheit zu finden. Von den englischen Ärzten Gray und G r e i g war bereits früher gefunden, daß durch den mikroskopischen Nachweis der Trypanosomen in den vergrößerten Lymph- drüsen die Diagnose leicht und sicher zu stellen sei. Aber es stellte sich bei unseren L-nter- suchungen heraus, daß, schon ehe die Lymphdrüsen anschwellen, die Trypanosomen im Blute vorhanden sein können, und daß es besonders wichtig ist, gerade diese im aller- ersten Stadium der Schlafkrankheit befindlichen Fälle herauszufinden. Außerden ver- sagt der Nachweis der Trypanosomen in den Lymphdrüsen bei allen denjenigen Kranken, welche mit Atoxyl behandelt werden, weil bei ihnen die Drüsenschwellungen verschwin- den ; und doch brauchen wir auch bei diesen Kranken notwendig den Nachweis der Try- panosomen, um den Erfolg der jeweiligen Behandlung kontrollieren zu können. Nach vielen vergeblichen Bemühungen ist es denn auch gelungen, eine brauchbare Methode zu konstruieren, mit deren Hilfe es stets möglich ist, die Trypanosomen, sofern sie über- haupt im Blute vorhanden sind, nachzuweisen. Die Untersuchungen über die Lebensweise und die Lebensbedingungen der Glossina palpalis, mit denen wir uns bereits in Muansa eingehend beschäftigt hatten, wurden auf der Seseinsel fortgesetzt, soweit irgend Zeit dazu zu erübrigen war. Dazu mußten aber immer Exkursionen gemacht werden, da das Vorkommen der Glossinen sich auf das Ufer des Sees beschränkt, unser Lager aber absichtlich möglichst weit entfernt von den Gegenden, wo die Fliegen sich aufhalten, angelegt war. Am häufigsten wurden die nach Nordosten von unserem Lager befindliche Halb- insel Lutoboka und die südöstlich gelegene Halbinsel Sozi besucht, welche beide in 1 bis IV2 Stunden zu erreichen waren. Lutoboka ist mit dichtem l'frwald bestanden, während Sozi nur von einem schmalen Waldstreifen eingefaßt, aber im übrigen kultiviert ist. Hier konnte man also die Glossinen unter Bedingungen beobachten, welche recht verschieden voneinander waren. Auf Lutoboka wurde außerdem der Versuch gemacht, durch möglichst häufiges Wegfangen der Fliegen ihre Zahl an einem Orte . der nur durch eine schmale Verbindung mit der Hauptinsel zusammenhängt, möglichst zu ver- inindern. Zu diesem Zwecke wurden unsere Fliegenfänger so oft als möglich dorthin auf die Fliegenjagd geschickt, und wir haben uns selbst öfters daran beteiligt, aber, wie ich schon hier bemerken will, mit dem Ergebnis, daß im Laufe eines vollen Jahres, abgesehen von sufälligen Schwankungen , eine Abnahme der Glossinen nicht zu er- kennen war. Andere Exkursionen wurden nach entfernteren unbewohnten Inseln gemaclit, wo Krokodile in größerer Anzahl anzutreffen waren, und man darauf rechnen konnte, über die Beziehungen der Glossina zu diesen ihren wichtigsten Blutlieferanten Beobachtungen anstellen zu können. Eine sehr eingehende Lhitersuchung wurde über das Vorkommen und die Ver- breitung der Glossina palpalis auf der großen Halbinsel Buninga angestellt, unter deren Bevölkerung die Sclilafkrankheit besonders stark wütete. Um diese Untersuchung hat sich Stabsarzt Pause besonders verdient gemacht, der fast 4 Wochen lang Buninga durchwanderte und fast in jedem Dorfe das Vorkommen von Schlafkranken feststellte, die Wasserstellen und Bootsplätze untersuchte, Glossinen fangen ließ und dieselben für die weitere L^ntersuchung präparierte. 592 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. Auf den Seseinseln wurden von uns insgesamt 2686 Glossinen untersucht und darunter zahlreiche gefunden, welche entweder frisch gesogenes Blut in ihrem Magen und Darm enthielten oder Trypanosomen, mitunter auch beides. Das Blut erwies sich ebenso wie in Muansa fast immer als vom Krokodil her- stammend. Auch den drei verschiedenen bereits in Muansa gefundenen Trypanosomen- arten begegneten wir hier wieder im Magen der Glossinen. Außer diesen aber, welche in keiner Beziehung zum Trypanosoma gambiense stehen konnten, wurde dann noch eine vierte Art gefunden, welche mit diesem Trypanosoma so sehr übereinstimmt, daß man an der Identität der im Blute der Schlafkranken und dieser in dem Glossinenmagen gefundenen Trypanosomen nicht wohl zweifeln kann. Von besonderem Interesse war es noch, daß in mehreren Fällen dieses Trypanosoma in den Speicheldrüsen der Glossinen, und zwar in sehr großer Zahl, gefunden wurde, woraus zu schließen ist, daß die Glossina palpalis das Trypanosoma gambiense nicht nur mechanisch überträgt, sondern daß das Trypanosoma im Körper des Zwischenwirts ebenso wie die Malariaparasiten im Ano- pheles einen Entwicklungsprozeß durchmachen und erst nach Beendigung desselben wieder dem eigentlichen Wirt eingeimpft werden. Auf diesen Nachweis des Trypanosoma gambiense in der Glossina hatte ich die Hoffnung gesetzt, daß mit Hilfe desselben das Vorhandensein der Infektionsgefahr sich schnell und sicher ermitteln lassen würde. Das ist nun aber leider rücht der Fall. Das Auffinden des Trypanosoma gambiense in der Glossina ist so umständlich und mit so viel Schwierigkeiten verknüpft, daß es sich für praktische Zwecke nicht ver- werten läßt. Wir müssen uns damit begnügen, den Nachweis geführt und damit den Weg, welchen der Parasit durch den Wirt und den Zwischenwirt macht, vollkommen verfolgt zu haben. Als die Expedition nach dem Victoria-Njansa kam, war trotz aller Nachforschungen außer wenigen eingeschleppten FäUen nichts von Schlafkrankheit auf deutschem Gebiet zu ermitteln gewesen. Später zeigte sich aber immer deutlicher, daß auch die deutsche Kolonie an verschiedenen Stellen bereits ergriffen war, sei es, daß die Seuchenherde sich erst in letzter Zeit entwickelt hatten, sei es, daß sie bis dahin der Kenntnis der Stationsbehörden entgangen waren. Vom Tanganjika waren schon mehrfach Berichte eingegangen, welche das Vorhandensein der Schlafkrankheit an dem nördlichen Teil des Seeufers sehr wahrscheinlich machten. Deswegen hatte das Gouvernement von Ostafrika Stabsarzt Feldmann dorthin entsandt, um bestimmte Auskunft zu er- halten. Derselbe hatte denn auch bei einer Anzahl von Kranken durch Drüsenpunktion das Trypanosoma gambiense gefunden und damit das Vorhandensein der Schlafkrankheit festgestellt. Aber auch am Victoria-Njansa, und zwar sowohl am westlichen als am östlichen Ufer, stellten sich die Anzeichen vom Ausbruch der Seuche ein. Es kamen nämlich zu Anfang des Jahres 1907 zugleich mit den übrigen aus Uganda stammenden Eingeborenen eine Anzahl von Schlafkranken aus dem Sultanat Kisiba, welches den nördlichsten Teil des deutschen Bezirks Bukoba bildet und an das englische Gebiet angrenzt. Die Zahl der Kranken aus Kisiba nahm in kurzer Zeit so zu, daß an dem Bestehen eines Seuchenherdes in dieser Gegend nicht mehr zu zweifeln war. Fast zu gleicher Zeit trafen auch vom östlichen Seeufer von der Station Schirati Nachrichten darüber ein, daß im Hinterlande von Schirati und an der südlich davon gelegenen Moribucht der Schlafkrankheit verdächtige Fälle beobachtet seien. Der Stationschef Herr Bezirksamtsekretär Häuser hatte von den Kranken Blutpräparate Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 593 anfertigen lassen und eingeschickt. In einigen von diesen Präparaten wurden von uns Trypanosomen gefunden. Also auch hier mußte ein Seuchenherd bestehen. Damit war es denn aber auch geboten, möglichst bald an Ort und Stelle weitere Nachforschungen über den Grad der Verseuchung und die Ausbreitung dieser Herde anzustellen. Kurz entschlossen begab ich mich dann gegen Ende Mai 1007 in Begleitung von Stabsarzt K u d i c k e auf die Fahrt um das .siidliche Ufer des Victoria-Njansa, zuerst nach Kisiba mit Hilfe von Eingeborenenbooten, dann über Land bis zur Station Bukoba und weiter mit dem englischen Dampfer über Muansa nach Schirati. Das Anerbieten Stabsarzt F e 1 d m a n n s , mich auf dieser Reise zu begleiten und mir behilflich zu sein, nahm ich mit Dank an. Er war von der früher erwähnten Exkursion nach dem Tanganjika kurz vorher zurückgekommen und hätte einen ihm gebührenden Urlaub antreten können. Er hatte es aber vorgezogen, sich zu uns nach den Seseinseln zu begeben, um sich über den Stand der Schlafkrankheitsforschung zu informieren und sich an unseren Arbeiten als freiwilliger Mitarbeiter zu beteiligen. Da Stabsarzt Pause einige Monate vorher aus dem Verband der Expedition auf seinen Wunsch ausgeschieden war. so trat Stabs- arzt F e 1 d m a n n gewissermaßen an dessen Stelle. In Kisiba angelangt, mußten wir uns sehr bald davon überzeugen, daß es in diesem Lande sehr viel mehr Kranke gab, als wir erwartet hatten. Außerdem stellte es sich heraus, daß hier ganz eigentümliche Verhältnisse herrschten. Die Glossina palpalis fehlt nämlich in Kisiba vollständig, und dementsprechend hatten sich auch die Kranken nicht im Lande selbst, sondern außerhalb desselben infiziert. Die Einwohner von Kisiba gehen seit einigen Jahren als Arbeiter nach Uganda, halten sich dort monate- und selbst jahrelang auf, werden durch den Stich der Glossinen mit Trypanosomen infiziert und kommen als Schlafkranke in ihre Heimat zurück. Hier bot sich nun die wahrscheinlich einzigartige Gelegenheit, an einer verhältnismäßig großen Zähl von Kranken zu beobachten, was aus der Schlafkrankheit wird, wenn zwar fast alle übrigen blutsaugenden Insekten Afrikas vorhanden sind und als Überträger der Trypanosomen dienen können, aber die Glossina palpalis fehlt. Ferner konnte, vor- ausgesetzt, daß die Infektion nur durch die Glossina palpalis vernüttelt \\drd, an einem solchen Orte, wo eine Reinfektion ausgeschlossen war, entschieden werden, inwieweit eine vollständige Heilung mit dem Atoxyl zu erreichen ist. Teils um den armen Kranken soviel als möglich zu helfen, teils um die wissenschaftlich interessanten, aber auch prak- tisch sehr wichtigen eben angedeuteten Fragen zu beantworten, mußte in Kisiba ein Lager errichtet werden, in welchem die Kranken angesammelt und der Behandlung sowie der Beobachtung unterzogen werden konnten. Ein geeigneter Platz wurde bald bei dem großen Dorfe Kigarama gefunden und in wenigen Tagen ein Lager für einige hundert Kranke errichtet. Die Leitung desselben übernahm Stabsarzt K u d i c k e . welcher in Kigarama zurückblieb, während Stabsarzt F e 1 d m a n n und ich die Reise fort- setzten. Vorher machten wir aber noch einen Ausflug bis zu den Niederungen am Kagera- Nil, weil wir dort Glossinen vermuteten, aber wir haben dieselben auch dort nicht an- getroffen. LTnser Weitermarsch nach Bukoba führte uns durch das an Kisiba grenzende Sultanat Bugabu, wo wir ebenfalls zahlreiche Schlafkranke antrafen. Dieselben wurden nach dem Lager von Kigarama dirigiert. Die von uns festgestellte Verbreitung der Schlafkranliheit und der Glossina palpalis im deutschen Gebiet am Victoria-Njansa ist aus der als Tafel II beigefügten Karte zu ersehen. Als wir später nach Muansa kamen, nahmen wir die Gelegenheit wahr, um der Insel Sijawanda, auf welcher ein Jahr zuvor der Abholzungsversuch gemacht war, einen Koch, Gesammelte Werke. 83 594 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. Besuch abzustatten und uns davon zu überzeugen, daß die Insel auch jetzt noch bis auf eine kleine nicht abgeholzte Stelle sich vollkommen frei von Glossinen ge- halten hatte. Im Bezirk Schirati wurden in Begleitung des Herrn Häuser diejenigen Gegen- den aufgesucht, wo sich die verdächtigen Fälle gezeigt hatten, und wir trafen daselbst bald so viel Kranke, daß auch hier die Seuche schon festen Fuß gefaßt haben mußte. Ihre Zahl war zwar nicht so bedeutend wie in Kisiba, aber es ließ sich doch feststellen, daß das ganze Ufer des Sees von der englischen Grenze im Norden und darüber hinaus bis zur Moribucht im Süden mit Glossinen und mit Schlafkrankheit verseucht war. Nur die Station Schirati selbst, welche frei von Glossinen war, hatte sich auch frei von der Krankheit gehalten. Es machte außerdem den Eindruck, als ob die Seuche nach dem Süden zu im Fortschreiten begriffen sei. Auch hier mußte schleunigst alles geschehen, um die Seuche zum Stehen zu bringen. Da es uns aber an Einrichtungsmaterial für ein zweites Lager fehlte, so blieb uns nur übrig, vorläufig nach den Seseinseln zurück- zugehen, von dort aus das Notwendigste nach Schirati zu senden und das dann noch Fehlende von der Küste kommen zu lassen. Zunächst konnten wir nur einen ausreichen- den Vorrat von Atoxyl zurücklassen, damit Herr Häuser in der Lage war, bis zur Ankunft eines Arztes wenigstens eine Anzahl Kranke zu behandeln. Nach einmonatlicher Abwesenheit kehrten wir zu Anfang Juni wieder zurück nach den Seseinseln. Zugleich mit uns traf Oberarzt Breuer daselbst ein, welcher vom Gouvernement geschickt wurde, um sich über die Schlafkrankheit zu informieren und später bei der Bekämpfung der Krankheit Verwendung zu finden. Einige Wochen später gingen dann Stabsarzt Feldmann und Oberarzt Breuer, nachdem das Gouvernement seine Einwilligung dazu gegeben hatte, nach Schirati, um daselbst ein Sammellager für die Schlafkranken einzurichten. So war denn sowohl am westlichen wie am östlichen Ufer des Victoria-Njansa dem dringendsten Bedürfnis in bezug auf die Bekämpfung der Schlafkrankheit auf deutschem Gebiet genügt, damit war aber auch die Expedition über ihre eigentliche Aufgabe bereits hinausgegangen. Nach der in der Anlage befindlichen Denkschrift sollte die Expedition ,,eine wissen- schaftliche Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit" sein. Wir haben dies nun nicht dahin aufgefaßt, daß irgendwelche wissenschaftliche mit der Schlaf- krankheit in Zusammenhang stehende Fragen bearbeitet werden sollten, ohne Rück- sicht auf ihre spätere praktische Verwendung; derm dann würde es für die Expedition kaum ein Ende gegeben haben; solcher Fragen wird es immer wieder neue geben. Wir haben vielmehr gemeint, uns solchen Fragen zuwenden zu sollen, deren Lösung uns befähigen konnte, die Schlafkrankheit mit Erfolg zu bekämpfen; deswegen haben Avir uns vorzugsweise mit der Behandlung der Krankheit, ihrer Diagnose und mit der Er- forschung der Lebensbedingungen des zur Infektion unbedingt erforderlichen Zwischen- wirts, der Glossina palpalis, befaßt. In dieser Beziehung glauben wir aber auch, durch unsere Forschungen so viel brauchbares Material herbeigeschafft zu haben, daß wir nun in der Tat den Kampf gegen die Seuche mit Aussicht auf Erfolg aufnehmen können. Damit war aber auch die eigentlich beabsichtigte Aufgabe der Expedition gelöst, und wir hielten deswegen den Zeitpunkt für gekommen, sie abzuschließen, auch schon aus dem Grunde, weil das für die weitere Bekämpfung der Schlafkrankheit dringend erforderliche und für diesen Zweck eingeschulte Personal der Expedition anderweitig Verwendung finden mußte. So wurde denn im Juli 1907 die demnächstige Auflösung der Expedition beschlossen; es wurden keine neuen Kraulten mehr aufgenommen und die in Behandlung befind- lichen allmähUch entlassen. Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 595 Die letzten Wochen des Aufenthalts auf den Seseinseln benutzte ich dazu, um in Begleitung des Feldwebels S a c h e r die verschiedenen Inseln der Sesegruppe und entferntere Gegenden der Hauptinsel zu besuchen und mich danach umzusehen, was aus unseren früher behandelten Kranken geworden war. Einzelne Kranke waren gestorben, aber doch nur wenige. Im ganzen ging es den mit Atoxyl behandelten bis dahin recht gut. Aber ich bin doch erst bei diesen persön- lichen Nachforschungen gewahr geworden, wie wenig Kranke aus der BevöUcerung der Seseinseln von der durch uns gebotenen Gelegenheit, ihre Krankheit ärztlich be- handeln zu lassen, Gebrauch gemacht hatten. Überall traf man in den Dörfern noch Kranke, welche von einer Behandlung nichts wissen wollten, und hörte man von frischen Todesfällen bei nicht Behandelten. Ich hatte nicht geglaubt, daß die Indolenz der Ein- geborenen so weit geht, und ich habe mich bei dieser Gelegenheit davon überzeugt, daß man allein mit einer fakultativen Atoxylbehandlung gegen die Schlafkrankheit nicht allzuviel ausrichten würde. Gegen Anfang Oktober war die Zahl unserer Kranken soweit verringert, daß wir sie dem Pere superieur B e c in Bumangi, welcher sich in liebenswürdiger Weise bereit erklärt hatte, sich ihrer anzunehmen, zugleich mit einem für längere Zeit reichenden Vorrat von Atoxyl übergeben und die Rückreise nach Deutschland antreten konnten. Beiträge zur Ätiologie der Schlafkrankheit. Als die Expedition ihre Arbeiten begann, war es nicht, wie das sonst bei derartigen Expeditionen in der Regel der Fall ist, notwendig, ganz von vorn anzufangen und die Ätiologie der betreffenden Krankheit zu erforschen. Das war für die Schlaf kranl^heit bereits durch die Untersuchungen von Bruce geschehen. Man wußte, daß die eigent- liche Ursache der Schlafkranliheit ein Trypanosoma ist, und daß dieses Trypanosoma identisch ist mit dem früher in Westafrüca entdeckten Trypanosoma gambiense, woraus sich dann weiter ergab, daß die sogenannte Schlafkranklieit in Wirkliclikeit die Try- panosomenkrankheit (Trypanosomiasis) des Menschen und die Schlafkrankheit selbst nur das letzte Stadium der Trypanosomiasis ist. Weiter war bekannt, daß das Try- panosoma durch den Stich eines blutsaugenden Insekts, der Glossina palpalis, vom kranlvcn auf den gesunden Menschen übertragen wird. Daß diese Grundlagen der Ätiologie richtig sind, darüber herrscht wohl allseitige Übereinstimmung. Auch wir haben bei unseren Untersucliungen niemals etwas ge- funden, was Veranlassung gegeben hätte, daran zu zweifeln. Nur in bezug auf manche Einzelheiten bestehen noch Widersprüche und auch Lücken. Deswegen erscheint es nicht überflüssig, über das zu berichten, was die Expedition auf Grund ihrer Forschungen zur Ergänzung der Ätiologie beizutragen vermag, und zwar soll dies geschelien erstens in bezug auf das Trypanosoma gambiense und zweitens in bezug auf die Glossina palpalis. I. Über das Trypanosoma gambiense. Das Verhalten der Trypanosomen im menschlichen Körper konnten wir nur, so- weit sie sich im Blute und in den Lymphdrüsen finden, beobachten, da es ganz aus- geschlossen war, inmitten der Eingeborenen Leichenöffnungen auszuführen. Das Auftreten der Trypanosomen im Blute muß wohl zu den allerfrühesten Krank- heitserscheinungen gehören, da wir es nicht selten noch vor dem Anschwellen der Lymph- drüsen und bei Menschen gefunden haben, welche sich im übrigen ganz gesund fühlten und keine Ahnung davon hatten, daß sie bereits an der Trypanosomiasis litten. Ohne 83* 596 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. Zuhilfenahme der in Abschnitt „Diagnose der Schlafkrankheit" (III, Blutuntersuchung) beschriebenen Untersuchungsmethode würden diese Fälle wohl kaum zu unserer Kenntnis gekommen sein. Wenn nun Kranke, in deren Blut Trypanosomen nachzuweisen sind, recht sorgfältig und täglich untersucht werden, wie wir das des öfteren getan haben, dann erfährt man zunächst, daß die Anzahl der Trypanosomen im Blute fast immer eine sehr geringe ist. Auf ein Präparat, welches mehrere Tropfen Blut enthält, kommen oft nur ein oder zwei Trypanosomen. Fünf bis zehn Trypanosomen in einem Präparat bilden schon eine ziemlich reiche Ausbeute. Wir haben nur ausnahmsweise eine größere Zahl von Trypanosomen gesehen, so daß auf jedes zweite bis dritte Gesichtsfeld der sehr dicken Präparatenschicht ein Trypanosoma kam. Solche Mengen von Trypano- somen, wie man sie fast regelmäßig im Blute der Versuchstiere zu sehen bekommt, haben wir niemals im Blute der Menschen angetroffen. Das Vorkommen der Trypanosomen im Blute ist ziemlich unregelmäßig. Wenn sie einen oder einige Tage lang gefunden wurden, dann sind sie plötzlich verschwunden und bleiben gewöhnlich 2 bis 3 Wochen fort, um dann wieder zum Vorschein zu kommen. Sie sind dann anfangs ganz vereinzelt, werden am nächsten und vielleicht auch noch am dritten Tage ein wenig zahlreicher, nehmen dann wiederum ein bis zwei Tage ab und verschwinden von neuem. Es hat den Anschein, als ob sie periodenweise im Blute erscheinen, und zwar dauert ihr Vorhandensein 2 bis 5 Tage und ihr Fehlen 2 bis 3 Wochen. Meistens sind mit dem Wiederauftreten der Trypanosomen eine Temperatursteigerung und verstärkte Krankheitssymptome, namentlich Kopf- und Brustschmerzen, ver- bunden. Man muß mit dem periodenweisen Erscheinen der Trypanosomen im Blute ver- traut sein, um bei der diagnostischen Untersuchung des Blutes nicht zu viele vergeb- liche Untersuchungen zu machen. In den Blutpräparaten haben die Trypanosomen ein sehr verschiedenes Aussehen, je nachdem sie am Rande oder mehr nach dem Innern zu liegen. Am Rande erscheinen sie in bezug auf ihre Größe, auf die Gestalt des Kerns, Sichtbarkeit der undulierenden Membran und der Geißel, ebenso wie man sie in Ausstrichpräparaten vom Blut der Versuchstiere zu sehen gewohnt ist. Aber in den dicken Schichten der inneren Partien des Präparates sehen sie erheblich kleiner aus, ihre Farbe ist dunlder, sie haben auch ein rundhches Aussehen, der Kern ist kleiner, Membran und Geißel sind kaum zu er- kennen, oft scheinen sie zu fehlen. Dieses verschiedene Aussehen beruht nun aber nicht auf verschiedener Beschaffenheit der Trypanosomen, sondern ist nur durch die Prä- paration bedingt. Am Rande trocknen sie in sehr dünner Schicht und sehr schnell ein. Dabei werden sie also der Fläche nach ausgebreitet, gewissermaßen gestreckt und in dieser Form durch das Eintrocknen sofort fixiert. In der dicken Blutschicht des Prä- parats geht der Eintrocknungsprozeß nur allmählich vor sich, und da bleibt dem Try- panosoma Zeit, in seiner ursprünglichen walzenförmigen Gestalt unter mehr oder weniger starkem Schrumpfen des ganzen Körpers und ganz besonders der undulierenden Membran und der Geißel zu trocknen. Hat man sich erst an diese von der Präparation her- rührenden künstlichen Gestaltsunterschiede gewöhnt und berücksichtigt dieselben in gebührender Weise, dann wird man finden, daß die Trypanosomen des Blutes, abgesehen von geringen Größenunterschieden und verhältnismäßig selten vorkommenden Teilungs- formen, gleichförmig sind. Wir haben im Blute der Schlafkranken nichts gefunden, was als Geschlechtsformen, Kopulationen usw. gedeutet werden könnte. Auch in den Lymphdrüsen zeigen die Trypanosomen dasselbe Aussehen wie im Blute. Aber im übrigen ist ihr Verhalten doch ein anderes. Ihre Zahl ist eine größere. Man findet deswegen schon in den einfachen Ausstrichpräparaten regelmäßig einige Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 597 Exemplare. Auch verschwinden sie nicht zeitweihg wie im Blute, sondern sie sind be- ständig vorhanden. Aus diesem Grunde sind sie besonders geeignet, um die unmittel- bare Wirkung des Atoxyls auf die Trypanosomen zu studieren. Es läßt sich mit aller Schärfe der Zeitpunkt bestimmen, wann sie verschwunden sind, während die Unter- suchung des Blutes immer noch mit der Möglichkeit rechnen muß, daß sie von selbst verschwunden sein könnten. Für die weiteren Untersuchungen aber in bezug auf das, was eintritt, nachdem sie einmal zum Verschwinden gebracht sind, kann nur noch die Blutuntersuchung benutzt werden. Denn wenn Rezidive eintreten, dann erscheinen die Trypanosomen nur im Blute wieder, während die Drüsen, nachdem sie einmal kräftig vom Atoxyl beeinflußt sind, abschwellen und die Trypanosomen in ihnen nicht wieder zum Vorschein kommen. Veränderungen, wie man sie an den Malariaparasiten unter dem Einfluß von Chinin beobachten kann, sieht man an den Trypanosomen nach einer kräftigen Dosis von Atoxyl nicht, wenigstens nicht deutlich. Mitunter glaubt man Erscheinungen von Zerfall wahr- zunehmen, aber es können auch Veränderungen sein, welche durch die Präparation bewirkt sind. Im menschlichen Körper führen die Trypanosomen also ein sehr gleichmäßiges Leben unter Beibehaltung von ungeschlechtlichen Formen. Aber wie verhalten sie sich nun außerhalb desselben ? Ist der Mensch der einzige Wirt für die Trypanosomen ? Gibt es noch andere Zwischenwirte ? Wie verhalten sie sich im Zwischenwirt, in der Glossina palpalis ? Zur Beantwortung der ersten Frage : , ,Ist der Mensch der einzige Wirt für das Try pano- soma gambiense ?" mußten möglichst viele Tiere daraufhin untersucht werden, ob sie Try- panosomen beherbergen und ob diese mit dem Trypanosoma gambiense in Beziehung stehen. Wir haben denn auch alle Tiere, deren wir habhaft werden konnten, daraufhin untersucht. Von Säugetieren zähle ich folgende auf: Rinder, Ziegen. Schafe, Hunde, Affen, verwilderte Schweine, Nilpferde, Tragelaphus-Antilopen. Alle diese Tiere hielten sich beständig oder doch sehr oft am Ufer des Sees auf, wo die Glossinen schwärmen und wo sie von letzteren sicher gestochen wurden. Aber nur bei einem einzigen Affen wurden Trypanosomen gefunden. Derselbe war kurz vor- her, ehe wir ihn bekamen, eingefangen und er konnte weder in dieser Zeit noch bei uns infiziert sein, da er während der Gefangenschaft nicht mehr mit Glossinen in Berührung kam. Er erkrankte und es fanden sich bei der Untersuchung seines Blutes ziemlich viele Trypanosomen, welche in jeder Beziehung dem Tr3rpanosoma gambiense glichen. Wir hatten es also hier mit einem unzweifelhaften Fall von spontaner Infektion zu tun. Und es ist eigentlich nur wunderbar, daß derartige Infektionen von Affen, welche doch sehr empfänglich für die menschliche Trypanosomiasis sind, nicht öfter vorkommen. Wenn bei den anderen genannten Tieren keine Trypanosomen zu finden waren, dann mag das daran liegen, daß sie unempfänglich für das Trypanosoma gambiense sind. Nur der Hund würde eine Ausnahme davon machen. Derselbe kann bekanntlich, wenn er auch nicht so hoch empfänglich ist wie der Affe, doch mit dem Trypanosoma gambiense künstlich infiziert werden. Nun waren auf den Seseinseln, als wir dorthin kamen, nach Aussage der Eingeborenen die meisten Hunde weggestorben; in einem auf der Halb- insel Buninga von Dr. van S o m e r e n vor längerer Zeit untersuchten Hunde waren auch Trypanosomen nachgewiesen, wie mir in Entebbe unter Demonstration des be- treffenden Präparates mitgeteilt wurde. Wenn wir in den wenigen Hunden, die wir noch untersuchen konnten, keine Tr3'panosomen nachzuweisen vermochten, so wird dies vermutlich daran gelegen haben, daß wir zu spät gekommen sind. 598 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. Unter den Vögeln richteten wir unsere Aufmerksamkeit besonders auf die Wasser- vögel, welche in großer Menge zugleich mit der Glossina palpalis an felsigen Uferstellen mit niedrigem Busch und Ambatsch vorkommen, wie Kormorane, Schlangenhalsvögel, Reiher, Eisvögel, Nilgänse, Webervögel usw., ohne jemals im Blute dieser Vögel Try- panosomen zu finden. Nur bei Nashornvögeln begegneten wir Trypanosomen, die wir bereits früher bei derselben Vogelart im Usambaragebirge getroffen hatten und die auch ihrem Aussehen nach nicht zum Trypanosoma gambiense gehörten. Unter den Reptilien dagegen waren Trypanosomen nicht selten. Sie wurden ge- funden bei Schildliröten und Krokodilen. Namentlich die den letzteren Tieren ange- hörigen Trypanosomen erregten unser besonderes Interesse, weil wir bereits wußten, daß die Glossina palpalis sich hauptsächlich vom Blut der Krokodile ernährt, und zu vermuten war, daß deswegen möglicherweise auch das Trypanosoma gambiense dabei übertragen wird. Wir haben die Trypanosomen bei vier von zwölf erwachsenen Kroko- dilen gefunden, die daraufhin untersucht werden konnten. Allerdings kamen sie immer nur in geringer Zahl im Blute derselben vor, so daß man sorgfältig und mitunter recht lange suchen muß, um sie zu Gesicht zu bekommen. Das Trypanosoma des Krokodils ist recht groß und sieht genau so aus wie das Trypanosoma rotatorium, welches gelegentlich auch im Blute des europäischen Frosches vorkommt. Zweimal ist es Prof. Kleine gelungen, dieses Trypanosoma auf dem von N o V y angegebenen Blutnährboden zu kultivieren. Die auf solche Weise erhaltenen Kulturformen gleichen dem ursprünglichen Trypanosoma wenig; sie sind erheblich kleiner und schlanker, so daß man die Zusammengehörigkeit dieser beiden unähnlichen Protozoen fast bezweifeln möchte. Aber B o n e t hat im Institut P a s t e u r bei der Züchtung des Froschtrypanosoma, welche ihm ebenfalls nach der Methode von N o v y gelungen ist, ganz dieselben Kulturformen erhalten^). In jungen Krokodilen, und selbst in solchen bis zu einem Alter von etwa vier Jahren, konnten die Trypanosomen nicht nachgewiesen werden. Alle Übertragungs- versuche mißlangen. Auf jeden Fall besteht zwischen diesem Krokodiltrypanosoma und dem Try- panosoma gambiense kein Zusammenhang. Zu erwähnen ist noch, daß unter den Fischen bei den im Victoria-Njansa lebenden Welsen Trypanosomen vorkommen, die gar keine Ähnlichkeit mit dem Trypanosoma gambiense haben. Für dieses letztere kommt als Wirt also nur der Mensch, der Affe und der Hund in Betracht. Aber das Vorkommen bei diesen beiden letzteren Tierarten scheint doch nur eine ganz nebensächliche Rolle zu spielen. Die zweite Frage, nämlich ob neben der Glossina palpalis noch andere Zwischen- wirte oder Überträger des Trypanosoma gambiense vorhanden sind, hat man mehr- fach durch Laboratoriumsversuche zu lösen versucht. Auch wir hatten schon in Amani derartige Versuche mit der Glossina fusca angestellt, welche an infizierte Ratten ge- füttert wurde. Diese Versuche ergaben insoweit ein positives Ergebnis, als sich die Try- panosomen unter mäßiger Vermehrung tagelang in den Glossinen nachweisen ließen. Daraus mußte geschlossen werden, daß die Glossina fusca imstande ist, das Trypano- soma gambiense einige Zeit beherbergen zu können. Ob diese Glossinen und andere blutsaugende Insekten auch imstande seien, die Trypanosomen durch ihren Stich zu übertragen, soUte später untersucht werden. Aber der Zufall verhalf uns zu einem Ver- such, der sich im größten Maßstabe, und zwar ganz ohne unser Zutun, abspielte und alle weiteren Laboratoriumsversuche überflüssig machte. Wie früher berichtet ist, hatten 1) Annales de l'Institut Pasteur T. XX, 1906, p. 564. Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlaficiankheit entsandten Kommission. 599 Fi^. ] . Frisch geschossenes Krokodil. Fig. 2. Dasselbe Krokodil, avis dessen noch pulsierendem Herzen mit einer S|int/.i- Klüt ent- nommen und in che vorher präparierten Reagensgläser gebracht wurtle. 600 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkranldieit entsandten Kommission. sich nämlich im Sultanat Kisiba, das zum deutschen Schutzgebiet gehört, Hunderte von Schlafkranken angesammelt, die sich in Uganda infiziert hatten und krank in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Hier befanden sie sich aber in einem Lande, in welchem die Glossina palpalis vollkommen fehlt, alle anderen in Frage kommenden blutsaugenden Insekten aber sehr reichlich vertreten sind; strichweise kommt hier auch die Glossina fusca und die Glossina morsitans vor. In solcher Gegend mußte es sich unter allen Um- ständen entscheiden, ob irgendwelche anderen Insekten imstande sind, das Trypanosoma gambiense von kranlcen auf gesunde Menschen zu übertragen. Es wurden hierüber möglichst genaue Beobachtungen angestellt, aber es konnte nicht ein einziger Fall er- mittelt werden, in welchem eine solche Übertragung durch andere Insekten als die Glos- sina palpalis stattgefunden hätte. Über die sehr interessante, bei dieser Gelegenheit vom Stabsarzt K u d i c k e gemachte Beobachtung, daß einzelne Übertragungen bei Frauen von schlafkranken Männern vorgekommen und wie dieselben aufzufassen sind, wird in einem anderen Abschnitt berichtet werden. Nach den in Kisiba gemachten Erfahrungen müssen wir also annehmen, daß die Glossina palpalis den einzigen Zwischenwirt für das Trypanosoma gambiense bildet, was auch mit der Beobachtung übereinstimmt, daß, soweit bis jetzt bekannt ist, die Schlafkrankheit endemisch nur da vorkommt, wo die Glossina palpalis existiert, und daß sich also die Gebiete der Schlafkrankheit und der Glossina palpalis vollkommen decken. Wir kommen nunmehr zu der dritten der aufgestellten Fragen, nämlich von dem Verhalten der Trypanosomen im Zwischenwirt. In bezug hierauf können verschiedene Möglichkeiten in Betracht kommen, welche durch die Organisation der Glossina be- dingt sind. Das trypanosomenhaltige Blut gelangt in der Glossina beim Saugen zu- nächst in den Saugrüssel und von da in den Pharynx und Oesophagus, dann weiter in den Proventrikel, wo sich der Digestionstraktus in zwei Äste teilt, der eine führt in den Saugmagen, der andere direkt in den Magen und Darm. Der sogenannte Proventrikel ist eine Art von Ventil, Avelches den Weg des gesogenen Blutes nach dem Saugmagen, der als Vorratsbehälter funktioniert, und von diesem zu dem eigentlichen Magen re- guliert, aber auch verhindert, daß das Blut wieder zurück in den Saugrüssel strömen kann. Trj-panosomen, welche den Proventrikel einmal passiert haben, können also nicht wieder direkt zum Saugrüssel gelangen und auf diesem Wege verimpft werden. Nur wenn sie in irgendeiner Weise vom Magendarmkanal in die Speicheldrüse ge- langen, können sie von hier aus ungehindert den Saugrüssel erreichen, weil die Aus- führungsgänge der Speicheldrüsen außerhalb des Proventrikels, d. h. des Sperrventils verlaufen. Unter diesen Umständen müssen die Trypanosomen durch die Glossina also ent- weder in der Weise übertragen werden, daß eine gewisse Menge Blut oberhalb des Pro- ventrikels im Oesophagus, Pharynx und Saugrüssel zurückbleibt und beim nächsten Saugakt in die Haut des Wirts injiziert wird, oder indem, analog dem Vorgange bei der Übertragung der Malariaparasiten, die Trypanosomen im Magendarmkanal der Glossina einen Entwicklungsgang durchmachen, schließlich in die Speicheldrüsen ein- dringen und von hier aus jedesmal beim Beginn des Saugaktes zugleich mit dem Sekret der Speicheldrüse in die Stichwunde entleert werden. Bis vor wenigen Jahren hatte man angenommen, daß für die Glossinen der erst- geschilderte Infektionsmodus Geltung habe, da von einem Entwicklungsgang der Try- panosomen und von ihrem Eindringen in die Speicheldrüsen nichts bekannt war. Nun hatte ich aber vor einigen Jahren auf einer Expedition ins Innere von Deutsch-Ost- afrika Gelegenheit, in einer Tsetsegegend eine Anzahl Exemplare der Glossina fusc a Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. ßQl ZU untersuclien und in deren Magendannkanal Formen von Trypanosomen zu finden, welche unzweifelhaft einem Entwicklungszyklus des Trypanosoma Brucei, des Krank- heitserregers der Tsetsekrankheit, angehörten^). Besonders charakteristisch erschienen solche Formen, welche offenbar einen Übergang der indifferenten Formen, wie sie im Blute vorkommen, in Geschlechtsformen bilden. Neben Trypanosomen von stärkeren Dimensionen als gewöhnlich, welche bei der Azurfärbung kräftige l*lasmafärbung zeigen, aber nur einen locker gefügten und oft schwach gefärbten Kern besitzen (Taf. XXXIX, Fig. 1 a, b, c), befinden sich andere, welche auffallend dünn und schlank gestaltet sind, fast gar keine Plasmafärbung annehmen, dagegen einen kompakten und intensiv ge- färbten Kern haben (Taf. XXXIX, Fig. 2a, b, c). Nach Analogie mit anderen Proto- zoen muß man die ersteren als weibliche, die letzteren als männliche Formen ansehen. Schon bei unserem Aufenthalt in Amani waren diese Untersuchungen an der Glos- sina fusca wieder aufgenommen, konnten aber wegen unserer vorzeitigen Abreise nicht zum Abschluß gebracht werden. Dieselben hatten aber doch volle Bestätigung der früheren Befunde und die Gewißheit gegeben, daß die Trypanosomen in den Glossinen einen bestimmten Entwicklungszyklus durchmachen. Selbstverständlich richteten wir daher, sobald wir Exemplare der Glossina palpalis zur Untersuchung erhielten, unsere Aufmerksamkeit auf diesen Punlit. Wir fanden dann aber nicht, wie in den Tsetsegegenden, die Flntwicklungsformen von niu- einer, sondern von vier verschiedenen Trypanosomenarten in den Glossinen, und es war eine ziemlich schwierige Aufgabe, dieselben gegeneinander und auch gegen die früher in der Glossina fusca gefundenen Tsetsetrypanosomen mit Sicherheit abzugrenzen. Dies war auch nur möglich durch die Verarbeitung einer sehr großen Anzahl von Glossinen. Es wurden in Muansa 204 und auf den Seseinseln 2680 Exemplare der Glossina palpalis, also insgesamt 2890 von uns verarbeitet, unter denen 189 gefunden wurden, welche Trypanosomen im Intestinaltraktus hatten. Diese Trypanosomen gehörten, wie gesagt, vier verschiedenen Arten an. Drei davon hatten wir bereits in Muansa. wo es keine Schlafkrankheit, also auch kein Try- panosoma gambiense gab, gefunden. Diese konnten demnach nicht zu letzterem ge- hören. Trotzdem beanspruchen sie wegen ihres Vorkommens in der Glossina palpalis so viel Interesse, daß eine Abbildmig und eine kurze Beschreibung derselben hier ge- geben werden soll. Da ich es nicht für richtig halte, einen Mikroorganismus sofort mit einem Namen zu belegen, wenn er eben unter dem Mikroskop gesichtet ist. so werde ich die von uns gefundenen Trypanosomen vorläufig als Typen mit fortlaufenden Nummern bezeichnen. Typus I. Die bei weitem am häufigsten vorkommende Art. Sie wurde 141mal gefunden. Die weiblichen Formen (Taf. XXXIX, Fig. 3a, b. c) sind ziemlich groß und ]>lump gestaltet; in der Mitte ist der Durchmesser größer als an den beiden schwach zugespitzten Enden. Die Geißel ist sehr kräftig und lang. Der Blepharoplast liegt vor dem Kern, ist ziemlich dick und sitzt knopfförmig dem Ende des Geißelf adens auf; sein Durch- messer ist etwa ein Drittel von demjenigen des Trypanosoma. Der Kern hat ein lockeres Gefüge und ist nicht kräftig gefärbt. Das Plasma nimmt reichliche Azurfärbung an. Die männlichen Formen (Taf. XXXIX, Fig. 4a, b ) sind fast ebenso lang wie die weib- lichen (die Geißel eingerechnet), aber sehr dünn und schlank. Der Blepharoplast liegt vor dem Kern, welcher sehr dichtes Gefüge hat und intensive Färl)ung annimmt. Die ^) Deulsclie med. Wochenschrift 1Ü0.5, Nr. 47. Diese Werke Bd. I I, p. 477. D. Herausg. ß02 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. Plasmafärbung fehlt fast vollständig, so daß man von dem Trypanosoma nur die Um- risse, Kern, Blepharoplast und Geißellinie sieht. Typus II. Wurde 24 mal gefunden^ Die weiblichen Formen (Taf. XXXIX, Fig. 5a, b, c, d) erscheinen sehr lang und bandförmig, nicht wie beim Typus I in der Mitte bauchig verdickt, sondern in der ganzen Länge fast gleichmäßig breit ; am hinteren Ende fast stumpf, am Geißelende nur schwach zugespitzt. Der Kern hat lockeres Gefüge. Der Blepharoplast ist punktförmig, etwa ein Drittel so breit wie das Trypanosoma. Er liegt immer nahe bei dem Kern, und zwar vor, hinter oder neben demselben. Die Geißel ist sehr kurz und ragt kaum über das vordere Ende des Körpers hinaus. Das Plasma nimmt die Azurfärbung kräftig an und erscheint oft mehr oder weniger stark gekörnt. Die männlichen Formen (Taf. XXXIX, Fig. 6a, b, c) sind kürzer als die weiblichen. Sie sind sehr dünn und sehen geradezu fadenförmig aus. Doch kann man den sehr schmalen und langen Kern und den danebenliegenden punktförmigen Blepharoplasten gut er- kennen. Mitunter trifft man Exemplare, in denen der Blepharoplast hinter dem Kern liegt, aber in der Regel liegt er vor demselben. Das vordere Ende des Körpers ist so dünn, daß es nicht abgestutzt erscheint, sondern so aussieht, als ob es in eine ziemlich lange und sehr feine Geißel übergeht. Von Plasmafärbung ist nichts wahrzunehmen. Typus III. Wurde 19mal gefunden. Die weiblichen Formen (Taf. XL, Fig. 7a, b, c, d) haben dieselbe Größe, bandförmige Gestalt und kurze Geißel, wie diejenigen des Typus II, sind von diesen aber sofort durch den Blepharoplasten zu unterscheiden. Derselbe ist bei diesem Typus groß, und zwar ist er längKch, fast stabförmig, oft leicht gekrümmt und, was sehr auffallend ist, zur Längsachse des Trypanosoma quer gestellt. Der Blepharoplast reicht von der einen Seitenwand des Trypanosoma zur anderen. Öfters ist er so lang, daß er die Seitenwand ein wenig hervorzutreiben scheint. Außerdem steht er nicht, wie bei Typus I, vor dem Kern, oder wie bei Typus II dicht neben dem Kern, sondern ziemlich weit hinter dem Kern. Letzterer ist ebenso wie derjenige der beiden anderen Typen aufgelockert und wird nicht intensiv gefärbt. Öfters zeigt er eine Teilung in acht Chromosome. Die männliche Form (Taf. XL, Fig. 8a, b, c) ist etwas länger und kräftiger als vom Typus II. Der Blepharoplast liegt immer vor dem Kern. Die Geißel ist sehr lang. Zu diesen drei Typen ist noch folgendes zu bemerken. In der Regel findet man in einer Glossina Trypanosomen, welche nur zu einem bestimmten Typus gehören. Es wird dadurch die Unterscheidung wesentlich erleichtert. Gemische von zwei Typen kommen nur ausnahmsweise vor. So kann gelegentlich Typus I mit II oder III kombiniert sein. Die Unterscheidung ist dann nicht schwierig. Eine Kombination von Typus II und III wurde nur einmal gefunden. Aber auch in diesem Falle ließ sich die Trennung mit Sicherheit durchführen. Die weiblichen Formen kommen öfters allein vor. Die männlichen wurden niemals allein angetroffen, sondern stets zusammen mit den ihnen zugehörigen weiblichen. Neben diesen beiden geschlechtlichen Formen finden sich sehr häufig Jugendformen, welche alle Übergänge von kugeligen, mit Kern und Blepharoplast versehenen geißellosen Gebilden bis zum fertigen Trypanosoma zeigen. Auch Übergänge zu männlichen Formen wurden beobachtet, bei welchen der längliche Kern anfangs in a\afgerolltem Zustande sich befand. Derselbe rollte sich beim Wachsen des Trypanosoma ab, zeigte aber noch am fertigen Trypanosoma öfters eine Krümmung, welche dem hinteren Ende desselben ein hakenförmiges Aussehen verlieh. Kopulation wurde nicht beobachtet, auch ist es nicht gelungen, die Herkunft der jüngsten Formen zu ermitteln. Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. QQ^ Typus IV. Wurde 5mal gefunden, und zwar nur auf den Seseinseln. Zweimal war die Zahl der Trypanosomen eine außerordentlich große, so daß sie dichte, zusammenhängende Schwärme bildeten, in den übrigen drei Fällen war sie mäßig groß. In zwei Glossinen enthielten auch die Speiclieldrüsen Trypanosomen, und zwar einmal ebenfalls große Mengen davon. Die weiblichen Formen (Taf. XL, Fig. 9a, b, c, d) sind etwas größer als das Try- panosoma gambiense, wie es im Blute angetroffen wird, sie zeigen aber im übrigen genau die Gestalt desselben. Das hintere Ende ist schwach zugespitzt, die Mitte bauchig ge- wölbt, das vordere Ende spitz und mit einer nicht sehr langen, aber kräftigen Geißel versehen. Das Plasma nimmt starke Färbung an. Der Kern ist aufgelockert und wird nicht intensiv gefärbt. Der punlvtförmige Blepharoplast liegt hinter dem Kern und nahe dem hinteren Ende. Oft finden sich im Plasma farblose, stark glänzende Körnchen. Wegen dieser weitgehenden Übereinstimmung zwischen Typus IV und Trypanosoma gambiense liegt es sehr nahe, diese beiden für identisch zu halten. Um einen Vergleich mit dem Trypanosoma gambiense zu ermöglichen, ist auf Taf. XL. Fig. 11 die Abbildung von zwei Exemplaren des Trypanosoma gambiense gegeben. Diese letzteren stammen aus einer Glossina fusca, die an einem mit Trypanosoma gam- biense infizierten Affen gesogen hatte, und zwar einige Tage nach dem Saugen, zu einer Zeit, als die Trypanosomen sich mäßig vermehrt und die Form angenommen hatten, welche man als Übergang zur geschlechtlichen Form ansehen könnte. Gelegentlich kommen recht große weibliche Formen vor, wie die Figuren (Taf. XL, Fig. 12a, b) zeigen. Als männliche Formen (Taf. XL, Fig. 10a, b, c) sind höchstwahrscheinlich solche anzusehen, welche neben den weiblichen angetroffen werden und sich dadurch aus- zeichnen, daß sie erheblich kleiner, zierlicher sind und neben einem kompakten dunkel- gefärbten Kern die Plasmafärbung fast vollständig entbehren. Sie besitzen alle wesent- lichen Merkmale der männlichen Formen von Trypanosomen und sind von den bisher beschriebenen nur darin verschieden, daß sie nicht die lange fadenförmige Gestalt haben. Gegen die Annahme, daß dieser Typus IV identisch ist mit dem Trypanosoma gambiense, spricht das verhältnismäßig seltene Vorkommen, jedoch nur scheinbar. Sie würden gewiß häufiger nachgewiesen worden sein, wenn es möglich gewesen wäre, an einem größeren Material eine gründliche, allerdings sehr zeitraubende Untersuchung der Speicheldrüsen durchzuführen. Als dieselbe in einem Falle vorgenommen wurde, kamen wir zu folgendem Resultat. Es wurden 207 Exemplare der Glossina palpalis, welche auf der Halbinsel Luto- boka gefangen waren, möglichst genau untersucht und dabei gefunden: 2 Glossinen mit Trypanosomen vom Typus I, 2 TT 1 >) )! )5 )) J5 III. 3 IV Linter den 3 vom Typus IV waren die beiden mit infizierten Speicheldrüsen und zwei mit kernlosen Blutkörperchen im Magen, zwischen denen sich einige Exemplare von Füaria perstans befanden, welche also Menschenblut gesogen hatten. Um ungefähr das Prozentverhältnis derjenigen Glossinen zu erfahren, welche das Trypanosoma gambiense im infektionstüchtigen Zustande enthält, müßten Infektions- versuche mit frisch eingefangenen Glossinen an empfänglichen Tieren gemacht werden. Wir hatten indessen nicht nötig, diese Versuche in größerem LTmfange anzustellen, da die englische Kommission dieselben bereits gemacht hatte. Von uns wurden nur zwei derartige Versuche gemacht. In der Zeit vom 28. März bis 11. Mai 1907 haben 604 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission, 324 männliche und 140 weibliche Glossinen an einem Affen gesogen und ebenso vom 20. April bis 11. Mai 207 männliche und 53 weibliche Glossinen an einem zweiten Affen. In beiden Fällen ist keine Infektion eingetreten. Die englische Kommission hatte folgende Resultate^): Bei einigen Versuchen im Jahre 1903 schwankte die Zahl der frisch gefangenen Glossinen, welche zur Infektion eines Affen, an welchem sie sogen, genügten, zwischen 207 und 1055. Das heißt also, 1) Royal Society, Eeports of the Sleeping Sickness Commission. Report No. IV, 1903, p. 62; Report 'No. VI, 190.5, p. 108: Report No. VIII, 1907, p. 12.5. Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 605 daß in einem Versuche unter 207 Glossinen sich eine befunden hatte, welche durch ihren Stich dem Affen Trypanosoma gambiense einimpfte. In einem anderen Versuche fand sich aber erst unter 1055 eine solche. Im Jahre 1905 erfolgte einmal mit 970 Glossinen Infektion, in einem zweiten Falle blieb der Affe frei von Trypanosomen, obwohl er von 2299 Glossinen gestochen war. Im Jahre 1907 berichtet M i n c h i n, daß die geringste zur Infektion genügende Zahl 134 Glossinen waren, daß er aber öfters mehr als 1000 erfolglos an Affen habe saugen lassen. 606 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. Diese Zahlen bestätigen also, daß die das Trypanosoma gambiense enthaltenden Glossinen verhältnismäßig selten sein müssen. Soweit man aus den bisherigen Beobachtungen über diesen Typus IV schließen kann, ist derselbe als die im Zwischenwirt vorkommende geschlechtliche Form des Try- panosoma gambiense aufzufassen, und man muß annehmen, daß dieses Trypanosoma in der Glossina palpalis einen Entwicklungsgang durchmacht, welcher dasselbe in die Speicheldrüsen und von da aus wieder zurück in den Wirt führt. Dies wird der gewöhnliche Weg sein. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, daß das Trypanosoma gambiense mit einem im Rüssel zurückgebliebenen Tröpfchen Blut auch rein mechanisch und ohne vorher einen Entwicklungsprozeß erlebt zu haben, über- impft werden kann. Aber dies wird nur ganz ausnahmsweise vorkommen, weil die Try- panosomen im Blute immer nur sehr spärlich sind und also die Aussicht, daß ein Try- panosoma sich in dem überimpften, sehr kleinen Bluttröpfchen befindet, eine sehr ge- ringe ist, was auch wieder durch einige Versuche der englischen Kommission bestätigt, wird^). Dieselbe ließ frisch gefangene Glossinen zuerst an Schlafkranken und 8 Stunden später an einem Affen saugen. In vier derartigen Versuchen bedurfte es 267 — 512 Glos- sinen, um einen Affen zu infizieren. Dabei war es aber nicht ausgeschlossen, daß die frisch gefangenen Glossinen, auch ohne daß sie an einem Kranken gefüttert waren, zu infizieren vermochten, wie andere Experimente gelehrt hatten. Wenn wir somit unseren Typus IV als Trypanosoma gambiense auffassen, so können wir über die Bedeutung der drei anderen Typen doch nur ganz unbestimmte Vermutungen äußern. Typus Nr. I scheint mit den Trypanosomen des Krokodils in Verbindung zu stehen. Die Gründe, welche dafür sprechen, sind das besonders häufige Vorkommen dieses Typus an den Brutplätzen der Krokodile, wo auch die Glossina palpalis sich mit Vorliebe auf- hält, offenbar weil sie hier besonders leicht die Gelegenheit zum Blutsaugen findet. Ferner der Umstand, daß die bei der Kultur der Krokodil-Trypanosomen erhaltenen Formen dem Typus I sehr ähnlich sind und zum Teil vollkommen gleichen. In bezug auf die beiden übrigbleibenden Typen ist es uns nicht gelungen, irgend- welche Anhaltspunkte zu gewinnen, welche auf einen bestimmten Wirt derselben hin- deuten würden. Vermutlich sind es andere Reptilien. Über diese Fragen sowohl, wie über den Verlauf des Entwicklungsganges der Trypanosomen in der Glossina wird man nicht eher sichere Auskunft erhalten, als bis es gelingt, mit den Trypanosomen aus den Speicheldrüsen der Glossina palpalis irgend- welche Tiere mit Erfolg zu impfen und umgekehrt die Glossinen mit den Trypanosomen der Tiere und des Menschen so zu infizieren, daß man den Übergang derselben zu Ge- schlechtsformen, die Bildung der jungen Keime und ihre Wanderung durch den Körper der Glossina bis zu den Speicheldrüsen Tag für Tag verfolgen kann. In dieser Beziehung haben wir manche Versuche angestellt, Fütterungen an Affen und Ratten, welche in ihrem Blute reichlich Trypanosomen enthielten, namentlich auch Fütterungen an Men- schen, welche sich gerade in einem Anfall befanden, während dessen die Trypanosomen im Blute etwas zahlreicher waren als gewöhnlich. Aber alles war vergeblich. Die Try- panosomen halten sich einige Tage im Magen der Glossina, vermehren sich auch an- scheinend noch ein wenig und dann verschwinden sie wieder. Zur Bildung von Geschlechts- formen kam es nie. Es sieht ganz so aus, als ob die Infektion der Glossinen nur unter ganz bestimmten Bedingungen zustande kommt, sei es, daß sie nur in einer bestimmten Jahreszeit 1) Keport Nr. IV, 1903, p. 57 u. folgende. Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. ()07 gelingt, oder daß nur ganz bestimmte Zustände der Trypanosomen imstande sind, sicli in der Glossina weiter zu entwickeln, analog den Gameten der Malariaparasiten. Auf jeden Fall ist für die weitere Forschung unbedingt notwendig, sich durch das Auffinden eines künstlichen Infektionsmodus die Bahn für eine erfolgreiche Weiter- bearbeitung dieser Fragen zu eröffnen. II. Über die Glossina palpalis. Die gründlichen Arbeiten über die zoologischen und anatomischen Verhältnisse der Glossina palpalis, wie sie von A u s t e n i), M i n c h i n -) und Stuhl m a n n ^) geliefert sind, lassen es überflüssig erscheinen, über unsere in bezug hierauf gemachten Untersuchungen zu berichten. Wir könnten nur die Befunde jener Forscher bestätigen. Wir werden uns daher darauf beschränken, dasjenige mitzuteilen, was wir über die Lebensweise und diejenigen Lebensbedingungen der Glossina ermitteln konnten, welche sich möglicherweise zu ihrer Abwehr und Bekämpfung verwerten lassen. Die Glossina palpalis befindet sich von jeher in den Gebieten, wo sie jetzt an- getroffen wird, und sie ist nicht erst, wie vielfach angenommen wurde, mit der Sclilaf- kranlcheit in das Gebiet des Victoria- Nj ansa gekommen. Es wird dies bewiesen durch ihr Vorkommen in solchen Gegenden, wohin die Sclilaf- krankheit noch nicht gedrungen ist, wie z. B. in der Umgebung von Muanza und auf den Inseln im südlichen Teil des Victoria-Njansa. Außerdem versichern Eingeborene, Missionare und Beanite, daß sie in Uganda und auf den Sese-Inseln die Glossina palpalis schon lange Zeit vor dem Ausbruch der ►Schlafkrankheit gesehen haben. An den Ufern des Victoria-Njansa trifft man ausschließlich die Glossina palpalis. Nur im Südwesten des Sees reichen die Verbreitungsgebiete der Glossina fusca und der Glossina morsitans stellenweise bis an seine Ufer. Eine der auffallendsten Erscheinungen in bezug auf das Vorkommen der Glossina palpalis ist ihr Gebundensein an Wasser. Man findet sie ausschließlich am Ufer von Seen und Flüssen. Und zwar geht diese Abhängigkeit von der Gegenwart des Wassers so weit, daß oft, schon 50 bis 100 m vom Ufer keine einzige Glossina mehr gefunden wird, selbst wenn sie am Ufer reichlich vorhanden sind. Es ist dies namentlich an solchen Stellen der Fall, wo Buschwerk das Ufer umsäumt und sich nach dem Innern zu Gras- land oder Felsen daran anschließen. Wo der LTrwald das Ufer einfaßt, da geht die Glos- sina auch mehr oder weniger tief in den Wald hinein, aber nie darüber hinaus. Wald- parzellen, welche durch Grasstreifen von dem Uferwald getrennt sind, wie es auf den Sese-Inseln oft vorkommt, sind immer frei von Glossinen. Wo das Ufer steinig, sandig ist oder nur Graswuchs hat, also wo die Steppe bis an das Ufer herantritt, da fehlt die Glossina palpalis. Meistens genügt eine geringe Entfernung vom Ufer, um vor den Glossinen voll- kommen geschützt zu sein. So Avurden in unserem Krankenlager niemals Glossinen beobachtet, obwohl es nur etwa einen Kilometer vom LTfer entfernt, allerdings auf einer Anhöhe gelegen war. Ich habe auch niemals wahrgenommen, daß die Glossinen, selbst wenn man nahe am Ufer das Zelt aufgeschlagen hatte, in dieses hineingeflogen wären. ^) Austen, A monograi:ihy of the Tsetse fhes, London 190.3 und Supplementary uotes on the Tsetse flies. Brit. med. Joiu-n. 1904, 17. Sept. ^) M i n 0 h i n, Eeport on the anatomy of the Tsetse fly (Glossina palpalis). Proceeding.s of the royal Soc. Ser. B, Vol. 76, No. 512. Okt. 1905. ^) Stuhl mann, Beiträge znr Kenntnis der Tsetsefliege (Glossina fusca und Glossina taehinoides). Arbeiten aus dem Kais. Gesimdheitsamte. Bd. XXVI. 608 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. So kommt es, daß am Victoria-Njansa die Ufer sämtlicher Inseln, dann da.s nörd- liche und nordöstliche Ufer, das östliche mir stellenweise, wie an der Mündung des Gori- flusses und an der Moribucht mit Glossinen besetzt sind, während sie am Süd- und West- ufer, wo die Steppenvegetation bis unmittelbar ans Ufer reicht, fehlen (vgl. die als Tafel II beigefügte Karte). Aber auch in den eigentlichen Fliegengegenden sind die Glossinen nicht ganz gleichmäßig verteilt; es kommen Lücken vor, wo man keine Glossinen antrifft, offenbar weil sie die ihnen notwendigen Lebensbedingungen hier nicht finden. Derartige Lücken bilden beispielsweise die Papyrus- und Schilfsümpfe, welche vielfach in den Buchten am Ufer des Victoria-Njansa und an den Flußufern sich ausbreiten. So hat der Kageranil, Fig. 5. Urwald, welcher das Ufer einfaßt, von der Wasserseite. dessen Ufer auf weite Strecken von seiner Mündung landeinwärts von Papyrusdickichten und Sümpfen eingefaßt ist, keine Glossinen. Dagegen habe ich an dem kleinen Fluß Sakawa (südlich vom Gorifluß und zum Sultanat Mohurru gehörig) etwa anderthalb Meilen oberhalb seiner Mündung zahlreiche Glossinen angetroffen. Es war während der Trockenzeit. Im tief eingeschnittenen Flußbett standen nur einzelne flache Sümpfe, zu denen das Wild aus der Steppe, wie die ausgetretenen Wildpfade zeigten, zur Tränke kam. Die Ufer waren mit dichtem Busch bestanden, der Schutz vor den sengenden Strahlen der Sonne bot. Als ich mich hier im Schatten der Bäume niederließ, um nach einem anstrengenden Marsch in der Mittagshitze mich ein wenig zu ruhen, kamen so viele Glossinen und sie waren so stechlustig, daß ich schleunigst das schattige Flußbett verlassen mußte. Nur wenige Schritte von demselben entfernt, in der offenen Steppe, war keine einzige Glossine mehr zu sehen. Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. fiOO So wie es in den Glossinengegenden fliegenfreie Strecken gibt, so kommen da- gegen andere Stellen vor, an welchen die Glossinen sich mit besonderer Vorliebe auf- halten. Es sind das Plätze, wo sie jederzeit Nahrung finden können; z. B. Wasserplätze der Eingeborenen, wie sie jedes Dorf am Ufer des Sees oder eines Flusses hat. Zu diesen Plätzen gehen Frauen und Kinder, um Wasser zu liolen, Zeugstücke zu waschen, Nah- Pig. 6. Papyrussumpf. rungsmittel, wie Taro und Süßkartoffeln, zu reinigen usw. Ferner Bootsplätze und An- legestellen, wo die Boote der Eingeborenen, welche auf dem See zwischen den Inseln und am vielbuchtigen Ufer verkehren, anlegen und ans I^and gezogen werden. An solchen Stellen findet man nnmer zahlreiche Glossinen, und man kann da beobacliten, wie sich die f^ingeboreneii sorglos stechen lassen. In bezug auf diese Stellen machen die Glossinen mitunter merkwürdige Unterschiede. Dicht neben unserem Lager befanden sich zwei Urwaldparzellen, welche bis nahe an den See reichten, wo Glossinen vorkamen. Koch, Oesammelte Werke. 84 610 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. Letztere flogen aber niemals in diese Wälder, obwohl in denselben starke Quellen reich- lich Wasser lieferten und die Frauen des benachbarten großen Dorfes beständig dahin kamen, um Wasser zu schöpfen. Einige Meilen westlich davon liegt das Dorf Buka- Fig. 7. Schilfsumpf. wunde auf einer bewaldeten Anhöhe, an deren Fuß, und zwar ebenfalls im Walde, ein kleiner Quellbach fließt, um sich eine Meile weiter in den See zu ergießen. Die Bewohner von Buka wunde holen sich ihr Wasser aus diesem Bach, und an der ganz flachen Schöpf- stelle konnte man regelmäßig Glossinen fangen, während es oberhalb und unterhalb Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. ßl\ dieser Stelle keine gab. Ich habe den Grund dafür, daß es in dem Urwald neben unserem Lager, obwohl es reichlich Wasser hatte, keine Glossinen gab, während sie an der Wasser- stelle von Buka wunde zu finden waren, nicht ermitteln können. Die Glossina palpalis gehört offenbar zu dem westafrikanischen Flora- und Fauna- gebiet, welches sich von West afrika bis zu den zentralafrikanischen Seen erstreckt und durch ganz bestimmte Pflanzen und Tiere charakterisiert wird, zu welch letzteren eben auch die Glossina palpalis gehört. Alle diese Pflanzen- und Tierformen gehen über den Ostrand des Victoria-Njansa nicht hinaus. Westlich von dieser Linie ist das Klima vorwiegend feucht und ermöglicht dadurch die Entwicklung von I^rwald; östlich davon herrscht dagegen ausgesprochenes trockenes Steppenklima. Es ist deswegen nicht zu Fig. 8. Scliilfsumpf. befürchten, daß die Glossina palpalis und damit die Schlafkrankheit sich über das Ost- und Südufer des Victoria-Njansa hinaus in die dann folgende Steppenregion hinein verbreiten wird. Eine andere von den Glossinen bevorzugte Stelle ist diejenige, wo die Krokodile am Ufer zu liegen pflegen, um sich zu sonnen, und ganz besonders auch da, wo sie ihre Brutplätze haben. Mit dem Gebundensein der Fliegen an das Wasser hängt es zusammen, daß zuerst und vorzugsweise Fischer und Ruderer von der Krankheit befallen wurden. Unter den Frauen erkrankten auch zuerst solche, welche sich an den Wasserplätzen aufhielten oder Holz im Urwald sammelten. Besonders gefährlich scheint das Gummisammeln im Ufer- wald zu sein, denn die Gummisammler sind fast sämtlich weggestorben. Die Häupt- linge auf den Inseln haben ihren Leuten deswegen verboten, sich als Gummisammler anwerben zu lassen. Trotzdem hat das Gummisammeln nicht aufgehört. Ich habe 84* 612 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. noch in der letzten Zeit meines Aufenthalts auf den Sese-Inseln Lager von Gummi- sammlern getroffen, deren Leute in anderen Gegenden, und zwar vorzugsweise in Kisiba, angeworben waren, wo die Eingeborenen die Gefährlichkeit dieser Beschäftigung noch nicht kannten. Von Europäern sind bis jetzt auch nur solche erkrankt, welche sich längere Zeit im Uferwald aufgehalten haben. So der Direktor des am Ufer gelegenen Botanischen Gartens von Entebbe; ein Ingenieur, der am Ufer mit Bootsbau zu tun hatte; mehrere Kaufleute, welche durch den Gummihandel zu längerem Aufenthalt in dem Uferwald veranlaßt wurden. Bericht üb. cl. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. (313 So wie in ihrem örtlichen Verhalten zeigen die Glossinen auch im zeitlichen manche Eigentümlichkeiten. In bezug auf die Jahreszeiten wurde, wenigstens auf den Sese-Inseln, wo es keine eigentliche Trockenzeit gibt, kein Unterschied wahrgenommen. Unsere Fliegenfänger brachten uns das ganze Jahr hindurch immer annähernd gleiche Mengen von Glossinen und wir haben uns auch selbst von Zeit zu Zeit immer wieder davon überzeugt, daß an bestimmten Stellen, z. B. auf der Halbinsel Lutöboka, welche von den Glossinen- gegenden unserem Lager am nächsten lag, immer ein gleicher Bestand von Fliegen vor- handen war. Fis;. 10. Quelle im Urwald in der Xähe unseres I Lagerplatzes. In Gegenden, welche ein trockeneres Klima und ausgesprochene Trennung in Trocken- und Regenzeit haben, wie die Länder am östlichen Ufer des Victoria- Njansa, mag sich dies anders verhalten. Die Glossinen fliegen nicht bei Nachtzeit. Sie kommen des Morgens nicht früher als gegen neun LThr, wenn voller Sonnenschein da ist, zum Vorschein und verschwinden nachmittags bald nach vier Uhr. Bei bedecktem Himmel sieht man nur wenige oder gar keine Glossinen und während des Regens bleiben sie in ihren Verstecken im Gebüsch. Ihr Flug ist fast lautlos. Sie bewegen sich sehr schnell, so daß man sie in der Luit kaum gewahr wird. Man sieht sie in der Regel erst dann, wenn sie sich irgendwo niedei- gelassen haben. Mit Vorliebe setzen sie sich auf Steine, auf den Weg oder auf trockene Holzstücke und auf Blätter. Aber sie bleiben niemals lang an einer Stelle sitzen, sondern sie fliegen in schnellem Wechsel von einem Punkt zum anderen. Am Menschen suchen sie besonders dunkle Stellen auf, den Nacken, die Innenfläche der Hand; beim Einge- 614 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. borenen die Unterschenkel. Bei bekleideten Menschen suchen sie stets dunkles Zeug aus, um sich darauf zu setzen. Aber auch hier bleiben sie nicht lange sitzen, sondern wechseln beständig, fast sprungartig, ihren Sitz ; in diesem Augenblick sitzt die Glossina Fig. 11. Urwald mit Gummi-Lianen. Die Grußenverhältnisse sind von dem gewehrtragenden Eingeborenen zu entnehmen. an einer Schulter, im nächsten, wenn man sich eben anschickt, sie zu fangen, am Bein oder auf dem Rücken. Sie sind deswegen nicht leicht zu fangen. Am besten geschieht dies mit einem Schmetterlingsnetz, das aber recht flink und geschickt gehandhabt werden Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 615 I muß. Einem einzelnen Menschen wird es ziemlich schwer, Glossinen zu fangen. Wir haben deswegen in der Regel zwei Leute ausgeschickt und, nachdem wir die Vorliebe der Glossinen für dunkle Zeugstoffe bemerkt hatten, dem einen ein Stück schwarzes Zeug gegeben, das er umzulegen hatte, sobald sich Glossinen zeigten. Er hatte dann nur nötig, die Glossinen von der Vorderseite des Körpers zu verjagen; dann setzten sie sich regelmäßig auf seinen Rücken und wurden da von dem zweiten Fliegenfänger mit dem schnell geschwungenen Netz weggefangen. Die Glossinen fliegen immer einzeln. Kommt man in die Fliegengegend, dann stellt sich zunächst eine Glossina ein, die sich auf den Menschen setzt, an ihm fortwährend herumfliegt und ihn zu stechen sucht. Einer einzelnen Glossine kann man sich noch Fig. 12. Kahn mit zwei Fischern, von welclien der eine das Wasser ausschöpft. Rechts daneben die beiden Fliegenfänger. Der größere hat ein dunkles Tuch umgehängt, um die Glossinen anzulocken. durch Aufmerksamkeit und fortwährendes Verscheuchen erwehren. Aber sie verläßt ihr Opfer nicht und bald findet sich eine zweite, dritte usw. und dann kommt schließ- lich der Zeitpunkt, wo man trotz aller Aufmerksamkeit die Glossinen nicht sämtlich verscheuchen kann inid sicher gestochen wird. Ist man aber selbst mit einem Netz be- waffnet, und hat zwei geübte Fliegenfänger bei sich, dann ist bei einiger Aufmerksamkeit der Aufenthalt in einer Glossinengegend ganz ungefährlich. Jede Glossine, welche sich zeigt, wird sofort weggefangen, und man läßt es gar nicht zu der gefährlichen An- sammlung der Glossinen kommen. Ein heller Anzug kann, wenn man dunkelgekleidete oder mit dunkler Haut versehene Begleiter hat, den durch das Wegfangen gewährten Schutz noch erhöhen. Bei dieser Gelegenheit würde noch zu erwähnen sein, daß verschiedene Mittel, welche zum Abhalten der Fliegen dienen sollten und uns zur Prüfung auf ihre Wirk- samkeit zugesandt waren, sich nicht als brauchbar erwiesen haben. 616 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. Der Schmerz, welchen der Stich der Glossina palpalis verursacht, ist gering; er ist ungefähr ebenso wie derjenige, welchen man nach einem Moskitostich empfindet. Aber nicht nur auf dem Lande wird man von der Glossina palpalis angefallen, sondern auch auf dem Wasser. Boote, welche in der Nähe des Ufers fahren, können sich der Glossinen, die aus dem Gebüsch und aus dem Uferwald hervorkommen, oft kaum erwehren. Sie setzen sich dann gern auf die Bootswände und lassen .sich oft auf weite Strecken mitführen, unterwegs jede Gelegenheit benutzend, um die Ruderer zu stechen. Auf diese Weise können die Glossinen oft meilenweit und nach Orten gebracht werden, welche gewöhnlich ganz frei von Glossinen sind. So war der Landungsplatz für unser Lager, welcher nur Graswuchs hatte, frei von Glossinen; aber ausnahmsweise tauchten doch vereinzelte Exemplare auf, welche durch von auswärts kommende Boote mitgebracht waren Die Glossinen greifen aber nicht nur Boote an, welche dicht am Ufer vorbeifahren, sondern sie überfallen dieselben auch in einiger Entfernung vom Ufer. So habe ich es Fig. 13. Am Ufer fahrendes und von Glossinen verfolgtes Boot. Öfters erlebt, daI3 Glossinen auf einige 100 m Entfernung vom Ufer zu unserem Boot geflogen kamen und sich dann längere Zeit bei demselben hielten. Bei allen diesen Gelegenheiten verhalten sich die Eingeborenen den Fliegen gegen- über recht sorglos. Sie sind früher von denselben gestochen, ohne daß dies gefährliche Folgen hatte und sie können es nicht recht begreifen, daß man nun mit einem Male durch den Stich der Fliege eine so schlimme Krankheit bekommen soll. Man kann oft Zeuge davon sein, daß Eingeborene am Ufer stundenlang bis zu den Hüften im Wasser stehen, um Fische zu angeln und sich dabei fortwährend von den Glossinen stechen lassen. Ebenso gleichgültig verhalten sich die Frauen, wenn sie am Ufer waschen, und die Ruderer, wenn Glossinen das Boot umschwärmen. Eine sehr wichtige Frage ist die in bezug auf die Ernährung der Glossinen. Auf Grund vielfacher Versuche kann man als sicher annehmen, daß sie ausschließlich vom Blute der Wirbeltiere leben und daß sie in verhältnismäßig kurzen Zeiträumen, etwa alle 2 bis 3 Tage, Gelegenheit haben müssen, solches Blut zu saugen, um ihr Leben fristen zu können. Da die Glossinen doch nur stellenweise hinreichende Gelegenheit Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 617 Fig. 15. Im Wasser waclisende Ambatschbüsche, an deren Zweigen Nester von Webervögeln hängen. 618 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. finden, ihren Blutbedarf am Menschen zu decken, so entstand die weitere Frage, von welchen Tieren sie das zu ihrer Existenz außerdem benötigte Blut entnehmen. Hier bot sich nämlich die Möglichkeit, durch Vertreiben oder Beseitigen dieser Blutlieferanten den Glossinen ihre Existenz zu beschränken oder gar gänzlich abzuschneiden. Die Eingeborenen gaben an, daß die Glossinen Blut saugen von Krokodilen, Wasser- vögeln, Nilpferden und von Fischen, welche an der Wasseroberfläche schwimmen, zum Teil mit ihrem Körper darüber hinausragend. Diese Angaben wurden uns von den Missio- naren bestätigt. Nun schienen aber die Krokodile wegen ihrer dicken, panzerartigen Haut keine geeigneten Blutlieferanten zu sein. Eher war dies von den Wasservögeln Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 619 ZU vermuten, namentlich auch, weil sich diese regelmäßig an den Stellen, wo die Glossinen schwärmen, in Menge aufzuhalten pflegen. So findet man Glossinen und Wasservögel zugleich fast immer an solchen Stellen, wo Ambatschbüsche (Aeschynomene elaphroxy- lon) nahe dem Ufer im Wasser wachsen. Diese Büsche sind gewöhnlich mit den Wasser- vögeln (Kormoranen, Schlangenhalsvögeln, Reihern, Eisvögeln usw.) besetzt und in ihrer Nähe finden sich dann stets Glossinen, so daß man schon mehrfach irgendwelche Beziehungen zwischen dem Ambatschbusch, den Wasservögeln und den Glossinen ver- mutet hat. Um nun aber zu erfahren, welche Tiere denn die eigentlichen Blutlieferanten der Glossinen sind, war es natürlich das einfachste, den Magen derselben zu untersuchen Fig. 17. Im Wasser wachsende Ambatschbüsche, an deren Zweigen Nester von Webervögeln hängen. und das darin gefundene, frisch gesogene Blut auf seine Herkunft zu prüfen. Glück- licherweise stieß die Bestimmung der Tierarten, von denen das gesogene Blut stammte, auf nicht zu große Schwierigkeiten. Säugetierblut einerseits und Reptilien-, Vogel- und Fischblut andererseits konnte leicht an der Größe, Gestalt und am Kerngehalt der roten Blutkörperchen unterschieden werden. Auch Vogelblut unterscheidet sich wieder durch die längliche Gestalt der roten Blutkörperchen und durch ihre fast stäbchen- artigen Kerne von dem "Blut der Reptilien, welches fast kreisrunde Körperchen und ebenso gestaltete Kerne besitzt. Aber auch die einzelnen Spezies ließen sich noch mit Sicherheit an gewissen Blut- parasiten erkennen, welche für dieselben spezifisch sind. So hat das Krokodil fast aus- nahmslos eine ihm eigentümliche Hämogregarine, an der man sein Blut, selbst wenn die Blutkörperchen durch die Verdauung schon zum Teil zerstört sind, sofort erkennen kann. Schlangenblut ist ebenfalls durch eine Hämogregarine, welche mit einer Kapsel 620 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. versehen ist, charakterisiert. Affenblut erkennt man an den fast niemals fehlenden Malariaparasiten. Menschenblut enthält regelmäßig die Filaria perstans usw. Glossinen mit frisch gesogenem und somit für die Untersuchung geeignetem Blut im Magen fanden sich recht oft unter den gefangenen Fliegen, und bei ihrer Untersuchung stellte sich das ziemlich unerwartete Resultat heraus, daß die Fliegen in den allermeisten Fällen Krokodilblut gesogen hatten. Die Vorliebe der Glossinen für Krokodilblut zeigte sich besonders, wenn ein Krokodil auf dem Lande geschossen wurde; es war dann regel- mäßig umschwärmt und besetzt von Glossinen, die, wenn sie weggefangen wurden, von frisch herbeigeflogenen ersetzt wurden. Wir haben auch junge Krokodile, wie die Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 621 Fig. 19 — 23 zeigen, zum Füttern der in Gefangenschaft lebenden Glo.ssinen benutzt, welche sich bei dieser Ernährung sehr gut hielten. Daneben kam am häufigsten Menschen- blut vor. Außerdem wurde einige Male Blut vom Kenge (Varanus niloticus, eine häufig vorkommende, etwa einen Meter lange Eidechse) und von Schlangen gefunden. Ob Blut vom Nilpferd dabei war, ließ sich nicht mit Sicherheit ermitteln, da dasselbe keine genügend scharfen Kennzeichen besitzt. Vogelblut und Fischblut wurden niemals ge- funden. Auch Blut von Rindern und Ziegen nicht, welche Blutarten an der geringen Größe ihrer roten Blutkörperchen kemitlich sind, obwohl diese Tiere oft an den Ufern des Sees weiden. Es kommen also als Ernährer für die Glossinen in erster Linie das Krokodil und der Mensch in Betracht; daneben noch gelegentlich mit Sicherheit Varanuseidechsen Fig. 19 mi(i 20. Ein aus dem Ei kriechendes und ein eben ausgekrcit-lienes Krokodil. und Schlangen. Nach einer im Schiratibezirk von Feld m a n n gemachten Beob- achtung scheint die Varanuseidechse (Kenge) initer Umständen, namentlich wo Kroko- dile fehlen, eine etwas wichtigere Rolle als Blutlieferant spielen zu können. Außer- dem werden aber sicher auch noch andere Tiere von den Glossinen gestochen. Zu diesen Tieren gehört zweifellos das Nilpferd. Auf der kleinen Insel Lussevera bei Bukassa, auf welcher ausschließlich Nilpferde hausen, finden sich zahlreiche Glossinen, und als ein Nilpferd auf dem Lande geschossen wurde, war es von Glossinen umschwärmt, welche sich auf das Tier setzten und zu stechen versuchten, obwohl es schon verendet war. Aber in der Regel fehlt es den Glossinen an Gelegenheit, Nilpferde zu stechen, weil diese Tiere sich am Tage fast immer im Wasser aufhalten und nur nachts an I^and gehen, wenn die Glossinen nicht fliegen. Auf einer anderen kleinen Insel (Nkosse), welche zur Sesegruppe gehört, traf ich als einzigen Bewohner die Sumpfantilope (Tragelaphus Spekei) an, zugleich mit zahl- 622 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. reichen Glossinen. Obwohl ich in diesem Falle nicht selbst gesehen habe, daß die Anti- lopen gestochen wurden, so bin ich doch davon überzeugt, daß es geschieht, denn die Glossinen haben auf dieser. Insel keine anderen Blutlieferanten. Aber diese Antilopen sind so seltene Tiere, daß sie als Ernährer der Glossinen gar nicht in Betracht kommen. Dasselbe gilt von Hunden und Affen, welche in einzelnen Fällen als mit Trypanosoma gambiense infiziert gefunden wurden. Bekanntlich gehören die Glossinen zu den pupiparen Insekten. Das heißt, sie legen keine Eier, sondern bringen in einem uterusartigen Behälter immer nur ein Ei zur Entwicklung, welches das Larvenstadium im Mutterkörper vollkommen durch- macht und dann als ausgewachsene Larve geboren wird. Dieselbe verkricht sich in den Fig. 21. Eine Gruppe von jungen Krokodilen. Fig. 22. Ein etwa dreijähriges Krokodil. Boden oder in anderweitige sichere Verstecke und verwandelt sich dann im Laufe von wenigen Stunden in eine Puppe. Eigentlich müßten daher diese Insekten larvipare ge- nannt werden. Auf jeden Fall bringen sie immer nur ein Junges zur Welt und vermehren sich im Verhältnis zu anderen ihnen nahestehenden Insekten sehr langsam. Die Ent- wicklung einer Larve erfordert ungefähr einen halben Monat, so daß ein Glossinen- weibchen im allergünstigsten Falle, der aber wahrscheinlich nur ganz ausnahmsweise eintritt, im Laufe eines Jahres 24 Junge produziert. Daraus kann man aber den Schluß ziehen, daß die Glossinen, wenigstens die weiblichen Insekten, ein im Verhältnis zu anderen Insekten langes Leben haben müssen, um die zur Erhaltung der Art erforderliche Nach- kommenschaft zu erzeugen. Weiter läßt sich daraus folgern, daß die Glossinen keine besonders gefährlichen Feinde besitzen, weil sonst die spärliche Nachkommenschaft nicht genügen würde, um die Art vor dem Aussterben zu schützen. Wir haben auch in der Tat weder beim Beobachten der lebenden Glossinen, noch bei den vielfachen Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 62B Untersuchungen der toten irgend etwas gefunden. wa.s auf das Vorhandensein solcher Feinde hindeuten würde. Es ist dies selir zu bedauern, weil damit die Hoffnung schwindet, gegen die Glos- Fig. 23. Fütterung der Glossinen an einem jungen Krokodil. sinen in ähnlicher Weise vorgehen zu können, wie es in neuerer Zeit anderen schädlichen Insekten gegenüber mit so viel Erfolg gelungen ist. Man wird also andere Mittel und Wege versuchen müssen, um die Glossinen mög- lichst zu beseitigen. 624 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. Zur Orientierung über derartige Mittel gehört folgender Versuch, welcher zwar von vornherein wenig Aussicht auf Erfolg versprach, aber doch einmal angestellt werden mußte. In der Richtung nach Norden von unserem Lager befand sich die bereits früher erwähnte Halbinsel Lutoboka (Fig. 26), welche durch eine ziemlich schmale Verbindung mit der Hauptinsel zusammenhängt. Dieselbe ist zum größten Teil von dichtem Urwald bestanden, der nur in der Mitte von Grasland unterbrochen wird. Auch das westliche Ufer besteht aus einem breiten Streifen Grasland. Dieser letztere Strich ist gänzlich frei von Glossinen, aber sobald man den Urwald betritt, ist man sofort von Fliegen umschwärmt. Nach allen Riclitungen hin ist diese Halbinsel von anderen Inseln ziemlich Plan des Abholzungs Versuchs im Luengeratal. weit entfernt, und es ist anzunehmen, daß Glossinen nur durch den Bootsverkehr und über die schmale Verbindung von der Hauptinsel her dahin gelangen können. Es wurde nun der Versuch gemacht, durch beständiges und möglichst reichliches Wegfangen der Glossinen diese Halbinsel glossinenfrei zu machen. Wir haben die für unsere Unter- suchungen erforderlichen Glossinen vorzugsweise dort fangen lassen und außerdem, sooft es nur ging, unsere Fliegenfänger dahin geschickt, um möglichst viele Fliegen zu erbeuten. Dieser Versuch ist ein ganzes Jahr durchgeführt, aber es ließ sich niemals eine Abnahme der Glossinen konstatieren. Es muß also beständig ein so reichlicher Nachwuchs und Zugang von außerhalb stattgefunden haben, daß der Verlust immer wieder gedeckt wurde. Danach scheint es nicht möglich zu sein, einzelne an und für sich geeignete Lokalitäten, wenn ein Ersatz nicht völlig ausgeschlossen ist, durch Weg- fangen glossinenfrei zu machen. Aber die Lebensgewohnheiten der Glossinen bieten uns doch noch eine andere Möglichkeit, ihre Zahl zu vermindern oder sie strichweise selbst ganz zu vertreiben. Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 625 626 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. Es war in den früheren Abschnitten schön wiederholt davon die Rede, daß es gehngt, eine ÖrtHchkeit durch Beseitigung von Busch und Wald von den Glossinen freizumachen. Ich erinnere an das, was über Port Florence und Entebbe gesagt wurde und über die eigenen Versuche im Luengeratal und auf der Insel Sijawanda bei Muansa. Da die Abholzung schon jetzt eine sehr wichtige Maßregel bei der Bekämpfung der Schlafkrankheit bildet, so wird es zweckmäßig sein, über diese Versuche hier aus- führlicher zu berichten. Abholzungsversuch im Luengeratal. Das Luengeratal trennt das Ost-Usambaragebirge von dem West-Usambara- gebirge als eine tiefe und breite Schlucht, welche vom Luengerafluß durchzogen wird. Etwa in der Mitte des Tals liegt das Dorf Kerenge, zu dem ein von Ost-Usambara, und zwar von der Plantage Monga herabkommender Weg führt. Auf und neben diesem Weg fanden sich immer viele Glossinen (Glossina fusca), besonders in dem bewaldeten Abschnitt östlich vom Luengerafluß. An dieser Stelle wurde unter Aufsicht des Sanitäts- feldwebels S a c h e r in einer Länge von 1468 Schritten und in einer Breite von etwa 100 Schritten aller Baumwuchs entfernt. Vgl. den Plan p. 624. Die Kosten dafür betrugen 80 Rupies. Dieser Versuch hatte ein sehr befriedigendes Ergebnis; denn auf der ganzen abgeholzten Strecke waren gleich darauf und auch später, solange die Be- obachtung fortgesetzt werden konnte, die Glossinen verschwunden. Abholzungsversuch auf der Insel Sijawanda. Die Ausführung des Versuches auf der Insel Sijawanda haitte Stabsarzt K u d i c k e übernommen, dessen anschaulicher Bericht hier unverändert wiedergegeben wird. ,,Der Versuch wurde angestellt auf der südlich von Muansa gelegenen Insel Sija- wanda (vgl. den Plan der Insel p. 625). Dieselbe ist etwa 1 km lang und im Durch- schnitt 300 m breit. Ihr längster Durchmesser verläuft in südwestnordöstlicher Richtung. Die Ufer sind steil, nur in den zahlreichen Buchten flachen sie sich ab und gestatten müheloses Betreten des Landes. Der größte Teil der Insel wird von felsigen, mit spär- lichem Baumwuchs bedeckten Erhebungen eingenommen, die voneinander durch mehr oder weniger tief einschneidende Senken von wechselnder Ausdehnung getrennt sind. Die letzteren waren ursprünglich wohl alle mit dichtem Busch bestanden, der nur auf Krokodilpfaden zugänglich war. Jetzt finden sich inmitten dieses Busches mehrere nur mit Gras bedeckte Flächen, so im Nordosten, am Nordwestufer, im Osten und im Süd- westteil. Ein Teil derselben ist wohl auf Rodung durch Menschenhand zurückzuführen. Noch jetzt befindet sich eine kleine menschliche Ansiedelung am Ostufer. Nach der Erzählung ihrer Bewohner (5) kamen sie und andere vor 8 Jahren auf die Insel und rodeten den Busch an mehreren Stellen. Schon damals fanden sie dort Fliegen vor, die sie mit den ihnen aus ihrer Heimat wohlbekannten Tsetsefliegen identifizierten. Die meisten der Ansiedelungen wurden im Laufe der Zeit wieder aufgegeben, da die Insel nicht genug Nahrung bot; nur die am Ostufer blieb bestehen*). Sie liegt an einer flachen Bucht, deren Ufer von einem dichten Bananenhain und zahlreichen Ambatsch- sträuchern umsäumt wird. Fährt man von dieser Ansiedelung aus nach Süden am Ufer entlang, so kommt man zunächst in eine kleine Bucht (auf dem Plan an der Stelle, welche als ,, nicht abgeholzt" bezeichnet ist), die den Zugang zum Mittelplateau der Insel bildet weiter südwärts gelangt man zu einem Taleinschnitt, der sich quer durch die ganze Breite der Insel erstreckt und so von dem Mittelplateau ein zweites, das Südwestplateau, ab- ^) Die Ansiedlung ist inzwischen auch verlassen, das Anwesen an einen Mann aus Muansa verkauft worden. Fig. 2.5. Ein auf der Insel im Walde geschossenes Nilpferd, welches unniittell)ar nach dem Verenden von den Glossinen umschwärmt und besetzt war. 85* 628 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. grenzt. Das letztere ist ebenfalls vom Südwestufer aus in einer kleinen Bucht zugänglich, während es sonst steil zum See abfällt. Die Vegetation wird, wie erwähnt, im großen und ganzen von Busch gebildet, der in den Buchten meist dicht an das Ufer herantritt und nur am Nordost- und Nord- westufer freiem Strand Platz macht. Von Lebewesen ist die Vogelwelt zahlreich vertreten. Kormorane, Schlangen- halsvögel, Nilgänse rasten auf den KUppen, Eisvögel beleben die Ufer, zahlreiche kleinere Vögel den Busch, Seeadler horsten in den Felsen. Von Säugern wurden nur Meerkatzen und einzelne Fischottern bemerkt — abgesehen von einer durch einen Hund bewachten, zu der kleinen Ansiedelung gehörigen Ziegenherde. Die Kaltblüter waren durch zahl- Pig. 26. Halbinsel Lutoboka. reiche Eidechsen, Riesenechsen (Varanus) und Krokodile vertreten. Von den letzteren, deren Nester oft am Ufer gefunden wurden, wurden drei Exemplare erlegt. Glossinen wurden zunächst in dem Einschnitt festgestellt, der die Südwestspitze abgrenzt, später wurden sie auch in den Buchten nördlich und südlich dieses Tales, am Südostufer und am Nord- und Nordostufer nachgewiesen. Wie gewöhnlich, waren sie am bewachsenen Ufer am zahlreichsten, weiter nach dem Innern zu spärlicher zu finden. Meist waren es Männchen, die, auf Steinen oder Baumstämmen sitzend, gefangen wurden. Weibchen wurden in größerer Zahl nur auf Krokodilen erbeutet. Die Arbeiten begannen am 21. Juli 1906 und wurden am 30. September beendet. Zur Verfügung standen zunächst 21, vom August ab 66 Mann, die mit 1 Säge, 6 Äxten, 27 Buschmessern und einer Anzahl kleiner Beile nach Eingeborenenart ausgerüstet waren. Da die Leute wenig geübt waren, auch öfter wechselten, ging die Arbeit nur lang- sam vor sich. Von der Ostspitze aus wurde längs des Ufers nach Norden und dann am Nordwestufer nach Westen vorgegangen, am Südostufer entlang bis zur Bananenpflan- Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 629 Flg. '21. lns>;l .Sijawauda. vun der O.sUseUe. Im Wasser vor der Insel die Aluminiiun-Pinasse der Station Muansa. Fig. 28. Insel von Nordosten gesehen. Fig. 2U. Von Sud(jsten. An der rechten Seite des Bildes befindet sich die „nicht abgeholzte" Stelle. 530 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. zung. Weiterhin wurde das Quertfl in seiner ganzen Ausdehnung abgeholzt, die Bucht, die den Zugang zu dem Südwestplateau bildet, und endlich vom Westausgang des Quer- tals aus "wieder nach Norden vorgegangen. Verschont wurde allein die Bucht südlich der Bananenschamba und alle höheren Erhebungen (mit Ausnahme des Südwestplateaus infolge eines Versehens der Aufseher). Das geschlagene Holz wurde, soweit es nutzbar erschien, am Ufer gestapelt, das Reisig verblieb an Ort und Stelle. Es wurde bei den Arbeiten darauf Bedacht genommen, daß an den Stellen, die vermöge ihrer Bodenbeschaffenheit als Brutplätze der Glossinen dienen konnten, der Busch in möglichst großem Umfange und radikal beseitigt wurde. An den steinigen Uferpartien, wo zwar Glossinen sich aufhielten, ihre Puppen aber nicht zu vermuten waren, wurden nur die in nächster Nähe des Wassers stehenden Bäume und Büsche entfernt. So wurde der flachere, sandige Nordostteil der Insel seines Baumwuchses fast gänzlich beraubt, während an den steil ansteigenden Ufern (Südosten, Nordwesten) die Breite der abgeholzten Fläche stellenweise kaum 10 m betrug. Im Quertal wurde in einer Breite von etwa 30 m von einem Ufer bis zum anderen durchgeschlagen. Schon während der Arbeiten ließ sich ein allmähliches Abnehmen der Fliegenzahl feststellen. Sicherlich hat sich ein großer Teil der Glossinen zunächst nach ruhigeren Teilen des Inselufers geflüchtet. So wurden am 13. August ziemlich viele Fliegen in einem Teil des Nordwestufers festgestellt, wo sie vorher nicht anzutreffen gewesen waren. Am 21. August wurde das gleiche für die Bananenpflanzung nachgewiesen. Es wurden deshalb — unter Entschädigung des Besitzers derselben die Bananen niedergelegt, wonach die Glossinen hier zunächst verschwanden. Zur Abnahme der Glossinen über- haupt hat neben der Zerstörung ihrer Schlupfwinkel wohl auch der Umstand beigetragen, daß ihre Haupternährer, die Krokodile, durch die Arbeiten verscheucht wurden. Immer- hin war die ^^'irkung selbst nach Beendigung des Holzschlages noch keine derartige, daß man von einer Ausrottung hätte sprechen können. Vielmehr fanden sich, wenn auch spärlich. Glossinen fast überall. Vielleicht handelte es sich dabei hauptsächlich um frisch ausgeschlüpfte Exemplare, da ja die im Erdboden befindlichen Puppen durch die Ro- dungen nicht wesentlich geschädigt sein konnten und die jungen Insekten in dem massen- haft herumliegenden Reisig zunächst Unterschlupf fanden. Es wurde deshalb beschlossen, auf den abgeholzten Flächen zu brennen. Seitdem dies in ausgiebiger Weise geschehen, sind nach den Mitteilungen des Oberarztes R a d 1 o f f auf den gerodeten Flächen Fliegen nicht mehr festzustellen gewesen. Eine Ausnahme macht allein die Bananenschamba. Hier wurden in den das Ufer umsäumenden Ambatschbüschen stets einzelne Fliegen gefangen. Es ist wahrscheinlich, daß diese aus der kleinen, unmittelbar südlich gelegenen Bucht stammen, die allein nicht abgeholzt wurde, und wo jetzt noch zahlreiche Fliegen vorhanden sind. Die Kosten betrugen an Arbeitslöhnen 261 Rupies bei einem durchschnittlichen Lohnsatz von 2 Rupies pro Monat, der allerdings wohl als sehr niedrig angesehen werden muß. Gewonnen wurden 160 cbm Holz." Diesem Bericht sei noch die Bemerkung hinzugefügt, daß der Preis von Brennholz, wie es von den Dampfern zum Heizen der Kessel gebraucht wird, 3 — 5 Rupies für den Kubikmeter beträgt, so daß die Kosten durch eventuelle Verwertung des geschlagenen Holzes, auch wenn ein höherer Lohnsatz gezahlt worden wäre, reichlich hätten gedeckt werden können. Nachdem Stabsarzt K u d i c k e Muansa verlassen hatte, übernahm Oberarzt Dr. R a d 1 o f f , Stationsarzt von Muansa, die weitere Beobachtung der Insel Sijawanda Derselbe berichtete am 14. Dezember 1906 darüber folgendes: ,,Die Insel Sijawanda ist in letzter Zeit wiederholt von mir besucht worden. Dort, wo abgeholzt ist, habe Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 631 ich niemals Glossinen getroffen, auch nicht weiter landeinwärts. Dagegen wurden stets einige wenige an der Ostseite vor der Bananenschamba vom Boot aus im Ambatsch gefangen, am Lande hier nicht. Zahlreich sind die Fliegen ganz wenig südlich dieser Schamba an einem kleinen Einschnitt, wo n i c h t geholzt wurde. Da es hier gleich steil aufwärts geht, wurden nur in unmittelbarer Nähe des Wassers die Glossinen beobachtet, aber, wie gesagt, sehr zalilreich. Dies sind also die beiden einzigen Stellen, wo ich die Glossinen noch gefunden habe." Später habe ich noch einmal selbst die Insel besucht, und zwar am 12. Juni 1907, also nahezu ein Jahr nach der Abholzung. Die Insel war nocii nicht wieder bewohnt. 632 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. An den abgeholzten Stellen war Gras und Kraut stark nachgewachsen, namentlich auch an der Stelle, wo sich früher die Ansiedelung befunden hatte. Die Bananenpflanzung hatte überall wieder junge Schößlinge getrieben, auch der Busch wucherte wieder empor. Aber nirgends wurden Glossinen gefunden, mit Ausnahme der einen, auf dem Plan als ,, nicht abgeholzt" bezeichneten Stelle, wo früher schon K u d i c k e und R a d 1 o f f die Glossinen konstatiert hatten. Hier wurden in kurzer Zeit elf Glossinen gefangen. Zwischen den Bananen und an den Ambatschbüschen, wo von Oberarzt R a d 1 o f f zuletzt noch einzelne Glossinen gefunden waren, wurde alles gründlich abgesucht, aber nicht eine einzige Glossine gesehen. Hiernach kann man auch diesen Versuch wohl als vollkommen gelungen bezeichnen. Er lehrt, daß man es ganz in der Hand hat, solche Stellen, welche von Fliegen befreit werden müssen, wie Ortschaften, welche nicht verlegt werden können, Landungsstellen, Bootsplätze, Furten und Fähren, mit Leichtigkeit und ohne zu große Kosten tatsächlich fliegenfrei zu machen. Eine weitere Maßregel, welche gegen die Glossinen von Erfolg zu werden ver- spricht, nämlich die Beseitigung der Tiere, von welchen sie Blut saugen, um auf diese Weise den Glossinen die Nahrung abzuschneiden, wird in einem späteren Abschnitt besprochen werden. Allgemeine Maßnahmen zur Bekämpfung der Schlafkrankheit. Der Kampf gegen die Schlafkrankheit hat sich gegen einen der beiden Faktoren zu richten, durch deren Zusammenwirken die Seuche zustande kommt, nämlich gegen die im Blute der Schlafkranken kreisenden Trypanosomen oder gegen die Vermittler der Infektion, die Glossinen, welche die Trypanosomen vom kranken auf den gesunden Menschen übertragen. Am besten wird es sein, gegen beide Faktoren zugleich vorzugehen. Was läßt sich nun gegen die Trypanosomen tun ? Wenn es möglich wäre, durch irgendein Mittel die Trypanosomen im Körper des Kranken vollständig zu vernichten, dann würden wir uns natürlich dieses Mittels im weitesten Umfange bedienen. Aber auch dann könnten wir uns nicht darauf verlassen, daß die Kranken sich früh genug einfinden würden, um sich behandeln zu lassen. Die Eingeborenen sind viel zu sorglos und indolent, um dies zu tun. Sie würden nicht eher kommen, als bis sie sich selbst ernstlich krank fühlen, also zu einer Zeit, wo sie schon Wochen- und selbst monatelang Gelegenheit gehabt haben, den Infektionsstoff zu ver- schleppen. Also selbst für den Fall, daß wir im Besitz eines sicher wirkenden Spezifikums wären, müßten wir doch die Initiative ergreifen und den Kranken soweit als möglich entgegenkommen. Sie müssen schon zu einer Zeit ermittelt und in Behandlung genommen werden, wenn sich eben die ersten Trypanosomen im Blute zeigen, oder spätestens, wenn die Drüsen zu schwellen beginnen. Aber hierzu bedürfen wir diagnostischer Me- thoden, welche uns in den Stand .setzen, die Trypanosomen auch in den allerersten Stadien der Krankheit im Blute nachzuweisen. Daß es unseren Bemühungen gelungen ist, eine derartige Methode aufzufinden, betrachten wir als besonders wichtig für den Kampf gegen die Seuche. Die Methode selbst wurde in einem früheren Abschnitt (Blutunter- suchungen p. 63 u. ff.)^) beschrieben. Diese frühzeitige Diagnose hat nun aber nicht nur für die Prophylaxis, sondern auch für die Behandlung der Krankheit einen hohen Wert, weil das bisher als wirksamstes Mittel befundene Atoxyl nur in den frühen Stadien der Schlafkrankheit von ausreichen- dem Erfolge ist. Gemeint ist die Arbeit von M. Beck (s. die Note am Schluß dieses Abschnitts). D. Herausg. Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 6,33 Es kommt also sehr viel darauf an, durch umfangreiche Blutuntersuchungen möglichst alle in den frühesten Stadien befindlichen Kranken aufzufinden, um sie sobald als möglich in Atoxylbehandlung zu nehmen. Neben seiner heilenden Wirkung hat das Atoxyl noch die ausgezeichnete Eigen- schaft, daß es schon nach der ersten kräftigen Dosis die Trypanosomen im Blute zum Verschwinden bringt. Dies bedeutet aber so viel, daß die Kranken, welche vorher im- stande waren, die Glossinen mit Trypanosomen zu infizieren und damit die Seuche weiter zu verbreiten, nunmehr ganz ungefährlich sind. In der Regel dauert dieser Zu- stand 2 Wochen und länger. Um ihn für lange Zeit zu erhalten, müssen, ganz abgesehen von der kurativen Wirkung des Atoxyls, die Injektionen schon vorher, also etwa an jedem 10. Tage wiederholt werden. Um diese Behandlung in regelmäßiger Weise durchführen zu können, ist es nun aber unbedingt notwendig, die Kranken in stehenden Lagern zu vereinigen. Nur soweit man der Kranken vollkommen sicher ist, kann man sie ambulant behandeln. Also die Anlage von Lagern und die Behandlung der in denselben angesammelten Kranken mit Atoxyl bilden die Grundlage für die Bekämpfung der Schlafkrankheit. Sollte mit der Zeit etwa noch ein besseres Mittel als das Atoxyl gefunden werden, so ändert das an dieser Disposition nichts, man wird doch immer die Kranken, um sie mit dem Mittel behandeln zu können, in Lagern sammeln müssen. Das Lager muß selbstverständlich in einer Gegend errichtet werden, welche frei von Glossinen ist. Das ist auch nicht schwierig zu erreichen, da man in der Regel schon in geringer Entfernung vom Ufer genug Plätze findet, welche dieser Bedingung ent- sprechen. Ferner ist bei der Auswahl des Ortes darauf zu achten, daß eine fliegenfreie Wasserstelle sich in leicht erreichbarer Nähe befindet und daß eine genügende Zufuhr von Lebensmitteln gesichert ist. Auch dürfen die Entfernungen für das Herbeischaffen von Kranken, welche nicht mehr gehen können, nicht zu groß sein. Die Größe des Lagers richtet sich in erster Linie nach der Anzahl der Kranken, für welche es berechnet ist. In der Regel wird man einem Lager einen europäischen Arzt nebst einem Lazarettgehilfen geben. In diesem Falle kann man nach den bisherigen Erfahrungen mit einer Krankenzahl von 500 und selbst darüber hinaus rechnen. Sind in der verseuchten Gegend noch mehr Kranke unterzubringen, dann ist es vorzuziehen, niehrere Lager zu errichten, als dem Lager einen zu großen Umfang zu geben. Die Beschaffung von Unterkunftsräumen für die Kranken gestaltet sich im Innern Afrikas sehr einfach. Dem Klima und den Lebensgewohnheiten der Eingeborenen ent- sprechen ganz leichte aus dünnen Baumstämmen, Zweigen und Gras in Form von Rund- hütten und Baracken hergestellte Behausungen. Bauten derselben Art, nur von etwas soliderer Konstruktion sind für die Europäer, sofern dieselben nicht das Wohnen in Zelten vorziehen, ferner für die Abfertigung der Kranken und für die mikroskopischen Arbeiten zu errichten. Bei der Überführung der Kranken in das Lager sollte niemals Gewalt angewendet werden, denn die Erfahrung hat gelehrt, daß man dadurch das Gegenteil von dem er- reicht, was beabsichtigt wird. Die Eingeborenen werden nur mißtrauisch, wenn Zwang ausgeübt wird, sie verheimlichen ihre Kranken und entziehen sich auf jede mögliche Weise der ärztlichen Kontrolle. Durch die Konzentration der Kranken in Lagern und ihre Behandlung ]nit Atoxyl wird erreicht, daß diejenigen Menschen, welche mit Trypanosomen behaftet sind, für ihre LTmgebung ungefährlich werden. Außerdem müssen nun aber auch noch Maß- regeln ergriffen werden, um die Gesunden vor der Infektion durch die trypanosomen- haltigen Glossinen zu schützen. 634 Bericht üb. d. Tätigkeit clei' z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. In dieser Beziehung würde die einfachste Maßregel sein, die zu schützende Be- völkerung aus der mit Glossinen verseuchten in eine glossinenfreie Gegend zu versetzen. In der Regel wird sich diese an und für sich sehr rationelle Maßregel aber doch nur bei einer dünn gesäten und wenig zahlreichen Bevölkerung durchführen lassen. Wo die Verlegung der Dörfer nicht möglich ist, da ist dafür Sorge zu tragen, daß die Leute sich nicht dahin begeben, wo sie von den Glossinen gestochen werden können. Sie dürfen also so wenig als möglich mit dem Ufer und dem Wasser in Berührung kommen. Zu Fig. 31. Ein in dem Uferwald durch Abholzen freigelegter Landungsplatz am Südufer der Seseinsel. diesem Zwecke muß ihnen das unnötige Bootsfahren und Fischen, welches die Einge- borenen als einen angenehmen Zeitvertreib sehr lieben, untersagt werden. Besonders ist auch das Gummisammeln zu verbieten, wenigstens so lange, als die Ansteckungs- gefahr in den Uferwäldern noch so groß ist. Alle Stellen, wo die Eingeborenen not- gedrungen am Ufer verkehren müssen, wie Landungsstellen, Wasserplätze usw., müssen in möglichst weitem Umfange durch Abholzen glossinenfrei gemacht werden. Soviel als möglich ist auch durch Belehrung auf die Eingeborenen einzuwirken, damit sie die Ansteckungsgefahr kennen und vermeiden lernen. Die Vermittlung der Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 635 Missionare und ganz besonders der Häuptlinge sowie anderer intelligenter und einfluß- reicher Leute kann in dieser Beziehung sehr nützlich sein. Wir kommen nun zu den Maßregeln, welche sich gegen die Glossinen richten sollen. Daß in direkter Weise, z. B. durch Wegfangen der Glossinen oder durch Begün- stigung irgendwelcher Feinde derselben nichts zu erreichen ist, wurde früher auseinander- Fig. 32. Krokodihiest. gesetzt. Auch die Vernichtung ihrer im Erdboden verborgenen Puppen ist praktisch wohl kaum durchführbar, da sie zu sehr zerstreut sind, als daß das Auffinden derselben in größerer Anzahl zu erreichen wäre. Aber in indirekter Weise läßt sich doch wirksam gegen die Glossinen vorgehen. Vor allem ist in dieser Beziehung das Abholzen zu erwähnen. Dasselbe hat sich im Experiment, wie unsere früher beschriebenen Versuche im Luengeratale und auf der Insel Sijawanda zeigen, als sehr erfolgreich erwiesen. Aber auch in der Praxis hat 636 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. sich diese Maßregel schon glänzend bewährt, wie die Beispiele von Port Florence und Entebbe lehren. Das Abholzen wird sich allerdings nur an den dafür geeigneten Lokali- täten anwenden lassen, aber wo es ausführbar ist, da sollte man es auch unter allen Um- ständen anwenden, dann aber in völlig ausreichendem Maße. Denn wenn die Strecken, welche abgeholzt werden sollen, nicht reichlich bemessen werden, dann ist diese Maß- Fig. 33. Krokodilnest. regel ganz nutzlos, wie ich öfters auf den Seseinseln beobachten konnte, wo von den Häuptlingen eine Anzahl Anlegeplätze für Boote abgeholzt waren (Fig. 70). Bei keiner dieser Stellen konnte man einen Einfluß auf die Glossinen bemerken, weil die Dimen- sionen der Abholzung viel zu knapp bemessen waren. In diesem Falle sollte immer eher zuviel als zuwenig geschehen. Es lassen sich nicht bestimmte Regeln für den Umfang, innerhalb dessen abgeholzt werden muß, aufstellen. Am besten ist es, den Busch so weit als möglich zu beseitigen und dann einige Zeit hindurch zu beobachten, ob die Bericht, üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 637 Glossinen dadurch vertrieben sind. Sollte das nicht der Fall sein, dann muß eben noch weiter abgeholzt werden, und zwar hat dies so oft zu geschehen, bis der Zweck erreicht ist. Die geschlagenen Stellen müssen auch von Zeit zu Zeit immer wieder von dem nach- wachsenden Busch gereinigt werden. Eine weitere Maßregel, um den Glossinen Abbruch zu tun, besteht darin, daß die Tiere, welche ihnen als Blutlieferanten dienen und ohne welche sie nicht zu existieren Fig. 34. Das in Fig. 32 abgebildete Nest so weit geöffnet, daß die Eier in ihrer natürlichen Lage sichtbar wurden. Rechts von dem Haufen der großen Krokodileier sieht man sechs kleine Eier, welche von irgen einem kleinen Reptil in das Krokodilnest gelegt wurden, um sie unter den Schutz des mächtigen Verwandten zu stellen. Solche kleinen Reptileier wurden öfters in den Krokodilnestern gefunden. vermögen, beseitigt werden. Welche Tiere dies sind, ist k-icht dui'ch die Untersuchung des im Magen der Glossinen befindlichen Blutes zu ermitteln, und es sollte immer für diejenigen, welche die Schlafkrankheit zu bekämpfen haben, eine der ersten Sorgen sein, dies in Erfahrung zu bringen. Für den Victoria-Njansa kommt in dieser Beziehung, 638 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. wie früher auseinandergesetzt wurde, fast ausschließlich das Krokodil in Betracht, und man wird sich deswegen bemühen müssen, dieses Tier soweit als möglich auszurotten. Nun gibt es aber in dem See so außerordentlich zahlreiche Krokodile, daß das keine leichte Aufgabe sein wird. Für manchen, welcher die Lebensgewohnheiten des Krokodils und die Verhältnisse am Victoria-Njansa nicht kennt, mag die Vernichtung der im See lebenden Krokodile als ein Ding der Unmöglichkeit erscheinen, und doch läßt sich diese Maßregel nach meiner Überzeugung durchführen, wenn nur etwas guter Wille vor- handen ist. Daran ist natürlich nicht zu denken, die Krokodile etwa durch Abschießen ver- nichten zu wollen. Aber sie sind auf andere Weise unschwer zu töten. Fig. 35. Ein durcli die Wirbelsäule gescliusseues und infolgedessen gelähmtes Krokodil. Das Tier hatte auf dem dicht hinter ihm befindlichen Neste gelegen und wurde geschossen, als es eben das Nest verlassen hatte, um /,u fliehen. Man kann sie nämlich nach meiner Erfahrung leicht mit Arsenik vergiften. Ich habe Vergiftungsversuche in der Weise angestellt, daß Arsenikpulver in die Eingeweide von Schlachttieren, z. B. in den Magen oder Dickdarm von Schafen und Ziegen ge- bracht und dann diese Teile an den Stellen, wo sich die Krokodile aufzuhalten pflegen, ausgelegt wurden. Derartige Köder wurden von den Krokodilen gern genommen und sie gingen regelmäßig danach ein. Es würde nicht schwierig sein, auf solche Weise durch Leute, welche mit dem Auslegen der Köder beauftragt werden, ohne zu große Unkosten zahlreiche Krokodile zu beseitigen. Noch größeren Erfolg verspreche ich mir aber von der Zerstörung der Krokodil- eier. Ein weibliches Krokodil legt in das von ihm hergestellte Nest 60 — 70 Eier. Es Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 639 ist mir nielit bekannt, ob das Tier während der Brutzeit, welche von -luni bis in den Sep- tember hinein dauert, nur einmal oder wiederholt Eier legt. Aber wenn es auch nur einmal geschieht, dann bedeuten 60 — 70 Nachkommen in einem Jahre doch eine sehr starke Vermehrung, und es lohnt sich daher doch wohl, die Nester der Krokodile auf- zusuchen und die Eier zu zerstören. Die Eingeborenen kennen die Brutplätze ganz ge- nau und würden, wenn sie dafür Bezahlung erhielten, Eier in großer Menge sammeln. Es sind nur ganz bestimmte Plätze für die Anlage der Nester geeignet, und die Kroko- dile gehen deswegen immer wieder an dieselben Stellen, um ihre Eier abzulegen. Hat man derartige Brutplätze einige Male gesehen, dann findet man die Nester leicht. Das Krokodil wählt für die Anlage des Nestes regelmäßig sandigen oder kiesigen Boden nahe vom Ufer, welcher 1 — 2 m hoch über dem höchsten Wasserstand liegt und von der Sonne beschienen ist. Hier scharrt es eine längliche Vertiefung, legt die Eier hinein und bedeckt sie mit dem Boden so, daß eine ganz flache muldenartige Vertiefung über den Eiern bleibt, welche frei von Pflanzenwuchs gehalten wird und sich durch ihr ge- glättetes oder vielmehr gefegtes Aussehen von der Umgebung abhebt (Fig. 71- 74). In dieser flachen Mulde liegt das weibliche Krokodil tagsüber, nicht um die Eier auszu- brüten, wie man noch zu Herodots Zeiten glaubte, sondern um sie vor Räubern, wie die Varanuseidechse einer ist, zu schützen. Die Eier brauchen etwa 2 Monate, bis die Jungen ausschlüpfen, die dann von der Mutter zum' nahen Wasser geführt werden. Wie leicht es ist, Krokodilnester zu finden, geht daraus hervor, daß ich, ohne besonders darauf auszugehen, während meines Aufenthaltes am Victoria-Njansa gegen 40 Kroko- dilnester mit nahezu 2000 Eiern gefunden habe, die natürlich, soweit sie nicht zu wissen- schaftlichen Untersuchungen Verwendung fanden, vernichtet wurden. Wenn man also die erwachsenen Krokodile vergiften und ihre Eier durch Ein- geborene, denen Prämien dafür zu zahlen sind, sammeln und vernichten läßt, dann muß es in verhältnismäßig kurzer Zeit gelingen, diese wichtigsten Blutlieferanten der Glos- sinen auszurotten und damit den Glossinen eine ihrer Existenzbedingungen abzuschneiden. ' Zu den allgemeinen Maßregeln gegen die Schlafkrankheit gehören auch die inter- nationalen Abmachungen. Allerdings kann es sich hierbei nicht, wie bei der Pest und der Cholera, um den Weltverkehr betreffende Maßregeln handeln. Denn die Schlafkrankheit wird nach den bisherigen Erfahrungen sich niemals weiter ausbreiten können, als das Verbreitungs- gebiet der Glossina palpalis reicht, und dies beschränkt sich auf den tropischen Teil von Afrika. Es bedarf also keiner internationalen Beschränkungen in bezug auf Schiff- fahrt und Warenverkehr. Die Verhältnisse liegen bei der Schlafkrankheit so, daß in der Hauptsache jedes Land selbständig für sich die Bekämpfung der Seuche übernehmen muß und auch kann. Aber es gibt einige Maßregeln, welche sich leichter und vollständiger ausführen lassen, wenn die benachbarten Länder sich dabei gegenseitig unterstützen. Dahin gehört die Überwachung des Eingeborenenverkehrs zwischen den Nachbar- ländern, die Fürsorge für die Kranken in den Grenzgebieten, die Beseitigung der blut- liefernden Tiere. Es Wäre sehr zweckmäßig, wenn es in bezug auf diese Maßnahmen zwischen den benachbarten Ländern zu einer Verständigung käme, und es kann mir mit Freuden begrüßt werden, daß durch die zwischen England und Deutschland am 27. Oktober U>08 über die Schlaf krankheitsbekämpfung getroffene ÜbereinkunftM, welche am 1. Januar 1909 in Kraft getreten ist, auch diesen Anforderungen in ausreichen- der Weise Rechnung getragen ist. ^) Veroffentlirhungen des Kaiserl. Oesundheitsamts lODS. p. 1285. 640 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. Anhang. Anlage I. Denkschrift über die Entsendung einer wissenscliaftlichen Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. (Beilage zum Etatsentwurf für das Reichsamt des Innern auf das Rechnungsjahr 1906.) Die Schlafkrankheit, welche in Afrika seit langer Zeit bekannt ist, hat sich inner- halb der letzten 10 Jahre in beunruhigender Weise über große Gebiete ausgedehnt. Sie wurde 1896 vom Kongogebiete, wohin sie vermutlich von der Westküste her ein- gedrungen war, nach Usaga am Nordufer des Victoria-Njansa verschleppt und breitete sich dort nach Westen und Osten so schnell aus, daß die Zahl der Todesfälle in den letzten Jahren auf 50 000 — 200 000 geschätzt worden ist. Von hier aus sind mehrere Fälle auch in die benachbarten deutschen Gebiete eingeschleppt worden, ohne daß jedoch hier zunächst eine Weiterverbreitung der Krankheit beobachtet worden ist. Ferner fand in vereinzelten Fällen eine Einschleppung auf der Ugandabahn nachMombassa und Sansibar dicht an dem deutschrostafrikanischen Gebiete statt. Unter diesen Um- ständen erscheint Deutsch-Ostafrika von zwei Seiten durch die Schlafkrankheit bedroht. Auch in den beiden anderen im tropischen Afrika belegenen Schutzgebieten Togo und Kamerun sind Fälle von Schlafkrankheit schon beobachtet worden. Über das Wesen, die Ursache und die Verbreitungsweise der Krankheit sowie über die Notwendigkeit weiterer Forschungen auf diesem Gebiet ist nachstehendes zu bemerken. In ausgeprägten Fällen zeigen die von der Schlafkrankheit Befallenen das klinische Bild einer allmählich auftretenden und sich langsam steigernden allgemeinen Mattig- keit, Schwere der Glieder, Teilnahmlosigkeit und Schlafsucht. Meist tritt ein tödlicher Ausgang ein, doch kann die Erkrankung sich monatelang hinziehen. Nicht selten scheinen jedoch Abweichungen von diesem typischen Krankheitsbilde vorzukommen, die noch weiterer Erforschung bedürfen. Als anatomische Grundlage der geschilderten Erscheinungen findet sich eine Ent- zündung der Hirn- und Rückenmarkshaut. Über den Erreger der Krankheit war man längere Zeit im unklaren. Eine von portugiesischer Seite entsandte Expedition glaubte in bestimmten Bakterien die Krank- heitsursache gefunden zu haben. Da bei vielen Schlafkranken das Vorhandensein von Filarien (Faden würmchen) festgestellt worden ist, wurden diese als die Erreger an- gesehen. Eine aus England entsandte Kommission stellte jedoch fest, daß die Filaria nicht die Ursache der Krankheit sein kann; dagegen konnten die Mitglieder der genannten Kommission Castellani und Bruce regelmäßig in der Zerebrospinalflüssigkeit sowie im Blute der Kranken kleine, lebhaft bewegliche, den Protozoen, und zwar der Gattung ,,Trypanosoma" zugehörige Organismen nachweisen, welche mikroskopisch den schon lange als Erreger der Tsetsekrankheit der Rinder bekannten Trypanosomen fast vöUig glichen. Der weitere Fortgang der Arbeiten der englischen Kommission machte es dann immer wahrscheinlicher, daß die Trypanosomen die Ursache der Krankheit sind, ferner daß die Übertragung durch eine Stechfliege, die Glossina palpalis erfolgt. Dies bietet eine weitere Analogie mit der vorerwähnten Tsetsekrankheit, die durch eine andere Glossinaart übertragen wird. Bisher scheint die Krankheit in der Tat nur da vor- zukommen, wo jene Fliege lebt. Nach dem Gesagten ist das Auftreten der Schlafkrankheit an zwei Bedingungen geknüpft: Es müssen an Schlafkrankheit leidende oder im Inkubationsstadium be- Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 641 findliche Personen vorhanden sein, welche den Ansteckungsstoff liefern, und die bestimmte Fliegenart (Glossina palpalis), welche ihn überträgt. Die erste Bedingung ist für Deutsch-Ostafrika sowohl am Victoriasee, wo ein dauernder Verkehr mit dem ver- seuchten Nachbargebiete stattfindet, als auch an der Meeresküste gegeben, wo man bei stärkster Benutzung der Ugandabahn mit einer häufigeren Verschleppung nach der englischen Küste, insbesondere nach Zansibar rechnen muß. Wenn auf Quarantäne- maßnahmen als Abwehrmittel hingewiesen wird, durch Avelche kranke Eingeborene von der Benutzung der Eisenbahn ferngehalten werden können, so ist der Erfolg solcher Maßregeln schon deswegen nur als inivollständig anzusehen, weil von anderen, ebenfalls durch Zwischenwirte übertragbaren Blutkrankheiten, z. B. Malaria, besonders aber auch von den anderen Trypanosomenkrankheiten bekannt ist, daß für ihre Übertragung gerade die latenten Fälle die Hauptgefahr bilden. Bei dem langen und fast ohne charak- teristische äußere Merkmale verlaufenden Inkubationsstadium der Schlafkrankheit müssen daher auch bei der Schlafkrankheit die latenten Fälle, die sich jeder Kontrolle entziehen, als besonders gefährlich angesehen werden. Was die zweite zur Verbreitung der Krankheit nötige Bedingung, die Glossina palpalis, betrifft, so soll die Fliege am Ostufer des Victoriasees nicht vorkommen, dagegen ist sie an mehreren Punkten im Süden und Westen des Sees gefunden worden; neuer- dings liegen Nachrichten vor, daß unter den Bewohnern des von der Glossina heim- gesuchten deutschen Gebiets eine auffallende Sterblichkeit beobachtet wurde. Daß andererseits diese Fliege auch in der Nähe der Meeresküste vorkommt, wird, zunächst für das englische Gebiet, vom Geheimen Medizinalrat Professor Dr. Robert Koch bestätigt; ihm wurden in Mombassa Exemplare gezeigt, die .30 englische Meilen oberhalb dieses Ortes gefangen waren. Von besonderer Bedeutung sind aber die neuerdings auf deutschem Gebiete ge- machten Beobachtungen, wonach die Glossina palpalis am westlichen Ufer des Victoria- Njansa auf der Wanderung begriffen zu sein scheint; sie wurde, wie Stabsarzt Dr. F e 1 d - m a n n im Mai d. J. berichtet hat, in Gegenden angetroffen, die sicli bei früheren Unter- suchungen als frei davon erwiesen hatten. Auch auf Dampfern und Ruderbooten wurden diese Fliegen gelegentlich festgestellt ; man darf also annehmen, daß sie durch derartige Fahrzeuge verschleppt werden. Unter diesen Umständen erscheint nicht ausgeschlossen, daß demnächst in weitere und größere Gebietsteile eine Einwanderung der Fliegen er- folgen wird. Von den Ufern des Tanganjikasees sind neuerdings ebenfalls Nachrichten über das Vorkommen von Trypanosomenkrankheit bei Eingeborenen und von Glossinen eingetroffen. Es wird daher auch von dieser Seite ein Vordringen der Krankheit be- fürchtet werden müssen. Auch für die Schutzgebiete Togo und Kamerun ist die Möglichkeit einer größeren Ausdehnung nicht ausgeschlossen. Die Beobachtungen der englischen Kommission über die ätiologische Bedeutung der Trypanosomen für die Schlafkrankheit und über die Vermittlung der Ansteckung durch die Glossina palpalis sind von verschiedenen Seiten bestätigt worden; immerhin erscheint es erwünscht, daß noch weitere Forschungen angestellt werden; wenigstens sind von einigen Kennern Zweifel gegen die ausschließliclie ätiologische Bedeutung der Trypanosomen erhoben worden; ferner ist noch aufzuklären, ob die genannte Fliege die einzige Trägerin des Ansteckungsstoffs ist. Kürzlich haben englische Forscher eine im Kongostaate vorkommende Fliegen- larve beschrieben, von der sie annehmen, daß sie möglicherweise bei der Übertragung der Schlafkrankheit mitbeteiligt ist. Koch, Gesammelte Werke. 86 642 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Konimission. Vielleicht kommen neben dem eigentlichen Zwischenwirt auch andere Insekten als gelegentliche Überträger in Frage, indem sie den Parasiten, ohne daß derselbe in ihrem Körper eine Entwicklung durchzumachen braucht, gewissermaßen in mechanispher Weise übertragen. In allen diesen Beziehungen sind weitere Forschungen notwendig; vor allem werden die neuesten Beobachtungen englischer Forscher über die Entwicklung des Parasiten in der Fliege nachzuprüfen und zu ergänzen sein. Auch wird zu unter- suchen sein, ob der Ansteckungsstoff auf die Nachkommenschaft der infizierten Fliege (wie das für die das Texasfieber übertragenden Zecken nachgewiesen ist) übergeht. Nimmt man die ätiologische Bedeutung der Trypanosomen für die Schlafkrankheit als erwiesen an, so erhebt sich die Frage, in welcher Beziehung mit dieser Krankheit das zuerst für das Kongogebiet beschriebene ,,Trypanosomenfieber" steht, das durch verhältnismäßig leichte längere Pausen aufweisende Fieberanfälle mit Vorkommen von spärlichen Trypanosomen im Blute charakterisiert ist. Zunächst neigte man dazu, beide Krankheiten, von denen die eine immer tödlich, die andere relativ leicht zu verlaufen schien, zu trennen und demgemäß zwei verschiedene beim Menschen vorkommende Trypanosomenarten anzunehmen. Allmählich kam man dazu, als wahrscheinlich anzunehmen, daß das ,,Trypano- somenfieber" das erste Stadium der außerordentlich langsam verlaufenden Trypanosomen- iixfektion, die eigentliche Schlafkrankheit aber das Endstadium desselben Prozesses sei. Hiermit würde der langsame, oft über Jahre sich hinziehende Verlauf der Krank- heit und das sehr lange Inkubationsstadium übereinstimmen; ebenso würde erklärlich, warum es so lange gedauert hat, bis die ersten Erkrankungen an Europäern beobachtet wurden. Seit einiger Zeit sind eine Anzahl von Fällen bei Weißen bereits bekannt ge- worden; zum Teil ist bei ihnen die eigentliche Schlafkranklieit erst in Europa ausge- brochen. Immerhin bedarf auch diese wichtige Frage, ob das ,,Trypanosomenfieber" und die Schlafkrankheit auf demselben Erreger beruhen, noch neuer Untersuchungen. Auch wenn man aber eine Einheit beider Krankheiten als erwiesen annimmt, so steht noch keineswegs fest, daß sämtliche Fälle von einfachem Trypanosomenfieber in die eigentliche Schlafkrankheit übergehen müssen. Es sind einige Fälle beobachtet worden, ohne daß Symptome von Schlafkrankheit sich zeigten. Es erscheint sogar nicht als unmöglich, daß die Trypanosomeninfektion in völlige Heilung ausgehen kann; hierüber sind weitere Forschungen erwünscht. Bei den an Schlafkrankheit Gestorbenen finden sich häufig entzündliche Ver- änderungen der Hirnhaut, die durch sekundäre Einwanderung von Kokken hervor- gerufen sind. Es wird deshalb zu untersuchen sein, inwieweit diese Kokkeneinwanderung an den eigentlichen Schlafkrankheitssymptomen und an dem tödlichen Ausgange der Krankheit beteiligt ist, und ob und unter welchen Umständen die Trypanosomeninfek- tion zu solcher Kokkeneinwanderung disponiert. Daß sich die Trypanosomen aus Krankheitsfällen von Menschen auf eine Reihe von Tierarten übertragen lassen, ist sicher^ hierdurch ist die Möglichkeit gegeben, eine Reihe wichtiger Fragen über die Natur der Parasiten, die Übertragung, etwaige Immuni- sierungs- oder Heilverfahren an Tieren zu studieren. Die große Empfänglichkeit, welche gewisse Tierarten, insbesondere Affen, im Labo- ratoriumsversuche für die Erreger der Schlafkrankheit zeigen, legt aber auch die Frage nahe, ob sie nicht auch unter natürlichen Verhältnissen infiziert werden; in diesem Falle würde der Mensch nicht der einzige Träger der Parasiten sein. Ferner wird die Züchtung der Trypanosomen zu versuchen sein. Zuerst ist es dem amerikanischen Forscher N o v y, danach auch anderen Untersuchern gelungen, eine Anzahl von Trypanosomenarten, die bei Säugetieren und Vögeln vorkommen. Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. 643 darunter aucli die Tsetsctrypaiiosomen zu züchten. Auch ist schon über gelungene Versuche, mit solclien Kulturen Versuchstiere gegen Tsetse zu imnnunsieren, berichtet worden . Im Tierversuche haben sicli einige chemische Mittel, nämlich Trypanrot, Malachit- grün und Arsenik als wirksam bei Trypanosomeninfektionen erwiesen; nach den letzten englischen Berichten scheint die Anwendung des Arseniks auch bei Menschen Erfolg zu versprechen. Eine Fortsetzung derartiger Versuche erscheint daher dringend ge- boten. Das Studium der Schlafkrankheit kann unter Umständen eine wesentliche För- derung erfahren, wenn dabei andere Krankheiten einbezogen werden, die auf ähnlichen Erregern beruhen und in ähnlicher Weise übertragen sind; umgekehrt werden die bei dieser Krankheit gefundenen Resultate vielleicht neues Licht auf andere Krankheiten zu werfen vermögen, und zwar auch auf solche, die in Europa heimisch sind. Gerade bei Protozoenkrankheiten, bei denen ein vollständiges Studium der Ent- wicklung des Parasiten und des Vorganges der Infektion unendlich viel schwieriger als bei Bakterien ist, ließ sich schon mehrfach ein wichtiger Fortschritt in der Erkenntnis eines Parasiten nur dadurch ermöglichen, daß zunächst der analoge Vorgang an einem anderen nahestehenden Parasiten studiert wurde. So wurde z. B. die bedeutsame Ent- deckung des bekannten englischen Malariaforschers Roß über die Entwicklung der Malariaparasiten in der Mücke nur durch das vorangehende und gleichzeitige Studium der entsprechenden Entwicklung der Vogelproteosomen ermöglicht. Es eröffnet sich hiernach der deutschen Forschung ein reiches Gebiet, und es darf als eine Ehrenpflicht J)eutschlands bezeichnet werden, sich an der Bearbeitung des- selben zu beteiligen, nachdem andere Nationen bereits seit längerer Zeit darin voran- gegangen sind. Vor allem stehen jedoch schwerwiegende praktische Interessen in Frage, denn ein Umsichgreifen der Schlafkrankheit in einem der deutschen Schutzgebiete würde eine große wirtschaftliche Schädigung bedingen. Wie schwer es aber ist, der Krankheit dann wirksam entgegenzutreten, wenn sie bereits eine größere Ausdehnung angenommen liat, zeigt das Beispiel des englischen Uganda; es ist daher nicht ratsam, mit der Ent- sendung einer Expedition etwa so lange zu warten, bis die Seuche im deutschen Gebiete festen Fuß gefaßt hat. Außerdem kommt in Betracht, daß auch bei Weißen Fälle von Schlafkrankheit im Tropenhygienischen Institute zu Hamburg beobachtet worden sind, und daß somit die Arbeiten zur Erforschung der Schlafkrankheit auch denjenigen zugute kommen werden, die aus Deutschland nach den Tropengegenden kommen und dort Aufenthalt nehmen. Schließlich darf man hoffen, daß das Studium der Schlafkrankheit dazu beiträgt, das wiclitige Gebiet der krankheiterregenden Protozoen weiter zu klären. Das Studium der krankheiterregenden Protozoen hat in den letzten Jahren durch verschiedene neue Befunde ein erhöhtes Interesse gewonnen, und zwar auch für solche Krankheiten, die in Europa heimisch sind. Es ist sehr wahrscheinlich geworden, daß zunächst eine Art von Spirochaeten nicht, wie bis dahin angenommen wurde, ein Bak- terium, sondern ein Protozoon ist und ein Entwicklungsstadium von anderen unter der Bezeichnung Halteridien und Trypanosomen bekannten Formen darstellt; es liegt nahe, anzunehmen, daß ähnliche Verhältnisse auch bei anderen Spirochaetenarten vor- liegen. Die Untersuchung gerade der Spirochaeten hat in jüngster Zeit eine ganz neue Bedeutung durch die überraschende Entdeckung gewonnen, daß eine wohl charak- terisierte Art von echten Spirochaeten — soweit die bisherigen Befunde reichen — regel- 86» 644 Bericht üb. d. Tätigkeit der z. Erforsch, d. Schlafkrankheit entsandten Kommission. mäßig in frischen syphilitischen Produkten sich findet. Diese Entdeckung ist bereits von vielen Seiten bestätigt worden, und namhafte Forscher (Metschnikoff, C. Frankel) sind so weit gegangen, die gefundenen Spirochaeten mit größter Wahr- scheinlichkeit als die Ursache der Syphilis zu erklären. Es ist jedoch geboten, die Ent- scheidung hierüber aufzuschieben, bis noch Genaueres über den Bau und die Entwick- lung der bei Syphilis gefundenen Spirochaete und ihr Verhältnis zu anderen Spiro- chaetenarten bekanntgeworden ist. Zur Klärung dieser Fragen würde das Studium der anderen hauptsächlich in den Tropen vorkommenden pathogenen Spirochaeten- arten von großer Bedeutung sein. Die bei Syphilis vorkommende Spirochaete bietet wegen ihres zarten Baues und ihrer Kleinheit sowie wegen der Schwierigkeit und Un- vollkommenheit der Übertragung auf Tiere ganz besonders ungünstige Verhältnisse für ein genaueres Studium ihres Entwicklungsganges, und es wäre daher eine Aufklärung vielleicht am ehesten durch das Studium anderer Spirochaetenarten zu erwarten; hierzu würde sich voraussichtlich in Ostafrika Gelegenheit bieten. Die Untersuchungen in den angedeuteten Richtungen sollen kurz zusammen- gefaßt dazu dienen, die ursächliche Bedeutung und die Verbreitung der Trypanosomen, ihren Entwicklungsgang und die Möglichkeit ihrer Beeinflussung durch chemische Mittel innerhalb des Körpers festzustellen, um vielleicht eine Handhabe dafür zu gewinnen, durch Vernichtung der Parasiten der Ausbreitung der Krankheit entgegenzutreten. Ein anderes Mittel zur Bekämpfung der Krankheit würde die Vernichtung des Zwischenträgers, der Glossina, sein. Die Lebensbedingungen und -gewohnheiten dieser Insekten zu erforschen, würde daher der Expedition als weitere Aufgabe zufallen. Nach den bisherigen Berichten ist das Vorkommen der Glossina palpalis an ganz bestimmte Bedingungen geknüpft. Wald- und Buschland gelten als die besten Brutstätten. Durch Niederschlagen von Buschwerk sollen an einzelnen Punkten die Insekten zum Ver- schwinden gebracht sein; demnach hätte die Expedition die Aufgabe, die Möglichkeit einer Ausrottung der Glossinen auf diesem oder ähnlichem Wege unter Benutzung der bei der Tsetsekrankheit gemachten Erfahrungen zu erforschen. Hinsichtlich der Zusammensetzung und Ausrüstung der Expedition und hin- sichtlich der Wahl des Reiseziels kommt folgendes in Betracht: Diejenigen Umstände bei der Schlafkrankheit, welche verhältnismäßig leicht und durch einfachere Untersuchungsmethoden zu finden waren, sind in der Hauptsache bereits festgestellt. Zur weiteren Forschung bedarf es sehr sorgfältiger Untersuchungen, für die erforderlich sind: a) ein Sachverständiger, der mit den protozoischen Parasiten und ihren Überträgern schon eingehend bekannt ist und mit den nötigen Hilfsmitteln zu protozoischen, entomologischen und bakteriologischen Untersuchungen versehen wird; b) ein mit den ostafrikanischen Verhältnissen vertrauter Arzt; c) ein auf dem Gebiete der Immunitätslehre und Seuchenbekämpfung bewanderter Bakteriologe. Das Hilfspersonal würde zweckmäßig nicht aus Deutschland mitgenommen werden, sondern erst unterwegs angeworben werden. Als Ausrüstung würde eine Laboratoriumseinrichtung notwendig sein, wie sie bei ähnlichen früheren Expeditionen sich bewährt hat. Als Reiseziel würde nur eine Gegend in Betracht kommen, wo reichliches Material zum Studium der Krankheit vorhanden ist; dies ist gegenwärtig auf deutschem Ge- biete nicht der Fall, dagegen in hervorragendem Maße in dem dem deutschen Gebiete benachbarten Uganda. Hier findet sich in Entebbe eine geeignete Station für längere und eingehendere Laboratoriumsarbeit. Daselbst hat seinerzeit die englische Kommission Bericht, üb. d. Tätigkeit dor z,. I^rlurscli. d. Schlarkraiikhcit ent.sandton Koiniuissiou. 645 zur Erforschung der Schlafkranklieit den größten Teil ihrer Untersuchungen gemacht; auch jetzt befindet sich noch ein Laboratorium dort, woselbst deutsche Ärzte schon wiederholt entgegenkommende Aufnahme gefunden haben. Von hier aus würden, je nachdem sich die Notwendigkeit ergibt, kleinere Expeditionen in deutsches und eng- lisches Gebiet unternommen werden können. Wenn zunäclist Entebbe als das Haupt- ziel ins Auge gefaßt wird, so wird doch der zu entsendenden Kommission freigestellt bleiben müssen, geeignet erscheinenden Falles iln'e Tätigkeit auch noch an anderen Orten zu entfalten. Die Dauer der Expedition würde voraussichtlich lU Jahre betragen. Die Kosten sind veranschlagt im ersten Jahre auf 50 000 M. für Personal und Reisekosten, auf 70 000 M. für Ausrüstung und sonstige sächliche Ausgaben ; im zweiten Jahre auf 25 000 M. für Personal und Reisekosten, auf 40 000 M. für sächliche Ausgaben. Erklärung der Tafeln XXXIX und XL. Fig. 1. a, b, c \ V e i L) 1 i c 1 1 e F< j r 1 1 1 e ii des Trypanosoma iirucei. Fig. o a, b, c männliche ,, Fig. 'A. a, b, c weibliche „ Typus 1. Fig. 4. a, b männliche ,, ,, Typus I. Fig. 5. a, b, c, d weibliche ,, ,, Typus II. Fig. ü. a, b, c männliche ,, Typus II. Fig. 7. a, b, c, d weibliche ,, „ Typus III. Fig. S. a, b, c männliche ., Typus III. Fig. 9. a, b, c, d weibliche ,, ,, Typus IV. Fig. 10. a, 1). c männliche ,, „ Typus IV. Fig. 11. Trypanosoma gambieuse aus einer künstlich infizierten (Jlnssina fusca. Fig. 12. Auffallend große Exemplare von weiblichen Formen des Typus IV. Von den Figuren wurden gezeichnet durch Stabsarzt K u d i c k e : Fig. 1, 2, 3, 4, 5 (b, c, d), 7 (b, c, d), 11; durch Ilerrn Landsberg : Fig. 5 (a), 6, 7 (a), 8, 10, 12. Sämtliche Figuren sind mit Hilfe des Zeichenapparates bei ISOOfacher VergroUerung hergestellt. [Die weiteren Arbeiten dieses ,, Berichts" sind betitelt: Diagnose der Schlafkrankheit, bearbeitet von M. Beck. Klinische Beiträge zur Schlafkrankheit, bearbeitet von .M. Beck. Behandlung der Schlafkrankheit I. Mit Atoxyl, bearbeitet von M. B e c k. II. Mit anderen Präparaten, bearbeitet von F. K leine. Maßnahmen zur Bekämpfung der Schlafkrankheit in den einzeltien (iebieten I. Britisch-Ostafrika (Sese-lnseln und l'ganda), bearbeitet von M. Beck. II. Deutsch-Ostafrika a) Kisiba, bearlieitet von F. Klei n e , b) Schurati, ,, ,, ,, c) Tanganjika, bearbeitet \ ieit,ung dc.v nulioneniJcst. 651 Duri-hsclmitt dunkel, weich, mit vielen grauen hirsekorngrußen Knötchen. Nieren sehr blutreich, ebenso die Leber. Auf der Darnischleimhaut starke Injektion der kleinsten Gefäße und Häniorrhagien. Von der Leistengegend bis zui' Wirbelsäule beiderseits eine Kette von geschwollenen Lymphdrüsen, welche in ein schwarzrotes Mutig durchsetztes und gequollenes Zellgewebe eingebettet sind. Ahe diese Drüsen sind dunkelrot und zum Teil von Hämorrhagien durchsetzt. An den übrigen Organen nichts Auffallendes zu bemerken. In diesem Falle wurden in Leber, Nieren und Milz Pestliakterieu nachgewiesen. Besonders reichlich in der INIilz, in welcher stellenweise mehr Pestbakterien als Zellelemente zu sehen sind. Auch in der orkrankten Leistendrüse fand sich wieder eine enorme Ansammlung von Pestbakterien. Die Verhältnisse, unter denen die BeA\'ohner von Kisiba leben, sind übrigens ganz eigentümliche und begünstigen offenbar das Einnisten der Seuche. Sie ernähren sich nämlich ebenso wie die Einwohner des benachbarten Uganda fast nur von Bananen. Ihre Dörfer liegen in dichten Bananenhainen, welche für Licht und Luft fast undurchdringhch sind und von Ratten wimmeln. Es sind dies förmliche Brutstätten fin- ansteckende Ki-ankheiten, und da ist es wohl nicht zu verwundern, wenn die Pest in einem solchen Lande Wurzel faßt. Allem Anschein nach hätten wir es hier also mit einem weiteren Pestherd zu tun. Aber das Land Kisiba ist doch nicht der eigentliche Pestherd, sondern es bildet nur einen gelegentlichen Ausläufer desselben. Der wahre Pestherd liegt jenseits der Grenze unserer Kolonien auf englischem Gebiet. Denn in Kisiba ist die Rubwunga erst seit acht Jahren bekannt, während sie in dem nördlich gelegenen Uganda, welches zu Britisch- Ostafrika gehört, seit undenklichen Zeiten geherrscht hat. Ich entnehme dies den ]Mit- teilungen von gut unterrichteten Missionaren, die ihren Wohnsitz in Uganda haben. Dieselben berichten auch, daß unter der Regierung des durch Stanley bekanntge- wordenen König Mtesa die Pest in der Hauptstadt des Landes arge Verheerungen angerichtet hat. Später ist sie mehr nach dem südlichen Teil von Uganda, welcher Buddu heißt, fortgeschritten nnd von da wdederholt nach Kisiba eingeschleppt. Die Umstände, unter denen die erste Einschleppung stattfand, sind iti Kisiba noch in allen ihren Einzelheiten bekannt. Es war, wie bereits bemerkt, vor acht Jahren. Damals besuchte ein Mann aus Kisiba einen Geschäftsfreund in Buddu: er wurde dort infiziert und starb kurze Zeit nach seiner Rückkehr an der Rubwunga. Der Landes- sitte gemäß versannnelten sich seine Freunde an der Leiche zu den Trauerfeierlich- keiten. Sie wurden sämtlich angesteckt und verschleppten die Pest in die benachbarten Bananenhaine, von wo sicli die Seuclie dann weiter über das Land verbreitet hat. Das Land Kisiba liegt in dem Winkel zAvischen Kagera-Nil und Victoriasee, außer- halb allen Verkehrs, so daß ein weiteres A'ordringen der Pest nach dem Süden zu wohl nicht zu befürchten ist. Dagegen ist die Gefahr einer Ausbreitung nach Norden und Osten zu entschieden vorhanden. In nördlicher Richtung scheint sie auch schon in frü- heren Zeiten weit vorgedrungen zu sein, da E m i n P a s c h a , wie mir von Regierungs- rat S t u h 1 m a n n mitgeteilt wurde, in der Äquatorialprovinz öfters Krankheitsfälle gesehen hat, die er für Pest hielt. Vom oberen Nil aus ist die Pest auch vernuitlieh durch Sklaventransporte nach Ägypten und anderen Ländern an der Nordküste von Afrika verschleppt. Wenigstens wird man für die in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts vorgekommenen isolierten Pestausbrüche in Ägypten und für die scheinbar ganz außer allem Zusammenhange stehende Epidemie, welche in den siebziger Jahren in Tripolis zum Vorschein gekommen ist, kaum eine plausiblere Erklärung finden können. Von Uganda aus ging in der Richtung nach Osten zu früher so gut wie gar kein Verkehr, und aus diesem Grunde hat sich die Pest nach dieser Richtung liin bisher nicht verbreiten können. Aber in Zukunft wird dies anders werden, da augenblicklich eine 652 Über die Verbreitung der Buboiienpest. Eisenbahn von Mombassa an der Britisch-Afrikanischen Küste nach Uganda gebaut wird, deren Vollendung in wenigen Jahren zu erwarten ist. Damit wird dieser Pestherd im Innern von Afrika sofort dem Weltverkehr nahegerückt, und er könnte dann ge- legentlich von verhängnisvoller Bedeutung werden. Allzusehr brauchen wir uns indes durch diese Aussichten nicht beunruhigen zu lassen. Wenn man sich die jetzt noch existierenden Pestherde auf der Karte ansieht, dann muß man doch den Eindruck gewinnen, daß die Pest vor der fortschreitenden Kultur stets zurückgewichen ist. Sie hat sich jetzt schon in die äußersten Winkel zurück- gezogen, und wir dürfen uns der Hoffnung hingeben, daß sie auch aus diesen Verstecken allmählich verdrängt werden und schließlich ganz verschwinden wird. Berichte über die Wertbestimmung des Pariser Pestserums.') Im Auftrage des Herrn Kultusmiiiistere erstattet von Dr. W. Kolle mid Dr. E. Martini, nebst Begleitbericht von Prof. Dr. R. Koch. Berlin, den 1. Juli lOOl . Kurer Exzellenz beehre ich mich in der Anlage den Bericlit zu überreichen, den Professor Dr. Kolle und Marinestabsarzt Dr. Martini über die von ihnen in meinem Auftrage vorgenommene Prüfung des Pariser Pestserums mir eingereicht haben. Die in diesem Bericht sowie in demjenigen des Professors Kolle vom 18. Mai dieses Jahres niedergelegten Tatsachen sind meines Krachtens völlig genügend, um be- züglich der Wirkung des Pariser Pestserums im Tierversuch die Fällung eines abschlie- ßenden Urteils, wie es in dem anliegenden Bericht geschehen ist, zu ermöglichen. Die hier erzielten Ergebnisse stehen im Einklang mit den früheren Erfahrungen und Nachrichten, die früher und ganz neuerdings aus Bombay hierher gelangt über die mit dem Pariser wie dem Lustig sehen Serum bei zahlreichen Pestkranken erzielten Erfolge. Danach scheint die Wirkung des Pestserums auf den j^estkranken Menschen keine andere als die bei den hier angestellten Tierversuchen erzielte gewesen zu sein. Das Serum hat nach den Angaben von Dr. Martin Ha h n , der jetzt aus Bombay zurückgekehrt ist, und nach dem hier von dem Kaiserlich Deutschen Konsulat in Bombay eingegan- genen Bericht des Dr. M a y e r vom Municipality Laboratory in Bombay eine deutliche Heilwirkung bei leichteren Pestfällen entfaltet. Dies entspricht der Heilwirkung des Pestserums im Tierversuch bei Verwendung weniger virulenter Kulturen oder lang- samerem Krankheitsverlauf. Bei allen schwereren Fällen menschlicher Pe.st haben nach den genannten Gewährsmännern beide Arten des Sei'ums vollkommen versagt, nur eine Verlängerung des Lebens um wenige Tage soll in einigen Fällen eingetreten sein, wie dies auch beim Tierversuch hier beobachtet ist. Nach Andeutungen, die bei den im hiesigen Institut angestellten Peststudien zutage getreten sind, und nach Analogie der Erfahrungen, die bei Cholera und Typhus- immvxnisierung gewonnen sind und allem Anschein nach auch für das Pestserum Gültig- keit habeiT, halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß auf einem anderen Wege und auch nach anderen Methoden als denjenigen des Dr. L u s t i g und Dr. R o u x ein wirk- sameres Serum sich herstellen läßt. Zu diesem Zwecke wird es notwendig sein, die weiteren Versuche an großen Tieren, d. h. Pferden, anzustellen. Da augenblicklich auf dem zum 1) Aus Klinisches .Tahvlnich, 1002, Bd. IX. A'orlag- von Oiistav Pisfher, Jena. 654 Berichte über die Wertbestimmimg des Pariser Pestserums. Institut gehörigen Grundstück die Pferdestallungen im Bau begriffen und vor Ende Oktober voraussichtlich nicht zu benutzen sind, so könnte vorläufig ein Holzschuppen aufgestellt werden, der in längstens 3 Wochen ohne große Unkosten aufgerichtet werden kann. Die dafür notwendigen Mittel, die erforderlich sind für: Bau des Schuppens 3 600 M. Anschaffung von 6 Pferden 3 000 „ Diener und Wartung für die 1 .500 „ Futter der Pferde J Dauer eines 6 000 ,, Unvorhergesehenes J .Tahres 900 ,, Zusammen 15 000 M. insgesamt 15 000 M., bitte ich geneigtest bewilligen zu wollen. Der Direktor Koch, Geh. Medizinalrat. Berlin, den 30. Juni 1901. Bericht über die Prüfung des Pariser Pestserums. Am 7. Juni trafen die im Ministerialerlasse vom 25. Mai 1901 — M. Nr. 11 313 — avisierten 4 Liter Pestseruiu, das im Institut Pasteur hergestellt war, hier ein. Es wurde sogleich zufolge des erteilten Auftrages mit der Prüfung dieses Serums begonnen, um ein Urteil über dessen Wirksamkeit, namentlich seine Heilkraft im Tierversuch, an möglichst großen Versuchsreihen zu gewinnen. Das Serum war in Fläschchen zu 20 ccm gefüllt und vollkommen klar. Trübungen im Serum, wie sIq früher nach längerem Aufbewahren häufig in dem von Paris durch Händler bezogenen Pestserum beobachtet waren, sind in dieser Serumsendung bis jetzt nicht beobachtet worden. Wir halten es deshalb nicht für ausgeschlossen, daß die Art der Konservierung des Serums eine andere gewesen ist als die hier benutzte. Dafür sprechen auch die Agglutinierungsver.suche, zu denen das Serum, ebenso wie bei früheren Sendungen, herangezogen wurde. Das Serum zeigte starke Agglutinationskraft bis zur Verdünnung von 1 : 100 (d. h.: 0,01 ccm Serum agglutinierte 1 Öse Pestagarkultur), während die früher geprüften Serumproben ausnahmslos gar keine Agglutination bei Pestbakterien hervorriefen oder höchstens bei Verdünnung 1 : 3 (d. h. : 0,3 ccm Serum agglutinierte 1 Öse Pestagarkultur), und auch dann nur ganz schwach. Da bekanntlich die agglutinierenden Stoffe im Serum durch länger dauernde Erhitzung auf Tempera- turen über 60*^0 zugrunde gehen, so kann also das jetzt zur Prüfung gelangte Serum nicht diesen Temperaturen zum Zwecke der Konservierung ausgesetzt sein. Das zur Prüfung des Serums im Tierversuch angewandte Verfahren war im wesent- lichen das im Bericht — J.-Nr. 729, XVI 22 — vom 18. Mai d. J. bereits mitgeteilte. Demgemäß wurde das Serum vor der Infektion, gleichzeitig mit und in verschiedenen Zeiträumen nach erfolgter Infektion den Versuchstieren injiziert, zum Teil, wie es in der Praxis beim pestkranl<;en Menschen vielfach angewandt wird, subkutan, in der Mehr- zahl der Versuche aber intraperitoneal, um eine rasche Resorption des Serums herbei- zuführen und die Versuchsbedingungen ähnhch wie bei der von den französischen Autoren für Pestkranke empfohlenen intravenösen Injektion des Pestserums zu gestalten. Zur Infektion der Versuchstiere, die sich aus Ratten, Mäusen und Meerschweinchen zusammensetzten, wurde die im November 1900 beim Pestfall Kunze in Bremen isolierte Berichte über die Wertbestiniiiiuug des Pariser Pestseruins. 655 Kultur verwandt. Das Infektionsiiiaterial wurde teils aus den auf Agar gezüchteten Reinkulturen, teils direkt dem Organsaft der Tiere entnommen, in denen iiiikroskopisch bzw. durch das Züchtungsverfahren eine Reinkultur von Pestbakterien nachgewiesen war. Die Kultur ,, Bremen" war durch fortgesetzte Tierpassagen, namentlich unter Erzeugung primärer Pestpneumonie bei Ratten mittels Inhalation in einem von Stabs- arzt Dr. M a r t i n i besonders konstruierten, gefahrloses Experimentieren gewähr- leistenden Apparat und Wiederverstäubung des aus den Lungen ausgedrückten Saftes, um so eine Kette von Pestpneumonie zu erzeugen, virulent erhalten. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die in den Lungenherden bei primärer Pest]meumonie vor- liandenen oder aus ihnen gezüchteten Bakterien im allgemeinen einen weit höheren \\irulenzgrad aufweisen als die in den anderen Organen bzw. Drüsen der Tiere vorhandenen oder aus ihnen gezüchteten Pestbazillen. Um möglichst verschiedenartige Pestformen bzw. primäre Lokalisation des Pestkeims bei den Versuchstieren zu erzeugen und so die l)eim Menschen vorkommenden Krankheitsl)i]der nach Möglichkeit nachzuahmen, ge- schah die Infektion in folgender Weise: 1. durch subkutane Injektion; 2. durch Einführung in eine Hauttasche; 3. durch intraperitoneale Injektion; .4. durch Einführung in den Augenlidbindehaut sack; 5. durch Auftragung auf die rasierte Bauchhaut (kutane Infektion der Meer- schweinchen). Die sämtlichen an 1 8(3 Tieren angestellten Versuche sind in drei Übersichtstabellen, A, B, C, zusammengestellt, mit Anlagen zu jeder derselben, in denen die Details der Versuche enthalten sind. Die Dosen, die verabreicht wurden, die Menge und Art des Infektionsstoffes, die Kontrollversuche mit normalem Pferdeserum und die Resultate der Versuche finden sich dort leicht übersichtlich eingetragen. Die nach Injektion von Pestserum auftretende passive Immunität, die durch Infektion 24 Stunden nach der Serumeins])ritzung geprüft wurde, ist, wie das auch bei früheren Versuchen der Fall war, nicht bei allen \'ersuchstieren erzielt. Von IH Tieren (ß Mäuse, 6 Meerschweinchen, 0 Ratten, vgl. Übersichtstabelle A. B, 0 I. Versuch) er- lagen ?> Mäuse, 2 Ratten und 4 Meerschweinchen der Infektion, welche teils durch sub- kutane, teils durch intraperitoneale Injektion von Pestmaterial erfolgte, = 50%. Es waren also 50% der Tiere durch das Pestserum gegen die nachfolgende Infektion geschützt. Bei den im Bericht vom 18. Mai mitgeteilten analogen Versuchen über die Schutz- wirkung des Pestserums betrug die Zahl der infektionsgefestigten Tiere 62%. Wenn das Gesamtergebnis aller Heilversuche, d. h. aller Versuche, wo das Serum mindestens gleichzeitig mit oder in wechselnden Zeiträumen nach der Infektion gegeben wurde, zusannnengefaßt Avird, so ergibt sich folgende Übersicht. Tierart Pestseruni normales Serum leben t leben 1 67 4 47 1 15 69 Ratten 20 34 1 14 32 0 26 0 6 Suninia 24 107 2 85 = ca. 19% = ca. 5,4% Es wurden also 19% der Tiere gerettet, gegenüber 5,4% der Kontrollen. Bei frü- heren Versuchen mit Seruin hatten diese Zahlen betragen 15"{, und 6%. Hier tritt also 656 Berichte über die Wertbestimmung des Pariser Pestserums. die spezifische Wirksamkeit des Serums gegenüber frülieren Versuchen etwas stärker zutage. Besonders günstig sind allerdings die Versuche bei Ratten ausgefallen, nament- lich wenn die Infektion dieser Tiere von der Augenbindehaut oder dem Subkutangewebe erfolgte. Infektionsmethoden, bei denen, wenigstens bei Benutzung unserer Kultur, deren Virulenz trotz der Tierpassagen um ein ganz geringes abgenommen hatte, der Krankheitsverlauf ein etwas langsamerer ist als nach intraperitonealer Injektion. Aller- dings ist stets der Virulenzgrad der zur Injektion benutzten Kultur, der von Tag zu Tag aus bisher noch unbekannten Gründen verschieden groß sein kann, in Rechnung zu ziehen. Je mehr wir uns mit den Prüfungen des Pestserums beschäftigt haben, desto eindringlicher müssen wir darauf hinweisen, wie wichtig es zur Erzielung eines Urteils über die Wirksamkeit im Tierversuch ist, große Versuchsreihen bei ver- schiedenen Tierarten unter Benutzung desselben Infektions- m a t e r i a 1 s an einem Tage gleichzeitig anzulegen. Denn nur auf diese Weise ließ sich feststellen, daß das Serum bei Mäusen und Meerschweinchen völlig versagt hat, wo bei Ratten noch eine Wirkung zutage getreten ist. Es kann also ein Schluß von der Wirksamkeit des Serums bei einer Tierart nicht auf diejenige bei einer anderen gezogen werden, wie es nicht erlaubt ist, ohne weiteres auf den Menschen Schlüsse aus dem Tier- versuch zu ziehen. Doch darf andererseits nicht unberücksichtigt gelassen werden, daß in vielen Fällen bei allen Tierarten das Pestserum selbst bei intraperi- tonealer Injektion großer Dosen, welche die beim Menschen in Bombay angewandten (3 Liter im Verlauf einiger Tage), bezogen auf das Körpergewicht, noch weit übertreffen, völlig versagt hat. In der Beziehung sind sich die klinischen Beobachter an allen Orten, wo im Laufe der letzten Jahre Pestkranke mit Pestserum behandelt sind, einig, daß bei schweren Pestfällen, namentlich bei Infektion des Blutes, Lungenpest und aus- gedehnten Bubonen das Pestserum nichts geholfen hat. Und gerade hier zeigt sich ein Einklang zwischen experimentellen Versuchen an Tieren und therapeutischen Erfahrungen beim kranken Menschen, nämlich daß bei schweren Infektionen, zumal wenn Anzeichen Allgemeinergriffenseins vorliegen, die Einverleibung selbst größter Serummengen völlig ergebnislos ist. Wir haben bisher nie gesehen, daß ein Tier, das ausgesprochen schwere Krankheitssymptome zeigte, durch das Pestserum am Leben erhalten wäre. So sind z. B. die intraperitoneal infizierten Tiere fast ausnahmslos selbst dann gestorben, wenn das Pestserum gleichzeitig mit oder nur wenige Stunden nach der Infektion gleichfalls in das Peritoneum injiziert wurde. Zusammenfassend können wir das" Gesamtergebnis der Prüfungen des Pestserums, die sich auf 580 Tierversuche (Bericht I und II) erstrecken, dahin feststellen, daß dem Pestserum eine erhebliche Schutzwirkung im Tier- versuch gegen die nachfolgende Infektion innewohnt, die vorübergehend ist und sich nicht bei allen Tieren einstellt. Ebenso zeigt das Pestserum, am stärksten das zuletzt geprüfte, in diesem Bericht ausführlich beschriebene Pariser Pestserum eine spezifische Beeinflussung des Krankheitsverlaufes bei Tieren, die sich fast stets in Lebensverlängerung äußert, sobald es gleichzeitig mit oder kurze Zeit nach der Infektion den Tieren einverleibt wird. Am stärksten hat sich, nament- lich bei dem zuletzt geprüften Serum und bei dem augenblicklichen Virulenzgrade unserer Kultur, diese Wirkung, die bei einem Teil der Tiere zur Heilung führt, bei Ratten ge- äußert, wenn dieselben subkutan oder in die Augenbindehaut infiziert wurden und das Serum intraperitoneal in größeren Dosen injiziert erhielten. Je weniger virulent die Kultur ist, um so stärker tritt in den Versuchsreihen die Wirksamkeit des Serums zu- tage, die sich weniger in Heilwirkung bei den bereits erkrankten Geweben unter Ab- tötung der Bakterien durch bakterizide Einflüsse, als in Schutzwirkung der noch nicht infizierten Gewebe vor der Infektion äußert. Berichte über die Wertbestimmung des Pariser Pestseriims. 657 Die großen ^"ersuc•hsreihen, die wir zur Prüfung des Pestserums angelegt haben, haben leider solche Resultate nicht gezeitigt, die den objektiven Beobachter bestimmen könnten, dem Pestserum eine sichere Heilkraft, die beim pestkranken oder pestinfizierten Tiere nicht im Stiche läßt, zuzuerkennen. Trotz der zahlreichen Mißerfolge des Pest- serums beim pestkranken Menschen und bei Tieren, die mit hochvirulenten Kulturen und bei rasch tödUch endendem Infektionsverlauf infiziert waren, erscheint es doch geraten, weitere Versuche mit der Immunisierung von Pferden vorzunehmen. Denn dem in Paris h e r g e s t e 1 1 1 e n P e s t s e r u m sind sicher nützliche Eigenschaften zuzuerkennen, die auf j e d e n F a 1 1 zu p r o p h y - 1 a k t i s c h e n I n j e k t i o n e n verwandt werden können, wo es dar- auf ankommt, b e i M e n s c h e n s o f o r t eine S c h u t z w i r k u n g zu er- zielen. In bezug auf die Heilwirkung hat sich das 8erum als nicht genügend sicher erwiesen, trotzdem man ihm einen günstigen Einfluß auf den Ivi'ankheitsverlauf nicht absprechen kann. Koch, Gesammelte Werke. 87 658 Berichte über die Wertbestimmung des Pariser Pestserums. Übersichtstabelle A. Versuche an Mäusen. Kontrollen mit normalem Serum in Kursivschrift. (Dazu Ergänzungstabellen I — IX.) .bellen-Nr. izalil der Tiere i Infektionsvveise und Art des lufektionsmaterials Seruminjektion, Zeit und Applikation Erfolg Pest- seruni Erfolg Kon- trollen CS leben 1 1 leben t I 8 1 Tröpfchen Lungensaft subkutan Pestserum 24 Stunden vor der Infektion subkutan 4 4 II 5 Vs Oese 2tägiger Pestkultur intraperitoneal Pestserum gemischt mit Infektionsstoff intraperitoneal 1 4 // 2 desgl. Normales Serum gemischt mit Infek- tionsstoff intraperitoneal 0 2 III 8 Milzsaft von Eatte subkutan Pestserum 1 Stunde nach der Infektion intraperitoneal 0 8 /// 2 desgl. Normales Serum 1 Stande nach der Infektion intraperitoneal 0 2 IV 6 Oese Pestkultur intra- peritoueal Pestserum 2 Stunden nach der In- fektion subkutan 2 4 IV 2 desgl. 0 2 V 8 Vio Oese Pestkultur subkutan Pestserum 3 Stunden nach der In- fektion 0 8 y ■ 9 desgl. Normales Serum 3 Stunden nach der Infektion intraperitoneal u 2 VI 4 Pestlungensaft iutra- peritoneal Pestserum 6 Stunden n a c Ii der In- fektion 0 4 VI 2 desgl. Normales Serum 6 Stunden nach der Infektion subkutan 0 2 VII 7 Pestlungensaft subkutan Pestserum 8 Stunden nach der Infektion subkutan bzw. intraperitoneal 1 6 VII 3 desgl. Normales Serum 8 Stunden nach der Infektion intraperitoneal 0 3 VIII 9 Pestlungensaft von Eatte intraperitoneal Pestserum 9 Stunden nach der Infektion intraperitoneal 0 9 vm 2 desgl. 0 2 IX 4 Pestlungensaft, 2 Tiere intraperitoneal, 2 Tiere subkutan 0 4 IX Pestlungensaft subkutan 0 1 Berichte über die Werthestimmung des Pariser Pestseruins. 659 Tabelle 1. Versuch mit Pestserum an Mäusen am 20. .Juni 1901. Pestserum 24 Stunden vor der Infektion. Lfde. J.iJ.l.VlVLl^/ll0 T)o*ii^ niirl Ävt flp^^ i 1 Erfolg 4- ntiPn TPiA— 1 lldLll wie Nr. weise Infektionsstoffes Serums weise viel Tagen? 1 intra- peritoneal in- fiziert mit 1 Tröpfchen Lungen- saft von Ratte in 0,2 ccm Bouillon 1,0 ccm subkutan T 3 2 ,, 1,0 „ T 3 3 ?? 1,0 „ T 7 4 1^ 1,0 „ lebt 5 subkutan in- fiziert mit *T 1.0 „ » 7 5 6 1.0 „ n lebt 7 j) 1,0 „ 7} lebt 8 1,0 „ lebt Tabelle II. Versuch mit Pestserum an Mäusen am 1.5. .Juni 1901. Serum und Kultur gemischt (gleichzeitig) injiziert. Kontrollen mit normalem Serum. Lfde. Nr. Infektious- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes E>osis des Serums Apiilikations- weise Erfolg f nach wie- viel Tagen? 1 intra- peritoneal in- fiziert mit ^/j Oese 2tägiger Pest- agarkultur in ' 0,2 ccm Bouillon 0,05 ccm intraperitoneal t 1 2 0,05 , •n T l 3 0,1 , n t 2 4 ?, 0,2 „ r> 7 2 5 ,9 0,3 ., D lebt 6 ,, t 2 Kontrollen in i t n o rm a l e in Sern m. 7 •5 0.1 „ ■) T / 8 ,5 0,2 „ 5, T 2 Tabelle III. Versuch mit Pestserum an Mäusen am 10. .Funi 1901. Serum ] Stunde nach der Infektion. Kontrollen mit normalem Serum. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise des Serums Erfolg ■]- nach wie- viel Tagen? 1 subkutan 1 Tröpfchen Milzsaft von von Ratte t an Pest in 0,2 ccni Bouillon 0,1 ccm intraperitoneal 1 2 2 0,1 „ 7 2 3 0,2 „ 7 3 4 0,2 , 7 4 5 0,3 , 7 4 6 0,3 „ 7 8 7 , • 0.4 „ 7 10 8 0,4 „ 7 1 Ko n t ro 1 1 e II mit normalem Serum. 9 0.4 „ "/' 1 10 0.4 „ f 3 87* 660 Berichte über die Wertbestimmung des Pariser Pestserums. Tabelle IV. Versuch mit Pestserum an Mäusen am 12. Juni 1901. Serum 2 Stunden nach der Infektion. Kontrollen mit normalem Serum. Lfde. Infektions- Dosis und Art des Dosis des Ä iii'tlilrfif lAnci- JLriüig f nacb wie- 1117Ol Cd Nr. weise Infektionsstoffes Serums des Serums viel Tagen? 1 intra- peritoneal ^/lo Oese 2tägig:er Pestagarkultur in 0,2 ccm Bouillon 0,2 ccm subkutan t 1 2 11 )) 0,2 „ )' t 2 3 11 11 0,2 „ j) t 2 4 11 11 0,4 „ )? t 2 5 11 11 0,4 „ )) lebt 6 11 11 0,4 „ lebt Kontrollen mit normalem Serum. 7 11 11 57 f 2 8 11 11 - 7) f 2 Tabelle V. Versuch mit Pestserum an Mäusen am 8. Juni 1901. Serum 3 Stunden nach der Infektion. Kontrollen mit normalem Serum. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise des Serums Erfolg f nach wie- viel Tagen? 1 subkutan Vio Oese Stägiger Pestagarkultur in 0,5 ccm Bouillon 0,1 ccm intraperitoneal t 3 2 yi 0,1 „ 11 t 3 3 11 „ 0,2 „ 11 t 2 4 n T, 0,2 „ 11 t 2 5 11 n 0,3 „ 11 t 2 6 yi » 0,3 „ 11 t 3 7 11 0,4 „ 11 t 3 8 11 0,4 „ 11 t 5 Kontrollen mit normalem Serum. 9 11 11 0,4 „ f 2 10 11 71 0,4 „ 11 f 2 Tabelle VI. Versuch mit Pestserum an Mäusen am 18. Juni 1901. Serum 6 Stunden nach der Infektion. Kontrollen mit normalem Serum. Lfde. Infektions- Dosis und Art des Dosis des Applikations- Erfolg f nach wie- weise Nr. weise Infektionsstoffes Serums des Serums viel Tagen? 1 intra- Ein Tröpfchen Lungensaft 0,2 ccm subkutan t 1 peritoneal von primärer Pestpneu- monie von Ratte f ani 18. Juni 1901 2 11 0,2 ), t 2 3 11 0,4 „ ), t 2 4 11 0,4 „ 11 t 1 Kontrollen mit normalem Serum. 5 11 0.4 „ 11 f ; 6 11 0.4 „ 11 f / Berichte ül)er die Wertbestimmung des Pariser Pestserums. 661 Tabelle VII. Versuch mit Pestseriim an Mäusen am 16. Juni 1901. Serum 8 Stunden nach der Infektion. Kontrollen mit normalem Serum. Lide. AT« JNr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Ä TiTll 1 l"! ATI C;_ A U UllKcl tlUllo" weise des Serums Erfolg f nach wie- viel Tagen? 1 subkutan in- Vio Oßse 3 tägiger 0,5 ccm subkutan t 1 lIZf.LC'i t 1111 U X caio-i^ tix KUiLUi in 0,5 ccm Bouillon 2 n 0,5 „ T 1 3 5' 0,2 „ intraperitoneal t 2 4 J t II 0,2 „ 4- 1 iJ 5 0,3 „ ') T 1 6 n 0,4 „ J) s. 1 2 7 51 0,5 „ 1? t 1 Kontrollen mit no rm ale m Serum. 8 J' 0.4 „ / 2 9 Ii '? 0.4 „ f 2 10 )) '? 0.4 „ 1J f 3 Tabelle VIII. Versuch mit Pestserum an Mäusen am 11. Juni 1901. Serum 9 Stunden nach der Infektion. Kontrollen mit normalem Serum. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikatioüs- weise des Serums Erfolg f nach wie- viel Tagen? 1 intraperi- 1 Tröpf. Lungensaft von 0,1 ccm intraperitoneal t 1 toneal Katte f au Festpneu- infiziert mit monie in 0,1 ccm Bouillon 2 1, 0,2 „ j. 1 2 5, 0,2 „ „ T 1 4 0,3 „ H T 3 5 0,3 „ n t 1 6 ?, 0,4 „ » -L 1 1 7 ,1 0,5 „ » J. 1 1 8 0,6 „ „ t 1 9 1,0 „ „ t 1 Kontrollen mit normalem Serum. 10 J. 1 1 11 >) i- 1 Tabelle IX. Versuch mit Pestserum an Mäusen am 19. Juni 1901. Serum 10 Stunden nach der Infektion. Kontrolle mit normalem Serum. Lfde. Nr. Infektions- weise 1 Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise des Serums Erfolg f nach wie- viel Tagen? 1 intra- 1 Tropfen Saft von 1,0 ccm intraperitoneal X ( 1 peritoneal in- Lunge, Pestpneumonie fiziert mit von Eattef 19. Juni 1901 2 0,5 „ J- 1 1 3 sulDk. infiz. mit 0,5 „ t 1 4 )) 1.0 „ 1 2 Kontrollen mit normalem Serum. 5 I! „ I „ I 0,5 „ I „ t /- I 2 662 Berichte über die Wertbestimmung des Pariser Pestserums. Übersichtstabelle B. Versuche an Ratten. Kontrollen mit normalem Serum in Kursivschrift gedruckt. (Dazu Ergänzungstabellen I — XI.) ,bellen-Nr. ]zahl der Tiere Infektionsweise und Art des Infektionsstoffes Seruminjektion, Zeit und Applikation Erfolg Pest- serum Erfolg Kon- trollen a leben t leben t I 8 intraperitoneal infiziert mit Luugensaft von Ratte f an Pest Pestserum 24 Stunden vor der Infektion subkutan 8 II 4 subkutan infiziert mit Milz- saft von Ratte Pestserum 1 Stunde nach der Infektion iutraperitoneal 2 2 // 2 desgl. Normales Serum 1 Stunde nach der Infektion intraperitoneal 0 2 UI 4 intraperitoneal infiziert mit ' lo Oese Pestkultur Pestserum subkutan 2 Stunden nach der Infektion 1 3 /// 2 desgl. 0 2 IV 4 subkutan infiziert mit */io Oese Pestkultur Pestserum 3 Stunden nach der Infektion intraperitoneal 4 0 IV 2 desgl. 0 2 V 4 intraperitoneal infiziert mit 1 Tröpfchen Pestlungensaft Pestserum 6 Stunden nach der In- fektion subkutan 0 4 V 2 desgl. Normales Serum 6 Stunden nach der Infektion subkutan 0 2 VI 4 subkutan infiz. mit 1 Tröpf- chen Pestlungensaft Pestserum 8 Stunden nach der In- fektion subkutan 1 3 VI 3 desgl. Pestserum 8 Stunden nach der Infektion intraperitoneal 1 2 VI 2 desgl. Normales Serum 8 Stunden nach der Infektion subkutan 1 1 VII 9 intraperitoneal infiziert mit 1 Tröpfchen Pestlungensaft Pestserum 9 Stunden n a c h der In- fektion intraperitoneal ü 9 VII 5 intraperitoneal infiziert mit 1 Tröpfch. Pestlungensaft 0 3 VIII 6 subkutan infiziert mit Pest- pneumoniesaft Pestserum 10 Stunden nach der In- fektion intraperitoneal 6 0 IX 6 intraperitoneal infiziert mit Pestpneumoniesaft desgl. 1 5 X 4 in Augenbindehaut 1 Tröpf- chen Pestkultur Pestserum 18 Stunden nach der In- fektion intraperitoneal 4 0 XI 4 intraperitoneal infiziert mit Vao Oese Pestkultur Pestserum 24 Stunden nach der In- fektion, 2 Tiere intraperitoneal, 2 Tiere subkutan 0 4 XI 2 desgl. 0 2 Berichte über die Wertliestimmiing des Tariser Pestserums. 663 Tabelle I. Versuch mit Pestserum an Ratten am 20. Juni 1901. Serum 24 Stunden vor der Infektion. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis luid Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise Erfolg- -|- nach wie- viel Tagen ? 1 intraperi- 1 Tröpfchen Lungen- 2,0 ccm subkutan lebt — toneal in- saft von Ratte fiziert mit f an Pest 2 2,0 „ 5, lebt 3 )• 2,0 „ H lebt 4 2.0 „ II lebt 5 subknt. infiz. 2,0 „ ,) lebt 6 2,0 „ •J lebt 7 2,0 „ lebt 8 51 2,0 „ lebt Tabelle II. Versuch mit Pestserum an Ratten am 10. Jmii 1901. Serum 1 Stimde nach der Infektion. Kontrollen mit normalem Serum. Lfde. Infektions- Dosis und Art des Dosis des Applikations- Erfolg f nach wie- Nr. weise Infektionsstoffes Serums weise viel Tagen? 1 subkutan in- fiziert mit 1 Tröpfchen Milzsaft von Ratte f an Pest in 0,5 ccm Bouillon 2.0 ccm intraperitoneal 1 6 2 2,0 „ ( 7 3 ,, 2,0 „ lebt 4 2,0 „ lebt Kontrollen mit normalem Serum. 5 2,0 „ f 3 6 2,0 „ ,, f 1 Tabelle III. Versuch mit Pestserum an Ratten am 12. Juni 1901. Serum 2 Stunden nach der Infektion. Kontrollen mit normalem Serum. Lfde. Infektions- Dosis und Art des Dosis des Applikations- Erfolg ■j- nach wie- Nr. weise Infektionsstoffes Serums weise viel Tagen? 1 intraperi- Vio Oese Pestagar- 2,5 ccm subkutan t 2 toneal in- kultur in 0,2 ccm fiziert mit Bouillon 2 r. ,, 2,5 „ X 1 2 3 „ JL i 2 4 2,5 „ lebt 5 f 1 6 j- 1 1 664 Berichte über die Wertbestimmung des Pariser Pestserums. Tabelle IV. Versuch mit Pestserum an Ratten am 8. Juni 1901. Serum 3 Stunden vor der Infektion. Kontrollen mit normalem Serum. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise Erfolg f nach wie- viel Tagen? 1 subkutan Vio Oese 2täg. Pestagar- 2,0 ccm intraperitoneal lebt kultur aufgeschwemmt in 0,5 com Bouillon 2 II » 2,0 „ ' ,1 lebt 8 1» 1! 2,0 „ II lebt 4 II )) 2,0 „ :i lebt 5 II !> f 2 6 i> 5> f 2 Tabelle V. Versuch mit Pestsermn an Ratten am 18. Juni 1901. Serum 6 Stunden nach der Infektion. Kontrollen mit normalem Serum. Lfde. Infektions- Dosis und Art des Dosis des Applikations- Erfolg f nach wie- Nr. weise Infektionsstoffes Serums weise viel Tagen? 1 intraperi- l Tröpfchen Lungensaft 2,0 ccm subkutan j. 1 toneal in- von prim. Pestpneumonie fiziert mit von Ratte 1 18. Juni 1901 2 II II 2,0 „ ij t 1 3 II II 3,0 „ )i t 1 4 n n 3,0 „ 1? t 1 Kontrollen mit normalem Serum. 5 » 2,0 „ ?i f 1 6 11 1, 2.0 „ )) f 1 Tabelle VI. Versuch mit Pestserum an Ratten am 16. Juni 1901. Serum 8 Stimden nach der Infektion. Kontrollen mit normalem Serum. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise Erfolg •j- nach wie- viel Tagen? 1 subkutan in- 1 Tröpfchen Pestpneu- 2,0 ccm subkutan t 5 fiziert mit moniesaft von Ratte in 0,5 ccm Bouillon 2 II 11 2,0 „ n j. 8 3 11 3,0 „ » lebt 4 II I) 3,0 „ T 6 5 II II 2,0 „ intraperitoneal t 11 6 II II 2,5 „ n t 10 7 II II 3,0 „ n lebt Kontrollen mit normalem Serum. 8 11 II 2.5 „ f 2 9 II II 2.5 „ lebt Berichte ül)er die Wertbestimmuiig des Pariser Pestserums. 665 Tabelle VII. Versuch mit Pestserum an Ratten am 11. Juni 1901. Serum 9 Stunden nach der Infektion, Kontrollen mit normalem Serum. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise Erfolg- f nach wie- viel Tagen? 1 lii uJ cf Till An _ fiyiprf, mit, 1j.£ji.\jL \> 1111 U moiiip in 0 '^fpiii T^rtnillnn lllUlllC LlX V^tJ V^t^lll JJULilllVll 2 2,0 „ t 9 3 5J 2,0 „ t 11 4 2,0 „ 1) t 1 5 1? )? 2,0 „ T? t 1 6 1» 11 2,0 „ IT t 1 7 )T 1? 2,0 „ t 1 -> 8 •>1 '7 2,0 „ )J t 1 9 2,0 ., t 1 Kontrollen mit normalem Sern m. 10 n 1 / 11 ?) f 1 12 !1 71 f 1 Tabelle VIII. Versuch mit Pestseruui an Ratten am 19. .Juni 1901. Serum 10 Stunden nach der Infektion. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise Erfolg- f nach wie- viel Tagen':' 1 subkutan infiziert mit 1 Tröpfchen Pestpneu- moniesaft von Ratte t an Pest am 19. 6. Ol 3.0 ccm intraperitoneal t 11 •2 ), 75 3,0 „ i 12 3 ?1 3,0 „ j_ 12 4 IJ 3,0 „ lebt 5 7? 3,0 „ lebt 6 ?, 3,0 „ lebt Anmerkung: Am 21. Juni 1901 erhielten sämtliche Tiere nochmals 2,0 ccm Pestserum intra- peritoneal injiziert. Tabelle IX. Versuch mit Pestserum an Ratten am 19. Juni 1901. Sterum 10 Stunden nach der Infektion. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise Erfolg -j- nach wie- viel Tagen? 1 intraperi- 1 Tröpfchen Lungensaft 3,0 ccm intraperitoneal t 1 toneal von Eatte f an Pest- infiziert mit pneumonie 19. 6. Ol 2 3,0 „ t 1 3 ,, 8,0 ., t 1 4 ,7 3,0 „ t 1 5 3,0 „ t 1 6 3,0 lebt 666 Berichte über die Wertbestimmung des Pariser Pestserums. Tabelle X. Versuch mit Pestserum an Ratten am 10. Juni 1901. Serum 18 Stunden nach der Infektion. Lfde. Nr. Infektious- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums AppUkations- weise Erfolg- t nach wie- viel Tagen? 1 in Augen- 1 Tröpfchen Pest- 2,0 ccm intraperitoneal lebt bindehaut kulturaiifschwenunnng- 2 2,0 „ j' lebt 3 J! 2.0 „ ?? lebt 4 1) )) 2,0 ., )? lebt Tabelle XI. Versuch mit Pestserum an Ratten am 13. Juni 1901. Serum 24 Stunden nach der Infektion. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise Erfolg- f nach wie- viel Tagen? 1 intraperi- ■ '/äo OßSß 2tägiger 2.0 ccm intraperitoneal j. 3 toneal Pestagarkultur in infiziert mit 0,5 ccm Bouillon 2 )i 2.0 .. 3 3 JJ )» 2,0 „ subkutan X i 4 4 j? 2,0 „ J. 1 12 5 — J. 1 2 6 3 Berichte über die Wertbestimmung des Pariser Pestserums. 667 Üb ersieht st ab eile C. Versuche an Meerschweinchen. Kontrollen mit normalem Serum in Kursivschrift. (Dazu Ergänzungstabellen I — VI.) I)ellen-Nr. izahl der Tiere Infektioiisweise und Art des Infektionsstoffes Seruminjektion, Zeit und Applikationsweise Erfolg Pest- serum Erfolg Kon- trollen < leben t leben t I 8 Pestlungensaft, 4 Tiere intraperitoneal, 4 Tiere subkutan Pestserum 24 Stunden vor der Infektion subkutan 4 4 II 4 Pestluneeusaft intraijeri- toneal Pestserum 3 Stunden n a c h der In- fektion sulikutan 0 4 // 2 desgl. Normales Serum 3 Stunden nach der Infektion subkutan 0 2 III 8 Pestlungeusaft subkutan Pestseruni 8 Stunden nach der In- fektion, 4 Tiere subkutan, 4 Tiere intraperitoneal 0 8 /// 2 desgl. Normales Serum 8 Stunden nach der Infektion subkutan 0 2 IV 4 Pestluugensaft intraperi- toneal Pestserum 9 Stunden n a c h der In- fektion intraperitoneal 0 4 IV 2 desgl. Normales Serum 9 Stunden n a c h der Infektion 0 2 V 6 Milzsaft von Eatte f an Pest auf rasierte Bancli- haut Pestseruni 24 Stunden u a c h der In- fektion sulikutan 0 6 VI 6 Pestag'arkulturaufschweni- mung- auf rasierte Baucli- haut Pestseruni 48 Stunden n a c h der In- fektion, 0 Tiere intraperitoneal, 3 Tiere sulikutan 0 6 Tabelle I. Versuch mit Pestserum an Meerschweinchen am 20. .luni 1901. Serum 24 Stunden vor der Infektion. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise des Serums Erfolg f nach wie- viel Tagen? 1 intraperi- 1 Tröpfchen Lungeu- 3,0 ccm subkutan t 4 toneal saft von Ratte in infiziert mit 0,2 ccm Bouilliiii 2 3,0 „ t 5 3 )j 3,0 „ ij 1 6 4 1) 3,0 ., ■T lebt 5 subkutan )5 3,0 „ 1 ! 1 6 6 ?1 3,0 ., lebt 7 3,0 „ lebt 8 3,0 „ n lebt 668 Berichte über die Wertbestimmung des Pariser Pestserums. Tabelle II. Versuch mit Pestserum an Meerschweinchen am 18. Juni 1901. Serum 3 Stunden nach der Infektion. Kontrollen mit normalem Serum. IntektioBS- Dosis und Art des Dosis des Applikations- Erfolg j nach wie- Nr W ClOC Infektionsstoffes Serums weise des Serums Viel ± d^cii r 1 intra- peritoneal 1 Tröpfch. Lungensaft von prim.Pestpneumonie vonRattef 18.. Juni 1901 2,0 ccm subkutan t 1 2 jj 2,0 „ t 2 .8 4,0 „ t 1 4 Jj 4,0 „ t 2 Kontrollen mit normalem Serum. 5 JT 4,0 „ f / 6 J5 ), 4,0 „ f 1 Tabelle III. Versuch mit Pestserum an Meerschweinchen am 16. Juni 1901. Serum 8 Stunden nach der Infektion. Kontrollen mit normalem Serum. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise des Serums Erfolg f nach wie- viel Tagen? 1 subkutan in- 1 Tröpfchen Pestpneu- 3,0 ccm subkutan t 3 fiziert mit moniesaft von Ratte 2 3,0 „ t 9 3 >, 4,0 „ t 1 4 j, 4,0 „ t 9 5 ,» 2,0 „ iutraperitoneal t 3 6 2,0 „ t 10 7 3,0 „ t 9 8 4,0 „ t 9 Kontrollen mit normalem Serum. 9 ,? 3,0 „ f 5 10 5, 3,0 „ ,, f 3 Anmerkung: Die am 21. Juni 1901 noch lebenden Tiere wurden nochmals mit je 2,0 ccm Pest- serum intraperitoneal infiziert. Tabelle IV. Versuch mit Pestserum an Meerschweinchen am 11. Juni 1901. Serum 9 Stunden nach der Infektion. Kontrollen mit normalem Serum. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise des Serums Erfolg ■j- nach wie- viel Tagen? 1 intraperi- 1 Tröpfchen Lungensaft 3,0 ccm intraperitoneal t 3 toneal von Ratte f an Pestpneu- infiziert mit monie in 0,2 ccm Bouillon 2 3,0 „ 5, t 4 3 3,0 „ 5, t 6 4 1 3,0 „ t 8 Kontrollen mit normalem Serum. 5 ,, 3,0 „ f / 6 7) 3,0 „ 5J f 2 Berichte über die Wertbestimmung des Pariser Pestserums. 669 Tabelle V. Versuch mit Pestserum an Meerschweinchen am 10. Juni 1901. Serum 18. Stunden nach der Infektion. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise Frfolo- f nach wie- viel Tagen'? 1 auf rasierter 1 Tröpfchen Milzsaft 3,0 ccm subkutan t 11 Bauchhaut von Ratte f an Pest 2 n 8,0 „ 7) t 11 3 )i 3,0 „ 77 j. 1 11 4 )! 3,0 „ )7 t 14 5 n )) 3,0 „ 77 j. 1 16 6 V 3,0 „ 7) j. 1 18 Tabelle VI. Versuch mit Pestserum an Meerschweinchen am 12. .Juni 1901. Serum 48 Stunden nach der Infektion. Lfde. Nr. Infektions- weise Dosis und Art des Infektionsstoffes Dosis des Serums Applikations- weise Erfolg f nach wie- viel Tagen? 1 auf rasierter Bauclihaut 1 Tröpfchen Agar- kulturaufschweiniiiung- 3,0 ccm sul)kutan t 9 2 3,0 „ 14 3 71 77 3,0 „ 77 j- i 14 4 77 3,0 „ intraperitoneal j. 12 5 77 77 3,0 „ t 12 6 77 77 3,0 „ 1 13 Anmerkung: Am 19. Juni 1901 erhielten sämtliclie Tiere nochmals je 3,0 ccm Pestserum intrap er i to neal . Die Lepra-Erkrankungen im Kreise Memel/) Von Prof. Dr. R. Koch, Geh. Med. -Rat, Direktor des Instituts für Infektionskranklieiten in Berlin. Infolge der Beunruhigung, welche in weiten Kreisen dadurch eingetreten war, daß man im Kreise Memel auf eine Reihe von Leprakranken aufmerksam geworden war und vereinzelte Fälle von Lepra auch an anderen Orten Preußens gefunden hatte, erschien es angezeigt, durch amtliche Erhebungen ein klares Bild über den gegenwärtigen Stand der Krankheit zu gewinnen. Im Aiiftrage des Kultusministers bereiste ich daher im September 1896 den Kreis Memel, um die Ausdehnung der Lepra festzustellen und geeignete Mittel zur Abwehr dieser Kranliheit anzugeben. Die ersten Andeutungen vom Auftreten der Lepra im Kreise Memel lassen sich bis zum Jahre 1870 zurück verfolgen. Es ist nicht unmöglich, daß der eine oder der andere Fall auch etwas früher vorgekommen ist. Aber viel weiter als höchstens ein Jahrzehnt vor dieser Zeit läßt sich der Beginn nicht zurückdatieren, da die Lepra mit so offen- kundigen, auch von Laien gar nicht zu verkennenden Symptomen verläuft, daß sie nicht lange Zeit unbemerkt bleiben kann. Aus diesem Grunde kann auch nicht an einen Zu- sammenhang der jetzigen Lepra mit derjenigen des Mittelalters, wie es für andere Länder, z. B. Norwegen, Schweden, Finnland, vielleicht auch die Ostseeprovinzen zutrifft, gedacht werden. In diesen Ländern ist die Lepra nachweislich seit jenen Zeiten niemals ganz verschwunden gewesen; sie hat sich immer von Zeit zu Zeit bemerklich gemacht und im Laufe dieses Jahrhunderts weiter mächtig zugenommen, nachdem die strenge Isolierung der Leprösen, wie sie noch im 16. bis ins 17. Jahrhundert hinein geübt wurde, allmählich in Vergessenheit geraten war. Wenn die Lepra im Kreise Memel demnach nur neueren Ursprungs sein kann, so muß sie von irgend woher eingeschleppt sein. Hierzu bietet aber gerade Memel mehrfache Gelegenheit. Zur See hat Memel Beziehungen zu den Lepraländern Rußland, Schweden und Norwegen (vom September 1892 bis Ende August 1896 liefen in. den Hafen von Memel ein: .59 russische, 161 schwedische und 154 norwegische Schiffe.) Der Landverkehr mit dem benachbarten russischen Gouvernement Kowno und mit Kurland^) ist ein recht lebhafter (im Jahre 1895 sind für die Einwohner des Kreises Memel gegen 36 000 Grenzkarten, welche die Erlaubnis zu einem achttägigen Aufenthalt jenseits der Grenze verschaffen, ausgegeben, und ungefähr in gleichen Dimensionen soll ^) Aus Klinisches Jahrbuch, 1898, Bd. VI. Verlag von Gustav Fischer, Jena. ^) Nach Berichten der deutschen Konsuln kommt die Lepra im Gouvernement Kowno nur ganz vereinzelt vor, während sie in den Gouvernements Kurland, Livland und Esthland sehr häufig ist. In ganz Rußland sind über 800 Leprakranke amtlich bekanntgeworden, doch beträgt die Zahl der wirklich vorhandenen Leprösen nach einer Schätzung von Prof. Petersen in Petersburg annähernd 5000. Die Lepra- Erkrankungen im Kreise Memel. 671 sich der Verkehr in umgekehrter Richtung bewegen). Die Kinschleppung der Lepra nach Memel kann also auf dem Seewege von Norwegen, Schweden, Finnland, den russischen Ostseehäfen öder zu Lande von den russischen Grenzbezirken aus stattgefunden haben. Wenn man berücksichtigt, daß in der fraglichen Zeit die Lepra in NorAvegen und Schweden im raschen Zurückgehen, in den benachbarten Ostseeprovinzen dagegen in erschreckender Weise im Zunehmen begriffen war, und daß der Landverkehr in dieser Beziehung viel mehr Berührungspunkte bot als der Seeverkehr, so kann es wohl keinem Zweifel unter- liegen, daß die Krankheit von Osten und Norden her über die russische Grenze in den Memeler Kreis eingedrungen ist. Mit dieser Annahme stimmt auch die Verbreitung der Kranklieit im Kreise voll- kommen überein. Die Stadt Memel selbst, welche doch in erster Linie bei einer etwaigen Elinschleppung auf dem Seewege hätte betroffen werden müssen, ist bis jetzt volllvommen verschont ge- blieben. Dagegen hat sich die Lepra zuerst in der Nähe der russischen Grenze (Rooken, Jodicken, Dwielen) gezeigt und sich später vorzugsweise im Norden des Kreises (Patra- j ahnen, Ramutten, Talutten, Pipirren, Karkelbeck, lUgauclen) und in den Vororten der Stadt Memel (Mellmeraggen, Schmelz, Brommelsvitte, Sandweln-) eingenistet. Auch ist bis jetzt fast nur die litauische Landbevölkerung betroffen, welche durch den Markt- verkehr und durch Schmuggel veranlaßt wird, auf russisches Gebiet hinüberzugehen und welche ebenso am leichtesten mit russischen Händlern, ländlichen Arbeitern und Bettlern in Berührung kommt ^). Die Zahl der bisher bekanntgewordenen Fälle von Lepra im Kreise Memel betrug 25. Außerdem waren mehrere Personen als verdächtig bezeichnet. Alle lebenden Personen habe ich bis auf zwei in der Klinik zu Breslau untergebrachte untersucht, über die Ver- storbenen Erkundigungen eingezogen, die erreichbaren Angehörigen der lebenden xincl verstorbenen Leprösen ebenfalls untersucht und die A'erdächtigen auf das Vorhandensein von Leprabazillen geprüft. Linter diesen letzteren befand sicli eine Frau, bei welcher nur unsichere Andeutungen von leprösen Veränderungen im Gesicht, aber zwei kleine ver- dächtige Knoten am linken Vorderarm zu bemerken waren. In einem ausgeschnittenen Stückchen des Knotens konnten die Leprabazillen in großer Zahl nachgewiesen werden. Diese Frau, Marie L. in Schmelz, leidet also an Lepra, und da ihre vor G Jahren ver- storbene Mutter, Mar inke G., nach der Besclu-eibung der Angehörigen alle Sym])tonie der tuberösen Lepra gezeigt hat, so ist auch diese in die Liste der Leprösen aufzunelimen. Die Gesamtliste der Leprösen, welclie hier beigefügt ist (siehe S. 673/74), vxmfaßt somit jetzt 27 Fälle. Dieselben gehören bis auf zwei der tuberösen Form der Lepra an. Von den beiden übrig bleibenden sind bei einem in einem kleinen Hautknötchen Leprabazillen gefunden; er ist deswegen als gemischte Form zu bezeichnen, und es bleibt nur ein einziger Fall von rein anästhetischer Lepra, bei welchem nur Lähmung der Gefühlsnerven, Muskel- schwund, weißliche Flecken auf der Haut, al)er keine Knotenbildungen oder Infiltrationen der Haut bestehen. Auch dieses starke Vorwiegen der tuberösen Form der Lepra spricht nach den in anderen Ländern gemachten Erfahrungen dafür, daß die Lepra in den Memeler Ivreis frisch eingeschleppt ist. In Gegenden, wo die Lepra schon lange Zeit herrscht, pflegt die an- ästhetische Form einen weit größeren Prozentsatz auszumachen. ^) Auch in Rußland ist die Landbevölkerung viel mehr der Leprakrankheit ausgesetzt als die Stadtbevölkerung, vermutlich infolge der besseren hygienischen Verhältnisse, in welchen sich die letztere befindet. 672 Die Lepra-Erkrankungen im Kreise Memel. Von den 27 Fällen ist nur etwa die Hälfte als eingeschleppt anzusehen. Möghclier- weise bestehen aber auch unter diesen noch engere Beziehungen, welche sich jetzt nicht mehr nachweisen lassen, so daß die Zahl der ursprünglich in dem Rreise eingeschleppten Leprafälle vielleicht eine noch geringere ist. Einige von diesen Erst-Infizierten sind bis jetzt vereinzelt geblieben. An andere dagegen haben sich in der nächsten Umgebung sekundäre Infektionen angeschlossen. Dabei sind genau dieselben Erscheinungen auf- getreten, wie sie in Norwegen, Island und ganz besonders auch in den Ostseeprovinzen beobachtet sind. Die Ansteckung scheint nämlich nur unter ganz besonderen Bedingungen, wozu vor allem langdauerndes Zusammenleben in engen Räumen, Zusammenschlafen, vielleicht auch Benutzen von infizierten Kleidungsstücken gehört, zustande zu kommen. Auffallend oft wurde angegeben, dal;5 die nacheinander Erkranlvten zusammen in einem Bette geschlafen hatten. Andererseits scheinen aber auch einzelne Menschen vollkommen immun gegen Lepra zu sein. So hatte eine Frau zuerst ihren Mann, dann hintereinander 4 erwachsene Kinder an Lepra verloren, sie hatte sie alle gepflegt und war im Laufe von fast 20 Jahren fortwährend in innigste Berührung mit Leprösen gekommen. Trotzdem fand ich sie bei der Untersuchung vollkommen gesund. Ähnlich verhielt es sich mit einem Mann, der seit 12 Jahren Lepra in seiner Familie hat und jahrelang mit seiner leprösen Frau das Bett teilte. Aus diesem Verhalten der Lepra folgt schon, daß die Übertragung in der Regel nur aiff solche Personen erfolgt, die mit den Leprösen in engste Berührung kommen, d. h. innerhalb der FamiUe, weswegen von erfahrenen Leprakennern die Lepra geradezu als eine Familienkrankheit bezeichnet ist. So ist es auch hier der Fall gewesen. Die An- steckungen haben nur zwischen Geschwistern, von Eltern auf Kinder und umgekehrt von Kindern auf Eltern stattgefunden. Nur in einem Falle scheint eine angeheiratete Verwandte, welche aber viel in der leprösen Familie verkehrte, in den Kreis der Infektion geraten zu sein. Die Vererbung, welche nach dem LTrteil der älteren Lepraforscher ausschließlich die Fortpflanzung der Lepra bedingen sollte, hat bei der Lepra imKreise Memel, wenigstens so weit es sich bis jetzt übersehen läßt, gar keine Rolle gespielt. Es sind allerdings, wie bereits erwähnt wurde, in derselben Familie mehrere Fälle von Lepra vorgekommen, aber doch niu" in einem Zusammenhange, welcher Vererbung ausgeschlossen erscheinen läßt. So erkrankten z. B. in einer Familie nacheinander eine Tochter von 7 Jahren, 4 Jahre später ein Sohn von 25 Jahren, noch später 2 jüngere Kinder; die Eltern sind vollkommen gesund, auch die Großeltern und sonstige Verwandte haben niemals Anzeichen von Lepra gehabt. In einem anderen Falle erkrankte zunächst eine Frau, dann deren Mutter und schließlich ihr Kind, welches der Liebling der leprösen Großmutter gewesen und von dieser immer ins Bett genommen worden war. Die anderen Kinder, welche mit der leprösen Mutter und Großmutter weniger in Berührung kamen, blieben gesund. In den Familien folgen die einzelnen Fälle fast immer in Zwischenräumen von 2 — 4 Jahren, so daß sie ganz regelmäßige Ketten bilden. Nun hat aber die Lepra ein Inkubations- stadium von 2 — 5 Jahren, woraus folgt, daß jene Ketten fortlaufende Ansteckungen sein müssen und nicht auf andere Weise entstanden sein können. Es leben augenbHcklich noch 3 Kinder, welche von leprösen Eltern abstammen, und, was besonders hervorzuheben ist, geboren sind, während die Krankheit bei dem Vater resp. der Mutter schon weit vorgeschritten war. Diese Kinder habe ich untersucht und volUiommen gesund gefunden. Das älteste von ihnen ist allerdings erst 4 Jahre alt und hat das Inkubationsstadium noch nicht überschritten. Es läßt sich also jetzt noch nicht mit Sicherheit behaupten, daß die Kinder auch ferner von der Lepra verschont bleiben werden. Die Lepra-Erkrankungen im Kreise Memel. Liste der L e p r a k r a n k e n im Kreise M e ni e 1. 673 Lfd. Nr. Name, Stand Wohnort im Alter von Jahren Erkr; im Jahre mkte SLai 0 im Jahre ist jetzt alt Ge- samt- dauer der Krank- heit Jahre Bemerkungen 1 Heinrich S. Sandwehr 16 1879 1886 — 7 Nr. 1 und 2 sind Brüder. Großmutter Arbeiter mütterlicherseits, sowie Mutter und Z Karl S. 13 1877 1888 — 11 Schwester sind am Leben und ge- Arbeiter sund. o o : K. Jodiken 1870 1879 9 Nr. 3 Vater von 4, 5 und 6. Wirt TV II U Hinterlassene Ehefrau, welche sich wieder verheiratet hat mit dem 4 Ilnverehel. R. 15 1877 1884 — 7 Bruder von Nr. 7. ? Sohn K. • 2 Söhne von 27 und 20 Jahren, sowie 5 23 1882 1889 — 7 1 Enkelin, ein Kind von der Anna R. ohne Beruf (cfr. Nr. 6), welches nach der Er- krankung derselben geboren wurde. D Anna ix. » 00 ioaU 1 One lo9o 5 sind gesund. 7 ? Frau K. Rocken 61 1886 1894 — 8 Ihr Bruder, der 55 Jahre alte Martin Altsitzers- S. , ist mit der Witwe von Nr. 3 frau verheiratet, sowie ein zweiter Bruder und eine Schwester, auch 1 Sohn, 4 Töchter und 2 Enkelkinder sind gesund. 8 Barbara M. Joneiken- Jörge, 41 1889 1895 — 6 Schwester von Nr. 9. 2 Brüder, Losfrau spät. Patrajahneii 1 Schwester, 1 Sohn, 4 Töchter sind gesund. 9 Jürgen P. Talutten-Stanz 48 1885 1895 10 Bruder von Nr. 8. 2 Brüder, 1 Schwe- Landarbeiter ster, 2 Söhne, 2 Töchter sind ge- sund. 10 Emilie G. Bommelsvitte 50 1886 1894 8 4 Töchter sind gesund. Witwe 11 J- 1